Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung .
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ihnen mitteilen, dass für den ausgeschiedenen Kollegen
Dr . Frank-Walter Steinmeier die Kollegin Angelika
Krüger-Leißner als Mitglied des Deutschen Bundestages nachgerückt ist,
({0})
dem sie schon in früheren Wahlperioden angehört hat .
Deswegen wird der eine oder andere ihr vertraut vorkommen und umgekehrt . Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit in der verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode .
Wir müssen noch eine Reihe von Wahlen durchführen .
Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates für den Kollegen Johann
Saathoff den Kollegen Christoph Strässer als neues
persönliches stellvertretendes Mitglied zu wählen . Können Sie dem zustimmen? - Das sieht so aus . Damit ist der
Kollege Strässer in dieser Funktion gewählt .
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien schlägt vor, im Stiftungsrat der Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung als Vertreter der
katholischen Kirche für den ausgeschiedenen Weihbischof Dr . Hans-Jochen Jaschke als Nachfolger seinen
bisherigen persönlichen Stellvertreter Weihbischof
Dr. Reinhard Hauke als ordentliches Mitglied und als
dessen Nachfolger als persönliches stellvertretendes Mitglied Prälat Dr. Karl Jüsten zu wählen . Des Weiteren
schlägt die Beauftragte vor, als Vertreter der evangelischen Kirche Herrn Dr. Johann Hinrich Claussen als
ordentliches Mitglied im Stiftungsrat und Frau Dr. Petra
Bahr als sein persönliches stellvertretendes Mitglied zu
wählen . Ich vermute, dass es auch dazu Einvernehmen
gibt . - Das ist der Fall . Damit sind Weihbischof Dr . Hauke und Herr Dr . Claussen als ordentliche Mitglieder und
Prälat Dr . Jüsten und Frau Dr . Bahr als jeweilige persönliche stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt .
Des Weiteren schlägt die Fraktion Die Linke vor, für
den Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur Herrn Burkhard Kleinert als Nachfolger für Herrn Andreas Möller als ordentliches Mitglied
des Gremiums zu wählen . - Auch hierzu höre und sehe
ich keinen Widerspruch . Damit ist Herr Kleinert als ordentliches Mitglied gewählt .
Schließlich müssen wir noch eine Schriftführerwahl
durchführen . Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für die
Kollegin Cemile Giousouf den Kollegen Dr. Mathias
Edwin Höschel als Schriftführer zu wählen . Ich frage,
ob Sie damit einverstanden sind . - Das ist der Fall . Damit
ist der Kollege Höschel als neuer Schriftführer gewählt .
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und
Auswahl eines Standortes für ein Endlager für
Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und
anderer Gesetze
Drucksache 18/11398
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
({2})
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Ehe für alle
({3})
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({4}), Renate Künast, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zusammenhalt stärken - Mietrecht reformieren
Drucksache 18/10810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({5})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 4 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn ({6}), Renate
Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen
Drucksache 18/8856
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn
({7}), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten durch
die Streichung der Rügepflicht und die
Schaffung eines Auskunftsrechts
Drucksache 18/8857
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz ({8})
Drucksache 18/11440
ZP 5 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({9})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über
das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien
MON 810, 1507 und Bt11 ({10})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/11415
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland
Drucksache 18/11413
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen
Drucksache 18/11412
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({12})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({13})
zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
durchsetzen
Drucksachen 18/9667, 18/11447
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine Lobby für die Pflege - Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften
verbessern
Drucksache 18/11414
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({14})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter
Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Share Economy - Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen
Drucksache 18/11411
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({15})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in
Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen
Drucksache 18/11409
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Anstelle des Tagesordnungspunktes 8 - hier geht es
um den Antrag zum Thema „Umgang mit öffentlichem
Vermögen“ - sollen unter Beibehaltung der vereinbarten
Debattenzeit der Antrag auf der Drucksache 18/11412
mit dem Titel „Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft
herstellen“ und der Antrag auf der Drucksache 18/11413
mit dem Titel „Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland“ sowie die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11447 zu dem Antrag
mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen“ aufgerufen werden . Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen rücken entsprechend nach hinten .
Der Tagesordnungspunkt 29 - erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften - soll zusammen mit
dem Tagesordnungspunkt 52 - hier geht es um den Antrag „Gefahren durch Waffen minimieren - Öffentliche
Sicherheit stärken“ - in verbundener Beratung aufgerufen werden .
Die Tagesordnungspunkte 45 - hier geht es um eine
Änderung des Weingesetzes - und 49 - hier geht es um
die digitale Verwaltung - werden heute abgesetzt .
Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? - Das
ist gut so . Dann ist das damit so beschlossen .
Wir können jetzt zum Tagesordnungspunkt 3 kommen:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 9. März 2017 und
zum Vorbereitungstreffen der 27 Staats- und
Regierungschefs für den Jubiläumsgipfel in
Rom am 25. März 2017
Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor . Über einen Entschließungsantrag werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. - Das ist offenkundig auch
einvernehmlich, sodass wir so verfahren können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, ganz sicher aber in der
darauffolgenden Aussprache, wird auch von der gegenwärtigen Entwicklung des Verhältnisses zu unseren
türkischen Partnern, insbesondere zu türkischen Regierungspolitikern, die in unserem Land Wahlkampf machen wollen, die Rede sein . Dabei werden ganz sicher
unterschiedliche Akzente, verschiedene Meinungen und
Erwartungen zum Umgang mit diesem Wunsch und der
Art, wie er vorgetragen wird, deutlich werden . Ich möchte zur Klarstellung ein paar Punkte festhalten, bei denen
wir alle vermutlich einer Meinung sind .
Erstens. Wer dieses Land öffentlich verdächtigt, Nazimethoden anzuwenden, wenn seine Behörden und
gewählten Repräsentanten im Rahmen unserer Verfassungsordnung handeln, disqualifiziert sich selbst.
({16})
Zweitens . In diesen turbulenten, gelegentlich hysterischen Zeiten kann sich jeder sein eigenes Bild machen,
wo Menschenrechte geachtet, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung gesichert und Meinungs- und Pressefreiheit praktiziert werden .
({17})
Und weil drittens diese Prinzipien unserer Verfassung
nicht zur Disposition stehen, bitten wir die Menschen in
Deutschland um Verständnis, dass wir sie auch bei begründeter Empörung anderen nicht verweigern .
({18})
Aber wir erwarten viertens von jeder ausländischen
Regierung und schon gar von jedem Partnerland, dass die
Rechte, die deren Vertreter bei uns in Anspruch nehmen,
auch den eigenen Landsleuten zu Hause in gleicher Weise garantiert werden .
({19})
Hierzulande kann jeder seine Meinung sagen, auch
ausländische Gäste . Wir aber auch .
({20})
Und deshalb werden wir es uns fünftens, gerade auch
im Interesse unserer türkischen Mitbürger, die zugleich
deutsche Staatsbürger sind, nicht nehmen lassen, darauf
hinzuweisen, wohin es die Türkei absehbar führen wird,
wenn die Pläne, für die türkische Politiker in Deutschland werben, verwirklicht werden können,
({21})
nämlich in die Entwicklung zu einem zunehmend autokratischen Staat, der sich immer weiter von Europa,
Präsident Dr. Norbert Lammert
seinen Überzeugungen und demokratischen Standards
entfernt .
({22})
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr . Angela Merkel .
({23})
- Ich habe zum europäischen Gipfel keinen Satz gesagt,
Frau Bundeskanzlerin .
({24})
Das stimmt . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Traditionell
widmet sich der Europäische Rat im März schwerpunktmäßig der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa . So
steht es jedenfalls Jahr für Jahr auf der Tagesordnung .
Tatsächlich jedoch kamen auch in den vergangenen Jahren immer wieder andere, mindestens genauso wichtige
Themen hinzu: die Stabilisierung der Euro-Zone, die Aggression Russlands gegen die Ukraine, unser gemeinsamer Umgang mit Flucht und Migration .
Auch in diesem Jahr erwartet uns kein reiner Wirtschaftsgipfel; denn der heute beginnende Europäische
Rat fällt in eine Zeit, die uns ganz grundsätzliche Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung der Europäischen Union abverlangt . Das gilt für die Lehren, die
wir aus den weiterhin starken Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa ziehen müssen . Das gilt für die
bevorstehenden Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union . Und das gilt für
die Vorbereitungen auf den 60 . Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, den wir Ende des Monats
in Rom mit 27 Mitgliedstaaten begehen werden . Alle
diese Themen bilden den Rahmen für die Beratungen,
die wir heute und morgen in Brüssel führen werden . Sie
bilden damit auch den Rahmen für die Beratungen über
die wirtschaftliche Entwicklung in Europa .
Die wirtschaftliche Entwicklung ist zuletzt wieder
deutlich positiver . Dies ist ein wichtiges Beispiel dafür,
was wir als Europäische Union schaffen können, wenn
wir gemeinsam handeln . Auf unsere einzigartige Mischung aus Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Sicherung
können wir in Europa stolz sein . So etwas gibt es in diesem Umfang auf der Welt nicht noch einmal .
({0})
Deshalb ist die soziale Marktwirtschaft, wie wir es in
Deutschland nennen, ein Erfolgsmodell, um das uns weite Teile der Welt beneiden . Wir sind und bleiben einer der
größten Wirtschaftsräume der Welt, und wir können auf
globaler Ebene vieles gemeinsam gestalten . Auch wenn
uns die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 vor enorme Schwierigkeiten gestellt
hatte, sind die Wachstumsaussichten inzwischen wieder
besser, und zwar besser, als von vielen erwartet . Die Europäische Kommission geht jetzt davon aus, dass dieses
Jahr alle 28 Mitgliedstaaten wieder auf einen positiven
Wachstumspfad zurückkehren und dass dieser Trend
auch in den kommenden Jahren anhalten wird .
Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Teilen Europas,
gerade unter den jungen Menschen, immer noch viel zu
hoch . Deshalb dürfen wir uns damit auf gar keinen Fall
abfinden. Ermutigen kann uns jedoch, dass sich die Arbeitslosigkeit insgesamt in Europa jetzt wieder auf dem
niedrigsten Stand seit 2009 befindet. Trotz aller weiterhin
bestehenden Herausforderungen - ich will sie wirklich
nicht kleinreden; denken wir nur an Griechenland - können wir außerdem feststellen, dass sich insgesamt auch
die Lage der öffentlichen Finanzen und der Umfang der
Investitionen in Europa kontinuierlich verbessert haben .
Dazu trägt auch der Investitionsfonds bei, der vom Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgeschlagen
wurde und zusammen mit der Europäischen Investitionsbank durchgeführt wird .
Das ist für uns hier in Deutschland in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen, weil natürlich
zwischen einer guten Zukunft bei uns in Deutschland und
einer guten Zukunft in Europa ein direkter Zusammenhang existiert . Nur wenn es auch Europa gut geht, wird
es auch Deutschland dauerhaft gut gehen können . Das
dürfen wir nie vergessen .
({1})
Deshalb müssen wir um der Arbeitsplätze willen und
des Wohlstands willen sowohl auf der nationalen Ebene
als auch auf der europäischen Ebene natürlich weiter daran arbeiten, auch in Zukunft im globalen Wettbewerb
bestehen zu können . Es kommt etwas hinzu: Nur so werden wir dann auch unsere Werte und unsere Interessen
weltweit behaupten können . Weiter daran arbeiten heißt:
Wenn sich die Welt um uns herum jeden Tag weiterentwickelt, zum Teil in atemberaubendem Tempo, dann
muss sich auch Europa weiterentwickeln . Wesentlich
dafür ist, die Globalisierung und die Digitalisierung als
Chance zu begreifen und gemeinsam alles dafür zu tun,
beides mitzugestalten, und zwar wieder auf der Grundlage unserer Werte, aber auch unserer wohlverstandenen
eigenen Interessen . Dazu gehört ganz selbstverständlich
auch eine Handelspolitik, die auf freien Handel setzt .
Auch diese muss sich natürlich an unseren Werten und
Interessen orientieren . Aber Deutschland als Handelsnation ist in besonderem Maße darauf angewiesen, einen
guten Zugang nicht nur zum europäischen Binnenmarkt,
sondern auch zu den Weltmärkten zu haben und sich dort
ohne Hindernisse und Benachteiligungen dem globalen
Wettbewerb stellen zu können .
({2})
Ich freue mich deshalb sehr, dass das Europäische Parlament jetzt dem CETA-Abkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada mit deutlicher Mehrheit zugestimmt hat . Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches
Dankeschön an den kanadischen Premierminister Justin
Präsident Dr. Norbert Lammert
Trudeau und seine ganze Regierung senden . Sie haben
viel Geduld mit uns Europäern gehabt,
({3})
aber es hat zum Erfolg geführt .
Auch wenn wir in Teilen der Welt nationalistische und
protektionistische Ansätze auf dem Vormarsch sehen Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zurückziehen. Europa muss sich seine Offenheit gegenüber
der Welt bewahren, auch und gerade in der Handelspolitik . Wir gehen als Europäer dabei natürlich nicht naiv
vor . Wir haben über die Vor- und Nachteile von CETA
intensiv und lange diskutiert . Das war notwendig und
richtig. Ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Wir sollten auch mit anderen Partnern die Verhandlungen zu weiteren Handelsabkommen zügig fortführen . Es
ist wichtig, dass wir uns in der Europäischen Union darüber einig sind, dass Europa gegen unfaire und protektionistische Handelspraktiken gemeinsam vorgehen und
seine Interessen entschlossen verteidigen wird, wann und
wo immer das nötig ist .
({4})
Dabei können wir in Europa auf unsere jeweiligen
Stärken vertrauen, und zwar auch und gerade, wenn diese sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und von Region zu Region unterscheiden . Denn die Vielfalt Europas
besteht nicht nur aus Sprache und Kultur, sondern auch
aus den oft sehr vielfältigen wirtschaftlichen Spezialisierungen . Die Europäische Union sollte diese Unterschiede
nicht behindern, sondern ihre Mitgliedstaaten und Regionen in ihren jeweiligen Stärken unterstützen . Natürlich
ist eine kluge, gemeinsame Regulierung auf europäischer
Ebene an vielen Stellen notwendig und sinnvoll . Aber
Ziel des europäischen Binnenmarktes ist es ausdrücklich
nicht, alle Unterschiede zu beseitigen . Deshalb sollte Europa stärker dazu beitragen, dass die innovativen Kräfte
und das kreative Potenzial in den Regionen voll zur Entfaltung kommen können . Wo dafür Hindernisse bestehen
oder wo die Regulierung übertrieben wurde, sollten wir
wirklich prüfen, ob und vor allem wie diese abgebaut
werden können .
Ich freue mich, dass die Europäische Kommission mit
Jean-Claude Juncker an der Spitze und dem zuständigen
Ersten Vizepräsidenten Frans Timmermans dies für sich
zu einer Priorität erklärt hat und etwa 80 Regulierungen
zur Disposition gestellt hat, von denen die allermeisten
jetzt nicht umgesetzt werden . Ich freue mich, dass sich
die Kommission seit ihrem Amtsantritt damit verstärkt
auf die Aufgaben konzentrieren kann, bei denen die Europäische Union tatsächlich einen Mehrwert leisten kann .
Das gilt zum Beispiel für die Flüchtlingspolitik . Hier
haben wir ohne Zweifel Fortschritte zu verzeichnen . An
weiteren Fortschritten wird gearbeitet . So wollen und
müssen wir das Gemeinsame Europäische Asylsystem
reformieren; die Innenminister arbeiten mit Hochdruck
daran . Wir müssen es reformieren, solidarischer ausgestalten und vor allen Dingen auch krisenfest machen . Im
Bereich der Rückführungen wollen wir auf europäischer
Ebene enger zusammenarbeiten . Die Europäische Kommission hat auch dazu wichtige Vorschläge vorgelegt .
Dennoch - da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen - liegt immer noch zu vieles zu sehr im Argen . Die
Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ist weiterhin sehr unbefriedigend, und das EU-Türkei-Abkommen wird von der griechischen Seite bis heute nicht so
umgesetzt, wie das notwendig wäre .
({5})
Auf der zentralen Mittelmeerroute nach Italien haben
wir im Grunde tagtäglich Todesfälle zu beklagen . Der
Kampf gegen die kriminellen Schlepper und Schleuser
muss deshalb unverändert allerhöchste Priorität haben .
Ihnen muss das skrupellose und menschenverachtende
Handwerk gelegt werden .
({6})
Dieser Kampf gegen die kriminellen Schlepper - wir haben gerade wieder fürchterliche Nachrichten aus Libyen
gehört -, der damit verbundene notwendige Schutz der
europäischen Außengrenzen und die Bekämpfung von
Fluchtursachen - das alles rettet Leben, ganz konkret und
jeden Tag .
Das ist das Konzept, das hinter den Bemühungen steht,
migrationspolitische Partnerschaften mit Drittstaaten,
also mit Herkunfts- und Transitstaaten, einzugehen . In
enger Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten können wir den Menschen, die in ihren Heimatländern ohne unser Handeln keine Perspektive für sich
sehen und die sich deshalb auf den lebensgefährlichen
Weg nach Europa machen, helfen und die derzeit untragbare Lage nachhaltig in den Griff bekommen. Dafür setze
ich mich, dafür setzt sich die gesamte Bundesregierung
mit ganzer Kraft ein . Ich erinnere nur an unsere Migrationspartnerschaften zum Beispiel mit Niger und Mali .
Anfang Februar haben wir hierüber auch ausführlich
auf dem informellen Gipfel auf Malta beraten und ganz
konkrete Beschlüsse gefasst, die umgesetzt werden müssen . Einen Schwerpunkt bildete Libyen, wo wir vor allen
Dingen an der politischen Lösung arbeiten müssen; denn
eine stabile politische Situation gibt es in Libyen zurzeit
nicht . Ich selber habe hierzu zuletzt intensive Gespräche
auch in Ägypten und Tunesien geführt .
Ein wichtiges Beispiel einer solchen migrationspolitischen Partnerschaft ist natürlich die Zusammenarbeit
zwischen der Europäischen Union und der Türkei . Seit
die EU-Türkei-Vereinbarung in Kraft ist, also seit nunmehr fast einem Jahr, hat die Zahl der Menschen, die in
der Ägäis ums Leben kommen, massiv abgenommen,
sind die Lebensbedingungen der in der Türkei lebenden
Flüchtlinge wie im Übrigen auch die LebensbedingunBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
gen der nach Jordanien und in den Libanon kommenden
Flüchtlinge verbessert worden .
({7})
Weil es jedoch noch immer an europäischer Solidarität
mangelt, um es zurückhaltend zu formulieren - denken
wir nur an die Verteilung von Flüchtlingen über freiwillige Kontingente -, wird manchmal zu leicht übersehen,
dass wir selbst dann, wenn die europäische Solidarität in
der Flüchtlingspolitik vorbildlich wäre, Vereinbarungen
mit Herkunfts- und Transitstaaten bräuchten, wie wir sie
jetzt mit einigen Staaten Nordafrikas anstreben und wie
wir sie mit der Türkei haben . Ohne solche Abkommen
könnten wir auch bei bester europäischer Solidarität nicht
viel mehr tun, als uns mit illegaler Migration abzufinden.
({8})
Gelöst wäre damit gar nichts, und geholfen wäre damit
auch niemandem .
({9})
Nur mit solchen Vereinbarungen mit Herkunfts- und
Transitstaaten können wir wirksam, das heißt tatsächlich
nachhaltig, an den Fluchtursachen vor Ort oder, wie im
Fall der vor Krieg und Terror in Syrien fliehenden Menschen, zumindest in der Nähe der Heimat der Flüchtlinge
ansetzen .
Wir sollten niemals vergessen, dass niemand seine
Heimat, sein gewohntes Umfeld leichtfertig verlässt . Die
EU-Türkei-Vereinbarung wie auch andere Vereinbarungen mit Drittstaaten sind also im Interesse aller . Sie sind
im Interesse der Menschen, die ihre Heimat aus Furcht
vor Krieg und Verfolgung verlassen müssen . Sie sind
im Interesse Europas, da sie die Zahl der nach Europa
kommenden Menschen nachhaltig reduzieren . Und sie
sind im ureigenen Interesse der betroffenen Drittstaaten
selbst, wollen sie sich nicht mit der ungebremsten Ausbreitung eines kriminellen und mafiösen Schlepperwesens in ihren Ländern oder an ihren Küsten abfinden.
({10})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nicht zuletzt
auch und gerade für die Türkei .
Es gibt also einerseits umfassende gemeinsame europäisch-türkische Interessen . Es gibt andererseits - wir
spüren das in diesen Tagen einmal mehr überdeutlich tiefgreifende Differenzen zwischen der Europäischen
Union und der Türkei, zwischen Deutschland und der
Türkei .
Mit wenigen Ländern hat Deutschland so komplizierte, aber zugleich so vielfältige Verbindungen wie mit der
Türkei: über die Millionen Menschen, die sich beiden
Ländern verbunden fühlen, über unsere engen wirtschaftlichen Beziehungen, darüber hinaus als NATO-Partner
und im gemeinsamen Kampf gegen den islamistischen
Terror . Umso trauriger und deprimierender sind die Äußerungen, mit denen türkische Regierungsmitglieder,
auch der türkische Staatspräsident, die Bundesrepublik
Deutschland in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt hat .
({11})
Das ist so deplatziert, dass man es eigentlich ernsthaft gar
nicht kommentieren kann; zu rechtfertigen ist es schon
überhaupt nicht, auch nicht mit einem Wahlkampf zur
Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei . Das
alles ist zudem so überaus traurig, weil NS-Vergleiche
grundsätzlich immer nur ins Elend führen, also dazu, die
Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen, und das werden wir nun auf gar keinen Fall
zulassen .
({12})
Die Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem
Nationalsozialismus müssen aufhören . Sie sind der engen
Verflechtungen und Beziehungen zwischen Deutschland
und der Türkei und unseren beiden Völkern - politisch,
gesellschaftlich, als NATO-Partner und wirtschaftlich nicht würdig .
({13})
Die tiefgreifenden und ernsten Meinungsunterschiede mit der Türkei berühren ganz grundsätzliche Fragen
von Demokratie und Recht: zum Zustand der Presse- und
Meinungsfreiheit in der Türkei, zum Schicksal so vieler
verhafteter Journalisten, auch des Journalisten Deniz
Yücel, für dessen Freilassung sich die ganze Bundesregierung mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln einsetzt .
({14})
All das legt die ganze Bundesregierung in ihren Gesprächen auf allen Ebenen wieder und wieder auf den
Tisch . Wir tun das in aller Klarheit, und wir tun das auf
der Grundlage unserer Werte, also Meinungsfreiheit,
Pressefreiheit, Redefreiheit und Versammlungsfreiheit .
Diese Werte gelten . Sie leiten uns auch, wenn es darum
geht, ob türkische Politiker bei uns auftreten können, um
Reden für ein Präsidialsystem zu halten, das aus Sicht der
Venedig-Kommission des Europarates für die zukünftige
Entwicklung der Türkei mehr als problematisch ist . Das
ist - das spüren wir alle - natürlich eine äußerst schwierige Gratwanderung . Orientierung können uns dabei wieder nur unsere Werte, unser Recht und unsere Gesetze,
unsere nationalen wie europäischen Interessen geben .
Und deshalb ergänze ich: So schwierig das alles derzeit
auch ist, so unzumutbar manches ist: Unser außen-, sicherheits- und geopolitisches Interesse kann es nicht
sein, dass die Türkei, immerhin ein NATO-Partner, sich
noch weiter von uns entfernt . Es lohnt sich also von unserer Seite, sich nach Kräften für die deutsch-türkischen
Beziehungen einzusetzen, allerdings auf der Basis unserer Werte, unserer Vorstellungen und in aller Klarheit .
({15})
Innerhalb des bei uns geltenden Rechts und der bei
uns geltenden Gesetze halten wir in der Bundesregierung
deshalb auch Auftritte türkischer Regierungsmitglieder
in Deutschland weiterhin für möglich, sofern und solange sie ordnungsgemäß, rechtzeitig und mit offenem
Visier angekündigt sind und dann auch tatsächlich genehmigt werden können . Ich werde mich weiter mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass wir unsere Grundwerte so
leben können und so leben, wie wir das für richtig halten;
denn sie machen unsere Art und unser Leben aus, und
ich werde mich genauso dafür einsetzen, dass dies, wo
immer möglich, auch in anderen Ländern, auch in der
Türkei, möglich sein wird und möglich sein muss .
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort an die
vielen Menschen mit türkischen Wurzeln, die entweder
deutsche Staatsbürger sind oder schon viele Jahre bei uns
leben . Sie sind Teil unseres Landes, sie begegnen uns als
Mitschüler, als Arbeitskollegen und als Sportfreunde .
Sie tragen zum Wohlstand unseres Landes bei, sie tragen
zum guten Zusammenleben in unserem Land bei, und
wir wollen alles tun, damit nicht eventuell Konflikte, die
innertürkisch sind, in dieses Zusammenleben hineingetragen werden .
({17})
Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich
sage: Lassen Sie uns unsere Art des Zusammenlebens
weiter fördern und sogar noch verbessern, wo immer das
möglich ist . Das ist uns ein Herzensanliegen .
({18})
Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Jahren lernen müssen, wie direkt sich manche Kriege
und Konflikte in unserer Nachbarschaft auf unser eigenes
Leben in Europa auswirken können, auch wenn wir zu
lange und manchmal auch zu gerne dachten, dass uns die
Lage dort vielleicht nicht wirklich berühren würde . Heute müssen wir erkennen, dass das der Fall ist, dass uns
das berührt, aber zudem auch, dass sich vieles auf der
Welt ändert, zum Beispiel auch der Charakter der transatlantischen Beziehungen . Das steht im Übrigen nicht von
vornherein im Widerspruch dazu, dass ich zutiefst davon
überzeugt bin, dass die transatlantische Partnerschaft auf
der Grundlage unserer Werte und Interessen für uns alle,
also nicht nur für uns Europäer, auch weiterhin von überragender Bedeutung ist . In diesem Geist jedenfalls werde
ich in der kommenden Woche meine Gespräche mit Präsident Donald Trump in Washington führen .
Genau weil sich der Charakter der transatlantischen
Beziehungen verändert, hat sich Europa dazu entschlossen, in Zukunft mehr Verantwortung als in der Vergangenheit zu übernehmen, und zwar sowohl in unserer eigenen Nachbarschaft als auch darüber hinaus . Das beginnt
bereits mit der Lage auf dem westlichen Balkan, über die
wir heute auch beim Europäischen Rat sprechen werden .
Der Europäische Rat steht zur europäischen Perspektive
für die Länder des westlichen Balkans . Wir werden die
Staaten der Region auf diesem Weg weiter unterstützen,
gleichzeitig aber auch auf die Umsetzung der dafür notwendigen Reformen drängen .
({19})
Wir haben leider feststellen müssen, dass sich die Entwicklung sehr viel komplizierter gestaltet, als wir uns das
dachten . Dennoch liegt es nach wie vor - ein Blick auf die
Landkarte genügt - in unserem ureigenen europäischen
Interesse, dass Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in diesem Teil Europas selbstverständlich
werden . Ich freue mich, dass die von Deutschland initiierten Balkankonferenzen fortgesetzt werden, in diesem
Jahr von Italien . Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt,
um die Länder auch untereinander besser in Kontakt zu
bringen . Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
in diesen Ländern sind die beste Voraussetzung für langfristige Stabilität und gute nachbarschaftliche Beziehungen im westlichen Balkan .
Mehr Verantwortung wird Europa auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik übernehmen . Auch darüber werden wir heute in Brüssel sprechen, wie schon
beim letzten Europäischen Rat im Dezember . Eine
ambitionierte europäische Sicherheitsagenda ist heute
wichtiger denn je . Wir müssen als Europäische Union
zu einem eigenständigen Krisenmanagement in unserer
Nachbarschaft in der Lage sein, und zwar ausdrücklich
nicht in Konkurrenz, sondern komplementär, ergänzend,
zur NATO .
Wichtig wird dabei sein, die militärischen und zivilen
Fähigkeiten der Mitgliedstaaten nicht nur mit den nötigen finanziellen Möglichkeiten auszustatten, sondern sie
auch strukturell besser miteinander zu verzahnen . Wir
wissen, es gibt nicht die alleinige militärische Lösung eines Konfliktes; wir wissen aber auch, dass es ohne militärisches Eingreifen, nur mit zivilem Engagement häufig
nicht geht . Deshalb wollen wir den umfassenden Ansatz
europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik verzahnen, verbessern - das Miteinander ziviler und militärischer Instrumente .
({20})
Dazu gehört das Instrument der Ständigen Strukturierten
Zusammenarbeit, das im Lissabon-Vertrag angelegt ist
und das es uns ermöglicht, bei der Entwicklung, Planung
und Entsendung von Fähigkeiten weiter voranzuschreiten . Dabei soll jeder Mitgliedstaat mitmachen dürfen,
ohne dazu gezwungen zu sein .
Meine Damen und Herren, wir müssen notwendige
Verbesserungen in Europa ambitioniert, also mit einem
hohen Anspruch angehen können, ohne dabei jedes Mal
den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten zu gefährden; denn die vor uns liegenden Aufgaben sind zu
groß, als dass wir in Europa immer nur mit dem kleinsten
gemeinsamen Nenner arbeiten können .
({21})
Daher muss es weiter und notfalls verstärkt möglich sein,
dass einige Mitgliedstaaten voranschreiten, während andere sich an bestimmten Schritten nicht oder noch nicht
beteiligen wollen . Für ein solches Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt es im Übrigen in
der Geschichte der Europäischen Union schon Beispiele .
Letztlich sind die Einführung des Euros und der Schengen-Raum zwei Beispiele, an denen sich das schon zeigt .
Mit einem weiteren solchen Beispiel wird sich der
Europäische Rat heute befassen, nämlich mit der Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft . Sie soll dem
Zweck dienen, Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union zu verfolgen, beispielsweise
in Fällen von Veruntreuung europäischer Fördermittel .
Auch hier möchte eine Gruppe von Mitgliedstaaten voranschreiten, während andere sich jedenfalls zum
jetzigen Zeitpunkt noch nicht daran beteiligen wollen .
Entscheidend bei diesen Fragen der unterschiedlichen
Zusammenarbeit ist für mich, dass dann, wenn wir solche Schritte gehen, diese anschließend für alle Mitgliedstaaten offen bleiben. Wir dürfen also nicht ausgrenzen.
Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist
einladend und nicht ausschließend .
({22})
Zugleich können wir in Europa bei wichtigen Fragen
vorankommen, ohne dass Mitgliedstaaten sich zu einer
Teilnahme gezwungen sehen oder auf Dauer von ihr ausgeschlossen werden . Ich glaube, dass das ein wichtiger
Weg ist . Dieser wird auch eine Rolle spielen, wenn es
um die weitere Entwicklung der Europäischen Union und
um die Rolle Europas in der Welt geht . Das wollen wir
am 25 . März 2017 anlässlich des 60 . Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge auch begehen und
feiern .
Nach wie vor gilt: 60 Jahre europäische Integration
sind 60 Jahre Frieden, Wohlstand und Stabilität auf der
Grundlage gemeinsamer europäischer Werte . Im Anschluss an den heutigen Europäischen Rat werden wir
uns deshalb morgen auf das Treffen zum 60. Jahrestag
in Rom vorbereiten, und zwar im Kreise der zukünftig
27 Mitgliedstaaten sowie der Präsidenten des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission .
Heute werden wir auch über die Wiederwahl von
Donald Tusk zum Präsidenten des Europäischen Rates
für weitere zweieinhalb Jahre entscheiden . Ich sehe seine
Wiederwahl als ein Zeichen der Stabilität für die gesamte
Europäische Union an und freue mich darauf, die Zusammenarbeit mit ihm fortzusetzen .
({23})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade wir Deutschen profitieren jeden Tag von der Europäischen Union:
von der Reisefreiheit, vom europäischen Binnenmarkt,
von der Freundschaft und dem engen Austausch mit unseren europäischen Nachbarn . Es gibt keine andere Region auf dieser Welt, die eine solche Erfolgsgeschichte
für sich verbuchen könnte . Und doch laufen wir viel zu
oft Gefahr, die Europäische Union im besten Falle als
bloße Selbstverständlichkeit, im schlechtesten Falle als
Verursacher und Sündenbock für fast alle Probleme unserer Zeit zu begreifen .
Um Europa zusammenzuhalten, bedarf es deshalb
kontinuierlich großer Anstrengungen, und zwar von uns
allen, und einer ehrlichen Bestandsanalyse dahin gehend,
dass auch mal die Mitgliedstaaten schuld daran sind, dass
etwas nicht richtig läuft .
({24})
Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen
Union ist ein Anlass, den wir als Weckruf begreifen sollten - trotz der vielen spezifischen Faktoren, die bei den
britischen Wählerinnen und Wählern eine Rolle gespielt
haben . Es bleibt dabei, dass die Verhandlungen mit Großbritannien erst beginnen können, nachdem die britische
Regierung ihre Absicht offiziell mitgeteilt hat. Für eine
vertiefte Diskussion in Brüssel wird es heute und morgen
also noch zu früh sein .
Um Europa langfristig zusammenzuhalten, vor allem
aber auch, um Europa langfristig zu stärken, müssen wir
die Errungenschaften der europäischen Integration bewahren und verteidigen . Dazu müssen wir uns beim Jubiläumsgipfel in Rom zu unseren gemeinsamen Werten
und Interessen bekennen . Denn trotz aller Rückschläge
und Enttäuschungen, die wir gerade in den letzten Jahren
erlebt haben, hat ein Satz aus der Berliner Erklärung, die
wir zum 50 . Jubiläum der Römischen Verträge im Jahre 2007 verabschiedet haben, für mich nichts, aber auch
gar nichts von seiner Bedeutung eingebüßt . Ich zitiere:
Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint .
({25})
Ich verstehe diesen Satz allerdings auch als Ansporn .
Er ist für mich ein Ansporn, die Herausforderungen entschlossen anzugehen, die eine Welt im Wandel für uns
bereithält - eine Welt, die, wie wir auch schon oft gesagt
haben, an vielen Stellen aus den Fugen geraten zu sein
scheint .
Dazu müssen wir die Europäische Union überall dort
verbessern, wo sie dringend verbessert werden muss .
In wichtigen gesamteuropäischen Fragen müssen wir
schneller zu Entscheidungen kommen und diese konsequenter umsetzen . Wir müssen uns auf die Themen konzentrieren, für die ein Handeln auf europäischer Ebene
tatsächlich besser geeignet ist als ein Handeln auf nationaler und regionaler Ebene . Dann wird Europa erfolgreich sein und seine Werte und Interessen behaupten können . Wenn wir das tun, dienen wir auch den Menschen .
Nur das und nichts anderes hat uns zu leiten: dass wir den
Menschen zu dienen haben .
Das sind die Grundsätze, entlang derer ich mich beim
Europäischen Rat und darüber hinaus für eine gute Zukunft einsetzen werde . Ich bitte dafür um Ihre Unterstützung .
Herzlichen Dank .
({26})
Bevor ich jetzt dem Kollegen Bartsch für die Fraktion
Die Linke das Wort erteile, bitte ich die Kollegen mit diesen T-Shirts, sich entsprechend unserer Hausordnung aus
dem Saal zu begeben und ohne T-Shirts gegebenenfalls
wieder in den Saal zu kommen .
({0})
Es wird im Übrigen, Herr Kollege Mutlu, nicht dadurch besser, dass Sie das zu einem Stilmittel erheben
wollen .
({1})
Bitte sehr, Herr Kollege Bartsch .
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
ja dankbar, dass die Regierungserklärung um genau das
Thema erweitert worden ist, auf das die drei Kollegen,
die jetzt etwas mutlos den Saal verlassen, hingewiesen
haben . Es geht um die Freiheit von Deniz Yücel . Es ist
gut, dass sich der Ältestenrat so verständigt hat . Ich will
auch ausdrücklich sagen: Ja, unsere Demokratie lebt von
der Kontroverse, auch von der deutlichen Auseinandersetzung, aber es ist gut, dass es Punkte gibt, bei denen
wir Gemeinsamkeiten haben . Deswegen, Herr Bundestagspräsident, bin ich Ihnen für Ihre fünf Punkte, die Sie
hier erwähnt haben, sehr dankbar . Ich bin froh, dass wir
in dieser Frage Konsens im Haus haben . Ich hätte mir
im Übrigen gewünscht, dass die Bundesregierung diese
Klarheit schon lange an den Tag gelegt hätte, so wie Sie
in Ihren fünf Punkten .
({0})
Ich finde besonders den Vergleich unseres Landes mit
Nazideutschland völlig inakzeptabel . Das will ich noch
einmal - ich hoffe im Namen des gesamten Hauses - hervorheben .
({1})
Ich bin aber genauso klar in der Positionierung, dass
die Verhaftungen von über 150 Journalistinnen und Journalisten, die Verhaftungen von Oppositionspolitikern,
darunter sogar Fraktionsvorsitzenden, die willkürlichen
Verhaftungen im Staatsapparat und in der Armee nicht zu
akzeptieren sind . Hier wird die Demokratie in der Türkei
abgeschafft, zumindest aber der Rechtsstaat ausgehöhlt.
({2})
Wir als Linksfraktion und -partei fordern die sofortige
Freilassung von Deniz Yücel .
({3})
Dem Brief des Welt-Chefredakteurs ist eigentlich nichts
hinzuzufügen . Er ist ein Symbol geworden . Wir sehen
jetzt in der Türkei deutlich, was schon seit Monaten
zu beobachten ist . Mir scheint, dass das nur ein Vorgeschmack darauf ist, was passiert, wenn das Verfassungsreferendum im Sinne von Erdogan angenommen wird .
Die Entscheidung über die Wiedereinführung der Todesstrafe liegt weiterhin auf dem Tisch . Das alles können wir
nicht wollen .
Ich will darauf verweisen, dass auch viele Türkinnen
und Türken in unserem Land diese Politik ablehnen . Ich
lese immer, dass sehr viele diese teilen würden . Nein,
viele lehnen sie ab . Uns alle können diese Zuspitzungen
zwischen der Türkei und Europa und Deutschland nicht
gefallen . Wir erwarten von Ihnen, Frau Merkel, dass Sie
mit den europäischen Staatschefs deutlich Kritik an Ankara üben, aber auch einen Plan entwickeln, wie man
wieder zueinanderfinden kann, und zwar auf der Grundlage des Völkerrechts, der Menschenrechte, der Pressefreiheit und von allem, was dazugehört .
({4})
Wenn Sie allerdings jetzt hier sagen, dass Sie in Klarheit agiert haben, dass Sie die Möglichkeiten ausgeschöpft haben, dann ist das wirklich weit weg von der
Realität . Nutzen Sie doch endlich einmal Ihre Möglichkeiten . Machen Sie doch zum Beispiel das, was Ihr Vorgänger gemacht hat. Helmut Kohl hat 1992 die Waffenexporte in die Türkei eingestellt . Warum exportieren wir
und andere europäische Länder weiterhin Waffen? Stellen Sie das ein . Machen Sie sich beim Europäischen Rat
dafür stark . Das wäre eine Maßnahme .
({5})
Oder frieren Sie die Vorbeitrittshilfen für die Türkei ein .
Das muss doch spürbar sein . Wir brauchen nicht nur
Worte, sondern auch konkretes Handeln . Helmut Kohl
sollte Ihr Maßstab sein . Nach einem Massaker hat er die
Waffenlieferungen damals eingestellt. Sie machen auf
diesem Gebiet aktuell gar nichts . Das ist so nicht zu akzeptieren .
({6})
Hinzu kommt: Sie haben den Despoten doch erst
starkgemacht . Kurz vor der Wahl sind Sie hingefahren .
Das war nichts anderes als eine Wahlunterstützung .
Europa hat sich mit dem Flüchtlingsdeal erpressbar gemacht, und Erdogan erpresst jetzt . Das ist der eigentliche
Skandal, meine Damen und Herren .
({7})
Wenn Sie jetzt zum Europäischen Rat fahren, so tun
Sie dies - das haben Sie völlig zu Recht so beschrieben in Zeiten der größten Krise . Alle schauen ängstlich auf
die Wahlen, nach Frankreich und nach Holland . Aber
diese Krise ist doch nicht vom Himmel gefallen . Dazu
habe ich gerade Sätze mit einer Phrasendichte, die ich
seit zehn Jahren kenne, gehört . Aber es ist doch die Union mit ihrem verantwortungslosen neoliberalen Diktat,
die für die sozialen Verwerfungen in Europa gesorgt hat
und die auch dafür gesorgt hat, dass die europäische Idee
im Moment am Abgrund steht . Für die jetzige Situation
tragen Sie eine Mitverantwortung .
({8})
Sie sind über zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland .
({9})
Die Meldungen, die man jeden Tag vernimmt, verschlagen einem die Sprache . Nun werden in Europa sogar wieder Zäune errichtet . Die Situation in Ungarn ist
eine Katastrophe . In Ungarn hat das Parlament diese Woche beschlossen, Flüchtlinge in Lagern zu halten . Viktor
Orban sperrt mitten in der EU Menschen ein . Das ist
rechtswidrig . Auf dem Gipfel muss die EU beschließen,
dass gehandelt wird, meine Damen und Herren .
({10})
Mittlerweile haben sich sogar die Vereinten Nationen eingeschaltet und die Situation in Ungarn scharf kritisiert .
An dieser Stelle muss ich eines dazusagen: Dieser
Orban ist gern gesehener und hofierter Gast bei der Regierungspartei CSU . Da ist doch irgendetwas nicht in
Ordnung, wenn dieser Mann, der mitten in Europa Lager
errichtet, bei der CSU gefeiert wird .
({11})
In der Flüchtlingspolitik hat die EU versagt . Es gibt
kein europäisches Agieren . Es gibt keine Solidarität der
Regierungen . Sie haben keinen Plan, wie Sie Europa
seine Menschlichkeit zurückgeben können . Es ist doch
unfassbar, dass die Bilder, die wir alle im letzten Jahr gesehen haben - zum Beispiel das Bild des syrischen Jungen Aylan Kurdi am Strand von Bodrum -, so schnell in
Vergessenheit geraten sind . Sie, Frau Merkel, haben im
August 2015 gesagt: Diese Bilder mahnen uns, „das Thema der Migration schnell und im europäischen Geist, das
heißt im Geist der Solidarität, anzugehen und auch Lösungen zu finden.“ Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Und?
