Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/24/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung und rufe gleich die Zusatzpunkte 6 und 7 unserer Tagesordnung auf: ZP 6 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes Drucksachen 18/11237, 18/11536 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen ({0}) Drucksache 18/11012 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) Drucksache 18/11646 ZP 7 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes Drucksachen 18/11235, 18/11560 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) Drucksache 18/11643 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11644 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über beide Gesetzentwürfe der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Das ist offenkundig einvernehmlich . Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Alexander Dobrindt . ({4})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Die deutsche Pkw-Maut ist ein europäisches Projekt ({0}) Subsidiarität, weil wir die Verantwortung für unsere Infrastruktur übernehmen, Solidarität, weil wir uns ganz selbstverständlich an der Finanzierung der Infrastruktur unserer Nachbarländer beteiligen und diese Selbstverständlichkeit jetzt auch auf unseren Straßen Realität wird, ({1}) und Gerechtigkeit, weil es keinen Unterschied mehr zwischen den Nutzern, die sich heute an der Finanzierung beteiligen, und denjenigen, die bisher kostenlos auf unseren Straßen fahren, geben wird . ({2}) Das ist ein europäisches Projekt, meine Damen und Herren . Übrigens bestätigt dies auch die Europäische Kommission, die ja ganz offensichtlich uns und unsere Pläne unterstützt . Die EU-Kommission hat deutlich gemacht wörtlich -: Die vereinbarte Lösung wahrt die Rechte der EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infrastrukturfinanzierung und erleichtert den Übergang zu einer emissionsarmen Mobilität . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Worte der EU-Kommission zur deutschen Pkw-Maut . Wir stellen damit unsere Infrastrukturfinanzierung auf eine breitere Basis und machen das, was die meisten unserer Nachbarländer bereits vor vielen Jahren vollzogen haben: ({3}) die Finanzierung der Infrastruktur auf drei Säulen zu stellen - Mineralölsteuer, Kfz-Steuer, Mautsystem . Bisher haben wir zwei Säulen: die Mineralölsteuer und die Kfz-Steuer . Jetzt bauen wir eine dritte verlässliche Säule dazu: die Infrastrukturabgabe, die Maut . Das ist ein echter Systemwechsel . Das ist der Systemwechsel, von dem viele seit Jahren reden, nämlich von der Steuerfinanzierung der Infrastruktur hin zur Nutzerfinanzierung, von nicht zweckgebundenen Steuermitteln hin zu einer zweckgebundenen Finanzierung . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, möchten Sie schon eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann zulassen? ({0})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Na klar .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank auch, Herr Minister, dass Sie die Frage zum jetzigen Zeitpunkt schon zulassen . ({0}) Bevor Sie sich hier so richtig in Fahrt reden, Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Wollten Sie mich unterbrechen . ({1})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- was Ihr unsinniges Pkw-Mautprojekt angeht, möchte ich, da das volle Haus heute dazu eine gute Gelegenheit bietet, gerne eine ganz grundsätzliche Frage an Sie richten . Seit dem 17. Dezember 2014 befinde ich mich mit Ihnen in einer Auseinandersetzung darüber, dass es keinen anderen Minister und keine andere Ministerin in diesem Parlament gibt, der bzw . die die Rechte der Parlamentarierinnen und Parlamentarier so missachtet wie Sie . ({0}) - Ich kann Sie gar nicht verstehen: Das betrifft Ihr Fragerecht genauso wie das aller anderen Kolleginnen und Kollegen; das weiß selbst die Bundesregierung inzwischen . Bevor Sie sich hier als großer Infrastrukturminister gerieren, möchte ich Ihnen gerne die Gelegenheit geben, dem Parlament Folgendes zu erklären: ({1}) Wir haben allein im Jahr 2014 13 Kleine Anfragen gestellt . Wir haben allein im Jahr 2017 5 Kleine Anfragen gestellt . Aber Sie missachten das Fragerecht des Deutschen Bundestages ({2}) und informieren noch nicht einmal, sie beantragen auch keine Fristverlängerung . Ich kenne eine solche Missachtung des Parlamentes wirklich von niemandem .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Okay .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bitte Sie, uns zu erklären, weshalb das Ministerium das so handhabt und warum Sie als Minister das auch noch rechtfertigen . ({0})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Liebe Kollegin, ganz herzlichen Dank für Ihre Frage . - Wir haben in der Tat eine intensive Debatte außerhalb des Parlaments geführt in Form von Kleinen Anfragen, die Sie ständig an unser Haus stellen . ({0}) Ich freue mich über jede einzelne Anfrage, die von Ihnen kommt, und ich freue mich auch, dass die AntworBundesminister Alexander Dobrindt ten unseres Hauses zur einer Wissensmehrung bei Ihnen beitragen; ({1}) in der Regel zur Korrektur dessen, was Sie falsch oder ideologisch in Ihren Fragen implementiert haben . ({2}) Wir werden das genauso weitermachen: Sie bekommen die richtigen Antworten auf Ihre oft falschen Fragen . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick bitte . - Also, eine ergänzende Bemerkung muss ich dazu schon machen, Herr Minister . Die Freude über die Vielzahl der Anfragen ist Ihrem Ministerium in der Art und Dauer der Beantwortung nicht immer anzumerken . ({0}) Und Ihre Ankündigung, die bisherige Praxis genauso fortzusetzen, würde nicht nur bei der betroffenen Fraktion ein Problem auslösen . Darauf muss ich auch aufmerksam machen . ({1})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Herr Präsident, deswegen habe ich die Freude noch einmal ausdrücklich betont, damit Sie auch für jeden glaubhaft dargestellt wird . Wir werden weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen die Fragen der Grünen beantworten . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erreichen über die Lkw-Maut schon heute zweckgebundene Einnahmen in Höhe von 4 Milliarden Euro pro Jahr . Wir bekommen 2018 mit der Ausweitung der Maut auf alle Bundesstraßen weitere 2 Milliarden Euro dazu . Wir erreichen jetzt mit der Pkw-Maut zusätzliche 4 Milliarden Euro jährlich an zweckgebundenen Einnahmen . Das bedeutet im Klartext: Wir haben für die Zukunft jährlich über 10 Milliarden Euro im Verkehrsetat, die dauerhaft und zweckgebunden für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung stehen . Das ist in der Tat ein Riesenerfolg für die Investitionen in unser Land und für die dauerhafte Finanzierung unserer Infrastruktur . ({1}) Damit räumen wir der Infrastrukturfinanzierung einen Stellenwert ein, der in der Vergangenheit so nie da gewesen ist: Die Milliarden Euro an Einnahmen auf der Straße, die jährlich von den Autofahrern kommen, entziehen wir der Begehrlichkeit der anderen Politikfelder . Die Autofahrer können in Zukunft sicher sein: Gelder, die sie für die Maut bezahlen, die sie auf der Straße bezahlen, landen wieder sicher in der Infrastruktur . ({2}) Das heißt, dass jeder Investitionshaushalt im Verkehrsbereich in Zukunft eine feste Grundausstattung von 10 Milliarden Euro im Jahr haben wird . Damit sind Erhalt und Betrieb der Straßen langfristig gesichert . Deshalb ist die Maut ein zentraler Baustein des Systemwechsels hin zur Nutzerfinanzierung. Ohne die Pkw-Maut gibt es diese Zweckbindung nicht, gibt es die 10 Milliarden Euro jedes Jahr aus dem Zusammenspiel von Pkw-Maut und Lkw-Maut nicht und auch keine dauerhafte stabile Finanzierungsbasis . Klar ist, dass es bei einem Systemwechsel nicht zu einer Doppelbelastung von Autofahrern, die jetzt schon an der Finanzierung teilhaben, kommen darf . Ich glaube, dass es sogar logisch ist, dass wir bei so einem Systemwechsel darauf achten, dass keiner am Schluss mehr belastet wird . ({3}) Wer nutzt, der zahlt, und keiner zahlt doppelt - das ist die Devise bei der Einführung der Infrastrukturabgabe . Wir schaffen mit dieser Einführung endlich Gerechtigkeit auf unseren Straßen . ({4}) In Zukunft wird niemand mehr „von Grenze zu Grenze rauschen und dabei . . . Abgase und kaputte Straßen hinterlassen können“ . ({5}) Das sind nicht meine Worte . Das ist ein wörtliches Zitat des ehemaligen verkehrspolitischen Sprechers der Grünen, Albert Schmidt . Herzlichen Glückwunsch dazu! ({6}) Ja, ich weiß, so ein Vernunftgrüner wie Schmidt geht Ihnen in Ihrer Fraktion heute komplett ab . Momentan sind Sie nur noch besetzt mit einer ganzen Reihe von Verkehrspessimisten . Das kann man bei allen Vorschlägen, die Sie in Ihrem Wahlprogramm aufgeschrieben haben, eindeutig nachlesen . Sie lassen nichts unversucht, den Menschen die Mobilität zu verweigern . Sie wollen die Totalmaut einführen, wo jeder Kilometer einzeln berechnet und einzeln bepreist wird, wo man Tag und Nacht genau weiß, auf welchem Stück Autobahn sich die Menschen bewegen, und dafür sollen sie einzeln bezahlen . Das schadet den Pendlern, das schadet den Familien, das schadet denen, die aufs Auto angewiesen sind . Sie wollen die Kfz-Steuer erhöhen, Sie wollen den Sprit verteuern, Sie wollen den Infrastrukturausbau verhindern . Sie haben jetzt sogar ein Neubaumoratorium für Straßen gefordert . Meine Damen und Herren, um auch das sehr deutlich zu sagen: Sie sind und bleiben eine straßenfeindliche Entmobilisierungspartei . Sie setzen immer nur auf Belastungen, auf Verbote . ({7}) Wir wollen Mobilität ermöglichen, und das bei einer guten Infrastruktur, und die muss finanziert werden. ({8}) Dabei setzen wir auch noch die richtigen Anreize . Die Höhe der Pkw-Maut richtet sich konsequent nach den Umwelteigenschaften des Fahrzeugs . ({9}) Wir haben damit eine ökologische Steuerungswirkung . ({10}) Das heißt im Klartext: Besonders umweltfreundliche Fahrzeuge profitieren, Elektrofahrzeuge sind komplett von der Maut befreit, Halter von Fahrzeugen der Klasse Euro 6 werden noch zusätzlich entlastet; das ist Teil der Vereinbarung mit der Europäischen Kommission . Insgesamt ist das eine Entlastung um 100 Millionen Euro pro Jahr . ({11}) Das ist in der Tat die erste Maut, die nach ökologischen Grundsätzen ausgestattet ist . ({12}) Es sollte Ihnen doch eigentlich gefallen, dass wir eine Maut haben, die auch ökologisch einen besonderen Wert hat, weil diejenigen entlastet werden, die besonders saubere Autos fahren . ({13}) Die Pkw-Maut leistet also mit ihren Einnahmen und der Zweckbindung ({14}) einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung unserer Infrastruktur . Sie wird damit den Investitionshochlauf, den übrigens die Große Koalition gemeinsam in dieser Wahlperiode beschlossen hat, weiter verstetigen . Wir haben in dieser Wahlperiode einen Rekordmittelaufwuchs von 40 Prozent bei den Investitionen in die Infrastruktur hinbekommen, und die Maut wird der Garant dafür sein, dass dies auch in Zukunft weiter fortgeführt wird und damit die Grundlage für Wachstum, Wohlstand und Arbeit in diesem Land gesichert ist: eine gute Infrastruktur, meine Damen und Herren . ({15}) Es bleibt dabei: Die Infrastrukturabgabe ist fair, sie ist sinnvoll, sie ist gerecht . Sie ist fair, weil sie bei den meisten unserer Nachbarn genauso durchgeführt wird . Sie ist sinnvoll, weil jeder Euro, den wir einnehmen, wieder in unsere Infrastruktur investiert werden wird, ({16}) und sie ist gerecht, weil wir diejenigen angemessen an der Finanzierung unserer Straßen beteiligen, die sie bisher kostenlos nutzen . Das, meine Damen und Herren, ist die Grundlage der Infrastrukturabgabe, der Maut: fair, sinnvoll und gerecht; und genau so wird sie umgesetzt . ({17}) Ich habe mir ja in den letzten Monaten in dieser Debatte sehr viele falsche Argumente angehört . ({18}) Alles das, was in der Vergangenheit dazu von Ihrer Seite erzählt worden ist, es gebe zum Beispiel keine EU-Konformität, war falsch . ({19}) Die Aussage, es gebe keine Einnahmen, war falsch, die Aussage, es sei diskriminierend, war falsch . Alles, was Sie an dieser Stelle erzählt haben, war grundsätzlich falsch . Deswegen setzen wir sie jetzt im Einvernehmen mit der EU-Kommission auch um . ({20}) Da gibt es jetzt noch Debatten, übrigens in besonderem Maße in einem unserer Nachbarländer . Und auch das will ich erwähnt haben: Ich habe für diese ständige Mautmaulerei aus Österreich überhaupt kein Verständnis . ({21}) Österreich hat es vor über 20 Jahren richtig gemacht . Sie haben bereits damals ein Mautsystem eingeführt ({22}) und damit die Grundlage für die Investitionen in ihre Straßen gelegt, und wir zahlen ganz selbstverständlich unsere Beiträge, wenn wir auf Österreichs Straßen unterwegs sind . Aber die gleiche Selbstverständlichkeit erwarten wir auch von den Österreichern, wenn sie auf deutschen Straßen unterwegs sind . ({23}) Die innenpolitische Debatte in Österreich, die ich zurzeit verfolge, die nach dem Grundsatz geführt wird: „Ja, jeder, der nach Österreich fährt, der soll auch für Österreichs Straßen einen Beitrag leisten, aber Österreicher sollen unter keinen Umständen auf deutschen Straßen einen Beitrag leisten“, folgt keinem europäischen Gedanken, liebe Freunde . Auch diesen Fehler werden wir korrigieren . Danke schön . ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister versteckt sich erneut hinter seinen Sprechblasen, die wir hier zum x-ten Male hören, ({0}) um nachzuweisen, dass es angeblich gerecht zugehen soll, dass es europarechtskonform sei, dass es Einnahmen aus dem gebe, was er Infrastrukturabgabe nennt, was aber in Wirklichkeit eine Ausländermaut ist . Wir sind der Meinung: Damit muss Schluss sein; denn diese Sprechblasen verhindern nur, dass man dahinter das sehen kann, was gemeint ist . Mit diesen Sprechblasen wird verdeckt, dass es einen erheblichen Aufwand gibt, dass es Bürokratie gibt, die viele tausend Menschen bindet, die damit konfrontiert werden, diese Maut abzuwickeln . Es ist ein irrsinniger Aufwand, der betrieben wird, um vielleicht 500 Millionen Euro einzunehmen, vielleicht aber auch gar nichts; wahrscheinlich geht es ins Minus . ({1}) Wir wissen, dass die deutschen Autofahrer 3 Milliarden Euro zahlen sollen; das ist sicher . Angeblich sollen die Ausländer 700 Millionen Euro aufwenden, um Autobahnvignetten zu kaufen; das ist nicht sicher . Wir wissen, dass die Behördenmitarbeiter 43,5 Millionen Bescheide verschicken müssen, in denen den Autofahrern klargemacht wird: Sie müssen zwar zahlen, aber sie werden entlastet . Das Personal dafür soll es angeblich geben . Sicher ist das nicht . Sicher ist auf jeden Fall der Aufwand, der betrieben werden muss . ({2}) Das ist eine Sache, die wir so nicht akzeptieren können, wenn der Preis dafür möglicherweise ein Minusgeschäft ist . Ich habe versucht, mir dieses aufwendige Spektakel zu erklären. Mir fiel dazu nur eine Satire von Ephraim Kishon ein, nämlich Der Blaumilchkanal . In dieser Geschichte ist ein Mensch aus der Psychiatrie ausgebrochen, schnappt sich einen Presslufthammer und reißt eine Hauptstraße in Tel Aviv auf . Keiner fragt nach: Was soll das? Keiner fragt nach: Wer hat dich beauftragt? Keiner fragt nach: Was ist das Ziel dieser Maßnahme? Im Gegenteil: Polizei und Stadtverwaltung mischen sich ein und stellen Absperrungen zur Verfügung . Die Polizei regelt den Verkehr, und alles geht seinen Gang . Am Ende gibt es einen Kanal mitten durch Tel Aviv, und die Stadtverwaltung macht sich dieses Projekt zu eigen, obwohl sie es nie beschlossen hat, obwohl sie es nie kontrolliert hat . Sie feiert sich dafür, dass es jetzt einen Kanal in Tel Aviv gibt . Während man sich selbst feiert, ist Kasimir Blaumilch mit seinem Presslufthammer schon in einer Nebenstraße zugange . Das ist die Parallele zu dem, was hier mit der Maut passiert . Keiner fragt nach, keiner kontrolliert, und keiner sagt, was Ziel und Sinn des Ganzen ist . ({3}) Vielleicht haben wir es aber auch nicht mit einer Satire zu tun, sondern mit einem Projekt, das mit großem Aufwand vernebeln soll, was eigentlich dahintersteckt . Die geheimen Gutachten, über die jetzt die Berliner Zeitung berichtet, zeigen auf, wohin die Reise gehen soll . Dort wird berichtet, die Infrastrukturabgabe sei zentrales Merkmal der Bundesfernstraßengesellschaft, also der Gesellschaft, mit der die Privatisierung der Infrastruktur vorbereitet werden soll . In den Gutachten steht, dass nicht mit 3 Milliarden Euro Infrastrukturabgabe gerechnet wird, sondern mit 5,2 Milliarden Euro . Dort steht auch nicht, dass die Maut erstattet werden kann, sondern dort ist die Rede von einem Zuwachs, einem Aufwuchs . Das muss uns doch höchst aufmerksam machen . Eigentlich müssten wir zu der Schlussfolgerung kommen, dass dieses Gesetz heute nicht beschlossen werden darf . ({4}) Stattdessen sollte ein anderes Gesetz beschlossen werden . Unsere Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt . Darin steht, dass die Infrastrukturabgabe sofort versenkt werden soll . Wir müssen noch einmal neu darüber nachdenken, wie wir die Verkehrsinfrastruktur finanzieren wollen. Ich erinnere mich an die denkwürdige Rede des neuen Bundespräsidenten von Mittwoch . Er sagte: Aber es gibt auch . . . die schleichende Erosion von innen: durch Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit oder . . . die Anfechtung durch jene, die Parlamente und demokratische Institutionen nicht mehr als Ort für politische Lösungen sehen wollen, sondern als Zeitverschwendung diskreditieren . . . Das trifft ein Stück weit auf das Mautgebaren der Großen Koalition zu . Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit sehe ich bei Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn der einzige Einwand gegen dieses unsinnige Gesetz der ist: Wir haben aber eine zweijährige Frist hineingeschrieben; nach dieser muss das Gesetz überprüft werden . - Das ist Trägheit . Das ist keine kritische Überprüfung des Ganzen . ({5}) Der Bundespräsident sprach von jenen, die Parlamente nicht mehr als Ort für politische Lösungen ansehen wollen . Dieser Satz betrifft offensichtlich den Bundesverkehrsminister . Seine Missachtung drückt sich nicht nur in der Qualität der Beantwortung von Anfragen aus, sondern auch in dem Tempo, mit dem sowohl das erste Gesetz durchgeprügelt worden ist als auch der Gesetzentwurf, den wir jetzt vor uns haben, durchgeprügelt werden soll . Binnen 24 Stunden sollten sich die Fachverbände dazu äußern . Binnen 14 Tagen sollte sich das Parlament abschließend mit dieser Frage befasst haben und zu einem Ergebnis kommen . Ich hoffe, dass der Bundespräsident seine Worte ernst meint, wenn er sagt, was er alles tun wird . Er sagte: Ich werde parteiisch sein, parteiisch, wenn es um die Sache der Demokratie selbst geht . . . . Partei ergreifen werde ich auch für Europa . Herr Bundespräsident, seien Sie bitte europäisch, und unterschreiben Sie dieses Gesetz nicht . Dieses Gesetz darf nicht in Kraft treten! ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gut drei Jahren ist die SPD in eine Koalition mit CDU und CSU gegangen . Wir waren gut vorbereitet . Unsere Liste an Projekten, mit denen wir die Dinge in unserem Land besser machen wollten, war lang . In den Koalitionsverhandlungen haben wir schnell gemerkt, dass von CDU und CSU wenig kam . ({0}) Deshalb konnten wir viele unserer Forderungen in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln . In den letzten drei Jahren haben wir in der Koalition ein sozialdemokratisches Projekt nach dem anderen abgearbeitet . Die Rente mit 63: im April 2014 im Bundestag beschlossen und damit seit fast drei Jahren in Kraft . Der Mindestlohn für alle: im Juli 2014 beschlossen und damit seit über zwei Jahren in Kraft . ({1}) Wir haben die doppelte Staatsbürgerschaft modernisiert: 2014 beschlossen und damit seit über zwei Jahren in Kraft . Mehr Frauen in Führungspositionen in Unternehmen: im März 2015 im Bundestag beschlossen und seit einem Jahr in Kraft . ({2}) Die Bekämpfung von Missbrauch bei Leih- und Zeitarbeit: im Oktober 2016 im Bundestag beschlossen, ab April in Kraft . Damit haben wir in unserem Land vieles zum Guten verändert . ({3}) Vor der Wahl 2013 haben wir gesagt, was wir tun werden . Nach der Wahl haben wir das gemacht, was wir vorher angekündigt haben .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, ich mache Sie darauf aufmerksam: Wenn Sie noch zum Thema reden wollen, kann ich Ihnen deswegen nicht die Redezeit verlängern . ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lammert, das Schöne ist: Das kommt noch . Und die Union? Man könnte meinen, ihr weltbewegendstes Projekt sei die Pkw-Maut . Um sie zu verabschieden, brauchen wir, weil es so schön war, heute einen zweiten Anlauf; denn der erste Entwurf war von Herrn Schäuble, aber auch von Herrn Dobrindt so schlecht vorbereitet . ({0}) Unsere Vorhaben sind bereits in Kraft und wirken . CDU und CSU müssen bei der Pkw-Maut darauf hoffen, dass die nächste Bundesregierung ihr Lieblingsprojekt frühestens 2019 umsetzt . Ob sie dann noch daran beteiligt sind, ist offen . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Medien ist derzeit viel von den großen Herausforderungen die Rede, vor denen Deutschland steht. Häufig wird dabei auf die Kanzlerin, die jeden Tag hart für die deutschen Interessen arbeite, verwiesen . Da kann ich verstehen, wenn sich Bürgerinnen und Bürger fragen, warum ausgerechnet die Pkw-Maut gerade jetzt das wichtigste Thema im Bundestag sein soll . ({2}) Glauben Sie mir: Wir hätten gerne auf die Abstimmung am heutigen Tag verzichtet . Dass wir kein Freund der Pkw-Maut sind, dürfte jedem hier im Saal bekannt sein . ({3}) Vor zwei Jahren haben wir die Pkw-Maut schon einmal mit auf den Weg bringen müssen . ({4}) Damals hat die EU-Kommission dem Bundesfinanzminister und dem Verkehrsminister das Stoppschild gezeigt . Für den unionsinternen Frieden hat die Bundeskanzlerin Herrn Juncker von der EU-Kommission bitten müssen, bei der Pkw-Maut ein Auge zuzudrücken . ({5}) Anstatt sich um die Probleme mit unseren europäischen Nachbarn zu kümmern, musste die Kanzlerin in Brüssel für das Projekt der CSU zu Felde ziehen - die gleiche Kanzlerin im Übrigen, die als Kandidatin 2013 im Fernsehduell mit Herrn Steinbrück versichert hatte, mit ihr würde es niemals in Deutschland eine Pkw-Maut geben . ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD stimmt heute unter großen Bauchschmerzen der Pkw-Maut zu . ({7}) Damit zeigen wir, dass man sich in einer Koalition auch in schwierigen Situationen auf uns verlassen kann . ({8}) Wir stehen zu unserem Wort . Jede Koalition braucht klare Regeln . Wir sind ein verlässlicher Partner . ({9}) Uns ist auch klar: Wenn dieses Projekt von CSU und CDU heute keine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekäme, würden beide alle noch ausstehenden Projekte und Vorhaben blockieren . Wir wollen diese Koalition jedoch bis zum Sommer gut und verlässlich zu Ende bringen, eben weil es noch immer einiges zu erledigen gibt . Meine Damen und Herren, wir haben im Koalitionsvertrag zwei Bedingungen für unsere Zustimmung vereinbart . Diese gelten nach wie vor: Kein deutscher Autofahrer darf durch die Pkw-Maut zusätzlich belastet und kein europäischer Nachbar aus dem Ausland diskriminiert werden . ({10}) Für die SPD ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass Mobilität in Deutschland bezahlbar bleibt . Pendlerinnen und Pendler, die tagtäglich mit dem Auto zur Arbeit fahren, dürfen nicht zusätzlich belastet werden . ({11}) Die SPD ist der Garant dafür, dass mit diesem Gesetz kein Inländer mehr bezahlen muss . ({12}) Nach dem Wink der Bundeskanzlerin in Richtung Herrn Juncker in Brüssel hat die EU-Kommission einige kleine Änderungen gefordert, die wir heute im Bundestag beschließen werden . Daraufhin wird die Europäische Union ihr Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zurückziehen . Damit müssen wir davon ausgehen, dass die Pkw-Maut mit diesen Änderungen mit europäischem Recht vereinbar ist . Gegen die Meinung der Hüterin der europäischen Verträge können wir schlecht andiskutieren . Es bleibt die Frage der Einnahmen . Die einen Experten haben uns vorgerechnet, dass es keine Einnahmen gibt, andere Experten haben vorgerechnet, dass es mindestens eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für die Reparatur bröckelnder Brücken und die Beseitigung von Engpässen geben wird . Damit erleben wir die gleiche Situation wie vor zwei Jahren. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat seinen Staatssekretär Jens Spahn einen Brief an uns schreiben lassen . In diesem lässt er uns übermitteln, dass er keine Zweifel an den Prognosen des Bundesverkehrsministers hat . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich versichere Ihnen: Dieses Schreiben werden wir uns einrahmen und auf Wiedervorlage legen . ({13}) Herr Schäuble, Herr Spahn, falls uns die Pkw-Maut doch eines Tages um die Ohren fliegen sollte, werden wir es, wo immer Sie dann in diesem Hause sitzen werden, aus der Tasche ziehen . ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, offenbar sind die Kriterien aus dem Koalitionsvertrag erfüllt . Daher werden wir als SPD-Bundestagsfraktion heute mehrheitlich dem zweiten Anlauf zur Einführung einer Pkw-Maut zustimmen . In den Diskussionen - insbesondere mit der CDU mussten wir erleben, dass alle kritischen Äußerungen von Frau Kramp-Karrenbauer zu den Grenzregionen nicht den geringsten Einfluss auf die Linie unseres Koalitionspartners hatten . Was für ein schlechtes Standing einer Ministerpräsidentin! ({15}) Nachdem ich von der gleichen Ministerpräsidentin vorgestern dann auch noch gelesen habe, dass die PkwMaut gar nicht kommt, frage ich mich wirklich: Was soll das? Ich bin mir sicher, am Sonntag werden die Wählerinnen und Wähler im Saarland dieser Doppelzüngigkeit eine Absage erteilen . ({16}) Auch die Aussagen von Frau Klöckner aus Rheinland-Pfalz blieben folgenlos . Gleiches gilt für den Protest der CDU-Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland . Erst schreiben Sie Briefe, in denen Sie den Bundesverkehrsminister auffordern, die Pkw-Maut nicht erneut im Bundeskabinett beschließen zu lassen, und dann vergessen Sie im entscheidenden Moment im Bundestag Ihre Kritik und sind nicht auf dem Platz . Das ist wenig hilfreich . Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass aus der CSUMaut inzwischen endgültig ein gemeinsames Projekt von CDU und CSU geworden ist . ({17}) Ohne Verbündete in der CDU, die nicht nur reden, sondern sich in dem entscheidenden Moment auch nicht wegducken, hatten wir am Ende keine Chance . ({18}) Die SPD zeigt heute, dass sie ein verlässlicher Partner ist . In einer Koalition handeln beide Vertragspartner jeweils ihre wichtigsten Ziele aus . Dafür muss man Zugeständnisse machen . Wenn wir etwas verhandelt und vereinbart haben, liefern wir . Eines unserer bleibenden Zeugnisse dafür ist der Mindestlohn . Ihr bleibendes Zeugnis wird die Pkw-Maut sein . ({19}) Auf uns kann man sich verlassen . Das Gleiche erwarte ich bei anderen Themen dann allerdings auch von CDU und CSU . Zeigen auch Sie, dass Sie zu Ihrem Wort stehen . ({20}) Es gibt noch genügend Projekte aus dem Koalitionsvertrag, bei denen Sie in der Pflicht stehen. Geben Sie endlich Ihre Blockade beim Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Mann und Frau auf! ({21}) Beenden Sie Ihren Widerstand bei der Solidarrente! Geben Sie Mieterinnen und Mietern mehr Rechte! Wir wollen diese Koalition ordentlich zu Ende bringen - verlässlich und zum Wohle unseres Landes . ({22}) Deshalb werden wir - auch wenn es vielen meiner Kolleginnen und Kollegen schwerfällt - den Änderungen an der Pkw-Maut und der Kfz-Steuer heute mehrheitlich zustimmen . Vielen Dank . ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Anton Hofreiter das Wort . ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD, Sie wissen doch selbst, dass Sie heute Teil einer peinlichen Posse sind . ({0}) Sie wissen doch selbst, dass diese sogenannte Große Koalition heute nichts anderes ist als die Beute einer kleinen Provinzpartei aus Bayern, und Sie sollten sich für Ihr Abstimmungsverhalten schämen . ({1}) Ich komme noch einmal ganz kurz zu dem Unsinn, den der Minister erzählt hat, und zähle auf, was wirklich ist: Eine Pkw-Maut in dieser Form ist schlecht für die Grenzregionen; denn sie führt wieder neue Grenzen ein . ({2}) Sie ist schlecht für Saarbrücken, sie ist schlecht für Aachen, sie ist schlecht für Flensburg . Ich würde mir einmal wünschen, dass die Verantwortlichen von CDU und SPD in den Landesregierungen auch den Mut hätten, deutlich etwas dagegen zu unternehmen und nicht bloß öffentliche Reden zu halten, sondern dort, wo es darauf ankommt, auch die Hand zu heben . ({3}) Zu den Einnahmen . Der Minister hat wiederholt behauptet, dass in Österreich, in Italien und in Frankreich genau die gleiche Maut eingeführt wurde wie die bei uns geplante und dass alle zahlen müssen . ({4}) Wissen Sie, was der Unterschied zwischen uns und Italien, Frankreich und Österreich ist? Dort zahlen wirklich alle Bürgerinnen und Bürger, die einheimischen und die ausländischen . Sie haben daraus etwas völlig anderes gemacht: Sie haben sie zu Ihrem rechtspopulistischen Wahlkampfschlager gemacht, indem Sie sie zu einer Ausländermaut erklärt haben . Es gibt aber keine diskriminierungsfreie Diskriminierung . Deshalb: Hören Sie auf, hier die Unwahrheit zu erzählen . ({5}) Morgen werden 60 Jahre Römische Verträge gefeiert . Dazu wird Frau Merkel wieder schöne Worte finden. Wir haben Sie von der Großen Koalition aufgefordert, Herr Kauder - Herr Oppermann ist nicht einmal da -, dass es eine vereinbarte Debatte zu 60 Jahre Römische Verträge gibt . ({6}) Sie haben sich verweigert . Stattdessen führen wir eine Debatte zu diesem völlig absurden Projekt . Wissen Sie, das, was Sie 2013 beschlossen haben, war schon eine Peinlichkeit . Es war eine Peinlichkeit für SPD und CDU . Es war dreist, dass Sie der Provinzpartei aus Bayern, die auch für Bayern eine Schande ist, nachgegeben haben . ({7}) Aber in diesen vier Jahren ist viel passiert . Die Europäische Union ist deutlich tiefer in die Krise geraten . ({8}) Was macht die Kanzlerin des größten und wichtigsten Landes innerhalb der Europäischen Union? Sie verbrennt ihr politisches Kapital, um die EU-Kommission dazu zu bringen, diesem europafeindlichen Projekt zuzustimmen . Schämen Sie sich! ({9}) Die Europäische Union hat Besseres verdient . ({10}) Wir brauchen die Europäische Union . Wir müssen die Europäische Union retten . Mit Ihrem Verhalten schaden Sie der Europäischen Union . Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung an . ({11}) Jetzt schauen wir uns einmal die SPD an . ({12}) Die SPD hat ja jetzt ihren 100-Prozent-Schulz, der glaubt, über Wasser laufen zu können . ({13}) Aber in dem Moment, in dem die SPD in der politischen Wirklichkeit ankommt, ist sie wieder ganz, ganz klein . ({14}) Wieso stimmen Sie von der SPD nach der Rede von Herrn Bartol den Gesetzentwürfen zu? ({15}) Wissen Sie, in Koalitionen muss man Kompromisse machen . ({16}) Aber es kann einen auch in Koalitionen niemand dazu zwingen, den größten Unsinn mitzumachen . ({17}) Das macht man freiwillig . Alle, die Sie hier heute sitzen, werden gleich bei der Abstimmung freiwillig die Hand heben und danach freiwillig aufstehen . Deshalb können Sie sich nicht hinter der Koalitionsvereinbarung verstecken . Deshalb ist es nicht mehr nur eine CSU-peinliche Maut, sondern auch eine CDU-peinliche Maut und eine SPD-peinliche Maut . ({18}) Das zeigt: Diese Große Koalition gehört dringend weg; denn sie ist ein Schaden für unser Land . Heute ist ein schlechter Tag für unser Land . ({19}) Es ist ein schlechter Tag für die Grenzregionen . Es ist ein schlechter Tag für unseren Haushalt . Es ist ein schlechter Tag für Europa . ({20}) Ich kann nur noch einmal an Sie appellieren: Stimmen Sie dem Ganzen nicht zu! Dann würden Sie endlich einmal Rückgrat beweisen und Größe und Stärke zeigen . Vielen Dank . ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Steffen Bilger ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Kollege Hofreiter, ich habe nicht das Gefühl, dass die Wähler in Bayern den Eindruck haben, die CSU sei eine Schande für Bayern . Im Gegenteil: Die Zustimmungswerte für die CSU sprechen eine deutlich andere Sprache . ({0}) Aber zurück zur Maut . Die Argumente dazu sind ausgetauscht . In manchen Beiträgen gerade kamen nicht besonders viele inhaltliche Argumente . Aber wir haben über die Maut schon viele Jahre diskutiert . Es ist gut, dass wir heute über die Einführung der Infrastrukturabgabe endgültig abstimmen . In diesem Zusammenhang sind ein paar Aussagen gemacht worden, die mich verwundert haben . Es handelt sich nach all den Diskussionen, die wir die ganzen Jahre schon geführt haben, und nach den vielen Anhörungen, die wir hatten, mit Sicherheit nicht um ein Durchprügeln dieser Gesetze . Auch habe ich eine andere Erinnerung an unsere Koalitionsverhandlungen . Ich habe in Erinnerung, dass wir zusammengekommen sind und in der Verkehrspolitik überlegt haben: Welche gemeinsamen Projekte sind uns wichtig? Die Parteien haben unterschiedliche Ansätze eingebracht . Aber wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen über die Pkw-Maut sehr konstruktiv auseinandergesetzt . Und so war es auch die ganzen Jahre mit der SPD . Wir haben gemeinsam konstruktiv daran gearbeitet, wie wir dieses Gesetz umsetzen, und ich weiß nicht, Kollege Bartol, ob es richtig ist, jetzt die Bilanz dieser Regierung so schlechtzureden nach allem, was wir auch gemeinsam erreicht und in Deutschland vorangebracht haben . ({1}) Nun habe ich wenig Hoffnung, dass es mir heute mit meiner Rede gelingen wird, diejenigen zu überzeugen, die schon immer gegen die Maut waren . Umgekehrt wird es denjenigen, die dagegen waren, heute aber auch nicht gelingen, mich von ihrer Position überzeugen . Ich will mich bei meinen Ausführungen auf die Diskussionsbeiträge beschränken, die seit unserer letzten Debatte zur Infrastrukturabgabe vor zwei Wochen geäußert wurden . Ich will aber auch für alle Interessierten, die unsere Debatte außerhalb des Bundestags verfolgen, die wesentlichen Argumente für unser Vorhaben kurz erläutern . Zunächst einmal waren Zweifel an der Einnahmenseite der Maut geäußert worden, auch von Rednern der SPD in der letzten Debatte . Ich bin sehr froh, dass diese Zweifel nach unseren Sachverständigenanhörungen und nach der Mitteilung des Bundesfinanzministeriums ausgeräumt werden konnten. Das Bundesfinanzministerium hat bestätigt, dass die Einnahmenerwartungen realistisch sind, meine Damen und Herren . ({2}) Die Einnahmen aus der Infrastrukturabgabe werden einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung unseres Investitionshochlaufs leisten . Diese mehrere Hundert Millionen Euro, die wir Jahr für Jahr als zusätzliche Einnahmen erwarten können, werden uns helfen, die Infrastruktur in unserem Land auf den erforderlichen Stand zu bringen, und es ist Zeit dafür, und es gut, dass wir das endlich erreichen . ({3}) Einmal mehr will ich unterstreichen, dass die PkwMaut ja nicht die einzige Maßnahme ist, um die Infrastruktur ausreichend zu finanzieren. Hinzu kommen zusätzliche Haushaltsmittel und zusätzliche Einnahmen aus der Ausweitung der Lkw-Maut . All denen, die nun Sorgen wegen der Grenzregionen geäußert haben, kann ich nur sagen: Wir haben uns intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt . Wir wollen weder Nachteile für Handel oder Gastronomie noch Ausweichverkehre zum Nachteil von Anwohnern . Aber genau deshalb haben wir dieses Problem gelöst: Die Infrastrukturabgabe wird für Ausländer nur auf Autobahnen fällig . Wir wollen also diejenigen, die unsere Straßen nutzen, um durch unser Land zu fahren und um weitere Strecken auf den Autobahnen zurückzulegen, an der Finanzierung unserer Infrastruktur beteiligen . Das ist nur fair, meine Damen und Herren . ({4}) Es bleibt dabei: Bundesstraßen, Landstraßen und kommunale Straßen können mautfrei von den ausländischen Gästen genutzt werden . Und auch wenn ein Gast aus dem Ausland über die Autobahn zu seinem Ziel anreisen muss, wird er doch nicht wegen dieser paar Euro, die für die Maut fällig werden, auf den Einkauf oder die Übernachtung in Deutschland verzichten . Jetzt wurde noch vorgeschlagen, es solle ein mautfreier Korridor an der Grenze eingerichtet werden . Da kann man nur fragen: Wo soll der denn enden? Auch darüber haben wir lange diskutiert . Es gäbe erneut Ungerechtigkeiten bei der Festlegung eines solchen Korridors . Wir müssten alle Grenzregionen mit einem Schilderwald überziehen . Das macht nun wirklich keinen Sinn . Wir haben uns bei dem jetzigen Vorschlag schon etwas gedacht . Dann wurde auch gerade eben teilweise eingewandt, das Projekt sei uneuropäisch . Auch in der Debatte vor zwei Wochen wurde dieses Argument schon genannt . Dazu kann ich nur sagen: Lassen wir doch die Kirche im Dorf . Die Slowenen, die Österreicher, die Schweizer das sind doch auch alles gute Europäer . ({5}) Unter dem Strich haben wir mit der Infrastrukturabgabe das gleiche System, das die Österreicher haben . ({6}) Deswegen kann man uns hier keine Europafeindlichkeit vorwerfen . Ich glaube nicht, dass die Pkw-Maut Europa ins Straucheln bringen wird, meine Damen und Herren . ({7}) In Deutschland wird nun eingeführt, was die meisten europäischen Staaten schon längst machen . Im Übrigen befürwortet es die EU-Kommission, dass in ganz Europa Pkw-Mautsysteme eingeführt werden, weil es eben richtig ist, eine stärkere Nutzerfinanzierung zu verwirklichen. Also, noch einmal zusammengefasst: Wir stellen die notwendigen Mittel für unsere Infrastruktur zur Verfügung . Dazu dienen auch die Einnahmen aus der PkwMaut . In einem langen Prozess, der heute seinen Abschluss findet, haben wir eine von der EU-Kommission mitgetragene Lösung entwickelt, mit der keine Probleme für die Grenzregionen entstehen, mit der wir bei geringen Bürokratiekosten zusätzliche Einnahmen erzielen werden, die für die Infrastruktur zur Verfügung stehen . Dabei haben wir auch noch ökologische Aspekte berücksichtigt, beispielsweise durch die Befreiung von Elektroautos . Aus unserer Sicht sprechen die Argumente für die Einführung der Infrastrukturabgabe, und ich bitte Sie aus Überzeugung um Ihre Unterstützung . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke . ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Maut, die außerhalb des Parlaments niemand will, die nur sehr wenig - wenn überhaupt - zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur beiträgt, ({0}) aber einen erheblichen Aufwand nach sich zieht, wollen Sie heute wider besseres Wissen durchsetzen . Zahlreiche Kollegen der CDU, aber auch der SPD sehen das kritisch . Es hilft aber alles nichts; denn heute wird mehr als deutlich: Eine große Koalition, wie wir sie im Deutschen Bundestag derzeit erleben, hat sich überlebt . Die Debatte ist ein klarer Beweis dafür . Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie bitte auf mit diesem Spuk! ({1}) Wenn Sie schon nicht auf die Opposition hören - das haben Sie, glaube ich, noch nie gemacht -, dann hören Sie wenigstens auf die Anregungen des Bundesrates . Ein Beispiel sind die Ausnahmeregelungen im grenznahen Bereich . Meine Heimatstadt Saarbrücken liegt unmittelbar an der französischen Grenze . Jeden Samstag kommen Tausende Menschen, die in Frankreich leben, in die saarländische Landeshauptstadt, um dort einzukaufen . Eine Maut ohne Ausnahmen an der Grenze wird fatale Folgen für den Einzelhandel haben . Im benachbarten Frankreich wird eine Autobahnmaut in aller Regel erst nach drei oder vier Abfahrten hinter der Grenze erhoben; die Franzosen wissen, warum . Eine vergleichbare Ausnahmeregelung bei der Maut im Grenzverkehr ist bei uns dringend notwendig . ({2}) Wenn Sie schon den Unsinn mit dieser Maut durchziehen wollen, dann hören Sie wenigstens auf die sinnvollen Vorschläge aus dem Bundesrat . Mittelfristig muss aber das Verursacherprinzip bei der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur besser angewandt werden . Nur eine Zahl: Ein 40 Tonnen schwerer Lkw belastet eine Autobahnbrücke rund 60 000-mal stärker als ein Pkw mit 1 Tonne Gewicht . Wenn Sie also Geld brauchen, Herr Minister, um die Infrastruktur instand halten zu können, dann überprüfen Sie dringend die Höhe der Lkw-Maut . Hier ist Geld da . Hier können Sie für Gerechtigkeit sorgen . Aber das tun Sie nicht - ganz im Gegenteil . ({3}) Wenn endlich daran gearbeitet wird, dass wieder deutlich mehr Güterfernverkehr auf die Schiene verlagert wird, dann sinken auch die Kosten für die Instandhaltung der Straßen . Sparen Sie sich also die lächerliche Pkw-Maut . Vertreten Sie auch die Interessen Ihrer Wählerinnen und Wähler statt nur die Interessen einer CSU-Parteizentrale in München . ({4}) Spätestens nach der Bundestagswahl wird es der Maut so ähnlich ergehen wie seinerzeit der Praxisgebühr . Sie wird eine Randnotiz im Geschichtsbuch werden . Glück auf! ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bettina Hagedorn ist nun für die SPD die nächste Rednerin . ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Minister Dobrindt, Sie haben am Ende Ihrer Rede vielen Kritikern an der Pkw-Maut im Parlament falsche Aussagen in der Vergangenheit vorgeworfen. Das ist, finde ich, eine starke Aussage von Ihnen . ({0}) Denn Sie haben in diesem Haus am 27 . März 2015 in der zweiten und dritten Lesung zur Einführung der PkwMaut gesagt: „Sie ist europarechtskonform . Glauben Sie es endlich .“ Wenn es aber damals tatsächlich der Fall gewesen wäre, müssten wir heute kein Änderungsgesetz beschließen. Ich finde, dass es Ihnen gut zu Gesicht gestanden hätte, Herr Dobrindt, das auch zuzugestehen . ({1}) Wir haben am Montag im Ausschuss eine Anhörung durchgeführt . Hier ist immer wieder die Rede von 500 Millionen Euro Nettoeinnahmen pro Jahr . Es ist der Wahrheit geschuldet, zu berichten, dass drei von vier Sachverständigen gesagt haben: Wenn es überhaupt Einnahmen gibt, dann gibt es sie im ersten Jahr . In den Folgejahren drohen eher Minuseinnahmen . ({2}) Das ist auch eine tolle Wortschöpfung: Nettominuseinnahmen . Der einzige Sachverständige, der das anders gesehen hat, ist übrigens der, den das Verkehrsministerium selbst bestellt hat . Wenn vor diesem Hintergrund das Finanzministerium - damit spreche ich den Kollegen Spahn als Staatssekretär von Finanzminister Schäuble an - bestätigt, was es bereits getan hat, dass es 500 Millionen Euro Nettoeinnahmen geben soll - angeblich -, und wenn Sie sogar so mutig sind, in den Eckwertebeschluss der Bundesregierung für den Bundeshaushalt 2018 ab 2019 diese 500 Millionen Euro als Einnahmen aufzunehmen, dann heißt das: Wenn die anderen Sachverständigen, wie ich vermute, recht haben und es keine Einnahmen gibt, dann fehlen im Bundeshaushalt bis 2021 1,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur . Vor diesem Hintergrund will ich deutlich sagen, dass ich heute hier mit großen Bauchschmerzen stehe . Aber aus den Gründen, die der Kollege Sören Bartol für uns alle in der SPD eindrucksvoll dargelegt hat, sage ich auch: Ja, wir sind koalitionstreu . Ja, wir halten Verträge . - Kollege Hofreiter, wir verkämpfen uns nicht an der falschen Stelle . Wir haben noch eine Grundgesetzänderung vor der Brust, und diese wollen wir gemeinsam mit den Kollegen von der Union beschließen . Da wollen wir der Infrastrukturplanungsgesellschaft noch die größten Giftzähne ziehen . Das ist wichtiger als die Pkw-Maut . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns haben Sympathie für die Bewegung Pulse of Europe und unterstützen sie . Aber, meine Damen und Herren von Union und SPD, was sagen Sie eigentlich diesen Menschen, die jeden Sonntagnachmittag auf Marktplätzen stehen, wenn Sie dieses antieuropäische, populistische Projekt verabschieden? Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich für Europa einsetzen . ({0}) Was der Bundesverkehrsminister in seiner Rede über Österreich gesagt hat, drückt genau diese Mentalität aus . Das ist anti Europa . Das ist das Gegenteil dessen, wofür wir alle kämpfen . ({1}) Man kann sicherlich juristisch darüber streiten, was alles mit dem Europarecht vereinbar ist . Aber das Europäische Parlament hat in der vergangenen Woche etwas Richtiges, und zwar - so vermute ich - mit Zustimmung zumindest der Sozialdemokratie, beschlossen . Dort heißt es, „dass eine Erstattungsregelung, die direkt oder indirekt auf der Staatsangehörigkeit beruht, eine Diskriminierung darstellt, im Widerspruch zu den Leitprinzipien der Europäischen Union steht, der grenzüberschreitenden Mobilität abträglich ist und den europäischen Binnenmarkt schwächt“ . Ich sage: Das Europäische Parlament hat recht . Es ist antieuropäisch, was Sie hier beschließen . Das haben Ihnen die Kolleginnen und Kollegen aus dem Europäischen Parlament ins Stammbuch geschrieben . ({2}) Liebe Kollegen von der SPD, mich interessiert, wie Martin Schulz dort abgestimmt hat . Ich frage mich, wie eigentlich die Position des Heilands und Kanzlerkandidaten der SPD ist . Mir wurde in der vergangenen Woche aus der Städteregion Aachen, zu der auch - hören Sie gut zu! - Würselen gehört, die Position mitgeteilt, alle Abgeordneten sollten diese Maut ablehnen, weil sie die Städteregion Aachen und die Grenzregionen schädigt . Warum tun Sie das nicht auch, wenn Sie hier schon dagegenreden? ({3}) Dann möchte ich noch etwas zu den Einnahmen sagen . Liebe Sozialdemokraten, lieber Herr Hartmann und lieber Sören Bartol, in der letzten Woche haben wir hier gehört: Die Einnahmeprognose muss kommen; da muss etwas bestätigt werden . - Die Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung hat gesagt, dass diese Maut sogar ein Minusgeschäft wird . Wo, bitte schön, ist die Einnahmeprognose? Sie haben eine solche Prognose sogar im Koalitionsvertrag vorgesehen . Legen Sie sie auch vor! Nun gibt es ein Schreiben von Herrn Spahn, in dem es sinngemäß heißt: Die Einnahmeprognose, die dieses Parlament nicht kennt, ist richtig . - Wie geht das denn? Da wird eine Einnahmeprognose bestätigt, die niemand kennt . Das können wir Ihnen, liebe Sozialdemokraten, nicht durchgehen lassen . ({4}) Sie können heute dieses Mautprojekt ablehnen, weil die Bedingungen aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag nicht erfüllt sind . Seien Sie mutig! Hören Sie auf, draußen Mautopposition zu spielen, aber dann, wenn es darauf ankommt, den Menschen Sand in die Augen zu streuen und hier zuzustimmen! Das ist nicht in Ordnung . ({5}) Sie haben der Bundeskanzlerin vorgeworfen, ein Versprechen gebrochen zu haben . Aber Ihr Kandidat bricht es, bevor es überhaupt losgeht . Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Philipp Murmann ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht sollten wir die Emotionen ein bisschen herunterfahren und wieder auf die Sachebene kommen . ({0}) Herr Hofreiter, dass Sie hier einen Rumpelstilzchentanz aufführen mit ein paar Parolen und Hetzkampagnen, wird weder der Sache gerecht noch unserem demokratischen Anspruch . ({1}) Ich finde, jeder Bürger hat den Anspruch, dass auch die Grünen sich sachlich mit den Themen auseinandersetzen ({2}) und hier nicht einfach irgendetwas in die Luft blasen und andere Leute auch noch diffamieren . Das tut Ihnen und uns allen nicht gut . ({3}) Ich möchte gerne auf vier Punkte eingehen . Erstens . Ja, wir haben einen Koalitionsvertrag . 2013 haben wir uns zusammengesetzt . Beim Aushandeln von Koalitionsverträgen ist es so, dass jeder seine Projekte hat, aber - das muss man auch sagen - am Ende wird ein Gesamtpaket geschnürt . Ich weiß jetzt nicht, wo Herr Bartol ist, aber wir haben verabredet, gemeinsam dieses Spiel zu machen . ({4}) Wenn er sich nun in den Strafraum legt und überhaupt nicht mehr auf die Argumente eingeht, ist das schon bedenklich .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darf ich die Kollegen, die dringende Gespräche führen müssen, darum bitten, das außerhalb des Plenarsaals zu tun? ({0}) Bitte schön, Herr Murmann .

