Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/10/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Guten Morgen! Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich und stelle eine auffällig gute Laune fest, bei der ich jetzt keine Spekulationen anstellen möchte, worauf sie beruht . ({0}) - Es könnte sein, dass das möglicherweise der Hinter- grund ist . Das müssen wir jetzt nicht vertiefen . Es gibt für die heutige Sitzung keine Vorschläge zur Veränderung der Tagesordnung - das ist doch auch schon mal was -, sodass wir gleich mit den Tagesordnungs- punkten 50 a bis 50 c beginnen können: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes Drucksache 18/11237 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes Drucksache 18/11235 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen ({3}) Drucksache 18/11012 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Für die Debatte dieser gerade aufgerufenen Gesetzentwürfe ist interfraktionell eine Beratungszeit von 60 Minuten vorgesehen. - Das ist offensichtlich unstreitig. Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt . ({5})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Die vereinbarte Lösung wahrt die Rechte der EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infrastrukturfinanzierung und erleichtert den Übergang zu einer emissionsarmen Mobilität . ({0}) Das sind die Worte der EU-Kommission zur deutschen Maut . ({1}) Das ist die Sichtweise Europas gegenüber der deutschen Maut. Europa und die EU-Kommission sind deswegen so überzeugt von der Maut, weil sie den notwendigen Systemwechsel von der Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung möglich macht und damit langfristig die Finanzierung unserer Infrastruktur sicherstellt . Das ist der Grund, warum Europa zur deutschen Maut steht . ({2}) Wir haben eine 100-prozentige Zweckbindung der Einnahmen aus der Maut für Investitionen in unsere Infrastruktur geschaffen. ({3}) Wir haben eine ökologische Lenkungswirkung . ({4}) Und wir haben ein modernes digitales System geschaffen . Das ist das Konzept für die Pkw-Maut . Ich möchte an dieser Stelle der EU-Kommission, dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und meiner Kollegin Bulc für ihren persönlichen und kontinuierlichen Einsatz ausdrücklich danken, der dieses Ergebnis möglich gemacht hat . Mit dem Systemwechsel von einer steuerfinanzierten hin zu einer nutzerfinanzierten Infrastruktur vollziehen wir auch den Wechsel von nicht zweckgebundenen Steuermitteln, die die Autofahrer bisher über die Kfz-Steuer zahlen, hin zu einer zweckgebundenen Infrastrukturabgabe, die dorthin fließt, wo sie auch erhoben worden ist, nämlich in den Neubau und den Unterhalt unserer Verkehrsinfrastruktur . ({5}) Wir bewegen übrigens mit der Pkw-Maut bzw . der Infrastrukturabgabe jedes Jahr insgesamt 4 Milliarden Euro vom allgemeinen Steuerhaushalt in den Haushalt des Bundesverkehrsministers . ({6}) - Ja, jedes Jahr 4 Milliarden Euro . - Das sind dauerhafte und zweckgebundene Investitionen in die Infrastruktur . Das bedeutet, dass wir diese 4 Milliarden Euro jährlich, die der Autofahrer aufbringt, vor anderen wechselnden Begehrlichkeiten sichern und dafür sorgen, dass wir langfristig eine verlässliche Finanzierung unserer Infrastruktur hinbekommen, meine Damen und Herren . ({7}) - Ja, das ist die Wahrheit . ({8}) Wir machen unsere Investitionen in die Infrastruktur zum ersten Mal unabhängig von Konjunktur, Wahlperioden und Koalitionen . Wir gehen nach dem Grundsatz vor, dass der Wohlstand da entsteht und wächst, wo die Infrastruktur funktioniert. „Mobilität finanziert Infrastruktur“ ist der Gedanke, der uns dabei leitet . Meine Damen und Herren, der Grundgedanke ist, dass wir in diesen Bereichen grundsätzlich eine Zweckbindung einführen wollen . Das machen wir, was die Straße betrifft, bisher schon bei der Lkw-Maut. Das machen wir auch bei der Schiene . Das machen wir übrigens auch bei der digitalen Infrastruktur, beim Glasfasernetz, mit den Frequenzversteigerungen und der digitalen Dividende, die wir wieder investieren . Das machen wir jetzt auch bei der Pkw-Maut, bei der Infrastrukturabgabe . Es gibt dabei, um auch das klar zu sagen, keine Mehrbelastungen für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge . ({9}) Aber zum ersten Mal beteiligen sich alle, die unsere Straßen nutzen, auch gerecht an deren Finanzierung; das müssen Sie sich sagen lassen . ({10}) Wir schaffen damit schlichtweg Gerechtigkeit auf unseren Straßen . ({11}) Ich sage Ihnen, weil ich ja die Zwischenrufe vernehme, auch sehr klar: Es gibt keinen anderen Verkehrshaushalt in Europa, der so viel Geld einnimmt wie der deutsche Verkehrshaushalt über die Pkw-Maut . ({12}) Kein anderer Verkehrshaushalt erzielt über die PkwMaut so hohe Einnahmen . ({13}) All denjenigen, die meinen, sie könnten mit ihren Zwischenrufen die Frage der Einnahmen aufwerfen, sage ich: In Wahrheit stellen Sie sich doch gegen die generelle Nutzerfinanzierung. Das ist schlichtweg das Problem, das Sie haben. Das, was wir heute schaffen, nämlich langfristig Investitionen in die Straße zu ermöglichen, ist eigentlich das, was Sie nicht wollen . Eine Stärkung des Verursacherprinzips und eine Nutzerfinanzierung, so wie wir das machen, wollen Sie offensichtlich nicht. ({14}) Wir sagen klar: Wer nutzt, der zahlt; aber er zahlt nicht doppelt . - Sie wollen eine Doppelbelastung der Autofahrer herbeiführen . ({15}) Wir haben uns ja sogar darauf verständigt, dass die Fahrer von Euro-6-Fahrzeugen zusätzlich in einer Größenordnung von circa 100 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden . ({16}) Das ist die ökologische Komponente, die zusätzlich in der Vereinbarung mit der Europäischen Kommission entstanden ist . ({17}) Ich kann Ihnen an dieser Stelle nach den Diskussionen, die ich nach unserer Einigung mit der Europäischen Kommission gehört habe, sagen: Ich habe ganz wenig Verständnis für die Mautmaulerei unserer österreichischen Freunde . ({18}) - Ich habe für Ihre kein Verständnis, aber auch nicht für die der österreichischen Freunde . ({19}) Ich finde es durchaus ein bisschen befremdlich, sehr geehrter Herr Behrens, dass Sie die Mautmaulerei der Österreicher in einem Antrag zur heutigen Beratung auch noch als Grundlage dafür nehmen wollen, deutsche Gesetze aufzuheben . Das ist doch kein Durchsetzen deutscher Interessen . ({20}) Das ist doch kein Durchsetzen der Interessen der Autofahrer auf der Straße . ({21}) Das ist doch eine vorauseilende Kapitulation vor anderen Interessen . Die Österreicher formulieren an dieser Stelle klar ihre nationalen Interessen und führen eine innenpolitische Debatte nach dem Motto: Alle, die nach Österreich reinfahren, sollen sich an der Straßenfinanzierung beteiligen, aber Österreicher sollen die Straßen in Deutschland unter keinen Umständen mitfinanzieren. - Das ist kein europäischer Gedanke, und Sie wollen dem nachgeben . ({22}) Um das auch ganz klar zu sagen: Die Österreicher haben vor über 20 Jahren zu Recht eine Maut eingeführt mit erheblichsten Entlastungen der Österreicher durch ein hohes Anheben der Pendlerpauschale . Ich habe mir das vor kurzem auch wieder selber angeschaut . Auf meinem sehr kurzen Weg nach Italien 3,5 Stunden Fahrt bis an meinen Zielort - habe ich das Pickerl an der Grenze, die Brenner-Maut und die Gebühr für die Nutzung der Autostrada bezahlt, und das Gleiche habe ich auch auf dem Weg zurück bezahlt . Das hat in der Summe 64 Euro Maut gekostet . Ich sage Ihnen: Ich habe das ganz selbstverständlich und auch gerne bezahlt, weil ich auf guten Straßen sicher an meinen Urlaubsort und wieder zurückgekommen bin . ({23}) Aber mit der gleichen Selbstverständlichkeit erwarte ich, dass die anderen auch zahlen, wenn sie auf unseren guten Straßen unterwegs sind . ({24}) Die Maut, wie wir sie umsetzen, hat in der Tat auch eine ökologische Lenkungswirkung . ({25}) Besonders umweltfreundliche Fahrzeuge profitieren davon: Elektrofahrzeuge sind komplett von der Maut befreit, Euro-6-Fahrzeuge werden durch die Maut zusätzlich mit insgesamt rund 100 Millionen Euro entlastet, und von den im Ausland zugelassenen Fahrzeugen profitieren besonders die schadstoffarmen Klasse-6-Fahrzeuge von günstigen digitalen Kurzzeitvignetten . So eine ökologische Ausrichtung, wie wir sie umsetzen, würde man sich in vielen anderen Ländern in Europa auch wünschen . ({26}) Sie von den Grünen könnten eigentlich auch anerkennen, dass wir eine Maut einführen, die eine ökologische Lenkungswirkung hat . ({27}) Sie wollen aber eigentlich etwas anderes: Sie wollen schlichtweg eine Mehrbelastung der Autofahrer erreichen . Ihr Vorschlag einer streckenabhängigen Maut, die Ihr Vorzeigeverkehrspessimist Winnie Hermann immer wieder fordert, ist alles andere als ökologisch . Das, was Sie vorschlagen, nämlich an jedem Ort, zu jeder Zeit und auf jedem Kilometer Straße eine eigene separate Gebühr, eine eigene Maut, zu erheben, führt klassisch zu einer deutlichen Mehrbelastung der Autofahrer - gerade derBundesminister Alexander Dobrindt jenigen, die darauf angewiesen sind: in den ländlichen Regionen, der Familien und der Pendler . ({28}) Sie wollen sie mehr belasten, wir wollen keine Doppelbelastungen schaffen. Das ist der Unterschied. ({29}) Sie fordern die Totalmaut mit Mehrbelastungen, Sie wollen die Citymaut, Sie wollen die Kfz-Steuer erhöhen, Sie wollen den Sprit verteuern . Ich kann Toni Hofreiter hier wörtlich zitieren; Zitat Toni Hofreiter: „Das Benzin ist immer noch zu billig.“ Wenn Sie Benzin verteuern, dann erhöhen Sie die Belastungen der Autofahrer . ({30}) Das ist das Ergebnis Ihrer Politik . ({31}) Es geht in diesem Jahr, wenn wir im September die Wahlen zum Deutschen Bundestag haben, natürlich auch um eine Richtungsentscheidung: Freiheit, Gerechtigkeit und Mobilität mit uns oder Belastungen, Verbote und Stillstand mit den Grünen . ({32}) Die Menschen werden sich das sehr genau anschauen und auch danach entscheiden . Wir sind für den Systemwechsel . Wir wollen die Nutzerfinanzierung stärken; wir wollen mehr Investitionen in die Straßen . Sie wollen die Belastungen erhöhen und weniger Investitionen in die Straßen. Das ist der Unterschied . ({33}) Wir führen ein digitales Mautsystem ein . Der gesamte Prozess der Mauterhebung ist digitalisiert . Er ist einfach, schnell und unbürokratisch und führt dazu, dass die Halter der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge ihren Mautbescheid automatisch bekommen, und die Halter eines im Ausland zugelassenen Fahrzeugs können ihre digitale Vignette einfach online oder per App buchen . Damit schaffen wir die langfristige Sicherung der Investitionen . ({34}) Der Investitionshochlauf, den wir in dieser Wahlperiode in der Großen Koalition angestoßen haben, mit einer Steigerung der Investitionen, wie es sie in der Vergangenheit nie zuvor gegeben hat, kann damit verstetigt werden . Wir haben in dieser Wahlperiode im Bereich der Infrastrukturinvestitionen einen Rekordmittelaufwuchs von über 40 Prozent: von ursprünglich 10 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr investiert haben, auf 14 Milliarden Euro jährlich . Wir haben als Große Koalition in dieser Legislaturperiode die Investitionslücke geschlossen . Wir haben zum ersten Mal einen Bundesverkehrswegeplan, der eine klare Finanzierungsperspektive hat, und wir bleiben damit in Deutschland Spitze bei Wachstum, Wohlstand und Arbeit . ({35}) Das ist die Grundlage unserer Politik, und das ist auch die Chance, die langfristige Finanzierung der Infrastruktur mit der Zweckbindung der Mittel sicherzustellen . Herzlichen Dank . ({36})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem vom Verkehrsminister vorgetragenen Unsinn kommt mir sofort die US-Administration in den Sinn . ({0}) Dort haben sich viele darüber aufgeregt, dass Trump immer dann, wenn er mit unbestreitbaren Tatsachen Schwierigkeiten hat, auf „alternative Fakten“ ausgewichen ist . ({1}) Nun muss ich mich fragen, ob möglicherweise Geld geflossen ist. Egal ob das Konzept vom amerikanischen Präsidenten übernommen worden ist oder ob man dort ein Nutzungsrecht erworben hat: Hier sitzt der Meister der alternativen Fakten als Verkehrsminister auf der Kabinettsbank . Das ist doch keine Basis für eine Verkehrspolitik, die wir brauchen . ({2}) Mit alternativen Fakten war er doch schon 2013 unterwegs, als er mit der steilen These, Gratisfahren von Ausländern auf deutschen Straßen beenden zu wollen, quasi aus einem Paralleluniversum berichtet hat. Und warum? Allein die Einnahmen aus der Energiesteuer, die Ausländer zu zahlen haben, wenn sie auf deutschen Autobahnen unterwegs sind, übersteigen bei weitem das, was die EinBundesminister Alexander Dobrindt führung der Infrastrukturabgabe kostet, und zwar sogar um das Doppelte . Diese Angaben stammen vom ADAC . ({3}) - Weil es mich aufregt, was hier gerade passiert: Weil hier mit unsinnigen Argumenten immer wieder auf falsche Fakten verwiesen wird und nicht zur Kenntnis genommen wird, dass von Experten, aber auch aus unseren Reihen vernünftige Vorschläge gemacht worden sind . ({4}) Die Ausländermaut ist nicht europarechtskonform, wurde uns von Experten gesagt . Weiterhin gibt es hier die These von Herrn Dobrindt, sie sei es . ({5}) Ich weiß nicht, wie die Abstimmung mit der Europäischen Kommission verlaufen ist, und kann nicht feststellen, wie man dieses Unwerk tatsächlich europarechtskonform machen könnte . Die Frage der Europarechtskonformität ist in der EU-Kommission auf größte Zweifel gestoßen . Es ist doch nach wie vor so: Wenn nur die Ausländer auf deutschen Autobahnen zahlen müssen, dann ist das eine einseitige Diskriminierung von ausländischen Autofahrern auf deutschen Straßen . Zwar mag es an anderer Stelle eine Entlastung geben, aber es ist kein Ausdruck von Europarechtskonformität, wenn diese Entlastung die Belastung auf der anderen Seite sogar noch übersteigt . Das zweite alternative Faktum: Die Ausländermaut wird zu Mehreinnahmen führen . Auch da haben die Experten in den Sachverständigenanhörungen bereits darauf hingewiesen, dass das nicht zutrifft. Und was machen Sie, Herr Dobrindt? Sie verschieben die Parameter so lange hin und her, bis zumindest eine kleine schwarze Null dabei herauskommt, damit man irgendwie begründen kann, warum es diese Maut überhaupt geben kann, die angeblich etwas einbringt und nichts kostet . Ihre Berechnung, Herr Dobrindt, steht auf ausgesprochen tönernen Füßen . Das weiß inzwischen auch der Bundesrat, der sich heute ebenfalls mit diesem zweifelhaften Projekt auseinandersetzen muss . Man könnte zwar meinen, das Ganze sei ein Treppenwitz und wir können darüber Späße machen . Doch das ist nicht so . Im Gegenteil: Die Maut hat sich zu einem ernsthaften Problem in ganz Europa entwickelt . Wir haben doch feststellen können, was in Österreich passiert. Österreich begnügt sich nicht nur mit der „Mautmaulerei“, wie Sie, Herr Dobrindt, diese Kritik gerne abschätzig bezeichnen . Nein, die Regierung in Wien hat einen sogenannten Beschäftigungsbonus beschlossen, der die Einstellung von Inländern finanziell fördern soll. Dadurch wird Menschen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten der Eintritt in den Arbeitsmarkt der Alpenrepublik schwerer gemacht . ({6}) Das ist die schlimmste Konsequenz der Maut à la Dobrindt . Mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, auf welche Ideen die Regierungen in Warschau und Bukarest kommen können . Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Diese von der EU gebilligte und als Vignette daherkommende Diskriminierung von Ausländern ist eine Steilvorlage für Rechtspopulisten in ganz Europa . ({7}) Sie werden ihre reaktionären Forderungen mit Verweis auf die deutsche Maut mit noch mehr Nachdruck vortragen können. Jeder von uns sollte begriffen haben, dass man den Rechtspopulisten und Nationalisten den Wind nicht dadurch aus den Segeln nimmt, dass man ihre Forderungen bzw . Programme umsetzt . ({8}) Ich hoffe sehr, dass die Abgeordneten der SPD, die jetzt zumindest einen selbsternannten überzeugten Europäer als Kanzlerkandidaten auserkoren hat, nicht länger den alternativen Fakten des Herrn Dobrindt auf den Leim gehen . Setzen Sie sich gemeinsam mit den Linken und den Grünen für einen echten Wechsel ein! Setzen Sie dem rechten Spuk der CSU endlich ein Ende! ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Schwarz für die SPD-Fraktion . ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich wirklich, heute wieder einmal zur CSUMaut reden zu dürfen . So langwierige wie auch intensive Gesetzgebungsverfahren hat man ja recht selten hier im Hohen Hause. Man merkt: Dieses CSU-Projekt hatte Geburtsprobleme. Ob das viel zitierte Sprichwort „Was lange währt, wird endlich gut“ die Realität zutreffend beschreibt, muss sich allerdings noch erweisen . Im Moment gilt der klare Arbeitsauftrag aus München: Minister, make Maut great again! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der geplanten höheren Steuerentlastung für abgasärmere Autos hat Minister Dobrindt auf die Kritik der EU-Kommission reagiert, dass nur Inländer über die Kfz-Steuer ihre Mautzahlungen komplett erstattet bekommen . Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass Inländer, deren Fahrzeuge die Euro-6-Norm erfüllen, sogar noch mehr Geld zurückbekommen, als sie über die Maut gezahlt haben . Das lässt sich der Verkehrsminister immerhin 100 Millionen Euro kosten . Zudem wurde am Preismodell gearbeitet . Für die Kurzzeitmaut gibt es jetzt - je nach Motorengröße und Schadstoffausstoß - fünf statt drei Stufen. Die Preise für eine Zehn-Tages-Maut liegen zwischen 2,50 Euro und 20 Euro . Im alten Mautgesetz lagen sie noch zwischen 5 Euro und 15 Euro . Der Gesetzentwurf postuliert, dass all diese Änderungen am ursprünglichen Gesetz nicht zu niedrigeren Einnahmen führen sollen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sind wir beim eigentlichen Kernproblem des Gesetzentwurfs angekommen: bei der Einnahmenseite . Mit der steht und fällt schließlich - wie wir hier ja schon an der lebhaften Diskussion gemerkt haben - das ganze Projekt . Wir als SPD-Bundestagsfraktion sehen in dem Bereich noch Klärungs- und Diskussionsbedarf . Herr Minister Dobrindt und sein Ministerium gehen nach dem Gutachten von Professor Dr . Wolfgang Schulz von jährlichen Gesamteinnahmen in Höhe von circa 4 Milliarden Euro aus . Davon entfallen rund 3,1 Milliarden Euro auf in Deutschland zugelassene Fahrzeuge und circa 830 Millionen Euro auf nicht in Deutschland zugelassene Fahrzeuge . Abzüglich der Systemkosten und der Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer sollen dann jährlich circa 500 Millionen Euro zur Finanzierung der Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stehen . Staatssekretär Dr . Meister aus dem BMF stützt diese Berechnung, über die wir uns ja schon in einigen bilateralen Gesprächen ausgetauscht haben . Es gebe aus Sicht des BMF keine Veranlassung, die Annahmen der Verkehrsexperten des Verkehrsministeriums zu bezweifeln . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die beiden Gutachten von Herrn Ratzenberger und Herrn Schulz einmal verglichen. Die große Differenz bei den prognostizierten Einnahmen resultiert zum ganz überwiegenden Teil aus der Schätzung der Ein- und Durchfahrten von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen bei Tages- und Geschäftsreisen . Im ADAC-Gutachten wird eine wesentlich höhere Anzahl an Fahrten pro Pkw angenommen . Begründet wird das mit den im kleinen Grenzverkehr üblicherweise recht häufigen Freizeit- und Einkaufsfahrten von Privatleuten und mit häufigen Fahrten über kürzere Distanzen bei Tagesgeschäftsreisen von Handelsvertretern und Handwerkern etc . Genau bei diesen Daten hat aber auch das BMVI keine aktuellere Grundlage als das ADAC-Gutachten . Der Vorwurf des BMF, das ADAC-Gutachten basiere nur auf hochgerechneten Daten aus dem Jahr 2002, ohne aktuelle Statistiken einfließen zu lassen, ist aus meiner Sicht nicht ganz stichhaltig . ({1}) Insgesamt kommt das ADAC-Gutachten auf 19 Einund Durchfahrten pro ausländischem Pkw, während das Verkehrsministerium hier nur von acht ausgeht . Nach den ADAC-Berechnungen werden nur 10,4 Millionen Vignetten verkauft, was zu einem Gebührenaufkommen von circa 276 Millionen Euro führt . Nach BMVI-Prognose werden 29,6 Millionen Vignetten verkauft, woraus ein Gebührenaufkommen von 834 Millionen Euro resultieren soll . Selbst wenn man nur die Berechnungen der Ein- und Durchfahrten pro Fahrzeug bei Tages- und Geschäftsreisen nach ADAC-Gutachten zur Grundlage nimmt und ansonsten die Parameter aus der BMVI-Prognose unverändert lässt, ergibt sich ein Gebührenaufkommen in Höhe von nur 370 Millionen Euro und damit ein Verlustgeschäft für den Staat . Ich halte die Zweifel, die im Raum stehen, erst einmal für angebracht . ({2}) Ich bin damit nicht der Einzige . Das wird geteilt vom Normenkontrollrat, der die Zahlen bemängelt . Auf die Bedenken der Länder, die zeitgleich im Bundesrat tagen, möchte ich heute noch gar nicht eingehen . Ich habe am Mittwoch eine schriftliche Frage an das BMF gerichtet, weil ich gerne wissen möchte, ob das BMF eigene Berechnungen zu den Einnahmeprognosen erstellt hat . Ministerpräsident Stephan Weil hat gestern der Passauer Neuen Presse gesagt - ich zitiere ihn -: Das Finanzministerium beleuchtet in anderen Fällen die Berechnungen anderer Ministerien sehr kritisch . Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet beim Thema Pkw-Maut ein klares Wort von Herrn Schäuble fehlt . ({3}) Dass der Herr der Zahlen bei dieser zentralen Frage schweigt, ist sicherlich seltsam und bedarf der Aufklärung . Auch der Auftritt der BMF-Sprecherin Tiesenhausen-Cave auf der gestrigen Regierungspressekonferenz hat leider wenig Erhellendes zu der Frage „Gibt es eine BMF-Berechnung?“ gebracht. Da war manche Antwort mehr im Bereich des Mystischen . Ich halte es für zwingend geboten, dass das BMF die vorliegenden Daten noch einmal genau überprüft und haargenau nachrechnet . ({4}) Es geht hier schließlich um die Einhaltung eines zentralen Versprechens des Koalitionsvertrages, dass kein inländischer Autofahrer durch die Maut mehr belastet werden darf und dass Mehreinnahmen generiert werden müssen . Pacta sunt servanda, das gilt natürlich auch für unseren Koalitionsvertrag . Aber wir sehen es als unsere Pflicht an, im laufenden Gesetzgebungsverfahren bei offenen Fragen für eine endgültige Klärung zu sorgen . ({5}) Mir ist noch wichtig, zu erwähnen, dass die Verabredungen zum ersten Gesetz betreffend die Personalplanung beim Zoll weiterhin Bestand haben . Es bleibt dabei, dass wir zwölf Monate nach Inkrafttreten einen Zwischenbericht erhalten, um zu schauen, ob wegen des Beratungsbedarfs der Bürgerinnen und Bürger beim Personalbedarf eventuell nachgesteuert werden muss . Zu guter Letzt noch ein Hinweis . Wir möchten nicht durch fehlerhafte Einnahmeprognosen die schwarze Null, die wir uns im Hohen Haus hart erarbeitet haben, ({6}) in unserem Haushalt riskieren . Deswegen ist genaues Rechnen wichtig . Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Oliver Krischer das Wort .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, wieder einmal etwas aus dem Innenleben der Großen Koalition mitzubekommen; das ist immer sehr unterhaltsam . Aber bei Karneval fällt mir eher Minister Dobrindt ein, der vor ziemlich genau zwei Jahren, am 27 . März, als Sie mit Ihrer Mehrheit das Mautgesetz verabschiedet haben, hier wörtlich gesagt hat - ich zitiere -: „Wir haben in den letzten Monaten eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Europarechtskonformität besteht …“ Damit war es wohl nicht weit her . Jetzt stehen wir wieder hier. Die EU-Kommission hat das Mautgesetz versenkt, und wir müssen es neu beschließen . Dieser Minister hat Sie an dieser Stelle schlicht und ergreifend belogen, indem er Ihnen Fakten geboten hat, die nicht zugetroffen haben . ({0}) Wenn man so gescheitert ist, dann wäre es wenigstens ehrlich, hier ein bisschen demütiger aufzutreten und zu sagen: Ja, das war falsch . Das war ein Fehler . - Doch stattdessen haben wir wieder Beschimpfungen gehört: Beschimpfungen der Nachbarstaaten, im Zweifelsfall auch Beschimpfungen der EU-Kommission und Beschimpfungen in Richtung Opposition . All das ist keine Demut, kein Eingeständnis und keine Bereitschaft, hier etwas leiser aufzutreten, meine Damen und Herren . ({1}) Das Schlimme ist, dass Sie diese zwei Jahre, in denen die Maut gescheitert ist, nicht dazu genutzt haben, dieses Mautgesetz zu versenken . Es ist doch klar: Diese Maut bringt am Ende nichts ein . Sie kostet mehr, als sie bringt . Sie ist ein Bürokratie- und Datenmonster . Sie hat keinerlei ökologische Lenkungswirkung . Sie schadet den Menschen und den Regionen, gerade den Grenzregionen . ({2}) Außerdem ist sie immer noch europarechtswidrig, auch in der veränderten Form . Das kann man in Ihrem Koalitionsvertrag nachlesen . Darin schreiben Sie nämlich, dass nur die Ausländer belastet werden sollen . Ich habe hier gestern eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur Europapolitik gehört . Wenn eine Große Koalition in Deutschland sagt, es sollten nur Ausländer belastet werden und nicht die Menschen in diesem Land, dann verstößt das gegen die Grundprinzipien Europas . Deshalb ist und bleibt diese Maut europarechtswidrig, meine Damen und Herren . ({3}) Ich sage ganz deutlich: Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, warum diese Maut eingeführt werden sollte . Das Einzige, worum es geht, ist die verkehrspolitische Ausprägung des rechten Populismus einer südostdeutschen Regionalpartei . ({4}) Um es anders zu formulieren: Diese Maut ist eine in Gesetz gegossene Bierzeltparole der CSU. ({5}) Was ich aber, ehrlich gesagt, noch problematischer finde als diese Politik der CSU, ist, dass die Große Koalition sich jetzt anschickt, das Ganze zum zweiten Mal mitzumachen . Meine Damen und Herren - damit spreche ich insbesondere die Kollegen von der SPD an -, wir alle kennen uns aus mit Koalitionen und Kompromissen und dem Grundsatz „pacta sunt servanda“. ({6}) Wir koalieren im Land mit der SPD . Ich habe Erfahrungen mit den Grubenponys der NRW-SPD . ({7}) Da müssen wir schwierige Beschlüsse fassen . Aber Kompromisse in einer Koalition bedeuten nicht, dass man Irrsinn beschließen muss . ({8}) Das ist die Aufforderung an Sie, meine Damen und Herren . Was wir Ihnen nicht durchgehen lassen, liebe Sozialdemokraten, ist, dass Ihr Kandidat und Heiland durch die Gegend zieht und überall gegen die Maut wettert, ({9}) Sie dem hier aber am Ende zustimmen . Sie können doch einmal tun, was Sie in diesem Parlament jede Woche dutzendfach mit den Anträgen der Opposition machen . Die lassen Sie, weil Ihnen die Ablehnung peinlich ist, versauern. Ich erinnere an das Thema „Ehe für alle“. Wieso machen Sie, liebe Sozialdemokraten, nicht genau das mit dem Mautgesetz? ({10}) Versenken Sie dieses Mautgesetz! Wenn Sie schon nicht dagegen stimmen wollen, dann lassen Sie es versauern . Lassen Sie es der Diskontinuität anheimfallen! Machen Sie damit deutlich, dass Sie diese Maut nicht wollen . ({11}) Sie schadet den Menschen, insbesondere den Menschen in Nordrhein-Westfalen, die am Ende nicht nur die Dobrindt-Maut bekommen, sondern auch die Rachemaut der Niederländer und Belgier, die natürlich reagieren werden und das auch schon angekündigt haben .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb werden die Menschen in Deutschland am Ende wegen dieser Politik mehr zahlen . Ich danke Ihnen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Steffen Bilger ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer wieder erstaunlich, welche Emotionalität bei dem eigentlich so nüchternen Thema der Infrastrukturabgabe hier aufkommt . Wir erleben, wie Linke- und SPD-Abgeordnete mit Zahlen des ADAC argumentieren, Herr Krischer ist engagiert wie eh und je, und dabei geht es um ein Projekt, für das doch die Fakten sprechen . ({0}) Ich will einmal eines klarstellen: Hier wird wieder davon geredet, es handele sich um eine CSU-Maut. Ich als Vertreter der CDU muss dem klar widersprechen. Ich glaube, wie man zur Infrastrukturabgabe steht, ist eher eine Frage, die nach regionaler Betroffenheit entschieden wird . Bei uns im Südwesten gibt es seit jeher große Zustimmung für eine Pkw-Maut . ({1}) Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, zu sagen, dass es nicht nur ein bayerisches oder ein CSU-Projekt ist, zumal CDU, CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben, dass wir die Infrastrukturabgabe einführen werden . Auch daran will ich Sie einmal erinnern, liebe Kollegen von der SPD . Wir haben im Bundestag lange Diskussionen zu diesem Vorhaben gehabt, und es wurden viele Kritikpunkte vorgetragen . Vielleicht hat das eine oder andere zur Verbesserung des Gesetzentwurfes beigetragen. Unter dem Strich haben wir jetzt einen runden Gesetzentwurf, den man guten Gewissens verabschieden kann . Es wurden Kritikpunkte vorgetragen - auch vom Bundesrat; das wurde eben angesprochen -, beispielsweise die Belastung der Grenzregion, die wir schon längst geklärt haben . Wir haben viel darüber diskutiert und Lösungen gefunden, die dazu beitragen, dass es zu keiner Belastung der Grenzregion kommt, die nicht verantwortbar wäre. Wir haben Regelungen geschaffen wie beispielsweise die, dass nur die Autobahnbenutzung für Ausländer bemautet wird . Deswegen muss man keine Sorge haben, was die Effekte auf Einzelhandel und Tourismus in den Grenzregionen anbelangt . Da wird in Zukunft nichts anders sein . Auch hier kann ich als Baden-Württemberger sagen: Bei uns weiß man einfach, dass sich in Südbaden so gut wie jeder eine Schweizer Vignette kauft, weil man dort viel unterwegs ist . Die Maut wird nicht dazu führen, dass in Zukunft keiner mehr zum Einkaufen oder zum Essen nach Deutschland kommen wird . ({2}) Wir haben das Problem, das mit dem Grenzverkehr einhergeht, gelöst, und auch andere Punkte aufgegriffen. Vorhin wurde das Gutachten zum Thema Europarechtskonformität angesprochen, das vor einiger Zeit vorgelegt worden ist; ich glaube, die Grünen haben es in Auftrag gegeben . Ich habe erst gedacht: Erstaunlich, dass der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ein solches Gutachten verfasst . Dem Gutachten habe ich dann aber entnommen, dass es von der Unterabteilung Europa erstellt wurde . Wie auch immer: Ich glaube, die EU-Kommission als Hüterin der Verträge kann besser beurteilen, was EU-rechtskonform ist, als viele andere, die dieses Thema gerade angesprochen haben . Insofern sind wir überzeugt: Die Infrastrukturabgabe ist europarechtskonform . Im Übrigen sind wir in der Koalition in vielen Berichterstatterrunden und in vielen Anhörungen gemeinsam zu dieser Überzeugung gelangt . ({3}) Ich will allerdings auch noch etwas zur Kritik Österreichs sagen, weil ich das wirklich sehr ärgerlich finde. Seit zwei Jahrzehnten bezahlen wir Maut in Österreich . Durch die Milliardeneinnahmen der ASFINAG durch europäische Autofahrer wurden der österreichische Haushalt und damit der österreichische Steuerzahler entlastet . Wo ist denn nun die Diskriminierung, wenn wir eine EntOliver Krischer lastung unseres Infrastrukturhaushaltes genauso finanzieren wie die Österreicher seit 20 Jahren? ({4}) Unterm Strich ist es genau dasselbe, wenn wir nun den ausländischen Autofahrern einen Beitrag für die Nutzung unseres Autobahnnetzes abverlangen . ({5}) Dafür dürfen sie im Übrigen das größte Autobahnnetz Europas nutzen, und das noch zu einem relativ günstigen Betrag . Die Österreicher sollten ihre Position wirklich noch einmal gründlich überdenken . ({6}) Ich weiß, dass einige hier das nicht so gern hören, aber es ist in der Tat auch eine Frage der Gerechtigkeit . Ich kann die Urlaubserlebnisse von Alexander Dobrindt noch toppen: Wir waren nämlich in Kroatien im Urlaub und dort 14 Tage unterwegs: 127 Euro Maut . ({7}) Es ist schon eine Frage der Gerechtigkeit, ob es sein kann, dass jeder, der durch unser Land fährt, nichts bezahlen muss, während wir seit Jahr und Tag anderswo sehr viel Maut zahlen müssen . ({8}) - Genau: Zeit für Gerechtigkeit . ({9}) Darüber hinaus sind ökologische Aspekte berücksichtigt - das wurde schon angesprochen -: Elektrofahrzeuge sind von der Maut befreit . Ich halte das für ein wichtiges Signal . Insgesamt hilft uns die Infrastrukturabgabe, unsere Ziele zu erreichen, die Infrastruktur besser zu finanzieren, die Nutzer mehr an den Infrastrukturkosten zu beteiligen . Dafür brauchen wir nicht nur den massiven Ausbau der Lkw-Maut, sondern auch die Infrastrukturabgabe für Pkw . Meine Damen und Herren, es wurden Bedenken von Kommunen, vom Bundesrat, von der EU-Kommission aufgegriffen. Wir haben im Bundestag viel darüber diskutiert . Wir haben Anhörungen gehabt und werden noch eine weitere Anhörung dazu haben . Die Kritikpunkte wurden aus meiner Sicht geklärt, sodass uns nun ein ausgewogener Gesetzentwurf vorliegt . Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung für dieses Vorhaben. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen, Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Es wird hier der Eindruck erweckt, als ob nur die Ausländerinnen und Ausländer künftig eine Maut für die Benutzung der deutschen Autobahnen zu zahlen hätten . Das stimmt nicht . Tatsächlich werden alle bezahlen . ({0}) Das, finde ich, muss man den Bürgerinnen und Bürgern auch ganz deutlich sagen . Alle werden in Zukunft für die Nutzung der Autobahnen zahlen . ({1}) Sie wollen damit fast 4 Milliarden Euro zusätzlich für Autobahnen einnehmen, und - auch das ist völlig klar - es steht in den Sternen, ob es eine Kompensation für diejenigen geben wird, die in Deutschland leben, weil erstens vielleicht die EU dazwischenfunkt und zweitens - das hat der Kollege Schwarz gerade angesprochen - der Finanzminister vielleicht irgendwann sagt: Das lohnt sich gar nicht, wenn wir im Gegenzug etwas zurückzahlen . Dann belassen wir es doch dabei . - Das ist eine zentrale Weichenstellung, die wir zutiefst ablehnen . ({2}) Sie wollen mehr Geld für Autobahnen, und zwar in Verbindung mit der geplanten Infrastruktur GmbH, die den Weg für Privatisierungen öffnet. Damit haben Sie künftig einen Riesenbatzen Geld möglicherweise in die Kassen von großen Versicherungen und Banken umgelenkt, die schon darauf warten, dass sie als private Investoren über Umwege an dieser Autobahn GmbH beteiligt werden . Die Linke ist ganz klar dagegen . ({3}) Das ist nicht ökologisch. Es ist natürlich völliger Unsinn, 4 Milliarden Euro mehr für Autobahnen, für mehr Lkw-Verkehr auszugeben . Was soll daran ökologisch sein? Stecken Sie das Geld in den Ausbau der Bahn und des öffentlichen Nahverkehrs. Dann tun Sie etwas Ökologisches . ({4}) Es ist natürlich auch nicht gerecht, weil diejenigen, die gar kein Auto fahren, genauso wie die Umwelt benachteiligt werden . ({5}) Wir brauchen gerechte Verkehrsverhältnisse . ({6}) Das heißt, wir müssen den öffentlichen Verkehr ausbauen . ({7}) Jetzt noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von der SPD . Wir haben gerade von Herrn Krischer eine Option gehört, wie Sie dafür sorgen könnten, dass dieses Projekt scheitert, zumindest in dieser Legislatur . Ich habe noch eine andere Idee . Es ist nach wie vor nicht geklärt, ob die Länder bei der Einführung dieser Maut zustimmungspflichtig sind. Noch 2015 haben die Länder gesagt, ohne ihre Zustimmung gehe es nicht . Jetzt haben sie sich irgendwie einwickeln lassen, und es wurde eine kleine Mäkelklausel für Nordrhein-Westfalen eingebaut . ({8}) Aber selbstverständlich ist es richtig, dass die Länder um ihre Mitbestimmung ringen . Es wäre überhaupt kein Problem, einen Vermittlungsausschuss einzurichten . Dieser Vermittlungsausschuss müsste klären, ob die Länder zu beteiligen sind . Das dauert eine Weile . In der Zwischenzeit ist es vielleicht so, dass andere Verhältnisse in den Bundestag einkehren und man vernünftige Verkehrspolitik machen kann - für eine soziale und ökologische Verkehrswende . Dafür jedenfalls streiten wir Linke . Wir hoffen, dass Sie dabei sind. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint so zu sein, als ob es hier gar nicht um das Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe geht, sondern als ob im Kern das Wahlkampfthema vorweggenommen wird . Ich kann Ihnen versichern: Für die SPD wird im Zentrum des Wahlkampfs mehr Gerechtigkeit für unser Land und die Menschen, die in diesem Land hart arbeiten, stehen und keine Infrastrukturabgabe . ({0}) Darüber hinaus ist offenbar der Versuch gemacht worden, ein Thema zu besetzen, mit dem man Populisten den Wind aus den Segeln nehmen kann . Es ist über alternative Fakten gesprochen worden . Wenn man sich die Fakten ansieht, dann scheint es nicht so richtig erfolgreich gewesen zu sein, die Einführung der Pkw-Maut dafür zu nutzen, um den Einzug von unverantwortlichen Populisten, Spaltern und Hetzern in regionale oder Länderparlamente zu verhindern. Das scheint offensichtlich nicht der wahre Grund gewesen zu sein . Wir müssten das noch einmal ausdiskutieren . Ich möchte auf den Ausgangspunkt zurückgehen . Wir haben einen Koalitionsvertrag beschlossen . Ich danke der Opposition dafür, dass sie an diesen Koalitionsvertrag erinnert . Ich versichere Ihnen für die SPD-Bundestagsfraktion: Dieser Koalitionsvertrag gilt, und zwar mit jedem Satz . Daran werden wir uns abarbeiten . ({1}) - Ich kann ja Ihren Neid verstehen . Im Gegensatz zu Ihnen haben wir einen Koalitionsvertrag . Aber das kommt davon, wenn man nicht mitmachen will . ({2}) Sie können diesen schönen Koalitionsvertrag, den im Wesentlichen wir Sozialdemokraten ausgehandelt haben, jetzt nicht zum Anlass für Ihre Kritik nehmen . Wir werden die erste Lesung aber dazu nutzen, noch einmal von vorne anzufangen . Wir schauen uns die Einnahmeprognose an . Wir berücksichtigen, was sich in den letzten zwei Jahren getan hat . Wir beschäftigen uns vor allen Dingen mit der Aussage: Dieses Gesetz ist Satz für Satz, so wie es ist, europarechtskonform . Das kann so beschlossen werden . Es muss nichts daran geändert werden . - Darauf hat sich die SPD-Bundestagsfraktion verlassen . ({3}) Nun haben wir die Situation, dass es offensichtlich Änderungsbedarf gibt . Diesen Änderungsbedarf, den der Herr Verkehrsminister auch den Gesprächen geschuldet sah, die Sie in Brüssel mit Unterstützung anderer Mitglieder der Bundesregierung geführt haben, werden wir zum Anlass nehmen, die anstehende Anhörung sehr ernst zu nehmen . ({4}) Herr Kollege Schwarz hat es bereits gesagt: Wir schauen uns die Einnahmeprognose an . Wir schauen uns die Europarechtskonformität an . Der Koalitionsvertrag gilt, meine Damen und Herren . ({5}) Da hier auch aus regionaler Sicht argumentiert wurde, aus Sicht von Baden-Württemberg oder Bayern, möchte ich darauf hinweisen: Ich komme aus Nordrhein-Westfalen . Nordrhein-Westfalen hat einige deutliche Hinweise zur Auswirkung auf die Grenzregionen gegeben, mit denen sich der Bundesrat beschäftigt hat . Wir sind stolz darauf, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion im ersten Entwurf des Gesetzes die Änderung bezüglich der Grenzregionen hinbekommen haben, dass die Bundesstraßen, die Bundesautobahnen dort differenziert betrachtet werden. Aber offenbar hat der Bundesrat wiederum Diskussionsbedarf angemeldet; das ist eben Teil der Gesetzgebung auf der Bundesebene . Natürlich werden wir über diese Grenzregionen reden . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich kann mich erinnern, dass wir Vorschläge auf den Tisch gelegt und gesagt haben, dass wir uns auch andere Lösungen vorstellen könnten . Vielleicht diskutieren wir unter dem Eindruck der Beratungen im Bundesrat hierüber noch einmal . Dafür ist das Gesetzgebungsverfahren ja da, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ein letzter Punkt zu einem echten Beitrag für die Infrastruktur; der Kollege Schwarz hat das sehr schön auf den Punkt gebracht . Wir haben natürlich wie immer verschiedenste Gutachten . Aber jetzt komme ich einmal zur Opposition: Natürlich gibt es Gutachten zur Höhe der Einnahmen, die man aus einer solchen Maut erzielen kann . Das muss man plausibilisieren, indem man Anhörungen durchführt . Aber es gibt eine einfache Lösung: Es gibt Gutachten der Regierung, die man sich zu eigen machen kann. Wenn Herr Schäuble erklärt: „Das ist die Einnahmeprognose, die gilt; das ist der Beitrag, den wir durch die Infrastrukturabgabe für die deutsche Infrastruktur erzielen“, dann haben wir damit doch etwas, was wir bisher in der Debatte noch nicht vernommen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({6}) Da wir schon dabei sind: Natürlich ist die Maut nicht das Herzensanliegen der SPD . Wir sind aus anderen Gründen in die Koalition eingetreten . Für uns war der Mindestlohn der entscheidende Punkt . ({7}) Es ging uns um mehr Lohngerechtigkeit von Mann und Frau, um mehr Investitionen in den Wohnungsbau, um mehr soziale Investitionen in unserem Land . Meinen Sie denn ernsthaft, die Maut war das Kernthema unseres Wahlkampfes? Erinnern Sie sich an 2013! Erinnern Sie sich daran, was wir 2017 in den Mittelpunkt stellen! Die Umfragen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir damit nicht ganz danebenliegen, sondern dass wir recht haben, wenn es uns darum geht, mehr Gerechtigkeit zu schaffen . Wir werden uns sicher nicht an der Frage einer Infrastrukturabgabe abarbeiten . Wir werden darauf achten, dass es eine vernünftige Beratung des Gesetzentwurfs gibt, und nicht irgendetwas anderes hineindiskutieren . Für die Opposition aber in aller Klarheit: Wer eine Maut für alle fordert, die strecken- und wegeabhängig ist, und darüber hinaus ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zur Grundlage seiner Argumentation macht, der muss wirklich aufpassen . Der gleiche Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat nämlich ein Gutachten statuiert, das besagt, dass kommunale Räte - ich bin selber praktizierender Kommunalpolitiker - sich nicht mit der Frage von TTIP und CETA beschäftigen dürfen . Wenn Sie das zur Maßgabe machen, hätten Sie nie über TTIP und CETA in den Räten diskutieren dürfen . Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, diese wissenschaftlichen Arbeiten zu werten und dann zu entscheiden, ob wir uns das zu eigen machen . ({8}) Darum wird es gehen . Sie machen es sich zu einfach, meine Damen und Herren von der Opposition . ({9}) Es gilt der Koalitionsvertrag . Darauf können sich die Menschen in unserem Land verlassen . ({10}) Wir nehmen keinen Satz zurück . Keine deutsche Autofahrerin und kein deutscher Autofahrer wird mehr belastet . Die SPD ist und bleibt in ihrer langen Geschichte die Schutzmacht der kleinen Leute und damit auch der Autofahrer in diesem Land . ({11}) Da es offensichtlich andere Teile im Plenum gibt, die das nicht wollen, sage ich: Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, verlassen Sie sich darauf: Es wird zu keiner Mehrbelastung von deutschen Autofahrerinnen und Autofahrern kommen . - Es ist vielleicht Ironie der Geschichte, dass wir den ADAC an der Seite haben . Aber der Koalitionsvertrag gilt, meine Damen und Herren, und daran werden wir uns messen . Wir sind die Europarechtspartei, ({12}) eine Partei, die schon 1925 die Vereinigten Staaten von Europa gefordert hat . ({13}) Ein Spitzenkandidat wie Martin Schulz muss sich nicht verstecken, wenn es um die Europarechtskonformität geht . ({14}) Wir investieren das Geld, das wir möglicherweise einnehmen, in die deutsche Infrastruktur . ({15}) Darum geht es, meine Damen und Herren . Vielen Dank . ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es wird sicher hochgradig spannend sein, im Protokoll nachzulesen, was jenseits der förmlichen Redebeiträge zwischen den Fraktionen noch ausgetauscht wird . ({0}) - Vielleicht trägt der Hinweis zur Beruhigung bei, dass jedenfalls Redebeiträge im Deutschen Bundestag nicht mautpflichtig sind. ({1}) Nun hat die Kollegin Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Was haben wir denn hier eigentlich erlebt? Das Ende einer Regierungskoalition! ({0}) Redet die Union, klatscht die SPD nicht; redet die SPD, klatscht die Union nicht. ({1}) Hier ist Schluss mit lustig . Geben Sie auf! Beenden Sie das ganze Spielchen hier! ({2}) Meine Damen und Herren, die heutige Debatte ist wie aus der Zeit gefallen . Es ist beschämend, dass wir uns immer noch mit einer Idee befassen müssen, die Sie irgendwann vor der letzten Wahl an irgendeinem bayerischen Biertisch geboren haben . Eine ganze Wahlperiode geht das nun schon so . Die Leute im Land fragen sich doch, ob wir hier nichts Besseres zu tun haben, als uns mit einem solchen Zeug zu beschäftigen . ({3}) Die Rechtspopulisten wollen Europa zum Einsturz bringen . Herr Dobrindt hilft ihnen gern dabei, wieder neue Schlagbäume zu errichten . In den Städten, werte Kolleginnen und Kollegen, ist die Luft verpestet . Bald dürfen die Leute mit ihren Autos dort nicht mehr fahren . Kollege Hartmann, ich bin gespannt, wie die SPD sich dann verhält . Herr Dobrindt tut so, als ob ihn das einfach nichts angehe . Blaue Plakette - Fehlanzeige bei ihm . Stattdessen bekommen wir den zweiten Aufguss seiner Ausländermaut serviert . Beim letzten Mal haben Sie, Herr Dobrindt, großmundig versprochen, dass die Maut europarechtskonform ist . ({4}) Tja, das war sie offensichtlich nicht; denn sonst müssten wir nicht schon wieder über dieses Konstrukt reden . Sie legen aus ideologischer Verbohrtheit unrechtmäßige Gesetze vor . So geht es nicht! ({5}) Sie halten Ihre Versprechen nicht, und die ganze Koalition - das sage ich an die Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet - macht diesen Bockmist auch noch mit . ({6}) Es war schon beim letzten Mal ziemlich sinnlos, mit Ihnen, Herr Dobrindt, über Ihre Maut zu reden . Deswegen können wir das lassen . Aber die Menschen in unserem Land müssen wissen, welchen Irrsinn dieser Minister treibt . Lassen wir deswegen Europa einmal beiseite . Schauen wir uns stattdessen an, was das Ganze bringen soll . Das zeigt, welches Verhältnis der Minister zur Wahrheit hat . Machen wir einmal den Faktencheck . Fakten interessieren ihn nur, wenn sie ihm in den Kram passen . Seine bestellten Gutachten reden von traumhaften Einnahmen . Leider bestehen diese Gutachten nicht vor seinem eigenen Wissenschaftlichen Beirat . Wozu hat er den eigentlich? Wenn Sie uns als Opposition schon nicht zuhören wollen, Herr Dobrindt, dann hören Sie doch wenigstens auf die Wissenschaftler aus Ihrem eigenen Beirat! ({7}) Es gibt ernstzunehmende Bedenken, dass wir bei diesem Manöver draufzahlen . Fast 200 Millionen Euro könnten jährlich fehlen . Das allein muss doch reichen, um diesen Quatsch sein zu lassen. Kollege Schwarz, lassen Sie uns einmal im Detail ansehen, wie dieser Minister rechnet! ({8}) Herr Dobrindt geht davon aus, dass er das Mautsystem geschenkt bekommt . 380 Millionen Euro für die Einführung des Mautsystems fehlen schlicht und ergreifend in seiner Rechnung . Ich bin gespannt, welcher Betreiber Ihnen, Herr Dobrindt, ein so großzügiges Geschenk machen will . ({9}) Es ist unfassbar, dass wir uns hier mit so einer Stümperei befassen müssen . ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, beim letzten Mal haben Sie betont, wie sehr Sie dem Minister vertrauen, dass er rechtlich saubere Gesetze macht . Da hat er Sie getäuscht . Ihr Vertrauen hatte keine Basis . Das war nicht mehr als das Geplapper eines früheren Generalsekretärs . Es bleibt mir ein Rätsel, warum Sie sich darauf eingelassen haben . ({11}) Sachverständige in den Anhörungen und unabhängige Gutachter des Bundestages haben schon damals auf diesen Fehler hingewiesen, und ich bin gespannt, was bei Präsident Dr. Norbert Lammert den nächsten Anhörungen passieren wird . Auch beim neuen Aufguss ist es so: Es gibt keine diskriminierungsfreie Diskriminierung . Vielmehr gibt es eindeutige Aussagen, dass das nicht europarechtskonform ist und teuer werden wird . Es gibt keinen Grund, warum Sie diesem Minister, dem Noch-Minister, dieses Mal vertrauen sollten . Beenden Sie dieses Abenteuer schnellstens! Danke . ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Philipp Murmann erhält das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Kern dient die Einführung der Maut doch dazu, eine zweckgebundene Abgabe für die Finanzierung der Infrastruktur zu schaffen. Das ist doch der Sinn der ganzen Aktion, und es ist auch sinnvoll und notwendig, dass wir das machen . ({0}) - Das hat nichts mit der CSU zu tun. ({1}) Die CSU hat sicherlich das Thema aufgebracht; aber der Sinn des Ganzen ist, dass wir eine zweckgebundene Infrastrukturabgabe einführen . Gleichzeitig wollen wir die Leute entlasten . Ich spreche hier als Finanzpolitiker . Es geht um ein Konstrukt zur Finanzierung der Infrastruktur . Wir haben ja schon mehrere Gesetze in diesem Bereich beraten . Gestern haben wir uns mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes beschäftigt . Dabei geht es darum, dass wir die Zulassungsverfahren ändern und ab September 2018 neue Zulassungsverfahren bekommen werden . ({2}) Eine andere wesentliche Änderung, die jetzt kommen wird, ist, dass Halter von Fahrzeugen, die die Abgasnorm Euro 6 erfüllen, deutlich stärker entlastet werden, als das vorher der Fall war . Das ist eine Änderung, die auf europäischer Ebene gemeinsam erarbeitet worden ist . Ich denke, das ist sinnvoll, weil es die ökologische Wirkung der Infrastrukturabgabe noch einmal herausstreicht . ({3}) In diesem Paket ist auch das Zweite Verkehrssteueränderungsgesetz enthalten, auf das ich ganz kurz eingehen möchte. Was ändert sich? Halter von Euro-6-Fahrzeugen werden deutlich stärker entlastet, als das bisher der Fall war, nämlich noch einmal um 100 Millionen Euro . Ich mache das einmal an zwei Beispielen deutlich . Sie wissen alle, dass sich die Kfz-Steuer aus zwei Elementen zusammensetzt, nämlich der Besteuerung des CO2-Ausstoßes und des Hubraumanteils . Diese ist für Diesel- und Benzinfahrzeuge natürlich unterschiedlich . Neu ist jetzt, dass es einen einmaligen Entlastungsbetrag und einen dauerhaften Entlastungsbetrag gibt . Dieser Entlastungsbetrag ist auf 130 Euro gedeckelt . Stellen Sie sich einmal vor, Herr Schwarz fährt einen roten VW Polo mit einem Hubraum von 1 200 cm3, der die Norm Euro 4 erfüllt . Das heißt: Die anteilige Steuer für den CO2-Ausstoß beträgt 28 Euro, die für die 1 200 cm3 Hubraum 24 Euro . Das sind zusammen 52 Euro . Herr Schwarz bekommt jetzt im Zuge der Einführung einer Infrastrukturabgabe bzw . durch die Änderung des Verkehrssteuergesetzes eine Entlastung von 29,40 Euro . Das entspricht genau dem, was er an Infrastrukturabgabe zu zahlen hätte . Wenn er ein Euro-6-Fahrzeug hätte, dann wäre diese Entlastung höher . Genau das ist Sinn dieser Änderung . Insofern ist es sinnvoll, dass wir die Änderung vornehmen . Nehmen wir einmal an, der Kollege Bilger hätte einen schwarzen BMW 730 Diesel mit 3 000 cm3 Hubraum, der die Euro-6-Norm erfüllt . ({4}) Hier erkennt man schon die Lenkungswirkung der Kfz-Steuer; denn Herr Bilger würde 391 Euro an Steuer zahlen, Herr Schwarz dagegen 52 Euro . Das liegt natürlich am Hubraum und am CO2-Ausstoß . Wenn man das jetzt durchrechnen würde, bekäme er, weil es sich um ein Euro-6-Fahrzeug handelt, also eine deutlich höhere Entlastung von 163 Euro . Da diese aber bei 130 Euro gekappt wird, gibt es für ihn sozusagen keine Veränderung . Das heißt, die Lenkungswirkung gilt vor allen Dingen für kleine Euro-6-Fahrzeuge, deren Halter so zusätzlich entlastet werden . Das, meine Damen und Herren, ist genau das, was wir anstreben . Deswegen halte ich es auch für richtig, dass wir diesen Weg gehen . ({5}) Ich möchte noch einen weiteren Aspekt anführen . Der Zoll ist seit 2014 für die Kfz-Steuer zuständig . Er hat mit der Einführung der Infrastrukturabgabe auch neue Aufgaben . Wir rechnen damit, dass es etwa 32 Millionen Euro kosten wird . Man muss sich vorstellen, es müssen 16 Millionen geänderte Kfz-Steuerbescheide ausgestellt werden . Das ist natürlich eine erhebliche Zahl, aber es ist ein einmaliger Aufwand, der sich lohnt . Wie gesagt, wir haben dann zum ersten Mal eine zweckgebundene Infrastrukturfinanzierung. Wahrscheinlich müssen die Leute vom Zoll Fragen beantworten . Es wird natürlich auch Einsprüche geben . Man rechnet immer mit etwa 10 Prozent . Wir haben gesagt: Nach zwölf Monaten schauen wir uns einmal an, ob die Belastung des Zolls im Rahmen dessen ist, was wir erwarten . Ich möchte zum Schluss kommen und weise noch einmal darauf hin: Wir sind ein Mittelstandsland . MittelDr. Valerie Wilms stand ist immer dezentral organisiert . Deswegen ist für unser Land Infrastruktur so wichtig . Das unterscheidet uns von vielen anderen Ländern . Deswegen, meine Damen und Herren, ist diese zweckgebundene Infrastrukturabgabe sinnvoll, damit wir wettbewerbsfähig bleiben . Auch deswegen bitte ich Sie, in den weiteren Beratungen konstruktive Beiträge zu leisten ({6}) und nicht immer nur ideologische Diskussionen zu führen . Dass die Grünen nicht unbedingt die Infrastrukturpartei sind, zeigen sie auch in Schleswig-Holstein immer . Das ist aber nicht mittelstandskonform .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn sie im Wahlkampf immer behaupten, sie wären für den Mittelstand da, dann sollten sie das auch in solchen Debatten einmal herausstellen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Ich freue mich auf die Beratungen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD . ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sie werden jetzt nicht erwarten, dass ich als SPD-Politikerin eine flammende Rede für die PkwMaut halte . ({0}) Aber Sie wissen auch, dass wir einen Koalitionsvertrag haben . In diesem Koalitionsvertrag haben wir Ja gesagt zu allen Maßnahmen, unter zwei Bedingungen auch zur Pkw-Maut . Die erste Bedingung: Kein Pkw-Halter in Deutschland darf mehr belastet werden . Diese Bedingung war schon beim ersten Gesetzentwurf erfüllt . Die zweite Bedingung - auch sie sollte beim ersten Gesetzentwurf erfüllt sein -: Das Ganze soll EU-rechtskonform sein . Ich sage einmal: Nachdem wir die Hinweise der EU-Kommission in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, gehe ich davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit jetzt auch die zweite Bedingung erfüllt ist . Wir haben - das wurde hier mehrfach diskutiert - noch die Frage der Einnahmesituation . Das steht zwar nicht im Koalitionsvertrag, aber wenn wir irgendetwas machen, soll es etwas für uns, für unseren Haushalt bringen . Wir haben mehrere Gutachten vorliegen . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Jeder in diesem Haus macht sich das Gutachten zu eigen, das ihm in seine Ideologie passt, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wer recht hat, können wir hier und heute alle nicht sagen . Das ist die Wahrheit . ({1}) Von daher erwarten wir, dass derjenige, der die Einnahmen - oder auch nicht - erhält, nämlich der Finanzminister, deutlich macht, welche dieser Gutachten plausibel sind und welche nicht . Herr Schäuble, wir fordern Sie auf: Äußern Sie sich! Ich glaube, das ist ein wichtiger Hinweis für dieses Haus . ({2}) Der Minister hat schon erwähnt, eigentlich bräuchten wir diese Mehreinnahmen gar nicht; denn diese Koalition hat endlich einmal ausreichende finanzielle Mittel für unsere Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt . Wir stellen jährlich über 14 Milliarden Euro im Haushalt bereit . Das haben wir auch mittelfristig gesichert . Insofern brauchen wir uns um unsere Verkehrsinfrastruktur in Deutschland keine Sorgen zu machen . Die Frage ist: Was passiert danach? ({3}) - Ja, ich habe den Einwurf gehört . Europa denkt im Moment über eine europaweite PkwMaut nach . Wäre es nicht auch im Interesse von Deutschland, sich in diese Diskussion einzubringen? Um unsere Belange, unsere besondere Bedeutung einzubringen, sollten wir überlegen, ob wir unsere Energie dort nicht sinnvoll einsetzen könnten . Dann würden wir unsere Einnahmen auch mittelfristig gesichert haben . Ich habe schon gesagt: Wir stehen zum Koalitionsvertrag . Dort steht: Wenn die Bedingungen erfüllt sind, werden wir zustimmen . Ich höre schon die Opposition, die sagt: Das müsst ihr doch gar nicht .- Jetzt einmal ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich glaube nicht, dass der Ausbau des Frankfurter Flughafens das Herzensprojekt der Grünen ist, und ich glaube nicht, dass die Einführung der Elektroschocker bei der Berliner Polizei eine Herzensangelegenheit der Linken ist . Aber Sie haben einen Vertrag abgeschlossen, und darum machen Sie das mit . Das ist auch gut so; denn nur so kann man unser Land vernünftig regieren . Das erwarten die Menschen von uns . ({4}) Wir haben mitbekommen, dass die Maut für die CSU eine Herzensangelegenheit ist - wie der Mindestlohn für die SPD . Ich sage es einmal so: In meiner Ehe habe ich irgendwann einmal Ja gesagt . ({5}) Aber die Prioritäten meines Partners verstehe ich nicht immer so ganz . Der Mindestlohn hat für 4 Millionen Menschen in diesem Land deutliche Verbesserungen beim Einkommen gebracht, viele aus Hartz IV herausgeholt . Das ist eine gute Sache . Die Pkw-Maut bringt einige Arbeitsplätze in der Verwaltung und jede Menge Bürokratie. Aber ich sage einmal so: Unsere Ehe dauert 29 Jahre, und ich hoffe, es ist erst die Halbzeit. Die Partnerschaft mit der CSU geht ihrem Ende entgegen, und dann können die Bürger und Bürgerinnen in diesem Land entscheiden, was für sie die Prioritäten sind, wenn es darum geht, das Leben bei uns zu verbessern . Herzlichen Dank . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Ulrich Lange für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0}) - Dass jedenfalls Koalitionen im Unterschied zu Ehen nur für einen befristeten Zeitraum geschlossen werden, hat schon manches für sich . ({1}) Bitte schön, Herr Lange .

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Ehe sage ich nichts . ({0}) Ich bin glücklich verheiratet . Ob ich das mit der Kollegin Lühmann wäre, lasse ich einmal dahingestellt . ({1}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mal versuchen, auf zwei oder drei wesentliche Punkte herunterzubrechen, worüber wir heute diskutieren . Vielleicht versteht man es, wenn man zuhören möchte und nicht als Mitarbeiter eines Kanzlerkandidaten auftritt oder sich in anderer Form permanent mit alternativen Fakten beschäftigt . ({2}) Ich lese ganz einfach einmal vor, was die EU-Kommission am 1. Dezember 2016 veröffentlicht hat: Die vereinbarte Lösung wahrt das Recht der EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infrastrukturfinanzierung und erleichtert den Übergang zu einer emissionsarmen Mobilität . … Die beiden Gesetze werden nach den angekündigten Änderungen gewährleisten, dass das deutsche Mautsystem mit dem EU-Recht in Einklang steht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das juristische Gütesiegel der EU-Kommission. Das heißt, diese Infrastrukturabgabe ist EU-rechtskonform. ({3}) Der zweite Punkt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag, den wir abzuarbeiten haben - Lesen bildet -, heißt es, dass die Pkw-Fahrer im Inland nicht höher als heute belastet werden dürfen . Genau das hat der Kollege Murmann jetzt perfekt dargestellt . ({4}) Lieber Kollege Schwarz, nehmen Sie sich ein Beispiel am Kollegen Murmann, und alles ist gut . ({5}) - Es gibt auch noch Audi-Fahrer, Opel-Fahrer; nur damit jetzt hier alle genannt sind, lieber Kollege . Das Umschalten auf die Nutzerfinanzierung ist ja gerade etwas, was die EU-Kommission in den Mittelpunkt ihrer Infrastrukturpolitik gestellt hat . Genau an diesem Punkt setzen auch wir mit dieser Infrastrukturabgabe an . Insofern würde ich einfach einmal empfehlen, die Sache nüchtern zu betrachten . Wenn dann heute jemand kommt und wieder sagt: „Aber die Grenzregionen!“, so haben wir auch dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Lösung gefunden . Da hat sich auch nichts geändert . Der Sachverhalt ist der gleiche, die Lösung ist da, die Lösung ist gut, und an dieser Lösung wird jetzt auch festgehalten . ({6}) Insofern ist alles in Ordnung . Alles ist bestens geregelt . Man kann nur sagen: Bitte so weitermachen! ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Zahlen des ADAC aus dem Jahr 2002 . Lieber Kollege Schwarz, ich gehöre ausgewiesenermaßen nicht zu den Freunden der Zahlen des ADAC . ({8}) Da immer wieder gesagt wird, man müsse nachrechnen, lese ich einfach einmal aus der Stellungnahme des BMF vor . Das BMF sagt auch hier ganz klar - die Stellungnahme liegt Ihnen vor -, dass die Zahlen des ADAC und das dazugehörige Gutachten auf den Daten der Ein- und Durchfahrten aus dem Jahr 2002 beruhen, ({9}) und stellt auch klar, dass das BMVI neuere Daten hat . ({10}) Das Bundesministerium der Finanzen, so heißt es weiter, habe keine Veranlassung, die Annahmen der Verkehrsexperten des BMVI zu bezweifeln . Tun Sie doch jetzt nicht so, als liege das Ganze nicht auf dem Tisch . Suchen Sie nicht irgendein Schlupfloch; das sage ich Ihnen von dieser Stelle aus ganz deutlich . Die Fakten liegen auf dem Tisch . Wir werden die Infrastrukturabgabe einführen und umsetzen . ({11}) Es geht um die Systemumstellung von der Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung, damit unsere Infrastruktur besser ausgebaut wird, damit wir das, was wir uns vorgenommen haben, durchziehen können . Wir von der Großen Koalition - das hat auch der Bundesverkehrswegeplan gezeigt - sorgen für die Sanierung und den Ausbau der Straßen, und wir stellen einen Bedarfsplan auf . Dafür brauchen wir das Geld, ({12}) dafür braucht unser Land das Geld . In diesem Sinne: Alles Gute! Danke schön . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetz- entwürfe auf den Drucksachen 18/11237, 18/11235 und 18/11012 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Hat jemand andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 51 a bis 51 c: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze ({0}) Drucksache 18/11286 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({2}), Matthias W . Birkwald, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesetzliche Rente stabilisieren - Gute Rente für alle sichern Drucksache 18/11402 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine faire und nachhaltige betriebliche Altersversorgung und ein stabiles Drei-Säulen-System Drucksache 18/10384 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4}) Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Die Vorlagen sollen nach einer interfraktionellen Vereinbarung 60 Minuten diskutiert werden . - Dazu kann ich offensichtlich Einvernehmen feststellen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles .

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der muss im Alter abgesichert sein . Das ist für mich eine der Kernaufgaben des Sozialstaates in unserem Land . Meine persönliche Überzeugung ist: Jede und jeder muss die Möglichkeit haben, den gewohnten Lebensstandard im Alter zu erhalten . Das Fundament dafür ist mit Sicherheit die gesetzliche Rentenversicherung . ({0}) Die zusätzliche Altersvorsorge muss dann - das ist meine Überzeugung - als Plus oben draufkommen . Vor allem für Geringverdienende schlagen Kollege Schäuble und ich mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz deutliche Verbesserungen vor . Dabei sind Betriebsrenten - das will ich deutlich hervorheben - die älteste, die wichtigste und die kostengünstigste Zusatzversorgung im Alter . ({1}) Doch noch längst nicht alle im Land betreiben überhaupt eine zusätzliche Altersvorsorge, und das ist das Problem . In großen Unternehmen und in Branchen mit breit wirkenden Tarifverträgen ist die betriebliche Alterssicherung gut verbreitet . Ende 2015 hatten rund 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei ihrem aktuellen Arbeitgeber eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente . Das sind 17,7 Millionen Menschen, die eine betriebliche Altersvorsorge haben . Schließlich hat sie für die Versicherten eine Menge Vorteile: weniger Kosten und Aufwand durch Bündelung großer BelegUlrich Lange schaften, häufig ein Beitrag des Arbeitgebers, Zielgenauigkeit und vieles mehr . Aber gerade - das haben wir eben auch feststellen müssen - in kleineren Unternehmen und in Branchen mit geringverdienenden Beschäftigten ist die Betriebsrente wenig verbreitet . Sie scheuen oft den Aufwand für den Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung und das Haftungsrisiko . Das soll das Betriebsrentenstärkungsgesetz ändern . Ich setze dabei auf die Sozialpartner . Sie können nach unserem Sozialpartnermodell Betriebsrentensysteme für ihre Branchen und Betriebe vereinbaren und aufbauen; denn wie bei der gesetzlichen Rente gilt auch hier: Niemand kann alleine für ein sicheres und gutes Auskommen im Alter sorgen . Nur alle zusammen bekommen das hin . ({2}) Das Sozialpartnermodell ist deshalb der Kern des Betriebsrentenstärkungsgesetzes . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mehr Betriebsrenten erreichen, indem wir es den Sozialpartnern ermöglichen, Tarifverträge zu schließen, in denen Betriebsrenten vereinbart werden ohne Haftung der Arbeitgeber für den späteren Rentenbezug, sogenannte reine Beitragszusagen . Damit entfällt für die Betriebe das Haftungsrisiko, ({3}) das bisher ein wesentlicher Hemmschuh für die Einführung einer betrieblichen Altersversorgung war . Die Ansprüche der Beschäftigten richten sich dann ausschließlich an die Versorgungseinrichtung, etwa an den Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung . Die Tarifpartner vereinbaren dabei eine sogenannte Zielrente . Auf Garantien und Mindestleistungen durch die Versorgungseinrichtungen wird verzichtet . Das ist etwas fundamental Neues in der kapitalgedeckten Altersvorsorge, und das ist auch eine Antwort auf die lange Niedrigzinsphase . In den letzten Jahren mussten wir feststellen - um genau zu sein: seit 2009 -, dass wir keinerlei Entwicklung positiver Art bei der Verbreitung von Betriebsrenten mehr haben . Wir haben eine komplette Stagnation . Das, was wir hier vorlegen, ist der Versuch einer Antwort auf diese Frage . Diese Antwort haben wir nicht im luftleeren Raum, sondern in enger Absprache - Herr Schäuble und ich haben uns dafür sehr viel Zeit genommen - mit den Sozialpartnern, also mit Gewerkschaften und Arbeitgebern zusammen, entwickelt . ({4}) Wir öffnen hier Wege für die Sozialpartner. Sie können diesen Weg gehen, Sie können es aber auch sein lassen; denn die bisherigen fünf Durchführungswege einer Betriebsrente, die wir schon kennen, existieren weiterhin . Wir bieten eine neue Möglichkeit, auf diese besondere Lage zu reagieren . Gemeinsame Verantwortung heißt, dass für die Arbeitgeber nicht nur Risiken wegfallen, sondern sie zugleich in die Pflicht genommen werden. Im Gegenzug für die Befreiung von der Haftung sollen sich die Arbeitgeber an der Absicherung der Zielrenten durch Sicherungsbeiträge beteiligen . Wichtiger noch als das ist: Wenn Entgeltumwandlung genutzt wird, muss der Arbeitgeber eingesparte Beiträge zur Sozialversicherung, die wir auch gewährt haben, damit sie die Haftungsrisiken absichern können dieser Grund fällt hier ja weg -, an die Versorgungseinrichtung weitergeben . ({5}) 20 Prozent werden gewährt; 15 Prozent muss man weitergeben, mehr kann man im Rahmen der Tarifverhandlungen vereinbaren . Mit anderen Worten: Wir haben nicht nur etwas an Risiken weggenommen, sondern wir haben auch neue Pflichten ausgehandelt. Das ist genau der Deal, den die Sozialpartner am Ende mitgegangen sind . ({6}) Außerdem sorgen wir dafür, dass die Sozialpartner im Rahmen der Betriebsrenten dauerhaft mit in die Verantwortung genommen werden . Sie müssen sich an der Durchführung und Steuerung der neuen Betriebsrenten beteiligen, entweder durch eigene Einrichtungen oder Mitwirkung in bestehenden Einrichtungen . Das ist ein Grund, warum dieses Modell, das, als wir es vor zwei Jahren vorgeschlagen haben, in der gesamten Szene massive Kritik ausgelöst hatte, am heutigen Tag auf den Weg gebracht werden kann . Dass sich die Sozialpartner an der Durchführung und Steuerung der neuen Betriebsrenten beteiligen müssen, das ist etwas wirklich Neues . Damit wollen wir sachgerechte und angemessene Betriebsrenten erreichen . Darum setzen wir auch Regeln für die Zielrente, was die Kapitalanlage oder das Risikomanagement betrifft. Darüber, dass diese Regeln eingehalten werden, Herr Kurth, wacht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin . Verantwortung und Verlässlichkeit sind also die Grundlage . Wir haben auch noch etwas anderes gemacht . Wir haben die rechtssichere Lösung für ein Opting-out geschaffen. Arbeitgeber können ganze Belegschaften auch unabhängig etwa von der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft automatisch in die betriebliche Altersversorgung aufnehmen . Beschäftigte, die daran nicht teilnehmen möchten, erklären einfach ihren Austritt . Auch das ist eine wesentliche Innovation . Damit vor allem auch Geringverdienende in Zukunft profitieren, fördern wir arbeitgeberfinanzierte Betriebsrentenbeiträge für Beschäftigte mit Einkommen unter 2 000 Euro . Dazu wird sicherlich Herr Meister nachher noch mehr sagen, weil das auch ein wesentlicher Teil der Zusammenarbeit mit dem BMF war . Damit zusätzliche Vorsorge sich für alle lohnt - auch für die Menschen, die für niedrige Löhne arbeiten -, schaffen wir bei der Grundsicherung im Alter Freibeträge für Zusatzrenten wie Betriebs- oder Riesterrenten . ({7}) Dieser Schritt ist wirklich ein historischer Schritt . Das hat es noch nie gegeben . Es bestand gerade für Geringverdiener ein großes Hemmnis . Viele haben ja gesagt: Ich weiß gar nicht, ob ich im Leben so viel verdiene, dass ich am Ende über die Grundsicherung komme . Warum soll ich jetzt in die private Rente oder in die Betriebsrente einzahlen? - Das hat übrigens auch Tarifverhandlungen, beispielsweise im Dienstleistungsbereich, extrem beschränkt . An dieser Stelle sagen wir jetzt: Ihr könnt, egal wie eure Erwerbsbiografie am Ende verlaufen ist, rund 200 Euro behalten . - Das ist nun wirklich eine wesentliche Verbesserung ({8}) und trägt, hoffe ich, dazu bei, dass wir in Zukunft die Verbreiterung der Betriebsrenten auch in dem Bereich erreichen, in dem es bisher noch nicht so gut läuft, nämlich bei den Geringverdienern . Das ist einer der wesentlichen Punkte, um das zu erreichen . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Matthias Birkwald erhält nun für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf der Besuchertribüne begrüße ich den Vorsitzenden des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten, Herrn Kieseheuer, und zehn seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter sehr herzlich . ({0}) Sie kämpfen gegen die Doppelverbeitragung Ihrer Betriebsrenten mit Krankenkassenbeiträgen . Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Kampf . ({1}) Meine Damen und Herren, vor 17 Jahren haben SPD, Grüne, Union und FDP das Rentenniveau gemeinsam in den Sinkflug geschickt und Lücken in die gesetzlichen Renten von Millionen von Menschen gerissen . Seitdem gilt: Jahr für Jahr hinken die Renten den Löhnen hinterher, Jahr für Jahr gibt es immer mehr ältere Arme, und Jahr für Jahr wird der Riester-Unsinn offensichtlicher. Und was tun Union und SPD dagegen? Nichts. Sie sagen gebetsmühlenartig: Wir müssen die Rente zukunftsfähig machen . - Ich sage dazu: Sie wollen die Alterssicherung für die Unternehmen billiger machen. Sie wollen die Alterssicherung für die heute Beschäftigten teuer, kompliziert und unberechenbar machen . - Dazu sagt die Linke klar und deutlich Nein . ({2}) Beim neuen Stern der SPD zeigt unsere Kritik der Linken Wirkung . Martin Schulz sagte am 20 . Februar 2017 Zitat -: … es gibt keine sozial gerechtere Form der Absicherung für das Alter als die gesetzliche Rentenversicherung . Deswegen wollen wir zuallererst die erste Säule der Altersvorsorge stärken . Und was tut die SPD? Arbeitsministerin Andrea Nahles legt heute kein Gesetz für eine Anhebung des Rentenniveaus vor, sondern nur ein sogenanntes Betriebsrentenstärkungsgesetz . ({3}) Mit einem Rentenniveau von 53 Prozent könnte man den Lebensstandard aber wieder sichern . Genau das tun Sie nicht, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten . Das ist schlecht . ({4}) Nein, gegen den Verfall des Rentenniveaus helfen keine Sonntagsreden von Martin Schulz . ({5}) Gegen die immer weiter anwachsende Rentenlücke von vielen hart arbeitenden Menschen hilft nur ein Gesetz, mit dem endlich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel gestrichen werden . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, lassen Sie Zwischenfragen zu?

