Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung und
rufe gleich die Zusatzpunkte 6 und 7 unserer Tagesordnung auf:
ZP 6 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes
Drucksachen 18/11237, 18/11536
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig,
Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des
Gesetzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die
Benutzung von Bundesfernstraßen ({0})
Drucksache 18/11012
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({1})
Drucksache 18/11646
ZP 7 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes
Drucksachen 18/11235, 18/11560
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
Drucksache 18/11643
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/11644
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor .
Über beide Gesetzentwürfe der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Das ist offenkundig einvernehmlich .
Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Bundesminister Alexander Dobrindt .
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Die deutsche
Pkw-Maut ist ein europäisches Projekt ({0})
Subsidiarität, weil wir die Verantwortung für unsere Infrastruktur übernehmen, Solidarität, weil wir uns ganz
selbstverständlich an der Finanzierung der Infrastruktur
unserer Nachbarländer beteiligen und diese Selbstverständlichkeit jetzt auch auf unseren Straßen Realität wird,
({1})
und Gerechtigkeit, weil es keinen Unterschied mehr zwischen den Nutzern, die sich heute an der Finanzierung
beteiligen, und denjenigen, die bisher kostenlos auf unseren Straßen fahren, geben wird .
({2})
Das ist ein europäisches Projekt, meine Damen und Herren .
Übrigens bestätigt dies auch die Europäische Kommission, die ja ganz offensichtlich uns und unsere Pläne
unterstützt . Die EU-Kommission hat deutlich gemacht wörtlich -:
Die vereinbarte Lösung wahrt die Rechte der
EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer
Staatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infrastrukturfinanzierung und erleichtert den Übergang
zu einer emissionsarmen Mobilität .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Worte der
EU-Kommission zur deutschen Pkw-Maut .
Wir stellen damit unsere Infrastrukturfinanzierung auf
eine breitere Basis und machen das, was die meisten unserer Nachbarländer bereits vor vielen Jahren vollzogen
haben:
({3})
die Finanzierung der Infrastruktur auf drei Säulen zu
stellen - Mineralölsteuer, Kfz-Steuer, Mautsystem . Bisher haben wir zwei Säulen: die Mineralölsteuer und die
Kfz-Steuer . Jetzt bauen wir eine dritte verlässliche Säule dazu: die Infrastrukturabgabe, die Maut . Das ist ein
echter Systemwechsel . Das ist der Systemwechsel, von
dem viele seit Jahren reden, nämlich von der Steuerfinanzierung der Infrastruktur hin zur Nutzerfinanzierung,
von nicht zweckgebundenen Steuermitteln hin zu einer
zweckgebundenen Finanzierung .
({4})
Herr Minister, möchten Sie schon eine Zwischenfrage
der Kollegin Haßelmann zulassen?
({0})
Na klar .
Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank auch,
Herr Minister, dass Sie die Frage zum jetzigen Zeitpunkt
schon zulassen .
({0})
Bevor Sie sich hier so richtig in Fahrt reden, Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Wollten Sie mich unterbrechen .
({1})
- was Ihr unsinniges Pkw-Mautprojekt angeht, möchte ich, da das volle Haus heute dazu eine gute Gelegenheit bietet, gerne eine ganz grundsätzliche Frage an Sie
richten .
Seit dem 17. Dezember 2014 befinde ich mich mit Ihnen in einer Auseinandersetzung darüber, dass es keinen
anderen Minister und keine andere Ministerin in diesem
Parlament gibt, der bzw . die die Rechte der Parlamentarierinnen und Parlamentarier so missachtet wie Sie .
({0})
- Ich kann Sie gar nicht verstehen: Das betrifft Ihr Fragerecht genauso wie das aller anderen Kolleginnen und
Kollegen; das weiß selbst die Bundesregierung inzwischen .
Bevor Sie sich hier als großer Infrastrukturminister
gerieren, möchte ich Ihnen gerne die Gelegenheit geben,
dem Parlament Folgendes zu erklären:
({1})
Wir haben allein im Jahr 2014 13 Kleine Anfragen gestellt . Wir haben allein im Jahr 2017 5 Kleine Anfragen
gestellt . Aber Sie missachten das Fragerecht des Deutschen Bundestages
({2})
und informieren noch nicht einmal, sie beantragen auch
keine Fristverlängerung . Ich kenne eine solche Missachtung des Parlamentes wirklich von niemandem .
Okay .
Ich bitte Sie, uns zu erklären, weshalb das Ministerium das so handhabt und warum Sie als Minister das auch
noch rechtfertigen .
({0})
Liebe Kollegin, ganz herzlichen Dank für Ihre Frage . - Wir haben in der Tat eine intensive Debatte außerhalb des Parlaments geführt in Form von Kleinen Anfragen, die Sie ständig an unser Haus stellen .
({0})
Ich freue mich über jede einzelne Anfrage, die von Ihnen kommt, und ich freue mich auch, dass die AntworBundesminister Alexander Dobrindt
ten unseres Hauses zur einer Wissensmehrung bei Ihnen
beitragen;
({1})
in der Regel zur Korrektur dessen, was Sie falsch oder
ideologisch in Ihren Fragen implementiert haben .
({2})
Wir werden das genauso weitermachen: Sie bekommen
die richtigen Antworten auf Ihre oft falschen Fragen .
({3})
Einen Augenblick bitte . - Also, eine ergänzende Bemerkung muss ich dazu schon machen, Herr Minister .
Die Freude über die Vielzahl der Anfragen ist Ihrem Ministerium in der Art und Dauer der Beantwortung nicht
immer anzumerken .
({0})
Und Ihre Ankündigung, die bisherige Praxis genauso
fortzusetzen, würde nicht nur bei der betroffenen Fraktion ein Problem auslösen . Darauf muss ich auch aufmerksam machen .
({1})
Herr Präsident, deswegen habe ich die Freude noch
einmal ausdrücklich betont, damit Sie auch für jeden
glaubhaft dargestellt wird . Wir werden weiterhin nach
bestem Wissen und Gewissen die Fragen der Grünen beantworten .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erreichen über
die Lkw-Maut schon heute zweckgebundene Einnahmen
in Höhe von 4 Milliarden Euro pro Jahr . Wir bekommen
2018 mit der Ausweitung der Maut auf alle Bundesstraßen weitere 2 Milliarden Euro dazu . Wir erreichen
jetzt mit der Pkw-Maut zusätzliche 4 Milliarden Euro
jährlich an zweckgebundenen Einnahmen . Das bedeutet im Klartext: Wir haben für die Zukunft jährlich über
10 Milliarden Euro im Verkehrsetat, die dauerhaft und
zweckgebunden für Investitionen in die Infrastruktur zur
Verfügung stehen . Das ist in der Tat ein Riesenerfolg für
die Investitionen in unser Land und für die dauerhafte
Finanzierung unserer Infrastruktur .
({1})
Damit räumen wir der Infrastrukturfinanzierung einen
Stellenwert ein, der in der Vergangenheit so nie da gewesen ist: Die Milliarden Euro an Einnahmen auf der Straße, die jährlich von den Autofahrern kommen, entziehen
wir der Begehrlichkeit der anderen Politikfelder . Die Autofahrer können in Zukunft sicher sein: Gelder, die sie
für die Maut bezahlen, die sie auf der Straße bezahlen,
landen wieder sicher in der Infrastruktur .
({2})
Das heißt, dass jeder Investitionshaushalt im Verkehrsbereich in Zukunft eine feste Grundausstattung von
10 Milliarden Euro im Jahr haben wird . Damit sind Erhalt und Betrieb der Straßen langfristig gesichert . Deshalb ist die Maut ein zentraler Baustein des Systemwechsels hin zur Nutzerfinanzierung. Ohne die Pkw-Maut gibt
es diese Zweckbindung nicht, gibt es die 10 Milliarden
Euro jedes Jahr aus dem Zusammenspiel von Pkw-Maut
und Lkw-Maut nicht und auch keine dauerhafte stabile
Finanzierungsbasis .
Klar ist, dass es bei einem Systemwechsel nicht zu
einer Doppelbelastung von Autofahrern, die jetzt schon
an der Finanzierung teilhaben, kommen darf . Ich glaube, dass es sogar logisch ist, dass wir bei so einem Systemwechsel darauf achten, dass keiner am Schluss mehr
belastet wird .
({3})
Wer nutzt, der zahlt, und keiner zahlt doppelt - das ist
die Devise bei der Einführung der Infrastrukturabgabe .
Wir schaffen mit dieser Einführung endlich Gerechtigkeit auf unseren Straßen .
({4})
In Zukunft wird niemand mehr „von Grenze zu Grenze
rauschen und dabei . . . Abgase und kaputte Straßen hinterlassen können“ .
({5})
Das sind nicht meine Worte . Das ist ein wörtliches Zitat
des ehemaligen verkehrspolitischen Sprechers der Grünen, Albert Schmidt . Herzlichen Glückwunsch dazu!
({6})
Ja, ich weiß, so ein Vernunftgrüner wie Schmidt geht
Ihnen in Ihrer Fraktion heute komplett ab . Momentan
sind Sie nur noch besetzt mit einer ganzen Reihe von
Verkehrspessimisten . Das kann man bei allen Vorschlägen, die Sie in Ihrem Wahlprogramm aufgeschrieben haben, eindeutig nachlesen . Sie lassen nichts unversucht,
den Menschen die Mobilität zu verweigern . Sie wollen
die Totalmaut einführen, wo jeder Kilometer einzeln
berechnet und einzeln bepreist wird, wo man Tag und
Nacht genau weiß, auf welchem Stück Autobahn sich die
Menschen bewegen, und dafür sollen sie einzeln bezahlen . Das schadet den Pendlern, das schadet den Familien,
das schadet denen, die aufs Auto angewiesen sind . Sie
wollen die Kfz-Steuer erhöhen, Sie wollen den Sprit verteuern, Sie wollen den Infrastrukturausbau verhindern .
Sie haben jetzt sogar ein Neubaumoratorium für Straßen
gefordert .
Meine Damen und Herren, um auch das sehr deutlich
zu sagen: Sie sind und bleiben eine straßenfeindliche
Entmobilisierungspartei . Sie setzen immer nur auf Belastungen, auf Verbote .
({7})
Wir wollen Mobilität ermöglichen, und das bei einer guten Infrastruktur, und die muss finanziert werden.
({8})
Dabei setzen wir auch noch die richtigen Anreize . Die
Höhe der Pkw-Maut richtet sich konsequent nach den
Umwelteigenschaften des Fahrzeugs .
({9})
Wir haben damit eine ökologische Steuerungswirkung .
({10})
Das heißt im Klartext: Besonders umweltfreundliche
Fahrzeuge profitieren, Elektrofahrzeuge sind komplett
von der Maut befreit, Halter von Fahrzeugen der Klasse
Euro 6 werden noch zusätzlich entlastet; das ist Teil der
Vereinbarung mit der Europäischen Kommission . Insgesamt ist das eine Entlastung um 100 Millionen Euro pro
Jahr .
({11})
Das ist in der Tat die erste Maut, die nach ökologischen
Grundsätzen ausgestattet ist .
({12})
Es sollte Ihnen doch eigentlich gefallen, dass wir eine
Maut haben, die auch ökologisch einen besonderen Wert
hat, weil diejenigen entlastet werden, die besonders saubere Autos fahren .
({13})
Die Pkw-Maut leistet also mit ihren Einnahmen und
der Zweckbindung
({14})
einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung unserer Infrastruktur . Sie wird damit den Investitionshochlauf,
den übrigens die Große Koalition gemeinsam in dieser
Wahlperiode beschlossen hat, weiter verstetigen . Wir haben in dieser Wahlperiode einen Rekordmittelaufwuchs
von 40 Prozent bei den Investitionen in die Infrastruktur hinbekommen, und die Maut wird der Garant dafür
sein, dass dies auch in Zukunft weiter fortgeführt wird
und damit die Grundlage für Wachstum, Wohlstand und
Arbeit in diesem Land gesichert ist: eine gute Infrastruktur, meine Damen und Herren .
({15})
Es bleibt dabei: Die Infrastrukturabgabe ist fair, sie ist
sinnvoll, sie ist gerecht . Sie ist fair, weil sie bei den meisten unserer Nachbarn genauso durchgeführt wird . Sie ist
sinnvoll, weil jeder Euro, den wir einnehmen, wieder in
unsere Infrastruktur investiert werden wird,
({16})
und sie ist gerecht, weil wir diejenigen angemessen an
der Finanzierung unserer Straßen beteiligen, die sie bisher kostenlos nutzen . Das, meine Damen und Herren, ist
die Grundlage der Infrastrukturabgabe, der Maut: fair,
sinnvoll und gerecht; und genau so wird sie umgesetzt .
({17})
Ich habe mir ja in den letzten Monaten in dieser Debatte sehr viele falsche Argumente angehört .
({18})
Alles das, was in der Vergangenheit dazu von Ihrer Seite
erzählt worden ist, es gebe zum Beispiel keine EU-Konformität, war falsch .
({19})
Die Aussage, es gebe keine Einnahmen, war falsch, die
Aussage, es sei diskriminierend, war falsch . Alles, was
Sie an dieser Stelle erzählt haben, war grundsätzlich
falsch .
Deswegen setzen wir sie jetzt im Einvernehmen mit
der EU-Kommission auch um .
({20})
Da gibt es jetzt noch Debatten, übrigens in besonderem
Maße in einem unserer Nachbarländer . Und auch das will
ich erwähnt haben: Ich habe für diese ständige Mautmaulerei aus Österreich überhaupt kein Verständnis .
({21})
Österreich hat es vor über 20 Jahren richtig gemacht . Sie
haben bereits damals ein Mautsystem eingeführt
({22})
und damit die Grundlage für die Investitionen in ihre
Straßen gelegt, und wir zahlen ganz selbstverständlich
unsere Beiträge, wenn wir auf Österreichs Straßen unterwegs sind . Aber die gleiche Selbstverständlichkeit
erwarten wir auch von den Österreichern, wenn sie auf
deutschen Straßen unterwegs sind .
({23})
Die innenpolitische Debatte in Österreich, die ich zurzeit verfolge, die nach dem Grundsatz geführt wird: „Ja,
jeder, der nach Österreich fährt, der soll auch für Österreichs Straßen einen Beitrag leisten, aber Österreicher
sollen unter keinen Umständen auf deutschen Straßen
einen Beitrag leisten“, folgt keinem europäischen Gedanken, liebe Freunde . Auch diesen Fehler werden wir
korrigieren .
Danke schön .
({24})
Das Wort erhält nun der Kollege Herbert Behrens für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Minister versteckt sich erneut hinter seinen Sprechblasen, die wir hier zum x-ten Male hören,
({0})
um nachzuweisen, dass es angeblich gerecht zugehen
soll, dass es europarechtskonform sei, dass es Einnahmen aus dem gebe, was er Infrastrukturabgabe nennt,
was aber in Wirklichkeit eine Ausländermaut ist .
Wir sind der Meinung: Damit muss Schluss sein; denn
diese Sprechblasen verhindern nur, dass man dahinter
das sehen kann, was gemeint ist . Mit diesen Sprechblasen wird verdeckt, dass es einen erheblichen Aufwand
gibt, dass es Bürokratie gibt, die viele tausend Menschen
bindet, die damit konfrontiert werden, diese Maut abzuwickeln . Es ist ein irrsinniger Aufwand, der betrieben
wird, um vielleicht 500 Millionen Euro einzunehmen,
vielleicht aber auch gar nichts; wahrscheinlich geht es
ins Minus .
({1})
Wir wissen, dass die deutschen Autofahrer 3 Milliarden Euro zahlen sollen; das ist sicher . Angeblich sollen
die Ausländer 700 Millionen Euro aufwenden, um Autobahnvignetten zu kaufen; das ist nicht sicher . Wir wissen,
dass die Behördenmitarbeiter 43,5 Millionen Bescheide
verschicken müssen, in denen den Autofahrern klargemacht wird: Sie müssen zwar zahlen, aber sie werden
entlastet . Das Personal dafür soll es angeblich geben . Sicher ist das nicht . Sicher ist auf jeden Fall der Aufwand,
der betrieben werden muss .
({2})
Das ist eine Sache, die wir so nicht akzeptieren können,
wenn der Preis dafür möglicherweise ein Minusgeschäft
ist .
Ich habe versucht, mir dieses aufwendige Spektakel
zu erklären. Mir fiel dazu nur eine Satire von Ephraim
Kishon ein, nämlich Der Blaumilchkanal . In dieser Geschichte ist ein Mensch aus der Psychiatrie ausgebrochen, schnappt sich einen Presslufthammer und reißt
eine Hauptstraße in Tel Aviv auf . Keiner fragt nach: Was
soll das? Keiner fragt nach: Wer hat dich beauftragt?
Keiner fragt nach: Was ist das Ziel dieser Maßnahme?
Im Gegenteil: Polizei und Stadtverwaltung mischen sich
ein und stellen Absperrungen zur Verfügung . Die Polizei
regelt den Verkehr, und alles geht seinen Gang . Am Ende
gibt es einen Kanal mitten durch Tel Aviv, und die Stadtverwaltung macht sich dieses Projekt zu eigen, obwohl
sie es nie beschlossen hat, obwohl sie es nie kontrolliert
hat . Sie feiert sich dafür, dass es jetzt einen Kanal in Tel
Aviv gibt . Während man sich selbst feiert, ist Kasimir
Blaumilch mit seinem Presslufthammer schon in einer
Nebenstraße zugange . Das ist die Parallele zu dem, was
hier mit der Maut passiert . Keiner fragt nach, keiner kontrolliert, und keiner sagt, was Ziel und Sinn des Ganzen
ist .
({3})
Vielleicht haben wir es aber auch nicht mit einer Satire zu tun, sondern mit einem Projekt, das mit großem
Aufwand vernebeln soll, was eigentlich dahintersteckt .
Die geheimen Gutachten, über die jetzt die Berliner Zeitung berichtet, zeigen auf, wohin die Reise gehen soll .
Dort wird berichtet, die Infrastrukturabgabe sei zentrales Merkmal der Bundesfernstraßengesellschaft, also der
Gesellschaft, mit der die Privatisierung der Infrastruktur vorbereitet werden soll . In den Gutachten steht, dass
nicht mit 3 Milliarden Euro Infrastrukturabgabe gerechnet wird, sondern mit 5,2 Milliarden Euro . Dort steht
auch nicht, dass die Maut erstattet werden kann, sondern
dort ist die Rede von einem Zuwachs, einem Aufwuchs .
Das muss uns doch höchst aufmerksam machen . Eigentlich müssten wir zu der Schlussfolgerung kommen, dass
dieses Gesetz heute nicht beschlossen werden darf .
({4})
Stattdessen sollte ein anderes Gesetz beschlossen
werden . Unsere Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt . Darin steht, dass die Infrastrukturabgabe sofort versenkt werden soll . Wir müssen noch
einmal neu darüber nachdenken, wie wir die Verkehrsinfrastruktur finanzieren wollen.
Ich erinnere mich an die denkwürdige Rede des neuen
Bundespräsidenten von Mittwoch . Er sagte:
Aber es gibt auch . . . die schleichende Erosion von
innen: durch Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit oder . . . die Anfechtung durch jene,
die Parlamente und demokratische Institutionen
nicht mehr als Ort für politische Lösungen sehen
wollen, sondern als Zeitverschwendung diskreditieren . . .
Das trifft ein Stück weit auf das Mautgebaren der
Großen Koalition zu . Gleichgültigkeit, Trägheit und
Teilnahmslosigkeit sehe ich bei Ihnen, Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, wenn der einzige Einwand gegen dieses unsinnige Gesetz der ist: Wir haben aber eine
zweijährige Frist hineingeschrieben; nach dieser muss
das Gesetz überprüft werden . - Das ist Trägheit . Das ist
keine kritische Überprüfung des Ganzen .
({5})
Der Bundespräsident sprach von jenen, die Parlamente nicht mehr als Ort für politische Lösungen ansehen
wollen . Dieser Satz betrifft offensichtlich den Bundesverkehrsminister . Seine Missachtung drückt sich nicht
nur in der Qualität der Beantwortung von Anfragen aus,
sondern auch in dem Tempo, mit dem sowohl das erste
Gesetz durchgeprügelt worden ist als auch der Gesetzentwurf, den wir jetzt vor uns haben, durchgeprügelt werden
soll . Binnen 24 Stunden sollten sich die Fachverbände
dazu äußern . Binnen 14 Tagen sollte sich das Parlament
abschließend mit dieser Frage befasst haben und zu einem Ergebnis kommen .
Ich hoffe, dass der Bundespräsident seine Worte ernst
meint, wenn er sagt, was er alles tun wird . Er sagte:
Ich werde parteiisch sein, parteiisch, wenn es um
die Sache der Demokratie selbst geht . . . . Partei ergreifen werde ich auch für Europa .
Herr Bundespräsident, seien Sie bitte europäisch, und unterschreiben Sie dieses Gesetz nicht . Dieses Gesetz darf
nicht in Kraft treten!
({6})
Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor gut drei Jahren ist die SPD in eine Koalition mit CDU und CSU gegangen . Wir waren gut vorbereitet . Unsere Liste an Projekten, mit denen wir die Dinge in
unserem Land besser machen wollten, war lang . In den
Koalitionsverhandlungen haben wir schnell gemerkt,
dass von CDU und CSU wenig kam .
({0})
Deshalb konnten wir viele unserer Forderungen in den
Koalitionsvertrag hineinverhandeln .
In den letzten drei Jahren haben wir in der Koalition
ein sozialdemokratisches Projekt nach dem anderen abgearbeitet . Die Rente mit 63: im April 2014 im Bundestag beschlossen und damit seit fast drei Jahren in Kraft .
Der Mindestlohn für alle: im Juli 2014 beschlossen und
damit seit über zwei Jahren in Kraft .
({1})
Wir haben die doppelte Staatsbürgerschaft modernisiert:
2014 beschlossen und damit seit über zwei Jahren in
Kraft . Mehr Frauen in Führungspositionen in Unternehmen: im März 2015 im Bundestag beschlossen und seit
einem Jahr in Kraft .
({2})
Die Bekämpfung von Missbrauch bei Leih- und Zeitarbeit: im Oktober 2016 im Bundestag beschlossen, ab
April in Kraft .
Damit haben wir in unserem Land vieles zum Guten
verändert .
({3})
Vor der Wahl 2013 haben wir gesagt, was wir tun werden .
Nach der Wahl haben wir das gemacht, was wir vorher
angekündigt haben .
Herr Kollege, ich mache Sie darauf aufmerksam:
Wenn Sie noch zum Thema reden wollen, kann ich Ihnen
deswegen nicht die Redezeit verlängern .
({0})
Herr Lammert, das Schöne ist: Das kommt noch .
Und die Union? Man könnte meinen, ihr weltbewegendstes Projekt sei die Pkw-Maut . Um sie zu verabschieden, brauchen wir, weil es so schön war, heute einen
zweiten Anlauf; denn der erste Entwurf war von Herrn
Schäuble, aber auch von Herrn Dobrindt so schlecht vorbereitet .
({0})
Unsere Vorhaben sind bereits in Kraft und wirken . CDU
und CSU müssen bei der Pkw-Maut darauf hoffen, dass
die nächste Bundesregierung ihr Lieblingsprojekt frühestens 2019 umsetzt . Ob sie dann noch daran beteiligt sind,
ist offen .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Medien ist
derzeit viel von den großen Herausforderungen die Rede,
vor denen Deutschland steht. Häufig wird dabei auf die
Kanzlerin, die jeden Tag hart für die deutschen Interessen arbeite, verwiesen . Da kann ich verstehen, wenn sich
Bürgerinnen und Bürger fragen, warum ausgerechnet die
Pkw-Maut gerade jetzt das wichtigste Thema im Bundestag sein soll .
({2})
Glauben Sie mir: Wir hätten gerne auf die Abstimmung am heutigen Tag verzichtet . Dass wir kein Freund
der Pkw-Maut sind, dürfte jedem hier im Saal bekannt
sein .
({3})
Vor zwei Jahren haben wir die Pkw-Maut schon einmal
mit auf den Weg bringen müssen .
({4})
Damals hat die EU-Kommission dem Bundesfinanzminister und dem Verkehrsminister das Stoppschild gezeigt .
Für den unionsinternen Frieden hat die Bundeskanzlerin
Herrn Juncker von der EU-Kommission bitten müssen,
bei der Pkw-Maut ein Auge zuzudrücken .
({5})
Anstatt sich um die Probleme mit unseren europäischen
Nachbarn zu kümmern, musste die Kanzlerin in Brüssel
für das Projekt der CSU zu Felde ziehen - die gleiche
Kanzlerin im Übrigen, die als Kandidatin 2013 im Fernsehduell mit Herrn Steinbrück versichert hatte, mit ihr
würde es niemals in Deutschland eine Pkw-Maut geben .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD stimmt
heute unter großen Bauchschmerzen der Pkw-Maut zu .
({7})
Damit zeigen wir, dass man sich in einer Koalition auch
in schwierigen Situationen auf uns verlassen kann .
({8})
Wir stehen zu unserem Wort . Jede Koalition braucht klare Regeln . Wir sind ein verlässlicher Partner .
({9})
Uns ist auch klar: Wenn dieses Projekt von CSU und
CDU heute keine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekäme, würden beide alle noch ausstehenden Projekte und
Vorhaben blockieren . Wir wollen diese Koalition jedoch
bis zum Sommer gut und verlässlich zu Ende bringen,
eben weil es noch immer einiges zu erledigen gibt .
Meine Damen und Herren, wir haben im Koalitionsvertrag zwei Bedingungen für unsere Zustimmung
vereinbart . Diese gelten nach wie vor: Kein deutscher
Autofahrer darf durch die Pkw-Maut zusätzlich belastet
und kein europäischer Nachbar aus dem Ausland diskriminiert werden .
({10})
Für die SPD ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass Mobilität in Deutschland bezahlbar bleibt . Pendlerinnen und
Pendler, die tagtäglich mit dem Auto zur Arbeit fahren,
dürfen nicht zusätzlich belastet werden .
({11})
Die SPD ist der Garant dafür, dass mit diesem Gesetz
kein Inländer mehr bezahlen muss .
({12})
Nach dem Wink der Bundeskanzlerin in Richtung
Herrn Juncker in Brüssel hat die EU-Kommission einige
kleine Änderungen gefordert, die wir heute im Bundestag beschließen werden . Daraufhin wird die Europäische
Union ihr Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zurückziehen . Damit müssen wir davon ausgehen,
dass die Pkw-Maut mit diesen Änderungen mit europäischem Recht vereinbar ist . Gegen die Meinung der
Hüterin der europäischen Verträge können wir schlecht
andiskutieren .
Es bleibt die Frage der Einnahmen . Die einen Experten haben uns vorgerechnet, dass es keine Einnahmen gibt, andere Experten haben vorgerechnet, dass es
mindestens eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für die
Reparatur bröckelnder Brücken und die Beseitigung von
Engpässen geben wird . Damit erleben wir die gleiche
Situation wie vor zwei Jahren. Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble hat seinen Staatssekretär Jens Spahn
einen Brief an uns schreiben lassen . In diesem lässt er
uns übermitteln, dass er keine Zweifel an den Prognosen
des Bundesverkehrsministers hat . Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, ich versichere Ihnen: Dieses
Schreiben werden wir uns einrahmen und auf Wiedervorlage legen .
({13})
Herr Schäuble, Herr Spahn, falls uns die Pkw-Maut doch
eines Tages um die Ohren fliegen sollte, werden wir es,
wo immer Sie dann in diesem Hause sitzen werden, aus
der Tasche ziehen .
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, offenbar sind die
Kriterien aus dem Koalitionsvertrag erfüllt . Daher werden wir als SPD-Bundestagsfraktion heute mehrheitlich
dem zweiten Anlauf zur Einführung einer Pkw-Maut zustimmen .
In den Diskussionen - insbesondere mit der CDU mussten wir erleben, dass alle kritischen Äußerungen
von Frau Kramp-Karrenbauer zu den Grenzregionen
nicht den geringsten Einfluss auf die Linie unseres Koalitionspartners hatten . Was für ein schlechtes Standing
einer Ministerpräsidentin!
({15})
Nachdem ich von der gleichen Ministerpräsidentin
vorgestern dann auch noch gelesen habe, dass die PkwMaut gar nicht kommt, frage ich mich wirklich: Was soll
das? Ich bin mir sicher, am Sonntag werden die Wählerinnen und Wähler im Saarland dieser Doppelzüngigkeit
eine Absage erteilen .
({16})
Auch die Aussagen von Frau Klöckner aus Rheinland-Pfalz blieben folgenlos . Gleiches gilt für den Protest der CDU-Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz und dem Saarland . Erst schreiben Sie
Briefe, in denen Sie den Bundesverkehrsminister auffordern, die Pkw-Maut nicht erneut im Bundeskabinett
beschließen zu lassen, und dann vergessen Sie im entscheidenden Moment im Bundestag Ihre Kritik und sind
nicht auf dem Platz . Das ist wenig hilfreich .
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass aus der CSUMaut inzwischen endgültig ein gemeinsames Projekt von
CDU und CSU geworden ist .
({17})
Ohne Verbündete in der CDU, die nicht nur reden, sondern sich in dem entscheidenden Moment auch nicht
wegducken, hatten wir am Ende keine Chance .
({18})
Die SPD zeigt heute, dass sie ein verlässlicher Partner ist . In einer Koalition handeln beide Vertragspartner
jeweils ihre wichtigsten Ziele aus . Dafür muss man Zugeständnisse machen . Wenn wir etwas verhandelt und
vereinbart haben, liefern wir . Eines unserer bleibenden
Zeugnisse dafür ist der Mindestlohn . Ihr bleibendes
Zeugnis wird die Pkw-Maut sein .
({19})
Auf uns kann man sich verlassen . Das Gleiche erwarte
ich bei anderen Themen dann allerdings auch von CDU
und CSU . Zeigen auch Sie, dass Sie zu Ihrem Wort stehen .
({20})
Es gibt noch genügend Projekte aus dem Koalitionsvertrag, bei denen Sie in der Pflicht stehen. Geben Sie endlich Ihre Blockade beim Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Mann und Frau auf!
({21})
Beenden Sie Ihren Widerstand bei der Solidarrente! Geben Sie Mieterinnen und Mietern mehr Rechte!
Wir wollen diese Koalition ordentlich zu Ende bringen - verlässlich und zum Wohle unseres Landes .
({22})
Deshalb werden wir - auch wenn es vielen meiner Kolleginnen und Kollegen schwerfällt - den Änderungen an
der Pkw-Maut und der Kfz-Steuer heute mehrheitlich
zustimmen .
Vielen Dank .
({23})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Anton Hofreiter das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und
der SPD, Sie wissen doch selbst, dass Sie heute Teil einer
peinlichen Posse sind .
({0})
Sie wissen doch selbst, dass diese sogenannte Große Koalition heute nichts anderes ist als die Beute einer kleinen
Provinzpartei aus Bayern, und Sie sollten sich für Ihr Abstimmungsverhalten schämen .
({1})
Ich komme noch einmal ganz kurz zu dem Unsinn,
den der Minister erzählt hat, und zähle auf, was wirklich
ist: Eine Pkw-Maut in dieser Form ist schlecht für die
Grenzregionen; denn sie führt wieder neue Grenzen ein .
({2})
Sie ist schlecht für Saarbrücken, sie ist schlecht für Aachen, sie ist schlecht für Flensburg .
Ich würde mir einmal wünschen, dass die Verantwortlichen von CDU und SPD in den Landesregierungen auch
den Mut hätten, deutlich etwas dagegen zu unternehmen
und nicht bloß öffentliche Reden zu halten, sondern dort,
wo es darauf ankommt, auch die Hand zu heben .
({3})
Zu den Einnahmen . Der Minister hat wiederholt behauptet, dass in Österreich, in Italien und in Frankreich
genau die gleiche Maut eingeführt wurde wie die bei uns
geplante und dass alle zahlen müssen .
({4})
Wissen Sie, was der Unterschied zwischen uns und Italien, Frankreich und Österreich ist? Dort zahlen wirklich
alle Bürgerinnen und Bürger, die einheimischen und die
ausländischen . Sie haben daraus etwas völlig anderes
gemacht: Sie haben sie zu Ihrem rechtspopulistischen
Wahlkampfschlager gemacht, indem Sie sie zu einer
Ausländermaut erklärt haben . Es gibt aber keine diskriminierungsfreie Diskriminierung . Deshalb: Hören Sie
auf, hier die Unwahrheit zu erzählen .
({5})
Morgen werden 60 Jahre Römische Verträge gefeiert .
Dazu wird Frau Merkel wieder schöne Worte finden. Wir
haben Sie von der Großen Koalition aufgefordert, Herr
Kauder - Herr Oppermann ist nicht einmal da -, dass es
eine vereinbarte Debatte zu 60 Jahre Römische Verträge
gibt .
({6})
Sie haben sich verweigert . Stattdessen führen wir eine
Debatte zu diesem völlig absurden Projekt .
Wissen Sie, das, was Sie 2013 beschlossen haben, war
schon eine Peinlichkeit . Es war eine Peinlichkeit für SPD
und CDU . Es war dreist, dass Sie der Provinzpartei aus
Bayern, die auch für Bayern eine Schande ist, nachgegeben haben .
({7})
Aber in diesen vier Jahren ist viel passiert . Die Europäische Union ist deutlich tiefer in die Krise geraten .
({8})
Was macht die Kanzlerin des größten und wichtigsten
Landes innerhalb der Europäischen Union? Sie verbrennt
ihr politisches Kapital, um die EU-Kommission dazu zu
bringen, diesem europafeindlichen Projekt zuzustimmen .
Schämen Sie sich!
({9})
Die Europäische Union hat Besseres verdient .
({10})
Wir brauchen die Europäische Union . Wir müssen die
Europäische Union retten . Mit Ihrem Verhalten schaden
Sie der Europäischen Union . Nehmen Sie endlich Ihre
Verantwortung an .
({11})
Jetzt schauen wir uns einmal die SPD an .
({12})
Die SPD hat ja jetzt ihren 100-Prozent-Schulz, der glaubt,
über Wasser laufen zu können .
({13})
Aber in dem Moment, in dem die SPD in der politischen
Wirklichkeit ankommt, ist sie wieder ganz, ganz klein .
({14})
Wieso stimmen Sie von der SPD nach der Rede von
Herrn Bartol den Gesetzentwürfen zu?
({15})
Wissen Sie, in Koalitionen muss man Kompromisse machen .
({16})
Aber es kann einen auch in Koalitionen niemand dazu
zwingen, den größten Unsinn mitzumachen .
({17})
Das macht man freiwillig . Alle, die Sie hier heute sitzen,
werden gleich bei der Abstimmung freiwillig die Hand
heben und danach freiwillig aufstehen . Deshalb können
Sie sich nicht hinter der Koalitionsvereinbarung verstecken . Deshalb ist es nicht mehr nur eine CSU-peinliche
Maut, sondern auch eine CDU-peinliche Maut und eine
SPD-peinliche Maut .
({18})
Das zeigt: Diese Große Koalition gehört dringend
weg; denn sie ist ein Schaden für unser Land . Heute ist
ein schlechter Tag für unser Land .
({19})
Es ist ein schlechter Tag für die Grenzregionen . Es ist ein
schlechter Tag für unseren Haushalt . Es ist ein schlechter
Tag für Europa .
({20})
Ich kann nur noch einmal an Sie appellieren: Stimmen
Sie dem Ganzen nicht zu! Dann würden Sie endlich einmal Rückgrat beweisen und Größe und Stärke zeigen .
Vielen Dank .
({21})
Steffen Bilger ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst: Kollege Hofreiter, ich habe nicht das Gefühl,
dass die Wähler in Bayern den Eindruck haben, die CSU
sei eine Schande für Bayern . Im Gegenteil: Die Zustimmungswerte für die CSU sprechen eine deutlich andere
Sprache .
({0})
Aber zurück zur Maut . Die Argumente dazu sind ausgetauscht . In manchen Beiträgen gerade kamen nicht
besonders viele inhaltliche Argumente . Aber wir haben
über die Maut schon viele Jahre diskutiert . Es ist gut,
dass wir heute über die Einführung der Infrastrukturabgabe endgültig abstimmen .
In diesem Zusammenhang sind ein paar Aussagen gemacht worden, die mich verwundert haben . Es handelt
sich nach all den Diskussionen, die wir die ganzen Jahre
schon geführt haben, und nach den vielen Anhörungen,
die wir hatten, mit Sicherheit nicht um ein Durchprügeln
dieser Gesetze .
Auch habe ich eine andere Erinnerung an unsere Koalitionsverhandlungen . Ich habe in Erinnerung, dass wir
zusammengekommen sind und in der Verkehrspolitik
überlegt haben: Welche gemeinsamen Projekte sind uns
wichtig? Die Parteien haben unterschiedliche Ansätze
eingebracht . Aber wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen über die Pkw-Maut sehr konstruktiv auseinandergesetzt .
Und so war es auch die ganzen Jahre mit der SPD .
Wir haben gemeinsam konstruktiv daran gearbeitet, wie
wir dieses Gesetz umsetzen, und ich weiß nicht, Kollege
Bartol, ob es richtig ist, jetzt die Bilanz dieser Regierung
so schlechtzureden nach allem, was wir auch gemeinsam
erreicht und in Deutschland vorangebracht haben .
({1})
Nun habe ich wenig Hoffnung, dass es mir heute mit
meiner Rede gelingen wird, diejenigen zu überzeugen,
die schon immer gegen die Maut waren . Umgekehrt wird
es denjenigen, die dagegen waren, heute aber auch nicht
gelingen, mich von ihrer Position überzeugen . Ich will
mich bei meinen Ausführungen auf die Diskussionsbeiträge beschränken, die seit unserer letzten Debatte zur
Infrastrukturabgabe vor zwei Wochen geäußert wurden .
Ich will aber auch für alle Interessierten, die unsere Debatte außerhalb des Bundestags verfolgen, die wesentlichen Argumente für unser Vorhaben kurz erläutern .
Zunächst einmal waren Zweifel an der Einnahmenseite der Maut geäußert worden, auch von Rednern der
SPD in der letzten Debatte . Ich bin sehr froh, dass diese
Zweifel nach unseren Sachverständigenanhörungen und
nach der Mitteilung des Bundesfinanzministeriums ausgeräumt werden konnten. Das Bundesfinanzministerium
hat bestätigt, dass die Einnahmenerwartungen realistisch
sind, meine Damen und Herren .
({2})
Die Einnahmen aus der Infrastrukturabgabe werden
einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung unseres
Investitionshochlaufs leisten . Diese mehrere Hundert
Millionen Euro, die wir Jahr für Jahr als zusätzliche Einnahmen erwarten können, werden uns helfen, die Infrastruktur in unserem Land auf den erforderlichen Stand
zu bringen, und es ist Zeit dafür, und es gut, dass wir das
endlich erreichen .
({3})
Einmal mehr will ich unterstreichen, dass die PkwMaut ja nicht die einzige Maßnahme ist, um die Infrastruktur ausreichend zu finanzieren. Hinzu kommen zusätzliche Haushaltsmittel und zusätzliche Einnahmen aus
der Ausweitung der Lkw-Maut .
All denen, die nun Sorgen wegen der Grenzregionen
geäußert haben, kann ich nur sagen: Wir haben uns intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt . Wir wollen
weder Nachteile für Handel oder Gastronomie noch
Ausweichverkehre zum Nachteil von Anwohnern . Aber
genau deshalb haben wir dieses Problem gelöst: Die Infrastrukturabgabe wird für Ausländer nur auf Autobahnen fällig . Wir wollen also diejenigen, die unsere Straßen
nutzen, um durch unser Land zu fahren und um weitere
Strecken auf den Autobahnen zurückzulegen, an der Finanzierung unserer Infrastruktur beteiligen . Das ist nur
fair, meine Damen und Herren .
({4})
Es bleibt dabei: Bundesstraßen, Landstraßen und
kommunale Straßen können mautfrei von den ausländischen Gästen genutzt werden . Und auch wenn ein Gast
aus dem Ausland über die Autobahn zu seinem Ziel anreisen muss, wird er doch nicht wegen dieser paar Euro,
die für die Maut fällig werden, auf den Einkauf oder die
Übernachtung in Deutschland verzichten .
Jetzt wurde noch vorgeschlagen, es solle ein mautfreier Korridor an der Grenze eingerichtet werden . Da kann
man nur fragen: Wo soll der denn enden? Auch darüber
haben wir lange diskutiert . Es gäbe erneut Ungerechtigkeiten bei der Festlegung eines solchen Korridors . Wir
müssten alle Grenzregionen mit einem Schilderwald
überziehen . Das macht nun wirklich keinen Sinn . Wir haben uns bei dem jetzigen Vorschlag schon etwas gedacht .
Dann wurde auch gerade eben teilweise eingewandt,
das Projekt sei uneuropäisch . Auch in der Debatte vor
zwei Wochen wurde dieses Argument schon genannt .
Dazu kann ich nur sagen: Lassen wir doch die Kirche im
Dorf . Die Slowenen, die Österreicher, die Schweizer das sind doch auch alles gute Europäer .
({5})
Unter dem Strich haben wir mit der Infrastrukturabgabe
das gleiche System, das die Österreicher haben .
({6})
Deswegen kann man uns hier keine Europafeindlichkeit
vorwerfen . Ich glaube nicht, dass die Pkw-Maut Europa
ins Straucheln bringen wird, meine Damen und Herren .
({7})
In Deutschland wird nun eingeführt, was die meisten
europäischen Staaten schon längst machen . Im Übrigen
befürwortet es die EU-Kommission, dass in ganz Europa
Pkw-Mautsysteme eingeführt werden, weil es eben richtig ist, eine stärkere Nutzerfinanzierung zu verwirklichen.
Also, noch einmal zusammengefasst: Wir stellen die
notwendigen Mittel für unsere Infrastruktur zur Verfügung . Dazu dienen auch die Einnahmen aus der PkwMaut . In einem langen Prozess, der heute seinen Abschluss findet, haben wir eine von der EU-Kommission
mitgetragene Lösung entwickelt, mit der keine Probleme
für die Grenzregionen entstehen, mit der wir bei geringen Bürokratiekosten zusätzliche Einnahmen erzielen
werden, die für die Infrastruktur zur Verfügung stehen .
Dabei haben wir auch noch ökologische Aspekte berücksichtigt, beispielsweise durch die Befreiung von Elektroautos .
Aus unserer Sicht sprechen die Argumente für die
Einführung der Infrastrukturabgabe, und ich bitte Sie aus
Überzeugung um Ihre Unterstützung .
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Lutze für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Maut, die außerhalb des Parlaments niemand will,
die nur sehr wenig - wenn überhaupt - zur Finanzierung
der Verkehrsinfrastruktur beiträgt,
({0})
aber einen erheblichen Aufwand nach sich zieht, wollen
Sie heute wider besseres Wissen durchsetzen . Zahlreiche
Kollegen der CDU, aber auch der SPD sehen das kritisch . Es hilft aber alles nichts; denn heute wird mehr als
deutlich: Eine große Koalition, wie wir sie im Deutschen
Bundestag derzeit erleben, hat sich überlebt . Die Debatte
ist ein klarer Beweis dafür .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie bitte auf
mit diesem Spuk!
({1})
Wenn Sie schon nicht auf die Opposition hören - das
haben Sie, glaube ich, noch nie gemacht -, dann hören
Sie wenigstens auf die Anregungen des Bundesrates . Ein
Beispiel sind die Ausnahmeregelungen im grenznahen
Bereich .
Meine Heimatstadt Saarbrücken liegt unmittelbar an
der französischen Grenze . Jeden Samstag kommen Tausende Menschen, die in Frankreich leben, in die saarländische Landeshauptstadt, um dort einzukaufen . Eine
Maut ohne Ausnahmen an der Grenze wird fatale Folgen
für den Einzelhandel haben .
Im benachbarten Frankreich wird eine Autobahnmaut
in aller Regel erst nach drei oder vier Abfahrten hinter der Grenze erhoben; die Franzosen wissen, warum .
Eine vergleichbare Ausnahmeregelung bei der Maut im
Grenzverkehr ist bei uns dringend notwendig .
({2})
Wenn Sie schon den Unsinn mit dieser Maut durchziehen wollen, dann hören Sie wenigstens auf die sinnvollen
Vorschläge aus dem Bundesrat .
Mittelfristig muss aber das Verursacherprinzip bei
der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur besser angewandt werden . Nur eine Zahl: Ein 40 Tonnen schwerer Lkw belastet eine Autobahnbrücke rund 60 000-mal
stärker als ein Pkw mit 1 Tonne Gewicht . Wenn Sie also
Geld brauchen, Herr Minister, um die Infrastruktur instand halten zu können, dann überprüfen Sie dringend die
Höhe der Lkw-Maut . Hier ist Geld da . Hier können Sie
für Gerechtigkeit sorgen . Aber das tun Sie nicht - ganz
im Gegenteil .
({3})
Wenn endlich daran gearbeitet wird, dass wieder deutlich
mehr Güterfernverkehr auf die Schiene verlagert wird,
dann sinken auch die Kosten für die Instandhaltung der
Straßen .
Sparen Sie sich also die lächerliche Pkw-Maut . Vertreten Sie auch die Interessen Ihrer Wählerinnen und Wähler statt nur die Interessen einer CSU-Parteizentrale in
München .
({4})
Spätestens nach der Bundestagswahl wird es der Maut
so ähnlich ergehen wie seinerzeit der Praxisgebühr . Sie
wird eine Randnotiz im Geschichtsbuch werden .
Glück auf!
({5})
Bettina Hagedorn ist nun für die SPD die nächste Rednerin .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Minister Dobrindt, Sie haben am Ende Ihrer Rede
vielen Kritikern an der Pkw-Maut im Parlament falsche
Aussagen in der Vergangenheit vorgeworfen. Das ist, finde ich, eine starke Aussage von Ihnen .
({0})
Denn Sie haben in diesem Haus am 27 . März 2015 in
der zweiten und dritten Lesung zur Einführung der PkwMaut gesagt: „Sie ist europarechtskonform . Glauben Sie
es endlich .“
Wenn es aber damals tatsächlich der Fall gewesen
wäre, müssten wir heute kein Änderungsgesetz beschließen. Ich finde, dass es Ihnen gut zu Gesicht gestanden
hätte, Herr Dobrindt, das auch zuzugestehen .
({1})
Wir haben am Montag im Ausschuss eine Anhörung durchgeführt . Hier ist immer wieder die Rede von
500 Millionen Euro Nettoeinnahmen pro Jahr . Es ist der
Wahrheit geschuldet, zu berichten, dass drei von vier
Sachverständigen gesagt haben: Wenn es überhaupt Einnahmen gibt, dann gibt es sie im ersten Jahr . In den Folgejahren drohen eher Minuseinnahmen .
({2})
Das ist auch eine tolle Wortschöpfung: Nettominuseinnahmen . Der einzige Sachverständige, der das anders gesehen hat, ist übrigens der, den das Verkehrsministerium
selbst bestellt hat .