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön . - Wir haben uns mit den Argumenten auseinandergesetzt . Es gibt natürlich viele positive Argumente . Das hat die CDU davon überzeugt, bei diesem Projekt mitzumachen . ({0}) Ein positives Argument ist nämlich, dass wir Infrastruktur auf eine neue Finanzierungsbasis stellen, weil wir der Meinung sind: Infrastruktur ist für den Mittelstand in unserem Land, der dezentral aufgestellt ist, ein prioritäres Thema . Viele kleine und mittlere Unternehmen müssen zum richtigen Zeitpunkt, termingerecht liefern . Deswegen haben wir dieses Projekt beschlossen . ({1}) Zweitens . Wir haben gesagt, wir wollen keine Doppelbelastungen . Sie wissen, die Kfz-Steuer besteht aus Hubraum- und CO2-Komponenten . Ich habe in meiner letzten Rede versucht, mit einem Beispiel deutlich zu machen, wie sich das rechnet . Wir haben jetzt eine Änderung . Der Verkehrsminister hat noch einmal Gespräche auf EU-Ebene geführt, und er hat sich mit ihr auf eine Änderung verständigt, die zusätzliche Entlastungen in Höhe von 100 Millionen Euro für Euro-6-Fahrzeuge bringt, also für die Fahrzeuge, die besonders wenig umweltschädlich sind bzw . umweltfreundlicher sind . Es gibt eine langfristige Komponente mit 32 Cent pro 100 Kubikzentimeter, und es gibt eine kurzfristige mit zusätzlichen 13 Cent, die nur für zwei Jahre gilt . Ich nenne zwei Beispiele: Es gibt den Polo vom Kollegen Schwarz - ich sehe ihn im Moment nur da hinten sitzen, er redet heute leider nicht -, für den er Kfz-Steuer in Höhe von 52 Euro zahlt . Er wird jetzt durch die Infrastrukturabgabe in Höhe von rund 30 Euro entlastet . Steffen Bilger hatte sich beschwert, dass ich ihm einen BMW 730 zugeordnet hatte . Er hätte lieber einen Mercedes gehabt . Okay, aber die Steuer bleibt am Ende trotzdem bei 390 Euro, weil das Auto sehr viel mehr Kubikzentimeter, also einen größeren Hubraum, und höhere CO2-Werte hat . Seine Entlastung würde eigentlich 162 Euro betragen, er bekommt aber nur 130 Euro, weil die Entlastung nach den neuen Regeln gedeckelt ist . Insofern werden kleinere Fahrzeuge deutlich besser gestellt als größere . Das ist auch Ziel dieses Projektes . Drittens. Einnahmen und Ausgaben wurden häufig erwähnt . Es gibt dazu sehr unterschiedliche Prognosen . Das BMVI hat uns die Rechnung vorgelegt, dass etwa Einnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro zusätzlich entstehen . Es gibt Leute, die dies bezweifeln . Am Ende gehen wir aber davon aus, dass auf jeden Fall ein positiver Betrag bleibt . Dabei sind natürlich sehr viele Parameter zu berücksichtigen . Es ist übrigens üblich, dass in Anhörungen einige Sachverständige die eine und andere eine andere Meinung vertreten . ({2}) - Ja gut, aber welche Sachverständigen gerade bei der Anhörung sind, macht im Ergebnis keinen Unterschied . Wir gehen davon aus: Die Infrastrukturabgabe wird einen positiven Beitrag leisten, auch wenn wir Ausgaben haben . Es ist eine einmalige Umstellung, die natürlich auch zu einmaligem Aufwand, insbesondere was die Bescheide angeht, führt . Der Zoll hat in der Anhörung gesagt, er sei noch nicht ganz sicher, ob die Mitarbeiter, die zur Verfügung gestellt werden, wirklich ausreichen . Wir haben gesagt: Wir evaluieren dieses Gesetz nach zwei Jahren und schauen, ob wir gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle nachsteuern müssen . Viertens . EU-Konformität . Ich denke, das ist jetzt eindeutig geklärt . ({3}) Wir haben eine Nutzerabgabe, die es auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Österreich, gibt . Sie ist für In- und Ausländer . Da gibt es keinerlei Diskriminierung . Auch die Sachverständigen haben noch einmal klar gesagt: Die Kfz-Steuer ist eine rein nationale Steuer . Auch wenn in Österreich oder in Frankreich die Kfz-Steuer steigt oder sinkt, hat das mit Europa nichts zu tun . Insofern ist das eine Sache der nationalen Hoheit, die wir so steuern können, wie wir das wollen . Es gibt vielleicht noch ein Thema: Die Gewerbetreibenden mussten bisher natürlich keine Nutzerabgabe zahlen, wenn sie Fahrzeuge unter 7,5 Tonnen fuhren, weswegen sie auch keine Lkw-Maut zahlen . Sie haben jetzt eine zusätzliche Belastung . Aber auch da sind wir der Meinung: Es gibt natürlich keinen Anspruch darauf, auf Dauer einen Wettbewerbsvorteil zu haben . Insofern gehen wir davon aus, dass das auch kein Thema ist . Summa summarum: Wir wollen den Umstieg in eine nutzergebundene und auch zweckgebundene Finanzierung der Infrastruktur, weil wir das für sinnvoll halten . Wir wollen die Entlastung durch die Kfz-Steuer, die übrigens besonders den Haltern kleiner Pkws zugutekommt . Im ersten Jahr nach Inbetriebnahme beträgt die zusätzliche Steuerentlastung durch die ökologische Komponente für die Euro-6-Fahrzeuge rund 100 Millionen Euro . Wir haben das alles mit der EU abgestimmt . Insofern bitte ich um Ihre Zustimmung . Nach zwei Jahren evaluieren wir das noch einmal, und dann werden wir sehen, dass wir damit ein erfolgreiches Gesetz auf den Weg gebracht haben und eine Änderung in der Infrastrukturfinanzierung schaffen. Danke schön . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist vollkommen überflüssig. ({0}) Denn der Bundesverkehrsminister hat uns im Jahre 2015, und zwar am 24 . März, gesagt: „Mein Gesetz ist gut . Daran wird kein Wort geändert .“ Daran muss man sich messen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich sage Ihnen: Man hätte das Ganze natürlich seit zwei Jahren auf den Weg bringen können . Es ist auf den Weg geschickt worden, und die EU-Kommission hat sich dazu verhalten . Tatsächlich - da muss man sich an den Fakten orientieren - stehen wir heute hier erneut und beschließen schon die erste Änderung am Infrastrukturabgabengesetz, bevor diese Maut überhaupt in Kraft gesetzt worden ist . ({1}) Bleiben wir bei den Fakten . Mag die Pkw-Maut auch im Koalitionsvertrag stehen: Sie ist nicht zum 1 . Januar 2016 scharfgestellt worden, und sie ist in dieser Legislaturperiode auch nicht gekommen - allen Koalitionsversprechen zum Trotz . ({2}) Natürlich richte ich das Wort auch an den geschätzten Koalitionspartner: Ja, die SPD ist koalitionstreu . Weil sie koalitionstreu ist, können Sie auf eines zählen: auf die Zustimmung des weit überwiegenden Teils der SPD-Bundestagsfraktion . Aber im Koalitionsvertrag steht nicht, dass Sie auf unser Verständnis zählen können, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Für die SPD-Bundestagsfraktion standen andere Dinge im Mittelpunkt, die der Kollege Sören Bartol schon erwähnt hat . Wenn Sie, Herr Krischer, sich hierhinstellen und der Sozialdemokratie abverlangen, Rückgrat zu zeigen, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie in die Geschichtsbücher! Schauen Sie sich unser Regierungshandeln an! Wir haben immer Rückgrat bewiesen, wenn es darauf ankam, und das auch in Fragen Europas . ({4}) Wenn Sie das nicht glauben, dann frage ich Sie einmal: Was leisten Sie sich eigentlich in Hessen in Ihrer schwarz-grünen Koalition? ({5}) Wie können Sie es wagen, uns vorzuhalten, hier nicht europarechtsfreundlich zu sein! Schämen Sie sich, dass Sie uns das hier im Plenum vorwerfen! So läuft es nicht . ({6}) Wenn ich mir einmal die Argumentationsstrategie des geschätzten Koalitionspartners anschaue, wenn ich mir anschaue, was in der letzten Runde hier gesagt worden ist, stellt sich mir die Frage: Haben Sie noch nicht genug? ({7}) Ich sage Ihnen: Sie sind für die Maut für alle ohne jegliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, und wir haben dafür gesorgt, dass der deutsche Autofahrer nicht belastet wird . ({8}) Nehmen Sie sich zurück, und hören Sie zu! Ich wende mich jetzt der Argumentation des Koalitionspartners zu . Es wurde gesagt - das ist ja nicht nur am BMW 7er des geschätzten Kollegen der Union festgemacht worden, der wohl zwischenzeitlich auf die S-Klasse „umgestiegen worden“ ist -: In Österreich muss ich Maut bezahlen . In Italien muss ich 100 Euro Maut bezahlen . - Meine Damen und Herren, ich habe in einem der schönsten Länder der Erde Urlaub gemacht, in Deutschland, und da habe ich keine Maut bezahlt . Ich wohne in Nordrhein-Westfalen, und in den Nachbarländern Niederlande und Belgien gibt es keine Maut . ({9}) Wenn ich das zur Maßgabe der Politik machte, dürfte ich heute nicht zustimmen . So einfach kann man sich das nicht machen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir werden - auch wenn wir dieses Projekt für nicht so relevant gehalten haben, dass man davon einen Koalitionsvertrag abhängig macht - dem heute mit großer Mehrheit zustimmen . Was hat sich geändert? Natürlich sind die Zweifel an den Einnahmen geblieben . ({10}) Diese Zweifel gab es 2015 auch . Aber zwischenzeitlich hat sich der Finanzminister nach einem Monat Bedenkzeit doch dazu durchgerungen, zu sagen: Ja, ich mache mir diese Einnahmeprognose zu eigen . ({11}) Auch da korrigiere ich die Opposition, die gesagt hat, es gebe nur einen Sachverständigen . Nein, es gibt mehrere, ({12}) nämlich auch den Finanzminister der CDU, sodass es auch eine CDU-Maut geworden ist . ({13}) Aber, meine Damen und Herren, es ist doch auch eines klar: Wenn eine Partei, die diese Regierungskoalition mit stellt, die Entscheidung darüber, ob man die stärkste Volkswirtschaft in Europa mit 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern regiert, von einem einzigen Wunschprojekt, nämlich der CSU-Pkw-Maut, abhängig macht, dann muss man das zur Kenntnis nehmen; dann ist das halt so in einer Koalition . Aber wir haben andere Dinge in den Mittelpunkt gerückt, liebe Kolleginnen und Kollegen, und dabei bleibt es . ({14}) Deswegen werden wir heute mehrheitlich zustimmen, auch wenn wir in den Anhörungen unsere Position deutlich gemacht haben . Ich habe große Sympathie dafür, dass man sagt: Ja, wir haben Bedenken, was die Grenzregionen angeht . - Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion erreicht, dass es hierbei einen Unterschied gibt zwischen Deutschen und Ausländern . Wir bezahlen die Maut auf der Autobahn und auf der Bundesstraße, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber ausländische Kfz-Halter nur auf der Bundesautobahn . Das war die erste Ausnahme für die Grenzregionen; das haben wir 2015 durchgesetzt . Wir wären gern weiter in die Richtung der Vorschläge des Bundesrates gegangen . Mein geschätztes Heimatland Nordrhein-Westfalen hat einen sehr guten Vorschlag gemacht . Aber das ist am Widerstand der CDU/CSU-Fraktion gescheitert, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen . Man stimmt in der Koalition nicht gegeneinander . Abschließend: Ich gehe fest davon aus, dass ich der letzte Redner der SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema Infrastrukturabgabe bin . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition und der Mehrheitsfraktion, das hatten wir uns 2015 in der Tat anders gedacht . Aber eine Sache habe ich mir gemerkt: Sie haben wenig Verständnis für wichtige Projekte gehabt, die wir in den Mittelpunkt unseres Tuns gerückt haben, die Mietpreisbremse zum Beispiel, das Recht auf gleiche Bezahlung von Mann und Frau; das war für uns wichtig . Wir haben den Mindestlohn eingeführt . Aber wissen Sie, was Sie gemacht haben? Sie haben uns vorgeworfen, dass wir mit Transparenzregeln - dabei geht es um Gerechtigkeit - ein Bürokratiemonster schaffen würden . Ich verrate Ihnen: Das nächste Mal, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir ein Bürokratiemonster schaffen, wird dieses Bürokratiemonster in einem vollbemauteten Pkw vorfahren und Sie auslachen . ({15}) Für alle diejenigen, die das hier nicht richtig einordnen können: Das mit der Bürokratie lassen wir so nicht auf uns sitzen . Sie mögen sich daran erinnern, was am 1 . September des Jahres 2013 nicht weit von hier in einem Fernsehstudio passiert ist . Um 20 .54 Uhr erklärte die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben .“ ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, so ist das halt in Koalitionen . Das müssen wir als SPD zur Kenntnis nehmen . Wir stimmen heute mehrheitlich zu . Für uns war anderes wichtiger . Herzlichen Dank . ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Ulrich Lange . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie angekündigt: Nach einer kurzen Beratung, die die letzten Zweifel auch unseres Koalitionspartners so weit beseitigt hat, dass man gut zustimmen kann, werden wir heute die Infrastrukturabgabe so beschließen . Es ist ein Gesetz für mehr Gerechtigkeit auf deutschen Straßen und deswegen auch ein Herzensanliegen unseres Koalitionspartners . ({0}) Lieber Kollege Hofreiter, in aller Ruhe: Ich glaube, es wäre an der Zeit, dass Sie sich für Ihre Rede in aller Form bei den Menschen in Bayern entschuldigen . ({1}) - Jetzt komm runter! ({2}) Ich glaube, wir brauchen von den Grünen, denen die eigenen Landtagsabgeordneten in München gerade davonlaufen, ({3}) keine Nachhilfe in Europapolitik . Eine Union mit Franz Josef Strauß, mit Theo Waigel, mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl braucht von Ihnen keine Nachhilfe . ({4}) Wir wissen, wo wir in Europa stehen . ({5}) Wir setzen mit dieser Maut das um, was Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erwarten, und genau das, was auch die Europäische Kommission geschrieben hat: einen Systemwechsel von der Steuerfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung. Und das ist richtig! Und das tun wir! Deswegen allen Respekt vor unserem Bundesverkehrsminister, der den Gesprächsfaden in Brüssel nicht hat abreißen lassen, der das Ziel nicht aus den Augen verloren hat . ({6}) So haben wir das europäische Gütesiegel der Kommission erhalten . Liebe Kolleginnen und Kollegen sowohl der Grünen, der Linken, aber auch der SPD, das war das Siegel, das Sie 2015 wollten . Dieses Siegel legen wir auf den Tisch . Und damit haben wir auch unsere Aufgabe erfüllt . Gratulation an und Respekt für den Verkehrsminister! ({7}) Wenn die Länder jetzt glauben: „Neues Spiel - neues Glück“, dann wundere ich mich zumindest, dass die Länderbank bei dieser Debatte heute leer ist . ({8}) Liebe Bundesländer, die ihr alle so dagegen seid: Wo ist denn der Kollege aus den Bundesländern, der dagegen ist und den Mut hat, sich hierhinzustellen und das auch zu begründen? ({9}) 2015 haben die Bundesländer genau dieser Regelung für die Grenzregionen zugestimmt . Da war sie in Ordnung, lieber Kollege Hartmann . An dieser Stelle wird auch kein Wort im Gesetz geändert . Es werden Ziffern geändert, aber keine Wörter . Das spricht für die Qualität des Gesetzes . ({10}) Wenn es um erfolgreiche Politik im Verkehrsbereich geht, dann kann ich nach elf Jahren mit Bröckelverkehrsministern der Sozialdemokratie nur sagen: Seitdem die Union das Haus des Verkehrsministeriums führt, gibt es einen Investitionshochlauf, einen Bundesverkehrswegeplan, der seinen Namen verdient, Geld für die Schiene wie noch nie und ein Brückensanierungsprogramm . Das ist, lieber Kollege Hartmann, der Unterschied zu Ihrem geliebten Land Nordrhein-Westfalen, zu den Bröckelpisten und Schlaglochstraßen! ({11}) Die Verkehrspolitik der Union, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat Premiumqualität . ({12}) Dank dieser Premiumqualität werden wir in Zukunft die Straßen finanzieren. Wir werden die Finanzierung von Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung umstellen. Gerechtigkeit auf deutschen Straßen - das will die Mehrheit . Das machen wir! Und deshalb stimmen wir heute dieser Infrastrukturabgabe zu - für eine gute, zukunftssichere Verkehrspolitik! Danke schön . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes . Zu diesem Gesetzentwurf haben nicht alle Mitglieder des Deutschen Bundestages persönliche Erklärungen zu ihrem Abstimmungsverhalten hier oben beim Präsidium abgegeben, aber doch sehr viele, sodass ich Ihnen eine anregende Lektüre des Anhangs zum Protokoll der heuti- gen Bundestagsverhandlungen wünschen kann .1) Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- lung auf der Drucksache 18/11646, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11237 und 18/11536 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist damit ganz offenkundig mit hinreichender Mehrheit in zweiter Beratung angenommen . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Wir stimmen jetzt über den Ge- setzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Ich weise darauf hin, dass eine zweite namentliche Abstimmung anschließend, in weni- gen Minuten, erfolgt . 1) Anlagen 2 bis 8 Sind alle Abstimmungsurnen von jeweils zwei Schrift- führerinnen und Schriftführern besetzt? - Auf der Regie- rungsseite, scharf rechts von mir, fehlt noch ein Schrift- führer . - Ich eröffne die erste Abstimmung . Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei- ne Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .1) Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11667 ab . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Einzelne Mitglieder aus den Reihen der Antragsteller, auf Zuruf ein paar Einzelne mehr . Wenn ich einmal die Emphase der Diskussion in Relation zu der Gelassenheit im Abstimmungsverfahren setze, fällt mir da eine gewisse Diskrepanz auf . ({0}) Also noch einmal: Wer stimmt für den Entschließungs- antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11667? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das Zweite war die Mehrheit . Damit ist der Ent- schließungsantrag abgelehnt . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz- entwurf der Fraktion Die Linke zur Aufhebung des Ge- setzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastruk- turabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11646 empfiehlt der Ausschuss für Ver- kehr und digitale Infrastruktur, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11012 abzu- lehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Bei wenigen Enthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen abgelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung . Zusatzpunkt 7 . Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz- entwurf zur Änderung des Zweiten Verkehrsteuerände- rungsgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11643, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa- chen 18/11235 und 18/11560 anzunehmen . Ich bitte die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen . Wir stimmen über den Gesetzentwurf in dritter Beratung und Schlussabstimmung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Deswegen bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze wieder einzunehmen . - Sind alle Urnen ordnungsgemäß 1) Ergebnis Seite 22708 D besetzt? - Niemand signalisiert etwas anderes . Dann er- öffne ich hiermit die zweite namentliche Abstimmung . Ist noch ein Mitglied im Hause, das sich an der zwei- ten namentlichen Abstimmung noch nicht beteiligt hat? - Das ist nicht erkennbar . Dann schließe ich die Abstim- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .2) Wir teilen die beiden Auszählungsergebnisse mit, so- bald sie vorliegen, fahren aber in der Zwischenzeit mit der Tagesordnung fort, wenn es dafür eine hinreichend beruhigte, übersichtliche Lage gibt . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung zum Ende der 18. Wahlperiode Jedes Alter zählt - Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen Drucksache 18/11145 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris Wagner, Ulle Schauws, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam für ein gutes Morgen - Den demografischen Wandel gestalten Drucksache 18/11606 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Wagner, Elisabeth Scharfenberg, Christian Kühn ({4}), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Partizipation und Selbstbestimmung älterer Menschen stärken Drucksachen 18/9797, 18/11645 2) Ergebnis Seite 22711 A Präsident Dr. Norbert Lammert Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch ist nicht erkennbar . Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Ole Schröder das Wort . ({5})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben länger . Wir sind gesünder als alle Generationen vor uns . Wir werden immer mobiler . Das ist die positive Seite des demografischen Wandels. Klar ist aber auch, dass die Alterung der Gesellschaft in allen denkbaren Szenarien und Modellrechnungen deutlich fortschreiten wird . Auch bei einer hohen Nettozuwanderung muss in Zukunft mit einem deutlichen Rückgang der Erwerbsbevölkerung gerechnet werden . Ob die überwiegend jungen Zuwanderer einen positiven Einfluss auf die Erwerbstätigkeit haben, hängt von ihrer oft schwierigen Integration in den Arbeitsmarkt ab . Außerdem werden ja auch die jungen Zuwanderer älter, und auch die Kinder, die hier geboren werden, werden älter . Damit steht fest: Unsere Gesellschaft verändert sich . Sie wird möglicherweise kleiner, sie wird wahrscheinlich heterogener, und sie wird sicherlich älter . Diesen Wandel wollen und müssen wir gestalten . Wir stehen dabei vor grundlegenden Fragen: Welche Auswirkungen hat Migration auf den demografischen Wandel? Wie steht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn die Bevölkerung nicht nur älter, sondern auch heterogener wird? Wohin geht die demografische Reise in Stadt und Land? Welche Fortschritte wird uns die Digitalisierung in diesem Zusammenhang bringen? Wie können wir unseren Wohlstand fortentwickeln und an die nächste Generation weitergeben? Unter dem Motto „Zusammenhalt stärken - Verantwortung übernehmen“ haben Vertreter aller staatlichen Ebenen, der Wirtschaft, der Sozialpartner, der Verbände, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft diese Fragen auf Einladung des Bundesministeriums des Innern diskutiert. Der letzte Demografiegipfel am 16. März 2017 hat sich wieder als zentrales Forum in der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den genannten Partnern erwiesen . Aber, natürlich, ein Gipfel allein reicht nicht aus . Die Bundesregierung hat deshalb mit ihren Partnern in einem seit 2012 laufenden Arbeitsprozess kontinuierlich Lösungsvorschläge entwickelt und umgesetzt . Das zeigt: Wir sind uns der großen Herausforderung bewusst, und wir wollen sie erfolgreich bewältigen . ({0}) Die Bundesregierung hat sich daher im Jahr 2015 mit der weiterentwickelten Demografiestrategie politische Ziele gesetzt: die Stärkung des wirtschaftlichen Wachstumspotenzials, die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land sowie die Gewährleistung solider Finanzen für die Handlungsfähigkeit des Staates und verlässliche Sozialsysteme . Zu soliden Sozialversicherungssystemen gehört auch, dass die Rente mit 67 nicht infrage zu stellen ist . Auch bei jetzt guten, ausgeglichenen Haushalten dürfen wir nicht wieder in den alten Modus zurückverfallen, auf Kosten der jungen Generation Politik zu machen . ({1}) Vor dem Demografiegipfel war es ein guter Zeitpunkt, Bilanz aus dem bisher Erreichten zu ziehen . Die Bundesregierung hat daher am 1 . Februar 2017 ihre demografiepolitische Bilanz mit dem Titel „Jedes Alter zählt - Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen“ präsentiert. Die demografiepolitische Bilanz beschreibt aktuelle Trends, zeigt nachdrücklich die Maßnahmen der Bundesregierung in 13 Handlungsfeldern auf . Das reicht von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf über die Fachkräftesicherung bis hin zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land . Zentral ist in jeder Hinsicht der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft . Wir haben deswegen eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, damit sich alle gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland als Teil des Ganzen verstehen . Hierzu gehören beispielsweise die Gesetze zur Stärkung der Pflege, die weiter ausgebaute Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, an dem sich bundesweit so viele Menschen wie noch nie beteiligen . Daneben wird eine möglichst hohe Erwerbstätigkeit gefördert; denn sie ist Grundlage für Wachstum und Wohlstand und vor allen Dingen für tragfähige öffentliche Finanzen . Ich sage in diesem Zusammenhang deutlich, dass uns Zuwanderung alleine nicht bei der Stabilisierung der Erwerbsbevölkerung helfen wird . Was wir benötigen, ist qualifizierte Zuwanderung. Die Steuerung von Zuwanderung nach Deutschland und die Attraktivität für Fachkräfte haben daher Priorität . Es ist darauf hinzuweisen, dass alle hochentwickelten Volkswirtschaften vor der gleichen Herausforderung stehen, nämlich einem Fachkräftemangel, und dass deshalb alle weltweit natürlich versuchen, genau diese besonders qualifizierten Fachkräfte anzuziehen, was ausgesprochen schwierig ist . Auch der ungebrochene Trend zu qualitativ hochwertigen Ausbildungen und die auf Rekordniveau steigende Erwerbstätigenquote, insbesondere bei Frauen, dienen der Sicherung unserer Fachkräftebasis . Die Bundesregierung hat diese Trends mit zahlreichen Weichenstellungen in den letzten Jahren unterstützt . Sie reichen von der beruflichen Bildung über den Hochschulpakt 2020 bis hin zu Maßnahmen für die weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie . Für die Integration von Flüchtlingen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wurden geeignete Rahmenbedingungen geschaffen . Auch das ist eine Megaherausforderung, vor der wir stehen . Diese und viele andere Maßnahmen bildet die demografiepolitische Bilanz ab. Auch andere Konzepte und Anträge, die in der heutigen Sitzung beraten werden, propagieren diesen ganzheitlichen Ansatz und bestätigen den Weg, den die Bundesregierung geht . Meine Damen und Herren, wenn wir uns die demografiepolitische Bilanz anschauen, muss man feststellen, Präsident Dr. Norbert Lammert dass nicht alle Maßnahmen, die wir in dieser Wahlperiode getroffen haben, positiv sind . Sie sind sicherlich zu begründen; aber natürlich ist die Einschränkung bei der Rente mit 67 - da muss man ehrlich sein - für den Bereich der Demografiepolitik kritisch zu sehen. Auf der anderen Seite haben wir es vor allen Dingen geschafft, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen, das erste Mal seit 1962 . Jetzt haben wir den dritten ausgeglichenen Haushalt zum Abschluss gebracht . ({2}) Es ist demografiepolitisch mit das Wichtigste, ({3}) dass wir das erste Mal seit 1962 keine Haushaltspolitik mehr machen, die auf Kosten der jüngeren Generation geht . ({4}) Das Allerwichtigste ist, dass wir das jetzt fortführen; denn das, was wir heute ausgeben, was wir heute konsumieren, müssen die Jüngeren zurückzahlen, und das schränkt die Handlungsspielräume der Jüngeren ein . ({5}) Deshalb ist die schwarze Null der wichtigste demografiepolitische Erfolg, den wir in dieser Wahlperiode erzielt haben . ({6}) Wir können den demografischen Wandel nicht stoppen, wir können ihn aber erfolgreich gestalten . Das hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode mit den ausgeglichenen Haushalten geschafft . Das zeigt: Eine gute Bilanz ist erreicht worden . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt . Zunächst zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes . Hierzu sind 541 Stimmen abgegeben worden . Mit Ja haben gestimmt 397, mit Nein 135, 9 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 541; davon ja: 397 nein: 135 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({2}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({3}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr . Mathias Edwin Höschel Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Dr . Georg Kippels Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({4}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Stefan Müller ({5}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Kathrin Rösel Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({6}) Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Tankred Schipanski Patrick Schnieder Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({7}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Armin Schuster ({8}) Christina Schwarzer Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Sebastian Steineke Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({9}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr . h .c . Albert Weiler Marcus Weinberg ({10}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({11}) Sabine Weiss ({12}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({13}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Tobias Zech Heinrich Zertik Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({14}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . h .c . Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Dr . h .c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Michael Hartmann ({15}) Hubertus Heil ({16}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Gustav Herzog Dr . Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Birgit Kömpel Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({17}) Dr . Karl Lauterbach Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Dr . Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({18}) Aydan Özoğuz Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post ({19}) Dr . Wilhelm Priesmeier Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({20}) Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({21}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Matthias Schmidt ({22}) Dagmar Schmidt ({23}) Carsten Schneider ({24}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({25}) Frank Schwabe Stefan Schwartze Rainer Spiering Svenja Stadler Sonja Steffen Christoph Strässer Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff ({26}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein CDU/CSU Helmut Brandt Rudolf Henke Anette Hübinger Karsten Möring Wilfried Oellers Johannes Röring Albert Stegemann SPD Jürgen Coße Dr . Daniela De Ridder Elvira Drobinski-Weiß Elke Ferner Christian Flisek Ulrich Freese Michael Gerdes Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Heidtrud Henn Thomas Hitschler Matthias Ilgen Thomas Jurk Gabriele Katzmarek Dr. Bärbel Kofler Hilde Mattheis Detlef Müller ({27}) Dietmar Nietan Markus Paschke Christian Petry Johann Saathoff Ulla Schmidt ({28}) Andreas Schwarz Norbert Spinrath DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . André Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Norbert Müller ({29}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({30}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Dr . Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann ({31}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({32}) Volker Beck ({33}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({34}) Christian Kühn ({35}) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({36}) Elisabeth Scharfenberg Dr . Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten CDU/CSU Franz-Josef Holzenkamp Carsten Müller ({37}) Karl Schiewerling Detlef Seif Kees de Vries SPD Dr . Edgar Franke Steffen-Claudio Lemme Dennis Rohde Ewald Schurer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ({38}) aufgeführt . Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes haben 542 Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben . Davon haben mit Ja gestimmt 405, mit Nein 125, 12 haben sich der Stimme enthalten . Damit ist auch dieser Gesetzentwurf angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 542; davon ja: 405 nein: 125 enthalten: 12 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({39}) Veronika Bellmann Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({40}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({41}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({42}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr . Mathias Edwin Höschel Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Dr . Georg Kippels Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({43}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({44}) Stefan Müller ({45}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Kathrin Rösel Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({46}) Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Tankred Schipanski Patrick Schnieder Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({47}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Armin Schuster ({48}) Christina Schwarzer Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Sebastian Steineke Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({49}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr . h .c . Albert Weiler Marcus Weinberg ({50}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({51}) Sabine Weiss ({52}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({53}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Tobias Zech Heinrich Zertik Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({54}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . h .c . Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Dr . h .c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Michael Hartmann ({55}) Hubertus Heil ({56}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Gustav Herzog Dr . Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({57}) Dr . Karl Lauterbach Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Dr . Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({58}) Aydan Özoğuz Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post ({59}) Dr . Wilhelm Priesmeier Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({60}) Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({61}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Matthias Schmidt ({62}) Dagmar Schmidt ({63}) Carsten Schneider ({64}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({65}) Frank Schwabe Stefan Schwartze Rainer Spiering Svenja Stadler Sonja Steffen Christoph Strässer Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff ({66}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein CDU/CSU Helmut Brandt Rudolf Henke Johannes Röring Albert Stegemann SPD Jürgen Coße Dr . Daniela De Ridder Elvira Drobinski-Weiß Elke Ferner Ulrich Freese Michael Gerdes Dirk Heidenblut Heidtrud Henn Matthias Ilgen Gabriele Katzmarek Detlef Müller ({67}) Dietmar Nietan Markus Paschke Christian Petry Johann Saathoff Ulla Schmidt ({68}) Andreas Schwarz Norbert Spinrath DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . André Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Norbert Müller ({69}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({70}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Dr . Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann ({71}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({72}) Volker Beck ({73}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({74}) Christian Kühn ({75}) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({76}) Elisabeth Scharfenberg Dr . Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten CDU/CSU Detlef Seif Kees de Vries SPD Christian Flisek Dr . Edgar Franke Ulrich Hampel Thomas Hitschler Thomas Jurk Steffen-Claudio Lemme Hilde Mattheis Dennis Rohde Ewald Schurer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ({77}) aufgeführt . Wir setzen die Debatte fort . Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke . ({78})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben letzte Woche bestimmt von der Liste der Länder mit den glücklichsten Menschen gehört . Unter den ersten fünf sind vier skandinavische Länder sowie die Schweiz . Deutschland liegt abgeschlagen auf Platz 16 . Wissen Sie, warum die Norwegerinnen und Norweger die glücklichsten Menschen sind? Weil sie einen funktionierenden Sozialstaat haben . ({0}) Das ist es, was uns unterscheidet: ({1}) Kaum jemand muss im Alter in Armut leben, die Jungen müssen keine Angst haben, nach befristeten Arbeitsverhältnissen oder Leiharbeit wieder aus dem Job zu fliegen, die Menschen werden für ihre Arbeit ordentlich bezahlt, und sie haben eine auskömmliche Rente . Das macht glücklich! ({2}) Aber dafür braucht es gewisse Voraussetzungen . Da wir hier über den Bericht zur demografiepolitischen Bilanz der Bundesregierung diskutieren, sage ich Ihnen vorneweg ganz deutlich: In Ihrer Bilanz fehlen wesentliche Aspekte . Wie können Sie ernsthaft eine Frage, die viele Menschen in Deutschland umtreibt, mit keinem Wort erwähnen? Ist für Sie die massive Ausbreitung von Altersarmut etwa keine demografierelevante Frage, oder ignorieren Sie dieses Problem, weil Sie einfach keine Lösungen anzubieten haben? ({3}) Dieser Bericht ist keine Bilanz, er ist ein Armutszeugnis dieser Regierung . Bei sinkendem Rentenniveau werden in Zukunft immer mehr Menschen von ihrer Rente nicht leben können, und das Dreisäulenmodell, welches Sie in Ihrem Bericht hervorgehoben haben - gesetzliche Rente, private Vorsorge und Betriebsrente -, funktioniert nicht . Vielen Menschen fehlt schlichtweg das Geld für eine private Vorsorge, und oft lassen auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Menschen bei der Betriebsrente im Stich . Die Linke sagt: So wird das nichts mit einer ausreichenden Altersvorsorge . ({4}) Das Einzige, was der Regierung einfällt, ist: Die Menschen sollen länger arbeiten . Aber nicht alle werden älter, und nicht alle bleiben im hohen Alter gesund . Viele von denen, die in ihrem Leben am härtesten gearbeitet haben, hatten niedrige Einkommen und haben folglich niedrige Renten. Sie sind nicht mehr so fit, um noch etwas hinzuverdienen zu können, und dann sterben sie auch noch früher . Das ist traurig, aber wahr . Das muss sich bei uns hier in Deutschland ändern . ({5}) Ich muss insbesondere die Sozialdemokraten fragen: ({6}) Sieht so Ihre Solidarität mit den hart arbeitenden Menschen aus? Solidarität kann ich da nicht erkennen . Zum Beispiel beim Pflegenotstand und allgemein beim Thema Pflege, wo es auch um Armut geht, reden Sie nicht darüber, dass die Einkommen in der Altenpflege mit am niedrigsten sind . ({7}) Angesichts einer derart anstrengenden Arbeit ist die Idee, dafür vor allem Frauen, Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund gewinnen zu wollen, einfach zynisch . Hier ist vorprogrammiert, dass wiederum Frauen im Niedriglohnbereich arbeiten . Für Rentnerinnen und Rentner sind die Mieten und die Nebenkosten die größten Ausgabenposten . Bei drastisch steigenden Mieten können sie sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten und müssen ihr gewohntes Umfeld verlassen . Wir brauchen wieder eine aktive soziale Wohnungsbaupolitik, gerade in den Ballungszentren . ({8}) Dazu kommt von Ihnen aber überhaupt nichts . Dabei brauchen Sie doch nur die zahlreichen guten Vorschläge der Linken abzuschreiben . Tun Sie das endlich mal! ({9}) Eine Politik, die den demografischen Herausforderungen vorbeugt, kostet Geld . Dafür brauchen wir eine Umverteilung von oben nach unten und eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung . Es geht um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Solidarität . Ein Alltag ohne soziale Demütigung - das ist das Grundrecht aller, ausnahmslos . Das hat Regine Hildebrandt mal gesagt . Sie war eine kluge Frau . ({10}) Diese schlichte Wahrheit sollte die Bundesregierung und sollten insbesondere die Sozialdemokratinnen und -demokraten zum Maßstab ihres Handelns machen . Dann können die Menschen auch in Deutschland wieder glücklich sein . Danke schön . ({11}) Präsident Dr. Norbert Lammert

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Petra Crone ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion . ({0})