Wo ist der Geist der Solidarität? Wo sind der europäische
Geist und die europäischen Lösungen? Fehlanzeige .
Schauen wir nach Griechenland . Die Bilder von Rentnerinnen und Rentnern und von Kranken, die auf der
Straße leben, kennen wir alle . In den letzten Wochen und
Monaten passierte dasselbe . Es ist das alte Muster, das
wir schon einmal hatten: wieder Erpressung in Richtung
Athen, wieder Erpressung in Richtung der griechischen
Regierung . Das Ergebnis dieser Politik ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland nach wie vor bei
über 50 Prozent liegt, und das seit Jahren . Dort wächst
eine Generation der Hoffnungslosigkeit heran. Da kann
man nicht sagen: Ja, aber die Arbeitslosigkeit ist doch ein
bisschen zurückgegangen . - Nein, die Situation in den
südlichen Ländern ist katastrophal, gerade im Hinblick
auf die Jugendarbeitslosigkeit .
({12})
Die Rechtspopulisten erzielen beständig Zuwächse .
Wenn wir in Europa nicht endlich umsteuern, werden wir
in einem europäischen Albtraum erwachen, meine Damen und Herren .
({13})
Es ist der Neoliberalismus, der die extreme und populistische Rechte in Europa erst starkgemacht hat . Der Rechtspopulismus ist die dunkle Seite des Neoliberalismus .
({14})
Aber auch hier in Deutschland werden die Verwerfungen größer . Die Schere zwischen Arm und Reich ist
größer geworden . Der Armutsbericht von letzter Woche
ist die Rote Karte für die Politik der Großen Koalition .
Wir haben auf der einen Seite obszönen Reichtum, und
auf der anderen Seite sind 15,7 Prozent der Menschen in
Deutschland von Armut bedroht . Das sind 13 Millionen
Menschen, so viele wie in Nordrhein-Westfalen leben .
({15})
Es sind Familien, vor allen Dingen Alleinerziehende und
in besonderer Weise Frauen, die davon betroffen sind.
Sie handeln innerhalb des Landes unzureichend, Stichworte Kinderarmut und Altersarmut . Notwendig wären
ein Investitionsprogramm in Deutschland und ein europäisches Investitionsprogramm, statt weiter die Märkte mit billigem Geld zu fluten. Das wären die richtigen
Maßnahmen . Dafür müssten Sie sich einsetzen .
({16})
Aber was machen Sie? Sie wollen lieber mehr Geld in
Rüstung und Kriegsgerät stecken . Als das 2-Prozent-Ziel
vereinbart worden ist, habe ich gedacht, es ist so ernst
zu nehmen wie im Hinblick auf die Entwicklungspolitik
eine ODA-Quote von 0,7 Prozent . Hier agieren Sie aber
wirklich . Sie wollen 20 bis 30 Milliarden Euro mehr für
Rüstung ausgeben . Mehr Verantwortung? Ja, damit bin
ich einverstanden . Aber mehr in Rüstung investieren?
Das ist doch eine Wahnsinnsidee! Was hat das denn mit
der Bekämpfung von Fluchtursachen zu tun? Überhaupt
nichts!
({17})
Geben Sie mehr Geld für die Entwicklungspolitik und
den Klimaschutz, aber doch nicht für mehr Rüstung! Das
ist doch der völlig falsche Weg . Was ist denn mit dem
Satz „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen“? Das, was hier gemacht wird, ist doch das Gegenteil .
({18})
Ja, Europa ist in der größten Krise: Rechtspopulismus, Jugendarbeitslosigkeit, Finanzkrise . Frau Merkel,
Sie sind seit über zehn Jahren Bundeskanzlerin, und deshalb tragen Sie für diese Krise relevant Verantwortung .
Deswegen brauchen wir in der zentralen Industriemacht
Europas einen Politikwechsel: Damit der soziale Zusammenhalt im Land wiederhergestellt wird und das große
Projekt Europa nicht scheitert . Das ist ein Friedensprojekt gewesen und wird jetzt gefährdet .
({19})
Damit uns unsere Kinder und Enkel nicht irgendwann
einmal fragen, was wir damals gemacht haben, ist jetzt
Handeln und sind jetzt nicht nur salbungsvolle Worte angesagt .
Herzlichen Dank .
({20})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann
für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In zwei
Wochen jährt sich zum 60 . Mal die Unterzeichnung der
Römischen Verträge . Es ist keine Frage: Die Gründung
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war eine Zeitenwende . Sie war der Grundstein für die Europäische
Union und die europäische Antwort auf den jahrhundertelangen Nationalismus, der unendlich viel Krieg, Zerstörung und Unterdrückung hervorgebracht hat .
Die Europäische Union hat uns jetzt 60 Jahre lang stabile Demokratien, Freiheit, Wachstum, Wohlstand und
vor allen Dingen Frieden beschert . Deshalb sage ich:
Welche Mängel diese Union auch immer haben mag, wir
müssen alles dafür tun, dass diese weltweit einzige Form
der transnationalen Zusammenarbeit erhalten bleibt, und
sie gegen alle Angriffe von innen und von außen verteidigen;
({0})
denn heute droht eine erneute Zeitenwende .
Dass jetzt auch der amerikanische Präsident die EU
angreift, ihre Gegner unterstützt und ihre Werte infrage
stellt, konnten wir uns bisher nicht vorstellen . Es passt
aber offenkundig nicht in das Weltbild von Donald
Trump, dass 27 prinzipiell gleichberechtigte Nationen
ihre Probleme gemeinsam lösen und ihre Interessen ausgleichen wollen . Das ist das exakte Gegenteil von „America First“ . Amerika zuerst, Frankreich zuerst, wer auch
immer zuerst: Dieser Neonationalismus kann kein Modell für das gute Zusammenleben der Völker im 21 . Jahrhundert sein .
({1})
Wenn jeder nur noch auf seine eigenen Interessen schaut,
dann werden am Ende alle verlieren .
Gefahr droht der Europäischen Union aber nicht nur
von außen, sondern durch nationalistische und rechtspopulistische Parteien auch von innen . In Polen und Ungarn
sind Jaroslaw Kaczynski und Viktor Orban dabei, Grundwerte wie die Pressefreiheit und eine freie Justiz zu demontieren, und der Umgang mit Flüchtlingen in Ungarn,
der im Augenblick praktiziert wird, ist indiskutabel .
({2})
Ich muss an dieser Stelle auch erwähnen: Gerade kam
die Meldung, dass Polen damit droht, den EU-Gipfel
platzen zu lassen, wenn kein rechtskonservativer Pole,
sondern der liberale Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten gewählt wird. Ich finde, das ist peinlich.
({3})
Überall in Europa propagieren diese Kräfte Abschottung und nationales Denken . Die EU war noch nie in ihrer Geschichte so unter Druck . Von außen zeigen Putin
und Trump ein unverhohlenes Interesse daran, Europa
auseinanderzutreiben . Von innen warten Le Pen und
Wilders darauf, ihnen dabei zu helfen . In diesen Tagen
haben viele ein Interesse daran, die Europäische Union
zu schwächen . Die Einzigen, die kein Interesse daran haben können, das sind die Menschen in Deutschland und
Europa . Deshalb darf Europa, dürfen wir nicht zulassen,
dass Europa von innen zerbricht, noch dass es von außen
gespalten wird .
({4})
Ich finde, wir müssen jetzt mit mehr Mut für Europa
kämpfen - so wie es zum Beispiel eine Bewegung macht,
die sich „Pulse of Europe“ nennt . In über 35 Städten in
Deutschland demonstrieren jetzt jeden Sonntag Menschen für Europa:
({5})
Familien, Jüngere ebenso wie Ältere . Das sind noch
kleine Gruppen . In meiner Heimatstadt Göttingen haben
letzten Sonntag 150 Personen teilgenommen . Es werden
aber von Woche zu Woche mehr . Das kann eine richtige
Graswurzelbewegung werden . Und das Bemerkenswerte
daran ist: Sie demonstrieren nicht gegen etwas, sondern,
lieber Volker, sie demonstrieren für etwas, für die Europäische Union,
({6})
für die Vorzüge eines offenen Europas, für Reisefreiheit,
für eine Sicherheit gebende Gemeinschaft im Weltgefüge .
Wir haben im letzten Jahr in dieser Gesellschaft eine
Politisierung von rechts erlebt . Was wir jetzt erleben, ist
eine Politisierung derjenigen, die sich die Demokratie
und Europa nicht kaputt machen lassen wollen . Und genau eine solche positive Kraft brauchen wir, meine Damen und Herren .
({7})
Viele haben erkannt, dass der Kampf um den Erhalt der
liberalen Demokratien, der sozialen Marktwirtschaft und
einer Gesellschaft, die auf Toleranz und Respekt beruht,
eben nur mit einem funktionierenden Europa gewonnen
werden kann .
Meine Damen und Herren, ich war letzte Woche in
London und hatte Gelegenheit, dort mit jungen Menschen über den Brexit zu diskutieren . Viele von ihnen
glauben, dass sich ihr Leben dadurch zum Schlechteren
verändern wird. Sie sehen ihre Chancen und Hoffnungen bedroht, aber sie wissen natürlich auch, dass das Referendum politische Fakten geschaffen hat. Der Antrag
Großbritanniens wird kommen . Das ist ohne Zweifel ein
großer Verlust für die Europäische Union .
Natürlich muss die Freundschaft zwischen Deutschland und Großbritannien auch nach dem Brexit fortbestehen . Das bedeutet übrigens für mich auch, dass möglichst
schnell für die 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien
Rechtssicherheit geschaffen werden muss. Die britische
Regierung kann die EU-Mitgliedschaft abwickeln . Was
man aber nicht abwickeln kann, sind Menschen, die auf
ihre EU-Bürgerschaft vertraut haben .
({8})
Das gilt natürlich genauso für die über 1 Million britischen Staatsbürger, die in der EU leben. Ich finde, wir
müssen diesen Menschen schnell sagen können, dass sie
ihren Status behalten .
Im Übrigen sollte klar sein: Wir wollen faire Verhandlungen, keine Sonderbehandlung Großbritanniens . Die
Leitlinie für die Brexit-Verhandlungen muss die Einheit
der Europäischen Union sein . Die vollen Vorteile des
Binnenmarktes bleiben untrennbar verbunden mit den
vier Grundfreiheiten der Europäischen Union; denn die
EU ist eine Partnerschaft mit Rechten und Pflichten und
kein Selbstbedienungsladen, aus dem sich jeder das nehmen kann, was ihm gefällt .
({9})
Meine Damen und Herren, die Situation in der Türkei ist bestürzend . Über 100 000 Menschen wurden im
letzten Jahr aus dem Staatsdienst entlassen . Jeder, der
eine andere Meinung hat, muss Angst haben, verhaftet
zu werden . Über 100 Journalisten - unter ihnen Deniz
Yücel - und die Führung der Opposition sitzen im Gefängnis . Vor diesem Hintergrund ist es für mich ein absoluter Widerspruch, wenn sich jetzt Präsident Erdogan
und türkische Minister in Deutschland auf die Meinungsfreiheit berufen, während sie gleichzeitig die Meinungsund Pressefreiheit in der Türkei mit Füßen treten .
({10})
Auch wenn es für viele schwer erträglich ist, dass in
Deutschland türkische Regierungsmitglieder für eine
Verfassungsreform werben, mit der die weitgehende Abschaffung der parlamentarischen Demokratie verbunden
ist, plädiere ich trotzdem dafür, nicht allgemeine Einreiseverbote oder Redeverbote zu verhängen; denn Erdogan
sucht mit diesen schrillen Provokationen doch nur die
direkte Auseinandersetzung mit Deutschland . Er sucht
ein Feindbild und will die nationalen Emotionen der türkischen Landsleute für seine umstrittene Verfassungsreform mobilisieren. Ich finde, dabei sollten wir ihm nicht
helfen .
({11})
Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege van Aken
eine Zwischenfrage stellen?
Ja, gern .
Herr Oppermann, vielen Dank . - Ich bin ganz bei Ihnen: Auch ich finde es richtig, dass wir in Deutschland
unsere Freiheitsrechte hochhalten und türkische Politiker
hier reden sollten .
Aber meine Frage an Sie ist: Sind Sie nicht auch der
Meinung, dass nach all den Worten, auch den guten Worten, die in den letzten Tagen von der Bundesregierung gekommen sind, endlich konkretes Handeln kommen muss?
Denn ohne konkretes Handeln wird sich kaum etwas verändern . Ich denke zum Beispiel an die deutsch-türkische
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Die Vorstellung,
dass Deniz Yücel von einem türkischen Polizisten, der
vielleicht von einem Deutschen ausgebildet wurde, festgenommen wurde, finde ich fürchterlich.
Um es mit Blick auf den Sicherheitsbereich noch konkreter zu machen: Sie wissen, dass an zwei Standorten
in der Türkei Soldaten der Bundeswehr stationiert sind,
nämlich in Incirlik und in Konya . Es war Ihre Partei, die
im Herbst letzten Jahres ganz klar gesagt hat: Solange
Abgeordnete dieses Parlamentes die Bundeswehrsoldaten in der Türkei nicht besuchen dürfen, so lange kann
die Bundeswehr dort nicht bleiben . Die Soldaten müssen
abgezogen werden .
Nun herrscht seit fünf Monaten ein faktisches Besuchsverbot für Incirlik . Gestern hat mir die türkische
Regierung wieder untersagt, Konya zu besuchen . Finden
Sie nicht auch, Herr Oppermann, dass Sie zu dem stehen
sollten, was Sie im letzten Herbst gesagt haben: „Solange Besuche von Parlamentariern aus diesem Hause nicht
möglich sind, kann die Bundeswehr nicht weiter aus der
Türkei operieren“?
({0})
Wir sind mit der Türkei in der NATO verbunden . Deshalb arbeiten wir mit ihr zusammen . Wir werden diese
Zusammenarbeit nicht aufkündigen .
({0})
Das wäre falsch, weil das jetzt dazu führen würde, dass
der Gesprächsfaden abreißen würde .
({1})
Es gibt auch gemeinsame Interessen bei der Bekämpfung des Terrorismus . Die Terrorakte, die in der Türkei
passieren, sind ein Angriff auf die türkische Bevölkerung; auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden . Diese lehnen wir auf das Schärfste ab .
({2})
Was die Besuchsrechte der Abgeordneten angeht, bin
ich der Meinung: Diese müssen wir durchsetzen .
({3})
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee . Wir können
diese Besuchsrechte durch weitere Gespräche, die nötig
sind, durchsetzen .
({4})
Die Türkei muss akzeptieren, dass die in der Türkei stationierten Soldaten vom Parlament dorthin geschickt worden sind .
({5})
Deshalb bin ich dafür, weiter daran zu arbeiten, dass diese Besuchsrechte umgesetzt werden können . - Vielen
Dank .
({6})
An einer weiteren Eskalation der Emotionen, Herr van
Aken, und weiteren Druckmitteln können wir auch deshalb kein Interesse haben, weil diejenigen, die darunter
am meisten leiden werden, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland sind . Auf deren Rücken wird das
nämlich abgeladen .
({7})
Deshalb bin ich dem Außenminister Sigmar Gabriel,
aber auch Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dafür dankbar,
dass Sie klargemacht haben: Die in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken sind Teil dieses Landes . Sie
bauen Brücken zwischen diesen Ländern . Diesen Menschen müssen wir gerecht werden, meine Damen und
Herren .
({8})
Aber klar muss auch sein: Die Nazivergleiche sind
hanebüchen und absurd . Die türkischen Regierungsmitglieder sollten diesen Unsinn sofort beenden . Wir sollten nicht müde werden, die Freilassung der inhaftierten
Journalisten und der anderen zu fordern, die inhaftiert
sind, weil sie in Opposition zu dieser Regierung stehen .
Die Türkei muss wieder auf einen demokratischen Weg
zurückkehren, sonst kann sie kein enger Partner von
Deutschland und Europa bleiben .
Meine Damen und Herren, die neue amerikanische
Administration hat, jedenfalls zuletzt, erklärt, dass sie an
der NATO festhalten will . Aber die leichtfertigen Äußerungen von Donald Trump über die NATO zeigen uns
eines ganz deutlich: Wir werden in Europa in Zukunft
mehr für die eigene Sicherheit tun müssen . Dazu werden
auch wir Deutschen beitragen . Aber dass wir in Deutschland die Verteidigungsausgaben um 25 Milliarden Euro
pro Jahr erhöhen, um dem 2-Prozent-Ziel der NATO
nachzukommen, das halte ich für absolut unrealistisch .
Das wäre eine massive Aufrüstung . In einen solchen
Rüstungswettlauf sollten wir nicht eintreten .
({9})
Bei den Verteidigungsausgaben kann es doch nicht
darum gehen, die Masse und das Volumen zu steigern,
sondern es muss doch vor allem darum gehen, welche
Fähigkeiten wir brauchen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten . Diese Fähigkeiten dürfen wir nicht im natioJan van Aken
nalen Alleingang, sondern müssen wir in Europa gemeinsam organisieren .
Meine Damen und Herren, es wäre im Übrigen zu
kurz gedacht, allein mit höheren Verteidigungsausgaben
mehr Sicherheit in Europa zu schaffen. Wir müssen Sicherheit umfassender denken. Wenn wir die Konflikte
und Kriege in unserer Umgebung befrieden wollen, dann
dürfen nicht Waffen im Vordergrund stehen, sondern
dann müssen wir an die materiellen Probleme heran, die
häufig hinter diesen Konflikten stehen. Da sage ich: Die
Höhe der Entwicklungsausgaben ist ein guter Indikator
für die künftige Sicherheit .
Wenn wir jetzt mehr Geld für Verteidigung ausgeben,
dann bin ich entschieden dafür, dass wir dann auch, sozusagen im Gleichschritt, mehr Geld für humanitäre Hilfe
und für wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgeben .
({10})
Ich hatte in München die Gelegenheit, mit dem
UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi zu sprechen,
der sich wünscht, dass Deutschland auch im Jahr 2017
die humanitäre Hilfe der UN wieder so stark unterstützt
wie 2016 . Genau das machen wir auch . Deutschland ist
mit 360 Millionen Euro nach den USA der zweitgrößte
Geber für das Flüchtlingshilfswerk .
Ich muss ganz ehrlich sagen: Dass der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen jedes Jahr herumgehen muss, um das nötige Geld für die Versorgung der
Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern mit dem Allernötigsten einzuwerben, das ist unwürdig .
({11})
Wir haben bei Friedensmissionen einen Finanzierungsmechanismus, der automatisch funktioniert . Einen solchen Mechanismus brauchen wir auch beim
UN-Flüchtlingshilfswerk . Ich halte das für überfällig .
({12})
Meine Damen und Herren, angesichts der Wiederkehr
des Nationalismus war es noch nie so wichtig wie heute,
dass Europa in einer solidarischen Gemeinschaft weiter
zusammenhält . Dieses Prinzip der Solidarität muss Europa auch in Zukunft auszeichnen: bei der Aufnahme
von Flüchtlingen, bei unserer gemeinsamen Sicherheit
und natürlich auch bei der Bewältigung der Euro-Krise .
Allein diese Aufzählung zeigt: Es gibt kein Land in der
Europäischen Union, das keine Unterstützung braucht,
genauso wenig wie es ein Land gibt, das nicht etwas geben könnte . Die Europäische Union lebt vom Geben und
Nehmen und nicht vom „Ich zuerst!“ . Deshalb sage ich:
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass das auch
in Zukunft so bleibt .
({13})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Cem Özdemir das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im September 1946 geschah etwas Erstaunliches: Gerade einmal ein Jahr war vergangen seit dem schrecklichsten
Krieg aller Zeiten mit 60 Millionen Kriegstoten und dem
Holocaust mit 6 Millionen Opfern . Europa war noch immer ein Trümmerfeld . Genau in einer solchen Situation
ruft Winston Churchill, zwischenzeitlich Oppositionsführer im Unterhaus in Großbritannien, die „Vereinigten
Staaten von Europa“ aus . Man höre und staune: Zentrale
Akteure dieser „Vereinigten Staaten von Europa“ sollten
die einstmaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland
sein . Was sich damals wie eine wilde Utopie anhörte, ist
heute längst Realität .
Nein, wir haben nicht die Vereinigten Staaten von Europa, aber wir können bald 60 Jahre Römische Verträge
und damit 60 Jahre europäische Integration feiern . Ich
finde, liebe Freundinnen und Freunde, das ist ein freudiger Anlass . Bei allen schlechten Nachrichten, die wir in
diesen Tagen haben, sollten wir nicht vergessen, was wir
da zu feiern haben .
({0})
In diesen 60 Jahren haben viele Menschen, nicht nur
bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in
der ganzen Europäischen Union, ein großartiges Europa
aufgebaut, mit Demokratie, mit Menschenrechten und
mit Freiheit - mit Werten, die am Ende triumphiert haben . Die Zeiten der Diktaturen sind in Südeuropa vorbei,
aber sie sind Gott sei Dank auch in Osteuropa vorbei,
genauso wie der Eiserne Vorhang Geschichte ist .
({1})
Wir haben mittlerweile - das sage ich mit Stolz - ein
Europa der offenen Grenzen innerhalb der EU, wir haben
ein Europäisches Parlament, eine direkt gewählte Volksvertretung, wir haben eine Unionsbürgerschaft - alles
Dinge, auf die wir stolz sein können, alles Dinge, die wir
aber auch verteidigen müssen, damit es sie morgen noch
gibt .
({2})
Eigentlich sollte jede Kollegin und jeder Kollege, die
bzw . der an diesem Pult hier reden darf, als Deutsche
bzw . als Deutscher reden, aber sie bzw . er sollte immer
auch zugleich als überzeugte Europäerin bzw . Europäer
reden; denn man kann nur guter deutscher Staatsbürger
sein, wenn man gleichzeitig auch überzeugter Europäer ist und das in seinem Handeln und in seiner Sprache
deutlich macht . Auch das wäre sehr wichtig für den Zusammenhalt der Europäischen Union .
({3})
Aber - das gilt für jedes Projekt, das man liebt, für
jedes Projekt, das einem wichtig ist - es gehört Ehrlichkeit dazu . Das heißt: Europa kann nur erfolgreich sein,
wenn es dynamisch bleibt, wenn wir selbstkritisch sind,
wenn wir anpassungsfähig sind und wenn wir auch nicht
den Reformwillen verlieren . Darum ist es erforderlich,
angesichts der Angriffe von innen wie von außen zu reagieren. Zu den Angriffen muss man sagen: Dass diese
von Herrn Putin kommen, gut, daran haben wir uns gewöhnt . Dass er uns und der Europäischen Union nicht gut
gesinnt ist, das wissen die meisten hier, vielleicht bis auf
einige wenige .
({4})
Aber dass jetzt noch dazu der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika kommt, ist etwas, was ich mir
zumindest in meiner Schulzeit nicht hätte vorstellen können . Aber das kann doch nicht heißen, dass wir uns jetzt
hier den ganzen Tag erzählen, wie schlimm die Welt ist,
sondern daraus kann es doch nur eine Konsequenz geben,
nämlich dass wir uns mit allen Kräften darum kümmern,
dass das vornehmste Ziel der deutschen Außenpolitik
Europa sein muss, die Europäische Union sein muss, ein
starkes, ein handlungsfähiges Europa sein muss .
({5})
Ich will nicht, dass wir, wenn wir in 120 Jahren hoffentlich erneut die Römischen Verträge feiern, Austrittsschreiben im Briefkasten der Europäischen Union haben .
Ob wir die bekommen oder ob wir sie nicht bekommen,
das liegt eben auch an uns . Da will ich schon sagen: Ich
hätte in den vergangenen Jahren Ihrer Kanzlerschaft,
Frau Merkel, gerne etwas von Ihnen darüber gehört, wie
Sie sich Europa vorstellen, wie Ihre Vorstellung von Europa ist .
({6})
Wenn man nicht führt, wenn man nicht erklärt, dann
macht man sich weniger angreifbar - natürlich ist das
einfacher; das verstehe ich schon -, dann polarisiert man
nicht so .
({7})
Nur, das Problem ist: Es gibt in der Politik kein Vakuum . Das Vakuum wird immer gefüllt, und wenn wir als
Demokraten es nicht füllen, dann füllen es die Populisten . Ich will aber nicht, dass die Populisten uns sagen,
wie es mit Europa weitergehen soll, sondern wir müssen
sagen, was mit Europa passiert .
({8})
Auch das will ich sehr klar sagen: Wer glaubt, dass
Europa zu einem reinen Binnenmarkt zurückentwickelt
werden kann, der ist nicht nur naiv, sondern der hat Europa bereits abgeschrieben . Die Römischen Verträge, die
die Gründungsmütter und Gründungsväter wollten, sind
eben nicht bloß reine Handelsverträge gewesen; ihnen
ging es immer um eine große europäische Idee .
Machen wir uns doch nichts vor: Auch wir Deutsche
mit all unserer wirtschaftlichen Stärke sind am Ende des
Tages zu klein, um die Probleme, über die wir hier regelmäßig im Parlament reden, ob es die Terrorbekämpfung ist, ob es der Kampf gegen den Klimawandel ist,
ob es der Kampf gegen Epidemien oder der Einsatz für
Demokratie ist, zu lösen . Dafür brauchen wir die anderen
Partnerinnen und Partner; aber dann muss man auch mit
den Partnern so umgehen, dass die Partnerschaft erfolgreich wird .
({9})
Darum hätte ich gerne von Ihnen gehört, dass Sie sagen: Nur wenn es den europäischen Nachbarn gut geht,
dann geht es uns Deutschen gut . Das muss künftig das
Narrativ der deutschen Europapolitik sein .
({10})
- Wir werden es gleich sehen, meine Damen und Herren .
Ich hätte gerne einmal etwas darüber gehört, dass über
40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und
Spanien eben nicht nur ein griechisches und spanisches
Problem sind, sondern dass das auch ein Problem der
deutschen Innenpolitik ist, meine Damen und Herren;
({11})
denn wenn die Zukunftshoffnungen der Menschen in Europa verloren gehen, dann gehen sie regelmäßig leider
nicht zu den Demokraten, sondern dann gehen sie oft
zu den Populisten, und das führt uns nicht weiter . Meine Damen und Herren, wenn man über Europa spricht,
dann muss man eben auch über Sozialpolitik sprechen .
Dann muss man darüber sprechen, dass ein Europa, das
zukunftsfähig ist, nur ein gerechtes Europa sein kann .
({12})
Und ein gerechtes Europa, das bekommen wir nur, wenn
wir verstehen, was jeder Unternehmer weiß: Man kann
sich in der Krise eben nicht nur raussparen, sondern in
der Krise muss man auch investieren, damit der Rubel
wieder rollt,
({13})
damit die Wachstumszahlen steigen
({14})
und damit Arbeitsplätze geschaffen werden.
({15})
Ich freue mich auch - Kollege Oppermann hat es angesprochen -, dass wir mittlerweile an jedem Wochenende
Menschen sehen, junge Menschen, die in europäischen
Städten auf die Straßen gehen und sich versammeln, und
es werden Woche für Woche mehr . Das Motto „Pulse of
Europe“, unter dem sie sich versammeln, bedeutet: Wir
alle sind für die Zukunft Europas verantwortlich, jeder
und jede von uns .
Wissen Sie, ich bin ja jetzt lange genug dabei, dass
ich immer so ein bisschen darauf warte: Wann kommt
eigentlich „die bösen Europäer, die Bösen in Brüssel“?
Ich finde es großartig, dass die das nicht sagen. Die sagen
nicht nur nicht: „Die anderen sind schuld“, sondern sie
sagen: Wir sind, jeder von uns ist Europa . Jeder von uns
hat es in der Hand, wie Europa aussieht. - Ich finde, wir
sind diesen jungen Menschen zu großem Dank verpflichtet . Den Enthusiasmus, den ich mir hier wünschen würde, finden wir auf den Straßen bei den jungen Menschen,
meine Damen und Herren, und das tut gut . Es tut gut, in
diesen Tagen diesen Enthusiasmus zu hören .
({16})
Ich gestatte mir jetzt einen Exkurs, weil es ja hieß: Wir
sollten türkische Politiker hier reden lassen . - Dazu sage
ich gleich etwas . Aber, Herr Oppermann, wenn türkische
Politiker hier reden dürfen, dann ist es natürlich schwierig, zu begründen, warum dann ein Herr Orban nicht bei
der CSU zu Gast sein soll . Da ist ja eine gewisse Logik .
Also, laden Sie ihn von mir aus ein .
({17})
Aber wenn Sie ihn einladen, dann sagen Sie ihm bitte,
wie Asylpolitik in Europa auszusehen hat, und dann sagen Sie ihm bitte etwas über europäische Werte .
({18})
Erzählen Sie ihm doch etwas von Ihren CSU-Bürgermeistern vor Ort, die eine ganz großartige Politik machen . Das würde ich mir wünschen: nicht nach dem
Mund reden, sondern Klartext!
Jetzt will ich doch noch etwas zur Türkei sagen . Meine
Damen, meine Herren, ich höre in diesen Tagen immer:
Wir brauchen die Türkei . - Klar . Wer könnte da widersprechen? Aber gerade jetzt ist es wichtig, zu sagen, dass
die Türkei auch uns braucht! Es ist doch nicht so, dass die
Bundesrepublik Deutschland und Europa Mitglied in der
Türkei werden wollen . Die Türkei will Mitglied in der
Europäischen Union werden . Da wäre es doch vielleicht
auch ganz gut, wenn man mal sagt, wer sich wem anzupassen hat und wer sich an wessen Normen orientieren
muss .
({19})
Meine Damen, meine Herren, als wir Teil dieser Bundesregierung mit der Sozialdemokratie waren und die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geführt haben, da
war die Türkei auf dem Reformweg .
({20})
Wir haben damals Beitrittsverhandlungen initiiert und
haben eine reformorientierte Türkei unterstützt, in der
Eigentum an Christen zurückgegeben wurde, in der über
die kurdische Frage gesprochen werden konnte und in
der die Folter bekämpft wurde . Sie haben eine Türkei,
die sich in die gegenteilige Richtung entwickelt hat, auf
einmal auf Ihrer Karte nicht nur wiederentdeckt durch
den Flüchtlingsdeal, sondern Ihnen konnte es mit den
Beitrittsverhandlungen nicht mehr schnell genug gehen .
({21})
Ich gestehe, es überfordert mich intellektuell, zu verstehen, wie die Türkei-Logik dieser Regierung funktioniert . Vielleicht liegt es daran, dass es in der Frage der
Türkei bei Ihnen gar keine Logik gibt .
({22})
Aber ich wollte gar nicht so polemisch sein . Sie haben
mich einfach dazu provoziert .
({23})
Lassen Sie mich zur Türkei Folgendes sagen: Alle
haben gesagt, dass diese Vorwürfe aus der Türkei mit
dem Nazivergleich absurd sind, dass sie eigentlich so
absurd sind, dass man gar nicht darauf antworten muss .
Ich finde, die beste Antwort geben unsere Lehrerinnen
und Lehrer in der Bundesrepublik Deutschland, die im
Geschichtsunterricht, aber auch in anderen Fächern das
Narrativ unseres Landes „Nie wieder Auschwitz!“ unseren Kindern gemeinsam beibringen .
({24})
Vielleicht nehmen wir das sogar zum Anlass, zu überlegen, wie wir das künftig vermitteln in Gesellschaften,
in Schulklassen, die bunt zusammengewürfelt sind, da es
ja leider immer weniger Überlebende des Holocaust gibt,
die in die Schulklassen kommen . Ich hatte das Glück,
dass ich eine Überlebende in meiner Schulklasse erlebt
habe . Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das beeindruckt hat als jemanden, der so etwas zu Hause nie
gehört hat . Vielleicht müssen wir das künftig gemeinsam
so weiterentwickeln, dass wir in interkulturellen Klassen
gerade ganz besonderen Wert darauf legen, dass dieses
„Nie wieder Auschwitz!“ gelehrt wird, aber auch die Verantwortung aufgezeigt wird, die daraus erwächst: dass
man das nur umsetzen kann, wenn man sich nicht nur
bei uns, sondern in der ganzen Welt dafür einsetzt, dass
Diktaturen keine Chance haben, dass Unterdrückung von
Menschen gemeinsam bekämpft wird .
({25})
Meine Damen, meine Herren, ich will Ihnen mit Blick
auf diese Debatte einen konstruktiven Vorschlag machen:
Lassen Sie uns aufhören, zu streiten, ob türkische Politiker hier reden sollen oder nicht! Dazu haben wir jetzt
einiges gehört . Sie sollen in Gottes Namen hier reden; sie
sollen sehen, was für ein großartiges Land dies ist .
({26})
- In Gottes Gnade .
({27})
- Herr Kauder, ich bin immer wieder erstaunt darüber,
wie Sie sich von dem C im Namen Ihrer Partei absetzen .
Aber sei es drum; das machen Sie dann mit Ihren Wählern aus .
({28})
Das diskutieren wir nachher aus . Ich habe mich schon ein
paarmal gewundert, wie Sie sich da weiterentwickeln .
({29})
Wenn sich Ihre Wähler heimatlos fühlen sollten: Ich hätte
da bei uns eine Heimat anzubieten .
({30})
Aber zurück zum Thema . - Wenn türkische Politiker
hier auftreten, dann erwarte ich von ihnen zumindest
eine Geste des guten Willens in unsere Richtung, dass sie
deutlich machen, dass beispielsweise Deniz Yücel freigelassen gehört, dass beispielsweise auch der Oppositionsführer Selahattin Demirtas freigelassen gehört;
({31})
der gehört nicht ins Gefängnis, sondern ins Parlament,
damit man sich mit ihm darüber streiten kann, wie die
Richtung der Türkei künftig sein soll .
({32})
An die Adresse des türkischen Staatspräsidenten: Man
ist nicht stark, wenn man Oppositionelle einsperrt . Man
ist nicht stark, wenn man Angst vor Journalisten hat, weil
sie kritische Fragen stellen könnten . Man ist nicht stark,
wenn man Medien mit Rollkommandos niedermacht,
weil man Angst vor ihren kritischen Berichten hat . Ich
finde, man merkt dem türkischen Staatspräsidenten an,
dass er Angst hat, das Referendum zu verlieren . Wir sollten alles dafür tun, dass er es verliert .
({33})
Das wäre eine gute Nachricht für die Demokratie in der
Türkei und eine gute Nachricht für das deutsch-türkische
Verhältnis .
({34})
Wenn also türkische Politiker - in unser aller Namen,
Herr Kauder - hier Kundgebungen machen wollen, dann
sollen sie sie machen .
({35})
Dann lade ich Sie ein: Machen wir gemeinsam eine Gegenkundgebung - an der Seite der Türkischen Gemeinde,
an der Seite der Alevitischen Gemeinde, an der Seite der
vielen demokratischen türkischen, kurdischen Organisationen - und zeigen wir, was für eine großartige Demokratie, was für eine großartige Meinungsfreiheit wir hier
haben! Ich glaube, das wäre ein klares Signal Richtung
Ankara und würde dort der Opposition helfen .
({36})
Ich sage ein Weiteres: Wir sollten aus den Fehlern der
Vergangenheit lernen. Wir haben die öffentlich-rechtlichen muttersprachlichen Angebote zurückgefahren, weil
wir gesagt haben: Die Leute schauen doch sowieso Fernsehen aus Russland oder aus der Türkei oder von anderswo . - Das rächt sich jetzt . Deshalb schlage ich vor: Machen wir doch so etwas wie ein deutsch-türkisches Arte!
Stärken wir Angebote in der Muttersprache,
({37})
aber, bitte schön, rechtsstaatlich, ohne Erdogan-Propaganda bei uns! Die braucht keiner; die will keiner .
({38})
Ich will noch etwas sagen, nicht nur an den Bund gerichtet, sondern auch an die Länder: Ein Spitzelnetzwerk
à la Erdogan kann in der Bundesrepublik Deutschland
nirgendwo akzeptiert werden:
({39})
in keiner Moschee, in keinem Kaffeehaus, bei keinem
Imam, bei keinem türkischstämmigen Lehrer . Da haben
wir auch eine Verantwortung für die Demokraten in der
türkischen Community .
({40})
Sie müssen sich sicher sein, dass sie hier sicher sind und
dass sie den Schutz unserer Gesetze genießen . Hier muss
niemand Angst haben, meine Damen und Herren, vor
dem langen Arm Erdogans .
({41})
Zum Schluss will ich mich an die Deutschtürken bei
uns in der Bundesrepublik Deutschland wenden: Unsere
Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur
zu errichten . Deshalb sagt bitte Nein zu Erdogans Verfassungsänderung! Nehmt den Menschen in der Türkei
nicht die Freiheit, die ihr hier in unserem Land gemeinsam mit uns genießt!
Danke sehr .
({42})
Volker Kauder hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenige Wochen vor dem wichtigen Jubiläum
der Unterzeichnung der Römischen Verträge, die dieses
Europa so bedeutend gemacht haben, müssen wir feststellen, dass dieses Europa in keinem guten Zustand ist .
Es liegt nicht an Europa, an den europäischen Institutionen, dass dieses Europa in keinem guten Zustand ist .
Vielmehr sind es die Mitgliedstaaten, die dieses Europa
in diese schwierige Situation bringen . Wenn wir darüber
sprechen, was sich in Europa verändern muss, kann sich
der Blick deswegen nicht nur auf Kommission und Europäisches Parlament richten, sondern er muss sich natürlich auch automatisch auf einzelne Staaten in Europa
richten .
({0})
Insofern ist es natürlich nicht ganz einfach, von diesem Pult aus, von diesem Parlament aus, vonseiten dieser
Regierung öffentlich wohlfeile Ratschläge zu erteilen.
Das alles macht es nicht ganz so einfach, Herr Özdemir,
von diesem Pult aus zu etwas aufzufordern . Es ist richtig,
dass wir in Europa miteinander gemeinsame Positionen
vertreten müssen . Genauso wichtig ist aber, dass wir alle
mitnehmen. Ständige öffentliche Belehrungen sind dabei
nicht hilfreich, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Was ist stattdessen zu tun? Es sind gemeinsame Projekte zu entwickeln, um diesem Europa wieder Mut, Zuversicht und Kraft zu geben . Bei diesem gemeinsamen
Entwickeln von Zukunftsprojekten ist es gerade die Bundesrepublik Deutschland, die immer wieder neue Ideen
einbringt . Herr Özdemir, wenn Sie genau zuhören würden, hätten Sie gehört, dass die Bundeskanzlerin nicht
gesagt hat: „Hauptsache, Deutschland geht es gut“, sondern dass sie auf genau diese Abhängigkeit zwischen der
guten Situation in Deutschland und der guten Situation
in Europa hingewiesen hat - ich zitiere jetzt ihren Satz -:
Das ist … gar nicht hoch genug einzuschätzen in
seiner Bedeutung, weil natürlich zwischen einer guten Zukunft bei uns in Deutschland und einer guten Zukunft in Europa ein direkter Zusammenhang
existiert .
({2})
Damit ist klar ausgedrückt worden, dass wir genau
wissen, dass wir nur gemeinsam, miteinander, in diesem
Europa vorankommen können . Aber damit muss auch
klar sein, dass es gemeinsame Grundsätze geben muss .
Wenn wir davon sprechen, dass es in Europa Herausforderungen gibt, beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit, beispielsweise die Arbeitslosigkeit, beispielsweise
Wachstum, dann muss man sich auch fragen: Warum läuft
es in einigen europäischen Ländern schlecht, und warum
läuft es vor allem in Deutschland gut? Da haben Sie doch
in Ihrer Regierungszeit etwas getan, was in Ordnung war .
Insofern kann man fragen: Wo liegt der Unterschied? In
Deutschland sind die Reformen gemacht worden, die
notwendig waren, um wieder Wachstum zu bekommen
und um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen . Diese sind in
anderen Ländern eben nicht gemacht worden .
({3})
Wer dieses Erfolgsmodell - die Reformen, die gemacht worden sind - jetzt wieder zurückdrehen will, der
sollte sich anschauen, wie das Ergebnis in den europäischen Ländern ist, in denen solche Reformmaßnahmen
nicht durchgeführt worden sind .
({4})
Ich rate dazu, in Europa nicht nach dem Motto zu verfahren:
({5})
Wir müssen nur ein bisschen mehr Geld in den Ausbildungsmarkt hineinwerfen, dann wird es besser . - Ich
sage Ihnen: Das Erfolgsmodell der beruflichen Ausbildung in Deutschland ist das duale Ausbildungssystem .
Sie können den Ländern in Europa noch so viel Geld
geben . Wenn das System der dualen Ausbildung nicht
kommt, wird das keinen Erfolg haben . Deswegen sind
Reformmaßnahmen, neue Strukturen, die den Herausforderungen der Zeit gerecht werden, von zwingender Notwendigkeit .
({6})
Natürlich ist klar: Dieses Europa muss sich den neuen
Herausforderungen stellen . Es muss Antworten auf die
wirtschaftliche Entwicklung finden;
({7})
es muss aber auch Antworten auf die außenpolitischen
Herausforderungen finden. Ich gehe einmal davon aus,
Frau Bundeskanzlerin, dass auf dem anstehenden Gipfel
über diese Fragen gesprochen wird .
Es ist notwendig, dass wir in Europa eine gemeinsame
Linie in der Flüchtlingspolitik finden. Man braucht sich
nicht zu wundern, dass es wie in Ungarn zu Fehlentwicklungen kommt, wenn die Europäische Union nicht in der
Lage ist, hier eine gemeinsame Antwort zu finden.
({8})
Diese gemeinsame Antwort muss natürlich heißen: Solidarität . Zur Solidarität gehört, dass man Griechenland
und Italien mit diesem Problem nicht alleinlässt, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({9})
Beide können das alleine nicht leisten . Nach dem Motto
zu leben: „Hauptsache, sie kommen in Griechenland und
Italien an; der Rest interessiert uns nicht“, wird uns nicht
helfen .