Wenn vor diesem Hintergrund das Finanzministerium - damit spreche ich den Kollegen Spahn als Staatssekretär von Finanzminister Schäuble an - bestätigt, was
es bereits getan hat, dass es 500 Millionen Euro Nettoeinnahmen geben soll - angeblich -, und wenn Sie sogar so mutig sind, in den Eckwertebeschluss der Bundesregierung für den Bundeshaushalt 2018 ab 2019 diese
500 Millionen Euro als Einnahmen aufzunehmen, dann
heißt das: Wenn die anderen Sachverständigen, wie ich
vermute, recht haben und es keine Einnahmen gibt, dann
fehlen im Bundeshaushalt bis 2021 1,5 Milliarden Euro
für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur .
Vor diesem Hintergrund will ich deutlich sagen, dass
ich heute hier mit großen Bauchschmerzen stehe . Aber
aus den Gründen, die der Kollege Sören Bartol für uns
alle in der SPD eindrucksvoll dargelegt hat, sage ich
auch: Ja, wir sind koalitionstreu . Ja, wir halten Verträge . - Kollege Hofreiter, wir verkämpfen uns nicht an der
falschen Stelle . Wir haben noch eine Grundgesetzänderung vor der Brust, und diese wollen wir gemeinsam mit
den Kollegen von der Union beschließen . Da wollen wir
der Infrastrukturplanungsgesellschaft noch die größten
Giftzähne ziehen . Das ist wichtiger als die Pkw-Maut .
Vielen Dank .
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele von uns haben Sympathie für die Bewegung Pulse of Europe und unterstützen sie . Aber, meine Damen
und Herren von Union und SPD, was sagen Sie eigentlich diesen Menschen, die jeden Sonntagnachmittag auf
Marktplätzen stehen, wenn Sie dieses antieuropäische,
populistische Projekt verabschieden? Das ist ein Schlag
ins Gesicht aller Menschen, die sich für Europa einsetzen .
({0})
Was der Bundesverkehrsminister in seiner Rede über
Österreich gesagt hat, drückt genau diese Mentalität aus .
Das ist anti Europa . Das ist das Gegenteil dessen, wofür
wir alle kämpfen .
({1})
Man kann sicherlich juristisch darüber streiten, was
alles mit dem Europarecht vereinbar ist . Aber das Europäische Parlament hat in der vergangenen Woche etwas
Richtiges, und zwar - so vermute ich - mit Zustimmung
zumindest der Sozialdemokratie, beschlossen . Dort heißt
es, „dass eine Erstattungsregelung, die direkt oder indirekt auf der Staatsangehörigkeit beruht, eine Diskriminierung darstellt, im Widerspruch zu den Leitprinzipien
der Europäischen Union steht, der grenzüberschreitenden
Mobilität abträglich ist und den europäischen Binnenmarkt schwächt“ . Ich sage: Das Europäische Parlament
hat recht . Es ist antieuropäisch, was Sie hier beschließen .
Das haben Ihnen die Kolleginnen und Kollegen aus dem
Europäischen Parlament ins Stammbuch geschrieben .
({2})
Liebe Kollegen von der SPD, mich interessiert, wie
Martin Schulz dort abgestimmt hat . Ich frage mich, wie
eigentlich die Position des Heilands und Kanzlerkandidaten der SPD ist . Mir wurde in der vergangenen Woche
aus der Städteregion Aachen, zu der auch - hören Sie
gut zu! - Würselen gehört, die Position mitgeteilt, alle
Abgeordneten sollten diese Maut ablehnen, weil sie die
Städteregion Aachen und die Grenzregionen schädigt .
Warum tun Sie das nicht auch, wenn Sie hier schon dagegenreden?
({3})
Dann möchte ich noch etwas zu den Einnahmen sagen . Liebe Sozialdemokraten, lieber Herr Hartmann und
lieber Sören Bartol, in der letzten Woche haben wir hier
gehört: Die Einnahmeprognose muss kommen; da muss
etwas bestätigt werden . - Die Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung hat gesagt, dass diese Maut
sogar ein Minusgeschäft wird . Wo, bitte schön, ist die
Einnahmeprognose? Sie haben eine solche Prognose sogar im Koalitionsvertrag vorgesehen . Legen Sie sie auch
vor! Nun gibt es ein Schreiben von Herrn Spahn, in dem
es sinngemäß heißt: Die Einnahmeprognose, die dieses
Parlament nicht kennt, ist richtig . - Wie geht das denn?
Da wird eine Einnahmeprognose bestätigt, die niemand
kennt . Das können wir Ihnen, liebe Sozialdemokraten,
nicht durchgehen lassen .
({4})
Sie können heute dieses Mautprojekt ablehnen, weil
die Bedingungen aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag nicht erfüllt sind . Seien Sie mutig! Hören Sie auf,
draußen Mautopposition zu spielen, aber dann, wenn es
darauf ankommt, den Menschen Sand in die Augen zu
streuen und hier zuzustimmen! Das ist nicht in Ordnung .
({5})
Sie haben der Bundeskanzlerin vorgeworfen, ein Versprechen gebrochen zu haben . Aber Ihr Kandidat bricht
es, bevor es überhaupt losgeht . Das werden wir Ihnen
nicht durchgehen lassen .
({6})
Philipp Murmann ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Vielleicht sollten wir die Emotionen ein
bisschen herunterfahren und wieder auf die Sachebene
kommen .
({0})
Herr Hofreiter, dass Sie hier einen Rumpelstilzchentanz
aufführen mit ein paar Parolen und Hetzkampagnen, wird
weder der Sache gerecht noch unserem demokratischen
Anspruch .
({1})
Ich finde, jeder Bürger hat den Anspruch, dass auch die
Grünen sich sachlich mit den Themen auseinandersetzen
({2})
und hier nicht einfach irgendetwas in die Luft blasen und
andere Leute auch noch diffamieren . Das tut Ihnen und
uns allen nicht gut .
({3})
Ich möchte gerne auf vier Punkte eingehen .
Erstens . Ja, wir haben einen Koalitionsvertrag . 2013
haben wir uns zusammengesetzt . Beim Aushandeln von
Koalitionsverträgen ist es so, dass jeder seine Projekte
hat, aber - das muss man auch sagen - am Ende wird
ein Gesamtpaket geschnürt . Ich weiß jetzt nicht, wo Herr
Bartol ist, aber wir haben verabredet, gemeinsam dieses
Spiel zu machen .
({4})
Wenn er sich nun in den Strafraum legt und überhaupt
nicht mehr auf die Argumente eingeht, ist das schon bedenklich .
Darf ich die Kollegen, die dringende Gespräche führen müssen, darum bitten, das außerhalb des Plenarsaals
zu tun?
({0})
Bitte schön, Herr Murmann .
Danke schön . - Wir haben uns mit den Argumenten
auseinandergesetzt . Es gibt natürlich viele positive Argumente . Das hat die CDU davon überzeugt, bei diesem
Projekt mitzumachen .
({0})
Ein positives Argument ist nämlich, dass wir Infrastruktur auf eine neue Finanzierungsbasis stellen, weil wir der
Meinung sind: Infrastruktur ist für den Mittelstand in unserem Land, der dezentral aufgestellt ist, ein prioritäres
Thema . Viele kleine und mittlere Unternehmen müssen
zum richtigen Zeitpunkt, termingerecht liefern . Deswegen haben wir dieses Projekt beschlossen .
({1})
Zweitens . Wir haben gesagt, wir wollen keine Doppelbelastungen . Sie wissen, die Kfz-Steuer besteht aus
Hubraum- und CO2-Komponenten . Ich habe in meiner
letzten Rede versucht, mit einem Beispiel deutlich zu
machen, wie sich das rechnet . Wir haben jetzt eine Änderung . Der Verkehrsminister hat noch einmal Gespräche auf EU-Ebene geführt, und er hat sich mit ihr auf
eine Änderung verständigt, die zusätzliche Entlastungen
in Höhe von 100 Millionen Euro für Euro-6-Fahrzeuge
bringt, also für die Fahrzeuge, die besonders wenig umweltschädlich sind bzw . umweltfreundlicher sind .
Es gibt eine langfristige Komponente mit 32 Cent
pro 100 Kubikzentimeter, und es gibt eine kurzfristige
mit zusätzlichen 13 Cent, die nur für zwei Jahre gilt . Ich
nenne zwei Beispiele: Es gibt den Polo vom Kollegen
Schwarz - ich sehe ihn im Moment nur da hinten sitzen, er redet heute leider nicht -, für den er Kfz-Steuer
in Höhe von 52 Euro zahlt . Er wird jetzt durch die Infrastrukturabgabe in Höhe von rund 30 Euro entlastet .
Steffen Bilger hatte sich beschwert, dass ich ihm einen BMW 730 zugeordnet hatte . Er hätte lieber einen
Mercedes gehabt . Okay, aber die Steuer bleibt am Ende
trotzdem bei 390 Euro, weil das Auto sehr viel mehr
Kubikzentimeter, also einen größeren Hubraum, und höhere CO2-Werte hat . Seine Entlastung würde eigentlich
162 Euro betragen, er bekommt aber nur 130 Euro, weil
die Entlastung nach den neuen Regeln gedeckelt ist . Insofern werden kleinere Fahrzeuge deutlich besser gestellt
als größere . Das ist auch Ziel dieses Projektes .
Drittens. Einnahmen und Ausgaben wurden häufig
erwähnt . Es gibt dazu sehr unterschiedliche Prognosen .
Das BMVI hat uns die Rechnung vorgelegt, dass etwa
Einnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro zusätzlich
entstehen . Es gibt Leute, die dies bezweifeln . Am Ende
gehen wir aber davon aus, dass auf jeden Fall ein positiver Betrag bleibt . Dabei sind natürlich sehr viele Parameter zu berücksichtigen .
Es ist übrigens üblich, dass in Anhörungen einige
Sachverständige die eine und andere eine andere Meinung vertreten .
({2})
- Ja gut, aber welche Sachverständigen gerade bei der
Anhörung sind, macht im Ergebnis keinen Unterschied .
Wir gehen davon aus: Die Infrastrukturabgabe wird
einen positiven Beitrag leisten, auch wenn wir Ausgaben
haben . Es ist eine einmalige Umstellung, die natürlich
auch zu einmaligem Aufwand, insbesondere was die Bescheide angeht, führt . Der Zoll hat in der Anhörung gesagt, er sei noch nicht ganz sicher, ob die Mitarbeiter, die
zur Verfügung gestellt werden, wirklich ausreichen . Wir
haben gesagt: Wir evaluieren dieses Gesetz nach zwei
Jahren und schauen, ob wir gegebenenfalls an der einen
oder anderen Stelle nachsteuern müssen .
Viertens . EU-Konformität . Ich denke, das ist jetzt eindeutig geklärt .
({3})
Wir haben eine Nutzerabgabe, die es auch in anderen
Ländern, zum Beispiel in Österreich, gibt . Sie ist für
In- und Ausländer . Da gibt es keinerlei Diskriminierung .
Auch die Sachverständigen haben noch einmal klar gesagt: Die Kfz-Steuer ist eine rein nationale Steuer . Auch
wenn in Österreich oder in Frankreich die Kfz-Steuer
steigt oder sinkt, hat das mit Europa nichts zu tun . Insofern ist das eine Sache der nationalen Hoheit, die wir so
steuern können, wie wir das wollen .
Es gibt vielleicht noch ein Thema: Die Gewerbetreibenden mussten bisher natürlich keine Nutzerabgabe
zahlen, wenn sie Fahrzeuge unter 7,5 Tonnen fuhren,
weswegen sie auch keine Lkw-Maut zahlen . Sie haben
jetzt eine zusätzliche Belastung . Aber auch da sind wir
der Meinung: Es gibt natürlich keinen Anspruch darauf,
auf Dauer einen Wettbewerbsvorteil zu haben . Insofern
gehen wir davon aus, dass das auch kein Thema ist .
Summa summarum: Wir wollen den Umstieg in eine
nutzergebundene und auch zweckgebundene Finanzierung der Infrastruktur, weil wir das für sinnvoll halten .
Wir wollen die Entlastung durch die Kfz-Steuer, die übrigens besonders den Haltern kleiner Pkws zugutekommt .
Im ersten Jahr nach Inbetriebnahme beträgt die zusätzliche Steuerentlastung durch die ökologische Komponente
für die Euro-6-Fahrzeuge rund 100 Millionen Euro . Wir
haben das alles mit der EU abgestimmt . Insofern bitte ich
um Ihre Zustimmung .
Nach zwei Jahren evaluieren wir das noch einmal, und
dann werden wir sehen, dass wir damit ein erfolgreiches
Gesetz auf den Weg gebracht haben und eine Änderung
in der Infrastrukturfinanzierung schaffen.
Danke schön .
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Sebastian Hartmann für
die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Diese Debatte ist vollkommen überflüssig.
({0})
Denn der Bundesverkehrsminister hat uns im Jahre 2015,
und zwar am 24 . März, gesagt: „Mein Gesetz ist gut . Daran wird kein Wort geändert .“ Daran muss man sich messen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich sage Ihnen: Man hätte das Ganze natürlich seit zwei Jahren auf
den Weg bringen können . Es ist auf den Weg geschickt
worden, und die EU-Kommission hat sich dazu verhalten .
Tatsächlich - da muss man sich an den Fakten orientieren - stehen wir heute hier erneut und beschließen schon
die erste Änderung am Infrastrukturabgabengesetz, bevor diese Maut überhaupt in Kraft gesetzt worden ist .
({1})
Bleiben wir bei den Fakten . Mag die Pkw-Maut auch
im Koalitionsvertrag stehen: Sie ist nicht zum 1 . Januar
2016 scharfgestellt worden, und sie ist in dieser Legislaturperiode auch nicht gekommen - allen Koalitionsversprechen zum Trotz .
({2})
Natürlich richte ich das Wort auch an den geschätzten Koalitionspartner: Ja, die SPD ist koalitionstreu .
Weil sie koalitionstreu ist, können Sie auf eines zählen:
auf die Zustimmung des weit überwiegenden Teils der
SPD-Bundestagsfraktion . Aber im Koalitionsvertrag
steht nicht, dass Sie auf unser Verständnis zählen können,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Für die SPD-Bundestagsfraktion standen andere Dinge im Mittelpunkt, die der Kollege Sören Bartol schon
erwähnt hat . Wenn Sie, Herr Krischer, sich hierhinstellen
und der Sozialdemokratie abverlangen, Rückgrat zu zeigen, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie in die Geschichtsbücher! Schauen Sie sich unser Regierungshandeln an!
Wir haben immer Rückgrat bewiesen, wenn es darauf
ankam, und das auch in Fragen Europas .
({4})
Wenn Sie das nicht glauben, dann frage ich Sie einmal: Was leisten Sie sich eigentlich in Hessen in Ihrer
schwarz-grünen Koalition?
({5})
Wie können Sie es wagen, uns vorzuhalten, hier nicht
europarechtsfreundlich zu sein! Schämen Sie sich, dass
Sie uns das hier im Plenum vorwerfen! So läuft es nicht .
({6})
Wenn ich mir einmal die Argumentationsstrategie des
geschätzten Koalitionspartners anschaue, wenn ich mir
anschaue, was in der letzten Runde hier gesagt worden
ist, stellt sich mir die Frage: Haben Sie noch nicht genug?
({7})
Ich sage Ihnen: Sie sind für die Maut für alle ohne jegliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, und wir
haben dafür gesorgt, dass der deutsche Autofahrer nicht
belastet wird .
({8})
Nehmen Sie sich zurück, und hören Sie zu!
Ich wende mich jetzt der Argumentation des Koalitionspartners zu . Es wurde gesagt - das ist ja nicht nur am
BMW 7er des geschätzten Kollegen der Union festgemacht worden, der wohl zwischenzeitlich auf die S-Klasse „umgestiegen worden“ ist -: In Österreich muss ich
Maut bezahlen . In Italien muss ich 100 Euro Maut bezahlen . - Meine Damen und Herren, ich habe in einem der
schönsten Länder der Erde Urlaub gemacht, in Deutschland, und da habe ich keine Maut bezahlt . Ich wohne in
Nordrhein-Westfalen, und in den Nachbarländern Niederlande und Belgien gibt es keine Maut .
({9})
Wenn ich das zur Maßgabe der Politik machte, dürfte ich
heute nicht zustimmen . So einfach kann man sich das
nicht machen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir werden - auch wenn wir dieses Projekt für nicht so relevant
gehalten haben, dass man davon einen Koalitionsvertrag
abhängig macht - dem heute mit großer Mehrheit zustimmen .
Was hat sich geändert? Natürlich sind die Zweifel an
den Einnahmen geblieben .
({10})
Diese Zweifel gab es 2015 auch . Aber zwischenzeitlich
hat sich der Finanzminister nach einem Monat Bedenkzeit doch dazu durchgerungen, zu sagen: Ja, ich mache
mir diese Einnahmeprognose zu eigen .
({11})
Auch da korrigiere ich die Opposition, die gesagt hat,
es gebe nur einen Sachverständigen . Nein, es gibt mehrere,
({12})
nämlich auch den Finanzminister der CDU, sodass es
auch eine CDU-Maut geworden ist .
({13})
Aber, meine Damen und Herren, es ist doch auch eines
klar: Wenn eine Partei, die diese Regierungskoalition
mit stellt, die Entscheidung darüber, ob man die stärkste Volkswirtschaft in Europa mit 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern regiert, von einem einzigen
Wunschprojekt, nämlich der CSU-Pkw-Maut, abhängig
macht, dann muss man das zur Kenntnis nehmen; dann
ist das halt so in einer Koalition . Aber wir haben andere
Dinge in den Mittelpunkt gerückt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und dabei bleibt es .
({14})
Deswegen werden wir heute mehrheitlich zustimmen,
auch wenn wir in den Anhörungen unsere Position deutlich gemacht haben . Ich habe große Sympathie dafür,
dass man sagt: Ja, wir haben Bedenken, was die Grenzregionen angeht . - Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion
erreicht, dass es hierbei einen Unterschied gibt zwischen
Deutschen und Ausländern . Wir bezahlen die Maut auf
der Autobahn und auf der Bundesstraße, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber ausländische Kfz-Halter nur
auf der Bundesautobahn . Das war die erste Ausnahme
für die Grenzregionen; das haben wir 2015 durchgesetzt .
Wir wären gern weiter in die Richtung der Vorschläge
des Bundesrates gegangen . Mein geschätztes Heimatland
Nordrhein-Westfalen hat einen sehr guten Vorschlag gemacht . Aber das ist am Widerstand der CDU/CSU-Fraktion gescheitert, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen . Man stimmt in der Koalition nicht gegeneinander .
Abschließend: Ich gehe fest davon aus, dass ich der
letzte Redner der SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema Infrastrukturabgabe bin . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition und der Mehrheitsfraktion, das
hatten wir uns 2015 in der Tat anders gedacht . Aber eine
Sache habe ich mir gemerkt: Sie haben wenig Verständnis für wichtige Projekte gehabt, die wir in den Mittelpunkt unseres Tuns gerückt haben, die Mietpreisbremse zum Beispiel, das Recht auf gleiche Bezahlung von
Mann und Frau; das war für uns wichtig . Wir haben den
Mindestlohn eingeführt . Aber wissen Sie, was Sie gemacht haben? Sie haben uns vorgeworfen, dass wir mit
Transparenzregeln - dabei geht es um Gerechtigkeit - ein
Bürokratiemonster schaffen würden . Ich verrate Ihnen:
Das nächste Mal, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir ein
Bürokratiemonster schaffen, wird dieses Bürokratiemonster in einem vollbemauteten Pkw vorfahren und Sie
auslachen .
({15})
Für alle diejenigen, die das hier nicht richtig einordnen können: Das mit der Bürokratie lassen wir so nicht
auf uns sitzen . Sie mögen sich daran erinnern, was am
1 . September des Jahres 2013 nicht weit von hier in einem Fernsehstudio passiert ist . Um 20 .54 Uhr erklärte
die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland:
„Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben .“
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, so ist das
halt in Koalitionen . Das müssen wir als SPD zur Kenntnis nehmen .
Wir stimmen heute mehrheitlich zu . Für uns war anderes wichtiger .
Herzlichen Dank .
({17})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ulrich Lange .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie
angekündigt: Nach einer kurzen Beratung, die die letzten
Zweifel auch unseres Koalitionspartners so weit beseitigt
hat, dass man gut zustimmen kann, werden wir heute die
Infrastrukturabgabe so beschließen . Es ist ein Gesetz für
mehr Gerechtigkeit auf deutschen Straßen und deswegen
auch ein Herzensanliegen unseres Koalitionspartners .
({0})
Lieber Kollege Hofreiter, in aller Ruhe: Ich glaube, es
wäre an der Zeit, dass Sie sich für Ihre Rede in aller Form
bei den Menschen in Bayern entschuldigen .
({1})
- Jetzt komm runter!
({2})
Ich glaube, wir brauchen von den Grünen, denen die eigenen Landtagsabgeordneten in München gerade davonlaufen,
({3})
keine Nachhilfe in Europapolitik . Eine Union mit Franz
Josef Strauß, mit Theo Waigel, mit Konrad Adenauer und
Helmut Kohl braucht von Ihnen keine Nachhilfe .
({4})
Wir wissen, wo wir in Europa stehen .
({5})
Wir setzen mit dieser Maut das um, was Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land erwarten, und genau das, was
auch die Europäische Kommission geschrieben hat: einen Systemwechsel von der Steuerfinanzierung hin zur
Nutzerfinanzierung. Und das ist richtig! Und das tun wir!
Deswegen allen Respekt vor unserem Bundesverkehrsminister, der den Gesprächsfaden in Brüssel nicht hat abreißen lassen, der das Ziel nicht aus den Augen verloren
hat .
({6})
So haben wir das europäische Gütesiegel der Kommission erhalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen sowohl der Grünen,
der Linken, aber auch der SPD, das war das Siegel, das
Sie 2015 wollten . Dieses Siegel legen wir auf den Tisch .
Und damit haben wir auch unsere Aufgabe erfüllt . Gratulation an und Respekt für den Verkehrsminister!
({7})
Wenn die Länder jetzt glauben: „Neues Spiel - neues
Glück“, dann wundere ich mich zumindest, dass die Länderbank bei dieser Debatte heute leer ist .
({8})
Liebe Bundesländer, die ihr alle so dagegen seid: Wo ist
denn der Kollege aus den Bundesländern, der dagegen ist
und den Mut hat, sich hierhinzustellen und das auch zu
begründen?
({9})
2015 haben die Bundesländer genau dieser Regelung für
die Grenzregionen zugestimmt . Da war sie in Ordnung,
lieber Kollege Hartmann . An dieser Stelle wird auch kein
Wort im Gesetz geändert . Es werden Ziffern geändert,
aber keine Wörter . Das spricht für die Qualität des Gesetzes .
({10})
Wenn es um erfolgreiche Politik im Verkehrsbereich
geht, dann kann ich nach elf Jahren mit Bröckelverkehrsministern der Sozialdemokratie nur sagen: Seitdem die
Union das Haus des Verkehrsministeriums führt, gibt es
einen Investitionshochlauf, einen Bundesverkehrswegeplan, der seinen Namen verdient, Geld für die Schiene
wie noch nie und ein Brückensanierungsprogramm . Das
ist, lieber Kollege Hartmann, der Unterschied zu Ihrem
geliebten Land Nordrhein-Westfalen, zu den Bröckelpisten und Schlaglochstraßen!
({11})
Die Verkehrspolitik der Union, liebe Kolleginnen und
Kollegen, hat Premiumqualität .
({12})
Dank dieser Premiumqualität werden wir in Zukunft die
Straßen finanzieren. Wir werden die Finanzierung von
Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung umstellen.
Gerechtigkeit auf deutschen Straßen - das will die Mehrheit . Das machen wir! Und deshalb stimmen wir heute
dieser Infrastrukturabgabe zu - für eine gute, zukunftssichere Verkehrspolitik!
Danke schön .
({13})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Infrastrukturabgabengesetzes .
Zu diesem Gesetzentwurf haben nicht alle Mitglieder
des Deutschen Bundestages persönliche Erklärungen zu
ihrem Abstimmungsverhalten hier oben beim Präsidium
abgegeben, aber doch sehr viele, sodass ich Ihnen eine
anregende Lektüre des Anhangs zum Protokoll der heuti-
gen Bundestagsverhandlungen wünschen kann .1)
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf der Drucksache 18/11646, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11237 und
18/11536 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist damit ganz offenkundig mit hinreichender
Mehrheit in zweiter Beratung angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Wir stimmen jetzt über den Ge-
setzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen namentlich ab . Ich weise darauf hin, dass eine
zweite namentliche Abstimmung anschließend, in weni-
gen Minuten, erfolgt .
1) Anlagen 2 bis 8
Sind alle Abstimmungsurnen von jeweils zwei Schrift-
führerinnen und Schriftführern besetzt? - Auf der Regie-
rungsseite, scharf rechts von mir, fehlt noch ein Schrift-
führer . - Ich eröffne die erste Abstimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei-
ne Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .1)
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11667 ab . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Einzelne Mitglieder aus den Reihen der Antragsteller, auf Zuruf ein paar Einzelne mehr . Wenn ich
einmal die Emphase der Diskussion in Relation zu der
Gelassenheit im Abstimmungsverfahren setze, fällt mir
da eine gewisse Diskrepanz auf .
({0})
Also noch einmal: Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/11667? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Das Zweite war die Mehrheit . Damit ist der Ent-
schließungsantrag abgelehnt .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion Die Linke zur Aufhebung des Ge-
setzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastruk-
turabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 18/11646 empfiehlt der Ausschuss für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur, den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11012 abzu-
lehnen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Bei wenigen Enthaltungen ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalition bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen
abgelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung .
Zusatzpunkt 7 . Wir kommen nun zur Abstimmung
über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz-
entwurf zur Änderung des Zweiten Verkehrsteuerände-
rungsgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11643, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/11235 und 18/11560 anzunehmen . Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen .
Wir stimmen über den Gesetzentwurf in
dritter Beratung
und Schlussabstimmung auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Deswegen bitte
ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze
wieder einzunehmen . - Sind alle Urnen ordnungsgemäß
1) Ergebnis Seite 22708 D
besetzt? - Niemand signalisiert etwas anderes . Dann er-
öffne ich hiermit die zweite namentliche Abstimmung .
Ist noch ein Mitglied im Hause, das sich an der zwei-
ten namentlichen Abstimmung noch nicht beteiligt hat? -
Das ist nicht erkennbar . Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen .2)
Wir teilen die beiden Auszählungsergebnisse mit, so-
bald sie vorliegen, fahren aber in der Zwischenzeit mit
der Tagesordnung fort, wenn es dafür eine hinreichend
beruhigte, übersichtliche Lage gibt .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung zum Ende der 18. Wahlperiode
Jedes Alter zählt - Für mehr Wohlstand und
Lebensqualität aller Generationen
Drucksache 18/11145
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris
Wagner, Ulle Schauws, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam für ein gutes Morgen -
Den demografischen Wandel gestalten
Drucksache 18/11606
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Wagner, Elisabeth
Scharfenberg, Christian Kühn ({4}), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Partizipation und Selbstbestimmung älterer
Menschen stärken
Drucksachen 18/9797, 18/11645
2) Ergebnis Seite 22711 A
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
ist nicht erkennbar . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Ole Schröder das Wort .
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben länger . Wir sind gesünder als alle Generationen vor uns . Wir werden immer mobiler . Das ist die
positive Seite des demografischen Wandels.
Klar ist aber auch, dass die Alterung der Gesellschaft
in allen denkbaren Szenarien und Modellrechnungen
deutlich fortschreiten wird . Auch bei einer hohen Nettozuwanderung muss in Zukunft mit einem deutlichen
Rückgang der Erwerbsbevölkerung gerechnet werden .
Ob die überwiegend jungen Zuwanderer einen positiven
Einfluss auf die Erwerbstätigkeit haben, hängt von ihrer
oft schwierigen Integration in den Arbeitsmarkt ab . Außerdem werden ja auch die jungen Zuwanderer älter, und
auch die Kinder, die hier geboren werden, werden älter .
Damit steht fest: Unsere Gesellschaft verändert sich .
Sie wird möglicherweise kleiner, sie wird wahrscheinlich
heterogener, und sie wird sicherlich älter . Diesen Wandel wollen und müssen wir gestalten . Wir stehen dabei
vor grundlegenden Fragen: Welche Auswirkungen hat
Migration auf den demografischen Wandel? Wie steht
es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn die
Bevölkerung nicht nur älter, sondern auch heterogener
wird? Wohin geht die demografische Reise in Stadt und
Land? Welche Fortschritte wird uns die Digitalisierung
in diesem Zusammenhang bringen? Wie können wir unseren Wohlstand fortentwickeln und an die nächste Generation weitergeben?
Unter dem Motto „Zusammenhalt stärken - Verantwortung übernehmen“ haben Vertreter aller staatlichen
Ebenen, der Wirtschaft, der Sozialpartner, der Verbände,
der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft diese Fragen
auf Einladung des Bundesministeriums des Innern diskutiert. Der letzte Demografiegipfel am 16. März 2017 hat
sich wieder als zentrales Forum in der Zusammenarbeit
zwischen der Bundesregierung und den genannten Partnern erwiesen . Aber, natürlich, ein Gipfel allein reicht
nicht aus . Die Bundesregierung hat deshalb mit ihren
Partnern in einem seit 2012 laufenden Arbeitsprozess
kontinuierlich Lösungsvorschläge entwickelt und umgesetzt . Das zeigt: Wir sind uns der großen Herausforderung bewusst, und wir wollen sie erfolgreich bewältigen .
({0})
Die Bundesregierung hat sich daher im Jahr 2015 mit
der weiterentwickelten Demografiestrategie politische
Ziele gesetzt: die Stärkung des wirtschaftlichen Wachstumspotenzials, die Förderung des gesellschaftlichen
Zusammenhalts und gleichwertiger Lebensverhältnisse
in Stadt und Land sowie die Gewährleistung solider Finanzen für die Handlungsfähigkeit des Staates und verlässliche Sozialsysteme .
Zu soliden Sozialversicherungssystemen gehört auch,
dass die Rente mit 67 nicht infrage zu stellen ist . Auch
bei jetzt guten, ausgeglichenen Haushalten dürfen wir
nicht wieder in den alten Modus zurückverfallen, auf
Kosten der jungen Generation Politik zu machen .
({1})
Vor dem Demografiegipfel war es ein guter Zeitpunkt,
Bilanz aus dem bisher Erreichten zu ziehen . Die Bundesregierung hat daher am 1 . Februar 2017 ihre demografiepolitische Bilanz mit dem Titel „Jedes Alter zählt - Für
mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen“
präsentiert. Die demografiepolitische Bilanz beschreibt
aktuelle Trends, zeigt nachdrücklich die Maßnahmen der
Bundesregierung in 13 Handlungsfeldern auf . Das reicht
von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf über die
Fachkräftesicherung bis hin zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land . Zentral ist in jeder Hinsicht der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .
Wir haben deswegen eine Vielzahl von Maßnahmen
ergriffen, damit sich alle gesellschaftlichen Gruppen in
Deutschland als Teil des Ganzen verstehen . Hierzu gehören beispielsweise die Gesetze zur Stärkung der Pflege, die weiter ausgebaute Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, an dem sich bundesweit so viele
Menschen wie noch nie beteiligen . Daneben wird eine
möglichst hohe Erwerbstätigkeit gefördert; denn sie ist
Grundlage für Wachstum und Wohlstand und vor allen
Dingen für tragfähige öffentliche Finanzen .
Ich sage in diesem Zusammenhang deutlich, dass
uns Zuwanderung alleine nicht bei der Stabilisierung
der Erwerbsbevölkerung helfen wird . Was wir benötigen, ist qualifizierte Zuwanderung. Die Steuerung von
Zuwanderung nach Deutschland und die Attraktivität
für Fachkräfte haben daher Priorität . Es ist darauf hinzuweisen, dass alle hochentwickelten Volkswirtschaften
vor der gleichen Herausforderung stehen, nämlich einem
Fachkräftemangel, und dass deshalb alle weltweit natürlich versuchen, genau diese besonders qualifizierten
Fachkräfte anzuziehen, was ausgesprochen schwierig ist .
Auch der ungebrochene Trend zu qualitativ hochwertigen Ausbildungen und die auf Rekordniveau steigende
Erwerbstätigenquote, insbesondere bei Frauen, dienen
der Sicherung unserer Fachkräftebasis .
Die Bundesregierung hat diese Trends mit zahlreichen
Weichenstellungen in den letzten Jahren unterstützt . Sie
reichen von der beruflichen Bildung über den Hochschulpakt 2020 bis hin zu Maßnahmen für die weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie .
Für die Integration von Flüchtlingen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wurden geeignete Rahmenbedingungen geschaffen . Auch das ist eine Megaherausforderung, vor der wir stehen . Diese und viele andere
Maßnahmen bildet die demografiepolitische Bilanz ab.
Auch andere Konzepte und Anträge, die in der heutigen Sitzung beraten werden, propagieren diesen ganzheitlichen Ansatz und bestätigen den Weg, den die Bundesregierung geht .
Meine Damen und Herren, wenn wir uns die demografiepolitische Bilanz anschauen, muss man feststellen,
Präsident Dr. Norbert Lammert
dass nicht alle Maßnahmen, die wir in dieser Wahlperiode getroffen haben, positiv sind . Sie sind sicherlich zu
begründen; aber natürlich ist die Einschränkung bei der
Rente mit 67 - da muss man ehrlich sein - für den Bereich der Demografiepolitik kritisch zu sehen. Auf der
anderen Seite haben wir es vor allen Dingen geschafft,
einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen, das erste Mal seit 1962 . Jetzt haben wir den dritten ausgeglichenen Haushalt zum Abschluss gebracht .
({2})
Es ist demografiepolitisch mit das Wichtigste,
({3})
dass wir das erste Mal seit 1962 keine Haushaltspolitik
mehr machen, die auf Kosten der jüngeren Generation
geht .
({4})
Das Allerwichtigste ist, dass wir das jetzt fortführen;
denn das, was wir heute ausgeben, was wir heute konsumieren, müssen die Jüngeren zurückzahlen, und das
schränkt die Handlungsspielräume der Jüngeren ein .
({5})
Deshalb ist die schwarze Null der wichtigste demografiepolitische Erfolg, den wir in dieser Wahlperiode erzielt
haben .
({6})
Wir können den demografischen Wandel nicht stoppen, wir können ihn aber erfolgreich gestalten . Das hat
die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode mit den
ausgeglichenen Haushalten geschafft . Das zeigt: Eine
gute Bilanz ist erreicht worden .
({7})
Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt .
Zunächst zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes . Hierzu sind
541 Stimmen abgegeben worden . Mit Ja haben gestimmt
397, mit Nein 135, 9 Kolleginnen und Kollegen haben
sich der Stimme enthalten . Damit ist der Gesetzentwurf
angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 541;
davon
ja: 397
nein: 135
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({2})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({3})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Stefan Müller ({5})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Kathrin Rösel
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({6})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Patrick Schnieder
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({7})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({8})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({9})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({10})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({11})
Sabine Weiss ({12})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({13})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({14})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Michael Hartmann ({15})
Hubertus Heil ({16})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({17})
Dr . Karl Lauterbach
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({18})
Aydan Özoğuz
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({19})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({20})
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({21})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Matthias Schmidt ({22})
Dagmar Schmidt ({23})
Carsten Schneider ({24})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({25})
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({26})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Helmut Brandt
Rudolf Henke
Anette Hübinger
Karsten Möring
Wilfried Oellers
Johannes Röring
Albert Stegemann
SPD
Jürgen Coße
Dr . Daniela De Ridder
Elvira Drobinski-Weiß
Elke Ferner
Christian Flisek
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Heidtrud Henn
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Thomas Jurk
Gabriele Katzmarek
Dr. Bärbel Kofler
Hilde Mattheis
Detlef Müller ({27})
Dietmar Nietan
Markus Paschke
Christian Petry
Johann Saathoff
Ulla Schmidt ({28})
Andreas Schwarz
Norbert Spinrath
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Norbert Müller ({29})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({30})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({31})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({32})
Volker Beck ({33})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({34})
Christian Kühn ({35})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({36})
Elisabeth Scharfenberg
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Franz-Josef Holzenkamp
Carsten Müller ({37})
Karl Schiewerling
Detlef Seif
Kees de Vries
SPD
Dr . Edgar Franke
Steffen-Claudio Lemme
Dennis Rohde
Ewald Schurer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({38}) aufgeführt .
Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes haben 542 Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben . Davon haben
mit Ja gestimmt 405, mit Nein 125, 12 haben sich der
Stimme enthalten . Damit ist auch dieser Gesetzentwurf
angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 542;
davon
ja: 405
nein: 125
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({39})
Veronika Bellmann
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({40})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({41})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({42})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({43})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({44})
Stefan Müller ({45})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Kathrin Rösel
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({46})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Patrick Schnieder
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({47})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({48})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({49})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({50})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({51})
Sabine Weiss ({52})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({53})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({54})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Michael Hartmann ({55})
Hubertus Heil ({56})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({57})
Dr . Karl Lauterbach
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({58})
Aydan Özoğuz
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({59})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({60})
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({61})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Matthias Schmidt ({62})
Dagmar Schmidt ({63})
Carsten Schneider ({64})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({65})
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({66})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Helmut Brandt
Rudolf Henke
Johannes Röring
Albert Stegemann
SPD
Jürgen Coße
Dr . Daniela De Ridder
Elvira Drobinski-Weiß
Elke Ferner
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Dirk Heidenblut
Heidtrud Henn
Matthias Ilgen
Gabriele Katzmarek
Detlef Müller ({67})
Dietmar Nietan
Markus Paschke
Christian Petry
Johann Saathoff
Ulla Schmidt ({68})
Andreas Schwarz
Norbert Spinrath
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Norbert Müller ({69})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({70})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({71})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({72})
Volker Beck ({73})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({74})
Christian Kühn ({75})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({76})
Elisabeth Scharfenberg
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Detlef Seif
Kees de Vries
SPD
Christian Flisek
Dr . Edgar Franke
Ulrich Hampel
Thomas Hitschler
Thomas Jurk
Steffen-Claudio Lemme
Hilde Mattheis
Dennis Rohde
Ewald Schurer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({77}) aufgeführt .
Wir setzen die Debatte fort . Das Wort erhält nun die
Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .
({78})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Sie haben letzte Woche bestimmt von der Liste der Länder mit den glücklichsten Menschen gehört .
Unter den ersten fünf sind vier skandinavische Länder
sowie die Schweiz . Deutschland liegt abgeschlagen auf
Platz 16 . Wissen Sie, warum die Norwegerinnen und
Norweger die glücklichsten Menschen sind? Weil sie einen funktionierenden Sozialstaat haben .
({0})
Das ist es, was uns unterscheidet:
({1})
Kaum jemand muss im Alter in Armut leben, die Jungen
müssen keine Angst haben, nach befristeten Arbeitsverhältnissen oder Leiharbeit wieder aus dem Job zu fliegen,
die Menschen werden für ihre Arbeit ordentlich bezahlt,
und sie haben eine auskömmliche Rente . Das macht
glücklich!
({2})
Aber dafür braucht es gewisse Voraussetzungen . Da
wir hier über den Bericht zur demografiepolitischen Bilanz der Bundesregierung diskutieren, sage ich Ihnen
vorneweg ganz deutlich: In Ihrer Bilanz fehlen wesentliche Aspekte . Wie können Sie ernsthaft eine Frage, die
viele Menschen in Deutschland umtreibt, mit keinem
Wort erwähnen? Ist für Sie die massive Ausbreitung von
Altersarmut etwa keine demografierelevante Frage, oder
ignorieren Sie dieses Problem, weil Sie einfach keine Lösungen anzubieten haben?
({3})
Dieser Bericht ist keine Bilanz, er ist ein Armutszeugnis
dieser Regierung .
Bei sinkendem Rentenniveau werden in Zukunft immer mehr Menschen von ihrer Rente nicht leben können,
und das Dreisäulenmodell, welches Sie in Ihrem Bericht hervorgehoben haben - gesetzliche Rente, private
Vorsorge und Betriebsrente -, funktioniert nicht . Vielen
Menschen fehlt schlichtweg das Geld für eine private
Vorsorge, und oft lassen auch die Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber die Menschen bei der Betriebsrente im Stich .
Die Linke sagt: So wird das nichts mit einer ausreichenden Altersvorsorge .
({4})
Das Einzige, was der Regierung einfällt, ist: Die Menschen sollen länger arbeiten . Aber nicht alle werden älter,
und nicht alle bleiben im hohen Alter gesund . Viele von
denen, die in ihrem Leben am härtesten gearbeitet haben,
hatten niedrige Einkommen und haben folglich niedrige
Renten. Sie sind nicht mehr so fit, um noch etwas hinzuverdienen zu können, und dann sterben sie auch noch
früher . Das ist traurig, aber wahr . Das muss sich bei uns
hier in Deutschland ändern .
({5})
Ich muss insbesondere die Sozialdemokraten fragen:
({6})
Sieht so Ihre Solidarität mit den hart arbeitenden Menschen aus? Solidarität kann ich da nicht erkennen . Zum
Beispiel beim Pflegenotstand und allgemein beim Thema Pflege, wo es auch um Armut geht, reden Sie nicht
darüber, dass die Einkommen in der Altenpflege mit am
niedrigsten sind .
({7})
Angesichts einer derart anstrengenden Arbeit ist die Idee,
dafür vor allem Frauen, Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund gewinnen zu wollen, einfach zynisch .
Hier ist vorprogrammiert, dass wiederum Frauen im
Niedriglohnbereich arbeiten .
Für Rentnerinnen und Rentner sind die Mieten und die
Nebenkosten die größten Ausgabenposten . Bei drastisch
steigenden Mieten können sie sich ihre Wohnungen nicht
mehr leisten und müssen ihr gewohntes Umfeld verlassen . Wir brauchen wieder eine aktive soziale Wohnungsbaupolitik, gerade in den Ballungszentren .
({8})
Dazu kommt von Ihnen aber überhaupt nichts . Dabei
brauchen Sie doch nur die zahlreichen guten Vorschläge
der Linken abzuschreiben . Tun Sie das endlich mal!
({9})
Eine Politik, die den demografischen Herausforderungen vorbeugt, kostet Geld . Dafür brauchen wir eine Umverteilung von oben nach unten und eine Rückkehr zur
paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung . Es
geht um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts
und der Solidarität .
Ein Alltag ohne soziale Demütigung - das ist das
Grundrecht aller, ausnahmslos .
Das hat Regine Hildebrandt mal gesagt . Sie war eine kluge Frau .
({10})
Diese schlichte Wahrheit sollte die Bundesregierung
und sollten insbesondere die Sozialdemokratinnen und
-demokraten zum Maßstab ihres Handelns machen . Dann
können die Menschen auch in Deutschland wieder glücklich sein .
Danke schön .
({11})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Petra Crone ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über das Thema „Demografischer Wandel in
Deutschland“ . Warum? Für die Politik gilt, schnell zu reagieren, wenn ein Thema akut wird. Der demografische
Wandel eignet sich dafür nicht . Er ist wie auch die Globalisierung ein stetiger Prozess, der uns, die Politik, auch
stetig fordert . Deshalb dürfen wir eine muntere Debatte
nicht vernachlässigen, und deshalb kann keine Bilanz
vollständig sein .
Klar ist doch: Wir werden älter, weniger und bunter,
und diese demografische Entwicklung in unserem Land
können wir nicht stoppen oder umkehren . Unsere Aufgabe ist die Gestaltung der Auswirkungen . Welche Faktoren machen das Leben in unserem Land lebenswert?
Wie gestalten wir die Zukunft für unsere Nachfahren?
In diesem tiefgreifenden Prozess, der Auswirkungen auf
Kinder und Enkel hat, brauchen wir Mut für Innovationen und unbequeme Diskussionen .
({0})
Gerade wurde der Kinder- und Jugendmonitor öffentlich diskutiert . Fast jedes vierte Kind ist von Armut bedroht . Das macht mich fassungslos, immer noch und immer mehr . Unser Land ist reich, unser Land ist vielfältig .
Und die Strukturen sind dennoch ungerecht? Wie wollen
wir das ändern?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung ist der
Schlüssel für Qualifikation, für Teilhabe am beruflichen,
politischen und gesellschaftlichen Leben in jedem Alter .
({1})
Lassen Sie uns endlich das unsinnige Kooperationsverbot aufheben .
({2})
Es steht der Chancengleichheit entgegen und damit auch
der Fachkräftesicherung . Es gehen Potenziale verloren .
Wir wollen Kinder und Jugendliche stärken, sie für
ein selbstbestimmtes Leben fit machen, ihnen Perspektiven bieten und Teilhabe ermöglichen . Das Gleiche gilt
für Familien bzw . die sogenannte Sandwich-Generation .
Dafür haben wir in dieser Legislaturperiode einiges auf
den Weg gebracht. Wir haben das Elterngeld flexibler gestaltet, den Kitaausbau vorangetrieben, pflegende Angehörige entlastet und vieles mehr .
Ältere Menschen sprechen wir durch mehr Bildungsangebote für Senioren an, durch einen flexibleren Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand, und wir erhöhen die Renten . Zudem fördern wir seit Jahren den
Austausch der Generationen und die Integration in unseren 550 Mehrgenerationenhäusern .
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir müssen auch die
Nachbarn, ob nah oder fern, im Blick haben . Wir sind ein
starkes Land, und es gibt keine Ausreden, nicht Maßstab
im Umgang mit Menschen auf der Flucht zu sein .
({3})
Ich gebe den Kollegen und Kolleginnen von den Bündnisgrünen recht: Wir haben die Debatte um eine Einwanderungsgesellschaft im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel bislang nicht ausreichend geführt,
obwohl die SPD-Bundestagsfraktion seit langem ein
Einwanderungsgesetz fordert .
({4})
Diesen Fokus müssen wir verschärfen, auch um die Fehler der Integration nicht zu wiederholen . Das geht weit
über die Debatte hinaus, Fachkräfte für unsere Wirtschaft
anwerben zu müssen .
Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an all die
freiwilligen Helferinnen und Helfer, die sich der Einzelpersonen und -schicksale annehmen . Sie leisten seit
vielen Monaten schier Unglaubliches . Dank sei auch den
vielen Feuerwehrleuten, dem THW, den vielen Ehrenamtlichen beim Bürgerbus, den Kirchen, der AWO und
dem DRK usw .
({5})
Denn machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Die eigentliche Aufgabe stellt sich in unseren
Wahlkreisen; dort wird die große Leistung erbracht .
Im Siebten Altenbericht, der die Rolle der Kommunen
in der alternden Gesellschaft beleuchtet, stehen Anregungen, Kritik und Handlungsempfehlungen, weil alle Kommunen betroffen sind, egal ob Stadt oder Land, Nord,
Süd, Ost oder West, arm oder reich . Sie alle sind mit den
Auswirkungen des demografischen Wandels zuerst konfrontiert. Sie finden vielfach kreative praxistaugliche Lösungen. Das wird mit dem Programm „Demografiewerkstatt Kommunen“ vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend gut unterstützt .
Die Kommunen sind immer mehr gefordert . Sie müssen eine Infrastruktur schaffen für Betreuung, Pflege,
Teilhabe, Bildung, Integration, Wohnen und Mobilität .