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über das Thema „Demografischer Wandel in Deutschland“ . Warum? Für die Politik gilt, schnell zu reagieren, wenn ein Thema akut wird. Der demografische Wandel eignet sich dafür nicht . Er ist wie auch die Globalisierung ein stetiger Prozess, der uns, die Politik, auch stetig fordert . Deshalb dürfen wir eine muntere Debatte nicht vernachlässigen, und deshalb kann keine Bilanz vollständig sein . Klar ist doch: Wir werden älter, weniger und bunter, und diese demografische Entwicklung in unserem Land können wir nicht stoppen oder umkehren . Unsere Aufgabe ist die Gestaltung der Auswirkungen . Welche Faktoren machen das Leben in unserem Land lebenswert? Wie gestalten wir die Zukunft für unsere Nachfahren? In diesem tiefgreifenden Prozess, der Auswirkungen auf Kinder und Enkel hat, brauchen wir Mut für Innovationen und unbequeme Diskussionen . ({0}) Gerade wurde der Kinder- und Jugendmonitor öffentlich diskutiert . Fast jedes vierte Kind ist von Armut bedroht . Das macht mich fassungslos, immer noch und immer mehr . Unser Land ist reich, unser Land ist vielfältig . Und die Strukturen sind dennoch ungerecht? Wie wollen wir das ändern? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung ist der Schlüssel für Qualifikation, für Teilhabe am beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Leben in jedem Alter . ({1}) Lassen Sie uns endlich das unsinnige Kooperationsverbot aufheben . ({2}) Es steht der Chancengleichheit entgegen und damit auch der Fachkräftesicherung . Es gehen Potenziale verloren . Wir wollen Kinder und Jugendliche stärken, sie für ein selbstbestimmtes Leben fit machen, ihnen Perspektiven bieten und Teilhabe ermöglichen . Das Gleiche gilt für Familien bzw . die sogenannte Sandwich-Generation . Dafür haben wir in dieser Legislaturperiode einiges auf den Weg gebracht. Wir haben das Elterngeld flexibler gestaltet, den Kitaausbau vorangetrieben, pflegende Angehörige entlastet und vieles mehr . Ältere Menschen sprechen wir durch mehr Bildungsangebote für Senioren an, durch einen flexibleren Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand, und wir erhöhen die Renten . Zudem fördern wir seit Jahren den Austausch der Generationen und die Integration in unseren 550 Mehrgenerationenhäusern . Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir müssen auch die Nachbarn, ob nah oder fern, im Blick haben . Wir sind ein starkes Land, und es gibt keine Ausreden, nicht Maßstab im Umgang mit Menschen auf der Flucht zu sein . ({3}) Ich gebe den Kollegen und Kolleginnen von den Bündnisgrünen recht: Wir haben die Debatte um eine Einwanderungsgesellschaft im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel bislang nicht ausreichend geführt, obwohl die SPD-Bundestagsfraktion seit langem ein Einwanderungsgesetz fordert . ({4}) Diesen Fokus müssen wir verschärfen, auch um die Fehler der Integration nicht zu wiederholen . Das geht weit über die Debatte hinaus, Fachkräfte für unsere Wirtschaft anwerben zu müssen . Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an all die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die sich der Einzelpersonen und -schicksale annehmen . Sie leisten seit vielen Monaten schier Unglaubliches . Dank sei auch den vielen Feuerwehrleuten, dem THW, den vielen Ehrenamtlichen beim Bürgerbus, den Kirchen, der AWO und dem DRK usw . ({5}) Denn machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die eigentliche Aufgabe stellt sich in unseren Wahlkreisen; dort wird die große Leistung erbracht . Im Siebten Altenbericht, der die Rolle der Kommunen in der alternden Gesellschaft beleuchtet, stehen Anregungen, Kritik und Handlungsempfehlungen, weil alle Kommunen betroffen sind, egal ob Stadt oder Land, Nord, Süd, Ost oder West, arm oder reich . Sie alle sind mit den Auswirkungen des demografischen Wandels zuerst konfrontiert. Sie finden vielfach kreative praxistaugliche Lösungen. Das wird mit dem Programm „Demografiewerkstatt Kommunen“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gut unterstützt . Die Kommunen sind immer mehr gefordert . Sie müssen eine Infrastruktur schaffen für Betreuung, Pflege, Teilhabe, Bildung, Integration, Wohnen und Mobilität . Sie müssen lokale Akteure vernetzen . Sie müssen darauf achten, dass diese Aufgaben gerecht zwischen Männern und Frauen aufgeteilt werden und soziale Benachteiligungen ausgeglichen werden. Das alles muss finanziert werden . Die SPD-Bundestagsfraktion steht an der Seite der Kommunen . Das haben wir in den vergangenen Jahren vielfach - und vielfach erfolgreich - unter Beweis gestellt . ({6}) Das gilt auch für die Zukunft . Es geht um die Ausgestaltung des Zusammenlebens in Deutschland - um nicht weniger . Deshalb müssen wir externe Partner ins Boot holen und unsere Erfahrungen teilen . Deshalb war es mir als Sprecherin der SPD-Arbeitsgruppe Demografischer Wandel auch ganz wichtig, die Arbeit von Franz Müntefering weiterzuführen . ({7}) Hierbei ist uns der Kontakt zur Zivilgesellschaft und zur Wissenschaft stets wichtig . Deshalb weckt es mein Interesse, dass die Bertelsmann-Stiftung erste Überlegungen zur Einführung eines Staatsfonds in Deutschland vorgestellt hat. Die Idee: Ein konkretes Ziel wird definiert, und staatliches Vermögen wird aufgebaut, am Kapitalmarkt investiert, um dann etwa Pensionslasten in Zeiten des demografischen Wandels nicht allein den künftigen Steuerzahlern zu überlassen . Auch für mich klingt das erst einmal ungewohnt; aber ich wünsche mir, dass wir hier im Parlament über solche Vorschläge ergebnisoffen diskutieren . Näher sind mir die Vorschläge der Friedrich-Ebert-Stiftung für eine regionale Daseinsvorsorge als Gemeinschaftsaufgabe . Ganz nah ist mir meine Idee eines Demografie-Solis. Die Herausforderungen des demografischen Wandels müssen die Kommunen bewältigen, auch finanziell. Die schwarze Null ist zwar wichtig, aber wir müssen da investieren . Daten und Fakten liegen auf dem Tisch, sind rauf und runter diskutiert worden . Es ist Zeit, Zukunftsstrategien zu entwickeln . Das hat uns als Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten gutgetan . Ich danke fürs Zuhören . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Doris Wagner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Immer, wenn jemand die Demografiestrategie der Bundesregierung erwähnt, frage ich mich: Welche Demografiestrategie? Ich sehe da keine zukunftsorientierte Strategie . ({0}) Selbst der Demografiegipfel letzte Woche konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung eigentlich gar keine Vision von der Gestaltung der demografischen Entwicklung hat. Ich muss sagen: Fast genauso schlimm ist die Tatsache, dass Sie in den Demografie-AGen die geballte Kompetenz zusammengeholt haben und dann das Potenzial und die Ressourcen dieser Leute weitestgehend verschenkt haben . Ich selbst war Mitglied in der AG „Jugend gestaltet Zukunft“ . Viele ambitionierte Ideen sind da durch Konsenszwang der beteiligten Bundesministerien schlichtweg zerrieben worden . Selbst ein einfacher Prüfauftrag zur Senkung des Wahlalters wurde durch ein Veto - ich wiederhole das: ein Veto - des Bundesinnenministeriums aus dem Abschlussbericht verbannt . Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen . Das ist beim besten Willen kein ernstgemeintes Beteiligungsverfahren . Das ist schlicht und ergreifend Blendwerk . ({1}) In Ihrer Bilanz haben Sie fleißig Maßnahmen aus den unterschiedlichen Ressorts zusammengetragen . Aber ich muss Ihnen sagen: Mir fehlt da ein roter Faden . Ein übergeordnetes Ziel ist nicht zu erkennen . Aus dem demografischen Wandel ergibt sich erheblicher Handlungsdruck . Das ist ein politischer Hebel, der sich geradezu aufdrängt, ein Hebel, den wir nutzen können, um unsere Gesellschaft zu modernisieren . Sie lassen ihn praktisch ungenutzt . Wie kommen wir von der Willkommenskultur zu einem wirklichen Einwanderungsland? Ich danke Ihnen für die Zustimmung, Frau Kollegin Crone . Wie ermöglichen wir Menschen im Alter barrierefreies Wohnen, selbstbestimmte Mobilität und gute Pflege? Wie erreichen wir endlich Gleichstellung der Geschlechter? Wie können wir Kinder und Jugendliche besser an unseren Entscheidungen beteiligen? Ein Blick in unsere grüne Demografiestrategie hätte Ihnen weitergeholfen, all diese Fragen zu beantworten . ({2}) Bleiben wir einen Moment bei den Kindern und Jugendlichen . Diese müssen wir schon heute in Zukunftsentscheidungen einbinden . Damit meine ich echte Partizipation und nicht, wie man beim Demografiegipfel gesehen hat, ihnen gerade noch zu erlauben, vorab akribisch geprüfte Tafeln mit Forderungen durch die Gänge tragen zu lassen . Das ist nicht das, was ich mir vorstelle . Ich weiß gar nicht, wovor Sie sich fürchten? Haben Sie doch Vertrauen in die jungen Leute! Schließlich sind sie Expertinnen und Experten in eigener Sache . ({3}) Konkret heißt das für uns Grüne, endlich das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken, die Kinderrechte im Grundgesetz zu stärken, einen nationalen Aktionsplan für Kinderund Jugendbeteiligung aufzulegen und Beteiligung zum Leitprinzip in allen Bildungseinrichtungen zu machen . Sehen wir uns ein anderes Thema an, die Gleichstellung - in Ihrer Demografiestrategie weitestgehend eine Leerstelle. Dabei muss Demografiepolitik doch immer auch Gleichstellungspolitik sein; denn ohne Frauen geht es nicht . ({4}) In Sachen Gleichstellung bewegt sich die Bundesregierung in Trippelschritten und erreicht nicht einmal alle Frauen . Viele Frauen möchten mehr arbeiten . Obwohl im Koalitionsvertrag angekündigt, gibt es noch immer kein Rückkehrrecht in Vollzeit . Das Gleiche gilt für das Familienzeitgesetz . Übrigens, Herr Staatssekretär, ich muss Ihnen ja recht geben: Es gibt immer mehr Frauen, die arbeiten . Aber das auf sie entfallende Volumen hat sich praktisch nicht verändert . Das gehört auch zur Wahrheit und muss einmal gesagt werden . ({5}) Niedrige Löhne, eine hohe Teilzeitquote, Erwerbsunterbrechungen und Minijobs, all das führt dazu, dass eine Rentenkluft von 57 Prozent - ich betone: 57 Prozent - zwischen den Geschlechtern besteht . Dadurch ist Altersarmut meistens weiblich . Hier müssen Gleichstellungs- und Demografiepolitik ansetzen, und dabei muss der gesamte Lebensverlauf berücksichtigt werden . Stattdessen lässt die Bundesregierung die Hürden für wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen praktisch unangetastet . Dabei liegen die Lösungen doch auf der Hand: weg mit Negativanreizen wie Ehegattensplitting und Minijob, Verabschiedung eines wirklich wirkungsvollen Entgeltgleichheitsgesetzes, damit gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit keine hohle Phrase mehr bleibt, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen - dafür müssen Kinderbetreuung und Ganztagsschulen quantitativ und qualitativ ausgebaut werden - und Rückkehrrecht in Vollzeit . ({6}) Werte Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige Demografiepolitik heißt für uns Grüne, allen Generationen gleichermaßen ein gutes Leben zu ermöglichen . Neben den jungen Menschen betrifft das natürlich auch die Älteren, eine Bevölkerungsgruppe, die stetig wächst . Als Demografiepolitikerin, aber auch ganz persönlich ist mein Ziel ein selbstbestimmtes Leben im Alter . ({7}) Wohnen, Mobilität und Pflege sind da ganz zentrale Themen . Wir wissen doch: Die Menschen möchten so lange wie möglich in den gewohnten vier Wänden bleiben . Darin sollten wir sie unterstützen, indem wir altersgerechtes Wohnen fördern . Für das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ wird dringend mehr Geld benötigt, um den tatsächlichen Bedarf zu decken . ({8}) Ein weiteres Finanzierungsinstrument, um diesem Wunsch gerecht zu werden, ist unser Bewegungsfreiheitsbonus . Das ist ein Zuschuss für den Abbau von Barrieren in Wohnungen und im Wohnumfeld . Lassen Sie mich auf die Mobilität zu sprechen kommen . Auch im Alter möchten sich die Menschen doch selbstbestimmt von A nach B bewegen können . Dazu bedarf es einer barrierefreien Umgebung . Das reicht von Gehwegabsenkungen an Kreuzungen über akustische und optische Hilfen bis hin zu taktilen Leitsystemen . Das gilt für die ländlichen Regionen genauso wie für die Städte . Auch wenn Menschen pflegebedürftig sind, haben sie ein Recht darauf, selbstbestimmt entscheiden zu können . Das können wir ermöglichen, indem wir einen Anspruch auf individuelles Fallmanagement festschreiben, Sachleistungsansprüche in ein Pflegebudget umwandeln und Kommunen mehr Kompetenzen und finanzielle Unterstützung bei der Pflegeberatung, -planung und -steuerung gewähren . Unsere Gesellschaft wird aber nicht nur älter, sie wird auch bunter . Einwanderung ist eine kulturelle Bereicherung für unser Land und bietet die Chance, dem drohenden Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen . Nun ist aber das deutsche Einwanderungsrecht viel zu kompliziert und bürokratisch . Es geht an den Bedarfen vorbei . Deutschland muss als Einwanderungsland attraktiver werden . ({9}) Dazu brauchen wir ein potenzialorientiertes Einwanderungsgesetz . Über ein Punktesystem holen wir gut qualifizierte Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland . Neben einem solchen modernen Einwanderungsgesetz brauchen wir aber auch dringend ein Integrationsgesetz, das diesen Namen verdient . Damit Integration wirklich funktioniert, brauchen wir eine bundesweite Bildungsoffensive, die allen Kindern, unabhängig von ihrer kulturellen, aber auch von ihrer sozialen Herkunft, echte Chancen einräumt . In den letzten Jahren sind viele Menschen nach Deutschland zu kommen, um Schutz vor Krieg und Krisen zu finden. Diese Menschen benötigen echte Integrationsangebote und eine sichere Zukunftsperspektive statt Misstrauen und Vorbehalte . ({10}) Meine Damen und Herren, eine ganzheitliche Demografiepolitik betrachtet Vielfalt als Chance für unser Land und Integration als zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe . Um diesen Grundsatz institutionell zu verankern, fordern wir ein eigenes Bundesministerium für Migration und Integration. So geht Demografiepolitik konsistent und nachhaltig! Vielen Dank . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Frieser hat nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich am Anfang für die Tatsache, dass man die demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung auch einmal in einer Debatte behandeln kann . Manchmal verschwindet sie etwas aus den Augen des Parlamentes . Ich kann nur sagen: Wer eine Strategie der Regierung hinterfragt, der sollte sie einmal lesen . Das ist wirklich ein interessantes Werk, insbesondere weil der Begriff „Bilanz“ draufsteht . In einer Legislaturperiode geht es nämlich immer auch darum, einen Strich zu ziehen . Es hilft nichts - das vielleicht auch an die Adresse der Vorrednerin -, durch das gesamte Sozialrecht zu mäandern und einen Forderungskatalog darüber aufzustellen, was in dieser Welt alles wünschenswert wäre . Hinter vielem davon könnte ich einen Haken oder ein Ausrufezeichen - vielleicht nicht unbedingt ein grünes - setzen . Sie sagen aber kein Wort dazu, wie das ohne zusätzliche Belastungen für eine geringer werdende nachwachsende Generation finanziert werden soll, ({0}) keinen Satz zu der nachfolgenden Generation, die diese Lasten tragen muss - darüber sind wir uns ja, wenn es um das Thema Demografie geht, einig - und die immer kleiner wird, sodass sich das Verhältnis verändert . Auf der einen Seite sind wir manchmal in dem Modus, zu sagen, der demografische Wandel sei die Bedrohung, und es wird ängstlich gefragt: Um Gottes willen, was kommt da auf uns zu? Seit nahezu 20 Jahren hören wir die fürchterlichsten Aussichten . Auf der anderen Seite heißt es in den letzten zwei Jahren beim Thema „Zuwanderung durch Flüchtlinge“: Entwarnung! Jetzt gibt es überhaupt keine Probleme mehr . Wir haben in dieser Debatte sehr viel zum Thema Zuwanderung gehört . Die Frage, ob das deutsche Zuwanderungs- bzw . Einwanderungsrecht kompliziert ist, war noch nie ein gutes Maß für die Orientierung . Es kann aber effizient sein. Ich bin sofort bereit, über Einwanderung bzw . Zuwanderung zu reden, wenn diese Gesellschaft bereit ist, über die Frage zu diskutieren, wen wir im Hinblick auf den demografischen Wandel gebrauchen können, wer tatsächlich ein Zuwachs für uns ist, wer unsere Systeme und unsere Gesellschaft unterstützt und einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leistet . Nein, durch Zuwanderung werden die Fragen des demografischen Wandels nicht automatisch beantwortet; denn Zuwanderung bedeutet nicht gleichzeitig Stabilität der Sicherungssysteme . Was wir brauchen, ist eine Zuwanderung in Arbeit, nicht eine Zuwanderung ins Arbeitsamt . ({1}) Deshalb ist es entscheidend, dass wir dafür die Regeln setzen . ({2}) Ich danke Herrn Staatssekretär Schröder; denn er hat darauf hingewiesen, dass wir definiert haben, was wir und diese Regierung in 13 Handlungsfeldern auf den Weg gebracht haben . Diese 122 Maßnahmen haben nur ein Ziel, nämlich ein längeres, gesünderes, attraktiveres und aktiveres Leben zu ermöglichen, ohne in irgendeiner Art und Weise hinsichtlich derer, die nach uns kommen, mit dem sogenannten Tür-zu-Effekt zu reagieren . Im Augenblick liegen viele Vorschläge auf dem Tisch . Das Schleifen der dämpfenden Rentenfaktoren aber ist nicht dazu geeignet, dieses Bild auch nur annähernd aufrechtzuerhalten . Es geht nicht darum, die Räder zurückzudrehen; denn alles, was wir zurückdrehen, muss am Ende des Tages jemand bezahlen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Frieser .

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe Sie kaum an Ihrer Stimme erkannt .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir haben uns ja noch verständigt . - Ich wollte Sie schlicht fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege hat stimmlich laut schon sehr auf sich aufmerksam gemacht, sodass ich ihm die Gelegenheit geben will, dies jetzt mit Mikrofon zu tun .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Herr Kollege Frieser, Sie haben eben gesagt, wir müssten die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel so erhalten . Sie heißen zwar Dämpfungsfaktoren, führen aber in Wirklichkeit dazu, dass die Erhöhungen der Renten der Rentnerinnen und Rentner im Verhältnis zu dem Anstieg der Löhne der aktiven Erwerbstätigengeneration gekürzt werden . Das muss man immer dazusagen . Sie haben mit keinem Wort begründet, warum diese Kürzung aufgrund des demografischen Wandels notwendig sein sollte . Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es angesichts des demografischen Wandels viel wichtiger ist, dass die Menschen gute Löhne und später gute Renten haben und die älteren Menschen in Zukunft nicht in Altersarmut leben müssen, und dass es für die Finanzierung einer guten Rente viel wichtiger ist, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wieder die Hälfte der gesamten Alterssicherungskosten tragen? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass schon ein Mehrbeitrag von 33 Euro im Monat pro Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer und pro Arbeitgeberin/Arbeitgeber bei einem durchschnittlichen Verdienst von 3 022 Euro ausreichen würde, um das Rentenniveau von 48,2 wieder auf 53 Prozent anzuheben? Dies wäre bis zum Jahr 2029 möglich . Das rechne ich Ihnen aus Zeitgründen nicht vor, Michael Frieser ({0}): Das ist nett .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- weil mir sonst die Frau Präsidentin sagt, dass das nicht ginge . Aber rechnerisch geht das . Nehmen Sie das zur Kenntnis? Sind Sie auch bereit, zuzugeben, dass es für eine vernünftige Alterssicherung viel wichtiger ist, dass die Produktivitätsentwicklung und das Wirtschaftswachstum gut vorankommen, als nur das Verhältnis von Rentnern zu Beschäftigten? ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehen Sie, Herr Kollege, meine Bereitschaft zur Kenntnisnahme ist nahezu unbegrenzt . Sie ist aber vor allem der Wahrheit verpflichtet. Wenn Sie den Ausgang dieses Redebeitrags abgewartet hätten, dann hätten wir über diese Frage schön reden können . Ich darf auf Folgendes hinweisen: Wir werden bei Menschen, die im Produktionsprozess stehen und die tatsächlich ein Leben lang gearbeitet haben, dafür sorgen, dass sie für die Gesellschaft auch im Alter einen produktiven Beitrag leisten, was der Tatsache geschuldet ist, dass die Menschen erstens länger und zweitens gesünder leben . Wenn wir auf alle dämpfenden Faktoren verzichten würden, würden wir diesen Menschen einen Bärendienst erweisen . Ich darf auf der anderen Seite darauf hinweisen, dass unsere Anstrengungen, die Arbeitswelt beim Thema „Arbeit 4 .0“ zu gestalten, genau darauf gerichtet sind . Dazu gehört auch das Thema, nicht nur junge Menschen in Arbeit zu bringen . Wir stellen uns immer den Dachdecker vor, der 40 Jahre lang körperlich hart gearbeitet hat und am Ende seines Arbeitslebens natürlich nicht in der Lage ist, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten . Aber die Welt hat sich doch geändert . Nehmen Sie daher bitte zur Kenntnis, dass die Welt sich insofern geändert hat, dass die Menschen länger arbeiten können, dass die Digitalisierung ihren Beitrag dazu leisten kann und dass sich das natürlich auf irgendeine Art und Weise in der Rente auswirken muss . ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dieser Punkt ist entscheidend . Menschen werden älter . Sie leben gesünder . Sie werden länger leben . Sie sollen einen aktiven Ruhestand haben . Das kommt aber nicht von selbst, wenn wir diesen demografischen Wandel nicht zu gestalten wissen . Deshalb steht in der Überschrift: „Jedes Alter zählt“ . Das Thema „demografischer Wandel“ beschäftigt sich nicht nur mit den gesünderen, älteren und produktiveren Menschen, die in einem Unruhestand leben, sondern es beschäftigt sich auch mit den Menschen, die in dieser Gesellschaft die Lasten zu tragen haben . Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns die Frage stellen: Wie gehen wir damit um, und wie halten wir Menschen in ihrem Arbeitsleben fit? Es reicht nicht mehr, den Menschen zu sagen: Macht einmal für drei Tage oder eine Woche einen Workshop . - Es kommt darauf an, dass wir die Rahmenbedingungen setzen, damit Menschen für ein Semester oder ein Trimester aus ihrem Arbeitsleben herausgehen, um neu zu lernen und ihren Beruf besser zu verstehen . Das wird aber nicht dadurch funktionieren, indem wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern und sagen: Staat, mach du das . Das Arbeitslosengeld wird dann 48 Monate gezahlt, und wir schmücken das Ganze noch mit ein bisschen Qualifizierung aus. - Wir müssen vielmehr zusammen mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen die Menschen in die Lage versetzen, dass sie mit ihrem Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz neu erleben und auch altersgerecht gestalten können . Das kann die Digitalisierung und die Arbeit 4 .0 leisten . ({1}) Insofern, glaube ich, ist unser Ansatzpunkt genau richtig . Wir können dieses Thema nicht alleine den Kommunen überlassen und erklären: Wir heben das Kooperationsverbot im Zusammenhang mit Qualifizierung und Bildung auf . - Dagegen wird man als geborener Föderalist natürlich Vorbehalte haben . Wir haben vieles getan, was mit Blick auf die Kommunen nicht ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fällt . Ich weise nur auf die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter hin . Entscheidend ist, die Rahmenbedingungen zu setzen . Ein wichtiger Aspekt beim demografischen Wandel ist die Unterstützung für kinderreiche Familien . Wenn wir über das Thema „Wohnungen und Bauen“ reden, dann reden wir immer mit Blick auf die Ballungsräume . Wir reden immer darüber, wo es extrem schwierig ist . Ja, es ist schwierig für eine Familie mit drei Kindern, in München, in Frankfurt, in Hamburg eine Wohnung zu finden. Welche Überraschung! ({2}) Nein, es geht darum, dass große Landstriche in diesem Land durchaus zu mehr in der Lage wären, wenn wir sie denn in die Lage versetzen . Das heißt, sozialer Wohnungsbau darf nicht nur ballungsraumgebunden sein . Flächenentwicklung darf nicht nur an den Rändern von Ballungsräumen stattfinden. Digitalisierung beinhaltet auch Stabilisierung der ländlichen Räume, nämlich arbeitsplatzungebunden und nicht nur in der Stadt, sondern auch draußen durch die Ausweisung der richtigen Baulandflächen und das Senken der Erwerbskosten. Alle, die hier schreien: „Wir müssen Bauen und Wohnen auch für große Familien etwas günstiger machen“, sollen einmal in ihren eigenen Ländern nach den Grunderwerbskosten schauen . Die sind nämlich dort überall doppelt so hoch, wo man danach ruft, dass man große Familien wirklich ansiedeln möchte . Also, wir haben es in der Hand . Wir haben es bei der Frage des demografischen Wandels tatsächlich in der Hand, den Menschen keine Angst zu machen und keine Ängste zu schüren, sondern in unserem Bereich jeweils dafür zu sorgen, dass wir diesen demografischen Wandel wirklich stärken und vor allem gestalten . Wir gestalten ihn, indem wir die Menschen fit darin halten, mit Spaß ihr Leben, ihre Arbeitswelt neu zu erfinden und neu zu gestalten . Damit geraten diese Menschen nicht langsam auf ein Abstellgleis, sondern können in ihrem längeren, gesünderen, aktiveren Ruhestand auch noch einen Beitrag für diese Gesellschaft leisten . Vielen Dank . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Demografie ist so eine Sache. Sie ist nichts Abstraktes, man kann sich ihr nicht entziehen . Sie geht uns alle an; denn sie umfasst im Prinzip unser Zusammenleben . Im Prinzip ist es eine Bevölkerungsentwicklung, die uns alle trifft . Wie gesagt, man kann sich ihr nicht entziehen . Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie schreiben allerhand zusammen in Ihrem Bericht . Sie loben sich vor allen Dingen selbst, und auf Seite 20 beginnt ein leider sehr kleines und kurzes Kapitel, aber es ist nicht unerheblich . Es heißt: „Gleichwertige regionale Lebensverhältnisse“ . Da bringen Sie es erstaunlicherweise kritisch auf den Punkt . Dort heißt es sinngemäß: Innerhalb Deutschlands bestehen erhebliche Ungleichheiten auf drei Gebieten: bei den Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, bei der Sicherung der Mobilität und beim Zugang zu den Angeboten der Daseinsvorsorge . Strukturschwächere Regionen verlieren jüngere und vor allen Dingen auch gebildete junge Menschen . Aber Sie verlieren kein einziges Wort darüber, auf welche Regionen das in unserer Bundesrepublik vor allen Dingen zutrifft, nämlich auf den Osten . Es ist völlig unumstritten, dass es auch im Westen Regionen gibt, die schwächer, die strukturschwach und abgehängt sind . Wenn man sich aber die Deutschlandkarte mit Blick auf die Strukturdaten anschaut, egal ob es um Arbeit, um Arbeitslosigkeit oder zum Beispiel die Höhe des Privatvermögens oder der Armut geht, dann sehe ich immer noch die alte Karte der DDR . Ehrlich gesagt, wir haben immer noch eine gespaltene Bundesrepublik, die vor allen Dingen sozial gespalten ist . Deswegen setzen wir uns als Linke nach wie vor dafür ein, dass es eine bundesweite Offensive gibt zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West . ({0}) Fakt ist, dass es in über einem Vierteljahrhundert nach der deutschen Einheit immer noch nicht gelungen ist, diese gleichwertigen Lebensverhältnisse zu etablieren . Die Arbeitslosenquote ist immer noch wesentlich höher . Die Ostlöhne liegen bei 79 Prozent des Westniveaus, und der Anteil der prekär Beschäftigten ist im Osten immer noch höher - trotz Arbeit . Wenn ich mir das Rentenrecht anschaue, dann wird das Problem Altersarmut eigentlich in meine Generation weitertransportiert . Wir brauchen weiterhin eine Umrechnung der Ostlöhne, bis die Entgelte und Löhne der Generation derjenigen, die jetzt arbeiten, also meine Generation, die damit wirklich gar nichts mehr am Hut hat, gleich bzw . annähernd gleich auf Westniveau sind . Ich erwarte von einer Demografiebilanz ehrlich gesagt mehr als nur eine Analyse der Bundesregierung . Dies sage ich auch vor dem Hintergrund, dass ich aus einem Wahlkreis in Nordsachsen komme . Dieser ist vor allem ländlich geprägt . Hier gibt es große strukturelle Unterschiede zu der Stadt . Leipzig liegt in der Nähe . Nordsachsen hat vor allem ländliche Strukturen . Ich erwarte vor allem, dass Sie es uns erklären und Vorschläge unterbreiten, wie wir das denn lösen sollen . Ich möchte wissen und erklärt bekommen, was getan wird . Es geht nicht nur um die Analyse, sondern darum, was Sie zu tun gedenken . Es geht auch um die Frage, ob sich die Menschen darauf einrichten sollen, dass nichts getan wird, oder ob jetzt tatsächlich Hoffnung geschöpft werden kann und eine neue Situation eintritt . Sie verlieren leider auch kein Wort darüber, wie Sie zum Beispiel in der Frage der Pflege weiter vorzugehen gedenken bzw . ob Sie Vorschläge unterbreiten werden . Es ist doch krass, dass ein Viertel der Pflegebedürftigen im Osten lebt . Das hat auch Auswirkungen darauf, dass eine Pflegefachkraft im Osten weniger verdient als im Westen . Das wird doch weitertransportiert . Ich muss als Bundesregierung nicht die große Mathematik bemühen, sondern nur eins und eins zusammenzählen, um zu erkennen, dass wir nicht nur jetzt, sondern stärker noch in 10 oder 20 Jahren vor Problemen stehen, deren Lösung wir schon jetzt anpacken könnten . Ihr Ausblick füllt nur eine halbe Seite. Das ist definitiv zu wenig. ({1}) Fakt ist, dass eine weit auseinanderdriftende Schere zwischen Arm und Reich oder eine regional stark ungleiche Verteilung unserer Gesellschaft schaden . Wir werden die Schere nur mit einer sozial gerechten Umverteilung schließen . Gleichwertige Lebensverhältnisse und soziale Gerechtigkeit sind keine Floskeln, und das ist auch kein Selbstzweck, sondern das ist der Kitt unserer Gesellschaft . Wir als Linke werden weiterhin dafür kämpfen . Vielen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Houston, wir haben ein Problem!“: Dieser berühmte Hilferuf der Apollo-13-Besatzung beschrieb eine lebensbedrohliche Notsituation . Die Besatzung der Apollo 13 fürchtete 1970, aufgrund eines technischen Defekts nicht mehr zur Erde zurückkehren zu können . Filmisch ist das übrigens von Tom Hanks und anderen gut aufgearbeitet worden . Unser demografisches Problem in Deutschland ist mit Apollo 13 nicht zu vergleichen, und doch möchte man ausrufen: „Berlin, wir haben ein Problem!“ Denn auch dieses ist ein gewaltiges Problem, das die Bundesregierung als unsere Bodenstation schon lange erkannt hat . Die Bundesregierung hat uns mit der demografiepolitischen Bilanz unter dem vielschichtigen Titel „Jedes Alter zählt“ ein gutes Papier an die Hand gegeben, das zahlreiche überwiegend gesetzgeberische Maßnahmen gegen den demografischen Wandel in unserem Land aufzählt. Darüber, Herr Staatssekretär, ob die schwarze Null die wichtigste Errungenschaft auf diesem Gebiet ist, kann man vielleicht noch einmal intensiv nachdenken . Die Probleme sind gewaltig: Von A wie Arztmangel bis Z wie Zugverbindungen geht es um zahlreiche Belange unseres Alltagslebens . Unsere Gesellschaft wird sich unter dem Eindruck des demografischen Wandels verändern. Es ist ein schleichender Prozess, der Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nimmt; aber er hat schon längst begonnen . Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in der Pflicht, diesen Wandel zu gestalten . Schauen wir uns die Bilanz der Regierung an: Unter Punkt 4 .4 geht es um „Zuwanderung und Integration von Flüchtlingen“ . Diesem Thema kommt meines Erachtens besondere gesellschaftliche Bedeutung zu . Auch hier werden wir keine schnellen Lösungen erzielen können, aber die Große Koalition hat erkannt: Sprache und Arbeit sind die Schlüssel zur Integration . An dieser Stelle hat die Große Koalition schon gehandelt . Es ist sicherlich kein Zufall, dass unter Punkt 4 .5 „Fachkräftesicherung“ folgt . Auch hier erkennen wir auf Anhieb, dass der demografische Wandel auch Chancen beinhaltet . Wenn es uns gelingt, möglichst große Teile der ersten, mindestens aber die zweite Generation der Flüchtlinge komplett in unser Bildungs- und Ausbildungssystem zu integrieren, dann werden wir dem Arbeitsmarkt Gutes tun und zugleich für ein „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ - siehe Punkt 4 .7 - sorgen . Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? So weit sind wir noch nicht . Es gibt auch Dinge, die wir im Bund selbst regeln können und für die der Bund selbst Verantwortung trägt . Damit komme ich zum Thema Demografie im öffentlichen Dienst . Das ist ein wichtiges Thema . Ein Blick auf die Alterspyramide im öffentlichen Dienst zeigt: Es ist keine Pyramide, die unten stark ist und eine schmale Spitze hat, sondern sie sieht eher aus wie ein Schneemann aus zwei großen Ballons, der auch noch auf dem Kopf steht . Der obere Ballon - das ist die Altersklasse 50 Jahre aufwärts - ist der stärkste im öffentlichen Dienst . In der Mitte kommt eine schmale Taille . Das ist die Gruppe der ungefähr 40-Jährigen, die so gut wie gar nicht vorhanden sind . Eine kleinere Kugel repräsentiert die 20- bis 30-Jährigen, die neu eingestellt wurden . Diese Alterspyramide wird quasi nach oben herauswachsen . Die Babyboomer werden in Rente oder in Pension gehen . Wir müssen schon heute durch eine kluge Einstellungspolitik dafür sorgen, dass die dann entstehenden Lücken geschlossen werden . Hinzu kommt, dass wir derzeit im öffentlichen Dienst einen Kardinalfehler begehen . Das ist die Befristung . Wir wissen, dass junge Menschen in befristeten Arbeitsverhältnissen nur selten Familien gründen . Diesen Menschen müssen wir Sicherheit geben, nicht nur im öffentlichen Dienst . Aber dort können wir mit gutem Beispiel vorangehen . Insgesamt müssen wir auf dem Arbeitsmarkt zu einer raschen Abschaffung der sachgrundlosen Befristung kommen . Diese war hilfreich auf einem Arbeitsmarkt, der von hoher Arbeitslosigkeit geprägt war . Aber jetzt herrscht weithin Facharbeitermangel . Da braucht es Befristungen nur in konkreten Einzelfällen, zum Beispiel im Fall einer Schwangerschaftsvertretung . Lassen Sie uns gemeinsam den Befristungsfehler schnellstmöglich korrigieren . ({0}) Insgesamt steht die Politik beim Thema Demografie vor vielen Handlungsfeldern und Problemen, die gelöst werden wollen . Aber genauso wie Apollo 13 im Jahr 1970 wohlbehalten zur Erde zurückgeholt werden konnte, können wir die demografischen Probleme angehen und lösen . Jetzt, da Apollo 13 gelandet ist, freue ich mich auf die Ausschussberatungen . Vielen herzlichen Dank . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat Astrid Timmermann-Fechter für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Astrid Timmermann-Fechter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wohlstand und Lebensqualität für unsere nachfolgenden Generationen, eine Gesellschaft, die auch in Zukunft zusammenhält, in der jeder Einzelne zählt und sich mit seinen Potenzialen einbringen kann, egal ob jung oder alt, egal ob Mann oder Frau, egal ob krank oder gesund, eine Gesellschaft, die auch in Zukunft alters- und familienfreundlich ist - das sind unsere demografiepolitischen Ziele, an deren Erreichung wir intensiv arbeiten . Das gilt insbesondere für den Bereich der Familienpolitik; denn gerade eine vorausschauende Familienpolitik ist für die Gestaltung des demografischen Wandels grundlegend . Für uns als Union ist und war schon immer von zentraler Bedeutung, Familien zu stärken und finanziell zu entlasten. Familien benötigen Freiheit und Flexibilität, um Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren zu können . Diese Vereinbarkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die Gründung einer Familie und ermöglicht die partnerschaftliche Aufteilung von Arbeit und familiären Aufgaben . Seit zehn Jahren unterstützen wir mit dem Elterngeld junge Eltern, die ihre Kinder nach der Geburt vorrangig selbst betreuen wollen . Mit dem Elterngeld Plus haben wir es zudem flexibler gestaltet. Das Elterngeld ist eine Matthias Schmidt ({0}) Erfolgsgeschichte . Es ist zielgenau und wird intensiv genutzt, bei steigendem Bedarf; denn die Geburtenzahlen haben sich in den letzten Jahren positiv entwickelt . Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ebenso eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung von entscheidender Bedeutung . Wir haben daher verstärkt in den Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahre investiert . Von 2008 bis 2016 stellte der Bund den Ländern 7,3 Milliarden Euro für Investitionen und Betriebskosten zur Verfügung . Ein weiterer Schwerpunkt unserer Politik verfolgt die Zielstellung, älteren Menschen auch in Zukunft ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe im Alter zu ermöglichen . Immer mehr Menschen erreichen bei guter körperlicher und geistiger Gesundheit ein höheres Lebensalter . Gleichzeitig steigt der Anteil der Menschen, die pflegebedürftig sind. Die Mehrheit der Seniorinnen und Senioren wünscht sich dabei, so lange wie möglich zu Hause ein selbstbestimmtes Leben zu führen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben . Dies ist für uns Chance und Herausforderung zugleich, eine Chance, da sich eine wachsende Anzahl an Seniorinnen und Senioren in die Gesellschaft einbringen möchte, und eine Herausforderung, weil wir die entsprechenden Bedingungen für ein selbstbestimmtes Leben und Teilhabe im Alter erhalten, aber auch schaffen müssen . Hierzu zählen insbesondere ein altersgerechtes und barrierearmes Wohnumfeld, Mobilität, soziale Dienstleistungen, Prävention und Pflege. Mit den Pflegestärkungsgesetzen haben wir die Pflege verbessert, gerechter gestaltet und für die Zukunft gestärkt. Mit der Einrichtung des Pflegevorsorgefonds tragen wir dabei einem möglichen erhöhten Pflegebedarf der geburtenstarken Jahrgänge Rechnung und sorgen damit für mehr Generationengerechtigkeit . Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf haben wir pflegende Angehörige gestärkt, indem wir einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und einen Anspruch auf Lohnersatzleistungen bei kurzfristigen Pflegenotfällen eingeführt haben. Für ein selbstbestimmtes Leben im Alter ist darüber hinaus das altersgerechte Wohnumfeld zentral . Daher fördern wir den altersgerechten Umbau . Allein für 2017 stellen wir im Rahmen des KfW-Programms „Altersgerecht Umbauen“ 75 Millionen Euro für den Barriereabbau bereit. Damit haben wir die finanziellen Mittel gegenüber 2016 um fast 26 Millionen Euro erhöht . Ein besonderes Anliegen der Union war in dieser Legislaturperiode auch die Verstetigung und Ausweitung der Förderung der Mehrgenerationenhäuser . Wir haben hierfür die Mittel erhöht, sodass 2017 eine Förderung von rund 550 Häusern und damit fast 100 Häusern mehr möglich wird . Meine sehr geehrten Damen und Herren, der demografische Wandel gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit, eine Herausforderung, an der wir insbesondere im Rahmen der Demografiestrategie arbeiten - für eine alters- und familienfreundliche Gesellschaft, zum Wohle unserer nachfolgenden Generationen . Was den Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen zur Partizipation und Selbstbestimmung älterer Menschen betrifft, so habe ich in der ersten Debatte zum Antrag bereits deutlich gemacht: Viele Ihrer Forderungen sind bereits Bestandteil unserer Politik . Viele Ihrer Forderungen fallen in die Zuständigkeit der Länder und Kommunen . Nicht zuletzt enthält Ihr Antrag viele finanzielle Forderungen, jedoch keine entsprechenden Finanzierungsvorschläge . Aus diesen Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab . Vielen Dank . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Michael Groß für die SPD-Fraktion . ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal freue ich mich, nach Kollegin Timmermann-Fechter zu sprechen, wenn ich das sagen darf, Frau Präsidentin, weil sie aus dem schönen Marl kommt, dem nördlichen Ruhrgebiet . Man kann es hierher schaffen; wie gesagt, meine Freude ist sehr groß . Ich habe den beiden Kollegen, dem Staatssekretär Schröder und dem Kollegen Frieser, sehr gut zugehört . Ich muss Ihnen sagen: Ich wundere mich immer über Ihre Fixierung auf die schwarze Null . Sie betreiben die Spaltung dieser Gesellschaft . Sie versuchen, zwischen Alt und Jung einen Keil zu treiben . Sie müssen sich einmal mit den Leuten vor Ort, mit Kindern, Jugendlichen und meiner Familie unterhalten . Die sagen: Der Generationenvertrag steht . - Sie verstehen gar nicht die Diskussion, die Sie hier führen . ({0}) Sie verstehen nicht die Abkehr vom Generationenvertrag und die Spaltung der Gesellschaft, wie das in Ihren Formulierungen zum Ausdruck kommt . Ich glaube, wir müssen in die Jugend investieren . Die höchste Priorität darf nicht die schwarze Null sein, ({1}) sondern die Investitionen in die Städte, in die Schulen und in die Kitas . ({2}) Ihre Barriere führt doch dazu, dass wir den demografischen Wandel nicht meistern. Sie betreiben eine Politik, die dazu führt, dass unsere Städte und Kommunen davon abhängig sind, selbst genug Geld zu erwirtschaften . Ich sage Ihnen: Generationengerechtigkeit, das Leben in Städten und bezahlbares Wohnen dürfen kein Luxusgut sein . Deswegen müssen wir investieren . ({3}) Ich möchte auf den Bereich „lebenswerte Städte und Kommunen“ eingehen . Ich glaube, wir haben in dieser Legislatur eine Menge geschafft . Wir haben eine Städtebauförderung ermöglicht, die doppelt so viele Mittel vorsieht wie in der letzten Legislatur . Fast 1 Milliarde Euro haben wir etatisiert, um Städte zu unterstützen, ihre Stadtteile zu entwickeln . Wir schaffen es durch die unterschiedlichen Städtebauprogramme, dass Innenstädte belebt werden können, was zu Begegnungen führt . Immobilien, in denen niemand mehr leben will und mit denen spekuliert wird, können vom Markt genommen werden . Wir sorgen dafür, dass die Menschen wieder in einer Urbanität leben können, in der die Wege kurz sind, in der sie Arbeit und Wohnen miteinander verknüpfen können . Das betrifft eben auch ältere Menschen, die heute zum großen Teil in den Peripherien der großen Städte oder in ländlichen Regionen wohnen . 25 Prozent der älteren Menschen sagen: Die Wege sind mir zu weit. Ich finde keinen Arzt. Ich finde keine Nahversorgung. - Wir haben es mit unserem Städtebauprogramm geschafft, dieser Entwicklung entgegenzustehen . ({4}) Ich glaube, dass wir die Städte auch weiterhin unterstützen müssen . Die Städte haben in dieser Legislatur von uns zusätzlich 20 Milliarden Euro bekommen . Wir haben es ihnen ermöglicht, über die soziale Wohnraumförderung zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, insbesondere bezahlbaren Wohnraum, auch in den Ballungsgebieten . Das ist ein Erfolgsmodell . NRW hat im letzten Jahr 10 000 neue Wohnungen geschaffen, die soziale Bindungen haben, und damit ist NRW deutscher Meister . ({5}) Die Städte brauchen Geld, weil sie die Aufgabe meistern müssen, integrative Stadtentwicklung zu betreiben . Integrative Stadtentwicklung bedeutet - da möchte ich gerne der Kollegin Wagner widersprechen -, dass die Menschen vor Ort entscheiden können, wie ihre Stadt zukünftig aussehen soll . Wir wollen sie, Alt und Jung, beteiligen, darüber zu diskutieren, mitzuentscheiden: Wie soll mein Umfeld aussehen? Wie soll mein Grün in der Stadt aussehen? Wie und wo will ich mich mit Menschen treffen? Wie soll mein Lebensumfeld gestaltet werden? Ich glaube, dass wir mit der Städtebauentwicklung dazu den Städten ein gutes Instrument gegeben haben . Wir brauchen Menschen, die sich in den Städten engagieren . Wir müssen diejenigen belohnen, die sich gemeinwohlorientiert verhalten . Wir müssen diejenigen belohnen, die sich neben bezahlbarem Wohnraum darum kümmern: Wie sehen die Stadtteile aus? Wie sehen die Quartiere aus? Wie sehen die Veedel aus, in denen wir leben? Wir brauchen eine Unterstützung derjenigen, die sich um die Stadtrendite kümmern . Herzlichen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Barbara Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, der demografische Wandel betrifft sämtliche Lebensbereiche . Frau Kollegin Karawanskij, das geht uns alle an; da stimme ich Ihnen zu . Aber dann erschöpft es sich auch schon mit den Gemeinsamkeiten . Demografiepolitik ist eine Querschnittsaufgabe, der wir uns alle stellen müssen . Ich bin froh, dass jetzt die Bundesregierung auch diese Bilanz vorgelegt hat . Es ist auch eine Daueraufgabe . Mit Verlaub, Herr Kollege Groß, Sie haben gerade Kritik daran geübt, dass wir zu sehr an der schwarzen Null festhalten, haben in Ihrer Rede dann aber darauf hingewiesen, dass wir mehr für den sozialen Wohnungsbau tun . Ich darf daran erinnern, dass wir 500 Millionen Euro mehr pro Jahr in den sozialen Wohnungsbau gegeben haben . Ich glaube, sagen zu können, dass diese Bundesregierung noch nie so viel für Kommunen finanziell getan hat . Wir nehmen Milliardenbeträge in die Hand, um die Kommunen mit diversen Förderprogrammen zu unterstützen . Ich denke an die 3,5 Milliarden Euro, die wir in ein Sonderbauprogramm geben, und an diverse andere Programme . ({0}) Da kann man sich hier doch nicht hinstellen und sagen, wir täten nichts und wir hielten zu sehr an der schwarzen Null fest. Ich finde, das ist nicht glaubwürdig. Ich kann das nur zurückweisen . Wir können da auf eine gute Bilanz zurückgreifen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Woltmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michael Groß zu?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin, haben Sie gestern die Veröffentlichung des Armuts- und Reichtumsberichts in Deutschland wahrgenommen? ({0}) Sie haben ja lange versucht, diesen Bericht zu verhindern . Aus ihm geht hervor, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die abgehängt werden, dass 40 Prozent der Menschen heute weniger Realeinkommen als 1995 haben . Ich glaube, wir haben sehr viel erreicht; da haben Sie Recht . Meine Frage an Sie: Sind Sie ernsthafterweise der Meinung, dass die Städte, die Kommunen finanziell ausreichend ausgestattet sind, um die vielen Aufgaben, die Sie gerade beschreiben, zu erfüllen?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage . - Ich habe in der Presse vernommen, dass der Bericht jetzt vorgelegt wird . Ich habe ihn noch nicht gelesen . Wir müssen uns diese Dinge natürlich immer sehr genau anschauen . Es gibt den Hinweis darauf, dass wir eine Menge Kinder haben, die an der Armutsgrenze leben . Das ist ein Punkt, zu dem ich persönlich sage: Das müssen wir uns sehr viel genauer anschauen . ({0}) Wir haben mittlerweile aber sehr gute Rahmenbedingungen; Gott sei Dank . Aufgrund der guten Wirtschaftspolitik, die wir in Deutschland machen, haben wir so hohe Steuereinnahmen wie kaum jemals zuvor . Nicht nur der Bund hat hohe und höhere Steuereinnahmen; auch die Länder und die Kommunen haben höhere Steuereinnahmen . Es ist nicht gleich verteilt; das gebe ich zu . ({1}) Aber man kann nicht in Abrede stellen, dass die Bundesregierung sehr viel Geld gerade auch für die Kommunen zur Verfügung stellt, obwohl - das muss man hier vielleicht auch mal sagen - die Länder für eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen zuständig sind . ({2}) Ich möchte auch an die Finanzverhandlungen mit den Bundesländern erinnern . Wir stellen das auf eine neue Basis . Auch das haben wir im Plenum schon behandelt . Das sind wichtige Dinge . Wir sagen: Wir wollen Länder und Kommunen weiter mit finanziellen Mitteln ausstatten . Am föderalen System - das ist doch wohl Konsens hier - wollen wir aber festhalten . Insofern muss man immer die Verantwortlichkeiten sehen . Demografiepolitik ist ganz wichtig. Wir wissen, dass die Alterspyramide auf dem Kopf steht . Gott sei Dank steigen die Kinderzahlen wieder etwas an . Beim Geburtsjahrgang 1968 lagen wir noch durchschnittlich bei 1,49 Kindern pro Frau, bei den Geburtsjahrgängen danach schon bei 1,6 . Das reicht natürlich noch nicht aus; das wissen wir . Wir haben 2015 - von Einwanderung ist schon gesprochen worden - einen Wanderungssaldo, ein Plus von rund 1,1 Millionen Menschen gehabt . Es kommen viele Menschen nach Deutschland, um hier zu arbeiten . Es ist über ein Einwanderungsgesetz gesprochen worden . Dafür habe ich persönlich sehr viel Sympathie . ({3}) Aber im Grunde haben wir schon gute Einwanderungsregelungen . ({4}) Wir haben die Bluecard . Wenn man einen von, ich glaube, 109 Berufen hat, in denen Mangel herrscht, kann man heute schon, wenn man einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz in Deutschland nachweist, in die Bundesrepublik einwandern, also in Arbeit einwandern und nicht, wie Kollege Frieser gesagt hat, ins Arbeitsamt . Das ist das, was uns wichtig ist und was wir gerne wollen . Es ist von der Kollegin Timmermann-Fechter in vielen Punkten aufgezeigt worden, was wir zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon getan haben . Wir sind da noch nicht am Ende . Es bestreitet hier keiner, dass wir da noch weitere Aufgaben haben . Es ist eine Bilanz, ein Zwischenschritt, ein Zwischenbericht . Ich habe vorhin schon gesagt: Es ist eine Daueraufgabe, der wir uns ständig stellen müssen . Deswegen ist die Demografiestrategie 2015 schon überarbeitet worden. Auch das ist wichtig: Es ist kein starres System . Wir müssen immer wieder gucken: Wo müssen wir nachjustieren? Denn die Gesellschaft und Systeme verändern sich . Mir ist es ganz wichtig, dass wir eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie bekommen . Wir haben dieser Tage den 80 . Geburtstag von Rita Süssmuth gefeiert, die seinerzeit auch Familienministerin war . Sie hat schon 1985 dafür gesorgt, dass wir Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub bekommen haben . Welch weitreichende und weise Entscheidung damals! Viele Dinge sind dazugekommen . Es kann und muss besser werden; das bestreitet überhaupt keiner . Wir müssen weiter dafür kämpfen, dass uns Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt . Die Kommunen leisten dazu schon eine ganze Menge . Aber eines muss man auch einmal sagen: Bei mir in der Kommune wollten wir schon Kindergartengruppen schließen, weil wir nicht mehr genug Kinder hatten . Durch die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, müssen wir das Angebot wieder weiter ausbauen . Insofern: Demografischer Wandel - das ist auch schon von Vorrednern gesagt worden - ist nicht nur schrecklich und schlimm, sondern es sind auch große Chancen damit verbunden . Wir müssen das, wie man so schön sagt, gestalten . Gestern ist hier im Hause das Thema „Industrie 4 .0“ diskutiert worden . Das ist auch ein wichtiger Punkt . Wir haben zu wenig Fachkräfte . Deshalb sagen mir meine Unternehmer: Ihr müsst uns helfen . Ihr müsst mehr tun . „Industrie 4 .0“ ist da eine wichtige Antwort . Keine richtige Antwort war - das möchte ich auch einmal sagen

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich komme zum Schluss - die Rente mit 63 . Das war das falsche Signal . Die Flexirente ist richtig, um den nahtlosen Übergang zu schaffen . ({0}) Und weil schon die ländlichen Räume angesprochen worden sind:

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Nein, Frau Kollegin, ich muss Sie jetzt wirklich bitten, zum Schluss zu kommen .