({10})
Deswegen muss Europa eine Antwort auf diese konkrete
Herausforderung finden.
Ich bleibe dabei: Nationale Egoismen dürfen in Europa nicht dazu führen, dass wir die notwendigen Aufgaben nicht lösen . Die Sicherung der gemeinsamen Außengrenze ist dann nicht mehr nationale Aufgabe, wenn das
Ergebnis ist, dass eine Sicherung nicht stattfindet. Dann
brauchen wir eine europäische Grenzsicherungspolizei,
die genau diese Aufgabe erfüllt . Wenn die Sicherung der
gemeinsamen Außengrenze nicht gelingt, dann braucht
man sich nicht zu wundern, wenn der eine oder andere zu der Meinung kommt: Dann überlegen wir, ob wir
die Sicherung nicht doch national machen müssen . - Das
wäre genau die falsche Reaktion für ein offenes und freies Europa .
({11})
Deswegen muss die europäische Grenzsicherung vorankommen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
hat die Europäische Union die Aufgabe, die Werte, die in
Europa gelten, zu vertreten und dafür zu sorgen, dass sie
auch eingehalten werden . Das gilt für europäische Länder wie Polen oder Ungarn, auf die wir mit einiger Sorge
schauen, aber natürlich auch für Länder, die sich in dem
Prozess befinden, sich stärker an Europa zu orientieren
und vielleicht ganz nach Europa zu kommen . Hier gilt
der Grundsatz: Wer nicht bereit ist, die Werte Europas,
zu denen Freiheit, Religionsfreiheit, Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit gehören, für sich zu akzeptieren, der
ist meilenweit von der Wertegemeinschaft Europa entfernt .
({12})
Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Özdemir: Wir von der
Union haben immer davon gesprochen - nie etwas anderes gesagt -, dass wir eine besondere Beziehung Europas
zur Türkei wollen . Wir haben immer von der Privilegierten Partnerschaft gesprochen . Wenn man uns vorwirft,
dass wir einen Kurswechsel vorgenommen haben, dann
muss man feststellen: Das trifft auf Sie zu, weil Ihnen die
jetzige Situation nicht passt .
({13})
Wir hatten immer eine klare Position in dieser Frage .
Ich muss Ihnen, weil Sie vorhin etwas lässig über das
C gesprochen haben, einmal sagen: Seit mehr als einem
Jahrzehnt sind meine Fraktion und ich ganz persönlich
bei dem Thema Religionsfreiheit unterwegs; das wird ja
auch von Ihnen nicht bestritten . In diesen zehn Jahren
und auch schon davor, als Sie eine rot-grüne Regierung
gebildet haben, hat sich an der Situation der Christen in
der Türkei nichts fundamental verändert - null hat sich
verändert .
({14})
Aber damals, als Sie an der Regierung waren, konnte ich
nicht feststellen, dass Ihnen das ein besonderes Anliegen
war .
Ich kann nur sagen: Wir haben immer darauf gedrängt,
dass wir mit der Türkei keine weiteren Verhandlungskapitel eröffnen, bevor nicht das Kapitel „Menschenrechte,
Rechtsstaat, Religionsfreiheit“ eröffnet wird.
({15})
- Nein, das ist eben nicht geschehen . - Dazu haben wir
aber nicht unbedingt Zustimmung von allen anderen bekommen .
({16})
Ich will die Namen derjenigen, die das verhindern wollten, gar nicht nennen .
Trotzdem bleibe ich dabei - das ist meine Botschaft an
die türkische Regierung -: Ihr braucht den Mund nicht so
voll zu nehmen, solange ihr nicht bereit seid, ein Grundelement von Freiheit, nämlich Religionsfreiheit, in eurem Land zuzulassen .
({17})
Nicht wir in Deutschland haben Angst vor der Meinungsfreiheit; wir können ertragen, was da einige Regierungsmitglieder sagen . Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die
Türkei hat Angst vor der Meinungsfreiheit, meine sehr
verehrten Damen und Herren . Das muss immer wieder
deutlich gemacht werden .
({18})
Ich muss auch fragen: Wie stellt der türkische Präsident sich das denn vor? Er sagt: Ich will nach Deutschland kommen, und wenn ich nicht reinkomme, gibt es
einen Riesenaufstand; ich will da reden . - Da muss ich
sagen: Uns passt manches nicht, was da gesagt wird .
Trotzdem finde ich es richtig, dass wir darauf reagieren und sagen: Bei uns gilt die Redefreiheit; ihr könnt
kommen . - Aber im gleichen Atemzug verlange ich, dass
wir in der Türkei auch überallhin können, beispielsweise
nach Incirlik, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({19})
Den Mund voll zu nehmen und zu sagen: „Ich will nach
Deutschland kommen“, aber uns die Reise nach Incirlik
zu verbieten, das geht überhaupt nicht . Das muss man
denen mal sagen .
Jawohl, ich finde es völlig in Ordnung, wenn Herr
Erdogan oder auch andere in Deutschland sprechen wollen . Ich würde aber erwarten, dass wir dort auch einmal
hingehen und lautstark sagen, was wir im Hinblick auf
bestimmte Verhaltensweisen in der Türkei erwarten .
({20})
Ich bin sehr gespannt, ob Herr Erdogan das ertragen
kann oder nicht . Da würde ich die Reisefreiheit für Abgeordnete, die Religionsfreiheit, die Ausbildung von
Priestern für die griechisch-orthodoxe Kirche und vieles
andere mehr nennen . Im Übrigen würde ich auch sagen:
Ein Land, dessen Repräsentanten sich so verhalten wie
Erdogan, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Tourismus zurückgeht . In einem solchen Land wollte ich
auch nicht Urlaub machen, meine sehr verehrten Damen
und Herren,
({21})
um das auch einmal klar und deutlich zu sagen .
({22})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, dieses
Europa hat große Aufgaben vor sich, und es gibt eine
Reihe von Problemen. Trotzdem finde ich, dass wir vor
diesen Schwierigkeiten nicht kapitulieren dürfen . Wir
müssen dieses Europa nicht nur als Wertegemeinschaft,
sondern auch als Schicksalsgemeinschaft begreifen .
Dieses Europa hat uns Freiheit, Frieden und Wohlstand
gebracht . In diesem Europa haben wir immer wieder einmal Herausforderungen und auch schwierige Situationen
gehabt . Aber für dieses Europa werden wir überall in der
Welt beneidet . In Asien sagen sie: Wir wären froh und
dankbar, wenn wir eine solche Einrichtung wie ihr in Europa hätten .
Ich kann nur sagen: Allein für die mehr als 70 Jahre
Frieden in Europa haben wir Grund jeden Tag dankbar
zu sein .
({23})
Aus dieser Dankbarkeit heraus erwächst für uns die Verpflichtung, alles zu tun, damit wir alle miteinander in diesem Europa weiter in eine friedliche und gute Zukunft
hineinwachsen können .
Herzlichen Dank .
({24})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Verehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin!
({0})
- Ich sehe: Wenn die Opposition spricht, geht Frau Kanzlerin . Sie könnten der Opposition hier ruhig zuhören,
Frau Kanzlerin .
({1})
Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn die Koalition
schon so viel Redezeit hat und die Opposition so wenig,
dann ist das ja wohl nicht zu viel verlangt .
({2})
Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer neuen
Runde der Eskalation durch den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und seine Helfershelfer . Gestern hat
der türkische Innenminister Süleyman Soylu auf einer
Kundgebung politische Morde an Andersdenkenden in
Deutschland angekündigt; ja, er hat sie sogar als Wahlversprechen abgegeben . Wenn es auch nicht jedem in
diesem Hause klar ist: Damit werden auch deutsche Abgeordnete zur Zielscheibe der Mordansagen aus Ankara .
Die Gewaltpolitik aus Ankara muss in Deutschland endlich ernst genommen werden .
({3})
Dazu kommt, dass Erdogan seinen Werbefeldzug
für die Diktatur auch in Deutschland durchführen will .
Wie zwei Drittel der deutschen Bevölkerung will auch
die Linke, dass dieser Auftritt verhindert wird . Die Bundesregierung kann das rechtlich . Sie muss politisch verhindern, dass eine ganze Generation von jungen Leuten
in Deutschland von der Propaganda Erdogans vergiftet
wird .
({4})
Wir wollen Deutschland nicht zur Wahlarena für Folter
und Einführung der Todesstrafe werden lassen . Erdogan
und seine Minister sind hier nicht erwünscht .
({5})
Es ist doch wirklich abenteuerlich, dass der türkische
Außenminister Cavusoglu gestern wortreich in den türkischen Medien berichtet, dass es bei dem Treffen mit Außenminister Gabriel um die Vorbereitung eines Auftritts
von Erdogan in Deutschland gegangen sei, und Gabriel
selber schweigt sich dazu aus . Ich sage Ihnen: Diese Türkeipolitik der Bundesregierung hat nichts mit Dialog zu
tun .
Der Merkel/Erdogan-Pakt hat die Bundesregierung
erpressbar gemacht .
({6})
Sie haben zu den Entwicklungen in der Türkei lange Zeit
geschwiegen .
({7})
Frau Merkel, Sie haben den Satiriker Böhmermann auf
Verlangen Erdogans zum Abschuss freigegeben .
({8})
Bei der Armenien-Resolution haben Sie sich auf Verlangen von Erdogan im Bundestag feige davongemacht und
sich später auch noch davon distanziert . Als wir Abgeordnete wegen dieser Resolution von Erdogan bedroht
wurden und er Bluttests von uns gefordert hat, weil unser Blut verunreinigt sei, haben Sie geschwiegen, Frau
Merkel . Als die Besuchsverbote für Abgeordnete auf
dem Militärstützpunkt Incirlik ausgesprochen wurden,
haben Sie gebettelt und die Bundeswehr dort belassen,
obwohl bis heute keine Einreise möglich ist .
({9})
Wann immer es bei Wahlen für Erdogan auf Messers
Schneide stand, sind Sie ihm sofort zu Hilfe geeilt . Der
Merkel/Erdogan-Pakt hat Sie erpressbar gemacht . Ihr
Gewährenlassen hat ihn jedes Mal ermutigt, weiterzumachen .
({10})
Das ist kein Dialog, meine Damen und Herren . Das ist
schlicht hässliche Geopolitik, die Demokratie und Menschenrechte opfert .
({11})
Deshalb verlangen wir Linke: Diese Politik muss aufhören . Sie muss beendet werden .
Dazu passt, dass der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall jetzt auch noch eine Panzerfabrik in der Türkei
einrichten möchte und die Bundesregierung grünes Licht
dazu gibt. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie
wissen, dass Erdogan damit den Krieg gegen die Kurden
führt. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie genau
wissen und nicht ausschließen können, dass diese Waffen
an islamistische Terrorgruppen wie Ahrar al-Sham oder
sonstige von der türkischen Regierung weitergegeben
werden. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie erklären, dass die Türkei unter dem Muslimbruder Erdogan
zu einer zentralen Aktionsplattform für den islamistischen Terrorismus in der ganzen Region geworden ist .
({12})
Ich finde, diese Rüstungsexporte sind kein Beitrag zum
Dialog . Sie sind ein Beitrag zum Unfrieden, und deshalb
müssen sie gestoppt werden .
({13})
Wir fordern eine radikale Wende in der deutschen Türkei-Politik .
Vielen Dank .
({14})
Frau Kollegin Dağdelen, die Bundeskanzlerin ist in
Kenntnis aller Fraktionen ab 11 Uhr zur Abreise zu genau
dem Europäischen Rat - ({0})
- Ja, ich habe das mitbekommen, aber Frau Dağdelen offenkundig nicht .
({1})
Und sie hat während Ihrer ganzen Rede hier im Plenum - ({2})
- Soll ich vortragen, wen ich in ähnlicher Tätigkeit von
hier oben aus beobachtet habe?
({3})
Ich möchte überhaupt darauf hinweisen, dass ich, wenn
ich die Präsenz im Plenum mit der auf der Regierungsbank vergleiche, nicht finden kann, dass wir Anlass zur
Beschwerde haben .
({4})
Das ist die ganze Wahrheit .
Das Wort hat nun der Kollege Norbert Spinrath für die
SPD-Fraktion .
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! In wenigen Tagen feiert
Europa den 60 . Jahrestag der Römischen Verträge . Ein
Traum der Vordenker eines geeinten Europas ist Wirklichkeit vieler, aber nicht aller geworden . Frieden und
Wohlstand waren die Versprechen, die mit der Gründung
der späteren Europäischen Union gemacht wurden .
Beim Frühjahrsgipfel stehen wie immer die Themen
Wachstum und Beschäftigung auf der Tagesordnung . Ich
wünschte mir, die Staats- und Regierungschefs hätten
mehr Zeit und auch mehr Willen, sich intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen . Es geht darum, Wohlstand
für alle zu schaffen und zu sichern. Ich appelliere an die
Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass es zu einer
hinreichenden Beschäftigung mit diesen Themen kommt .
Noch immer haben wir ein sehr ungleiches Wachstum
in der Union . In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt
es zu viele Arbeitslose - insbesondere junge Menschen
leiden unter der Arbeitslosigkeit -, und wir haben noch
immer große Ungleichheiten bei den Beschäftigungsbedingungen und bei den Lebensstandards. Offene Märkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen nicht nur der
Sevim Dağdelen
Wirtschaft nutzen, sie müssen auch den Menschen dienen .
({0})
So sollen alle Menschen in Europa am steigenden Wohlstand teilhaben; denn nur so gibt es für die Bürgerinnen
und Bürger einen europäischen Mehrwert . Das heißt für
mich: Nur ein soziales Europa wird den Zusammenhalt
der Bevölkerung, den wirklichen Willen zu einer Einheit
Europas, aber auch den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten stärken . Nur dann gelingt es, die Interessen der Menschen und der Märkte endlich zusammenzubringen .
({1})
Die wichtigen Themen Wachstum und Beschäftigung,
aber auch weitere wichtige Themen wie Migration, äußere Sicherheit und Verteidigung werden allerdings in einem schmalen Zeitkorsett, an nur einem Tag, behandelt;
denn einmal mehr ist die Union im Krisenmodus . Am
zweiten Tag des Gipfels beschäftigt man sich mit dem
Austritt des Vereinigten Königreichs aus der europäischen Familie . Eng damit verbunden - das ist zwingend
und notwendig - ist die Diskussion über die Zukunft der
EU der 27 .
Ich danke Jean-Claude Juncker und der EU-Kommission, dass sie für die Diskussion das Weißbuch zur
Zukunft Europas vorgelegt haben . Vorschläge über die
Zukunft der Union gab es ja hinreichend und schon länger, so zum Beispiel im Fünf-Präsidenten-Bericht, der
konkrete Vorschläge und konkrete Zeitpläne für die Weiterentwicklung enthält, zum Beispiel zur Vollendung der
Wirtschafts- und Währungsunion . In vielen Mitgliedstaaten gab es darüber aber kaum politische Diskussionen,
noch weniger gab es die Bereitschaft zu weiteren Schritten zur Vertiefung . Lieber agiert man weiter im Krisenmodus; man wartet ab, sitzt häufig genug Probleme aus.
Ich denke, es ist angesichts der globalen Veränderungen,
angesichts diverser Themen, die dringend einer Lösung bedürfen, und angesichts eines sich verbreitenden
Rechtspopulismus und nationaler Egoismen an der Zeit,
sich endlich klar zum europäischen Geist zu bekennen
und nicht unterschiedliche Geschwindigkeiten zu fahren .
Es geht nicht um weniger Europa, sondern darum, mehr
Europa zu wagen, und zwar im Sinne der Menschen in
Europa .
({2})
Herr Juncker zeigt den Mitgliedstaaten in seinem
Weißbuch fünf Szenarien und damit ihre Wahlmöglichkeiten auf . Wir als SPD-Fraktion sprechen uns klar für
eine Weiterentwicklung der Europäischen Union in Gänze aus, für eine Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion . Die Union darf sich eben nicht auf den Binnenmarkt und die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen
reduzieren . Diesem Szenarium erteilen wir eine ganz
klare Absage . So, wie wir die vier Grundfreiheiten bei
den Austrittsverhandlungen gegen die Briten verteidigen,
verteidigen wir sie für die zukünftig verbleibende EU
der 27 . Wir wollen hin zu einer Wirtschafts- und Währungsunion mit echtem gemeinsamem Handeln, zu einem sozialen Europa mit gemeinsamen Sozialstandards
statt Sozialdumping, zu mehr Arbeitnehmerrechten auch
auf europäischer Ebene . Wir wollen Familien stärken,
Teilhabe am Wohlstand sichern und soziale Gerechtigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa .
Mit meinem Dank für Ihre Aufmerksamkeit will ich
noch eines sagen: Die größte Bedrohung für den sozialen
Frieden innerhalb Europas ist aus meiner Sicht die Perspektivlosigkeit junger Menschen; denn wer selbst keine
Perspektiven mehr hat, wird schwerlich für die zukünftigen Generationen Perspektiven und dauerhaften sozialen
Frieden schaffen können.
({3})
Vielen Dank, Norbert Spinrath . - Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen!
Bevor Dr . Hans-Peter Friedrich sich auf den Weg
macht, möchte ich ganz herzlich die Deutsch-Mongolische bzw . Mongolisch-Deutsche Parlamentariergruppe
hier bei uns im Deutschen Bundestag begrüßen .
({0})
Seien Sie uns willkommen, und lauschen Sie dem nächsten Redner, Dr . Hans-Peter Friedrich für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
60 Jahre Erfolgsgeschichte Europas, aber Europa in
schwerem Fahrwasser - ich glaube, das ist die Zusammenfassung der aktuellen Situation . Aber, wie wir wissen, liegt in jeder Krise auch eine Chance .
Kollege Oppermann hat es vorhin angesprochen: Es
gibt viele Menschen in Deutschland und in anderen Ländern, die aufgerüttelt sind von dieser schwierigen Situation in Europa . Sie erkennen, dass die Teilstaaten Europas
für sich allein genommen keine Chance haben, eine Rolle
zu spielen, weder ökonomisch noch außenpolitisch noch
geopolitisch, wenn wir dieses Europa nicht zusammenhalten . Das 21 . Jahrhundert wird nicht das Jahrhundert
der Europäer sein, die Entwicklung wird über uns hinwegrollen, wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Europa zusammenzuhalten .
({0})
Das verstehen die Menschen .
Unsere zweite Chance besteht darin, dass wir in dieser
Krisensituation über die Fehler nachdenken können, die
in den letzten 60 Jahren gemacht wurden . Ich empfehle
dringend, zu erkennen, dass das Hauptproblem in Europa
im Moment darin besteht, dass eine Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgern, vorsichtig gesagt, nur
sehr eingeschränkt vorhanden ist . Deswegen empfehle
ich uns, dass wir auf dieses Europa aus dem Blickwinkel der Bürger schauen und nicht aus dem Blickwinkel
irgendwelcher wissenden Eliten . Die Bürger fragen: Was
geht es eigentlich Europa an, wie wir den Feinstaub in
Leipzig messen?
({1})
Was geht es eigentlich Europa an, wie wir im Frankenwald und im Fichtelgebirge unsere Felder düngen, obwohl wir das seit Jahrhunderten machen, ohne dass es in
Brüssel jemanden gab, der schlauer war?
({2})
Und was fällt eigentlich Europa ein, uns ein FFH-Gebiet
als Hindernis für den Bau einer Straße von A nach B vorzugeben?
({3})
Deswegen empfehle ich uns, dass sich Europa auf die
politischen Gebiete beschränkt, die aus der Sache heraus
für jeden erkennbar nur auf europäischer Ebene gelöst
werden können .
({4})
Da gibt es wichtige Bereiche,
({5})
zum Beispiel die innere Sicherheit . Wenn sich die Terroristen, wenn sich die Verbrecher in Europa herumtreiben,
dann gibt es nur eine einzige Antwort: Wir müssen die
Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte, der Polizeien in
Europa organisieren .
({6})
Meine Damen und Herren, die Menschen im Baltikum
haben das schon verstanden . Sie fühlen sich von Russland bedroht . Deswegen wollen sie eine europäische Verteidigungsunion . Ich bin froh, dass wir jetzt auf diesem
Weg sind; denn auch im Rest Europas werden die Menschen bald verstehen, dass es den Amerikanern ernst ist,
wenn sie sagen - übrigens nicht erst seit Donald Trump,
sondern schon seit zehn Jahren -: Europa ist reich und
stark genug, um sich selbst zu verteidigen . - Jetzt müssen
wir das aber auch organisieren; das leuchtet jedem ein .
Das werden wir den Bürgern auch vermitteln können .
({7})
Die Frau Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Wir
müssen das Thema Digitalisierung gestalten . Jeder
Mensch weiß, dass es kein regionales Netz gibt . Es gibt
das weltweite Netz, das nicht 9 Millionen Österreicher
und noch nicht einmal 82 Millionen Deutsche gestalten
können, sondern das nur 500 Millionen europäische Verbraucher gemeinsam gestalten können . Dann wird ein
Schuh daraus . Das verstehen die Leute . Deswegen muss
sich Europa darauf konzentrieren .
Ein weiteres Thema ist die Energieunion . Wenn wir
Europa unabhängiger vom Gas der Russen und vom Öl
der Scheichs machen wollen, dann müssen wir einen
Energiemix in ganz Europa organisieren . Dafür brauchen
wir Europa . Das wird jeder verstehen; das leuchtet jedem
ein .
({8})
Außerdem müssen wir Europa aus dem Blickwinkel
({9})
- keine Zwischenfragen! - der Bevölkerung sehen . Viele
Menschen fühlen sich durch Europa bevormundet . Exemplarisch wurde das an dem Ausspruch deutlich, der
zum Brexit geführt hat: Wir wollen unser Land zurück . Das war der Slogan derjenigen, die den Brexit favorisiert
haben . Auf diese Ängste der Bevölkerung gibt es nur eine
einzige Antwort .
({10})
Sie lautet: Wir müssen die Selbstverantwortung der Regionen und der Mitgliedstaaten stärken .
({11})
Wir müssen von ihnen verlangen, dass sie Verantwortung
übernehmen, und die Verantwortung auch dort verorten .
Herr Friedrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von - Dr. Hans-Peter Friedrich ({0}) ({1}):
Nein .
Zeit haben Sie jede Menge .
Frau Präsidentin, ich muss jetzt im Fluss bleiben .
Wollen Sie wissen, wer sie Ihnen stellen möchte?
Als Beispiel nenne ich Ihnen einmal
Gut .
- das Thema Staatsverschuldung . Wir haben hier in
diesem Hohen Haus entschieden, dass wir in Deutschland keine weitere Staatsverschuldung wollen; denn
wer heute Staatsverschuldung betreibt, belastet sich und
macht sich morgen handlungsunfähig . Die Aufnahme der
schwarzen Null und der Schuldenbremse in das Grundgesetz wurde gemeinsam von allen wichtigen Fraktionen
Dr. Hans-Peter Friedrich ({0})
im Haus verabschiedet . Andere Leute sehen das aber anders . Die Italiener und die Griechen sagen: Lieber heute
schön leben als an morgen denken!
({1})
Wenn dem so ist, müssen wir sagen: Liebe Freunde, dann
müsst ihr die Suppe selber auslöffeln. - Auch das ist Demokratie: für die Folgen einstehen, die man selber ausgelöst hat .
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil Sie
sich so aufregen: Ihr großer Kandidat Schulz erzählt uns
allen Ernstes, wir bräuchten Euro-Bonds, Haftungsunion
und Transferunion .
({3})
Das ist Quatsch in Tüten . Wir müssen die Verantwortung
dort festmachen, wo sie liegt, nämlich bei der Unfähigkeit der Nationalstaaten, Reformen durchzuführen . Kollege Kauder hat das vorhin angesprochen .
Die zweite Schnapsidee Ihres großen Kandidaten
Martin Schulz besteht darin, die Sozialsysteme in Europa
zu vergemeinschaften . Damit ist er schon in den Europawahlkampf gezogen, Stichwort „gemeinsame Arbeitslosenversicherung“ . Glauben Sie allen Ernstes, dass die
deutschen Arbeitnehmer dafür zahlen werden, dass die
sozialistischen Regierungen in Südeuropa unfähig sind,
Arbeitsmarktreformen zu machen und Wettbewerbsfähigkeit herbeizuführen? Das glauben Sie doch nicht allen
Ernstes .
({4})
Europa aus der Sicht der Bürger zu sehen, heißt auch,
dass wir keine falschen Versprechungen machen . Ich lese
in den Schlussfolgerungen, wir müssten die Jugendarbeitslosigkeit beseitigen und die Wettbewerbsfähigkeit
herstellen . Meine Damen und Herren, ohne Reformen in
den Ländern geht das nicht . Europa hat nicht die Mittel,
sondern die Länder haben die Mittel . Wenn die Griechen,
die Italiener und die Franzosen die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen wollen und ihre jeweilige Regierung
dazu unfähig ist, dann müssen diese Regierungen abgewählt werden . Das ist die Alternative, da müssen wir
hinkommen .
({5})
Vorhin ist vom Kollegen Kauder schon angesprochen
worden - zu diesem Thema steht übrigens auch etwas in
dem Weißbuch, das Herr Juncker jetzt vorgelegt hat -,
dass wir in Europa das Potenzial unserer Talente ausschöpfen müssen . Wie können wir das Potenzial unserer
Talente ausschöpfen? Zum Beispiel, indem wir eine gute
Bildungspolitik betreiben . Die Kompetenz für die Bildungspolitik liegt aber nicht in Brüssel .
({6})
Und glauben Sie mir: Bayern wird die Bildungskompetenz auch nicht an Brüssel abgeben, nur weil einige in
Südeuropa nicht in der Lage sind, eine vernünftige Bildungspolitik zu machen .
({7})
Deswegen sage ich: Wir müssen aufhören, den Menschen mehr zu versprechen, als Europa halten kann, weil
es die Instrumente dafür gar nicht hat . Wir müssen vielmehr sagen: Dann liegt die Verantwortung eben bei den
Mitgliedstaaten, die dafür auch die Kompetenzen haben .
({8})
Die Kommission sagt, wir müssten in diesem Jahr
oder im nächsten Jahr, in 2018, entscheiden, wie es mit
Europa weitergeht . Das müsse 2018 entschieden sein,
weil 2019 die Bürger entscheiden . - Allein daran können
Sie schon den Denkfehler erkennen . Lassen wir doch die
Bürger über die Zukunft Europas entscheiden . Ich mache
Ihnen einen Vorschlag: Sie gehen einmal gemeinsam mit
Ihren sozialistischen Freunden in Brüssel in sich und formulieren eine Vision Ihres sozialistischen Europas,
({9})
und wir gehen einmal mit unseren Freunden aus der
EVP-Fraktion in uns und formulieren die Vision eines
wirtschaftlich starken christdemokratischen Europas,
({10})
und dann lassen wir die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, vielleicht schon am 24 . September dieses Jahres . Das wäre doch eine Möglichkeit,
({11})
statt mit Spitzenkandidaten aufzuwarten, von denen der
eine einen Bart hat und der andere nicht . Darum geht es
doch nicht . Es geht um politische Inhalte .
({12})
Wir wollen, dass die Bürger über diese politischen Inhalte entscheiden . Dann wird ein Schuh daraus .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass Europa eine Veränderung seines Selbstverständnisses braucht . Die europäischen Institutionen müssen erkennen, dass sie den politischen Willen der Bürger EuroDr. Hans-Peter Friedrich ({13})
pas ausführen und nicht dazu da sind, die Bürger Europas
zu belehren .
({14})
Deswegen, liebe Frau Bundeskanzlerin,
({15})
machen Sie sich auf den Weg zum Europäischen Rat . Sie
sind die Einzige, die in der Lage ist, Europa zu führen .
Aber Sie müssen es auch tun .
Vielen Dank .
({16})
Vielen Dank, Dr . Hans-Peter Friedrich . - Das Wort zu
einer Kurzintervention hat Annalena Baerbock .
Sehr geehrter Herr Dr . Friedrich, da Sie ja hier so dafür geworben haben, in den Dialog zu treten, verwundert
es doch, warum Sie keine Zwischenfragen zulassen .
({0})
- Nein, Dialog wollen Sie nicht . Genau, das unterstreichen Sie noch einmal . - Man kann Europa ja hervorragend gestalten, wenn man keinen Dialog will; das haben
Sie eben noch einmal deutlich gemacht . Wenn das die
Position der CDU/CSU bzw . die Europakompetenz der
Union ist, dann muss einem wirklich angst und bange
werden .
({1})
Die Frau Bundeskanzlerin ist ja vorhin schon gegangen . Sie haben sich empört, als Cem Özdemir gesagt hat,
dass man stärker darauf achten muss, dass man nicht nur
„Deutschland zuerst“ denkt . Sie haben in Ihrer Rede jetzt
noch einmal bewiesen, dass das genau Ihr Ansatz ist . Wie
können Sie es eigentlich wagen, wenn wir 60 Jahre Römische Verträge, 60 Jahre Solidarität, 60 Jahre Miteinander feiern, zu sagen, dass die anderen ihre Suppe selber
auslöffeln müssen? Das widerspricht dem Grundgedanken der Europäischen Union .
({2})
Ich komme zu meiner Frage, die Sie nicht beantworten wollten . Sie haben hier gefragt, was Luftqualität in
Deutschland mit der EU zu tun hat . Vielleicht schauen
Sie sich die Verträge einmal an . Sie sehen eine Kompetenzübertragung im Umweltbereich vor, weil Luft und
Wasser eben keine Grenzen kennen . Wenn in einem Land
die Luft verschmutzt wird, dann geht diese verschmutzte Luft auch direkt über die Grenze . Wenn Sie jetzt hier
herumtönen - das sind ja immer so schöne populistische
Phrasen -, Europa müsse sich um das Große kümmern
und nicht nur um das Kleine, dann möchte ich einmal
wissen: Steht die CDU/CSU, steht die Union dafür, dass
wir die Kompetenzen im Umweltschutz- und im Klimaschutzbereich auf die nationale Ebene zurückverlagern?
Ist das Ihre Forderung?
Was Sie hier gerade ausgemalt haben, widerspricht
auch dem, was Sie zur Unabhängigkeit vom „Russengas“ gesagt haben . Wie wollen Sie denn eine gemeinsame Energiepolitik schaffen, wenn Sie der Europäischen
Union keine Kompetenzen im Bereich Umweltschutz
und Klimaschutz geben wollen? Das müssen Sie erklären, sehr geehrter Herr Kollege .
({3})
Jetzt Dr . Friedrich .
Frau Kollegin, ohne dass ich mit Ihnen in den Dialog
treten will,
({0})
will ich Ihnen sagen: Sie haben offensichtlich nicht zugehört . Ich habe gesagt, dass es in Europa und in unserem
Gemeinwesen unterschiedliche Verantwortungsebenen
gibt, dass jede Ebene ihrer Verantwortung gerecht werden muss und dass man nicht sagen kann, dass alles, was
wichtig ist, jetzt in Europa gemacht wird . Vielmehr müssen die Kompetenzen da, wo sie sind, ausgeübt und verantwortet werden . So funktioniert Demokratie . In einer
Kommune werden die Dinge entschieden, die die Kommune betreffen. In einem Mitgliedstaat werden die Dinge
entschieden, die den Mitgliedstaat angehen . Nur da, wo
Europa betroffen ist, wo europäische Themen betroffen
sind, muss Europa wirklich entscheiden . Das ist doch der
Punkt, über den wir reden .
({1})
Das Entscheidende ist, dass man sich beschränken muss .
Sie sprachen von der Umweltpolitik und sagten, Wasser und Luft kennen keine Grenzen . Das alles ist mir bekannt .
({2})
Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet doch nicht, dass Europa diese Politikbereiche regeln muss . Hier kann jedes Mitgliedsland in seiner Zuständigkeit Regelungen treffen. Sie können doch nicht
sagen: Alles, was wichtig ist, muss möglichst weit oben
entschieden werden .
({3})
Dann müssten Sie alles von der UNO entscheiden lassen,
weil es viele wichtige Dinge gibt . Entscheidend ist vielmehr, dass jeder auf seiner Ebene seine Hausaufgaben
macht .
Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik sind Aufgaben
der Nationalstaaten . Das sind auch die Aufgaben, die
hier im Deutschen Bundestag wahrgenommen werden .
Sie müssen ebenso in den Parlamenten in Griechenland,
Italien, Spanien und Frankreich wahrgenommen werden .
Das ist meine Rede .
Ich sage Ihnen: Wir müssen die Verantwortung da
haben, wo sie liegt, und dürfen nicht so tun, als könne
Europa alle Probleme lösen . Die Europäische Kommission ist keine Überregierung und kein Reparaturbetrieb für
unfähige Regierungen
({4})
- das müssen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen -,
sondern die Europäische Union ist ein ausführendes
Organ für den Willen der europäischen Bürger . Das habe
ich Ihnen deutlich zu machen versucht . Aber wenn Sie
das noch nicht verstanden haben - ich hätte noch Zeit -,
dann reden wir darüber noch .
({5})
Danke schön .
({6})
Ich bin froh, dass wir ein Parlament haben - Herr
Dr. Friedrich sieht das hoffentlich genauso -, das so stark
ist, dass es Dialoge führt und Kontroversen austrägt, und
in dem wir miteinander diskutieren . Das ist der Unterschied zu anderen Parlamenten, über die wir heute Morgen schon geredet haben .
({0})
Nächster Redner: Andrej Hunko für die Linke .
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Dr . Friedrich, auch ich muss ganz ehrlich sagen: Das,
was Sie hier eben abgeliefert haben, war wirklich Nationalchauvinismus von der übelsten Sorte .
({0})
Von den Feindbildern, die Sie im Hinblick auf Südeuropäer bedient haben, will ich mich ausdrücklich distanzieren .
({1})
Wir brauchen kurz vor dem 60 . Jahrestag der Römischen Verträge eine ernsthafte Debatte über Europa . Ich
beginne mit einem Zitat:
Ein steigender Anteil von Menschen, die dauerhaft
nicht von ihrer Arbeit leben können, untergräbt die
Legitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung .
Das sagte nicht der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sondern der Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Aart de Geus, nach der Veröffentlichung
des Social Justice Index 2016, also der Studie über die
soziale Gerechtigkeit in Europa; ich denke, da hat er
recht . Diese Studie beschreibt den wachsenden Anteil der
Working Poor, von Menschen, die von ihrer Arbeit nicht
leben können . Das hat sehr viel mit Europapolitik zu tun,
und das hat viel mit europäischen Strukturen zu tun . Darüber müsste man in dieser Krise Europas viel mehr reden als zum Beispiel über neue Militärausgaben und eine
Militarisierung der EU .
({2})
Die Europäische Kommission - wir haben Jean-Claude Juncker vor einem Jahr mit dem EU-Ausschuss besucht - hat sehr wohl erkannt, dass die soziale Frage
auch die Legitimität der Europäischen Union untergräbt .
Sie hat eine Initiative gestartet, die sogenannte europäische Säule sozialer Rechte . Das hört sich groß an, und
dem könnte man erst einmal zustimmen . Je genauer man
hinschaut, desto kleiner wird sie aber . Es ist wie beim
Scheinriesen in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer: Am Anfang erscheint sie sehr groß; am Ende sind es
aber nur ein paar Kriterien für ein Leistungsscreening der
EU-Staaten . Das reicht bei weitem nicht aus . Wir brauchen eine deutliche Wende hin zu echten sozialen Rechten in Europa und nicht nur ein bisschen Kosmetik .
({3})
Letzte Woche ist das Weißbuch der Europäischen
Kommission veröffentlicht worden. Dort sind fünf Szenarien aufgezeigt worden, wie sich die EU entwickeln
könnte. Ich finde es gut, dass eine offene Debatte geführt
und auf der Grundlage von Szenarien diskutiert wird .
Lange Zeit war es ja so, dass ein bestimmter Weg immer als alternativlos dargestellt wurde . Bei diesen fünf
Szenarien sucht man aber vergeblich nach einem sozialen Szenario, zum Beispiel nach der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa oder des wachsenden
Anteils von Working Poor. Stattdessen findet eine zunehmende Diskussion - auch in dem Weißbuch - über eine
neue Militarisierung der EU statt .
Auf dem Gipfel, zu dem Frau Merkel gerade gefahren
wird, wird ernsthaft über die Einrichtung eines militärischen Hauptquartiers der EU beraten, und Gegenstand
der Diskussion ist auch die Erreichung des 2-Prozent-Ziels der NATO . Wir sagen ganz klar Nein zu dieser
Dr. Hans-Peter Friedrich ({4})
massiven Aufrüstung . Das würde in Deutschland nämlich bedeuten, den Militäretat von 36 Milliarden Euro auf
über 60 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen .
Herr Oppermann, Sie haben eben gesagt, Sie würden
das als unrealistisch ansehen. Ich hoffe, Sie lehnen das
ganz klar ab .
({5})
Wir bringen hier einen Antrag ein, der nichts weiter fordert, als dass der Bundestag diese Erhöhung bis zum Jahre 2024 ablehnt,
({6})
und ich bin gespannt, ob Sie ihm zustimmen werden . Ich
glaube, diese Ehrlichkeit und dieses Signal brauchen die
Menschen in Deutschland .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Andrej Hunko . - Nächster Redner:
Christian Petry für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren!
Der Friederich, der Friederich,
Das war ein arger Wüterich!
({0})
Ich nehme an, das war ein Zitat .
Das war ein Zitat, und es geht noch weiter:
Er fing die Fliegen in dem Haus
Und riss ihnen die Flügel aus .
({0})
Herr Friedrich, das, was Sie hier vorgetragen haben,
ist wirklich besonders: Zum einen rütteln Sie an den
Grundfreiheiten . Sie wollen die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wieder nationalisieren und regionalisieren .
({1})
Sie rütteln an der Personenfreiheit und der Warenverkehrsfreiheit in der EU . Das ist ganz schlimm . Zum
anderen hören wir hier von Ihnen nationalistische und
chauvinistische Töne
({2})
gegenüber Griechenland und den Südeuropäern . Fragen
Sie doch einmal Ihren Kollegen Herrn Oettinger, was er
dazu und zu Eigenmitteln der EU sagt!
({3})
Er hat das im Europaausschuss getan . Er ist für die Stärkung der Eigenmittel zur Erledigung der Aufgaben . Er ist
für den Wegfall der Deckelung, der Obergrenze, damit
die neuen Aufgaben finanziert werden können. Er widerspricht Ihnen; er hat ein Konzept .
Sie wollen die kleinen Zahnräder aus dem Uhrwerk
Europa herausnehmen und meinen, die großen Zahnräder
würden dann noch funktionieren . Meinen Sie das wirklich?
({4})
Sie haben ein wirklich seltsames Verständnis von Europa, und ich hoffe, dass hier kein Konsens mit Ihrer Fraktion besteht .
Ich glaube, dass auf dem Gipfel, der jetzt ansteht, die
wirtschaftlichen Themen sehr wichtig sind . Es läuft zurzeit wesentlich besser . Die 28 Mitgliedstaaten haben sich
in den letzten Monaten wirtschaftlich deutlich verbessert,
die Arbeitslosenzahlen sind auf dem niedrigsten Stand
seit 2009, und dieser Weg muss weitergegangen werden .
Wir dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die notwendigen Schlussfolgerungen im Euro-Raum
noch zu ziehen sind und dass hier noch entsprechende
Maßnahmen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik getroffen werden müssen . Wir brauchen langfristig gemeinsame Maßnahmen, um diesen Wirtschaftsraum weiter zu
stabilisieren .
Aktuell beschäftigen uns in den Fachausschüssen das
Europäische Semester und die länderspezifischen Empfehlungen . Die Kommission hat hier einen interessanten
Vorschlag gemacht . Sie möchte, dass die Konsolidierung
der Staatshaushalte nicht einseitig weiter forciert wird,
sondern dass stattdessen eine fiskalische Lockerung angestrebt wird - Herr Oettinger lässt grüßen -, die allen
Mitgliedstaaten ausreichende Investitionen ermöglicht .
Staaten mit hohem Defizit in der Euro-Zone wären
damit zwar weiterhin zum Sparen angehalten, aber sie
könnten wieder notwendige Investitionen tätigen . Staaten wie Deutschland und die Niederlande müssten dann
noch stärker investieren .
Häufig wird gefragt, wo investiert werden soll, und
das Gegenargument genannt - das habe ich gestern auch
von Herrn Spahn wieder gehört -, dass wir gar keine entsprechenden Planungskapazitäten haben und gar nicht so
viel Geld ausgeben können . Das halte ich für Käse . Hier
ist noch viel Luft drin .
Wir müssen unser makroökonomisches Ungleichgewicht langfristig wieder in den Griff bekommen, wobei
wir die Arbeitsplätze im Exportbereich natürlich brauchen . Das hat damit zu tun, dass wir die Volkswirtschaften um uns herum stärken müssen, damit auch der Import
aus diesen Ländern gelingen kann . Dann sind wir - auch
wenn das hohe Exportniveau bleibt - im Gleichgewicht .
Wir in Deutschland werden davon in einem gemeinsamen Europa dauerhaft und sicher partizipieren .
({5})
Bedauerlicherweise hat das Bundesfinanzministerium
diese Lockerung direkt abgelehnt . Das halte ich nicht für
richtig. Ich bin der Auffassung, dass dies noch einmal in
den parlamentarischen Gremien beraten werden muss;
denn die Deckelung der Haushaltsobergrenze im laufenden Haushalts- bzw . Finanzrahmen ist aufgrund der neuen Aufgaben in der Finanz- und in der Flüchtlingskrise
zu überdenken . Hierfür braucht die Europäische Union
eigene Mittel .
Herr Oettinger hat uns vorgetragen, dass er eine Diskussion über Eigenmittel möchte . Sie umfasst natürlich
auch - Sie haben es genannt - das Thema Bonds . Natürlich ist das ein Thema . Es umfasst aber auch die mögliche
Beteiligung an Steuern . Auch das haben wir zu diskutieren . Die Diskussion darüber ist noch nicht zu Ende . Aber
sie von vornherein abzulehnen, halte ich für völlig falsch;
({6})
denn damit machen Sie die europäische Idee kaputt .