Sie müssen lokale Akteure vernetzen . Sie müssen darauf
achten, dass diese Aufgaben gerecht zwischen Männern
und Frauen aufgeteilt werden und soziale Benachteiligungen ausgeglichen werden. Das alles muss finanziert
werden . Die SPD-Bundestagsfraktion steht an der Seite
der Kommunen . Das haben wir in den vergangenen Jahren vielfach - und vielfach erfolgreich - unter Beweis
gestellt .
({6})
Das gilt auch für die Zukunft .
Es geht um die Ausgestaltung des Zusammenlebens
in Deutschland - um nicht weniger . Deshalb müssen wir
externe Partner ins Boot holen und unsere Erfahrungen
teilen . Deshalb war es mir als Sprecherin der SPD-Arbeitsgruppe Demografischer Wandel auch ganz wichtig,
die Arbeit von Franz Müntefering weiterzuführen .
({7})
Hierbei ist uns der Kontakt zur Zivilgesellschaft und zur
Wissenschaft stets wichtig . Deshalb weckt es mein Interesse, dass die Bertelsmann-Stiftung erste Überlegungen
zur Einführung eines Staatsfonds in Deutschland vorgestellt hat. Die Idee: Ein konkretes Ziel wird definiert,
und staatliches Vermögen wird aufgebaut, am Kapitalmarkt investiert, um dann etwa Pensionslasten in Zeiten
des demografischen Wandels nicht allein den künftigen
Steuerzahlern zu überlassen . Auch für mich klingt das
erst einmal ungewohnt; aber ich wünsche mir, dass wir
hier im Parlament über solche Vorschläge ergebnisoffen
diskutieren . Näher sind mir die Vorschläge der Friedrich-Ebert-Stiftung für eine regionale Daseinsvorsorge
als Gemeinschaftsaufgabe . Ganz nah ist mir meine Idee
eines Demografie-Solis.
Die Herausforderungen des demografischen Wandels
müssen die Kommunen bewältigen, auch finanziell. Die
schwarze Null ist zwar wichtig, aber wir müssen da investieren . Daten und Fakten liegen auf dem Tisch, sind
rauf und runter diskutiert worden . Es ist Zeit, Zukunftsstrategien zu entwickeln . Das hat uns als Gesellschaft in
den letzten Jahrzehnten gutgetan .
Ich danke fürs Zuhören .
({8})
Das Wort erhält nun die Kollegin Doris Wagner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Immer, wenn jemand die Demografiestrategie der Bundesregierung erwähnt, frage ich mich:
Welche Demografiestrategie? Ich sehe da keine zukunftsorientierte Strategie .
({0})
Selbst der Demografiegipfel letzte Woche konnte nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung eigentlich gar keine Vision von der Gestaltung der demografischen Entwicklung hat.
Ich muss sagen: Fast genauso schlimm ist die Tatsache, dass Sie in den Demografie-AGen die geballte
Kompetenz zusammengeholt haben und dann das Potenzial und die Ressourcen dieser Leute weitestgehend
verschenkt haben . Ich selbst war Mitglied in der AG „Jugend gestaltet Zukunft“ . Viele ambitionierte Ideen sind
da durch Konsenszwang der beteiligten Bundesministerien schlichtweg zerrieben worden . Selbst ein einfacher
Prüfauftrag zur Senkung des Wahlalters wurde durch ein
Veto - ich wiederhole das: ein Veto - des Bundesinnenministeriums aus dem Abschlussbericht verbannt . Das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen .
Das ist beim besten Willen kein ernstgemeintes Beteiligungsverfahren . Das ist schlicht und ergreifend Blendwerk .
({1})
In Ihrer Bilanz haben Sie fleißig Maßnahmen aus den
unterschiedlichen Ressorts zusammengetragen . Aber ich
muss Ihnen sagen: Mir fehlt da ein roter Faden . Ein übergeordnetes Ziel ist nicht zu erkennen .
Aus dem demografischen Wandel ergibt sich erheblicher Handlungsdruck . Das ist ein politischer Hebel, der
sich geradezu aufdrängt, ein Hebel, den wir nutzen können, um unsere Gesellschaft zu modernisieren . Sie lassen
ihn praktisch ungenutzt .
Wie kommen wir von der Willkommenskultur zu einem wirklichen Einwanderungsland? Ich danke Ihnen
für die Zustimmung, Frau Kollegin Crone . Wie ermöglichen wir Menschen im Alter barrierefreies Wohnen,
selbstbestimmte Mobilität und gute Pflege? Wie erreichen wir endlich Gleichstellung der Geschlechter? Wie
können wir Kinder und Jugendliche besser an unseren
Entscheidungen beteiligen? Ein Blick in unsere grüne
Demografiestrategie hätte Ihnen weitergeholfen, all diese
Fragen zu beantworten .
({2})
Bleiben wir einen Moment bei den Kindern und Jugendlichen . Diese müssen wir schon heute in Zukunftsentscheidungen einbinden . Damit meine ich echte Partizipation und nicht, wie man beim Demografiegipfel
gesehen hat, ihnen gerade noch zu erlauben, vorab akribisch geprüfte Tafeln mit Forderungen durch die Gänge
tragen zu lassen . Das ist nicht das, was ich mir vorstelle .
Ich weiß gar nicht, wovor Sie sich fürchten? Haben Sie
doch Vertrauen in die jungen Leute! Schließlich sind sie
Expertinnen und Experten in eigener Sache .
({3})
Konkret heißt das für uns Grüne, endlich das Wahlalter
auf 16 Jahre abzusenken, die Kinderrechte im Grundgesetz zu stärken, einen nationalen Aktionsplan für Kinderund Jugendbeteiligung aufzulegen und Beteiligung zum
Leitprinzip in allen Bildungseinrichtungen zu machen .
Sehen wir uns ein anderes Thema an, die Gleichstellung - in Ihrer Demografiestrategie weitestgehend eine
Leerstelle. Dabei muss Demografiepolitik doch immer
auch Gleichstellungspolitik sein; denn ohne Frauen geht
es nicht .
({4})
In Sachen Gleichstellung bewegt sich die Bundesregierung in Trippelschritten und erreicht nicht einmal alle
Frauen . Viele Frauen möchten mehr arbeiten . Obwohl im
Koalitionsvertrag angekündigt, gibt es noch immer kein
Rückkehrrecht in Vollzeit . Das Gleiche gilt für das Familienzeitgesetz . Übrigens, Herr Staatssekretär, ich muss
Ihnen ja recht geben: Es gibt immer mehr Frauen, die
arbeiten . Aber das auf sie entfallende Volumen hat sich
praktisch nicht verändert . Das gehört auch zur Wahrheit
und muss einmal gesagt werden .
({5})
Niedrige Löhne, eine hohe Teilzeitquote, Erwerbsunterbrechungen und Minijobs, all das führt dazu, dass
eine Rentenkluft von 57 Prozent - ich betone: 57 Prozent - zwischen den Geschlechtern besteht . Dadurch ist
Altersarmut meistens weiblich . Hier müssen Gleichstellungs- und Demografiepolitik ansetzen, und dabei muss
der gesamte Lebensverlauf berücksichtigt werden .
Stattdessen lässt die Bundesregierung die Hürden für
wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen praktisch
unangetastet . Dabei liegen die Lösungen doch auf der
Hand: weg mit Negativanreizen wie Ehegattensplitting
und Minijob, Verabschiedung eines wirklich wirkungsvollen Entgeltgleichheitsgesetzes, damit gleicher Lohn
für gleiche und gleichwertige Arbeit keine hohle Phrase
mehr bleibt, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
für Männer und Frauen - dafür müssen Kinderbetreuung
und Ganztagsschulen quantitativ und qualitativ ausgebaut werden - und Rückkehrrecht in Vollzeit .
({6})
Werte Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige Demografiepolitik heißt für uns Grüne, allen Generationen
gleichermaßen ein gutes Leben zu ermöglichen . Neben
den jungen Menschen betrifft das natürlich auch die Älteren, eine Bevölkerungsgruppe, die stetig wächst . Als
Demografiepolitikerin, aber auch ganz persönlich ist
mein Ziel ein selbstbestimmtes Leben im Alter .
({7})
Wohnen, Mobilität und Pflege sind da ganz zentrale Themen .
Wir wissen doch: Die Menschen möchten so lange
wie möglich in den gewohnten vier Wänden bleiben . Darin sollten wir sie unterstützen, indem wir altersgerechtes
Wohnen fördern . Für das KfW-Programm „Altersgerecht
Umbauen“ wird dringend mehr Geld benötigt, um den
tatsächlichen Bedarf zu decken .
({8})
Ein weiteres Finanzierungsinstrument, um diesem
Wunsch gerecht zu werden, ist unser Bewegungsfreiheitsbonus . Das ist ein Zuschuss für den Abbau von Barrieren in Wohnungen und im Wohnumfeld .
Lassen Sie mich auf die Mobilität zu sprechen kommen . Auch im Alter möchten sich die Menschen doch
selbstbestimmt von A nach B bewegen können . Dazu
bedarf es einer barrierefreien Umgebung . Das reicht von
Gehwegabsenkungen an Kreuzungen über akustische
und optische Hilfen bis hin zu taktilen Leitsystemen .
Das gilt für die ländlichen Regionen genauso wie für die
Städte .
Auch wenn Menschen pflegebedürftig sind, haben sie
ein Recht darauf, selbstbestimmt entscheiden zu können .
Das können wir ermöglichen, indem wir einen Anspruch
auf individuelles Fallmanagement festschreiben, Sachleistungsansprüche in ein Pflegebudget umwandeln und
Kommunen mehr Kompetenzen und finanzielle Unterstützung bei der Pflegeberatung, -planung und -steuerung
gewähren .
Unsere Gesellschaft wird aber nicht nur älter, sie wird
auch bunter . Einwanderung ist eine kulturelle Bereicherung für unser Land und bietet die Chance, dem drohenden Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen . Nun ist
aber das deutsche Einwanderungsrecht viel zu kompliziert und bürokratisch . Es geht an den Bedarfen vorbei .
Deutschland muss als Einwanderungsland attraktiver
werden .
({9})
Dazu brauchen wir ein potenzialorientiertes Einwanderungsgesetz . Über ein Punktesystem holen wir gut qualifizierte Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland .
Neben einem solchen modernen Einwanderungsgesetz brauchen wir aber auch dringend ein Integrationsgesetz, das diesen Namen verdient . Damit Integration
wirklich funktioniert, brauchen wir eine bundesweite
Bildungsoffensive, die allen Kindern, unabhängig von
ihrer kulturellen, aber auch von ihrer sozialen Herkunft,
echte Chancen einräumt . In den letzten Jahren sind viele
Menschen nach Deutschland zu kommen, um Schutz vor
Krieg und Krisen zu finden. Diese Menschen benötigen
echte Integrationsangebote und eine sichere Zukunftsperspektive statt Misstrauen und Vorbehalte .
({10})
Meine Damen und Herren, eine ganzheitliche Demografiepolitik betrachtet Vielfalt als Chance für unser
Land und Integration als zentrale gesellschaftspolitische
Aufgabe . Um diesen Grundsatz institutionell zu verankern, fordern wir ein eigenes Bundesministerium für
Migration und Integration. So geht Demografiepolitik konsistent und nachhaltig!
Vielen Dank .
({11})
Michael Frieser hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bedanke mich am Anfang für die Tatsache,
dass man die demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung auch einmal in einer Debatte behandeln kann .
Manchmal verschwindet sie etwas aus den Augen des
Parlamentes . Ich kann nur sagen: Wer eine Strategie der
Regierung hinterfragt, der sollte sie einmal lesen . Das ist
wirklich ein interessantes Werk, insbesondere weil der
Begriff „Bilanz“ draufsteht . In einer Legislaturperiode
geht es nämlich immer auch darum, einen Strich zu ziehen .
Es hilft nichts - das vielleicht auch an die Adresse der
Vorrednerin -, durch das gesamte Sozialrecht zu mäandern und einen Forderungskatalog darüber aufzustellen,
was in dieser Welt alles wünschenswert wäre . Hinter
vielem davon könnte ich einen Haken oder ein Ausrufezeichen - vielleicht nicht unbedingt ein grünes - setzen .
Sie sagen aber kein Wort dazu, wie das ohne zusätzliche
Belastungen für eine geringer werdende nachwachsende
Generation finanziert werden soll,
({0})
keinen Satz zu der nachfolgenden Generation, die diese
Lasten tragen muss - darüber sind wir uns ja, wenn es
um das Thema Demografie geht, einig - und die immer
kleiner wird, sodass sich das Verhältnis verändert .
Auf der einen Seite sind wir manchmal in dem Modus, zu sagen, der demografische Wandel sei die Bedrohung, und es wird ängstlich gefragt: Um Gottes willen,
was kommt da auf uns zu? Seit nahezu 20 Jahren hören
wir die fürchterlichsten Aussichten . Auf der anderen Seite heißt es in den letzten zwei Jahren beim Thema „Zuwanderung durch Flüchtlinge“: Entwarnung! Jetzt gibt es
überhaupt keine Probleme mehr .
Wir haben in dieser Debatte sehr viel zum Thema Zuwanderung gehört . Die Frage, ob das deutsche Zuwanderungs- bzw . Einwanderungsrecht kompliziert ist, war
noch nie ein gutes Maß für die Orientierung . Es kann
aber effizient sein. Ich bin sofort bereit, über Einwanderung bzw . Zuwanderung zu reden, wenn diese Gesellschaft bereit ist, über die Frage zu diskutieren, wen wir
im Hinblick auf den demografischen Wandel gebrauchen
können, wer tatsächlich ein Zuwachs für uns ist, wer unsere Systeme und unsere Gesellschaft unterstützt und einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leistet . Nein, durch
Zuwanderung werden die Fragen des demografischen
Wandels nicht automatisch beantwortet; denn Zuwanderung bedeutet nicht gleichzeitig Stabilität der Sicherungssysteme . Was wir brauchen, ist eine Zuwanderung
in Arbeit, nicht eine Zuwanderung ins Arbeitsamt .
({1})
Deshalb ist es entscheidend, dass wir dafür die Regeln
setzen .
({2})
Ich danke Herrn Staatssekretär Schröder; denn er hat
darauf hingewiesen, dass wir definiert haben, was wir
und diese Regierung in 13 Handlungsfeldern auf den
Weg gebracht haben . Diese 122 Maßnahmen haben nur
ein Ziel, nämlich ein längeres, gesünderes, attraktiveres
und aktiveres Leben zu ermöglichen, ohne in irgendeiner
Art und Weise hinsichtlich derer, die nach uns kommen,
mit dem sogenannten Tür-zu-Effekt zu reagieren .
Im Augenblick liegen viele Vorschläge auf dem Tisch .
Das Schleifen der dämpfenden Rentenfaktoren aber ist
nicht dazu geeignet, dieses Bild auch nur annähernd aufrechtzuerhalten . Es geht nicht darum, die Räder zurückzudrehen; denn alles, was wir zurückdrehen, muss am
Ende des Tages jemand bezahlen .
Herr Kollege Frieser .
Herr Präsident, ich habe Sie kaum an Ihrer Stimme
erkannt .
Wir haben uns ja noch verständigt . - Ich wollte Sie
schlicht fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .
Der Kollege hat stimmlich laut schon sehr auf sich
aufmerksam gemacht, sodass ich ihm die Gelegenheit
geben will, dies jetzt mit Mikrofon zu tun .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Herr Kollege Frieser, Sie haben eben gesagt, wir müssten
die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel
so erhalten . Sie heißen zwar Dämpfungsfaktoren, führen aber in Wirklichkeit dazu, dass die Erhöhungen der
Renten der Rentnerinnen und Rentner im Verhältnis zu
dem Anstieg der Löhne der aktiven Erwerbstätigengeneration gekürzt werden . Das muss man immer dazusagen .
Sie haben mit keinem Wort begründet, warum diese Kürzung aufgrund des demografischen Wandels notwendig
sein sollte .
Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es angesichts des demografischen Wandels viel
wichtiger ist, dass die Menschen gute Löhne und später
gute Renten haben und die älteren Menschen in Zukunft
nicht in Altersarmut leben müssen, und dass es für die
Finanzierung einer guten Rente viel wichtiger ist, dass
die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wieder die Hälfte
der gesamten Alterssicherungskosten tragen?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass schon
ein Mehrbeitrag von 33 Euro im Monat pro Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer und pro Arbeitgeberin/Arbeitgeber
bei einem durchschnittlichen Verdienst von 3 022 Euro
ausreichen würde, um das Rentenniveau von 48,2 wieder
auf 53 Prozent anzuheben? Dies wäre bis zum Jahr 2029
möglich . Das rechne ich Ihnen aus Zeitgründen nicht
vor, Michael Frieser ({0}):
Das ist nett .
- weil mir sonst die Frau Präsidentin sagt, dass das
nicht ginge . Aber rechnerisch geht das . Nehmen Sie das
zur Kenntnis? Sind Sie auch bereit, zuzugeben, dass es
für eine vernünftige Alterssicherung viel wichtiger ist,
dass die Produktivitätsentwicklung und das Wirtschaftswachstum gut vorankommen, als nur das Verhältnis von
Rentnern zu Beschäftigten?
({0})
Sehen Sie, Herr Kollege, meine Bereitschaft zur
Kenntnisnahme ist nahezu unbegrenzt . Sie ist aber vor
allem der Wahrheit verpflichtet. Wenn Sie den Ausgang
dieses Redebeitrags abgewartet hätten, dann hätten wir
über diese Frage schön reden können .
Ich darf auf Folgendes hinweisen: Wir werden bei
Menschen, die im Produktionsprozess stehen und die
tatsächlich ein Leben lang gearbeitet haben, dafür sorgen, dass sie für die Gesellschaft auch im Alter einen
produktiven Beitrag leisten, was der Tatsache geschuldet
ist, dass die Menschen erstens länger und zweitens gesünder leben . Wenn wir auf alle dämpfenden Faktoren
verzichten würden, würden wir diesen Menschen einen
Bärendienst erweisen .
Ich darf auf der anderen Seite darauf hinweisen, dass
unsere Anstrengungen, die Arbeitswelt beim Thema „Arbeit 4 .0“ zu gestalten, genau darauf gerichtet sind . Dazu
gehört auch das Thema, nicht nur junge Menschen in Arbeit zu bringen . Wir stellen uns immer den Dachdecker
vor, der 40 Jahre lang körperlich hart gearbeitet hat und
am Ende seines Arbeitslebens natürlich nicht in der Lage
ist, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten . Aber
die Welt hat sich doch geändert .
Nehmen Sie daher bitte zur Kenntnis, dass die Welt
sich insofern geändert hat, dass die Menschen länger
arbeiten können, dass die Digitalisierung ihren Beitrag
dazu leisten kann und dass sich das natürlich auf irgendeine Art und Weise in der Rente auswirken muss .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dieser Punkt ist entscheidend . Menschen werden älter . Sie
leben gesünder . Sie werden länger leben . Sie sollen einen aktiven Ruhestand haben . Das kommt aber nicht von
selbst, wenn wir diesen demografischen Wandel nicht zu
gestalten wissen . Deshalb steht in der Überschrift: „Jedes
Alter zählt“ .
Das Thema „demografischer Wandel“ beschäftigt sich
nicht nur mit den gesünderen, älteren und produktiveren Menschen, die in einem Unruhestand leben, sondern
es beschäftigt sich auch mit den Menschen, die in dieser
Gesellschaft die Lasten zu tragen haben . Deshalb ist es
entscheidend, dass wir uns die Frage stellen: Wie gehen
wir damit um, und wie halten wir Menschen in ihrem
Arbeitsleben fit? Es reicht nicht mehr, den Menschen zu
sagen: Macht einmal für drei Tage oder eine Woche einen
Workshop . - Es kommt darauf an, dass wir die Rahmenbedingungen setzen, damit Menschen für ein Semester
oder ein Trimester aus ihrem Arbeitsleben herausgehen,
um neu zu lernen und ihren Beruf besser zu verstehen .
Das wird aber nicht dadurch funktionieren, indem wir
die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern und
sagen: Staat, mach du das . Das Arbeitslosengeld wird
dann 48 Monate gezahlt, und wir schmücken das Ganze
noch mit ein bisschen Qualifizierung aus. - Wir müssen
vielmehr zusammen mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen die Menschen in die Lage versetzen,
dass sie mit ihrem Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz neu erleben und auch altersgerecht gestalten können . Das kann
die Digitalisierung und die Arbeit 4 .0 leisten .
({1})
Insofern, glaube ich, ist unser Ansatzpunkt genau
richtig . Wir können dieses Thema nicht alleine den Kommunen überlassen und erklären: Wir heben das Kooperationsverbot im Zusammenhang mit Qualifizierung und
Bildung auf . - Dagegen wird man als geborener Föderalist natürlich Vorbehalte haben . Wir haben vieles getan,
was mit Blick auf die Kommunen nicht ausschließlich
in die Zuständigkeit des Bundes fällt . Ich weise nur auf
die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im
Alter hin .
Entscheidend ist, die Rahmenbedingungen zu setzen .
Ein wichtiger Aspekt beim demografischen Wandel ist
die Unterstützung für kinderreiche Familien . Wenn wir
über das Thema „Wohnungen und Bauen“ reden, dann
reden wir immer mit Blick auf die Ballungsräume . Wir
reden immer darüber, wo es extrem schwierig ist . Ja, es
ist schwierig für eine Familie mit drei Kindern, in München, in Frankfurt, in Hamburg eine Wohnung zu finden.
Welche Überraschung!
({2})
Nein, es geht darum, dass große Landstriche in diesem Land durchaus zu mehr in der Lage wären, wenn wir
sie denn in die Lage versetzen . Das heißt, sozialer Wohnungsbau darf nicht nur ballungsraumgebunden sein .
Flächenentwicklung darf nicht nur an den Rändern von
Ballungsräumen stattfinden. Digitalisierung beinhaltet
auch Stabilisierung der ländlichen Räume, nämlich arbeitsplatzungebunden und nicht nur in der Stadt, sondern
auch draußen durch die Ausweisung der richtigen Baulandflächen und das Senken der Erwerbskosten. Alle, die
hier schreien: „Wir müssen Bauen und Wohnen auch für
große Familien etwas günstiger machen“, sollen einmal
in ihren eigenen Ländern nach den Grunderwerbskosten
schauen . Die sind nämlich dort überall doppelt so hoch,
wo man danach ruft, dass man große Familien wirklich
ansiedeln möchte .
Also, wir haben es in der Hand . Wir haben es bei der
Frage des demografischen Wandels tatsächlich in der
Hand, den Menschen keine Angst zu machen und keine
Ängste zu schüren, sondern in unserem Bereich jeweils
dafür zu sorgen, dass wir diesen demografischen Wandel
wirklich stärken und vor allem gestalten . Wir gestalten
ihn, indem wir die Menschen fit darin halten, mit Spaß
ihr Leben, ihre Arbeitswelt neu zu erfinden und neu zu
gestalten . Damit geraten diese Menschen nicht langsam
auf ein Abstellgleis, sondern können in ihrem längeren,
gesünderen, aktiveren Ruhestand auch noch einen Beitrag für diese Gesellschaft leisten .
Vielen Dank .
({3})
Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Liebe Gäste! Demografie ist so eine Sache.
Sie ist nichts Abstraktes, man kann sich ihr nicht entziehen . Sie geht uns alle an; denn sie umfasst im Prinzip
unser Zusammenleben . Im Prinzip ist es eine Bevölkerungsentwicklung, die uns alle trifft . Wie gesagt, man
kann sich ihr nicht entziehen .
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
Sie schreiben allerhand zusammen in Ihrem Bericht . Sie
loben sich vor allen Dingen selbst, und auf Seite 20 beginnt ein leider sehr kleines und kurzes Kapitel, aber es
ist nicht unerheblich . Es heißt: „Gleichwertige regionale
Lebensverhältnisse“ . Da bringen Sie es erstaunlicherweise kritisch auf den Punkt . Dort heißt es sinngemäß: Innerhalb Deutschlands bestehen erhebliche Ungleichheiten
auf drei Gebieten: bei den Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, bei der Sicherung der Mobilität und
beim Zugang zu den Angeboten der Daseinsvorsorge .
Strukturschwächere Regionen verlieren jüngere und vor
allen Dingen auch gebildete junge Menschen .
Aber Sie verlieren kein einziges Wort darüber, auf
welche Regionen das in unserer Bundesrepublik vor allen Dingen zutrifft, nämlich auf den Osten .
Es ist völlig unumstritten, dass es auch im Westen Regionen gibt, die schwächer, die strukturschwach und abgehängt sind . Wenn man sich aber die Deutschlandkarte
mit Blick auf die Strukturdaten anschaut, egal ob es um
Arbeit, um Arbeitslosigkeit oder zum Beispiel die Höhe
des Privatvermögens oder der Armut geht, dann sehe ich
immer noch die alte Karte der DDR . Ehrlich gesagt, wir
haben immer noch eine gespaltene Bundesrepublik, die
vor allen Dingen sozial gespalten ist . Deswegen setzen
wir uns als Linke nach wie vor dafür ein, dass es eine
bundesweite Offensive gibt zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West .
({0})
Fakt ist, dass es in über einem Vierteljahrhundert nach
der deutschen Einheit immer noch nicht gelungen ist,
diese gleichwertigen Lebensverhältnisse zu etablieren .
Die Arbeitslosenquote ist immer noch wesentlich höher .
Die Ostlöhne liegen bei 79 Prozent des Westniveaus, und
der Anteil der prekär Beschäftigten ist im Osten immer
noch höher - trotz Arbeit .
Wenn ich mir das Rentenrecht anschaue, dann wird
das Problem Altersarmut eigentlich in meine Generation weitertransportiert . Wir brauchen weiterhin eine Umrechnung der Ostlöhne, bis die Entgelte und Löhne der
Generation derjenigen, die jetzt arbeiten, also meine Generation, die damit wirklich gar nichts mehr am Hut hat,
gleich bzw . annähernd gleich auf Westniveau sind .
Ich erwarte von einer Demografiebilanz ehrlich gesagt mehr als nur eine Analyse der Bundesregierung .
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund, dass ich aus
einem Wahlkreis in Nordsachsen komme . Dieser ist vor
allem ländlich geprägt . Hier gibt es große strukturelle
Unterschiede zu der Stadt . Leipzig liegt in der Nähe .
Nordsachsen hat vor allem ländliche Strukturen . Ich erwarte vor allem, dass Sie es uns erklären und Vorschläge
unterbreiten, wie wir das denn lösen sollen . Ich möchte
wissen und erklärt bekommen, was getan wird . Es geht
nicht nur um die Analyse, sondern darum, was Sie zu tun
gedenken . Es geht auch um die Frage, ob sich die Menschen darauf einrichten sollen, dass nichts getan wird,
oder ob jetzt tatsächlich Hoffnung geschöpft werden
kann und eine neue Situation eintritt .
Sie verlieren leider auch kein Wort darüber, wie Sie
zum Beispiel in der Frage der Pflege weiter vorzugehen
gedenken bzw . ob Sie Vorschläge unterbreiten werden .
Es ist doch krass, dass ein Viertel der Pflegebedürftigen
im Osten lebt . Das hat auch Auswirkungen darauf, dass
eine Pflegefachkraft im Osten weniger verdient als im
Westen . Das wird doch weitertransportiert . Ich muss als
Bundesregierung nicht die große Mathematik bemühen,
sondern nur eins und eins zusammenzählen, um zu erkennen, dass wir nicht nur jetzt, sondern stärker noch in
10 oder 20 Jahren vor Problemen stehen, deren Lösung
wir schon jetzt anpacken könnten . Ihr Ausblick füllt nur
eine halbe Seite. Das ist definitiv zu wenig.
({1})
Fakt ist, dass eine weit auseinanderdriftende Schere
zwischen Arm und Reich oder eine regional stark ungleiche Verteilung unserer Gesellschaft schaden . Wir werden
die Schere nur mit einer sozial gerechten Umverteilung
schließen . Gleichwertige Lebensverhältnisse und soziale
Gerechtigkeit sind keine Floskeln, und das ist auch kein
Selbstzweck, sondern das ist der Kitt unserer Gesellschaft . Wir als Linke werden weiterhin dafür kämpfen .
Vielen Dank .
({2})
Als nächster Redner hat Matthias Schmidt für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren auf der Zuschauertribüne! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Houston, wir haben ein Problem!“: Dieser
berühmte Hilferuf der Apollo-13-Besatzung beschrieb
eine lebensbedrohliche Notsituation . Die Besatzung der
Apollo 13 fürchtete 1970, aufgrund eines technischen
Defekts nicht mehr zur Erde zurückkehren zu können .
Filmisch ist das übrigens von Tom Hanks und anderen
gut aufgearbeitet worden .
Unser demografisches Problem in Deutschland ist mit
Apollo 13 nicht zu vergleichen, und doch möchte man
ausrufen: „Berlin, wir haben ein Problem!“ Denn auch
dieses ist ein gewaltiges Problem, das die Bundesregierung als unsere Bodenstation schon lange erkannt hat .
Die Bundesregierung hat uns mit der demografiepolitischen Bilanz unter dem vielschichtigen Titel „Jedes Alter
zählt“ ein gutes Papier an die Hand gegeben, das zahlreiche überwiegend gesetzgeberische Maßnahmen gegen
den demografischen Wandel in unserem Land aufzählt.
Darüber, Herr Staatssekretär, ob die schwarze Null die
wichtigste Errungenschaft auf diesem Gebiet ist, kann
man vielleicht noch einmal intensiv nachdenken . Die
Probleme sind gewaltig: Von A wie Arztmangel bis Z wie
Zugverbindungen geht es um zahlreiche Belange unseres
Alltagslebens . Unsere Gesellschaft wird sich unter dem
Eindruck des demografischen Wandels verändern. Es ist
ein schleichender Prozess, der Jahre und Jahrzehnte in
Anspruch nimmt; aber er hat schon längst begonnen . Wir,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in der Pflicht, diesen Wandel zu gestalten .
Schauen wir uns die Bilanz der Regierung an: Unter
Punkt 4 .4 geht es um „Zuwanderung und Integration von
Flüchtlingen“ . Diesem Thema kommt meines Erachtens
besondere gesellschaftliche Bedeutung zu . Auch hier
werden wir keine schnellen Lösungen erzielen können,
aber die Große Koalition hat erkannt: Sprache und Arbeit
sind die Schlüssel zur Integration . An dieser Stelle hat die
Große Koalition schon gehandelt .
Es ist sicherlich kein Zufall, dass unter Punkt 4 .5
„Fachkräftesicherung“ folgt . Auch hier erkennen wir auf
Anhieb, dass der demografische Wandel auch Chancen
beinhaltet . Wenn es uns gelingt, möglichst große Teile
der ersten, mindestens aber die zweite Generation der
Flüchtlinge komplett in unser Bildungs- und Ausbildungssystem zu integrieren, dann werden wir dem Arbeitsmarkt Gutes tun und zugleich für ein „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ - siehe Punkt 4 .7 - sorgen .
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? So weit sind wir
noch nicht . Es gibt auch Dinge, die wir im Bund selbst
regeln können und für die der Bund selbst Verantwortung
trägt .
Damit komme ich zum Thema Demografie im öffentlichen Dienst . Das ist ein wichtiges Thema . Ein Blick
auf die Alterspyramide im öffentlichen Dienst zeigt: Es
ist keine Pyramide, die unten stark ist und eine schmale Spitze hat, sondern sie sieht eher aus wie ein Schneemann aus zwei großen Ballons, der auch noch auf dem
Kopf steht . Der obere Ballon - das ist die Altersklasse 50 Jahre aufwärts - ist der stärkste im öffentlichen
Dienst . In der Mitte kommt eine schmale Taille . Das ist
die Gruppe der ungefähr 40-Jährigen, die so gut wie gar
nicht vorhanden sind . Eine kleinere Kugel repräsentiert
die 20- bis 30-Jährigen, die neu eingestellt wurden . Diese Alterspyramide wird quasi nach oben herauswachsen .
Die Babyboomer werden in Rente oder in Pension gehen .
Wir müssen schon heute durch eine kluge Einstellungspolitik dafür sorgen, dass die dann entstehenden Lücken
geschlossen werden .
Hinzu kommt, dass wir derzeit im öffentlichen Dienst
einen Kardinalfehler begehen . Das ist die Befristung .
Wir wissen, dass junge Menschen in befristeten Arbeitsverhältnissen nur selten Familien gründen . Diesen Menschen müssen wir Sicherheit geben, nicht nur im öffentlichen Dienst . Aber dort können wir mit gutem Beispiel
vorangehen . Insgesamt müssen wir auf dem Arbeitsmarkt
zu einer raschen Abschaffung der sachgrundlosen Befristung kommen . Diese war hilfreich auf einem Arbeitsmarkt, der von hoher Arbeitslosigkeit geprägt war . Aber
jetzt herrscht weithin Facharbeitermangel . Da braucht es
Befristungen nur in konkreten Einzelfällen, zum Beispiel
im Fall einer Schwangerschaftsvertretung . Lassen Sie
uns gemeinsam den Befristungsfehler schnellstmöglich
korrigieren .
({0})
Insgesamt steht die Politik beim Thema Demografie vor vielen Handlungsfeldern und Problemen, die
gelöst werden wollen . Aber genauso wie Apollo 13 im
Jahr 1970 wohlbehalten zur Erde zurückgeholt werden
konnte, können wir die demografischen Probleme angehen und lösen . Jetzt, da Apollo 13 gelandet ist, freue ich
mich auf die Ausschussberatungen .
Vielen herzlichen Dank .
({1})
Jetzt hat Astrid Timmermann-Fechter für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wohlstand und Lebensqualität für
unsere nachfolgenden Generationen, eine Gesellschaft,
die auch in Zukunft zusammenhält, in der jeder Einzelne
zählt und sich mit seinen Potenzialen einbringen kann,
egal ob jung oder alt, egal ob Mann oder Frau, egal ob
krank oder gesund, eine Gesellschaft, die auch in Zukunft alters- und familienfreundlich ist - das sind unsere demografiepolitischen Ziele, an deren Erreichung wir
intensiv arbeiten . Das gilt insbesondere für den Bereich
der Familienpolitik; denn gerade eine vorausschauende
Familienpolitik ist für die Gestaltung des demografischen Wandels grundlegend . Für uns als Union ist und
war schon immer von zentraler Bedeutung, Familien zu
stärken und finanziell zu entlasten. Familien benötigen
Freiheit und Flexibilität, um Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren zu können . Diese Vereinbarkeit ist
eine wichtige Voraussetzung für die Gründung einer Familie und ermöglicht die partnerschaftliche Aufteilung
von Arbeit und familiären Aufgaben .
Seit zehn Jahren unterstützen wir mit dem Elterngeld
junge Eltern, die ihre Kinder nach der Geburt vorrangig
selbst betreuen wollen . Mit dem Elterngeld Plus haben
wir es zudem flexibler gestaltet. Das Elterngeld ist eine
Matthias Schmidt ({0})
Erfolgsgeschichte . Es ist zielgenau und wird intensiv genutzt, bei steigendem Bedarf; denn die Geburtenzahlen
haben sich in den letzten Jahren positiv entwickelt .
Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ebenso
eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung von entscheidender Bedeutung . Wir haben daher verstärkt in den Ausbau
von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahre investiert . Von 2008 bis 2016 stellte der Bund den Ländern
7,3 Milliarden Euro für Investitionen und Betriebskosten
zur Verfügung .
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Politik verfolgt
die Zielstellung, älteren Menschen auch in Zukunft ein
selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe
im Alter zu ermöglichen . Immer mehr Menschen erreichen bei guter körperlicher und geistiger Gesundheit ein
höheres Lebensalter . Gleichzeitig steigt der Anteil der
Menschen, die pflegebedürftig sind. Die Mehrheit der
Seniorinnen und Senioren wünscht sich dabei, so lange
wie möglich zu Hause ein selbstbestimmtes Leben zu
führen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben .
Dies ist für uns Chance und Herausforderung zugleich,
eine Chance, da sich eine wachsende Anzahl an Seniorinnen und Senioren in die Gesellschaft einbringen möchte,
und eine Herausforderung, weil wir die entsprechenden
Bedingungen für ein selbstbestimmtes Leben und Teilhabe im Alter erhalten, aber auch schaffen müssen . Hierzu
zählen insbesondere ein altersgerechtes und barrierearmes Wohnumfeld, Mobilität, soziale Dienstleistungen,
Prävention und Pflege.
Mit den Pflegestärkungsgesetzen haben wir die Pflege verbessert, gerechter gestaltet und für die Zukunft
gestärkt. Mit der Einrichtung des Pflegevorsorgefonds
tragen wir dabei einem möglichen erhöhten Pflegebedarf
der geburtenstarken Jahrgänge Rechnung und sorgen
damit für mehr Generationengerechtigkeit . Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und
Beruf haben wir pflegende Angehörige gestärkt, indem
wir einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und einen Anspruch auf Lohnersatzleistungen bei kurzfristigen
Pflegenotfällen eingeführt haben.
Für ein selbstbestimmtes Leben im Alter ist darüber
hinaus das altersgerechte Wohnumfeld zentral . Daher
fördern wir den altersgerechten Umbau . Allein für 2017
stellen wir im Rahmen des KfW-Programms „Altersgerecht Umbauen“ 75 Millionen Euro für den Barriereabbau bereit. Damit haben wir die finanziellen Mittel gegenüber 2016 um fast 26 Millionen Euro erhöht .
Ein besonderes Anliegen der Union war in dieser Legislaturperiode auch die Verstetigung und Ausweitung
der Förderung der Mehrgenerationenhäuser . Wir haben
hierfür die Mittel erhöht, sodass 2017 eine Förderung
von rund 550 Häusern und damit fast 100 Häusern mehr
möglich wird .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der demografische Wandel gehört zu den größten Herausforderungen
unserer Zeit, eine Herausforderung, an der wir insbesondere im Rahmen der Demografiestrategie arbeiten - für
eine alters- und familienfreundliche Gesellschaft, zum
Wohle unserer nachfolgenden Generationen .
Was den Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen zur
Partizipation und Selbstbestimmung älterer Menschen
betrifft, so habe ich in der ersten Debatte zum Antrag bereits deutlich gemacht: Viele Ihrer Forderungen sind bereits Bestandteil unserer Politik . Viele Ihrer Forderungen
fallen in die Zuständigkeit der Länder und Kommunen .
Nicht zuletzt enthält Ihr Antrag viele finanzielle Forderungen, jedoch keine entsprechenden Finanzierungsvorschläge . Aus diesen Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab .
Vielen Dank .
({1})
Als nächster Redner spricht Michael Groß für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal freue ich
mich, nach Kollegin Timmermann-Fechter zu sprechen,
wenn ich das sagen darf, Frau Präsidentin, weil sie aus
dem schönen Marl kommt, dem nördlichen Ruhrgebiet .
Man kann es hierher schaffen; wie gesagt, meine Freude
ist sehr groß .
Ich habe den beiden Kollegen, dem Staatssekretär
Schröder und dem Kollegen Frieser, sehr gut zugehört .
Ich muss Ihnen sagen: Ich wundere mich immer über
Ihre Fixierung auf die schwarze Null . Sie betreiben die
Spaltung dieser Gesellschaft . Sie versuchen, zwischen
Alt und Jung einen Keil zu treiben . Sie müssen sich einmal mit den Leuten vor Ort, mit Kindern, Jugendlichen
und meiner Familie unterhalten . Die sagen: Der Generationenvertrag steht . - Sie verstehen gar nicht die Diskussion, die Sie hier führen .
({0})
Sie verstehen nicht die Abkehr vom Generationenvertrag und die Spaltung der Gesellschaft, wie das in Ihren
Formulierungen zum Ausdruck kommt . Ich glaube, wir
müssen in die Jugend investieren . Die höchste Priorität
darf nicht die schwarze Null sein,
({1})
sondern die Investitionen in die Städte, in die Schulen
und in die Kitas .
({2})
Ihre Barriere führt doch dazu, dass wir den demografischen Wandel nicht meistern. Sie betreiben eine Politik,
die dazu führt, dass unsere Städte und Kommunen davon abhängig sind, selbst genug Geld zu erwirtschaften .
Ich sage Ihnen: Generationengerechtigkeit, das Leben in
Städten und bezahlbares Wohnen dürfen kein Luxusgut
sein . Deswegen müssen wir investieren .
({3})
Ich möchte auf den Bereich „lebenswerte Städte und
Kommunen“ eingehen . Ich glaube, wir haben in dieser
Legislatur eine Menge geschafft . Wir haben eine Städtebauförderung ermöglicht, die doppelt so viele Mittel
vorsieht wie in der letzten Legislatur . Fast 1 Milliarde
Euro haben wir etatisiert, um Städte zu unterstützen, ihre
Stadtteile zu entwickeln . Wir schaffen es durch die unterschiedlichen Städtebauprogramme, dass Innenstädte belebt werden können, was zu Begegnungen führt . Immobilien, in denen niemand mehr leben will und mit denen
spekuliert wird, können vom Markt genommen werden .
Wir sorgen dafür, dass die Menschen wieder in einer Urbanität leben können, in der die Wege kurz sind, in der
sie Arbeit und Wohnen miteinander verknüpfen können .
Das betrifft eben auch ältere Menschen, die heute zum
großen Teil in den Peripherien der großen Städte oder
in ländlichen Regionen wohnen . 25 Prozent der älteren
Menschen sagen: Die Wege sind mir zu weit. Ich finde
keinen Arzt. Ich finde keine Nahversorgung. - Wir haben es mit unserem Städtebauprogramm geschafft, dieser
Entwicklung entgegenzustehen .
({4})
Ich glaube, dass wir die Städte auch weiterhin unterstützen müssen . Die Städte haben in dieser Legislatur
von uns zusätzlich 20 Milliarden Euro bekommen . Wir
haben es ihnen ermöglicht, über die soziale Wohnraumförderung zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, insbesondere bezahlbaren Wohnraum, auch in den Ballungsgebieten . Das ist ein Erfolgsmodell . NRW hat im letzten
Jahr 10 000 neue Wohnungen geschaffen, die soziale
Bindungen haben, und damit ist NRW deutscher Meister .
({5})
Die Städte brauchen Geld, weil sie die Aufgabe meistern müssen, integrative Stadtentwicklung zu betreiben .
Integrative Stadtentwicklung bedeutet - da möchte ich
gerne der Kollegin Wagner widersprechen -, dass die
Menschen vor Ort entscheiden können, wie ihre Stadt
zukünftig aussehen soll . Wir wollen sie, Alt und Jung, beteiligen, darüber zu diskutieren, mitzuentscheiden: Wie
soll mein Umfeld aussehen? Wie soll mein Grün in der
Stadt aussehen? Wie und wo will ich mich mit Menschen
treffen? Wie soll mein Lebensumfeld gestaltet werden?
Ich glaube, dass wir mit der Städtebauentwicklung dazu
den Städten ein gutes Instrument gegeben haben .
Wir brauchen Menschen, die sich in den Städten engagieren . Wir müssen diejenigen belohnen, die sich gemeinwohlorientiert verhalten . Wir müssen diejenigen
belohnen, die sich neben bezahlbarem Wohnraum darum
kümmern: Wie sehen die Stadtteile aus? Wie sehen die
Quartiere aus? Wie sehen die Veedel aus, in denen wir
leben? Wir brauchen eine Unterstützung derjenigen, die
sich um die Stadtrendite kümmern .
Herzlichen Dank .
({6})
Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Barbara
Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ja, der demografische Wandel betrifft sämtliche
Lebensbereiche . Frau Kollegin Karawanskij, das geht
uns alle an; da stimme ich Ihnen zu . Aber dann erschöpft
es sich auch schon mit den Gemeinsamkeiten .
Demografiepolitik ist eine Querschnittsaufgabe, der
wir uns alle stellen müssen . Ich bin froh, dass jetzt die
Bundesregierung auch diese Bilanz vorgelegt hat . Es ist
auch eine Daueraufgabe .
Mit Verlaub, Herr Kollege Groß, Sie haben gerade
Kritik daran geübt, dass wir zu sehr an der schwarzen
Null festhalten, haben in Ihrer Rede dann aber darauf
hingewiesen, dass wir mehr für den sozialen Wohnungsbau tun . Ich darf daran erinnern, dass wir 500 Millionen
Euro mehr pro Jahr in den sozialen Wohnungsbau gegeben haben . Ich glaube, sagen zu können, dass diese Bundesregierung noch nie so viel für Kommunen finanziell
getan hat . Wir nehmen Milliardenbeträge in die Hand,
um die Kommunen mit diversen Förderprogrammen zu
unterstützen . Ich denke an die 3,5 Milliarden Euro, die
wir in ein Sonderbauprogramm geben, und an diverse
andere Programme .
({0})
Da kann man sich hier doch nicht hinstellen und sagen,
wir täten nichts und wir hielten zu sehr an der schwarzen
Null fest. Ich finde, das ist nicht glaubwürdig. Ich kann
das nur zurückweisen . Wir können da auf eine gute Bilanz zurückgreifen .
Frau Woltmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michael Groß zu?
Ja .
Liebe Kollegin, haben Sie gestern die Veröffentlichung des Armuts- und Reichtumsberichts in Deutschland wahrgenommen?
({0})
Sie haben ja lange versucht, diesen Bericht zu verhindern . Aus ihm geht hervor, dass es in Deutschland viele
Menschen gibt, die abgehängt werden, dass 40 Prozent
der Menschen heute weniger Realeinkommen als 1995
haben .
Ich glaube, wir haben sehr viel erreicht; da haben Sie
Recht . Meine Frage an Sie: Sind Sie ernsthafterweise der
Meinung, dass die Städte, die Kommunen finanziell ausreichend ausgestattet sind, um die vielen Aufgaben, die
Sie gerade beschreiben, zu erfüllen?
Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage . - Ich habe
in der Presse vernommen, dass der Bericht jetzt vorgelegt wird . Ich habe ihn noch nicht gelesen . Wir müssen
uns diese Dinge natürlich immer sehr genau anschauen .
Es gibt den Hinweis darauf, dass wir eine Menge Kinder
haben, die an der Armutsgrenze leben . Das ist ein Punkt,
zu dem ich persönlich sage: Das müssen wir uns sehr viel
genauer anschauen .
({0})
Wir haben mittlerweile aber sehr gute Rahmenbedingungen; Gott sei Dank . Aufgrund der guten Wirtschaftspolitik, die wir in Deutschland machen, haben wir so
hohe Steuereinnahmen wie kaum jemals zuvor . Nicht nur
der Bund hat hohe und höhere Steuereinnahmen; auch
die Länder und die Kommunen haben höhere Steuereinnahmen . Es ist nicht gleich verteilt; das gebe ich zu .
({1})
Aber man kann nicht in Abrede stellen, dass die Bundesregierung sehr viel Geld gerade auch für die Kommunen zur Verfügung stellt, obwohl - das muss man hier
vielleicht auch mal sagen - die Länder für eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen zuständig
sind .
({2})
Ich möchte auch an die Finanzverhandlungen mit den
Bundesländern erinnern . Wir stellen das auf eine neue
Basis . Auch das haben wir im Plenum schon behandelt .
Das sind wichtige Dinge . Wir sagen: Wir wollen Länder
und Kommunen weiter mit finanziellen Mitteln ausstatten . Am föderalen System - das ist doch wohl Konsens
hier - wollen wir aber festhalten . Insofern muss man immer die Verantwortlichkeiten sehen .