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Ich finde es hervorragend, dass wir den Breitbandausbau fördern .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sie haben schon über eine Minute überzogen .

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzter Satz: Deswegen sage ich dem Verkehrsministerium Dank . In dieser Woche sind Förderbescheide in Höhe von fast einer Dreiviertelmilliarde Euro ausgekehrt worden . Das kommt auch den Kommunen und den dortigen Unternehmen zugute . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich schließe die Aussprache, liebe Kolleginnen und Kollegen . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11145 und 18/11606 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache 18/11606 zu Tagesordnungspunkt 28 b federführend im Innenausschuss beraten werden soll . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Tagesordnungspunkt 28 c . Da kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Partizipation und Selbstbestimmung älterer Menschen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11645, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9797 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 30 sowie zum Zusatzpunkt 8: 30 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund Drucksache 18/11598 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Sachgrund - Keine Befristung Drucksache 18/11608 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und wir können die Aussprache beginnen, sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben . Als erster Redner hat für die Fraktion Die Linke Klaus Ernst das Wort . ({2})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen Sicherheit und Verlässlichkeit für die Beschäftigten! Vor allem jungen Menschen wird viel zugemutet: Sie sollen eine ordentliche Ausbildung machen, sich im Job weiterbilden, sie sollen eine Familie gründen und wollen sich manchmal auch noch um ihre Eltern kümmern, sie sollen für Wohneigentum sorgen, und im Idealfall sollen sie sich auch noch ehrenamtlich engagieren . ({0}) Das alles geht nicht, wenn die eigene Zukunft auf wackeligen Beinen steht! Das kann nicht unser Angebot für die Jugend sein! Und darum werden wir die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen! ({1}) - Aha! Der eine oder andere Sozialdemokrat hat es gemerkt: Ich habe gerade Martin Schulz zitiert . ({2}) - Ja, dass ihr das noch nicht so richtig gemerkt habt, ist mir klar . - Es ist aber wichtig, was er gesagt hat . Denn heute habt ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag die Möglichkeit, genau das zu machen, was er gesagt hat, nämlich die sachgrundlose Befristung abzuschaffen . ({3}) Seit wir im Bundestag sind, fordern wir die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung . Sie haben das immer abgelehnt . Ich hoffe, das ändert sich heute . Mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Hartz I - hat Rot-Grün, das dieses Gesetz zu verantworten hat, die Möglichkeit deutlich erweitert, dass Unternehmen befristet einstellen . Ohne sachlichen Grund hangeln sich Beschäftigte inzwischen von Befristung zu Befristung . Befristungen können auch noch zweimal verlängert werden . Ich zitiere jetzt wieder den Martin Schulz, weil er recht hat: ({4}) Auch wir haben Fehler gemacht! Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig . Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden . Dann korrigieren Sie das heute . Sie haben die Chance dazu! ({5}) Da ich gerade den einen oder anderen Zwischenruf höre, möchte ich noch sagen: Dass Sie 14 Jahre und ein Wunder von Würselen brauchen, ({6}) bis Sie merken, dass Sie einen Fehler machen, ist schon ein bisschen dreist . Das ist schon ein bisschen dreist . ({7}) Fast jeder zweite Arbeitsvertrag wird heutzutage nur noch befristet ausgestellt, bei jungen Frauen zwischen 15 und 24 Jahren sind es sogar zwei Drittel . Im Jahr 1994 gab es 863 000 befristet Beschäftigte, inzwischen sind es 2,8 Millionen . Das ist mehr als eine Verdreifachung . 48 Prozent der befristeten Arbeitsverträge haben keinen sachlichen Befristungsgrund . Liebe Kolleginnen und Kollegen, befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund gehören abgeschafft . ({8}) Mich wundert, dass Sie von der Union heute so ruhig sind . Normalerweise hätte ich jetzt erwartet, dass Sie sagen: Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit der Republik gefährdet . ({9}) Das habe ich von Ihnen schon gehört . Ich sage Ihnen: Wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Republik davon abhängt, dass wir jungen Leuten bei uns den Start ins Leben möglichst schwer machen, dann kann ich nur sagen: Armes Deutschland! ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Menschen, die sich von Befristung zu Befristung durchschlagen, übrigens jedes Mal wieder beim Einstiegsgehalt anfangen, keinen Kündigungsschutz haben, keine Planungssicherheit haben . Wie soll man in so einer Situation eigentlich eine Familie gründen? Ich habe einmal nachgeschaut, was man bei Ihnen von der CDU dazu findet. ({11}) Ich habe gefunden, dass Sie sich ganz besonders um die Familien kümmern . Sie reden doch gern davon, dass Familien - Zitat von Ihrer Website - das „Fundament unserer Gesellschaft“ seien . Wie soll das unter solchen Arbeitsbedingungen funktionieren? Wie soll das hinzukriegen sein? ({12}) Darauf hätte ich eigentlich gern eine Antwort . ({13}) Jetzt aber auch noch ein Wort zur SPD, das mir ganz besonders wichtig ist . Die Aussage des Kollegen Schulz, dass sachgrundlose Befristungen abzuschaffen sind und dass ALG I länger zu zahlen ist, hat bei vielen in unserer Republik sehr viel Hoffnung geweckt, ({14}) übrigens nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei anderen wie zum Beispiel den Eltern derjenigen, die befristet beschäftigt sind . Sie wollen, dass ihre Kinder anständige Arbeitsverhältnisse bekommen . Sie haben den Eindruck erweckt, dass Sie Fehler korrigieren wollen und dass es tatsächlich in eine andere, soziale Richtung geht . Sie haben dafür große Vorschusslorbeeren erhalten . Ich bin übrigens nicht einmal traurig darüber; im Gegenteil . Ihre Umfragewerte, die Sie zurzeit haben, sind nicht nur dem Gesicht von Martin Schulz geschuldet, sondern auch den Positionen, mit denen er unterwegs ist . Mir fällt dazu allerdings auch Ihr Parteivorsitzender Müntefering ein, ({15}) der einmal gesagt hat, er fände es unfair, dass er nach der Wahl an das erinnert werde, was er vor der Wahl gesagt habe . ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern möchte ich Ihnen sagen: Wenn Sie die vielen Erwartungen, die Sie geweckt haben, wieder enttäuschen, dann prophezeie ich der SPD dieselbe Situation wie den Sozialdemokraten in den Niederlanden . ({17}) Nach 1998 habt ihr das einigermaßen hingekriegt . Noch einmal überwindet ihr das nicht . Ich sage euch einmal, was die Voraussetzung dafür ist, dass das, was ihr vorhabt, einigermaßen gelingt: ({18}) Die Voraussetzung, dass es gelingt, ist eine starke Linke; denn die muss aufpassen, was ihr macht, die muss euch auf die Finger gucken . ({19}) Die Linke muss dafür sorgen, dass das, was ihr vor der Wahl gesagt habt, auch nach der Wahl gilt; das ist der Punkt . ({20}) Wenn es wieder so käme, wie es leider schon vorgekommen ist, dass man nämlich vor der Wahl links blinkt und nach der Wahl rechts abbiegt und einen Crash im eigenen Laden verursacht, dann wäre das eine Katastrophe . Deshalb sage ich: Lassen Sie uns die Chancen nutzen, aber dann auch ehrlich, und nicht irgendwelche Schaumschlägereien machen, sondern eine vernünftige Politik . Sie haben heute die Gelegenheit, sich zu unserem Antrag vernünftig zu äußern . ({21}) Ich bin wirklich gespannt, ob es das Gegenteil von dem ist, was Martin Schulz gesagt hat, oder wieder das, was ich zwölf Jahre lang hier gehört habe . Danke für die Aufmerksamkeit . ({22})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Matthias Zimmer hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit einem gewissen Vergnügen hört man ja den Streit zwischen den Linken und der SPD . Ich bin einmal gespannt, was die Kolleginnen und Kollegen der SPD zu den Anwürfen der Linken sagen . Ich will mit einer kleinen Geschichte anfangen, die ich neulich erlebt habe: Ich habe vor einigen Wochen eine Talkshow über Fragen der sozialen Gerechtigkeit gesehen, wie sie dieser Tage so häufig im Fernsehen laufen. Sachgrundlose Befristungen sind natürlich ein Thema, an dem soziale Gerechtigkeit diskutiert werden kann . Die Ministerpräsidentin eines großen Flächenlandes argumentierte offensiv, man müsse die sachgrundlosen Befristungen abschaffen. Ein Unionskollege hat eher süffisant erwidert, er habe gerade heute eine Zeitungsanzeige gesehen, in der für ein Ministerium dieses Bundeslandes 50 Mitarbeiter gesucht werden - sachgrundlos befristet zunächst auf ein Jahr . Ich gestehe, ich habe die Debatte nicht mehr weiterverfolgt und kann nicht sagen, ob sich die Ministerpräsidentin aus den argumentativen Untiefen ihrer eigenen Position hat befreien können . Ich erwähne diese kleine Episode nur deshalb, weil sie trefflich zeigt, dass sich zwar die Ideen leicht und elegant tänzelnd im Raum bewegen, sich in der Realität aber mitunter hart die Tatsachen stoßen . ({0}) - Dass man für ein abgeändertes Zitat von Hegel von der CDU/CSU-Fraktion einmal Beifall bekommt, finde ich besonders erfreulich . ({1}) Das ist nicht auf diese Landesregierung beschränkt . Einer Anfrage, die im Februar veröffentlicht wurde, entnehme ich, dass auch die Bundesregierung das Instrument sachgrundloser Befristung in einem beträchtlichen Maß nutzt . Nehmen wir etwa das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Hier ist der Anstieg der Beschäftigten ohne Dauerstelle besonders dramatisch . Freilich, das hat nicht unwesentlich damit zu tun, dass hier auch im Rahmen des Zuzugs von Flüchtlingen und ihrer Integration schnell reagiert werden musste und es keine Planstellen gab . Dann ist es auch für die öffentliche Hand sinnvoll, zu befristen, entweder bis die Aufgabe erledigt ist oder die Befristungen in reguläre Planstellen überführt werden können . ({2}) Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube: Wenn man die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung fordert, sollte der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel vorangehen . Aus der Wurstküche heraus das Hohelied vegetarischer Lebensweise zu singen, passt nicht zusammen . ({3}) Ich will deshalb die Frage, die wir heute diskutieren, von einer anderen Seite angehen . Gibt es Gründe, warum eine sachgrundlose Befristung gebraucht wird? Schauen wir einige Jahre zurück . Im Jahre 2005 hat es eine Antwort einer Bundesregierung gegeben, die wie folgt ausgefallen war: Die sachgrundlose Befristung sei „vor allem eine beschäftigungspolitisch sinnvolle Alternative zur Überstundenarbeit . Zugleich bekommen Arbeitsuchende, insbesondere auch solche, die längere Zeit arKlaus Ernst beitslos waren, die Gelegenheit, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen, ({4}) ihre Eignung und Leistungsfähigkeit zu beweisen und damit ihre Chancen auf eine unbefristete Weiterbeschäftigung zu verbessern .“ So weit die Bundesregierung damals . Zwei Punkte also: erstens Flexibilisierung, die nicht durch Überstunden geleistet werden soll, ({5}) und zweitens Einstieg in den Arbeitsmarkt und in die unbefristete Beschäftigung . Trifft das heute noch zu? ({6}) - Warte es einmal ab . - Ich meine, das erste Argument, die Flexibilisierung, trifft nur begrenzt zu . Auftragsspitzen können auch über Zeitarbeit oder Befristungen mit Sachgrund aufgefangen werden . Die sachgrundlose Befristung erscheint mir häufig das bevorzugte Instrument zu sein, weil es recht leicht zu handhaben ist . Bisweilen will man das Risiko vermeiden, über eine Befristung mit Sachgrund in einen Rechtsstreit zu geraten und von einem Gericht zur Entfristung gezwungen zu werden . Deswegen würde ich über zwei Dinge nachdenken: die rechtlichen Rahmen präziser fassen, damit Arbeitgeber nicht deswegen auf sachgrundlose Befristungen zurückgreifen, weil sie juristische Auseinandersetzungen befürchten, wenn sie mit Sachgrund befristen . Ich würde auch einmal darüber nachdenken, den Zeitrahmen der sachgrundlosen Befristung an den der Zeitarbeit anzupassen . Das sollte allemal reichen, um Auftragsspitzen abzuarbeiten . Vielleicht könnten auch Flexibilitätszulagen für Arbeitnehmer helfen, den Preis solcher Befristungen nicht auf die Arbeitnehmer alleine zu wälzen, eine, wie ich finde, reizvolle Aufgabe für Tarifpartner. Das zweite Argument ist gewichtiger . Einstieg in den Arbeitsmarkt . Es hat in der Krisensituation 2004 und 2005 eine gewichtige Rolle gespielt . Viele Firmen waren sich unsicher: investieren oder expandieren oder lieber die Krise aussitzen? In dieser Zeit waren sachgrundlose Befristungen ein gutes Mittel, Menschen zunächst einmal in Arbeit zu bringen . Ein gewisser Klebeeffekt war jedenfalls zu verzeichnen, weil ein nicht geringer Anteil dann in reguläre Beschäftigung überführt wurde . Ich will das nicht als gering erachten; denn für diese Menschen war doch die Frage entscheidend: Will ich unbefristet arbeitslos sein oder befristet in Arbeit kommen, mit der Aussicht auf eine Festanstellung? Für die schwierige Arbeitsmarktsituation dieser Jahre war das zweifellos ein gutes Instrument . Heute ist die Situation anders: Der Arbeitsmarkt boomt . Man hört schon Klagen von Arbeitgebern, dass sich viele Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr auf eine sachgrundlose Befristung einlassen . Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist hoch . Die Qualität der Arbeitsplätze spielt zunehmend eine Rolle . Zu dieser Qualität gehört eben auch: Befristungen machen nicht glücklich . Viel zu häufig sind sie lediglich als verlängerte Probezeiten missbraucht worden, als bequemer Verschiebebahnhof . ({7}) Aber ich denke, die Zeit wird über die sachgrundlosen Befristungen hinausgehen . Zum einen sind sie an einem Arbeitsmarkt, an dem die Nachfrage höher ist als das Angebot, ein seltsam untaugliches Mittel, um als Arbeitgeber qualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren. ({8}) Zum anderen glaube ich, dass wir mit all dem, was wir unter dem Titel „Arbeit 4 .0“ diskutieren, neue Formen von betrieblichen Zuordnungen etablieren, die vielleicht auch das Thema der sachgrundlosen Befristung obsolet werden lassen . Ob wir uns am Ende in der neuen Arbeitswelt 4 .0 besserstellen, wenn der Mensch nur noch eine Relaisstation im immerwährenden Datenstrom ist - eine Verlängerung der Technik in die sozialen Beziehungen hinein, die vielleicht in einer drohenden Auflösung des traditionellen Betriebsbegriffs selbst einem fundamentalen Wandel unterworfen sind -, ob dies uns alles wirklich glücklich macht? Ich bezweifle es. Ich wäre froh, wenn die sachgrundlose Befristung möglichst schnell in die Asservatenkammer der Geschichte verschwindet, ({9}) als bestauntes Relikt einer vergangenen Zeit, als die Lage verzweifelt genug war, dass man auf ein solches Instrument hat zurückgreifen müssen . Deswegen neige ich dazu, die sachgrundlosen Befristungen nicht zu verbieten, sondern überflüssig zu machen - so überflüssig wie Tipp-Ex zur Korrektur von Texten an einem Computer . ({10}) Dazu brauchen wir zwei Dinge: erstens einen öffentlichen Dienst, der sich so organisiert, dass er eine Vorreiterrolle übernehmen kann - erst dann fordern wir als Politik nicht vollmundig etwas, was wir in unserem eigenen Gestaltungsbereich nicht liefern können -, zweitens weiterhin wirtschaftlichen Erfolg, Wachstum, einen Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Das, meine Damen und Herren, ist allerdings nur mit der Union zu haben . Herzlichen Dank . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie ist die Situation ja momentan schon etwas schräg: Da läuft einer durch die Gegend und verspricht die ganze Zeit, dass die SPD die sachgrundlose Befristung abschaffen wird . Gleichzeitig haben wir hier im Bundestag dafür eine Mehrheit, aber die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die entsprechenden Anträge immer ab . ({0}) - Hört einfach mal zu . - Aber natürlich ist klar, dass Sie von der SPD diese Koalition deswegen nicht platzen lassen . Heute Morgen haben Sie ja sogar diese unsägliche CSU-Pkw-Maut durchlaufen lassen . Entscheidend ist aber, dass Sie nach der Wahl dann auch wirklich Wort halten . ({1}) Wir jedenfalls bleiben dran; das kann ich versichern . ({2}) Damit bin ich bei Ihnen, liebe Unionsfraktion . Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum Sie weiterhin die sachgrundlose Befristung verteidigen . Wenn jetzt hier nicht gerade jemand von der CDA spricht, sondern jemand ganz Normales von der CDU/CSU, dann wird vor allem damit argumentiert, dass die Betriebe nur mit dieser Form der Befristung flexibel bleiben. Dann wird immer wieder auf die vielen unbefristeten Arbeitsverträge verwiesen . Damit wird schlichtweg das Thema kleingeredet . Es wird über statistische Daten geredet . Aber Sie sprechen nicht über die Menschen, deren Beschäftigung einfach ohne Grund befristet wird, und darüber, was das mit den Menschen macht und was das für die Menschen bedeutet . Aber genau um die Situation dieser Menschen geht es, und das sollten Sie endlich ernst nehmen . ({3}) Befristungen machen durchaus Sinn, beispielsweise wenn es um ein Projekt auf Zeit geht - bei uns in den Büros zum Beispiel, weil wir nur für eine gewisse Zeit gewählt wurden -, um Auftragsspitzen, um Elternzeit, um eine längere Krankheit oder um Urlaub . Wer gute Gründe hat, der kann befristen, und daran will niemand etwas verändern . Sachgrundlos, also einfach willkürlich zu befristen, das ist nicht notwendig, und das ist vor allem nicht fair . ({4}) Sachgrundlose Befristungen sind deshalb nicht fair, weil sie die Menschen und vor allem auch ihre Familien belasten . Wer befristet angestellt ist, kann nicht für die Zukunft planen, er hat teilweise auch handfeste Nachteile . Dabei geht es beispielsweise um für uns ganz banale Dinge wie einen Kredit für ein Auto oder um einen Mietvertrag; denn ein befristeter Arbeitsvertrag bietet nicht ausreichend Sicherheit . Wer befristet angestellt ist, hat ein höheres Armutsrisiko, wird häufiger arbeitslos, macht sich mehr Sorgen über die Zukunft und hat auch häufiger Angst vor Krankheit und Armut im Alter . Das alles ist belastend . Lebensqualität sieht wirklich anders aus . ({5}) Befristet Beschäftigte wollen auch nicht auffallen . Sie engagieren sich seltener im Betriebsrat . Sie verhalten sich ruhig und pochen eher nicht auf ihre Rechte . Niemand will leichtfertig seine Chancen verspielen . Die befristet Beschäftigten wollen unbedingt übernommen werden . Das wissen im Übrigen auch die Arbeitgeber . Von daher wundert es nicht, dass befristet Beschäftigte weniger verdienen . Sie machen mehr Überstunden und nehmen weniger Urlaub, und es gibt weder Aufstiegsnoch Weiterbildungsmöglichkeiten . Das alles zusammen ist für uns nicht akzeptabel . ({6}) Von der sachgrundlosen Befristung sind vor allem ich sage es immer wieder - junge Menschen betroffen . Gerade sie brauchen ihren Platz in unserer älter werdenden Gesellschaft, und doch sind Lebens- und Familienplanung etwas, worüber viele Jüngere nur noch müde lächeln können; denn sie wechseln häufig von Stelle zu Stelle und manche sogar von Ort zu Ort . Das ist wirklich nicht ermutigend . Das dürfen Sie, die Union, nicht länger ignorieren . ({7}) Sehr geehrte Unionsfraktion, die sachgrundlose Befristung ist eine einfache und vorteilhafte Sache für die Arbeitgeber, für die Beschäftigten hat sie einen hohen Preis . Wir Grünen wollen eine gerechte Balance zwischen den Interessen der Arbeitgeber und den Bedürfnissen der Beschäftigten, aber genau diese Balance ist für Sie, die Union - und ich meine nicht die CDA -, kein Thema . Für uns Grüne ist Flexibilität keine Einbahnstraße . Notwendig sind Verantwortungsgefühl und Empathie für die Betriebe, aber auch für die Beschäftigten . Deshalb wollen wir nicht die Befristungen, sondern die sachgrundlose Befristung abschaffen . So bleiben die Betriebe flexibel, aber die Beschäftigten bekommen mehr soziale Sicherheit . Diese Korrektur ist unbedingt notwendig für mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt . Vielen Dank . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Gabriele Hiller-Ohm hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion . ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Linken und der Grünen! ({0}) Sie haben uns heute Anträge vorgelegt, in denen Sie fordern, die sachgrundlose Befristung zu verbieten . Sie sprechen damit ein sehr wichtiges Thema an, das uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon lange auf den Nägeln brennt . ({1}) Unser neuer Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat Martin Schulz hat deshalb dazu sehr schnell und sehr deutlich Stellung bezogen . Er will diese Verträge abschaffen, und wir wollen das auch . ({2}) Liebe Frau Kollegin Müller-Gemmeke, wir werden das aber ohne Vertragsbruch machen . Wir werden die Große Koalition sauber zu Ende führen . Es sind zum Glück nur noch wenige Monate, dann haben wir andere Mehrheiten . ({3}) Ich muss sagen: Die Worte von Martin Schulz ({4}) haben bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Grünen, ganz offensichtlich starken Eindruck gemacht und Sie veranlasst, Ihre Position heute hier noch einmal deutlich zu machen . Aber wenn Sie meinen, Herr Kollege Ernst, Sie müssten uns Ratschläge mit auf den Weg geben, dann sage ich Ihnen: Die können Sie sich gerne an den Hut stecken; wir brauchen sie nicht . ({5}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Sicherheit und Verlässlichkeit für die Beschäftigten, langfristige Perspektiven statt sachgrundloser Befristung; denn nur eine sichere Arbeit macht es möglich, die eigene Zukunft zu planen . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Position . ({6}) Es stimmt nicht, Herr Kollege Ernst, dass die Befristungen unter Rot-Grün erfunden wurden . Das ist falsch . Befristungen gibt es seit 1985 . ({7}) Bundeskanzler Kohl hat das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 auf den Weg gebracht . 1996 wurde es noch einmal verschärft . Da wurden sogenannte Befristungsketten erlaubt . Das ist alles vor der Zeit von Rot-Grün passiert . Das sollten Sie eigentlich wissen, Herr Ernst . ({8}) Die Zahlen zeigen klar: Neueinstellungen erfolgen etwa zur Hälfte nur noch befristet . Jüngere und Frauen sind besonders häufig davon betroffen. Oft erfolgt die Befristung ohne jegliche sachliche Begründung . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin sollte das Recht haben, zu wissen, warum ihm oder ihr kein unbefristetes Arbeitsverhältnis angeboten wird. Ich finde, das ist das Mindeste, was geschehen muss . ({9}) Zwar ist das normale, unbefristete Arbeitsverhältnis in Deutschland zum Glück immer noch die Regel - das ist gut so, und das muss auch so bleiben -, aber wir haben eine Verantwortung gegenüber den jungen Menschen, die immer häufiger mit befristeten Verträgen abgespeist werden . Untersuchungen der Hans-Böckler-Stiftung haben klar gezeigt, dass Befristungen große Auswirkungen auf die Lebenssituation von jungen Menschen haben . Sie verdienen weniger und arbeiten dafür länger als unbefristete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer derselben Altersgruppe . Außerdem sind sie weniger oft verheiratet und haben vor allem weniger Kinder als unbefristet Angestellte . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ändern . Wir müssen den Jüngeren sichere und verlässliche Zukunftsperspektiven geben . ({10}) Geradezu zynisch wirken die Ausführungen des TUIChefs Friedrich Joussen, die er in einem Interview im Handelsblatt dargelegt hat . Er meint, dass junge Leute heute lieber in offenen Strukturen arbeiten wollen . Es würde sie überhaupt nicht stören, dass ihre Verträge zeitlich beschränkt seien. - Beschränkt finde ich eine solche Behauptung . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind durch feste und unbefristete Arbeitsverträge doch nicht für immer an einen einzigen Arbeitgeber oder eine einzige Arbeitgeberin geknebelt . Sie können einen Arbeitsvertrag, der unbefristet ist, natürlich kündigen und einen anderen unterschreiben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer wieder lese ich von dem drohenden Fachkräftemangel . Ich frage mich, wie es möglich ist, dass viele Arbeitgeber es trotz dieses Damoklesschwerts immer noch darauf anlegen, schlechte Arbeitsverhältnisse anzubieten . Befristungen sind das eine . Erschwerend kommen Arbeitsverträge hinzu, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichten, auf Abruf zu arbeiten. Sie werden dann jeweils, bestenfalls vier Tage vorher, vom Arbeitgeber benachrichtigt, wann und für wie lange sie zum Arbeitseinsatz zu erscheinen haben . Diese Art der Arbeit macht Planbarkeit für die Beschäftigten gänzlich unmöglich . Leider setzen immer mehr Unternehmen auf gerade diese ausbeuterischen und unwürdigen Beschäftigungsmöglichkeiten . Solchen Entwicklungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir einen Riegel vorschieben . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Diese würde ich noch zulassen; ansonsten ist Ihre Redezeit zu Ende .

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, dass ich die Frage noch stellen kann . Ich hätte mich jetzt, weil wir schon so häufig über die sachgrundlose Befristung geredet haben, nicht gemeldet . Aber jetzt haben Sie gerade die Arbeit auf Abruf angesprochen . Ich denke, ich weiß, aus welchem Grund Sie das heute ansprechen: weil es vorgestern eine wirklich sehr interessante Dokumentation bei ZDFzoom zu diesem Thema gab . Ich habe mitbekommen, dass Sie diesen Bericht gesehen haben . Daher muss ich schon einmal nachfragen . Sie haben hier gerade gesagt, dass Arbeit auf Abruf in dieser Form überhaupt nicht geht . In dieser Sendung wurde aber sehr deutlich, dass das Ministerium für Arbeit und Soziales Arbeit auf Abruf durchaus befürwortet und dies, wie es schriftlich ausgeführt hat, mit Blick auf die Flexibilität der Betriebe für eine wichtige Sache hält . Von daher muss ich schon einmal fragen: Wie passt das, was Sie hier sagen, mit dem, was ein SPD-geführtes Ministerium schriftlich nach außen in die Öffentlichkeit gibt, zusammen?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin, ich spreche jetzt nicht für das Ministerium; das steht mir auch nicht zu . Ich spreche hier für mich, für Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Bundestagsfraktion, ({0}) und ich sage Ihnen: Ich empfinde diese Art der Verträge als schlecht, und ich bin dafür, dass wir solche Verträge abschaffen, weil das unzumutbar ist . Das ist in der Sendung sehr deutlich geworden . Sie sind da ja auch befragt worden und haben Stellung bezogen . Ich fand das, was Sie gesagt haben, sehr richtig . Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Art der Ausbeutung abgeschafft wird, weil ich finde, das gehört nicht in eine moderne Arbeitswelt . Wir müssen Rahmen einziehen, damit Menschen auch in Zukunft vernünftige Arbeitsbedingungen haben . ({1}) Das darf nicht ausufern . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, befristete Arbeitsverträge ohne einen Grund haben nirgends etwas zu suchen . Befristungen werden wir grundsätzlich nicht abschaffen können . Es wird Elternzeit- und Krankheitsvertretungen weiterhin geben müssen; das bleibt so . Aber wir werden uns dafür einsetzen, die sachgrundlosen Befristungen abzuschaffen, und auch die Auswüchse bei befristeten Verträgen mit Sachgrund bekämpfen . Dafür sind übrigens auch zwei Drittel der Bevölkerung; das hat eine jüngst durchgeführte Umfrage im ARD-DeutschlandTrend ergeben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden es leider jetzt mit unserem Koalitionspartner nicht mehr hinbekommen, obwohl Herr Zimmer ja angedeutet hat, dass er die sachgrundlosen Befristungen ebenfalls überhaupt nicht gut findet. Er will, dass sie sich von selber erledigen . Ich bin dafür, dass wir gesetzlich tätig werden .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir werden das also mit diesem Koalitionspartner nicht schaffen . Aber, Herr Ernst und liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, vielleicht haben wir dann in der nächsten Legislaturperiode ({0}) - vielleicht auch mit Herrn Zimmer ({1}) Gelegenheit, das gemeinsam gesetzlich neu zu regeln . Danke schön . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Tobias Zech hat als nächster Redner für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem wir jetzt die Erklärung für Rot-Rot-Grün vernommen haben, will ich zum Thema zurückkommen . Ich kann für die Union sagen - das konnten Sie der Debatte schon entnehmen, und das ist auch nichts Neues -, dass für uns ein Arbeitsverhältnis wichtig ist und im Fokus steht, nämlich das unbefristete Arbeitsverhältnis - mit ihm arbeiten wir, für das stehen wir -, nicht die Befristung . Die Befristung ist immer ein Mittel zum Zweck . Da müssen wir unterscheiden, wofür wir Befristung brauchen, warum wir Befristung haben und wie sie angewandt wird . Befristung ist nie schön, egal ob sachgrundlos oder mit Sachgrund, und Befristung hat immer zwei Seiten . ({0}) Auch bei der Schwangerschaftsvertretung, also einer klassischen Befristung mit Sachgrund, hat natürlich die Person, die dann für zwei oder drei Jahre als Vertretung einspringt, keine gute Zeit, weil sie weiß, dass sie wieder gehen muss . Welche Chance ist es aber für die junge Mutter, die weiß, dass sie nach drei Jahren wieder zurück in ihren Job kann! Ich will damit sagen: Bei Befristung gibt es immer unterschiedliche Gemengelagen; ({1}) Befristung ist immer schlecht . Wenn ich mich selbst zurückerinnere, so war für mich nicht die Beförderung das Wichtigste, weder bei der Bundeswehr noch dann in der Industrie; für mich war der schönste Moment jeweils, wenn ich einen langfristigen Arbeitsvertrag bekommen habe oder in der Industrie unbefristet gestellt worden bin, weil dies natürlich Planungssicherheit gibt . Das stellt doch niemand in Abrede . Das wissen auch wir . Das ist doch klar . ({2}) Das unbefristete Arbeitsverhältnis ist also unser Ziel . Es stellt sich immer die Frage: Wer hat es erfunden? Frau Kollegin Hiller-Ohm, um es einzuordnen - ich habe nachgelesen -: Die erste Erwähnung der sachgrundlosen Befristung gab es 221 nach Christus . Ein römischer Lohnschreiber gewann vor Gericht; sein Arbeitgeber war verstorben, und seine Erben durften ihn nicht entlassen . - Das Heilige Römische Reich ist untergegangen, sachgrundlose Befristung beschäftigt uns noch immer . Ich glaube, die Themen Befristung und Flexibilität am Arbeitsmarkt werden uns auch weiterhin beschäftigen . Wahr ist allerdings auch: Das Gesetz, über das wir debattieren und zu dem die Linken und die Grünen Anträge eingereicht haben, ist nicht 221 nach Christus erfunden worden, das hat auch nicht Arbeitsminister Blüm 1984 auf den Weg gebracht, nein, das hat Rot-Grün 2001 auf den Weg gebracht . ({3}) Das ist die Wahrheit . Ihr habt die sachgrundlose Befristung eingeführt . ({4}) Immer kurz vor den Wahlen wollt ihr sie wieder abschaffen . Nach den Wahlen wird das wieder vergessen . ({5}) Lieber Kollege Ernst, zu dem Optimismus, den du gerade ausgedrückt hast, kann ich dir nicht raten; denn die erzählen das vor der Wahl, und nach der Wahl wird es wieder vergessen . ({6}) - Dürfen . ({7}) Ich bin ein großer Anhänger der Tariflandschaft in Deutschland . Seit ich an diesem Pult stehen darf, habe ich immer gesagt: Wir sind durch die Krisen dieses Landes gekommen nicht trotz, sondern wegen der Sozialpartnerschaft, die wir zwischen Gewerkschaften, also Arbeitnehmern, und Arbeitgebern haben . Dort haben wir die Fachleute, die die betriebliche Seite kennen . Hier sind genügend Kollegen, die sich dort schon engagiert haben . Schauen wir uns einmal an, wie die Fachleute in den Betrieben, in den Gewerkschaften mit dem Thema Befristung umgehen . - Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, dass ich aus dem gültigen Manteltarifvertrag der IG BCE kurz zitiere: Befristete oder zweckbestimmte Arbeitsverhältnisse sind im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zulässig, wobei auf der Grundlage von § 14 Absatz 2 Satz 3 TzBfG die zulässige Dauer von ohne Sachgrund befristeten Arbeitsverhältnissen auf bis zu 48 Monaten ausgedehnt wird . ({8}) Das heißt, bei der tariflichen Mitbestimmung ist man wesentlich weiter, als wir es gesetzlich machen . Die Kollegen vor Ort in den Betrieben, in den Betriebsräten, in den Gewerkschaften, die in den Wirtschaftsausschüssen mit den Arbeitgebern sitzen, die Ahnung davon haben, wie ihre Branche, wie ihr Betrieb funktioniert, gehen sogar noch darüber hinaus . Ich glaube an unsere gute Tariflandschaft. Vielleicht sollten wir immer wieder schauen, was dort gemacht wird . Die Gewerkschaften und die Betriebsräte vor Ort haben sich, während hier in Berlin diese Pressemitteilungen verteilt werden, ganz klar für die sachgrundlose Befristung entschieden . Auch das ist Teil der Wahrheit . ({9}) Ein zweiter Teil der Wahrheit . Wir haben durchaus hervorragende Spezialisten für die bayerische Metall- und Elektroindustrie hier im Raum . Ich darf dieses Beispiel einmal herausgreifen: In der bayerischen M+E-Industrie gibt es 95 Prozent unbefristete Arbeitsverhältnisse . Das ist die Regel . Das ist auch das Ergebnis einer guten Tarifpartnerschaft vor Ort . Die Übernahmequote - jetzt komme ich zu der Frage, wofür wir sachgrundlose Befristung brauchen - liegt nach alter Berechnung bei 58 Prozent . Nach neuer Art der Berechnung gehen 40 Prozent aus der Befristung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis . Befristung ist also nicht die Regel, sondern ein atmender Deckel, eine Möglichkeit, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen . ({10}) Jetzt stellt sich die Frage: Wer befristet? Befristen müssen natürlich nicht die Kleinen . Warum? Wenn ich weniger als zehn Mitarbeiter habe, gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht . Dann brauche ich diese ganze Befristerei nicht . Auch das ist klar . Befristen müssen in dem Bereich, um den wir uns kümmern, auch nicht die Großen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, klar .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ernst .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Kollege Zech, dass Sie die Frage zulassen . - Das war jetzt ein sehr wichtiger Satz . Sie haben gesagt: Für die kleinen Betriebe gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht .

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist richtig . Die brauchen „diese ganze Befristerei nicht“ . - Das war jetzt ein wörtliches Zitat . - Ist es dann nicht so, dass der eigentliche Sinn der Befristung darin besteht, dass man das Kündigungsschutzgesetz umgeht? Denn bei den anderen wirkt es . Eine befristete Beschäftigung bedeutet, dass der betreffende Mensch genau denselben Job macht wie jemand, der unbefristet beschäftigt ist, dass er aber, wenn er den Betrieb verlassen muss, nicht den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes für sich in Anspruch nehmen kann und dass vor allen Dingen auch der Betriebsrat bei dieser Kündigung nicht angehört werden muss, weil es ja faktisch gar keine Kündigung ist . Insofern - da ist Ihr Satz wirklich richtig - hat eine sachgrundlose Befristung zwei Seiten . Der erste Aspekt ist: Eigentlich wird die Probezeit auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt . Probezeiten hatten wir schon immer . Man muss schließlich sehen, ob jemand das, wofür er eingestellt wurde, kann . Man wartet also erst einmal vier Wochen ab; bei Angestellten beträgt die Probezeit übrigens drei Monate . Der zweite Punkt ist, dass man nicht nur die Probezeit verlängert, sondern dass der Arbeitgeber schlichtweg sagt: Ich möchte kündigen dürfen, wann ich will; deshalb befriste ich und umgehe damit den Kündigungsschutz . Das ist der eigentliche Hintergrund . Aber das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Im Sinne des Erfinders wäre eine sachliche Begründung . Ein Beispiel ist der Fall der schwangeren Frau, den Sie erwähnten . Das ist ein sachlicher Grund für eine Befristung . Aber hier geht es um die sachgrundlose Befristung . Die sachgrundlose Befristung ist einfach nur eine Umgehung der Rechte . ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben zwei Punkte angesprochen . Ihre erste Frage bezüglich der sachgrundlosen Befristung beantworte ich zuerst . Die entsprechenden Fälle gibt es; auch ich kenne sie . Wir alle, wie wir hier sitzen, sollten uns da an die eigene Nase fassen, weil ihr, ihr, ihr und wir in Landesregierungen und Ministerien Verantwortung tragen . Vor allem der öffentliche Dienst ist da ein ganz schlechtes Beispiel . Wir geben sozusagen das schlechteste Beispiel ab . ({0}) Wer die sachgrundlose Befristung bei Planstellen nutzt, um die Probezeit zu verlängern, hat die Intention des Gesetzes nicht verstanden . Ein solches Vorgehen ist klar abzulehnen . Zum zweiten Punkt, nämlich zu der Frage: Ist die Zielsetzung von Befristungen die Umgehung des Kündigungsschutzes? Nein! Aber richtig ist: In Unternehmen, die nicht dem Kündigungsschutz unterliegen, gibt es einen wesentlich geringeren Anteil an sachgrundlosen Befristungen; das wollte ich damit sagen . Wir sprechen hier über die Sandwichposition, über die mittleren Unternehmen. In den großen Unternehmen gibt es tarifliche Mitbestimmung; ich habe gerade einen Manteltarifvertrag zitiert . Hier kümmern sich der Betriebsrat und die Tarifvertragsparteien um dieses Thema . In kleinen Unternehmen kann man die notwendige Flexibilität durch die Durchführung einfacher, individueller Arbeitsmaßnahmen gewährleisten . Ich glaube, dieses Gesetz hat vor allem mittlere Unternehmen im Blick, die nicht tariflich mitbestimmt sind und die dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen . Auch diese Unternehmen brauchen Flexibilität am ArbeitsTobias Zech markt, etwa um die Entwicklung eines neuen Produkts voranzutreiben oder einen neuen Auftrag anzunehmen . Sie verfügen nämlich nicht über die notwendige Planungssicherheit; sie wissen nicht, ob sie in drei, vier Jahren immer noch genügend Umsätze haben, um die Mitarbeiter zu halten . Deswegen gilt für mich: Nein, Kollege Ernst, das ist keine Umgehung des Kündigungsschutzes, sondern ein Ja zur Flexibilität . ({1}) Bei diesem Ja zur Flexibilität mache ich weiter . Die mittleren Unternehmen, über die wir sprechen, sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft . Dazu gehören das Handwerk, der Handel und die Familienunternehmer . Sie befristen nicht aus Jux und Tollerei, sondern deshalb, weil sie die konjunkturelle Lage nicht planen können . Ich kann allen Kollegen, die sich momentan bemüßigt fühlen, unser Land in Armuts- und Konjunkturdebatten schlechtzureden, sagen: Das wird in der Wirtschaft zur Kenntnis genommen . In der Wirtschaft hört man auch, wer hier Überregulierung oder neue Steuererhöhungen plant . Das führt nicht zwingend zu mehr Planungssicherheit, sondern es führt dazu, dass man sich als Unternehmer überlegt: Stelle ich, wie geplant, zwei oder drei weitere Mitarbeiter ein und versuche, ein neues Produkt zu entwickeln, oder tue ich das nicht? ({2}) Der Staat ist als Arbeitgeber massiv übervorteilt Kollege Zimmer hat die entsprechenden Punkte schon angesprochen; das gilt übrigens vor allem für die Wissenschaftsarbeiter -, weil er durch das Budget, das das Parlament ja als sein Kernrecht bezeichnet, die Befristungen für Staatsbetriebe quasi vorgibt, indem er Mittel für Projekte auf drei, vier oder fünf Jahre befristet . So etwas gibt es in der Wirtschaft nicht, weil ein Grund wie die konjunkturelle Lage, eine Auftragsflaute oder die Planbarkeit einer Rückstellung vor Gericht nicht als Sachgrund gilt was den Staat betrifft, aber schon . Deswegen sage ich: Wir müssen an die sachgrundlose Befristung heran . Wir müssen auch an die Befristung heran . Fangen wir bitte alle damit an! Wir alle sind aufgerufen, in den Ministerien und Regierungen, in denen wir Verantwortung tragen, dafür zu werben . Der öffentliche Dienst muss hier mit gutem Beispiel vorangehen . Das tut er momentan nicht . Lassen Sie mich zum Schluss kommen . Befristung ist keine Zieldefinition. Keiner hier im Raum möchte Befristungen . Es ist für einen Arbeitnehmer immer das Beste, wenn er ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat . Die Frage ist: Wie erreichen wir dieses Ziel? Wir glauben, sozial ist, was Arbeit schafft . Um in Deutschland mehr Arbeitsplätze zu generieren, braucht man Flexibilität . Auf dem Weg dorthin ist die sachgrundlose Befristung ein notwendiges, hilfreiches Konstrukt . Wir sollten an ihr festhalten, sie aber immer wieder überwachen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Bernd Rützel für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Tobias, du hast Beifall bekommen, als du gesagt hast, wer das Gesetz eingeführt hat . Ich erinnere mich ganz genau, wer dieses Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt hat, weil ich damals, 1985, dagegen demonstriert habe . Es war der Bundeskanzler Kohl, der als ersten Schritt in die Deregulierung des Arbeitsmarktes dieses Gesetz auf den Weg gebracht und 1985 die sachgrundlose Befristung eingeführt hat, die bis heute gilt . ({0}) Manche derjenigen, die vorhin geklatscht haben, waren im Jahr 1985 übrigens noch gar nicht geboren . ({1}) Matthias Zimmer sagt, eine sachgrundlose Befristung sei überflüssig. Damit hat er recht. Sie ist aber nicht nur überflüssig, sondern sie ist noch mehr: Sie ist schädlich und gefährlich . Ich komme später noch einmal darauf zurück . Liebe Beate Müller-Gemmeke, du hast das auch schön ausgeführt . Ich will die Zeit aber auch nutzen, noch einmal den Instrumentenkasten und den Werkzeugkasten zu erläutern und zu sagen, was alles zu Befristungen mit Sachgrund führen kann . Es gibt hier viele Möglichkeiten, zum Beispiel die Befristungen für einen vorübergehenden Bedarf: in der Erntezeit, in der Weihnachtszeit, wenn eine neue Maschine oder ein neuer Prozess eingeführt wird . Das gilt zum Beispiel auch, wenn - lieber Klaus Ernst, das hast du einmal ausgeführt - eine Ausbildung endet, um nach der Ausbildung in einen ersten befristeten Vertrag zu kommen und somit den Übergang zu sichern . Vertretungen für Mutterschutz, für Elternzeit, für längere Erkrankungen, für Abordnungen, wenn jemand im Ausland, beurlaubt oder freigestellt ist: Für all diese Umstände kann man befristen . Weiterhin kann man befristen, wenn die Eigenart des Berufs bzw . der Arbeitsleistung dies erfordert, zum Beispiel im redaktionellen und im künstlerischen Bereich, bei Regisseuren, bei Moderatorinnen, bei Schauspielern, bei Kommentatorinnen, bei Sängern und Sängerinnen, und auch im Profisport wird befristet.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Rützel, der Kollege Zimmer würde gerne eine Zwischenfrage stellen . Lassen Sie sie zu?