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bitte .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte sehr .

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzter Herr Kollege Birkwald, danke schön, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Sind Sie bereit, zu akzeptieren und anzuerkennen, dass Frau Ministerin Andrea Nahles zu Beginn ihrer Rede eindeutig gesagt hat, dass die Altersversorgung natürlich im Kern durch die gesetzliche Rente abgesichert wird? Das waren die Eingangsworte der Ministerin . Ihre Polemik hier bezog sich auf ein anderes Thema, nämlich die betriebliche Altersvorsorge . Das ist ein anderer Punkt, der on top kommen soll, wie in dieser Debatte eindeutig geäußert wurde . Sind Sie bereit, das anzuerkennen? ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geschätzte Kollegin Wolff, ich kann zitieren: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube . - Es wird zwar gesagt, die gesetzliche Rente solle gestärkt werden. Aber was wird gemacht? Es geht um die Betriebsrente . Wir haben heute, Frau Kollegin Wolff, auch einen Antrag der Fraktion Die Linke auf der Tagesordnung, in dem wir aufgenommen haben, was Martin Schulz gesagt hat . Wenn Sie unseren Antrag umsetzten, dann erhielten heutige und künftige Rentnerinnen und Rentner deutlich höhere Löhne, und vor allem die Menschen mit niedrigen Löhnen würden deutlich bessergestellt und vor Altersarmut geschützt werden . Darum muss es doch gehen, Frau Kollegin Wolff. ({0}) Liebe Koalition, was machen Sie denn mit Ihrem Betriebsrentenstärkungsgesetz? Sie sagen heute mit diesem Gesetz zu einer Geringverdienerin: Mit deinem Lohn landest du einmal in der Altersarmut; denn du verdienst zu wenig für eine armutsfeste gesetzliche Rente . Du riesterst zu wenig . Du gibst von deinem kargen Lohn zu wenig Geld für eine Betriebsrente aus, und du sorgst zu wenig für dein Alter vor . - Ich sage: Das ist Zynismus pur . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, lassen Sie noch eine weitere Zwischenfrage zu?

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, selbstverständlich .

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Birkwald, ich weiß ja, dass Ihnen die Beantwortung von Zwischenfragen Spaß macht . Deswegen will ich Ihnen gerne einen Gefallen tun und noch eine stellen . Herr Birkwald, würden Sie vielleicht zwei Dinge zur Kenntnis nehmen? Erstens . Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass Frau Ministerin Nahles in ihrem Gesamtkonzept zur Alterssicherung Vorschläge zur Stabilisierung des Rentenniveaus der gesetzlichen Rente gemacht hat? Zweitens . Würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass auch das Thema betriebliche Altersvorsorge unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten eine zentrale Rolle spielt? Denn - Frau Ministerin hat es ausgeführt - wir haben in Deutschland viele Beschäftigte, die Ansprüche aus betrieblicher Altersvorsorge erwerben, teilweise sogar sehr hohe . Es gibt aber auch sehr viele, vor allem in kleineren und mittleren Betrieben in bestimmten Branchen, beispielsweise im Einzelhandel, Geringverdiener, die keine Anwartschaften aus der betrieblichen Altersvorsorge haben . Damit haben wir, egal wie hoch das Niveau in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, bei der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge in Deutschland eine riesige Gerechtigkeitslücke zwischen denjenigen, die Ansprüche haben, und denjenigen, die keine haben . Deswegen ist die Politik genau an dieser Stelle gefragt, sich eben nicht nur um die gesetzliche Rente zu kümmern, sondern sich gleichermaßen auch um diese Gerechtigkeitslücke im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge zu kümmern . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geschätzter Kollege Dr . Rosemann, zunächst: Ja, die Ministerin hat einen Vorschlag gemacht, um das Rentenniveau zu stabilisieren . Das reicht aber überhaupt nicht . Wir haben heute ein Rentenniveau von 48,2 Prozent . Die Rente sollte den Lebensstandard wieder sichern . Dafür brauchen wir aber ein Rentenniveau von 53 Prozent. Das wäre heute und auch im Jahr 2030 finanzierbar. Sie waren doch mit mir gemeinsam in Österreich und haben gesehen, wie man ein Rentensystem aufbaut, in dem die Männer das Doppelte an Rente bekommen und auch eine Bäckereifachverkäuferin und eine Floristin im Alter eine Rente bekommen, von der sie leben können . Das ist hier heute nicht der Fall, auch nicht mit Betriebsrente . Das ist der erste Punkt . Nun zu Ihrer zweiten Frage . Man muss schon noch einmal sagen, worum es hier geht . Denn hier wird alles vermuschelt . Hier wird von bAV, von betrieblicher Altersversorgung gesprochen, obwohl es sich nur um betriebliche Altersvorsorge handelt. Was ist der Unterschied? Betriebliche Altersversorgung ist, wenn Ihr Arbeitgeber sagt: Martin, du machst einen guten Job . Ich gebe dir 200 Euro Betriebsrente bis an dein Lebensende . ({0}) Das ist betriebliche Altersversorgung . Da wird gehaftet, da wird zugesagt, dass man das Geld bekommt . Was ist betriebliche Altersvorsorge? ({1}) - Das kann ich mir vorstellen; aber das ist genau der Punkt, um den es hier geht . - Sie fördern doch nur Vorsorge. Vorsorge von wem? Von Menschen, die häufig mit Entgeltumwandlung - das geschieht mittlerweile überwiegend - ihr eigenes Gehalt zur Betriebsrente machen . ({2}) Die Menschen, die dort oben auf der Tribüne sitzen, müssen, wenn sie ihre Betriebsrente bekommen, dann auch noch doppelt Krankenversicherungsbeiträge zahlen . ({3}) Ich sage Ihnen: Wenn man Entgeltumwandlung macht und der Arbeitgeber nicht mindestens 50 Prozent oder mehr dazugibt, tut man besser daran, das Geld in ein Sparkästchen oder unter das Kopfkissen zu stecken . Sie führen die Leute hier hinter die Fichte . ({4}) Echte betriebliche Altersversorgung ist gut . Betriebliche Altersvorsorge mit weniger als 50 Prozent der Beiträge der Arbeitgeber ist schlecht . ({5}) Jetzt geht es weiter . Sie sagen einem Beschäftigten mit Ihrem Gesetz: Sorry, die gute alte Zeit der betrieblichen Altersversorgung ist endgültig vorbei . Dass deine Beiträge später einmal mit Zins und Zinseszins ausgezahlt werden, muss dir dein Arbeitgeber genauso wenig garantieren wie eine Mindestrente . Er garantiert dir in Zukunft überhaupt nichts mehr . Er zahlt künftig nur noch ein bisschen Beitrag, und das war es. Eine Einstandspflicht, eine Haftung des Arbeitgebers, das feste Versprechen einer ordentlichen und verlässlichen Betriebsrente ist den Chefs einfach zu teuer . Das darf doch alles gar nicht wahr sein . ({6}) Union und SPD sagen den Menschen mit diesem Gesetz: Gib den Versicherungskonzernen und den Versorgungswerken noch mehr von deinem Lohn, und lass uns dann mal sehen, was die Aktienmärkte in Zukunft hergeben. Wenn es gut läuft: okay. Wenn es schiefläuft: Pech gehabt . ({7}) „Zielrente“ nennen Sie das. Sagen Sie „Pokerrente“. Das wäre ehrlicher . ({8}) Wozu verpflichten Sie die Arbeitgeber? Frau Nahles hat es gesagt: zu 15 Prozent . 15 Prozent des Gehalts muss die Chefin oder der Chef zukünftig für die betriebliche Altersvorsorge der Beschäftigten dazubezahlen . Frau Nahles, auf meine Frage, wie viel der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin an Sozialversicherungsbeiträgen wirklich spart, wenn die Beschäftigten eine Entgeltumwandlung vornehmen, also ihre Betriebsrente überwiegend selbst finanzieren, haben Sie geantwortet: insgesamt 20,7 Prozent . Wir Linken sagen: Die Arbeitgeber dürfen keinen einzigen Cent an der betrieblichen Altersvorsorge ihrer Beschäftigten verdienen . ({9}) Im Gegenteil: Die Chefinnen und Chefs sollen sich an der Altersversorgung ihrer Mitarbeitenden beteiligen . Sie sollen sie finanzieren. Die Arbeitgeber sollen zeigen, dass ihnen ihre langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwas wert sind . Deshalb würde ein linkes Betriebsrentenstärkungsgesetz in § 1 feststellen: Um betriebliche Altersversorgung handelt es sich nur, wenn der Arbeitgeberanteil der Beiträge zwischen 50 und 100 Prozent liegt . ({10}) Alles andere ist Vorsorge, und da gilt: Vorsicht an der Bahnsteigkante! ({11}) In § 2 würden wir die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung abschaffen. Sie ist genau das Gegenteil von dem, was Martin Schulz fordert, verehrte Frau Nahles . Sie stärkt nämlich die gesetzliche Rente nicht, sondern sie schwächt die gesetzliche Rente, und zwar doppelt: Die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung senkt die eigenen gesetzlichen Rentenansprüche, und sie senkt die Renten aller Versicherten, völlig egal, ob sie über den Betrieb vorsorgen oder nicht . Dazu sagt die Linke: Das geht gar nicht . ({12}) Die Bundesregierung schätzt die Beitragsausfälle für die Entgeltumwandlung auf 3 Milliarden Euro - Herr Meister widerspricht nicht -, ({13}) und hinzu kommen die Steuerausfälle . Was machen Sie, Frau Ministerin Nahles? Sie führen grundsätzlich die automatische Entgeltumwandlung per Tarifvertrag ein . Sie wollen dieses schädliche Instrument auch noch mehr fördern. Was gilt denn nun, liebe SPD? Schulz oder Nahles? Gesetzliche Rente oder private Vorsorge? ({14}) Sie, Frau Nahles, stärken ja auch noch die private Vorsorge; denn Sie erhöhen mit diesem Gesetz die Riester-Zulage . Dabei wären die 3 Milliarden Euro pro Jahr an staatlicher Riester-Förderung in der Rentenkasse viel besser angelegt, statt in den Töpfen der Versicherungswirtschaft zu versickern . ({15}) Frau Ministerin, Sie haben eben vorgetragen: Sie führen Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter ein . Auch hier die Frage: Schulz oder Nahles? Gesetzliche Rente stärken oder private Vorsorge erzwingen? ({16}) Das sozialdemokratisch geführte Ministerium führt Freibeträge für die betriebliche Vorsorge und für die RiesterRente bei der Grundsicherung ein . Freibeträge für die gesetzliche Rente führen Sie nicht ein . Das ist ungerecht . ({17}) Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein deutliches Wort zu dem ganz besonderen Skandal der Doppelverbeitragung von den Betriebsrenten der Direktversicherten . Wer vor 2002 eine Direktversicherung abgeschlossen hat, muss dank Horst Seehofer, CSU, und Ulla Schmidt, SPD, seit dem Jahr 2004 rückwirkend doppelte Krankenversicherungsbeiträge zahlen . Der Bundesrat, der DGB, die IG Metall, die Arbeitgeber, die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung, die Sozialverbände und die Linke sind sich alle einig: Alle Betriebsrenten dürfen nur einmal und auf gar keinen Fall zweimal oder dreimal verbeitragt werden . ({18}) Herr Kollege Weiß, was bieten Sie den Betroffenen denn konkret an? Sie wurden erst mit Steuervorteilen in die Direktversicherung gelockt und dann rückwirkend und ohne Bestandsschutz abgezockt . Für die betrieblichen Riester-Renten ändern Sie das - gut . Aber ich fordere Sie auf: Schaffen Sie diese große Ungerechtigkeit für alle Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner ab! Ich danke Ihnen . ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Weiß ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, so heftig man eine Debatte auch führt, sollte man zu dem, was eigentlich nicht strittig ist, nicht erklären, dass es strittig sei . Nicht strittig ist - das erkläre ich jetzt für die CDU/CSU-Fraktion und auch für die gesamte Koalition -, dass eine starke gesetzliche Rente natürlich auch in Zukunft die erste starke Säule der Altersversorgung in Deutschland ist und bleiben wird . ({0}) Weil jeder von uns im Alter einigermaßen gut leben will, ist es aber zwingend notwendig, dass eine starke zweite Säule dazukommt, und es geht heute darum, dass wir diese zweite starke Säule schaffen, sichern und unterstützen . ({1}) Die Idee des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist einfach, dass in Zukunft nicht nur 60 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine starke zweite Säule in Form einer Betriebsrente ihr Eigen nennen können, sondern möglichst jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer in Deutschland . Darum geht es uns . ({2}) Wenn uns das mit diesem Gesetz am Schluss gelingen sollte, dann gilt wirklich: Wer nicht bei der betrieblichen Altersvorsorge mitmacht, der hat sich wirklich falsch entschieden . Wenn uns dieses Gesetz gelingt und wir wirklich eine weitere Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge schaffen, dann wäre das heute sogar eine Sternstunde für die deutsche Altersvorsorge der Zukunft . ({3}) Kaum ein Gesetzesvorhaben war so gründlich vorbereitet wie dieses, nämlich mit mehreren Gutachten, die das Arbeitsministerium und das Finanzministerium in Auftrag gegeben haben und in denen sehr genau analysiert wurde, auf was es ankommt . Es ist völlig richtig, verehrte Frau Ministerin: Es geht hier nicht nur um das Sozialpartnermodell, sondern es geht uns natürlich darum, alle Formen der betrieblichen Altersvorsorge zu stärken . Hier ist als Erstes der Zugang für Geringverdiener wichtig. Wir schaffen einen Geringverdienerzuschuss, der zu einem guten Teil dem Arbeitgeber über die Steuer refinanziert wird. Dieser macht es für Geringverdiener überhaupt erst möglich, in die betriebliche Altersvorsorge einzusteigen . Als Zweites schaffen wir Freibeträge in der Grundsicherung . Hundert Jahre lang war das Prinzip der Nachrangigkeit das eherne Prinzip staatlicher Fürsorgeleistungen, also staatlicher Unterstützung aus Steuermitteln. Danach wurde alles, was man sonst noch hat, angerechnet . Mit diesem Gesetzentwurf machen wir, wie ich finde, nicht nur einen historischen Schritt, sondern es ist sogar eine echte Revolution im deutschen Sozialrecht, dass wir erstmals eine Regelung schaffen, wonach mindestens 100 Euro und maximal 200 Euro monatlich von dem, was man sich an zusätzlicher Altersversorgung angespart hat, nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden . Auf gut Deutsch: Wer etwas zusätzlich fürs Alter macht, der weiß eines ganz bestimmt, egal wie das Leben weiterverlaufen wird: Wenn ich eines Tages Grundsicherung beantragen muss, dann habe ich auf jeden Fall mehr als derjenige, der nichts getan hat . Das ist die wichtigste Botschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, gerade auch für die Geringverdiener . ({4}) Natürlich ist es wünschenswert, dass das, was jetzt auch schon Praxis ist, dass nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Tarifverträge einen automatischen Zugang zu einer Betriebsrente bekommen, verbreitert wird . Das ist die Idee des sogenannten Sozialpartnermodells . Was der Kollege Birkwald von den Linken hier vorgetragen hat, ist schlichtweg unglaublich . Er hat dieses Modell als „Pokerrente“ diffamiert. ({5}) Um es jedem zu erklären: Es geht darum, dass die jeweiligen Arbeitgeberverbände und die zuständigen Gewerkschaften miteinander einen Tarifvertrag abschließen, in dem sie die Details regeln, wie die betriebliche Altersversorgung organisiert und finanziert wird. Nun gibt es in den Gewerkschaften etliche Kolleginnen und Kollegen, die meinen, ihre politischen Ziele eher mit der Linkspartei durchsetzen zu können . ({6}) Heute ist deutlich geworden, wie Linke wirklich über Gewerkschaften denken . ({7}) Der Vorwurf, dieses Tarifvertragsmodell sei eine Pokerrente, ist die Misstrauenserklärung gegenüber den deutschen Gewerkschaften seitens der Linkspartei . ({8}) Dass Sie den Arbeitgeberverbänden misstrauen, haben wir eh unterstellt . Aber heute ist noch einmal deutlich geworden, wie Sie in Wahrheit über Gewerkschaften denken . ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Tat ist die Frage, wie wir zusätzliche Anreize schaffen, zum Beispiel durch das betriebliche Opting-out-Modell, das die Ministerin vorgestellt hat, oder die Überlegung, eingesparte Sozialversicherungsbeiträge durch die Entgeltumwandlung an den Arbeitnehmer als Zuschuss zur betrieblichen Altersvorsorge weiterzugeben . Das sind wichtige Elemente, die einen zusätzlichen finanziellen Anreiz darstellen, um sich einer betrieblichen Altersvorsorge anzuschließen und entsprechend anzusparen . Die betriebliche Altersvorsorge ist deswegen in unserem Fokus, weil wir gerade in einer Niedrigzinsphase mit der betrieblichen Altersvorsorge darstellen können, dass große Kollektive, die versichert werden, auch attraktive Angebote aufseiten der Versicherung finden, und Kosten gespart werden, dass aber eine Altersvorsorge auch in Zeiten niedriger Zinsen mit einer Rendite dargestellt werden kann . Deswegen ist es richtig, dass wir gerade in dieser Zeit unser Augenmerk auf die Stärkung der Betriebsrente richten . Der Gesetzentwurf ist ein Gemeinschaftswerk von Bundesfinanzministerium und Bundesarbeitsministerium, und ich möchte beiden Häusern und den Mitarbeitern herzlich dafür danken . Erlauben Sie mir, dass ich einen besonderen Dank an den Bundesfinanzminister richte. Denn der Bundesfinanzminister hat zwar zunächst einmal die Aufgabe, das Geld zusammenzuhalten, aber wenn man die betriebliche Altersvorsorge richtig gestalten will, dann muss es auch ein paar finanzielle Anreize und zwar zusätzlicher Art - geben. Dass der Bundesfinanzminister sich dazu hat durchringen lassen ({10}) - ich glaube, für jeden Finanzminister, egal welcher Partei er angehört, ist es ein Durchringen -, dass der Bundesfinanzminister bereit war, ein paar zusätzliche finanzielle Anreize für die Förderung der Betriebsrente zu geben, ist ein richtiges Zeichen in der Niedrigzinsphase, indem man nämlich sagt: Wer spart, den wollen wir als Staat zusätzlich unterstützen. Und das wird mit diesem Betriebsrentengesetz gemacht . ({11}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es handelt sich insgesamt um einen guten Gesetzentwurf . Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass wir, die Koalitionsfraktionen, ihn im parlamentarischen Verfahren noch gemeinsam optimieren . Aber was wir mit der ersten Lesung heute bezwecken sollten, ist, ein klares Signal zu geben: Grünes Licht, freie Fahrt für eine starke betriebliche Altersversorgung für möglichst alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland! Vielen Dank . ({12})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Weiß . - Als Nächster spricht der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grünen .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vorweg: Für Bündnis 90/Die Grünen ist die betriebliche Altersvorsorge ein wichtiger, zentraler und unbedingt zu stärkender Baustein in der Altersvorsorge . Die Betriebsrente hat eine hohe Akzeptanz, weil sie eine wertgeschätzte und wertschätzende Zusatzleistung ist . Sie ist trotz der Entgeltumwandlung, die auch wir - das will ich betonen - abschaffen wollen, ({0}) in der Regel noch mit hohen Arbeitgeberanteilen versehen . Die Betriebsrente ist häufig in tarifvertragliche Regelungen eingewoben, und es ist vielfach zumindest über Gruppenverträge, aber auch über Pensionsfonds ein System kollektiver Absicherung und damit häufig effizienter als individuelle Verträge wie beispielsweise bei der Riester-Rente . Zusammengefasst: Grundsätzlich ist die Stärkung der Betriebsrente auch für uns Grüne ein erstrebenswertes Ziel . ({1}) Eine Stärkung - Frau Nahles hat es ja, wie viele andere auch, analysiert - ist gerade in kleinen und mittleren Unternehmen sowie in bestimmten Branchen auch notwendig . Gerade in Dienstleistungsbranchen ist die Betriebsrente nicht besonders weit verbreitet . Ich denke Peter Weiß ({2}) dabei insbesondere an den Einzelhandel sowie an das Hotel- und Gaststättengewerbe . Diese Bereiche seien hier nur beispielhaft genannt . Da gibt es nicht besonders viele Betriebsrenten . Es ist für uns wichtig, auch hier vorwärtszukommen . Ich wundere mich allerdings, dass eigentlich keiner von den Rednern - auch nicht der Oppositionsredner Birkwald - die Frage aufgeworfen hat, ob dieser Gesetzentwurf mit dem Sozialpartnermodell seine Ziele überhaupt erreichen kann . Jetzt sage ich Ihnen etwas, was noch niemand hier vorne gesagt hat: Dieser Gesetzentwurf erreicht gerade diejenigen nicht, die besonders eine Unterstützung brauchen. Und das ist finster! ({3}) Sie benutzen die Betriebsrente, um eigentlich ein anderes Ziel zu erreichen, nämlich die Tarifbindung zu stärken bzw . zu erhöhen . Fast sämtliche Vergünstigungen oder nennen wir es einmal Subventionstatbestände; das ist es ja tatsächlich - sind an Tarifbindung und an die Tarifparteien gekoppelt . Das ist der Kardinalfehler dieses Betriebsrentenstärkungsgesetzes . Andrea Nahles hat es ja auch in einem FAZ-Interview im Jahr 2016 gesagt: Wer tariflich gebunden ist, wird privilegiert. Die Tarifbindung zu stärken, ist natürlich ein erstrebenswertes Ziel . Ob dann damit aber auch die Aufgabenstellung - nämlich die Betriebsrente in kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken - erreicht wird, ist mehr als fraglich . Das wird nicht der Fall sein . Professor Kiesewetter, der für das Finanzministerium das vielfach beachtete Betriebsrentengutachten erstellt hat, hat das Kernproblem sehr klar beschrieben: Die Erhöhung des Verbreitungsgrades hängt in großem Maße von den Tarifparteien ab . Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: In Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern beträgt der Anteil tarifgebundener Beschäftigter gerade einmal 20 Prozent, in Betrieben mit bis zu 9 Mitarbeitern sind es nur rund 10 Prozent. Und in Ostdeutschland sieht es noch viel magerer mit der Tarifbindung aus . Das heißt also, das Sozialpartnermodell kann gar nicht dort greifen, wo es die größten Regelungs- und Unterstützungsbedarfe gibt. Das werfen wir Ihnen vor . ({4}) Selbst die Gewerkschaften sehen das . Der Deutsche Gewerkschaftsbund sagt - ich zitiere - in einer aktuellen Stellungnahme: Wir werden das gar nicht schaffen. Und weiter: Ohne das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung wird keine Verbesserung der zusätzlichen Altersversorgung der dort Beschäftigten erreicht werden können . Das heißt also, die Gewerkschaften setzen bereits jetzt auf eine andere Regelung, auf eine Abschaffung des Vetorechts bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung . Das halten wir durchaus für vernünftig . Nur gibt es das im Moment nicht. Und ich sehe jedenfalls nicht, dass das in der näheren Zukunft kommen wird . Das heißt, die Gewerkschaften selber sehen eigentlich die große Schwäche dieses Gesetzentwurfs . ({5}) Sogar der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes er vertritt kleine und mittlere Unternehmen - sagt: Der Gesetzentwurf verliert die beiden eigentlichen Problemgruppen - mittelständische Unternehmen und Geringverdiener - aus den Augen . Das ist der entscheidende, zentrale Punkt, den man Ihnen zum Vorwurf machen kann . Hier an dieser Stelle haben wir von Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Antrag vorgelegt, der genau diesen Schwachpunkt erfasst . Wir sagen nämlich: Wer die Betriebsrente wirklich umfassend verbreiten will, kommt nicht darum herum, die Arbeitgeber - wie das übrigens in Großbritannien der Fall ist - zu einem Angebot an die Beschäftigten zu verpflichten. Das heißt, die Arbeitgeber müssen nicht nur einen Zettel an das schwarze Brett hängen, sondern ihren Beschäftigten ein Angebot unterbreiten, das diese mindestens aktiv annehmen müssen . Der Fachausdruck dazu lautet „active choice“. Ein Optionsmodell wäre an dieser Stelle ebenfalls denkbar . Damit nicht genug: Die Arbeitgeber müssen auch - das steht ebenfalls in unserem Antrag - einen echten Eigenbeitrag leisten . Das ist wichtig - Kollege Birkwald hat das schon angedeutet -, damit die Betriebsrente ihre Funktion erfüllt und ihren Namen verdient . ({6}) Wir Grüne sehen natürlich das Problem bei der sogenannten Haftungsverpflichtung gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen. Die Gärtnerei um die Ecke mit sieben Angestellten hat sicherlich Probleme, über 50, 60 oder 70 Jahre die Beiträge zu garantieren und dafür zu haften. Darum finden wir es richtig, einen Enthaftungsanreiz zu setzen, aber zielgenau . Wir wollen kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten enthaften und ihnen die Beitragszusage ermöglichen . Aber das gilt nicht für Großunternehmen. Das ist der Unterschied . ({7}) Zudem wollen wir Anlagemöglichkeiten verbessern und transparenter machen . Hierzu schlagen wir die Einrichtung eines Bürgerfonds vor wie schon bei der geförderten privaten Altersvorsorge . Beispielgebend ist hier Schweden, wo unter Beweis gestellt wird, dass man mit großen, kollektiven Kapitalstöcken in öffentlich-rechtlicher Verwaltung Gelder sehr günstig verwalten kann und einfach zugängliche und transparente Angebote für Versicherte, aber auch - warum nicht? - für Betriebsrenten machen kann . Es wäre ein entscheidender Schritt, sich in dieser Richtung umzusehen und entsprechende Vorbilder nachzuahmen . ({8}) Da mir die Zeit leider davonläuft, will ich nur noch etwas zum Freibetrag in der Grundsicherung sagen . Meine Damen und Herren von der Koalition, ich glaube, dass Sie hier möglicherweise einen schwerwiegenden systematischen Fehler mit Blick auf die Zukunft machen . Ich befürchte, dass wir uns hier auf eine Kombirente zubewegen . Was wir Grüne vorschlagen, ist eine Garantierente . Das heißt, wer 30 Versicherungsjahre vorweisen kann, erhält eine aufgestockte Leistung, die etwas oberhalb der Grundsicherung liegt . Dann wären Bedürftigkeitsprüfungen und Anrechnungsverfahren überflüssig. Nach unserer Auffassung sollten auf diese Leistung weder Betriebsrenten noch private Vorsorge angerechnet werden . Das wäre ein systematisch sinnvoller Weg, anstatt möglicherweise zu einer weiteren Verbreitung der Grundsicherung beizutragen und schließlich faktisch zu einer Kombirente zu kommen . Wir haben in den anstehenden Ausschusssitzungen noch Gelegenheit, über die zahlreichen anderen Schwachpunkte, die ich aus Zeitgründen nicht ansprechen konnte - Stichwort „Pokerrente“ -, zu beraten. Vielen Dank . ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Jetzt hat Frau Kollegin Dr . Carola Reimann von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige erste Lesung des Entwurfs eines Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist ein klares Zeichen für die Handlungsfähigkeit unserer Regierungskoalition . Wir werden in den verbleibenden Wochen dieser Legislaturperiode die Zeit nutzen und bis Juni weitere wichtige Weichenstellungen in der Alterssicherung vornehmen . Neben dem Betriebsrentenstärkungsgesetz werden wir die Absicherung der Erwerbsminderung weiter verbessern . Wir werden mit der Ost-West-Rentenangleichung die Weichen dafür stellen, dass 2025 endlich ein einheitliches Rentenrecht in ganz Deutschland gilt . Wenn sich die Union in den nächsten Tagen noch einen Ruck gibt, steht auch der gesetzlichen Solidarrente eigentlich nichts mehr im Wege . Dann bekommen Beschäftigte, die jahrzehntelang gearbeitet, aber nur wenig verdient haben, auf jeden Fall mehr als die Grundsicherung im Alter . Das hilft vor allem Frauen . Das will ich in der Woche des Internationalen Frauentags noch einmal betonen . ({0}) Das Betriebsrentenstärkungsgesetz ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man ein Gesetzgebungsverfahren erfolgreich und sehr gut vorbereitet . Vor rund zwei Jahren haben die ersten Diskussionen begonnen . Seitdem ist es unserer Ministerin gelungen, die für die Umsetzung zentral wichtigen Sozialpartner nicht nur ins Boot zu holen, sondern auch von dieser Idee zu überzeugen . Das hat mit viel Beharrlichkeit und guter, fundierter wissenschaftlicher Begleitung zu tun, vor allem aber auch mit der Bereitschaft, mit allen Beteiligten ergebnisoffen die Vor- und Nachteile zu diskutieren und abzuwägen . Da schließe ich Ihren Ministerkollegen Herrn Schäuble ausdrücklich ein . Für diesen Einsatz will ich mich an dieser Stelle bedanken . ({1}) Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sind sehr geeignet, die Verbreitung von Betriebsrenten in kleinen Unternehmen und bei Beschäftigten mit kleinen Einkommen zu steigern . Das wird auch von den Gewerkschaften so gesehen . Natürlich wünschen wir uns eine stärkere Tarifbindung im Land. Das finde ich auch nicht verwerflich, Kollegen . Deswegen haben wir, eingehend auf Ihren Einwand, durch die Möglichkeit der Bezugnahme vorgesehen, tarifvertragliche Regelungen anzuwenden . Die Hinweise, dass es in bestimmten Branchen Schwierigkeiten gibt, will ich gerne aufnehmen. Ich finde es aber sehr erfreulich, dass zum Beispiel Verdi klar sagt, man werde sich aktiv dafür einsetzen, das Sozialpartnermodell umzusetzen . ({2}) Dabei sind die Branchen, im Speziellen der Einzelhandel, angesprochen . Neben diesem Sozialpartnermodell sind es vor allen Dingen drei Regelungen, die die Betriebsrente attraktiver machen . Erstens . Zukünftig zahlen Arbeitgeber den Großteil der durch diese Entgeltumwandlung ersparten Beiträge in die Betriebsrente ihrer Beschäftigten ein . ({3}) Das ist heutzutage leider nicht die Regel . Es gibt aber, wie ich finde, keinen Grund, warum Arbeitgeber davon profitieren sollten, dass ihre Arbeitnehmer Teile ihres Arbeitslohns umwandeln . Da machen wir jetzt den ersten Schritt . In den jetzt anstehenden Beratungen werden wir deshalb noch einmal klären, ob diese Regelungen nicht auch außerhalb des Sozialpartnerschaftsmodells Anwendung finden sollten. ({4}) Gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wenig verdienen - da bin ich ganz bei Ihnen -, ist es wichtig, dass sich die Arbeitgeber an ihrer Betriebsrente beteiligen . Zweitens . Wir als Staat werden uns deswegen an dieser Arbeitgeberfinanzierung massiv beteiligen. Zahlt der Arbeitgeber einen Beitrag von 240 bis 480 Euro für seinen Beschäftigten, bekommt er bis zu 144 Euro erstattet . Das läuft ganz einfach und simpel über das Steuerabzugsverfahren . In den anstehenden parlamentarischen Beratungen können wir gerne prüfen, ob wir die bisher vorgesehene Lohngrenze in Höhe von 2 000 Euro nicht besser auf 2 500 Euro anheben . ({5}) Drittens . Kolleginnen und Kollegen, wir werden erstmals einen Freibetrag einführen . Das halte ich für extrem wichtig . Wenn ich mit Leuten über die Betriebsrente rede, werde ich ganz oft gefragt: Frau Reimann, lohnt sich die Betriebsrente für mich denn überhaupt? Wenn es schlecht läuft und ich im Alter auf Grundsicherung angewiesen bin, wird die Rente doch angerechnet . Dann habe ich nichts davon und hätte vielleicht das Geld vorher lieber für andere Sachen ausgegeben. - Das finde ich sehr nachvollziehbar. Deshalb finde ich es wichtig, einen Freibetrag einzuführen . Die Ministerin hat diesen Schritt gerade als „historisch“ bezeichnet; ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist . Ein Sockelbetrag von 100 Euro bleibt immer frei . Darüber hinaus werden zusätzlich 30 Prozent des übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge bis zu einer Höchstgrenze von 50 Prozent ebenfalls nicht angerechnet . Damit kann eine Zusatzrente bis zu einem Höchstbetrag von 200 Euro anrechnungsfrei bleiben . Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass der Regelbedarf für Alleinstehende im Moment bei 409 Euro liegt . ({6}) Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Betriebsrentenstärkungsgesetz kann es uns gelingen, die Zahl der Betriebsrenten in kleineren Unternehmen und bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern insgesamt zu erhöhen . Das ist das Ziel . Jetzt wird es darauf ankommen, dass die Sozialpartner diese neuen Spielräume wirklich nutzen und mit Leben füllen . Die bisherigen Signale sind vielversprechend . Aber eins müssen alle Beteiligten wissen: Sollte es nicht klappen und sollten wir auf diesem Weg keine Fortschritte erzielen, dann werden wir um ein Obligatorium nicht herumkommen . Danke . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Jetzt spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister . ({0})