({7})
- Ich bin - um Ihre Frage klar zu beantworten - dafür,
dass die Europäische Union mit Eigenmitteln - sei es aus
Steuern oder aus Bonds - ausgestattet wird .
({8})
In diesem Sinne ist es, denke ich, wichtig, auf die Entwicklung Europas in Richtung einer Gemeinschaft, wie
wir sie seit 60 Jahren kennen, hinzuwirken .
Das ist doch ein fantastisches Modell, das man nicht
mit solchen nationalistischen Tönen kaputt machen sollte . Es sicherte über 60 Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand . Ich komme aus dem Saarland . Wir hatten vor
kurzem den 25 . Jahrestag von Schengen . Schengen liegt
an der Grenze . Das Abkommen von Schengen brachte
Schritte nach vorne .
Ich darf ein Beispiel für ein Leben an der Grenze bringen .
Aber kurz! Sie sind schon durch .
Ganz kurz . - Mein Großvater ist ein Beispiel für viele
Saarländer . Er wurde 1911 geboren und verstarb 2003 .
Er hatte sechs Nationalitäten, ohne ein einziges Mal umgezogen zu sein . Wollen wir denn wieder zurück in eine
solche alte Zeit? Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Ich rufe Sie auf: Kämpfen Sie gemeinsam für die Fortentwicklung eines sozialen und friedlichen Europas!
In diesem Sinne: Glück auf!
({0})
Vielen Dank, Christian Petry . - Nächster Redner ist
Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei dem bevorstehenden Gipfel steht nicht nur die wirtschaftliche Lage in Europa auf dem Programm, sondern
auch - das klang schon mehrfach an - das Vorbereitungstreffen „60 Jahre Römische Verträge“. Es lagen
zwei bestialische Weltkriege hinter Europa . Wenn man
die Schwierigkeiten bedenkt, vor denen damals die
Gründungsväter der heutigen Europäischen Union standen, dann wird man geradezu demütig, wenn man die
Schwierigkeiten sieht, die - ohne jeden Zweifel - heute
vorhanden sind . Man war sich aber in einem einig . Weil
wir die Inhumanität hinter uns lassen wollten, haben wir
die Gemeinschaft auf den Grundsätzen der Humanität
gegründet . Daran müssen wir uns messen lassen . Und
daran müssen sich auch gerade in diesen Tagen manche
Länder der Europäischen Union messen lassen .
Eines, lieber Cem Özdemir, bedarf der Korrektur .
Ohne jeden Zweifel hat sich 1946 Winston Churchill
für die Vereinigten Staaten von Europa ausgesprochen,
aber - das ist eines der großen historischen Missverständnisse - ohne die Beteiligung von Großbritannien .
({0})
Vielmehr sollte Frankreich die Aufgabe übernehmen,
Deutschland unterzuhaken, damit es nicht mehr auf dumme Ideen kommt .
Aber eines ist doch hervorzuheben, nämlich der Mut
von Charles de Gaulle, Konrad Adenauer und vor allem
Robert Schuman; denn man hatte sich dazu entschlossen,
das Ganze ohne ein Referendum zu machen . Ich glaube,
ich brauche hier in dieser Runde nicht zu sagen, wie ein
Referendum in Frankreich wenige Jahre nach dem Krieg
ausgegangen wäre, wenn man gefragt hätte: Wollt ihr gemeinsam mit Deutschland in eine Gemeinschaft zur Verwaltung kriegswichtiger Güter, nämlich Kohle und Stahl,
eintreten? Ich glaube, jedem ist klar, wohin das geführt
hätte .
Es ist genau dieser Mut, der in Großbritannien gefehlt
hat . Cameron hat gerade keinen Mut bewiesen, sondern
den Kotau vor seinen eigenen Fraktionsmitgliedern gemacht, als er ein Referendum, für das es überhaupt keine
Veranlassung gab, vom Zaun gebrochen hat . Das hat zu
einem europäischen Schlamassel geführt . Deswegen gilt
das jetzt geradezu sinnbildlich für die Brexit-Verhandlungen; das können wir den britischen Freunden zurufen .
Für meine Begriffe gilt hier ein altes afrikanisches
Sprichwort: Wenn du schnell gehen willst, dann geh alleine . Aber wenn du weit gehen willst, dann geh gemeinsam . - Das zeichnet auch die Europäische Union angeChristian Petry
sichts der Schwierigkeiten, vor denen wir im Zeitalter der
Globalisierung stehen, aus .
({1})
Wir stehen heute in der Tat vor vielen Herausforderungen . Ich will jetzt nicht näher - das würde das Zeitbudget sprengen - auf die fünf Vorschläge von Jean-Claude
Juncker eingehen . Ja - das hat die Bundeskanzlerin ausgeführt -, wir werden künftig sicherlich einen Schwerpunkt darauf setzen müssen, das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit stärker zu nutzen . In der Tat müssen
wir bei der europäischen Integration in vielen Punkten
vorangehen . Aber eines bleibt festzuhalten: Wir sind immer nur als Europäische Union stark . Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Fragmentierung der Europäischen Union kommt . Aber eines ist auch wahr: Im
Zeitalter der Globalisierung müssen wir enger als früher
zusammenarbeiten .
Eine der großen Herausforderungen sind jetzt die
USA; das ist wahr . Das hätten wir uns vor wenigen Monaten noch nicht träumen lassen . Ich erinnere an Henry
Kissinger, den früheren amerikanischen Außenminister,
der einmal sagte: Europa? Welches Europa? Sagt mir
doch einmal die Telefonnummer von diesem Europa! Ich frage umgekehrt: Welche Telefonnummer haben in
diesen Tagen eigentlich die USA? Wir brauchen in der
Tat Verlässlichkeit im transatlantischen Bündnis . Dieses
transatlantische Bündnis ist viel zu wertvoll, als dass es
nationalen Politiken zum Opfer fallen darf .
({2})
Einen Aspekt, der heute noch gar nicht Gegenstand
der Debatte war, möchte ich ansprechen: die Verhältnisse in der Ukraine . Außenminister Gabriel hält sich heute
zu Gesprächen in Moskau auf . Er hat sicherlich unsere
Unterstützung, wenn einmal mehr darauf hingewiesen
wird, dass das, was in der Ukraine geschieht, völlig inakzeptabel ist . Die Krim-Halbinsel ist bis zum heutigen
Tage völkerrechtswidrig annektiert . Im Osten des Landes
sorgt Russland für eine systematische Destabilisierung .
Nein, wer im 21 . Jahrhundert Krieg als ein Instrument
der Politik begreift, darf sich nicht wundern, wenn er in
die Politik zu Beginn des 20 . Jahrhunderts zurückfällt .
Ich glaube, das müssen wir Herrn Putin ziemlich deutlich
sagen .
({3})
Die Türkei war schon mehrfach Gegenstand der Debatte . Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass sich
Herr Erdogan hier in Deutschland auf die Grundrechte
beruft, etwa auf das Recht der freien Meinungsäußerung,
die er den Menschen im eigenen Land verweigert . Ich
glaube - da habe ich vielleicht eine andere Meinung als
die meisten hier -, alles hat seine Grenzen . Es fängt damit an, dass Repräsentanten des türkischen Staates hier
keine Grundrechtsträger sind;
({4})
Kollege Röttgen hat kürzlich in einer Fraktionssitzung
auf diesen Umstand hingewiesen .
({5})
Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers, und zwar
der deutschen Bürger, gegenüber dem Staat . Aber sie
kommen für Repräsentanten eines anderen Staates nicht
infrage . Deswegen muss klar sein: Natürlich sind uns die
Repräsentanten der türkischen Regierung jederzeit willkommen, aber nicht als Wahlkämpfer . In diesem Moment
werden wir parteiisch und werden in Wahlkämpfe hineingezogen .
Bei all dem sollten wir immer das Ende bedenken .
Wollen wir in Zukunft auch Herrn Putin einen freien
Auftritt gewähren oder auch vielen anderen? Es wäre
gut, innerhalb der Europäischen Union Leitlinien zu entwerfen und einen Konsens dazu zu finden, wie wir insgesamt damit umgehen . Ich glaube, es bedarf hier einer
europäischen Antwort . Mit Blick auf die Anwürfe, die in
jüngster Zeit in Richtung Bundesrepublik Deutschland
erhoben wurden, hat mir eine schlüssige, vehemente und
dezidierte Antwort der Europäischen Kommission gefehlt; das darf ich an dieser Stelle einmal sagen .
({6})
Ich glaube mit Blick auf die Türkei aber auch: Die Not
muss natürlich schon ziemlich groß sein, wenn Repräsentanten der türkischen Regierung glauben, sie müssten
unbedingt auch noch die Stimmen der Auslandstürken
einwerben, weil man innerhalb der Türkei um die eigene
Mehrheit fürchtet . Da ist es sicherlich schon weit gekommen . Die wirtschaftliche Situation, in der sich die Türkei
im Augenblick befindet, ist dramatisch. Da steht Herr
Erdogan sicherlich unter einem viel größeren Druck, als
wir das hier manchmal wahrnehmen .
60 Jahre Römische Verträge, das ist eine große Chance für uns . Im Rückblick können wir auf der einen Seite
dankbar sein . Wir haben nämlich eine beispiellose Periode des Friedens in Europa . Auf der anderen Seite ist
es aber auch eine Verpflichtung, das Modell der Aussöhnung auf andere Länder und andere Regionen Europas
zu übertragen; denn auch die Staaten des westlichen Balkans sind ja Gegenstand des Gipfels . Hier können das europäische Modell, die deutsch-französische Aussöhnung
sehr wohl Pate stehen für eine Aussöhnung, die wir in
dieser Region noch brauchen, um zu einem Mehr an Stabilität zu finden.
Eines - das sei abschließend gesagt - ist auch in diesen Staaten wichtig - darum kommen sie nicht herum -,
nämlich die kritische Selbstreflexion auf die eigene Geschichte; denn ohne diese Auseinandersetzung wird das
Ganze nicht funktionieren . In diesem Sinne haben wir ein
großes Interesse daran, diesen Staaten zu helfen .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank, Gunther Krichbaum . - Nächste Rednerin: Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im
Bundestag sage ich Ihnen sehr klar und deutlich: Das
deutsch-türkische Verhältnis geht derzeit durch eine seiner heikelsten Phasen . Darum ist mir der Dank an die
Mitglieder und den Vorstand der Parlamentariergruppe wichtig, die in diesen herausfordernden Zeiten über
die Fraktionsgrenzen hinweg an einem guten Verhältnis
zwischen Deutschen und Türken arbeiten und dabei auch
deutlich Kritik üben, zuletzt bei unserem gemeinsamen
Besuch in der Türkei vor wenigen Wochen .
Ich empfinde die Verschlechterung unserer Beziehungen als Katastrophe . Deutschland und die Türkei sind
über Jahrzehnte einander verbunden, wirtschaftlich, kulturell, familiär . Binnen weniger Monate ist die türkische
Gesellschaft hier wie dort gespalten - in einer Zeit, in
der es so wichtig ist, Vorurteile auch gegenüber der Türkei als mehrheitlich muslimischem Land zu überwinden .
Und, Herr Kauder, die Türkei ist mehr als Erdogan, die
Türkei ist auch ein schönes Land .
({0})
Es ist gut, dass Frau Merkel diese unsäglich geschichtsvergessenen Unterstellungen zurückgewiesen hat . Das
war Zeit, das war nötig .
Die letzte Reise von Frau Merkel in die Türkei wurde
positiv aufgenommen, auch weil sie endlich die Opposition getroffen hat. Das haben wir als Sozialdemokraten
ihr schon lange geraten . Ich ermutige die Frau Bundeskanzlerin, bei der nächsten Reise - dann hoffentlich nach
dem Referendum - auch die Zivilgesellschaft zu treffen.
Das ist Zeit, und das ist nötig .
({1})
Ich verstehe all jene bei uns gut, die es kaum ertragen,
dass türkische Minister hier Wahlkampf für ein Referendum machen, das die Macht in die Hand eines Mannes
legt, während wichtige Teile der Opposition inhaftiert
sind und kritische Journalisten drangsaliert werden . Auch
die Venedig-Kommission prangert dies nun an .
Die Wahrheit ist meistens einfach: In einem Land, in
dem ich die Zeitung aufschlage und in der es keine Kritik an der Regierung gibt, in diesem Land muss es einen
Grund für Kritik an der Regierung geben .
({2})
Ich bin froh, dass wir uns als Parlamentariergruppe
gemeinsam für eine OSZE-Wahlbeobachtermission und
für die Freilassung Deniz Yücels und der anderen Journalistinnen und Journalisten einsetzen .
({3})
Dass wir zusammenstehen, ist ein wichtiges Signal
auch an die Türkei; denn wir bewegen uns zwischen der
außenpolitischen Betrachtung, den eigenen, deutschen
Interessen und unserer moralischen Verantwortung . Der
außenpolitische Blick zeigt: Strategisch braucht Erdogan
die Stimmen der Nationalisten und Rechten . Der Ausgang des Referendums ist durchaus offen. Bis zum
16 . April wird jede Provokation genutzt werden . Aber es
ist denkbar, dass er sich mit seinem Anti-EU-Kurs verrennt, ebenso wie schon mit seiner Syrien-, Russlandoder Israel-Politik in der Vergangenheit . Aber diesmal
steht alles auf dem Spiel, und das müssen wir wissen .
Unsere Interessen sind der soziale Frieden in Deutschland und der weitere Austausch mit der Türkei . Das
müssen auch die Türkinnen und Türken wissen; denn
sie entscheiden über die Zukunft ihres Landes, nicht wir .
Es war allerdings unser Fehler, dass wir mit Ankara nie
die Kapitel Justiz und Menschenrechte diskutiert haben,
Herr Kauder . Fragen Sie bitte auch einmal bei Herrn Polenz und anderen nach, was die Fehler Ihrer Partei in der
Türkei-Politik betrifft.
({4})
Als Letztes - daraus erklärt sich natürlich unsere moralische Verantwortung -: Die deutsche Geschichte verpflichtet uns, hinzuschauen, wenn Demokratie mit Füßen
getreten wird, zu klarer Haltung und zu unmissverständlicher Sprache genauso wie zu Diplomatie . Unsere Demokratie haben auch Millionen Türken mitgestaltet . Sie
wissen: Deutschland mag nicht perfekt sein, aber Nazis
sind wir sicher nicht .
({5})
Wir brauchen politisches Fingerspitzengefühl und
kühlen Verstand . Wahlkampfauftritte wünsche ich mir
nicht . Einreiseverbote würden alleine jetzt den Falschen helfen . Wir brauchen klare Regeln, wie es Sigmar
Gabriel zu Recht angemahnt hat . Auch die Opposition in
der Türkei muss Rederecht bekommen .
Übrigens, wenn Erdogan hier in Deutschland auftritt,
dann bricht er die Verfassung, türkisches Recht; denn
er hat mit dem Amtseid seinem Volk geschworen, dass
er als Staatspräsident neutral ist . Grundsätzlich sollten
wir hier nach dem 16 . April im Haus erörtern, ob und
wie Vertreter außereuropäischer Länder in Deutschland
Wahlkampf machen sollten . Diese schwierige Frage sollten wir nicht auf den Schreibtischen der kommunalen
Ordnungsdienste abladen .
Herzlichen Dank und Glück auf!
({6})
Vielen Dank, Michelle Müntefering . - Der nächste
Redner: Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn diese
Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin unaufhörlich ihrem Schlusspunkt zustrebt, so hat
dieses Ende für mich im doppelten Wortsinn eine Bedeutung: weil es die letzte Plenarrede ist, die ich im Deutschen Bundestag halten werde, und weil dieses Parlament vor der großen Herausforderung steht, nach dem
24 . September dieses Jahres ohne meine Mitwirkung
auskommen zu müssen, was allerdings angesichts der
Tatsache, dass das Verzeichnis ehemaliger Mitglieder des
Deutschen Bundestages voll von Persönlichkeiten ist, die
sich zu ihrer aktiven, teils auch zu ihrer nachaktiven Zeit
für unersetzlich gehalten haben, eine überschaubare Aufgabe ist .
Gestatten Sie mir einige Bemerkungen im Grundsatz:
Politik wird in jedem Politikbereich nicht nur daran gemessen, ob die vorgelegten Konzepte zukunftsfähig sind,
sondern auch daran, ob man die Fähigkeit zur kritischen
Selbstreflexion entwickelt hat und daraus die richtigen
Schlüsse zieht . Hans-Peter Friedrich hat dankenswerterweise darauf hingewiesen .
Es gehört mit zur Wahrheit, wenn wir über 60 Jahre
Römische Verträge reden, dass die weit überwiegende
Zahl der politischen Bereiche, die wir in dieser Zeit bearbeitet haben, von uns mit Fortschritten abgeschlossen
worden ist . Aber zur Wahrheit gehört auch, dass in diesen 60 Jahren nicht alles gelungen ist, was hätte gelingen
können . Deshalb müssen wir im Zuge dieser kritischen
Selbstreflexion den Blick darauf richten, was wir möglicherweise in den nächsten Jahren besser machen können,
auch und nicht zuletzt im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger .
Dazu gehört auch, meine Damen und Herren, dass wir
die Warnung von Helmut Kohl, wir Deutsche sollten mit
den Mitgliedsländern der Europäischen Union unabhängig von ihrer Größe und von ihrer Bedeutung reden, ernst
nehmen . Deswegen ist es auch eine Form des nationalen
Chauvinismus, wenn wir Deutsche uns gerieren, als hätten wir quasi das Patentrezept für die Europäische Union .
Das haben wir sicher nicht, und diesen Anspruch sollten
wir auch nicht erheben . Wir haben gute Ideen - die haben
andere auch -, mehr aber nicht .
Wenn wir in einem Berichterstattergespräch des Deutschen Bundestages so verfahren, dass aus jeder Fraktion eine Persönlichkeit kommt, wir uns dann an einen
Tisch setzen und darüber nachdenken, wie wir für ein
bestimmtes Problem eine Lösung herbeiführen, dann ist
das sozusagen die Blaupause für die Dialogfähigkeit in
der Europäischen Union . Es kann nicht so sein, dass ein
Mitgliedsland auftritt und den anderen vorschreibt, was
sie denn zu tun und zu lassen hätten, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({0})
Ein wesentlicher Grundsatz europäischen Denkens
war immer der Grundsatz der Subsidiarität . Hans-Peter
Friedrich hat das anhand einiger Beispiele durchdekliniert, die man in der Sache nicht teilen muss . Ich teile
sie . Ich verlange von niemandem, dass er sie in der Sache
teilt . Aber eines ist an diesem Grundsatz immer richtig:
Der Grundsatz der Subsidiarität dekliniert sich immer
von unten nach oben, nie von oben nach unten . Nie ist
es so, dass die oberste Ebene für sich definiert, was sie
denn zu tun hat, und dann das, was sie nicht zu tun bereit
oder imstande ist, an die nächste Ebene hinunter reicht,
was unweigerlich zur Folge hätte, dass insbesondere die
Rechnungen auf der untersten Ebene ankommen; vielmehr definiert sich Subsidiarität von unten nach oben.
Das heißt, wir definieren auf der lokalen, dann auf der
regionalen und dann auf der supraregionalen Ebene - bei
uns auf der Ebene der Bundesländer -, was dort sinnvollerweise getan werden muss. Dann definieren wir auf der
nationalstaatlichen Ebene und dann auf der europäischen
Ebene, was wir dort sinnvollerweise zur politischen Umsetzung verorten .
Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger einen
Anspruch darauf haben, dass wir 60 Jahre nach Inkrafttreten der Römischen Verträge noch einmal einen kritischen Blick darauf werfen, ob wir dem Grundsatz der
Subsidiarität in jedem einzelnen der von uns betreuten
Politikbereiche gerecht geworden sind oder ob hier noch
Verbesserungsbedarf herrscht .
({1})
Meine Damen und Herren, wir werden in wenigen
Wochen erleben, dass sich einer aus der europäischen
Familie verabschiedet . Es gibt wohl niemanden in diesem Hohen Hause, der das gutheißt . Allerdings hat dieser
Prozess, wenn wir es richtig machen, vielleicht auch sein
Gutes . Michel Barnier hat gestern vor dem Europaausschuss des Deutschen Bundestages Wert darauf gelegt,
dass der Prozess des Austritts Großbritanniens in einem transparenten Verfahren stattfindet. Darin liegt die
Chance; jeder der Knoten zwischen Großbritannien und
der Europäischen Union, die nun einzeln gelöst werden
müssen, wird nämlich im Bild der Öffentlichkeit noch
einmal deutlich, damit klar ist: Nicht alles, was wir in
60 Jahren Europa erreicht haben, ist selbstverständlich,
sondern vieles war das Ergebnis mühsamer Arbeits- und
Einigungsprozesse, und wir müssen etwas tun, damit das
europäische Netz zwischen den Mitgliedstaaten so bleibt,
wie es ist, und womöglich noch etwas enger geknüpft
werden kann .
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem
Dankeschön schließen, einem Dankeschön, das sich zuMichelle Müntefering
nächst an die Menschen in meinem Wahlkreis richtet, die
mir mit ihrem Votum in fünf aufeinanderfolgenden Bundestagswahlen die Chance eröffnet haben, ihre Interessen
zunächst in Bonn und dann in Berlin zu vertreten . Ich
hoffe, dass die Menschen im Herbst dann zu der überwiegenden Einschätzung gelangen, ich hätte das unter dem
Strich relativ ordentlich gemacht .
Ich will ein Dankeschön sagen an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wahlkreis und hier in Berlin;
denn ohne deren Expertise hätte ich diese Aufgabe nicht
so wahrnehmen können, wie ich es mir vorgestellt habe .
Ich sage auch ein Dankeschön an meine Familie, weil
die nämlich durch ihre Eigeninitiativen und ihre Kreativität unter Beweis gestellt hat, dass es auch ganz gut vielleicht noch besser - zu Hause funktionieren kann,
wenn der Alte nicht da ist .
Ich sage ein Dankeschön nicht zuletzt auch an meine
Fraktion, die es mit mir nicht immer ganz einfach gehabt hat . Allerdings, lieber Volker Kauder, lieber Michael
Grosse-Brömer, umgekehrt ist dieser Satz auch richtig .
Ich wünsche dem Deutschen Bundestag Kraft und
Selbstvertrauen, und ich schließe mit einem Satz von
Norbert Lammert . Der Präsident des Deutschen Bundestages hat im Hohen Hause viele kluge Sätze gesagt . Einer
dieser Sätze war, dass sich das Parlament eine Regierung
hält und nicht umgekehrt;
({2})
deswegen müsse eigentlich die Regierung immer das tun,
was das Parlament möchte . Mit Verlaub: Ich hatte in den
letzten Jahren gelegentlich den Eindruck, dass es umgekehrt ist . Passen Sie auf, dass das nicht einreißt!
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank, Thomas Dörflinger. Sie lassen uns hier
oben mit Wehmut zurück . Wir haben erst März . Vielleicht reden Sie ja doch noch einmal . Ansonsten würde
ich mich für Ihre letzte Rede bedanken; das haben Sie
relativ ordentlich gemacht .
({0})
- „Relativ ordentlich“ - ich habe Sie zitiert - war Ihre
letzte Rede . - Aber schauen wir mal, ob Sie nicht doch
noch einmal reden .
Letzter Redner in dieser Debatte: Michael Brand für
die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich kann man in der Türkei seine Meinung frei äußern - wenn man bereit ist, dafür auch die Konsequenzen
zu tragen . - Diesen Satz hat mir vor wenigen Tagen Can
Dündar, der frühere Chefredakteur der ältesten freien
Tageszeitung in der Türkei, von Cumhuriyet, gesagt . Im
August letzten Jahres hat er die Türkei verlassen, und er
lebt seitdem im Exil in Deutschland - wie viele andere
Intellektuelle, im Übrigen auch NATO-Soldaten, die hier
in Deutschland Asyl beantragt haben .
Den für ihn so schmerzlichen Schritt, seine Familie
und seine Türkei zurückzulassen, hat er damals so begründet:
Einer solchen Justiz zu trauen, würde bedeuten, seinen Kopf unter die Guillotine zu legen .
In der heutigen Debatte sprechen wir auch über den
Fall Deniz Yücel . Für ihn habe ich eine Patenschaft übernommen - im Übrigen auch für weit weniger prominente
Fälle, wie zahlreiche andere Kollegen -, habe beantragt,
ihn im Gefängnis besuchen zu dürfen . Wir reden hier
nicht allein über ihn; denn hinter dem Vorgehen der türkischen Regierung steckt System . In keinem Land der Welt
sind derzeit mehr Journalisten im Gefängnis als in der
Türkei . „Reporter ohne Grenzen“ spricht von 150 Journalisten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Wahrheit ist Deniz Yücel eine politische Geisel . Er wurde weggesperrt,
weil er seine Arbeit gemacht hat . Die Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung
sind vorgeschoben . Auch das hat inzwischen System in
der heutigen Türkei. Die gesetzliche Terrordefinition öffnet Willkür Tür und Tor .
Wenn heute die türkische Führung auf die Unabhängigkeit der Justiz hinweist - wie schon mehrfach in diesen Tagen passiert -, dann muss man ihr sagen: Freunde,
das ist ein Märchen . Viele Richter sind inzwischen zu
Erfüllungsgehilfen einer Verhaftungsmaschine geworden - in allen Bereichen, wo Mutige aufstehen, ihr Wort
erheben .
Die Untersuchungshaft für Yücel ist unverhältnismäßig . Er hat sich freiwillig gestellt und vertraut auf ein
rechtsstaatliches Verfahren . Deniz Yücel muss schnell
freigelassen werden . Das wäre im Übrigen auch ein Signal, die Spannungen zwischen unseren Ländern abzubauen .
({0})
Hinter dem Fall Yücel und vielen anderen stecken
eine unbequeme Wahrheit und ein sehr grundsätzlicher
Fakt, bei dem wir uns auch nichts in die Tasche lügen
dürfen: Es geht im Kern nicht um Wahlkampfauftritte .
Es geht nicht um Brandschutzfragen . Es geht nicht darum, wer wem was vorhält . Es geht in Wahrheit um nicht
weniger als um die Einschränkung und letztlich die faktische Abschaffung der Demokratie und des Rechtsstaates
in der Türkei .
({1})
Bei der geht im Übrigen der Präsident sehr konsequent
und sehr rational vor .
Thomas Dörflinger
Zu den Diffamierungen gegen Deutschland, zu Propaganda und manchen Verschwörungstheorien möchte
ich wirklich nichts mehr sagen; das fällt auf die türkische
Führung selbst zurück .
Es gehört aber klar ausgesprochen, dass der Wahlkampf à la AKP in Deutschland unerwünscht ist . Das gilt
selbstverständlich auch für HDP und andere . Diese gezielten Grenzüberschreitungen müssen aufhören .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns aber
nicht provozieren lassen; denn das ist genau das Ziel .
Diese Polarisierung, die Einteilung der Welt in Gut und
Böse, hilft Erdogan . Wir dürfen dem türkischen Präsidenten auch nicht auf den Leim gehen und so tun, als ob
alle in der Türkei so denken würden .
Wie viele sind mit Erdogans Plan zu diesem undemokratischen Präsidialsystem überhaupt nicht einverstanden! Eine Mehrheit dafür ist doch keineswegs sicher;
deswegen doch diese panischen Reaktionen . Die Not
muss schon ziemlich groß sein, dass gerade die niedrigsten Instinkte bedient werden sollen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, umso mehr sollten
wir die Gelegenheit offensiv nutzen, auch in dieser Debatte und in den nächsten Tagen darüber zu sprechen,
was das eigentliche Ziel dieses Referendums ist: die Gewaltenteilung würde ausgehebelt, der Präsident könnte
mit Dekreten am Parlament vorbei regieren, das Parlament jederzeit auflösen, die Gerichte würden ihre Unabhängigkeit verlieren durch die Ernennung von Richtern
durch den Präsidenten . Eine wirkliche Kontrolle des Präsidenten und gleichzeitigen Regierungschefs fände also
nicht mehr statt, und die Rechte des Einzelnen würden
eingeschränkt . Liebe Freunde, darüber müssen wir sprechen, statt auf die gezielte Eskalation durch die türkische
Regierung einzusteigen .
({3})
Entschuldigung . - Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben vorhin über ein munteres und dialogfreudiges
Parlament gesprochen . Manche scheinen das falsch verstanden zu haben . Wenn ich „Dialogfreudigkeit“ sage,
dann beziehe ich das auf Rede und Gegenrede und nicht
auf Ihre Rede untereinander .
Ich bitte jetzt alle ziemlich dringend, vor allem die
sich hinten sammelnden Kolleginnen und Kollegen: Bitte nehmen Sie Platz! Hören Sie dem letzten Redner in
dieser Debatte zu! Es gehört auch zu einem munteren
und dialogfreudigen Parlament, dass man sich ein Bild
von dem macht, was die Redner und Rednerinnen sagen,
und sich nicht selber dauernd sozusagen bei Seitengesprächen ins Gespräch bringt . Das meine ich wirklich im
Ernst .
({0})
Sonst unterbreche ich die Sitzung . Dann wird es heute
Nacht nicht 3 Uhr, sondern 4 Uhr .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . - Darüber müssen wir sprechen . Ich kann mir im Übrigen auch nicht
vorstellen, dass beim Wissen über diese Fakten, die ich
gerade genannt habe, das Referendum eine Mehrheit bekommen wird . Wir müssen vor dem Referendum auch
deutlich sagen - hier ist auch die Bundesregierung in der
Pflicht -, dass eine Mehrheit für dieses Präsidialsystem
nicht ohne Konsequenzen bleiben kann . Nicht wir wenden uns von der Türkei ab, sondern die Türkei würde sich
mit diesem Schritt von Deutschland und Europa abwenden . Deutschland und Europa - das ist jedenfalls meine
Sicht der Dinge - können nicht achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, wenn de facto die türkische Demokratie abgeschafft wird.
({0})
Am 16 . April entscheidet sich viel, und deswegen
darf man in dieser gefährlichen Situation nicht mit seiner
Stimme spielen . Man darf auch nicht vergessen, was der
heutige Präsident als Bürgermeister von Istanbul gesagt
hat:
Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind .
Es geht bei der Debatte nicht allein um die Türkei,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern es geht auch
darum, dass Konflikte anderer Länder bei uns nicht ausgetragen werden dürfen . Der Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz hat gestern klar Stellung bezogen .
Ich will das, was er gesagt hat, hier einmal zitieren:
Wir sehen seit langem, dass die Konflikte in der
Türkei auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage
in Deutschland haben . Die Bruchlinien zwischen
den verschiedenen Lagern in der Türkei bilden
sich spiegelbildlich in Deutschland ab . Es besteht
die Gefahr, dass diese Stellvertreterauseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen/rechtsextremistischen Türken eskalieren,
weil in beiden Szenen ein hohes, schlagkräftiges
Gefährdungspotenzial vorhanden ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf der deutsche Staat nicht akzeptieren . Der Rechtsstaat muss wehrhaft sein gegen Terroristen, gegen Nationalisten und gegen Extremisten .
({1})
Kollege Özdemir hat ja auf die Spitzeldienste hingewiesen . Ein Alarmsignal ist auch der deutliche Anstieg der
nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der Türkei in der
Bundesrepublik Deutschland .
Ich komme zum Schluss . Ja, der Gesprächsfaden darf
nicht reißen, gerade jetzt nicht . Die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und den Menschen in der
Türkei und in Deutschland sind eng und vielfältig . Gerade deswegen muss gelten: In den Grundsätzen muss die
deutsche Politik klar bleiben . Sie darf sich nicht wegducken . Die Mutigen in der Türkei haben zu Recht Erwartungen an uns . Die Dinge nicht beim Namen zu nennen
und die Konsequenzen vor dem Referendum nicht offen
und ehrlich auszusprechen, würde den Falschen ganz sicher in die Hände spielen .
Danke .
({2})
Vielen Dank, Michael Brand . - Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke .
Zuerst kommen wir zum Entschließungsantrag auf
Drucksache 18/11430 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Ich nehme an, es
enthält sich niemand mehr . - Der Entschließungsantrag
ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Fraktion Die Linke,
dagegen waren CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen .
Wir kommen zum Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11429 . Wir stimmen nun auf Verlangen der
Fraktion Die Linke namentlich ab . Deswegen bitte ich
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Ich frage: Sind die Plätze
besetzt? - Darf ich die Schriftführer und Schriftführerinnen bitten, die Plätze einzunehmen? Eigentlich wussten
sie, dass jetzt abgestimmt wird . Ich habe heute Nacht den
letzten Dienst und möchte rechtzeitig zum Frühstück zu
Hause sein .
({0})
- Herr Kauder, wir müssen noch miteinander reden . -
Sind die Plätze besetzt? Auf der Regierungsseite fehlt die
Opposition . Das macht Sinn, aber nicht bei der Abstim-
mung . - Herr Petzold ist jetzt gekommen . Vielen lieben
Dank .
Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke .
Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die nicht
abgestimmt haben? - Ich frage ein letztes Mal: Gibt es
Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt
haben? - Es scheint nicht so zu sein . Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Er-
gebnis wird Ihnen, wie immer, später mitgeteilt .1)
So, jetzt ist hier nicht Party, sondern wir machen hier
jetzt Parlament, wir machen weiter . Deswegen bitte ich,
die Gespräche zu beenden, sich hinzusetzen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
4 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,
1) Ergebnis Seite 22097 C
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Kündigungsschutz für Mieterinnen und
Mieter verbessern
Drucksache 18/11049
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz ({2}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Halina
Wawzyniak, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten
Drucksachen 18/9123, 18/10089
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({3}), Renate Künast, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zusammenhalt stärken - Mietrecht reformieren
Drucksache 18/10810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 4 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn ({5}), Renate
Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen
Drucksache 18/8856
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn
({6}), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten durch
die Streichung der Rügepflicht und die
Schaffung eines Auskunftsrechts
Drucksache 18/8857
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({7})
Drucksache 18/11440
Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz zum Antrag der Fraktion
Die Linke zur Mietpreisbremse sowie über die beiden
Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Dämpfung des Mietanstiegs werden wir später namentlich abstimmen . Das heißt, wir haben drei namentliche
Abstimmungen, die in diesem Zusammenhang auf uns
zukommen werden .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte Sie noch einmal, Gespräche, die nichts mit
Mietpreisen oder Mietpreisbindung zu tun haben, draußen zu führen. Das betrifft wirklich alle. Ich fange einfach nicht an, wenn Sie nicht damit aufhören .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Caren Lay
für die Linke .
({8})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In deutschen Großstädten sind die Mietpreise in
wenigen Jahren um 30 oder 40 Prozent, in Berlin und
Augsburg sogar um über 50 Prozent gestiegen . Eine bessere Anlage als in Mietwohnungen können sich viele im
Moment überhaupt nicht vorstellen . Das Einzige, was
bei diesem sagenhaften Beutezug von Spekulanten durch
unsere Städte und durch die Portemonnaies der Mieterinnen und Mieter stört, sind die Altmieter, die alte und
deswegen günstige Mietverträge haben. Ich finde, diesen
sagenhaften Beutezug durch unsere Städte und durch unsere Portemonnaies müssen wir hier endlich stoppen .
({0})
Findige Vermieter setzen aber alles daran, Mieterinnen und Mieter mit alten Mietverträgen rauszuekeln, wie
sie und wo sie nur können . Ein prominentes Beispiel vielleicht das prominenteste Beispiel - ist der Fall des
Karl-Heinz Gerigk aus Köln, genannt Kalle . Er sollte
nach über 30 Jahren seine Wohnung im beliebten Kölner Agnesviertel verlassen, weil der Vermieter ihm eine
Eigenbedarfskündigung geschickt hatte, mit der Begründung, er wolle dort mit seiner Freundin einziehen . Der
Vermieter hat die Kündigung verschickt und gleichzeitig
die Wohnung im Internet zum Kauf angeboten. Offenbar
wollte er sich da wohl kein neues Nest bauen, sondern es
ging ihm darum, die Wohnung möglichst teuer zu verkaufen - da konnte er ohne Kalle offenbar mehr Geld
bekommen . Trotzdem musste Kalle diese Wohnung verlassen. Ich finde, das sind Verhältnisse, bei denen man
sagen muss: So geht es einfach nicht .
({1})
Die Zahl solcher Eigenbedarfskündigungen ist rasant
angestiegen: Über 40 000 waren es im vorletzten Jahr .
Das ist eine ganze Kleinstadt von Mieterinnen und Mietern, denen wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde . Die
Begründungen werden immer absurder: Da soll mal ein
Au-pair-Mädchen einziehen, jemand braucht ein Arbeitszimmer in seiner Zweitwohnung, entfernteste Verwandte
werden plötzlich in der Begründung des Eigenbedarfs
angegeben - und das alles nur, um alteingesessene Mieter aus ihren Wohnungen zu schmeißen. Ich finde, es ist
höchste Zeit, Mieterinnen und Mieter vor solchen Kündigungen besser zu schützen .
({2})
Leider haben viele Gerichtsurteile die Situation für
Mieter verschlechtert . Beispielsweise sollen jetzt auch
Unternehmen Eigenbedarfskündigungen aussprechen
können . Es ist doch, ehrlich gesagt, völlig absurd, dass
jetzt jeder, der Mitglied einer GbR ist, plötzlich Eigenbedarf anmelden kann .
Noch absurder ist das hier: Wenn ein Mieter beim Vermieter Schulden hat, dann kann er eine fristlose Kündigung dadurch abwenden, dass er den Ausstand bezahlt,
aber eine ordentliche Kündigung kann er dadurch nicht
abwenden. Deswegen schicken dann findige Vermieter beide Kündigungsformen gleichzeitig raus, und,
schwups, sind sie die unliebsamen Mieter los .
Es häufen sich Urteile, die es für rechtmäßig erklären, dass Mieter, die wegen Schäden eine Mietminderung
geltend gemacht haben, aus ihren Wohnungen geworfen
werden . Ich muss sagen: Es darf doch einfach nicht wahr
sein, dass ein Mieter, der sein Recht auf Mietminderung
geltend macht, danach die Kündigung bekommt . Dem
müssen wir einen Riegel vorschieben .
({3})
Eines ist doch klar: Je mehr wir den Kündigungsschutz für die Mieter verbessern, desto besser schützen
wir unsere Städte vor Spekulation . Und das sollten wir
dringend tun, meine Damen und Herren .
({4})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: die
Mietpreisbremse . Es müsste doch völlig unstrittig sein,
dass hier dringend nachgebessert werden muss; denn
selbst dort, wo sie überhaupt eingeführt wurde, stiegen
die Mieten weiter, in Berlin zum Beispiel um 17 Prozent
in nur einem Jahr .
Meine Damen und Herren, diese Mietpreisbremse ist
ein Rohrkrepierer . Hier rächen sich einfach die zahlreichen Ausnahmen, die die Union auf Druck der Immobilienwirtschaft damals in das Gesetz hineinverhandelt hat .
({5})
Da gibt es Ausnahmen beim Neubau, Ausnahmen für
möblierte Wohnungen, Ausnahmen bei Modernisierungen . Ich will klipp und klar sagen: Mit all diesen Ausnahmen kann eine Mietpreisbremse nicht funktionieren . Alle
diese Ausnahmen müssen gestrichen werden .
({6})
Der Deutsche Mieterbund fand in einer eigenen Studie
heraus, dass 70 bis 95 Prozent aller neuen WohnungsVizepräsidentin Claudia Roth
angebote über dem lagen, was die Mietpreisbremse für
zulässig erklärt .
({7})
Welche Konsequenzen hat das? Keine . Was ist denn das
für ein Gesetz, gegen das zu 95 Prozent verstoßen werden darf, ohne dass irgendetwas passiert?
({8})
Es kann doch nicht sein, dass einem Vermieter keinerlei
Strafe droht, wenn er sich nicht an Gesetze hält . Das Umgehen der Mietpreisbremse ist Betrug am Mieter, und das
muss auch wie Betrug geahndet werden .
({9})
Wir brauchen einfach wirkungsvolle Strafen . Und es
muss, wie ich finde, auch das, was zu viel eingezogen
wurde, vom ersten Tag an zurückgezahlt werden .
Ich finde auch gut, was Herr Maas vorschlägt, was die
Grünen wollen . Auch wir fordern, dass man ein Recht darauf hat, die Miete des Vormieters zu kennen . Das sollte
doch völlig unstrittig sein - übrigens auch bei der Union .
({10})
Aber das reicht leider als Nachbesserung bei weitem
nicht aus, wenn die Mietpreisbremse wirklich funktionieren soll . Aber selbst zu dieser banalen Verbesserung
ist die Koalition einfach nicht in der Lage .
Ich muss sagen: Diese schlechte Politik in Bezug
auf Wohnen, diese Vernachlässigung von Mieterrechten
führt im Endeffekt dazu, dass arme und alte Menschen an
die Stadtränder verdrängt werden . Das führt zur Enteignung der städtischen Mittelschichten . Und beides wollen
wir nicht .
({11})
Es wäre so viel mehr nötig, Stichwort „zweite Mietrechtsnovelle“ . Auch da ist viel angekündigt worden,
aber hier ist nichts eingebracht worden .
Wir brauchen aus meiner Sicht dringend eine Abschaffung der Modernisierungsumlage, die nur teure und
sinnlose Modernisierungen befördert . Das darf einfach
nicht sein .
({12})
Wir müssen bei den Mietspiegeln nachbessern . Auch
das haben wir beantragt .
Wir haben bisher allein fünf Debatten zum Mietrecht
und insgesamt elf Debatten zur Wohnungs- und Mietenpolitik geführt .
({13})
Von der Koalition kam nur ein Gesetz zur Mietpreisbremse, bei dem außer der Überschrift einfach nichts stimmt .
Das ist Ihre Gesamtbilanz . Da frage ich mich: Wollen Sie
mit dieser Bilanz nach vier Jahren hier rausgehen? Das
darf ja wohl nicht wahr sein .