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jawohl .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Gut .

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz herzlichen Dank dafür . - Lieber Herr Kollege, ich habe nur eine Frage: Können wir uns darauf einigen vor dem Hintergrund, dass wir von dem postfaktischen Zeitalter reden, in dem wir ja alle nicht sein wollen -, hier und heute zwei Dinge festzuhalten, nämlich, dass die Regierung Helmut Kohl damals eine Befristung mit Sachgrund und nicht eine sachgrundlose Befristung eingeführt hat und dass Saisonarbeitskräfte seit der Änderung der statistischen Erfassung Anfang des Jahrtausends nicht mehr als Arbeitskräfte gezählt werden, die unter die sachgrundlose Befristung fallen?

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Zimmer, das ändert nichts an der Tatsache, dass mit diesem Beschäftigungsförderungsgesetz ein erster Schritt in diesem Bereich gemacht worden ist, um zu befristen, was eben zu Unsicherheiten im Beschäftigungsverhältnis, auch hinsichtlich des Kündigungsschutzes, geführt hat . ({0}) So wie ich dich, lieber Matthias, wahrgenommen habe, denke ich, dass wir auf einer Seite sind und ihr bei euch nur noch Überzeugungsarbeit leisten müsst . ({1}) Denn in letzter Konsequenz konnten wir in unseren Koalitionsvertrag leider nicht hineinarbeiten, dass wir diese sachgrundlose Befristung abschaffen . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Lieber Kollege, die Kollegin Krellmann möchte auch noch eine Zwischenfrage stellen .

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ach je . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sie entscheiden .

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne! ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich weise jetzt trotzdem darauf hin, dass wir heute noch drei Debatten vor uns haben . Ich bitte, jetzt auch ein bisschen an die Kolleginnen und Kollegen zu denken, die in den darauffolgenden Debatten noch sprechen werden . Es wäre schön, wenn Sie das auch etwas im Blick haben; denn es wäre nicht gut, wenn hier in eineinhalb Stunden nur noch fünf oder sechs Kollegen säßen . ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin . Bei Ihrem Gesichtsausdruck habe ich schon ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich eine Frage stelle . ({0}) Ich kann das, was Herr Zimmer gesagt hat, nur bestätigen . Ich sehe das ganz genauso . Damals wurde das Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt . Herr Blüm als Arbeitsminister hat sich dafür gefeiert, dass es ab dem genannten Zeitpunkt die Möglichkeit gegeben hat, mit Sachgrund befristete Verträge abzuschließen . Die sachgrundlose Befristung hingegen ist im Rahmen der Agenda 2010 durch Rot-Grün eingeführt worden, nichts anderes . Jetzt zu meiner konkreten Frage . Haben Sie registriert - Sie haben ja das Thema Ausbildung angesprochen -, dass Gewerkschaften gerade für die Abschaffung von Befristungen ohne Sachgrund bei der Übernahme nach Beendigung der Ausbildung kämpfen? Das haben viele Gewerkschaften auch schon erreicht. Das finde ich ganz toll für die jungen Menschen, die eine betriebliche Ausbildung machen . Das ist das Ziel mit Blick auf die Auszubildenden im Betrieb, nichts anderes . Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und fertig! ({1})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann auf die Frage ganz leicht und schnell antworten, denn es gilt: Wer nachliest, hat mehr davon . „Geschichte befristeter Beschäftigungsverhältnisse“ - wir sind ja jetzt in der Geschichtsstunde -: Die erste Etappe der Deregulierung begann 1985 mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit dem zum ersten Mal Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund befristet werden konnten . ({0}) Jetzt kann sich jeder ein Urteil bilden . ({1}) - Das stammt von der Bundeszentrale für politische Bildung; das Internet speichert alles . Ich drucke mir das jeden Tag dreimal aus . ({2}) Die Eigenart der Arbeitsleistung habe ich aufgezeigt . Auch die Erprobung ist in diesem Zusammenhang zu nennen . Wenn ich jemanden einstellen muss, aber nicht weiß, ob er zu uns passt, dann gilt auch hier, dass der Vertrag zur Erprobung, zum Beispiel für drei Monate, mit Sachgrund befristet werden kann . Ich kann einen Vertrag auch befristen, wenn die Gründe in der Person des Arbeitnehmers liegen, zum Beispiel bei einer Tätigkeit von Studierenden in den Semesterferien, bei einer vorübergehenden Beschäftigung bis hin zur Altersrente oder im Falle einer befristeten Aufenthaltserlaubnis . Gott sei Dank ist es angesprochen worden: Ja, im öffentlichen Dienst - darüber haben wir debattiert - werden oftmals Verträge mit Befristungen abgeschlossen . Aber es gibt ein Sonderbefristungsrecht des öffentlichen Dienstes . Der öffentliche Dienst könnte mit Sachgrund ordentlich befristen, wenn es die Haushaltsmittel rechtfertigen . Ich will zusammenfassend sagen, dass diese sachgrundlosen Befristungen - jeder zweite befristete Vertrag enthält eine sachgrundlose Befristung - die Menschen krank und frustriert machen, dass sie Lebenschancen und Perspektiven verbauen, dass es zu weniger Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kommt und dass dadurch der Kündigungsschutz durch die Hintertür ausgehöhlt wird . Deswegen sprechen mir diese beiden Anträge von den Grünen und von den Linken aus dem Herzen . Sie haben mit Ihren Anträgen natürlich recht . Der Vorsitzende der SPD und unser Kanzlerkandidat Martin Schulz ({3}) hat diese Probleme aufgegriffen und das Thema deutlich angesprochen . Und das wird auch umgesetzt werden . Das sind wirklich Herzensanliegen . Über die zu sprechen werden wir sicherlich im Wahlkampf die eine oder andere Möglichkeit haben . Ich will die letzten paar Sekunden meiner Redezeit dafür nutzen, um deutlich zu machen, was eine Koalition ist . Eine Koalition bedeutet: Man setzt sich zusammen und lotet Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus . Man ist sich aber auch treu und vertraut einander und stimmt auch Vorschlägen des Partners zu . Das gilt nicht für diesen Tagesordnungspunkt . Ich denke an das Thema Pkw-Maut, das wir heute Morgen behandelt haben und bei dem wir vertragstreu gewesen sind, ({4}) was ich aber auch umgekehrt erwarte . Auch die Wählerinnen und Wähler fordern das zu Recht . ({5}) Sie sagen: Macht eine gute Politik, und schmeißt nicht alles hin . - Das sage ich an die Adresse des Koalitionspartners, falls es einmal zu einer anderen Politik in diesem Lande kommen sollte . Wer weiß: Vielleicht gibt es nach der Bundestagswahl Konstellationen, die es möglich machen, diese sachgrundlose Befristung endlich abzuschaffen . Vielen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zu den Überweisungen . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 18/11598 und 18/11608 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall, dann sind die Überweisungen so beschlossen . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen 2016 Drucksache 18/10940 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin in dieser Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller das Wort . ({1})

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jetzt geht es um diesen dicken Bericht . Es ist der zweite Bericht der Bundesregierung darüber, wie Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland leben, also Menschen, die schon lange krank sind, nicht sehen oder hören können, oder denen es seelisch nicht gut geht . Aber es gehören auch Menschen dazu, die schwierige Texte nicht so schnell verstehen oder nicht gut lesen können . Und weil es heute auch um all diese Menschen geht, versuche ich jetzt, den Teilhabebericht möglichst einfach zu erklären, damit es auch viele verstehen können . Dieser dicke Bericht hat mehr als 500 Seiten und ist sehr genau . Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben daran lange gearbeitet . Der Bericht beschreibt, wie es den 12 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen in unserem Land geht . Ja, so viele Menschen sind es . Wenn wir alle, die in Deutschland leben, zählen würden, wäre jede oder jeder Sechste Teil dieses Berichts . Das wichtigste Ergebnis will ich zuerst nennen: Menschen mit Beeinträchtigungen sind und leben so unterschiedlich wie Menschen ohne Beeinträchtigungen . Unser gemeinsames Ziel ist es ja, dass Menschen mit Beeinträchtigungen genauso leben und arbeiten können wie Menschen ohne Beeinträchtigungen . Der Bericht beschreibt, dass wir schon besser geworden sind, aber unser Ziel noch nicht erreicht haben . Ganz genau beschreibt er die Jahre von 2005 bis 2014 . Und was steht in dem Bericht? In seinem ersten Teil gibt es ganz viele Zahlen und Informationen . Zum Beispiel: Wie viele Menschen in Deutschland haben eine Beeinträchtigung, und wie ist ihr Leben? Im zweiten Teil beschreibt der Bericht ganz ausführlich, wie das Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen in unserem Land aussieht . Wie ist das mit dem Familienleben, den Nachbarn und den Freunden? Wie ist das mit Schule und einer Berufsausbildung? Wie sieht es aus mit Arbeit und Bezahlung? Und wie selbstbestimmt wohnen und leben Menschen mit Beeinträchtigungen? Und es geht um Gesundheit, um Freizeit, um Kultur und Sport, um Schutz vor Gewalt und um Mitmachen in der Politik . Das nennt man Lebenslagen, und zu jedem Thema wird berichtet, was ist und was besser werden muss . Das Ergebnis steht in zwei schwierigen Sätzen gleich auf Seite 1, und die will ich eben lesen: Insgesamt zeigt sich, dass die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in vielerlei Hinsicht noch immer eingeschränkt ist . Und: Hierbei gilt häufig: Je schwerer die Beeinträchtigungen, desto geringer die Teilhabechancen . Wenn ich das übersetze, heißt das: Wir müssen noch sehr viel tun, damit Menschen mit Beeinträchtigungen mitten in unserer Gesellschaft leben können wie alle Menschen auch . Und: Wer ganz stark beeinträchtigt ist, also zum Beispiel langsam lernt oder nicht schnell versteht und im Rolli sitzt, der oder die hat es ganz besonders schwer . Und das ist nicht in Ordnung! Das wollen wir ändern . Daran arbeiten wir; ({0}) denn seitdem der Bericht geschrieben wurde, ist viel passiert . Wir haben gute Gesetze gemacht, zum Beispiel das Behindertengleichstellungsgesetz und das Bundesteilhabegesetz . Aber es dauert noch, bis alle guten Regeln im Alltag ankommen . Das gilt zum Beispiel für Informationen in leichter Sprache . Das gilt für unabhängige Beratung . Es funktionieren aber auch schon ein paar Sachen . Das ist die bessere Bezahlung für Beschäftigte in Werkstätten und das Recht, mehr zu sparen . ({1}) Das sind nur einige Beispiele für Verbesserungen, über die hier im Bundestag abgestimmt wurde . Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Bericht steht auch viel darüber, wie wir in Deutschland die Behindertenrechtskonvention umsetzen . Das ist ein Vertrag, der Menschen mit Behinderungen in sehr vielen Ländern auf der Welt helfen soll, auch bei uns in Deutschland . Diesen Vertrag wollen wir nach und nach und Stück für Stück erfüllen . Das ist eine Aufgabe für alle: für die Bundesregierung, für alle Bundesländer, aber auch für alle Städte und Dörfer . Überall werden dazu Pläne gemacht, was passieren muss . Auch die Bundesregierung hat an ihrem Plan weiter geschrieben und ist dabei, immer mehr ohne Barrieren zu machen, zum Beispiel im Internet und beim Bauen . Dazu werden wir auch in diesem Jahr im November bei den Inklusionstagen in Berlin mit vielen beraten und diskutieren . Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt noch viel zu tun, bis wir in Deutschland inklusiv sind . Das gelingt uns nur, wenn wir alle zusammenarbeiten: die Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, die, die Politik machen, die in Verwaltungen arbeiten, die Chefs von Unternehmen, die Schwerbehindertenvertretungen und die, die in Vereinen mitmachen, die Jungen und die Alten - eben alle . Ich bin sicher: Der nächste Bericht - und der kommt, weil: dazu sind wir verpflichtet - wird wieder dick, weil es so viel zu beschreiben gibt . Und ich hoffe, dass er von Verbesserungen berichten wird . Denn daran arbeiten wir gemeinsam . ({2}) Zum Schluss: Was ich gut finde, ist, dass dieser Bericht als barrierefreies Dokument im Internet auf der Seite des Ministeriums für Arbeit und Soziales stehen wird, also für Menschen, die nicht gut sehen können, trotzdem lesbar und hörbar ist. Und was ich auch gut finde, ist, dass es das Wichtigste des Berichtes auch in leichter Sprache geben wird . Vielen Dank . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Katrin Werner hat als nächste Rednerin das Wort . ({0})

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Teilhabebericht der Bundesregierung, der die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Deutschland darstellt . Als Fazit stellt der Bericht fest, dass es in manchen gesellschaftlichen Bereichen Verbesserungen und in anderen Verschlechterungen gibt . Aber bei genauerem Hinsehen entdeckt man massive Diskriminierungen und zahlreiche Barrieren . Menschen mit Behinderungen werden in vielen gesellschaftlichen Bereichen an ihrer Teilhabe gehindert . Daran muss sich dringend etwas ändern . ({0}) Es beginnt bereits in der Schule: Immer noch wird der überwiegende Teil der Schülerinnen und Schüler mit sogenanntem sonderpädagogischen Bedarf an Förderschulen unterrichtet . Sie werden damit vom Unterricht in der Regelschule ausgeschlossen . 71 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen, erreichen keinen Hauptschulabschluss . Das zeigt, wie unterschiedlich die Bildungschancen von Menschen mit und ohne Behinderungen sind, und das hat enorme Auswirkungen auf den weiteren Lebenslauf und damit auch auf die Teilhabechancen in allen Lebensbereichen . Meine Damen und Herren, die Ausgrenzung muss endlich ein Ende haben . Wir brauchen ein besser ausgestattetes Bildungssystem, in dem alle Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam miteinander lernen . ({1}) Die Ausgrenzung in der Bildung hat enorme Auswirkungen für den weiteren Lebensweg . Besonders in der Arbeitswelt sind Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer schlechteren Bildungschancen ausgeschlossen . Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderungen liegt seit Jahren stabil 5 Prozentpunkte über der allgemeinen Arbeitslosenquote . Menschen mit Behinderungen sind länger arbeitslos . Sie haben größere Sorgen um ihre wirtschaftliche Lage und bestreiten ihren Lebensunterhalt selten aus ihrem Erwerbseinkommen . Diese Ergebnisse sind sehr alarmierend . Es muss endlich um einen inklusiven ersten Arbeitsmarkt gehen . ({2}) Das ist nicht alles . Auch die Zahl der Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen steigt seit Jahren . Inzwischen sind über 300 000 Menschen in diesen Einrichtungen beschäftigt und damit vom allgemeinen Arbeitsmarkt, von tariflicher Entlohnung und auch vom Mindestlohn ausgeschlossen . Das ist problematisch, weil diese Sondereinrichtungen zumeist fernab der Öffentlichkeit existieren. Dadurch bleiben Missstände häufig unentdeckt . Genau das hat vor kurzem die Recherche vom Team Wallraff auf RTL gezeigt . Es schaut niemand hin, wenn Menschen mit Behinderung drangsaliert und schikaniert werden . Es schaut niemand hin, wenn Werkstätten ihrem Bildungsauftrag nicht nachkommen und Beschäftigte stattdessen eintönige Industrieaufträge abarbeiten müssen . Außerdem verhindern genau diese geschlossenen Systeme, dass Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln. Weniger als 1 Prozent finden den Weg aus einer Werkstatt auf diesen Arbeitsmarkt . Deshalb muss es endlich darum gehen, das System der Ausgrenzung abzuschaffen . ({3}) Da reicht es auch nicht, sich auf das Budget für Arbeit zu berufen, durch das der Arbeitgeber einen Lohnzuschuss erhält, wenn er Werkstattbeschäftigte einstellt . Damit wird zwar der Übergang aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtert . Aber selbst die Bundesregierung geht im Bundesteilhabegesetz von keinen großen Effekten aus . Lediglich 1 Prozent der Werkstattbeschäftigten soll - so ist die Annahme der Regierung - das Budget für Arbeit in Anspruch nehmen und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln; das können Sie in Ihrem Kabinettsentwurf auf Seite 216 nachlesen . Das ist angesichts der sehr hohen Anzahl an Werkstattbeschäftigten nur ein Tropfen auf den heißen Stein . Es ist dringend notwendig, den allgemeinen Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten, um die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen insgesamt zu verbessern . Unternehmen müssen stärker verpflichtet werden, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen . Dazu ist zum Beispiel eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe dringend notwendig . Es muss aufhören, dass sich Unternehmen billig freikaufen können, statt Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen . ({4}) Die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes ist längst überfällig . Das lässt sich an einem anderen und, wie ich finde, auch sehr erschreckenden Ergebnis ablesen . Das Armutsrisiko von Menschen mit Behinderungen hat sich in den letzten Jahren erhöht . 2005 waren es noch 13 Prozent . Acht Jahre später, 2013, ist es auf 20 Prozent gestiegen . Im Vergleich dazu war das Armutsrisiko von Menschen ohne Behinderungen im gleichen Jahr mit rund 13 Prozent deutlich niedriger . Auch diese Entwicklung muss dringend gestoppt werden . ({5}) Dazu ist es notwendig - ich sage das noch einmal -, die Sonderwelten abzuschaffen; denn dort werden Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ausgeschlossen . Wir brauchen an erster Stelle ein inklusives Bildungssystem, in dem alle Schülerinnen und Schüler von Anfang an gemeinsam voneinander und miteinander lernen . ({6}) Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt, der für alle Menschen gleichermaßen zugänglich ist . Wir brauchen Teilhabeleistungen sowie Leistungen der persönlichen Assistenz in allen Bereichen, die unabhängig vom Geldbeutel der Betroffenen gewährt werden und alle Menschen in die Lage versetzen, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben . ({7}) Das Risiko der älteren Menschen mit Beeinträchtigungen, in Armut abzurutschen, ist ebenfalls stark gestiegen . Dieses Problem wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen; denn unsere Gesellschaft wird immer älter . In den kommenden Jahren werden immer mehr Menschen mit Behinderungen Altersrente beziehen, und die gesetzliche Rente ist in den vergangenen Jahren weiter ausgehöhlt worden . Diese Trends müssen umgekehrt werden . Wir brauchen dringend eine solidarische Mindestrente in Höhe von 1 050 Euro . ({8}) Was hinzukommt, ist der enorme Mangel an barrierefreien Wohnungen in Deutschland . Bis 2030 werden über 2 Millionen zusätzliche barrierefreie Wohnungen gebraucht, und das nur für Menschen im Alter über 65 Jahre . Diese Probleme lösen sich nicht von selbst . Sie müssen angepackt werden . Deshalb ist es wichtig, dazu eine neue Offensive der sozialen Gerechtigkeit zu starten . Das kürzlich verabschiedete Bundesteilhabegesetz wird kaum etwas an den Problemen und der Ausgrenzung sowie der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft ändern . Ehrlich gesagt, ich halte es für einen Etikettenschwindel . Das Gesetz schafft eben keine bundesweite, einheitliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen . Sie haben weiter 16 Systeme, untergliedert in kommunale Ebenen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Werner, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin gleich am Ende, und ich möchte in Anbetracht dessen, dass wir noch einen Tagesordnungspunkt behandeln, keine Frage zulassen . ({0}) Das Bundesteilhabegesetz schafft nicht die notwendigen Änderungen . Sie gehen damit nicht die großen Probleme an . Weder das Bildungssystem noch der Arbeitsmarkt, noch das Gesundheitssystem oder der Wohnungsmarkt wird durch dieses Gesetz nennenswert inklusiver . Nach jahrelangen Diskussionen über das Bundesteilhabegesetz, jahrzehntelangen Kämpfen von Betroffenen und einem umfangreichen Beteiligungsprozess empfinde ich es, ehrlich gesagt, als eine Schande. Zum Schluss: Wissen Sie, am Sonntag ist der achte Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland . Für nächstes Jahr hätte ich eine Bitte: Lassen Sie diesen Tag im nächsten Jahr zu einem echten Grund zum Feiern werden . Hören Sie endlich auf, die Rechte von Menschen mit Behinderungen unter Kostenvorbehalte zu stellen! Schaffen Sie eine volle Teilhabe für alle Menschen! Nehmen Sie diesen Teilhabebericht ernst, lesen Sie ihn ganz genau, und bringen Sie die wichtigen Dinge voran! Danke . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Danke . - Als nächster Redner hat Uwe Schummer das Wort . ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Der zweite Teilhabebericht der Bundesregierung beschäftigt sich mit Zahlen, die schwerpunktmäßig bis 2014 erhoben wurden . Wie bereits im ersten Teilhabebericht, den wir 2013 öffentlich diskutiert haben, sehen wir, dass die Inklusion bei Kindern gut gelingt; denn 91 Prozent der Kinder mit Behinderungen in Deutschland gehen in Regelkindertagesstätten und Regelkindergärten und werden dort entsprechend gefördert . Wir sehen aber auch: Je älter die Kinder werden, desto geringer die Inklusion . Das manifestiert sich in den Regelschulen, sowohl den Grundschulen als auch den weiterführenden Schulen, in die nur etwa 37,7 Prozent der behinderten Jugendlichen gehen . Ich warne aber auch davor, Fördereinrichtungen generell zu verurteilen . Auch in Fördereinrichtungen wird guter pädagogischer Unterricht geleistet ({0}) und werden Menschen so gestärkt, dass sie ihren Bildungsabschluss erreichen können und auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben . Deshalb sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern wir sollten differenzieren und schauen, wie die Fördermöglichkeiten verbessert werden können . Wenn wir die Teilhabe in den Regeleinrichtungen weitgehend umsetzen wollen, dann ist das nicht alleine Aufgabe des Bundes . Wir müssen mit den Ländern und mit den Schulträgern in den Kommunen reden . Dann müssen die Lehrer entsprechend ausgebildet sein, dann müssen die Räumlichkeiten vorhanden sein, und dann muss die Barrierefreiheit gegeben sein . ({1}) Es ist also nicht Alleinstellungsmerkmal des Bundes, für Inklusion zu sorgen, sondern wir können erwarten, dass dieses Gemeinschaftsprojekt - Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - von Bund, Ländern und Kommunen mitgetragen wird . ({2}) Auf dem ersten Arbeitsmarkt sind 1,1 Millionen Menschen mit Behinderungen beschäftigt . Es gibt immer noch das Vorurteil, dass Menschen, die behindert sind, öfter krank werden . Der Teilhabebericht spricht eine andere Sprache . Er legt dar, dass 30 Prozent der Menschen mit Behinderungen sich in einem Jahr nicht einen Tag krank gemeldet haben und dass sie offenkundig eine hohe Motivation haben . Es ist aber auch so, dass mit der Beschäftigung von behinderten Menschen generell die Humanisierung der Arbeitswelt gefördert wird, auch für die nicht behinderten Beschäftigten . Man muss sich vor Augen halten: In der Gruppe der erwerbstätigen behinderten Menschen sind es 30 Prozent, die in einem Jahr nicht einen Tag krank waren, in der allgemeinen Arbeitnehmerschaft sind es 23 Prozent, die keinen Tag krank waren . Es gibt in den Integrationsfirmen 11 000 Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen . Insgesamt gibt es 850 Integrationsbetriebe mit über 33 000 Beschäftigten . Die Koalition hat als Ergebnis der Staatenprüfung in Genf - geprüft wurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - zusätzlich 150 Millionen Euro für ein Programm zur Förderung von Integrationsunternehmen zur Verfügung gestellt . Wir haben gemerkt, dass in einigen Bundesländern ein Moratorium dazu geführt hatte, dass Integrationsfirmen mit sinnvollen Ideen auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr hatten, weil ihnen das Geld fehlte . Der Bund hat dieses Geld aus seinen Mitteln zusätzlich bereitgestellt . ({3}) Wir merken, dass dieses Instrument zur Förderung von Integrationsfirmen auf dem ersten Arbeitsmarkt Stichwort: Mindestlöhne mit entsprechenden tariflichen Vereinbarungen - auch eine Lotsenfunktion für andere Unternehmen hat. Diese Integrationsfirmen wissen, wie man mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern, die sich etwas hinzuverdienen wollen, umgeht . Unternehmen mit einer Quote von 30, 35 Prozent beschäftigter behinderter Menschen können bei einem entsprechenden Produktivitätsausgleich und einem Lohnkostenzuschuss ihre Marktfähigkeit erhalten . Eine weitere Konsequenz aus dem Ziel, auf dem ersten Arbeitsmarkt stärker Inklusion zu entwickeln, war, die Kompetenz der Schwerbehindertenvertretungen zu stärken . Wir haben dafür gesorgt, dass sie mehr Zeit haben, um zu beraten: nicht nur die schwerbehinderten Menschen in einem Unternehmen, sondern auch diejenigen, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen, und Menschen, die vielleicht Integrationsmaßnahmen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement, etwa nach einer chronischen Erkrankung, und weitere Instrumente brauchen, damit ihre Produktivität und ihre Lebenskraft nicht weiter sinken . Die Humanisierung der Arbeitswelt auf dem ersten Arbeitsmarkt muss stärker gelebt werden . Da sind die Schwerbehindertenvertretungen ein ganz wichtiges Instrumentarium . Deshalb haben wir es insgesamt gestärkt . Ermöglicht wurden mehr Freistellungen, mehr Unterstützung bei bürokratischen Angelegenheiten . Wir haben aber auch dafür gesorgt, dass die stellvertretenden Vertrauensleute aufgewertet werden, dass man mehr im Team arbeiten kann und dass, bevor sich ein Unternehmen von einem schwerbehinderten Menschen durch Kündigung trennt, erst einmal die Schwerbehindertenvertretung zu informieren ist und dass darüber beratschlagt wird, wie eine weitere Beschäftigung im Unternehmen stattfinden kann. ({4}) 43 Prozent der Frühverrentungen heute finden nicht wegen Herz-Kreislauf-Problemen oder kaputter Knochen statt, sondern aufgrund von psychischen Erkrankungen . Deshalb ist es so wichtig, mit den Unternehmen, mit den Schwerbehindertenvertretern Frühwarnsysteme gegen Burn-out zu installieren und auch ein entsprechendes Gesundheitsmanagement zu organisieren . Da sind sie unsere natürlichen Bündnispartner . Sie wissen, wie man mit behinderten Menschen in einem Unternehmen produktiv arbeiten kann, weil sie die Konzepte kennen und auch wissen, wie diese Konzepte finanziert werden können . ({5}) Unser Teilhabebericht enthält eine sehr positive Botschaft: Die Zahl der Betriebe, die keinen schwerbehinderten Mitarbeiter beschäftigen, ist seit 2002 von 58 219 auf 39 101 gesunken . Wir wissen, dass im Rahmen der Initiative „Wirtschaft inklusiv“ Tausende von Beratungen von Unternehmern darüber stattfinden, wie behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt angestellt und gefördert werden können . Durch diese Initiative wurden bereits 1 600 neue Stellen für die Gruppe, die wir heute in besonderer Weise im Blick haben, geschaffen . Es gab zur Förderung von Inklusion viele runde Tische von Betriebsräten, Personalräten, Arbeitgebern, also von Vertretern der Arbeitnehmerschaft und der Wirtschaft . Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen sinkt in Deutschland seit drei Jahren stärker als die allgemeine Arbeitslosigkeit . Auch das ist eine gute Nachricht, die letztendlich aus dem, was im Teilhabebericht dargestellt ist, aber auch aus der konkreten politischen Arbeit resultiert . Im Februar 2017 waren 168 964 schwerbehinderte Menschen weniger als im Vorjahr arbeitslos . Der Rückgang der Anzahl arbeitsloser anerkannt schwerbehinderter Menschen liegt damit bei etwa 5,8 Prozent; der Rückgang der Anzahl Langzeitarbeitsloser liegt dagegen bei etwa 5 Prozent . Aber: Das Armutsrisiko Schwerbehinderter ist höher . Deshalb war es wichtig, dass bei der Behandlung dieses Themas über das Bundesteilhabegesetz die Einkommens- und Vermögensgrenzen angepasst wurden . Das war ein ganz konkreter Schritt, der das Armutsrisiko verringern wird . 40 Prozent der behinderten Menschen können ihren Unterhalt selbst verdienen, während dies in der Gruppe der allgemeinen Arbeitnehmerschaft 74 Prozent sind . Deshalb: Die Freistellung von 30 000 Euro Jahreseinkommen brutto von der Steuer wird dafür sorgen, dass von den 70 000 Menschen, die anerkannt schwerbehindert und erwerbstätig sind - sie müssen heute ihre Eingliederungshilfe sozusagen mitfinanzieren -, zukünfUwe Schummer tig zwei Drittel gar keine Mitfinanzierung mehr leisten müssen . Die Anhebung der Vermögensfreigrenze auf 50 000 Euro ist ebenfalls ein ganz zentraler wichtiger Schritt . Die Anrechnung des Einkommens der Ehepartner und Ehepartnerinnen wird abgeschafft, sodass Liebe nicht mehr mit Armut Hand in Hand gehen muss . Die Zahlen im Teilhabebericht stammen aus dem Jahr 2014 . Viele Maßnahmen, die wir 2016 und 2017 beschlossen haben, werden in den nächsten zwei Jahren in Kraft treten, das Budget für Arbeit etwa 2018 . Ich bin von daher sicher, dass wir auf der Grundlage des nächsten Teilhabeberichts sozusagen die Früchte dieser intensiven Arbeit dieser Koalition zur Inklusion, dieser Bundespolitik miteinander debattieren werden . ({6})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Schummer . - Als Nächste hat das Wort Corinna Rüffer vom Bündnis 90/Die Grünen .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen . Das ist so eine Sache . Ich möchte mit einer Mail einsteigen, die meine Kollegin Elisabeth Scharfenberg kürzlich erreichte . Die Mail stammt von einer 52-jährigen Frau mit Behinderung . Diese Frau hat geschrieben: Ich wurde nach einem Knochenbruch . . . gegen meinen Willen in ein Altenheim abgeschoben . . . . Jeden Tag werde ich von einer anderen Person gewaschen, oft bei geöffneter Tür . Ich werde komplett fremdbestimmt, das Essen ist ungenießbar . . . Ich liege nur im Bett rum und muss schauen, wie der Tag rumgeht . . . . Alles wird über meinen Kopf gegen meinen Willen bestimmt . . . Immer soll ich alles dankbar akzeptieren . So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt . Das ist menschenunwürdig und inakzeptabel . Diese Frau hat recht . Das ist menschenunwürdig, und das ist inakzeptabel . ({0}) Wenn ich mir überlege, was wir hier in den letzten Jahren getan haben, um so etwas zu verhindern, dann muss ich zugeben: Ich schäme mich . Wir haben im Dezember ein Teilhabegesetz verabschiedet, mit dem es nach wie vor möglich ist, behinderte Menschen gegen ihren Willen in Heime einzuweisen, in Heime zu zwingen, obwohl wir wissen, dass behinderte Menschen, die in Einrichtungen leben, mehr von Gewalt betroffen sind als die Durchschnittsbevölkerung . Das steht im Teilhabebericht, und so stand es auch im letzten Teilhabebericht . Darüber wird Gott sei Dank, glücklicherweise immer häufiger öffentlich berichtet . Sicher haben einige von Ihnen vor gut einem Monat den Bericht von Team Wallraff gesehen; Katrin Werner hat es vorhin erwähnt . Ich bin sicher: Wenn Sie ihn gesehen haben, dann waren Sie ebenso schockiert wie ich . Da werden Menschen brutal behandelt . Ihnen wird ein Bein gestellt . Sie werden schikaniert . Es war die Rede von einem Spastiker, den man regelmäßig gedemütigt hat, nur weil er sich so bewegt hat, wie er sich bewegt . Er musste allein im dunklen Zimmer sitzen, bekam keinen Kuchen, und die Liste der Strafen ist lang . Das sind leider nicht nur Einzelfälle . Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen eine Einrichtung der Lebenshilfe in Speyer . Das ist auch richtig und gut so . Aber es ist schlimm, dass vorher niemand hingeguckt hat . Wie gesagt, es geht nicht nur um Einzelschicksale . Vor zwei Jahren waren wir mit einer Delegation aus Deutschland bei den UN . Die erste Staatenprüfung hat damals stattgefunden . Wir wurden genau auf diese Punkte hingewiesen . Verändert hat sich aber leider nichts . So kann es echt nicht weitergehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie hatten in den letzten drei Jahren wirklich alle Chancen . Sie haben diese Chancen nicht genutzt . Das Teilhabegesetz wird die Situation von behinderten Menschen in diesem Land vermutlich an kleinen Stellen ein wenig verbessern, aber das ist ein bisschen so, wie wenn man einen großen Kuchen vor sich hat, aber nur Krümel abbekommt . Das ändert nämlich nichts daran, dass es weiterhin Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten gibt . Man stößt auf diese Ungerechtigkeiten, auf diese Grausamkeiten, wenn man Kontakt zu Menschen mit Behinderungen hat oder wenn man selber eine Behinderung hat . Es wäre gut, wenn im nächsten Deutschen Bundestag mehr Menschen mit Behinderungen vertreten wären, um hier in eigener Sache sprechen zu können . ({1}) Ich möchte noch einmal konkret werden und auf die Situation behinderter Geflüchteter und Asylsuchender zu sprechen kommen . Der Teilhabebericht - das ist gut widmet dieser Personengruppe ein ganzes Kapitel . Ein konkretes Beispiel: Ich habe vor ziemlich genau einem Jahr einen gehörlosen Syrer kennengelernt, der hier in Deutschland Asyl beantragt hat . In der letzten Woche sollte die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stattfinden. Obwohl dem Bundesamt mehrfach mitgeteilt wurde, dass dieser Mensch gehörlos ist, stand kein Gebärdendolmetscher zur Verfügung . Und dann passierte der Skandal . Er kam zum Bundesamt . Die haben ihm dann eine Auflage erteilt: Er müsse einen gesetzlichen Betreuer an die Seite gestellt bekommen, damit das Bundesamt die Anhörung durchführen könne . Es ist unfassbar, dass hier ein Mensch entrechtet werden soll, weil das Bundesamt nicht in der Lage ist, eine barrierefreie Anhörung durchzuführen . Das ist wirklich völlig inakzeptabel! ({2}) Dass es auch hier wieder nicht um einen misslichen Einzelfall geht, wissen Sie auch; denn die Monitoringstelle hat vor einiger Zeit einen Bericht dazu vorgelegt . Auch der Teilhabebericht geht auf die Probleme in diesem Bereich deutlich ein . Das Problem ist, dass Sie als Bundesregierung keine passenden - eigentlich keine - Konsequenzen daraus ziehen . Meine Fraktion hat eine umfangreiche Kleine Anfrage zu dem Themenkomplex gestellt und in dieser Woche auch eine Antwort erhalten . Ich muss Ihnen leider sagen: Diese Antwort ist Beleg für Ihre ignorante Haltung gegenüber der zum Teil verzweifelten Situation von Geflüchteten in diesem Land. Ich kann natürlich leider nicht auf alle Details dieser Kleinen Anfrage eingehen . Deswegen gebe ich nur ein Beispiel . Wir haben zum Beispiel gefragt, ob die Bundesregierung die Ansicht teilt, dass sich eine schlechte Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln nachteilig auf die Gesundheit Geflüchteter auswirkt und auch zu sozialen Problemen führen kann . Und was antworten Sie, meine Damen und Herren? Die Frage setzt gedanklich voraus, dass die Versorgung von Flüchtlingen mit Behinderung mit Heil- und Hilfsmitteln im Bundesgebiet mangelhaft wäre . Dies entspricht jedoch nicht der Auffassung der Bundesregierung . Ich sage Ihnen aber: Es kommt nicht auf die Auffassung der Bundesregierung an . Ich würde Ihnen aus den Fraktionen von Union und SPD empfehlen: Sprechen Sie doch einmal mit Ihrer Regierung, und sagen Sie ihr, dass Sie ihren eigenen Teilhabebericht bitte auch einmal lesen soll . ({3}) Insbesondere der Wissenschaftliche Beirat weist im Teilhabebericht darauf hin, dass es eine Unterversorgung gibt und dass sich deswegen natürlich der Gesundheitszustand der entsprechenden Personen - was denn auch sonst? - verschlechtert . Daran wird sich nichts ändern, solange Sie erklären, dass hier alles in Ordnung ist, obwohl das nicht der Fall ist . Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in Bezug auf viele Punkte die Länder zuständig sind . Das entlässt uns als Bund aber doch nicht aus der Verantwortung . Wir könnten viel tun . Zum Beispiel könnten wir endlich das unsägliche Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen . ({4}) Wir könnten uns einen Überblick darüber verschaffen, wie viele behinderte Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind und was ihre Bedarfe sind . Das tun wir bisher nicht . Die UN haben uns auch darauf eindrücklich hingewiesen und gesagt, dass wir strukturelle Probleme haben, die wir lösen müssen . Sie behaupten, die gesetzlichen Regelungen - insbesondere im Asylbewerberleistungsgesetz - in Bezug auf asylsuchende und geduldete Menschen mit Behinderung stünden im Einklang mit der UN-BRK . Ich entgegne Ihnen: Das kann ich nur als schlechten Witz auffassen . Es gäbe noch sehr viel zu sagen . Der Teilhabebericht Frau Lösekrug-Möller hat ihn hier hochgehalten - umfasst 500 Seiten . Natürlich können wir hier nicht über alle einzelnen Punkte diskutieren . Wir können an dieser Stelle aber feststellen, dass es so nicht weitergehen darf, dass wir endlich handeln müssen . ({5}) Der Teilhabebericht zeigt, dass von gleichberechtigter Teilhabe und gleichwertigen Lebensbedingungen nicht die Rede sein kann . Die Menschenrechte behinderter Menschen werden in unserem Lande eingeschränkt . Sie werden zum Teil missachtet . Das ist inakzeptabel . Dies ist und bleibt ein Skandal . Ich rufe Sie auf, dass wir endlich gemeinsam, und zwar konsequent, dagegen vorgehen . Danke . ({6})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer . - Als Nächste hat Dr . Astrid Freudenstein von der CDU/CSU das Wort . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir alle, die wir hier sitzen, gemerkt, dass die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung eine ganz neue Dimension erreicht hat - eine normale Dimension, möchte ich dazu sagen . Die Demonstrationen im Zuge des Bundesteilhabegesetzes haben gezeigt, dass ein neues politisches Selbstbewusstsein unter den Menschen mit Behinderung entstanden ist . Die aktive Teilnahme an Entwicklungen und Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen, ist ein Grundprinzip der Demokratie . Mit Demonstrationen, mit Hintergrund- und Fachgesprächen oder als Experten bei Anhörungen haben sich die Menschen mit Behinderung vielfältig am politischen Prozess beteiligt . Der Teilhabebericht bestätigt diese Wahrnehmung: Das aktive politische und zivilgesellschaftliche Engagement von Menschen mit Behinderung ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden, und das ist gut so . ({0}) Es ist vor allem deshalb gut, weil in anderen Bereichen durchaus noch Handlungsbedarf besteht, um dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe näherzukommen . Und um diesen Handlungsbedarf zu lokalisieren und dann zu beseitigen, ist eben die Mithilfe der Menschen mit Behinderung wichtig . Aber auch Instrumente wie dieser Teilhabebericht können einer ersten Orientierung dienen . Aus dem vorliegenden Bericht möchte ich einige Punkte herausgreifen, die ich für besonders wichtig halte . Ein erster Knackpunkt ist sicher die deutlich höhere Arbeitslosigkeit unter den Menschen mit Behinderung . Zwar ist die Quote in den vergangenen Jahren gesunken, sie lag 2015 aber immer noch 5 Prozentpunkte über der allgemeinen Quote . Weiterhin dauert die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung auch deutlich länger an . Durchschnittlich können sie diese erst nach einem Jahr beenden . Auch deshalb sehen 34 Prozent der Arbeitsuchenden mit Beeinträchtigungen die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen, als praktisch unmöglich an . Das sind doppelt so viele wie unter den nicht beeinträchtigten Arbeitsuchenden, und das sind natürlich Zahlen, die eindeutig sind und die uns beunruhigen müssen . Wir müssen jedenfalls noch deutlich mehr als bisher auf die individuelle Situation der Betroffenen eingehen und mehr über ihre Schwierigkeiten erfahren . Aus welchen Gründen werden die Menschen arbeitslos, und in welche anderen gesellschaftlichen Teilsysteme gehen sie über: in Arbeit, in Bildung, in Reha, in Rente, in Mutterschaft? Einzelne Projekte zeigen bereits, wie es gehen könnte . In Bayern beispielsweise gibt es das Projekt LASSE, das individuelles Coaching und eine intensive Begleitung durch die Integrationsfachdienste für langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderung bietet . Die Erfolgsquoten sind durchaus vielversprechend . Daneben müssen wir die Arbeitgeber zu noch mehr Einsatz motivieren . Eine höhere Ausgleichsabgabe halte ich dabei für wenig produktiv . Sie würde nur das Vorurteil bestärken, dass behinderte Arbeitnehmer eine Belastung seien . Das Bundesteilhabegesetz wird in diesem Bereich mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen bringen, zum Beispiel durch die damit einzuführenden unabhängigen Beratungsstellen und die vereinfachten Verfahren . ({1}) - Ja, das ist gut . ({2}) Das Budget für Arbeit soll den Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern . Arbeitgeber erhalten dabei bis zu 75 Prozent Lohnkostenzuschuss - ich hoffe, das hören jetzt viele -, wenn sie einen schwerbehinderten Arbeitnehmer einstellen . Die Lösung des Problems sind diese Maßnahmen natürlich noch nicht, aber sie werden für viele Menschen Verbesserungen bringen . ({3}) Neben den Daten zur Arbeitslosigkeit gibt es auch noch erfreulichere Nachrichten vom Arbeitsmarkt . Die Schwerbehindertenbeschäftigungsquote hat sich von 3,8 Prozent im Jahr 2002 auf jetzt 4,7 Prozent erhöht damit nähert sie sich immerhin dem gesetzlich vorgeschriebenen Wert von 5 Prozent an -, und die Anzahl der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, die gar keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, ist seit 2002 von fast 60 000 auf unter 40 000 gesunken . Die Zahlen zeigen also: Es geht voran . Es ist aber natürlich noch ein weiter Weg zur gleichberechtigten Teilhabe . Und: Zwischen den einzelnen Bundesländern - auch das will ich hier sagen - gibt es teilweise ganz erhebliche Unterschiede . Zum Persönlichen Budget . Die Möglichkeit, Teilhabeleistungen mit größtmöglicher Selbstbestimmung zu beziehen, wird immer mehr angenommen . Zwischen 2010 und 2014 - das sind die aktuellsten Zahlen - stieg die Zahl der Budgetnehmer um 80 Prozent . Wenn das so weitergeht, können wir davon sprechen, dass sich diese Leistungsform auch wirklich etabliert hat . Das wäre ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention . Der Teilhabebericht zeichnet also ein sehr differenziertes Bild der Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland . Aus dem Bericht wird deutlich, dass wir zwar einige Daten zum Leben von Menschen mit Behinderung in Deutschland haben, Erklärungen für einige Unterschiede trotzdem schwierig sind . Dazu fehlen oft auch nähere Analysen . Wir sollten uns deshalb mit allzu einfachen Erklärungen nicht zufriedengeben . Selbst nach diesem fast 600-seitigen Bericht kann ich nur sagen: Wir brauchen teilweise immer noch mehr Informationen für die Beteiligten, zum Beispiel für Menschen mit Behinderung: Was steht mir zu? Wo kann ich es beantragen? Hier setze ich ganz große Hoffnungen in die unabhängigen Beratungsstellen, die durch das Bundesteilhabegesetz entstehen werden . Und wir brauchen mehr Informationen für die Arbeitgeber: Welche Hilfen und Zuschüsse kann ich wo beantragen? Wer kann mich bei der Integration des behinderten Menschen in meinem Betrieb unterstützen? Die Initiative „Wirtschaft inklusiv“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gut funktionieren kann . Meine Damen, meine Herren, der Prozess zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung läuft . Er stockt nicht . Das zeigt der Bericht sehr deutlich . Trotzdem könnte es an der einen oder anderen Stelle schneller vonstattengehen . Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir in diesem Hause alle gemeinsam weiter an guten Lösungen arbeiten - Seite an Seite mit den Menschen mit Behinderung . Vielen Dank . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein . - Als Nächste spricht die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Frau Verena Bentele . ({0}) Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort „Teilhabe“ ist für mich als die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen ein wesentlicher Pfeiler meiner Arbeit . „Teilhabe“ heißt in meinen Augen aber noch viel mehr . Es heißt nämlich: die aktive Gestaltung der Gesellschaft, in der wir leben wollen . Und zwar durch und von Menschen mit Behinderungen . Um aktiv gestalten zu können, benötigen Menschen mit Behinderungen jedoch Rahmenbedingungen wie beispielsweise leichte Sprache, Gebärdensprachdolmetscher und Assistenz für gesellschaftliches oder politisches Engagement, und, meine sehr geehrten Damen und Herren, sie brauchen das Recht und die Möglichkeit, sich zu entscheiden, vor allem zu wählen . ({1}) Haben alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland das Recht, zu wählen? Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, wir haben in Deutschland über 81 000 Menschen, die unter rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheiten stehen, die weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht haben. Das darf definitiv nicht sein . ({2}) Menschen mit Behinderungen sollen entscheiden dürfen, wer ihre Interessen vertritt . Wenn Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, wollen, dass sich Menschen unter rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheiten für Sie als ihre Abgeordneten entscheiden können, dann reformieren Sie bitte unser Bundes- und Europawahlgesetz . ({3}) Wofür benötigen wir einen Bericht über die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen? Teilhabe macht deutlich, wo dringender politischer Handlungsbedarf besteht . Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hat in dieser Legislatur Fortschritte gemacht . Dafür danke ich den Koalitionsfraktionen, insbesondere Andrea Nahles, die Gesetze für Menschen mit Behinderungen auf den Weg gebracht und abgeschlossen hat . ({4}) Teilhabe zu verbessern, ist und war das Ziel des Behindertengleichstellungsgesetzes . Wesentliche und wichtige Ergebnisse sind beispielsweise die Bundesfachstelle Barrierefreiheit oder auch die Einführung einer unabhängigen Schlichtungsstelle . Im Teilhabebericht 2016 ist zu lesen, dass der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen an der aktiven politischen Teilhabe und Gestaltung der Gesellschaft von 8 Prozent im Jahr 2009 auf 12 Prozent im Jahr 2013 gestiegen ist . Und auch ich bin mir sicher, dass die Zahl heute insbesondere nach dem Gesetzgebungsverfahren zum Bundesteilhabegesetz deutlich höher ist . Der aktuelle Teilhabebericht liefert uns wesentliche und wichtige Erkenntnisse und sei allen, vor allem jetzt in einem Wahljahr, zur Lektüre sehr ans Herz gelegt . Ich habe mir zwei Themenfelder noch einmal besonders herausgegriffen . Eine Zahl: Nur 40 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland können hauptsächlich von ihrem Erwerbseinkommen leben - nur 40 Prozent! Bei den Menschen ohne Beeinträchtigungen sind das fast doppelt so viele, nämlich 74 Prozent . Menschen mit Beeinträchtigungen sind - auch aufgrund dieser Tatsache deutlich stärker von dem Risiko, arm zu sein, betroffen . Deswegen ist es für mich jede Anstrengung wert - von Ihnen als Parlament, von der Bundesregierung, aber auch von der Gesellschaft, von den Arbeitgebern -, an dieser Situation für Menschen mit Behinderungen schnellstmöglich einiges zu ändern . ({5}) Menschen mit Beeinträchtigungen haben durch Arbeit nicht nur die Möglichkeit, ihr Erwerbseinkommen zu erwirtschaften, sondern auch deutlich bessere Möglichkeiten, soziale Kontakte aufzubauen und an der Gesellschaft teilzuhaben . An einer Stellschraube wurde gedreht: Durch die Verbesserungen bei der Anrechnung des Einkommens und Vermögens der Bezieher von Eingliederungshilfe wurde mehr Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeit zum Ersparen eines Vermögens gegeben . Wir haben hier einen wichtigen Schritt gemacht, sind aber - das sage ich als Behindertenbeauftragte - noch längst nicht am Ende der Fahnenstange . ({6}) Auch das bleibt ein Projekt für die Zukunft . Viele Menschen mit Beeinträchtigungen brauchen aber deutlich bessere Chancen für einen Neueinstieg ins Berufsleben oder für eine Weiterbeschäftigung; denn hier liegt in meinen Augen der Schlüssel . Wenn Menschen durch einen Unfall, eine Erkrankung oder durch altersbedingte Einschränkungen eine Veränderung in ihrem Leben erfahren, brauchen sie die Möglichkeit, am inklusiven Arbeitsmarkt mit ihren Ressourcen und Fähigkeiten wertgeschätzt zu werden . Zur Herstellung von Barrierefreiheit leisten die Schwerbehindertenvertretungen, deren Rechte durch das Bundesteilhabegesetz gestärkt wurden, tagtäglich einen wesentlichen und großartigen Beitrag . Ich möchte ihnen allen auch an dieser Stelle für die hervorragende Arbeit danken, die sie tagtäglich leisten . ({7}) Meine Damen und Herren, die Weichen für den Einstieg ins Berufsleben und für Teilhabe werden aber zu einem anderen Zeitpunkt gestellt, nämlich am Anfang des Lebens . Davon kann ich ein Lied singen . Die Teilhabe fängt in der Kita und in der Schule an . Lernorte für alle Kinder sind die Grundlage für eine Gesellschaft, in der Verena Bentele das Anderssein ganz normal ist und in der das Besondere jedes Menschen geschätzt und gewürdigt wird . ({8}) Deswegen halte ich die Debatten - auch jetzt in den Landtagswahlkämpfen -, ob wir überhaupt inklusive Bildung wollen, für völlig überflüssig. ({9}) Das Thema der Debatte kann doch heute nur noch lauten: Wie wollen wir die inklusive Bildungslandschaft umsetzen, und welche Ressourcen haben wir zur Verfügung, um endlich für alle Kinder und Jugendlichen inklusive Lernorte zu generieren? Auch hierzu möchte ich eine Zahl nennen: Was passiert eigentlich bei den Berufsabschlüssen? Zunächst einmal zurück zu den Schulen: Wir haben laut Teilhabebericht - das kam auch vorhin schon - eine steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen an inklusiven Schulen, aber dies geht nicht mit einer sinkenden Anzahl von Schülerinnen und Schülern an Förderschulen einher . Das ist, wie ich finde, definitiv nicht haltbar. ({10})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Liebe Frau Bentele, achten Sie bitte ein bisschen auf die Zeit? Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen: Okay . Ich bin gleich fertig . Es tut mir leid, aber Teilhabe ist einfach so ein umfassendes Thema ({0}) Ganz kurz noch eine Zahl zu den beruflichen Abschlüssen . 21 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen, fast doppelt so viele wie bei den Menschen ohne Behinderungen - bei ihnen sind es nur 12 Prozent -, haben keinen Berufsabschluss, und das sind deutlich zu viele . Lassen Sie mich noch eine ganz wesentliche Sache sagen . Wir müssen dringend mehr über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen wissen . Deswegen ist es gut, dass es eine neue Repräsentativumfrage gibt, die Andrea Nahles im letzten Jahr in Auftrag gegeben hat . Diese wird über fünf Jahre hinweg laufen und uns wirklich wesentliche Erkenntnisse über die Teilhabemöglichkeiten und die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen bringen, und das ist wesentlich für politisches Handeln . Eine Erkenntnis haben wir jedoch schon: Für mich ist in der nächsten Legislatur einer der entscheidenden und wichtigen Punkte, dass wir endlich auch im zivilrechtlichen Bereich bei der Herstellung von Barrierefreiheit weiterkommen müssen, nämlich durch die Verpflichtung der Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Herstellung von Barrierefreiheit im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz - damit wir im nächsten Teilhabebericht lesen: Menschen mit Beeinträchtigungen können in allen Lebenssituationen gleichberechtigt teilhaben . Danke schön . ({1})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Bentele . Wir hier oben waren, glaube ich, sehr großzügig . Es ist ein wichtiges Thema, und ich habe an der Resonanz aller Kollegen gesehen, dass man da nicht gleich unterbrechen sollte . - Nächste Rednerin ist jetzt Frau Jutta Eckenbach von der CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es heute schon mehrmals gehört: Der Teilhabebericht umfasst rund 500 Seiten . Ich habe mir die Frage gestellt: Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass der Bericht so umfangreich ist? Geht es um gelungene und gute Teilhabe und Inklusion, oder ist der Handlungsbedarf noch so groß? Der Bericht spiegelt sicherlich beide Seiten wider . Wir haben in den letzten Jahrzehnten viel dazugelernt, und wir haben viel erreicht . Wir haben Menschen mit Behinderungen durch das Behindertengleichstellungsgesetz und durch das neue Bundesteilhabegesetz eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht . Das waren zwei wichtige Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, aber der Nationale Aktionsplan 2 .0 gibt uns auch zukünftig noch einiges zu tun . Das Bundesteilhabegesetz ist entstanden unter der Mitwirkung vieler Betroffener, Organisationen, Vereine und Verbände . Es wurden wirklich gute Gespräche geführt . Ich glaube, dass es besser ist, miteinander zu sprechen als übereinander . Das ist der richtige Weg . Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auf eine Einschränkung hinzuweisen, auf die wir achten müssen . Kürzlich war der LVR, der Landschaftsverband Rheinland, zu Gast hier in Berlin; Frau Rüffer, Uwe Schummer und Hubert Hüppe waren auch dort . Dieses Treffen bot uns die Gelegenheit, mit Menschen mit Behinderungen zu sprechen . Irgendwann stand eine Frau mit Behinderungen auf und sagte: Dieses Gesetz macht mir Angst . - Angesichts der vielen Gespräche, die ich mitbekommen habe, sagen ich Ihnen: Wir müssen aufpassen, wie wir mit den Menschen reden, wenn wir mit ihnen über ein Gesetzesvorhaben reden . Bei manchen ist die Reaktion: „Boah, jetzt ändert sich was“, bei anderen ist die Reaktion: Jetzt bekomme ich Angst . - Das ist eine schwierige Situation . Deswegen ist es wichtig, zu überlegen, wie wir die Prozesse angehen und wie wir auch zukünftig mit Menschen mit BeVerena Bentele hinderungen darüber reden, was wir mit ihnen per Gesetz vorhaben. Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Hinweis. ({0}) - War das eine Zwischenfrage? Darüber können wir gleich noch einmal sprechen, Frau Rüffer . Alle Kolleginnen und Kollegen hier haben viele Gespräche geführt . Wir waren auch vor Ort in den Einrichtungen und haben dort mit vielen Menschen gesprochen . Da ich seit vielen Jahren für den LVR tätig bin, habe ich auch mit Menschen mit Behinderungen gesprochen . Ich finde es wichtig, dass wir nicht nur über die großen Einrichtungen sprechen, sondern wir müssen auch über die kleinen Einrichtungen sprechen . Ich habe vor einiger Zeit eine der Arche-Wohngemeinschaften in Essen besucht . Das ist so eine kleine Einrichtung . Dort habe ich einen jungen Mann kennengelernt, der gerade neu eingezogen war . Zuvor hatte er bei seiner Familie gelebt, seine Mutter hatte ihn bisher versorgt . Bei meinem Besuch saß er ganz verschüchtert und traumatisiert in der Ecke . Ich habe versucht, ihn anzusprechen, aber da er nicht antwortete, habe ich es sehr schnell sein gelassen . Als die Arche-Wohngemeinschaft ihr 16-jähriges Bestehen gefeiert hat, war ich wieder vor Ort . Die Feier fand an einem Sonntagnachmittag statt, es wurde ein ökumenischer Gottesdienst abgehalten . Als ich einen großen Saal betrat, kam mir dieser junge Mann entgegen . Er lief fröhlich herum und hatte einen Hut auf . Ich habe mich sehr gefreut, ihn so fröhlich zu sehen und habe ihm das auch gesagt, woraufhin er mich umarmte . Er war vollkommen in der Gemeinschaft angekommen . Gerade wenn wir über die Teilhabeberichte diskutieren, ist es wichtig, dass wir nicht nur über die schlechten Dinge reden, sondern dass wir auch über das Gute reden, das wir erreichen, über die vielen Möglichkeiten, über die ganz unterschiedlichen Ansätze, die wir in der Behindertenpolitik verfolgen . Wir brauchen Vielfalt; denn jeder Mensch mit Beeinträchtigungen ist anders . Auch diese Menschen sind nicht alle gleich . Jeder Mensch ist ein Individuum . So wie wir alle unterschiedlich sind, so sind es eben auch die Menschen mit Behinderungen . Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Punkt eingehen: Ich rede von Bildung . Ich komme aus dem wunderschönen Land Nordrhein-Westfalen, aus der wunderschönen Kulturhauptstadt Essen . Wie ist die Situation in den Regelschulen in Nordrhein-Westfalen? Die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen haben im Schnitt 28 Schüler pro Klasse, in inklusiven Klassen sind es 25 Schüler . Die Raumkonzeption der Schulen ist nicht darauf ausgerichtet, Schüler und Schülerinnen inklusiv zu unterrichten . Die Schulen haben auch nicht die notwendigen Förderlehrer, um die Kinder inklusiv zu unterrichten . - Wir schränken die Förderschulen ein, um Kinder in nicht gut ausgestattete Regelschulen zu schicken . Wir überfrachten damit die Lehrer und nehmen auch die Eltern zum Teil nicht mit . Das ist für mich keine Bildungspolitik, die Inklusion wirklich beinhaltet . ({1}) Das sollten wir, verdammt noch mal, wirklich ändern . Das regt mich auf! Wir tun so, als hätten wir an dieser Stelle schon unser Bestes erreicht . ({2}) Nein, das haben wir nicht! Wir schaden den Kindern, und wir schaden dem gesellschaftlichen Anspruch auf Inklusion . ({3}) Ich will einen weiteren Punkt nennen: die Werkstätten . Damit bin ich wieder bei dem einzelnen Menschen mit Behinderung . Wir tun ja immer so, als könnten wir für alle Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen . Ich glaube das nicht . Die meisten Werkstätten für Behinderte sind nicht außerhalb, sondern in den Städten . Sie sind nicht weit draußen, sondern da, wo auch andere Menschen sind . Wer eine solche Werkstatt besucht, sieht, wie die Menschen dort zum Teil sehr einfache Arbeiten erledigen - ja, aber sie tun das mit Freude . Sie gehen gerne in die Werkstatt . Sie gehen sogar dann noch dorthin, wenn sie dem Arbeitsmarkt eigentlich nicht mehr zur Verfügung stehen würden, wenn sie im Rentenalter sind . Sie werden morgens zu Hause abgeholt, sie können teilhaben und mitwirken - im Rahmen ihrer Möglichkeiten . ({4}) Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, den wir wirklich überdenken sollten . Wir reden immer ganz viel über Assistenzleistungen, wir sagen, dass wir den Menschen im gesundheitlichen Bereich helfen müssen, wir sagen, dass wir für die Menschen sorgen müssen, und wir reden darüber, dass bei der Pflege in den Krankenhäusern zusätzliche individuelle Leistungen notwendig sind . Mir wäre es lieb, wenn wir sehr viel stringenter darüber nachdenken würden, wie wir den inklusiven Gedanken in den Ausbildungen der Kindererzieherinnen und der Pflegerinnen und Pfleger verankern können. ({5}) Das ist noch nicht der Fall . Dieses Thema gehört aber in die Ausbildung hinein . Genauso gehört es in das Studium der Ärzteschaft, damit ich nicht nach einem Arzt suchen muss, der sich mit Menschen mit Behinderungen auskennt . Wir brauchen in der Breite des gesundheitlichen Bereichs Ärzte, die wissen, wie sie mit Menschen mit Behinderungen umgehen sollen . Ich glaube, das ist dringend nötig . Es muss allgemein bekannt werden, wie man mit Menschen mit Behinderungen umgeht . Das ist auch wichtig, damit Behinderungen frühzeitig erkannt werden . Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind . Wir alle haben erkannt, dass wir in den vergangenen vier Jahren einen kleinen Schritt oder einen größeren Schritt gemacht haben . ({6}) Ich weiß, dass wir seitens der CDU/CSU-Fraktion uns diesem Thema weiterhin sehr stringent nähern werden . Wir werden nicht nur sehr darauf achten, dass es jedem Menschen mit Behinderung in Deutschland gut geht, sondern auch darauf, dass er teilhaben kann . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Eckenbach . - Jetzt hat als letzte Rednerin in dieser Aussprache das Wort Frau Kerstin Tack von der SPD-Fraktion . ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der zweite Teilhabebericht der Bundesregierung beschreibt die Lebenslage von Menschen mit Behinderung im Zeitraum von 2005 bis 2014, also in einem Zeitraum bis vor drei Jahren . Ich freue mich sehr, dass sich der zweite Bericht qualitativ sehr stark vom ersten Bericht unterscheidet . Bei dem ersten Bericht hatten wir noch zu beklagen, dass der Beschreibung der Lebenslagen eine sehr unzureichende Datenbasis zugrunde lag . Dieser zweite Bericht ist qualitativ deutlich besser, und es besteht die Möglichkeit, wenn man die beiden Datenblätter nebeneinanderhält, Entwicklungen nachzuvollziehen . Er beinhaltet Lebensbereiche wie Familie und soziales Netz, Bildung und Ausbildung, Erwerbsarbeit, materielle Lebenssituation, alltägliche Lebensführung, Gesundheit, Freizeit, Kultur und Sport, Sicherheit, Schutz der Person sowie politische und gesellschaftliche Teilhabe . Er beschreibt also einen sehr umfangreichen Lebensbegriff und fokussiert sich nicht nur auf Teilbereiche . Es ist auch sehr interessant, zu sehen, wie er sich vertiefend mit den Fragestellungen Migrationshintergrund und Wohnungslosigkeit von Menschen mit Beeinträchtigung befasst . Nun haben wir natürlich die Erwartungshaltung, dass wir diejenigen Maßnahmen, die wir in dieser Legislaturperiode für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigung umgesetzt haben, im nächsten Teilhabebericht, der dann einen Zeitraum umfasst, für den wir hier in dieser Koalition Verantwortung tragen, spürbar nachvollziehen können . Da haben wir in dieser Legislaturperiode, wie ich meine, eine beachtliche Bilanz vorzuweisen . Das Teilhabegesetz, das hier ja schon mehrfach angesprochen wurde, ist ja nur ein kleines Segment bei der Umsetzung der Arbeit für Menschen mit Beeinträchtigung . Wir haben für den Bereich des Arbeitsmarktes mit der unterstützten Beschäftigung, mit dem Budget, mit dem Ausbau der Inklusionsbetriebe meines Erachtens Gutes auf den Weg gebracht . Wir haben die Strukturen für Menschen mit Beeinträchtigung massiv ausgebaut - mit der unabhängigen Beratung, die ab dem nächsten Jahr losgehen wird, mit der Schlichtungsstelle, die wir neu eingeführt haben, mit dem Ausbau der Fachstelle für Barrierefreiheit . Wir haben das Thema Barrierefreiheit insgesamt weiter nach vorne gebracht und die Barrierefreiheit insbesondere mit einer Neuauflage der Unterstützung für den Umbau von Wohnungen zu barrierearmem und barrierefreiem Wohnraum ganz neu wieder in das Programm der Förderung des Bundes aufgenommen . Wir haben bei der Frage der inklusiven Bahnhöfe neue Programme aufgelegt, und das ist auch wichtig . Die Fernbusrichtlinie ist ein weiteres Beispiel . Wir haben den Städten mehrere Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit auch sozialer Raum und Sozialräume inklusiv gestaltet werden können . ({0}) Meines Erachtens kann sich das sehen lassen . Es ist eben mehr als nur der Fokus auf die reformierte Eingliederungshilfe . Wir haben im Gesundheitsbereich nicht nur mit den Pflegestärkungsgesetzen, sondern vor allen Dingen mit der Einführung der sozialpädiatrischen Zentren für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung viel erreicht und umgesetzt . Wir haben die Prävention gestärkt, indem wir im Rahmen des Programms BeSt beraten und junge Menschen stärken . Insbesondere für Frauen mit Beeinträchtigung, die in ganz wesentlicher Weise Opfer sexuellen Missbrauchs werden können, haben wir ein eigenes Programm aufgelegt . ({1}) Wir haben mit der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ endlich Unterstützungsmöglichkeiten für diejenigen geschaffen, die in Einrichtungen der Psychiatrie oder der Behindertenhilfe Erfahrungen mit sexueller Gewalt und anderer Gewalt gemacht haben . Wir haben nach dem Grundsatz „Nein heißt nein!“ endlich die Frage der Strafbarkeit von sexuellen Handlungen in Angriff genommen . Bisher war im Gesetz bei Taten gegen Frauen mit Beeinträchtigung als besonders Schutzbedürftigen keine vergleichbare Bestrafung der Täter vorgesehen wie bei sexuellen Handlungen gegen Frauen ohne Beeinträchtigung . Das haben wir Gott sei Dank in dieser Legislaturperiode endlich geändert . Wir haben die Frauenbeauftragten in die Werkstätten hineingebracht . ({2}) Ich glaube, es ist ein sehr breiter Strauß an Maßnahmen, die wir in dieser Legislaturperiode vorgenommen haben, um zu dokumentieren, dass es nicht nur um die Reform der Eingliederungshilfe geht, sondern auch um die Lebenslagen an ganz unterschiedlichen Stellen, und wir glauben und sind uns auch sehr sicher, dass das natürlich Einfluss auf die Lebenslagen haben wird und wir das in künftigen weiteren Berichten auch sehen werden . Selbstverständlich haben wir weiteren Handlungsbedarf in all den Feldern, die hier heute schon mehrfach deutlich dokumentiert sind . Aber wir können auch sagen: Diese Koalition hat in dieser Frage massiv geliefert, und darauf können wir zu Recht stolz sein . ({3})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Ich schließe die Aus- sprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10940 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung Drucksache 18/11100 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Dr . Frithjof Schmidt, Claudia Roth ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine Internationalisierungsstrategie von Wissenschaft und Forschung, die Pluralität und Freiheit schützt, Grenzen überwindet und Zusammenhalt stärkt Drucksache 18/10359 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Zunächst hat das Wort Frau Dr . Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion . ({3})