Demografiepolitik ist ganz wichtig. Wir wissen, dass
die Alterspyramide auf dem Kopf steht . Gott sei Dank
steigen die Kinderzahlen wieder etwas an . Beim Geburtsjahrgang 1968 lagen wir noch durchschnittlich bei
1,49 Kindern pro Frau, bei den Geburtsjahrgängen danach schon bei 1,6 . Das reicht natürlich noch nicht aus;
das wissen wir .
Wir haben 2015 - von Einwanderung ist schon gesprochen worden - einen Wanderungssaldo, ein Plus von
rund 1,1 Millionen Menschen gehabt . Es kommen viele
Menschen nach Deutschland, um hier zu arbeiten . Es ist
über ein Einwanderungsgesetz gesprochen worden . Dafür habe ich persönlich sehr viel Sympathie .
({3})
Aber im Grunde haben wir schon gute Einwanderungsregelungen .
({4})
Wir haben die Bluecard . Wenn man einen von, ich glaube, 109 Berufen hat, in denen Mangel herrscht, kann man
heute schon, wenn man einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz in Deutschland nachweist, in die Bundesrepublik einwandern, also in Arbeit einwandern und
nicht, wie Kollege Frieser gesagt hat, ins Arbeitsamt . Das
ist das, was uns wichtig ist und was wir gerne wollen .
Es ist von der Kollegin Timmermann-Fechter in vielen Punkten aufgezeigt worden, was wir zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon getan haben .
Wir sind da noch nicht am Ende . Es bestreitet hier keiner,
dass wir da noch weitere Aufgaben haben . Es ist eine Bilanz, ein Zwischenschritt, ein Zwischenbericht . Ich habe
vorhin schon gesagt: Es ist eine Daueraufgabe, der wir
uns ständig stellen müssen . Deswegen ist die Demografiestrategie 2015 schon überarbeitet worden. Auch das ist
wichtig: Es ist kein starres System . Wir müssen immer
wieder gucken: Wo müssen wir nachjustieren? Denn die
Gesellschaft und Systeme verändern sich .
Mir ist es ganz wichtig, dass wir eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie bekommen . Wir haben
dieser Tage den 80 . Geburtstag von Rita Süssmuth gefeiert, die seinerzeit auch Familienministerin war . Sie
hat schon 1985 dafür gesorgt, dass wir Erziehungsgeld
und Erziehungsurlaub bekommen haben . Welch weitreichende und weise Entscheidung damals! Viele Dinge
sind dazugekommen . Es kann und muss besser werden;
das bestreitet überhaupt keiner . Wir müssen weiter dafür
kämpfen, dass uns Vereinbarkeit von Familie und Beruf
gelingt .
Die Kommunen leisten dazu schon eine ganze Menge . Aber eines muss man auch einmal sagen: Bei mir in
der Kommune wollten wir schon Kindergartengruppen
schließen, weil wir nicht mehr genug Kinder hatten .
Durch die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, müssen wir das Angebot wieder weiter ausbauen . Insofern:
Demografischer Wandel - das ist auch schon von Vorrednern gesagt worden - ist nicht nur schrecklich und
schlimm, sondern es sind auch große Chancen damit
verbunden . Wir müssen das, wie man so schön sagt, gestalten .
Gestern ist hier im Hause das Thema „Industrie 4 .0“
diskutiert worden . Das ist auch ein wichtiger Punkt . Wir
haben zu wenig Fachkräfte . Deshalb sagen mir meine
Unternehmer: Ihr müsst uns helfen . Ihr müsst mehr tun . „Industrie 4 .0“ ist da eine wichtige Antwort . Keine richtige Antwort war - das möchte ich auch einmal sagen
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .
- ich komme zum Schluss - die Rente mit 63 . Das
war das falsche Signal . Die Flexirente ist richtig, um den
nahtlosen Übergang zu schaffen .
({0})
Und weil schon die ländlichen Räume angesprochen
worden sind:
Nein, Frau Kollegin, ich muss Sie jetzt wirklich bitten,
zum Schluss zu kommen .
- Ich finde es hervorragend, dass wir den Breitbandausbau fördern .
Sie haben schon über eine Minute überzogen .
Letzter Satz: Deswegen sage ich dem Verkehrsministerium Dank . In dieser Woche sind Förderbescheide in
Höhe von fast einer Dreiviertelmilliarde Euro ausgekehrt
worden . Das kommt auch den Kommunen und den dortigen Unternehmen zugute .
Vielen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11145 und 18/11606 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen,
wobei die Vorlage auf Drucksache 18/11606 zu Tagesordnungspunkt 28 b federführend im Innenausschuss beraten werden soll . Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 28 c . Da kommen wir jetzt zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Partizipation und Selbstbestimmung älterer
Menschen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11645, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9797 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen worden .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 30 sowie
zum Zusatzpunkt 8:
30 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne
Sachgrund
Drucksache 18/11598
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Sachgrund - Keine Befristung
Drucksache 18/11608
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
wir können die Aussprache beginnen, sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben .
Als erster Redner hat für die Fraktion Die Linke Klaus
Ernst das Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren!
Wir wollen Sicherheit und Verlässlichkeit für die
Beschäftigten!
Vor allem jungen Menschen wird viel zugemutet:
Sie sollen eine ordentliche Ausbildung machen, sich
im Job weiterbilden, sie sollen eine Familie gründen
und wollen sich manchmal auch noch um ihre Eltern kümmern, sie sollen für Wohneigentum sorgen,
und im Idealfall sollen sie sich auch noch ehrenamtlich engagieren .
({0})
Das alles geht nicht, wenn die eigene Zukunft auf
wackeligen Beinen steht! Das kann nicht unser Angebot für die Jugend sein!
Und darum werden wir die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen!
({1})
- Aha! Der eine oder andere Sozialdemokrat hat es gemerkt: Ich habe gerade Martin Schulz zitiert .
({2})
- Ja, dass ihr das noch nicht so richtig gemerkt habt, ist
mir klar . - Es ist aber wichtig, was er gesagt hat . Denn
heute habt ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag die Möglichkeit, genau das zu machen, was
er gesagt hat, nämlich die sachgrundlose Befristung abzuschaffen .
({3})
Seit wir im Bundestag sind, fordern wir die Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung . Sie haben das immer abgelehnt . Ich hoffe, das ändert sich heute .
Mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt - Hartz I - hat Rot-Grün, das dieses
Gesetz zu verantworten hat, die Möglichkeit deutlich
erweitert, dass Unternehmen befristet einstellen . Ohne
sachlichen Grund hangeln sich Beschäftigte inzwischen
von Befristung zu Befristung . Befristungen können auch
noch zweimal verlängert werden .
Ich zitiere jetzt wieder den Martin Schulz, weil er
recht hat:
({4})
Auch wir haben Fehler gemacht! Fehler zu machen
ist nicht ehrenrührig . Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden .
Dann korrigieren Sie das heute . Sie haben die Chance
dazu!
({5})
Da ich gerade den einen oder anderen Zwischenruf
höre, möchte ich noch sagen: Dass Sie 14 Jahre und ein
Wunder von Würselen brauchen,
({6})
bis Sie merken, dass Sie einen Fehler machen, ist schon
ein bisschen dreist . Das ist schon ein bisschen dreist .
({7})
Fast jeder zweite Arbeitsvertrag wird heutzutage nur
noch befristet ausgestellt, bei jungen Frauen zwischen 15
und 24 Jahren sind es sogar zwei Drittel . Im Jahr 1994
gab es 863 000 befristet Beschäftigte, inzwischen sind
es 2,8 Millionen . Das ist mehr als eine Verdreifachung .
48 Prozent der befristeten Arbeitsverträge haben keinen
sachlichen Befristungsgrund . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen
Grund gehören abgeschafft .
({8})
Mich wundert, dass Sie von der Union heute so ruhig
sind . Normalerweise hätte ich jetzt erwartet, dass Sie sagen: Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit der Republik gefährdet .
({9})
Das habe ich von Ihnen schon gehört . Ich sage Ihnen:
Wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Republik davon abhängt, dass wir jungen Leuten bei uns den Start ins Leben
möglichst schwer machen, dann kann ich nur sagen: Armes Deutschland!
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Menschen,
die sich von Befristung zu Befristung durchschlagen, übrigens jedes Mal wieder beim Einstiegsgehalt anfangen,
keinen Kündigungsschutz haben, keine Planungssicherheit haben . Wie soll man in so einer Situation eigentlich
eine Familie gründen? Ich habe einmal nachgeschaut,
was man bei Ihnen von der CDU dazu findet.
({11})
Ich habe gefunden, dass Sie sich ganz besonders um die
Familien kümmern . Sie reden doch gern davon, dass
Familien - Zitat von Ihrer Website - das „Fundament
unserer Gesellschaft“ seien . Wie soll das unter solchen
Arbeitsbedingungen funktionieren? Wie soll das hinzukriegen sein?
({12})
Darauf hätte ich eigentlich gern eine Antwort .
({13})
Jetzt aber auch noch ein Wort zur SPD, das mir ganz
besonders wichtig ist . Die Aussage des Kollegen Schulz,
dass sachgrundlose Befristungen abzuschaffen sind und
dass ALG I länger zu zahlen ist, hat bei vielen in unserer
Republik sehr viel Hoffnung geweckt,
({14})
übrigens nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei
anderen wie zum Beispiel den Eltern derjenigen, die befristet beschäftigt sind . Sie wollen, dass ihre Kinder anständige Arbeitsverhältnisse bekommen . Sie haben den
Eindruck erweckt, dass Sie Fehler korrigieren wollen
und dass es tatsächlich in eine andere, soziale Richtung
geht . Sie haben dafür große Vorschusslorbeeren erhalten .
Ich bin übrigens nicht einmal traurig darüber; im Gegenteil . Ihre Umfragewerte, die Sie zurzeit haben, sind nicht
nur dem Gesicht von Martin Schulz geschuldet, sondern
auch den Positionen, mit denen er unterwegs ist . Mir fällt
dazu allerdings auch Ihr Parteivorsitzender Müntefering
ein,
({15})
der einmal gesagt hat, er fände es unfair, dass er nach der
Wahl an das erinnert werde, was er vor der Wahl gesagt
habe .
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern möchte ich
Ihnen sagen: Wenn Sie die vielen Erwartungen, die Sie
geweckt haben, wieder enttäuschen, dann prophezeie ich
der SPD dieselbe Situation wie den Sozialdemokraten in
den Niederlanden .
({17})
Nach 1998 habt ihr das einigermaßen hingekriegt . Noch
einmal überwindet ihr das nicht . Ich sage euch einmal,
was die Voraussetzung dafür ist, dass das, was ihr vorhabt, einigermaßen gelingt:
({18})
Die Voraussetzung, dass es gelingt, ist eine starke Linke;
denn die muss aufpassen, was ihr macht, die muss euch
auf die Finger gucken .
({19})
Die Linke muss dafür sorgen, dass das, was ihr vor
der Wahl gesagt habt, auch nach der Wahl gilt; das ist
der Punkt .
({20})
Wenn es wieder so käme, wie es leider schon vorgekommen ist, dass man nämlich vor der Wahl links blinkt
und nach der Wahl rechts abbiegt und einen Crash im eigenen Laden verursacht, dann wäre das eine Katastrophe .
Deshalb sage ich: Lassen Sie uns die Chancen nutzen,
aber dann auch ehrlich, und nicht irgendwelche Schaumschlägereien machen, sondern eine vernünftige Politik .
Sie haben heute die Gelegenheit, sich zu unserem Antrag
vernünftig zu äußern .
({21})
Ich bin wirklich gespannt, ob es das Gegenteil von dem
ist, was Martin Schulz gesagt hat, oder wieder das, was
ich zwölf Jahre lang hier gehört habe .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({22})
Matthias Zimmer hat als nächster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit einem gewissen Vergnügen hört man ja den Streit zwischen
den Linken und der SPD . Ich bin einmal gespannt, was
die Kolleginnen und Kollegen der SPD zu den Anwürfen
der Linken sagen .
Ich will mit einer kleinen Geschichte anfangen, die ich
neulich erlebt habe: Ich habe vor einigen Wochen eine
Talkshow über Fragen der sozialen Gerechtigkeit gesehen, wie sie dieser Tage so häufig im Fernsehen laufen.
Sachgrundlose Befristungen sind natürlich ein Thema, an
dem soziale Gerechtigkeit diskutiert werden kann . Die
Ministerpräsidentin eines großen Flächenlandes argumentierte offensiv, man müsse die sachgrundlosen Befristungen abschaffen. Ein Unionskollege hat eher süffisant erwidert, er habe gerade heute eine Zeitungsanzeige
gesehen, in der für ein Ministerium dieses Bundeslandes
50 Mitarbeiter gesucht werden - sachgrundlos befristet
zunächst auf ein Jahr . Ich gestehe, ich habe die Debatte
nicht mehr weiterverfolgt und kann nicht sagen, ob sich
die Ministerpräsidentin aus den argumentativen Untiefen
ihrer eigenen Position hat befreien können .
Ich erwähne diese kleine Episode nur deshalb, weil sie
trefflich zeigt, dass sich zwar die Ideen leicht und elegant
tänzelnd im Raum bewegen, sich in der Realität aber mitunter hart die Tatsachen stoßen .
({0})
- Dass man für ein abgeändertes Zitat von Hegel von der
CDU/CSU-Fraktion einmal Beifall bekommt, finde ich
besonders erfreulich .
({1})
Das ist nicht auf diese Landesregierung beschränkt .
Einer Anfrage, die im Februar veröffentlicht wurde, entnehme ich, dass auch die Bundesregierung das Instrument sachgrundloser Befristung in einem beträchtlichen
Maß nutzt . Nehmen wir etwa das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Hier ist der
Anstieg der Beschäftigten ohne Dauerstelle besonders
dramatisch . Freilich, das hat nicht unwesentlich damit zu
tun, dass hier auch im Rahmen des Zuzugs von Flüchtlingen und ihrer Integration schnell reagiert werden musste
und es keine Planstellen gab . Dann ist es auch für die
öffentliche Hand sinnvoll, zu befristen, entweder bis die
Aufgabe erledigt ist oder die Befristungen in reguläre
Planstellen überführt werden können .
({2})
Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube: Wenn man
die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung fordert,
sollte der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel vorangehen . Aus der Wurstküche heraus das Hohelied vegetarischer Lebensweise zu singen, passt nicht zusammen .
({3})
Ich will deshalb die Frage, die wir heute diskutieren,
von einer anderen Seite angehen . Gibt es Gründe, warum
eine sachgrundlose Befristung gebraucht wird? Schauen wir einige Jahre zurück . Im Jahre 2005 hat es eine
Antwort einer Bundesregierung gegeben, die wie folgt
ausgefallen war: Die sachgrundlose Befristung sei „vor
allem eine beschäftigungspolitisch sinnvolle Alternative
zur Überstundenarbeit . Zugleich bekommen Arbeitsuchende, insbesondere auch solche, die längere Zeit arKlaus Ernst
beitslos waren, die Gelegenheit, wieder im Berufsleben
Fuß zu fassen,
({4})
ihre Eignung und Leistungsfähigkeit zu beweisen und
damit ihre Chancen auf eine unbefristete Weiterbeschäftigung zu verbessern .“
So weit die Bundesregierung damals . Zwei Punkte
also: erstens Flexibilisierung, die nicht durch Überstunden geleistet werden soll,
({5})
und zweitens Einstieg in den Arbeitsmarkt und in die unbefristete Beschäftigung . Trifft das heute noch zu?
({6})
- Warte es einmal ab . - Ich meine, das erste Argument,
die Flexibilisierung, trifft nur begrenzt zu . Auftragsspitzen können auch über Zeitarbeit oder Befristungen mit
Sachgrund aufgefangen werden . Die sachgrundlose Befristung erscheint mir häufig das bevorzugte Instrument
zu sein, weil es recht leicht zu handhaben ist . Bisweilen
will man das Risiko vermeiden, über eine Befristung mit
Sachgrund in einen Rechtsstreit zu geraten und von einem Gericht zur Entfristung gezwungen zu werden .
Deswegen würde ich über zwei Dinge nachdenken:
die rechtlichen Rahmen präziser fassen, damit Arbeitgeber nicht deswegen auf sachgrundlose Befristungen
zurückgreifen, weil sie juristische Auseinandersetzungen befürchten, wenn sie mit Sachgrund befristen . Ich
würde auch einmal darüber nachdenken, den Zeitrahmen
der sachgrundlosen Befristung an den der Zeitarbeit anzupassen . Das sollte allemal reichen, um Auftragsspitzen
abzuarbeiten . Vielleicht könnten auch Flexibilitätszulagen für Arbeitnehmer helfen, den Preis solcher Befristungen nicht auf die Arbeitnehmer alleine zu wälzen, eine,
wie ich finde, reizvolle Aufgabe für Tarifpartner.
Das zweite Argument ist gewichtiger . Einstieg in den
Arbeitsmarkt . Es hat in der Krisensituation 2004 und
2005 eine gewichtige Rolle gespielt . Viele Firmen waren
sich unsicher: investieren oder expandieren oder lieber
die Krise aussitzen? In dieser Zeit waren sachgrundlose
Befristungen ein gutes Mittel, Menschen zunächst einmal in Arbeit zu bringen . Ein gewisser Klebeeffekt war
jedenfalls zu verzeichnen, weil ein nicht geringer Anteil
dann in reguläre Beschäftigung überführt wurde . Ich will
das nicht als gering erachten; denn für diese Menschen
war doch die Frage entscheidend: Will ich unbefristet
arbeitslos sein oder befristet in Arbeit kommen, mit der
Aussicht auf eine Festanstellung? Für die schwierige Arbeitsmarktsituation dieser Jahre war das zweifellos ein
gutes Instrument .
Heute ist die Situation anders: Der Arbeitsmarkt
boomt . Man hört schon Klagen von Arbeitgebern, dass
sich viele Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr auf eine
sachgrundlose Befristung einlassen . Die Nachfrage nach
Arbeitskräften ist hoch . Die Qualität der Arbeitsplätze
spielt zunehmend eine Rolle . Zu dieser Qualität gehört
eben auch: Befristungen machen nicht glücklich . Viel zu
häufig sind sie lediglich als verlängerte Probezeiten missbraucht worden, als bequemer Verschiebebahnhof .
({7})
Aber ich denke, die Zeit wird über die sachgrundlosen
Befristungen hinausgehen . Zum einen sind sie an einem
Arbeitsmarkt, an dem die Nachfrage höher ist als das Angebot, ein seltsam untaugliches Mittel, um als Arbeitgeber qualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren.
({8})
Zum anderen glaube ich, dass wir mit all dem, was wir
unter dem Titel „Arbeit 4 .0“ diskutieren, neue Formen
von betrieblichen Zuordnungen etablieren, die vielleicht
auch das Thema der sachgrundlosen Befristung obsolet
werden lassen . Ob wir uns am Ende in der neuen Arbeitswelt 4 .0 besserstellen, wenn der Mensch nur noch eine
Relaisstation im immerwährenden Datenstrom ist - eine
Verlängerung der Technik in die sozialen Beziehungen
hinein, die vielleicht in einer drohenden Auflösung des
traditionellen Betriebsbegriffs selbst einem fundamentalen Wandel unterworfen sind -, ob dies uns alles wirklich
glücklich macht? Ich bezweifle es.
Ich wäre froh, wenn die sachgrundlose Befristung
möglichst schnell in die Asservatenkammer der Geschichte verschwindet,
({9})
als bestauntes Relikt einer vergangenen Zeit, als die Lage
verzweifelt genug war, dass man auf ein solches Instrument hat zurückgreifen müssen . Deswegen neige ich
dazu, die sachgrundlosen Befristungen nicht zu verbieten, sondern überflüssig zu machen - so überflüssig wie
Tipp-Ex zur Korrektur von Texten an einem Computer .
({10})
Dazu brauchen wir zwei Dinge: erstens einen öffentlichen Dienst, der sich so organisiert, dass er eine Vorreiterrolle übernehmen kann - erst dann fordern wir als
Politik nicht vollmundig etwas, was wir in unserem eigenen Gestaltungsbereich nicht liefern können -, zweitens weiterhin wirtschaftlichen Erfolg, Wachstum, einen
Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Das,
meine Damen und Herren, ist allerdings nur mit der Union zu haben .
Herzlichen Dank .
({11})
Als nächste Rednerin spricht Beate Müller-Gemmeke
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie ist die Situation ja
momentan schon etwas schräg: Da läuft einer durch die
Gegend und verspricht die ganze Zeit, dass die SPD die
sachgrundlose Befristung abschaffen wird . Gleichzeitig
haben wir hier im Bundestag dafür eine Mehrheit, aber
die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die entsprechenden
Anträge immer ab .
({0})
- Hört einfach mal zu . - Aber natürlich ist klar, dass Sie
von der SPD diese Koalition deswegen nicht platzen lassen . Heute Morgen haben Sie ja sogar diese unsägliche
CSU-Pkw-Maut durchlaufen lassen . Entscheidend ist
aber, dass Sie nach der Wahl dann auch wirklich Wort
halten .
({1})
Wir jedenfalls bleiben dran; das kann ich versichern .
({2})
Damit bin ich bei Ihnen, liebe Unionsfraktion . Es ist
für mich nicht nachvollziehbar, warum Sie weiterhin die
sachgrundlose Befristung verteidigen . Wenn jetzt hier
nicht gerade jemand von der CDA spricht, sondern jemand ganz Normales von der CDU/CSU, dann wird vor
allem damit argumentiert, dass die Betriebe nur mit dieser Form der Befristung flexibel bleiben. Dann wird immer wieder auf die vielen unbefristeten Arbeitsverträge
verwiesen . Damit wird schlichtweg das Thema kleingeredet . Es wird über statistische Daten geredet . Aber Sie
sprechen nicht über die Menschen, deren Beschäftigung
einfach ohne Grund befristet wird, und darüber, was das
mit den Menschen macht und was das für die Menschen
bedeutet . Aber genau um die Situation dieser Menschen
geht es, und das sollten Sie endlich ernst nehmen .
({3})
Befristungen machen durchaus Sinn, beispielsweise
wenn es um ein Projekt auf Zeit geht - bei uns in den
Büros zum Beispiel, weil wir nur für eine gewisse Zeit
gewählt wurden -, um Auftragsspitzen, um Elternzeit,
um eine längere Krankheit oder um Urlaub . Wer gute
Gründe hat, der kann befristen, und daran will niemand
etwas verändern .
Sachgrundlos, also einfach willkürlich zu befristen,
das ist nicht notwendig, und das ist vor allem nicht fair .
({4})
Sachgrundlose Befristungen sind deshalb nicht fair, weil
sie die Menschen und vor allem auch ihre Familien belasten . Wer befristet angestellt ist, kann nicht für die Zukunft planen, er hat teilweise auch handfeste Nachteile .
Dabei geht es beispielsweise um für uns ganz banale
Dinge wie einen Kredit für ein Auto oder um einen Mietvertrag; denn ein befristeter Arbeitsvertrag bietet nicht
ausreichend Sicherheit . Wer befristet angestellt ist, hat
ein höheres Armutsrisiko, wird häufiger arbeitslos, macht
sich mehr Sorgen über die Zukunft und hat auch häufiger
Angst vor Krankheit und Armut im Alter . Das alles ist
belastend . Lebensqualität sieht wirklich anders aus .
({5})
Befristet Beschäftigte wollen auch nicht auffallen .
Sie engagieren sich seltener im Betriebsrat . Sie verhalten sich ruhig und pochen eher nicht auf ihre Rechte .
Niemand will leichtfertig seine Chancen verspielen . Die
befristet Beschäftigten wollen unbedingt übernommen
werden . Das wissen im Übrigen auch die Arbeitgeber .
Von daher wundert es nicht, dass befristet Beschäftigte
weniger verdienen . Sie machen mehr Überstunden und
nehmen weniger Urlaub, und es gibt weder Aufstiegsnoch Weiterbildungsmöglichkeiten . Das alles zusammen
ist für uns nicht akzeptabel .
({6})
Von der sachgrundlosen Befristung sind vor allem ich sage es immer wieder - junge Menschen betroffen .
Gerade sie brauchen ihren Platz in unserer älter werdenden Gesellschaft, und doch sind Lebens- und Familienplanung etwas, worüber viele Jüngere nur noch müde
lächeln können; denn sie wechseln häufig von Stelle zu
Stelle und manche sogar von Ort zu Ort . Das ist wirklich
nicht ermutigend . Das dürfen Sie, die Union, nicht länger
ignorieren .
({7})
Sehr geehrte Unionsfraktion, die sachgrundlose Befristung ist eine einfache und vorteilhafte Sache für die
Arbeitgeber, für die Beschäftigten hat sie einen hohen
Preis . Wir Grünen wollen eine gerechte Balance zwischen den Interessen der Arbeitgeber und den Bedürfnissen der Beschäftigten, aber genau diese Balance ist für
Sie, die Union - und ich meine nicht die CDA -, kein
Thema .
Für uns Grüne ist Flexibilität keine Einbahnstraße .
Notwendig sind Verantwortungsgefühl und Empathie für
die Betriebe, aber auch für die Beschäftigten . Deshalb
wollen wir nicht die Befristungen, sondern die sachgrundlose Befristung abschaffen . So bleiben die Betriebe
flexibel, aber die Beschäftigten bekommen mehr soziale
Sicherheit . Diese Korrektur ist unbedingt notwendig für mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt .
Vielen Dank .
({8})
Gabriele Hiller-Ohm hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Linken und
der Grünen!
({0})
Sie haben uns heute Anträge vorgelegt, in denen Sie
fordern, die sachgrundlose Befristung zu verbieten . Sie
sprechen damit ein sehr wichtiges Thema an, das uns
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon lange
auf den Nägeln brennt .
({1})
Unser neuer Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat
Martin Schulz hat deshalb dazu sehr schnell und sehr
deutlich Stellung bezogen . Er will diese Verträge abschaffen, und wir wollen das auch .
({2})
Liebe Frau Kollegin Müller-Gemmeke, wir werden das
aber ohne Vertragsbruch machen . Wir werden die Große
Koalition sauber zu Ende führen . Es sind zum Glück nur
noch wenige Monate, dann haben wir andere Mehrheiten .
({3})
Ich muss sagen: Die Worte von Martin Schulz
({4})
haben bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken und der Grünen, ganz offensichtlich starken Eindruck gemacht und Sie veranlasst, Ihre Position heute
hier noch einmal deutlich zu machen . Aber wenn Sie
meinen, Herr Kollege Ernst, Sie müssten uns Ratschläge
mit auf den Weg geben, dann sage ich Ihnen: Die können
Sie sich gerne an den Hut stecken; wir brauchen sie nicht .
({5})
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Sicherheit und Verlässlichkeit für die Beschäftigten,
langfristige Perspektiven statt sachgrundloser Befristung; denn nur eine sichere Arbeit macht es möglich, die
eigene Zukunft zu planen . Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist unsere Position .
({6})
Es stimmt nicht, Herr Kollege Ernst, dass die Befristungen unter Rot-Grün erfunden wurden . Das ist falsch .
Befristungen gibt es seit 1985 .
({7})
Bundeskanzler Kohl hat das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 auf den Weg gebracht . 1996 wurde es noch
einmal verschärft . Da wurden sogenannte Befristungsketten erlaubt . Das ist alles vor der Zeit von Rot-Grün
passiert . Das sollten Sie eigentlich wissen, Herr Ernst .
({8})
Die Zahlen zeigen klar: Neueinstellungen erfolgen
etwa zur Hälfte nur noch befristet . Jüngere und Frauen
sind besonders häufig davon betroffen. Oft erfolgt die
Befristung ohne jegliche sachliche Begründung . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Arbeitnehmer und
jede Arbeitnehmerin sollte das Recht haben, zu wissen,
warum ihm oder ihr kein unbefristetes Arbeitsverhältnis
angeboten wird. Ich finde, das ist das Mindeste, was geschehen muss .
({9})
Zwar ist das normale, unbefristete Arbeitsverhältnis in
Deutschland zum Glück immer noch die Regel - das ist
gut so, und das muss auch so bleiben -, aber wir haben
eine Verantwortung gegenüber den jungen Menschen,
die immer häufiger mit befristeten Verträgen abgespeist
werden . Untersuchungen der Hans-Böckler-Stiftung haben klar gezeigt, dass Befristungen große Auswirkungen
auf die Lebenssituation von jungen Menschen haben . Sie
verdienen weniger und arbeiten dafür länger als unbefristete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer derselben
Altersgruppe . Außerdem sind sie weniger oft verheiratet
und haben vor allem weniger Kinder als unbefristet Angestellte . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen
wir ändern . Wir müssen den Jüngeren sichere und verlässliche Zukunftsperspektiven geben .
({10})
Geradezu zynisch wirken die Ausführungen des TUIChefs Friedrich Joussen, die er in einem Interview im
Handelsblatt dargelegt hat . Er meint, dass junge Leute
heute lieber in offenen Strukturen arbeiten wollen . Es
würde sie überhaupt nicht stören, dass ihre Verträge zeitlich beschränkt seien. - Beschränkt finde ich eine solche
Behauptung . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind
durch feste und unbefristete Arbeitsverträge doch nicht
für immer an einen einzigen Arbeitgeber oder eine einzige Arbeitgeberin geknebelt . Sie können einen Arbeitsvertrag, der unbefristet ist, natürlich kündigen und einen
anderen unterschreiben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer wieder lese
ich von dem drohenden Fachkräftemangel . Ich frage
mich, wie es möglich ist, dass viele Arbeitgeber es trotz
dieses Damoklesschwerts immer noch darauf anlegen,
schlechte Arbeitsverhältnisse anzubieten . Befristungen
sind das eine . Erschwerend kommen Arbeitsverträge
hinzu, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichten, auf Abruf zu arbeiten. Sie werden dann jeweils,
bestenfalls vier Tage vorher, vom Arbeitgeber benachrichtigt, wann und für wie lange sie zum Arbeitseinsatz
zu erscheinen haben . Diese Art der Arbeit macht Planbarkeit für die Beschäftigten gänzlich unmöglich . Leider
setzen immer mehr Unternehmen auf gerade diese ausbeuterischen und unwürdigen Beschäftigungsmöglichkeiten . Solchen Entwicklungen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, müssen wir einen Riegel vorschieben .
({11})
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Diese würde ich noch zulassen; ansonsten ist Ihre Redezeit
zu Ende .
Ja, gerne .
Vielen Dank, dass ich die Frage noch stellen kann .
Ich hätte mich jetzt, weil wir schon so häufig über die
sachgrundlose Befristung geredet haben, nicht gemeldet .
Aber jetzt haben Sie gerade die Arbeit auf Abruf angesprochen . Ich denke, ich weiß, aus welchem Grund Sie
das heute ansprechen: weil es vorgestern eine wirklich
sehr interessante Dokumentation bei ZDFzoom zu diesem Thema gab . Ich habe mitbekommen, dass Sie diesen
Bericht gesehen haben . Daher muss ich schon einmal
nachfragen .
Sie haben hier gerade gesagt, dass Arbeit auf Abruf
in dieser Form überhaupt nicht geht . In dieser Sendung
wurde aber sehr deutlich, dass das Ministerium für Arbeit
und Soziales Arbeit auf Abruf durchaus befürwortet und
dies, wie es schriftlich ausgeführt hat, mit Blick auf die
Flexibilität der Betriebe für eine wichtige Sache hält . Von
daher muss ich schon einmal fragen: Wie passt das, was
Sie hier sagen, mit dem, was ein SPD-geführtes Ministerium schriftlich nach außen in die Öffentlichkeit gibt,
zusammen?
Liebe Kollegin, ich spreche jetzt nicht für das Ministerium; das steht mir auch nicht zu . Ich spreche hier für
mich, für Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Bundestagsfraktion,
({0})
und ich sage Ihnen: Ich empfinde diese Art der Verträge
als schlecht, und ich bin dafür, dass wir solche Verträge
abschaffen, weil das unzumutbar ist . Das ist in der Sendung sehr deutlich geworden . Sie sind da ja auch befragt
worden und haben Stellung bezogen . Ich fand das, was
Sie gesagt haben, sehr richtig .
Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Art der
Ausbeutung abgeschafft wird, weil ich finde, das gehört
nicht in eine moderne Arbeitswelt . Wir müssen Rahmen
einziehen, damit Menschen auch in Zukunft vernünftige
Arbeitsbedingungen haben .
({1})
Das darf nicht ausufern .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, befristete Arbeitsverträge ohne einen Grund haben nirgends etwas zu
suchen . Befristungen werden wir grundsätzlich nicht
abschaffen können . Es wird Elternzeit- und Krankheitsvertretungen weiterhin geben müssen; das bleibt so . Aber
wir werden uns dafür einsetzen, die sachgrundlosen Befristungen abzuschaffen, und auch die Auswüchse bei befristeten Verträgen mit Sachgrund bekämpfen . Dafür sind
übrigens auch zwei Drittel der Bevölkerung; das hat eine
jüngst durchgeführte Umfrage im ARD-DeutschlandTrend ergeben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden es leider
jetzt mit unserem Koalitionspartner nicht mehr hinbekommen, obwohl Herr Zimmer ja angedeutet hat, dass
er die sachgrundlosen Befristungen ebenfalls überhaupt
nicht gut findet. Er will, dass sie sich von selber erledigen . Ich bin dafür, dass wir gesetzlich tätig werden .
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .
Wir werden das also mit diesem Koalitionspartner
nicht schaffen . Aber, Herr Ernst und liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, vielleicht haben wir dann
in der nächsten Legislaturperiode
({0})
- vielleicht auch mit Herrn Zimmer ({1})
Gelegenheit, das gemeinsam gesetzlich neu zu regeln .
Danke schön .
({2})
Tobias Zech hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem wir jetzt die Erklärung für Rot-Rot-Grün vernommen haben, will ich zum Thema zurückkommen .
Ich kann für die Union sagen - das konnten Sie der
Debatte schon entnehmen, und das ist auch nichts Neues -, dass für uns ein Arbeitsverhältnis wichtig ist und
im Fokus steht, nämlich das unbefristete Arbeitsverhältnis - mit ihm arbeiten wir, für das stehen wir -, nicht
die Befristung . Die Befristung ist immer ein Mittel zum
Zweck . Da müssen wir unterscheiden, wofür wir Befristung brauchen, warum wir Befristung haben und wie sie
angewandt wird .
Befristung ist nie schön, egal ob sachgrundlos oder
mit Sachgrund, und Befristung hat immer zwei Seiten .
({0})
Auch bei der Schwangerschaftsvertretung, also einer
klassischen Befristung mit Sachgrund, hat natürlich die
Person, die dann für zwei oder drei Jahre als Vertretung
einspringt, keine gute Zeit, weil sie weiß, dass sie wieder gehen muss . Welche Chance ist es aber für die junge
Mutter, die weiß, dass sie nach drei Jahren wieder zurück
in ihren Job kann! Ich will damit sagen: Bei Befristung
gibt es immer unterschiedliche Gemengelagen;
({1})
Befristung ist immer schlecht .
Wenn ich mich selbst zurückerinnere, so war für mich
nicht die Beförderung das Wichtigste, weder bei der
Bundeswehr noch dann in der Industrie; für mich war
der schönste Moment jeweils, wenn ich einen langfristigen Arbeitsvertrag bekommen habe oder in der Industrie
unbefristet gestellt worden bin, weil dies natürlich Planungssicherheit gibt . Das stellt doch niemand in Abrede .
Das wissen auch wir . Das ist doch klar .
({2})
Das unbefristete Arbeitsverhältnis ist also unser Ziel .
Es stellt sich immer die Frage: Wer hat es erfunden?
Frau Kollegin Hiller-Ohm, um es einzuordnen - ich habe
nachgelesen -: Die erste Erwähnung der sachgrundlosen Befristung gab es 221 nach Christus . Ein römischer
Lohnschreiber gewann vor Gericht; sein Arbeitgeber
war verstorben, und seine Erben durften ihn nicht entlassen . - Das Heilige Römische Reich ist untergegangen,
sachgrundlose Befristung beschäftigt uns noch immer .
Ich glaube, die Themen Befristung und Flexibilität am
Arbeitsmarkt werden uns auch weiterhin beschäftigen .
Wahr ist allerdings auch: Das Gesetz, über das wir debattieren und zu dem die Linken und die Grünen Anträge
eingereicht haben, ist nicht 221 nach Christus erfunden
worden, das hat auch nicht Arbeitsminister Blüm 1984
auf den Weg gebracht, nein, das hat Rot-Grün 2001 auf
den Weg gebracht .
({3})
Das ist die Wahrheit . Ihr habt die sachgrundlose Befristung eingeführt .
({4})
Immer kurz vor den Wahlen wollt ihr sie wieder abschaffen . Nach den Wahlen wird das wieder vergessen .
({5})
Lieber Kollege Ernst, zu dem Optimismus, den du gerade ausgedrückt hast, kann ich dir nicht raten; denn die
erzählen das vor der Wahl, und nach der Wahl wird es
wieder vergessen .
({6})
- Dürfen .
({7})
Ich bin ein großer Anhänger der Tariflandschaft in
Deutschland . Seit ich an diesem Pult stehen darf, habe
ich immer gesagt: Wir sind durch die Krisen dieses Landes gekommen nicht trotz, sondern wegen der Sozialpartnerschaft, die wir zwischen Gewerkschaften, also
Arbeitnehmern, und Arbeitgebern haben . Dort haben
wir die Fachleute, die die betriebliche Seite kennen . Hier
sind genügend Kollegen, die sich dort schon engagiert
haben . Schauen wir uns einmal an, wie die Fachleute in
den Betrieben, in den Gewerkschaften mit dem Thema
Befristung umgehen . - Frau Präsidentin, erlauben Sie
mir, dass ich aus dem gültigen Manteltarifvertrag der
IG BCE kurz zitiere:
Befristete oder zweckbestimmte Arbeitsverhältnisse
sind im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zulässig, wobei auf der Grundlage von § 14 Absatz 2
Satz 3 TzBfG die zulässige Dauer von ohne Sachgrund befristeten Arbeitsverhältnissen auf bis zu
48 Monaten ausgedehnt wird .
({8})
Das heißt, bei der tariflichen Mitbestimmung ist man
wesentlich weiter, als wir es gesetzlich machen . Die Kollegen vor Ort in den Betrieben, in den Betriebsräten, in
den Gewerkschaften, die in den Wirtschaftsausschüssen
mit den Arbeitgebern sitzen, die Ahnung davon haben,
wie ihre Branche, wie ihr Betrieb funktioniert, gehen sogar noch darüber hinaus . Ich glaube an unsere gute Tariflandschaft. Vielleicht sollten wir immer wieder schauen, was dort gemacht wird . Die Gewerkschaften und die
Betriebsräte vor Ort haben sich, während hier in Berlin
diese Pressemitteilungen verteilt werden, ganz klar für
die sachgrundlose Befristung entschieden . Auch das ist
Teil der Wahrheit .
({9})
Ein zweiter Teil der Wahrheit . Wir haben durchaus hervorragende Spezialisten für die bayerische Metall- und
Elektroindustrie hier im Raum . Ich darf dieses Beispiel
einmal herausgreifen: In der bayerischen M+E-Industrie
gibt es 95 Prozent unbefristete Arbeitsverhältnisse . Das
ist die Regel . Das ist auch das Ergebnis einer guten Tarifpartnerschaft vor Ort . Die Übernahmequote - jetzt komme ich zu der Frage, wofür wir sachgrundlose Befristung
brauchen - liegt nach alter Berechnung bei 58 Prozent .
Nach neuer Art der Berechnung gehen 40 Prozent aus
der Befristung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis . Befristung ist also nicht die Regel, sondern ein atmender
Deckel, eine Möglichkeit, in den ersten Arbeitsmarkt zu
kommen .
({10})
Jetzt stellt sich die Frage: Wer befristet? Befristen
müssen natürlich nicht die Kleinen . Warum? Wenn ich
weniger als zehn Mitarbeiter habe, gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht . Dann brauche ich diese ganze Befristerei nicht . Auch das ist klar . Befristen müssen in dem
Bereich, um den wir uns kümmern, auch nicht die Großen .
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, klar .
Herr Ernst .
Herzlichen Dank, Kollege Zech, dass Sie die Frage
zulassen . - Das war jetzt ein sehr wichtiger Satz . Sie
haben gesagt: Für die kleinen Betriebe gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht .
Ja .
Das ist richtig . Die brauchen „diese ganze Befristerei
nicht“ . - Das war jetzt ein wörtliches Zitat . - Ist es dann
nicht so, dass der eigentliche Sinn der Befristung darin
besteht, dass man das Kündigungsschutzgesetz umgeht?
Denn bei den anderen wirkt es . Eine befristete Beschäftigung bedeutet, dass der betreffende Mensch genau denselben Job macht wie jemand, der unbefristet beschäftigt
ist, dass er aber, wenn er den Betrieb verlassen muss,
nicht den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes für sich
in Anspruch nehmen kann und dass vor allen Dingen
auch der Betriebsrat bei dieser Kündigung nicht angehört
werden muss, weil es ja faktisch gar keine Kündigung
ist . Insofern - da ist Ihr Satz wirklich richtig - hat eine
sachgrundlose Befristung zwei Seiten .
Der erste Aspekt ist: Eigentlich wird die Probezeit
auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt . Probezeiten hatten wir
schon immer . Man muss schließlich sehen, ob jemand
das, wofür er eingestellt wurde, kann . Man wartet also
erst einmal vier Wochen ab; bei Angestellten beträgt die
Probezeit übrigens drei Monate .
Der zweite Punkt ist, dass man nicht nur die Probezeit verlängert, sondern dass der Arbeitgeber schlichtweg
sagt: Ich möchte kündigen dürfen, wann ich will; deshalb
befriste ich und umgehe damit den Kündigungsschutz . Das ist der eigentliche Hintergrund . Aber das kann nicht
im Sinne des Erfinders sein. Im Sinne des Erfinders wäre
eine sachliche Begründung . Ein Beispiel ist der Fall der
schwangeren Frau, den Sie erwähnten . Das ist ein sachlicher Grund für eine Befristung . Aber hier geht es um die
sachgrundlose Befristung . Die sachgrundlose Befristung
ist einfach nur eine Umgehung der Rechte .
({0})
Sie haben zwei Punkte angesprochen . Ihre erste Frage
bezüglich der sachgrundlosen Befristung beantworte ich
zuerst . Die entsprechenden Fälle gibt es; auch ich kenne
sie . Wir alle, wie wir hier sitzen, sollten uns da an die
eigene Nase fassen, weil ihr, ihr, ihr und wir in Landesregierungen und Ministerien Verantwortung tragen . Vor
allem der öffentliche Dienst ist da ein ganz schlechtes
Beispiel . Wir geben sozusagen das schlechteste Beispiel
ab .
({0})
Wer die sachgrundlose Befristung bei Planstellen nutzt,
um die Probezeit zu verlängern, hat die Intention des
Gesetzes nicht verstanden . Ein solches Vorgehen ist klar
abzulehnen .
Zum zweiten Punkt, nämlich zu der Frage: Ist die
Zielsetzung von Befristungen die Umgehung des Kündigungsschutzes? Nein! Aber richtig ist: In Unternehmen, die nicht dem Kündigungsschutz unterliegen, gibt
es einen wesentlich geringeren Anteil an sachgrundlosen
Befristungen; das wollte ich damit sagen . Wir sprechen
hier über die Sandwichposition, über die mittleren Unternehmen. In den großen Unternehmen gibt es tarifliche
Mitbestimmung; ich habe gerade einen Manteltarifvertrag zitiert . Hier kümmern sich der Betriebsrat und die
Tarifvertragsparteien um dieses Thema . In kleinen Unternehmen kann man die notwendige Flexibilität durch
die Durchführung einfacher, individueller Arbeitsmaßnahmen gewährleisten .
Ich glaube, dieses Gesetz hat vor allem mittlere Unternehmen im Blick, die nicht tariflich mitbestimmt sind
und die dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen . Auch
diese Unternehmen brauchen Flexibilität am ArbeitsTobias Zech
markt, etwa um die Entwicklung eines neuen Produkts
voranzutreiben oder einen neuen Auftrag anzunehmen .
Sie verfügen nämlich nicht über die notwendige Planungssicherheit; sie wissen nicht, ob sie in drei, vier Jahren immer noch genügend Umsätze haben, um die Mitarbeiter zu halten . Deswegen gilt für mich: Nein, Kollege
Ernst, das ist keine Umgehung des Kündigungsschutzes,
sondern ein Ja zur Flexibilität .
({1})
Bei diesem Ja zur Flexibilität mache ich weiter . Die
mittleren Unternehmen, über die wir sprechen, sind das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft . Dazu gehören das
Handwerk, der Handel und die Familienunternehmer .
Sie befristen nicht aus Jux und Tollerei, sondern deshalb,
weil sie die konjunkturelle Lage nicht planen können .
Ich kann allen Kollegen, die sich momentan bemüßigt
fühlen, unser Land in Armuts- und Konjunkturdebatten
schlechtzureden, sagen: Das wird in der Wirtschaft zur
Kenntnis genommen . In der Wirtschaft hört man auch,
wer hier Überregulierung oder neue Steuererhöhungen
plant . Das führt nicht zwingend zu mehr Planungssicherheit, sondern es führt dazu, dass man sich als Unternehmer überlegt: Stelle ich, wie geplant, zwei oder drei weitere Mitarbeiter ein und versuche, ein neues Produkt zu
entwickeln, oder tue ich das nicht?
({2})
Der Staat ist als Arbeitgeber massiv übervorteilt Kollege Zimmer hat die entsprechenden Punkte schon
angesprochen; das gilt übrigens vor allem für die Wissenschaftsarbeiter -, weil er durch das Budget, das das Parlament ja als sein Kernrecht bezeichnet, die Befristungen
für Staatsbetriebe quasi vorgibt, indem er Mittel für Projekte auf drei, vier oder fünf Jahre befristet . So etwas gibt
es in der Wirtschaft nicht, weil ein Grund wie die konjunkturelle Lage, eine Auftragsflaute oder die Planbarkeit
einer Rückstellung vor Gericht nicht als Sachgrund gilt was den Staat betrifft, aber schon . Deswegen sage ich:
Wir müssen an die sachgrundlose Befristung heran . Wir
müssen auch an die Befristung heran . Fangen wir bitte
alle damit an! Wir alle sind aufgerufen, in den Ministerien und Regierungen, in denen wir Verantwortung tragen,
dafür zu werben . Der öffentliche Dienst muss hier mit
gutem Beispiel vorangehen . Das tut er momentan nicht .
Lassen Sie mich zum Schluss kommen . Befristung ist
keine Zieldefinition. Keiner hier im Raum möchte Befristungen . Es ist für einen Arbeitnehmer immer das Beste, wenn er ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat . Die
Frage ist: Wie erreichen wir dieses Ziel? Wir glauben,
sozial ist, was Arbeit schafft . Um in Deutschland mehr
Arbeitsplätze zu generieren, braucht man Flexibilität .
Auf dem Weg dorthin ist die sachgrundlose Befristung
ein notwendiges, hilfreiches Konstrukt . Wir sollten an ihr
festhalten, sie aber immer wieder überwachen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Bernd
Rützel für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber
Tobias, du hast Beifall bekommen, als du gesagt hast, wer
das Gesetz eingeführt hat . Ich erinnere mich ganz genau,
wer dieses Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt
hat, weil ich damals, 1985, dagegen demonstriert habe .