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Frau Präsidentin, vielen Dank! - Ich möchte mich zunächst einmal im Namen von Frau Kollegin Nahles und im Namen meines Ministers bei den Vertretern der Koalition, die hier gesprochen haben, für die positive Würdigung des Gesetzentwurfs, den wir gemeinsam vorgelegt haben, ganz herzlich bedanken . Wir wissen, dass wir eine gesetzliche Rente haben . An dieser ändern wir heute nichts . Sie bleibt, wie auch schon dargestellt worden ist, der wesentliche Stützpfeiler für die Altersvorsorge . Wir müssen allerdings aufgrund der Geburtenzahlen und der Alterung unserer Gesellschaft einen Wandel feststellen . Deshalb ist es richtig, dass wir die gesetzliche Rente im Umlageverfahren durch eine betriebliche und private Altersvorsorge im Kapitaldeckungsverfahren flankieren. Im Kapitaldeckungsverfahren stellt sich aktuell - das stellen wir fest, wenn wir die Landschaft anschauen eine gewisse Herausforderung; denn wir befinden uns in einer Niedrigzinsphase . Wenn wir jetzt einfach nichts tun, dann wird es in Zukunft aufgrund dieser Niedrigzinsphase und der immer höheren Kapitalanforderungen, die nötig sind, um eine Zusage einzuhalten, dazu kommen, dass es bei uns in Zukunft weniger kapitalgedeckte Angebote gibt . Das kann aber nicht unser Ziel sein . Schauen wir uns einmal Folgendes an: 40 Prozent der Beschäftigten, die heute ein Einkommen unter 1 500 Euro im Monat haben, haben weder eine Betriebsnoch Riester-Rente . ({0}) Angesichts dessen müssen wir uns doch Gedanken machen, wie wir diese Zielgruppe, also Menschen mit geringem Einkommen, in Zukunft erreichen können, um ihr die Chance zu geben, neben der gesetzlichen Rente privat oder betrieblich Altersvorsorge zu betreiben . ({1}) Stichwort „kleine Unternehmen“: Lediglich 30 Prozent der Belegschaft in Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern haben eine Anwartschaft im Bereich der betrieblichen Rente . Deshalb will ich noch einmal deutlich sagen, dass wir, bezogen auf genau diese Zielgruppe, wollen, dass in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Vorsorge für das Alter betrieben wird . ({2}) Deshalb setzen wir an dieser Stelle Anreize . Es wird niemandem etwas genommen, was er bisher hat . Frau Kollegin Nahles hat es vorhin sehr deutlich gesagt: Alle Optionen, die bisher existieren, existieren auch in Zukunft . Aber wir führen weitere Optionen ein, um dafür zu sorgen, dass es eine betriebliche Altersvorsorge geben kann . An dieser Stelle muss man schon sagen, Herr Birkwald: Wenn wir zum Ausdruck bringen, dass wir eine Garantie wollen, dann bedeutet dies, dass Risiken ausgeschlossen werden sollen . Mit der Garantie einer Leistung werden aber auch Chancen ausgeschlossen . Deshalb ist das, was Sie erzählen, nichts Gutes für die Beschäftigten, sondern es ist eigentlich eine böse Botschaft, die Sie nur anders formulieren . Das ist wie eine bittere Medizin, die Sie mit Zucker überstreichen . ({3}) Wir sind von daher der Meinung, man muss den Beschäftigten neben den Wegen, die es derzeit gibt, auch die Chance auf eine bessere Altersvorsorge einräumen, und das heißt eben, wegzukommen von der Garantieleistung . Wenn man das macht, dann muss man natürlich Kontrollen einführen . Die Kontrolle erfolgt über die Finanzaufsicht . Sie erfolgt aber auch über die Rahmenbedingungen, die die Tarifpartner setzen, und sie erfolgt über die Steuerung der Tarifpartner . Ich habe mich schon gewundert, dass gerade Linkspartei und Grüne hier ihr Misstrauen gegen die Verantwortungsbereitschaft der Tarifparteien formulieren . ({4}) Ich kann das gar nicht in meinen Kopf kriegen . Wir vertrauen den Tarifpartnern - eindeutig . ({5}) Wir führen für die Geringverdiener einen sogenannten bAV-Förderbetrag ein; das ist schon dargestellt worden . Er beinhaltet eine 30-prozentige Förderung auf die Leistung, die der Arbeitgeber gewährt . Das heißt im Klartext: Der Mitarbeiter selbst muss nichts anderes tun, als zu sagen: Ja, ich will diese Form der Altersvorsorge . - Dann organisieren ihm sein Arbeitgeber und der Staat einen Anspruch auf Altersvorsorge, der nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird . Ich glaube, auch hier ist das Prinzip absolut richtig, den Menschen zu sagen: Wenn du freiwillig selbst etwas für deine Altersvorsorge tust, dann hast du mehr als derjenige, der nichts tut . ({6}) Genau dieses Prinzip implementieren wir hier . Ich halte das für einen richtigen und zielführenden Schritt . Dass wir hier eine Grenze setzen müssen, ist klar . Ich habe gesagt: Wir wollen versuchen, Menschen mit geringem Einkommen zu erreichen . Wir haben jetzt die 2 000-Euro-Grenze gesetzt . Ich will dazusagen: Dieses Angebot ist additiv zu all den Möglichkeiten, die man bei der Altersvorsorge im steuerlichen Bereich und durch Riester-Rente hat . Das heißt, alles, was man seither gemacht hat, kann man weiterhin tun, und es kommt das Angebot des Förderbetrages hinzu . Was steuerliche Freibeträge für die betriebliche Altersvorsorge angeht, haben wir bisher ein etwas bürokratisches und komplexes System aus einem Festbetrag und einer prozentualen Größe bezogen auf die Beitragsbemessungsgrenze . Wir gehen jetzt hin, vereinfachen an dieser Stelle und erhöhen . Bezogen auf das Jahr 2018 entsprechen 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze über 6 000 Euro, die man steuerfrei in eine betriebliche Altersvorsorge einzahlen kann . Es muss immer klar sein: Das Ganze ist, weil es an die Beitragsbemessungsgrenze gekoppelt ist, eine dynamische Regelung . Das heißt, die Freibeträge werden in den Folgejahren aufwachsen und die Chancen für eine bessere betriebliche Altersversorgung stärken . Wir nehmen auch die Themen „Arbeitslosigkeit“, „gebrochene Erwerbsbiografien“, „Elternzeit“ und „Auslandsaufenthalte“ in den Blick. Denn wir sagen: Wenn jemand als Arbeitnehmer in eine solche Lage kommt, dann kann er bis zum Zehnfachen des Jahresbetrags nachholend in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen . Das heißt, wir wollen auch die Menschen, die in irgendeiner Form einen Bruch in ihrer Erwerbsbiografie haben, erfassen . So kann man zum Beispiel, wenn man aus dem Unternehmen ausscheidet, eine Abfindung nutzen, um die eigene betriebliche Altersversorgung aufzufüllen . Ich glaube, das ist ein gutes und flexibles Angebot. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin im Rahmen der Flankierung durch die Tarifpartner von Garantierenten gesprochen . Wenn es nun heißt, dass am Anfang eine Rente zugesagt wird, ist damit nicht gemeint, dass wir eine konkrete Rente zusagen, wenn die Beitragsleistung beginnt . Nein, erst wenn die Rentenphase beginnt, wird eine Rente zugesagt . Das Ganze soll aber zugleich so erfolgen, dass das Rentenniveau zum einen nach unten abgesichert ist, aber sehr wohl auch über die Dauer des Rentenbezugs ansteigen kann . Ich glaube, dass das ein vernünftiger Anpassungsmechanismus mit Blick auf Vermögens- und Ertragslage ist . Wir werden im Kapitalanlagegesetz die Vorschriften so fassen, dass zwar Chancen und Risiken bei der Kapitalanlage zugelassen werden, die Risiken aber beherrschbar sein müssen . Letzte Bemerkung: Wir haben auch die Riester-Rente angefasst . Ich will hier ausdrücklich sagen: Ich halte die Riester-Rente für etwas Positives, weil sie, wenn man den staatlichen Anteil einbezieht, eine sehr ertragsstarke Lösung ist . Deshalb sollten wir die Riester-Rente nicht schlechtreden. Unser Ansatz an der Stelle ist vielmehr, das Zulageverfahren zu verbessern, dafür zu sorgen, dass die Menschen schneller Verlässlichkeit genießen und dass wir auch für Kleinbeträge Abfindungsregelungen bekommen . Alles das sind Verbesserungen . Ich glaube, wir sollten darüber diskutieren, ob wir die Riester-Rente nicht weiter stärken können, anstatt sie in der öffentlichen Debatte schlechtzumachen; denn unser Ziel muss sein, mehr Menschen zur freiwilligen Vorsorge zu bewegen, aber nicht, sie von der freiwilligen Vorsorge abzuhalten . Vielen Dank . ({8})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Jetzt erteile ich Ralf Kapschack von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Betriebsrenten haben in Deutschland eine lange Tradition . Die betriebliche Altersversorgung bei Krupp, Siemens oder BASF ist älter als die Deutsche Rentenversicherung . ({0}) Trotzdem sind Betriebsrenten noch vergleichsweise wenig verbreitet. In Großbetrieben findet man sie und in Branchen, in denen es starke Tarifpartner gibt . In kleinen und mittleren Unternehmen und bei vielen gering bezahlten Jobs sind sie immer noch die Ausnahme . Genau das wollen wir ändern . Deshalb reden wir heute über das Betriebsrentenstärkungsgesetz . Die gesetzliche Rente - das ist schon mehrfach betont worden - bleibt für uns, für die SPD, die zentrale Säule der Altersversorgung . Da gibt es überhaupt kein Vertun . ({1}) Betriebliche Altersversorgung ist aber als kollektive Absicherung die beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente . ({2}) Deshalb - mein Kollege Martin Rosemann hat das vorhin schon angesprochen - kann es doch nicht sein, dass derjenige, der in einem Großbetrieb arbeitet, Glück gehabt hat, und derjenige, der in einem kleinen oder mittleren Betrieb arbeitet, Pech gehabt hat, was eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung angeht . Das kann doch wohl nicht wahr sein . ({3}) Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun . Deshalb fordern auch die Gewerkschaften einen Ausbau der betrieblichen Altersversorgung . Ich finde, jeder und jede sollte Zugang zu einer betrieblichen Altersversorgung haben und dann frei entscheiden können, ob er bzw . sie das nutzt oder nicht nutzt . Deshalb bietet der Gesetzentwurf gerade für Geringverdienende und für kleine und mittlere Betriebe neue Möglichkeiten, in das Thema Betriebsrente einzusteigen. Ich hoffe sehr, dass davon auch Gebrauch gemacht wird . Ich sage ganz offen: Uns wäre es am liebsten, es gäbe eine Verpflichtung der Arbeitgeber, mindestens ein Angebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen, am besten mit einer Beteiligung des Arbeitgebers . Da gibt es durchaus eine Übereinstimmung mit Bündnis 90/Die Grünen . Wer über Fachkräftemangel klagt, wer die demografische Entwicklung fast schon wie eine Apokalypse beschreibt, der sollte auch etwas dafür tun, das eigene Unternehmen im Wettbewerb um neue Beschäftigte attraktiv zu machen . Das Angebot für eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung ist sicherlich ein gutes Argument für den eigenen Betrieb . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf stärken wir die Rolle der Tarifvertragsparteien und geben ihnen mehr Spielraum, in Tarifverträgen betriebliche Altersversorgung zu gestalten . Sie, die Tarifpartner, wissen am besten, was betriebs- und branchenspezifisch geregelt werden kann und geregelt werden muss . Ich sage an dieser Stelle auch: Mir wäre es am liebsten, wir würden auch eine leichtere Allgemeinverbindlichkeitserklärung für entsprechende Tarifverträge hinbekommen . ({4}) Wir geben den Tarifpartnern Spielräume, wir halsen den Tarifpartnern aber auch einiges an Verantwortung auf; auch das will ich ganz offen sagen. Mir ist schon klar, dass der Verzicht auf Garantien in dem Modell der Zielrente in gewisser Weise eine kommunikative Herausforderung ist . Angesichts des großen Sicherheitsbedürfnisses in der Bevölkerung beim Thema Altersversorgung wird es darauf ankommen, klarzumachen, dass Chancen und Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehen müssen und auch stehen sollen . Deshalb sollen die Tarifpartner ja auch einen sogenannten Sicherungsbeitrag vorsehen, der dazu eingesetzt wird, Schwankungen des Kapitalmarkts auszugleichen . Wir halten es für sinnvoll, dass verpflichtend vorgegeben wird, einen solchen Sicherungsbeitrag vorzusehen . Er soll nicht nur dazu dienen, Kapitalmarktschwankungen abzufedern; dieser Sicherungsbeitrag dient aber vor allem dazu, deutlich zu machen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Anlagerisiko künftig nicht alleine tragen . Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um die Akzeptanz des neuen Sozialpartnermodells zu erhöhen . Jeder lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt . Ich habe keine Ahnung, wie lang der Weg zu einer wirklich flächendeckenden betrieblichen Altersversorgung ist . Aber wir gehen heute einen wichtigen, einen großen Schritt . Mitgehen müssen diesen Weg jedoch die Tarifparteien, die kleinen und mittleren Unternehmen und vor allen Dingen die Beschäftigten . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächstem erteile ich das Wort Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland hat ein verlässliches System der Alterssicherung, das auf drei Säulen beruht: der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen sowie der privaten Altersvorsorge. Unser Ziel ist es, auch langfristig ein Gesamtversorgungsniveau aus allen drei Säulen sicherzustellen, das annähernd dem heutigen Niveau entspricht und dabei die junge Generation nicht über Gebühr belastet . Gerade Letzteres, die Frage der Generationengerechtigkeit, ist einer der zentralen Messsteine bei allen Vorschlägen, die Opposition und SPD vorgelegt haben und vorlegen . Es geht also um die Frage: Wie generationengerecht ist es? Wie stark werden unsere Kinder und Kindeskinder tatsächlich belastet? ({0}) Hier sehen wir letztlich auch, dass viele der Vorschläge tatsächlich nachhaltig hinterhältig sind, weil sie zu massivsten Mehrbelastungen für die junge Generation führen . Wir wollen das System an einzelnen Stellschrauben nachjustieren . Wir wollen keine Revolution, keine Rolle rückwärts in der sozialen Sicherung in Deutschland, sondern eine Evolution unseres bewährten Alterssicherungssystems . Mit der Rentenreform 2014 haben wir bereits in dieser Wahlperiode wichtige rentenpolitische Maßnahmen verabschiedet, die zu einer Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung als erster und zentraler Säule der Alterssicherungssysteme in Deutschland geführt hat . Weitere gesetzliche Vorhaben, beispielsweise zur Erwerbsminderungsrente und zur Rentenangleichung Ost-West, werden wir noch im Frühjahr im Deutschen Bundestag beraten . Und mit dem Gesetzespaket, über das wir heute beraten, verbessern wir die Bedingungen für die private und die betriebliche Altersvorsorge . Man kann es sich natürlich ganz einfach machen und die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Zeiten der Niedrigzinsphase nach dem Motto „Alles gescheitert“ schlechtreden . ({1}) Nach demselben Muster hätte man im Übrigen vor zwölf Jahren auch sagen können, das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung ist gescheitert . ({2}) Erinnern wir uns doch einmal zurück: Vor zwölf Jahren hatte Rot-Grün die gesetzliche Rentenversicherung an die Wand gefahren . ({3}) Damals war die Rentenkasse pleite, und die laufenden Renten konnten nur durch ein Bundesdarlehen des Bundesfinanzministers gezahlt werden. Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente steht heute deshalb so blendend da, weil der Jobmotor in Deutschland brummt, weil wir die Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung seit Jahren richtig gesetzt haben . ({4}) Unsere Aufgabe als Union ist es, die Rahmenbedingungen auch in Zukunft sicher und richtig zu setzen . Es hat sich gezeigt: Das kann nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union richtig. ({5}) All das, was Opposition und SPD und insbesondere Schulz vorschlagen, ({6}) führt dazu, dass der Jobmotor abgewürgt wird - mit fatalen Folgen für alle . ({7}) Allein aufgrund unserer Maßnahmen konnten wir also in dieser Wahlperiode nach mehr als 20 Jahren die Leistungen für die Menschen wieder deutlich verbessern . Das hätten sich viele vor zwölf Jahren sicherlich nicht träumen lassen . Das zeigt: Rentenpolitik ist nichts für Schnappatmer . ({8}) Das gilt auch für die Riester-Rente und vor allem auch für die betriebliche Altersvorsorge . Viele Millionen Menschen sorgen privat für ihr Alter vor . Ich stehe zum Aufund Ausbau der zweiten und dritten Säule und halte es deshalb auch sozialpolitisch für zwingend, ihre Bedingungen zu verbessern . Mit der Gesetzesvorlage der Regierung setzen wir an zwei entscheidenden Stellschrauben an . Zum einen geht es um die stärkere Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge . Sie muss für die Mitarbeiter von kleinen und mittleren Betrieben selbstverständlich werden . Ende 2015 hatten circa 17,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte eine Anwartschaft bei ihrem Arbeitgeber . Das sind knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Allerdings - der Kollege von den Grünen hat ja darauf hingewiesen -: In Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten verfügen lediglich 28 Prozent der Mitarbeiter über Betriebsrentenanwartschaften . Das müssen wir ändern . Die Gründe hierfür sind vielfältig: Verwaltungsaufwand und andere Kosten, vielleicht auch ein nicht zu kalkulierendes Haftungsrisiko . Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung setzt bei einer Analyse genau dieser Punkte an und setzt auf die Sozialpartner . Künftig sollen auf der Grundlage von Tarifverträgen sogenannte reine Beitragszusagen - nicht verbunden mit Mindest- oder Garantieleistungen - möglich gemacht werden . Der Gesetzentwurf ist an dieser Stelle zunächst einmal Ergebnis eines zähen Ringens von Bundesarbeitsministerium und Finanzministerium, aber auch Sozialpartnern . Sicherlich nicht alle Seiten sind zufrieden, wenngleich die Idee der Enthaftung, also nur eine reine Beitragszusage vorzusehen, stimmt . Die reine Beitragszusage ist eine große Chance für ein stärkeres Engagement in der betrieblichen Altersvorsorge . ({9}) Wir setzen auch mehr Anreize für Geringverdiener, auch hier mittels zwei Stellschrauben . Einmal geht es um den Auf- und Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge . Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass wir in Zukunft bis zu 202 Euro anrechnungsfrei stellen und damit das klare Signal aussenden: Freiwillige Altersvorsorge zu betreiben, lohnt sich auf jeden Fall . - Zum anderen wird die staatliche Förderung optimiert durch ein spezifisches Steuerfördermodell gerade für Geringverdiener. Insgesamt sind es 430 Millionen Euro, die zusätzlich in die Hand genommen werden . Weitere 75 Millionen Euro stehen aktuell in der Prüfung, auch vonseiten der Bundesregierung . Sicherlich werden wir weiterhin prüfen, wie wir es besser machen können, um gerade die betriebliche Altersvorsorge zu stärken . Stärkere Tarifbindung mag gut und schön sein; in erster Linie muss es jedoch darum gehen, die betriebliche Altersvorsorge deutlich zu verbessern, auch in der Breite . Hier sehe ich noch Diskussionsbedarf . Wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir an dieser Stelle auch für nicht tarifgebundene Betriebe - über das hinaus, was wir zur reinen Beitragszusage derzeit im Gesetzentwurf haben - noch weitere Verbesserungen vornehmen können . Ich hoffe, dass wir eine fachlich ausgerichtete Debatte letztlich zu all diesen Punkten haben werden . Ich freue mich auf diese und freue mich vor allem, dass wir Ihnen nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen einen noch besseren Gesetzentwurf zur Abstimmung vorlegen können . Ein herzliches Dankeschön . ({10})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . Das war richtiges Timing . - Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich nunmehr das Wort Frau Kollegin Anja Karliczek von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anja Karliczek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kieseheuer, schön, dass Sie heute Morgen hier sind! Herzlich willkommen! ({0}) Ich darf hier als letzte Rednerin den sogenannten Lumpensammler machen und will nur noch den einen oder anderen Punkt ansprechen; denn, ich glaube, vom Grundsatz her ist so ziemlich alles angesprochen worden, was in irgendeiner Form in diesem Gesetzentwurf steht . Ich will noch ein klein wenig weiter ausholen . Warum ist das Ganze, was wir machen, überhaupt so wichtig? Wenn wir darüber nachdenken, was wir im Moment erleben, dass nämlich eine Gesellschaft massiv verunsichert ist durch Globalisierung, Digitalisierung und wahnsinnig schnelle Veränderungen, dann wird uns klar, wie wichtig es ist, dass wir uns des Themas einer guten Altersversorgung annehmen und eine Möglichkeit schaffen, im Alter gut versorgt zu sein . ({1}) Lieber Herr Birkwald, genau darum ist es so wichtig, dass wir die Altersvorsorge an sich sichern und nicht dauernd nur darüber sprechen, wie wir das in der gesetzlichen Rentenversicherung machen wollen . ({2}) - Wenn ich nach Österreich schaue, sehe ich doch, dass die Österreicher Riesenprobleme damit haben . ({3}) - Die pulvern Steuern in das System hinein und wissen nicht, wie sie es langfristig bezahlen wollen . So geht es definitiv nicht. ({4}) - Das stimmt wohl . ({5}) Ich habe mit den Kollegen gesprochen . ({6}) Genau das ist der Punkt . Das ist etwas, was wir nicht wollen . Wir wollen den Menschen etwas zusagen, was langfristig durchzuhalten ist, was auch langfristig finanzierbar ist. Und deswegen fordere ich Sie auf: Suggerieren Sie nicht immer das Verkehrte! ({7}) Wichtig ist uns, dass wir neben der gesetzlichen Rente - Frau Nahles hat das ja am Anfang gesagt - eine vernünftige kapitalgedeckte Rente auf die Füße stellen . Die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl arbeitsrechtlich als auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stark verändert . Deswegen müssen wir da ran . Herr Kurth hat eben ein paar schöne Argumente gebracht, etwa, dass man aufgrund der Niedrigzinsphase überlegen muss, wie man das anders gestalten kann . Da bin ich sehr dabei . Das ist genau der Ansatz, mit dem wir an die Sache herangehen . Ich will ein paar Punkte ansprechen und arbeite mich einmal so ein bisschen von hinten nach vorne . Unser Staatssekretär Dr. Meister hat Riester angesprochen . Das ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel . Riester ist kapitalgedeckte Altersvorsorge in der zweiten oder in der dritten Säule . Das kann man wählen, wie man möchte . Über unser Betriebsrentenstärkungsgesetz hinaus wollen wir ja auch, dass die echte Doppelverbeitragung, nämlich die Zahlung von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen in der Ansparphase und in der Auszahlungsphase, abgeschafft wird, weil sie überhaupt nicht der Systematik entspricht . ({8}) - Moment, es geht doch aber darum, dass es für alle passt und nicht nur für ein paar . ({9}) An dieser Stelle möchte ich also noch einmal eine Lanze für Riester brechen . Je geringer der Verdienst ist, umso höher ist die Förderung . Genau an dieser Stelle, finde ich, tun wir Gutes, wenn wir die Förderung erhöhen und das Zulageverfahren vereinfachen; denn das ist häufig das Hindernis. Wenn wir jetzt die Förderung erhöhen, ist das, glaube ich, an der Stelle schon der richtige Weg . ({10}) Ich will noch einen Satz zu den Direktversicherungsgeschädigten sagen . Sie haben sie eben angesprochen . Sie tun so, als wenn es dafür eine ganz einfache Möglichkeit geben würde und als wenn wir in dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts für die Direktversicherungsgeschädigten vorsehen würden . Das, was wir mit diesem Betriebsrentenstärkungsgesetz tun, zielt auf die Zukunft . Wenn wir über die Direktversicherungsgeschädigten sprechen - Sie haben über das Jahr 2004 gesprochen -, dann wissen Sie so gut wie ich, dass alles das, was seither passiert ist, die Lage nicht einfacher gemacht hat . Seien Sie versichert - Herr Kieseheuer weiß das -, dass wir diesbezüglich im Austausch sind und uns darüber unterhalten, was man denn überhaupt tun kann, um ein System, das 2004, ich sage mal, einen Schlag von der Seite gekriegt hat, das aber schon vorher so vielfältig war in seinen Bedingungen, was Sozialversicherungsbeiträge, was die Besteuerung usw . angeht, wieder in Ordnung zu bringen . Das ist keine Sache, die ich von heute auf morgen erledigen kann und die zum Beispiel so ein Betriebsrentenstärkungsgesetz zu Fall bringen darf . Wir versuchen, eine Lösung zu finden, die in der Systematik vernünftig ist, um nicht neue Ungerechtigkeiten zu schaffen . Aber das ist nicht Teil dieses Gesetzes . Ich bin ja bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass die Systematik für alle passen muss, wenn wir die betriebliche Altersvorsorge wirklich stärken wollen . Aber wir dürfen nicht das eine mit dem anderen vermengen und so tun, als ob wir das eine nicht machen könnten, ohne uns mit dem anderen zu beschäftigen . ({11}) Nächster Punkt: Garantien . Garantien sind heute eine Zwangsjacke für die Chancenverwertung . Genau an dieser Stelle muss man sehen, dass wir nun sagen, wir wollen mehr Freiheit bei der Chancenverwertung geben; denn niemand von uns kann abschätzen, wie sich die Situation über 40 Jahre entwickelt . Bei einer Laufzeit von 40 Jahren gibt es immer Tief- und Hochphasen . Dafür brauchen wir einen Ausgleich . Den bekommen wir auch im Sozialpartnermodell . Wir wollen ihn auch außerhalb des Sozialpartnermodells . Wichtig ist an der Stelle aber, dass wir die Chancenverwertung nicht denen ermöglichen, die ohnehin privat sparen können . Sie haben dann mehr Chancen und am Ende noch mehr . Wir müssen doch die Chancen für alle gleich gestalten, gerade in der Altersvorsorge . An dieser Stelle müssen wir weiter daran arbeiten, dass wir Chance und Kontrolle gerade für die Menschen, die wenig verdienen, vernünftig gestalten, und da auch aufpassen, dass es gut funktioniert . Wichtig ist mir, noch einmal zu sagen - meine Zeit ist schon wieder abgelaufen -, ({12}) dass wir für die Menschen, die wenig verdienen, auch in der kapitalgedeckten Altersvorsorge eine gute Lösung schaffen wollen und dass nur ein Nebeneinander von umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Rente wirklich Wohlstand im Alter schafft. Wir geben das Signal: Wer ein Leben lang gearbeitet hat und selbst vorgesorgt hat, der ist im Alter auch gut abgesichert . Dieses Versprechen des Sozialstaats wollen wir wieder auf vernünftige Füße stellen . Vielen Dank . ({13})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Damit schließe ich die- se Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11286, 18/11402 und 18/10384 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein . Dann sind die Überweisungen so be- schlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 52 a und 52 b sowie 29 auf: 52 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Sicherheit durch weniger Waffen Drucksache 18/11417 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Handlungsbedarf im Waffenrecht für mehr öffentliche Sicherheit Drucksachen 18/9674, 18/11444 29 . Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/11239 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Damit ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Irene Mihalic von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Nun ist es endlich so weit“, will man spontan sagen . Endlich befasst sich die Koalition einmal mit dem Waffengesetz. Anschläge überall in Europa, Amokläufe, Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Reichsbürger mit ganzen Waffenarsenalen im Keller - überall zeigt sich: Es gibt bestimmte Menschen und Gruppierungen, deren verbrecherische Pläne darauf gründen, dass der Zugang zu Waffen und Sprengstoffen immer noch viel zu leicht ist. ({0}) Aber die Bundesregierung hat jahrelang nichts getan, um den Zugang zu Waffen zu erschweren. Sie diskutieren hier lieber über Fußfesseln oder - so wie gestern - über Burkaverbote, anstatt ganz praktisch für mehr öffentliche Sicherheit zu sorgen . Diese Wurstigkeit ist kaum noch auszuhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Nun haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt . Aber gleich im zweiten Satz des Gesetzentwurfes steht die eigentliche Kernaussage. Dort heißt es nämlich: „Eine systematische Verschärfung ist nicht erforderlich.“ Mit Ihrem Entwurf nehmen Sie die Interessen der Waffenlobby also gleich vorweg . Diese hat ja in dieser Woche allen Mitgliedern des Innenausschusses noch eine nette Karte geschrieben mit der klaren Ansage: Parteien, die das Waffenrecht verschärfen, werden wir nicht wählen. - Ich kann Sie da beruhigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: Mit dem, was Sie hier vorlegen, ist Ihre Wählbarkeit bei dieser Klientel garantiert nicht gefährdet . ({2}) Ihre Nachgiebigkeit geht aber zulasten der waffenlosen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, nur weil die anderes zu tun haben, als permanent bei Ihnen für ihre Interessen einzutreten . Das ist eine völlige Verkehrung Ihrer Regierungsverantwortung . ({3}) Vieles in Ihrem Gesetzentwurf ist ja nicht grundlegend falsch . Das will ich hier an dieser Stelle auch einmal sagen . ({4}) - Ja, da können Sie ruhig einmal applaudieren . ({5}) Feuerwaffen sollen bei der Deaktivierung unbrauchbar gemacht werden, eine befristete Amnestie soll Bürgerinnen und Bürger dazu ermutigen, Waffen und Munition, für die sie keine Erlaubnis haben, abzugeben . ({6}) Das ist alles gut und richtig und sehr vernünftig . Aber schon bei der dringend erforderlichen Neuregelung zur Aufbewahrung von Schusswaffen werden Sie windelweich . Sie gewähren großzügigsten Bestandsschutz, und geht es nach der CSU, dann sollen am besten auch noch Kinder und Enkelkinder Opas ollen Waffenschrank weiterbenutzen dürfen . Das verstehe, wer will - ich kann es nicht nachvollziehen . ({7}) Es fällt einfach auf, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von der Union, dass es Ihnen unheimlich leicht fällt, für all Ihre Placebogesetze - diese Woche sind ja davon wieder einige am Start - die Axt an die Bürgerrechte zu legen; das ist alles überhaupt gar kein Problem für Sie. Aber geht es um Waffenbesitzer, dann sind Sie plötzlich die Garanten der Freiheit, ({8}) als wären Waffenbesitzer Superbürger und ihre Interessen Supergrundrechte . So ist es aber nicht . ({9}) Waffen stellen eine potenzielle Gefahr für Leib und Leben der Menschen dar, und dementsprechend gilt es, hochsensibel mit dem Thema privater Waffenbesitz umzugehen . Diesem Befund trägt unser Antrag Rechnung, den wir vor allem mit Blick auf die aktuellen Gefahrenlagen unserer Zeit hier heute vorlegen . Wir sagen, wir brauchen endlich konsequente Regeln für die getrennte Aufbewahrung von Schusswaffen und Munition in Privathaushalten . ({10}) Wir müssen dringend sicherstellen, dass schussfähige Waffen nicht in falsche Hände geraten, und wir brauchen regelmäßige Eignungs- und Zuverlässigkeitsprüfungen für Waffenbesitzer. ({11}) Vizepräsidentin Michaela Noll Dagegen haben Sie auf EU-Ebene ganz lange heftig mobilisiert . Wir brauchen endlich eine Regelung, die gewährleistet, dass relevante Informationen der Sicherheitsbehörden schon bei der Antragsprüfung hinreichend berücksichtigt werden und an die zuständigen Waffenerlaubnisbehörden weitergeleitet werden . Wir haben laut Verfassungsschutzpräsident Maaßen 700 Reichsbürger, die in Waffen stehen. Da wäre eine Prüfung vor Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis sehr hilfreich gewesen . ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen endlich eine Reform des Waffenrechts, die den Zugang zu Waffen und Munition deutlich erschwert. Ihr Gesetzentwurf trägt diesem Ansinnen leider in keiner Weise Rechnung . Wenn Sie unter dem Punkt Alternativen „Keine“ schreiben, dann entspricht das vielleicht dem Merkel’schen Politikstil, aber eben nicht der Wahrheit . Eine Alternative zeigen wir Grünen mit unserem Antrag auf und stellen ihn hier zur Abstimmung . Vielen Dank . ({13})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Nunmehr erteile ich das Wort dem Kollegen Oswin Veith von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Oswin Veith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004428, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir nicht nur über Änderungen am Waffengesetz - das begrüßen wir -, sondern auch über Anträge der Grünen, die erhebliche Änderungen oder, besser gesagt, Verschärfungen und Restriktionen am Waffengesetz einfordern. Diesem Ansinnen tritt meine Fraktion entschieden entgegen; ({0}) um es gleich deutlich auf den Punkt zu bringen . Erstens . Ich lehne weitere Verbote, neue Einschränkungen und Restriktionen gegen rechtschaffende waffenführende Bürger ab . ({1}) Zweitens. Die CDU/CSU stellt Jäger, Sportschützen, Gebirgsschützen und Waffensammler ({2}) nicht unter einen Generalverdacht, wie Sie von den Grünen es tun . ({3}) Drittens. Die CDU/CSU weiß um die Rechtschaffenheit und Gesetzestreue der Besitzer legaler Waffen und anerkennt ihren persönlichen Beitrag - im Falle der Jäger zur Hege und Pflege von Flora und Fauna, unserer Natur, ({4}) im Falle der Sportschützen zum fairen sportlichen Wettbewerb bis hin zu Weltklasseleistungen olympischen Ausmaßes sowie im Falle von Waffensammlern und Gebirgsschützenkompanien zur historischen Dokumentation alter Waffen und alten Brauchtums. Viertens . Es wird Sie deshalb nicht überraschen, wenn wir Ihre Anträge auch heute wieder ablehnen . ({5}) Sie sind nämlich nichts Neues - „the same procedure as every year“, könnte man sagen. ({6}) Immer wieder fordern Sie die Verschärfung unseres jetzt schon sehr strengen Waffenrechtes, und Sie begründen es immer wieder mit dem Argument, dass nur so die innere Sicherheit verbessert werden könne . ({7}) Aber gut, auch heute werden wir Ihnen erklären, warum eine Verschärfung des Waffengesetzes, wie Sie es wollen, nicht geeignet ist, die innere Sicherheit in unserem Land zu erhöhen, und weshalb wir Ihre Anträge wieder einmal ablehnen müssen . ({8}) Zuerst möchte ich aber auf die notwendig gewordene Änderung am Waffengesetz eingehen. Das Waffengesetz ist an die technische Entwicklung anzupassen. Um eine sichere Verwahrung von Waffen gewährleisten zu können, wird der Sicherheitsstandard für die Aufbewahrung an die aktuellen technischen Standards angepasst . Hierbei geht es nicht darum, flächendeckend neue Waffenschränke einzuführen . Vielmehr soll die technische Entwicklung berücksichtigt werden . Die Technologien sollen zukünftig ohne Änderung des Waffengesetzes einsetzbar sein; denn aus sicheren Waffenschränken können Waffen nicht in falsche Hände geraten. Die Union konnte erreichen, dass ein Bestandsschutz für Waffenbesitzer im Gesetzentwurf verankert wird . Das heißt, jeder darf seine jetzigen Schränke weiter behalten und weiter nutzen . Das war ein hartes Stück Arbeit, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({9}) Den bayerischen Vorschlag, die Bestandsschutzregelung auf im gleichen Haushalt lebende Personen zu erIrene Mihalic weitern, begrüße ich sehr, genauso wie die Vorschläge bezüglich der Situation von Erben . Wir sollten uns in den kommenden Wochen dieser Diskussion noch öffnen, um weiter an dem Entwurf zu arbeiten . Nur für Neuanschaffungen sollen die aktualisierten technischen Vorgaben verpflichtend sein. Wer einen Waffenschrank im Jahre 2017 kauft, muss auch auf die technischen Sicherheitsmöglichkeiten der Jahre 2017 ff. zurückgreifen . Weiterhin wollen wir den Umlauf von illegalen Waffen eindämmen . Wir wollen, dass Menschen, die illegal im Besitz von Waffen und Munition sind, diese freiwillig abgeben . Wir bieten dafür Strafverzicht an . Wir ermöglichen damit eine Brücke in die Legalität. Straffreiheit erhält jeder, der binnen eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes illegal erworbene Waffen und Munition bei der entsprechenden Behörde abgibt . Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schießsport, die Jagd und das Sammeln von historischen Waffen gehören für mich zu den bürgerlichen Freiheiten und auch zur Tradition unseres Landes . In Schützenvereinen kommen rechtschaffene Bürger wie Polizisten, Beamte, Professoren, Politiker, Ärzte und Arbeitnehmer zusammen, um sich ihrem Hobby zu widmen . Die erste Lektion, die ein Sportschütze erhält, ist der verantwortungsbewusste Umgang mit der Waffe. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass solche Persönlichkeiten generalverdächtigt werden und dass suggeriert wird, sie seien eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Ordnung in unserem Land . Das ist nicht richtig . Das sollte hier deutlich gesagt werden . ({10}) Nun zu Ihren Anträgen; ich will das gerne für Sie übernehmen, Frau Kollegin Mihalic, Sie haben ja so gut wie nichts über Ihre Anträge gesagt . Eine Gefahr für die innere Sicherheit geht nicht von legalen Waffen aus, wie Sie es immer behaupten . Ich halte es für sehr naiv, zu glauben, dass mit noch strengeren Regeln im Waffenrecht ein Mehrwert an innerer Sicherheit gewonnen werden kann . Hat sich jemand bewusst entschieden, unsere Rechtsordnung zu missachten, dann hält ihn auch das strengste Waffengesetz nicht auf. Die von Ihnen geforderten Verschärfungen betreffen in erster Linie rechtstreue Bürger, die legal Waffen besitzen dürfen. Mit einer Änderung im Waffenrecht bzw. einer Verschärfung wird allenfalls indirekt die illegale Verwendung von Waffen erschwert. Mit Ihren Anträgen zeigen Sie wieder, dass für Sie die Hauptschuldigen für Taten wie in München oder Paris bereits feststehen, nämlich die Besitzer legaler Waffen wie die Jäger und Sportschützen . Ich will an der Stelle sagen, dass das Problem nicht die Besitzer legaler Waffen sind; und Sie wissen das, wenn Sie ehrlich sind . Das Problem liegt eindeutig beim Besitz illegaler Waffen und deren Verwendung . Dort setzen wir an, und das unterscheidet uns von Ihnen, den Grünen . ({11}) Sie begründen Ihre Anträge - wie übrigens jeden Antrag, den Sie zu diesem Thema hier einbringen - mit den besorgniserregenden Tötungsdelikten in Europa, die mit Schusswaffen begangen worden sind. Für das Berichtsjahr 2015 wurden laut Bundeslagebild Waffenkriminalität 130 Straftaten gegen das Leben registriert, das sind 2,8 Prozent aller erfassten Fälle im Bereich der Waffenkriminalität . Klar ist: Jeder Fall ist einer zu viel, jeder Einzelfall ist und bleibt schrecklich . Aber aufgrund solcher Zahlen ein allgemeines Gefährdungspotenzial von Besitzern legaler Waffen herauszupressen, halte ich für vermessen oder verblendet . Zudem werden mehr Menschen mit Messern, wie sie in jedem Haushalt zu finden sind, verletzt oder gar getötet als mit Schusswaffen. Ich bin gespannt, wann Sie das Verbot von Küchenmessern fordern werden . ({12}) Ich will - da Sie es nicht getan haben - noch kurz weitere Forderungen aus Ihren Anträgen erwähnen . Sie wollen die Nutzung von halbautomatischen Waffen verbieten, wenn diese nach objektiven Kriterien besonders gefährlich sind . Als Kriterien nennen Sie die Anzahl der Selbstladungen, die Beschaffenheit des Laufs, Kaliber, Magazinkapazität und Diverses mehr . All das soll Ihrer Auffassung nach über die Gefährlichkeit von Waffen Auskunft geben . Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Diese Kriterien sind nicht geeignet, um die Gefährlichkeit einer Waffe zu bestimmen, insbesondere ist das Kaliber kein taugliches Merkmal für die Gefährlichkeit einer Waffe. Sie fordern weiterhin, dass ein zentrales Waffenregister in allen EU-Mitgliedstaaten eingerichtet wird. Doch schon jetzt gibt es für alle Mitgliedstaaten die Verpflichtung zur Errichtung eines Waffenregisters. Auch Sie wissen, dass wir in Deutschland vorbildlich das Recht bereits zum 1 . Januar 2013 umgesetzt und ein Nationales Waffenregister eingerichtet haben, also sehr viel früher als von der EU gefordert. Sie wollen, dass die Mitgliedstaaten ein Kontrollsystem einrichten, worüber die körperliche und geistige Eignung für den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen sichergestellt wird . Das haben wir teilweise schon . Verpflichtende medizinisch-psychologische Untersuchungen bei der Erlaubniserteilung ({13}) lehnen wir als Union, lehnen wir als Koalition aber ab. Das finde ich richtig, und das ist auch gut so. ({14}) Die größte Herausforderung ist und bleibt der Kampf gegen den illegalen Waffenhandel. Zuvorderst geht es dabei um den illegalen Internethandel mit Waffen. Im Darknet - das wissen wir - können Waffen im großen Stil und anonym gekauft und verkauft werden . Das allerdings - das ist Konsens - kann nicht sein und darf nicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren . Deshalb will die Koalition verstärkt mit spezialisierten Ermittlern, die im Darknet gezielt nach illegalem Waffenhandel suchen, dagegen vorgehen . Übrigens tut das auch schon die Sondereinheit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zur Bekämpfung der Internetkriminalität, abgekürzt ZIT, in Gießen, unmittelbar neben meinem Wahlkreis gelegen, bereits jetzt in hervorragender Weise . ({15}) Gestatten Sie mir zum Schluss ein Fazit . In der öffentlichen Anhörung haben uns die Sachverständigen versichert, dass der legale Waffenbesitz in Deutschland keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Das liegt nicht zuletzt daran - das wissen auch Sie; ich werde nicht müde, das immer wieder zu sagen -, dass wir eines der schärfsten Waffengesetze in der ganzen Welt haben. Natürlich gibt es immer wieder Einzelfälle, die sich nicht an die Regeln halten; aber eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer . ({16}) Einzeltaten können nicht mit einem noch so strengen Waffengesetz verhindert werden. Die von den Grünen vorgeschlagenen Maßnahmen - wir haben das in der Anhörung und auch heute gehört - bieten keinerlei Sicherheitsmehrgewinn für die Bürger in unserem Land . Wir lehnen sie deshalb ab. Die Anpassung unseres Waffengesetzes an den neuesten technischen Stand halte ich für notwendig und bitte daher um Ihre Unterstützung. Danke schön . ({17})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin Martina Renner von der Fraktion Die Linke hat nunmehr das Wort . ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg sei gesagt: Es geht hier nicht um einen Generalverdacht gegen Schützen und Jäger . ({0}) Die überwiegende Zahl geht verantwortungsvoll mit Waffen um. Notwendige Einschränkungen im Waffenrecht sorgen immer für Aufregung . Ähnlich viel Gegenwind bekommt man eigentlich nur, wenn man ein Tempolimit auf Autobahnen fordert . ({1}) Beiden Debatten ist gemeinsam: Es geht nicht um die Beschneidung von Freiheitsrechten . Es gibt kein Freiheitsrecht, auf der Autobahn zu rasen, und es gibt kein Freiheitsrecht, am Schießstand mit der Pumpgun zu ballern . ({2}) Es geht in der Debatte zum Waffenrecht weder um die sonst übliche Symbolpolitik in der Sicherheitspolitik noch um ein Placebo . Es geht um reale und nachweisliche Verbesserungen der öffentlichen Sicherheit. Ausgangspunkt des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen, den wir bis auf einen Punkt unterstützen, ist Folgendes: Auch legaler Waffen- und Munitionsbesitz ist eine Gefahrenquelle, die sich nicht mit der Erteilung von Erlaubnissen erledigt . Wir erkennen an, dass die meisten Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Waffen begangen werden; aber es ist auch unsere Pflicht, Gefahren, die von legalen Waffen ausgehen, zu minimieren. Fangen wir bei den sogenannten Dekowaffen an. Reaktivierte Dekorations- und Salutwaffen sind eine reale Bedrohung für die Bürger und Bürgerinnen . Der Attentäter von München, ein rassistischer Hitler-Verehrer, benutzte im Sommer 2016 eine reaktivierte Salutwaffe, um insgesamt neun Menschen zu töten . Der Händler dieser Waffe und vermeintliche Mittäter hatte an Kunden zwischen 17 und 60 Jahren ähnliche Waffen verkauft. Sogenannte Dekorations- und Salutwaffen sind nicht nur in anderen europäischen Staaten, sondern auch in Deutschland immer noch erlaubnisfrei zu haben . Wie Sie wissen, komme ich aus Thüringen . Ich habe einmal einen Büchsenmacher in der Waffenstadt Suhl gefragt. Er braucht eine halbe Stunde, um eine Dekowaffe, deren Lauf zugeschweißt wurde, wieder schussfertig zu machen . Nun zum zweiten großen Thema, zu den Gefahren durch halbautomatische Waffen: Der Attentäter am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt benutzte eine Selbstladepistole und ein Repetiergewehr . Beides sind halbautomatische Waffen, die er als Schütze erworben hatte. Die Bundesregierung schreckt immer noch davor zurück, endlich Besitz und Nutzung halbautomatischer Waffen drastisch einzuschränken bzw . zu verbieten . Gerade diese Waffen verfügen aber über das Potenzial, dass ein Einzeltäter in kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Menschen verletzen oder ermorden kann . Wir müssen uns auch vor Augen führen, in welcher Situation diese Debatte stattfindet. Deutschland erlebt gerade eine Explosion rechter und rassistischer Gewalt . Im Jahr 2013 zählte das Bundeskriminalamt 265 rechte Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen. Im Jahr 2014 waren es schon 536. Das ist mehr als doppelt so viel. Unter den dabei eingesetzten Waffen waren auch legale Waffen . Kollegin Mihalic hat ja schon darauf hingewiesen: 700 sogenannte Reichsbürger sollen über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen, ebenso wenigstens 400 Neonazis . Als Mitglied des Innenausschusses erinnere ich mich auch zuletzt an den Nazi-Druiden mit seinen 1 200 Schuss legaler Munition . Kommen wir zum Kleinen Waffenschein für Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Im letzten Jahr gab es 470 000 neue Anträge auf diesen neuen Waffenschein. Ich sage: Selbstbewaffnung ist ein Problem. ({3}) Selbstbewaffnung ist vor allem dann ein Problem, wenn sie mit dem Gedanken der Selbstjustiz verbunden ist . Wer denkt, das beschränke sich auf eine kleine gesellschaftliche Minderheit, der irrt . Die Kunden des illegalen Waffenversandhandels „Migrantenschreck“ waren Ärzte, Anwälte, Ingenieure und Richter . Sie kauften angeblich harmlose Luftdruckwaffen, die aber tödliche Verletzungen hervorrufen . Nun zur angekündigten Differenz zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen: Als linke Innenpolitikerin sehe ich den Inlandsgeheimdienst nicht für die Prüfung der Zuverlässigkeit von Antragstellern geeignet . Er riet in der Vergangenheit dazu, dass V-Leute sich Waffenbesitzkarten beschaffen sollten. Er sah zu, wie der Nazispitzel Tino Brandt ein Gelände kaufte, auf dem er einen Schießstand für Wehrsportübungen errichtete . Staatliche Zuträger im Umfeld des NSU besorgten Waffen und Sprengstoff und bauten Rohrbomben. So werden Gefahren erst geschaffen. Eine Bemerkung zum Gesetzentwurf: Natürlich müssen die Vorschriften zur Aufbewahrung von Waffen dem heutigen technischen Stand entsprechen . Das ist eine Selbstverständlichkeit, glaube ich . Die Sorge der Waffenbesitzer vor zusätzlichen Kosten hatte jetzt eine Besitzstandsklausel im Gesetzentwurf zur Folge . Für uns muss aber gelten: Verwahrgelasse müssen auf der Höhe der Zeit sein . Sicherheit geht hier vor Kostenersparnis . ({4}) Wir können also festhalten: Von Waffen kann eine tödliche Gefahr ausgehen . Diese Gefahr wird nicht kleiner, wenn wir so tun, als ginge sie nur von illegalen Waffen aus . Sie wird auch nicht kleiner, wenn wir den Inlandsgeheimdienst über die Zuverlässigkeit von Antragstellern entscheiden lassen . Wenn wir der Gefahr Einhalt gebieten wollen, kommen wir um effektive Einschränkungen, europäische Vereinheitlichungen, wirksame Kontrollen und die sichere Aufbewahrung von Waffen in den Händen von Privaten nicht herum . Vielen Dank . ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächste hat die Kollegin der SPD-Fraktion Gabriele Fograscher das Wort . ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Waffen - ja, das stimmt - sind und bleiben gefährliche Gegenstände . Deshalb ist es gerechtfertigt, dass jemand, der in Deutschland legal eine Waffe besitzen will, zahlreiche Voraussetzungen erfüllen muss . Bestimmte Waffentypen dürfen ab dem 18. Lebensjahr besessen werden, andere erst ab Vollendung des 21 . Lebensjahres . Für sie gilt: Bis zur Vollendung des 25 . Lebensjahres ist ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis über die geistige Eignung vorzulegen . Der Antragsteller muss zuverlässig sein . Zuverlässigkeit fehlt zum Beispiel bei Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Verurteilung zu 60 Tagessätzen und mehr, bei wiederholtem und gröblichem Verstoß gegen Waffengesetz, Sprengstoffgesetz oder Bundesjagdgesetz sowie bei Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung . Wer eine Waffe erwerben will, muss persönlich geeignet sein . Das heißt, Alkohol- oder Suchtmittelabhängigkeit, psychische Erkrankung oder Gefahr eines unvorsichtigen oder unsachgemäßen Umgangs widersprechen einer solchen Eignung. Zudem muss waffenrechtliche und rechtliche Sachkunde nachgewiesen werden . Die Haftpflichtversicherung, die Sie in Ihrem Antrag fordern, ist bereits jetzt Pflicht. Der Antragsteller muss mindestens zwölf Monate Mitglied in einem anerkannten Schießsportverein sein und dort regelmäßig schießen . Er darf nur die Waffen erwerben, die er für seine Schießdisziplinen benötigt . Die ordnungsgemäße Aufbewahrung muss nachgewiesen werden und kann durch verdachtsunabhängige Kontrollen jederzeit von den zuständigen Behörden überprüft werden . Verstöße dagegen sind strafbewehrt . Die überwiegende Mehrheit der Waffenbesitzer verhält sich rechtstreu. Das deutsche Waffenrecht ist streng und hat sich bewährt . Weitere Verschärfungen bringen nicht mehr Sicherheit; das hat die Anhörung, die wir im November 2016 durchgeführt haben, ergeben . Das aber scheinen die Grünen überhört zu haben . Denn sie schieben heute einen weiteren Antrag nach, der dem heute abschließend zu beratenden Antrag sehr ähnlich ist; in Teilen ist er sogar wortgleich . Ihre Forderungen aber sind reine Placebos . Ich nenne einige Beispiele . Der Titel Ihres neuen Antrags lautet: „Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“. Das ist mit Zahlen nicht zu belegen. Die Anzahl der legalen Waffen steigt, die Zahl der Straftaten mit Schusswaffen nimmt aber in den letzten Jahren kontinuierlich ab, so die Polizeiliche Kriminalstatistik . Weiter schreiben Sie in Ihrem Antrag: Die gegenwärtige Sicherheitslage, die insbesondere durch die Bedrohung durch rechtsextreme und islamistische Anschläge geprägt ist, lässt es jedoch notwendig erscheinen, weitergehende Regelungen im Waffenrecht zu treffen. Einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen, die wir in letzter Zeit leider erlebt haben, und dem Waffenrecht besteht aber nicht . Der Anschlag in Würzburg wurde mit einer Axt verübt . In Ansbach explodierte eine Splitterbombe . Der Anschlag in München war ein Amoklauf. Die Waffe erwarb der Täter illegal im Darknet. Die Waffe, die bei dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt benutzt wurde, war illegal erworben worden . Keine dieser Taten hätte durch ein schärferes Waffenrecht oder das Verbot bestimmter Waffentypen verhindert werden können . Weiter erklären Sie in Ihrem Antrag, dass laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2015 mehr als 15 000 Tatverdächtige erfasst wurden, die bei der Begehung der Tat eine Schusswaffe mitgeführt haben. Ich will mich nicht über diese Zahlen streiten . Ich habe sie so jedenfalls nirgendwo gefunden. Die Frage ist doch: Um was für Waffen handelt es sich? Handelt es sich um erlaubnisfreie Waffen, um legale Waffen oder um illegale Waffen? Dies wird in der Statistik nicht erfasst . Sie fordern immer wieder, dass halbautomatische Waffen, die Kriegswaffen ähnlich sind, verboten werden sollen. Das Aussehen einer Waffe sagt aber nichts über ihre Gefährlichkeit aus . Ich darf Sie einmal kurz daran erinnern: Die Streichung des Verbots von kriegswaffenähnlichen halbautomatischen Schusswaffen war kein Versehen der damaligen rot-grünen Bundesregierung . Wir haben das bewusst gemacht; denn es gab große Abgrenzungsprobleme bei der Frage, was eine kriegswaffenähnliche Schusswaffe ist und was nicht. Das Verbot hat in der Praxis nie gegriffen. Kurios ist auch Ihre Forderung nach einer Abkühlphase zwischen Erwerb und Erhalt einer Waffe. Was soll das bringen? Der einzig vernünftige Vorschlag, den Sie machen und den wir teilen, ist die Regelabfrage bei den Sicherheitsbehörden vor Erlaubniserteilung für den Erwerb, den Besitz und das Führen einer Waffe. Um wirklich mehr Sicherheit zu schaffen, hat die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags umsetzt . Die technische Entwicklung hat auch vor der Verbesserung der Sicherheitsbehältnisse für die Aufbewahrung von Waffen und Munition nicht haltgemacht. Deshalb soll das künftige Sicherheitsniveau dieser Behältnisse an den aktuellen Stand der Technik angepasst werden . Das gilt nur für den Erwerb neuer Sicherheitsbehältnisse . Legalwaffenbesitzer und -besitzerinnen können die vorhandenen, den alten Standards entsprechenden Behältnisse weiterhin nutzen . Deshalb soll eine Besitzstandsregelung gelten . Das Waffengesetz ist ein kompliziertes Gesetz, voll mit Verweisen, technischen Normen usw . Das erschwert den Vollzug . Deshalb werden technische Normen dem Gesetz entnommen und auf der Ebene einer Rechtsverordnung geregelt . Anregungen der Kommunen und der Länder wurden umgesetzt, um den Vollzug leichter und praktikabler zu machen . Die neue, einfachere Schematisierung bringt auch Erleichterungen für die Waffenbesitzer mit sich . Diese hatten teilweise Probleme mit der Komplexität des Gesetzes . Das führte nicht selten unwillentlich zu strafbewehrten Rechtsverstößen . Diese Fehlerquelle soll nun minimiert werden . Die Amnestieregelung soll mit diesem Gesetzentwurf erneut, auf ein Jahr befristet, umgesetzt werden . Somit besteht die Möglichkeit, unerlaubt besessene Waffen oder Munition straflos abzugeben. Eine solch befristete Amnestieregelung haben wir bereits im Juli 2009 bei der Novellierung des Waffenrechts in das Gesetz geschrieben . In einer Kleinen Anfrage hatten wir nachgefragt, wie viele Waffen aufgrund der Amnestieregelung abgegeben wurden . In der Antwort der Bundesregierung heißt es: Die Amnestieregelung . . . hat bis Ende 2009 zur bundesweiten Abgabe von mehr als 200 000 Waffen bei Waffenbehörden und Polizeidienststellen der Länder geführt . Diese rund 200 000 Waffen wurden in weniger als sechs Monaten abgegeben . Grundsätzlich werden diese Waffen vernichtet. Nur zum Beispiel besonders wertvolle Stücke werden in Sammlungen aufgenommen . Diese Zahlen zeigen: Die Amnestieregelung hat sich bewährt . Deshalb ist es sinnvoll und richtig, sie erneut ins Gesetz zu schreiben. Je weniger unerlaubt besessene Waffen im Umlauf sind, desto besser. Ebenfalls mit diesem Gesetz soll die EU-Deaktivierungsdurchführungsverordnung in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Verordnung regelt die Unbrauchbarmachung von Schusswaffen sowie die Einzelprüfung jeder deaktivierten Schusswaffe. Seit April 2016 ist die Verordnung verbindliches Recht mit Anwendungsvorrang. Nun folgt die notwendige Umsetzung in nationales Recht . Wenn wir schon Änderungen am Waffenrecht vornehmen, sollten wir in den anstehenden Beratungen darüber diskutieren, wie wir es verhindern können, dass Extremisten oder sogenannte Reichsbürger legal an Waffen kommen . Es kann nicht sein, dass Menschen, die gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpfen, diese abschaffen wollen oder unseren Staat erst gar nicht anerkennen, legal Schusswaffen erwerben oder besitzen können . Deshalb fordern wir eine Regelabfrage bei den Verfassungsschutzämtern vor Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb, den Besitz und das Führen einer Waffe. Ich hoffe, wir können unseren Koalitionspartner von der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugen . ({0}) Eines möchte ich an dieser Stelle nochmals betonen: Wir stellen keine Schützin und keinen Schützen, keine Jägerin und keinen Jäger, auch keine Sammlerin und keinen Sammler unter Generalverdacht . Wir stellen auch niemanden unter Terrorverdacht, wie in vielen Mails, die mich in den letzten Tagen und Wochen erreicht haben, behauptet wird . Wir suchen immer nach einer Balance zwischen den berechtigten Interessen der legalen Waffenbesitzer auf der einen Seite und den um die öffentliche Sicherheit besorgten Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seite . Wir respektieren die Argumente beider Seiten . Wir haben daher ein wachsames Auge auf das Waffenrecht. Wir wollen Lösungen, die Sport und Brauchtumspflege nicht unzumutbar beschränken, sondern die Bevölkerung effizient vor dem Missbrauch legaler Schusswaffen schützen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({1})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher . - Jetzt hat als letzter Redner in dieser Aussprache Michael Frieser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank . - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fograscher, am Ende des Tages sind wir wieder bei den Jägern und Sammlern. Wenn man zum Thema Waffenrecht und zum verantwortungsvollen Umgang mit Waffen etwas sagt, fühlt man sich in diesem Land an Charlton Heston erinnert, dem man, selbst als er im Sterben lag, die Waffe fast aus der Hand reißen musste . Liebe Grüne, es wird Ihnen nicht gelingen, dieses Land, vor allem die Sportschützen, die Jäger und die Menschen, die verantwortungsvoll mit Waffen umgehen, ({0}) zu Militaristen zu machen . Das wird nicht klappen, auch wenn Sie es immer wieder versuchen . ({1}) Sinnvollerweise hat Kollegin Mihalic zu ihrem eigenen Antrag nichts gesagt, sondern sich ganz grundsätzlich geäußert . Ich glaube, das war auch gut . ({2}) Ich will einen Punkt aufgreifen - ich bin dem Kollegen Oswin Veith und Frau Fograscher dankbar, dass sie ihn angesprochen haben -, und zwar das Thema Mehrfachschützen und die Frage des Mehrfachschusses mit einer Waffe. Was ist hier wirklich gefährlich? Man muss hier extrem aufpassen . Euer Antrag ist hier so missverständlich formuliert, dass man ehrlich sagen muss: Die historischen Sportschützensiege, die unsere Athleten sehr zu unserer Freude erzielt haben, wären nach eurem Antrag tatsächlich nicht möglich gewesen . ({3}) Mit was sollen sie am Ende denn trainieren? Mit Steinschleudern? Letztendlich muss man zumindest aufpassen, wie man es formuliert, wenn man versucht, den Eindruck zu erwecken, dass das Problem in diesem Land tatsächlich alle Waffen seien. Das ist erkennbar falsch. ({4}) Nach allen Statistiken und allen Zahlen, die uns zugänglich sind, ist es eindeutig: Das Problem in diesem Land sind die illegalen und nicht die legalen Waffen, weil diese sich in Händen von Menschen befinden, die wissen, wie man damit umgeht . ({5}) Sie sind sich nicht nur klar darüber, welche Eignung sie haben müssen, sondern sie wissen auch, wie man einigermaßen verantwortungsvoll damit umgeht . Darauf kann man sich tatsächlich verlassen . ({6}) Es ist ein schmaler Grat zwischen der Freiheit des Menschen, im Rahmen seiner Freizeit oder seines Berufes mit einer Waffe umgehen zu dürfen, und einem entsprechenden Verbot, und die Politik muss sich dieser Grenze wirklich bewusst sein . Deshalb bringt die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf ein, zu dem ich nur sagen kann: Wer es ernst meint mit einem sinnvollen und verantwortungsvollen Umgang mit Waffen, der sollte diesem Gesetzentwurf tatsächlich zustimmen . Eine Amnestie ist sinnvoll, weil wir keine illegal besessenen Waffen haben wollen. Die Menschen müssen wissen, dass es wieder in Ordnung ist, wenn sie diese Waffen abgeben. Zur Aufbewahrung . Natürlich ist es klar, dass der Waffenschrank, den man sich heute anschafft, zeitgemäß sein soll . Das muss aber nicht heißen - darüber sollten wir noch einmal reden -, dass man sich am Ende des Tages einen neuen Waffenschrank anschaffen muss, wenn man zu zweit einen Waffenschrank benutzt und legal Waffen darin aufbewahrt hat und der Zweite sich verabschiedet . Im Ergebnis heißt das aber doch nicht, dass man den Waffenschrank über fünf Generationen hinweg vererbt. Ich bitte einmal, erstens die Kirche im Dorf und zweitens die Waffe im Schrank zu lassen; denn an dieser Stelle ist meines Erachtens vollkommen klar, dass auch das zu einem wirklich verantwortungsvollen Umgang gehört. ({7}) Ich kann nur sagen: Wir wissen, dass das Problem in diesem Land die illegalen Waffen und die Bezugswege sind und dass vor allem das Thema Darknet ganz wesentlich ist . In jeder zweiten Sitzung des Innenausschusses kauen wir das durch, und wir haben an dieser Stelle viele Initiativen bezüglich des Umgangs mit den entsprechenden Daten gestartet . Ich muss hier schon einmal die Frage stellen: Wie kommen wir an die Ursprünge heran? Wie ertüchtigen wir unsere Behörden gerade in diesem Punkt, die Wege nachzuvollziehen? Die Grünen sind gegen alle unsere entsprechenden Anliegen . Treten Sie uns im Kampf im Darknet gegen illegale Waffendeals an die Seite, wenn es um die Überwachung und Ertüchtigung unserer Behörden an dieser Stelle geht . Hier können wir beieinander sein . Aber dazu müsst ihr wahrscheinlich noch über euren Schatten springen . Im Ergebnis bleibt es dabei: Wir sollten es ernst damit meinen, dass wir nicht versuchen, die Menschen in eine illegale Ecke zu stellen . Wenn es nach Ihnen geht, ist anscheinend jeder nur dann ein guter Bürger, wenn er ein schlechtes Gewissen hat, wenn er eine Waffe in die Hand nimmt . Ich bin froh um Menschen, die wissen, wie man damit verantwortungsvoll umgeht . Ich habe mich bei meiner Kommune und auch bei anderen Kommunen davon überzeugt: Die Behörden wissen genau, wie man mit diesem Thema umgeht . Sie kennen ihre Klientel und wissen, was sie nachvollziehen müssen, wo sie nachfragen müssen und wie sie das umsetzen müssen . Deshalb kann ich nur sagen: Wer es ernst damit meint, dass er beim verantwortungsvollen Umgang mit legalen Waffen bleiben will, der kann das tatsächlich nur mit der Union schaffen und der sollte dem Gesetzentwurf zustimmen . Wer darüber hinausgeht, der verdächtigt Menschen, die das nach meiner Auffassung nicht verdient haben. Man sollte uns tunlichst die notwendigen Mittel an die Hand geben, damit an der Stelle, wo man sich illegale Waffen beschaffen kann, nämlich im Netz und im Darknet, wirklich zugepackt und die Behörden tatkräftig unterstützt werden können . Danke schön . ({8})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Herr Kollege . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11417 und 18/11239 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein . Damit sind die Überweisungen so beschlossen . Tagesordnungspunkt 52 b . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Handlungsbedarf im Waffenrecht für mehr öffentliche Sicherheit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11444, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9674 abzulehnen . ({0}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen sehe ich keine. - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 53 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Drucksache 18/11300 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Alexander Dobrindt . - Bitte schön . ({2})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir geben heute den Startschuss für das innovativste Straßenverkehrsrecht der Welt mit einer rechtlichen Gleichstellung von Menschen und Computern als Fahrer . Das heißt im Klartext: In der Zukunft darf der Computer ans Steuer . Das ist in der Tat ein echter Paradigmenwechsel und die größte Reform unseres Straßenverkehrsgesetzes seit dessen Inkrafttreten vor über 100 Jahren . ({0}) So eine Regelung, die die Innovation im Bereich der Mobilität abbildet, gibt es bisher in keinem anderen Land der Welt . Das heißt, wir übernehmen die Innovationsführerschaft und stellen uns als Autoland beim automatisierten und vernetzten Fahren an die Spitze . ({1}) Der Sprung zum automatisierten Fahren ist in der Tat die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Automobils . Zum ersten Mal verändert sich durch den technologischen Fortschritt nicht nur das Auto, sondern letztlich auch der Fahrer und damit die Mobilität als Ganzes . ({2}) Wir werden erleben, dass sich damit die Zahl der Unfälle auf unseren Straßen erheblich reduzieren lässt . Über 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliche Fehler zurückzuführen . Die werden natürlich massiv zurückgedrängt werden . Wir erhöhen die Kapazität unserer Straßen . Wir können mit automatisierten Fahrsystemen bis zu 80 Prozent mehr Kapazität auf den Straßen abbilden und werden damit die Staus deutlich reduzieren . Wir werden auch den überflüssigen Parksuchverkehr in unseren Städten - 40 Prozent des Autoverkehrs, der zurzeit auf den Straßen Berlins stattfindet, ist ParksuchMichael Frieser verkehr - reduzieren . Auch er wird zukünftig so nicht mehr notwendig sein . ({3}) Beim automatisierten Fahrsystem werden auch Parkplätze durch den Computer identifiziert und gefunden. ({4}) Das ist ein ganz, ganz großer Vorteil für die Mobilität neben dem, dass wir dann gerade auch in ländlichen Regionen Mobilität bis ins hohe Alter möglich machen und die individuelle Mobilität durch automatisiertes Fahren stärken . All das bedeutet in der Summe: weniger Unfälle, mehr Kapazität, weniger unnötige Straßenverkehre . Das sind große Vorteile . Ich habe gerade mit einer Gruppe von Landfrauen aus dem Pfaffenwinkel, die mich besucht haben, darüber gesprochen: alles große Fans des automatisierten Fahrens . Das ist es, was bei den Menschen ankommt . ({5}) Alle spüren, dass sich das Leben gerade im Bereich der Mobilität radikal und grundlegend revolutioniert . Die meisten freuen sich auch darauf, dass wir mit dem automatisierten Fahren in ein neues Zeitalter kommen . Es wird bei allen Start-up-Unternehmen, ob im Silicon Valley oder in Deutschland, gerade kein Thema so intensiv bearbeitet wie das automatisierte Fahren . Übrigens: Die großen IT-Konzerne sind genauso intensiv dabei, an selbstlernenden Systemen zu arbeiten . Dabei geht es um das sogenannte Deep Learning . Bei diesen Systemen wird mit Algorithmen gearbeitet, die ihre eigenen Erfahrungen selbstständig umsetzen, um in vergleichbaren Situationen optimiert zu reagieren . Es steht eine künstliche Intelligenz dahinter, welche die Autos lenkt . All das ist kombiniert mit der modernsten Sensorik . Auch geht es dabei um Kameratechnik und intelligente Karten . All das wird in wenigen Monaten Realität in den Autos sein . Das wird natürlich auch eine enorme Auswirkung auf die Wertschöpfung am Automobil haben . All diejenigen, die zurzeit an Softwarelösungen für Autos arbeiten, wollen letztlich einen Teil der Wertschöpfung an diesen Autos für sich gewinnen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass diese Wertschöpfung hier im Autoland Deutschland bleibt und nicht vielleicht in die asiatischen Märkte oder nach Amerika abwandert . Auf jeden Fall ist klar, dass der Wettbewerb um die Wertschöpfung an den Autos auch die Grundlage für Wachstum, Arbeit und Wohlstand verändert . Wenn wir diesen Wettbewerb verlieren sollten, dann sind auch Arbeit, Wachstum und Wohlstand in Deutschland infrage gestellt . Deswegen wollen wir an der Spitze dieser innovativen Bewegung sein . ({6}) Der zweite Platz ist dabei keine Alternative . Deswegen habe ich schon zu Beginn meiner Amtszeit eine umfassende Strategie zum automatisierten Fahren vorgestellt . Ein Element dieser umfassenden Strategie ist das Digitale Testfeld Autobahn auf der A 9 in Bayern, auf dem wir durch den Aufbau einer intelligenten Sensorik, die sich auf der Straße befindet, Echtzeitkommunikation zeigen können . Sie macht es möglich, dass die Straße mit den eigenen Daten, die sie erhebt, wirklich real mit den Autos kommunizieren kann . Das ist etwas, was in keiner anderen Region der Welt so möglich ist . Wir haben es geschafft, dass die Autos, aus dem Labor kommend, auf der Straße in einer echten Fahrsituation im Realverkehr weiter erforscht und entwickelt werden . Dabei werden die neuen Technologien erprobt, um die Grundlage dafür zu schaffen, dass wir beim automatisierten Fahren auch in Zukunft die meisten Patente - so wie bisher auch - anmelden können . Wir wollen nicht, dass dies in andere Regionen der Welt abwandert . Allein die Tatsache, dass man eine Straße so mit Sensorik ausgestattet hat, dass sie mit eigener Intelligenz einen echten Kommunikationsvorgang mit den Autos schaffen kann und man mit der Zahl der erhobenen Daten dann auch in der Lage ist, die neuen Fahrzeuge im Realverkehr zu zeigen, ist sensationell . Deshalb greifen inzwischen auch alle internationalen Unternehmen im Bereich des Automobilsektors - das betrifft auch die Zulieferer - darauf zu . Sie erproben ihre Fahrzeuge auf unserem digitalen Testfeld . Bei der Änderung unseres Straßenverkehrsrechts geht es konkret darum, dass wir den hoch- oder vollautomatisierten Fahrsystemen die Fahraufgabe übergeben wollen . Dafür sind die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Natürlich geht es in dem Zusammenhang auch um die Haftungsfrage, die wir in unserem Gesetz geklärt haben . Wenn der Computer fährt, dann haftet am Schluss der Hersteller . Auch das ist eine klare Botschaft an all diejenigen, die diese Fahrzeuge entwickeln, und auch an diejenigen, die sie nutzen wollen . Wir zeigen klar und deutlich, dass die Digitalisierung in unserem Land eine ganz große Chance in sich birgt . ({7}) Wir unterstützen das . Wir setzen auf Innovation und nicht auf Stagnation . Das heißt, dass wir uns der Digitalisierung mit großen Schritten nähern . Herr Krischer, Sie haben einen Zwischenruf gemacht . Ich habe natürlich auch gelesen, was in Ihrem Fraktionsbeschluss zur Zukunft des Automobils steht . Sie reden beim automatisierten Fahren nicht über Chancen, sondern über Datenschleudern und Datenkraken. Und Sie reden darüber, dass es eine Gefahr gebe . Ich kann Ihnen an der Stelle nur sagen: Wer hier die Chancen nicht erkennt, wer nicht endlich erkennt, dass Daten der Rohstoff für Digitalisierung und damit für unseren zukünftigen Wohlstand sind, der verspielt eine ganze Menge an Zukunftschancen der nächsten Generation, meine Damen und Herren . ({8}) Ich habe durchaus mitbekommen, dass Sie, als es um Ihren letzten Parteitagsbeschluss zur Verkehrswende ging, kein Wort über das automatisierte Fahren verloren haben . Stattdessen haben Sie das große Potenzial der Lastenfahrräder beschrieben . In Berlin haben Sie das sogar in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben . Das kann man machen . Rikscha statt Fahrcomputer, das ist Ihr Mobilitätskonzept für das 21 . Jahrhundert . Aber ich kann Ihnen sagen, dass eine ganze Reihe Dritte-Welt-Länder mit aller Kraft daran arbeitet, von der Rikscha wegzukommen . Sie wollen uns dorthin führen . Wo andere also die Vergangenheit sehen, sehen Sie unsere Zukunft . ({9}) Das ist beim besten Willen kein Garant für Arbeit, für Wohlstand und für Wertschöpfung . ({10}) Wir gehen den anderen Weg . Wir gehen konsequent den Weg hin zum automatisierten Fahren . Danke schön . ({11})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank . - Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich wäre schon froh, wenn hier im so von Ihnen bezeichneten Autoland Deutschland die Automobilkonzerne in der Lage wären, die von Ihnen vereinbarten Abgasgrenzwerte einzuhalten, und wenn wir diesbezüglich von keinen Gefahren für unsere Gesundheit mehr ausgehen müssten . ({0}) Nun geht es in erster Lesung um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes . Das hört sich nicht sonderlich spannend an . Schließlich geht es in diesem Gesetz um Führerschein auf Probe, den Bußgeldkatalog oder Haftpflichtfragen. Doch die Änderung, die nun vorgesehen ist, geht weit darüber hinaus . Es geht um automatisiertes Fahren, genauer gesagt: um teiloder hochautomatisiertes Fahren . Aber egal, ob es sich um teil- oder hochautomatisiertes Fahren handelt, wir haben es mit einer grundlegenden Veränderung im Autofahren zu tun . Computer sollen Aufgaben übernehmen, die bislang selbstverständlich zum Autofahren gehörten, wie Geschwindigkeit reduzieren, wenn es plötzlich glatt ist, Verkehrsschilder erkennen und die Fahrweise darauf einstellen oder im Extremfall auf ein Hindernis reagieren, egal ob sich ein Mensch, ein Tier oder ein Gegenstand auf der Straße befindet. All diese Entscheidungen sollen in Zukunft im Zusammenwirken mit dem Computer getroffen werden. Die Tragweite der damit zusammenhängenden Fragen können viele von uns - ich schließe mich ein - nicht überschauen . Der Gesetzentwurf soll nun binnen weniger Wochen durch den Bundestag gepeitscht werden, obwohl wir mit diesem Thema erstmalig im Dezember konfrontiert wurden . Das ist doch unverantwortlich . Für solche Entscheidungen brauchen wir doch Zeit und das notwendige Wissen . Aber darüber verfügen viele von uns noch gar nicht . ({1}) Geradezu absurd ist, schon jetzt die Automatisierung des Autofahrens im Straßenverkehrsgesetz zu verankern, ohne zum Beispiel die Ergebnisse der von der Bundesregierung selbst initiierten Testfelder auf der Autobahn auszuwerten . Bei der Haftung bei Unfällen mit teil- oder hochautomatisierten Autos wirft der Gesetzentwurf Fragen auf, die nicht beantwortet sind . Im Gesetzentwurf steht, dass der Fahrzeugführer beim hochautomatisierten Fahren unverzüglich das Steuer wieder übernehmen muss, wenn ihn das Fahrzeug dazu auffordert. Diese Formulierung ist so unscharf, dass selbst Sie, Herr Minister Dobrindt, fälschlicherweise davon ausgehen, dass man in diesen Autos schnell einmal E-Mails bearbeiten darf, da es jederzeit möglich ist, das Steuer unverzüglich zu übernehmen . Studien in Fahrsimulatoren haben gezeigt, dass mindestens 15 Sekunden nötig sein können, um sich von einer fahrfremden Tätigkeit wieder auf das Fahrgeschehen einzustellen. Ist das unverzüglich? Wenn ich nun 15 Sekunden verstreichen lassen würde, ohne ein Wort in das Mikrofon zu sagen, würde jedem, glaube ich, offensichtlich werden, mit welchen Dimensionen wir es im Straßenverkehr zu tun haben . Zum Thema Datenschutz . Bei teil- oder vollautomatisiertem Fahren muss bei Unfällen zweifelsfrei geklärt werden, ob das Auto oder der Mensch gesteuert hat . Deshalb soll eine Blackbox installiert werden, die drei Jahre lang die Fahrdaten aufzeichnet . Das ist Vorratsdatenspeicherung im Straßenverkehr . Das ist völlig unakzeptabel genauso wie der Zugriff auf die Daten. ({2}) Für mich viel wichtiger sind aber - ich hoffe, dass das auch für andere von Bedeutung ist - die ethischen Fragen . Diese spielen im Gesetzentwurf überhaupt keine Rolle, und das nicht etwa, weil diese ausführlich diskutiert und entschieden sind . Die vom Verkehrsminister eingesetzte Ethikkommission ist zwar nötig und arbeitet auch . Sie wurde jedoch erst nach den entsprechenden Entscheidungen eingerichtet . Sie muss doch erst einmal ihre Arbeit beendet haben, damit wir ein Gespür dafür bekommen, was wir entscheiden müssen und was nicht, und zwar bevor eine Strategie für automatisiertes oder vernetztes Fahren beschlossen wird . Ethische Fragen über den Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen müssen doch entschieden werden, bevor der Straßenverkehr, der Tausende Tote und Zehntausende Verletzte verursacht, vollautomatisiert oder teilautomatisiert wird . Den Grund für die Eile lesen wir im Begründungsteil des Gesetzentwurfs. Dort finden wir die Begriffe „Leitanbieter bleiben“, „Vorreiterrolle sichern“, und „Stärkung des Innovations- und Wirtschaftsstandortes Deutschland“. Herr Minister, Sie haben eben sehr deutlich gemacht, worum es eigentlich geht und um wessen Interessen es geht . Wer so an neue Techniken herangeht, der nimmt keine Abwägung zwischen ethischen und ökonomischen Fragen vor . Diese sind schon vorab entschieden . Die Linke macht diese besinnungslose Technikeuphorie nicht mit . ({3}) Wir müssen entscheiden, wie wir leben und wie wir mobil sein wollen . Dann kommen die Entscheidungen über die Technik, und dann kommen die Entscheidungen über die Veränderungen des Straßenverkehrsgesetzes . Das ist die richtige Reihenfolge für verantwortliches Handeln . Dafür und nur dafür ist die Linke zu haben . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Jetzt spricht zu Ihnen Sören Bartol von der SPD-Fraktion . ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Weg hierher bin ich an einem Plakat des Art Directors Club vorbeigekommen . Die Elite der deutschen Kommunikationswirtschaft wirbt mit folgendem Slogan für ihr Festival: „Das Motto der Deutschen: Vorschrift statt Fortschritt?“ Das klingt erst einmal mäßig und ist außerdem ein Vorwurf, der auch in der Debatte um das automatisierte Fahren im Raum steht . Aber wie so vieles im Leben, liebe Werberinnen und Werber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch hier alles eine Frage der Balance . Apropos Frage . Beim heutigen Thema stehen einige Fragen im Raum: Wie weit ist die Technik eigentlich schon? Ist die weitere Entwicklung Evolution oder Eruption? Wollen wir uns von der Technik bestimmen lassen oder nicht? Wie lösen wir das Problem, dass hochautomatisierte und herkömmliche Fahrzeuge lange Zeit parallel fahren werden? Vorweg: Ich bin ein Befürworter des automatisierten Fahrens . Ich unterstütze auch das Vorhaben des Bundesverkehrsministers, das Testfeld und den vorliegenden Gesetzentwurf. Warum? Weil ich glaube, dass das automatisierte Fahren eine Riesenchance für die deutsche Automobilindustrie ist, Vorreiter in einem zukunftsweisenden Bereich zu sein . Das ist eine Chance, die wir nicht vertun dürfen, gerade auch im Hinblick auf die Vielzahl der Arbeitsplätze, die in der traditionellen Automobilindustrie in den nächsten Jahren durch Veränderungen im Bereich Mobilität unter Druck geraten . ({0}) Was passiert, wenn ich die Hand vom Lenkrad nehme und die Maschine übernimmt? Wir brauchen dringend eine Rechtsgrundlage für das automatisierte Fahren . Ich halte diesen Vorstoß allerdings nicht alleine aus wirtschaftlichen Gründen für wichtig . Ich glaube darüber hinaus, dass das automatisierte Fahren das Potenzial hat, die Verkehrssicherheit in Deutschland deutlich zu erhöhen . Der Mensch ist in einigen Situationen die größte Gefahr im Verkehr . Die Sicherheit auf unseren Straßen würde sich durch den Einsatz entsprechender Systeme erhöhen, und die Zahl der Unfälle auf Autobahnen würde sich deutlich verringern . Ich weiß, wie überzeugt manche Kollegen von ihren eigenen Fähigkeiten als Autofahrer sind . Aber glauben Sie mir, auch wenn einige das nur ungern hören: Das Assistenzsystem mit seinem Algorithmus kann auf der Autobahn sicherer fahren als Sie und ich, sofern die bestimmungsgemäße Verwendung sichergestellt ist . Ich möchte in dieser Debatte eines ganz klar sagen: Das hochautomatisierte Fahren, über das wir im Moment reden, hat mit dem in der Diskussion immer wieder vorgebrachten Bild des Autofahrenden, der auf dem Fahrersitz die Augen schließt und sich tiefenentspannt von A nach B fahren lässt, nichts, aber auch gar nichts zu tun . Wer von dieser Art des Reisens träumt - gestatten Sie mir die Werbung für unser Schienenpapier -, der sollte auch in naher Zukunft lieber die Bahn nutzen . ({1}) Das hochautomatisierte Fahren erfordert eine Grundaufmerksamkeit des Fahrers, und zwar permanent . Der Fahrer muss unverzüglich - so steht es auch im Gesetzentwurf - die Kontrolle über sein Fahrzeug übernehmen, wenn das System die Übernahmeaufforderung erteilt, was jeden Moment geschehen kann . ({2}) Natürlich: Die Fortschritte, die heute technisch schon möglich sind, werden in naher Zukunft möglicherweise rasch zunehmen . Sie werden sich also noch ein bisschen weiter zurücklehnen können, solange die Grundaufmerksamkeit gewährleistet ist, solange Sie nur so entspannt sind, dass Sie unverzüglich jeden Moment die Kontrolle übernehmen können . Beim hochautomatisierten Fahren sprechen wir also über eine Erleichterung, mehr Fahrkomfort, mehr Sicherheit, über eine große Evolution der schon vorhandenen Assistenzsysteme. Ein Schläfchen auf der Autobahn? Nein, das gibt es noch nicht . Ich komme zu den ethischen Fragen von Mensch und Maschine . Wir können keine Algorithmen verklagen, falls etwas passiert, falls das System versagt, falls ein auHerbert Behrens tomatisiertes Fahrzeug einen tödlichen Unfall verursacht. Vor deutschen Gerichten können keine Roboter verklagt werden . Auf der Anklagebank sitzt immer ein Mensch: der Fahrer, der Hersteller oder die oder der, die oder der das System möglicherweise fehlerhaft programmiert hat . Es bleibt kompliziert: Nach welchen Kriterien sollen die Systeme programmiert werden? Etwa wenn ein Unfall nicht zu verhindern ist: Wie handelt das System? Unser Grundgesetz verbietet in zivilen Situationen jedes Abwägen von Leben gegen Leben; kein Menschenleben ist mehr wert als ein anderes . Was soll der Algorithmus in einer Situation tun, in der der Mensch vermutlich intuitiv oder reflexartig entscheidet? Ich habe auf diese Fragen keine Antwort . Es ist aber sinnvoll, sich derartige Fragen bei der Einführung einer neuen Technologie zu stellen und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist . Die aktuelle Debatte um die Entsorgung des Atommülls ist für mich ein alarmierendes Beispiel dafür, wie die Einführung einer neuen Technologie nicht laufen sollte . ({3}) Minister Dobrindt hat eine eigene Ethikkommission eingerichtet . Lieber Kollege Dobrindt, diese Kritik sei an dieser Stelle einmal erlaubt: Sie hätten hier lieber den Nationalen Ethikrat zurate ziehen sollen . ({4}) Offene Fragen sehe ich auch beim Datenschutz. Es muss klar sein, welche Daten wo und wie lange gespeichert sind und unter welchen Umständen sie anonymisiert an Dritte herausgegeben werden können . Im weiteren parlamentarischen Verfahren, etwa bei der kommenden Anhörung, werden wir Lösungen suchen, die am Ende die Zustimmung des Bundesrates finden. Sie sehen: Fortschritt geht nicht ganz ohne Vorschrift . Ich möchte den beiden eingangs zitierten Schlagworten abschließend noch ein drittes hinzufügen . Es heißt: Vorsicht . Von den in Dubai vollmundig angekündigten Drohnen, die die Bewohner dort schon im Sommer durch das Emirat fliegen sollen und für deren Benutzung man, wie der Spiegel schrieb, „viel Mut und Glauben mitbringen müsse“, sind wir in Deutschland weit entfernt - aus gutem Grund . Blinde Fortschrittsgläubigkeit hat in der Menschheitsgeschichte selten zu etwas Gutem geführt . Die griechische Mythologie ist voll von warnenden Beispielen. Ein „Volle Kraft voraus“, eine „Augen zu und durch“-Mentalität beim automatisierten Fahren würden in einer Katastrophe enden . ({5}) Ich plädiere also für den vorliegenden Gesetzentwurf, der das automatisierte Fahren in engen Grenzen gerade auch auf Abschnitten deutscher Autobahnen zulässt, wenn es uns gelingt, die Fragen, die auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme - wie ich finde, zu Recht - angemahnt hat, im parlamentarischen Verfahren zu klären . Ich wünsche mir zudem ein gründliches Nachdenken, eine wirklich breite Debatte über die ethischen Fragen, die sich spätestens mit dem autonomen Fahren stellen, eine Debatte, die sich dem Fortschritt nicht verschließt, sich dabei aber der eigenen Möglichkeiten und Grenzen auch bewusst ist . Diese Debatte müssen wir nicht nur, aber auch in diesem Hause führen . Vielen Dank . ({6})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Stephan Kühn .

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Verkehrsminister Dobrindt, ich finde es gut, dass Sie unsere Papiere lesen; Sie lesen aber sehr selektiv . Ich empfehle die Lektüre meiner Rede zur Änderung des Wiener Abkommens . Dann könnten Sie nachlesen, welche Chancen ich im Hinblick auf das automatisierte Fahren durchaus sehe . Allerdings erfüllen sich die Hoffnungen, die Sie beschreiben, mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs in keiner Form; denn Sie vertreten nur die Interessen der Autohersteller . Mit dem Gesetz laden Sie die Haftungsrisiken bei den Autofahrern ab und schaffen erhebliche Rechtsunsicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher . Automatisiertes Fahren soll es Autofahrern ermöglichen, fahrfremde Tätigkeiten auszuüben . Das ist aber überhaupt nicht möglich . Das Gesetz verlangt von den Fahrzeugführern, die technischen Systeme jederzeit manuell übersteuern oder deaktivieren zu können . Ist die Möglichkeit der Übersteuerung oder der Deaktivierung durch den Fahrer überhaupt in jedem Fall sinnvoll? Eine Systemübernahme in kritischen Verkehrssituationen könnte den Fahrer überfordern . Müsste man hier nicht differenziert vorgehen? Der Gesetzentwurf lässt offen, was der Fahrer bedenkenlos tun kann, während der Computer das Auto lenkt . Der Fahrer soll den Autopiloten überwachen . Er muss zum Beispiel erkennen, dass die Umstände für automatisiertes Fahren nicht mehr vorliegen . Müsste das aber nicht eigentlich der Computer machen? Welche fahrfremden Tätigkeiten der Fahrer übernehmen darf, wird auch nicht geregelt . So wird Rechtssicherheit nicht geschaffen. ({0}) Wer will da schon die Hände vom Lenkrad nehmen, wenn er die Verantwortung nicht ebenfalls abgeben kann? Unklar ist auch, was eigentlich in der Übernahmezeit vom automatisierten Fahren zum manuellen Fahren passiert . Was muss das Auto eigentlich tun, wenn der Fahrzeugführer die Kontrolle doch nicht schnell wieder übernehmen kann? Muss der Computer den Warnblinker anschalten und sofort nach rechts fahren und anhalten? Das wird überhaupt nicht geregelt . Die Hersteller tragen die Verantwortung für das Funktionieren der technischen Systeme . Der Gesetzentwurf aber lädt die Gefährdungshaftung bei den Autofahrern ab . Das ist nicht akzeptabel . ({1}) Wenn die technischen Systeme das Fahrzeug führen, muss auch die Haftung auf die Hersteller übergehen . Auch die Bestimmungen zum Datenschutz sind indiskutabel . Die Fahrzeuge werden zur Datenkrake, wenn die Fahrdaten bis zu drei Jahre lang gespeichert werden . Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert das zu Recht als Vorratsdatenspeicherung von Fahrdaten . Wie werden Daten geschützt, um Manipulation und Missbrauch zu verhindern? Keine Antworten dazu im Gesetzentwurf . Mit diesem Gesetz werden Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht vom hoch- und vollautomatisierten Fahren überzeugen . ({2}) Wer sich teure Autopiloten als Ausstattung kauft, will Rechtssicherheit haben und wirklich beim Fahren entlastet werden . Ich stimme den Rednerinnen und Rednern zu, die gesagt haben, dass wir eine breite gesellschaftliche Debatte darüber brauchen, was wir Maschinen überlassen wollen; wir brauchen aber keine gesetzgeberischen Schnellschüsse . Wie ist eigentlich die Arbeit der schon beschriebenen Ethikkommission in den Gesetzentwurf eingeflossen? ({3}) Wie gehen wir mit Dilemmasituationen um? Ich finde dazu nichts im Gesetzentwurf . Herr Dobrindt, so wird es nichts mit dem Leitmarkt für automatisiertes Fahren . Sie verpassen erneut die Chance, die Mobilität der Zukunft zu gestalten . Das ist schade und traurig . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Das Wort hat jetzt Steffen Bilger für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alexander Dobrindt hat in seiner Rede eine erschreckende Zahl genannt: Über 90 Prozent der Autounfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen . Moderne Fahrassistenzsysteme bieten enorme Chancen, das Unfallrisiko zu reduzieren . Studien gehen davon aus, dass bereits die Fahrassistenzsysteme, die heute vielfach im Einsatz sind, die Schadenshäufigkeit bis zu 75 Prozent senken können . Dies lässt erahnen, welche Chancen sich durch hoch- und vollautomatisierte Systeme eröffnen. Die technischen Systeme machen im Gegensatz zum Menschen kaum Fehler, sind nicht erschöpft oder unkonzentriert und verfügen über eine weitaus schnellere Reaktionsfähigkeit . Neben der Verkehrssicherheit bietet das automatisierte Fahren viele weitere Potenziale im Sinne einer effizienteren und nachhaltigeren individuellen Mobilität, beispielsweise durch eine Optimierung des Verkehrsflusses, durch die Reduzierung von Stauereignissen und damit auch von verkehrsbedingten Emissionen . Natürlich sind auch die Vorteile des automatisierten Fahrens für den Einzelnen revolutionär . Die Zeit während des Autofahrens kann für viele sinnvolle Dinge eingesetzt werden . ({0}) Das Auto wird so mehr und mehr zu einem weiteren Ort, an dem gearbeitet oder entspannt werden kann . Hier geht es um Systeme, die in bestimmten Lagen, zum Beispiel auf der Autobahn, zeitweise die Fahrzeugsteuerung übernehmen . Die technische Entwicklung auf diesem Feld schreitet rasant voran . Wir werden schon bald entsprechende Systeme auf dem Markt haben . Daher müssen wir jetzt handeln, um einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Systemen zu gewährleisten . ({1}) Diese Entwicklung wirft für Gesellschaft und Politik drängende Fragen auf . Wann dürfen automatisierte Fahrsysteme eingesetzt werden? Welche Möglichkeiten und Freiheiten eröffnen mir die Systeme als Fahrer? Wer haftet bei einem Unfall? Gehe ich als Fahrer ein Risiko ein, wenn ich solche Systeme benutze? Das alles sind Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren stellen . Ich denke, es ist nur allzu gut nachvollziehbar, dass diese Fragen auch viele verunsichern, und deswegen wird mit Recht von uns eine Antwort erwartet . Ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Systemen bedarf klarer Vorgaben und Regelungen . Gleichwohl kann es aber nicht sein, dass jetzt von einigen Rednern nur mögliche Risiken in den Vordergrund gestellt werden . Wir sollten positiv an diese große Innovation herangehen . Wir sollten die Zukunft gestalten . Das sollte unser Anspruch in Deutschland sein, gerade als Autoland Deutschland . ({2}) Zukünftig wird es für den Fahrer bei Aktivierung eines hoch- oder vollautomatisierten Systems möglich sein, sich vom Verkehrsgeschehen abzuwenden, beispielsweise im Internet zu surfen oder E-Mails zu beantworten, aber er wird natürlich auch in die Verantwortung genommen, die Fahrzeugkontrolle auf Aufforderung des Systems oder bei Unregelmäßigkeiten wieder zu übernehmen und die Systeme ausschließlich bestimmungsgemäß und für den zugedachten Zweck einzusetzen . Das schafft Klarheit für alle Beteiligten. Bewusst sind einige Punkte im Gesetzentwurf nicht im Detail geregelt . Bewusst haben wir auch eine baldige Evaluierung vorgesehen . Das zeigt, dass wir noch nicht genau wissen, wie die Zukunft aussehen wird, dass wir die Herausforderung aber annehmen und einen geeigneten Rahmen schaffen. Stephan Kühn ({3}) Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt für die Zukunft des Automobils . Wenn wir mit den Regelungen Mensch und Computer rechtlich teilweise gleichstellen, setzt dies aus Beweisgründen zwingend voraus, dass die Systeme in einer Art Blackbox aufzeichnen, wann das Fahrzeug vom Fahrzeugführer gesteuert wurde und wann das System die Kontrolle innehatte . Um Unfall- oder Schadensereignisse und damit verbundene Haftungsfragen zu klären, ist eine Übermittlung der Daten an entsprechende Behörden oder beteiligte Dritte unabdingbar . Eine solche Datenübermittlung ist aber auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken . Meines Erachtens trägt der vorgelegte Gesetzentwurf dieser Anforderung Rechnung . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzentwurf haben wir die Möglichkeit, Deutschland zum Vorreiter beim automatisierten Fahren zu machen und die dafür notwendigen Grundlagen weltweit erstmalig verkehrsrechtlich zu verankern . Das automatisierte Fahren wird das Reisen im Automobil sicherer, nachhaltiger, bequemer und attraktiver machen . Lassen Sie uns diese große Chance nutzen . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Jetzt hat als nächster Redner Andreas Rimkus von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Andreas Rimkus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004387, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, wir beraten in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der besonders ist . Es ist ein besonderer Gesetzentwurf, weil wir etwas regeln wollen, was es in dieser technischen Reife auf unseren Straßen noch gar nicht gibt . Für mich jedenfalls ist es ein besonderer Gesetzentwurf, der erste seiner Art. Umso spannender sind natürlich auch die Diskussionen, die in Fachforen geführt werden, und die Artikel, die wir lesen können . Aber eines ist auch klar: Die automatisierten Assistenzsysteme gibt es schon heute; sie sind Realität . Sie sind schon heute wichtiger Bestandteil moderner Fahrzeuge . Es gibt Systeme, die uns dabei helfen, einzuparken, die Geschwindigkeit zu regulieren, oder die sogar schon einen Teil der Fahrzeit alleine übernehmen . Denken wir an Distanzkontrollen mit Querführung; es ist alles schon da . Innovative Unternehmen werden also immer mehr solcher Produkte und Systeme auf den Markt bringen, die uns das Leben auf der Straße erleichtern . Im Übrigen, lieber Udo Schiefner, gilt das auch für die Logistik, und zwar, wie ich finde, ganz besonders; denn auch da können wir sehr vieles machen . Dies ruft - ich finde, zu Recht - die Politik auf den Plan; denn wir wollen gestalten. Das finde ich vollkommen in Ordnung; denn es ist unsere Aufgabe, neue Technologien in rechtssichere Bereiche zu führen und für die Hersteller, aber vor allen Dingen für die Verkehrsteilnehmenden Sicherheit herzustellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Grundsatz geht es darum, den Prozess zu hoch- und vollautomatisierten Verkehrsflüssen zu begleiten, auch wenn dieser Prozess natürlich noch viele Fragen aufwirft . Es ist wichtig, diesen Weg proaktiv zu beschreiten, damit wir das höchstmögliche Maß an Klarheit schaffen; denn wenn es konkret wird und Unfälle passieren, können wir es nicht allein den Betroffenen überlassen, Fragen der Haftung, der Datennutzung und am Ende auch Schuldfragen zu klären . Daher brauchen wir ein deutliches Bekenntnis zur Technologie, aber vor allen Dingen einen klaren Rahmen für ihre Nutzung . ({0}) Es ist deswegen wichtig, schon bei der Zulassung der Fahrzeuge darauf zu achten, dass möglichst klar dokumentiert ist, was die Fahrzeuge können, aber auch, was sie noch nicht können . So lassen sich bereits heute technische Barrieren einbauen, die eine missbräuchliche, nicht bestimmungsgemäße Verwendung der Technologie erschweren bzw . verhindern . Hier sollten wir bereits im Gesetz klare Vorgaben zu technischen Standards machen, um den sicheren Gebrauch zu gewährleisten . Mit dem vorliegenden Entwurf bleibt der Fahrer oder die Fahrerin zu jedem Zeitpunkt Fahrzeugführer bzw . Fahrzeugführerin. Wird jedoch ein Unfall durch ein hochautomatisiertes System verschuldet, ist zu klären, inwieweit fahrende Personen haftbar gemacht werden können . Kann es sein, dass ein fehlerhaftes System den Fahrer oder die Fahrerin schuldbar macht? Sollte es sein, dass ich haftbar gemacht werde, wenn ich zum Beispiel die berühmte E-Mail lese und das Fahrzeug einen Unfall baut, obwohl es mir suggeriert, es könnte selbstständig fahren? Hier gilt es, die Nutzenden solcher Systeme zu schützen . Ich denke, dass wir dazu in der Anhörung noch sachdienliche Hinweise bekommen werden . Unfallhergänge nachzuvollziehen, funktioniert allerdings nur dann, wenn Daten erfasst werden können; das ist doch vollkommen klar . Dies zu regeln, ist übrigens auch eine zentrale Aufgabe unseres Gesetzes . Hier muss geklärt werden, wer warum wann was wie lange speichern kann oder gar muss, an wen Daten versandt werden und wie dies organisiert wird . Auch hier hat der Bundesrat ja Hinweise gegeben, die wir uns genauer ansehen sollten . Daten sind ein wichtiger Bestandteil der Technologie . Doch ihre Erfassung, Nutzung und Weiterverarbeitung müssen klar geregelt werden . Wir werden sie brauchen, wenn wir innovativ sein wollen . Aber das kann nicht auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher gehen . Hier brauchen wir einen Ausgleich, der Raum für Innovationen schafft, herausarbeitet, welche Verantwortung wir haben, ohne dabei Bürgerrechte und Freiheiten zu gefährden . Deswegen ist es gut, dass das Gesetz eine Evaluation nach 2019 vorsieht, allerdings nur für den definitorischen Teil und das Nutzungsverhalten . Wir plädieren aber, weil es unbekanntes Territorium ist, dafür, eine Gesamtevaluation ins Auge zu fassen . ({1}) Wir haben mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen „Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen“ im letzten Jahr beschlossen, dass wir das Zusammenspiel von Automatisierung und Vernetzung auf der Straße und so auch die Vorteile des automatisierten Fahrens voll ausschöpfen wollen . Dazu gehört auch die Straße des 21 . Jahrhunderts . Diese braucht normierte Technologien . Neben klaren Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit bei der Übertragung bedarf es natürlich auch der digitalen Infrastruktur, die die Vernetzung physisch ermöglicht, sowie der begleitenden Forschung und Entwicklung . Wenn wir also die Fahrzeugseite abschließend beraten haben werden, freue ich mich auf die weiterführende Arbeit auf der Infrastrukturseite . Ich danke fürs Zuhören . ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Der letzte Redner in dieser Runde ist der Kollege Thomas Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich noch erinnern: Wenn man als Schüler im Schullandheim war und die Lehrer etwas nicht durchgehen lassen wollten, war das letzte Argument, das in Deutschland immer funktioniert: Das ist nicht versichert . - Genau das ist eines der Probleme, die wir hier haben . Deshalb bin ich froh, dass wir das heute lösen - trotz einer Reihe von Wortbeiträgen, die mich im Hinblick auf die Fortschrittstauglichkeit des Bundestages doch sehr skeptisch stimmen . Wir nehmen beim hochautomatisierten Fahrzeug das entscheidende Argument weg, indem wir festlegen: Es ist künftig versichert . Mich persönlich ärgert es sehr, dass wir in den Medien ständig sehen, dass das Google-Auto in Kalifornien herumfährt und was es nicht alles für tolle Innovationen gibt, dass das bei uns aber nicht abgebildet ist . Deshalb bin ich dankbar, dass wir das Testfeld auf der A 9 haben - so haben wir selber ein Schaufenster für Innovationen - und dass wir nun selbst dabei sind, wenn auch mit hartem Ringen, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, sodass wir nicht das 78 . Land auf der Welt sein werden, in dem hochautomatisierte Autos fahren können, sondern hier vorn sein werden . Ich hoffe ernsthaft, dass alle diejenigen, die hier vorhin so viele Bedenken genannt haben und Risiken artikuliert haben, ({0}) noch die Kurve zur Innovation kriegen; denn mit dieser Einstellung würden wir heute alle noch mit dem Fahrrad fahren . Ich fahre übrigens gern mit dem Fahrrad, aber selbst gewählt . Vor über 100 Jahren waren wir die Nation, die wirklich absolut euphorisch war, wenn es um neue Technologien ging, die Nation, in der das Auto und andere Dinge erfunden worden sind . Manchmal frage ich mich: Wo ist der Geist von damals geblieben? ({1}) - Nein . - Kollege Bartol hat dazu auch schöne Beispiele genannt . Eines davon ist diese Frage der Ethik: Wie soll sich das Auto entscheiden? Da steht links die junge Mutter und rechts die alte Dame . Was ist die ethisch richtige Entscheidung, wenn das Auto nicht mehr anders kann, als jemanden umzufahren? Reden Sie mal mit Leuten, die Ahnung von Technik haben! Bis ein Fahrzeug in der Lage sein wird, überhaupt eine alte von einer mittelalten oder einer jungen Frau zu unterscheiden, ({2}) wird eine verdammt lange Zeit vergehen . Wir diskutieren Probleme, die es gar nicht gibt, weil ein Fahrzeug gar nicht in der Lage sein wird, solche Unterscheidungen vorzunehmen . ({3}) - Genau . Es ist ein Prozess, Kollege Bartol . Die Frage ist, ob wir heute eine Liste von 143 Problemen und Risiken machen, ({4}) die eigentlich gar nicht lösbar sind - wir wissen, dass es gar keine Technik dafür gibt -, oder ob wir uns jetzt endlich darauf konzentrieren, etwas zu machen . Ich bin für das Machen . Ich glaube, dass wir vor allem das Thema Daten anders beleuchten müssen, als der Kollege Kühn das gerade beschrieben hat . Die Frage ist doch: Was wird am Ende, in 10 oder in 15 Jahren, bei dem selbstfahrenden Auto das entscheidende Kriterium sein? Bei mir in Düsseldorf ({5}) werden viele Leute so ein Fahrzeug gar nicht mehr selbst kaufen . Sie werden es im Rahmen von Carsharing nutzen, weil es auf Knopfdruck zu ihnen fährt und sie am Ende auch abliefert . Man braucht gar keinen Parkplatz mehr zu suchen . Das ist doch super . Die Frage wird vielleicht sein: Muss ich das Auto mit der App rufen - dann kommt es irgendwann -, oder weiß Google so viel über mich, dass das Google-Auto schon vor der Tür steht, wenn ich losfahren will, was ein unglaublicher Wettbewerbsvorteil wäre? Das beschreibt exakt die Situation, die wir beim Datenschutz schon seit langer Zeit haben . Wer in Deutschland eine Firma oder ein Start-up gründet oder seinen mittelständischen Betrieb digitalisieren will, der muss sich an unvorstellbare Vorschriften des Datenschutzes halten, während bei Google und Facebook einfach alles geht, ohne dass am Ende ernsthafte Sanktionen und Restriktionen folgen . Man hört immer wieder neue Beispiele, die einem die Haare zu Berge stehen lassen . Deshalb müssen wir für Chancengleichheit sorgen und endlich einmal aufhören, das Thema Daten nur aus der Risikoperspektive zu betrachten . ({6}) Wir werden mit der Automobilindustrie nur erfolgreich sein, wenn wir auch bei der Datenverarbeitung die Besten weltweit werden, und daran müssen wir arbeiten . Vielen Dank . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Ich schließe damit die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11300 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 54 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen Drucksache 18/11274 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Damit ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das Wort der Bundesministerin Frau Dr . Barbara Hendricks . ({1})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat Ihnen den Entwurf für ein neues Verpackungsgesetz vorgelegt . Dieser Entwurf ist ein ehrlicher Kompromiss, um den alle, die daran beteiligt waren, sehr intensiv und sehr lange gerungen haben - bis jetzt, schon vor der ersten Lesung, um die es ja heute geht . Bereits die vorherige Bundesregierung hatte sich vorgenommen, die Verpackungsverordnung weiterzuentwickeln. Allerdings war das ein vergebliches Unterfangen. Wir haben das Vorhaben erneut aufgegriffen; denn es ist zweifellos überfällig . Es kann uns nicht unberührt lassen, wenn wir die Berichte über den Plastikmüll in unseren Gewässern hören, ein Problem, das sich weltweit bis in die Arktis und in die Tiefsee immer weiter vergrößert, auch wenn wir nicht die Hauptverursacher sind; das will ich hier gerne einräumen. Unsere gemeinsame Verantwortung ist es aber, dass weniger Verpackungsmüll aus Plastik entsteht, dass die unvermeidbaren Verpackungen ökologischer gestaltet werden und dass die anfallende Menge zu einem möglichst hohen Prozentsatz hochwertig verwertet wird . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anforderungen an die Verwertung von Verpackungsabfällen sind knapp 20 Jahre alt . Der Stand der Technik hat sich in dieser Zeit enorm weiterentwickelt . Wir könnten das alles heute sehr viel besser . Es geht also darum, mit dem Verpackungsgesetz die Anforderungen deutlich zu erhöhen, das heißt, die Effizienz der Wertstofferfassung zu verbessern und gleichzeitig für einen fairen Wettbewerb der Marktteilnehmer zu sorgen . Sie alle wissen, dass wir zunächst die Idee einer großen Lösung, eines umfassenden Wertstoffgesetzes verfolgt haben . Hierzu war aber auch nach einem längeren Dialog mit den Ländern und Kommunen kein Konsens zu erreichen . Vor einiger Zeit hat mich ein Kollege, der Umweltminister in einem Land und Mitglied der Grünen ist, gefragt: Warum specken Sie das ab? Wir hatten doch vor sieben Jahren fast schon einmal eine Verständigung . - Da habe ich gesagt: Genau das ist der Punkt. Das war vor sieben Jahren, und es war „fast“. Jetzt wollen wir wirklich eine Verständigung . ({1}) Deshalb habe ich also dieses Verpackungsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem die dringendsten Reformen in Angriff genommen werden und die wesentlichen Ziele ebenfalls erreicht werden können . Im Vordergrund stehen die neuen Recyclingquoten . Diese werden in zwei Stufen je nach Sektor, also je nach Müllfraktion, um es einmal so zu sagen, auf bis zu 90 Prozent steigen . Vor allem bei den Kunststoffen werden sie für einen qualitativen und quantitativen Sprung sorgen, weil sich die bisherige Recyclingquote von bisher eher bescheidenen 36 Prozent auf dann 63 Prozent erhöhen wird . Wir setzen aber auch am anderen Ende an, bei der Herstellung. Die dualen Systeme werden verpflichtet, die Recyclingfähigkeit von Verpackungen bei der Bemessung der Lizenzentgelte zu berücksichtigen . Vereinfacht gesagt: Was schwieriger zu recyceln ist, wird teurer, und zwar für den, der es in Verkehr bringt. Das schafft neue Anreize für ökologischere Verpackungen . Insgesamt wird das neue Gesetz dafür sorgen, dass wesentlich mehr Verpackungsabfälle hochwertig verwertet werden . Wir stärken damit unsere Position als Vorreiter . Ich bin davon überzeugt, dass sich dies nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch für die deutsche Wirtschaft auszahlt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Organisation der Einsammlung der Verpackungsabfälle bei den Haushalten setzen wir weiterhin auf die dualen Systeme, also auf die Beteiligung von beiden Seiten . Ich weiß, dass es jede der beiden Seiten lieber jeweils alleine gemacht hätte . Aber auf diese Weise ist kein Kompromiss zu erzielen . Deswegen wollen und müssen wir es weiter mit beiden Seiten machen. Allerdings werden die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger deutlich mehr Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten erhalten als bisher . Die Kommunen können in Abstimmung mit den dualen Systemen frei entscheiden, ob sie die sogenannten stoffgleichen Nichtverpackungen gemeinsam mit den dualen Systemen in einer Wertstofftonne erfassen wollen, also etwa den berühmten alten Kochtopf gemeinsam mit der Verpackung seines Nachfolgers in der Wertstofftonne unterbringen . Das Verpackungsgesetz legt damit die Grundlage für eine Ausweitung der bereits in vielen Gebieten erfolgreich eingeführten Wertstofftonne. Es wird also nichts zurückgeführt, sondern es wird eine rechtliche Basis dafür geschaffen, dass es noch mehr werden kann, aber nicht muss, und dass vor Ort entschieden werden kann . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen wir die Weichen für eine noch erfolgreichere Verpackungsentsorgung in Deutschland . Ich gestehe Ihnen offen, ich hätte mir an einigen Stellen weiter gehende Regelungen gut vorstellen können, aber der Regierungsentwurf ist der Kompromiss zwischen den privatwirtschaftlichen Interessen der Produktverantwortlichen auf der einen Seite und den Steuerungs- und Gestaltungswünschen der Kommunen auf der anderen Seite . Das Entscheidende deshalb: Wir bleiben nicht streitend stehen, sondern wir kommen ein paar wichtige Schritte voran . Bevor ich Sie noch einmal um Unterstützung für den Gesetzentwurf im Gesetzgebungsverfahren bitte, will ich Ihnen sagen, dass Kollege Pronold eben auf der Regierungsbank gesagt hat: Wenn wir das verabschieden, dann gehe ich wirklich wallfahren nach Altötting . - Ich habe gesagt: Oder ich lade Sie nach Kevelaer ein . - Aber die Bitte um Unterstützung richtet sich nicht nur an Katholiken, sondern an alle . Herzlichen Dank . ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Frau Ministerin . - Als Nächster hat Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Abfallwirtschaft muss schon aus Hygienegründen funktionieren . Das ist klassische kommunale Daseinsvorsorge . Die Linke lehnt jede Privatisierung der Daseinsvorsorge ab . ({0}) Es nervt wirklich, dass ich die gleiche Rede halten könnte wie vor drei, zwei oder einem Jahr . ({1}) Seit es das Verpackungsgesetz gibt, stiegen die Mengen an Verpackungen Jahr für Jahr . Vermeidung ist der beste Umweltschutz, und das leistet dieses Gesetz nie. ({2}) Sie von der Koalition schwören auf Produktverantwortung . Welche Produktverantwortung übernehmen denn Hersteller von Verpackungen, wenn sie stets die billigste Entsorgung wählen, wenn nicht Verpackungsvermeidung, sondern Umsatzsteigerung das Unternehmensziel ist? Welche Produktverantwortung gibt es beim Handel, der mithilfe der Dualen Systeme große Kostenbestandteile der Entsorgung des verkauften Verpackungsmülls den Kommunen und damit den Müllgebührenzahlern aufhalst? Gleichzeitig lässt sich dieser Handel von Kundinnen und Kunden die komplette Entsorgung bezahlen . Ob die Koalition dieses geplante Schröpfen von Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern als Wertstofftonne oder als Verpackungsgesetz bezeichnet, ist egal . Es ist eine Privatisierung der Abfallwirtschaft und kein Umweltschutz. ({3}) Dieser Gesetzentwurf entspricht Ihrem Mantra „Privat geht vor Staat“, „Konzernwohl vor Gemeinwohl“. Aber irgendwann müssen Sie von der Koalition endlich einmal Marktwirtschaft begreifen . In der Marktwirtschaft streben Firmen immer nach Gewinn. Kein privates Unternehmen kann ohne Gewinne überleben . Das gilt auch in der Abfallwirtschaft oder bei der Verpackungsentsorgung der Dualen Systeme . Wenn Rewe und Edeka mit einer zweistelligen Millionenspritze die erst betrügerischen und dann konkursbedrohten Dualen Systeme retten, dann machen sie das natürlich nur als Samariter . Wenn Rewe, Procter & Gamble, Edeka und andere die Zentrale Wertstoffstelle Projektgesellschaft über Jahre bezahlen und die Aufsicht über die Stelle führen, die sie später kontrollieren sollen, dann machen sie das natürlich nur aus Idealismus . Wenn diese Projektgesellschaft dann erklärt, eine privatwirtschaftliche Lösung für die Verpackungsentsorgung sei das Beste, dann macht sie das natürlich nur für die Umwelt. Und wenn das Bundeskartellamt dann erklärt, diese private Lösung lade zu Missbrauch ein, dann ist diese Warnung für Sie natürlich nur die Meinung von neidischen Beamten . Begreifen Sie den Widerspruch eigentlich, oder muss ich Sie erst an den Veolia-Müllskandal in Sachsen-Anhalt erinnern, wo Hausmüll unter Bauschutt gemischt wurden, oder an die illegalen Exporte gelber Säcke nach Tschechien oder die Elektrogeräteexporte nach Ghana, alles privat organisiert? Sie wollen mit diesem Gesetz ernsthaft Organisation und Überwachung der Verpackungsentsorgung unter die Kontrolle einer Stiftung stellen, die von den Firmen bezahlt und beaufsichtigt wird, die für die Entsorgung zahlen sollen . Noch mal Marktwirtschaftsschule für die Koalition: Kostensenkung bei der Entsorgung steigert auch die privaten Gewinne und damit die Boni der Manager . Das ist der Markt . Wer da an Selbstkontrolle glaubt, hat Marktwirtschaft nicht begriffen. ({4}) Es geht um Gewinnsteigerungen privater Konzerne zulasten der Umwelt und der Kommunen. Den Kommunen drückt dieser Entwurf Pflichten auf, und er beschränkt ihre Entscheidungskompetenz . Ich höre schon Ihre Einwände: Die Kommunen dürfen ja im Beirat mitreden . - Mitreden ja, aber eben nicht mitbestimmen! Klar können die Kommunen Auflagen zur Art und Weise der Verpackungssammlung machen; aber die Auflagen können gekippt werden, sobald sie Geld der Konzerne kosten . Als Krönung gibt diese Koalition noch die Zugriffsrechte auf Altpapier und Altglas an die privaten Entsorgungssysteme . Damit stehlen Sie von der Koalition den kommunalen Unternehmen die Einnahmen aus deren Verkauf . Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition greift in Ihre Tasche . Sie müssen dann etwa 10 Euro pro Jahr und Person mehr zahlen . Denn um diese Summe steigen dann die Müllgebühren, weil die Einnahmen aus Altpapier und Altglas fehlen . Wir Linken lehnen diese Privatisierung, den Griff in unsere Taschen ab. ({5}) Liebe Koalitionäre, noch können wir in den Beratungen diese Privatisierung verhindern . Wenn Sie es mit der Umwelt ernst meinen, wenn Sie ein gutes Verpackungsgesetz verabschieden wollen, Frau Ministerin Hendricks, dann arbeiten Sie mit den Kommunen zusammen und nicht gegen diese . ({6}) Davor entsorgen wir diesen Gesetzentwurf - in der blauen, kommunalen Tonne natürlich . Vielen Dank . ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr . Thomas Gebhart von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute das Verpackungsgesetz, das die bestehende Verpackungsverordnung ablösen und weiterentwickeln wird . Was ist eigentlich das Ziel dieses Verpackungsgesetzes? Das Ziel besteht darin, dass Verpackungsabfälle vermieden werden, dass sie möglichst erst gar nicht entstehen und dass die Abfälle, wenn sie entstehen, hinterher stofflich verwertet werden, dass sie recycelt werden. Und warum ist das so wichtig? Es ist deswegen so wichtig, weil wir nach wie vor weltweit steigende Ressourcenverbräuche haben . Deutschland ist abhängig von Rohstoffimporten. Deswegen muss es unser Ziel sein, die Stoffkreisläufe zu schließen, eine echte Kreislaufwirtschaft hinzubekommen, Ressourcenverbräuche zu reduzieren . Es geht also um Ressourcenschonung, um Umweltschutz. Es geht aber auch um wirtschaftliche Ziele . Wir reden hier über einen großen Markt mit vielen Unternehmen - kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen; viele Tausend Arbeitsplätze sind davon abhängig . Es ist ein wachsender Markt, und viele Unternehmen in Deutschland sind in diesem Bereich Vorreiter . Sie haben Technologien entwickelt, die weltweit als führend gelten . Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem Verpackungsgesetz einen klugen Rahmen geben, um diese Vorreiterrolle zu stärken und fortzuentwickeln . Darum geht es bei diesem Verpackungsgesetz . ({0}) Was ist der Kerngedanke dieses Gesetzes? Es ist in der Tat die Produktverantwortung . Was heißt das eigentlich? Anfang der 90er-Jahre hatten wir in Deutschland Müllnotstand, wir hatten Müllberge . Dann hatte Klaus Töpfer damals die geniale Idee der Produktverantwortung . Er hat gesagt, alle, die in Deutschland Verpackungen an den Markt brächten, seien dafür verantwortlich, diese hinterher zurückzunehmen und nach bestimmten Quoten zu recyceln. Unternehmen übernehmen also Verantwortung, auch für die Entsorgung ihrer Verpackungen . Damit werden die Kosten für die Entsorgung der Verpackung Teil des Verkaufspreises des Produkts . Das ist die Idee . Somit werden die Entsorgungskosten zu einem Teil des Wettbewerbs, und daraus entstehen die notwendigen Anreize für Unternehmen, für Hersteller, für Inverkehrbringer, Verpackungen einzusparen . Das ist ein marktwirtschaftliches Prinzip, um Umweltschutz zu erreichen . Es hat damals gewirkt - die Müllberge sind zurückgegangen -, und es ist auch heute noch das richtige Prinzip . Deswegen halten wir daran fest . Mit dem Verpackungsgesetz stärken wir genau dieses Prinzip . ({1}) Ich will drei konkrete Punkte nennen . Erstens . Wir sorgen dafür, dass künftig mehr Verpackungen in Deutschland recycelt werden müssen . Die Quoten werden angehoben: beim Glas auf 80 Prozent, später auf 90 Prozent, beim Papier auf 85 Prozent, später auf 90 Prozent, beim Kunststoff auf knapp unter 60 Prozent, später auf knapp über 60 Prozent . Das ist zwar anspruchsvoll, aber technisch machbar . Ich denke, die Bürger erwarten das, und zwar zu Recht . Die Menschen in Deutschland trennen ihren Müll sehr sorgfältig . Wir erreichen mit diesem Gesetz, dass künftig mehr von dem, was im gelben Sack landet, hinterher tatsächlich stofflich recycelt wird und weniger in der Müllverbrennungsanlage landet . Diese Entwicklung geht genau in die richtige Richtung . ({2}) Ein zweiter Punkt . Es gibt im bestehenden System durchaus einige Schwächen: Schlupflöcher und Organisationsprobleme. Deswegen schaffen wir jetzt eine schlanke zentrale Stelle, die dafür sorgen soll, dass es faire Wettbewerbsbedingungen gibt, die dafür sorgen soll, dass der Wettbewerb gestärkt und nicht geschwächt wird . Ein dritter Punkt . Wir halten an einer wettbewerblich organisierten Lösung fest und stärken gleichzeitig die kommunalen Mitwirkungsmöglichkeiten . Die Rolle der Kommunen wird gestärkt. Unter bestimmten Bedingungen können die Kommunen künftig durch Rahmenvorgaben vorschreiben, wie die Sammlung der Kunststoffe, der Metalle und der Verbundverpackungen zu erfolgen hat, ob zum Beispiel in einem gelben Sack oder in einer Tonne . Sie können Vorgaben zu den Abholrhythmen und über die Größe der Tonnen machen . An dieser Stelle stärken wir deutlich die Rolle der Kommunen; das ist das Gegenteil von dem, was Herr Lenkert gesagt hat . ({3}) Meine Damen und Herren, bei einem solchen Gesetz gehen die Interessen zweifelsohne auseinander . Die einen wollen höhere Quoten, die anderen wollen niedrigere Quoten. Verschiedene Gruppen wollen Zugriff auf die Stoffströme haben. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen bei der Pfandregelung . Dazu will ich nur Folgendes sagen: Eine Pfandpflicht bei Weinflaschen und Sektflaschen, so wie es die Mehrheit im Bundesrat fordert, wird es mit uns nicht geben . Das machen wir nicht mit, weil es keinen Sinn macht . ({4}) Die Interessen bei diesem Gesetz gehen auseinander . Es ist völlig klar: Es wird keine Lösung geben, die dazu führt, dass hinterher alle zu hundert Prozent zufrieden sind . Wir könnten noch drei, vier oder fünf Jahre weiter diskutieren: Eine solche Lösung wird es nicht geben . Das Entscheidende ist, dass der Gesetzentwurf unterm Strich eine vernünftige Balance bietet . Unterm Strich ist dieser Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die parlamentarischen Beratungen, die jetzt folgen werden . ({5}) Wir werden uns alle Argumente nochmals gründlich ansehen . Es wird eine Anhörung der Sachverständigen geben . Wir werden alles gründlich abwägen, und dann selbstverständlich über den einen oder anderen Punkt sprechen, zum Beispiel über die Mehrwegquote; das ist ein Anliegen der mittelständischen Getränkewirtschaft . Unterm Strich ist das Verpackungsgesetz ein Fortschritt, und es ist an der Zeit, dass wir es jetzt endlich, nach Jahren, auf den Weg bringen . ({6}) Zur Wahrheit und zur Offenheit gehört allerdings auch dies: So wichtig dieses Verpackungsgesetz ist und so sinnvoll es ist, dass wir dieses Verpackungsgesetz jetzt unter Dach und Fach bekommen, so wahr ist es auch, dass das eigentliche Ziel ein Wertstoffgesetz ist und bleibt . Meine Damen und Herren, es muss doch das Ziel sein, dass Verpackungen und andere Abfälle, die aus den gleichen Materialien wie diese Verpackungen bestehen, gemeinsam erfasst werden, dass diese Stoffe gemeinsam gesammelt und gemeinsam recycelt werden, also nicht: der Joghurtbecher auf der einen Seite, die Quietscheente und die Kunststoffschüssel auf der anderen Seite; der Kleiderbügel, der mit dem Kleidungsstück verkauft wird, auf der einen Seite und der Kleiderbügel, der ohne Kleidungsstück verkauft wird, auf der anderen Seite . Heute ist es so: Der eine Kleiderbügel gehört nach der Rechtslage in den gelben Sack und wird recycelt, und der andere Kleiderbügel gehört in die Restmülltonne und wird verbrannt . Sinn macht dies nicht . Deswegen ist und bleibt es richtig: Wir brauchen ein Wertstoffgesetz. Wir haben aus dem Parlament hierzu Vorschläge gemacht . Leider ist es zu diesem Gesetz nicht gekommen . Ich sage aber auch ganz deutlich: An der Union ist dieses Wertstoffgesetz nicht gescheitert. Ich werbe ausdrücklich dafür, dass wir in der nächsten Legislaturperiode Mehrheiten für ein dringend notwendiges Wertstoffgesetz finden. Herzlichen Dank . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Peter Meiwald für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was für ein Kontrast? Heute am frühen Morgen trafen sich auf Einladung meines CDU-Kollegen Dr. Weiler und mir etwa 30 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Unternehmen und Initiativen, von McDonald’s, aus dem Bäckerhandwerk, Tankstellenbetreiber von BP, vom Porzellanhersteller Kahla, von der Deutschen Umwelthilfe bis zur Initiative „Coffee To Go Again“, um gemeinsam gegen die Verpackungsflut im Coffee-to-go-Bereich anzuarbeiten und für ein Mehrwegsystem auch in diesem Segment zu arbeiten . Die gemeinsame Botschaft lautete, und zwar wirklich quer durch die Wirtschaft und die Umweltverbände: Yes, we have to, and yes, we can! Wir müssen den Müll vermeiden! Und dann das hier, ein an Mutlosigkeit kaum zu überbietendes Verpackungsgesetzchen, das keinerlei Anreize zur Müllvermeidung setzen wird, obwohl wir heute schon Verpackungseuropameister sind, und das insgesamt und pro Kopf . Vermeidung steht in der Abfallhierarchie vor Recycling . Leider, Frau Ministerin, haben Sie gar nichts dazu gesagt, was dieses Gesetz zur Abfallvermeidung beitragen kann . ({0}) Zusätzlich streichen Sie auch noch die Mehrwegquote komplett aus dem Gesetz, anstatt deren Verfehlung, die wir seit Jahren beklagen, endlich mit Sanktionen zu bedrohen . Das ist der völlig falsche Weg . Mehrwegsysteme sind bekanntlich ein wichtiges Instrument zur Müllvermeidung, und das ist das oberste Ziel der europäischen Abfallhierarchie . Der Anteil der Mehrwegverpackungen bei den Getränken sinkt seit Jahren . Die Reaktion darauf ist nur: Wir streichen den Anspruch . Wir geben den Anspruch auf, statt zu überlegen, wie wir politisch darauf hinwirken können, dass dieses Ziel endlich erreicht wird . ({1}) Das verstößt klar gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz, letztlich auch gegen das SDG 12, gegen das zwölfte Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, bei dem es um nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster geht . Das muss im jetzt anlaufenden parlamentarischen Verfahren dringend korrigiert werden. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, dass Sie uns dabei konstruktiv unterstützen werden . ({2}) Mehrweg ist nicht das einzige Problem dieses fleischgewordenen kleinsten Nenners einer großkoalitionären Müllpolitik: Wir schaffen rechtliche Grundlagen zur Einführung der gemeinsamen haushaltsnahen Wertstofferfassung für Verpackungen und andere Wertstoffe. Sie erinnern sich? Seite 83, Koalitionsvertrag. Vielleicht schon mal gehört . Sie sagten auch: Im Sommer werden wir ein Wertstoffgesetz vorlegen. - Gemeint war der Sommer 2014 . Sie sagten - auch das im Jahr 2014 -: Nach der 7 . Novelle der Verpackungsverordnung werden wir unverzüglich ein umfassendes Wertstoffgesetz vorlegen . - Dies war seinerzeit das Versprechen der Bundesregierung, das den Bundesrat überhaupt nur dazu gebracht hat, der 7 . Novelle, die das wirtschaftliche Überleben der kollabierenden Dualen Systeme noch einmal gesichert hat, zuzustimmen . Alles das ist Jahre her und schon jahrelang bekannt . Drei Jahre später legen Sie nun nach diversen Rohrkrepierern, die selbst die Entsorgungswirtschaft simultan zu uns Grünen „ein Gesetz für die Tonne“ genannt hatte, eine Verpackungsverordnung 8 .0 vor - getarnt als Verpackungsgesetz, das den wesentlichen Anforderungen der modernen Kreislaufwirtschaft leider überhaupt nicht gerecht wird . Dabei haben doch alle Beteiligten in den letzten Jahren so viele gute, konkrete Vorschläge gemacht: die Umweltverbände, die Unternehmen, eine Initiative aus kommunalen Unternehmen und privaten Unternehmen, die sich GemIni nannte, der Bundesrat und nicht zuletzt wir als Grünenfraktion, die wir schon 2015 einen Antrag eingebracht haben . Alle diese Vorschläge lagen auf dem Präsentierteller vor Ihrer Nase. Und Sie sagen jetzt: Wir sind es eigentlich nicht gewesen . - Keiner ist es gewesen, dass es jetzt kein Verpackungsgesetz gibt . Das ist schwer zu verstehen und schwer zu vermitteln . ({3}) Sie haben es vergeigt . Weil es innerhalb Ihrer ach so großen Koalition leider nur eine minimale Einigkeit gab, bleibt Folgendes: Erstens. Die sogenannten stoffgleichen Nichtverpackungen, also die Produkte, die aus dem gleichen Material wie Verpackungen, aber eben keine Verpackungen sind - die Bratpfanne, das Bobbycar, das Plastikspielzeug -, bleiben weiterhin von hochwertigem Recycling ausgenommen . Dabei handelt es sich aber um die gleichen Wertstoffe. 450 000 Tonnen wertvoller Rohstoffe werden weiterhin verbrannt werden . Darauf ist schon hingewiesen worden . Zweitens . Die Abfallsammlungen vor Ort bleiben für die Menschen weiterhin unübersichtliche Flickenteppiche, anstatt dass Sie die Aufgabe der Daseinsvorsorge, nämlich auch die Organisation der Müll- und Wertstoffabfuhr, endlich in eine Hand, nämlich die kommunale, legen . Statt klarer Zuständigkeiten und mehr Transparenz gibt es weiter endlose Rechtsstreitigkeiten von Kommunen mit privaten Entsorgern . Das ist falsch . Drittens . Die Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben weiterhin maximal verwirrt, weil die meisten Ausnahmen bei der Einwegpfandregelung bestehen bleiben . Es handelt sich aber um ein Verpackungsgesetz - wenigstens das - und nicht um ein Getränkegesetz . Warum muss man dort regeln, welchen Inhalt eine Flasche hat, also ob darin nun ein Nektar, ein Saft oder ein Erfrischungsgetränk ist? Das ist weder ökologisch zu verstehen, noch ist es den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln . Alles das bleibt trotz einiger kleiner Korrekturen in diesem Gesetz . Und was ist aus Ihrer Umsetzung unserer eigentlich guten Idee einer neu zu schaffenden zentralen Stelle geworden? Da kann man nur den Kopf schütteln. Das Kartellamt hat in seiner Stellungnahme dazu eigentlich schon alles gesagt . Wollen Sie als Ministerium und auch als Regierungskoalition wirklich die zentrale Steuerungsfunktion für die Zukunft aus der staatlichen Hand geben und ausgerechnet in die Hände derer legen, die mit Sortierung, Recycling und Müllvermeidung am wenigsten etwas am Hut haben, nämlich in die Hand einer Stiftung, in der die Inverkehrbringer, der Handel, die absolute Mehrheit haben? Ist das sinnvoll? Bevor dieses Gesetz endgültig verabschiedet wird, Frau Hendricks, sollten Sie sich doch bitte die Kritik der kommunalen Vertreter und der Umweltverbände, aber auch der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaft NGG noch einmal zu Gemüte führen . Vielleicht schaffen wir es im weiteren parlamentarischen Prozess, hier substanziell noch etwas zu korrigieren . Ein Verpackungsgesetz in dieser Form können wir auf jeden Fall nur ablehnen . Vielen Dank . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Thews für die SPD-Fraktion . ({0})

Michael Thews (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Barbara Hendricks hat bereits auf die Probleme hingewiesen, die dieses Gesetz in der Entstehung gehabt hat . Deswegen will ich darauf gar nicht eingehen . Ich möchte aber noch einmal darstellen, warum wir das Ganze überhaupt machen . Wir machen das Ganze, weil wir auch die ökologische Dimension des Ganzen sehen und hier vorankommen wollen - zum Beispiel mit den anspruchsvolleren Recyclingquoten, die in diesem Gesetz jetzt auch wirklich einmal festgeschrieben werden . Eine Steigerung von 36 auf 63 Prozent bei den Kunststoffverpackungen bedeutet schon etwas. Das heißt, dass auch entsprechende Technologie bereitgestellt werden muss und dass die Firmen sich darauf einstellen müssen, dass bei der Sammlung, bei der Sortierung und beim Recycling wirklich Bedingungen geschaffen werden, die dies auch sicherstellen . Das können wir in Deutschland . Wir sind da schon auf einem guten Weg . Aber wir warten auch darauf, dass hier einmal etwas passiert . Viele Jahre sind jetzt ins Land gegangen . Heute sind wir endlich in der Situation, dort auch wirklich voranzukommen . Deswegen werbe ich dafür, dass man das Ganze nicht einfach beiseitelegt, sondern es ernst nimmt und diesen Schritt auch geht . Zu den Quoten wurde gerade teilweise schon etwas gesagt. Für Glas wird die Quote von 70 auf 90 Prozent gesteigert . Für Getränkekartonverpackungen wird jetzt überhaupt erst eine Quote eingeführt. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen - das wurde heute ja auch schon an mehreren Stellen angesprochen -, dass wir das Thema Mehrwegquote noch einmal aufnehmen und ganz ernsthaft darüber nachdenken . Bisher war die Mehrwegquote ein zahnloser Tiger, Herr Meiwald . Bisher hat sie nichts bewirkt . ({0}) Das heißt: Wenn wir eine Mehrwegquote einführen, dann muss sie auch funktionieren . Sie einfach nur in das Gesetz zu schreiben, bringt nichts . Vielmehr müssen wir darüber nachdenken, wie wir eine Mehrwegquote bekommen, die dann auch nachgehalten und damit entsprechend sanktioniert werden kann . ({1}) Wir müssen aber auch bei den Verpackungen darauf achten, dass schon bei der Produktion bzw . bei der Planung einer Verpackung mit berücksichtigt wird, wie Ressourcen eingespart werden können . Damit wären wir bei dem Vermeidungsgedanken bzw . dabei, wie das Recycling wirklich durchgeführt werden kann . Erste Ansätze gibt es in diesem Gesetz. Dies soll jetzt differenziert betrachtet werden . Von den Systemen sollen ökologische Verpackungen gefördert werden . Das ist erst einmal der Einstieg. Uns ist klar, dass das weitergehen muss. Wir wissen, dass es auf europäischer Ebene Initiativen gibt, die Ökodesign-Richtlinie zu verändern, um sehr frühzeitig anzusetzen . Das bewirkt dann auch einen Innovationssprung beim Recycling . Das ist nötig . Den Einstieg könnten wir jetzt mit dem Verpackungsgesetz schaffen. ({2}) Bei diesem Entwurf gibt es aber auch - das darf man nicht verhehlen - noch einige Schwachpunkte . Darauf möchte ich eingehen . Ich habe gestern von vielen Kolleginnen und Kollegen vernommen, dass sie auch Kommunalpolitiker sind, dass sie in ihrer Kommune, im Kreistag und im Rat unterwegs sind. Ich finde das toll, weil man dann ja weiß, was vor Ort passiert . Ich sage: Viele bekommen in den Diskussionen in den Kommunen mit, dass die Bedingungen nicht überall gleich sind . Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ich eine Kommune mit einem Altstadtkern, mit engen Straßen und einer schwierigen Verkehrssituation habe oder ob ich viel Platz und breite Straßen habe . Dementsprechend sind die Abholrhythmen organisiert, und dementsprechend sind die Fahrzeuge oder die Behälter, die dort aufgestellt werden . Das ist nicht in jeder Kommune gleich . Die Kommunalvertreter sagen: Wir wollen das mitgestalten . Das, was wir gestaltet haben, wollen wir dann auch umsetzen . Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass diese Gestaltungsmöglichkeiten - ich spreche hier über § 22 des Verpackungsgesetzes - so genutzt werden können, dass wir in Zukunft eben nicht die Rechtsstreitigkeiten haben, die wir in der Vergangenheit hatten . Dort muss klar formuliert werden . Jetzt liegen Vorschläge vom Bundesrat und von den kommunalen Spitzenverbänden auf dem Tisch . Ich appelliere noch einmal an alle, darüber nachzudenken, ob wir das eine oder andere noch klarstellen können, sodass die Gestaltungsmöglichkeiten, die das Gesetz der Kommune einräumt, zum Beispiel beim Glas, dann auch den Vorstellungen, die es dort gibt, entsprechen und dass den vorhandenen Notwendigkeiten Rechnung getragen wird . Das gilt auch für die Abfallberatung . Abfallberatung ist ein ganz wichtiges Thema . Wir alle in Deutschland haben ja verinnerlicht, Müll zu trennen . Das ist hier eine Art Tradition . Alle haben das in der Vergangenheit gelernt; aber wir müssen dafür sorgen, dass auch die nächste Generation das versteht . Denn gerade die AbPeter Meiwald falltrennung und der vernünftige Umgang mit Abfällen sind für Recycling und für Ressourcenschutz absolut erforderlich . Deswegen ist ganz wichtig: Es muss dabei bleiben, dass die Abfallberatung in den Kommunen stattfindet und dass sie vernünftig finanziert wird. Vielleicht sollten - das sage ich auch mit Blick auf die Dualen Systeme - einmal größere Kampagnen gefahren werden, sodass dieser Bereich nicht vernachlässigt wird und auch die nächste Generation Abfälle trennt . Ich bin überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf Verbesserungen für alle Seiten bringen kann: für die kommunale Seite, für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Privatwirtschaft . Einige entscheidende Verbesserungen fehlen noch, damit wir dem Gesetz zustimmen können . Ich vertraue aber darauf, dass wir das im parlamentarischen Verfahren hinbekommen . ({3}) Lassen Sie uns auf den letzten Metern durchs Ziel fahren, diesmal nicht mit einem Rennwagen, sondern einem Müllfahrzeug . Vielen Dank und ein schönes Wochenende . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr. Anja Weisgerber hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit 13 Jahren betreibe ich auf verschiedenen Ebenen, im Europaparlament und hier im Deutschen Bundestag, Umweltpolitik. Ich muss sagen: Das Wertstoffgesetz bzw. Verpackungsgesetz ist eines der schwierigsten Gesetzgebungsvorhaben für mich in dieser Zeit . Auch wenn wir heute nicht über ein Wertstoffgesetz, sondern über ein Verpackungsgesetz diskutieren, so bringt auch dieses Gesetz einige wichtige Fortschritte . Die Recyclingquoten werden erhöht . Die Dualen Systeme, die für die Sammlung der Verpackungsmaterialien verantwortlich sind, werden verpflichtet, die Beteiligungsentgelte stärker an ökologischen Kriterien zu orientieren . Eine neue zentrale Stelle soll einen fairen Wettbewerb zwischen den Dualen Systemen und allen betroffenen Marktteilnehmern sicherstellen. Gerade durch die erhöhten Recyclingquoten werden wertvolle Rohstoffe zurückgewonnen und dem Stoffkreislauf wieder zugeführt . Dies ist aus Sicht des Ressourcenschutzes sehr, sehr positiv . Das, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten auch Sie einmal anerkennen . Die Kommunen sind in diesem gesamten Umfeld die Ansprechpartner der Bürgerinnen und Bürger bei der Abfallentsorgung . Funktioniert bei der Abfallentsorgung etwas nicht, greifen die Bürger zum Telefonhörer und rufen bei den Kommunen an . Egal ob die Kommunen zuständig sind, wie im Fall des Hausmülls, oder nicht, wie im Fall der Verpackungsabfälle aus Plastik und Metall, die Kommunen werden angerufen . Derzeit ist es so, dass sich eine Kommune mit einem Dualen System hinsichtlich der Entsorgung der Verpackungsabfälle einigen muss . Das hat in der Vergangenheit in der Praxis oft zu Problemen geführt . Deshalb wollen wir die Kommunen stärken und ihnen mehr Gestaltungsmöglichkeiten geben . Nach dem Verpackungsgesetz können die Kommunen in einer Abstimmungsvereinbarung festlegen, ob die Verpackungsmaterialien über ein Holsystem oder über Wertstoffhöfe gesammelt werden. Die bewährten Sammelstrukturen bzw . Sammelsysteme der Kommunen können erhalten bleiben; das ist eine ganz wichtige Botschaft . Die Kommunen können dann auch sagen, welche Größe der Behälter hat, von welcher Art er ist, ob sie einen Sack oder eine Tonne wollen, und sie können auch die Abholintervalle festlegen . Damit stärken wir die Rechte der Kommunen . Das wird dazu beitragen, dass die Sammlung der Verpackungsmaterialien letztendlich bestmöglich auf die Hausmüllsammlung abgestimmt werden kann. Auch das ist ein wichtiger Nebeneffekt. Meine Damen und Herren, wir werden in den kommenden Wochen gemeinsam mit den Vertretern aller Seiten darüber diskutieren, ob die im Gesetz enthaltenen Formulierungen rechtssicher sind und den Kommunen wirklich weiterhelfen . Allerdings dürfen wir den Wettbewerb nicht einschränken . Wir müssen ihn weiterhin erhalten . Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt . Auch an einer anderen Stelle werden wir die Rechte der Kommunen stärken . Für den Fall, dass ein Duales System der Verabredung nicht nachkommt, wollen wir die Kommunen mit wirkungsvollen Durchgriffsrechten ausstatten . Werden beispielsweise gelbe Säcke nicht abgeholt oder wird eine gelbe Tonne nicht geleert, kann die Kommune sogar zur Ersatzvornahme greifen und ein anderes Unternehmen beauftragen. Die dadurch entstehenden Kosten müssen dann von dem entsprechenden Dualen System getragen werden . Denn, meine Damen und Herren, wer seine Hausaufgaben nicht richtig macht, muss eben nachsitzen und wird in diesem Fall auch zur Kasse gebeten . Es war und ist uns ein Herzensanliegen, den Kommunen mehr Einflussmöglichkeiten zu geben. Ich habe, glaube ich, gerade sehr ausführlich dargestellt, dass wir das auch tun . Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Eine Rekommunalisierung der gesamten Abfallentsorgung mit dem Ziel einer mittelfristigen - das ist ja das eigentliche Ziel, das dahintersteht - Abschaffung der Dualen Systeme, wie es die grünen Umweltminister der Länder gefordert haben, wollen wir nicht . ({0}) An vielen Stellen der Abfallentsorgung sind mittelständische Betriebe aktiv, mit denen viele Kommunen übrigens hervorragend zusammenarbeiten . Diesen Mittelständlern würden wir mit einer kompletten RekomMichael Thews munalisierung die Grundlage entziehen . Wir wollen ein faires Miteinander zwischen den Kommunen und der Entsorgungswirtschaft durch die Vorgabe eines klaren Rahmens und durch Spielregeln, die dann auch in der Abstimmungsvereinbarung festgelegt werden . Neben der Stärkung der Kommunen ist mir die Abfallvermeidung generell - sie wurde bereits angesprochen - ein weiteres Anliegen . Deshalb hat es mich auch überrascht - ich muss das so deutlich sagen, Frau Umweltministerin -, dass das Bundesumweltministerium die derzeit geltende verpflichtende Mehrwegquote von 80 Prozent ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen hat; denn tun wir dies, führen wir die ganze Diskussion über Einweg und Mehrweg ad absurdum . Deswegen würde ich mir schon wünschen - ich möchte das an dieser Stelle so deutlich sagen -, dass wir die Quote wieder ins Gesetz aufnehmen . Ich setze mich dafür ein . ({1}) Ich sage aber - da stimme ich dem Kollegen Thews zu -, dass wir dann auch überprüfen müssen, ob die Quote erreicht wird . Wird sie nicht erreicht, müssen wir auf der Basis von Ökobilanzen Konsequenzen ziehen . ({2}) Als heimatverbundene Fränkin aus einer Weinregion möchte ich noch auf ein letztes Thema zu sprechen kommen . Dieser Punkt ist auch in der Stellungnahme des Bundesrates enthalten, und es wurde schon angesprochen: Der Bundesrat fordert, die Pfandpflicht nicht mehr am Produkt, sondern am Verpackungsmaterial zu orientieren . Dies lehnen wir entschieden ab, und ich sage Ihnen auch, warum: Aufwand und Nutzen stünden in keinem angemessenen Verhältnis . Ich kann Ihnen das auch sehr gut an einem Beispiel aus meiner Heimatregion erklären: Die Weintradition lebt von der unverwechselbaren Flaschenform . Bei mir in Franken ist es eben die bauchige Flaschenform, der sogenannte Bocksbeutel . - Ich habe ihn im Europäischen Parlament übrigens auch mal gerettet und dafür gesorgt, dass der europäische Schutz für diese Flasche erhalten bleibt . ({3}) - Ja, ich war das, genau . ({4}) Würden Weinflaschen bepfandet werden, könnten sie überall abgegeben werden . Was will ein Winzer aus der Pfalz mit diesem Bockbeutel anfangen, in dem nur Wein aus dem Anbaugebiet Franken abgefüllt werden kann? Für ihn ist die Flasche vollkommen unbrauchbar, und er muss sie umständlich nach Franken transportieren . Das würde der Umwelt unter dem Strich gar nichts bringen. Damit habe ich Ihnen das am Beispiel von Franken erklärt . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Weisgerber, so hochinteressant das auch ist, aber bitte setzen Sie einen Punkt .