Dr. Claudia Lücking-Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne . Gut Ding will Weile haben . Doch wenn wir heute über die neue Strategie der Bundesregierung für die Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung diskutieren, dann habe ich den Eindruck: Sie kommt genau zum richtigen Zeitpunkt . ({0}) Noch nie war sie so wertvoll wie heute . ({1}) Der Brexit, der Einreisestopp in den USA - uns allen fallen, glaube ich, noch viele Beispiele für einen sich zunehmend isolierenden neuen Nationalismus ein, den wir an so vielen Stellen erleben . Dieser hat Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften im Allgemeinen und natürlich auch auf Wissenschaft und Forschung im Besonderen . Wie gut, dass die Bundesregierung in ihrer Strategie diesbezüglich eine gänzlich andere Haltung einnimmt . Nicht Abschottung, sondern Offenheit ist Garant für Spitzenforschung und Innovation, ({2}) oder wie Professor Mlynek das in der Vorstellungspressekonferenz auf den Punkt gebracht hat: Der wahre Egoist kooperiert . Klar: Wir müssen intensive internationale Kooperationen schmieden, wenn wir unseren eigenen Wissenschaftsstandort stärken und damit am Ende unseren Wohlstand sichern wollen . „Internationale Kooperation: vernetzt und innovativ“ - unter diesem Leitmotiv lotet die neu aufgelegte Strategie die Wege genau dorthin aus und positioniert sich deutlich gegen jede nationalistische Verengung . Das macht sie so wichtig . ({3}) Internationalisierung geschieht in verschiedenen Dimensionen . Die Menschen sind heute mobiler als je zuvor . Das gilt auch für die angehenden und arrivierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler . Sie überqueren Ländergrenzen, um voneinander zu lernen, miteinander zu forschen, sich mit Kollegen auszutauschen und in internationalen Projekten gemeinsam zu arbeiten . Brain Circulation ist der Fachbegriff dafür . So nennen wir es, wenn sich Talente möglichst frei über den Globus bewegen . Wissenschaft - ich glaube, da sind wir uns einig ist per definitionem länderübergreifend. Der Austausch von Wissen, Daten und Erkenntnissen ist zentral für gute Wissenschaft . Die eigentlichen Spitzenergebnisse werden und können nur in internationalen Teams erreicht werden . Wen wundert es? Die meistzitierten Ergebnisse stammen von international mobilen und damit weltweit sichtbaren Wissenschaftlern . Diese Mobilität von Studierenden, von Forscherinnen und Forschern über Ländergrenzen hinweg fördern wir durch eine Vielfalt von Stipendien und sonstigen Programmen . In der Strategie werden diese hervorgehoben . Hier leisten unsere Mittlerorganisationen wie zum Beispiel der DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, wie ich finde, hervorragende Arbeit . ({4}) Mir ist auch wichtig, zu sagen, dass sie für Studierende und Wissenschaftler in Not, auf der Flucht wichtige Perspektiven bieten und damit nicht nur die einzelnen Menschen unterstützen, sondern auch wichtige Zeichen setzen für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt . Eine andere wichtige Dimension ist natürlich die Kooperation zwischen Institutionen, zwischen Hochschulen und Forschungsgemeinschaften, oder auch mit Unternehmen . In den sogenannten 2+2-Formaten - so wird es in der Strategie genannt - werden gezielt Unternehmen eingebunden, damit international erarbeitete Forschungsergebnisse auch schnell in Anwendung kommen . Dann haben wir die Dimension der großen Zukunftsfragen, die uns alle herausfordern . Auch sie sind natürlich international . Denn es ist ja offenkundig: Die großen Menschheitsfragen - Klimawandel, Gesundheit, Migration - werden wir nur beantworten können, wenn sich die Weltgemeinschaft gemeinsam auf den Weg macht und nach neuen Antworten und Erkenntnissen strebt . ({5}) Zwei der fünf Handlungsfelder der Strategie haben dies deswegen sehr explizit zum Ziel . Das ist ein Schwerpunkt, der aus meiner Sicht absolut wichtig und richtig ist . Ein großes Anliegen der Strategie möchte ich an dieser Stelle besonders herausgreifen: Die Regierung sagt ausdrücklich, dass sie Entwicklungs- und Schwellenländer noch stärker in den Fokus nehmen will und dabei die Wissenschaft gezielt dazu beitragen soll, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals oder SDGs, gemeinsam zu erreichen . Nun kommt es aus meiner Sicht besonders darauf an, dass die Ministerien hier bei uns abgestimmt zusammenarbeiten . Denn es ist ja klar, dass hier sowohl das Forschungs- und Bildungsministerium als auch die Ministerien für Gesundheit, Energie, Landwirtschaft, Auswärtiges und natürlich auch das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit gefragt sind . Ein Beispiel will ich kurz vorstellen . Seit Januar 2017 bieten sieben bilaterale SDG-Graduiertenkollegs - vier in Afrika, zwei in Lateinamerika, eines in Asien - jungen Graduierten eine qualitätsvolle Möglichkeit, in ihren Heimatländern sur place zu entwicklungsrelevanten Themen zu promovieren . Deutsche Hochschulen haben dafür Konzepte erdacht und sie mit den Partnern in den Ländern umgesetzt; hier finanziert das BMZ. Eines dieser Kollegs - eine Kooperation der TU Berlin mit der University of Witwatersrand in Südafrika - widmet sich dem Thema „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ . Dies wiederum ist aber ebenso Themenschwerpunkt eines großen Projekts von FONA, nämlich zum Thema Zukunftsstadt; hier finanziert das BMBF. Exemplarisch zeigt sich daran, dass es viele Anknüpfungspunkte für Synergien gibt . Es ist gut, dass die Strategie dies besonders hervorhebt . Noch nie war sie so wertvoll wie heute . Die Effekte der Internationalisierungsstrategie gehen weit über eine Effizienzsteigerung in den Wissenschaften hinaus. Wir brauchen, um kreativ und innovativ zu sein, Differenzerfahrungen, auch und gerade in fremden Kulturen und Ländern . ({6}) Man lernt dadurch mehr als nur die fachlichen Inhalte an der Uni oder im Forschungsprojekt . Die Kollegen, die man weltweit in den Laboren trifft, die fremden Sprachen, die neuen Nachbarn: All das stärkt unser Verständnis von der eigenen Kultur ebenso wie von der fremden, in der wir leben . International zu sein, heißt, Umgang mit dem Fremden zu erlernen und schätzen zu lernen . Grenzüberschreitungen auf der Landkarte führen dann hoffentlich auch zu Grenzüberschreitungen im Kopf; denn für Offenheit und Freiheit im Denken stehen Bildung und Wissenschaft . Vielen Dank . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Jetzt hat Frau Kollegin Dr . Rosemarie Hein von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! In Zeiten der weltweiten Vernetzung wäre es töricht, wissenschaftliches Arbeiten in nationalen Grenzen denken zu wollen . Auch die Vielfalt der globalen Probleme - der sozialen, der wirtschaftlichen, der ökologischen - zwingt geradezu dazu, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen . Ein Beispiel dafür . Wir wissen, der Klimawandel kommt nicht einfach so über uns; er ist auch selbstverschuldet . Die Abholzung des Regenwaldes zum Beispiel trägt dazu bei . Darum reicht es nicht, zu forschen, wie man mit den Folgen des Klimawandels umgeht, sondern wir müssen auch darüber nachdenken, wie man die Ursachen beseitigt, die dazu führen, dass der Regenwald abgeholzt wird . ({0}) Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich große Konzerne aufgrund ihrer Profitgier dort bedienen und ausnutzen, dass es in diesen Ländern große Armut gibt, die die Menschen dazu zwingt, ihre natürlichen Ressourcen zu verkaufen . Es gehören aber auch andere Themen dazu . So bedarf auch die Bekämpfung schlimmer Krankheiten der weltweiten Forschungskooperation, ebenso Fragen des Artensterbens und der biologischen Vielfalt . Man kann die Beispiele nahezu unbegrenzt fortführen . Wir alle leben nun einmal in einer Welt und nicht jedes Land in seiner . In diesem Sinne ist es gut, folgerichtig und auch notwendig, dass sich ein reiches Land wie Deutschland an der Forschungskooperation beteiligt und darauf setzt . Die Bundesregierung hat nun gleich acht Strategien entwickelt, wie sie sich aus forschungspolitischer und bildungspolitischer Sicht in der Welt bewegen möchte . Dabei bekommt man den Eindruck, dass Deutschland vor allem an seine eigenen Vorteile denkt und die Kooperation diesen Eigeninteressen unterordnen will . ({1}) So setzt sie zum Beispiel auf Großprojekte wie die Testanlage für die Kernfusionsforschung Wendelstein 7-X, deren Aufbau allein schon 1 Milliarde Euro verschlungen hat . ({2}) Natürlich sind nicht alle großen Projekte schlecht; aber es gibt eben auch solche, die schlicht überflüssig sind. ({3}) Sie binden unheimlich viel Geld, das dann in anderen Bereichen der wissenschaftlichen Forschung fehlt . Dies engt die Möglichkeiten auf wenige Themen ein . Darauf hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hingewiesen . Im Gegenzug werden kleine und mittelständische Forschungsinfrastrukturen benachteiligt . ({4}) Ein bisschen wirkt dieses Kapitel in der Strategie wie ein Alibi . Der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen aus Deutschland, die am EU-Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020 teilnehmen, liegt mit 11,5 Prozent deutlich unter dem EU-Durchschnitt . Die Bundesregierung setzt in ihrer Internationalisierungsstrategie vor allem auf Exzellenz . Exzellenz, so sagt sie, entstehe vor allem durch Wettbewerb . ({5}) Wissenschaftliche Exzellenz lebt aber nicht in allererster Linie vom Wettbewerb, sondern von guten Arbeits- und Forschungsbedingungen und klugen Köpfen . ({6}) Mit Blick auf die Internationalisierung geht es vor allem um Forschungskooperation und nicht um Forschungskonkurrenz . Den egoistischen Wettbewerb um die besten Köpfe werden wir nicht gewinnen können . Da unterschätzen wir die Kreativität der Forscherinnen und Forscher aus anderen Ländern . Wir täten sehr gut daran, bei unserem Agieren in der Welt auch zu begreifen, dass das reiche Europa und das reiche Deutschland zu einem beträchtlichen Teil für die Herausforderungen, die in der Internationalisierungsstrategie beschrieben werden, mitverantwortlich sind . Darum ist es auch ein wenig unredlich, wenn der eigene ökonomische Nutzen aus international gewonnenen Erkenntnissen im Vordergrund steht . Wenn das Motiv des besseren internationalen Marktzuganges für deutsche Unternehmen die internationale Forschungskooperation bestimmt, dann ist dieser egoistische Ansatz ein Teil der Ursachen der derzeitigen internationalen Probleme . ({7}) Uns geht es um kulturellen und wissenschaftlichen Austausch auf Augenhöhe . Ich hoffe, Ihnen auch . ({8}) - Das war jetzt Ihr und nicht mein Niveau . ({9}) Wissen ist nämlich das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn man es teilt . Die Orientierung an kurzfristigen ökonomischen Interessen ist hier schädlich . Im Übrigen frage ich mich, wieso Sie in der letzten Zeit eigentlich immerzu auf solche Finanzierungsmodelle wie öffentlich-private Partnerschaften setzen . Der Bundesrechnungshof hat erst kürzlich erklärt, dass das die öffentliche Hand teurer kommt, als wenn man die Projekte gleich durch öffentliche Mittel finanzieren würde . Ich weiß nicht, warum das das neue System wird und warum man das inzwischen überall - auch in der Forschungskooperation - anwendet . Nun aber zurück zur Strategie der Bundesregierung . ({10}) Es gibt genau genommen keine neuen Ansätze, sondern vor allem Worthülsen: Wir wollen uns stärker engagieren . Wir wollen besser umsetzen . Wir wollen weiterentwickeln . - Machen Sie es doch! ({11}) Begriffe wie „Dynamik“ und „Flexibilisierung“ sagen überhaupt nichts über Inhalt und Ziel . Sie können gut, aber auch sehr schlecht sein . Deshalb glaube ich nicht, dass es reicht, wenn man mit solchen Worthülsen eine Strategie entwickelt . Die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft werden so gut wie gar nicht thematisiert, und zwar weder die in unserem Lande noch die im Ausland . Sie sind aber ein wesentlicher Faktor für gute Forschung . ({12}) Für gute Wissenschaftskooperationen in der Zukunft ist es auch wichtig, dass Studierende einen Teil ihres Studiums im Ausland absolvieren . ({13}) - Das wird thematisiert, aber man muss dazu sagen, dass das, was dort passiert, eigentlich zu wenig ist . Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Studierenden das nicht wollen, sondern damit, dass die derzeitigen Studienbedingungen das nicht zulassen . Deshalb liegen die Auslandsaufenthalte sehr oft zwischen dem Bachelor und dem Master . Außerdem hat das damit zu tun, dass die sozialen Bedingungen trotz des Förderprogramms nicht stimmen . ({14}) - Wenn Sie das „Quatsch“ nennen, dann weiß ich nicht, wo Sie leben . ({15}) Ich möchte zu einem anderen Aushängeschild kommen; das ist ein Thema für Herrn Feist . Ich meine die duale Berufsausbildung, den Exportschlager, den wir immer so gerne bejubeln . Sie meinen, wir hätten dabei den Stein der Weisen gefunden, und wir müssten dieses System auf alle Länder übertragen . ({16}) Manche Länder glauben tatsächlich, dass das möglich ist . Dieses System ist aber kein Exportschlager . Nachdem uns einige Jahre lang ausländische Gäste die Türen eingerannt haben, scheint sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass die schlichte Übertragung, also der Export dieses Systems, nicht so einfach ist . ({17}) So ist der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen zu entnehmen, dass Spanien aus diesem System schon wieder ausgestiegen ist . Wenn dafür die wirtschaftlichen Voraussetzungen in einem Land fehlen, dann gibt es eben keine duale Ausbildung . ({18}) Diese baut darauf auf, dass sich die Wirtschaft in dem Land engagiert . Die Leuchttürme, die es in diesen Ländern gibt, entfalten eben keine Flächenwirkung und viele Abkommen und Absichtserklärungen auch nicht . ({19}) Ich will Ihre Strategie zitieren, weil dabei ziemlich klar wird, worum es geht - Sie haben sie gleich am Anfang zusammengefasst -: Sie - die gut ausgebildeten Fachkräfte sind zugleich eine wichtige Voraussetzung für das Engagement deutscher Unternehmen in den Zielländern . ({20}) Da haben wir es: Darum geht es . Es geht um die besten Bedingungen für deutsche Unternehmen in den Zielländern . ({21}) Die Fachkräfte gehören eben dazu . Hier steht wieder einmal die wirtschaftliche Expansion im Vordergrund . Nun frage ich mich nur: Wieso bekommen Sie es nicht hin, jene jungen Menschen, die in den letzten zwei Jahren zu uns geflüchtet sind und abwarten, ob ihr Asylgesuch anerkennt wird - ich meine diejenigen mit einer geringen Bleibeperspektive -, so auszubilden, dass sie bei der Rückkehr in ihr Heimatland eine gute Basis dafür haben, später einmal Fachkräfte zu werden? ({22}) Hier hätten Sie die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass es mehr Fachkräfte gibt, aber das machen Sie nicht . ({23}) Danke schön . ({24})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Dr . Daniela De Ridder von der SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen . Das sagte Willy Brandt vor rund 50 Jahren in seiner Regierungserklärung . Ich sage an diesem traurigen Tag, an dem wir die Maut verabschiedet haben ({0}) - warten Sie doch ab -, dass es mich ein wenig ärgert, liebe Kollegen, dass es wir Wissenschaftspolitikerinnen und -politiker sein müssen, die die Scharte auswetzen müssen, die die Verkehrs- und Finanzpolitiker geschlagen haben . ({1}) Meine niederländischen Kollegen verstehen nicht, warum wir heute die Einführung der Maut beschlossen haben . Aber noch weniger verstehen sie, warum wir ihre Bildungsabschlüsse nicht ausreichend anerkennen, und zwar trotz des Bologna-Prozesses . Aber ich will an diesem Tag die Plenarwoche nicht griesgrämig beenden, sondern ich will das in Dankbarkeit tun . Sie, Frau Ministerin Wanka, werden gleich sicherlich erwähnen, dass allein aus Ihrem Hause für Forschung und Entwicklung rund 800 Millionen Euro in die internationalen Kooperationen fließen. Ich will an dieser Stelle auch nicht unerwähnt lassen, dass Deutschland im internationalen Vergleich Platz fünf der beliebtesten Länder einnimmt, was die internationalen Studierenden angeht . 12 Prozent aller Studierenden in Deutschland kommen aus dem Ausland . Liebe Kollegin Hein, das könnten gerne noch mehr sein . Genauso verhält es sich mit der Zahl der Studierenden, die ein Auslandssemester einlegen oder Auslandspraktika absolvieren . Das ist knapp die Hälfte der Studierenden . Auch da könnten wir gut einen Boom gebrauchen . Damit leisten wir im Gegensatz zu der eben aufgestellten Behauptung einen Beitrag zur Brain Circulation . ({2}) Ich will mich für die Arbeit vom BMBF, vom BMZ und auch vom AA bedanken . Nicht minder lobend will ich die vielen Aktivitäten des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erwähnen . Ich will auch nicht vergessen, dass die Goethe-Institute eine Menge leisten . Meinen Fokus will ich aber auf die transnationalen Bildungsallianzen legen . Allein der DAAD fördert 80 Projekte in 36 Ländern . Wussten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass 52 Prozent dieser Projekte an Fachhochschulen durchgeführt werden, die diese in einem Förderzeitraum von fünf Jahren mit ganz erheblicher Anstrengung auf die Beine gestellt haben? Zurück zur Alexander-von-Humboldt-Stiftung . Hierbei will ich in der Tat noch einmal ganz besonders die Philipp-Schwartz-Initiative lobend erwähnen; denn sie unterstützt nach meinem Informationsstand inzwischen 70 ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihrem Land alles andere als Wissenschaftsfreiheit genießen können . Liebe Claudia Lücking-Michel, erst vor wenigen Wochen haben wir hier gestanden und noch einmal deutlich gemacht, was wir für Subsahara-Afrika tun wollen . Liebe Rosemarie Hein, unter anderem ein Projekt will ich erwähnen, nämlich die Planung der Ostafrikanisch-Deutschen Hochschule, die gerade dafür sorgen will, dass Menschen in afrikanischen Ländern nicht ihren Kontinent, nicht ihre Heimat verlassen müssen, sondern dort eine adäquate Qualifikation genießen können, damit sie eine Perspektive für die Zukunft haben . Liebe Frau Präsidentin, lassen Sie mich mit Verlaub zwei großen Damen der Wissenschaftspolitik danken . Die erste ist Frau Dr . Edelgard Bulmahn . Ihr ist es zu verdanken, dass es zur Gründung der German Jordanian University kam, die im Jahr 2005 ihren Betrieb aufnehmen konnte . Inzwischen studieren dort 3 600 Studierende an sieben Fachbereichen, und inzwischen haben auch schon 1 100 Studierende ein Deutschlandsemester oder ein Deutschlandpraktikum aufnehmen können . Ich bin sehr dankbar, dass Dorit Schumann, die dortige Vizepräsidentin, unserer Einladung in den Ausschuss gefolgt ist . Wir werden sie kommenden Mittwoch hören und befragen können . Ich will auch deutlich machen, dass wir in Tunesien eine weitere Hochschule planen . Der Maghreb braucht auch unsere Unterstützung . Wir wollen mitunterstützen; denn wir wollen eben nicht, dass junge Menschen dem IS anheimfallen . Wir wollen, dass sie durch Bildung eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bekommen . Warum dann nicht mit Unterstützung deutscher Unternehmen? Die wird dort nämlich ganz dringend gebraucht, auch für die Investitionen, die wir allein nicht leisten können . ({3}) Das, was junge Menschen dort brauchen, ist Bildung statt Bomben und Bürgerkrieg . Ich will aber noch eine zweite große Dame, eine Grande Dame der Wissenschaftspolitik, erwähnen . Das ist Rita Süssmuth, die sich wie kaum eine zweite um die Türkisch-Deutsche Universität verdient macht, und das trotz der Bedingungen, die dort herrschen, und ich sage das ohne jeglichen Hochmut und ohne jede Besserwisserei, wozu uns der neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geraten hat . Ja, Frau Süssmuth bemüht sich hier, die progressiven Kräfte in der Türkei zu unterstützen und diese deutlich zu stärken . Ich will an dieser Stelle einen Punkt aber nicht unerwähnt lassen: Was die Türkisch-Deutsche Universität offensichtlich dringend braucht, sind journalistische Studiengänge . Daneben gilt es, die Pressefreiheit zu unterstützen, komme, was wolle; denn sie ist auch etwas, was diese jungen Menschen unbedingt verdienen . Das ist ein Anliegen, das mir der Journalist Gero von Boehm vor wenigen Tagen zuflüsterte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir also mutig . Das haben uns beide Bundespräsidenten, der aus dem Amt geschiedene und der neu ins Amt gekommene, Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier, mit ans Herz gelegt . Haben wir also den Mut, Verantwortung auch in der Welt zu übernehmen . Ganz herzlichen Dank . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Jetzt hat als Nächster Kai Gehring von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist aus den Fugen geraten: Akute Hungerkatastrophen, schleichende Klimakrise, Kriege und KonflikDr. Daniela De Ridder te bringen Elend . Terror destabilisiert Länder, Staaten zerfallen . 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht . Papst Franziskus spricht von der größten Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg . Weltweit versuchen autoritäre nationalistische und fremdenfeindliche Kräfte, aus Krisen und Orientierungslosigkeit Kapital zu schlagen . Ihr giftiges Rezept: Ausgrenzung, Abschottung und Renationalisierung . Das ist unvereinbar mit unserer global vernetzten Welt, in der wir leben und die wir weiter wollen . ({0}) Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, wollen wir die Globalisierung aktiv und fair gestalten: ({1}) in Verantwortung für alle Menschen in Deutschland und nicht auf Kosten von Menschen anderer Länder und Regionen . ({2}) Bildung und Wissenschaft öffnen Kooperationen auch mit Ländern, deren Türen vernagelt sind . Denn transnationale Bildung richtet sich nicht an die Regime, sondern stellt den einzelnen Menschen - den Forscher, die Lehrkraft, den Schüler, die Studentin - in den Mittelpunkt . Die UNESCO-Verfassung von 1945 zeigt unseren Auftrag . Zitat: Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden . ({3}) Das ist unser Wertefundament, wenn wir über Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung sprechen . Mobilität und Austausch sind Grundlage für einen konstruktiven Dialog und wesentlich für Völkerverständigung und Vielfalt . Es geht nicht darum, den Großteil der Wissenschaftler und Fachkräfte auf Dauer ins Land zu holen, sondern es geht um zirkuläre Migration, um Brain Circulation . Denn Abwerbung oder Headhunting würden die Entwicklungschancen ärmerer Länder schmälern . Es wäre falsch, Internationalisierung nur zu betreiben, um Deutschland Wettbewerbsvorteile zu verschaffen . Nein, es geht um so viel mehr . ({4}) Nachhaltig ist Austausch, von dem alle Partner profitieren, vor allem auch in der arabischen Welt und auf dem afrikanischen Kontinent . Genau das ist Grundlage für unseren deutschen Ansatz einer transnationalen Bildung . Wir wollen Kooperation auf Augenhöhe und, ja, auch auf Herzenshöhe . Deutschland ist unter den Top Five der Zielländer internationaler Studierender, und das ist super . Die Zahl der ausländischen Wissenschaftler in Deutschland wächst . Auch das ist super . Umgekehrt haben wir aber noch Luft nach oben . Daher wollen wir die Zahl der Auslandsaufenthalte von Studierenden und Azubis aus Deutschland in der Welt noch deutlich steigern . ({5}) Gerade Finanzierungssorgen halten junge Leute allzu oft von Auslandsaufenthalten ab . Daher wollen wir ein besseres Auslands-BAföG und mehr Stipendien, damit mehr Menschen aus einkommensarmen Familien den Schritt ins Ausland wagen . Wir wollen Weltoffenheit für alle . ({6}) Eine international anerkannte Stärke Deutschlands ist unser traditionsreiches System der Berufsausbildung . Es ist bei weitem nicht makellos, aber relativ krisenfest und verschafft uns eine vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit . Dennoch lässt es sich nicht leicht kopieren und exportieren . Nach drei Jahren Europäischer Ausbildungsallianz sind zum Beispiel in Italien gerade einmal 40 Ausbildungsplätze entstanden . So gut unser Modell auch sein mag, sollten wir uns doch ehrlich machen: Es ist kein Exportschlager, ({7}) sondern eher eine Blaupause . Es braucht echte Initiativen gegen Jugendarbeitslosigkeit, die besser zu den jeweiligen Traditionen der Länder passen . ({8}) In vielen Ländern sind die Hochschulen Ausbildungsstätten . Allerdings hapert es vielerorts an der Verbindung von Theorie und Praxis . Warum also nicht stärker unser Modell der Fachhochschulen bewerben, deren Stärke genau diese Verbindung ist? Das brächte den Fachhochschulen genau den Internationalisierungsschub, den sie leisten können und wollen . Wegweisend ist die Absicht, eine deutsch-ostafrikanische Fachhochschule zu gründen: ein vielversprechender Vorstoß des DAAD, den wir unterstützen und der hoffentlich Schule macht . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Internationalisierung schreitet voran: Wir haben unglaublich engagierte Mittlerorganisationen und Stiftungen, die weltweit Türen öffnen . Wir haben Studierende und Wissenschaftler, die in die Welt hinausziehen, um zusammen mit anderen neue Erkenntnisse zu gewinnen . Ihnen allen gebührt unser Respekt und Dank . ({10}) Uns allen muss zugleich bewusst sein, dass die Arbeit dieser Akteure schwerer geworden ist . Immer länger wird die Liste der Länder, in denen Journalisten, Andersgläubige, Andersdenkende und Wissenschaftler entlassen, verfolgt, drangsaliert und eingekerkert werden . Die Forderung „Free Deniz!“ ist eindringliche Chiffre für den Kampf für Pressefreiheit und die Freilassung aller inhaftierten Journalisten in der Türkei und weltweit . ({11}) Genauso braucht es Freiheit und Schutz für türkische Wissenschaftler, die den Appell für den Frieden unterzeichnet haben . Vor massiven staatlichen wie nichtstaatlichen Repressionen, Angriffen und Übergriffen ist keine Profession mehr sicher . Besonders bedroht sind Geistes- und Sozialwissenschaftler, weil sie als Antreiber gesellschaftlichen Wandels gelten . Umso wichtiger sind Programme für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie die Philipp-Schwartz-Initiative der AvH-Stiftung . Wir sollten dieses Engagement verstetigen und deutlich ausbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({12}) Neben dem akuten Schutz für Gefährdete kommt es darauf an, die weltweite Stärkung der Wissenschaftsfreiheit zum zentralen Ziel der Internationalisierungsstrategie zu machen . Das fehlt uns . Es fehlt an systematischem Wissen, wie es in unterschiedlichen Ländern um Wissenschaftsfreiheit und Gefährdungen von Studierenden und Forschern bestellt ist . Diesen blinden Fleck muss die Bundesregierung beseitigen . Ob in der Türkei, in China, Russland, im Iran, im Irak oder in Ägypten, dort und anderswo fürchten kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um ihre Freiheit, ihren Beruf, ihr Wohlergehen, manchmal sogar um ihr Leben . Es reicht nicht aus, diese Lage „mit Sorge“ zu beobachten . Es braucht hier deutlichen diplomatischen wie politischen Druck . ({13}) Niemand will Austausch und Kooperation direkt abbrechen, wenn sich die Lage in einem Land immer weiter verschlechtert . Für Ernstfälle bedarf es aber klarer Leitlinien für die Zusammenarbeit, vor allem um denen den Rücken zu stärken, die die internationalen Kooperationen gestalten . Weltweit schrumpfen Budgets für die Wissenschaft . ({14}) Der gefährliche Trend der Wissenschaftsdiffamierung nimmt zu . Auch hierzulande werden wissenschaftliche Fakten wie der Klimawandel oder Genderforschungsergebnisse diskreditiert, lächerlich gemacht oder geleugnet . Eine Fake- und Abschottungspolitik à la Trump und der antieuropäische Brexit stellen Freizügigkeit und Kooperation von Wissenschaft auf eine mehr als harte Probe . Das sind Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam aktiv stellen müssen . ({15}) Bildung und Wissenschaft spielen die Schlüsselrolle, um die Globalisierung zu gestalten . Bildung kommt soft daher . Aber sie hat eine ungemeine Kraft . „Eine Schule, ein Buch, ein Kind können die Welt verändern“ - so hat es die Kinderrechtsaktivistin Malala auf den Punkt gebracht . Bildung und Wissenschaft lehren Angstmacher das Fürchten; denn es durchkreuzt ihre Pläne, die eigene Verbohrtheit zu Intelligenz zu erklären . Bildung ist ein Menschenrecht, ein Grundnahrungsmittel für eine starke Zivilgesellschaft - in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt . Es lohnt sich, dafür gemeinsam zu streiten und zu werben . Vielen Dank . ({16})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Gehring . - Jetzt hat als Nächste das Wort die Bundesministerin Dr . Johanna Wanka . ({0})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005307