Es war der Bundeskanzler Kohl, der als ersten Schritt in
die Deregulierung des Arbeitsmarktes dieses Gesetz auf
den Weg gebracht und 1985 die sachgrundlose Befristung eingeführt hat, die bis heute gilt .
({0})
Manche derjenigen, die vorhin geklatscht haben, waren im Jahr 1985 übrigens noch gar nicht geboren .
({1})
Matthias Zimmer sagt, eine sachgrundlose Befristung
sei überflüssig. Damit hat er recht. Sie ist aber nicht nur
überflüssig, sondern sie ist noch mehr: Sie ist schädlich
und gefährlich . Ich komme später noch einmal darauf
zurück . Liebe Beate Müller-Gemmeke, du hast das auch
schön ausgeführt .
Ich will die Zeit aber auch nutzen, noch einmal den Instrumentenkasten und den Werkzeugkasten zu erläutern
und zu sagen, was alles zu Befristungen mit Sachgrund
führen kann . Es gibt hier viele Möglichkeiten, zum Beispiel die Befristungen für einen vorübergehenden Bedarf: in der Erntezeit, in der Weihnachtszeit, wenn eine
neue Maschine oder ein neuer Prozess eingeführt wird .
Das gilt zum Beispiel auch, wenn - lieber Klaus Ernst,
das hast du einmal ausgeführt - eine Ausbildung endet,
um nach der Ausbildung in einen ersten befristeten Vertrag zu kommen und somit den Übergang zu sichern .
Vertretungen für Mutterschutz, für Elternzeit, für längere
Erkrankungen, für Abordnungen, wenn jemand im Ausland, beurlaubt oder freigestellt ist: Für all diese Umstände kann man befristen .
Weiterhin kann man befristen, wenn die Eigenart des
Berufs bzw . der Arbeitsleistung dies erfordert, zum Beispiel im redaktionellen und im künstlerischen Bereich,
bei Regisseuren, bei Moderatorinnen, bei Schauspielern,
bei Kommentatorinnen, bei Sängern und Sängerinnen,
und auch im Profisport wird befristet.
Herr Kollege Rützel, der Kollege Zimmer würde gerne eine Zwischenfrage stellen . Lassen Sie sie zu?
Jawohl .
Gut .
Ganz herzlichen Dank dafür . - Lieber Herr Kollege,
ich habe nur eine Frage: Können wir uns darauf einigen vor dem Hintergrund, dass wir von dem postfaktischen
Zeitalter reden, in dem wir ja alle nicht sein wollen -,
hier und heute zwei Dinge festzuhalten, nämlich, dass
die Regierung Helmut Kohl damals eine Befristung mit
Sachgrund und nicht eine sachgrundlose Befristung eingeführt hat und dass Saisonarbeitskräfte seit der Änderung der statistischen Erfassung Anfang des Jahrtausends
nicht mehr als Arbeitskräfte gezählt werden, die unter die
sachgrundlose Befristung fallen?
Lieber Kollege Zimmer, das ändert nichts an der Tatsache, dass mit diesem Beschäftigungsförderungsgesetz
ein erster Schritt in diesem Bereich gemacht worden ist,
um zu befristen, was eben zu Unsicherheiten im Beschäftigungsverhältnis, auch hinsichtlich des Kündigungsschutzes, geführt hat .
({0})
So wie ich dich, lieber Matthias, wahrgenommen
habe, denke ich, dass wir auf einer Seite sind und ihr bei
euch nur noch Überzeugungsarbeit leisten müsst .
({1})
Denn in letzter Konsequenz konnten wir in unseren Koalitionsvertrag leider nicht hineinarbeiten, dass wir diese
sachgrundlose Befristung abschaffen .
({2})
Lieber Kollege, die Kollegin Krellmann möchte auch
noch eine Zwischenfrage stellen .
Ach je .
({0})
Sie entscheiden .
Gerne!
({0})
Ich weise jetzt trotzdem darauf hin, dass wir heute
noch drei Debatten vor uns haben . Ich bitte, jetzt auch ein
bisschen an die Kolleginnen und Kollegen zu denken, die
in den darauffolgenden Debatten noch sprechen werden .
Es wäre schön, wenn Sie das auch etwas im Blick haben;
denn es wäre nicht gut, wenn hier in eineinhalb Stunden
nur noch fünf oder sechs Kollegen säßen .
({0})
Danke, Frau Präsidentin . Bei Ihrem Gesichtsausdruck
habe ich schon ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich
eine Frage stelle .
({0})
Ich kann das, was Herr Zimmer gesagt hat, nur bestätigen . Ich sehe das ganz genauso . Damals wurde das
Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt . Herr Blüm
als Arbeitsminister hat sich dafür gefeiert, dass es ab
dem genannten Zeitpunkt die Möglichkeit gegeben hat,
mit Sachgrund befristete Verträge abzuschließen . Die
sachgrundlose Befristung hingegen ist im Rahmen der
Agenda 2010 durch Rot-Grün eingeführt worden, nichts
anderes .
Jetzt zu meiner konkreten Frage . Haben Sie registriert - Sie haben ja das Thema Ausbildung angesprochen -, dass Gewerkschaften gerade für die Abschaffung
von Befristungen ohne Sachgrund bei der Übernahme
nach Beendigung der Ausbildung kämpfen? Das haben
viele Gewerkschaften auch schon erreicht. Das finde ich
ganz toll für die jungen Menschen, die eine betriebliche
Ausbildung machen . Das ist das Ziel mit Blick auf die
Auszubildenden im Betrieb, nichts anderes . Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung und fertig!
({1})
Ich kann auf die Frage ganz leicht und schnell antworten, denn es gilt: Wer nachliest, hat mehr davon . „Geschichte befristeter Beschäftigungsverhältnisse“ - wir
sind ja jetzt in der Geschichtsstunde -:
Die erste Etappe der Deregulierung begann 1985
mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit dem
zum ersten Mal Arbeitsverträge ohne sachlichen
Grund befristet werden konnten .
({0})
Jetzt kann sich jeder ein Urteil bilden .
({1})
- Das stammt von der Bundeszentrale für politische Bildung; das Internet speichert alles . Ich drucke mir das jeden Tag dreimal aus .
({2})
Die Eigenart der Arbeitsleistung habe ich aufgezeigt .
Auch die Erprobung ist in diesem Zusammenhang zu
nennen . Wenn ich jemanden einstellen muss, aber nicht
weiß, ob er zu uns passt, dann gilt auch hier, dass der Vertrag zur Erprobung, zum Beispiel für drei Monate, mit
Sachgrund befristet werden kann . Ich kann einen Vertrag
auch befristen, wenn die Gründe in der Person des Arbeitnehmers liegen, zum Beispiel bei einer Tätigkeit von
Studierenden in den Semesterferien, bei einer vorübergehenden Beschäftigung bis hin zur Altersrente oder im
Falle einer befristeten Aufenthaltserlaubnis .
Gott sei Dank ist es angesprochen worden: Ja, im öffentlichen Dienst - darüber haben wir debattiert - werden oftmals Verträge mit Befristungen abgeschlossen .
Aber es gibt ein Sonderbefristungsrecht des öffentlichen
Dienstes . Der öffentliche Dienst könnte mit Sachgrund
ordentlich befristen, wenn es die Haushaltsmittel rechtfertigen .
Ich will zusammenfassend sagen, dass diese sachgrundlosen Befristungen - jeder zweite befristete Vertrag
enthält eine sachgrundlose Befristung - die Menschen
krank und frustriert machen, dass sie Lebenschancen
und Perspektiven verbauen, dass es zu weniger Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kommt und dass
dadurch der Kündigungsschutz durch die Hintertür ausgehöhlt wird .
Deswegen sprechen mir diese beiden Anträge von den
Grünen und von den Linken aus dem Herzen . Sie haben
mit Ihren Anträgen natürlich recht . Der Vorsitzende der
SPD und unser Kanzlerkandidat Martin Schulz
({3})
hat diese Probleme aufgegriffen und das Thema deutlich
angesprochen . Und das wird auch umgesetzt werden .
Das sind wirklich Herzensanliegen . Über die zu sprechen
werden wir sicherlich im Wahlkampf die eine oder andere Möglichkeit haben .
Ich will die letzten paar Sekunden meiner Redezeit
dafür nutzen, um deutlich zu machen, was eine Koalition ist . Eine Koalition bedeutet: Man setzt sich zusammen und lotet Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus .
Man ist sich aber auch treu und vertraut einander und
stimmt auch Vorschlägen des Partners zu . Das gilt nicht
für diesen Tagesordnungspunkt . Ich denke an das Thema
Pkw-Maut, das wir heute Morgen behandelt haben und
bei dem wir vertragstreu gewesen sind,
({4})
was ich aber auch umgekehrt erwarte . Auch die Wählerinnen und Wähler fordern das zu Recht .
({5})
Sie sagen: Macht eine gute Politik, und schmeißt nicht alles hin . - Das sage ich an die Adresse des Koalitionspartners, falls es einmal zu einer anderen Politik in diesem
Lande kommen sollte .
Wer weiß: Vielleicht gibt es nach der Bundestagswahl
Konstellationen, die es möglich machen, diese sachgrundlose Befristung endlich abzuschaffen .
Vielen Dank .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zu den Überweisungen . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 18/11598 und 18/11608 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall, dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Teilhabebericht der Bundesregierung über die
Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen 2016
Drucksache 18/10940
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin in
dieser Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller das Wort .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jetzt geht es
um diesen dicken Bericht . Es ist der zweite Bericht der
Bundesregierung darüber, wie Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland leben, also Menschen, die schon
lange krank sind, nicht sehen oder hören können, oder
denen es seelisch nicht gut geht . Aber es gehören auch
Menschen dazu, die schwierige Texte nicht so schnell
verstehen oder nicht gut lesen können . Und weil es heute
auch um all diese Menschen geht, versuche ich jetzt, den
Teilhabebericht möglichst einfach zu erklären, damit es
auch viele verstehen können .
Dieser dicke Bericht hat mehr als 500 Seiten und ist
sehr genau . Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben daran lange gearbeitet . Der Bericht beschreibt,
wie es den 12 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen in unserem Land geht . Ja, so viele Menschen sind es .
Wenn wir alle, die in Deutschland leben, zählen würden,
wäre jede oder jeder Sechste Teil dieses Berichts .
Das wichtigste Ergebnis will ich zuerst nennen: Menschen mit Beeinträchtigungen sind und leben so unterschiedlich wie Menschen ohne Beeinträchtigungen .
Unser gemeinsames Ziel ist es ja, dass Menschen mit
Beeinträchtigungen genauso leben und arbeiten können
wie Menschen ohne Beeinträchtigungen . Der Bericht beschreibt, dass wir schon besser geworden sind, aber unser
Ziel noch nicht erreicht haben . Ganz genau beschreibt er
die Jahre von 2005 bis 2014 .
Und was steht in dem Bericht? In seinem ersten Teil
gibt es ganz viele Zahlen und Informationen . Zum Beispiel: Wie viele Menschen in Deutschland haben eine
Beeinträchtigung, und wie ist ihr Leben? Im zweiten Teil
beschreibt der Bericht ganz ausführlich, wie das Leben
von Menschen mit Beeinträchtigungen in unserem Land
aussieht . Wie ist das mit dem Familienleben, den Nachbarn und den Freunden? Wie ist das mit Schule und einer Berufsausbildung? Wie sieht es aus mit Arbeit und
Bezahlung? Und wie selbstbestimmt wohnen und leben
Menschen mit Beeinträchtigungen? Und es geht um Gesundheit, um Freizeit, um Kultur und Sport, um Schutz
vor Gewalt und um Mitmachen in der Politik . Das nennt
man Lebenslagen, und zu jedem Thema wird berichtet,
was ist und was besser werden muss .
Das Ergebnis steht in zwei schwierigen Sätzen gleich
auf Seite 1, und die will ich eben lesen:
Insgesamt zeigt sich, dass die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in vielerlei Hinsicht
noch immer eingeschränkt ist .
Und:
Hierbei gilt häufig: Je schwerer die Beeinträchtigungen, desto geringer die Teilhabechancen .
Wenn ich das übersetze, heißt das: Wir müssen noch
sehr viel tun, damit Menschen mit Beeinträchtigungen
mitten in unserer Gesellschaft leben können wie alle
Menschen auch .
Und: Wer ganz stark beeinträchtigt ist, also zum Beispiel langsam lernt oder nicht schnell versteht und im
Rolli sitzt, der oder die hat es ganz besonders schwer .
Und das ist nicht in Ordnung! Das wollen wir ändern .
Daran arbeiten wir;
({0})
denn seitdem der Bericht geschrieben wurde, ist viel passiert . Wir haben gute Gesetze gemacht, zum Beispiel das
Behindertengleichstellungsgesetz und das Bundesteilhabegesetz . Aber es dauert noch, bis alle guten Regeln
im Alltag ankommen . Das gilt zum Beispiel für Informationen in leichter Sprache . Das gilt für unabhängige
Beratung .
Es funktionieren aber auch schon ein paar Sachen .
Das ist die bessere Bezahlung für Beschäftigte in Werkstätten und das Recht, mehr zu sparen .
({1})
Das sind nur einige Beispiele für Verbesserungen, über
die hier im Bundestag abgestimmt wurde .
Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Bericht steht
auch viel darüber, wie wir in Deutschland die Behindertenrechtskonvention umsetzen . Das ist ein Vertrag, der
Menschen mit Behinderungen in sehr vielen Ländern auf
der Welt helfen soll, auch bei uns in Deutschland . Diesen
Vertrag wollen wir nach und nach und Stück für Stück
erfüllen . Das ist eine Aufgabe für alle: für die Bundesregierung, für alle Bundesländer, aber auch für alle Städte
und Dörfer .
Überall werden dazu Pläne gemacht, was passieren
muss . Auch die Bundesregierung hat an ihrem Plan weiter geschrieben und ist dabei, immer mehr ohne Barrieren
zu machen, zum Beispiel im Internet und beim Bauen .
Dazu werden wir auch in diesem Jahr im November bei
den Inklusionstagen in Berlin mit vielen beraten und diskutieren .
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt noch viel zu
tun, bis wir in Deutschland inklusiv sind . Das gelingt uns
nur, wenn wir alle zusammenarbeiten: die Menschen mit
und ohne Beeinträchtigung, die, die Politik machen, die
in Verwaltungen arbeiten, die Chefs von Unternehmen,
die Schwerbehindertenvertretungen und die, die in Vereinen mitmachen, die Jungen und die Alten - eben alle .
Ich bin sicher: Der nächste Bericht - und der kommt,
weil: dazu sind wir verpflichtet - wird wieder dick, weil
es so viel zu beschreiben gibt . Und ich hoffe, dass er von
Verbesserungen berichten wird . Denn daran arbeiten wir
gemeinsam .
({2})
Zum Schluss: Was ich gut finde, ist, dass dieser Bericht als barrierefreies Dokument im Internet auf der Seite des Ministeriums für Arbeit und Soziales stehen wird,
also für Menschen, die nicht gut sehen können, trotzdem
lesbar und hörbar ist. Und was ich auch gut finde, ist,
dass es das Wichtigste des Berichtes auch in leichter
Sprache geben wird .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Katrin Werner hat als nächste Rednerin das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir debattieren heute über den Teilhabebericht der Bundesregierung, der die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Deutschland darstellt . Als Fazit stellt der Bericht
fest, dass es in manchen gesellschaftlichen Bereichen
Verbesserungen und in anderen Verschlechterungen gibt .
Aber bei genauerem Hinsehen entdeckt man massive
Diskriminierungen und zahlreiche Barrieren . Menschen
mit Behinderungen werden in vielen gesellschaftlichen
Bereichen an ihrer Teilhabe gehindert . Daran muss sich
dringend etwas ändern .
({0})
Es beginnt bereits in der Schule: Immer noch wird
der überwiegende Teil der Schülerinnen und Schüler mit
sogenanntem sonderpädagogischen Bedarf an Förderschulen unterrichtet . Sie werden damit vom Unterricht in
der Regelschule ausgeschlossen . 71 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen,
erreichen keinen Hauptschulabschluss . Das zeigt, wie
unterschiedlich die Bildungschancen von Menschen mit
und ohne Behinderungen sind, und das hat enorme Auswirkungen auf den weiteren Lebenslauf und damit auch
auf die Teilhabechancen in allen Lebensbereichen .
Meine Damen und Herren, die Ausgrenzung muss
endlich ein Ende haben . Wir brauchen ein besser ausgestattetes Bildungssystem, in dem alle Schülerinnen und
Schüler mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam miteinander lernen .
({1})
Die Ausgrenzung in der Bildung hat enorme Auswirkungen für den weiteren Lebensweg . Besonders in der
Arbeitswelt sind Menschen mit Behinderungen aufgrund
ihrer schlechteren Bildungschancen ausgeschlossen . Die
Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderungen liegt seit Jahren stabil 5 Prozentpunkte über der
allgemeinen Arbeitslosenquote .
Menschen mit Behinderungen sind länger arbeitslos .
Sie haben größere Sorgen um ihre wirtschaftliche Lage
und bestreiten ihren Lebensunterhalt selten aus ihrem
Erwerbseinkommen . Diese Ergebnisse sind sehr alarmierend . Es muss endlich um einen inklusiven ersten Arbeitsmarkt gehen .
({2})
Das ist nicht alles . Auch die Zahl der Beschäftigten
in Werkstätten für behinderte Menschen steigt seit Jahren . Inzwischen sind über 300 000 Menschen in diesen
Einrichtungen beschäftigt und damit vom allgemeinen
Arbeitsmarkt, von tariflicher Entlohnung und auch vom
Mindestlohn ausgeschlossen . Das ist problematisch, weil
diese Sondereinrichtungen zumeist fernab der Öffentlichkeit existieren. Dadurch bleiben Missstände häufig
unentdeckt . Genau das hat vor kurzem die Recherche
vom Team Wallraff auf RTL gezeigt . Es schaut niemand
hin, wenn Menschen mit Behinderung drangsaliert und
schikaniert werden . Es schaut niemand hin, wenn Werkstätten ihrem Bildungsauftrag nicht nachkommen und
Beschäftigte stattdessen eintönige Industrieaufträge
abarbeiten müssen .
Außerdem verhindern genau diese geschlossenen
Systeme, dass Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt
wechseln. Weniger als 1 Prozent finden den Weg aus einer Werkstatt auf diesen Arbeitsmarkt . Deshalb muss es
endlich darum gehen, das System der Ausgrenzung abzuschaffen .
({3})
Da reicht es auch nicht, sich auf das Budget für Arbeit zu berufen, durch das der Arbeitgeber einen Lohnzuschuss erhält, wenn er Werkstattbeschäftigte einstellt .
Damit wird zwar der Übergang aus der Werkstatt auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtert . Aber selbst die
Bundesregierung geht im Bundesteilhabegesetz von keinen großen Effekten aus . Lediglich 1 Prozent der Werkstattbeschäftigten soll - so ist die Annahme der Regierung - das Budget für Arbeit in Anspruch nehmen und
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln; das können
Sie in Ihrem Kabinettsentwurf auf Seite 216 nachlesen .
Das ist angesichts der sehr hohen Anzahl an Werkstattbeschäftigten nur ein Tropfen auf den heißen Stein .
Es ist dringend notwendig, den allgemeinen Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten, um die Bedingungen für
Menschen mit Behinderungen insgesamt zu verbessern .
Unternehmen müssen stärker verpflichtet werden, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen . Dazu ist zum
Beispiel eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe dringend
notwendig . Es muss aufhören, dass sich Unternehmen
billig freikaufen können, statt Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen .
({4})
Die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes ist
längst überfällig . Das lässt sich an einem anderen und,
wie ich finde, auch sehr erschreckenden Ergebnis ablesen . Das Armutsrisiko von Menschen mit Behinderungen
hat sich in den letzten Jahren erhöht . 2005 waren es noch
13 Prozent . Acht Jahre später, 2013, ist es auf 20 Prozent gestiegen . Im Vergleich dazu war das Armutsrisiko
von Menschen ohne Behinderungen im gleichen Jahr mit
rund 13 Prozent deutlich niedriger . Auch diese Entwicklung muss dringend gestoppt werden .
({5})
Dazu ist es notwendig - ich sage das noch einmal -, die
Sonderwelten abzuschaffen; denn dort werden Menschen
aus der Mitte der Gesellschaft ausgeschlossen .
Wir brauchen an erster Stelle ein inklusives Bildungssystem, in dem alle Schülerinnen und Schüler von Anfang an gemeinsam voneinander und miteinander lernen .
({6})
Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt, der für alle
Menschen gleichermaßen zugänglich ist . Wir brauchen
Teilhabeleistungen sowie Leistungen der persönlichen
Assistenz in allen Bereichen, die unabhängig vom Geldbeutel der Betroffenen gewährt werden und alle Menschen in die Lage versetzen, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben .
({7})
Das Risiko der älteren Menschen mit Beeinträchtigungen, in Armut abzurutschen, ist ebenfalls stark gestiegen .
Dieses Problem wird sich in den kommenden Jahren
noch verschärfen; denn unsere Gesellschaft wird immer
älter . In den kommenden Jahren werden immer mehr
Menschen mit Behinderungen Altersrente beziehen, und
die gesetzliche Rente ist in den vergangenen Jahren weiter ausgehöhlt worden . Diese Trends müssen umgekehrt
werden . Wir brauchen dringend eine solidarische Mindestrente in Höhe von 1 050 Euro .
({8})
Was hinzukommt, ist der enorme Mangel an barrierefreien Wohnungen in Deutschland . Bis 2030 werden über
2 Millionen zusätzliche barrierefreie Wohnungen gebraucht, und das nur für Menschen im Alter über 65 Jahre . Diese Probleme lösen sich nicht von selbst . Sie müssen angepackt werden . Deshalb ist es wichtig, dazu eine
neue Offensive der sozialen Gerechtigkeit zu starten .
Das kürzlich verabschiedete Bundesteilhabegesetz
wird kaum etwas an den Problemen und der Ausgrenzung sowie der Diskriminierung von Menschen mit
Behinderungen in unserer Gesellschaft ändern . Ehrlich
gesagt, ich halte es für einen Etikettenschwindel . Das
Gesetz schafft eben keine bundesweite, einheitliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen . Sie haben weiter 16 Systeme, untergliedert in kommunale Ebenen .
Frau Werner, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich bin gleich am Ende, und ich möchte in Anbetracht
dessen, dass wir noch einen Tagesordnungspunkt behandeln, keine Frage zulassen .
({0})
Das Bundesteilhabegesetz schafft nicht die notwendigen Änderungen . Sie gehen damit nicht die großen Probleme an . Weder das Bildungssystem noch der
Arbeitsmarkt, noch das Gesundheitssystem oder der
Wohnungsmarkt wird durch dieses Gesetz nennenswert
inklusiver . Nach jahrelangen Diskussionen über das Bundesteilhabegesetz, jahrzehntelangen Kämpfen von Betroffenen und einem umfangreichen Beteiligungsprozess
empfinde ich es, ehrlich gesagt, als eine Schande.
Zum Schluss: Wissen Sie, am Sonntag ist der achte
Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland . Für nächstes Jahr hätte ich
eine Bitte: Lassen Sie diesen Tag im nächsten Jahr zu
einem echten Grund zum Feiern werden . Hören Sie endlich auf, die Rechte von Menschen mit Behinderungen
unter Kostenvorbehalte zu stellen! Schaffen Sie eine volle Teilhabe für alle Menschen! Nehmen Sie diesen Teilhabebericht ernst, lesen Sie ihn ganz genau, und bringen
Sie die wichtigen Dinge voran!
Danke .
({1})
Danke . - Als nächster Redner hat Uwe Schummer das
Wort .
({0})
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Der zweite Teilhabebericht der Bundesregierung
beschäftigt sich mit Zahlen, die schwerpunktmäßig bis
2014 erhoben wurden . Wie bereits im ersten Teilhabebericht, den wir 2013 öffentlich diskutiert haben, sehen wir,
dass die Inklusion bei Kindern gut gelingt; denn 91 Prozent der Kinder mit Behinderungen in Deutschland gehen
in Regelkindertagesstätten und Regelkindergärten und
werden dort entsprechend gefördert .
Wir sehen aber auch: Je älter die Kinder werden, desto geringer die Inklusion . Das manifestiert sich in den
Regelschulen, sowohl den Grundschulen als auch den
weiterführenden Schulen, in die nur etwa 37,7 Prozent
der behinderten Jugendlichen gehen . Ich warne aber auch
davor, Fördereinrichtungen generell zu verurteilen . Auch
in Fördereinrichtungen wird guter pädagogischer Unterricht geleistet
({0})
und werden Menschen so gestärkt, dass sie ihren Bildungsabschluss erreichen können und auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben . Deshalb sollte man das Kind
nicht mit dem Bade ausschütten, sondern wir sollten differenzieren und schauen, wie die Fördermöglichkeiten
verbessert werden können .
Wenn wir die Teilhabe in den Regeleinrichtungen
weitgehend umsetzen wollen, dann ist das nicht alleine
Aufgabe des Bundes . Wir müssen mit den Ländern und
mit den Schulträgern in den Kommunen reden . Dann
müssen die Lehrer entsprechend ausgebildet sein, dann
müssen die Räumlichkeiten vorhanden sein, und dann
muss die Barrierefreiheit gegeben sein .
({1})
Es ist also nicht Alleinstellungsmerkmal des Bundes, für
Inklusion zu sorgen, sondern wir können erwarten, dass
dieses Gemeinschaftsprojekt - Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - von Bund, Ländern und
Kommunen mitgetragen wird .
({2})
Auf dem ersten Arbeitsmarkt sind 1,1 Millionen Menschen mit Behinderungen beschäftigt . Es gibt immer
noch das Vorurteil, dass Menschen, die behindert sind,
öfter krank werden . Der Teilhabebericht spricht eine andere Sprache . Er legt dar, dass 30 Prozent der Menschen
mit Behinderungen sich in einem Jahr nicht einen Tag
krank gemeldet haben und dass sie offenkundig eine
hohe Motivation haben . Es ist aber auch so, dass mit der
Beschäftigung von behinderten Menschen generell die
Humanisierung der Arbeitswelt gefördert wird, auch für
die nicht behinderten Beschäftigten . Man muss sich vor
Augen halten: In der Gruppe der erwerbstätigen behinderten Menschen sind es 30 Prozent, die in einem Jahr
nicht einen Tag krank waren, in der allgemeinen Arbeitnehmerschaft sind es 23 Prozent, die keinen Tag krank
waren .
Es gibt in den Integrationsfirmen 11 000 Mitarbeiter
mit Beeinträchtigungen . Insgesamt gibt es 850 Integrationsbetriebe mit über 33 000 Beschäftigten . Die Koalition hat als Ergebnis der Staatenprüfung in Genf - geprüft
wurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - zusätzlich 150 Millionen Euro für ein Programm zur Förderung von Integrationsunternehmen zur
Verfügung gestellt . Wir haben gemerkt, dass in einigen
Bundesländern ein Moratorium dazu geführt hatte, dass
Integrationsfirmen mit sinnvollen Ideen auf dem ersten
Arbeitsmarkt keine Chance mehr hatten, weil ihnen das
Geld fehlte . Der Bund hat dieses Geld aus seinen Mitteln
zusätzlich bereitgestellt .
({3})
Wir merken, dass dieses Instrument zur Förderung
von Integrationsfirmen auf dem ersten Arbeitsmarkt Stichwort: Mindestlöhne mit entsprechenden tariflichen
Vereinbarungen - auch eine Lotsenfunktion für andere
Unternehmen hat. Diese Integrationsfirmen wissen, wie
man mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern, die sich
etwas hinzuverdienen wollen, umgeht . Unternehmen mit
einer Quote von 30, 35 Prozent beschäftigter behinderter
Menschen können bei einem entsprechenden Produktivitätsausgleich und einem Lohnkostenzuschuss ihre
Marktfähigkeit erhalten .
Eine weitere Konsequenz aus dem Ziel, auf dem ersten Arbeitsmarkt stärker Inklusion zu entwickeln, war,
die Kompetenz der Schwerbehindertenvertretungen zu
stärken . Wir haben dafür gesorgt, dass sie mehr Zeit
haben, um zu beraten: nicht nur die schwerbehinderten
Menschen in einem Unternehmen, sondern auch diejenigen, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen, und
Menschen, die vielleicht Integrationsmaßnahmen, ein
betriebliches Eingliederungsmanagement, etwa nach
einer chronischen Erkrankung, und weitere Instrumente
brauchen, damit ihre Produktivität und ihre Lebenskraft
nicht weiter sinken . Die Humanisierung der Arbeitswelt
auf dem ersten Arbeitsmarkt muss stärker gelebt werden .
Da sind die Schwerbehindertenvertretungen ein ganz
wichtiges Instrumentarium . Deshalb haben wir es insgesamt gestärkt . Ermöglicht wurden mehr Freistellungen,
mehr Unterstützung bei bürokratischen Angelegenheiten .
Wir haben aber auch dafür gesorgt, dass die stellvertretenden Vertrauensleute aufgewertet werden, dass man
mehr im Team arbeiten kann und dass, bevor sich ein
Unternehmen von einem schwerbehinderten Menschen
durch Kündigung trennt, erst einmal die Schwerbehindertenvertretung zu informieren ist und dass darüber beratschlagt wird, wie eine weitere Beschäftigung im Unternehmen stattfinden kann.
({4})
43 Prozent der Frühverrentungen heute finden nicht
wegen Herz-Kreislauf-Problemen oder kaputter Knochen statt, sondern aufgrund von psychischen Erkrankungen . Deshalb ist es so wichtig, mit den Unternehmen,
mit den Schwerbehindertenvertretern Frühwarnsysteme
gegen Burn-out zu installieren und auch ein entsprechendes Gesundheitsmanagement zu organisieren . Da sind
sie unsere natürlichen Bündnispartner . Sie wissen, wie
man mit behinderten Menschen in einem Unternehmen
produktiv arbeiten kann, weil sie die Konzepte kennen
und auch wissen, wie diese Konzepte finanziert werden
können .
({5})
Unser Teilhabebericht enthält eine sehr positive Botschaft: Die Zahl der Betriebe, die keinen schwerbehinderten Mitarbeiter beschäftigen, ist seit 2002 von 58 219
auf 39 101 gesunken . Wir wissen, dass im Rahmen der
Initiative „Wirtschaft inklusiv“ Tausende von Beratungen von Unternehmern darüber stattfinden, wie behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt angestellt und
gefördert werden können . Durch diese Initiative wurden
bereits 1 600 neue Stellen für die Gruppe, die wir heute
in besonderer Weise im Blick haben, geschaffen . Es gab
zur Förderung von Inklusion viele runde Tische von Betriebsräten, Personalräten, Arbeitgebern, also von Vertretern der Arbeitnehmerschaft und der Wirtschaft .
Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen sinkt in Deutschland seit drei Jahren stärker als
die allgemeine Arbeitslosigkeit . Auch das ist eine gute
Nachricht, die letztendlich aus dem, was im Teilhabebericht dargestellt ist, aber auch aus der konkreten politischen Arbeit resultiert . Im Februar 2017 waren 168 964
schwerbehinderte Menschen weniger als im Vorjahr
arbeitslos . Der Rückgang der Anzahl arbeitsloser anerkannt schwerbehinderter Menschen liegt damit bei etwa
5,8 Prozent; der Rückgang der Anzahl Langzeitarbeitsloser liegt dagegen bei etwa 5 Prozent .
Aber: Das Armutsrisiko Schwerbehinderter ist höher .
Deshalb war es wichtig, dass bei der Behandlung dieses
Themas über das Bundesteilhabegesetz die Einkommens- und Vermögensgrenzen angepasst wurden . Das
war ein ganz konkreter Schritt, der das Armutsrisiko verringern wird . 40 Prozent der behinderten Menschen können ihren Unterhalt selbst verdienen, während dies in der
Gruppe der allgemeinen Arbeitnehmerschaft 74 Prozent
sind . Deshalb: Die Freistellung von 30 000 Euro Jahreseinkommen brutto von der Steuer wird dafür sorgen,
dass von den 70 000 Menschen, die anerkannt schwerbehindert und erwerbstätig sind - sie müssen heute ihre
Eingliederungshilfe sozusagen mitfinanzieren -, zukünfUwe Schummer
tig zwei Drittel gar keine Mitfinanzierung mehr leisten
müssen .
Die Anhebung der Vermögensfreigrenze auf
50 000 Euro ist ebenfalls ein ganz zentraler wichtiger
Schritt . Die Anrechnung des Einkommens der Ehepartner und Ehepartnerinnen wird abgeschafft, sodass Liebe
nicht mehr mit Armut Hand in Hand gehen muss .
Die Zahlen im Teilhabebericht stammen aus dem
Jahr 2014 . Viele Maßnahmen, die wir 2016 und 2017
beschlossen haben, werden in den nächsten zwei Jahren
in Kraft treten, das Budget für Arbeit etwa 2018 . Ich bin
von daher sicher, dass wir auf der Grundlage des nächsten Teilhabeberichts sozusagen die Früchte dieser intensiven Arbeit dieser Koalition zur Inklusion, dieser Bundespolitik miteinander debattieren werden .
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Schummer . - Als Nächste
hat das Wort Corinna Rüffer vom Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden heute über die Lebenssituation von
Menschen mit Behinderungen . Das ist so eine Sache .
Ich möchte mit einer Mail einsteigen, die meine Kollegin Elisabeth Scharfenberg kürzlich erreichte . Die Mail
stammt von einer 52-jährigen Frau mit Behinderung .
Diese Frau hat geschrieben:
Ich wurde nach einem Knochenbruch . . . gegen meinen Willen in ein Altenheim abgeschoben . . . . Jeden
Tag werde ich von einer anderen Person gewaschen,
oft bei geöffneter Tür . Ich werde komplett fremdbestimmt, das Essen ist ungenießbar . . . Ich liege nur
im Bett rum und muss schauen, wie der Tag rumgeht . . . . Alles wird über meinen Kopf gegen meinen
Willen bestimmt . . . Immer soll ich alles dankbar akzeptieren . So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt . Das ist menschenunwürdig und inakzeptabel .
Diese Frau hat recht . Das ist menschenunwürdig, und das
ist inakzeptabel .
({0})
Wenn ich mir überlege, was wir hier in den letzten Jahren getan haben, um so etwas zu verhindern, dann muss
ich zugeben: Ich schäme mich . Wir haben im Dezember
ein Teilhabegesetz verabschiedet, mit dem es nach wie
vor möglich ist, behinderte Menschen gegen ihren Willen
in Heime einzuweisen, in Heime zu zwingen, obwohl wir
wissen, dass behinderte Menschen, die in Einrichtungen
leben, mehr von Gewalt betroffen sind als die Durchschnittsbevölkerung . Das steht im Teilhabebericht, und
so stand es auch im letzten Teilhabebericht . Darüber wird
Gott sei Dank, glücklicherweise immer häufiger öffentlich berichtet .
Sicher haben einige von Ihnen vor gut einem Monat
den Bericht von Team Wallraff gesehen; Katrin Werner
hat es vorhin erwähnt . Ich bin sicher: Wenn Sie ihn gesehen haben, dann waren Sie ebenso schockiert wie ich . Da
werden Menschen brutal behandelt . Ihnen wird ein Bein
gestellt . Sie werden schikaniert . Es war die Rede von einem Spastiker, den man regelmäßig gedemütigt hat, nur
weil er sich so bewegt hat, wie er sich bewegt . Er musste
allein im dunklen Zimmer sitzen, bekam keinen Kuchen,
und die Liste der Strafen ist lang .
Das sind leider nicht nur Einzelfälle . Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen eine Einrichtung
der Lebenshilfe in Speyer . Das ist auch richtig und gut
so . Aber es ist schlimm, dass vorher niemand hingeguckt
hat .
Wie gesagt, es geht nicht nur um Einzelschicksale . Vor
zwei Jahren waren wir mit einer Delegation aus Deutschland bei den UN . Die erste Staatenprüfung hat damals
stattgefunden . Wir wurden genau auf diese Punkte hingewiesen . Verändert hat sich aber leider nichts . So kann es
echt nicht weitergehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
Sie hatten in den letzten drei Jahren wirklich alle Chancen . Sie haben diese Chancen nicht genutzt . Das Teilhabegesetz wird die Situation von behinderten Menschen
in diesem Land vermutlich an kleinen Stellen ein wenig
verbessern, aber das ist ein bisschen so, wie wenn man
einen großen Kuchen vor sich hat, aber nur Krümel abbekommt . Das ändert nämlich nichts daran, dass es weiterhin Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten gibt . Man
stößt auf diese Ungerechtigkeiten, auf diese Grausamkeiten, wenn man Kontakt zu Menschen mit Behinderungen hat oder wenn man selber eine Behinderung hat . Es
wäre gut, wenn im nächsten Deutschen Bundestag mehr
Menschen mit Behinderungen vertreten wären, um hier
in eigener Sache sprechen zu können .
({1})
Ich möchte noch einmal konkret werden und auf die
Situation behinderter Geflüchteter und Asylsuchender zu
sprechen kommen . Der Teilhabebericht - das ist gut widmet dieser Personengruppe ein ganzes Kapitel . Ein
konkretes Beispiel: Ich habe vor ziemlich genau einem
Jahr einen gehörlosen Syrer kennengelernt, der hier in
Deutschland Asyl beantragt hat . In der letzten Woche
sollte die Anhörung beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge stattfinden. Obwohl dem Bundesamt mehrfach mitgeteilt wurde, dass dieser Mensch gehörlos ist,
stand kein Gebärdendolmetscher zur Verfügung . Und
dann passierte der Skandal . Er kam zum Bundesamt .
Die haben ihm dann eine Auflage erteilt: Er müsse einen
gesetzlichen Betreuer an die Seite gestellt bekommen,
damit das Bundesamt die Anhörung durchführen könne .
Es ist unfassbar, dass hier ein Mensch entrechtet werden
soll, weil das Bundesamt nicht in der Lage ist, eine barrierefreie Anhörung durchzuführen . Das ist wirklich völlig
inakzeptabel!
({2})
Dass es auch hier wieder nicht um einen misslichen
Einzelfall geht, wissen Sie auch; denn die Monitoringstelle hat vor einiger Zeit einen Bericht dazu vorgelegt . Auch der Teilhabebericht geht auf die Probleme in
diesem Bereich deutlich ein . Das Problem ist, dass Sie
als Bundesregierung keine passenden - eigentlich keine - Konsequenzen daraus ziehen .
Meine Fraktion hat eine umfangreiche Kleine Anfrage zu dem Themenkomplex gestellt und in dieser Woche auch eine Antwort erhalten . Ich muss Ihnen leider
sagen: Diese Antwort ist Beleg für Ihre ignorante Haltung gegenüber der zum Teil verzweifelten Situation von
Geflüchteten in diesem Land. Ich kann natürlich leider
nicht auf alle Details dieser Kleinen Anfrage eingehen .
Deswegen gebe ich nur ein Beispiel . Wir haben zum Beispiel gefragt, ob die Bundesregierung die Ansicht teilt,
dass sich eine schlechte Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln nachteilig auf die Gesundheit Geflüchteter auswirkt und auch zu sozialen Problemen führen kann . Und
was antworten Sie, meine Damen und Herren? Die Frage
setzt gedanklich voraus, dass die Versorgung von Flüchtlingen mit Behinderung mit Heil- und Hilfsmitteln im
Bundesgebiet mangelhaft wäre . Dies entspricht jedoch
nicht der Auffassung der Bundesregierung .
Ich sage Ihnen aber: Es kommt nicht auf die Auffassung der Bundesregierung an . Ich würde Ihnen aus den
Fraktionen von Union und SPD empfehlen: Sprechen Sie
doch einmal mit Ihrer Regierung, und sagen Sie ihr, dass
Sie ihren eigenen Teilhabebericht bitte auch einmal lesen
soll .
({3})
Insbesondere der Wissenschaftliche Beirat weist im Teilhabebericht darauf hin, dass es eine Unterversorgung
gibt und dass sich deswegen natürlich der Gesundheitszustand der entsprechenden Personen - was denn auch
sonst? - verschlechtert . Daran wird sich nichts ändern,
solange Sie erklären, dass hier alles in Ordnung ist, obwohl das nicht der Fall ist .
Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in Bezug auf viele Punkte die Länder zuständig sind . Das entlässt uns als Bund aber doch nicht aus der Verantwortung .
Wir könnten viel tun . Zum Beispiel könnten wir endlich
das unsägliche Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen .
({4})
Wir könnten uns einen Überblick darüber verschaffen,
wie viele behinderte Menschen aus dem Ausland nach
Deutschland gekommen sind und was ihre Bedarfe sind .
Das tun wir bisher nicht . Die UN haben uns auch darauf
eindrücklich hingewiesen und gesagt, dass wir strukturelle Probleme haben, die wir lösen müssen .
Sie behaupten, die gesetzlichen Regelungen - insbesondere im Asylbewerberleistungsgesetz - in Bezug auf
asylsuchende und geduldete Menschen mit Behinderung
stünden im Einklang mit der UN-BRK . Ich entgegne Ihnen: Das kann ich nur als schlechten Witz auffassen .
Es gäbe noch sehr viel zu sagen . Der Teilhabebericht Frau Lösekrug-Möller hat ihn hier hochgehalten - umfasst 500 Seiten . Natürlich können wir hier nicht über
alle einzelnen Punkte diskutieren . Wir können an dieser
Stelle aber feststellen, dass es so nicht weitergehen darf,
dass wir endlich handeln müssen .
({5})
Der Teilhabebericht zeigt, dass von gleichberechtigter
Teilhabe und gleichwertigen Lebensbedingungen nicht
die Rede sein kann . Die Menschenrechte behinderter
Menschen werden in unserem Lande eingeschränkt . Sie
werden zum Teil missachtet . Das ist inakzeptabel . Dies
ist und bleibt ein Skandal . Ich rufe Sie auf, dass wir endlich gemeinsam, und zwar konsequent, dagegen vorgehen .
Danke .
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer . - Als Nächste hat
Dr . Astrid Freudenstein von der CDU/CSU das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir alle, die wir hier
sitzen, gemerkt, dass die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung eine ganz neue Dimension erreicht hat - eine normale Dimension, möchte ich dazu
sagen . Die Demonstrationen im Zuge des Bundesteilhabegesetzes haben gezeigt, dass ein neues politisches
Selbstbewusstsein unter den Menschen mit Behinderung
entstanden ist . Die aktive Teilnahme an Entwicklungen
und Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen,
ist ein Grundprinzip der Demokratie . Mit Demonstrationen, mit Hintergrund- und Fachgesprächen oder als
Experten bei Anhörungen haben sich die Menschen mit
Behinderung vielfältig am politischen Prozess beteiligt .
Der Teilhabebericht bestätigt diese Wahrnehmung: Das
aktive politische und zivilgesellschaftliche Engagement
von Menschen mit Behinderung ist in den vergangenen
Jahren deutlich stärker geworden, und das ist gut so .
({0})
Es ist vor allem deshalb gut, weil in anderen Bereichen durchaus noch Handlungsbedarf besteht, um dem
Ziel der gleichberechtigten Teilhabe näherzukommen .
Und um diesen Handlungsbedarf zu lokalisieren und
dann zu beseitigen, ist eben die Mithilfe der Menschen
mit Behinderung wichtig . Aber auch Instrumente wie
dieser Teilhabebericht können einer ersten Orientierung
dienen . Aus dem vorliegenden Bericht möchte ich einige
Punkte herausgreifen, die ich für besonders wichtig halte .
Ein erster Knackpunkt ist sicher die deutlich höhere
Arbeitslosigkeit unter den Menschen mit Behinderung .
Zwar ist die Quote in den vergangenen Jahren gesunken,
sie lag 2015 aber immer noch 5 Prozentpunkte über der
allgemeinen Quote . Weiterhin dauert die Arbeitslosigkeit
von Menschen mit Behinderung auch deutlich länger an .
Durchschnittlich können sie diese erst nach einem Jahr
beenden . Auch deshalb sehen 34 Prozent der Arbeitsuchenden mit Beeinträchtigungen die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen, als praktisch unmöglich an . Das
sind doppelt so viele wie unter den nicht beeinträchtigten
Arbeitsuchenden, und das sind natürlich Zahlen, die eindeutig sind und die uns beunruhigen müssen . Wir müssen
jedenfalls noch deutlich mehr als bisher auf die individuelle Situation der Betroffenen eingehen und mehr über
ihre Schwierigkeiten erfahren .
Aus welchen Gründen werden die Menschen arbeitslos, und in welche anderen gesellschaftlichen Teilsysteme gehen sie über: in Arbeit, in Bildung, in Reha, in
Rente, in Mutterschaft? Einzelne Projekte zeigen bereits,
wie es gehen könnte . In Bayern beispielsweise gibt es
das Projekt LASSE, das individuelles Coaching und eine
intensive Begleitung durch die Integrationsfachdienste
für langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderung bietet . Die Erfolgsquoten sind durchaus vielversprechend .
Daneben müssen wir die Arbeitgeber zu noch mehr Einsatz motivieren . Eine höhere Ausgleichsabgabe halte ich
dabei für wenig produktiv . Sie würde nur das Vorurteil
bestärken, dass behinderte Arbeitnehmer eine Belastung
seien . Das Bundesteilhabegesetz wird in diesem Bereich
mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen bringen, zum Beispiel durch die damit einzuführenden unabhängigen Beratungsstellen und die vereinfachten Verfahren .
({1})
- Ja, das ist gut .
({2})
Das Budget für Arbeit soll den Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern . Arbeitgeber erhalten dabei bis zu 75 Prozent Lohnkostenzuschuss - ich hoffe, das hören jetzt viele -, wenn sie einen
schwerbehinderten Arbeitnehmer einstellen . Die Lösung
des Problems sind diese Maßnahmen natürlich noch
nicht, aber sie werden für viele Menschen Verbesserungen bringen .
({3})
Neben den Daten zur Arbeitslosigkeit gibt es auch
noch erfreulichere Nachrichten vom Arbeitsmarkt . Die
Schwerbehindertenbeschäftigungsquote hat sich von
3,8 Prozent im Jahr 2002 auf jetzt 4,7 Prozent erhöht damit nähert sie sich immerhin dem gesetzlich vorgeschriebenen Wert von 5 Prozent an -, und die Anzahl der
beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, die gar keinen
schwerbehinderten Menschen beschäftigen, ist seit 2002
von fast 60 000 auf unter 40 000 gesunken . Die Zahlen
zeigen also: Es geht voran . Es ist aber natürlich noch ein
weiter Weg zur gleichberechtigten Teilhabe . Und: Zwischen den einzelnen Bundesländern - auch das will ich
hier sagen - gibt es teilweise ganz erhebliche Unterschiede .
Zum Persönlichen Budget . Die Möglichkeit, Teilhabeleistungen mit größtmöglicher Selbstbestimmung zu
beziehen, wird immer mehr angenommen . Zwischen
2010 und 2014 - das sind die aktuellsten Zahlen - stieg
die Zahl der Budgetnehmer um 80 Prozent . Wenn das so
weitergeht, können wir davon sprechen, dass sich diese
Leistungsform auch wirklich etabliert hat . Das wäre ganz
im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention .
Der Teilhabebericht zeichnet also ein sehr differenziertes Bild der Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland . Aus dem Bericht wird deutlich,
dass wir zwar einige Daten zum Leben von Menschen
mit Behinderung in Deutschland haben, Erklärungen für
einige Unterschiede trotzdem schwierig sind . Dazu fehlen oft auch nähere Analysen . Wir sollten uns deshalb mit
allzu einfachen Erklärungen nicht zufriedengeben .
Selbst nach diesem fast 600-seitigen Bericht kann ich
nur sagen: Wir brauchen teilweise immer noch mehr Informationen für die Beteiligten, zum Beispiel für Menschen mit Behinderung: Was steht mir zu? Wo kann ich
es beantragen? Hier setze ich ganz große Hoffnungen in
die unabhängigen Beratungsstellen, die durch das Bundesteilhabegesetz entstehen werden . Und wir brauchen
mehr Informationen für die Arbeitgeber: Welche Hilfen
und Zuschüsse kann ich wo beantragen? Wer kann mich
bei der Integration des behinderten Menschen in meinem
Betrieb unterstützen? Die Initiative „Wirtschaft inklusiv“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gut funktionieren
kann .
Meine Damen, meine Herren, der Prozess zu einer
gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung läuft . Er stockt nicht . Das zeigt der Bericht sehr
deutlich . Trotzdem könnte es an der einen oder anderen
Stelle schneller vonstattengehen . Ich würde mir deshalb
wünschen, dass wir in diesem Hause alle gemeinsam
weiter an guten Lösungen arbeiten - Seite an Seite mit
den Menschen mit Behinderung .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein . - Als
Nächste spricht die Beauftragte der Bundesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Frau
Verena Bentele .
({0})
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort
„Teilhabe“ ist für mich als die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen ein wesentlicher Pfeiler meiner Arbeit .
„Teilhabe“ heißt in meinen Augen aber noch viel
mehr . Es heißt nämlich: die aktive Gestaltung der Gesellschaft, in der wir leben wollen . Und zwar durch und
von Menschen mit Behinderungen . Um aktiv gestalten
zu können, benötigen Menschen mit Behinderungen jedoch Rahmenbedingungen wie beispielsweise leichte
Sprache, Gebärdensprachdolmetscher und Assistenz für
gesellschaftliches oder politisches Engagement, und,
meine sehr geehrten Damen und Herren, sie brauchen
das Recht und die Möglichkeit, sich zu entscheiden, vor
allem zu wählen .
({1})
Haben alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
das Recht, zu wählen? Nein, meine sehr geehrten Damen
und Herren Abgeordnete, wir haben in Deutschland über
81 000 Menschen, die unter rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheiten stehen, die weder ein aktives noch
ein passives Wahlrecht haben. Das darf definitiv nicht
sein .
({2})
Menschen mit Behinderungen sollen entscheiden dürfen, wer ihre Interessen vertritt . Wenn Sie, meine Damen
und Herren Abgeordnete, wollen, dass sich Menschen
unter rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheiten
für Sie als ihre Abgeordneten entscheiden können, dann
reformieren Sie bitte unser Bundes- und Europawahlgesetz .
({3})
Wofür benötigen wir einen Bericht über die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen? Teilhabe macht deutlich, wo dringender politischer Handlungsbedarf besteht .
Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hat in
dieser Legislatur Fortschritte gemacht . Dafür danke ich
den Koalitionsfraktionen, insbesondere Andrea Nahles,
die Gesetze für Menschen mit Behinderungen auf den
Weg gebracht und abgeschlossen hat .
({4})
Teilhabe zu verbessern, ist und war das Ziel des Behindertengleichstellungsgesetzes . Wesentliche und wichtige Ergebnisse sind beispielsweise die Bundesfachstelle
Barrierefreiheit oder auch die Einführung einer unabhängigen Schlichtungsstelle .
Im Teilhabebericht 2016 ist zu lesen, dass der Anteil
der Menschen mit Beeinträchtigungen an der aktiven politischen Teilhabe und Gestaltung der Gesellschaft von
8 Prozent im Jahr 2009 auf 12 Prozent im Jahr 2013 gestiegen ist . Und auch ich bin mir sicher, dass die Zahl
heute insbesondere nach dem Gesetzgebungsverfahren
zum Bundesteilhabegesetz deutlich höher ist .
Der aktuelle Teilhabebericht liefert uns wesentliche
und wichtige Erkenntnisse und sei allen, vor allem jetzt
in einem Wahljahr, zur Lektüre sehr ans Herz gelegt . Ich
habe mir zwei Themenfelder noch einmal besonders herausgegriffen .
Eine Zahl: Nur 40 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland können hauptsächlich von
ihrem Erwerbseinkommen leben - nur 40 Prozent! Bei
den Menschen ohne Beeinträchtigungen sind das fast
doppelt so viele, nämlich 74 Prozent . Menschen mit Beeinträchtigungen sind - auch aufgrund dieser Tatsache deutlich stärker von dem Risiko, arm zu sein, betroffen .
Deswegen ist es für mich jede Anstrengung wert - von
Ihnen als Parlament, von der Bundesregierung, aber auch
von der Gesellschaft, von den Arbeitgebern -, an dieser
Situation für Menschen mit Behinderungen schnellstmöglich einiges zu ändern .
({5})
Menschen mit Beeinträchtigungen haben durch Arbeit
nicht nur die Möglichkeit, ihr Erwerbseinkommen zu erwirtschaften, sondern auch deutlich bessere Möglichkeiten, soziale Kontakte aufzubauen und an der Gesellschaft
teilzuhaben .
An einer Stellschraube wurde gedreht: Durch die Verbesserungen bei der Anrechnung des Einkommens und
Vermögens der Bezieher von Eingliederungshilfe wurde
mehr Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeit
zum Ersparen eines Vermögens gegeben . Wir haben hier
einen wichtigen Schritt gemacht, sind aber - das sage ich
als Behindertenbeauftragte - noch längst nicht am Ende
der Fahnenstange .
({6})
Auch das bleibt ein Projekt für die Zukunft .
Viele Menschen mit Beeinträchtigungen brauchen
aber deutlich bessere Chancen für einen Neueinstieg ins
Berufsleben oder für eine Weiterbeschäftigung; denn hier
liegt in meinen Augen der Schlüssel . Wenn Menschen
durch einen Unfall, eine Erkrankung oder durch altersbedingte Einschränkungen eine Veränderung in ihrem Leben erfahren, brauchen sie die Möglichkeit, am inklusiven Arbeitsmarkt mit ihren Ressourcen und Fähigkeiten
wertgeschätzt zu werden .
Zur Herstellung von Barrierefreiheit leisten die
Schwerbehindertenvertretungen, deren Rechte durch das
Bundesteilhabegesetz gestärkt wurden, tagtäglich einen
wesentlichen und großartigen Beitrag . Ich möchte ihnen
allen auch an dieser Stelle für die hervorragende Arbeit
danken, die sie tagtäglich leisten .
({7})
Meine Damen und Herren, die Weichen für den Einstieg ins Berufsleben und für Teilhabe werden aber zu einem anderen Zeitpunkt gestellt, nämlich am Anfang des
Lebens . Davon kann ich ein Lied singen . Die Teilhabe
fängt in der Kita und in der Schule an . Lernorte für alle
Kinder sind die Grundlage für eine Gesellschaft, in der
Verena Bentele
das Anderssein ganz normal ist und in der das Besondere
jedes Menschen geschätzt und gewürdigt wird .
({8})
Deswegen halte ich die Debatten - auch jetzt in den
Landtagswahlkämpfen -, ob wir überhaupt inklusive Bildung wollen, für völlig überflüssig.
({9})
Das Thema der Debatte kann doch heute nur noch lauten:
Wie wollen wir die inklusive Bildungslandschaft umsetzen, und welche Ressourcen haben wir zur Verfügung,
um endlich für alle Kinder und Jugendlichen inklusive
Lernorte zu generieren?
Auch hierzu möchte ich eine Zahl nennen: Was passiert eigentlich bei den Berufsabschlüssen? Zunächst
einmal zurück zu den Schulen: Wir haben laut Teilhabebericht - das kam auch vorhin schon - eine steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen an inklusiven
Schulen, aber dies geht nicht mit einer sinkenden Anzahl
von Schülerinnen und Schülern an Förderschulen einher .
Das ist, wie ich finde, definitiv nicht haltbar.
({10})
Liebe Frau Bentele, achten Sie bitte ein bisschen auf
die Zeit?
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen:
Okay . Ich bin gleich fertig . Es tut mir leid, aber Teilhabe ist einfach so ein umfassendes Thema
({0})
Ganz kurz noch eine Zahl zu den beruflichen Abschlüssen . 21 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen, fast doppelt so viele wie bei den Menschen ohne
Behinderungen - bei ihnen sind es nur 12 Prozent -,
haben keinen Berufsabschluss, und das sind deutlich zu
viele .
Lassen Sie mich noch eine ganz wesentliche Sache
sagen . Wir müssen dringend mehr über die Lebenslagen
von Menschen mit Beeinträchtigungen wissen . Deswegen ist es gut, dass es eine neue Repräsentativumfrage
gibt, die Andrea Nahles im letzten Jahr in Auftrag gegeben hat . Diese wird über fünf Jahre hinweg laufen und
uns wirklich wesentliche Erkenntnisse über die Teilhabemöglichkeiten und die Lebenslagen von Menschen mit
Beeinträchtigungen bringen, und das ist wesentlich für
politisches Handeln .
Eine Erkenntnis haben wir jedoch schon: Für mich ist
in der nächsten Legislatur einer der entscheidenden und
wichtigen Punkte, dass wir endlich auch im zivilrechtlichen Bereich bei der Herstellung von Barrierefreiheit
weiterkommen müssen, nämlich durch die Verpflichtung
der Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur
Herstellung von Barrierefreiheit im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz - damit wir im nächsten Teilhabebericht lesen: Menschen mit Beeinträchtigungen können in
allen Lebenssituationen gleichberechtigt teilhaben .
Danke schön .
({1})
Vielen Dank, Frau Bentele . Wir hier oben waren,
glaube ich, sehr großzügig . Es ist ein wichtiges Thema,
und ich habe an der Resonanz aller Kollegen gesehen,
dass man da nicht gleich unterbrechen sollte . - Nächste
Rednerin ist jetzt Frau Jutta Eckenbach von der CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es heute schon mehrmals gehört: Der Teilhabebericht
umfasst rund 500 Seiten . Ich habe mir die Frage gestellt:
Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass der
Bericht so umfangreich ist? Geht es um gelungene und
gute Teilhabe und Inklusion, oder ist der Handlungsbedarf noch so groß? Der Bericht spiegelt sicherlich beide
Seiten wider .
Wir haben in den letzten Jahrzehnten viel dazugelernt,
und wir haben viel erreicht . Wir haben Menschen mit Behinderungen durch das Behindertengleichstellungsgesetz
und durch das neue Bundesteilhabegesetz eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht . Das waren zwei
wichtige Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, aber der Nationale Aktionsplan 2 .0 gibt uns auch
zukünftig noch einiges zu tun .
Das Bundesteilhabegesetz ist entstanden unter der
Mitwirkung vieler Betroffener, Organisationen, Vereine
und Verbände . Es wurden wirklich gute Gespräche geführt . Ich glaube, dass es besser ist, miteinander zu sprechen als übereinander . Das ist der richtige Weg .
Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auf eine Einschränkung hinzuweisen, auf die wir achten müssen . Kürzlich
war der LVR, der Landschaftsverband Rheinland, zu Gast
hier in Berlin; Frau Rüffer, Uwe Schummer und Hubert
Hüppe waren auch dort . Dieses Treffen bot uns die Gelegenheit, mit Menschen mit Behinderungen zu sprechen .
Irgendwann stand eine Frau mit Behinderungen auf und
sagte: Dieses Gesetz macht mir Angst . - Angesichts der
vielen Gespräche, die ich mitbekommen habe, sagen ich
Ihnen: Wir müssen aufpassen, wie wir mit den Menschen
reden, wenn wir mit ihnen über ein Gesetzesvorhaben reden . Bei manchen ist die Reaktion: „Boah, jetzt ändert
sich was“, bei anderen ist die Reaktion: Jetzt bekomme
ich Angst . - Das ist eine schwierige Situation . Deswegen
ist es wichtig, zu überlegen, wie wir die Prozesse angehen und wie wir auch zukünftig mit Menschen mit BeVerena Bentele
hinderungen darüber reden, was wir mit ihnen per Gesetz
vorhaben. Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Hinweis.
({0})
- War das eine Zwischenfrage? Darüber können wir
gleich noch einmal sprechen, Frau Rüffer .
Alle Kolleginnen und Kollegen hier haben viele Gespräche geführt . Wir waren auch vor Ort in den Einrichtungen und haben dort mit vielen Menschen gesprochen .
Da ich seit vielen Jahren für den LVR tätig bin, habe ich
auch mit Menschen mit Behinderungen gesprochen .
Ich finde es wichtig, dass wir nicht nur über die großen
Einrichtungen sprechen, sondern wir müssen auch über
die kleinen Einrichtungen sprechen . Ich habe vor einiger
Zeit eine der Arche-Wohngemeinschaften in Essen besucht . Das ist so eine kleine Einrichtung . Dort habe ich
einen jungen Mann kennengelernt, der gerade neu eingezogen war . Zuvor hatte er bei seiner Familie gelebt, seine Mutter hatte ihn bisher versorgt . Bei meinem Besuch
saß er ganz verschüchtert und traumatisiert in der Ecke .
Ich habe versucht, ihn anzusprechen, aber da er nicht
antwortete, habe ich es sehr schnell sein gelassen . Als
die Arche-Wohngemeinschaft ihr 16-jähriges Bestehen
gefeiert hat, war ich wieder vor Ort . Die Feier fand an
einem Sonntagnachmittag statt, es wurde ein ökumenischer Gottesdienst abgehalten . Als ich einen großen Saal
betrat, kam mir dieser junge Mann entgegen . Er lief fröhlich herum und hatte einen Hut auf . Ich habe mich sehr
gefreut, ihn so fröhlich zu sehen und habe ihm das auch
gesagt, woraufhin er mich umarmte . Er war vollkommen
in der Gemeinschaft angekommen .
Gerade wenn wir über die Teilhabeberichte diskutieren, ist es wichtig, dass wir nicht nur über die schlechten
Dinge reden, sondern dass wir auch über das Gute reden,
das wir erreichen, über die vielen Möglichkeiten, über
die ganz unterschiedlichen Ansätze, die wir in der Behindertenpolitik verfolgen . Wir brauchen Vielfalt; denn
jeder Mensch mit Beeinträchtigungen ist anders . Auch
diese Menschen sind nicht alle gleich . Jeder Mensch ist
ein Individuum . So wie wir alle unterschiedlich sind, so
sind es eben auch die Menschen mit Behinderungen .
Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Punkt
eingehen: Ich rede von Bildung . Ich komme aus dem
wunderschönen Land Nordrhein-Westfalen, aus der
wunderschönen Kulturhauptstadt Essen . Wie ist die Situation in den Regelschulen in Nordrhein-Westfalen? Die
Grundschulen in Nordrhein-Westfalen haben im Schnitt
28 Schüler pro Klasse, in inklusiven Klassen sind es
25 Schüler . Die Raumkonzeption der Schulen ist nicht
darauf ausgerichtet, Schüler und Schülerinnen inklusiv
zu unterrichten . Die Schulen haben auch nicht die notwendigen Förderlehrer, um die Kinder inklusiv zu unterrichten . - Wir schränken die Förderschulen ein, um Kinder in nicht gut ausgestattete Regelschulen zu schicken .
Wir überfrachten damit die Lehrer und nehmen auch die
Eltern zum Teil nicht mit . Das ist für mich keine Bildungspolitik, die Inklusion wirklich beinhaltet .
({1})
Das sollten wir, verdammt noch mal, wirklich ändern .
Das regt mich auf! Wir tun so, als hätten wir an dieser
Stelle schon unser Bestes erreicht .
({2})
Nein, das haben wir nicht! Wir schaden den Kindern, und
wir schaden dem gesellschaftlichen Anspruch auf Inklusion .
({3})
Ich will einen weiteren Punkt nennen: die Werkstätten . Damit bin ich wieder bei dem einzelnen Menschen
mit Behinderung . Wir tun ja immer so, als könnten wir
für alle Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen . Ich glaube das nicht . Die meisten Werkstätten für
Behinderte sind nicht außerhalb, sondern in den Städten .
Sie sind nicht weit draußen, sondern da, wo auch andere
Menschen sind . Wer eine solche Werkstatt besucht, sieht,
wie die Menschen dort zum Teil sehr einfache Arbeiten
erledigen - ja, aber sie tun das mit Freude . Sie gehen gerne in die Werkstatt . Sie gehen sogar dann noch dorthin,
wenn sie dem Arbeitsmarkt eigentlich nicht mehr zur
Verfügung stehen würden, wenn sie im Rentenalter sind .
Sie werden morgens zu Hause abgeholt, sie können teilhaben und mitwirken - im Rahmen ihrer Möglichkeiten .
({4})
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, den wir
wirklich überdenken sollten . Wir reden immer ganz viel
über Assistenzleistungen, wir sagen, dass wir den Menschen im gesundheitlichen Bereich helfen müssen, wir
sagen, dass wir für die Menschen sorgen müssen, und wir
reden darüber, dass bei der Pflege in den Krankenhäusern
zusätzliche individuelle Leistungen notwendig sind . Mir
wäre es lieb, wenn wir sehr viel stringenter darüber nachdenken würden, wie wir den inklusiven Gedanken in den
Ausbildungen der Kindererzieherinnen und der Pflegerinnen und Pfleger verankern können.
({5})
Das ist noch nicht der Fall . Dieses Thema gehört aber
in die Ausbildung hinein . Genauso gehört es in das Studium der Ärzteschaft, damit ich nicht nach einem Arzt
suchen muss, der sich mit Menschen mit Behinderungen
auskennt . Wir brauchen in der Breite des gesundheitlichen Bereichs Ärzte, die wissen, wie sie mit Menschen
mit Behinderungen umgehen sollen . Ich glaube, das ist
dringend nötig . Es muss allgemein bekannt werden, wie
man mit Menschen mit Behinderungen umgeht . Das ist
auch wichtig, damit Behinderungen frühzeitig erkannt
werden .
Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind . Wir
alle haben erkannt, dass wir in den vergangenen vier
Jahren einen kleinen Schritt oder einen größeren Schritt
gemacht haben .
({6})
Ich weiß, dass wir seitens der CDU/CSU-Fraktion uns
diesem Thema weiterhin sehr stringent nähern werden .
Wir werden nicht nur sehr darauf achten, dass es jedem
Menschen mit Behinderung in Deutschland gut geht,
sondern auch darauf, dass er teilhaben kann .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Eckenbach . - Jetzt
hat als letzte Rednerin in dieser Aussprache das Wort
Frau Kerstin Tack von der SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der zweite Teilhabebericht der Bundesregierung
beschreibt die Lebenslage von Menschen mit Behinderung im Zeitraum von 2005 bis 2014, also in einem
Zeitraum bis vor drei Jahren . Ich freue mich sehr, dass
sich der zweite Bericht qualitativ sehr stark vom ersten
Bericht unterscheidet . Bei dem ersten Bericht hatten wir
noch zu beklagen, dass der Beschreibung der Lebenslagen eine sehr unzureichende Datenbasis zugrunde lag .
Dieser zweite Bericht ist qualitativ deutlich besser, und
es besteht die Möglichkeit, wenn man die beiden Datenblätter nebeneinanderhält, Entwicklungen nachzuvollziehen .
Er beinhaltet Lebensbereiche wie Familie und soziales
Netz, Bildung und Ausbildung, Erwerbsarbeit, materielle
Lebenssituation, alltägliche Lebensführung, Gesundheit,
Freizeit, Kultur und Sport, Sicherheit, Schutz der Person sowie politische und gesellschaftliche Teilhabe . Er
beschreibt also einen sehr umfangreichen Lebensbegriff
und fokussiert sich nicht nur auf Teilbereiche . Es ist auch
sehr interessant, zu sehen, wie er sich vertiefend mit den
Fragestellungen Migrationshintergrund und Wohnungslosigkeit von Menschen mit Beeinträchtigung befasst .
Nun haben wir natürlich die Erwartungshaltung, dass
wir diejenigen Maßnahmen, die wir in dieser Legislaturperiode für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigung umgesetzt haben, im nächsten Teilhabebericht, der
dann einen Zeitraum umfasst, für den wir hier in dieser
Koalition Verantwortung tragen, spürbar nachvollziehen
können .
Da haben wir in dieser Legislaturperiode, wie ich meine, eine beachtliche Bilanz vorzuweisen . Das Teilhabegesetz, das hier ja schon mehrfach angesprochen wurde,
ist ja nur ein kleines Segment bei der Umsetzung der Arbeit für Menschen mit Beeinträchtigung .
Wir haben für den Bereich des Arbeitsmarktes mit der
unterstützten Beschäftigung, mit dem Budget, mit dem
Ausbau der Inklusionsbetriebe meines Erachtens Gutes
auf den Weg gebracht . Wir haben die Strukturen für Menschen mit Beeinträchtigung massiv ausgebaut - mit der
unabhängigen Beratung, die ab dem nächsten Jahr losgehen wird, mit der Schlichtungsstelle, die wir neu eingeführt haben, mit dem Ausbau der Fachstelle für Barrierefreiheit .
Wir haben das Thema Barrierefreiheit insgesamt weiter nach vorne gebracht und die Barrierefreiheit insbesondere mit einer Neuauflage der Unterstützung für den
Umbau von Wohnungen zu barrierearmem und barrierefreiem Wohnraum ganz neu wieder in das Programm der
Förderung des Bundes aufgenommen . Wir haben bei der
Frage der inklusiven Bahnhöfe neue Programme aufgelegt, und das ist auch wichtig . Die Fernbusrichtlinie ist
ein weiteres Beispiel . Wir haben den Städten mehrere
Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit auch sozialer Raum und Sozialräume inklusiv gestaltet werden
können .
({0})
Meines Erachtens kann sich das sehen lassen . Es ist eben
mehr als nur der Fokus auf die reformierte Eingliederungshilfe .
Wir haben im Gesundheitsbereich nicht nur mit den
Pflegestärkungsgesetzen, sondern vor allen Dingen mit
der Einführung der sozialpädiatrischen Zentren für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung viel erreicht
und umgesetzt .
Wir haben die Prävention gestärkt, indem wir im
Rahmen des Programms BeSt beraten und junge Menschen stärken . Insbesondere für Frauen mit Beeinträchtigung, die in ganz wesentlicher Weise Opfer sexuellen
Missbrauchs werden können, haben wir ein eigenes Programm aufgelegt .
({1})
Wir haben mit der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“
endlich Unterstützungsmöglichkeiten für diejenigen geschaffen, die in Einrichtungen der Psychiatrie oder der
Behindertenhilfe Erfahrungen mit sexueller Gewalt und
anderer Gewalt gemacht haben . Wir haben nach dem
Grundsatz „Nein heißt nein!“ endlich die Frage der Strafbarkeit von sexuellen Handlungen in Angriff genommen .
Bisher war im Gesetz bei Taten gegen Frauen mit Beeinträchtigung als besonders Schutzbedürftigen keine
vergleichbare Bestrafung der Täter vorgesehen wie bei
sexuellen Handlungen gegen Frauen ohne Beeinträchtigung . Das haben wir Gott sei Dank in dieser Legislaturperiode endlich geändert . Wir haben die Frauenbeauftragten in die Werkstätten hineingebracht .
({2})
Ich glaube, es ist ein sehr breiter Strauß an Maßnahmen, die wir in dieser Legislaturperiode vorgenommen
haben, um zu dokumentieren, dass es nicht nur um die
Reform der Eingliederungshilfe geht, sondern auch um
die Lebenslagen an ganz unterschiedlichen Stellen, und
wir glauben und sind uns auch sehr sicher, dass das natürlich Einfluss auf die Lebenslagen haben wird und wir
das in künftigen weiteren Berichten auch sehen werden .
Selbstverständlich haben wir weiteren Handlungsbedarf in all den Feldern, die hier heute schon mehrfach
deutlich dokumentiert sind . Aber wir können auch sagen:
Diese Koalition hat in dieser Frage massiv geliefert, und
darauf können wir zu Recht stolz sein .
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Ich schließe die Aus-
sprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10940 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und
Forschung
Drucksache 18/11100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Dr . Frithjof Schmidt, Claudia Roth
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine Internationalisierungsstrategie von
Wissenschaft und Forschung, die Pluralität
und Freiheit schützt, Grenzen überwindet und
Zusammenhalt stärkt
Drucksache 18/10359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Zunächst hat das Wort
Frau Dr . Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion .
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Besucher auf der Tribüne . Gut Ding will Weile haben . Doch wenn wir heute über die neue Strategie
der Bundesregierung für die Internationalisierung von
Bildung, Wissenschaft und Forschung diskutieren, dann
habe ich den Eindruck: Sie kommt genau zum richtigen
Zeitpunkt .
({0})
Noch nie war sie so wertvoll wie heute .
({1})
Der Brexit, der Einreisestopp in den USA - uns allen fallen, glaube ich, noch viele Beispiele für einen sich
zunehmend isolierenden neuen Nationalismus ein, den
wir an so vielen Stellen erleben . Dieser hat Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften im Allgemeinen
und natürlich auch auf Wissenschaft und Forschung im
Besonderen . Wie gut, dass die Bundesregierung in ihrer
Strategie diesbezüglich eine gänzlich andere Haltung
einnimmt . Nicht Abschottung, sondern Offenheit ist Garant für Spitzenforschung und Innovation,
({2})
oder wie Professor Mlynek das in der Vorstellungspressekonferenz auf den Punkt gebracht hat: Der wahre Egoist kooperiert .
Klar: Wir müssen intensive internationale Kooperationen schmieden, wenn wir unseren eigenen Wissenschaftsstandort stärken und damit am Ende unseren
Wohlstand sichern wollen . „Internationale Kooperation:
vernetzt und innovativ“ - unter diesem Leitmotiv lotet
die neu aufgelegte Strategie die Wege genau dorthin aus
und positioniert sich deutlich gegen jede nationalistische
Verengung . Das macht sie so wichtig .
({3})
Internationalisierung geschieht in verschiedenen
Dimensionen . Die Menschen sind heute mobiler als je
zuvor . Das gilt auch für die angehenden und arrivierten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler . Sie überqueren Ländergrenzen, um voneinander zu lernen, miteinander zu forschen, sich mit Kollegen auszutauschen und in
internationalen Projekten gemeinsam zu arbeiten . Brain
Circulation ist der Fachbegriff dafür . So nennen wir es,
wenn sich Talente möglichst frei über den Globus bewegen . Wissenschaft - ich glaube, da sind wir uns einig ist per definitionem länderübergreifend. Der Austausch
von Wissen, Daten und Erkenntnissen ist zentral für gute
Wissenschaft . Die eigentlichen Spitzenergebnisse werden und können nur in internationalen Teams erreicht
werden . Wen wundert es? Die meistzitierten Ergebnisse
stammen von international mobilen und damit weltweit
sichtbaren Wissenschaftlern . Diese Mobilität von Studierenden, von Forscherinnen und Forschern über Ländergrenzen hinweg fördern wir durch eine Vielfalt von
Stipendien und sonstigen Programmen . In der Strategie
werden diese hervorgehoben . Hier leisten unsere Mittlerorganisationen wie zum Beispiel der DAAD und die
Alexander-von-Humboldt-Stiftung, wie ich finde, hervorragende Arbeit .
({4})
Mir ist auch wichtig, zu sagen, dass sie für Studierende und Wissenschaftler in Not, auf der Flucht wichtige
Perspektiven bieten und damit nicht nur die einzelnen
Menschen unterstützen, sondern auch wichtige Zeichen
setzen für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt .
Eine andere wichtige Dimension ist natürlich die Kooperation zwischen Institutionen, zwischen Hochschulen
und Forschungsgemeinschaften, oder auch mit Unternehmen . In den sogenannten 2+2-Formaten - so wird es
in der Strategie genannt - werden gezielt Unternehmen
eingebunden, damit international erarbeitete Forschungsergebnisse auch schnell in Anwendung kommen .
Dann haben wir die Dimension der großen Zukunftsfragen, die uns alle herausfordern . Auch sie sind natürlich international . Denn es ist ja offenkundig: Die großen
Menschheitsfragen - Klimawandel, Gesundheit, Migration - werden wir nur beantworten können, wenn sich die
Weltgemeinschaft gemeinsam auf den Weg macht und
nach neuen Antworten und Erkenntnissen strebt .
({5})
Zwei der fünf Handlungsfelder der Strategie haben dies
deswegen sehr explizit zum Ziel . Das ist ein Schwerpunkt, der aus meiner Sicht absolut wichtig und richtig
ist .
Ein großes Anliegen der Strategie möchte ich an
dieser Stelle besonders herausgreifen: Die Regierung
sagt ausdrücklich, dass sie Entwicklungs- und Schwellenländer noch stärker in den Fokus nehmen will und
dabei die Wissenschaft gezielt dazu beitragen soll, die
Ziele der nachhaltigen Entwicklung, die sogenannten
Sustainable Development Goals oder SDGs, gemeinsam
zu erreichen . Nun kommt es aus meiner Sicht besonders
darauf an, dass die Ministerien hier bei uns abgestimmt
zusammenarbeiten . Denn es ist ja klar, dass hier sowohl
das Forschungs- und Bildungsministerium als auch die
Ministerien für Gesundheit, Energie, Landwirtschaft,
Auswärtiges und natürlich auch das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit gefragt sind .
Ein Beispiel will ich kurz vorstellen . Seit Januar 2017
bieten sieben bilaterale SDG-Graduiertenkollegs - vier
in Afrika, zwei in Lateinamerika, eines in Asien - jungen Graduierten eine qualitätsvolle Möglichkeit, in ihren
Heimatländern sur place zu entwicklungsrelevanten Themen zu promovieren . Deutsche Hochschulen haben dafür
Konzepte erdacht und sie mit den Partnern in den Ländern umgesetzt; hier finanziert das BMZ. Eines dieser
Kollegs - eine Kooperation der TU Berlin mit der University of Witwatersrand in Südafrika - widmet sich dem
Thema „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ . Dies wiederum ist aber ebenso Themenschwerpunkt eines großen
Projekts von FONA, nämlich zum Thema Zukunftsstadt;
hier finanziert das BMBF. Exemplarisch zeigt sich daran,
dass es viele Anknüpfungspunkte für Synergien gibt . Es
ist gut, dass die Strategie dies besonders hervorhebt .
Noch nie war sie so wertvoll wie heute . Die Effekte
der Internationalisierungsstrategie gehen weit über eine
Effizienzsteigerung in den Wissenschaften hinaus. Wir
brauchen, um kreativ und innovativ zu sein, Differenzerfahrungen, auch und gerade in fremden Kulturen und
Ländern .
({6})
Man lernt dadurch mehr als nur die fachlichen Inhalte an
der Uni oder im Forschungsprojekt . Die Kollegen, die
man weltweit in den Laboren trifft, die fremden Sprachen, die neuen Nachbarn: All das stärkt unser Verständnis von der eigenen Kultur ebenso wie von der fremden,
in der wir leben . International zu sein, heißt, Umgang mit
dem Fremden zu erlernen und schätzen zu lernen . Grenzüberschreitungen auf der Landkarte führen dann hoffentlich auch zu Grenzüberschreitungen im Kopf; denn
für Offenheit und Freiheit im Denken stehen Bildung und
Wissenschaft .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Jetzt hat Frau Kollegin Dr . Rosemarie Hein von der Fraktion Die Linke das
Wort .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher
auf den Tribünen! In Zeiten der weltweiten Vernetzung
wäre es töricht, wissenschaftliches Arbeiten in nationalen Grenzen denken zu wollen . Auch die Vielfalt der
globalen Probleme - der sozialen, der wirtschaftlichen,
der ökologischen - zwingt geradezu dazu, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen .
Ein Beispiel dafür . Wir wissen, der Klimawandel
kommt nicht einfach so über uns; er ist auch selbstverschuldet . Die Abholzung des Regenwaldes zum Beispiel
trägt dazu bei . Darum reicht es nicht, zu forschen, wie
man mit den Folgen des Klimawandels umgeht, sondern
wir müssen auch darüber nachdenken, wie man die Ursachen beseitigt, die dazu führen, dass der Regenwald
abgeholzt wird .
({0})
Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich große Konzerne aufgrund ihrer Profitgier dort bedienen und
ausnutzen, dass es in diesen Ländern große Armut gibt,
die die Menschen dazu zwingt, ihre natürlichen Ressourcen zu verkaufen . Es gehören aber auch andere Themen
dazu . So bedarf auch die Bekämpfung schlimmer Krankheiten der weltweiten Forschungskooperation, ebenso
Fragen des Artensterbens und der biologischen Vielfalt .
Man kann die Beispiele nahezu unbegrenzt fortführen .
Wir alle leben nun einmal in einer Welt und nicht jedes
Land in seiner . In diesem Sinne ist es gut, folgerichtig
und auch notwendig, dass sich ein reiches Land wie
Deutschland an der Forschungskooperation beteiligt und
darauf setzt .
Die Bundesregierung hat nun gleich acht Strategien
entwickelt, wie sie sich aus forschungspolitischer und
bildungspolitischer Sicht in der Welt bewegen möchte .
Dabei bekommt man den Eindruck, dass Deutschland
vor allem an seine eigenen Vorteile denkt und die Kooperation diesen Eigeninteressen unterordnen will .
({1})
So setzt sie zum Beispiel auf Großprojekte wie die Testanlage für die Kernfusionsforschung Wendelstein 7-X,
deren Aufbau allein schon 1 Milliarde Euro verschlungen hat .
({2})
Natürlich sind nicht alle großen Projekte schlecht; aber
es gibt eben auch solche, die schlicht überflüssig sind.
({3})
Sie binden unheimlich viel Geld, das dann in anderen
Bereichen der wissenschaftlichen Forschung fehlt . Dies
engt die Möglichkeiten auf wenige Themen ein . Darauf
hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hingewiesen . Im Gegenzug werden kleine und mittelständische Forschungsinfrastrukturen benachteiligt .
({4})
Ein bisschen wirkt dieses Kapitel in der Strategie wie
ein Alibi . Der Anteil der kleinen und mittelständischen
Unternehmen aus Deutschland, die am EU-Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020 teilnehmen, liegt mit
11,5 Prozent deutlich unter dem EU-Durchschnitt .
Die Bundesregierung setzt in ihrer Internationalisierungsstrategie vor allem auf Exzellenz . Exzellenz, so
sagt sie, entstehe vor allem durch Wettbewerb .
({5})
Wissenschaftliche Exzellenz lebt aber nicht in allererster
Linie vom Wettbewerb, sondern von guten Arbeits- und
Forschungsbedingungen und klugen Köpfen .
({6})
Mit Blick auf die Internationalisierung geht es vor
allem um Forschungskooperation und nicht um Forschungskonkurrenz . Den egoistischen Wettbewerb um
die besten Köpfe werden wir nicht gewinnen können . Da
unterschätzen wir die Kreativität der Forscherinnen und
Forscher aus anderen Ländern .
Wir täten sehr gut daran, bei unserem Agieren in der
Welt auch zu begreifen, dass das reiche Europa und das
reiche Deutschland zu einem beträchtlichen Teil für die
Herausforderungen, die in der Internationalisierungsstrategie beschrieben werden, mitverantwortlich sind .
Darum ist es auch ein wenig unredlich, wenn der eigene
ökonomische Nutzen aus international gewonnenen Erkenntnissen im Vordergrund steht . Wenn das Motiv des
besseren internationalen Marktzuganges für deutsche
Unternehmen die internationale Forschungskooperation
bestimmt, dann ist dieser egoistische Ansatz ein Teil der
Ursachen der derzeitigen internationalen Probleme .
({7})
Uns geht es um kulturellen und wissenschaftlichen
Austausch auf Augenhöhe . Ich hoffe, Ihnen auch .
({8})
- Das war jetzt Ihr und nicht mein Niveau .
({9})
Wissen ist nämlich das einzige Gut, das sich vermehrt,
wenn man es teilt . Die Orientierung an kurzfristigen ökonomischen Interessen ist hier schädlich .
Im Übrigen frage ich mich, wieso Sie in der letzten
Zeit eigentlich immerzu auf solche Finanzierungsmodelle wie öffentlich-private Partnerschaften setzen . Der
Bundesrechnungshof hat erst kürzlich erklärt, dass das
die öffentliche Hand teurer kommt, als wenn man die
Projekte gleich durch öffentliche Mittel finanzieren würde . Ich weiß nicht, warum das das neue System wird und
warum man das inzwischen überall - auch in der Forschungskooperation - anwendet .
Nun aber zurück zur Strategie der Bundesregierung . ({10})
Es gibt genau genommen keine neuen Ansätze, sondern
vor allem Worthülsen: Wir wollen uns stärker engagieren . Wir wollen besser umsetzen . Wir wollen weiterentwickeln . - Machen Sie es doch!
({11})
Begriffe wie „Dynamik“ und „Flexibilisierung“ sagen
überhaupt nichts über Inhalt und Ziel . Sie können gut,
aber auch sehr schlecht sein . Deshalb glaube ich nicht,
dass es reicht, wenn man mit solchen Worthülsen eine
Strategie entwickelt .
Die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft werden
so gut wie gar nicht thematisiert, und zwar weder die in
unserem Lande noch die im Ausland . Sie sind aber ein
wesentlicher Faktor für gute Forschung .
({12})
Für gute Wissenschaftskooperationen in der Zukunft
ist es auch wichtig, dass Studierende einen Teil ihres Studiums im Ausland absolvieren .
({13})
- Das wird thematisiert, aber man muss dazu sagen, dass
das, was dort passiert, eigentlich zu wenig ist . Das hat
aber nichts damit zu tun, dass die Studierenden das nicht
wollen, sondern damit, dass die derzeitigen Studienbedingungen das nicht zulassen . Deshalb liegen die Auslandsaufenthalte sehr oft zwischen dem Bachelor und
dem Master . Außerdem hat das damit zu tun, dass die
sozialen Bedingungen trotz des Förderprogramms nicht
stimmen .
({14})
- Wenn Sie das „Quatsch“ nennen, dann weiß ich nicht,
wo Sie leben .
({15})
Ich möchte zu einem anderen Aushängeschild kommen; das ist ein Thema für Herrn Feist . Ich meine die
duale Berufsausbildung, den Exportschlager, den wir
immer so gerne bejubeln . Sie meinen, wir hätten dabei
den Stein der Weisen gefunden, und wir müssten dieses
System auf alle Länder übertragen .
({16})
Manche Länder glauben tatsächlich, dass das möglich
ist . Dieses System ist aber kein Exportschlager . Nachdem uns einige Jahre lang ausländische Gäste die Türen
eingerannt haben, scheint sich langsam die Erkenntnis
durchzusetzen, dass die schlichte Übertragung, also der
Export dieses Systems, nicht so einfach ist .
({17})
So ist der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Grünen zu entnehmen, dass Spanien aus diesem System schon wieder ausgestiegen ist . Wenn dafür
die wirtschaftlichen Voraussetzungen in einem Land fehlen, dann gibt es eben keine duale Ausbildung .
({18})
Diese baut darauf auf, dass sich die Wirtschaft in dem
Land engagiert . Die Leuchttürme, die es in diesen Ländern gibt, entfalten eben keine Flächenwirkung und viele
Abkommen und Absichtserklärungen auch nicht .
({19})
Ich will Ihre Strategie zitieren, weil dabei ziemlich
klar wird, worum es geht - Sie haben sie gleich am Anfang zusammengefasst -:
Sie
- die gut ausgebildeten Fachkräfte sind zugleich eine wichtige Voraussetzung für das
Engagement deutscher Unternehmen in den Zielländern .
({20})
Da haben wir es: Darum geht es . Es geht um die besten
Bedingungen für deutsche Unternehmen in den Zielländern .
({21})
Die Fachkräfte gehören eben dazu . Hier steht wieder einmal die wirtschaftliche Expansion im Vordergrund .
Nun frage ich mich nur: Wieso bekommen Sie es nicht
hin, jene jungen Menschen, die in den letzten zwei Jahren
zu uns geflüchtet sind und abwarten, ob ihr Asylgesuch
anerkennt wird - ich meine diejenigen mit einer geringen Bleibeperspektive -, so auszubilden, dass sie bei der
Rückkehr in ihr Heimatland eine gute Basis dafür haben,
später einmal Fachkräfte zu werden?
({22})
Hier hätten Sie die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass es
mehr Fachkräfte gibt, aber das machen Sie nicht .
({23})
Danke schön .
({24})
Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Dr . Daniela
De Ridder von der SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Gäste!
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und
werden, im Innern und nach außen .
Das sagte Willy Brandt vor rund 50 Jahren in seiner Regierungserklärung . Ich sage an diesem traurigen Tag, an
dem wir die Maut verabschiedet haben
({0})
- warten Sie doch ab -, dass es mich ein wenig ärgert,
liebe Kollegen, dass es wir Wissenschaftspolitikerinnen
und -politiker sein müssen, die die Scharte auswetzen
müssen, die die Verkehrs- und Finanzpolitiker geschlagen haben .
({1})
Meine niederländischen Kollegen verstehen nicht, warum wir heute die Einführung der Maut beschlossen haben . Aber noch weniger verstehen sie, warum wir ihre
Bildungsabschlüsse nicht ausreichend anerkennen, und
zwar trotz des Bologna-Prozesses .
Aber ich will an diesem Tag die Plenarwoche nicht
griesgrämig beenden, sondern ich will das in Dankbarkeit tun . Sie, Frau Ministerin Wanka, werden gleich sicherlich erwähnen, dass allein aus Ihrem Hause für Forschung und Entwicklung rund 800 Millionen Euro in die
internationalen Kooperationen fließen.
Ich will an dieser Stelle auch nicht unerwähnt lassen,
dass Deutschland im internationalen Vergleich Platz fünf
der beliebtesten Länder einnimmt, was die internationalen Studierenden angeht . 12 Prozent aller Studierenden
in Deutschland kommen aus dem Ausland . Liebe Kollegin Hein, das könnten gerne noch mehr sein . Genauso verhält es sich mit der Zahl der Studierenden, die ein
Auslandssemester einlegen oder Auslandspraktika absolvieren . Das ist knapp die Hälfte der Studierenden . Auch
da könnten wir gut einen Boom gebrauchen . Damit leisten wir im Gegensatz zu der eben aufgestellten Behauptung einen Beitrag zur Brain Circulation .
({2})
Ich will mich für die Arbeit vom BMBF, vom BMZ
und auch vom AA bedanken . Nicht minder lobend will
ich die vielen Aktivitäten des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erwähnen . Ich will auch nicht vergessen,
dass die Goethe-Institute eine Menge leisten .
Meinen Fokus will ich aber auf die transnationalen Bildungsallianzen legen . Allein der DAAD fördert
80 Projekte in 36 Ländern . Wussten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass 52 Prozent dieser Projekte
an Fachhochschulen durchgeführt werden, die diese in
einem Förderzeitraum von fünf Jahren mit ganz erheblicher Anstrengung auf die Beine gestellt haben?
Zurück zur Alexander-von-Humboldt-Stiftung . Hierbei will ich in der Tat noch einmal ganz besonders die
Philipp-Schwartz-Initiative lobend erwähnen; denn sie
unterstützt nach meinem Informationsstand inzwischen
70 ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihrem Land alles andere als Wissenschaftsfreiheit genießen können .
Liebe Claudia Lücking-Michel, erst vor wenigen Wochen haben wir hier gestanden und noch einmal deutlich
gemacht, was wir für Subsahara-Afrika tun wollen . Liebe Rosemarie Hein, unter anderem ein Projekt will ich
erwähnen, nämlich die Planung der Ostafrikanisch-Deutschen Hochschule, die gerade dafür sorgen will, dass
Menschen in afrikanischen Ländern nicht ihren Kontinent, nicht ihre Heimat verlassen müssen, sondern dort
eine adäquate Qualifikation genießen können, damit sie
eine Perspektive für die Zukunft haben .
Liebe Frau Präsidentin, lassen Sie mich mit Verlaub
zwei großen Damen der Wissenschaftspolitik danken .
Die erste ist Frau Dr . Edelgard Bulmahn . Ihr ist es zu
verdanken, dass es zur Gründung der German Jordanian
University kam, die im Jahr 2005 ihren Betrieb aufnehmen konnte . Inzwischen studieren dort 3 600 Studierende an sieben Fachbereichen, und inzwischen haben auch
schon 1 100 Studierende ein Deutschlandsemester oder
ein Deutschlandpraktikum aufnehmen können . Ich bin
sehr dankbar, dass Dorit Schumann, die dortige Vizepräsidentin, unserer Einladung in den Ausschuss gefolgt ist .
Wir werden sie kommenden Mittwoch hören und befragen können .
Ich will auch deutlich machen, dass wir in Tunesien
eine weitere Hochschule planen . Der Maghreb braucht
auch unsere Unterstützung . Wir wollen mitunterstützen;
denn wir wollen eben nicht, dass junge Menschen dem
IS anheimfallen . Wir wollen, dass sie durch Bildung eine
Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bekommen . Warum
dann nicht mit Unterstützung deutscher Unternehmen?
Die wird dort nämlich ganz dringend gebraucht, auch für
die Investitionen, die wir allein nicht leisten können .
({3})
Das, was junge Menschen dort brauchen, ist Bildung statt
Bomben und Bürgerkrieg .
Ich will aber noch eine zweite große Dame, eine
Grande Dame der Wissenschaftspolitik, erwähnen . Das
ist Rita Süssmuth, die sich wie kaum eine zweite um die
Türkisch-Deutsche Universität verdient macht, und das
trotz der Bedingungen, die dort herrschen, und ich sage
das ohne jeglichen Hochmut und ohne jede Besserwisserei, wozu uns der neue Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier geraten hat . Ja, Frau Süssmuth bemüht sich
hier, die progressiven Kräfte in der Türkei zu unterstützen und diese deutlich zu stärken .
Ich will an dieser Stelle einen Punkt aber nicht unerwähnt lassen: Was die Türkisch-Deutsche Universität
offensichtlich dringend braucht, sind journalistische Studiengänge . Daneben gilt es, die Pressefreiheit zu unterstützen, komme, was wolle; denn sie ist auch etwas, was
diese jungen Menschen unbedingt verdienen . Das ist ein
Anliegen, das mir der Journalist Gero von Boehm vor
wenigen Tagen zuflüsterte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir also mutig . Das haben uns beide Bundespräsidenten, der aus
dem Amt geschiedene und der neu ins Amt gekommene,
Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier, mit ans
Herz gelegt . Haben wir also den Mut, Verantwortung
auch in der Welt zu übernehmen .
Ganz herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Jetzt hat als Nächster
Kai Gehring von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Welt ist aus den Fugen geraten: Akute Hungerkatastrophen, schleichende Klimakrise, Kriege und KonflikDr. Daniela De Ridder
te bringen Elend . Terror destabilisiert Länder, Staaten
zerfallen . 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der
Flucht . Papst Franziskus spricht von der größten Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg .
Weltweit versuchen autoritäre nationalistische und
fremdenfeindliche Kräfte, aus Krisen und Orientierungslosigkeit Kapital zu schlagen . Ihr giftiges Rezept: Ausgrenzung, Abschottung und Renationalisierung . Das ist
unvereinbar mit unserer global vernetzten Welt, in der
wir leben und die wir weiter wollen .