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss . - Das Verpackungsgesetz befindet sich auf der Zielgeraden. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Kommunen, der Wirtschaft, den Umweltverbänden, den Verbrauchern und den Bundesländern über die Ziellinie gehen und den Gesetzentwurf verabschieden - für höhere Recyclingquoten, für eine Stärkung der Kommunen und für einen funktionierenden Wettbewerb . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11274 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alleinerziehende entlasten - Umgangsmehrbedarf anerkennen Drucksachen 18/10283, 18/11434 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die SPD-Fraktion . ({1})

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurt Schumacher hat einmal gesagt: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ ({0}) Die Wirklichkeit ist: Die wenigsten Menschen suchen es sich aus, ihre Kinder alleine zu erziehen . Viele von uns kennen die Situation, dass die Gemeinsamkeiten in einer Partnerschaft irgendwann auch einmal aufgebraucht sein können . Dann ist eine Trennung der beste Weg für alle Beteiligten - auch für die Kinder übrigens . Die meisten Eltern wollen ihre Kinder jedoch trotzdem gemeinsam erziehen und regelmäßig Kontakt zu ihnen haben . Wenn man in dieser ohnehin schwierigen Situation auch noch auf Grundsicherung angewiesen ist, dann beginnen die Probleme; denn die Rechtslage ist kompliziert und fördert eher den Zwist als den notwendigen Zusammenhalt der Eltern . ({1}) Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts muss im Zweifel stunden- oder tageweise nachgewiesen werden, bei welchem Elternteil sich das Kind aufgehalten hat . ({2}) Dementsprechend wird dann das Sozialgeld des Kindes gekürzt und, falls beide Eltern in der Grundsicherung sind, dem Expartner zugerechnet . Ich habe Bescheide gesehen, die 200 Seiten dick waren . Das ist zum einen - mit Verlaub - totaler Unsinn und führt zum anderen häufig zum Streit . ({3}) Das müssen wir weder den Kindern noch den Eltern und auch nicht den Mitarbeitern in den Jobcentern antun . Deshalb hat die SPD bei den Verhandlungen zum Gesetz zur Rechtsvereinfachung im SGB II und auch zum Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vorgeschlagen, einen Umgangsmehrbedarf in drei Stufen einzuführen - einfach für die Eltern und das Jobcenter und gut für die Kinder . Dieser aus meiner Sicht gute Vorschlag ist leider am Finanzministerium und an der Union gescheitert. ({4}) Im Vergleich zu anderen Ausgaben ging es hier gerade einmal um 60 Millionen Euro, wohlgemerkt: bei einem Haushaltsvolumen von 19,2 Milliarden Euro für die Grundsicherung . ({5}) Wer, wenn nicht die Kinder und deren Eltern, die Hilfe benötigen, sollte im Mittelpunkt der Politik stehen? ({6}) Ich bekomme einen dicken Hals, wenn ich manche Kolleginnen und Kollegen in Sonntagsreden über Kinder und Familien als unsere Zukunft reden höre . Bei einigen liegen nämlich das Reden und das Handeln so weit auseinander, dass mir glatt die Luft wegbleibt . ({7}) - Das war jetzt etwas Grundsätzliches zum Thema. Und dass mir manchmal die Luft wegbleibt, passiert mir leider häufig bei den Kolleginnen und Kollegen unseres Koalitionspartners; ({8}) denn wir hätten das Problem schon lösen können . ({9}) Nun aber zum Antrag . Auch dazu muss ich etwas sagen . In der Analyse werden leider zwei Bereiche vermischt, die für sich gesehen gar nicht so falsch sind, aber nichts direkt miteinander zu tun haben . Die Armutsgefährdung Alleinerziehender können wir nämlich nicht mit dem Umgangsmehrbedarf bekämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, sondern mit guten Angeboten zur Kinderbetreuung, gleichen Bildungschancen, Qualifizierung und Weiterbildung der Eltern und vor allem mit guter und gut bezahlter Arbeit . ({10}) Der Umgangsmehrbedarf soll die zusätzlichen Bedürfnisse der Kinder decken, wenn sie sich beim anderen Elternteil befinden. Das reicht vom Spielzeug über die Zahnbürste bis hin zum Zoobesuch . Dabei macht es aber schon einen Unterschied, ob der Aufenthalt einen Tag oder fünfzehn Tage im Monat dauert. Deshalb finde ich die von Ihnen vorgeschlagene Pauschalierung zu grob . ({11}) Sie schafft auch neue Ungerechtigkeiten; denn sie würde zusammenlebende Paare mit Kindern schlechterstellen . Ich wage für den letzten Tagesordnungspunkt heute eine Prognose: Wenn man die Reden verfolgt, wird man feststellen, dass fast alle das gleiche Ziel formulieren, nämlich diejenigen zu unterstützen, die das Beste für ihre Kinder wollen . Liebe Kolleginnen und Kollegen - das richte ich an alle Fraktionen -, wenn das ernst gemeint ist, können wir noch in dieser Legislaturperiode mit allen Fraktionen eine gemeinsame Regelung schaffen. ({12}) Die SPD wird auf jeden Fall nicht lockerlassen und sich weiter für diejenigen einsetzen, die sich gemeinsam um ihre Kinder sorgen und kümmern wollen . Danke schön . ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke . ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Linke wollen, dass alle Kinder einen guten Start ins Leben haben. Wir wollen Kinderarmut abschaffen, damit alle Kinder frei von Armut groß werden können . ({0}) Heute stellen wir eine Maßnahme zur Abstimmung, die die Situation von Kindern verbessert, deren Eltern getrennt leben und beide auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Es geht um den Umgangsmehrbedarf. Die aktuelle Hartz-IV-Praxis sieht Folgendes vor: Kinder, deren Eltern auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, bekommen den Kinderregelsatz . Wenn beide Elternteile getrennt leben, muss der aufgeteilt werden . Wie soll das in der Praxis ablaufen? Versetzen Sie sich doch einmal in die Situation von Leuten, die sowieso jeden Euro umdrehen müssen und deren emotionale Situation womöglich angespannt ist, und die sollen dann auch noch den geringen Regelsatz aufteilen . Neunmalkluge Bürokraten haben vorgeschlagen, dass die Eltern genau dokumentieren sollen, bei wem das Kind welche Mahlzeit einnimmt . Das ist doch total wirklichkeitsfremd . ({1}) Wenn Klein-Lotta abends beim Vater eine Käsestulle isst, aber nach der Busfahrt zu Hause bei der Mutter sagt: „Du, ich habe schon wieder Hunger“, dann sagt doch keine Mutter: Tut mir leid, der Anteil für das Abendbrot ist schon von deinem Vater verbraucht worden . - Die Bedürfnisse von Kindern, auch der Appetit von Kindern, richten sich nicht nach den kleinkarierten Berechnungen von Bürokraten. Es ist also höchste Zeit für einen Umgangsmehrbedarf . ({2}) Wenn die Eltern getrennt leben und die Kinder zu beiden Elternteilen Kontakt haben, fallen Mehrkosten an . Erstens fallen höhere Fahrt- und Kommunikationskosten an. Zweitens gibt es fixe Kosten wie Versicherungs- und Vereinsbeiträge; außerdem sind Ansparungen für Haushaltsgeräte vorzunehmen . All diese Kosten fallen nicht weg, nur weil das Kind gerade beim Vater bzw . bei der Mutter ist . Drittens: Wer den Alltag mit Kindern direkt erlebt, weiß, dass man bei ihnen auf alle Eventualitäten und auch Witterungsbedingungen eingestellt sein muss . Bei Regen braucht man Gummistiefel, weil Kinder gerne in Pfützen springen . Zwei Paar Gummistiefel sind im einfachen Kinderregelsatz nicht drin . Das heißt, man muss jedes Mal, wenn das Kind zum Papa fährt, die Gummistiefel einpacken . Dabei bleibt es aber nicht . Man braucht eine Matschhose, einen Regenmantel, eine Badehose, einen Bademantel und Badelatschen . Außerdem benötigt man eine Wärmflasche, wenn das Kind Bauchschmerzen hat . Auch braucht das Kind Turnschuhe, wenn es in der Freizeit kicken will . Es braucht Sportsachen und so weiter und so fort . Der Rucksack, den man dem Kind jedes Mal mitgibt, muss wirklich groß sein . Kinder, deren Eltern getrennt leben und arm sind, haben schon ein großes Päckchen durch das Leben zu tragen . Wie groß soll denn, bitte schön, der Rucksack sein, den sie den Kindern jedes Mal aufladen müssen, wenn diese zum anderen Elternteil fahren? ({3}) Kurzum: Beim Umgangsmehrbedarf handelt es sich meiner Meinung nach um eine Selbstverständlichkeit . Ich habe mich wirklich gefragt, warum Sie von der Union den so verbissen blockieren . Erst habe ich gedacht: Okay, die sind so knauserig, weil sie an der schwarzen Null hängen . - Dann aber tagte die NATO, und man beschloss, dass mehr Geld für Rüstung ausgegeben werden muss: 25 Milliarden Euro . Sogar Herr Schäuble sagte großzügig, da sei schon was drin, das sei möglich . Es sind 25 Milliarden Euro im Jahr für Panzer drin, aber rund 100 Euro im Monat für Kinder nicht . Das können Sie mir doch nicht weismachen! Als ich das Protokoll über die erste Diskussion hier im Bundestag zu diesem Thema gelesen habe, fielen mir die aggressiven Zwischenrufe aus Ihren Reihen bei der Rede meiner Fraktionskollegin Hupach auf . ({4}) Aus den Reihen der CDU hieß es da - jetzt zitiere ich -: Das Versagen der Eltern ist für Sie eine Entschuldigung, dass wir mehr Geld ausgeben! Sie, die CDU-Männer, sprachen vom Versagen der Eltern . Ich habe mir das nicht ausgedacht . Das kann man im Plenarprotokoll vom 2 . Dezember 2016 nachlesen . Wie kann man denn bei getrennt lebenden Eltern, bei Alleinerziehenden überhaupt an das Wort „Versagen“ denken? Wer selbst erlebt hat, wie schwer es ist, einen sicheren Kitaplatz zu bekommen, wer weiß, dass Kinderkrankheiten alle beruflichen Planungen über Nacht über den Haufen werfen können, wer erlebt hat, dass Kinder just in der Nacht nicht durchschlafen können, wo die Eltern den Schlaf selber besonders nötig hätten, wer die großartige und zugleich tiefe Erschöpfung nach einem gelungenen Kindergeburtstag kennt, der kann doch nicht ernsthaft die Wörter „Alleinerziehende“ und „Versagen“ in einem Satz erwähnen . Ich habe all diese wunderschönen und manchmal auch sehr anstrengenden Momente aus dem Leben mit einem Kind sehr intensiv kennengelernt . ({5}) Und ich kann nur sagen: Hut ab vor allen Ein-Eltern-Familien! Hut ab vor allen Alleinerziehenden! Ihr leistet Großartiges! ({6}) Die Einzige, die hier versagt, ist die Regierungskoalition. Die Einzigen, die hier versagen, sind die Union und leider auch die SPD, weil sie es nicht schaffen, die Lage von Kindern, deren Eltern in Hartz IV sind und getrennt leben, deutlich zu verbessern . Wenn ich mir Ihre Zwischenrufe so anschaue, dann denke ich manchmal: Kann es sein, dass Sie tief in Ihrem Herzen Menschen, die in einer solchen Notsituation sind, einfach verachten? ({7}) - Wenn Sie sich so aufregen, sage ich Ihnen: Sie von der CDU können heute das Gegenteil beweisen und klarmachen, dass Ihnen die Situation von Alleinerziehenden bzw . getrennt lebenden Eltern nicht egal ist, indem Sie unserem Antrag einfach zustimmen . Das wäre eine praktische Maßnahme, um die Situation von Kindern, deren Eltern arm sind, zu verbessern . Vielen Dank . ({8}) - Arbeiten Sie an Ihren Beschlüssen und am Abstimmungsverhalten . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kleinen Moment mal! ({0}) - So, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der Debatte fort . Es liegt in der Natur der Sache, dass ich jetzt der nächsten Rednerin das Wort erteile . Sollte es Bedarf an weiterem Disput geben, dann sieht unsere Geschäftsordnung auch dafür entsprechende Formate vor . Nun hat aber die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das Ganze nun etwas unaufgeregter vortragen . Einig sind wir uns, Frau Kipping: Alleinerziehende Mütter und Väter leisten viel . Ihr Antrag gibt uns heute die Möglichkeit, einmal aufzuzeigen, wie die Bundesregierung Alleinerziehende unterstützt und entlastet . Wir sind uns auch einig, dass wir uns für die Lebenssituation von Kindern starkmachen müssen. Für uns in der CDU/ CSU ist klar, dass wir Eltern - Väter wie Mütter - unterstützen . Aber wir sagen gleichzeitig auch: Wir nehmen Eltern die Verantwortung nicht ab, egal ob sie alleine wohnen oder ob sie gemeinschaftlich wohnen . Dafür steht unsere Politik . ({0}) Da wir uns dem Thema Alleinerziehende aus einer anderen Sicht nähern, erlauben Sie mir einige Vorbemerkungen . Im Rahmen einer modernen und zukunftsweisenden Familienpolitik orientiert sich die Bundesregierung an der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie schafft die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bietet damit auch Perspektiven für eine eigenständige Lebensgestaltung. Die Koalition schafft gute Rahmenbedingungen für Eltern, egal welches Elternmodell gelebt wird . Was haben wir allein in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht! Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde erhöht . ({1}) Der Kinderzuschlag wird aufgestockt . Wir haben weiterhin in den Ausbau der Kinderbetreuung massiv investiert . Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass die Kitaöffnungszeiten erweitert werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist heute aus unterschiedlichen Gründen ein ganz wichtiges Thema . Ich füge noch einen Gedanken hinzu. Für viele Unternehmen in meinem Wahlkreis in Südwestfalen ist klar: Nicht nur die Familien profitieren von einer verbesserten Betreuungsinfrastruktur . Gut ausgebildete Frauen und Männer sind wichtig für die Unternehmen; das wissen die Unternehmer. Sie bieten daher nicht nur eine flexible Arbeitszeitgestaltung, sondern auch flexible Ausbildungsmodelle . Ausbildung in Teilzeit zum Beispiel kommt der ganzen Familie oder dem Einzelnen bzw . den Alleinerziehenden zugute . Der Kollege Paschke hat es bereits erwähnt: Es geht darum, weiterhin in Ausbildung und Qualifizierung zu investieren. Warum erwähne ich das alles? Sie können den Eindruck haben, als hätte das nichts mit Ihrem Antrag zu tun . Wir haben beim Thema Alleinerziehende mehrere Aspekte im Blick . Wir spielen Menschen nicht gegeneinander aus . Es gibt Alleinerziehende, die im SGB-II-LeisKatja Kipping tungsbezug sind . Es gibt aber auch Alleinerziehende, die in Vollzeit oder in Teilzeit beschäftigt sind ({2}) und ihren Lebensunterhalt bestreiten oder Aufstockung durch die Grundsicherung erfahren . Ja, wir müssen alle Alleinerziehenden im Blick haben, auch die Alleinerziehenden, die wirklich alleinerziehend sind und jeden Morgen den Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuung machen . Wir sollten diese Gruppen nicht gegeneinander ausspielen . Jede Gruppe der Alleinerziehenden hat es verdient, dass wir in gleicher Weise an sie denken . ({3}) Kollegen der Linken, Ihr Antrag erweckt wieder einmal den Eindruck, als habe die Bundesregierung die Personengruppe der Alleinerziehenden, welche im SGBII-Bezug sind, nicht richtig im Blick . Dabei bildet das SGB II die besondere Förderung von Alleinerziehenden ab . Dazu drei Punkte: Wir haben nicht nur einen grundsätzlichen Mehrbedarf und eine Entlastung in den sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaften zu verzeichnen . Vielmehr erstatten wir schon heute angemessene Kosten der Heizung und der Unterkunft. On top erstatten wir die zusätzlichen durch das Umgangsrecht bedingten Fahrtkosten . Wenn ich mir im Jobcenter vor Ort die verschiedenen Leistungsempfänger unter den Alleinerziehenden im Rechtskreis des SGB II anschaue, dann stelle ich fest, dass jeder Fall völlig individuell ist . Es gibt Fälle, bei denen die getrennt lebenden Eltern in einer Stadt oder in benachbarten Städten wohnen . Es gibt aber auch Fälle, bei denen ein Elternteil in Nordrhein-Westfalen lebt ich komme aus Nordrhein-Westfalen - und der andere in Niedersachsen . Dabei entstehen hohe Kosten für Fahrten und Unterkunft am Wochenende. Manchmal geht es auch darum, dass ein Elternteil gar nicht in der Lage ist, selber zum Kind zu fahren, der Vater bzw . die Mutter also mit dem Kind von dem gemeinsamen Wohnort zu dem des anderen Elternteils fährt . Das ist ein bunter Strauß an Möglichkeiten, die alle individuell berücksichtigt werden, und das ist richtig und gut . Deshalb sagen wir: Die individuelle Betrachtung und Erstattung, wie ich es beispielsweise anhand der Fahrtkosten ausgeführt habe, bietet mehr Vorteile für die Betreffenden als ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren . ({4}) Aus diesen individuellen Berechnungen für einen erhöhten Mehrbedarf kann man folgern - auch das gehört zur Wahrheit -, dass Alleinerziehende schon heute mehr Leistungen erhalten als zum Beispiel Paare in der Grundsicherung . ({5}) Aus den genannten Gründen kann ich viele Argumente und Schlussfolgerungen, die Sie, Frau Kipping, hier vorgetragen haben und die in Ihrem Antrag stehen, nicht nachvollziehen . Bei uns steht ein anderer Ansatz im Vordergrund, ({6}) nämlich Hilfe zur Selbsthilfe . Mit diesem Ansatz können wir viel mehr erreichen, auch langfristig mehr . Wir stärken die Menschen . Wir wollen die Menschen durch Maßnahmen unterstützen, ({7}) wir wollen Anreize schaffen, damit es den Alleinerziehenden ermöglicht wird, unabhängig von sozialen Transferleistungen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu gehen . ({8}) Dazu gehören - ich führe noch einmal den Gedanken des Kollege Paschke aus - arbeits- und ausbildungspolitische Maßnahmen für Alleinerziehende, ({9}) Kinderbetreuung und auch der Ausbau der Kinderbetreuung . Hier können und werden wir weiter passgenau investieren . ({10}) Liebe Kollegen von der Linken, Sie werden dem Anliegen der Kinder nicht gerecht, wenn Sie ausschließlich aus der Bedürftigkeitssicht der Eltern argumentieren; denn der Unterhalt steht zunächst einmal den Kindern zu.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Voßbeck-Kayser, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Kipping?

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte den Gedanken gerne zu Ende bringen . - Noch einmal: Es geht nicht, aus der Bedürftigkeitssicht der Eltern zu argumentieren . Für uns, für die CDU ist nicht das Festsetzen von Leistungsbezügen im SGB II der richtige Ansatz, sondern die Hilfe zur Selbsthilfe . Dass wir die Kinder und die Eltern unterstützen müssen, dass der Unterhalt für die Kinder gesichert sein muss, darin sind wir uns alle einig . Der Staat hilft und unterstützt. Auch mit dem Gesetzentwurf zum Unterhaltsvorschuss sind wir auf dem richtigen Weg . Zusammengefasst kann ich nur sagen: Wir nähern uns dem Thema aus einer anderen Sicht. Ich finde, es müssen mehrere Argumente und Aspekte berücksichtigt werden . Von daher wird es Sie nicht wundern, wenn wir Ihren heute vorliegenden Antrag ablehnen . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Wolfgang StrengmannKuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal sagen, worum es geht . Es geht hier um die Kinder, die in zwei verschiedenen Haushalten aufwachsen, weil die Eltern getrennt voneinander leben . Es geht um deren Existenzminimum, das durch die gegenwärtigen Leistungen nicht abgesichert ist . Wenn ein Kind in zwei Haushalten lebt - die Kollegin Kipping hat das eben an einigen Beispielen plastisch deutlich gemacht -, dann entstehen höhere Kosten . Im Steuerrecht gibt es einen Steuerfreibetrag für doppelte Haushaltsführung . Für Kinder, die im Hartz-IV-Bezug leben, gibt es kein entsprechendes Gegenstück, um diesen Mehrbedarf zu decken . Das wäre unbedingt notwendig . ({0}) Ich kann hier die Position der Union überhaupt nicht verstehen; denn es geht darum, das Existenzminimum der Kinder zu decken, und das möglichst unbürokratisch . Eigentlich sollte es doch auch im Interesse der Union sein, das zu erreichen . Nun zur SPD . Es geht hier um einen unbürokratischen Vorschlag . Der Vorschlag, den die Linke in ihrem Antrag macht - wir haben ihn schon im letzten Jahr in zwei Anträgen formuliert, sowohl im Bereich Rechtsvereinfachungen als auch hinsichtlich des Regelsatzes; es gab schon zweimal die Möglichkeit, entsprechende Regelungen einzuführen -, ist genau der richtige Weg: Die Person, die die Kinder überwiegend betreut, soll den Regelsatz bekommen, und zwar in voller Höhe, unabhängig davon, ob das Kind einmal ein paar Tage bei dem Elternteil ist, der das Kind nicht überwiegend betreut . Der andere Elternteil soll einen pauschalen Umgangsmehrbedarf geltend machen können . Die Linken schlagen hierfür 50 Prozent des Regelsatzes vor . Das ist eine vernünftige Größenordnung . Das wäre eine ganz unbürokratische, einfache Regelung, die man heute per Beschluss einführen könnte . ({1}) Ich will noch einmal sagen: Um Armut zu bekämpfen, reicht das natürlich nicht aus . Es geht darum, das Existenzminimum für diese spezielle Gruppe zu decken . Zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums fordert eigentlich sogar die Verfassung auf . Dazu gehört das Existenzminimum von Kindern, auch wenn die Eltern, ob verschuldet oder nicht verschuldet, getrennt leben . Das ist ein Grundrecht der Kinder, dem wir nachkommen müssen . Wenn wir Kinderarmut bekämpfen wollen, dann braucht es natürlich viel mehr . 20 Prozent Kinderarmut in Deutschland sind definitiv zu viel. Auch das müssen wir angehen . ({2}) Wir Grünen haben an dieser Stelle einen Vorschlag vorgelegt . Wir sagen: Wir brauchen eine Kindergrundsicherung in Höhe des höchsten Regelsatzes . Diese Grundsicherung muss einkommensunabhängig sein und für alle Kinder gelten . Für Menschen mit geringem Einkommen brauchen wir einen einkommensabhängigen Kindergeldbonus, der das sächliche Existenzminimum abdeckt . Außerdem brauchen wir eine Neuberechnung und Anhebung der Kinderregelsätze . Mit diesem Dreiklang können wir das Existenzminimum für alle Kinder in Deutschland vernünftig absichern und Kinderarmut effizient und unbürokratisch bekämpfen . ({3}) Das ist das, was jetzt ansteht . Geben Sie sich also einen Ruck, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber vor allen Dingen von der Union! Lassen Sie uns mit dieser kleinen Gruppe anfangen; sie ist besonders betroffen . Lassen Sie uns das Existenzminimum der Kinder, deren Eltern getrennt leben, durch einen Umgangsmehrbedarf decken! Stimmen Sie dem Antrag der Linken zu! Vielen Dank . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr . Fritz Felgentreu das Wort . ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ganze Haus ist sich, glaube ich, darin einig, dass Alleinerziehende im Vergleich zu Elternpaaren ganz besondere Aufgaben meistern und auch mit zusätzlichen Kosten fertigwerden müssen . Noch teurer wird das Leben für sie, wenn die getrennt lebenden Eltern eines Kindes beide den Anspruch haben, sich um ihr Kind liebevoll zu kümmern und ihm ein echtes Zuhause zu bieten, egal ob es sich gerade beim Vater oder bei der Mutter aufhält . Genau dann entstehen zusätzliche Kosten etwa für ein zweites Kinderzimmer, für Kleidung, für Vereine, für kulturelles Angebot und, und, und . Diese alltäglichen Sorgen werden für die Solidargemeinschaft allerspätestens in dem Moment eine Herausforderung, in dem mindestens der Haushalt, in dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, von Transferleistungen abhängig ist . Meistens geht es dabei um alleinerziehende Mütter, die mit ihrem Kind von Arbeitslosengeld II leben . Relativ leicht ist es noch, sich darüber zu verständigen, was wir alle gemeinsam nicht wollen . Wir wollen nicht, dass die Kinder unter dieser unglücklichen LebenssituChristel Voßbeck-Kayser ation unnötig leiden, und wir wollen nicht, dass für die Mutter ein Anreiz entsteht, den Umgang mit dem Vater zu verhindern . Beide Überlegungen sprechen gegen die gegenwärtige Lösung, gegen die sogenannte - Achtung, Fachterminus - temporäre Bedarfsgemeinschaft . Nach geltendem Recht ist es so: Das Jobcenter kann tageweise den Aufenthalt des Kindes beim Vater berechnen und die entsprechenden Tagessätze - natürlich nur für das Kind, nicht für die Mutter - von dem Geld abziehen, das es an den Haushalt der Mutter überweist . Aus der persönlichen Sicht der Mutter, die den Haushalt führt, heißt das dann: Jeder Tag, den mein Kind bei meinem Ex verbringt, bedeutet, dass meine sowieso schon knappe Kasse noch ein bisschen leerer wird . Keine gute Voraussetzung für eine partnerschaftliche Kindeserziehung! Zum Glück verfahren bei weitem nicht alle Jobcenter so . Aber aus Sicht der SPD ist klar: Das ist vielleicht rechtlich einwandfrei - deswegen möchte ich Ihnen auch widersprechen, Herr Strengmann-Kuhn, dass es hier um das Existenzminimum geht -; aber es geht an der Lebenswirklichkeit vorbei . Davon wollen wir wegkommen . ({0}) Unser Koalitionspartner meint, das zusätzliche Geld, das Alleinerziehende jetzt schon bekommen, reiche aus, um das Problem zu lösen . Das sehen wir anders . Wir sind auch nicht glücklich mit dem enormen Aufwand, den manche Jobcenter betreiben, um nach den bestehenden Regeln den Anspruch der Eltern zu berechnen . Leistungsbescheide von 200 Seiten Umfang, wie der Kollege Paschke sie eben erwähnt hat, sind zwar zum Glück auch in diesen Fällen eine Ausnahmeerscheinung, aber, liebe Frau Voßbeck-Kayser, bei aller Wertschätzung für die Berücksichtigung individueller Lebenssituationen sind sie doch eine Ausnahme, die wir in Zukunft nicht mehr erleben wollen . Andererseits wollen wir aber auch keine Lösung, die bei Paaren den Eindruck erweckt, dass der Solidargemeinschaft ihre Kinder möglicherweise weniger wert sind als die Kinder Alleinerziehender oder dass sie die Familie mit nur einem Elternteil gegenüber Elternpaaren besonders fördern wolle . Dazu noch eine Randbemerkung: Das Gegenteil ist der Fall . Natürlich wünschen wir - auch hier denke ich, dass ich für das ganze Haus sprechen kann - allen Kindern und allen Familien, dass sie zusammenbleiben . Aber im Leben kommt es nun einmal sehr oft anders . Dann brauchen die Kinder und die Familien Verständnis und Solidarität . ({1}) - Ja, natürlich, auch das . ({2}) Trotzdem fällt es mir bei den Vorschlägen der Linken schwer, gegenüber Paaren zu vertreten, dass die zusätzliche Unterstützung, die Sie vorschlagen, nicht auf eine Bevorzugung hinausläuft . Sie wollen den Kindern Alleinerziehender grundsätzlich das Anderthalbfache dessen zugestehen, was andere Kinder erhalten . ({3}) Auch diesen Weg wird die SPD nicht mitgehen, ({4}) und zwar nicht, weil wir den Familien Unterstützung vorenthalten wollen, nein, sondern aus Gründen der Gerechtigkeit . Am Ende müssen wir eine Lösung finden, die vom Kindeswohl ausgeht . Das Kind braucht beide Eltern, und zwar möglichst ohne Streit und Ärger . Deshalb müssen wir den Regelsatz des Kindes dort lassen, wo es meistens lebt, also in der Regel bei der Mutter . Für die Zeiten, die es mit dem Vater verbringt, wollen wir einen nach Alter und Dauer gestaffelten Umgangsmehrbedarf anerkennen, der aber nicht die von den Linken vorgeschlagenen Ausmaße erreicht . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, liebe Frau Freudenstein, ich lade Sie herzlich ein, Ihren Widerstand gegen eine lebensnahe und familienfreundliche Lösung aufzugeben . Den Antrag der Linken können wir aus guten Gründen heute gemeinsam ablehnen . Aber einen vernünftig ausgestalteten Umgangsmehrbedarf sollten wir trotzdem einführen, ({5}) und zwar einfach, um Kindern, die es schwerer haben, das Großwerden in solidarischer Verantwortung ein kleines bisschen leichter zu machen . Danke schön . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Wissen Sie, Frau Kollegin Kipping, was Sie hier machen, ist wildester Linkspopulismus . ({0}) So zu tun, als würde sich dieses Parlament in jene aufteilen, die es mit Kindern gut meinen, und jene, die es mit Kindern nicht gut meinen, ist der Sache nicht angemessen, nicht einmal in Wahlkampfzeiten, wie ich meine . ({1}) So zu tun, als wäre die momentane Gesetzeslage darauf aus, dass Kinder keine Wärmflaschen oder Zahnbürsten bekommen können, ist der Sache ebenfalls nicht angemessen . ({2}) Das, was Sie als überbordende Bürokratie bezeichnen, ist auch dem sorgsamen Umgang mit Steuermitteln und dem Gerechtigkeitsempfinden derer geschuldet, die das Geld erwirtschaften . ({3}) Es sind auch Alleinerziehende dabei, die für diese Gelder aufkommen . Wissen Sie, es gibt gut 1,6 Millionen Bundesbürger, ganz überwiegend Frauen, die alleinerziehend sind in unserem Land, und die allermeisten von ihnen bringen ihr Leben auch sehr gut auf die Reihe . Sie sind berufstätig und für ihre Kinder da. Sie schaffen das, weil sie unwahrscheinlich viel Kraft, Einsatz und Zeit investieren . Sie schaffen das auch - das hat die Kollegin Voßbeck-Kayser schon erwähnt -, weil wir die Rahmenbedingungen dafür geschaffen haben, dass man Familie und Beruf vereinbaren kann, dass man berufstätig sein und sich um seine eigenen Kinder kümmern kann . Es gab auch finanzielle Verbesserungen für Alleinerziehende . Es gibt aber noch viele Alleinerziehende - es sind immer noch viel zu viele -, die trotzdem nicht klarkommen, und über die reden wir heute . Das sind die, die sehr wenig oder gar nichts verdienen und Kinder haben, die keinen festen Partner dazu haben oder eben einen, der selbst arbeitslos ist . Es geht also um Alleinerziehende, die Leistungen nach dem SGB II beziehen . Sie sind auf unseren Sozialstaat angewiesen, und sie bekommen dort natürlich auch Unterstützung. Sie bekommen den Regelsatz für das Kind . Sie bekommen den Mehrbedarf für Alleinerziehende . Darüber hinaus bekommen sie die Kosten erstattet, die dadurch entstehen, dass sich das Kind gelegentlich beim Partner aufhält . Das heißt - hier wird gelegentlich ein anderer Eindruck erweckt -, alleinerziehende ALG-II-Bezieher und ihre Kinder müssen eben nicht mit dem normalen Regelbedarf des Kindes zurechtkommen . Schon jetzt werden Extrakosten abgedeckt . Sie fordern jetzt, dass der Regelbedarf von Alleinerziehenden quasi auf 150 Prozent erhöht wird . Von dieser Maßnahme würde natürlich vor allem eine Personengruppe profitieren, nämlich die - ich nenne Sie jetzt einmal - Wochenendväter . Wir wollen diesen grundsätzlich höheren Regelbedarf ohne jeden Einzelnachweis auch deshalb nicht, weil wir damit die Lebensform der Ein-Eltern-Familie gegenüber verheirateten Paaren bevorteilen würden . ({4}) - Das ist ja überhaupt keine Frage . Das können Sie doch nicht in Abrede stellen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Brantner?

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, gestatte ich nicht . ({0}) Ich stelle auch in Abrede, dass die Probleme, die es in diesen Familienkonstellationen ganz zweifelsohne gibt, mit mehr Geld zu beheben sind . Wenn beide Elternteile auf Hartz IV angewiesen sind und getrennt leben, dann geht es nicht in erster Linie um mehr Geld, sondern dann muss es in erster Linie darum gehen, dass das nicht zum Lebensmodell werden darf und dass wir diesen Zustand ganz rasch beenden müssen . Das heißt, wir müssen die Eltern in einen Zustand bringen, sich wieder selbst um ihre eigenen Kinder kümmern zu können . ({1}) Mit mehr Geld stellen wir leider auch nicht sicher, dass dieses Geld wirklich bei den Kindern ankommt . Nicht umsonst setzen wir jetzt schon dort, wo es darum geht, Kinder in den Sportverein oder in den Musikunterricht zu bringen, auf Gutscheine oder Direktüberweisungen . Eines ist nun auch nicht von der Hand zu weisen: An den Tagen, an denen sich das Kind beim Vater aufhält, hat die Mutter tatsächlich weniger Kosten zu tragen . Das ist ja gar nicht in Abrede zu stellen . ({2}) Eine Erhöhung des Regelsatzes um 50 Prozent würde auch völlig falsche Anreize schaffen; denn es lohnt sich gerade für gering Qualifizierte immer weniger, berufstätig zu sein, je mehr Sozialleistungen man bezieht . Da sich Armut vererbt, müssen wir die Arbeitslosigkeit der Eltern beenden und nicht generell mehr ALG überweisen . ({3}) Wir müssen bei jungen Alleinerziehenden auch die Möglichkeit eröffnen, dass sie in Ausbildung kommen. Wir müssen die Betroffenen individuell betreuen und sie Schritt für Schritt in den Beruf und in die finanzielle Selbstständigkeit bringen . ({4}) Damit ist auch den Kindern am meisten gedient . Das ist im vergangenen Jahr mit unserer Politik schon ganz gut gelungen . Die größte Armut, auch die größte Armut von Kindern, herrschte immer in Staatsformen, in denen sich Ihre Ideologie durchgesetzt hat, Frau Kollegin . Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Brantner das Wort .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz kurz noch, Frau Freudenstein; Sie haben ja die Frage leider nicht zugelassen . Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es nicht 150 Prozent für die alleinerziehende Mutter sind, sondern dass es um die Fälle geht, in denen der Vater aus finanziellen Gründen nicht mehr Verantwortung für seine Kinder übernehmen kann. Unser Ziel ist, dass es keinen Vater in diesem Land gibt, der sich deshalb nicht um seine Kinder kümmert, weil er es sich nicht leisten kann . Darum geht es, und nicht darum, die Mutter zu bevorteilen . Ich fände es schön, wenn Sie das unterstützen könnten . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, ich habe auch nicht gesagt -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Würden Sie bitte das Mikrofon benutzen . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich gesagt hätte, dass es 150 Prozent für die Mutter geben soll; ({0}) dann hätten Sie mich falsch verstanden. Uns geht es darum - um es noch einmal klarzustellen -, diese Lebensform nicht dauerhaft zu dulden, ({1}) sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Eltern aus der Arbeitslosigkeit herauskommen und sich selber wieder um ihre Kinder kümmern können, weil das die beste Hilfe für das Kind ist . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache . ({0}) - Kollege Wunderlich, ich bitte darum, die Aufmerksamkeit jetzt wieder auf die Abläufe hier im Plenum zu richten . Eines scheint mir festzustehen - selbst wenn wir gleich zu einer Abstimmung kommen -: Diese Debatte bleibt uns erhalten . Wir werden sie auch nicht nur hier im Plenum weiterzuführen haben . ({1}) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Alleinerziehende entlasten - Umgangsmehrbedarf anerkennen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11434, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10283 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung . Ich berufe den Deutschen Bundestag zur gemeinsamen Sitzung mit dem Bundesrat anlässlich der Vereidigung des Herrn Bundespräsidenten auf Mittwoch, den 22. März 2017, 12 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute, liebe Kolleginnen und Kollegen .