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Mittwoch, also vorgestern, war Weltwassertag, ein Tag, der uns daran erinnern soll - und erinnert hat -, dass als sechstes Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen angestrebt wird, dass alle Menschen auf der Welt sauberes Trinkwasser haben . Das ist eine gigantische Aufgabe . Wenn man sich die Zahlen anschaut, weiß man, wie schlimm es darum bestellt ist . Eine solche Aufgabe kann man nur international, in Kooperation, lösen . Ich will das große Projekt der Bundesregierung zum Wasserressourcenmanagement in Jordanien als Beispiel nennen . Es handelt sich um eine Region mit sehr wenig Wasser und großen Problemen . In diesem Projekt arbeiten jordanische, deutsche, palästinensische und israelische Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, NGO-Vertreter und Behördenvertreter zusammen . Dort geht es auch um Brücken zwischen Ländern und Menschen, die sonst kaum miteinander reden . Ich bleibe beim Thema Wasser . Wir haben in Deutschland zu diesem Thema eine hohe Expertise, Frau Hein, weil wir seit Jahren Grundlagenforschung betreiben . Unsere Expertise ist gefragt . Wasserprojekte gibt es in Israel, Indien, Afrika und China . Das heißt, die Lösung der globalen Probleme gehen wir an . Wer kommt denn auf die Idee, zu sagen, wir machen keine Grundlagenforschung? Genau das machen wir . Wir machen aber nicht nur Grundlagenforschung . Vielmehr versuchen wir auch, direkt die Lebensbedingungen der Menschen in den jeweiligen Regionen positiv zu beeinflussen, zum Beispiel mit den beiden Klimainitiativen SASSCAL im südlichen Afrika und WASCAL im westlichen Afrika, dem Forschungsnetzwerk zu Gesundheitsinnovationen in Afrika, oder der PRIMA-Initiative, bei der es um den Mittelmeerraum geht . In diesem Bereich gehören wir zu den Ländern, die sich weltweit am stärksten engagieren . ({0}) - Danke schön, Herr Rossmann . ({1}) Frau Hein, Sie haben die Formulierung gewählt: Fusionsforschung kostet viel Geld . - Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein Egoismus sondergleichen . Da wird mir schlecht . ({2}) Natürlich kommen wir in Deutschland damit aus, unsere Energie aus Kohle - und was weiß ich nicht noch - zu beziehen, und das auch noch in 30 Jahren . ({3}) Aber das gilt nicht für die Megacitys der Welt . ({4}) Wir müssen dort forschen . Die Länder können es zum Teil nicht . Aber gerade deswegen ist das international und nicht egoistisch . Es ist genau das Gegenteil von egoistisch . ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005307

Ich würde gern erst einmal zu Ende reden . - FONA ist das große Programm für nachhaltige Entwicklung . Mit 2,1 Milliarden Euro werden dort beträchtliche Summen eingesetzt . Ich habe mir den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen angeschaut . Das, was Sie fordern, machen wir schon . Man kann natürlich immer noch mehr verlangen . Noch mehr ist immer gut, aber das ist nicht das Problem dabei . Die Bundesregierung hat 2008 erstmals eine Internationalisierungsstrategie entwickelt . Diese Internationalisierungsstrategie hatte vier Schwerpunkte . Der erste: Lösung der globalen Probleme der Welt . Der zweite: Zusammenarbeit mit den Besten und Leistungsstärksten der Welt . Der dritte: international Innovationspotenziale erschließen . Der vierte: Schwellen- und Entwicklungsländer stützen und stärken . Diese Schwerpunkte gelten immer noch, und zwar unvermindert . Das sind ganz entscheidende Ziele . Aber die Welt hat sich gedreht, sie hat sich verändert . Es müssen neue Dinge hinzukommen und neue Schwerpunkte gesetzt werden . Ich will einige wenige nennen . Ein Schwerpunkt ist Europa - den globalen Schwerpunkt habe ich eben genannt - und der europäische Forschungsraum . ({0}) Wir haben null Chance, wenn wir denken, uns als Deutschland, vielleicht noch mit Frankreich und ein, zwei anderen Ländern zusammen, gegen die großen Zentren in Amerika und in China behaupten zu können . Das geht nur mit einem europäischen Forschungsraum . ({1}) Wir haben vor kurzem als allererstes Land in Europa eine Strategie vorgelegt, in der wir nicht nur darlegen, wie wir uns vorstellen, was die anderen machen sollen, sondern vor allen Dingen, was wir selbst dazu machen sollen . Es geht gerade darum - da sind wir oft alleine in Europa -, ({2}) dass wir uns engagieren . Es geht dabei nicht nur darum, wie viel Geld wir oder andere zurückwollen, sondern darum, wie wir in den Ländern in Europa, die nicht so leistungsstark sind, exzellente Forschung ankurbeln können . Deswegen ist das ganz entscheidend . ({3}) Der zweite Punkt: internationale Mobilität . Die Studentenzahlen in diesem Bereich sind bestens . Wie kommen Sie denn auf die Idee, zu behaupten, dass wir in dieser Hinsicht nicht besonders gut seien? Haben Sie sich einmal irgendwelche Zahlen angeschaut? ({4}) Bei uns gehen 37 Prozent aller Studenten einmal ins Ausland . Die Niederlande, ein kleines und international vernetztes Land, streben in den nächsten Jahren einen Anteil von 20 Prozent an . Wir hingegen marschieren in Richtung 50 Prozent . Wie kann man da sagen, das ist nicht besonders gut? Das ist klasse . ({5}) Eine Bemerkung zum BAföG . In Ihrem Antrag steht, die Bearbeitungsdauer beim Auslands-BAföG sei zu lange und die armen Studenten müssten einen Vorschuss leisten . Sie wissen - davon gehe ich aus -, dass wir null Einfluss darauf haben und dass das reine Ländersache ist - Sie können Ihre Ministerin fragen -, wie BAföG verwaltet wird . Das heißt, wir können das nicht beeinflussen. Aber wir sehen natürlich, dass die Bearbeitung manchmal zu lange dauert . Deswegen hat die Bundesregierung im BAföG einen Passus verankert, dass wir einen Vorschuss zahlen, wenn die Bearbeitung zu lange dauert . Also: erfolgt, erledigt . ({6}) Bei der Mobilität geht es uns nicht nur um den Austausch, sondern es geht uns auch immer darum - Beispiel Ukraine -, die Wissenschaft in den Ländern zu stärken, damit die Wissenschaftler nicht alle weggehen, damit sie nur temporär bei uns sind und dann wieder zurückgehen . Oder sie sollen in ihrem Land gestärkt werden . Das ist unsere Strategie . Wir haben einige Programme aufgelegt . Die Philipp-Schwartz-Initiative ist genannt worden; ich nenne jetzt noch: Integra, das Stipendienprogramm Leadership for Syria etc . Wir haben aber auch Maßnahmen mit einem Volumen von 18 Millionen Euro für Integrations- und Migrationsforschung auf den Weg gebracht der 1 . März war Bewerbungsschluss für die aktuelle Ausschreibung -; denn wir brauchen viele Erkenntnisse in diesem Bereich . Auch das läuft . Vorletzter Punkt: Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands . Da bin ich bei Jürgen Mlynek . Die Grundvoraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit ist Internationalisierung, ganz klar . ({7}) Deswegen ist eine Einschränkung auf Wissenschaftseinrichtungen und bilaterale Hochschulabkommen falsch . Die 2+2-Projekte, die Frau Lücking-Michel erwähnt hat, sind richtig, ebenso Spitzencluster im Rahmen der Internationalisierung . ({8}) Das heißt auch, Möglichkeiten über wirtschaftliche Kontakte zu nutzen . ({9}) Der letzte Punkt . 2008 war die Attraktivität der deutschen Berufsausbildung noch nicht das Thema . Die Wertschätzung dafür ist gestiegen . Kein Mensch glaubt - das finden Sie in keinem Papier -, dass wir das, was wir in Deutschland haben, eins zu eins in irgendein Land übertragen können . Das ist absoluter Blödsinn . ({10}) Es geht nur darum, dass wir Elemente, die gut sind, übertragen . Das ist schwierig genug . Der indische Ministerpräsident beispielsweise ist immer noch dafür, die gesamte Ausbildung staatlich zu organisieren, ohne die Wirtschaft . ({11}) Das sind Dinge, über die wir diskutieren . Für die berufliche Bildung in Deutschland ist Folgendes bei Erasmus wichtig: Dieses Programm ist bei vielen Studenten angekommen; das weiß jeder, es machen viele . Wir haben Gelder ohne Ende in der EU; das gilt auch für unseren Teil . Wichtig ist nun, dass wir diejenigen, die in der Berufsausbildung sind, auch ins Ausland schicken, ({12}) zum Beispiel nach Italien, wenn sie Koch oder so etwas lernen . Wir müssen das nur noch mehr zur Nutzung bringen . Das Geld ist schließlich da; es ist keine Frage des Geldes . Was den Transport von guten Elementen angeht, machen wir in diesem Sommer eine neue Förderung: Wir bieten den deutschen Bildungsanbietern, die die entsprechenden Voraussetzungen haben, Unterstützung durch öffentlich-private Partnerschaften an, damit sie in anderen Ländern tätig sein können . Warum denn nicht? Diese Anbieter haben das nötige Know-how, und dieses Betätigungsfeld ist für sie eine Chance . Das funktioniert ab dem Sommer . ({13}) Eine kleine Nebenbemerkung . ÖPP-Projekte sind nicht per se gut - nein, das kann man nicht sagen -; sie sind aber auch nicht per se schlecht . Ein gutes Beispiel ist natürlich unser Haus . Schauen Sie es sich an: Sein Bau als ÖPP-Projekt blieb sowohl im Zeit- als auch im Kostenplan . Da, wo rote Landesregierungen sind - Stichwort „Flughafen“; kein ÖPP-Projekt -, dauert alles länger . ({14}) Meine Damen und Herren, ich glaube, mehr denn je brauchen wir eine freie Wissenschaft . Wissenschaftsfreiheit ist das A und O . Sie ist das wesentliche Element unserer Internationalisierungsstrategie . Wir brauchen eine Wissenschaft, die Grenzen überwindet, die kluge Köpfe verbindet und die international daran arbeitet, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen . Ich denke, wir haben die Strategie dafür, und wir setzen sie um . Danke . ({15})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Ministerin . - Bevor wir die Aussprache zu dem Thema fortsetzen, erteile ich das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke für eine Kurzintervention . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Ministerin, als Erstes eine kurze Bemerkung zu Ihrem Redezeitpunkt . Regelmäßig ergreifen Sie das Wort nach der Opposition, damit wir nicht mehr die Möglichkeit haben, direkt auf Sie zu erwidern . Das ist eine kleine Unsitte . In diesem Zusammenhang verwundert es auch nicht, dass Sie eine Zwischenfrage nicht akzeptieren . Ich habe mich gemeldet, um auf die Frage der Fusionsforschung einzugehen . Sie behaupteten nämlich, mit Kernfusion könnten die Energieprobleme in den Entwicklungsländern gelöst werden . Ich wollte Ihnen die Frage stellen, ob Sie wissen, in welchem Jahr die Kernfusion einsatzbereit ist . Nach meinem Wissensstand rechnet man bei ITER damit, dass man nicht vor dem Jahr 2055 in die kommerzielle Nutzung gehen kann wenn denn alles klappt . ({0}) Das ist bis dahin ein Zeitraum von etwa 40 Jahren . Das Ganze nennt sich Kernfusionskonstante, weil man schon 1970 versprach: In 40 Jahren wird die Kernfusion einsatzbereit sein . - Das heißt, ich frage Sie, wie die Zeit bis dahin überbrückt werden soll . Aus unserer Sicht müssen wir die Forschungsmittel heute einsetzen - das ist unsere Meinung; sie hat Frau Kollegin Dr . Hein vorgetragen -, damit die Energiearmut und die Armut insgesamt heute bekämpft werden können und damit keine Kriege mehr aufgrund von Armut geführt werden . ({1}) Da ist Forschung notwendig . Die Nutzung erneuerbarer Energien und die entsprechenden Speichertechnologien in Entwicklungsländern müssen vorangetrieben werden . Die Energieeffizienz muss dahin gehend verbessert werden, dass sie in den Entwicklungsländern genutzt werden kann . Genau dafür fehlen die Gelder, weil Sie sie in eine Forschung stecken, die vielleicht in 40 Jahren funktionieren könnte . ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben das Wort zur Erwiderung .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005307

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich machen wir das . Natürlich fördern wir jetzt schon in Afrika und an anderer Stelle . Ich will gar nicht über Forschungsfragen im Zusammenhang mit diesen Energien reden; das will ich jetzt gar nicht thematisieren . Aber die Frage „Wann ist Kernfusion einsatzbereit?“ können wir alle nicht genau beantworten . Es dauert auf jeden Fall . Experten sprechen von einem Zeitraum von 30 Jahren . Das ist egal . Ich habe zwei Enkeltöchter . Auch ich bin dafür, dass wir Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Welt in Ordnung ist, wenn sie erwachsen sind . ({0}) Es ist gerade ein Ausdruck von Deutschlands Größe, dass wir nicht nur auf die kurzfristige Verwertbarkeit schauen . Das zu tun, ist völlig falsch . ({1}) Deswegen gilt es, die Grundlagenforschung zu fördern, und dazu gehört die Fusionsforschung . Das ist ein Gebiet, in dem wir Weltspitze sind . Wenn die Chinesen sagen, sie wollten da jetzt Milliardensummen investieren, stelle ich fest: Wir investieren weniger Geld; aber wir machen es exzellent . Das lasse ich mir nicht unter dem Aspekt „Es passiert nicht gleich morgen“ zerreden . ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank . - Wir setzen die Aussprache jetzt fort . Als Nächstes hat der Abgeordnete Dr . Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wanka, Sie haben sich sehr intensiv mit Frau Hein auseinandergesetzt . Ich mache es kürzer . Es gibt den schönen Satz: „Ich bin der Geist, der stets verneint .“ Frau Dr . Hein, Sie waren heute leicht mephistophelisch, und das ist zu wenig . ({0}) Sie haben deshalb einen weiteren Weg zu gehen, um den Konsens in Bezug auf die Internationalisierungsstrategie am Ende auch so zu teilen, wie das - natürlich in Nuancen - bei den Grünen, bei der SPD und auch bei der Fraktion der CDU/CSU - dort wird es vielleicht differenziert gesehen - der Fall ist . Aber insgesamt ist da etwas gewachsen; Frau de Ridder hat daran erinnert . Es begann mit Edelgard Bulmahn . Da hat es erste Akzente gegeben . ({1}) Ich erinnere mich an den leider schon verstorbenen Vizepräsidenten des DAAD, Max Huber, der sich über eine solche Debatte hier gefreut hätte . Es war damals Edelgard Bulmahn zusammen mit Joschka Fischer . Dann kamen in der ersten Großen Koalition - in Anführungszeichen der Neuzeit Frau Schavan und Herr Steinmeier . Genauso ist es jetzt mit Frau Wanka und Herrn Gabriel . Es ist gut, dass wir diese Kontinuität über die verschiedenen politischen Verantwortlichkeiten hinweg haben; denn am Ende steht ein wirklich gutes gemeinsames Ergebnis . Frau Hein, wenn Sie in die Betrachtung der sehr detaillierten Programme eintreten würden, dann würden Sie merken, wie fein ausgewogen die vielen Aktivitäten sind . Ich will versuchen, das in einem Punkt neu einzuordnen . Frau Wanka, da haben Sie für meine Begriffe das richtige Stichwort für diese Debatte genannt . Sie haben nämlich auf Europa abgehoben . Wir sind in Deutschland allerdings dabei, ein gewisses Gegenbild zu dem zu entwerfen, was aktuell in Europa diskutiert wird . Ich will Ihnen sagen: Wir sind befremdet darüber, dass Kommissionspräsident Juncker mit seiner Zielstrategie 2025 fünf strategische Elemente bzw . fünf Inhalte benennt, in denen Bildung, Forschung und Innovation aber nicht enthalten sind. Das, finden wir, ist zu wenig. ({2}) Es wäre gut, wenn dies im Jahr 60 der Römischen Verträge, im Jahr 30 von Erasmus in Europa aufgenommen werden könnte; der Europäische Forschungsraum und Horizont 2020 sind in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen . Aber es fehlt . Es fehlt in der Juncker’schen Europastrategie vollkommen, und das ist unterkomplex, das ist auch unterperspektivisch . Die Bitte an die Bundesregierung ist: Bringen Sie sich, nachdem Sie sich jetzt schon eingebracht haben, noch viel energischer ein mit dem Ziel, dass in der Verantwortung Europas diese sechste Dimension mit aufgenommen wird . Es geht bei der Internationalisierung von den Inhalten her um Entwicklung in der Welt, um Wissenschaft, um Forschung und Bildung . Das hat auch deshalb Perspektive - Sie haben die Zahlen genannt -: 7 Prozent der Weltbevölkerung sind europäisch, 19 Prozent der Wissenschaftsleistung . Aber das wird sich ändern . Wenn wir das nicht bündeln, wenn wir nicht mit Exzellenz in Kooperationen und Netzwerke hineingehen, dann wird dieser positive Beitrag, den wir aus Europa, aus Deutschland leisten, schwächer ausfallen, als er sein könnte . ({3}) Eine kritische Bemerkung . Wir müssen auch daran denken - Sie haben es angesprochen, andere ebenfalls -, dass dazu natürlich auch Substanz gehört: Substanz an Ressourcen, Substanz an Regierungsaufmerksamkeit, Substanz auch an Geld . Von Kai Gehring kam vorhin dieser Zwischenruf . Auch wir glauben, dass die Fixierung auf das 2-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben im Rahmen der NATO nicht das ist, was internationalen Frieden, internationale Nachhaltigkeit tatsächlich so befördern könnte, wie es notwendig wäre; denn Militär schafft kein sauberes Wasser, Militär verändert nicht den Klimawandel, Militär sorgt nicht für berufliche Bildung. Wir dürfen diese Dimension nicht vergessen . Wir brauchen dafür zusätzliche Mittel . Wir brauchen sie in Deutschland, und wir brauchen sie auch in Europa . Das muss eine Perspektive sein, die wir zusammen aufmachen . ({4}) Es gibt jetzt erste Vorstellungen nach Trump und nach dem Brexit und sozusagen zur Korrektur des verengten Juncker’schen Entwicklungskonzepts . Ich fand sehr bemerkenswert, was Herr Hippler und sein französischer Kollege Roussel - jeder in seinem Land Präsident der Hochschulrektorenkonferenz - angesprochen haben, nämlich: Wir bräuchten auch aus der europäischen Wertetradition heraus eine gemeinsame Initiative der Universitäten, der Forschungs- und Bildungseinrichtungen mit dem Ziel höherer Niveaus in Europa, um dies in Europa zu vermitteln und zu vernetzen, aber auch aus Europa heraus . - Sie schlagen einen Fonds vor, eine Initiative für Bildung, Forschung und Innovation . Wenn unser Außenminister Sigmar Gabriel jetzt anspricht, mehr Geld für Europa zu mobilisieren, dann hat er auch dies mit im Hinterkopf . ({5}) Es ist gut, dass wir beim konservativen Partner/Konkurrenten merken: Darüber wird differenziert gedacht, von Europapolitikern anders als von anderen . Aber lassen Sie uns, wenn wir diese gute Bildungs- und Forschungsagenda haben, doch gemeinsam dafür werben, dass in Europa das Gewicht auf Bildung, Forschung und Innovation stärker wird, weil das etwas Positives in die Welt hineinträgt . ({6}) Der Vorschlag der beiden Präsidenten zu Bildung, Forschung und Innovation deckt sich im Übrigen mit dem, was von Ihnen, Frau Wanka, aber auch von anderen verdienstvollerweise in die neue Internationalisierungsstrategie 2017 - nach der von 2008 - hineingebracht worden ist. Darin findet sich erstmals die Dimension der beruflichen Bildung. Damals war man noch nicht so weit . Frau Hein, man kann - ich mache einmal den Zusammenhang klar - ganz einfach sagen: Es ist das Bündnis von exzellenter Wissenschaft und exzellentem Facharbeitertum bzw . von exzellenter Forschung und exzellenter beruflicher Bildung, das Baden-Württemberg, Deutschland und andere europäische Länder stark gemacht hat . ({7}) Dies in der Exzellenz und Qualifizierung nach vorne zu tragen, wäre eine starke Botschaft . Die müssen wir aber noch ausbauen . ({8}) Das darf aber nicht in dem Sinne geschehen, dass wir unser System in andere Länder transportieren wollen . Nein, wir nehmen es als Botschaft mit auf, dass wir an der Stelle etwas entwickeln wollen . Wir müssen das dadurch unterstützen, dass wir - das haben Sie und auch Kai Gehring angesprochen - für den Bereich des nichtakademischen bzw. beruflichen Austausches die Mittel im Rahmen des Erasmus-Programms verdoppeln . Das wäre etwas, wo wir hinkommen könnten . Selbst wenn Sie, Frau Ministerin, die Stirn runzeln: Ich glaube, wenn wir es erreicht hätten, würden auch Sie das anders beurteilen . Am Ende geht es um die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Ausbildung auch bei Erasmus. Weltoffenheit ist das Ziel und die Garantie, Frau Lücking-Michel, für das, was uns stark macht . Deshalb schlage ich den Schlussbogen mit einem Zitat von Alexander von Humboldt, der Folgendes gesagt hat: Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben . Ja, sich die Welt anschauen - das ist Internationalisierungsstrategie . Vielen Dank . ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächster hat das Wort Dr . Thomas Feist von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Den Unterschied zwischen der jetzigen Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung und der vorherigen sieht man schon im Titel . Denn während es bei der Internationalisierungsstrategie 2008 um Wissenschaft und Forschung ging, geht es jetzt um Wissenschaft, Forschung und Bildung . Bildung steht sogar an vorderster Stelle . Das beschreibt genau das, was der Kollege Rossmann gerade gesagt hat: Nur im Zusammenspiel einer gut ausgebildeten Facharbeiterschaft mit einer exzellenten Wissenschaft schaffen wir die Voraussetzung, dass internationale Kooperationen super funktionieren . Es ist angesprochen worden, dass die Kooperation im Bereich der Berufsbildungszusammenarbeit noch ausbaufähig ist; das hatte auch niemand bestritten . Mittlerweile ist es aber so, dass wir über die verschiedenen Ministerien hinweg in diesem Bereich mit 100 Ländern zusammenarbeiten . Vorgestern fand hier eine große Zeremonie statt: Der neue Bundespräsident wurde in sein Amt eingeführt . Zeitgleich fand im BMBF eine Bilanzkonferenz zur internationalen Kooperation in der Berufsbildungszusammenarbeit statt . Frau Hein, Sie hatten eine Mitarbeiterin dorthin abgestellt, die auch fleißig zugehört hat . Wenn man dort zugehört hatte, konnte man feststellen, dass es nicht darum geht, ein Modell eins zu eins irgendwohin zu übertragen, sondern es geht darum, das duale Prinzip zu übertragen . Das heißt, es muss ein Zusammenspiel zwischen einer guten berufsschulischen Ebene und den Unternehmen geben . Das geschieht so, dass wir für die entsprechenden Länder passgenaue Konzepte entwickeln . Das macht übrigens nicht die Politik, sondern das machen die Akteure, die vor Ort vernetzt sind . Das sind zum Beispiel die Außenhandelskammern . Aber auch die Handwerkskammern in Deutschland machen das . Sie überlegen beispielsweise: Wie müsste denn ein Ausbildungsgang aussehen, der die spezifischen Besonderheiten eines anderen Landes aufgreift? Ich denke, das ist in diesem Bereich genau der richtige Weg . ({0}) Zweitens sind die Fachhochschulen angesprochen worden . Es gibt aber noch eine Ebene darunter: Das sind die Berufsakademien oder die dualen Hochschulen . Auch die sind im Bereich der internationalen Zusammenarbeit hervorragend aufgestellt . Der Kollege Schummer beispielsweise hat sich sehr dafür eingesetzt, dass die Hochschule Niederrhein ein sehr internationales Profil zwischen Deutschland und Holland bekommt . Dabei spielte die Maut überhaupt keine Rolle; das beschäftigt die jungen Leute nämlich überhaupt nicht, weil die meisten von ihnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind . Dort kann man sehen, dass nicht nur gemeinsames Lernen und Studieren wichtig sind, sondern auch das gemeinsame Kennenlernen . Das ist die zweite Ebene der Internationalisierung, die darin besteht, dass wir Menschen zusammenbringen, Menschen, die ein Gesicht und einen Namen haben und die sich untereinander verständigen . Wir als Parlament sagen ja nicht nur: Die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung ist gut . - Vielmehr haben wir den Anspruch, das gemeinsam mit dem Ministerium weiterzuentwickeln . Und das haben wir in dieser Legislaturperiode eindeutig gezeigt: Zum Beispiel wurde nach einer Ausschussreise nach Indien ein gemeinsamer Koalitionsantrag erarbeitet, in dem wir gesagt haben, dass wir die Zusammenarbeit mit Indien ausbauen wollen . Ich nenne in dem Zusammenhang aber auch die Initiative für die Staaten Afrikas - und hier beispielhaft die Subsahara-Programme -, die vom Parlament ausging . Und so weiter . Zu den Studierendenzahlen kann man auch noch etwas sagen . Man kann natürlich immer beklagen, dass diese zu niedrig sind . ({1}) Aber man muss natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass sich in den letzten Jahrzehnten der Anteil der deutschen Studenten, die mit Stipendien des DAAD ins Ausland gegangen sind, verdoppelt hat ({2}) und dass sich die Zahl der ausländischen Studenten, die über ein DAAD-Stipendium nach Deutschland gekommen sind, nahezu verdreifacht hat . Das, muss ich sagen, ist eine ganz tolle Sache . Recht vielen Dank an dieser Stelle natürlich auch an den DAAD . ({3}) Was die Hochschulen angeht, möchte ich noch etwas sagen . ({4}) - Herr Gehring, Sie waren schon dran und hätten das alles sagen können . ({5}) Sie haben allerdings viele Sachen gesagt, die hier überhaupt nicht passten . Insofern würde ich jetzt gerne fortfahren . ({6})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Gehring zu?

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine Zwischenfrage des Kollegen Gehring lasse ich immer ganz besonders gerne zu .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Ich glaube, was angemessen ist, hier anzusprechen, das entscheidet noch jeder für sich selber . Ich habe mich ja vor allem für das Thema Wissenschaftsfreiheit starkgemacht . Dazu habe ich von Ihnen noch nicht viel gehört . Da Sie Afrika, auch Subsahara-Afrika, angesprochen haben, wollte ich Sie fragen: Wieso fehlt eigentlich der gesamte Bereich Bildung, insbesondere Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, im Marshallplan mit Afrika von CSU-Minister Müller komplett? Wieso ist das eine Leerstelle, wo Sie doch immer wieder betonen, dass man in dieser Bundesregierung so toll zusammenarbeitet? Im Marshallplan mit Afrika fehlt völlig, den Bereich Wissenschaft und Forschung zu adressieren und zu benennen und das, was wir hier heute diskutieren, auch dort einzubringen . Gibt es da noch Maßnahmen der Koalitionsabgeordneten? Wird dieser Plan noch erweitert, oder bleibt er so? Das ist eine echte Leerstelle, ein echtes Problem . Das zeigt, dass interministerielle Zusammenarbeit offensichtlich nicht funktioniert, während wir hier wieder über Interdisziplinarität gesprochen haben . ({0})