({0})
Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, wollen wir
die Globalisierung aktiv und fair gestalten:
({1})
in Verantwortung für alle Menschen in Deutschland und
nicht auf Kosten von Menschen anderer Länder und Regionen .
({2})
Bildung und Wissenschaft öffnen Kooperationen auch
mit Ländern, deren Türen vernagelt sind . Denn transnationale Bildung richtet sich nicht an die Regime, sondern
stellt den einzelnen Menschen - den Forscher, die Lehrkraft, den Schüler, die Studentin - in den Mittelpunkt .
Die UNESCO-Verfassung von 1945 zeigt unseren
Auftrag . Zitat:
Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss
auch der Frieden im Geist der Menschen verankert
werden .
({3})
Das ist unser Wertefundament, wenn wir über Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung
sprechen .
Mobilität und Austausch sind Grundlage für einen
konstruktiven Dialog und wesentlich für Völkerverständigung und Vielfalt . Es geht nicht darum, den Großteil
der Wissenschaftler und Fachkräfte auf Dauer ins Land
zu holen, sondern es geht um zirkuläre Migration, um
Brain Circulation . Denn Abwerbung oder Headhunting würden die Entwicklungschancen ärmerer Länder
schmälern . Es wäre falsch, Internationalisierung nur zu
betreiben, um Deutschland Wettbewerbsvorteile zu verschaffen . Nein, es geht um so viel mehr .
({4})
Nachhaltig ist Austausch, von dem alle Partner profitieren, vor allem auch in der arabischen Welt und auf
dem afrikanischen Kontinent . Genau das ist Grundlage
für unseren deutschen Ansatz einer transnationalen Bildung . Wir wollen Kooperation auf Augenhöhe und, ja,
auch auf Herzenshöhe .
Deutschland ist unter den Top Five der Zielländer internationaler Studierender, und das ist super . Die Zahl der
ausländischen Wissenschaftler in Deutschland wächst .
Auch das ist super .
Umgekehrt haben wir aber noch Luft nach oben . Daher wollen wir die Zahl der Auslandsaufenthalte von Studierenden und Azubis aus Deutschland in der Welt noch
deutlich steigern .
({5})
Gerade Finanzierungssorgen halten junge Leute allzu oft
von Auslandsaufenthalten ab . Daher wollen wir ein besseres Auslands-BAföG und mehr Stipendien, damit mehr
Menschen aus einkommensarmen Familien den Schritt
ins Ausland wagen . Wir wollen Weltoffenheit für alle .
({6})
Eine international anerkannte Stärke Deutschlands ist
unser traditionsreiches System der Berufsausbildung . Es
ist bei weitem nicht makellos, aber relativ krisenfest und
verschafft uns eine vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit . Dennoch lässt es sich nicht leicht kopieren
und exportieren .
Nach drei Jahren Europäischer Ausbildungsallianz
sind zum Beispiel in Italien gerade einmal 40 Ausbildungsplätze entstanden . So gut unser Modell auch sein
mag, sollten wir uns doch ehrlich machen: Es ist kein
Exportschlager,
({7})
sondern eher eine Blaupause . Es braucht echte Initiativen
gegen Jugendarbeitslosigkeit, die besser zu den jeweiligen Traditionen der Länder passen .
({8})
In vielen Ländern sind die Hochschulen Ausbildungsstätten . Allerdings hapert es vielerorts an der Verbindung
von Theorie und Praxis . Warum also nicht stärker unser
Modell der Fachhochschulen bewerben, deren Stärke
genau diese Verbindung ist? Das brächte den Fachhochschulen genau den Internationalisierungsschub, den sie
leisten können und wollen . Wegweisend ist die Absicht,
eine deutsch-ostafrikanische Fachhochschule zu gründen: ein vielversprechender Vorstoß des DAAD, den wir
unterstützen und der hoffentlich Schule macht .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Internationalisierung schreitet voran: Wir haben unglaublich engagierte
Mittlerorganisationen und Stiftungen, die weltweit Türen öffnen . Wir haben Studierende und Wissenschaftler,
die in die Welt hinausziehen, um zusammen mit anderen
neue Erkenntnisse zu gewinnen . Ihnen allen gebührt unser Respekt und Dank .
({10})
Uns allen muss zugleich bewusst sein, dass die Arbeit dieser Akteure schwerer geworden ist . Immer länger
wird die Liste der Länder, in denen Journalisten, Andersgläubige, Andersdenkende und Wissenschaftler entlassen, verfolgt, drangsaliert und eingekerkert werden . Die
Forderung „Free Deniz!“ ist eindringliche Chiffre für den
Kampf für Pressefreiheit und die Freilassung aller inhaftierten Journalisten in der Türkei und weltweit .
({11})
Genauso braucht es Freiheit und Schutz für türkische
Wissenschaftler, die den Appell für den Frieden unterzeichnet haben . Vor massiven staatlichen wie nichtstaatlichen Repressionen, Angriffen und Übergriffen ist
keine Profession mehr sicher . Besonders bedroht sind
Geistes- und Sozialwissenschaftler, weil sie als Antreiber
gesellschaftlichen Wandels gelten . Umso wichtiger sind
Programme für gefährdete Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler wie die Philipp-Schwartz-Initiative der
AvH-Stiftung . Wir sollten dieses Engagement verstetigen
und deutlich ausbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({12})
Neben dem akuten Schutz für Gefährdete kommt es
darauf an, die weltweite Stärkung der Wissenschaftsfreiheit zum zentralen Ziel der Internationalisierungsstrategie zu machen . Das fehlt uns . Es fehlt an systematischem
Wissen, wie es in unterschiedlichen Ländern um Wissenschaftsfreiheit und Gefährdungen von Studierenden
und Forschern bestellt ist . Diesen blinden Fleck muss die
Bundesregierung beseitigen . Ob in der Türkei, in China,
Russland, im Iran, im Irak oder in Ägypten, dort und anderswo fürchten kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um ihre Freiheit, ihren Beruf, ihr Wohlergehen, manchmal sogar um ihr Leben . Es reicht nicht aus,
diese Lage „mit Sorge“ zu beobachten . Es braucht hier
deutlichen diplomatischen wie politischen Druck .
({13})
Niemand will Austausch und Kooperation direkt abbrechen, wenn sich die Lage in einem Land immer weiter
verschlechtert . Für Ernstfälle bedarf es aber klarer Leitlinien für die Zusammenarbeit, vor allem um denen den
Rücken zu stärken, die die internationalen Kooperationen gestalten .
Weltweit schrumpfen Budgets für die Wissenschaft .
({14})
Der gefährliche Trend der Wissenschaftsdiffamierung
nimmt zu . Auch hierzulande werden wissenschaftliche
Fakten wie der Klimawandel oder Genderforschungsergebnisse diskreditiert, lächerlich gemacht oder geleugnet .
Eine Fake- und Abschottungspolitik à la Trump und der
antieuropäische Brexit stellen Freizügigkeit und Kooperation von Wissenschaft auf eine mehr als harte Probe .
Das sind Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam
aktiv stellen müssen .
({15})
Bildung und Wissenschaft spielen die Schlüsselrolle,
um die Globalisierung zu gestalten . Bildung kommt soft
daher . Aber sie hat eine ungemeine Kraft . „Eine Schule, ein Buch, ein Kind können die Welt verändern“ - so
hat es die Kinderrechtsaktivistin Malala auf den Punkt
gebracht . Bildung und Wissenschaft lehren Angstmacher
das Fürchten; denn es durchkreuzt ihre Pläne, die eigene
Verbohrtheit zu Intelligenz zu erklären . Bildung ist ein
Menschenrecht, ein Grundnahrungsmittel für eine starke
Zivilgesellschaft - in Deutschland, in Europa und in der
ganzen Welt . Es lohnt sich, dafür gemeinsam zu streiten
und zu werben .
Vielen Dank .
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Gehring . - Jetzt hat als
Nächste das Wort die Bundesministerin Dr . Johanna
Wanka .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am
Mittwoch, also vorgestern, war Weltwassertag, ein Tag,
der uns daran erinnern soll - und erinnert hat -, dass als
sechstes Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen angestrebt wird, dass alle Menschen auf der Welt sauberes Trinkwasser haben . Das ist eine gigantische Aufgabe . Wenn man sich die Zahlen anschaut, weiß man, wie
schlimm es darum bestellt ist . Eine solche Aufgabe kann
man nur international, in Kooperation, lösen .
Ich will das große Projekt der Bundesregierung zum
Wasserressourcenmanagement in Jordanien als Beispiel
nennen . Es handelt sich um eine Region mit sehr wenig
Wasser und großen Problemen . In diesem Projekt arbeiten jordanische, deutsche, palästinensische und israelische Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, NGO-Vertreter und Behördenvertreter zusammen . Dort geht es auch
um Brücken zwischen Ländern und Menschen, die sonst
kaum miteinander reden .
Ich bleibe beim Thema Wasser . Wir haben in Deutschland zu diesem Thema eine hohe Expertise, Frau Hein,
weil wir seit Jahren Grundlagenforschung betreiben .
Unsere Expertise ist gefragt . Wasserprojekte gibt es in
Israel, Indien, Afrika und China . Das heißt, die Lösung
der globalen Probleme gehen wir an . Wer kommt denn
auf die Idee, zu sagen, wir machen keine Grundlagenforschung? Genau das machen wir . Wir machen aber
nicht nur Grundlagenforschung . Vielmehr versuchen
wir auch, direkt die Lebensbedingungen der Menschen
in den jeweiligen Regionen positiv zu beeinflussen, zum
Beispiel mit den beiden Klimainitiativen SASSCAL im
südlichen Afrika und WASCAL im westlichen Afrika,
dem Forschungsnetzwerk zu Gesundheitsinnovationen
in Afrika, oder der PRIMA-Initiative, bei der es um den
Mittelmeerraum geht . In diesem Bereich gehören wir zu
den Ländern, die sich weltweit am stärksten engagieren .
({0})
- Danke schön, Herr Rossmann .
({1})
Frau Hein, Sie haben die Formulierung gewählt: Fusionsforschung kostet viel Geld . - Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein Egoismus sondergleichen . Da wird mir
schlecht .
({2})
Natürlich kommen wir in Deutschland damit aus, unsere
Energie aus Kohle - und was weiß ich nicht noch - zu
beziehen, und das auch noch in 30 Jahren .
({3})
Aber das gilt nicht für die Megacitys der Welt .
({4})
Wir müssen dort forschen . Die Länder können es zum
Teil nicht . Aber gerade deswegen ist das international
und nicht egoistisch . Es ist genau das Gegenteil von egoistisch .
({5})
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich würde gern erst einmal zu Ende reden . - FONA ist
das große Programm für nachhaltige Entwicklung . Mit
2,1 Milliarden Euro werden dort beträchtliche Summen
eingesetzt . Ich habe mir den Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen angeschaut . Das, was Sie fordern, machen wir
schon . Man kann natürlich immer noch mehr verlangen .
Noch mehr ist immer gut, aber das ist nicht das Problem
dabei .
Die Bundesregierung hat 2008 erstmals eine Internationalisierungsstrategie entwickelt . Diese Internationalisierungsstrategie hatte vier Schwerpunkte . Der erste:
Lösung der globalen Probleme der Welt . Der zweite:
Zusammenarbeit mit den Besten und Leistungsstärksten
der Welt . Der dritte: international Innovationspotenziale
erschließen . Der vierte: Schwellen- und Entwicklungsländer stützen und stärken . Diese Schwerpunkte gelten
immer noch, und zwar unvermindert . Das sind ganz entscheidende Ziele .
Aber die Welt hat sich gedreht, sie hat sich verändert .
Es müssen neue Dinge hinzukommen und neue Schwerpunkte gesetzt werden . Ich will einige wenige nennen .
Ein Schwerpunkt ist Europa - den globalen Schwerpunkt habe ich eben genannt - und der europäische Forschungsraum .
({0})
Wir haben null Chance, wenn wir denken, uns als
Deutschland, vielleicht noch mit Frankreich und ein,
zwei anderen Ländern zusammen, gegen die großen Zentren in Amerika und in China behaupten zu können . Das
geht nur mit einem europäischen Forschungsraum .
({1})
Wir haben vor kurzem als allererstes Land in Europa
eine Strategie vorgelegt, in der wir nicht nur darlegen,
wie wir uns vorstellen, was die anderen machen sollen,
sondern vor allen Dingen, was wir selbst dazu machen
sollen . Es geht gerade darum - da sind wir oft alleine in
Europa -,
({2})
dass wir uns engagieren . Es geht dabei nicht nur darum,
wie viel Geld wir oder andere zurückwollen, sondern darum, wie wir in den Ländern in Europa, die nicht so leistungsstark sind, exzellente Forschung ankurbeln können .
Deswegen ist das ganz entscheidend .
({3})
Der zweite Punkt: internationale Mobilität . Die Studentenzahlen in diesem Bereich sind bestens . Wie kommen Sie denn auf die Idee, zu behaupten, dass wir in dieser Hinsicht nicht besonders gut seien? Haben Sie sich
einmal irgendwelche Zahlen angeschaut?
({4})
Bei uns gehen 37 Prozent aller Studenten einmal ins
Ausland . Die Niederlande, ein kleines und international
vernetztes Land, streben in den nächsten Jahren einen
Anteil von 20 Prozent an . Wir hingegen marschieren in
Richtung 50 Prozent . Wie kann man da sagen, das ist
nicht besonders gut? Das ist klasse .
({5})
Eine Bemerkung zum BAföG . In Ihrem Antrag steht,
die Bearbeitungsdauer beim Auslands-BAföG sei zu lange und die armen Studenten müssten einen Vorschuss
leisten . Sie wissen - davon gehe ich aus -, dass wir null
Einfluss darauf haben und dass das reine Ländersache
ist - Sie können Ihre Ministerin fragen -, wie BAföG
verwaltet wird . Das heißt, wir können das nicht beeinflussen. Aber wir sehen natürlich, dass die Bearbeitung
manchmal zu lange dauert . Deswegen hat die Bundesregierung im BAföG einen Passus verankert, dass wir
einen Vorschuss zahlen, wenn die Bearbeitung zu lange
dauert . Also: erfolgt, erledigt .
({6})
Bei der Mobilität geht es uns nicht nur um den Austausch, sondern es geht uns auch immer darum - Beispiel
Ukraine -, die Wissenschaft in den Ländern zu stärken,
damit die Wissenschaftler nicht alle weggehen, damit sie
nur temporär bei uns sind und dann wieder zurückgehen .
Oder sie sollen in ihrem Land gestärkt werden . Das ist
unsere Strategie . Wir haben einige Programme aufgelegt .
Die Philipp-Schwartz-Initiative ist genannt worden; ich
nenne jetzt noch: Integra, das Stipendienprogramm Leadership for Syria etc . Wir haben aber auch Maßnahmen
mit einem Volumen von 18 Millionen Euro für Integrations- und Migrationsforschung auf den Weg gebracht der 1 . März war Bewerbungsschluss für die aktuelle Ausschreibung -; denn wir brauchen viele Erkenntnisse in
diesem Bereich . Auch das läuft .
Vorletzter Punkt: Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands .
Da bin ich bei Jürgen Mlynek . Die Grundvoraussetzung
für Wettbewerbsfähigkeit ist Internationalisierung, ganz
klar .
({7})
Deswegen ist eine Einschränkung auf Wissenschaftseinrichtungen und bilaterale Hochschulabkommen
falsch . Die 2+2-Projekte, die Frau Lücking-Michel erwähnt hat, sind richtig, ebenso Spitzencluster im Rahmen
der Internationalisierung .
({8})
Das heißt auch, Möglichkeiten über wirtschaftliche Kontakte zu nutzen .
({9})
Der letzte Punkt . 2008 war die Attraktivität der deutschen Berufsausbildung noch nicht das Thema . Die Wertschätzung dafür ist gestiegen . Kein Mensch glaubt - das
finden Sie in keinem Papier -, dass wir das, was wir in
Deutschland haben, eins zu eins in irgendein Land übertragen können . Das ist absoluter Blödsinn .
({10})
Es geht nur darum, dass wir Elemente, die gut sind,
übertragen . Das ist schwierig genug . Der indische Ministerpräsident beispielsweise ist immer noch dafür, die
gesamte Ausbildung staatlich zu organisieren, ohne die
Wirtschaft .
({11})
Das sind Dinge, über die wir diskutieren .
Für die berufliche Bildung in Deutschland ist Folgendes bei Erasmus wichtig: Dieses Programm ist bei vielen
Studenten angekommen; das weiß jeder, es machen viele . Wir haben Gelder ohne Ende in der EU; das gilt auch
für unseren Teil . Wichtig ist nun, dass wir diejenigen, die
in der Berufsausbildung sind, auch ins Ausland schicken,
({12})
zum Beispiel nach Italien, wenn sie Koch oder so etwas
lernen . Wir müssen das nur noch mehr zur Nutzung bringen . Das Geld ist schließlich da; es ist keine Frage des
Geldes .
Was den Transport von guten Elementen angeht, machen wir in diesem Sommer eine neue Förderung: Wir
bieten den deutschen Bildungsanbietern, die die entsprechenden Voraussetzungen haben, Unterstützung durch
öffentlich-private Partnerschaften an, damit sie in anderen Ländern tätig sein können . Warum denn nicht? Diese
Anbieter haben das nötige Know-how, und dieses Betätigungsfeld ist für sie eine Chance . Das funktioniert ab
dem Sommer .
({13})
Eine kleine Nebenbemerkung . ÖPP-Projekte sind
nicht per se gut - nein, das kann man nicht sagen -; sie
sind aber auch nicht per se schlecht . Ein gutes Beispiel ist
natürlich unser Haus . Schauen Sie es sich an: Sein Bau
als ÖPP-Projekt blieb sowohl im Zeit- als auch im Kostenplan . Da, wo rote Landesregierungen sind - Stichwort
„Flughafen“; kein ÖPP-Projekt -, dauert alles länger .
({14})
Meine Damen und Herren, ich glaube, mehr denn je
brauchen wir eine freie Wissenschaft . Wissenschaftsfreiheit ist das A und O . Sie ist das wesentliche Element unserer Internationalisierungsstrategie . Wir brauchen eine
Wissenschaft, die Grenzen überwindet, die kluge Köpfe
verbindet und die international daran arbeitet, die großen
Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen . Ich denke, wir haben die Strategie dafür, und wir setzen sie um .
Danke .
({15})
Vielen Dank, Frau Ministerin . - Bevor wir die Aussprache zu dem Thema fortsetzen, erteile ich das Wort
dem Kollegen Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke
für eine Kurzintervention .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Ministerin, als
Erstes eine kurze Bemerkung zu Ihrem Redezeitpunkt .
Regelmäßig ergreifen Sie das Wort nach der Opposition,
damit wir nicht mehr die Möglichkeit haben, direkt auf
Sie zu erwidern . Das ist eine kleine Unsitte . In diesem
Zusammenhang verwundert es auch nicht, dass Sie eine
Zwischenfrage nicht akzeptieren .
Ich habe mich gemeldet, um auf die Frage der Fusionsforschung einzugehen . Sie behaupteten nämlich,
mit Kernfusion könnten die Energieprobleme in den
Entwicklungsländern gelöst werden . Ich wollte Ihnen
die Frage stellen, ob Sie wissen, in welchem Jahr die
Kernfusion einsatzbereit ist . Nach meinem Wissensstand
rechnet man bei ITER damit, dass man nicht vor dem
Jahr 2055 in die kommerzielle Nutzung gehen kann wenn denn alles klappt .
({0})
Das ist bis dahin ein Zeitraum von etwa 40 Jahren . Das
Ganze nennt sich Kernfusionskonstante, weil man schon
1970 versprach: In 40 Jahren wird die Kernfusion einsatzbereit sein . - Das heißt, ich frage Sie, wie die Zeit bis
dahin überbrückt werden soll .
Aus unserer Sicht müssen wir die Forschungsmittel
heute einsetzen - das ist unsere Meinung; sie hat Frau
Kollegin Dr . Hein vorgetragen -, damit die Energiearmut
und die Armut insgesamt heute bekämpft werden können und damit keine Kriege mehr aufgrund von Armut
geführt werden .
({1})
Da ist Forschung notwendig . Die Nutzung erneuerbarer
Energien und die entsprechenden Speichertechnologien
in Entwicklungsländern müssen vorangetrieben werden .
Die Energieeffizienz muss dahin gehend verbessert werden, dass sie in den Entwicklungsländern genutzt werden
kann . Genau dafür fehlen die Gelder, weil Sie sie in eine
Forschung stecken, die vielleicht in 40 Jahren funktionieren könnte .
({2})
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben das Wort zur
Erwiderung .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich
machen wir das . Natürlich fördern wir jetzt schon in
Afrika und an anderer Stelle . Ich will gar nicht über Forschungsfragen im Zusammenhang mit diesen Energien
reden; das will ich jetzt gar nicht thematisieren .
Aber die Frage „Wann ist Kernfusion einsatzbereit?“
können wir alle nicht genau beantworten . Es dauert auf
jeden Fall . Experten sprechen von einem Zeitraum von
30 Jahren . Das ist egal . Ich habe zwei Enkeltöchter . Auch
ich bin dafür, dass wir Voraussetzungen dafür schaffen,
dass die Welt in Ordnung ist, wenn sie erwachsen sind .
({0})
Es ist gerade ein Ausdruck von Deutschlands Größe,
dass wir nicht nur auf die kurzfristige Verwertbarkeit
schauen . Das zu tun, ist völlig falsch .
({1})
Deswegen gilt es, die Grundlagenforschung zu fördern,
und dazu gehört die Fusionsforschung .
Das ist ein Gebiet, in dem wir Weltspitze sind . Wenn
die Chinesen sagen, sie wollten da jetzt Milliardensummen investieren, stelle ich fest: Wir investieren weniger
Geld; aber wir machen es exzellent . Das lasse ich mir
nicht unter dem Aspekt „Es passiert nicht gleich morgen“
zerreden .
({2})
Vielen Dank . - Wir setzen die Aussprache jetzt fort .
Als Nächstes hat der Abgeordnete Dr . Ernst Dieter
Rossmann von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Wanka, Sie haben sich sehr intensiv mit Frau Hein
auseinandergesetzt . Ich mache es kürzer . Es gibt den
schönen Satz: „Ich bin der Geist, der stets verneint .“ Frau Dr . Hein, Sie waren heute leicht mephistophelisch,
und das ist zu wenig .
({0})
Sie haben deshalb einen weiteren Weg zu gehen, um den
Konsens in Bezug auf die Internationalisierungsstrategie
am Ende auch so zu teilen, wie das - natürlich in Nuancen - bei den Grünen, bei der SPD und auch bei der Fraktion der CDU/CSU - dort wird es vielleicht differenziert
gesehen - der Fall ist .
Aber insgesamt ist da etwas gewachsen; Frau de
Ridder hat daran erinnert . Es begann mit Edelgard
Bulmahn . Da hat es erste Akzente gegeben .
({1})
Ich erinnere mich an den leider schon verstorbenen Vizepräsidenten des DAAD, Max Huber, der sich über eine
solche Debatte hier gefreut hätte . Es war damals Edelgard
Bulmahn zusammen mit Joschka Fischer . Dann kamen
in der ersten Großen Koalition - in Anführungszeichen der Neuzeit Frau Schavan und Herr Steinmeier . Genauso ist es jetzt mit Frau Wanka und Herrn Gabriel . Es ist
gut, dass wir diese Kontinuität über die verschiedenen
politischen Verantwortlichkeiten hinweg haben; denn am
Ende steht ein wirklich gutes gemeinsames Ergebnis .
Frau Hein, wenn Sie in die Betrachtung der sehr detaillierten Programme eintreten würden, dann würden Sie
merken, wie fein ausgewogen die vielen Aktivitäten sind .
Ich will versuchen, das in einem Punkt neu einzuordnen .
Frau Wanka, da haben Sie für meine Begriffe das richtige
Stichwort für diese Debatte genannt . Sie haben nämlich
auf Europa abgehoben . Wir sind in Deutschland allerdings dabei, ein gewisses Gegenbild zu dem zu entwerfen, was aktuell in Europa diskutiert wird . Ich will Ihnen
sagen: Wir sind befremdet darüber, dass Kommissionspräsident Juncker mit seiner Zielstrategie 2025 fünf strategische Elemente bzw . fünf Inhalte benennt, in denen
Bildung, Forschung und Innovation aber nicht enthalten
sind. Das, finden wir, ist zu wenig.
({2})
Es wäre gut, wenn dies im Jahr 60 der Römischen Verträge, im Jahr 30 von Erasmus in Europa aufgenommen
werden könnte; der Europäische Forschungsraum und
Horizont 2020 sind in diesem Zusammenhang ebenfalls
zu erwähnen . Aber es fehlt . Es fehlt in der Juncker’schen
Europastrategie vollkommen, und das ist unterkomplex,
das ist auch unterperspektivisch .
Die Bitte an die Bundesregierung ist: Bringen Sie sich,
nachdem Sie sich jetzt schon eingebracht haben, noch
viel energischer ein mit dem Ziel, dass in der Verantwortung Europas diese sechste Dimension mit aufgenommen
wird . Es geht bei der Internationalisierung von den Inhalten her um Entwicklung in der Welt, um Wissenschaft,
um Forschung und Bildung .
Das hat auch deshalb Perspektive - Sie haben die
Zahlen genannt -: 7 Prozent der Weltbevölkerung sind
europäisch, 19 Prozent der Wissenschaftsleistung . Aber
das wird sich ändern . Wenn wir das nicht bündeln, wenn
wir nicht mit Exzellenz in Kooperationen und Netzwerke
hineingehen, dann wird dieser positive Beitrag, den wir
aus Europa, aus Deutschland leisten, schwächer ausfallen, als er sein könnte .
({3})
Eine kritische Bemerkung . Wir müssen auch daran
denken - Sie haben es angesprochen, andere ebenfalls -,
dass dazu natürlich auch Substanz gehört: Substanz an
Ressourcen, Substanz an Regierungsaufmerksamkeit,
Substanz auch an Geld . Von Kai Gehring kam vorhin dieser Zwischenruf . Auch wir glauben, dass die Fixierung
auf das 2-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben im Rahmen
der NATO nicht das ist, was internationalen Frieden,
internationale Nachhaltigkeit tatsächlich so befördern
könnte, wie es notwendig wäre; denn Militär schafft kein
sauberes Wasser, Militär verändert nicht den Klimawandel, Militär sorgt nicht für berufliche Bildung. Wir dürfen
diese Dimension nicht vergessen . Wir brauchen dafür zusätzliche Mittel . Wir brauchen sie in Deutschland, und
wir brauchen sie auch in Europa . Das muss eine Perspektive sein, die wir zusammen aufmachen .
({4})
Es gibt jetzt erste Vorstellungen nach Trump und nach
dem Brexit und sozusagen zur Korrektur des verengten
Juncker’schen Entwicklungskonzepts . Ich fand sehr bemerkenswert, was Herr Hippler und sein französischer
Kollege Roussel - jeder in seinem Land Präsident der
Hochschulrektorenkonferenz - angesprochen haben,
nämlich: Wir bräuchten auch aus der europäischen Wertetradition heraus eine gemeinsame Initiative der Universitäten, der Forschungs- und Bildungseinrichtungen mit
dem Ziel höherer Niveaus in Europa, um dies in Europa
zu vermitteln und zu vernetzen, aber auch aus Europa
heraus . - Sie schlagen einen Fonds vor, eine Initiative
für Bildung, Forschung und Innovation . Wenn unser Außenminister Sigmar Gabriel jetzt anspricht, mehr Geld
für Europa zu mobilisieren, dann hat er auch dies mit im
Hinterkopf .
({5})
Es ist gut, dass wir beim konservativen Partner/Konkurrenten merken: Darüber wird differenziert gedacht,
von Europapolitikern anders als von anderen . Aber lassen Sie uns, wenn wir diese gute Bildungs- und Forschungsagenda haben, doch gemeinsam dafür werben,
dass in Europa das Gewicht auf Bildung, Forschung und
Innovation stärker wird, weil das etwas Positives in die
Welt hineinträgt .
({6})
Der Vorschlag der beiden Präsidenten zu Bildung,
Forschung und Innovation deckt sich im Übrigen mit
dem, was von Ihnen, Frau Wanka, aber auch von anderen
verdienstvollerweise in die neue Internationalisierungsstrategie 2017 - nach der von 2008 - hineingebracht
worden ist. Darin findet sich erstmals die Dimension der
beruflichen Bildung.
Damals war man noch nicht so weit . Frau Hein, man
kann - ich mache einmal den Zusammenhang klar - ganz
einfach sagen: Es ist das Bündnis von exzellenter Wissenschaft und exzellentem Facharbeitertum bzw . von exzellenter Forschung und exzellenter beruflicher Bildung,
das Baden-Württemberg, Deutschland und andere europäische Länder stark gemacht hat .
({7})
Dies in der Exzellenz und Qualifizierung nach vorne zu
tragen, wäre eine starke Botschaft . Die müssen wir aber
noch ausbauen .
({8})
Das darf aber nicht in dem Sinne geschehen, dass wir unser System in andere Länder transportieren wollen . Nein,
wir nehmen es als Botschaft mit auf, dass wir an der Stelle
etwas entwickeln wollen . Wir müssen das dadurch unterstützen, dass wir - das haben Sie und auch Kai Gehring
angesprochen - für den Bereich des nichtakademischen
bzw. beruflichen Austausches die Mittel im Rahmen des
Erasmus-Programms verdoppeln . Das wäre etwas, wo
wir hinkommen könnten . Selbst wenn Sie, Frau Ministerin, die Stirn runzeln: Ich glaube, wenn wir es erreicht
hätten, würden auch Sie das anders beurteilen . Am Ende
geht es um die Gleichwertigkeit von akademischer und
beruflicher Ausbildung auch bei Erasmus.
Weltoffenheit ist das Ziel und die Garantie, Frau
Lücking-Michel, für das, was uns stark macht . Deshalb schlage ich den Schlussbogen mit einem Zitat von
Alexander von Humboldt, der Folgendes gesagt hat:
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der
Leute, welche die Welt nie angeschaut haben .
Ja, sich die Welt anschauen - das ist Internationalisierungsstrategie .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächster hat das
Wort Dr . Thomas Feist von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und
Herren! Den Unterschied zwischen der jetzigen Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung und der
vorherigen sieht man schon im Titel . Denn während es
bei der Internationalisierungsstrategie 2008 um Wissenschaft und Forschung ging, geht es jetzt um Wissenschaft,
Forschung und Bildung . Bildung steht sogar an vorderster Stelle . Das beschreibt genau das, was der Kollege
Rossmann gerade gesagt hat: Nur im Zusammenspiel
einer gut ausgebildeten Facharbeiterschaft mit einer exzellenten Wissenschaft schaffen wir die Voraussetzung,
dass internationale Kooperationen super funktionieren .
Es ist angesprochen worden, dass die Kooperation
im Bereich der Berufsbildungszusammenarbeit noch
ausbaufähig ist; das hatte auch niemand bestritten . Mittlerweile ist es aber so, dass wir über die verschiedenen
Ministerien hinweg in diesem Bereich mit 100 Ländern
zusammenarbeiten . Vorgestern fand hier eine große Zeremonie statt: Der neue Bundespräsident wurde in sein
Amt eingeführt . Zeitgleich fand im BMBF eine Bilanzkonferenz zur internationalen Kooperation in der Berufsbildungszusammenarbeit statt . Frau Hein, Sie hatten eine
Mitarbeiterin dorthin abgestellt, die auch fleißig zugehört
hat .
Wenn man dort zugehört hatte, konnte man feststellen,
dass es nicht darum geht, ein Modell eins zu eins irgendwohin zu übertragen, sondern es geht darum, das duale
Prinzip zu übertragen . Das heißt, es muss ein Zusammenspiel zwischen einer guten berufsschulischen Ebene und
den Unternehmen geben . Das geschieht so, dass wir für
die entsprechenden Länder passgenaue Konzepte entwickeln . Das macht übrigens nicht die Politik, sondern das
machen die Akteure, die vor Ort vernetzt sind . Das sind
zum Beispiel die Außenhandelskammern . Aber auch die
Handwerkskammern in Deutschland machen das . Sie
überlegen beispielsweise: Wie müsste denn ein Ausbildungsgang aussehen, der die spezifischen Besonderheiten eines anderen Landes aufgreift? Ich denke, das ist in
diesem Bereich genau der richtige Weg .
({0})
Zweitens sind die Fachhochschulen angesprochen
worden . Es gibt aber noch eine Ebene darunter: Das sind
die Berufsakademien oder die dualen Hochschulen . Auch
die sind im Bereich der internationalen Zusammenarbeit
hervorragend aufgestellt . Der Kollege Schummer beispielsweise hat sich sehr dafür eingesetzt, dass die Hochschule Niederrhein ein sehr internationales Profil zwischen Deutschland und Holland bekommt . Dabei spielte
die Maut überhaupt keine Rolle; das beschäftigt die jungen Leute nämlich überhaupt nicht, weil die meisten von
ihnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind .
Dort kann man sehen, dass nicht nur gemeinsames
Lernen und Studieren wichtig sind, sondern auch das gemeinsame Kennenlernen . Das ist die zweite Ebene der
Internationalisierung, die darin besteht, dass wir Menschen zusammenbringen, Menschen, die ein Gesicht und
einen Namen haben und die sich untereinander verständigen .
Wir als Parlament sagen ja nicht nur: Die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung ist gut . - Vielmehr haben wir den Anspruch, das gemeinsam mit dem
Ministerium weiterzuentwickeln . Und das haben wir in
dieser Legislaturperiode eindeutig gezeigt: Zum Beispiel
wurde nach einer Ausschussreise nach Indien ein gemeinsamer Koalitionsantrag erarbeitet, in dem wir gesagt
haben, dass wir die Zusammenarbeit mit Indien ausbauen
wollen . Ich nenne in dem Zusammenhang aber auch die
Initiative für die Staaten Afrikas - und hier beispielhaft
die Subsahara-Programme -, die vom Parlament ausging . Und so weiter .
Zu den Studierendenzahlen kann man auch noch etwas sagen . Man kann natürlich immer beklagen, dass
diese zu niedrig sind .
({1})
Aber man muss natürlich auch zur Kenntnis nehmen,
dass sich in den letzten Jahrzehnten der Anteil der deutschen Studenten, die mit Stipendien des DAAD ins Ausland gegangen sind, verdoppelt hat
({2})
und dass sich die Zahl der ausländischen Studenten, die
über ein DAAD-Stipendium nach Deutschland gekommen sind, nahezu verdreifacht hat . Das, muss ich sagen,
ist eine ganz tolle Sache . Recht vielen Dank an dieser
Stelle natürlich auch an den DAAD .
({3})
Was die Hochschulen angeht, möchte ich noch etwas
sagen .
({4})
- Herr Gehring, Sie waren schon dran und hätten das alles sagen können .
({5})
Sie haben allerdings viele Sachen gesagt, die hier überhaupt nicht passten . Insofern würde ich jetzt gerne fortfahren .
({6})
Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Gehring zu?
Eine Zwischenfrage des Kollegen Gehring lasse ich
immer ganz besonders gerne zu .
Vielen Dank . - Ich glaube, was angemessen ist, hier
anzusprechen, das entscheidet noch jeder für sich selber .
Ich habe mich ja vor allem für das Thema Wissenschaftsfreiheit starkgemacht . Dazu habe ich von Ihnen noch
nicht viel gehört .
Da Sie Afrika, auch Subsahara-Afrika, angesprochen
haben, wollte ich Sie fragen: Wieso fehlt eigentlich der
gesamte Bereich Bildung, insbesondere Wissenschaft,
Forschung und Entwicklung, im Marshallplan mit Afrika
von CSU-Minister Müller komplett? Wieso ist das eine
Leerstelle, wo Sie doch immer wieder betonen, dass man
in dieser Bundesregierung so toll zusammenarbeitet? Im
Marshallplan mit Afrika fehlt völlig, den Bereich Wissenschaft und Forschung zu adressieren und zu benennen
und das, was wir hier heute diskutieren, auch dort einzubringen . Gibt es da noch Maßnahmen der Koalitionsabgeordneten? Wird dieser Plan noch erweitert, oder bleibt
er so? Das ist eine echte Leerstelle, ein echtes Problem .
Das zeigt, dass interministerielle Zusammenarbeit offensichtlich nicht funktioniert, während wir hier wieder über
Interdisziplinarität gesprochen haben .
({0})
Ich bedanke mich für diese Frage, lieber Kollege
Gehring . Ich verstehe interministerielle Zusammenarbeit
so, dass nicht jeder das Gleiche macht . Genau das ist aber
bei diesem Punkt der Fall .
({0})
Wir werfen ja auch nicht dem Gesundheitsministerium
vor, dass es bestimmte Programme in diesem Bereich
nicht unterstützt .
({1})
Im Marshallplan mit Afrika ist zum einen von der
Frage der Neustrukturierung der beruflichen Ausbildung
unter dem Label Green Economy, das heißt nachhaltiges
Wirtschaften, die Rede . Das liegt auch in der Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung .
({2})
Das dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein und
müsste auch Ihnen ein Herzensanliegen sein .
Zum anderen müssten Sie doch auch wissen, dass Institutionen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung zu einem Drittel vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt werden .
Die Philipp-Schwartz-Initiative ist mehrmals angesprochen worden . Diese wird im Übrigen vom Auswärtigen
Amt finanziert.
Jetzt tue ich Ihnen den Gefallen und sage noch etwas
zur Wissenschaftsfreiheit. Gerade im Bereich „geflüchtete Wissenschaftler“ stammen momentan mehr Antragsteller aus der Türkei als aus Syrien .
({3})
Deswegen kann ich das, was Sie vorhin zur Presse-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der Türkei gesagt
haben, nur unterstützen, wollte es aber nicht wiederholen .
({4})
Abschließend möchte ich noch etwas zum Thema „öffentliche und private Hochschulen“ sagen . Es ist ja immer so eine Frage, wie man das einschätzt . Wer sind die
Guten? Ich bin sehr froh, dass die internationalste Hochschule Deutschlands, die Handelshochschule Leipzig,
nicht nur in meinem Wahlkreis liegt, sondern auch eine
Privathochschule ist . Die Handelshochschule Leipzig,
eine sehr alte Gewerbeschule, zeichnet sich dadurch aus,
dass ein überproportionaler Anteil der Studentenschaft
und der Lehrerschaft international zusammengesetzt ist .
Insofern möchte ich damit aufhören, zu sagen: Die sind
gut, und die sind schlecht . - Vielmehr macht es der Mix .
Wir haben hervorragende Universitäten, wir haben hervorragende Privathochschulen, wir haben hervorragende
Berufsakademien, duale Hochschulen und Fachhochschulen, und im Bereich der beruflichen Bildung sind wir
auch ganz gut . Was wir dort an Erkenntnissen weitergeben können, das machen wir gern .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr . Feist . - Jetzt hat
als Nächster der Kollege Dr . Karamba Diaby von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Ziel
der vorliegenden Internationalisierungsstrategie ist der
Ausbau der internationalen Kooperationen im Bereich
berufliche Bildung.
Als ich 2016 wieder im Senegal war, habe ich mit
vielen jungen Menschen gesprochen . Ein Großteil dieser
Menschen hat keine Berufsausbildung und sieht keine
Perspektive im Land . Deshalb wollen sie auswandern .
Viele von ihnen wollen nach Europa oder nach Amerika,
um ein besseres Leben zu führen .
Mit der Internationalisierungsstrategie wollen wir
auch dazu beitragen, Ursachen von Flucht zu bekämpfen,
({0})
indem wir zum Beispiel Forschungs- und Bildungskapazitäten ausbauen und gezielt junge Menschen für den
örtlichen Arbeitsmarkt ausbilden und qualifizieren.
({1})
Dabei gilt bekanntlich unser duales Ausbildungssystem
weltweit als Vorbild . Ich betone, dass es hier aus meiner
Sicht nicht darum geht, es eins zu eins zu exportieren,
({2})
sondern um Kooperation . Viele Staaten wollen bei der
Berufsausbildung mit Deutschland zusammenarbeiten,
insbesondere weil die Übergangsquote von der Ausbildung in den Beruf sehr hoch ist . Das zeigt auch die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland .
({3})
Gut ausgebildete Menschen leisten einen guten Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Partnerländern und gelten auch als Erfolgsbedingung für das
Engagement deutscher Unternehmen im Ausland .
({4})
Bereits mit 17 Staaten hat das BMBF bilaterale Kooperationsabkommen mit Blick auf das duale Ausbildungssystem unterzeichnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen nicht nur
Aufstieg durch Bildung in Deutschland, wir wollen nicht
nur, dass in Deutschland Herkunft kein Schicksal mehr
ist, sondern wir wollen, dass Bildungsgerechtigkeit auch
in weiteren Ländern Fuß fasst .
({5})
Mit der Internationalisierungsstrategie zeigen wir: Erstens, wir werden unserer Verantwortung gerecht, globale
Herausforderungen zu lösen . Zweitens, wir stärken die
Zusammenarbeit mit Partnerländern im Bereich Bildung,
Wissenschaft und Forschung .
In den letzten Jahren habe ich regelmäßig Unternehmen in meinem Wahlkreis besucht . Viele dieser Unternehmen beklagen den Fachkräftemangel . Das ist eine
Herausforderung für unsere Volkswirtschaft, auf die wir
Antworten finden müssen. Es ist deshalb auch ein Ziel
der Internationalisierungsstrategie, die internationale
Mobilität zu steigern und die Anerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse weiter zu erleichtern . Das
Anerkennungsgesetz trat 2012 in Kraft und trägt seitdem
zur Fachkräftesicherung in Deutschland bei . Bis 2015
wurden über 63 000 Anträge auf berufliche Anerkennung
im Bereich des Bundes gestellt und mehrheitlich positiv
beschieden .
({6})
Allerdings, Frau Ministerin, wissen wir auch, dass es bei
der Finanzierung der Anpassungsqualifizierung weiterhin Handlungsbedarf gibt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zeitalter der
Globalisierung müssen wir mehr denn je für die Menschen da sein, die Unterstützung brauchen . Eine gute
Ausbildung und gute Arbeit ermöglichen Teilhabe an
der Gesellschaft, und genau diesen Weg gehen wir mit
der Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung .
Lassen Sie uns gemeinsam an der Umsetzung dieser
Strategie arbeiten .
Danke schön .
({7})
Herzlichen Dank . - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr . Stefan Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ein ganz herzliches Dankeschön an das Haus und an
Ministerin Johanna Wanka persönlich . Hier besteht Einigkeit: Internationalisierung und Außenwissenschaftspolitik werden immer wichtiger für unser Land . Deshalb
kommt diese neue Strategie der Bundesregierung, des
BMBF, genau zur richtigen Zeit .
({0})
Kooperationen gerade in Bildung, Wissenschaft und
Forschung spielen beim Aufbau von bi- und multilateralen Beziehungen eine zunehmend wichtige Rolle . Das
merken wir alle, nicht nur die Bildungs- und Forschungspolitiker, bei jeder Auslandsreise . Das betrifft nicht nur
Hochschulkooperationen, sondern - das haben wir gerade hinlänglich gehört - auch den Bereich der beruflichen
Bildung .
Der Außenwissenschaftspolitik kommt gerade in Krisenzeiten und in Konfliktregionen, derer es ja immer
mehr gibt, eine zentrale Aufgabe zu .
({1})
Sie schafft wissenschaftliche und akademische Perspektiven und Gesprächsfäden, wo in vielen anderen Bereichen nichts mehr an Austausch und Begegnung passiert .
Ich selbst habe es zum Beispiel im April 2015 in Russland nach der Krim-Krise oder 2014 und 2016 in Thailand unter dem Eindruck einer Regierungs- und Verfassungskrise sowie einer Militärregierung erlebt .
Ich will drei Themen nennen, die mir in dem Zusammenhang besonders wichtig sind und zum Teil noch nicht
genannt wurden:
Erstens . Aus meiner Sicht müssen wir die Strukturen
der Wissenschafts- und Innovationskooperationen im
Ausland weiter ausbauen . Das heißt zum Beispiel: mehr
Forschungs- und Wissenschaftsattachés an unseren Botschaften und Konsulaten; denn es braucht die ansprechbaren Köpfe vor Ort .
({2})
Das heißt: Konsolidierung und weiterer Aufbau unserer
Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser, zum
Beispiel in Singapur, Kanada oder China; denn dort, wo
es diese Häuser gibt, funktionieren sie zuallermeist sehr
gut, wie ich auch aus eigener Anschauung weiß . Das heißt
auch: die örtliche Bündelung der Aktivitäten deutscher
Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen wie DAAD,
Fraunhofer- und Max-Planck-Institute, Hochschulen und
sonstige Organisationen wie zum Beispiel AHKs, auch
dort, wo es solche DWIHs noch nicht gibt .
Meine Damen und Herren, bei der Weiterentwicklung
der internationalen Wissenschaftskooperationen zu Innovationskooperationen werden vor allem Länder wie China eine zentrale Rolle spielen . Dort hat die Regierung ja
schon länger das klare Ziel ausgegeben: weg von „Made
in China“, hin zu „Invented and designed in China“ . Deshalb muss Ziel unserer Politik eine systematische Förderung von internationalen Netzwerken in den Bereichen
Bildung, Hochschule, Wissenschaft und Forschung sein,
eben auch zur Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen . - Der Aspekt wurde bisher noch nicht
genannt .
Der zweite Punkt, der mir in diesem Zusammenhang
wichtig ist und genau dazu passt, ist, dass wir die KMU,
die kleinen und mittelständischen Unternehmen, bei ihren
internationalen Innovationskooperationen unterstützen .
Wir haben gestern Abend zu später Stunde über die Förderung der Innovationskraft von KMU diskutiert . Viele
unserer deutschen Mittelständler sind Hidden Champions und agieren weltweit . Der weltweite Wettbewerb
wird immer härter . Deshalb verdienen unsere KMU - gerade wenn sie mit ihrer Innovationskraft auch international erfolgreich sind - unsere volle Unterstützung .
({3})
Auch in diesem Sinne geht es darum, dass wir die bestehenden Netzwerke zu Innovationsstandorten ausbauen
und entsprechende Expertise an unseren Auslandsvertretungen vor Ort anbieten .
Ein dritter Punkt - er wurde schon genannt, aber ich
möchte ihn noch einmal nennen - ist in der Tat die Vertiefung des Europäischen Forschungsraumes . Es wurde
von Frau Ministerin gesagt, dass wir das einzige EU-Mitglied sind, das eine nationale Strategie zum Europäischen Forschungsraum erarbeitet hat, und zwar bereits
im Juli 2014 . Zentral für das Gelingen dieser Strategie
und des Europäischen Forschungsraumes und im Übrigen für den Zusammenhalt Europas ist die Einbeziehung
der EU 13, also der neuen Mitgliedstaaten, die übrigens
zum Teil gar nicht mehr zur EU 13 gehören wollen, weil
sie sich mittlerweile auf Augenhöhe mit uns, mit den
alten Mitgliedstaaten sehen, zum Beispiel Tschechien,
Slowenien oder die Slowakei . Insofern sind Themen wie
die Widening Participation oder die stärkere Nutzung der
Strukturfonds für Forschungs- und Innovationsstrukturen
im Rahmen des Ausbaus des Europäischen Forschungsraums so wichtig .