({14})
Ich weiß natürlich, dass es an der CDU liegt . Sie wollen ja gar nicht, dass die Mietpreisbremse wirkt . Sie wollen ja freie Fahrt für Spekulanten . Das ist Ihnen wichtiger
als der Schutz der Mieterinnen und Mieter .
({15})
Das einzig Gute daran ist, dass hoffentlich kein Mieter
Sie im September mehr wählen wird . Gott sei Dank sind
die in diesem Land immer noch in der Mehrheit .
Ich sehe die SPD leider nicht sonderlich kämpfen . Das
finde ich schade. Ich finde nicht, dass man so viel - ({16})
- Sie haben ja außer der Mietpreisbremse gar nichts
durchgesetzt .
({17})
Wo ist denn Ihr Kampf? Sie haben doch hier die Mehrheit für eine Nachbesserung der Mietpreisbremse . Lassen
Sie uns die doch gemeinsam nutzen .
({18})
Meine Damen und Herren, zu guter Letzt: Neben einer
guten Mietpreisbremse brauchen wir auch eine richtige
Bodenpreisbremse .
({19})
Auch hier müssen wir einmal einen Riegel vorschieben .
Und wir brauchen einen besseren Kündigungsschutz für
Gewerbemieten . Was den Mietern passiert, passiert ja
auch den kleinen Läden . Sie haben es vielleicht hier in
Berlin beim Café Filou, bei der Buchhandlung Kisch &
Co oder auch bei Bantelmann mitbekommen . Alle diese Läden, die seit Jahren die Stadtteile prägen, sind jetzt
vom Rausschmiss bedroht .
Sie auch .
({0})
Das dürfen Sie nicht zulassen . Wir brauchen einen
besseren Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter
und auch für die kleinen Läden .
Vielen Dank .
({0}): Sie haben keinen Satz zum Neu-
bau gesagt!)
Vielen Dank, Caren Lay .
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Linken auf
Drucksache 18/11429 zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen
Rat bekannt: abgegebene Stimmen 565 . Mit Ja haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben
gestimmt 455 . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565;
davon
ja: 110
nein: 455
enthalten: 0
Ja
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({0})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({1})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({2})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({3})
Christian Kühn ({4})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({5})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({7})
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({8})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({9})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller ({11})
Stefan Müller ({12})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({13})
Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({14})
Gabriele Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({16})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({17})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({19})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({20})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({23})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({24})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({25})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({26})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({27})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({28})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({29})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({30})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({31})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({32})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({33})
Matthias Schmidt ({34})
Dagmar Schmidt ({35})
Carsten Schneider ({36})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({37})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({38})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Fraktionslos
Erika Steinbach
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({39}) aufgeführt.
Wir fahren mit der Debatte fort . Der nächste Redner
ist Dr . Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion .
({40})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Ich glaube, im
Ziel sind wir uns doch alle einig .
({0})
- Doch, wir sind uns im Ziel alle einig: Wir wollen Mieter schützen, und wir wollen auch nicht, dass Mieter aus
ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden .
({1})
Das Einzige, worin wir uns nicht einig sind, ist, wie wir
den Weg beschreiten, wie wir das Ziel das erreichen .
Man muss einfach sagen: Die Wohnungsmärkte in
Deutschland sind eben sehr differenziert. Es ist ein großer Unterschied, ob man über Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf
({2})
oder Universitätsstädte oder über den ländlichen Raum
spricht . Es gibt da komplett unterschiedliche Situationen .
({3})
Weil die Wohnungsmärkte so differenziert sind, brauchen wir differenzierte Lösungen. Da bringen uns die
einfachen Antworten, die uns die Linken und auch die
Grünen vorschlagen, überhaupt nicht weiter, meine Damen und Herren .
({4})
Für uns ist es wichtig, dass es einen Ausgleich zwischen den Mietern auf der einen Seite und den Vermietern, den vermietenden Eigentümern auf der anderen
Seite gibt .
({5})
Deswegen haben wir ja auch das Instrument der Mietpreisbremse eingeführt . Das stand schon in unserem
Wahlprogramm und in unserem Koalitionsprogramm .
Jetzt fragen manche: Funktioniert die Mietpreisbremse? - Dazu gibt es in der Tat unterschiedliche Studien,
die man methodisch hinterfragen könnte, zum Beispiel
das, Frau Lay, was Sie angesprochen haben, dass nämlich
95 Prozent der Mieten, die angeboten werden, über der
ortsüblichen Vergleichsmiete lägen . Daraus ziehen Sie
jetzt den Schluss, dass es sich dabei immer um Verstöße
gegen die Mietpreisbremse handele .
({6})
Ich sage: Nein . Man muss sich einmal genau anschauen, was dahintersteht . Sie können bei den Angeboten,
die man zum Beispiel auf Immoscout und anderswo findet, nicht wissen, ob die Vormiete nicht möglicherweise
schon höher gewesen ist .
({7})
Sie wissen nicht, ob es sich um eine umfassend modernisierte Wohnung handelt . All das können Sie nicht an
den Angeboten ablesen . Deswegen ist der Schluss, den
Sie daraus ziehen, nämlich dass 95 Prozent der Vermieter
betrügen würden, einfach nicht in Ordnung .
({8})
Sie sollten an dieser Stelle lieber ein bisschen mehr bei
den Fakten bleiben .
({9})
Ich sage ganz klar: Wir als Gesetzgeber haben die klare Erwartung, dass sich die Vermieter an die Mietpreisbremse halten .
({10})
Das ist eine völlige Selbstverständlichkeit . Wir machen
Gesetze, damit sich daran gehalten wird . Deswegen haben wir den Mietern ja auch Rechte an die Hand gegeben . Sie können die überhöhte Miete rügen und dann die
zu viel gezahlte Miete zurückverlangen .
({11})
Das ist gut und richtig .
Ich kann nur alle Mieterinnen und Mieter auffordern:
Nehmt diese Rechte wahr, ihr werdet Erfolg haben! Das zeigen alle Gerichtsurteile, die es bislang gibt . Selbst
der Deutsche Mieterbund sagt: Alle Urteile, die es zur
Mietpreisbremse gibt, sind ausnahmslos zugunsten der
Mieter ausgefallen . Ausnahmslos!
({12})
Deswegen kann ich nur noch einmal festhalten: Die
Mietpreisbremse ist selbstverständlich kein Allheilmittel - darauf komme ich noch zu sprechen -,
({13})
aber sie ist ein Instrument, das funktioniert . Ich kann nur
sagen: Mit besonderer Selbstbehauptung sollten die Mieter ihre Rechte wahrnehmen, dann werden sie auch vor
den Gerichten Erfolg haben, meine Damen und Herren .
({14})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Jetzt komme ich zu den Ausnahmen, die, wie die Linken und die Grünen vorschlagen, gestrichen werden sollen . Die Ausnahmen sind ja nicht einfach irgendwie entstanden; vielmehr haben wir uns alle Ausnahmen wohl
überlegt . Alle Ausnahmen haben ihre Berechtigung .
({15})
Ich nenne das Beispiel Neubau . Die Mietpreisbremse wirkt nicht - und soll auch nicht greifen -, wenn es
um neugebaute Wohnungen geht . Das liegt nicht daran,
dass wir Spekulation befördern wollen, sondern das liegt
daran, dass Sie heute keine neue Wohnung zu den Preisen der ortsüblichen Vergleichsmiete bauen können . Das
können Sie einfach nicht; das geht nicht . Dafür sind die
Baukosten zu hoch . Sie müssen derzeit 10 bis 11 Euro
pro Quadratmeter an Miete einplanen, um neu bauen
zu können . Würde die Mietpreisbremse da auch gelten,
hieße das: Ich baue für 10 Euro pro Quadratmeter, aber
wenn die ortsübliche Vergleichsmiete bei 7 Euro pro
Quadratmeter liegt, dann fehlen auf einmal 3 Euro pro
Quadratmeter in der Rechnung .
({16})
Das würde bedeuten, dass sich das Ganze nicht trägt,
dass es nicht wirtschaftlich und nicht finanzierbar ist. Die
Folge wäre weniger Neubau . Damit würden wir das Problem doch nur verschärfen . Die steigenden Mieten resultieren doch daraus, dass wir ein zu geringes Angebot auf
dem Wohnungsmarkt haben . Deswegen müssen wir alles
dafür tun, dass die Mietpreisbremse keine Investitionsbremse ist und dass in unserem Land mehr gebaut wird .
Deswegen ist diese Ausnahme für den Neubau auch völlig richtig, meine Damen und Herren .
({17})
Ein zweiter Punkt, den Sie streichen wollen, hat mit
dem Bestandsschutz zu tun . Wir haben gesagt: Wir können nicht in bestehende Verträge eingreifen und sagen:
Du vermietest deine Wohnung aktuell zwar für 10 Euro
pro Quadratmeter, wenn du sie jetzt neu vermietest, dürfen das aber nur noch 7 Euro sein . - Wir müssen uns da
doch in dem Rahmen bewegen, den die Verfassung uns
vorgibt . Es geht um Artikel 14 unseres Grundgesetzes,
den Schutz des Eigentums . Wenn wir in einen laufenden
Vertrag oder eine laufende Finanzierung eingreifen würden - natürlich gibt es bestimmte Erwartungen, was man
aus einer Mietwohnung herausbekommt -, würden wir
unter dem Strich erstens verfassungswidrig handeln und
zweitens - das ist ein ganz praktisches Problem - viele
kleine Vermieter, um die es hier auch geht, in den Ruin
treiben . Wir reden ja nicht immer nur über die großen
Wohnungsgesellschaften, sondern vor allem auch über
die vielen privaten Kleinvermieter . Deswegen werden
wir solche Ausnahmen nicht mitmachen .
({18})
Wenn Sie beim Bestandsschutz eine Ausnahme machen wollen, dann stellt das selbstverständlich einen
Eingriff in bestehende Verträge dar, weil Sie damit sozusagen auf die Situation zugreifen . Es entstünde also
eine Rückwirkungsproblematik, die verfassungsrechtlich
höchst problematisch ist . Dafür gibt es keine Rechtfertigung . Es ist ganz klar, Herr Kollege Kühn, dass wir uns
damit in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf sehr dünnem Eis bewegen würden .
({19})
Das werden wir nicht mitmachen .
({20})
Ich möchte noch etwas zur Modernisierung sagen . Die
umfassende Modernisierung ist eine weitere Ausnahme,
die wir bei der Mietpreisbremse vorgesehen haben . Ich
möchte eines ganz klar sagen: Natürlich soll es hier keinen Missbrauch geben . Da sind wir völlig klar, auch als
Union . Es darf nicht sein, dass junge Familien oder ältere
Menschen aus ihrer Wohnung herausmodernisiert werden. Wenn ein Missbrauch offen zutage tritt, muss es das sage ich ganz klar - Sanktionen geben .
({21})
Dann muss überlegt werden, ob man Schadenersatzansprüche geltend machen kann . Man müsste auch darüber
nachdenken, ob das vielleicht sogar ein ordnungswidriges
Verhalten ist . Da bin ich völlig dabei . Einen Missbrauch
des Instruments der Modernisierungsmieterhöhung darf
es nicht geben, und das gibt es mit uns auch nicht .
({22})
Ich finde Ihre Argumentation in dieser Diskussion
seltsam . Sie sagen zum Beispiel, wir hätten die Schwelle für die umfassende Modernisierung zu hoch angesetzt . Was ist eigentlich eine umfassende Modernisierung? Sie sagen, wenn man ein Drittel der Kosten, die
ein vergleichbarer Neubau gekostet hätte, aufwenden
muss, würde dadurch ein falscher Anreiz gesetzt . Das
würde nämlich dazu führen, dass alle Vermieter möglichst hochpreisig modernisierten, um unter diese Ausnahmeregelung zu fallen . Dazu kann ich nur sagen: Wir
als Union haben darauf hingewiesen, dass dieser Effekt
eintreten kann . Weil wir genau dieses Problem gesehen
haben, haben wir gesagt: Wir dürfen die Schwelle nicht
zu hoch setzen . Deswegen haben wir in die Begründung
hineingeschrieben, dass auch in den Fällen, in denen ein
Drittel der Kosten nicht erreicht wird, aber verschiedene
Baugruppen qualitativ angefasst werden, zum Beispiel
Badsanierung, Fenstersanierung oder Elektroinstallation,
eine umfassende Modernisierung vorliegt .
({23})
Damit wollen wir eine möglichst hochpreisige Modernisierung verhindern . Wir wollen keinen Anreiz für eine
hochpreisige Modernisierung bieten, die die Mieter hinterher vor Schwierigkeiten stellt . Das haben wir als Union hineinverhandelt, und das war auch richtig so .
({24})
Ich will noch einen Punkt ansprechen . Sie tun ja immer so, als seien alle Modernisierungen Luxusmodernisierungen, dass das quasi der Regelfall sei . Ich sage:
Nein, das ist nicht so . In den allermeisten Fällen geht es
um eine energetische Modernisierung oder den altersgerechten Umbau . Das sind beides gesamtgesellschaftlich
wichtige Ziele, die wir verfolgen . Ich glaube, da sind wir
uns völlig einig . Natürlich brauchen wir die energetische
Sanierung, um unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele zu
erreichen, und natürlich brauchen wir auch einen altersgerechten Umbau, um mit der demografischen Entwicklung Schritt halten zu können .
({25})
Die Grünen haben das in ihrem Antrag sehr schön
formuliert . Das könnte ich eins zu eins übernehmen . Sie
schreiben in ihrem Antrag:
Unsere Wohnungen und Wohnungsmärkte müssen
fit für die Zukunft gemacht werden. ... Angesichts
der Klimakrise ist es dringend notwendig, auch im
Gebäudebestand deutlich mehr Energie einzusparen .
Dann geht es weiter:
Zusätzlich brauchen wir durch den demographischen Wandel vermehrt altersgerechte und barrierefreie Wohnungen, damit die Menschen so lange wie
möglich selbstbestimmt leben können .
({26})
Ja, genau . Wunderbar schreiben Sie das in Ihrem Antrag .
Das ist völlig richtig so . Nur: Sie ziehen die völlig falschen Schlüsse daraus .
Wozu würde das, was Sie jetzt hier vorschlagen, nämlich die Ausnahmen für die umfassende Modernisierung
abzuschaffen und bei der Modernisierungsmieterhöhung
massive Einschnitte vorzunehmen, führen? Das führt
doch nur dazu, dass diese Modernisierungen unter dem
Strich nicht mehr wirtschaftlich tragbar sind und nicht
mehr finanzierbar sind. Dann werden sie letztlich auch
nicht mehr vorgenommen . Und wer hat dann hinterher
die Folgen zu tragen? Das sind doch die Mieterinnen und
Mieter, die mit der zweiten Miete, den Betriebskosten,
jetzt schon erheblich belastet sind . Die zweite Miete, die
Betriebskosten, ist viel stärker als die Kaltmiete gestiegen .
({27})
Gerade die altersgerechte Modernisierung halte ich
wirklich für eine zutiefst soziale Frage . Die 90-jährige
Witwe, die ihr Bad nicht mehr benutzen kann, weil es
nicht altersgerecht umgebaut ist, und nicht mehr in ihre
Wohnung kommt, weil sie vielleicht Probleme mit der
Hüfte hat und es keinen Fahrstuhl gibt, müsste also aus
ihrer Wohnung ausziehen, weil Sie verhindern, dass die
Wohnung modernisiert wird . Das geht nicht . Das werden
wir nicht mitmachen . Das ist auch eine soziale Frage,
meine Damen und Herren .
({28})
Deswegen ist es völlig richtig, dass das Konzept der
Modernisierung bei den Kosten auf drei Schultern liegt .
Natürlich muss der vermietende Eigentümer Kosten tragen . Natürlich muss auch der Staat hier etwas tun . Da
muss gefördert werden . Es gibt ja eine ganze Reihe von
Förderprogrammen bei der KfW . Man kann auch noch
überlegen, was man steuerlich machen kann . Aber natürlich muss auch der Mieter seinen Anteil über die Modernisierungsmieterhöhung dazu beitragen . Wir wollen
insbesondere deshalb an diesem Konzept der drei Säulen, die das Ganze tragen, festhalten, weil wir sonst die
gesamtgesellschaftlichen Ziele nicht erreichen . Dass Sie
hier die Belastung einseitig den Vermietern aufbürden
wollen, ist nicht in Ordnung . Das wird es mit der Union
auch nicht geben .
({29})
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen - es
gäbe noch ein paar Punkte, die ich ansprechen könnte;
aber irgendwann ist meine Redezeit dann auch zu Ende -,
({30})
nämlich die Rügepflicht, die Sie streichen wollen. Aktuell ist es ja folgendermaßen: Wenn ein Mieter in eine
Wohnung einzieht, dann kann er - dieses Recht haben
wir ihm gegeben - die Höhe seiner Miete rügen . Ab diesem Zeitpunkt kann er, wenn sich hinterher herausstellt,
dass die Miete zu hoch war, den zu viel gezahlten Betrag
auch zurückverlangen . Er kann also zum Vermieter sagen: Ich habe zu viel gezahlt; bitte zahle mir das zurück .
({31})
- Ab der Rüge, Frau Kollegin .
({32})
Und was ist jetzt der Sinn und Zweck dieser Rügepflicht, die Sie nun streichen wollen? Sie sagen, im Prinzip schaffe ein solches Verfahren für den Vermieter einen
Anreiz, die Mietpreisbremse zu umgehen .
({33})
Sie bauen hier wieder das Feindbild des Vermieters auf .
An dieser Stelle müssen wir wirklich deutlich Widerspruch erheben . Das entspricht einfach nicht den Tatsachen . Die weit überwiegende Zahl der Mietverhältnisse
funktioniert wunderbar . Da gibt es ein gutes Verhältnis
zwischen Vermietern und Mietern, und das klappt wirklich ohne Probleme .
({34})
Der tatsächliche Sinn und Zweck dieser Rügepflicht ist
doch, Planungssicherheit zu geben - Planungssicherheit
für den Vermieter, weil er nämlich wissen muss, was er
verlangen kann .
({35})
Wir reden jetzt - noch einmal - nicht über die großen Gesellschaften, sondern es geht, liebe Frau Künast,
um den kleinen Vermieter, den kleinen Eigentümer, der
vielleicht eine oder zwei Wohnungen als Altersvorsorge hat . Dieser hat große Probleme, zu bestimmen: Wie
hoch ist denn eigentlich die ortsübliche Vergleichsmiete
plus 10 Prozent? Wie viel Miete kann ich denn da überhaupt nehmen? Er hat große Probleme, diese zu ermitteln, weil wir immer noch keine Reform der Mietspiegel
haben . Als Union haben wir das schon lange eingefordert . Das BMJV hat aber immer noch keinen vernünftigen Vorschlag vorgelegt . Das wäre einmal ein richtiger
Vorschlag, damit wir da einmal ein Stück weiterkommen .
Herr Luczak, bitte einmal atmen und die Frage beantworten: Sind Sie dazu bereit, eine Zwischenfrage - Dr. Jan-Marco Luczak ({0}):
Ja .
Gut . - Frau Lay .
({0})
Meine Zeit ist angehalten worden .
Ich sage nur: Sitzungsschluss 3 Uhr morgens .
Vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie die Frage zulassen . - Sie haben jetzt lange und ausführlich erläutert,
bei welchen Nachbesserungen der Mietpreisbremse Sie
nicht mitgehen würden . Ich habe aber mehrere Zitate von
Ihnen gefunden, in denen Sie gesagt haben, dass Sie offen für Nachbesserungen sind, zum Beispiel im Bereich
der Auskunftspflicht des Vermieters. Entsprechend haben
Sie sich im Mai 2016 sowie am 7 . und am 8 . September
2016 zitieren lassen .
Sind Sie weiterhin bereit, wenigstens in diesem einen
Punkt, der Auskunftspflicht des Vermieters, die Mietpreisbremse noch in dieser Legislaturperiode nachzubessern? Oder galt diese Aussage nur kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin?
({0})
Ich stand selber bei den Abgeordnetenhauswahlen von
Berlin nicht zur Wahl . Insofern war das völlig unabhängig von diesen Wahlen, Frau Kollegin .
({0})
Für mich und für uns alle in der Fraktion ist völlig
klar: Die Mietpreisbremse muss in der Praxis funktionieren . Es bringt ja überhaupt nichts, wenn wir hier als
Gesetzgeber Gesetze erlassen, an die sich hinterher in
der Praxis keiner hält . Deswegen sage ich: Alles das, was
dazu führt, dass die Mietpreisbremse in der Praxis besser
funktioniert, finde ich selbstverständlich in Ordnung.
({1})
Deswegen kann man auch über das Auskunftsrecht reden, wenn es um die Vormiete geht . Das Auskunftsrecht,
das Sie jetzt vorschlagen und haben wollen, geht aber
viel weiter . Sie sagen ja, dass der Vermieter dem Mieter
alle erdenklichen Tatsachen beibringen muss, damit der
Mieter das Ganze valide beurteilen kann .
An dieser Stelle sage ich noch einmal: Wir reden hier
nicht von den großen Gesellschaften, sondern von den
65 Prozent der Wohnungen in unserem Land, die von privaten Kleinvermietern angeboten werden . Diese haben
große Schwierigkeiten, zu ermitteln, was denn eigentlich die ortsübliche Vergleichsmiete ist . Wenn Sie jetzt
verlangen, dass sozusagen alle Tatsachen beigebracht
werden, dass es valide sein muss, dann wälzen Sie damit
einseitig das Risiko auf die Vermieter ab . Das ist nicht in
Ordnung . Deswegen noch einmal: Über die Auskunftspflicht kann man reden. Aber auch alle anderen Tatsachen vorher mitzuteilen, das wird es mit der Union an der
Stelle nicht geben .
({2})
Jetzt fängt die Uhr wieder an, zu laufen . Ich habe nur
noch wenige Sekunden Redezeit . Deswegen möchte ich
noch kurz meine Gedanken zum zuletzt von mir angesprochenen Punkt, zur Rügepflicht, zu Ende bringen. Planungssicherheit war der entscheidende Gesichtspunkt an
dieser Stelle. Wenn man die Rügepflicht obsolet werden
lassen würde, wenn man sie streichen würde, würde das
möglicherweise dazu führen, dass ein Mieter, der über
Jahre in einer Wohnung gewohnt hat, wenn er ohnehin
auszieht, sagen könnte: Ich habe eigentlich viel zu viel
Miete gezahlt und fordere den Differenzbetrag jetzt zurück . - Dadurch würde sich der private Kleinvermieter
mit einer großen Summe, die er zurückzahlen müsste,
konfrontiert sehen . Dies könnte ihn eventuell sogar in
ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen . Deswegen haben wir gesagt: Nein, wir wollen hier Rechtssicherheit haben .
({3})
Wir wollen nicht, dass jemand überfordert wird . Deswegen ist die Rügepflicht richtig.
Redezeit!
Der letzte Punkt . - All diejenigen Vermieter, die hier
Missbrauch betreiben, die vorsätzlich eine falsche Vormiete angeben, sind Betrüger . Das ist ganz klar .
({0})
- So schlimm war das doch gar nicht, Frau Kollegin .
Würden Sie bitte zum Ende kommen .
Für solche Betrüger gibt es einschneidende Sanktionsmöglichkeiten; das ist in Ordnung .
Deswegen: Unter dem Strich sind wir dafür, dass die
Mietpreisbremse funktioniert . Das tut sie in der Praxis
auch . Ihre Vorschläge können wir nicht mittragen, meine
Damen und Herren, weil sie an der Praxis völlig vorbeigehen .
Vielen Dank .
({0})
Es macht nichts, dass Sie randaliert haben . Das bekommen wir wieder hin .
({0})
- Das war eine Protestaktion, ja . - Nächster Redner:
Chris Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Stuttgart beträgt die durchschnittliche Neuvertragsmiete
13 Euro pro Quadratmeter . Dies sind 5,9 Prozent mehr
als im letzten Jahr . In München - dies an die Adresse der
Kolleginnen und Kollegen der CSU -: 17,55 Euro, Anstieg um 9,7 Prozent . Jetzt Berlin, Herr Luczak: 10 Euro,
Anstieg im letzten Jahr um 12,3 Prozent . Eine große
deutsche Illustrierte hat dieser Tage getitelt: „Städter in
Not“ . Ich sage: Diese Illustrierte hat absolut recht .
({0})
Ich will nicht, dass Städte zu Wellnesszonen für Wohlhabende oder Reichenghettos werden, sondern die durchmischte Stadt, die sozial gerechte Stadt ist das Ziel . Das
hat diese Koalition in dieser Legislaturperiode gemeinsam leider nicht geschafft.
({1})
Sie haben dabei, die Mieten in Deutschland zu deckeln, völlig versagt . Die Kanzlerin hatte es im letzten
Wahlkampf versprochen . Auch die SPD hatte es versprochen . Aber Sie sind damit gescheitert . Diese Zahlen
zeigen ganz klar: Die Mietpreisbremse in Deutschland
funktioniert nicht .
({2})
Sie funktioniert deswegen nicht, Herr Luczak, weil
Sie von der Union die Mietpreisbremse von Anfang an
hintertrieben haben .
({3})
Die SPD hat sich bei diesem Spiel leider aufs Kreuz
legen lassen . Wenn Sie nun heute hier sagen, dass das
Raussanieren ein Problem ist, aber dass Sie nichts an der
Modernisierungsumlage ändern wollen,
({4})
dann ist aus unserer Perspektive ganz klar, dass Sie hier
Krokodilstränen vergießen, aber nicht politisch handeln
wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, angesichts der Situation in unseren Städten unerträglich .
({5})
Menschen werden heute durch Mieterhöhungen aufgrund von Sanierungen aus den Innenstädten und aus
den Kiezen vertrieben . Das hat damit zu tun, dass die
Mietpreisbremse zu viele Löcher hat, dass sie zu viele
Ausnahmen kennt, dass sie nicht transparent ist und dass
es eine Rügepflicht gibt, die dem Mietrecht eigentlich
systemfremd ist . Das haben Sie zu verantworten . Deswegen haben Sie die Mieterinnen und Mieter in dieser
Legislaturperiode enttäuscht . Sie als Union sollten sich
wirklich einmal überlegen, ob Sie mit diesen Ansagen an
die Mieterinnen und Mieter auch in den nächsten Wahlkampf ziehen wollen, wenn Sie schon jetzt mit der Mietpreisbremse so gegen die Wand gefahren sind .
Sehr geehrter Herr Luczak, noch einmal: Ich höre
immer wieder, dass Sie von Eigentum und Eigentümern
sprechen; das haben Sie auch jetzt wieder ein paarmal
gesagt . Sie sagen auch immer wieder, zum Beispiel auf
Podiumsdiskussionen: Wir wollen zukünftige Eigentümer schützen und in Eigentum bringen . - Die Eigentümer von morgen sind doch die Mieterinnen und Mieter
von heute . Die hohen Mietpreise fressen den Menschen
sozusagen das Geld weg, sodass sie nichts mehr sparen
können, um Eigentum zu erwerben . Ich sage Ihnen: Eine
funktionierende Mietpreisbremse ist auch Schutz der Eigentümer von morgen . Deswegen sollten Sie sich noch
einmal überlegen, ob die Position, die Sie im Augenblick
bei der Mietpreisbremse haben, wirklich zu Ihren Grundhaltungen passt .
({6})
Heute haben Sie, weil es hier um Gesetzentwürfe geht,
über die auch namentlich abgestimmt wird, die Chance,
Farbe zu bekennen, ob Sie die Mietpreisbremse wirklich
scharfstellen wollen, ob Sie also mietrechtliche Reformen durchführen wollen oder nicht . Dies ist, soweit man
das im Augenblick sehen kann, in dieser Legislaturperiode die letzte Mietrechtsdebatte,
({7})
die von der Opposition beantragt worden ist . Sie haben
nun die Chance, die größten Schnitzer aus der Mietrechtsnovelle herauszunehmen . Ich glaube nicht mehr
an ein zweites Mietrechtspaket . Es ist von Heiko Maas
mehrfach vorgeschlagen, aber von der Union abgebügelt
worden . Ich sage Ihnen deswegen: Heute haben Sie die
Chance, noch etwas zu ändern .
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
reden viel über sozialen Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit und davon, dass Sie Mieterinnen und Mieter in
Deutschland schützen wollen .
({8})
Auch Ihr Spitzenkandidat tut das . Aber am Ende, glaube ich, kommen Sie nicht darum herum: Auch im Wahlkampf müssen Sie Ihrem Handeln hier im Parlament und
der Bilanz, die Sie als Große Koalition vorlegen, standhalten; das sage ich Ihnen ganz klar .
({9})
Deswegen fordere ich Sie auf: Bekennen Sie hier und
heute Farbe!
({10})
Wenn man heutzutage in Stuttgart mit durchschnittlich 75 anderen Menschen in der Schlange steht, um sich
um eine Wohnung zu bewerben, dann wird einem vollkommen klar, dass die Wohnungsmärkte aus dem Ruder
geraten sind .
({11})
Das Mietrecht, wie wir es kennen, ist ein Ausgleichsrecht . Aber es funktioniert angesichts der überhitzten
Wohnungsmärkte eben nicht mehr, Mieterinnen und
Mieter vor Raussanierungen und überzogenen Mietforderungen zu schützen . Deswegen braucht es eine soziale
Erneuerung des Mietrechts .
({12})
Dafür stehen wir Grünen, sowohl mit unserem Antrag als
auch mit unseren Gesetzentwürfen .
({13})
Die Bilanz, Herr Luczak, die Sie hier so schön dargestellt haben, ist doch eine ganz andere . Die Bilanz
ist doch eigentlich, dass die Mieterinnen und Mieter in
dieser Legislaturperiode in eine ziemlich dunkle Röhre
geblickt haben . Und auf dieser dunklen Röhre stehen
„CDU/CSU“ und „Herr Luczak“ drauf .
({14})
Denn Sie haben verhindert, dass in dieser Legislaturperiode mehr Rechte für Mieterinnen und Mieter beschlossen
wurden .
({15})
Es braucht also eine Ablösung der Großen Koalition,
auch angesichts der dramatischen Situation auf den Wohnungsmärkten . Sie sind nämlich nicht handlungsfähig,
weder beim Mietrecht noch bei anderen Fragen des Wohnens . Wir Grünen treten dafür ein, dass es mehr Schutz
für Mieterinnen und Mieter, mehr sozialen Wohnungsbau
({16})
und endlich wieder ausgeglichene Wohnungsmärkte gibt .
Wir wollen damit dafür sorgen, dass wir den sozialen Zusammenhalt in unseren Städten nicht länger gefährden .
Christian Kühn ({17})
Danke schön .
({18})
Vielen Dank, Chris Kühn . - Nächster Redner: Klaus
Mindrup für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn ich Sprechstunden durchführe oder in
meinem Wahlkreis in Berlin unterwegs bin, gibt es ein
Thema, auf das ich am häufigsten angesprochen werde:
Das ist die Angst der Menschen, ihre eigene Wohnung
zu verlieren, sei es durch starke Mietsteigerungen, sei es
durch Modernisierungen, sei es durch Umwandlung in
Eigentumswohnungen oder sei es durch Eigenbedarfskündigungen . Ich persönlich kann diese Angst nachvollziehen. Ich finde, wir dürfen sie an dieser Stelle auch
nicht kleinreden .
({0})
Ich bin seit 2002 Aufsichtsrat einer kleinen Mietergenossenschaft im Prenzlauer Berg . Als im Jahr 2000 ein
Spekulant unsere Wohnungen erwerben wollte, ist es uns
gelungen, sie zu sichern . Wir haben seitdem spekulationsfreien Wohnraum zur Verfügung gestellt, wir haben
weitere Häuser dazugekauft, wir schreiben schwarze
Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
und wir vermieten weit unter dem Mietspiegel . Das ist
also möglich, auch mit einem seriösen Geschäftsmodell
möglich .
Ein paar Straßen weiter, in der Kopenhagener Straße,
wo ich mein Wahlkreisbüro habe, steht ein Haus, über
das hier schon mehrfach diskutiert worden ist . Da sieht
man, was in diesem Land rechtlich auch möglich ist .
Wir müssen uns dieses Extrembeispiel einmal anschauen . Das Haus in der Kopenhagener Straße 46 hat einem
Freund von mir gehört . Nachdem er gestorben war, haben seine Kinder das Haus meistbietend weiterverkauft .
Der neue Eigentümer hat eine umfassende Modernisierung angekündigt . Die Mieten sollten um 10 bis 15 Euro
pro Quadratmeter steigen, also nicht auf, sondern um 10
bis 15 Euro .
Die Modernisierung sollte von Firmen durchgeführt
werden - und wurde auch zum Teil von diesen durchgeführt -, die mit dem neuen Eigentümer wirtschaftlich
verflochten waren. Daher wurden extrem hohe Baukosten aufgerufen . Das Ziel des neuen Eigentümers war aber
gar nicht, als Vermieter aufzutreten . Er hat den Altbau in
Eigentumswohnungen aufteilen lassen, um sie zu verkaufen . Damit dieses Modell aufgeht, musste er erst einmal
seine Mieterinnen und Mieter, eigentlich seine Kunden,
loswerden . Ihm ist das - bis auf zwei Wohnungen - auch
gelungen . Heute stellen wir fest, dass gar nicht alle Baumaßnahmen, die damals angekündigt worden sind, auch
durchgeführt wurden . Nachdem ein Haus entmietet wurde, kann man ja Eigentumswohnungen als Betongold
verkaufen, auch wenn die teure Wärmerückgewinnung
gar nicht gebaut wurde .
({1})
Ich erwähne dieses Modell, weil oftmals nicht zwischen den Geschäftsmodellen unterschieden wird . Man
spricht häufig von „Investoren“, aber es gibt einen Unterschied zwischen Vermietern, die sich an die Spielregeln
halten - vor allen Dingen städtische Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, kleine Vermieter und andere -, und Leuten, die Häuser billig aufkaufen und entmieten, um die Wohnungen anschließend teuer zu verkaufen .
In diesem Land hat sich ein grauer Baumarkt breitgemacht . Diesen grauen Baumarkt müssen wir stoppen,
({2})
und ich habe gerade von Herrn Dr . Luczak gehört, dass
die Union das will .
Die Therapie bzw . die Methode ist schon klar . Heiko
Maas hat das Mietrechtspaket II vorgelegt, und nach dem
Mietrechtspaket II wird so etwas wie in der Kopenhagener Straße gar nicht mehr möglich sein,
({3})
weil danach bei Modernisierungen auch der Grundsatz
der Wirtschaftlichkeit zu beachten sein wird . Das müsste
einer Partei der sozialen Marktwirtschaft eigentlich verständlich zu machen sein .
({4})
Wirtschaftlichkeit und soziale Zumutbarkeit werden
bei Modernisierungen nicht mehr richtig geprüft . Das ist
ein ganz schwerer Fehler . Man kann ihn relativ einfach
beheben, indem man sagt: Die Höhe der umlegbaren
Kosten wird gekappt, wie das von Herrn Maas ja auch
vorgeschlagen worden ist, und die Modernisierungsumlage wird der Zinsentwicklung angepasst . Damit kann jeder seriöse Vermieter leben, aber der graue Baumarkt in
unserem Land würde ausgetrocknet . Ein Parlament wie
der Bundestag muss doch in der Lage sein, so etwas zu
beschließen .
({5})
Wir als SPD wollen gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle unterstützen . Als Erstes sehen wir natürlich die
städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften als Partner an . Wir können das Bündnis aber
Christian Kühn ({6})
gerne um alle erweitern, die das Gemeinwohl im Blick
haben . Ich bin hier überhaupt nicht ideologiefrei .
({7})
- Ich bin hier überhaupt nicht ideologiebehaftet . Das war
ein schöner Versprecher, aber das Thema ist wirklich
ernst . - Es geht tatsächlich um den sozialen Frieden in
unserem Land; das ist ja schon deutlich gemacht worden .
Eine soziale Marktwirtschaft funktioniert nur dann,
wenn der soziale Frieden gewahrt wird und wenn Mieterinnen und Mieter dauerhaft und sicher in ihren Wohnungen leben können . Die Mietpreissteigerungen sind
ja gerade schon zu Recht angesprochen worden . Was
soll eine Rentnerin bzw . ein Rentner denn machen? Die
Renten steigen dank unserer Politik zwar etwas, aber die
Mieten steigen noch viel schneller . Das kann doch nicht
funktionieren . Deswegen besteht hier dringender Handlungsbedarf .
({8})
Ich dachte, wir haben im Koalitionsvertrag vernünftige Lösungen gefunden, die ganz klar den Weg weisen .
Eigentlich wurde verabredet, dass das Mietrechtspaket II
umgesetzt werden muss . Ich stelle aber fest, dass wir uns
hier bei der konkreten Umsetzung offensichtlich nicht einig werden . Daraus kann ich nur eine Schlussfolgerung
ziehen: In den nächsten Koalitionsvertrag - ich hoffe und
gehe davon aus, dass wir der künftigen Koalition angehören werden - wird die SPD ganz eindeutige Regelungen
hineinschreiben, und ich kann Ihnen versprechen, dass
wir, ähnlich wie beim Mindestlohn, ein soziales Mietrecht in diesem Land durchsetzen werden .
Danke schön .
({9})
Vielen Dank, Klaus Mindrup . - Nächster Redner: Kai
Wegner für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema
„Miete und Wohnen“ ist für die Menschen in unserem
Land von größter Bedeutung
({0})
Entschuldigen Sie! - Ich weiß nicht, was heute mit der
Opposition los ist .
({0})
Vielleicht war nachts jemand unterwegs und hat sie angesägt - keine Ahnung .
Frau Künast, ich habe doch noch gar nicht angefangen . Der Protest muss doch nicht jetzt schon kommen .
Auch diese Lücke werden wir füllen . - Herr Wegner,
reden Sie bitte einfach weiter .
Das Thema „Miete und Wohnen“ ist für die Menschen
in unserem Land von größter Bedeutung . Deshalb begrüße ich es in der Tat, dass wir einmal mehr in dieser Legislaturperiode eine Debatte hierzu führen .
Ein ausgewogenes und - ja - soziales Mietrecht ist für
diese Koalition eine schiere Selbstverständlichkeit .
({0})
Gerade weil das Wohnen eine existenzielle Bedeutung
hat, ist das Mietrecht in Deutschland zu Recht mieterfreundlich und mit einem weitreichenden Kündigungsschutz sowie einer Sozialklausel ausgestaltet worden . Vor
diesem Hintergrund muss jeder Eingriff in das Mietrecht
sorgfältig abgewogen sein, damit der gebotene Ausgleich
zwischen den unterschiedlichen Interessen auch wirklich
gewährleistet bleibt . Wenn ich aber zum Beispiel lese,
was Linke und Grüne zum Kündigungsschutz im Wohnraummietrecht vorlegen, muss ich schon sagen, dass diese Anträge Maß und Mitte schmerzlich vermissen lassen .
Mit dem, was Sie uns hier präsentieren, werden Sie
der notwendigen gesellschaftlichen Ausgewogenheit in
keiner Weise gerecht . Im Gegenteil: Sie wollen übermäßig in die verfassungsmäßigen Eigentumsrechte der Vermieter eingreifen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Und
da machen wir nicht mit .
({1})
- Ja, das ist aber so .
Fast noch schlimmer ist das, was in Ihren Initiativen
zur Mietpreisbremse zu lesen ist . Insbesondere der Antrag der Linken liest sich wie ein einziger Misstrauensbeweis gegen alle Vermieterinnen und Vermieter . Ja, liebe
Kolleginnen und Kollegen, leider gibt es auch unter Vermietern vereinzelt schwarze Schafe . Das dürfen wir nicht
dulden . Wir dürfen denen das auch nicht durchgehen lassen . Aber einen ganzen Berufsstand an den Pranger zu
stellen, meine Damen und Herren, ist eben auch nicht in
Ordnung .
({2})
Diesen Misstrauensbeweis gegen Vermieterinnen und
Vermieter, die beinahe 40 Millionen Menschen in unseKlaus Mindrup
rem Lande ein Zuhause geben, weisen wir als CDU/CSU
entschieden zurück .
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der sowohl bei den Linken als auch bei den Grünen vorkommt
und bei dem es völlig in die falsche Richtung geht . Sie
fordern, dass die Mietpreisbremse auch für erstvermietete Neubauwohnungen und umfassend modernisierte
Wohnungen gelten soll . Damit zeigen Sie einmal mehr,
dass Sie elementare Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht verstanden haben, meine Damen und Herren .
({3})
Kein rational denkender Mensch wird noch Geld in die
Hand nehmen und neue Wohnungen bauen, wenn er das
Geld nicht über die Miete wieder hineinbekommen kann,
meine Damen und Herren .
({4})
Und kein vernünftiger Mensch wird eine in die Jahre gekommene Wohnung sanieren und die Wohnqualität für
die Mieter erhöhen, wenn er dafür am Ende noch draufzahlen muss. Linke und Grüne haben offenbar bis heute
nicht verstanden, dass für eine ausreichende Wohnraumversorgung zu wenige Wohnungen gebaut werden und
dass für die Erreichung der Klimaschutzziele zu wenig
modernisiert wird, meine Damen und Herren .
Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt, um starken Preissteigerungen - ({5})
- Wir in der Koalition . Ich spreche doch von der Koalition; noch sind wir in der Koalition, auch wenn ihr euch
etwas anderes wünscht . - Zur Wahrheit gehört, dass die
Große Koalition diese Mietpreisbremse eingeführt hat .
Die Vorgängerregierung aus Rot-Grün hat das übrigens
nicht getan, meine Damen und Herren . Von daher ist es
vielleicht ganz gut, dass die Union mitregiert .
({6})
Ja, meine Damen und Herren, wir haben die Mietpreisbremse mit unserem Koalitionspartner eingeführt,
um starken Preissteigerungen auf den Mietwohnungsmärkten zu begegnen . Und ja, wir wollen verhindern,
dass sich Mieter eine Wohnung in Gegenden, in denen
es eine starke Nachfrage gibt, nicht mehr leisten können .