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für diese Frage, lieber Kollege Gehring . Ich verstehe interministerielle Zusammenarbeit so, dass nicht jeder das Gleiche macht . Genau das ist aber bei diesem Punkt der Fall . ({0}) Wir werfen ja auch nicht dem Gesundheitsministerium vor, dass es bestimmte Programme in diesem Bereich nicht unterstützt . ({1}) Im Marshallplan mit Afrika ist zum einen von der Frage der Neustrukturierung der beruflichen Ausbildung unter dem Label Green Economy, das heißt nachhaltiges Wirtschaften, die Rede . Das liegt auch in der Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . ({2}) Das dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein und müsste auch Ihnen ein Herzensanliegen sein . Zum anderen müssten Sie doch auch wissen, dass Institutionen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung zu einem Drittel vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt werden . Die Philipp-Schwartz-Initiative ist mehrmals angesprochen worden . Diese wird im Übrigen vom Auswärtigen Amt finanziert. Jetzt tue ich Ihnen den Gefallen und sage noch etwas zur Wissenschaftsfreiheit. Gerade im Bereich „geflüchtete Wissenschaftler“ stammen momentan mehr Antragsteller aus der Türkei als aus Syrien . ({3}) Deswegen kann ich das, was Sie vorhin zur Presse-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der Türkei gesagt haben, nur unterstützen, wollte es aber nicht wiederholen . ({4}) Abschließend möchte ich noch etwas zum Thema „öffentliche und private Hochschulen“ sagen . Es ist ja immer so eine Frage, wie man das einschätzt . Wer sind die Guten? Ich bin sehr froh, dass die internationalste Hochschule Deutschlands, die Handelshochschule Leipzig, nicht nur in meinem Wahlkreis liegt, sondern auch eine Privathochschule ist . Die Handelshochschule Leipzig, eine sehr alte Gewerbeschule, zeichnet sich dadurch aus, dass ein überproportionaler Anteil der Studentenschaft und der Lehrerschaft international zusammengesetzt ist . Insofern möchte ich damit aufhören, zu sagen: Die sind gut, und die sind schlecht . - Vielmehr macht es der Mix . Wir haben hervorragende Universitäten, wir haben hervorragende Privathochschulen, wir haben hervorragende Berufsakademien, duale Hochschulen und Fachhochschulen, und im Bereich der beruflichen Bildung sind wir auch ganz gut . Was wir dort an Erkenntnissen weitergeben können, das machen wir gern . Vielen Dank . ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Dr . Feist . - Jetzt hat als Nächster der Kollege Dr . Karamba Diaby von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Ziel der vorliegenden Internationalisierungsstrategie ist der Ausbau der internationalen Kooperationen im Bereich berufliche Bildung. Als ich 2016 wieder im Senegal war, habe ich mit vielen jungen Menschen gesprochen . Ein Großteil dieser Menschen hat keine Berufsausbildung und sieht keine Perspektive im Land . Deshalb wollen sie auswandern . Viele von ihnen wollen nach Europa oder nach Amerika, um ein besseres Leben zu führen . Mit der Internationalisierungsstrategie wollen wir auch dazu beitragen, Ursachen von Flucht zu bekämpfen, ({0}) indem wir zum Beispiel Forschungs- und Bildungskapazitäten ausbauen und gezielt junge Menschen für den örtlichen Arbeitsmarkt ausbilden und qualifizieren. ({1}) Dabei gilt bekanntlich unser duales Ausbildungssystem weltweit als Vorbild . Ich betone, dass es hier aus meiner Sicht nicht darum geht, es eins zu eins zu exportieren, ({2}) sondern um Kooperation . Viele Staaten wollen bei der Berufsausbildung mit Deutschland zusammenarbeiten, insbesondere weil die Übergangsquote von der Ausbildung in den Beruf sehr hoch ist . Das zeigt auch die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland . ({3}) Gut ausgebildete Menschen leisten einen guten Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Partnerländern und gelten auch als Erfolgsbedingung für das Engagement deutscher Unternehmen im Ausland . ({4}) Bereits mit 17 Staaten hat das BMBF bilaterale Kooperationsabkommen mit Blick auf das duale Ausbildungssystem unterzeichnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen nicht nur Aufstieg durch Bildung in Deutschland, wir wollen nicht nur, dass in Deutschland Herkunft kein Schicksal mehr ist, sondern wir wollen, dass Bildungsgerechtigkeit auch in weiteren Ländern Fuß fasst . ({5}) Mit der Internationalisierungsstrategie zeigen wir: Erstens, wir werden unserer Verantwortung gerecht, globale Herausforderungen zu lösen . Zweitens, wir stärken die Zusammenarbeit mit Partnerländern im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung . In den letzten Jahren habe ich regelmäßig Unternehmen in meinem Wahlkreis besucht . Viele dieser Unternehmen beklagen den Fachkräftemangel . Das ist eine Herausforderung für unsere Volkswirtschaft, auf die wir Antworten finden müssen. Es ist deshalb auch ein Ziel der Internationalisierungsstrategie, die internationale Mobilität zu steigern und die Anerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse weiter zu erleichtern . Das Anerkennungsgesetz trat 2012 in Kraft und trägt seitdem zur Fachkräftesicherung in Deutschland bei . Bis 2015 wurden über 63 000 Anträge auf berufliche Anerkennung im Bereich des Bundes gestellt und mehrheitlich positiv beschieden . ({6}) Allerdings, Frau Ministerin, wissen wir auch, dass es bei der Finanzierung der Anpassungsqualifizierung weiterhin Handlungsbedarf gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zeitalter der Globalisierung müssen wir mehr denn je für die Menschen da sein, die Unterstützung brauchen . Eine gute Ausbildung und gute Arbeit ermöglichen Teilhabe an der Gesellschaft, und genau diesen Weg gehen wir mit der Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung . Lassen Sie uns gemeinsam an der Umsetzung dieser Strategie arbeiten . Danke schön . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank . - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr . Stefan Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ein ganz herzliches Dankeschön an das Haus und an Ministerin Johanna Wanka persönlich . Hier besteht Einigkeit: Internationalisierung und Außenwissenschaftspolitik werden immer wichtiger für unser Land . Deshalb kommt diese neue Strategie der Bundesregierung, des BMBF, genau zur richtigen Zeit . ({0}) Kooperationen gerade in Bildung, Wissenschaft und Forschung spielen beim Aufbau von bi- und multilateralen Beziehungen eine zunehmend wichtige Rolle . Das merken wir alle, nicht nur die Bildungs- und Forschungspolitiker, bei jeder Auslandsreise . Das betrifft nicht nur Hochschulkooperationen, sondern - das haben wir gerade hinlänglich gehört - auch den Bereich der beruflichen Bildung . Der Außenwissenschaftspolitik kommt gerade in Krisenzeiten und in Konfliktregionen, derer es ja immer mehr gibt, eine zentrale Aufgabe zu . ({1}) Sie schafft wissenschaftliche und akademische Perspektiven und Gesprächsfäden, wo in vielen anderen Bereichen nichts mehr an Austausch und Begegnung passiert . Ich selbst habe es zum Beispiel im April 2015 in Russland nach der Krim-Krise oder 2014 und 2016 in Thailand unter dem Eindruck einer Regierungs- und Verfassungskrise sowie einer Militärregierung erlebt . Ich will drei Themen nennen, die mir in dem Zusammenhang besonders wichtig sind und zum Teil noch nicht genannt wurden: Erstens . Aus meiner Sicht müssen wir die Strukturen der Wissenschafts- und Innovationskooperationen im Ausland weiter ausbauen . Das heißt zum Beispiel: mehr Forschungs- und Wissenschaftsattachés an unseren Botschaften und Konsulaten; denn es braucht die ansprechbaren Köpfe vor Ort . ({2}) Das heißt: Konsolidierung und weiterer Aufbau unserer Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser, zum Beispiel in Singapur, Kanada oder China; denn dort, wo es diese Häuser gibt, funktionieren sie zuallermeist sehr gut, wie ich auch aus eigener Anschauung weiß . Das heißt auch: die örtliche Bündelung der Aktivitäten deutscher Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen wie DAAD, Fraunhofer- und Max-Planck-Institute, Hochschulen und sonstige Organisationen wie zum Beispiel AHKs, auch dort, wo es solche DWIHs noch nicht gibt . Meine Damen und Herren, bei der Weiterentwicklung der internationalen Wissenschaftskooperationen zu Innovationskooperationen werden vor allem Länder wie China eine zentrale Rolle spielen . Dort hat die Regierung ja schon länger das klare Ziel ausgegeben: weg von „Made in China“, hin zu „Invented and designed in China“ . Deshalb muss Ziel unserer Politik eine systematische Förderung von internationalen Netzwerken in den Bereichen Bildung, Hochschule, Wissenschaft und Forschung sein, eben auch zur Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen . - Der Aspekt wurde bisher noch nicht genannt . Der zweite Punkt, der mir in diesem Zusammenhang wichtig ist und genau dazu passt, ist, dass wir die KMU, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, bei ihren internationalen Innovationskooperationen unterstützen . Wir haben gestern Abend zu später Stunde über die Förderung der Innovationskraft von KMU diskutiert . Viele unserer deutschen Mittelständler sind Hidden Champions und agieren weltweit . Der weltweite Wettbewerb wird immer härter . Deshalb verdienen unsere KMU - gerade wenn sie mit ihrer Innovationskraft auch international erfolgreich sind - unsere volle Unterstützung . ({3}) Auch in diesem Sinne geht es darum, dass wir die bestehenden Netzwerke zu Innovationsstandorten ausbauen und entsprechende Expertise an unseren Auslandsvertretungen vor Ort anbieten . Ein dritter Punkt - er wurde schon genannt, aber ich möchte ihn noch einmal nennen - ist in der Tat die Vertiefung des Europäischen Forschungsraumes . Es wurde von Frau Ministerin gesagt, dass wir das einzige EU-Mitglied sind, das eine nationale Strategie zum Europäischen Forschungsraum erarbeitet hat, und zwar bereits im Juli 2014 . Zentral für das Gelingen dieser Strategie und des Europäischen Forschungsraumes und im Übrigen für den Zusammenhalt Europas ist die Einbeziehung der EU 13, also der neuen Mitgliedstaaten, die übrigens zum Teil gar nicht mehr zur EU 13 gehören wollen, weil sie sich mittlerweile auf Augenhöhe mit uns, mit den alten Mitgliedstaaten sehen, zum Beispiel Tschechien, Slowenien oder die Slowakei . Insofern sind Themen wie die Widening Participation oder die stärkere Nutzung der Strukturfonds für Forschungs- und Innovationsstrukturen im Rahmen des Ausbaus des Europäischen Forschungsraums so wichtig . ({4}) Dass wir uns um dieses Thema kümmern müssen, zeigt folgende Zahl: Der Anteil Europas an den weltweiten FuE-Ausgaben ist von 2007 bis 2013 von 26,2 auf 22,7 Prozent gefallen . Gerade deshalb, meine Damen und Herren - Herr Kollege Rossmann, Sie haben es ja auch sehr pointiert hier festgestellt -, müssen wir das 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der FuE-Ausgaben in der EU, im Europäischen Forschungsraum, ernst nehmen, ({5}) und wir müssen das auch von den anderen Mitgliedstaaten entsprechend einfordern . Was heißt das konkret? Wir müssen unsere nationalen Forschungs- und Innovationspolitiken besser mit der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik vernetzen, im Sinne einer kohärenten Strategie . Wir müssen ganz bewusst auf die Bereitstellung neuer Mittel für das 9 . FRP, also für das Nachfolgeprogramm von Horizon 2020, hinwirken und auf eine Erhöhung auf mindestens 100 Milliarden Euro bestehen, ({6}) trotz neuer Herausforderungen . Ich freue mich, dass sich das Europäische Parlament jüngst in diese Richtung positioniert hat . Wir müssen zudem in der EU weiter für Kooperationen mit innovativen Drittstaaten wie zum Beispiel Israel offen sein . Meine Damen und Herren, ich darf abschließend nochmals betonen, dass diese Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung einen Meilenstein der deutschen Bildungs- und Wissenschaftspolitik darstellt, auch in ihrer neuen Ausformung . Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir, wenn wir es gemeinsam angehen, bei der Umsetzung der vielen Ideen und beim Meistern der vieDr. Stefan Kaufmann len Herausforderungen Erfolg haben werden . In diesem Sinne: Packen wir es an! Herzlichen Dank . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Dr . Kaufmann . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11100 und 18/10359 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur - Bürgerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken Drucksachen 18/6232, 18/11511 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr . Frank Steffel von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({1})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Was gibt es Schöneres, als beim letzten Tagesordnungspunkt am Freitagnachmittag über Sport zu reden? ({0}) Es gibt wirklich nichts Schöneres . ({1}) Nun reden wir allerdings nicht über die schönen Dinge des Sports, die uns nicht nur hier, sondern insgesamt in Deutschland miteinander verbinden - über die vielen Ehrenamtlichen, über die vielen Kinder und Jugendlichen, die in Sportvereinen viel fürs Leben lernen, und auch die Millionen von Fans, die begeistert in den Stadien, in den Hallen oder an den Bildschirmen ihrer Mannschaft die Daumen drücken -, sondern wir reden heute auf Antrag der Grünen über die schwierigen Seiten des Sports . Ich nehme den Grünen auch ab, dass es ihnen mit diesem Thema, der Bekämpfung von Gewalt, ernst ist . ({2}) - Lieber Özcan Mutlu, Sie sind so feige, dass Sie nicht einmal zu diesem missratenen Antrag reden . Stattdessen lassen Sie Frau Lazar reden . ({3}) Leider Gottes enthält Ihr Antrag ein Sammelsurium von Plattitüden und übrigens auch falschen Zahlen . ({4}) - Dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei diesem Thema sensibel ist, das werden wir gleich herausarbeiten . Ich will nur kurz auf die Plattitüden eingehen . Es ist schon bemerkenswert, dass Sie in der letzten Zeile Ihres Antrages fordern, dass der Deutsche Bundestag nun endlich die antisemitisch motivierten Handlungen gegen Makkabi in Berlin und in Köln verurteilt; denn damit erwecken Sie den Eindruck, als habe das Parlament, die Bundesregierung und der deutschen Sport das nicht immer ausnahmslos getan. Ich finde das nicht in Ordnung . Ich will das ganz bewusst als ersten Punkt ansprechen . ({5}) Zweitens . Sie formulieren - ich lese das einmal wörtlich vor -: Ultras in den Fankurven sind für eine bunte und lautstarke Fankultur verantwortlich und sind . . . hingebungsvolle junge Menschen, die nicht selten lautstark für . . . Toleranz und Vielfalt einstehen . Meine Damen und Herren, die Bilder, die ich von Ultras in den Fußballstadien habe, sind vielfach andere . Ich verstehe nicht, wie das zu der Überschrift Ihres Antrags passt . ({6}) Es scheint, dass Sie den Referenten nicht im Griff haben, der diesen Antrag geschrieben hat . ({7}) Dann kommen Sie zu einem falschen Ergebnis; das entspricht auch Ihrer Politik in den Ländern . Sie fordern nämlich die Abschaffung der Datei Gewalttäter Sport . ({8}) Das ist die Datei, in der Schwerstkriminelle aufgeführt sind, die in den Stadien Kinder und Jugendliche, friedliche Fans gefährden, ({9}) die Pyro abschießen, die mit Gegenständen werfen und die unsere Polizeibeamten vor den Stadien und in den Stadien und auch die Sicherheitskräfte verprügeln . ({10}) Und Sie wollen diese Datei abschaffen? Sie forderten auch jüngst im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag hier in Berlin die Abschaffung der Datei, also nicht nur die schärfere Kontrolle, sondern die Abschaffung, ({11}) und äußern ein schlimmes Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden; denn Sie erwecken den Eindruck, unsere Sicherheitsbehörden verfolgten Ultras . Meine Damen und Herren, anders wird ein Schuh draus: Die Ultras gefährden in den Stadien friedliebende Fans und sportbegeisterte Familien . ({12}) - Ja, ich bin ganz sachlich . Sie können ja gleich antworten . ({13}) Sie nennen Zahlen zu gewaltbereiten Personen und unterstellen, dass es hier einen Anstieg gebe . Die Zahlen in Ihrem eigenen Antrag sprechen eine andere Sprache . Sowohl bei den gewaltbereiten Personen als auch bei den gewaltsuchenden Personen war in den letzten vier Jahren ein Rücklauf von 15 Prozent zu verzeichnen: bei den gewaltbereiten Personen von 4 570 auf 3 900, bei den gewaltsuchenden Personen von 1 700 auf 1 500 . Ich sage nicht, dass damit alles gut ist . Ich sage aber ausdrücklich: Die Arbeit von Vereinen, die Arbeit von Fanprojekten, die Arbeit von Kommunalpolitikern und Landespolitikern und die Arbeit der Bundesregierung trägt hier Früchte . Die Zahl der gewaltbereiten Fans ist in den letzten Jahren Gott sei Dank zurückgegangen . Dann kommen Sie zu Ihrem Lieblingsthema, den rechtsmotivierten Personen . Auch hier sind wir uns in der Ablehnung einig . Sie unterstellen, dass es einen Anstieg von rechtsextremen Gewalttaten im Sport gibt . ({14}) Die Zahlen sagen aber genau das Gegenteil . Wir haben auch hier Gott sei Dank einen Rückgang um 10 bis 15 Prozent . Es gibt aber einen Bereich im Sport, in dem es einen massiven Anstieg der Zahl der Straftaten gibt . ({15}) Das ist der Bereich, über den Sie natürlich wieder nicht reden, nämlich der Bereich linksextremistischer Straftaten . ({16}) In diesem Bereich ist die Zahl der Straftaten in der Tat um 15 Prozent gestiegen . Das sollten Sie der Fairness halber wenigstens in Ihren Antrag hineinschreiben, lieber Herr Mutlu, statt, wie so oft, das Thema sehr einseitig zu betrachten . Das macht Sie nämlich nicht glaubwürdiger . ({17}) Wir haben im Bund viele Programme gegen Extremismus bei den Fans, gegen Rechtsextremismus, gegen Gewalt im Fußballstadion . Übrigens reden wir zu 99,9 Prozent - dieser Schwenk gehört zum Thema dazu ausschließlich über Fußballsport . Wir sollten an dieser Stelle auch einmal sagen: Es gibt viele Sportarten ({18}) mit Millionen von Fans und Zehntausenden von Sportlerinnen und Sportlern, bei denen samstags und sonntags Hunderttausende von Spielen friedlich, harmonisch und sehr sportlich durchgeführt werden . Der Ausschnitt, über den wir hier heute reden, ist sehr, sehr klein . Sie erwecken den Eindruck, die Bundesregierung habe bei diesem Thema nichts getan . Das ist falsch . Man könnte pauschal sagen: „Der Bund ist dafür gar nicht zuständig“ - die Länder legen gerade bei diesem Thema sehr großen Wert auf ihre Eigenständigkeit -; aber aufgrund der Bedeutung des Themas sollten wir uns keinen schlanken Fuß machen, sondern sehr klar sagen: Auch der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung stehen in dieser Frage sehr klar an der Seite der Fanprojekte und der Sportvereine . Wir unterstützen sie, indem wir die Mittel erhöht haben und sie in vielerlei Hinsicht motivieren, bei ihren Fans für Ordnung zu sorgen . Im Übrigen sind das keine Fans, sondern Gewalttäter und Straftäter, und so sollten wir sie auch bezeichnen . ({19}) Ich will deutlich machen, dass wir das Thema nicht alleine lösen können . Das ist erstens kein Phänomen des Sports. Das, was dort stattfindet, findet auch im Sport bzw . im Fußballstadion statt, aber es ist ein gesellschaftliches Phänomen, mit dem wir uns in Schulen, im Jugendbereich, aber auch in allen anderen Bereichen der Gesellschaft engagiert auseinandersetzen müssen . Zweitens ist das kein deutsches Phänomen . In vielen Ländern, gerade in Europa, stellen wir fest - übrigens in den östlichen genauso wie in den westlichen Ländern -, dass Sportveranstaltungen offensichtlich missbraucht werden, um extremistische, antisemitische, gewaltbereite Parolen zu verbreiten und Gewalttaten im Umfeld von Sportveranstaltungen durchzuführen . Wir sollten daher alle viel selbstbewusster über die Werte des Sports reden . Wir sollten über den Nutzen von Sport reden . Wir sollten über die 30 Millionen Menschen in Deutschland reden, die sich ehrenamtlich engagieren, viele davon im Sport, viele auch in anderen Bereichen der Gesellschaft . Wir sollten unseren Übungsleitern danken, die jeden Tag in Sporthallen und auf Sportplätzen die Werte des Sports vermitteln: Toleranz und Mannschaftsgeist . Wir sollten unseren Trainern danken, und wir sollten die Rahmenbedingungen für die Ehrenamtlichen verbessern . Wir sollten Bürokratie abbauen und uns noch einmal mit der Frage beschäftigen, ob wir die Ehrenamtspauschale nicht doch auf die Höhe der Übungsleiterpauschale erhöhen sollten . Damit würden wir denjenigen, die im Verein ehrenamtlich oft die undankbarsten Arbeiten erledigen, denjenigen, ohne die das Ganze nicht funktionieren würde, in unserer ganz konkreten politischen Arbeit Anerkennung und Respekt zollen und nicht nur in Sonntagsreden . Einig dürften wir uns sein . Lassen Sie uns über diesen Teil des Sports reden . Lassen Sie uns über die Werte reden, die durch den Sport vermittelt werden . Lassen Sie uns einheitlich und geschlossen mit der Bundesregierung gemeinsam dafür sorgen, dass die wenigen, die das Bild des Fußballs und das Bild des Sports jeden Samstag und jeden Sonntag zumeist in den Bundesligastadien trüben, wissen, dass sie die Ausnahme und nicht die Regel sind . Sie sollten die ganze Kraft und die ganze Härte des Rechtsstaates spüren, aber auch die Werte der Gesellschaft . Wir sollten deutlich machen: Unser Bild vom Sport ist ein anderes . Wir haben ein anderes Verständnis von Toleranz und Integration . Das hat übrigens gerade die Integration von Flüchtlingen in den Sportvereinen bewiesen . In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende auf den vielen Sportplätzen in Deutschland und viele fröhliche und gewaltfreie Fans . ({20})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Jetzt hat der Kollege Dr . André Hahn von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Steffel, trotz unbestrittener Anstrengungen von Fans, Vereinen und Verbänden sind im Sport, insbesondere im Fußball, Rassismus und Homophobie leider immer wieder an der Tagesordnung . Auch die unterschiedlichen staatlichen Programme von Bund und Ländern haben diese menschenfeindlichen Phänomene bisher nicht wirksam unterbinden können . ({0}) Es ist also weder dem Fußball noch der Politik allein gelungen, eine antirassistische Kehrtwende in den Stadien einzuleiten . Wie wäre es, den Kampf gegen rechte Hooligans und Nazischläger endlich einmal gemeinsam anzugehen? Wenn sich die wahren Fußballfans aktiv einmischen, statt wegzuschauen, verdienen sie unseren Respekt und unsere Anerkennung . ({1}) Ich erlebe erfreulicherweise immer wieder bei vielen Fußballvereinen in Sachsen, nicht zuletzt auch bei Dynamo Dresden - dass es dort bekanntermaßen Schwierigkeiten gibt, darf und soll nicht verschwiegen werden -, dass die übergroße Mehrheit der Fans Gewalt und Rassismus entschieden ablehnt . Dies ist am Ende eine wichtige Voraussetzung für volle Stadien, für eine gefüllte Vereinskasse und schließlich auch für den sportlichen Erfolg . Das Phänomen, über das wir heute reden, gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren europäischen Nachbarn . Wir brauchen also nicht nur den berühmten Blick über den Tellerrand, sondern auch international abgestimmte Strategien . Hier meine ich nicht nur grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, sondern eben auch die Förderung der Zusammenarbeit von Faninitiativen . ({2}) Der Antrag der Grünen ist sinnvoll . Ich verstehe überhaupt nicht, wie man ihn ablehnen kann . ({3}) Und im Gegensatz zum Kollegen Steffel freue ich mich auf die Rede von Frau Lazar . Sie wird uns bestimmt etwas zu sagen haben . In der ersten Debatte zu diesem Antrag am 28 . Januar 2016, also vor über einem Jahr, haben die Redner der Koalition mehrfach auf die Autonomie des Sports verwiesen . Haben Sie das getan, um sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen? Haben Sie überhaupt eine Idee, wie es funktionieren könnte? Ich habe nichts gehört . Überaus dürftig sind auch Ihre Begründungen zur Ablehnung des vorliegenden Antrags . Bessere Vorschläge haben Sie nicht vorgelegt . ({4}) Auch die vor Jahresfrist angekündigte Debatte im Sportausschuss, um eine klare Aussage der Bundesregierung zu Löschungen in der Datei „Gewalttäter Sport“ zu erhalten - es geht nicht um deren Abschaffung, sondern um Löschungen -, ist letztlich ziemlich unbefriedigend ausgefallen . In der Beschlussempfehlung jedenfalls gehen Union und SPD mit keinem Wort mehr auf notwendige Änderungen bei den Regelungen für die Speicherung ein . Dabei wissen auch die Koalitionäre ganz genau, dass die Bestimmungen, wer in dieser Datei gespeichert werden kann, alles andere als konkret sind . Immer wieder kommt es zu völlig anlasslosen Speicherungen . Insofern muss dort etwas getan werden . ({5}) - Herr Kollege Steffel, wenn das das Einzige ist, was Ihnen dazu einfällt, tun Sie mir ausgesprochen leid . ({6}) Es muss doch uns allen daran gelegen sein, dass die Daten einer Person, die ohne entsprechenden Grund, völlig ungerechtfertigt, vielleicht durch irgendeine Polizeikontrolle, in der Datei gelandet sind - das sind beileibe keine Einzelfälle -, unverzüglich gelöscht werden . Das sollte schlicht eine Selbstverständlichkeit sein . ({7}) Genauso selbstverständlich sollte es sein, die Anzeichen für verstärkte rechtsextreme Aktivitäten von vermeintlichen Fußballfans als gesamtgesellschaftliches Problem zu benennen . Nun ein Zitat: Der Fußball allein kann gesellschaftliche Probleme zwar nicht lösen, aber gemeinsam können wir einen Beitrag dazu leisten, Rechtsextremismus und Diskriminierung in Deutschland ins Abseits zu stellen . So heißt es im Vorwort der DFB-Broschüre „Für Vielfalt und Respekt!“ . Das bedeutet: Um die Fangewalt, insbesondere um die rechtsextremistische, muss sich auch die Politik in Bund, Ländern und Kommunen kümmern, anstatt einfach auf die Autonomie des Sportes zu verweisen und die Sache an den Deutschen Fußball-Bund als größte Sportfachorganisation der Welt zu delegieren . Die Linke plädiert dafür, dass zivilgesellschaftliches Engagement von Fangruppen und Vereinen, die sich gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport einsetzen, noch besser und gezielter als bisher gefördert wird . Wir unterstützen dabei durchaus die Idee eines einheitlichen Bundesprogramms zur Unterstützung einer friedlichen und vielfältigen Fankultur . Wir halten es allerdings für sinnvoller, dies in das bereits bestehende Programm „Demokratie leben“ einzuordnen . Beim Rechtsextremismus handelt es sich schließlich nicht um ein sportspezifisches Problem - da hat Herr Steffel ausnahmsweise recht -; ({8}) er ist vielmehr Teil einer echten Gefahr für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt, und das sollte uns alle angehen . Rechtes Gedankengut, rechte Parolen und rechte Schläger beim Fußball sind unser aller Problem . Deshalb müssen wir endlich entschlossen und vor allem gemeinsam dagegen vorgehen . Herzlichen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaela Engelmeier für die SPD . ({0})

Michaela Engelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004266, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Treffen unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ von etwa 5 000 Anhängern im Herbst 2014 in der Kölner Innenstadt zeigte, wie Rechtsextreme versuchen, den Sport für ihre perfiden Gedanken zu nutzen und zu unterwandern. Daher ist es wichtig, in allen Teilen der Gesellschaft, auch im Sport, den Hetzern von rechts außen die Rote Karte zu zeigen . ({0}) Rechtsextremismus und die Bekämpfung von Andersdenkenden sind kein alleiniges Phänomen im Sport, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem . Meine Partei, die SPD, mit Martin Schulz an der Spitze ({1}) wird nicht müde, die falschen Aussagen der braunen Hetzer zu überführen . ({2}) - Ich weiß, dass Sie traurig sind, dass Sie keinen Martin Schulz haben . Aber bei uns ist das so, und wir freuen uns . ({3}) Wir wollen uns engagieren und aufstehen gegen rechte Hetze . Wir wollen aufstehen für Engagement für Demokratie . ({4}) - Entschuldigung, Özcan, schade, dass du nicht reden darfst . Wir können uns gleich gerne weiter darüber unterhalten . Alles geschenkt . Der Schutz aller Menschen vor Rassismus und Diskriminierung hat für die Bundesregierung eine herausragende Bedeutung . Deshalb haben wir unter anderem, lieber André, die Mittel für das Programm „Integration durch Sport“ im vergangenen Jahr auf 11 Millionen Euro mehr als verdoppelt, und im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ stehen seit diesem Jahr erstmalig mehr als 100 Millionen Euro zur Verfügung . ({5}) Für mich ist ein einheitliches Bundesprogramm gegen rechts, wie es die Antragsteller von den Grünen fordern, nicht zielführend . ({6}) Das rechte Gedankengut ist viel zu vielschichtig in den Köpfen, als dass man mit nur einem Programm alle Probleme lösen könnte . Es ist wichtig, dass die Bundesregierung weiterhin flexibel auf Bewegungen in der rechten Ecke reagieren kann . Wir wollen alle Menschen mitnehmen, sich für Demokratie zu engagieren . Dafür brauchen wir eine Vielfalt von Initiativen . Welchen Beitrag der Sport für eine gelungene Integration von Menschen mit Migrationshintergrund leistet, zeigen die vergangenen Monate . In Deutschland engagiert sich jeder dritte Sportverein für Flüchtlinge . Den Begriff „Willkommenskultur“ erfüllten die Vereine mit Leben . Viele Millionen Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich . Dabei waren es besonders die Vereine, die mit ihren Turnhallen Notunterkünfte zur Verfügung stellten . Waren vor einem Jahr im gesamten Bundesgebiet etwa 1 000 Turnhallen belegt, sollen bis zum Sommer fast alle Hallen wieder freigegeben werden . Für die Bereitstellung der Hallen möchte ich mich an dieser Stelle bei den Vereinen, ihren Ehrenamtlichen und den Mitgliedern sehr, sehr herzlich bedanken . ({7}) Wie bunt und vielfältig selbst der Profifußball in Deutschland geworden ist, zeigt ein Vergleich: Bei der WM 1998 hatte kein Spieler des deutschen Nationalteams einen Migrationshintergrund . Bei der EM 2016 waren es bereits 10 von 23 Spielern . In den Nachwuchszentren der Klubs haben 40 Prozent der Kicker keine deutschen Wurzeln . Es zeigt sich also, dass der Sport an Vielfalt gewinnt . Dennoch gibt es immer wieder Versuche von rechten Hetzern, den Sport als Bühne zu missbrauchen . So verbreiteten die Mitglieder des rechten Fußballvereins FC Ostelbien Dornburg aus Sachsen-Anhalt mit ihrem brachialen, rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Auftreten Angst und Schrecken . Daher ist der Verein bereits Ende 2015 aus dem organisierten Sport in Sachsen-Anhalt ausgeschlossen worden . ({8}) Auch antisemitische Anfeindungen sind keine Ausnahme . Das Spiel zwischen TuS Makkabi III und dem BFC Meteor III im August 2015 in Berlin musste wegen Übergriffen abgebrochen werden . Auslöser der Auseinandersetzung waren antisemitische Äußerungen gegenüber einem Spieler von TuS Makkabi . Auch das Spiel zwischen Mügeln-Ablaß 09 und Roter Stern Leipzig - viele Grüße an Monika Lazar - ist in der Folge von antisemitischen Gesängen aus dem Bereich der Mügelner Fans abgebrochen worden . Nicht genug: Es gibt in Brandenburg den Sechstligisten TuS Sachsenhausen . Dessen Fans hatten bei einem Spiel gegen den SV Babelsberg ein Transparent ausgerollt, auf dem stand: „Gas geben Sachsenhausen“ . Wir alle kennen die Geschichte von Sachsenhausen . Wir alle kennen das Konzentrationslager . Menschenverachtender geht es nicht . Im Übrigen wurden - das ist interessant - nicht einmal die Personalien von den Menschen, die dieses Plakat entrollt haben, aufgenommen . ({9}) Ich finde, das ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich formuliere hier ganz ausdrücklich ein klares Nein zur aufkommenden Feindlichkeit gegenüber Juden . ({10}) Die Übergriffe vor den Stadien, am Spielfeldrand oder gar auf dem Spielfeld zeigen, wie wichtig die Prävention durch Aufklärung ist, unter anderem durch die Sicherheitsbehörden . Wir halten an der Datei „Gewalttäter Sport“ fest, damit randalierende, gewalttätige Fans keinen Zutritt zu den Stadien haben . Wir fördern allerdings Vielfalt unter dem Motto „Bunt statt braun“ im Sport und werben für ein gemeinsames Miteinander und mehr Respekt . Kein Schritt weit den Rassisten und Antisemiten, auch nicht im Sport! Herr Steffel, bei der Ehrenamtspauschale nehme ich Sie beim Wort . In diesem Sinne ein wunderschönes Wochenende! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Kollegin Engelmeier . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für Bündnis 90/ Die Grünen .

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es einmal wieder zu Gewalt im Fußball kommt, gibt es häufig reflexartige Reaktionen. Man zeigt sich von dem vermeintlich neuen Ausmaß an Gewalt zu Recht schockiert . Man fordert drakonische Strafverschärfungen oder sogar Gesetzesänderungen . Differenzierung und Augenmaß sind oft Fehlanzeige . So war es auch bei den letzten Ausschreitungen Anfang Februar dieses Jahres in Dortmund gegen die Fans von RB Leipzig . Ein friedliches Stadionerlebnis sollte für alle Fans gewährleistet werden . Das gilt sowohl für Fans von Traditionsklubs als auch für Fans von sogenannten Retortenvereinen . ({0}) Man kann am Modell von RB Leipzig zu Recht einiges kritisieren . Allerdings ist das keine Rechtfertigung für Hass und Gewalt . ({1}) Gegen Gewalttäter muss konsequent vorgegangen werden . Da sind wir uns, glaube ich, einig - unabhängig davon, was der Kollege Steffel vorhin alles überspitzt vorgetragen hat . Allerdings: An diesem Beispiel von Anfang Februar zeigt sich mir der Sinn von Kollektivstrafen nicht . Wieso bestraft zum Beispiel der DFB fast 25 000 Fans durch die Sperrung der gesamten Südtribüne? Davon waren auch die mehrheitlich friedlichen Fans betroffen . Kollektivstrafen sind nicht das richtige Mittel, weil es dadurch auch zu Solidarisierungseffekten zwischen den Problemfans und den gewaltfreien Fans kommen kann . Auch eine interne Auseinandersetzung wird dadurch nicht gerade gefördert . Problematisch ist auch, wenn der Staat Fußballfans quasi unter Generalverdacht stellt . Genau das macht er bisweilen . In 12 von 16 Bundesländern führen szenekundige Beamte intransparente Datenbanken über Fußballfans, die teilweise lange geheimgehalten wurden . Zu den lokalen Datensammlungen kommt auch noch die bundesweite Datei „Gewalttäter Sport“ . Schon alleine der Name ist irreführend . Man kann da sehr schnell hineinkommen, zum Beispiel schon dann, wenn nur die Personalien festgestellt werden . Ich rate jedem, sich einmal zu Gemüte zu führen, was dort gespeichert ist . Von der Schuhgröße bis zum Dialekt ist quasi alles möglich . ({2}) Die Daten von Personen, deren Ermittlungsverfahren man eingestellt hat, werden nicht automatisch gelöscht . Wie eine Kleine Anfrage von uns zur Datei „Gewalttäter Sport“ ergeben hat, soll die Datei sogar noch weiter aufgebläht werden . Wir sagen: Statt die Datei noch weiter aufzublähen, sollte man lieber die Löschfrist verkürzen und vor allem eine Benachrichtigungspflicht einführen; ({3}) denn nur wer weiß, dass er gespeichert ist, kann dagegen vorgehen, falls er unschuldig ist . ({4}) Außerdem hätte eine Benachrichtigung auch eine pädagogische Wirkung . Wenn ich merke, dass ich gespeichert bin, dann kann ich vielleicht auch mein Verhalten entsprechend ändern und in Zukunft ein braver Fußballfan werden . Wir sagen nicht, dass wir die Datei „Gewalttäter Sport“ komplett abschaffen wollen; denn gewalttätige Hooligans können durchaus gespeichert werden, und die Polizei muss vor Fußballspielen natürlich wissen, welche Fanklientel sich dort bewegt . Wir wollen die Datei allerdings reformieren und auf eine rechtsstaatliche Grundlage stellen . ({5}) Für uns Grüne ist nämlich klar: Fußballfans geben ihre Bürgerrechte nicht am Stadiontor ab . Statt auf Repression und Datensammelwut setzen wir auf Prävention . Auch deshalb wollen wir die Fußball-Fanprojekte noch stärker unterstützen . Wir alle wissen: Schon jetzt leisten viele Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in allen Bundesländern wertvolle präventive Arbeit, besonders mit jungen Fußballfans . Das wollen wir weiter ausbauen . Auch aus den Fußball-Fanszenen kommen viele positive Initiativen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie . Viele Fangruppen machen Angebote für Geflüchtete. Das ist von anderen Rednerinnen und Rednern ja auch schon erwähnt worden . Deshalb sagen wir, dass es durchaus sinnvoll sein könnte, die bisherigen verschiedenen Fördermöglichkeiten der unterschiedlichen Ministerien zusammenzuführen und ein einheitliches Förderprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport aufzulegen . Wir haben natürlich nichts dagegen, dass das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ jetzt auf 100 Millionen Euro aufgestockt wurde . Das ist durchaus eine richtige Entscheidung . Auch dort gibt es schon entsprechende Fördermöglichkeiten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss . Ich denke, nur im Dialog mit allen Beteiligten - das sind Fans, Fanprojekte, Fanbeauftragte, Vereine, Verbände, Politik und Polizei - können wir unser gemeinsames Ziel erreichen, das lautet: ein friedliches Stadionerlebnis für alle, eingebettet in eine vielfältige Fankultur . Das sollte unser aller Anliegen sein . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich darf alle bisherigen Rednerinnen und Redner loben, weil sie ihre Redezeit sehr diszipliniert präzise eingehalten haben . ({0}) Jetzt hat der Kollege Johannes Steininger für die CDU/CSU das Wort . ({1})

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Ich schaue auch, dass ich mich an die Redezeit halte, und kann vorausschicken: Natürlich unterstützen auch wir das Anliegen, das in der Überschrift des Antrags steht, nämlich eine „weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur“ in Deutschland . Es sind schließlich die Fans, die sozusagen das Salz in der Suppe des Sports sind, und wir alle wollen, wenn wir ins Stadion gehen, dass das Ganze friedlich verläuft . Wenn man sich dann allerdings den Antragstext durchliest, der auf diese Überschrift folgt, dann sieht man recht schnell, dass der Antrag erstens in vielem unzureichend ist, zweitens ein Sammelsurium an verschiedensten Forderungen enthält, die auch nur wenig miteinander zu tun haben, und drittens teilweise auch noch in die falsche Richtung geht . Deswegen werden wir diesen Antrag heute auch wieder ablehnen . ({0}) Frau Lazar hat gerade die Ereignisse in Dortmund erwähnt . Der Antrag, den wir hier vorliegen haben, gibt aber keinerlei Antworten darauf, welche Konsequenzen es aus den Ereignissen rund ums Spiel Dortmund gegen Leipzig geben muss . Das, was da passiert ist, hat mit einer weltoffenen und vielfältigen Fankultur natürlich rein gar nichts zu tun . ({1}) Ich habe mir in Vorbereitung auf meine Rede auf YouTube noch einmal ein paar Szenen von denjenigen angeschaut, die dort waren . Man kann tatsächlich sagen: Das hat mit Fan-Sein nichts zu tun, sondern das sind Kriminelle und Gewalttäter . Der Spießrutenlauf, den die Dortmunder Kriminellen mit den Leipziger Fans veranstaltet haben, das geht gar nicht . Aus dem Slogan der Dortmunder, „Echte Liebe“, wurden eher „Echter Hass“ und „Echte Gewalt“ . Es gab brutale Angriffe, Menschen wurden abgepasst, Böller und Leuchtraketen wurden geworfen . Es wurden sogar Steine auf Familien, Kinder, Frauen geworfen . Wir müssen alles erdenklich Mögliche tun, um diesen Gewalttätern das Handwerk zu legen . ({2}) Es ist schon interessant, was in Ihrem Antrag nicht erwähnt wird . Sie nennen ja einige Punkte, die im Kompetenzbereich der Bundesländer liegen . Ich hätte mir aber schon gewünscht, dass Sie zum Beispiel auch etwas dazu sagen, wie die Personalausstattung der Polizei in den Ländern aussieht, wie es um die Ausstattung der Polizei bestellt ist - beispielsweise mit Bodycams - und was mit dem Thema „Videoüberwachung rund ums Stadion“ ist . ({3}) Das wollen Sie an dieser Stelle aber nicht machen, weil das für Sie dort, wo Sie Verantwortung haben, kein Ruhmesblatt ist und weil Sie hier an verschiedenen Stellen auch ideologische Scheuklappen aufstellen . ({4}) Schauen Sie sich beispielsweise die Polizeiausstattung in Nordrhein-Westfalen und in meinem eigenen Bundesland, in Rheinland-Pfalz, an . Bezogen auf die Einwohnerzahl sind wir bei der Polizeidichte Schlusslicht . Deshalb sagen Sie zu diesem Thema nichts . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Steininger .

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte auch eine Zwischenfrage provozieren . Das habe ich mir schon gedacht .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Also haben Sie das Wort, Herr Kollege von Notz .

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Das mit der Zwischenfrage war sehr geschickt gemacht . Nennen Sie doch einmal die Zahlen! Welche Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat Polizei abgebaut, und welche hat in den letzten Jahren Polizei aufgebaut? Das würde mich einmal interessieren . Ich könnte Ihnen die Antwort geben, aber zum Antwort-Geben bin ich ja nicht hier . ({0}) - Sie haben das ja angesprochen . - Noch einmal: Wer hat Polizei in Nordrhein-Westfalen abgebaut, und welche rot-grüne Landesregierung hat Polizeistellen geschaffen?

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie können sich einmal die Zahlen in Bayern und Hessen anschauen . ({0}) Vizepräsident Johannes Singhammer Diese können sie in der Dichte mit den Zahlen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vergleichen . Für Rheinland-Pfalz, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich genau sagen, wer dort leider seit 25 Jahren in der Verantwortung ist . Das sind nun einmal Rot und Grün . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege von Notz, ein Zwiegespräch ist in unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen, ({0}) sondern das Stellen einer Frage und deren Beantwortung . ({1})

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen gehen Sie bitte zu den Verantwortlichen in Ihren eigenen Regierungen und sagen Sie ihnen, dass sie dieses Problem in Ordnung bringen sollen . ({0}) Auch fehlt ein klares Bekenntnis zur Videoüberwachung rund um Stadien . Das hätte diesem Antrag gutgetan . ({1}) Wenn Sie sich die Berichte zu Dortmund anschauen, dann sehen Sie, dass durch die hochauflösenden Bilder, die die Videokameras gemacht haben, die Aufklärung erleichtert wird . ({2}) Das hat eine viel größere Abschreckung als das, was Sie in Ihrem Antrag beschreiben . ({3}) Wir als Union stehen hinter den Polizistinnen und Polizisten in unserem Land . Deswegen ist es gut, dass wir einen Vorschlag auf den Weg gebracht haben, um Angriffe auf Rettungskräfte und Polizisten härter zu bestrafen . ({4}) Auch dies müsste in einem solchen Antrag erwähnt werden . ({5}) Stattdessen schießen Sie sich auf die Datei „Gewalttäter Sport“ ein . Aber gerade diese Datei ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Polizei . Sie versetzt die Beamten in die Lage, zu einem sicheren Verlauf von Sportveranstaltungen beizutragen, weil sie die Täter zu Beginn zielsicher identifizieren können, ({6}) um dann gezielte Maßnahmen gegen einzelne Personen durchzuführen . ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, was würden wir gerade nach diesen schlimmen Ereignissen im Februar 2017 in Dortmund heute für ein fatales und verharmlosendes Zeichen setzen, wenn wir als Parlament eine solche Aufweichung beschließen würden? Das geht aus unserer Sicht gar nicht . ({8}) Die Datei hilft aus den genannten Gründen sowohl bei der Prävention als auch bei der Aufklärung . Sie ist dabei auch ein gutes Beispiel dafür, wie der Bund und die Länder zusammenarbeiten . Das ist bei Sicherheitsbehörden nicht immer so . Hier passt das gut . Ich komme jetzt zu den einzelnen Punkten . Löschungsfristen zu verkürzen, davon halte ich gar nichts . ({9}) Ich glaube, innerhalb von zwölf Monaten hat die Löschung überhaupt keinen Sinn . Auch die pädagogische Maßnahme dahinter erschließt sich mir in keiner Art und Weise . Sie schreiben weiterhin, die Daten sollen nicht an die Vereine weitergegeben werden . Auch das sehen wir nicht so . Die Vereine sollen schon wissen, welche Chaoten und Kriminelle im Zweifel versuchen, in ihre Stadien zu kommen . Mit Pädagogik kann man diejenigen, die in Dortmund bei dem Spiel Steine geworfen haben, nicht zur Vernunft bringen . Deswegen sind die meisten Punkte, die Sie zum Thema der Datei „Gewalttäter Sport“ schreiben, absoluter Quatsch . Darüber hinaus fordern Sie, ein einheitliches Bundesprogramm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Sport aufzulegen . Hier ist zunächst festzustellen - das wurde schon von Herrn Hahn genannt -, dass dies kein sportspezifisches Problem ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches . Deswegen ist die Tonalität des Antrags schlecht, weil er dadurch den Sport ein Stück weit stigmatisiert . Ein Blick auf die Zahlen, die sogar in Ihrem Antrag stehen, zeigt: Es gibt in diesem Bereich 3,3 Prozent an rechtsextremen Straftaten . Das ist aus meiner Sicht nicht überproportional - auch wenn natürlich klar ist, dass jede einzelne Straftat verabscheuungswürdig ist und auch nicht verharmlost werden soll -, dies ist also kein Massenphänomen . Wir glauben nicht, dass ein Einheitsprogramm die Probleme, die eben sehr vielfältig sind, lösen kann . Es gibt Unterschiedlichkeiten in den Vereinen und in der Sportlandschaft . Es gibt Unterschiedlichkeiten bei den einzelnen handelnden Personen . Deswegen ist der subsidiäre Ansatz, den wir und auch die Bundesregierung verfolgen, gut . In diesem Zusammenhang wurden schon einige Programme genannt: „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und die Initiative „Verein({10}) gegen Rechtsextremismus“ . Wir bezahlen die Hälfte der Kosten für die Koordinationsstelle Fanprojekte . Natürlich möchte ich ebenso - auch Frau Engelmeier hat darauf hingewiesen - das ganz wichtige Programm „Integration durch Sport“ vom BMI und BAMF erwähnen, für das ein großer finanzieller Aufwand geleistet wird . Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für den Fußball brechen . Insbesondere der deutsche Fußball ist doch die Institution, die Menschen massiv integriert und in den Vereinen beispielhaft vorgeht . Schauen wir uns einmal die Flüchtlingssituation an: 2015 sind insgesamt 42 000 Spielberechtigungsanträge von Migranten eingegangen . 2013 lag diese Zahl noch unter 10 000 . Das ist ein massiver Aufwuchs, der zeigt, wie sehr sich die Vereine engagieren . Deswegen sage ich: Das Zusammenspielen auf dem Platz, das gemeinsame Trainieren und der Zusammenhalt in einer Mannschaft sind das beste Mittel zur Prävention von saudummen rechtsradikalen Gedanken und gegen Ressentiments . Deswegen danken wir heute allen ehrenamtlichen Trainern und Übungsleitern, die diese Herausforderung jeden Tag auf den Sportplätzen dieser Republik annehmen . ({11}) Bei vielem anderen wie Ehrenamtspauschale und Bürokratieabbau müssen wir eher ansetzen und unsere Vereine besser unterstützen, damit sie dieser Arbeit auch nachkommen können . Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende . Viel Spaß auf den Sportplätzen dieser Nation und alles Gute . ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Jeannine Pflugradt spricht jetzt für die SPD . ({0})

Jeannine Pflugradt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004375, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Januar des letzten Jahres haben wir hier über den Antrag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schon einmal gesprochen . Alle Fraktionen waren sich damals darin einig, dass es wichtig ist, entschieden gegen Rechtsextremismus im Fußball vorzugehen . Meine persönliche Meinung ist: gegen jegliche Form von Extremismus . Die Entwicklung des Extremismus an sich, ob im Bereich des Sports oder in anderen Gesellschaftsbereichen, gilt es immer zu beobachten . Ob der Staat mehr tun kann, darüber kann man diskutieren, das ist legitim und wichtig . Es ist aber nicht zielführend, in der Frage um Programme gegen Rechtsextremismus immer wieder bestehende Programme für Integration anzuführen und gegeneinander aufzuwiegen . Die Bekämpfung von Rechtsextremismus ist die eine Sache, die Förderung der Integration ist eine ganz andere . Dies sage ich besonders an die rechte Seite hier im Plenum gerichtet . ({0}) Einigen Punkten dieses Antrags stimme ich zu im Sinne von mehr Transparenz und Datenschutz . Ja, Problemstandorte müssen klar benannt werden, um rechte Netzwerke schwerpunktmäßig zu bekämpfen . Auch ist die Datei „Gewalttäter Sport“ hinsichtlich des Datenschutzes kritisch zu sehen . Jeder in die Datei Aufgenommene muss darüber unterrichtet werden und sollte sich auch dazu äußern dürfen . ({1}) Wer keine Straftat begangen hat, darf auch nicht auf dieser Liste stehen, das ist klar . Nun zu Ihrer Forderung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nach einem einheitlichen Bundesprogramm . Sie ist der Grund dafür, dass ich Ihrem Antrag leider nicht zustimmen kann . Das sehe ich ein bisschen kritisch . ({2}) Ich bin der Ansicht, dass gerade die Vielzahl der Programme gegen Rechtsextremismus wirksamer ist als ein einzelnes Bundesprogramm . Es gibt zahlreiche Initiativen, die ich nicht alle aufzählen will . Wir kennen sie alle . Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützen diese Programme . ({3}) - Und Martin Schulz, ganz genau, wunderbar . ({4}) Die nationalen Sportverbände sowie fast alle Bundesligavereine leisten sich eigene Projekte gegen rechte Fangewalt. Im Antrag selbst findet sich bei diesem Punkt ein Widerspruch . Einerseits wird die - ich zitiere- „zentralistische und medienwirksame Herangehensweise der Verbände“ kritisiert, die teilweise dazu führe, „dass das Engagement einzelner Fans gegen Rassismus regelrecht ausgebremst“ werde . Da frage ich mich, wie es dann erst mit einem zentralen Bundesprogramm aussehen würde . Das Mobilisierungspotenzial unter gewaltbereiten Fußballfans ist zum Beispiel hoch . Ja, rechtsextreme Gruppen rekrutieren ihre Anhänger vermehrt wieder aus der Fanszene . Dabei ist es aber nicht so, dass der RechtsJohannes Steiniger extremismus zurück in die Stadien drängt . Die Gewalt findet fast ausschließlich außerhalb der Stadien im Umfeld von Fußballspielen statt . Dagegen muss weiter entschieden vorgegangen werden . Die Begeisterung für Fußball und Sport generell darf nicht von menschenverachtenden Gruppen instrumentalisiert werden . Ich bin auch persönlich der Meinung, dass Fußballvereine für die Einsetzung von Polizei bzw . Bundespolizei finanziell verantwortlich gemacht werden müssen, wenn sie ihren Ordnungspflichten nicht nachkommen. Das ist nicht Aufgabe des Staates . Oder haben Sie solche Einsätze schon einmal in der Leichtathletik, beim Eishockey, beim Kanurennsport oder beim Motorsport gesehen, Herr Steffel? Ich nicht . ({5}) - Da sage ich nicht Martin Schulz . Das sage ich hier . Darüber müssen wir reden . ({6}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für das Zuhören . Ein schönes Wochenende! ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Matthias Schmidt für die SPD . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über die schönste Nebensache der Welt, den Fußball . ({0}) - Wir können auch gerne über Martin Schulz reden, aber auf der Tagesordnung steht nun einmal der Fußball . Wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, dass die Fankultur im Sport weit über den Fußball hinausgeht . Wir denken dabei an Eishockey, Handball, Basketball bzw . an die großen Mannschaftssportarten, die auch Profiligen haben. Aber auch im Wintersport beispielsweise gibt es eine aktive Fankultur: beim Skispringen, Biathlon und bei anderen Sportarten . Über all das müssen wir heute reden . Probleme gibt es aber hauptsächlich oder eigentlich fast nur beim Fußball . Deswegen fokussiert es sich immer darauf . Aber auch der Fußball ist sehr vielschichtig . Das Problem betrifft nicht nur die erste und zweite Liga, vielleicht auch noch die dritte; nein, es geht durchaus auch um die unteren Ligen . Die erste und zweite Liga pausieren an diesem Wochenende . Zurzeit ist Länderspielpause . Damit wären wir bei dem nächsten Fanprojekt, nämlich dem für die Fußballnationalmannschaft . Auch das gibt es, und das zeigt uns, wie unterschiedlich und vielfältig die Fankultur in Deutschland über die Sportarten und die unterschiedlichen Ligen hinaus ist . Ein Abgeordneter aus Treptow-Köpenick, der Heimat des 1 . FC Union, ({1}) kommt an dieser Stelle nicht umhin, darüber zu sprechen, dass zwar die Fans aller Vereine einzigartig sind, aber die Fans des 1 . FC Union sind natürlich ganz besonders . ({2}) Der Verein schickt sich jetzt langsam an, seinen Fans hinterherzugehen . Die Fans sind schon lange erstklassig; der Verein wird es in dieser Saison auch werden . ({3}) Die Ausgangssituation für die Eisernen ist hervorragend . - Wir müssen nicht über das Jammertal in Hessen sprechen; ({4}) wir wollen lieber über den 1 . FC Union reden . ({5}) - Darauf bin ich gespannt . - Aber als Eiserner kann man da locker drüberstehen und sich freuen . Worum es mir heute eigentlich geht: Die Fankultur in Deutschland ist unglaublich vielfältig . Das macht den Sport aus . Darin liegt auch die Schwäche des Antrags der Grünen, nämlich indem Sie schreiben: Wir müssen eine einheitliche Grundlage schaffen . Wir brauchen ein einheitliches Programm . Wir brauchen sogar eine Stabsstelle, die entsprechende Informationen noch einmal gesondert ausweist . - Das alles ist kontraproduktiv . Wir brauchen die vielen unterschiedlichen Programme zur Unterstützung unseres schönen Sports, nicht nur am Wochenende, sondern auch sonst . Wir wollen schönen Sport sehen, und dazu gehören Fans . Dazu gehört Leidenschaft, und dazu gehört auch Gewinnen und Verlieren . Ich freue mich, dass ich als letzter Redner Sie nun mit dem Gruß des 1 . FC Union ins Wochenende schicken darf: Eisern! ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Weitere Bekenntnisse zu Lieblingsvereinen können deshalb nicht mehr zugelassen werden . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur - Bürgerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11511, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6232 abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen sehe ich keine . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 29 . März 2017, 13 Uhr, ein . Kommen Sie alle gesund wieder! Die Sitzung ist geschlossen .