({4})
Dass wir uns um dieses Thema kümmern müssen,
zeigt folgende Zahl: Der Anteil Europas an den weltweiten FuE-Ausgaben ist von 2007 bis 2013 von 26,2 auf
22,7 Prozent gefallen . Gerade deshalb, meine Damen
und Herren - Herr Kollege Rossmann, Sie haben es ja
auch sehr pointiert hier festgestellt -, müssen wir das
3-Prozent-Ziel hinsichtlich der FuE-Ausgaben in der EU,
im Europäischen Forschungsraum, ernst nehmen,
({5})
und wir müssen das auch von den anderen Mitgliedstaaten entsprechend einfordern .
Was heißt das konkret? Wir müssen unsere nationalen Forschungs- und Innovationspolitiken besser mit der
europäischen Forschungs- und Innovationspolitik vernetzen, im Sinne einer kohärenten Strategie . Wir müssen ganz bewusst auf die Bereitstellung neuer Mittel für
das 9 . FRP, also für das Nachfolgeprogramm von Horizon 2020, hinwirken und auf eine Erhöhung auf mindestens 100 Milliarden Euro bestehen,
({6})
trotz neuer Herausforderungen . Ich freue mich, dass sich
das Europäische Parlament jüngst in diese Richtung positioniert hat . Wir müssen zudem in der EU weiter für
Kooperationen mit innovativen Drittstaaten wie zum
Beispiel Israel offen sein .
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend
nochmals betonen, dass diese Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung einen Meilenstein der deutschen Bildungs- und Wissenschaftspolitik darstellt, auch
in ihrer neuen Ausformung . Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir, wenn wir es gemeinsam angehen, bei der
Umsetzung der vielen Ideen und beim Meistern der vieDr. Stefan Kaufmann
len Herausforderungen Erfolg haben werden . In diesem
Sinne: Packen wir es an!
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr . Kaufmann . - Damit
schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11100 und 18/10359 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar,
Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und
Fankultur - Bürgerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv
bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken
Drucksachen 18/6232, 18/11511
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr . Frank Steffel von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Was gibt es Schöneres,
als beim letzten Tagesordnungspunkt am Freitagnachmittag über Sport zu reden?
({0})
Es gibt wirklich nichts Schöneres .
({1})
Nun reden wir allerdings nicht über die schönen Dinge
des Sports, die uns nicht nur hier, sondern insgesamt in
Deutschland miteinander verbinden - über die vielen Ehrenamtlichen, über die vielen Kinder und Jugendlichen,
die in Sportvereinen viel fürs Leben lernen, und auch die
Millionen von Fans, die begeistert in den Stadien, in den
Hallen oder an den Bildschirmen ihrer Mannschaft die
Daumen drücken -, sondern wir reden heute auf Antrag
der Grünen über die schwierigen Seiten des Sports . Ich
nehme den Grünen auch ab, dass es ihnen mit diesem
Thema, der Bekämpfung von Gewalt, ernst ist .
({2})
- Lieber Özcan Mutlu, Sie sind so feige, dass Sie nicht
einmal zu diesem missratenen Antrag reden . Stattdessen
lassen Sie Frau Lazar reden .
({3})
Leider Gottes enthält Ihr Antrag ein Sammelsurium
von Plattitüden und übrigens auch falschen Zahlen .
({4})
- Dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei diesem
Thema sensibel ist, das werden wir gleich herausarbeiten . Ich will nur kurz auf die Plattitüden eingehen .
Es ist schon bemerkenswert, dass Sie in der letzten
Zeile Ihres Antrages fordern, dass der Deutsche Bundestag nun endlich die antisemitisch motivierten Handlungen gegen Makkabi in Berlin und in Köln verurteilt;
denn damit erwecken Sie den Eindruck, als habe das
Parlament, die Bundesregierung und der deutschen Sport
das nicht immer ausnahmslos getan. Ich finde das nicht
in Ordnung . Ich will das ganz bewusst als ersten Punkt
ansprechen .
({5})
Zweitens . Sie formulieren - ich lese das einmal wörtlich vor -:
Ultras in den Fankurven sind für eine bunte und
lautstarke Fankultur verantwortlich und sind . . . hingebungsvolle junge Menschen, die nicht selten lautstark für . . . Toleranz und Vielfalt einstehen .
Meine Damen und Herren, die Bilder, die ich von Ultras in den Fußballstadien habe, sind vielfach andere . Ich
verstehe nicht, wie das zu der Überschrift Ihres Antrags
passt .
({6})
Es scheint, dass Sie den Referenten nicht im Griff haben,
der diesen Antrag geschrieben hat .
({7})
Dann kommen Sie zu einem falschen Ergebnis; das
entspricht auch Ihrer Politik in den Ländern . Sie fordern
nämlich die Abschaffung der Datei Gewalttäter Sport .
({8})
Das ist die Datei, in der Schwerstkriminelle aufgeführt
sind, die in den Stadien Kinder und Jugendliche, friedliche Fans gefährden,
({9})
die Pyro abschießen, die mit Gegenständen werfen und
die unsere Polizeibeamten vor den Stadien und in den
Stadien und auch die Sicherheitskräfte verprügeln .
({10})
Und Sie wollen diese Datei abschaffen? Sie forderten
auch jüngst im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag hier
in Berlin die Abschaffung der Datei, also nicht nur die
schärfere Kontrolle, sondern die Abschaffung,
({11})
und äußern ein schlimmes Misstrauen gegenüber den
Sicherheitsbehörden; denn Sie erwecken den Eindruck,
unsere Sicherheitsbehörden verfolgten Ultras . Meine Damen und Herren, anders wird ein Schuh draus: Die Ultras
gefährden in den Stadien friedliebende Fans und sportbegeisterte Familien .
({12})
- Ja, ich bin ganz sachlich . Sie können ja gleich antworten .
({13})
Sie nennen Zahlen zu gewaltbereiten Personen und
unterstellen, dass es hier einen Anstieg gebe . Die Zahlen
in Ihrem eigenen Antrag sprechen eine andere Sprache .
Sowohl bei den gewaltbereiten Personen als auch bei
den gewaltsuchenden Personen war in den letzten vier
Jahren ein Rücklauf von 15 Prozent zu verzeichnen: bei
den gewaltbereiten Personen von 4 570 auf 3 900, bei
den gewaltsuchenden Personen von 1 700 auf 1 500 . Ich
sage nicht, dass damit alles gut ist . Ich sage aber ausdrücklich: Die Arbeit von Vereinen, die Arbeit von Fanprojekten, die Arbeit von Kommunalpolitikern und Landespolitikern und die Arbeit der Bundesregierung trägt
hier Früchte . Die Zahl der gewaltbereiten Fans ist in den
letzten Jahren Gott sei Dank zurückgegangen .
Dann kommen Sie zu Ihrem Lieblingsthema, den
rechtsmotivierten Personen . Auch hier sind wir uns in der
Ablehnung einig . Sie unterstellen, dass es einen Anstieg
von rechtsextremen Gewalttaten im Sport gibt .
({14})
Die Zahlen sagen aber genau das Gegenteil . Wir haben auch hier Gott sei Dank einen Rückgang um 10 bis
15 Prozent .
Es gibt aber einen Bereich im Sport, in dem es einen
massiven Anstieg der Zahl der Straftaten gibt .
({15})
Das ist der Bereich, über den Sie natürlich wieder nicht
reden, nämlich der Bereich linksextremistischer Straftaten .
({16})
In diesem Bereich ist die Zahl der Straftaten in der Tat
um 15 Prozent gestiegen . Das sollten Sie der Fairness
halber wenigstens in Ihren Antrag hineinschreiben, lieber
Herr Mutlu, statt, wie so oft, das Thema sehr einseitig zu
betrachten . Das macht Sie nämlich nicht glaubwürdiger .
({17})
Wir haben im Bund viele Programme gegen Extremismus bei den Fans, gegen Rechtsextremismus, gegen Gewalt im Fußballstadion . Übrigens reden wir zu
99,9 Prozent - dieser Schwenk gehört zum Thema dazu ausschließlich über Fußballsport . Wir sollten an dieser
Stelle auch einmal sagen: Es gibt viele Sportarten
({18})
mit Millionen von Fans und Zehntausenden von Sportlerinnen und Sportlern, bei denen samstags und sonntags
Hunderttausende von Spielen friedlich, harmonisch und
sehr sportlich durchgeführt werden . Der Ausschnitt, über
den wir hier heute reden, ist sehr, sehr klein .
Sie erwecken den Eindruck, die Bundesregierung
habe bei diesem Thema nichts getan . Das ist falsch . Man
könnte pauschal sagen: „Der Bund ist dafür gar nicht zuständig“ - die Länder legen gerade bei diesem Thema
sehr großen Wert auf ihre Eigenständigkeit -; aber aufgrund der Bedeutung des Themas sollten wir uns keinen
schlanken Fuß machen, sondern sehr klar sagen: Auch
der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung stehen in dieser Frage sehr klar an der Seite der Fanprojekte
und der Sportvereine . Wir unterstützen sie, indem wir die
Mittel erhöht haben und sie in vielerlei Hinsicht motivieren, bei ihren Fans für Ordnung zu sorgen . Im Übrigen
sind das keine Fans, sondern Gewalttäter und Straftäter,
und so sollten wir sie auch bezeichnen .
({19})
Ich will deutlich machen, dass wir das Thema nicht
alleine lösen können . Das ist erstens kein Phänomen des
Sports. Das, was dort stattfindet, findet auch im Sport
bzw . im Fußballstadion statt, aber es ist ein gesellschaftliches Phänomen, mit dem wir uns in Schulen, im Jugendbereich, aber auch in allen anderen Bereichen der
Gesellschaft engagiert auseinandersetzen müssen .
Zweitens ist das kein deutsches Phänomen . In vielen
Ländern, gerade in Europa, stellen wir fest - übrigens in
den östlichen genauso wie in den westlichen Ländern -,
dass Sportveranstaltungen offensichtlich missbraucht
werden, um extremistische, antisemitische, gewaltbereite Parolen zu verbreiten und Gewalttaten im Umfeld von
Sportveranstaltungen durchzuführen .
Wir sollten daher alle viel selbstbewusster über die
Werte des Sports reden . Wir sollten über den Nutzen von
Sport reden . Wir sollten über die 30 Millionen Menschen
in Deutschland reden, die sich ehrenamtlich engagieren,
viele davon im Sport, viele auch in anderen Bereichen
der Gesellschaft . Wir sollten unseren Übungsleitern danken, die jeden Tag in Sporthallen und auf Sportplätzen
die Werte des Sports vermitteln: Toleranz und Mannschaftsgeist . Wir sollten unseren Trainern danken, und
wir sollten die Rahmenbedingungen für die Ehrenamtlichen verbessern . Wir sollten Bürokratie abbauen und uns
noch einmal mit der Frage beschäftigen, ob wir die Ehrenamtspauschale nicht doch auf die Höhe der Übungsleiterpauschale erhöhen sollten . Damit würden wir denjenigen, die im Verein ehrenamtlich oft die undankbarsten
Arbeiten erledigen, denjenigen, ohne die das Ganze nicht
funktionieren würde, in unserer ganz konkreten politischen Arbeit Anerkennung und Respekt zollen und nicht
nur in Sonntagsreden . Einig dürften wir uns sein .
Lassen Sie uns über diesen Teil des Sports reden . Lassen Sie uns über die Werte reden, die durch den Sport
vermittelt werden . Lassen Sie uns einheitlich und geschlossen mit der Bundesregierung gemeinsam dafür
sorgen, dass die wenigen, die das Bild des Fußballs und
das Bild des Sports jeden Samstag und jeden Sonntag
zumeist in den Bundesligastadien trüben, wissen, dass
sie die Ausnahme und nicht die Regel sind . Sie sollten
die ganze Kraft und die ganze Härte des Rechtsstaates
spüren, aber auch die Werte der Gesellschaft . Wir sollten
deutlich machen: Unser Bild vom Sport ist ein anderes .
Wir haben ein anderes Verständnis von Toleranz und Integration . Das hat übrigens gerade die Integration von
Flüchtlingen in den Sportvereinen bewiesen .
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende auf den vielen Sportplätzen in Deutschland und
viele fröhliche und gewaltfreie Fans .
({20})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Jetzt hat der Kollege
Dr . André Hahn von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Steffel, trotz unbestrittener Anstrengungen von Fans,
Vereinen und Verbänden sind im Sport, insbesondere
im Fußball, Rassismus und Homophobie leider immer
wieder an der Tagesordnung . Auch die unterschiedlichen staatlichen Programme von Bund und Ländern haben diese menschenfeindlichen Phänomene bisher nicht
wirksam unterbinden können .
({0})
Es ist also weder dem Fußball noch der Politik allein gelungen, eine antirassistische Kehrtwende in den Stadien
einzuleiten .
Wie wäre es, den Kampf gegen rechte Hooligans und
Nazischläger endlich einmal gemeinsam anzugehen?
Wenn sich die wahren Fußballfans aktiv einmischen,
statt wegzuschauen, verdienen sie unseren Respekt und
unsere Anerkennung .
({1})
Ich erlebe erfreulicherweise immer wieder bei vielen Fußballvereinen in Sachsen, nicht zuletzt auch bei Dynamo
Dresden - dass es dort bekanntermaßen Schwierigkeiten
gibt, darf und soll nicht verschwiegen werden -, dass die
übergroße Mehrheit der Fans Gewalt und Rassismus entschieden ablehnt . Dies ist am Ende eine wichtige Voraussetzung für volle Stadien, für eine gefüllte Vereinskasse
und schließlich auch für den sportlichen Erfolg .
Das Phänomen, über das wir heute reden, gibt es nicht
nur in Deutschland, sondern auch bei unseren europäischen Nachbarn . Wir brauchen also nicht nur den berühmten Blick über den Tellerrand, sondern auch international abgestimmte Strategien . Hier meine ich nicht nur
grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, sondern eben auch die Förderung der Zusammenarbeit von Faninitiativen .
({2})
Der Antrag der Grünen ist sinnvoll . Ich verstehe überhaupt nicht, wie man ihn ablehnen kann .
({3})
Und im Gegensatz zum Kollegen Steffel freue ich mich
auf die Rede von Frau Lazar . Sie wird uns bestimmt etwas zu sagen haben .
In der ersten Debatte zu diesem Antrag am 28 . Januar
2016, also vor über einem Jahr, haben die Redner der Koalition mehrfach auf die Autonomie des Sports verwiesen . Haben Sie das getan, um sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen? Haben Sie überhaupt eine Idee, wie
es funktionieren könnte? Ich habe nichts gehört . Überaus dürftig sind auch Ihre Begründungen zur Ablehnung
des vorliegenden Antrags . Bessere Vorschläge haben Sie
nicht vorgelegt .
({4})
Auch die vor Jahresfrist angekündigte Debatte im
Sportausschuss, um eine klare Aussage der Bundesregierung zu Löschungen in der Datei „Gewalttäter Sport“ zu
erhalten - es geht nicht um deren Abschaffung, sondern
um Löschungen -, ist letztlich ziemlich unbefriedigend
ausgefallen . In der Beschlussempfehlung jedenfalls gehen Union und SPD mit keinem Wort mehr auf notwendige Änderungen bei den Regelungen für die Speicherung ein . Dabei wissen auch die Koalitionäre ganz genau,
dass die Bestimmungen, wer in dieser Datei gespeichert
werden kann, alles andere als konkret sind . Immer wieder kommt es zu völlig anlasslosen Speicherungen . Insofern muss dort etwas getan werden .
({5})
- Herr Kollege Steffel, wenn das das Einzige ist, was Ihnen dazu einfällt, tun Sie mir ausgesprochen leid .
({6})
Es muss doch uns allen daran gelegen sein, dass die
Daten einer Person, die ohne entsprechenden Grund, völlig ungerechtfertigt, vielleicht durch irgendeine Polizeikontrolle, in der Datei gelandet sind - das sind beileibe
keine Einzelfälle -, unverzüglich gelöscht werden . Das
sollte schlicht eine Selbstverständlichkeit sein .
({7})
Genauso selbstverständlich sollte es sein, die Anzeichen
für verstärkte rechtsextreme Aktivitäten von vermeintlichen Fußballfans als gesamtgesellschaftliches Problem
zu benennen .
Nun ein Zitat:
Der Fußball allein kann gesellschaftliche Probleme
zwar nicht lösen, aber gemeinsam können wir einen
Beitrag dazu leisten, Rechtsextremismus und Diskriminierung in Deutschland ins Abseits zu stellen .
So heißt es im Vorwort der DFB-Broschüre „Für Vielfalt
und Respekt!“ . Das bedeutet: Um die Fangewalt, insbesondere um die rechtsextremistische, muss sich auch die
Politik in Bund, Ländern und Kommunen kümmern, anstatt einfach auf die Autonomie des Sportes zu verweisen
und die Sache an den Deutschen Fußball-Bund als größte
Sportfachorganisation der Welt zu delegieren .
Die Linke plädiert dafür, dass zivilgesellschaftliches
Engagement von Fangruppen und Vereinen, die sich gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im
Sport einsetzen, noch besser und gezielter als bisher gefördert wird . Wir unterstützen dabei durchaus die Idee
eines einheitlichen Bundesprogramms zur Unterstützung
einer friedlichen und vielfältigen Fankultur . Wir halten
es allerdings für sinnvoller, dies in das bereits bestehende Programm „Demokratie leben“ einzuordnen . Beim
Rechtsextremismus handelt es sich schließlich nicht um
ein sportspezifisches Problem - da hat Herr Steffel ausnahmsweise recht -;
({8})
er ist vielmehr Teil einer echten Gefahr für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt, und das sollte uns alle
angehen . Rechtes Gedankengut, rechte Parolen und
rechte Schläger beim Fußball sind unser aller Problem .
Deshalb müssen wir endlich entschlossen und vor allem
gemeinsam dagegen vorgehen .
Herzlichen Dank .
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaela
Engelmeier für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Treffen unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ von etwa
5 000 Anhängern im Herbst 2014 in der Kölner Innenstadt zeigte, wie Rechtsextreme versuchen, den Sport für
ihre perfiden Gedanken zu nutzen und zu unterwandern.
Daher ist es wichtig, in allen Teilen der Gesellschaft,
auch im Sport, den Hetzern von rechts außen die Rote
Karte zu zeigen .
({0})
Rechtsextremismus und die Bekämpfung von Andersdenkenden sind kein alleiniges Phänomen im Sport,
sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem . Meine
Partei, die SPD, mit Martin Schulz an der Spitze
({1})
wird nicht müde, die falschen Aussagen der braunen Hetzer zu überführen .
({2})
- Ich weiß, dass Sie traurig sind, dass Sie keinen Martin
Schulz haben . Aber bei uns ist das so, und wir freuen uns .
({3})
Wir wollen uns engagieren und aufstehen gegen rechte Hetze . Wir wollen aufstehen für Engagement für Demokratie .
({4})
- Entschuldigung, Özcan, schade, dass du nicht reden
darfst . Wir können uns gleich gerne weiter darüber unterhalten . Alles geschenkt .
Der Schutz aller Menschen vor Rassismus und Diskriminierung hat für die Bundesregierung eine herausragende Bedeutung . Deshalb haben wir unter anderem,
lieber André, die Mittel für das Programm „Integration
durch Sport“ im vergangenen Jahr auf 11 Millionen Euro
mehr als verdoppelt, und im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ stehen seit diesem Jahr erstmalig mehr als
100 Millionen Euro zur Verfügung .
({5})
Für mich ist ein einheitliches Bundesprogramm gegen
rechts, wie es die Antragsteller von den Grünen fordern,
nicht zielführend .
({6})
Das rechte Gedankengut ist viel zu vielschichtig in den
Köpfen, als dass man mit nur einem Programm alle Probleme lösen könnte . Es ist wichtig, dass die Bundesregierung weiterhin flexibel auf Bewegungen in der rechten
Ecke reagieren kann . Wir wollen alle Menschen mitnehmen, sich für Demokratie zu engagieren . Dafür brauchen
wir eine Vielfalt von Initiativen .
Welchen Beitrag der Sport für eine gelungene Integration von Menschen mit Migrationshintergrund leistet,
zeigen die vergangenen Monate . In Deutschland engagiert sich jeder dritte Sportverein für Flüchtlinge . Den
Begriff „Willkommenskultur“ erfüllten die Vereine mit
Leben . Viele Millionen Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich . Dabei waren es besonders die Vereine, die
mit ihren Turnhallen Notunterkünfte zur Verfügung stellten . Waren vor einem Jahr im gesamten Bundesgebiet
etwa 1 000 Turnhallen belegt, sollen bis zum Sommer
fast alle Hallen wieder freigegeben werden . Für die Bereitstellung der Hallen möchte ich mich an dieser Stelle
bei den Vereinen, ihren Ehrenamtlichen und den Mitgliedern sehr, sehr herzlich bedanken .
({7})
Wie bunt und vielfältig selbst der Profifußball in
Deutschland geworden ist, zeigt ein Vergleich: Bei der
WM 1998 hatte kein Spieler des deutschen Nationalteams einen Migrationshintergrund . Bei der EM 2016
waren es bereits 10 von 23 Spielern . In den Nachwuchszentren der Klubs haben 40 Prozent der Kicker keine
deutschen Wurzeln . Es zeigt sich also, dass der Sport an
Vielfalt gewinnt .
Dennoch gibt es immer wieder Versuche von rechten
Hetzern, den Sport als Bühne zu missbrauchen . So verbreiteten die Mitglieder des rechten Fußballvereins FC
Ostelbien Dornburg aus Sachsen-Anhalt mit ihrem brachialen, rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Auftreten Angst und Schrecken . Daher ist der
Verein bereits Ende 2015 aus dem organisierten Sport in
Sachsen-Anhalt ausgeschlossen worden .
({8})
Auch antisemitische Anfeindungen sind keine Ausnahme . Das Spiel zwischen TuS Makkabi III und dem
BFC Meteor III im August 2015 in Berlin musste wegen Übergriffen abgebrochen werden . Auslöser der
Auseinandersetzung waren antisemitische Äußerungen
gegenüber einem Spieler von TuS Makkabi . Auch das
Spiel zwischen Mügeln-Ablaß 09 und Roter Stern Leipzig - viele Grüße an Monika Lazar - ist in der Folge von
antisemitischen Gesängen aus dem Bereich der Mügelner Fans abgebrochen worden . Nicht genug: Es gibt in
Brandenburg den Sechstligisten TuS Sachsenhausen .
Dessen Fans hatten bei einem Spiel gegen den SV Babelsberg ein Transparent ausgerollt, auf dem stand: „Gas
geben Sachsenhausen“ . Wir alle kennen die Geschichte
von Sachsenhausen . Wir alle kennen das Konzentrationslager . Menschenverachtender geht es nicht . Im Übrigen
wurden - das ist interessant - nicht einmal die Personalien von den Menschen, die dieses Plakat entrollt haben,
aufgenommen .
({9})
Ich finde, das ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich formuliere
hier ganz ausdrücklich ein klares Nein zur aufkommenden Feindlichkeit gegenüber Juden .
({10})
Die Übergriffe vor den Stadien, am Spielfeldrand oder
gar auf dem Spielfeld zeigen, wie wichtig die Prävention durch Aufklärung ist, unter anderem durch die Sicherheitsbehörden . Wir halten an der Datei „Gewalttäter
Sport“ fest, damit randalierende, gewalttätige Fans keinen Zutritt zu den Stadien haben . Wir fördern allerdings
Vielfalt unter dem Motto „Bunt statt braun“ im Sport und
werben für ein gemeinsames Miteinander und mehr Respekt . Kein Schritt weit den Rassisten und Antisemiten,
auch nicht im Sport!
Herr Steffel, bei der Ehrenamtspauschale nehme ich
Sie beim Wort .
In diesem Sinne ein wunderschönes Wochenende! Ich
danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Engelmeier . - Nächste
Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für Bündnis 90/
Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es einmal wieder zu Gewalt im Fußball kommt,
gibt es häufig reflexartige Reaktionen. Man zeigt sich
von dem vermeintlich neuen Ausmaß an Gewalt zu Recht
schockiert . Man fordert drakonische Strafverschärfungen
oder sogar Gesetzesänderungen . Differenzierung und
Augenmaß sind oft Fehlanzeige . So war es auch bei den
letzten Ausschreitungen Anfang Februar dieses Jahres in
Dortmund gegen die Fans von RB Leipzig . Ein friedliches Stadionerlebnis sollte für alle Fans gewährleistet
werden . Das gilt sowohl für Fans von Traditionsklubs als
auch für Fans von sogenannten Retortenvereinen .
({0})
Man kann am Modell von RB Leipzig zu Recht einiges
kritisieren . Allerdings ist das keine Rechtfertigung für
Hass und Gewalt .
({1})
Gegen Gewalttäter muss konsequent vorgegangen werden . Da sind wir uns, glaube ich, einig - unabhängig
davon, was der Kollege Steffel vorhin alles überspitzt
vorgetragen hat .
Allerdings: An diesem Beispiel von Anfang Februar
zeigt sich mir der Sinn von Kollektivstrafen nicht . Wieso
bestraft zum Beispiel der DFB fast 25 000 Fans durch
die Sperrung der gesamten Südtribüne? Davon waren
auch die mehrheitlich friedlichen Fans betroffen . Kollektivstrafen sind nicht das richtige Mittel, weil es dadurch
auch zu Solidarisierungseffekten zwischen den Problemfans und den gewaltfreien Fans kommen kann . Auch eine
interne Auseinandersetzung wird dadurch nicht gerade
gefördert .
Problematisch ist auch, wenn der Staat Fußballfans
quasi unter Generalverdacht stellt . Genau das macht er
bisweilen . In 12 von 16 Bundesländern führen szenekundige Beamte intransparente Datenbanken über Fußballfans, die teilweise lange geheimgehalten wurden . Zu den
lokalen Datensammlungen kommt auch noch die bundesweite Datei „Gewalttäter Sport“ . Schon alleine der Name
ist irreführend . Man kann da sehr schnell hineinkommen,
zum Beispiel schon dann, wenn nur die Personalien festgestellt werden . Ich rate jedem, sich einmal zu Gemüte
zu führen, was dort gespeichert ist . Von der Schuhgröße
bis zum Dialekt ist quasi alles möglich .
({2})
Die Daten von Personen, deren Ermittlungsverfahren
man eingestellt hat, werden nicht automatisch gelöscht .
Wie eine Kleine Anfrage von uns zur Datei „Gewalttäter
Sport“ ergeben hat, soll die Datei sogar noch weiter aufgebläht werden . Wir sagen: Statt die Datei noch weiter
aufzublähen, sollte man lieber die Löschfrist verkürzen
und vor allem eine Benachrichtigungspflicht einführen;
({3})
denn nur wer weiß, dass er gespeichert ist, kann dagegen
vorgehen, falls er unschuldig ist .
({4})
Außerdem hätte eine Benachrichtigung auch eine pädagogische Wirkung . Wenn ich merke, dass ich gespeichert
bin, dann kann ich vielleicht auch mein Verhalten entsprechend ändern und in Zukunft ein braver Fußballfan
werden .
Wir sagen nicht, dass wir die Datei „Gewalttäter
Sport“ komplett abschaffen wollen; denn gewalttätige
Hooligans können durchaus gespeichert werden, und die
Polizei muss vor Fußballspielen natürlich wissen, welche
Fanklientel sich dort bewegt . Wir wollen die Datei allerdings reformieren und auf eine rechtsstaatliche Grundlage stellen .
({5})
Für uns Grüne ist nämlich klar: Fußballfans geben ihre
Bürgerrechte nicht am Stadiontor ab .
Statt auf Repression und Datensammelwut setzen
wir auf Prävention . Auch deshalb wollen wir die Fußball-Fanprojekte noch stärker unterstützen . Wir alle wissen: Schon jetzt leisten viele Sozialpädagoginnen und
Sozialpädagogen in allen Bundesländern wertvolle präventive Arbeit, besonders mit jungen Fußballfans . Das
wollen wir weiter ausbauen .
Auch aus den Fußball-Fanszenen kommen viele positive Initiativen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie . Viele Fangruppen
machen Angebote für Geflüchtete. Das ist von anderen
Rednerinnen und Rednern ja auch schon erwähnt worden . Deshalb sagen wir, dass es durchaus sinnvoll sein
könnte, die bisherigen verschiedenen Fördermöglichkeiten der unterschiedlichen Ministerien zusammenzuführen und ein einheitliches Förderprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport aufzulegen .
Wir haben natürlich nichts dagegen, dass das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ jetzt auf 100 Millionen
Euro aufgestockt wurde . Das ist durchaus eine richtige
Entscheidung . Auch dort gibt es schon entsprechende
Fördermöglichkeiten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Ich denke, nur im Dialog mit allen Beteiligten - das sind Fans, Fanprojekte, Fanbeauftragte, Vereine, Verbände, Politik und Polizei - können wir unser
gemeinsames Ziel erreichen, das lautet: ein friedliches
Stadionerlebnis für alle, eingebettet in eine vielfältige
Fankultur . Das sollte unser aller Anliegen sein .
Vielen Dank .
({6})
Ich darf alle bisherigen Rednerinnen und Redner loben, weil sie ihre Redezeit sehr diszipliniert präzise eingehalten haben .
({0})
Jetzt hat der Kollege Johannes Steininger für die
CDU/CSU das Wort .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Tribüne! Ich schaue auch, dass ich mich an die Redezeit halte, und kann vorausschicken: Natürlich unterstützen auch wir das Anliegen, das in der Überschrift des
Antrags steht, nämlich eine „weltoffene und vielfältige
Sport- und Fankultur“ in Deutschland . Es sind schließlich die Fans, die sozusagen das Salz in der Suppe des
Sports sind, und wir alle wollen, wenn wir ins Stadion
gehen, dass das Ganze friedlich verläuft .
Wenn man sich dann allerdings den Antragstext durchliest, der auf diese Überschrift folgt, dann sieht man recht
schnell, dass der Antrag erstens in vielem unzureichend
ist, zweitens ein Sammelsurium an verschiedensten Forderungen enthält, die auch nur wenig miteinander zu tun
haben, und drittens teilweise auch noch in die falsche
Richtung geht . Deswegen werden wir diesen Antrag heute auch wieder ablehnen .
({0})
Frau Lazar hat gerade die Ereignisse in Dortmund
erwähnt . Der Antrag, den wir hier vorliegen haben, gibt
aber keinerlei Antworten darauf, welche Konsequenzen
es aus den Ereignissen rund ums Spiel Dortmund gegen
Leipzig geben muss . Das, was da passiert ist, hat mit einer weltoffenen und vielfältigen Fankultur natürlich rein
gar nichts zu tun .
({1})
Ich habe mir in Vorbereitung auf meine Rede auf YouTube noch einmal ein paar Szenen von denjenigen angeschaut, die dort waren . Man kann tatsächlich sagen:
Das hat mit Fan-Sein nichts zu tun, sondern das sind
Kriminelle und Gewalttäter . Der Spießrutenlauf, den die
Dortmunder Kriminellen mit den Leipziger Fans veranstaltet haben, das geht gar nicht . Aus dem Slogan der
Dortmunder, „Echte Liebe“, wurden eher „Echter Hass“
und „Echte Gewalt“ . Es gab brutale Angriffe, Menschen
wurden abgepasst, Böller und Leuchtraketen wurden geworfen . Es wurden sogar Steine auf Familien, Kinder,
Frauen geworfen . Wir müssen alles erdenklich Mögliche
tun, um diesen Gewalttätern das Handwerk zu legen .
({2})
Es ist schon interessant, was in Ihrem Antrag nicht erwähnt wird . Sie nennen ja einige Punkte, die im Kompetenzbereich der Bundesländer liegen . Ich hätte mir aber
schon gewünscht, dass Sie zum Beispiel auch etwas dazu
sagen, wie die Personalausstattung der Polizei in den
Ländern aussieht, wie es um die Ausstattung der Polizei
bestellt ist - beispielsweise mit Bodycams - und was mit
dem Thema „Videoüberwachung rund ums Stadion“ ist .
({3})
Das wollen Sie an dieser Stelle aber nicht machen, weil
das für Sie dort, wo Sie Verantwortung haben, kein Ruhmesblatt ist und weil Sie hier an verschiedenen Stellen
auch ideologische Scheuklappen aufstellen .
({4})
Schauen Sie sich beispielsweise die Polizeiausstattung
in Nordrhein-Westfalen und in meinem eigenen Bundesland, in Rheinland-Pfalz, an . Bezogen auf die Einwohnerzahl sind wir bei der Polizeidichte Schlusslicht . Deshalb sagen Sie zu diesem Thema nichts .
({5})
Herr Kollege Steininger .
Ich wollte auch eine Zwischenfrage provozieren . Das
habe ich mir schon gedacht .
Also haben Sie das Wort, Herr Kollege von Notz .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Das mit der Zwischenfrage war sehr geschickt gemacht .
Nennen Sie doch einmal die Zahlen! Welche Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat Polizei abgebaut,
und welche hat in den letzten Jahren Polizei aufgebaut?
Das würde mich einmal interessieren . Ich könnte Ihnen
die Antwort geben, aber zum Antwort-Geben bin ich ja
nicht hier .
({0})
- Sie haben das ja angesprochen . - Noch einmal: Wer
hat Polizei in Nordrhein-Westfalen abgebaut, und welche
rot-grüne Landesregierung hat Polizeistellen geschaffen?
Sie können sich einmal die Zahlen in Bayern und Hessen anschauen .
({0})
Vizepräsident Johannes Singhammer
Diese können sie in der Dichte mit den Zahlen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vergleichen . Für
Rheinland-Pfalz, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich genau sagen, wer dort leider seit 25 Jahren
in der Verantwortung ist . Das sind nun einmal Rot und
Grün .
({1})
Herr Kollege von Notz, ein Zwiegespräch ist in unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen,
({0})
sondern das Stellen einer Frage und deren Beantwortung .
({1})
Deswegen gehen Sie bitte zu den Verantwortlichen in
Ihren eigenen Regierungen und sagen Sie ihnen, dass sie
dieses Problem in Ordnung bringen sollen .
({0})
Auch fehlt ein klares Bekenntnis zur Videoüberwachung rund um Stadien . Das hätte diesem Antrag gutgetan .
({1})
Wenn Sie sich die Berichte zu Dortmund anschauen,
dann sehen Sie, dass durch die hochauflösenden Bilder,
die die Videokameras gemacht haben, die Aufklärung erleichtert wird .
({2})
Das hat eine viel größere Abschreckung als das, was Sie
in Ihrem Antrag beschreiben .
({3})
Wir als Union stehen hinter den Polizistinnen und Polizisten in unserem Land . Deswegen ist es gut, dass wir
einen Vorschlag auf den Weg gebracht haben, um Angriffe auf Rettungskräfte und Polizisten härter zu bestrafen .
({4})
Auch dies müsste in einem solchen Antrag erwähnt werden .
({5})
Stattdessen schießen Sie sich auf die Datei „Gewalttäter Sport“ ein . Aber gerade diese Datei ist ein wichtiges
Hilfsmittel für die Polizei . Sie versetzt die Beamten in
die Lage, zu einem sicheren Verlauf von Sportveranstaltungen beizutragen, weil sie die Täter zu Beginn zielsicher identifizieren können,
({6})
um dann gezielte Maßnahmen gegen einzelne Personen
durchzuführen .
({7})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was würden
wir gerade nach diesen schlimmen Ereignissen im Februar 2017 in Dortmund heute für ein fatales und verharmlosendes Zeichen setzen, wenn wir als Parlament eine
solche Aufweichung beschließen würden? Das geht aus
unserer Sicht gar nicht .
({8})
Die Datei hilft aus den genannten Gründen sowohl bei
der Prävention als auch bei der Aufklärung . Sie ist dabei
auch ein gutes Beispiel dafür, wie der Bund und die Länder zusammenarbeiten . Das ist bei Sicherheitsbehörden
nicht immer so . Hier passt das gut .
Ich komme jetzt zu den einzelnen Punkten . Löschungsfristen zu verkürzen, davon halte ich gar nichts .
({9})
Ich glaube, innerhalb von zwölf Monaten hat die Löschung überhaupt keinen Sinn . Auch die pädagogische
Maßnahme dahinter erschließt sich mir in keiner Art und
Weise .
Sie schreiben weiterhin, die Daten sollen nicht an die
Vereine weitergegeben werden . Auch das sehen wir nicht
so . Die Vereine sollen schon wissen, welche Chaoten
und Kriminelle im Zweifel versuchen, in ihre Stadien
zu kommen . Mit Pädagogik kann man diejenigen, die in
Dortmund bei dem Spiel Steine geworfen haben, nicht
zur Vernunft bringen . Deswegen sind die meisten Punkte,
die Sie zum Thema der Datei „Gewalttäter Sport“ schreiben, absoluter Quatsch .
Darüber hinaus fordern Sie, ein einheitliches Bundesprogramm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im
Sport aufzulegen . Hier ist zunächst festzustellen - das
wurde schon von Herrn Hahn genannt -, dass dies kein
sportspezifisches Problem ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches . Deswegen ist die Tonalität des Antrags
schlecht, weil er dadurch den Sport ein Stück weit stigmatisiert . Ein Blick auf die Zahlen, die sogar in Ihrem
Antrag stehen, zeigt: Es gibt in diesem Bereich 3,3 Prozent an rechtsextremen Straftaten . Das ist aus meiner
Sicht nicht überproportional - auch wenn natürlich klar
ist, dass jede einzelne Straftat verabscheuungswürdig ist
und auch nicht verharmlost werden soll -, dies ist also
kein Massenphänomen .
Wir glauben nicht, dass ein Einheitsprogramm die
Probleme, die eben sehr vielfältig sind, lösen kann . Es
gibt Unterschiedlichkeiten in den Vereinen und in der
Sportlandschaft . Es gibt Unterschiedlichkeiten bei den
einzelnen handelnden Personen . Deswegen ist der subsidiäre Ansatz, den wir und auch die Bundesregierung
verfolgen, gut .
In diesem Zusammenhang wurden schon einige Programme genannt: „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und
die Initiative „Verein({10}) gegen Rechtsextremismus“ . Wir
bezahlen die Hälfte der Kosten für die Koordinationsstelle Fanprojekte . Natürlich möchte ich ebenso - auch Frau
Engelmeier hat darauf hingewiesen - das ganz wichtige Programm „Integration durch Sport“ vom BMI und
BAMF erwähnen, für das ein großer finanzieller Aufwand geleistet wird .
Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für den Fußball brechen . Insbesondere der deutsche Fußball ist doch
die Institution, die Menschen massiv integriert und in
den Vereinen beispielhaft vorgeht . Schauen wir uns einmal die Flüchtlingssituation an: 2015 sind insgesamt
42 000 Spielberechtigungsanträge von Migranten eingegangen . 2013 lag diese Zahl noch unter 10 000 . Das
ist ein massiver Aufwuchs, der zeigt, wie sehr sich die
Vereine engagieren .
Deswegen sage ich: Das Zusammenspielen auf dem
Platz, das gemeinsame Trainieren und der Zusammenhalt in einer Mannschaft sind das beste Mittel zur Prävention von saudummen rechtsradikalen Gedanken und
gegen Ressentiments . Deswegen danken wir heute allen
ehrenamtlichen Trainern und Übungsleitern, die diese
Herausforderung jeden Tag auf den Sportplätzen dieser
Republik annehmen .
({11})
Bei vielem anderen wie Ehrenamtspauschale und Bürokratieabbau müssen wir eher ansetzen und unsere Vereine besser unterstützen, damit sie dieser Arbeit auch nachkommen können .
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende .
Viel Spaß auf den Sportplätzen dieser Nation und alles
Gute .
({12})
Die Kollegin Jeannine Pflugradt spricht jetzt für die
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Januar
des letzten Jahres haben wir hier über den Antrag von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schon einmal gesprochen . Alle Fraktionen waren sich damals darin einig, dass
es wichtig ist, entschieden gegen Rechtsextremismus im
Fußball vorzugehen . Meine persönliche Meinung ist: gegen jegliche Form von Extremismus . Die Entwicklung
des Extremismus an sich, ob im Bereich des Sports oder
in anderen Gesellschaftsbereichen, gilt es immer zu beobachten .
Ob der Staat mehr tun kann, darüber kann man diskutieren, das ist legitim und wichtig . Es ist aber nicht
zielführend, in der Frage um Programme gegen Rechtsextremismus immer wieder bestehende Programme für
Integration anzuführen und gegeneinander aufzuwiegen .
Die Bekämpfung von Rechtsextremismus ist die eine Sache, die Förderung der Integration ist eine ganz andere .
Dies sage ich besonders an die rechte Seite hier im Plenum gerichtet .
({0})
Einigen Punkten dieses Antrags stimme ich zu im
Sinne von mehr Transparenz und Datenschutz . Ja, Problemstandorte müssen klar benannt werden, um rechte
Netzwerke schwerpunktmäßig zu bekämpfen . Auch ist
die Datei „Gewalttäter Sport“ hinsichtlich des Datenschutzes kritisch zu sehen . Jeder in die Datei Aufgenommene muss darüber unterrichtet werden und sollte sich
auch dazu äußern dürfen .
({1})
Wer keine Straftat begangen hat, darf auch nicht auf dieser Liste stehen, das ist klar .
Nun zu Ihrer Forderung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nach einem einheitlichen Bundesprogramm . Sie ist der Grund dafür, dass ich Ihrem Antrag
leider nicht zustimmen kann . Das sehe ich ein bisschen
kritisch .
({2})
Ich bin der Ansicht, dass gerade die Vielzahl der Programme gegen Rechtsextremismus wirksamer ist als ein
einzelnes Bundesprogramm . Es gibt zahlreiche Initiativen, die ich nicht alle aufzählen will . Wir kennen sie alle .
Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützen diese Programme .
({3})
- Und Martin Schulz, ganz genau, wunderbar .
({4})
Die nationalen Sportverbände sowie fast alle Bundesligavereine leisten sich eigene Projekte gegen rechte
Fangewalt. Im Antrag selbst findet sich bei diesem Punkt
ein Widerspruch . Einerseits wird die - ich zitiere- „zentralistische und medienwirksame Herangehensweise der
Verbände“ kritisiert, die teilweise dazu führe, „dass das
Engagement einzelner Fans gegen Rassismus regelrecht
ausgebremst“ werde . Da frage ich mich, wie es dann erst
mit einem zentralen Bundesprogramm aussehen würde .
Das Mobilisierungspotenzial unter gewaltbereiten
Fußballfans ist zum Beispiel hoch . Ja, rechtsextreme
Gruppen rekrutieren ihre Anhänger vermehrt wieder aus
der Fanszene . Dabei ist es aber nicht so, dass der RechtsJohannes Steiniger
extremismus zurück in die Stadien drängt . Die Gewalt
findet fast ausschließlich außerhalb der Stadien im Umfeld von Fußballspielen statt . Dagegen muss weiter entschieden vorgegangen werden . Die Begeisterung für
Fußball und Sport generell darf nicht von menschenverachtenden Gruppen instrumentalisiert werden .
Ich bin auch persönlich der Meinung, dass Fußballvereine für die Einsetzung von Polizei bzw . Bundespolizei
finanziell verantwortlich gemacht werden müssen, wenn
sie ihren Ordnungspflichten nicht nachkommen.
Das ist nicht Aufgabe des Staates . Oder haben Sie solche
Einsätze schon einmal in der Leichtathletik, beim Eishockey, beim Kanurennsport oder beim Motorsport gesehen, Herr Steffel? Ich nicht .
({5})
- Da sage ich nicht Martin Schulz . Das sage ich hier . Darüber müssen wir reden .
({6})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für das Zuhören . Ein schönes Wochenende!
({7})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Matthias Schmidt für die SPD .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über die
schönste Nebensache der Welt, den Fußball .
({0})
- Wir können auch gerne über Martin Schulz reden, aber
auf der Tagesordnung steht nun einmal der Fußball . Wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, dass die
Fankultur im Sport weit über den Fußball hinausgeht .
Wir denken dabei an Eishockey, Handball, Basketball
bzw . an die großen Mannschaftssportarten, die auch Profiligen haben. Aber auch im Wintersport beispielsweise
gibt es eine aktive Fankultur: beim Skispringen, Biathlon und bei anderen Sportarten . Über all das müssen wir
heute reden .
Probleme gibt es aber hauptsächlich oder eigentlich
fast nur beim Fußball . Deswegen fokussiert es sich immer darauf . Aber auch der Fußball ist sehr vielschichtig .
Das Problem betrifft nicht nur die erste und zweite Liga,
vielleicht auch noch die dritte; nein, es geht durchaus
auch um die unteren Ligen .
Die erste und zweite Liga pausieren an diesem Wochenende . Zurzeit ist Länderspielpause . Damit wären wir
bei dem nächsten Fanprojekt, nämlich dem für die Fußballnationalmannschaft . Auch das gibt es, und das zeigt
uns, wie unterschiedlich und vielfältig die Fankultur in
Deutschland über die Sportarten und die unterschiedlichen Ligen hinaus ist .
Ein Abgeordneter aus Treptow-Köpenick, der Heimat
des 1 . FC Union,
({1})
kommt an dieser Stelle nicht umhin, darüber zu sprechen,
dass zwar die Fans aller Vereine einzigartig sind, aber die
Fans des 1 . FC Union sind natürlich ganz besonders .
({2})
Der Verein schickt sich jetzt langsam an, seinen Fans hinterherzugehen . Die Fans sind schon lange erstklassig; der
Verein wird es in dieser Saison auch werden .
({3})
Die Ausgangssituation für die Eisernen ist hervorragend . - Wir müssen nicht über das Jammertal in Hessen
sprechen;
({4})
wir wollen lieber über den 1 . FC Union reden .
({5})
- Darauf bin ich gespannt . - Aber als Eiserner kann man
da locker drüberstehen und sich freuen .
Worum es mir heute eigentlich geht: Die Fankultur
in Deutschland ist unglaublich vielfältig . Das macht den
Sport aus . Darin liegt auch die Schwäche des Antrags
der Grünen, nämlich indem Sie schreiben: Wir müssen
eine einheitliche Grundlage schaffen . Wir brauchen ein
einheitliches Programm . Wir brauchen sogar eine Stabsstelle, die entsprechende Informationen noch einmal gesondert ausweist . - Das alles ist kontraproduktiv .
Wir brauchen die vielen unterschiedlichen Programme zur Unterstützung unseres schönen Sports, nicht nur
am Wochenende, sondern auch sonst . Wir wollen schönen Sport sehen, und dazu gehören Fans . Dazu gehört
Leidenschaft, und dazu gehört auch Gewinnen und Verlieren .
Ich freue mich, dass ich als letzter Redner Sie nun mit
dem Gruß des 1 . FC Union ins Wochenende schicken
darf: Eisern!
({6})
Damit schließe ich die Aussprache . Weitere Bekenntnisse zu Lieblingsvereinen können deshalb nicht mehr
zugelassen werden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und
Fankultur - Bürgerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11511,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
der Drucksache 18/6232 abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen sehe ich keine . Die Beschlussempfehlung ist
damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 29 . März 2017, 13 Uhr, ein .
Kommen Sie alle gesund wieder! Die Sitzung ist geschlossen .