Sie hingegen wollen eine Mietpreisbremse, die zur Investitionsbremse umfunktioniert wird, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Auch da machen wir nicht mit; denn so
etwas nützt weder den Mieterinnen und Mietern noch
irgendjemand anderem . Vielmehr brauchen wir mehr
Investitionen in neuen Wohnraum, meine Damen und
Herren .
({7})
Ja, wir wollen den Anstieg der Mieten begrenzen . Da
sind wir uns alle einig .
({8})
Ja, wir wollen, dass in Deutschland Wohnen bezahlbar
bleibt . Es gibt aber einen Unterschied, meine Damen und
Herren: Sie von der Opposition wollen Wohnungsmangel
verwalten, wir wollen Wohnungsneubau gestalten . Und
wir tun gut daran . Denn wenn die Nachfrage nach Wohnungen steigt, dann muss auch das Angebot an Wohnungen mitwachsen, um die Mietpreise konstant zu halten .
({9})
- Na, es wäre ja super gut, Frau Künast, wenn das alle
wüssten . Es wäre auch gut, wenn in Ihren Initiativen, die
wir heute beraten, irgendetwas von neuem Bauen enthalten wäre .
({10})
Kein einziger Punkt in Ihren Initiativen schafft irgendeine neue bezahlbare Wohnung, meine Damen und Herren .
Darüber müssen wir viel mehr reden .
({11})
Dass Linke und Grüne mit dem notwendigen Neubau
von Wohnungen leider häufig Probleme haben, zeigt sich
immer wieder, zuletzt einmal mehr in Berlin . Eines der
größten Bauvorhaben der wachsenden Stadt wurde von
Linken und Grünen und wegen der Machtfrage leider
auch von unserem Koalitionspartner SPD hier in Berlin
über Nacht einkassiert . 5 000 neue Wohnungen hätten
auf der Elisabethaue in Pankow gebaut werden können,
12 500 Menschen hätten dort ein neues Zuhause finden
können . Das Projekt wurde über Nacht einkassiert, sodass 12 500 Menschen in Berlin kein neues Zuhause finden können, meine Damen und Herren .
Das zeigt einmal mehr Ihre Doppelmoral: hier im Parlament wohlfeile Anträge formulieren und für bezahlbare
Mieten kämpfen, aber dort, wo man Regierungsverantwortung hat, wo es darum geht, neue Wohnungen zu bauen, da legen Sie den Schalter um und sagen: Nein, das
wollen wir nicht . - Diese Doppelmoral nehmen wir nicht
hin und lassen sie Ihnen auch nicht durchgehen, meine
Damen und Herren .
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
das beste Mittel - Frau Künast hat mir das bestätigt - gegen steigende Mieten ist und bleibt der Wohnungsneubau .
Anders gewendet: Wenn das Wohnen in Deutschland für
alle Bevölkerungsgruppen bezahlbar bleiben soll, gibt es
nur ein Mittel: bauen, bauen und nochmals bauen .
Lieber Christian Kühn, du hast das Beispiel genannt:
75 Menschen stehen in Stuttgart für eine Wohnung an .
({13})
- Im Durchschnitt, absolut richtig . Es können auch noch
mehr sein . In Berlin haben wir eine ähnliche Situation . Jetzt würde ich gerne einmal hören, welche der Maßnahmen aus Ihren Anträgen dagegen Abhilfe schaffen würde . Wenn es keine Wohnungen gibt, werden weiterhin im
Durchschnitt 75 Menschen für eine Wohnung anstehen .
({14})
Deswegen brauchen wir mehr Wohnungsbau . Ich möchte die Opposition bitten, den Schalter umzulegen . Wir
brauchen mehr Baulandmobilisierung . Wir brauchen
mehr Wohnungsbau in allen Preissegmenten . Das ist die
Aufgabe, die wir als Deutscher Bundestag haben, meine
Damen und Herren .
({15})
Ja, diese Koalition setzt auf Bauen . Diese Koalition
setzt auf Investitionen in den Wohnungsbau . Wir haben
uns gemeinsam auf einige Maßnahmen verständigt . Ich
denke da an das Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen . Wir haben eine umfassende Bestandsaufnahme
vorgenommen . Wir haben auch einige Maßnahmen umgesetzt . Als Beispiel erwähne ich die Verdreifachung der
Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden
Euro im Jahr .
Nun ist es leider eben nicht so, dass die Mittel, die
wir für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen, von den Ländern dafür verwendet werden . Ich kann
nur sagen: Wir alle sollten fraktionsübergreifend auf die
Länder einwirken, damit diese Mittel endlich für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden, statt in irgendwelchen Haushaltslöchern zu versickern .
({16})
Es ist unanständig, was die Länder hier machen .
({17})
Wir debattieren heute Abend ein wichtiges Instrument
für mehr Wohnungsbau . Wir verabschieden heute Abend
die Änderung der Bauplanungsrechtsnovelle .
({18})
Wir schaffen damit einen neuen Baugebietstypus, nämlich das „Urbane Gebiet“ . Herr Luczak hat es schon
gesagt: Die Situationen in Ballungszentren und in ländlichen Räumen sind unterschiedlich, auch was den Mietmarkt angeht . Mit diesem neuen Baugebietstypus ermöglichen wir es den Städten und Gemeinden, höhere
Bebauungsdichten zu beschließen und damit zusätzliche
Wohnungen in den urbanen Zentren zu schaffen. Zudem
schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass die Städte
und Gemeinden leichter Baurecht am Ortsrand schaffen
können . Auch das entlastet den Wohnungsmarkt, gerade
in den Ballungszentren .
Andere Punkte aus dem Bündnis hingegen harren
noch einer Umsetzung . Ich denke zum Beispiel an die
Entbürokratisierung von Vorschriften und Normen im
Bauordnungsrecht .
({19})
Hier wünsche ich mir - Frau Künast, ich hoffe, da sind
wir einer Auffassung -,
({20})
dass sich die Länder endlich darauf verständigen, eine
einheitliche Musterbauordnung in diesem Land zu schaffen . Auch das wäre ein Schub für mehr Wohnungsbau in
Deutschland .
Ein weiterer Punkt, der uns wichtig war, ist und sein
wird, auch in den kommenden Auseinandersetzungen,
ist die steuerliche Förderung zur Ankurbelung des Mietwohnungsbaus. Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir
uns in der Koalition mit unserem Koalitionspartner nicht
einigen konnten . Ich glaube, es ist wichtig, dass wir gerade in diesen Zeiten Kapital freisetzen und steuerliche
Förderung ermöglichen, um den Mietwohnungsbau anzukurbeln, meine Damen und Herren .
Ein Punkt, der in den Anträgen und Gesetzentwürfen
Ihrerseits überhaupt nicht vorkommt, ist die Schaffung
von Wohneigentum . Die haushaltsbezogene Wohneigentumsquote liegt in Deutschland deutlich unter 50 Prozent, während in Ländern wie Schweden, Belgien oder
Italien mehr als zwei Drittel der Menschen sprichwörtlich in den eigenen vier Wänden leben . Ich glaube, wir
müssen hier mehr tun und den Menschen Mut machen .
Auch müssen wir es ermöglichen, dass Menschen mehr
auf Eigentum setzen. Dies schafft mehr Bindung für ihre
Wohnung, dies schafft mehr Bindung für die Quartiere das brauchen wir -, und es ist natürlich auch die beste
Altersvorsorge, die man sich überhaupt wünschen kann .
Wir werden dafür streiten und kämpfen, dass wir ein
Baukindergeld bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir es gerade Familien ermöglichen wollen, in
den eigenen vier Wänden zu wohnen .
({21})
Wir sind uns einig, dass wir jährlich zwischen 350 000
und 400 000 Wohnungen brauchen . Ich bleibe dabei: Wir
brauchen diese Wohnungen in allen Preissegmenten;
denn wenn wir bei den großen Neubauvorhaben nur auf
sogenannte günstige Wohnungen setzen, gefährdet das
die soziale Mischung in den Quartieren, und wir schaffen
uns die Probleme in bestimmten Quartieren von morgen .
Denken Sie bitte an die Redezeit .
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin .
Die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum ist eine
wichtige Gestaltungsaufgabe . Diese Koalition nimmt
diese Gestaltungsaufgabe an . Die Anträge und Gesetzentwürfe der Opposition gehen leider vollkommen in die
falsche Richtung . Mehr Plan, weniger Markt, Misstrauen
gegen Vermieter statt faires Miteinander - das kann nicht
funktionieren . Deshalb werden wir Ihren Initiativen auch
nicht folgen .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, Herr Wegner .
Ich möchte Sie alle noch einmal bitten, sich an die Redezeiten zu halten . Wir sind schon jetzt unglaublich weit
darüber .
({0})
- Ich drehe nicht einfach den Saft ab . Ich möchte nur darum bitten, dass man sich an die Redezeit hält . Ansonsten
ziehe ich bei den nachfolgenden Kollegen Redezeit ab .
Ich habe das in einem Fall schon getan . Ab jetzt mache
ich das konsequent .
Nächste Rednerin ist Nicole Gohlke für die Linke .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will die Gelegenheit in der heutigen Debatte zur Mietpreisbremse nutzen, um ein paar Worte als Münchnerin
dazu zu verlieren . Dass die Situation auf dem Münchner
Mietmarkt dramatisch bis unmenschlich ist, ist allgemein
bekannt . Wir haben mittlerweile eine Durchschnittsmiete
von um die 17 Euro pro Quadratmeter . Bei Neubauten
können es auch schon einmal 25 Euro werden .
({0})
Im Münchner Wohnungsamt landen jährlich
10 000 Anträge mit höchster Dringlichkeitsstufe . Es ist
schlicht so, dass sich Gering- und Mittelverdienende,
Rentnerinnen und Rentner, Studierende, Auszubildende und Alleinerziehende, also die große Mehrheit der
Münchnerinnen und Münchner, das Wohnen in München
eigentlich nicht mehr leisten können . Umso bedenklicher
ist auch, zu sehen, dass sich dieses Drama in so gut wie
allen Großstädten wiederholt . An dieser Stelle kann man
nicht mehr nur auf lokale Besonderheiten verweisen,
sondern hier handelt es sich um politisches Versagen,
das bei der Bundesregierung losgeht . Das kann nicht so
bleiben .
({1})
Die sogenannte Mietpreisbremse der Großen Koalition ist, wie das Beispiel München zeigt, ein nahezu wirkungsloses Instrument, weil der Mietspiegel in Wahrheit
ein Mieterhöhungsspiegel ist, solange völlig überdimensionierte Mieten vor der Neuvermietung und Mieterhöhungen bei Neubau und Modernisierungen zulässig sind .
Aktuell kann man in München davon ausgehen, dass 30
bis 50 Prozent der Mieterhöhungen durch Modernisierung entstehen . Dem folgt dann ganz oft auch noch die
Umwandlung in Eigentumswohnungen .
Es ist einfach unverantwortlich, dass die Große Koalition an diesem wirkungslosen Konzept festgehalten
und auf jede Nachbesserung verzichtet hat, wie das die
Opposition und diverse Mieterinitiativen vorgeschlagen
hatten . Das hätte uns vier Jahre weitere Mietenexplosionen und die weitere Vertreibung der Normalbevölkerung
aus den Städten ersparen können . Ich kann Ihnen sagen:
Das wäre für die Münchnerinnen und Münchner wirklich
von unschätzbarem Wert gewesen .
({2})
Ohne eine Deckelung der Mieten bei Neuvermietung,
ohne die Abschaffung von Mieterhöhungen bei Modernisierung und ohne ein Umwandlungsverbot von Mietin Eigentumswohnungen ist heute keine Politik mehr im
Sinne von Mieterinnen und Mietern zu machen . Das ist
die Wahrheit . Da hilft jetzt auch der nächste zahme Vorschlag von Heiko Maas zur Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent nicht weiter, zumal die
Union schon klargemacht hat, dass nicht einmal das mit
ihr zu machen ist .
Das wäre aber auch wirklich nur Kosmetik gewesen .
Die Situation verändern würde es gar nicht . Die muss
sich aber ändern, wenn unsere Städte noch lebenswert
für alle Menschen sein sollen . Aber noch nicht einmal
das kann die SPD durchsetzen . Wir Linken wollen die
Abschaffung der Modernisierungsumlage.
({3})
Das Beispiel München zeigt auch, dass die Instrumente, die einer Kommune zur Verfügung stehen, alleine
nicht ausreichen, um die Profitlogik am Wohnungsmarkt
und die Spekulation mit Grund und Boden einzudämmen . Um in Städten wie München die Probleme noch in
den Griff zu bekommen, dazu braucht es einen wirklichen Kurswechsel in der Wohnungspolitik, und zwar auf
allen Ebenen .
Wir brauchen eine echte Mietpreisbremse, eine, die
den Namen verdient und die nicht nur aus Schlupflöchern und Ausnahmen besteht . Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau . Bund und Länder müssen dafür die
Verantwortung übernehmen . In München ist ein großer
Teil der Mietsteigerungen auf die Steigerungen der Bodenpreise zurückzuführen . Deswegen ist es allerhöchste
Zeit, der Bodenspekulation einen Riegel vorzuschieben
({4})
und Bodenwertsteigerungen umzulegen für mehr kommunalen und sozialen Wohnungsbau . Diese Umlage
würde wirklich Sinn machen . Gehen Sie dieses Problem
einmal an .
({5})
Ich glaube, in der zugespitzten Situation, in der wir
uns befinden, muss man sich entscheiden: Politik für
Mieterinnen und Mieter oder Profite für wenige. Die
Linke will eine Politik für Mieterinnen und Mieter . Wir
wollen einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik . Dabei sollten Sie mitmachen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Nicole Gohlke . - Nächster Redner:
Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! In Deutschland gibt es über 20 Millionen Mietverhältnisse . Das heißt, ein Großteil, wahrscheinlich sogar
die Mehrheit, der Bundesbürger lebt zur Miete . Weil die
Wohnung der höchstpersönliche Lebensraum ist und
existenzielle Bedeutung für den Bürger hat, müssen wir
dafür sorgen, dass Bürger gesichert in der Wohnung zur
Miete leben können und keine Sorge vor Kündigung
haben müssen . Wir haben ein soziales Mietrecht, aber
an einigen Stellen können wir unser soziales Mietrecht
durchaus noch verbessern .
({0})
Dabei geht es nicht darum, von Vermietern ein Feindbild aufzubauen, nein, aber wie in jeder Gruppe gibt es
eben auch dort schwarze Schafe . Wir wollen nicht die
normalen Vermieter treffen, sondern wir wollen die Abzocker drankriegen . Wir stellen einfach fest: Der freie
Markt allein regelt die Wohnraumversorgung eben nicht
ausreichend bei uns .
({1})
Wenn heute etwa einem Mieter wegen Mietrückständen fristlos gekündigt wird, dann kann er die Mietschulden bei einer fristlosen Kündigung nachbezahlen . Das
ist eine gute Regelung . Das bietet einen Anreiz, dass er
sich darum kümmert, das Geld noch zu besorgen . Davon
profitiert letztlich dann auch der Vermieter, wenn er doch
noch seine Miete bekommt . Deshalb ist es für mich nicht
einsehbar, dass wir diese Regelung nicht auch bei der ordentlichen Kündigung einführen .
({2})
Ich finde, es gibt keinen Grund, die fristlose Kündigung
von der ordentlichen Kündigung zu unterscheiden .
Wir schlagen eine weitere Verbesserung vor - ein
Aspekt, auf den die Linken gar nicht eingehen -: Bei
Wohnraummietverhältnissen haben wir einen besonderen sozialen Schutz, anders als bei Gewerbemietverhältnissen. Ich finde, es gibt Gewerbemietverhältnisse, bei
denen ein ähnliches Schutzbedürfnis besteht, etwa dann,
wenn karitative oder gemeinnützige Einrichtungen die
Wohnung angemietet haben . Es gibt zahlreiche karitative
Einrichtungen oder gemeinnützige Vereine, die Wohnraum - etwa für betreutes Wohnen, für Frauenhäuser zum
Schutz der Opfer vor Gewaltübergriffen oder für Ähnliches - angemietet haben. Ich finde, auch hier sollten wir
einen besonderen Kündigungsschutz einführen .
({3})
Schließlich finde ich Ihren Vorschlag, liebe Kollegen
von den Linken, überraschend konservativ . Sie wollen
die Eigenbedarfskündigung nur zulassen, wenn der Vermieter selbst oder engste Familienangehörige die Wohnung beziehen wollen . Einmal davon abgesehen, dass Sie
nicht genau definieren - lesen Sie einmal nach -, was
denn ein Familienangehöriger genau sein soll - Cousin,
Sohn, Tante, Großeltern -, wollen Sie offensichtlich auch
langjährige Partner schlechterstellen, wenn sie nicht verheiratet sind . Nach Ihrem Vorschlag kann ein Ehepaar
Eigenbedarf geltend machen, nicht aber der Vermieter,
der in einer langjährigen Beziehung mit seinem Partner
gelebt hat . Das ist ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild, und das sollte nicht Gesetz werden .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat in dieser Legislaturperiode viel für die Mieterinnen und Mieter erreicht . Was haben wir uns Kritik anhören müssen
für unsere Neuregelung zum Maklerrecht! Jetzt gilt der
Grundsatz: Wer bestellt, der muss zahlen .
({5})
Heute sehen wir: Die seriösen Makler profitieren - sie
halten ihre Kundschaft -, und die Mieterinnen und Mieter werden deutlich entlastet, weil sie den Makler nur
noch dann bezahlen müssen, wenn sie ihn tatsächlich
beauftragt haben . Das ist eine große Entlastung für die
Mieterinnen und Mieter bei uns .
Ferner haben wir die Mietpreisbremse eingeführt .
Dass sie funktioniert, zeigen zahlreiche Urteile in ganz
Deutschland, mit denen aufgrund der Regelung, die wir
ins Gesetz geschrieben haben, Abzocke bei den Mieterinnen und Mietern gestoppt wurde . Diese Urteile zeigen: Die Mietpreisbremse ist sinnvoll . Sie funktioniert,
und sie verhindert exzessive Mietsteigerungen . Das ist
ein großer Erfolg dessen, was die SPD durchgesetzt hat,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({6})
Natürlich kann die Mietpreisbremse noch besser werden; keine Frage . Es ist überfällig, dass wir eine Regelung zu einem Auskunftsanspruch treffen, damit der
Mieter auch erfährt, was der Vormieter bezahlt hat, wodurch er erst seinen Anspruch berechnen kann . Natürlich
sollten Mieter dann auch den vollen überzahlten Betrag
zurückerstattet bekommen und nicht nur den Betrag, der
ab dem Zeitpunkt der ersten Rüge fällig wird .
Ich bedaure sehr, dass unsere politischen Lebensabschnittsgefährten von der Union diesen Schritt nicht mitgehen wollten . Leider war auch in diesem Bereich bei Ihnen kein Herz für die Mieterinnen und Mieter vorhanden;
ich muss es so deutlich sagen .
({7})
Da rund die Hälfte unserer Bürgerinnen und Bürger
zur Miete lebt, werden wir uns weiterhin für ein soziales und gerechtes Mietrecht einsetzen . Der freie Markt
allein wird eben nicht für eine ausreichende Wohnraumversorgung sorgen können. Die Schaffung eines besseren
Mietrechts verschieben wir nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern wir verschieben es auf den SanktMartins-Tag, sprich: auf den Tag der Bundestagswahl .
({8})
Ab dem 24 . September wird es hier eine Mehrheit für ein
sozialeres und gerechteres Mietrecht geben, meine sehr
geehrten Damen und Herren .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({9})
Da ich aus dem katholischen Bayern komme, kann ich
Ihnen, was Sankt Martin angeht, sagen: So schnell wird
man nicht heiliggesprochen . - Nächste Rednerin: Renate
Künast für Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde
es ja gut, dass die Kollegen von der CDU/CSU schon
einiges erwarten; denn ich habe mir ebenfalls gedacht,
dass ich erst einmal auf Ihre Redebeiträge antworte . Es
haben ja gerade zwei Berliner Mitglieder des Parlamentes geredet, bei denen ich mich, ehrlich gesagt, frage, in
welcher Stadt sie leben .
({0})
Aber so ein bisschen waren diese beiden Reden wie der
Jingle „Das Sandmännchen ist da!“; denn mit diesen Reden sollte uns Sand in die Augen gestreut werden .
Meine Damen und Herren, es war schon kurios: Herr
Wegner hat großspurig ausgeführt, was Sie alles getan
haben oder tun werden, und Herr Luczak hat gesagt, worüber man zu reden bereit ist . Daher rede ich jetzt einmal
über das, was Schwarz-Gelb getan hat . Sie haben den
Kündigungsschutz geschleift, zum Beispiel . Unter dem
Deckmäntelchen des Mietnomadentums, das es kaum
gibt - einige Mietnomaden gibt es allerdings -, haben Sie
die Vollstreckungsregelung gegenüber allen Mieterinnen
und Mietern verschärft, und Sie haben deren Rechtsmittel verkürzt, meine Damen und Herren . Das ist Ihre Vorstellung von Mietrecht .
({1})
Herr Luczak stellt sich hier hin - Herr Wegner auch und sagt: Wir haben ja alle gleiche Ziele . - Also, dieses
rhetorische Element kenne ich . Ich sage Ihnen aber: Wir
haben nicht alle gleiche Ziele .
({2})
Denn gleiche Ziele hat man nicht deshalb, weil man es
sagt, sondern weil die einzelnen Maßnahmen, die dahinter gesetzt werden, in die gleiche Richtung gehen, meine
Damen und Herren .
Sie reden von Artikel 14 Grundgesetz und sagen, es
müsste doch einen Ausgleich zwischen Vermietern und
Mietern geben . Sie verwenden danach aber ständig mit
Verve das Wort „Planungssicherheit“ . Ja, ich sehe es
schon optisch vor mir: Den Investoren aus irgendwelchen
anderen Ländern, die ihr Geld in einer boomenden Stadt
wie etwa Berlin in Beton anlegen wollen und die ihr Geld
nach Berlin schleppen, verschaffen Sie Planungssicherheit . Meine Damen und Herren, das ist nicht der Kern
von Artikel 14 Grundgesetz und schon gar keine Sozialbindung des Eigentums .
({3})
Dann hätten Sie hier immer wieder „Daseinsvorsorge“
rufen müssen . Dieses Wort haben Sie aber gar nicht in
den Mund genommen .
Ich sage Ihnen: Wir kommen zu einer anderen Einschätzung . Die Mietpreisbremse wirkt für meine Begriffe, Herr Kollege Fechner, leider nicht. Das hat das
DIW gesagt . Das hat der Deutsche Mieterbund gesagt .
Die Mietpreise liegen bei der Wiedervermietung um
22 Prozent oberhalb der Mietpreisbremse, oberhalb des
zulässigen Wertes . Das DIW hat uns erklärt, dass bei den
Mieten noch mal richtig obendrauf gelegt wurde, weil es
so lange gedauert hat, bis die Mietpreisbremse in Kraft
trat . Auch dagegen haben Sie nichts getan, meine Damen
und Herren .
Zur Rüge . Wie man Löcher in Käse zu Käse reden
kann, hat Herr Luczak vorgeführt; das muss man erst
mal hinkriegen . Die Rüge soll Planungssicherheit für den
Vermieter schaffen. Was für eine Chuzpe ist das denn?
Irgendein ganz einfacher Arbeiter oder eine einfache Arbeiterin, meinetwegen eine Erzieherin oder eine Altenpflegerin, eine Person also, die nicht viel Geld hat, soll,
wenn sie zu viel Miete zahlt, nicht einen Auskunftsanspruch haben, der sofort gilt .
({4})
- Es geht darum: der sofort gilt, im Sinne von: Es muss
sofort eine Antwort gegeben werden . - Ihren Auskunftsanspruch können Sie sich an die Wand nageln, weil keine
Frist drinsteht, bis wann .
({5})
Das wird zur Unverschämtheit; denn es muss inhaltlich
substanziiert gerügt werden: „Ich zahle 10 Euro statt
7,50 Euro“ oder „Ich zahle 15 Euro statt 10 Euro“ . Das
ist falsch . Das ist rechtlich nicht unterlegt .
({6})
Man muss also vorher die Auskunft haben, um es zu belegen . Und erst ab der Rüge kann man beanspruchen, zu
viel gezahlte Miete zurückzubekommen - nicht ein oder
zwei Jahre zurück . Können Sie mir im Hinblick auf Artikel 14 Grundgesetz erklären, warum eine Altenpflegerin
oder Erzieherin die in den letzten zwei Jahren zu viel gezahlte Miete nicht zurückfordern kann? Das ist unchristlich und unsozial ({7})
da können Sie hier noch so viel erzählen, Sie seien bereit,
zu reden. Wie die Kollegin Lay treffend sagte: Sie reden
immer vor den Wahlen, dass Sie reden würden; nach den
Wahlen kommen aber keine Taten . - Deshalb weiß ich
auch, warum Sie im Augenblick, sechs Monate vor der
Bundestagswahl, schon wieder darüber reden, dass Sie
reden würden, meine Damen und Herren .
({8})
Ich glaube, dass wir andere Regeln brauchen, zum
Beispiel Deckelungen, wie wir sie in unserem Entwurf
aufgeführt haben . Wir brauchen nicht nur Begrenzungen;
wir brauchen auch andere Bemessungszeiträume für einen Mietspiegel, meine Damen und Herren . Wir brauchen bei der Modernisierungsumlage einen Deckel .
Die Modernisierungsumlage hatte mal den Sinn, Modernisierungen anzuschieben . Das ist heute aber eigentlich gar nicht das Problem . Heute werden 11 Prozent der
Kosten umgelegt, aber man zahlt die erhöhte Miete noch
jahrzehntelang, obwohl die Investitionskosten längst gedeckt sind . Warum können wir das unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge nicht ein Stück reduzieren?
Warum können wir das nicht?
({9})
Warum können wir es nicht so machen, wenn es um eine
sinnvolle energetische Sanierung geht, die wir brauchen,
oder auch wenn es um die Schaffung von Barrierefreiheit
für alte und behinderte Menschen geht? Warum können
wir im grauen Markt der internationalen Investoren nicht
mit einer Kappung der umlagefähigen Summen ein Stück
weit zu einer Deckelung kommen, meine Damen und
Herren? Das wäre sozial .
Herr Wegner hat erzählt, wir wollten den Kündigungsschutz abschaffen. Dazu sage ich Ihnen was: Wenn das
Jobcenter oder das Sozialamt zu spät zahlt, was mal vorkommt, darf das nicht dazu führen, dass der Mieter seine
Wohnung einfach so verliert; denn das ist unsozial .
({10})
Frau Kollegin .
Mein letzter Satz . - Nach dieser Rede muss ich Ihnen
in aller Deutlichkeit sagen: Doppelmoral hat in diesem
Hause einen Namen: CDU, Luczak und Wegner .
({0})
Jetzt hat der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU, das
Wort .
({0})
Vielen Dank . - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin, Ihre Vorgängerin hat gerade darum gebeten, die Redezeiten wirklich einzuhalten, weil
wir schon sehr spät dran sind . Die Minute, die sich Frau
Künast gerade für den Berliner Wahlkampf geklaut hat,
gebe ich Ihnen selbstverständlich gern zurück, damit das
Haus auch wirklich weiterkommt .
({0})
Frau Künast, zu dieser gespielten Form von Entrüstung: Kehren Sie zu Ihrer eigentlichen Bestimmung
zurück: Treten Sie im Deutschen Bundestag weiter
Schutzbretter heraus! Das funktioniert effektiv. Die Argumentation funktioniert bisher nicht .
({1})
- Sie hatten gerade doch genug Zeit, und trotzdem sind
Sie noch nicht zu Ende .
Es war zu erwarten, dass eine solche Debatte noch
einmal aufflammt. Ich muss am Anfang ganz eindeutig
sagen: Das, was hier mit etwas Brimborium formuliert
wird, heißt doch: Wir müssen tatsächlich überlegen, ob
wir bei Verzugsfolgen und der Umlage der Modernisierungskosten etwas ändern . Niemand hätte etwas dagegen . Auch davon spricht der Koalitionsvertrag .
({2})
Aber jetzt einmal zur Linken gesagt: Mir ist die Orientierungslosigkeit klar, in der sich Ihre Partei befindet.
Aber Ihre Argumentation zu Ende gedacht, würde Enteignung bedeuten . Das würde am Ende des Tages - damit wären viele Ihrer Probleme gelöst - Enteignung bis
hin zur Bodenenteignung bedeuten . Dann bräuchte der
Vermieter bei der Nutzung seines Eigentums am Ende
überhaupt nicht mehr auf Wirtschaftlichkeit zu achten .
Das wäre noch nicht einmal mehr Sozialismus . Ich kann
mir überhaupt nicht erklären, wie man so einen wirklich
funktionierenden Wohnungsmarkt dort installieren will,
wo er nicht funktioniert .
Die Behauptung, Mieter würden in diesem Land nicht
geschützt, ist unwahr . Sie bleibt auch trotz noch so häufiger Wiederholung unwahr. Dass es Missstände gibt,
stellt, glaube ich, niemand in Abrede . Insofern meine ich:
Es ist jetzt wirklich alles an Argumenten ausgetauscht
worden . Es ist immer das Schöne an einem etwas späteren Platz auf der Rednerliste, dass man sich gut auf die
Vorredner beziehen kann .
({3})
Beim Thema Mietpreisbremse ist es ja nicht so, dass
wir nicht darauf hingewiesen hätten, an welchen Stellen
sie systembedingt zum Teil nicht funktionieren kann .
Genau da, wo sie nicht funktioniert, nämlich in den Ballungsräumen, helfen jedoch all Ihre Vorschläge nicht besonders weiter .
({4})
Ich werfe einmal die entscheidende Frage auf: Wollen
Sie eigentlich vom Ballungsraum auf der einen Seite bis
hin zum Leerstandsgebiet auf der anderen Seite in diesem Land alles über einen Kamm scheren? Das würde
am Ende des Tages bedeuten: Es funktioniert nirgendwo
mehr . Es wird nirgendwo mehr investiert, sei es im Ballungsraum oder sei es in Gebieten mit tatsächlich vorhandenen Leerständen .
Das Land ist ungleich besiedelt, also braucht es auch
ungleiche Antworten, um einen Mietmarkt am Laufen zu
halten . Deshalb sage ich noch einmal - zurück zu den
entscheidenden Grundsätzen -: Der Normalfall ist eben
nicht der herzlose Großkonzern, der mit Fremdkapital
Wohnungen anbietet . Nein, es ist der Klein- und Kleinstvermieter . Drei Viertel der Wohnungen in diesem Land
werden von Familien, von Einzelvermietern an die Menschen, an die 20 Millionen Mieter, vermietet .
({5})
Der Normalfall in diesem Land ist, dass ein unbefristetes Mietverhältnis besteht und dass dieses nur in ausgewiesenen Ausnahmefällen beendet werden kann . Es gibt
nur sehr wenige Gründe, die das zulassen . Das geht nur
bei erheblicher Verletzung grundsätzlicher vertraglicher
Pflichten. Insofern sage ich auch beim Thema der Eigenbedarfskündigung, das Sie immer wieder anführen:
({6})
Es gibt hier nur begrenzte Möglichkeiten, die dem Vermieter in unserem Land zur Verfügung stehen .
Die entscheidende Frage - darauf will ich schon noch
einmal eingehen - betrifft die Verzugsfolgen bei der
Nichtzahlung von Miete . Es gibt gute Gründe, warum
wir hier zwischen außerordentlicher Kündigung und ordentlicher Kündigung unterscheiden . Wenn Sie tatsächlich zum Prinzip machen wollen, dass durch die Zahlung
eines Kleinstbetrages trotz eines hohen Betrages an aufgelaufenen Mietschulden die wesentlichen Leistungen die Zurverfügungstellung der Mietsache - erbracht werden, dann kündigen Sie das Synallagma auf . Irgendwann
sind die Hauptleistungspflichten, das Zurverfügungstellen von Mietraum auf der einen Seite und das Zahlen von
Miete auf der anderen Seite, nicht mehr in Ausgleich zu
bringen . Das bedeutet die Aufkündigung dessen, was wir
bei dieser Frage der Verlässlichkeit, der Berechenbarkeit
und, wenn Sie es denn so haben wollen, der Planungssicherheit für einen Mieter durchaus brauchen und haben
müssen .
Am Ende des Tages geht es doch darum, dass in diesem Bereich - dazu sagt niemand ein Wort - 1 Million
Wohnungen fehlen . Der Fehlbestand an Wohnungen in
diesem Land hat sich mittlerweile auf 1 Million summiert . Ich höre kein einziges Wort darüber, wie sich dieser Mietwohnungsbestand auf Dauer effektiv, nachhaltig
und bezahlbar für beide Seiten - für einen Investor oder
Vermieter und einen zukünftigen Mieter - tatsächlich
herstellen lässt . Der wesentliche Unterschied in diesem
Haus ist, dass wir nicht nur daran denken, den Mieter zu
versorgen, der im Augenblick schon eine Wohnung hat,
sondern auch den Mieter, der keine Wohnung hat, damit
er in Zukunft eine Wohnung haben wird . Das geht in diesem Land anscheinend nur mit CDU/CSU, meine Damen
und Herren .
({7})
Für dieses Auf-die-Tränendrüse-Drücken habe ich
durchaus Verständnis . Aber wenn einer sagt, dass er damit gegen Altersarmut angehen will, dann stelle ich fest:
Auch die Vermieter, gerade die Kleinstvermieter, sind
Menschen, die Wohnraum brauchen . Auch dort gibt es
Kinder, die Wohnraum brauchen . - Um diesen entscheidenden Punkt geht es nämlich . Wir wollen, dass die Menschen in Eigentum investieren, um ihre Zukunft zu sichern, um ihre Altersvorsorge ein Stück weit zu sichern .
Deshalb sage ich: Mit dem Vergießen von Krokodilstränen über die Explosion des Wohnraumbedarfs in den
Ballungsräumen und dem Missachten aller anderen in
diesem Land verhindern Sie keine Altersarmut, sondern
Sie schaffen sie erst, wenn Sie Ihren Antrag am Ende des
Tages durchsetzen wollen .
({8})
Die Antwort auf die entscheidende Frage bleiben Sie
schuldig . Wenn Sie über die Mietpreisbremse und die
Orientierung an Vergleichsmieten reden, dann müssen
Sie auch die entscheidende Frage beantworten: Wie wollen Sie das ohne Mietspiegel überhaupt machen? Wie
wollen Sie in dieser Frage eine Orientierung bekommen?
Sie schütten nicht nur das Kind mit dem Bade aus, sondern Sie sorgen auch dafür, dass es am Ende des Tages
kein Badewasser mehr gibt .
({9})
Das kann sicher nicht im Sinne des Erfinders sein und
sicherlich nicht im Sinne der deutschen Mieter und eines
Mietmarktes, der tatsächlich funktioniert .
Kein Satz zum Thema „Sozialer Wohnungsbau“ bei
einer anscheinend so wahnsinnig wichtigen mietrechtlichen Debatte .
({10})
Kein Satz über die entscheidende Botschaft, dass ein
Wohnungsmarkt nur dann aufrechterhalten werden kann,
wenn er beständig mit neuen Wohnungen versorgt wird .
Kein Satz zu der entscheidenden Frage: Wenn ich tatsächlich die Modernisierung des Altbestandes nicht mehr
zulassen will, wo soll der ausreichend hohe Wohnungsbestand am Ende des Tages herkommen?
({11})
Dann ein Satz zum Thema Verteuerung; auch hier gab
es Krokodilstränen, und es wurde gesagt, wie teuer das
Ganze geworden ist . Hier muss man doch der Vermieterseite ein Stück weit entgegenkommen . Aber schauen
wir uns einmal die Länder an, in denen die Grünen in der
Regierungsverantwortung sind: Wenn Sie schon von Verteuerung reden, dann reden Sie doch auch darüber, dass
an dieser Stelle die Grunderwerbsteuer gesenkt werden
muss . Das würde den Wohnungsbaumarkt tatsächlich
entlasten . Am Ende des Tages - es tut mir leid - bleibt
nur das übrig: eine Rote Karte .
Herzlichen Dank .
({12})
Vielen Dank . Danke schön, Sie haben Ihr Versprechen
eingehalten . Das ist wunderbar . Das können andere auch
und damit Zeit einsparen .
Nächste Rednerin ist Ulli Nissen für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage,
dass die Rechte der Mieterinnen und Mieter mir besonders wichtig sind . Wir von der SPD nehmen die Sorgen
und Ängste der Menschen ernst, die ihr soziales Umfeld
nicht verlieren wollen .
Unser Ziel ist es, die Rechte der Mieterinnen und Mieter weiter zu stärken . Wir sehen unter anderem Handlungsbedarf bei der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs . Wir wollen eine Schonfristregel . Wenn
innerhalb dieser der Mietrückstand des Mieters oder der
Mieterin beglichen wird, dann soll die außerordentliche
Kündigung, aber auch die ordentliche Kündigung unwirksam werden . Damit können wir verhindern, dass jemand, der einmal seine Miete nicht zahlen konnte, direkt
von Wohnungslosigkeit bedroht ist . Allerdings wollen
wir auch - und das fehlt mir in Ihrem Antrag -, dass dies
nur einmal innerhalb von zwei Jahren möglich ist; denn
auch Vermieterinnen und Vermieter brauchen Rechtssicherheit .
({0})
Es gibt nämlich nicht nur Mieterinnen und Mieter, deren finanzielle Situation angespannt ist, sondern auch
Vermieterinnen und Vermieter, die dringend darauf angewiesen sind, dass sie ihr Geld pünktlich bekommen, weil
sie selber Zahlungsverpflichtungen haben. Deswegen ist
das für mich ein wichtiger Aspekt. Das wird häufig nicht
betrachtet .
({1})
Auch mir ist wichtig, dass wir klarer festlegen, wann
eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht durchgesetzt
werden kann . Dazu zählt für mich auch die Unterbringung eines Au-Pairs . Auch Personengesellschaften dürfen eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht durchsetzen können . Außerdem soll eine Eigenbedarfsklage
unwirksam sein, wenn den gekündigten Mieterinnen und
Mietern nicht eine leerstehende Wohnung im gleichen
Haus oder in der gleichen Anlage alternativ angeboten
wird. Häufig treten die Probleme für Mieterinnen und
Mieter durch Eigenbedarfsklagen bei der Umwandlung
von Miet- in Eigentumswohnungen auf .
Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind auch die
Bundesländer gefragt; denn die Länder können gemäß
§ 577a BGB im Wege der Rechtsverordnung für Gemeinden, in denen die Wohnraumversorgung besonders
gefährdet ist, eine verlängerte Kündigungsfrist von bis
zu zehn Jahren festlegen . Also, liebe Länder, tut was!
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Hessen, leider ist
unter Schwarz-Grün in Hessen keine Verbesserung eingetreten .
({2})
Es bleibt, wie unter CDU und FDP, bei einem Kündigungsschutz von fünf Jahren . Das bedauere ich sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen .
({3})
Weiter können die Länder unter anderem eine Landesverordnung erlassen, mit der die Umwandlung von Mietin Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt
gestellt wird - auch ein wichtiger Aspekt . Dies würde
uns in Frankfurt helfen . Sie werden sich nicht wundern:
Auch das ist unter Schwarz-Grün in Hessen nicht passiert . Also, Hessen, tut da was!
({4})
Wir haben einiges im Mietrecht und gerade im sozialen Wohnungsbau auf den Weg gebracht . Aber wir wollen
mehr . Die Nachjustierung der Mietpreisbremse ist angesprochen worden - ich gehe davon aus, dass letztlich die
CDU/CSU mitmacht, weil viele der Kollegen aus Wahlkreisen mit angespannten Wohnungsmärkten kommen -:
Die Vermieterinnen und Vermieter müssen die Vormiete
offenlegen; das wollen wir gesetzlich verankern.
Ich bin selber Vermieterin und gehe mit gutem Beispiel voran: Ich habe innerhalb von zwölf Jahren ein einziges Mal die Miete um 20 Euro erhöht . Ganz aktuell,
zum 1 . April, vermiete ich eine Wohnung im Frankfurter
Nordend und nehme keine Mieterhöhung vor - die Miete
bleibt so hoch wie vor zehn Jahren . Das wünsche ich mir
auch von vielen anderen .
({5})
- Herr Luczak, das habe ich auch vorher schon gemacht,
als ich noch keine Bundestagsabgeordnete war . Stellen
Sie sich das vor! Ich habe vor acht Jahren einmal die
Miete erhöht .
Wichtig ist auch der Rückzahlungsanspruch, der Anspruch auf Rückzahlung der zu viel gezahlten Miete seit
Vertragsbeginn . Herr Luczak, Sie haben vorhin gesagt,
Vermieterinnen und Vermieter wüssten nicht genau, wie
hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist . Sie können sich
an Haus & Grund wenden, und dann wissen sie, wie hoch
die ortsübliche Vergleichsmiete ist . Das ist also überhaupt kein Problem .
({6})
Wichtig ist: Vermieterinnen und Vermieter müssen zu
viel gezahlte Miete ab dem Zeitpunkt des Beginns des
Mietvertrages zurückzahlen . Dafür werden wir uns mit
allen Kollegen einsetzen . Ich denke, da machen wir alle
intensiv mit .
({7})
Ein ganz wichtiger Aspekt des Mietrechtspakets II
ist heute auch schon angesprochen worden: die Ausgestaltung der Modernisierungsumlage . Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es ist sicherlich nicht nur in Frankfurt ein
wichtiger Aspekt, dass Luxussanierungen zu enormen
Mieterhöhungen führen und dies fast schon alltäglich
ist - auch wenn es nicht immer so krasse Formen annimmt wie in der Wingertstraße 21 oder, ganz aktuell,
in einem Mehrparteienhaus in der Lersnerstraße 10 in
Frankfurt-Nordend . Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll die Miete nach Modernisierung von 920 Euro
kalt auf 2 427 Euro steigen . Das ist eine Steigerung um
164 Prozent, um 1 507 Euro . Was hat der Mieter von
einem gedämmten Keller und einem neuen Bad, wenn
er die Miete nicht mehr bezahlen kann? Was hat eine
Mieterin davon, dass ein Fahrstuhl neu angebaut wird,
wenn die alte Dame die Miete nicht mehr bezahlen kann,
Herr Luczak? Noch kann man alles machen, und wenn
der Markt es hergibt, wird es auch gemacht; das ist kein
Einzelfall . Aber wir möchten nicht, dass die Stadtteile
luxussaniert werden und sich normale, alteingesessene
Mieterinnen und Mieter die Wohnung nicht mehr leisten
können . Wir wollen weiterhin bunte, gemischte Stadtteile . Deshalb ist unsere Forderung, die Modernisierungsumlage deutlich zu senken . Im Augenblick ist angedacht,
sie von 11 auf 8 Prozent zu senken; mein Wunsch wäre
5 Prozent .
Zusätzlich - das ist noch viel wichtiger - wollen wir
die Kappungsgrenze einführen . Das bedeutet, dass eine
Erhöhung der Miete um maximal 3 Euro pro Quadratmeter in acht Jahren möglich wäre . Das würde für die
Lersnerstraße anstatt einer Erhöhung um 1 507 Euro eine
Erhöhung um 336 Euro bedeuten .
({8})
Vielleicht hätte dies der Mieter noch tragen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Probleme,
die wir wirklich dringend in den Griff bekommen müssen . Ich weiß, 95 bis 98 Prozent der Vermieterinnen und
Vermieter sind wirklich gutwillig - sie tun alles für ihre
Mieter -, aber es gibt dummerweise schwarze Schafe,
und da müssen wir eingreifen . Lasst uns dafür gemeinsam kämpfen, liebe Kollegen! Ich freue mich auf weitere
Zusammenarbeit .
({9})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Groß, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Letzten beißen ja bekanntlich die Hunde . Ich werde versuchen, mich kurzzufassen . Viele warten ja auf die namentliche Abstimmung .
Wir behandeln heute ein wichtiges Thema: Wohnen
und Leben in Städten . Es geht eben nicht nur um den
bezahlbaren Wohnraum, sondern auch um die Frage:
Können Menschen in ihrem Lebensumfeld, in der Nachbarschaft wohnen bleiben, können sie sich die Nachbarschaft aussuchen, die Wohnung, in der sie leben wollen?
Wir müssen dafür sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ältere Menschen, die seit langem in ihrem
Stadtteil leben, die wissen, dass sie ein Netzwerk haben,
auf das sie sich verlassen können, Nachbarn haben, die
für sie einkaufen, nicht wegen einer Modernisierung aus
ihrer Wohnung getrieben werden . Um dafür zu sorgen,
müssen wir die soziale Funktion des Mietrechts stärken .
({0})
Das trifft natürlich auch auf junge Familien zu. Die
Situation in Berlin, München, Hamburg wurde gerade
schon beschrieben . Aber der Kollege Fechner hat deutlich gemacht: Die Mietpreisbremse greift . Insbesondere
dort, wo Mieter in die Lage versetzt werden, zu klagen,
bekommen sie recht .
Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass Transparenz hergestellt wird, dass es eine Auskunftspflicht des
Vermieters darüber gibt, wie hoch die Vormiete war . Wir
müssen dafür sorgen, dass die Rückzahlungspflicht ab
dem ersten Tag des Mietvertrags gilt .
({1})
Lieber Herr Kollege Luczak, ich habe, glaube ich,
im Juni letzten Jahres mit Ihnen hier debattiert . Damals
habe ich gesagt: Und täglich grüßt das Unionsmurmeltier! - Ich wiederhole das an dieser Stelle . Ich habe von
Ihnen keine Aussage gehört, wie Sie dazu stehen, dass
wir die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent
senken müssen . Es wurde ja schon richtig beschrieben:
Viele Menschen sind eben nicht in der Lage, die erhöhte
Miete nach der Investition zu bezahlen . Gerade wurden
schon Zahlen genannt . Wenn jemand 20 000 Euro in eine
Wohnung investiert, hat er nachher das Recht, dauerhaft
183 Euro auf die Mieter umzulegen . Wir haben im Koalitionsvertrag vorgeschlagen, das an eine Amortisationszeit zu binden .
({2})
Selbst dazu sind Sie zurzeit nicht bereit .
Ich kann nur noch einmal sagen: Den besten Entwurf
zum Mietrecht hat Heiko Maas vorgelegt .
({3})
Das ist der beste Vorschlag zu einer rückläufigen Entwicklung der Mietkosten und zur Sicherung der sozialen
Funktion des Mietrechts .
({4})
Erlauben Sie mir noch zwei Sätze zum Thema Wohnungsbau . Die Union stellt es immer so dar, als sei die
Schaffung von Wohnungen das einzige Instrument, um
dafür zu sorgen, dass Menschen Wohnen bezahlen können . Es ist ein Instrument .
({5})
Das andere ist das Mietrecht, eine Leitplanke, die der
Bundestag auf den Weg bringen kann . Damit haben wir
sicherzustellen, dass Mieten bezahlbar bleiben .
Ein Instrument ist ohne Zweifel bezahlbarer Wohnraum . Wir haben eine gute Bilanz . Die SPD hat durchgesetzt, die Mittel für soziale Wohnraumförderung auf
1,5 Milliarden Euro zu verdreifachen .
({6})
Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein Erfolgsmodell in
SPD-Ländern .
({7})
In NRW wurden im letzten Jahr 10 000 neue Sozialwohnungen geschaffen. Das ist ein Erfolgsmodell, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({8})
- Sie mussten wir ja eher zum Jagen tragen .
Ein weiterer Aspekt ist: Wir müssen dafür sorgen, dass
der Bund nach 2019 in der gemeinsamen Verantwortung
mit den Ländern und Kommunen bleibt . Wir dürfen das
nicht den Regionen und finanzschwachen Kommunen
überlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen; jetzt wollte
ich schon fast die Genossinnen und Genossen ansprechen . Aber es ist natürlich wichtig, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen .
({9})
- Ja . Wir haben ja gestern noch in fröhlicher Runde zusammengesessen .
Also: Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass wir für starke Städte sorgen . Ein wichtiges Instrument wird sein,
unsere kommunalen Wohnungsunternehmen zu stärken .
({10})
Wir haben ein zu geringes Korrektiv . Von den über
40 Millionen Wohnungen gehören nur 2 Millionen den
Genossenschaften, und 2 Millionen sind in der Hand der
kommunalen Wohnungsunternehmen . Wir müssen dafür
sorgen, dass dieser Anteil größer wird und die kommunalen Wohnungsunternehmen das Korrektiv auf dem Wohnungsmarkt werden .
({11})
Dazu gehört auch eine vernünftige Liegenschaftspolitik der Kommunen . Grundstücke sind heute ein Preistreiber beim Thema Wohnungsbau . Die Kommunen müssen
wieder in die Lage versetzt werden, vernünftige und vorausschauende Liegenschaftspolitik zu betreiben .
Mein letzter Satz: Wir müssen die Grundsteuer C einführen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
({12})
und die bestrafen, die mit ihren Grundstücken spekulieren .
Herzlichen Dank .
({13})
Vielen Dank .
Damit ist die Aussprache beendet, und wir kom-
men zu den Abstimmungen, zunächst über Tagesord-
nungspunkt 4 a sowie Zusatzpunkt 3 . Interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/11049 und 18/10810 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 4 b . Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietpreisbremse wir-
kungsvoll ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10089, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9123
abzulehnen . Bevor wir über diese Beschlussempfehlung
auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab-
stimmen, weise ich darauf hin, dass wir gleich noch zwei
weitere namentliche Abstimmungen direkt im Anschluss
durchführen werden .
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze
an den Urnen alle besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall .
Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung, und
zwar über die Beschlussempfehlung .
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte
abgegeben? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann schließe
ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .1)
Ich bitte alle, Platz zu nehmen, damit wir mit den Ab-
stimmungen fortfahren können .
Zusatzpunkt 4 . Wir stimmen jetzt über zwei Gesetz-
entwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-
lich ab .
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Dämpfung des Mie-
tanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei um-
fassenden Modernisierungen . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11440,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/8856 abzulehnen . Auf Verlangen der
1) Ergebnis Seite 22121 C
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall . Ich er-
öffne die zweite namentliche Abstimmung, diesmal über
den Gesetzentwurf der Grünen .
Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? - Dann schlie-
ße ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .2)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten
Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht
und die Schaffung eines Auskunftsrechts. Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11440, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8857 abzulehnen .
Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir namentlich ab . Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? - Ich sehe, dass das der Fall ist. Dann eröffne
ich die dritte namentliche Abstimmung, und zwar wieder
über einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen .
Ist noch jemand im Saal, der die Stimmkarte nicht ab-
gegeben hat? - Wie ich sehe, ist das nicht der Fall . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen .3)
Die Ergebnisse der Abstimmungen werden Ihnen spä-
ter bekannt gegeben . - Bitte nehmen Sie jetzt alle wieder
Platz .
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen
Drucksachen 18/10207, 18/10650, 18/10924
Nr. 1.3
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
Drucksache 18/11446
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Michael
Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Parlaments- statt Ministererlaubnis im
Kartellrecht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina
Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer
2) Ergebnis Seite 22123 D
3) Ergebnis Seite 22126 D
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bußgeldumgehung bei Kartellstrafen verhindern - Gesetzeslücke schließen
Drucksachen 18/10240, 18/4817, 18/11446
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Debatte
60 Minuten vorgesehen sind . - Ich höre hier keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
hat Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort .
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, „neunte Novelle des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ klingt sehr nach
Rechtstechnik . Aber das ist es nicht . Es geht hier um unser Herzstück der sozialen Marktwirtschaft . Es geht um
eine faire Wettbewerbsordnung . Dafür haben wir die Änderungsvorschläge eingebracht, über die das Hohe Haus
heute entscheidet .
Weil eine faire Wettbewerbsordnung für unsere soziale Marktwirtschaft so wichtig ist, würde ich gerne als
Allererstes einmal dem Bundeskartellamt Danke sagen .
Das Bundeskartellamt hat ja die Aufgabe, diese Gesetze
zu vollziehen, selber aufmerksam zu sein und immer zu
schauen, wo es Verfahren einleiten muss und wo nicht .
Das macht es gut, wie ich finde, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind .
({0})
- Ich finde, es könnte etwas mehr Begeisterung da sein.
Was ändern wir nun mit diesem Gesetzentwurf?
Der erste Punkt ist, dass wir den kartellrechtlichen
Ordnungsrahmen für die digitale Welt verbessern . Ein
Markt im Sinne des Wettbewerbsrechts wird künftig
auch dann vorliegen, wenn zwischen den unmittelbar
Beteiligten kein Geld fließt. Damit reagieren wir darauf,
dass viele Unternehmen ihre Dienste heutzutage im Netz
unentgeltlich anbieten. Das finden die Verbraucherinnen
und Verbraucher in der Regel gut . Sie merken allerdings
nicht, dass sie statt mit Geld mit Daten im Netz bezahlen .
Die Unternehmen erarbeiten sich auf diese Art und Weise natürlich eine Marktmacht . Deswegen machen wir da
eine Änderung .
Der zweite Punkt ist, dass durch dieses kostenlose Angebot der Wert des Unternehmens nicht so sehr in einem
Buchwert besteht, also nicht aus den Einnahmen in einer
ordentlichen Bilanz ersichtlich ist . Vielmehr besteht der
Wert des Unternehmens darin, dass es über viele Daten
verfügt und viele Menschen gebunden hat . Dieser Wert
kann sehr hoch sein . Denken Sie beispielsweise daran,
dass Facebook für WhatsApp 19 Milliarden US-Dollar
gezahlt hat . Wir wollen deshalb, dass das Bundeskartellamt künftig auch diese Art von Übernahmen prüfen
kann . Wir haben einen Kaufpreis von über 400 Millionen
Euro festgeschrieben . Das war in der Debatte nicht ganz
einfach . Auch ich habe natürlich mitbekommen, dass
die Start-up-Szene Bedenken hatte, dass ihnen der eine
oder andere Exit dadurch verwehrt werden könnte . Aber,
ich denke, mit 400 Millionen Euro haben wir eine solch
hohe Kaufpreisschwelle gewählt, dass negative Auswirkungen auf die deutsche Start-up-Szene ausgeschlossen
sein müssten .
Der dritte Punkt ist, dass wir mit der Novelle sicherstellen, dass sich Unternehmen, die eines Kartellrechtsverstoßes überführt wurden, nicht mehr vor den Bußgeldzahlungen drücken können, indem sie ihr Unternehmen
rechtlich anders organisieren, indem sie umstrukturieren,
Teile verkaufen und anders zusammenfügen . Das soll
künftig nicht mehr möglich sein . Ich glaube, das ist ein
guter Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben .
Der vierte Punkt ist, dass wir den Presseverlagen helfen . Das entspricht auch unserem Koalitionsvertrag . Wir
erlauben Presseverlagen künftig, den Vertrieb ihrer Anzeigen gemeinsam zu organisieren . Es kann also jenseits
der redaktionellen Ebene mehr Zusammenarbeit geben .
Das war uns wichtig; denn sie müssen sich wirtschaftlich
besser aufstellen können .
({1})
Der fünfte Punkt ist, dass wir an dem Verfahren der
Ministererlaubnis behutsame Korrekturen vornehmen .
Sie soll auch in der Zukunft in der Praxis handhabbar
bleiben . Gerade der erfolgreiche Abschluss des Verfahrens „Edeka/Kaiser’s Tengelmann“ hat ja gezeigt: Die
Ministererlaubnis ist im begründeten Einzelfall ein sinnvolles Korrektiv zur rein wettbewerblichen Betrachtung
des Bundeskartellamtes .
Ich denke, dass wir mit dieser neunten GWB-Novelle einen Schritt zur Verbesserung der Ordnungspolitik in
den Zeiten der Digitalisierung unternommen haben . Es
wird nicht der letzte sein . Bestimmt wird sich das Haus
auch in der nächsten Legislaturperiode damit befassen
müssen, welche Änderungen angesichts der Digitalisierung notwendig sind . Wir werden vonseiten des Bundeswirtschaftsministeriums in Kürze ein Weißbuch zu
der Frage der Regelung von Internetplattformen vorlegen. Sicherlich wird es dadurch Diskussionsstoff geben,
welche Regulierungen im Wettbewerbsrecht notwendig
sind . Ich freue mich auf die Diskussion . Ich glaube, dass
sie notwendig ist . Jetzt danke ich zunächst einmal dafür,
dass die neunte GWB-Novelle auf diese Art und Weise
zur Verabschiedung kommen kann .
({2})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion Die
Linke ist Klaus Ernst .
({0})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Voraussetzung dafür, dass eine Marktwirtschaft
funktioniert, ist, dass der Wettbewerb funktioniert . Ein fairer Wettbewerb setzt voraus, dass kein Unternehmen einen
Markt beherrscht, dass kein Unternehmen nennenswerten
Einfluss auf die Marktpreise hat und dass Transparenz
über Angebot und Nachfrage besteht . - So kann man es in
den schönen Lehrbüchern nachlesen . Das Gegenteil davon
sind monopolisierte Märkte . Es ist Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass auf den Märkten eine faire Konkurrenz
herrscht . Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,
das Gegenstand der heutigen Debatte ist, gilt als zentrale
Norm des deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts . Wie
steht es nun um den Wettbewerb in Deutschland angesichts einer so herausragenden Bedeutung?
Wenn wir einen Blick auf den Versicherungsmarkt
werfen, sehen wir, dass dort zehn Unternehmen fast
60 Prozent des Marktes kontrollieren . Im Lebensmittelbereich haben wir ähnliche Verhältnisse . Das Bundeskartellamt hat dazu festgestellt:
Der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ist
ein hochkonzentrierter Markt .
Die vier großen Handelsunternehmen - Edeka, Rewe,
Aldi und die Schwarz-Gruppe - haben über 85 Prozent
Marktanteil . Hier handelt es sich auch um ein Nachfragemonopol, weil diese Unternehmen natürlich unheimlich
großen Einfluss auf die Produzenten von Lebensmitteln
nehmen können, zum Beispiel auch auf die Milchpreise . Wir wissen, wie es den Milchbauern zurzeit geht . Die
Preise sind so, dass die Milchbauern davon kaum noch
vernünftig leben können .
Doch wissen Sie, was das Schlimmste ist? Wir wissen
noch viel zu wenig über die tatsächliche Marktkonzentration in vielen Branchen . Unsere Fraktion hat mehrfach
kritisiert, dass die Monopolkommission die systematische Beobachtung der Marktkonzentration faktisch eingestellt hat . Haben Sie einmal in die Hauptgutachten der
Monopolkommission der letzten Jahre geschaut? Da finden sich nur noch Analysen einzelner Branchen . Aber ein
Gesamtüberblick über die Monopolisierung in der Bundesrepublik Deutschland wird faktisch nicht mehr gegeben . Das ist nicht hinnehmbar . Wir brauchen hier wieder
umfassende Informationen .
Dank der Arbeit der Kartellbehörden wissen wir zumindest, dass es den Anbietern auf den Märkten für Nahrungsmittel, Pharmaprodukte oder Baustoffe - auch die
Gleisproduzenten fallen mir ein - immer wieder gelingt,
durch Preisabsprachen den Wettbewerb außer Kraft zu
setzen . Die Instrumente der Kartellbehörden beschränken
sich bisher auf Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht .
Es gibt keine Handhabe, gegen marktbeherrschende Stellungen, die schon bestehen, vorzugehen . Das ist ein Fehler
im System . Deshalb fordern die Grünen - meines Erachtens vollkommen zu Recht -, als Ultima Ratio eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit zu schaffen, damit tatsächlich eingegriffen werden kann, ohne dass
es besondere Umstände gibt, die dazu einen Anlass geben .
Die aktuelle Novelle justiert etwa bei den daten- und
internetbasierten Dienstleistungen nach . So sollen hier
zur Bewertung einer marktbeherrschenden Stellung unter
anderem auch Nutzerzahlen herangezogen werden; das
ist richtig . Auch die Einschränkung der Möglichkeiten
großer Unternehmen, hohe Geldbußen zu vermeiden Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin -, ist richtig .
Das grundsätzliche Problem der bereits konzentrierten
Märkte und der Marktmacht Einzelner ist jedoch nach
wie vor ungelöst . Da kommen wir auch mit diesem Gesetzentwurf keinen Schritt weiter .
Meine Damen und Herren, im Pressebereich - das ist
sehr problematisch - führen Ihre Ausnahmeregelungen
sogar zu einer Förderung der Konzentration . Deshalb
lehnen wir den Gesetzentwurf ab .
({0})
Zum Schluss noch ein paar Worte zur Ministererlaubnis und zu unserem Antrag dazu . Das Bundeskartellamt
hatte die Übernahme von Tengelmann durch Edeka unter
anderem deshalb untersagt, weil damit die Einkaufsalternativen eingeschränkt würden und die Gefahr von Preiserhöhungen und der Druck auf Zulieferer wüchsen . Der
damalige Wirtschaftsminister genehmigte die Übernahme durch Edeka jedoch per Ministererlaubnis wegen der
großen Zahl von Arbeitsplätzen, die in Gefahr war . Das
war unserer Auffassung nach richtig.
Gegenwärtig muss einer Ministererlaubnis entweder
zugrunde liegen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Übernahme die Einschränkungen im Wettbewerb aufwiegen oder dass es ein überragendes Interesse
der Allgemeinheit gibt . Wir gehen davon aus, dass die
Zahl der Arbeitsplätze - damit meine ich vernünftige Arbeitsplätze, also tarifvertragliche mit Betriebsratsstrukturen - sehr wohl einen solchen Umstand darstellt . Das
Oberlandesgericht Düsseldorf sah das anders . Abgesehen
davon, dass dies absurd ist, zeigt dieses Urteil, dass die
Erwägungsgründe klarer formuliert werden müssen . Wir
müssen auch in dieser Frage nachjustieren .
In unserem Antrag fordern wir, dass die Sicherung
von guter Arbeit, also Betriebsratsstrukturen und tarifliche Beschäftigung, bei der Fusionsentscheidung berücksichtigt werden muss . Wir plädieren auch dafür, dass die
Ministererlaubnis durch eine Parlamentserlaubnis ersetzt
wird und damit eine öffentliche und transparente Debatte
darüber stattfindet, ob eine Fusion im Interesse des Allgemeinwohls akzeptiert wird oder nicht .
Die jetzige Ministererlaubnis wird der politischen
Tragweite von Großfusionen nicht gerecht . Deshalb
glauben wir, dass wir der Antwort auf die Frage bzw . der
Entscheidung, ob etwas im öffentlichen Interesse liegt
oder nicht, mit Beteiligung des Parlaments Nachdruck
verleihen müssen .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank . - Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich kurz die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen bekannt geben .
Erstens . Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten“, wonach der Antrag abgelehnt werden sollte:
abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja haben gestimmt 461,
mit Nein haben gestimmt 53, Enthaltungen 56 . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen, der Antrag
wurde also abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon
ja: 461
nein: 53
enthalten: 56
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({1})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({2})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({3})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({4})
Stefan Müller ({5})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({6})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({7})
Gabriele Schmidt ({8})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({9})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({10})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({11})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({12})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({17})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({18})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({19})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({20})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({21})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({22})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({23})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({24})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({31})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Fraktionslos
Erika Steinbach
Nein
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Matthias W . Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({32})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({33})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({34})
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Christian Kühn ({36})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({37})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({38}) aufgeführt.
Zweitens . Namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen: abgegebene Stimmen 567 . Mit Ja haben
gestimmt 110, mit Nein haben gestimmt 457 . Damit ist
der Gesetzentwurf abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon
ja: 110
nein: 457
enthalten: 0
Ja
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({39})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({40})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({41})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({42})
Christian Kühn ({43})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({44})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Manfred Behrens ({45})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({46})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({47})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({48})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({49})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({50})
Stefan Müller ({51})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({52})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({53})
Gabriele Schmidt ({54})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({55})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({56})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({57})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({58})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({59})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({60})
Sabine Weiss ({61})
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({62})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({63})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({64})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({65})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({66})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({67})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({68})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({69})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({70})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({71})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({72})
Matthias Schmidt ({73})
Dagmar Schmidt ({74})
Carsten Schneider ({75})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({76})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({77})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Fraktionslos
Erika Steinbach
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({78}) aufgeführt.
Drittens . Namentliche Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der
Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts:
abgegebene Stimmen 573 . Mit Ja haben gestimmt 110,
mit Nein haben gestimmt 463 . Damit ist auch dieser Gesetzentwurf abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 110
nein: 461
enthalten: 0
Ja
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({79})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({80})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({81})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({82})
Christian Kühn ({83})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({84})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Manfred Behrens ({85})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({86})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({87})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({88})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({89})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({90})
Stefan Müller ({91})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({92})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({93})
Gabriele Schmidt ({94})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({95})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({96})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({97})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({98})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({99})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({100})
Sabine Weiss ({101})
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({102})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({103})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({104})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({105})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({106})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({107})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({108})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({109})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({110})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({111})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({112})
Matthias Schmidt ({113})
Dagmar Schmidt ({114})
Carsten Schneider ({115})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({116})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({117})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Fraktionslos
Erika Steinbach
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({118}) aufgeführt.
Jetzt hat der Kollege Dr . Matthias Heider, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort . - Bitte schön .
({119})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir
ändern hier heute das Grundgesetz . Keine Sorge, Frau
Präsidentin, es ist das „Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft“ . So hat Ludwig Erhard das Kartellgesetz damals genannt . Ich halte diesen Namen für richtig . Er zeigt
die Bedeutung dieses Gesetzes für unsere Wirtschaft .
Einmal in jeder Legislaturperiode überprüfen wir
grundlegend den Rahmen wettbewerblichen Handelns,
den Rahmen für unsere Wirtschaft . Durch jede Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen richten
wir den Kompass des Wettbewerbs in Deutschland neu
aus . Das ist notwendig, weil sich die Wettbewerbsbedingungen von Zeit zu Zeit ändern . In manchen Branchen
müssen die Unternehmen härter am Wind segeln, in anderen Branchen und Wettbewerbsbereichen mag es richtig sein, etwas Wind aus den Segeln zu lassen .
Von der Veröffentlichung des Referentenentwurfs
dieses Gesetzes bis heute hat es acht Monate gedauert .
Heute können wir es in letzter Lesung mit einigen Änderungen verabschieden . Damit sind wir im Vergleich
zum schon erwähnten Ministererlaubnisverfahren im
Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann geradezu schnell . In
diesem Verfahren hat der damalige Minister Sigmar
Gabriel nämlich immerhin elf Monate gebraucht, um zu
einer Entscheidung zu kommen . Es war aber auch eine
schwierige Entscheidung .
Mit diesem Vergleich möchte ich gleich am Anfang
eine der wichtigsten Änderungen hervorheben, die wir
an diesem Gesetzentwurf noch gemeinsam vornehmen
wollen, nämlich die Änderung beim Ministererlaubnisverfahren . Durch die Änderung stärken wir dieses Verfahren . Das ist auch wichtig . In den elf langen Monaten,
die das Verfahren Edeka/Kaiser’s Tengelmann gedauert
hat, war es für die Beschäftigten und die Unternehmen
unsicher, was mit ihnen geschieht . Hinzu kam, dass das
Verfahren - jedenfalls nach Auffassung eines Gerichtes nicht so transparent geführt worden war, wie es eigentlich von einer Behörde zu erwarten ist .
Es ist gut, dass sich die beteiligten Unternehmen in
diesem Verfahren am Ende geeinigt haben . Das bedeutet:
Die Beteiligten sind von Edeka mit Zahlungen und Leistungen klaglos gestellt worden . Klagen gegen die Ministererlaubnis sind daraufhin zurückgezogen worden . Es
brauchte fast 18 Monate, bis diese Unsicherheit beseitigt
war und die Beschäftigten und die Unternehmer aufatmen konnten .
Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob sich die
Arbeitsplatzsituation über alle Unternehmensteile von
Edeka/Kaiser’s Tengelmann hinweg ohne Verlust entwickelt . Der Prozess ist noch im Gang, und wir werden uns
als Parlament weiter darüber berichten lassen .
Als Gesetzgeber ist es unsere Pflicht, zu fragen: Was
können wir in Zukunft in Verfahren besser machen? Was
muss das Parlament zur Sicherung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und einer wirtschaftlichen Ausnahmeentscheidung jetzt unternehmen? Denn die Exekutive ist
an Recht und Gesetz gebunden, und es darf nicht einmal
der Eindruck erweckt werden, meine Damen und Herren, dass irgendwelche Spielregeln in diesem Verfahren
unklar sind .
Für uns als CDU/CSU-Fraktion war die Antwort klar:
Wir müssen das Verfahren stärken, damit neben der kartellrechtlichen Entscheidung des Bundeskartellamtes
eine mehr politisch gewichtete Entscheidung der Ministerin oder des Ministers zugunsten gesamtwirtschaftlicher Vorteile oder eines überragenden Interesses der
Allgemeinheit in einer Ausnahmesituation ihr Gewicht
behalten kann . Arbeitsplätze können, um das klar zu sagen, ein überragendes Interesse der Allgemeinheit rechtfertigen .
Bei dem Erhalt von kollektiven Arbeitnehmerrechten
sah das Oberlandesgericht Düsseldorf verfassungsrechtliche Probleme . Wir haben zum Verfahren verschiedene
Vorschläge gemacht . Ich freue mich, dass wir uns mit den
Kolleginnen und Kollegen der SPD auf einen Großteil
unserer Vorschläge einigen konnten . Durch die Änderungen straffen wir das Verfahren, und wir machen es transparenter .
Die wichtigste Änderung ist, dass künftig eine Höchstfrist für das Verfahren gelten wird . Beim nächsten Mal,
meine Damen und Herren, läuft im Wirtschaftsministerium die Uhr mit . Wenn nach sechs Monaten keine Entscheidung vorliegt, gilt der Antrag auf die Erlaubnis als
abgelehnt . Die Frist kann auf Antrag der Unternehmen
nur einmal um bis zu zwei Monate verlängert werden .
Nach acht Monaten ist dann aber Schluss. Dies strafft das
Verfahren zeitlich und gibt den Beschäftigten sowie den
Unternehmen, aber auch dem Markt Rechtssicherheit .
Wir hätten uns als Union eine noch kürzere Frist vorstellen können, aber das ist eben ein Kompromiss .
Bisher - so sah es das geltende Recht vor - sollte
das Verfahren bereits nach vier Monaten beendet sein .
Das war eine Sollvorschrift, die nicht gezogen hat . Diese Vorgabe besteht natürlich weiter . Unternehmer sind
Kaufleute, und die sind auf schnelle Entscheidungen im
Geschäftsverkehr angewiesen . Wenn das Ministerium in
diesem Zeitraum nicht entscheidet, muss zukünftig der
Deutsche Bundestag - also wir - schriftlich über die
Gründe unterrichtet werden . Das wahrt unser Informationsrecht als Parlament .
Weiterhin machen wir das Ministererlaubnisverfahren transparenter . Das Ministerium muss sich zukünftig
binden und Leitlinien erlassen, in denen der Ablauf eines Ministererlaubnisverfahrens genau dargestellt wird .
Die Leitlinien sollen insbesondere die Fristenregelungen, Dokumentationspflichten und Verfahrensrechte der
Beteiligten regeln . Schließlich stärken wir die Rolle der
Monopolkommission und verpflichten das Ministerium,
sich bei einer abweichenden Entscheidung dezidiert mit
der Monopolkommission auseinanderzusetzen . - Ich erinnere nur daran, dass der Vorsitzende der Monopolkommission im Zuge dieses Ministererlaubnisverfahrens von
seinem Amt zurückgetreten war .
Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht
oder sogar eine Parlamentserlaubnis haben wir nicht
aufgenommen . Die Ministererlaubnis ist eine klassische
Aufgabe der Exekutive . Unsere Aufgabe als Parlament
ist es, die Regierung zu kontrollieren und die Bindung
an Recht und Gesetz - gegebenenfalls durch weitere Gesetzgebung; so wie wir das hier heute tun - sicherzustellen . Das ist die Auswirkung der Gewaltenteilung . Es ist
unser Auftrag nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes . Wir setzen die Grundlagen, damit Entscheidungen
weder zeitlich noch inhaltlich beliebig werden . Ich denke, dass das Ministerium und die Unternehmen mit unseren Änderungen in Bezug auf dieses Verfahren für die
nächste Ministererlaubnis gut gerüstet sind, wer immer
dann auch Wirtschaftsminister sein wird .
Ich freue mich, dass wir neben den Änderungen zum
Ministererlaubnisverfahren auch den Koalitionsvertrag
im Punkt „Verbraucherschutz und Bundeskartellamt“
umsetzen konnten . Wir hatten, was den Verbraucherschutz angeht, eine Prüfpflicht für Behörden vereinbart.
Das gilt also auch, meine Damen und Herren, für eine
Bundesoberbehörde wie das Bundeskartellamt .
Verbraucherschutz ist für uns als CDU/CSU-Fraktion
ein wichtiges Thema . Daher haben wir uns mit unserem
Koalitionspartner darauf geeinigt, dass das Bundeskartellamt in Zukunft auch Verstöße gegen Verbraucherrechte prüfen kann .
Das Amt kann sogenannte Sektoruntersuchungen in
Branchen durchführen, in denen der Verdacht besteht,
dass schwerwiegende Verstöße gegen Verbraucherrechte
vorliegen . Außerdem können zukünftig Mitarbeiter des
Bundeskartellamtes an Gerichtsverfahren teilnehmen,
die erhebliche Verstöße gegen Verbraucherrechte betreffen . Sie können Hinweise auf Beweismittel geben und
ihre Erkenntnisse und ihr Know-how in das Gerichtsverfahren einbringen .
Informieren, prüfen und berichten: Das ist der erste
Schritt einer Behörde, die wir auf ein neues Aufgabenfeld vorbereiten . Den Vorschlag der SPD, das Bundeskartellamt zu einer allgemeinen Verbraucherschutzbehörde auszubauen, haben wir anhand der Anhörung und
in weiteren Gesprächen intensiv geprüft . Jedoch konnten
wir zum jetzigen Zeitpunkt
({0})
eine solche Entscheidung nicht mittragen . Es fehlt an
klaren Aufgabenbeschreibungen und an eindeutigen Abgrenzungen bei Eingriffsmaßnahmen genauso wie an der
Beachtung der Befugnisse anderer Behörden .
Meine Damen und Herren, eine allgemeine Verbraucherschutzbehörde ist ein Systemwechsel . Bisher werden
Verstöße gegen allgemeine Verbraucherrechte privatrechtlich, durch Abmahnungen und Klagen, verfolgt . Die
Kolleginnen und Kollegen der SPD wollten hier einen
Systemwechsel vornehmen, der an ein Gesetzesvorhaben angedockt werden sollte, das ihnen dafür mal eben
angeflanscht erschien. Das geht unseres Erachtens nicht
„mal eben“ . Dazu brauchen wir weitere Vorbereitungen,
eine Abstimmung mit anderen Bundesbehörden und vor
allen Dingen - ganz wichtig - eine Etatisierung im Bundeshaushalt .
Inhaltlich sehen wir derzeit bei der Durchsetzung von
Verbraucherrechten vorwiegend im Bereich der digitalen
Wirtschaft Defizite. Eine Abgrenzung der digitalen von
der analogen Welt ist aber ausgesprochen schwierig . Außerdem ist nicht klar, warum wir eine weitere Behörde
brauchen, die Verbraucherrecht durchsetzt . Die Bundesnetzagentur, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, die Datenschutzaufsichtsbehörden und die Anstalten
der Bundesländer im Medienbereich verfolgen bereits
Verstöße gegen Verbraucherrechte in ihrem jeweiligen
Bereich .
Was das oft genannte Beispiel, das schwierige Vorgehen gegen sogenannte Fake Shops im Internet, angeht,
frage ich: Warum greifen dort die Staatsanwaltschaften nicht härter durch? Hier geht es, meine Damen und
Herren, um die Verfolgung von Betrugsdelikten . Nach
einem Anfangsverdacht wird ein Ermittlungsverfahren
eingeleitet: Das wären die richtigen Schritte, mit denen
man den Verbraucherrechten zum Durchbruch verhelfen
könnte . Diese Aufgabe müssen wir nicht zusätzlich dem
Bundeskartellamt übertragen .
Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Redezeit kann ich leider zu allen anderen Themen nichts mehr
vortragen . Ich glaube, dass wir mit den Änderungen in
der neunten Novelle einen Gesetzentwurf in kompakter
Form vorlegen . Eins ist sicher: Nach der neunten Novelle
folgt die …? Zehnte Novelle, richtig . - Ich bedanke mich
für Ihre Mitwirkung und bitte um Zustimmung zu den
Änderungen .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Dieter Janecek,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir Grüne sind die
Partei des fairen Wettbewerbs . Wenn wir keinen fairen
Wettbewerb haben, dann haben wir nicht Marktwirtschaft, sondern Machtwirtschaft . Das wollen wir nicht .
Ein funktionierender fairer Wettbewerb ist eine tragende Säule für unsere soziale und ökologische Marktwirtschaft . Dieser Wettbewerb ist Motor für Innovation,
Kreativität und führt zu niedrigen Preisen und hoher
Qualität . Genau das wollen wir . Deswegen wollen wir
fairen Wettbewerb . Daher legen wir einen eigenen Antrag vor, um das zu verbessern, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht geschafft haben.
({0})
Wo fairer Wettbewerb herrscht, haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Wahl . Sie sind besser geschützt
vor Abzocke und unfairen Geschäftsbedingungen; denn
ohne faire Regeln nimmt die wirtschaftliche Konzentration zu, häufig verbunden mit Schäden für Mensch und
Umwelt . Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf enthält einige richtige Punkte im Sinne einer Digital- und
Wettbewerbspolitik, wie sie meine Fraktion schon lange
fordert . Damit werden Fortschritte erzielt; das ist auch
gut so . Allerdings: Wir müssten deutlich mehr tun .
Jetzt komme ich zu unseren Vorschlägen und Beispielen, etwa zum Thema digitale Märkte . Sie sind erst einmal
ein großer Gewinn für uns alle, für die Verbraucherinnen
und Verbraucher. Vergleichsportale schaffen mehr Transparenz bei Angebot und Preisen . Über soziale Netzwerke
können Nutzerinnen und Nutzer Interessen und Meinungen teilen . Aber die Wettbewerbspolitik muss sich auf
diese neuen internetbasierten Plattformmärkte ausrichten . Die Wettbewerbswirkung dieser Märkte ist eben
nicht eindeutig . Da der Mehrwert der Plattformen direkt
mit der Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer steigt - das
ist der sogenannte Netzwerkeffekt -, konzentriert sich
Marktmacht auf wenige Plattformen und im extremsten
Fall auf eine Plattform . Das kann ein Problem sein . Das
Beispiel WhatsApp und Facebook ist genannt worden .
Der Kaufpreis lag damals bei 19 Milliarden US-Dollar
für WhatsApp, für ein Unternehmen, das zwar geringen
Umsatz, aber 450 Millionen Nutzerinnen und Nutzer hatte .
Deswegen fordern wir, dass das Bundeskartellamt zukünftig bei der Genehmigung von Fusionen die Möglichkeit hat, nicht nur auf den Umsatz der Firmen zu schauen,
sondern zusätzlich auf das Transaktionsvolumen und den
Kaufpreis, der bei der Fusion gezahlt werden soll . Das ist
wichtig und notwendig; denn sonst bekommen wir die
Konzentration in diesem Bereich nicht in den Griff.
({1})
Ich mache es ein bisschen konkreter, was die Digitalwirtschaft angeht . Es gibt zwei Prinzipien, die wir unbedingt brauchen . Das eine wird mit dem etwas sperrigen
Wort der Interoperabilität beschrieben . Dabei geht es darum, dass Sie, wenn Sie eine Smartphone-Anwendung,
eine App haben, auch mit anderen kommunizieren können, dass es da keine Lock-in-Effekte gibt und dass keine geschlossenen Märkte nebeneinander existieren, was
dazu führt, dass Monopolisten ihre Machtstellung ausnutzen . Da haben wir momentan beim Wettbewerbsrecht,
zum Beispiel im Bereich der Messengerdienste, ein Problem . Sie können jetzt nicht von Threema zu WhatsApp
kommunizieren; das geht nicht . Dieses Problem müssen
wir lösen . Wir müssen da bei der Gesetzgebung ran und
einfordern: Die Anbieter selbst müssen nachweisen, dass
das technisch nicht möglich ist . Wenn sie das nicht können, dann muss das machbar sein .
({2})
Der zweite Punkt betrifft die Datenportabilität. Auch
das ist wieder ein sperriges Wort, aber einfach zu erklären: Dabei geht es darum, dass Sie, wenn Sie Daten oder
auch Datenhistorien gespeichert haben, zum Beispiel
Kontaktdaten in einer Anwendung, und wenn Sie einen
anderen Anbieter nutzen wollen, die auch mitnehmen
können . Die EU-Datenschutz-Grundverordnung regelt
das; sie ist ab 2018 anzuwenden . Aber sie muss jetzt zügig in deutsches Recht umgesetzt werden, damit wir auch
in diesem Bereich mehr Wettbewerb haben, indem wir
diese Möglichkeiten im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher haben .
Ich komme zum Thema Verbraucherschutz . Herr
Dr . Heider, Sie haben den Gesetzentwurf ja schon verteidigt . Die SPD hatte nämlich anderes vor - sie ist als
Tiger gesprungen und dann nicht wirklich als Tiger gelandet; ich lasse jetzt einmal die üblichen Vergleiche weg
und mache es sachlich -: Sie wollten eine schlagkräftige Verbraucherschutzbehörde ausbauen . Sie wollten die
Kompetenzen des Bundeskartellamts auf den wirtschaftlichen Verbraucherschutz ausweiten . Aber das haben Sie
eben nicht gemacht. Wir finden, das ist ein Versäumnis.
Denn wie kann bitte der Verbraucher zivilrechtlich gegen
Unternehmen vorgehen, die zum Beispiel die AGBs verschlechtern oder Datenschutzbestimmungen umgehen
und ausnutzen? Das kann er eben nicht . Dazu braucht er
auch die Keule des Wettbewerbsrechts, die Sie ihm aber
nicht gegeben haben . Wir wollen, dass der zivilrechtliche
Verbraucherschutz um einen behördlichen ergänzt wird,
damit da endlich Waffengleichheit herrscht. Das ist notwendig .
({3})
Ich komme noch zum Ministererlaubnisverfahren .
Es ist richtig, dass das erst einmal ein Akt der Exekutive ist und in der Endentscheidung auch bleiben soll .
Aber wir haben gerade bei der Causa Tengelmann gesehen, dass das nicht so ganz funktioniert . Was ist denn
beispielsweise das Gemeinwohlinteresse? Das Gemeinwohlinteresse kann nicht darin bestehen, dass man einen
Unternehmensbereich als schützenswert ansieht - in diesem Fall Kaiser’s Tengelmann - und dort Arbeitsplätze
sichert, aber die anderen Arbeitsplätze - in dem Fall bei
Edeka - sozusagen zur Disposition stellt, die Position
dieser Mitarbeiter schwächt und dann sagt: Das ist das
Gemeinwohlinteresse . - Ich glaube, der Bundestag muss
in der Lage sein, Einspruch zu erheben und eine Debatte
darüber zu führen . Das fordern wir . Wir sagen: Innerhalb
von vier Sitzungswochen brauchen wir die Gelegenheit
zu einer Diskussion .
Wenn dann der Minister sagt, er ist nicht einverstanden, dann kann er noch immer zu der Regierung gehen
und sagen: Stimmt mal so oder so ab. Dann treffen wir
eine Entscheidung . - Die kann dann auch anders als die
vom Parlament getroffene aussehen. Nichtsdestotrotz
brauchen wir im Parlament breitere Beteiligungsrechte,
auch der Verbraucherschutzbehörden und der Datenschutzbehörden, damit sie darlegen können, ob das im
Sinne des Gemeinwohls ist . Denn unser Eindruck ist,
dass es im Fall Tengelmann nicht so gelaufen ist, sondern
dass da Gespräche im Hintergrund gelaufen sind, die am
Ende nicht dem Gemeinwohl gedient haben, sondern Interessen von Einzelnen, die vielleicht schon im Vorfeld
viel Einfluss hatten.
Wir Grüne stimmen dem vorliegenden Entwurf so
nicht zu, sagen aber auch, dass es Fortschritte gibt . Uns
liegt jetzt die neunte Novellierung vor . Das ist gut so und
notwendig . Es werden weitere folgen; das ist ja angesprochen worden . Im Bereich des Verbraucherschutzes
haben wir eben noch Bedarf . Ich glaube, das wird die
SPD selbst auch noch einmal für sich betonen . Das muss
dringend auf die Tagesordnung .
Für uns bleibt am Ende in der Substanz: Da uns fairer
Wettbewerb und konsequenter Verbraucherschutz so am
Herzen liegen, müssen wir uns bei beiden Vorlagen enthalten .
Es gibt noch eine weitere Problematik, die wir kritisch sehen: die Freistellung privater Presseverlage von
der Kartellverfolgung . Natürlich brauchen wir eine unabhängige Presse, die auch wettbewerbsfähig sein muss,
aber Preisabsprachen sind nach unserer Auffassung das
falsche Instrument, um sie im Wettbewerb mit der Gratiskonkurrenz aus dem Internet zu stärken . Auch hier
müssen wir die Regeln beachten und dürfen keine Sonderregeln schaffen. Sonst ist der Wettbewerb außer Kraft
gesetzt .
({4})
In diesem Sinne: Kämpfen Sie weiter für fairen Wettbewerb! Ich danke für die Debatte und freue mich auf
Ihre weiteren Beiträge .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Marcus Held für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute pünktlich zum Fristablauf am Montag mit dem Neunten Gesetz
zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das wir heute zu beschließen haben . Wir haben
in den zurückliegenden Monaten, in dem zurückliegenden Jahr - so lange ist die Debatte schon gelaufen -,
verschiedenste Bereiche diskutiert und geregelt . Es gab
Bereiche, bei denen klar war, dass sie in dieses Gesetz
gehören, es gab andere Bereiche, die vielleicht aus historischen Gründen schon passend gemacht worden sind,
und es gab Bereiche, bei denen diskutiert wurde, ob sie
in dieses Gesetz gehören: Das betrifft beispielsweise die
Zusammenarbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten . Hier bestand besonders der Wunsch der Länder, dass
die Anstalten enger kooperieren dürften . Das ist aber aus
unserer Sicht nicht Sache des Wettbewerbsrechts bzw .
des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, vielmehr
müssen die Länder gegebenenfalls den Rundfunkstaatsvertrag ändern . Deshalb ist das Ergebnis auch so gewesen .
Uns als SPD war es sehr wichtig, die Presselandschaft, die der Kollege Janecek eben angesprochen hat,
in Deutschland zukunftsfähig zu machen und zu stärken .
Uns ging es vor allem um die Printmedien, die in den
zurückliegenden Jahren doch erhebliche Nachteile durch
Onlineplattformen und Presseagenturen, die vor allem im
Internet tätig sind, hinnehmen mussten . Hinzu kommt die
Onlinekonkurrenz bei den Anzeigen; der Anzeigenteil
bei den Printmedien ist immer weiter zurückgegangen .
Deshalb haben wir Beschlüsse vorgesehen, die positive Auswirkungen auf die Redaktionen haben und
dazu führen, dass die Verlage weiterhin ausreichend
Mittel für ihre redaktionelle Arbeit zur Verfügung stellen können . Gleichzeitig müssen wir bedenken, dass es
nicht so weitergehen darf in Deutschland . Zumindest in
Teilen Ostdeutschlands haben wir schon weiße Flecken
auf der Landkarte, was Tageszeitungen betrifft, die über
kommunale Ereignisse berichten; oft gibt es nur günstige Anzeigenblätter auf kommunaler Ebene . Dem müssen
wir entgegenwirken . Ich glaube, das haben wir mit den
Regelungen zu Kooperationen im Pressebereich auch
geschafft. Darauf wird der Kollege gleich noch näher
eingehen .
({0})
Ferner haben wir in den zurückliegenden Monaten intensiv über die Ministererlaubnis diskutiert, Herr Heider .
Es gibt jetzt die Ablehnungsfiktion für den Minister nach
sechs Monaten, wenn der Antrag gestellt ist, und eine
Verlängerungsmöglichkeit um zwei Monate für den Fall,
dass man noch weitere Aspekte in das Verfahren einbringen möchte . Wir haben sehr lange darüber diskutiert,
wobei die Diskussion von der Fusion von Kaiser’s Tengelmann mit Edeka überschattet wurde . Trotzdem sollten
wir diesen Punkt versachlichen und darauf hinweisen,
dass in den letzten knapp 50 Jahren noch nicht einmal
20 Anträge auf eine Ministererlaubnis zur Fusion gestellt
worden sind .
Die letzte Entscheidung ist eine positive Entscheidung
unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel gewesen:
Es wurden 16 000 Arbeitsplätze durch den bewusst positiven Umgang mit der Ministererlaubnis erhalten, und
wir sind stolz darauf, dass diese 16 000 tarifgebundenen
Arbeitsplätze erhalten werden konnten .
({1})
Der kollektive Verbraucherschutz - das ist eben schon
andiskutiert worden - ist für uns Sozialdemokraten eines
der wichtigsten Themen . Wir hätten ihn in diesem Gesetz gerne noch stärker verankert . Wir wollten die Rolle
des Bundeskartellamtes als einer Behörde stärken - Herr
Heider hat es schon gesagt -, die dann auch Ansprechpartnerin für Bürgerinnen und Bürger sein sollte, die sich
mit einer Beschwerde an diese Institution wenden können . Dies ist uns leider nicht gelungen, weil es keinen
Kompromiss mit der Union in dieser Frage hat geben
können . Das muss man an dieser Stelle auch in dieser
Klarheit sagen . Wir werden uns als SPD in den kommenden Monaten und in der kommenden Wahlperiode nochmals intensiv dafür einsetzen, dass das Bundeskartellamt
tatsächlich auch Ansprechpartner für die Verbraucherinnen und Verbraucher wird .
Aber wir haben mit diesem Gesetz einen Kompromiss
erreicht, mit dem wir wenigstens den Einstieg geschafft
haben . Das Bundeskartellamt kann Sektoruntersuchungen durchführen, wenn der Verdacht auf erhebliche und
dauerhafte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften besteht und - darüber hinaus - wenn eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen
zu sein scheint . Das wollen wir nochmals intensivieren .
Wir werden bei der Evaluation auch noch einmal
darauf gucken, wie sich das in den nächsten zwei, drei
Jahren entwickelt . Wir wollen hier auf jeden Fall an der
Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch
an der Seite der redlichen Unternehmerinnen und Unternehmer sein . Für die setzen wir uns als SPD ein, meine
Damen und Herren .
({2})
Eine wichtige Regelung in diesem Gesetz ist auch,
dass Zusammenschlüsse von Dienstleistungsunternehmen bei den Sparkassen ermöglicht werden . Wir wissen alle, dass die Sparkassen besonders wichtig auch in
der kommunalen Arbeit in Deutschland sind . Wir sind,
glaube ich, sehr stolz darauf, dass unser Bankenwesen
in Deutschland neben den Großbanken vor allem auch
Sparkassen und Volksbanken kennt . Aus diesem Grunde haben wir intensive Gespräche mit den Sparkassen
geführt. Wir haben erreicht, dass im Backoffice-Bereich
künftig Zusammenschlüsse von Dienstleistungsunternehmen sowohl bei den Sparkassen als auch bei den Genossenschaftsbanken möglich sind . Es gab natürlich eine
intensive Debatte darüber, ob das im Vergleich zu den
anderen Banken richtig ist . Ich bin der Meinung, dass die
Kommunen, die insbesondere Träger unserer Sparkassen
sind, die Möglichkeit erhalten sollten, kommunale Strukturen bzw . kleine Unternehmer vor Ort zu unterstützen .
Das tun sie oft, gerade wenn es um Kreditierungen im
Bereich der Wirtschaft geht . Deshalb haben es die Sparkassen auch verdient, dass sie von uns hier die entsprechende Unterstützung und Rückendeckung bekommen .
({3})
Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich
mich bei allen, die bei den intensiven Diskussionen mitgewirkt haben, noch einmal herzlich bedanken . Bedanken möchte ich mich insbesondere bei den Kolleginnen
und Kollegen aus dem Bundeswirtschaftsministerium,
die wir ja eingehend konsultiert haben . Ich glaube, wir
machen uns mit dieser neunten Novelle auf zu mehr
Wettbewerb, zu mehr Gerechtigkeit, die für uns als SPD
besonders wichtig ist, aber auch zu mehr Flexibilität . Alles das, was wir noch realisieren wollen, werden wir in
der zehnten Novelle mit anderen Mehrheiten realisieren .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Thomas Lutze das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sicherlich ist vieles von dem, was in der neunten Novelle drinsteht, ausdrücklich zu begrüßen . Meine
Redezeit von drei Minuten würde auch nicht ausreichen,
das alles aufzuzählen, geschweige denn, zu kommentieren . Das Problem ist jedoch nicht das Begrüßenswerte,
sondern dass die meisten Sachen schlichtweg überfällig
sind . Wir hätten vieles von dem, über das wir heute diskutieren, möglicherweise schon vor zehn Jahren gebraucht,
um auf bestimmte Marktumwälzungen zu reagieren, die
scheinbar einfach so im luftleeren Raum geschehen sind .
Ich nenne Ihnen ein Beispiel - der Kollege Janecek
hat es auch schon erwähnt -: den Messengerdienst
WhatsApp . Ihm kann man mittlerweile getrost eine Bedeutung zumessen, die die SMS möglicherweise vor 10
oder 15 Jahren einmal hatte . Diese geschlossene Plattform eines einzelnen Unternehmens ist gerade dabei,
Standard für Millionen von Menschen zu werden, so wie
es möglicherweise - wie haben es noch erlebt - die SMS
einmal gewesen ist. Dass WhatsApp zu allem Überfluss
auch noch von Facebook gekauft wurde, verschlimmert
die Situation noch . Die marktbeherrschende Stellung
wird möglicherweise auf Jahrzehnte festgeschrieben .
Die Novelle zum GWB führt nun dazu, dass die Kartellwächter in einem solchen Fall ein Wörtchen mitzureden gehabt hätten . Aber Sie fassen das grundsätzliche
Problem nicht an: Sobald ein digitaler Kommunikationsdienst eine gewisse Schwelle der Verbreitung bei Nutzern überschritten hat, verbreitet er sich quasi automatisch weiter . Wenn zum Beispiel sieben, acht oder zehn
Ihrer Freunde diese Kommunikationsplattform nutzen,
dann entsteht für Sie dadurch ein Druck, selber auch
dort mitzumachen, weil Sie ansonsten von dieser Art der
Kommunikation ausgeschlossen werden .
Da mag es zwar auch andere Angebote geben, die
vielleicht komfortabler, technisch fortgeschrittener oder
sicherer sind; ihre Marktchancen sind allerdings in aller
Regel gleich null, weil es eben diese monopolistischen
Plattformen gibt . Ein Beispiel, das man dazu anführen
könnte: Jemand hat einen Telefonanschluss von Vodafone und könnte nicht so einfach mal mit jemandem
telefonieren, der bei der Telekom ist . - Ich glaube, alle
würden uns für ein bisschen verrückt halten, wenn wir
eine solche gesetzliche Grundlage hätten . Aber in dem
konkreten Fall dieser WhatsApp-Dienste oder des älteren
SMS-Dienstes ist das heute leider Gottes Realität .
Statt sich also allein auf die vorhandene Marktmacht
bei möglichen Fusionen zu konzentrieren, hätte eine
wirksame Reform an diesem Punkt ansetzen müssen .
Nur wenn man den Betreiber einer marktbeherrschenden
Kommunikationsplattform dazu zwingt, seinen Dienst
auch für Mitbewerber zu öffnen, wie wir das im Bereich
der Telekommunikation, also der Telefon- und Internetanbieter, bereits seit den 90er-Jahren haben, hat ein
Konkurrent tatsächlich eine Chance, seine Produkte und
seine Dienstleistungen anzubieten und sich zu beweisen .
Das haben wir leider nicht, auch nicht mit Ihrer Novelle,
und das kritisieren wir als Linksfraktion .
({0})
Ein zweites Beispiel . Es zieht sich die Ratlosigkeit in
der digitalen Frage wie ein roter Faden durch die Novelle . Dass ausgerechnet unter der Überschrift „Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ die Presseverlage
geradezu zur Kartellbildung aufgefordert werden, ist aus
Sicht der Linksfraktion ein schlechter Witz .
({1})
Natürlich stehen die Verlage im Zuge der Digitalisierung
unter Druck . Aber keine der Maßnahmen der Bundesregierung ist dazu geeignet, die Branche wirklich langfristig zu unterstützen .
({2})
Der vorliegende Entwurf führt zu einer weiteren Monopolisierung; er führt zu Arbeitsplatzabbau und zu weniger Pressevielfalt, und das sehen wir als Linksfraktion
sehr kritisch . Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ausführungen; Sie werden sicherlich etwas dazu sagen . Vielleicht
habe ich dann noch die eine oder andere Zwischenfrage
zu dem Thema .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Hansjörg Durz .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Ordnungspolitik legt der Staat die
grundsätzlichen Spielregeln des Wirtschaftsprozesses
fest . Dazu gehört neben der Gewährleistung von WettbeMarcus Held
werb auch dessen Regulierung, insbesondere durch das
entsprechende Wettbewerbsrecht . Die Prinzipien dieser
Ordnungspolitik Eucken’scher Prägung, wie wir sie heute
noch denken, haben von ihrer Richtigkeit und damit auch
an Aktualität nichts eingebüßt . Was die Vordenker jedoch
nicht ahnen konnten, war das Ausmaß an Möglichkeiten
und Herausforderungen, die mit den Informations- und
Kommunikationstechnologien, wie sie sich uns heute
bieten, verbunden sind . Wir können jeden Tag beobachten, dass die Entwicklung der Digitalwirtschaft von einer in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Dynamik
geprägt ist . Der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft,
Walter Eucken, kam zu seiner Zeit zu dem Schluss, dass
der technische Fortschritt das Element der Konkurrenz
verstärkt, Marktmacht reduziert und damit den Konsumenten dient. Aber trifft diese Annahme auch in Zeiten
der Digitalisierung heute noch uneingeschränkt zu?
Fragen wie diese, die auch von der Monopolkommission in ihrem lesenswerten Sondergutachten aus dem
Jahr 2015 detailliert beleuchtet wurden, waren der Ausgangspunkt der GWB-Novelle . Wir müssen uns fragen:
Ist der Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftssystems den
Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen? Wir
haben es in mehreren Reden bereits thematisiert . Hier
spielt die Frage des Wettbewerbsrechts eine zentrale Rolle .
Der Wettbewerbsrechtsrahmen in Deutschland wie
in der Europäischen Union hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten bewährt . Das bestehende Instrumentarium ist auch grundsätzlich geeignet, heute und morgen
Wettbewerbsverstößen zu begegnen . Dennoch ist es erforderlich, auf Besonderheiten der digitalen Märkte zu
reagieren. Die, wie ich finde, richtigen Antworten geben
wir heute mit der Verabschiedung der neunten GWB-Novelle .
Die Novelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber durch die bewusste und vor allem auch behutsame Gestaltung des ordnungspolitischen Rahmens den
mit der Digitalisierung verbundenen Strukturwandel
fördert, gestaltet und damit auch zur Grundlage gesellschaftlichen Wohlstands machen kann .
An welchen Stellen passen wir das Kartellrecht nun an
die Bedingungen der Digitalisierung an? Ich möchte drei
Punkte herausgreifen .
Erstens . Wir haben beobachtet, dass es in der Vergangenheit zur Übernahme von jungen Unternehmen durch
große Konzerne kam, ohne dass beispielsweise das Kartellamt die Fälle einer Überprüfung hätte unterziehen
können . Meist geht es um innovative Geschäftsideen mit
einem hohen wettbewerblichen Marktpotenzial, die jedoch bislang nicht zu nennenswerten Umsätzen geführt
haben . Die Beispiele Facebook und WhatsApp sind zwar
keine deutschen Beispiele, sind aber mehrfach erwähnt
worden . An diesen Beispielen wird deutlich, dass wir das
Problem am besten durch die Einführung eines neuen und
zusätzlichen Aufgreifkriteriums für die Fusionskontrolle
lösen. Wir schaffen neben den Umsatzschwellen durch
die Einführung des Transaktionswertes ein zusätzliches
Merkmal . Wenn der Transaktionswert 400 Millionen
Euro übersteigt, kann das Bundeskartellamt Zusammenschlüsse auch dann prüfen, wenn der Umsatz der Unternehmen unterhalb der relevanten Schwelle liegt . Damit
stärken wir das Instrumentarium der Wettbewerbsbehörde dafür, Konzentrationstendenzen gegebenenfalls frühzeitig entgegenwirken zu können .
Wir haben dabei eine ausgewogene Regelung gefunden . Die Höhe wurde im parlamentarischen Verfahren
ausgiebig diskutiert . Zuerst wurde befürchtet, dass die
Gründerszene eventuelle Nachteile davontragen könnte .
Aber dies ist nach meiner Überzeugung nicht der Fall .
Wir haben den Transaktionswert mit 400 Millionen Euro
großzügig bemessen und gleichzeitig eine erhebliche
Inlandstätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens in
Deutschland festgeschrieben . Beide Kriterien sind dazu
geeignet, jene Fälle zu erfassen, deren Zusammenschlüsse auch eine gewisse Relevanz für den Markt abbilden .
Dadurch wird gewährleistet, dass auch wirklich nur der
Kauf von großen Start-ups unter die Kontrolle fallen
wird . Das kommt auch der Start-up-Szene zugute, nämlich dadurch, dass diese für die Zukunft vor übermächtiger Konkurrenz geschützt wird .
Zweitens . Auch bei der Erbringung unentgeltlicher
Leistungen können Unternehmen eine starke Marktstellung erreichen . Beispiele sind Hotelbuchungs-, Dating- oder Immobilienplattformen . In all diesen Fällen
können wir beobachten, dass sich auch unentgeltliche
Austauschbeziehungen, beispielsweise zwischen Nutzer und Plattform, zu einem kartellrechtlich relevanten
Markt entwickeln können . Und diese Märkte sollten der
Missbrauchs- und Fusionskontrolle der Kartellbehörde
grundsätzlich zugänglich sein . Genau das stellen wir nun
auch im GWB klar, indem wir festschreiben, dass der
Annahme eines Marktes nicht entgegensteht, dass eine
Leistung unentgeltlich erbracht wird . Durch diese Ergänzung ist klar: Auch im Falle einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung kann ein Markt vorliegen und damit das
Kartellrecht grundsätzlich Anwendung finden.
Drittens . Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich
zunehmend sogenannte mehrseitige Märkte, beispielsweise E-Commerce-Plattformen, Betriebssysteme, Kreditkartensysteme oder auch App Stores . Sie alle eint die
Existenz einer Plattform, die zwischen verschiedenen
Nutzern vermittelt, im Falle der E-Commerce-Plattformen etwa zwischen Händler und Konsumenten oder im
Falle von App Stores zwischen den Entwicklern und den
Endgerätenutzern . Auf diesen Märkten beobachten wir
das Phänomen der sogenannten Netzwerkeffekte. Diese
treten nicht nur, aber besonders häufig bei digitalen Plattformen zutage. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen etwa
auf Auktionsplattformen . Diese sind für Verkäufer umso
attraktiver, je mehr Käufer die Plattform nutzen, und andersherum . Jede Nutzergruppe wird also indirekt von der
Entscheidung aller anderen begünstigt, auf der Plattform
aktiv zu sein. Gerade diese Effekte sind dazu geeignet,
eine Monopolbildung zu befördern .
Um dieser Realität besser gerecht werden zu können,
fügen wir im GWB Kriterien zur Beurteilung von Marktmacht neu hinzu, um die Besonderheit von mehrseitigen
Märkten besonders und besser erfassen zu können . Zukünftig wird das Bundeskartellamt bei seiner Bewertung
der Marktstellung eines Unternehmens genau diese ZuHansjörg Durz
sammenhänge berücksichtigen und genau analysieren
können. Die hier beschriebenen Netzwerkeffekte können
also als Markteintrittsbarriere wirken und damit zu einer Gefährdung des Wettbewerbs führen . Die Betonung
liegt dabei auf „können“ . Eine endgültige Aussage wird
auch weiterhin von einer Reihe anderer Faktoren abhängig sein . Um es deutlich zu sagen: Es wird deshalb auch
in Zukunft auf die Prüfung des Einzelfalls ankommen .
Damit sind keine Vorfestlegungen verbunden . Im Gegenteil: Während das Vorliegen von indirekten Netzwerkeffekten wirtschaftliche Konzentration fördern kann, kann
von anderen Eigenschaften digitaler Märkte eine entgegengesetzte Wirkung ausgehen . Wenn zum Beispiel ohne
größeren Aufwand mehrere Plattformen parallel genutzt
werden können, wird einer Monopolisierungstendenz
durch die Möglichkeit der Digitalisierung durch die Konkurrenz genau entgegengewirkt .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Digitalisierung und Vernetzung durch das Internet können einerseits die Wettbewerbsintensität auf Märkten deutlich
erhöhen - hier ist Eucken aktueller denn je -; andererseits können zunehmende Größe und Marktbedeutung
einzelner digitaler Plattformen das Risiko des Marktmissbrauchs in Bezug auf Wertschöpfungsketten fördern, und sie können aufgrund von Netzwerkeffekten
zu Monopolen tendieren . Walter Eucken kam vor dem
Hintergrund der technologischen Entwicklung seiner
Zeit zu dem Schluss, dass technologischer Fortschritt den
Wettbewerb intensiviert . Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie, wie sie sich uns
heute zeigen, konnte er dabei nicht im Auge haben . Wir
dagegen können die richtigen Maßnahmen ergreifen, um
dem sich zeigenden Spannungsfeld besser, schneller und
effektiver gerecht zu werden. Aus diesem Grund stärken
wir mit der GWB-Novelle die Arbeit der Wettbewerbsbehörden .
Gerade im digitalen Zeitalter benötigt fairer Wettbewerb auch ein zeitgemäßes Wettbewerbs- und Kartellrecht zur effektiven Kontrolle und damit zur effektiven
Sicherstellung von Wettbewerb . Die Grundlage dazu
schaffen wir heute. Wir werden uns aber in Zukunft wieder mit der Thematik beschäftigen müssen und das Wettbewerbsrecht an die Entwicklungen der digitalen Märkte
anpassen .
Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit
bedanken .
({0})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Martin
Dörmann, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon angekündigt worden, dass ich einige Anmerkungen zu den medienrelevanten Bestimmungen dieser
Novelle zum Wettbewerbsrecht machen möchte .
Ich will noch einmal herausstellen: Für die SPD-Fraktion ist die Sicherung von Medienfreiheit und Medienvielfalt ein ganz zentrales gesellschaftspolitisches Anliegen .
({0})
Leider müssen wir uns in der heutigen Zeit mit Entwicklungen auseinandersetzen, die beides gefährden, nämlich
mit Fake News, antidemokratischem Populismus, autoritären Regimen, die Regierungspropaganda verbreiten,
und sogar mit der Verfolgung und Inhaftierung von Journalistinnen und Journalisten, etwa in der Türkei, aber
auch in anderen Ländern dieser Welt . All diese Phänomene belegen eindrücklich, wie wichtig eine vielfältige
Presselandschaft ist, wie wichtig gute Recherche und wie
wichtig qualitativ hochwertiger Journalismus für unsere
Freiheit und für unsere Demokratie sind . Deshalb müssen wir das alles stärken .
({1})
Gleichzeitig erleben wir eine tiefgreifende Veränderung der Medienlandschaft . Die fortschreitende Digitalisierung und das Internet haben gravierende ökonomische
und strukturelle Folgen . Die Umsätze von Zeitungen und
Zeitschriften gehen seit vielen Jahren deutlich zurück .
Ich nenne einmal eine Zahl: Im Jahre 2000 erzielten Tageszeitungsverlage in Deutschland noch Gesamterlöse
in Höhe von 10,8 Milliarden, 2015 waren es nur noch
7,6 Milliarden Euro, ein Rückgang von etwa einem Drittel . Die Gründe liegen auf der Hand: Viele Menschen
nutzen verstärkt kostenlose Angebote im Netz, sodass
es weniger Abonnenten gibt . Vor allem aber sind die
Werbeeinnahmen von Printmedien eingebrochen, weil
es eine sehr starke Verlagerung ins Internet gegeben hat .
Deshalb sind die Einnahmen der Printverlage, was die
Tageszeitungen angeht, in den letzten 15 Jahren um über
50 Prozent zurückgegangen . Man kann also konstatieren,
dass hier ein gravierender Wandel stattfindet.
Jetzt sagen viele: Okay, die machen jetzt aber auch Angebote im Internet . - Ich will noch einmal herausstellen:
Es gibt keinen einzigen Zeitungsverlag, der im Moment
mit seinen zusätzlichen Angeboten im Internet schwarze
Zahlen schreibt . Im Gegenteil: Zunächst muss ja investiert werden; die Einnahmen, die dort erzielt werden können, wachsen erst . Erst jetzt gibt es auch Bezahlangebote .
Das wird sukzessive angenommen . Aber am Ende ist es
immer noch so, dass bei den großen Zeitungsverlagen der
Printbereich den Onlinebereich quersubventioniert . Deshalb ist der Kostendruck weiterhin groß . Wozu führt das?
Möglicherweise gibt es weniger Recherche . Redaktionen
werden zusammengelegt . Vielleicht verschwinden sogar
einzelne Titel . - Das ist die Entwicklung, die wir stoppen
müssen;
({2})
denn das ist genau das Gegenteil dessen, was wir für eine
vielfältige Medienlandschaft brauchen .
Die Koalition hat sich bereits im Koalitionsvertrag
vorgenommen, eine bessere Zusammenarbeit der Presseverlage zu ermöglichen . Es geht ausdrücklich nicht
um Fusionen; das sage ich an die Kollegen Lutze und
Janecek gerichtet, die indirekt einen anderen Eindruck
vermitteln wollten . Es geht vielmehr darum, die ökonomische Lage für die Presseverlage zu verbessern, und
zwar indem Kosten gesenkt und mehr Erlöse erzielt werden. Die Kostensenkungen betreffen dabei gerade nicht
die Redaktionen, weil wir nicht bei der redaktionellen
Ebene ansetzen .
Worum geht es konkret? Es geht darum, dass wir eine
Bereichsausnahme für Presseverlage machen, damit sie
in zwei Bereichen zusammenarbeiten können: im Vertrieb, beispielsweise im Abovertrieb, damit sie Portfolios
entwickeln können, die besser angenommen werden, und
in der Anzeigenvermarktung . Ich habe ja gerade dargestellt, wie drastisch die Einnahmen dort gesunken sind .
Wir wollen es ermöglichen, dass sich Zeitungsverlage
mit gemeinsamen Anzeigenangeboten gegenüber den
übermächtigen Mediaagenturen profilieren können, die
heute den Großteil der Umsätze großer Unternehmen im
Bereich Werbung bündeln und sie auf die einzelnen Bereiche - Fernsehen, Internet, Zeitungen - verteilen . Es
ist ja ganz klar, dass ein einzelner Zeitungstitel da keine
Verhandlungsmacht hat . Deshalb müssen Verlage stärker
kooperieren können, um gemeinsame Angebote durchzusetzen .
({3})
Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Dörmann .
Ich komme zum Schluss . - Ich appelliere an die Opposition, weil ich glaube, dass wir beim Thema Pressefreiheit eine große Einigkeit haben sollten: Helfen Sie
mit, gemeinsam diese wichtige Reform auf den Weg zu
bringen! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass mehr Einnahmen für gute Recherche, für starke Redaktionen zur
Verfügung stehen! Damit stärken wir die Presse und den
unabhängigen Journalismus, und das ist genau das, was
wir in der heutigen Zeit brauchen .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Axel Knoerig für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird aktuellen Marktentwicklungen angepasst. Das betrifft insbesondere - das ist heute schon häufig betont worden - die
digitale Wirtschaft . Hier müssen wir den gesetzlichen
Rahmen laufend an den technischen Fortschritt anpassen .
Immer wieder erleben wir, dass große IT-Unternehmen und Internetriesen im Verdacht eines Monopolverhaltens stehen . Sie erinnern sich: Microsoft musste 2012
die Rekordstrafe von 860 Millionen Euro zahlen . Die EU
hat hier einen klaren Fall von Marktmissbrauch erkannt
und richtig gehandelt . Die EU hat auch schon mehrfach
Google überprüft, und das Bundeskartellamt hat Facebook nach der Fusion mit WhatsApp im Visier .
Wir brauchen dringend das sogenannte Kartellrecht 4 .0; denn im Vergleich zur klassischen Wirtschaft
ist die Marktmacht digitaler Unternehmen schwieriger zu
bewerten . Ihr Wert liegt vor allem in Nutzerzahlen und
Daten . Umsatz und Gewinn spielen eine untergeordnete Rolle . Das zeigt das Beispiel Snapchat . Die Foto-App
hat im letzten Jahr über 500 Millionen Dollar Verlust
gemacht . Dennoch hat sie gerade den zweitgrößten
Börsengang der Geschichte hingelegt . Dank 160 Millionen Nutzern wurde der Marktwert auf 25 Milliarden
Dollar beziffert. Wie Sie wissen, ist die Aktie vor wenigen Tagen abgestürzt; jetzt liegt ihr Wert sogar unter
dem Ausgabepreis . Das erinnert ein Stück weit an die
New-Economy-Blase, die wir im Jahre 2001 hatten: völlig überbewertete Gewinnerwartungen und unberechenbare Kursstürze .
Meine Damen und Herren, wir führen nun neue Prüfkriterien zur Bewertung digitaler Marktmacht ein . So
wird bei Fusionen künftig auch der Transaktionswert berücksichtigt . Das heißt: Auch beim Kauf von Firmen mit
geringem Umsatz oder Gewinn prüft das Kartellamt die
Übernahme, und zwar - das hat der Kollege Hansjörg
Durz schon auf den Punkt gebracht - ab einer Summe
von 400 Millionen Euro . Damit sorgen wir für fairere
Wettbewerbsbedingungen in der digitalen Wirtschaft .
Ich möchte jetzt einen Sprung in ein anderes Wirtschaftssegment machen, in die Milchwirtschaft, weil diese Novelle auch Änderungen hinsichtlich Anzapfverbot
und Verkauf unter Einstandspreis beinhaltet . Wir gehen
damit gegen unfaire Handelspraktiken und Preisdumping
vor; denn der Lebensmittelhandel nutzt seine Marktmacht aus, um den Milchbauern Rabatte und ungünstige
Konditionen aufzuzwingen .
Lieber Herr Kollege Held, Sie freuen sich darüber,
dass im Zusammenhang mit der Ministererlaubnis über
16 000 Arbeitnehmer geschützt wurden . Das ist sicherlich richtig . Ich war selber Arbeitnehmer und teile Ihre
Freude; ich weiß, dass das nicht gering zu schätzen ist .
Ich betone aber, dass wir auch 10 000 Milchviehbetriebe
haben, die wirtschaftlich am Ende sind und Insolvenz angemeldet haben, und damit Tausende von Arbeitskräften
ihren Job verlieren .
({0})
Das muss man herausstellen; denn die Medaille hat zwei
Seiten, und man kann nicht nur die eine Seite betrachten .
Der Rohmilchpreis hat sich mittlerweile erholt . Dazu
haben auch unsere zahlreichen Maßnahmen beigetragen,
zum Beispiel die beiden Agrarpakete . Aber die Landwirte brauchen langfristige Perspektiven . Nur so können sie
mit Investitionen die Zukunft ihrer Betriebe sichern und
neu ausrichten . Ich sage: Der Milchmarkt muss neu aufgestellt werden . Wir brauchen bessere Instrumente zur
Marktbeobachtung und sehr wohl auch zur MilchmenMartin Dörmann
gensteuerung . Nur so können die zunehmenden Schwankungen abgefedert werden .
Das Bundeskartellamt hat die Lieferbedingungen
für Rohmilch in Norddeutschland überprüft . Präsident
Mundt hat in einer öffentlichen Anhörung des Deutschen
Bundestages im Januar eine Auswertung angekündigt . Er
hat wörtlich formuliert:
Dieses Papier werden wir veröffentlichen und dann
in einen sehr intensiven Dialog mit allen treten, die
in der Branche beteiligt sind .
Wir vonseiten der Politik müssen uns mit dem Kartellamt, den Marktakteuren und den Verbänden an einem
Tisch zusammensetzen . Ich möchte nicht erleben, dass
wir nach der Markterholung wieder vor denselben Problemen stehen . Deshalb brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz . Dabei sind folgende Fragen zu klären:
Kann die 100-prozentige Andienungspflicht der Landwirte an die Molkereien wegfallen? Was wird aus den
Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen? Wie können
wir das Referenzpreissystem ändern?
Meine Damen und Herren, wir haben also noch viel
vor uns, es ist noch viel zu tun . Mit diesem Gesetz sind
wir für die Milchlandwirte einen Schritt nach vorne gegangen . Wir haben das Anzapfverbot entsprechend verschärft und den Verkauf unter Einstandspreis geregelt,
sodass wir über das Kartellrecht einige positive Signale
nach außen verkünden können .
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Wir
kommen zu den Abstimmungen .
Tagesordnungspunkt 5 a . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen . Der Ausschuss für Wirtschaft und
Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11446, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10207
und 18/10650 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11455 vor, über
den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? - Das sind die Grünen . Wer stimmt da-
gegen? - CDU/CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält
sich? - Die Fraktion Die Linke . Damit ist der Änderungs-
antrag abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/11456 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
abgelehnt .
Tagesordnungspunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-
schaft und Energie auf Drucksache 18/11446 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/10240 mit dem Titel „Par-
laments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen . Wer stimmt dagegen? - Das ist die
Fraktion Die Linke . Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die
Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-
men .
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4817 mit dem Titel „Bußgeldum-
gehung bei Kartellstrafen verhindern - Gesetzeslücke
schließen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 k sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
56 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über
die internationale Rechtshilfe in Strafsa-
chen
Drucksache 18/11140
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes
Drucksache 18/11236
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der
GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016
Axel Knoerig
über die Vorrechte und Immunitäten des
Einheitlichen Patentgerichts
Drucksache 18/11238 ({1})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Rechts zum Schutz vor
der schädlichen Wirkung ionisierender
Strahlung
Drucksache 18/11241
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher
Vorausschätzungen der Bundesregierung
({3})
Drucksache 18/11257
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({4})
Haushaltsausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung
({5}) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016
über Seilbahnen und zur Aufhebung der
Richtlinie 2000/9/EG ({6})
Drucksache 18/11258
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten
Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
Drucksache 18/11276
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter
Güterwagen ({9})
Drucksache 18/11287
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({10})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung
Drucksache 18/11288
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({11})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe
im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des
IGV-Durchführungsgesetzes
Drucksache 18/11292
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({12})
Ausschuss Digitale Agenda
k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes
Drucksache 18/11326
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({13})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über
das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien
MON 810, 1507 und Bt11 ({14})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/11415
Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen, Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 k . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden; sonst wäre
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
es auch nicht unstrittig . Damit sind die Überweisungen
so beschlossen .
Wir kommen nun zu einer strittigen Überweisung, Zusatzpunkt 5: Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/11415 mit dem Titel „Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810,
1507 und Bt11 für den Anbau in der EU“ . Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über
ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD wünschen Überweisung .
Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur
Geschäftsordnung gewünscht wird . Ich erteile der Kollegin Lemke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich beantrage namens meiner Fraktion jetzt
bereits zum vierten Mal eine Abstimmung über die Anträge zur Zulassung von drei Genmaissorten, über die in
Brüssel derzeit diskutiert wird . Die Anträge der Firmen
Monsanto, Dow und Syngenta liegen dort seit letztem
Herbst vor . Wir wollen die Zulassung dieser Genmaissorten auf europäischer Ebene nicht und haben dazu
entsprechende Anträge ins Parlament eingebracht . Die
Koalition aus CDU/CSU und SPD hat in der Vergangenheit die Abstimmung über unsere Anträge bereits dreimal
blockiert und verhindert seitdem auch die Befassung mit
unseren Anträgen in den zuständigen Ausschüssen, inzwischen ohne Angabe von Gründen .
Seit unserem ersten Antrag hat sich die Situation insoweit verändert, als dass es in Brüssel eine Entscheidung
gegeben hat, zwar gegen die Zulassung dieser Genmaissorten, aber ohne qualifizierte Mehrheit, und zwar unter
anderem deshalb, weil sich Deutschland in Brüssel enthalten hat . Die deutsche Bundesregierung ist nicht handlungsfähig:
({0})
Agrarminister Schmidt ist für die Zulassung dieser Genmaissorten, und Bundesministerin Hendricks ist gegen
die Zulassung dieser Genmaissorten .
({1})
Offensichtlich gibt es in dieser Koalition niemanden, der
in der Lage ist, in einer solchen Situation eine Entscheidung herbeizuführen, um Deutschland in Brüssel handlungsfähig zu machen . Deutschland hat sich in dieser
Abstimmung enthalten, was, wie gesagt, zur Folge hatte,
dass seitens der zuständigen Gremien keine Entscheidung getroffen wurde.
Nun steht die Entscheidung im Berufungsausschuss
am 27 . März in Brüssel an; so ist es zumindest angekündigt . Wenn sich das unrühmliche Abstimmungsverhältnis
der deutschen Bundesregierung im Berufungsausschuss
wiederholen sollte - das muss man aufgrund der Vorgeschichte leider annehmen -, dann wird man auch im Berufungsausschuss zu keinem Ergebnis kommen .
({2})
Die Folge dessen ist, dass die EU-Kommission direkt
entscheidet .
({3})
- Das ist zur Geschäftsordnung, Herr Kollege . Aber hallo! Wenn ich zum Inhalt gesprochen hätte, hätte ich Ihnen
ganz andere Sachen vorgehalten .
({4})
Das heißt, dass die Entscheidung nicht von den Mitgliedstaaten und nicht von den nationalen Parlamenten
herbeigeführt wird . Das Europäische Parlament hat sich
übrigens gegen die Zulassung dieser Sorten ausgesprochen . Dort war eine klare Positionierung möglich, die
Sie selbst unserer Fraktion hier im Deutschen Bundestag
verweigern .
Die Kommission wird also wegen der Handlungsunfähigkeit der Mitgliedstaaten und weil sich die Parlamente
wegen Ihrer Blockadehaltung, zumindest in Deutschland,
nicht positioniert haben, die Entscheidung übernehmen,
und das in einer solchen Frage . Sie haben in der Debatte
hier den Verbraucherschutz, die Verbraucherrechte beschworen, die sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern Europas extrem wichtig sind .
({5})
Zwei Drittel der Menschen in Europa wollen keinen
Genmais auf den Äckern und in der Konsequenz auf ihren Tellern .
({6})
Ich fordere Sie jetzt erneut auf: Hören Sie auf, unseren Antrag zu blockieren! Hören Sie auf, Oppositionsrechte zu beschneiden! Wir beantragen hier die Abstimmung über unseren Antrag . Was Sie mit Ihren Anträgen
machen, ist Ihre Angelegenheit bzw . eine Parlamentsentscheidung; aber hören Sie auf, zu verhindern, dass
über unseren Antrag hier abgestimmt werden kann, ausschließlich weil innerhalb der Bundesregierung keine Einigung herbeigeführt werden kann .
An die Kolleginnen von der SPD möchte ich noch
einmal appellieren: Lassen Sie eine Entscheidung, eine
Abstimmung hier im Parlament über unseren Antrag zu!
Ich verstehe ja Ihr Dilemma . Ich verstehe, dass Sie, wenn
sich Ihre Ministerin in der Regierung nicht durchsetzen
kann, ein Erklärungsproblem haben; aber das haben Sie
sowieso . Sie müssen den Menschen eh erklären, warum
die Bundesregierung nicht agiert hat, warum sie nicht gehandelt hat, obwohl die Mitglieder der Regierung, glaube
ich, mehrheitlich gegen die Zulassung dieser GenmaisVizepräsidentin Ulla Schmidt
sorten sind . Zerstören Sie nicht auch noch das Vertrauen
in die Beratungsabläufe in unserem Parlament und in unseren Ausschüssen, wo die Opposition das Recht hat, ihre
Anträge zur Abstimmung zu stellen!
({7})
Vielen Dank . - Frau Drobinski-Weiß, bitte schön .
Danke, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben diesen Antrag heute
zum vierten Mal auf der Tagesordnung im Plenum . Frau
Lemke, Sie haben völlig recht .
({0})
Ich erspare mir alle Murmeltieranspielungen, da wir hier
schon drei Debatten zu diesem Thema hatten . Aber ich
sage Ihnen: Wir werden auch diesmal einer Abstimmung,
wie Sie sie wünschen, widersprechen .
({1})
Ich erkläre das gerne noch einmal, damit Sie es verstehen, damit auch du, lieber Kollege Harald Ebner, das
verstehst .
({2})
Wir sind nun einmal in einer Koalition mit der CDU
und der CSU . Unser Koalitionspartner ist leider - ich
sage es bewusst: leider - nicht so eindeutig gegen die Zulassung der genannten Genmaissorten in Brüssel, wie wir
es sind bzw . das von der SPD-geführte Umweltministerium; Frau Lemke hat das ja schon ausführlich dargestellt .
({3})
Immerhin hat es bisher verhindert, dass es eine Zulassung auf der EU-Ebene gibt,
({4})
und zwar durch eine Enthaltung . Sie wissen, dass die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien das
so vorsieht .
Ich sage es jetzt noch einmal ganz deutlich, auch dir,
lieber Harald: Wir wollen uns hier nicht ständig von euch
vorführen lassen .
({5})
Ihr kennt unsere Haltung . So etwas lehnen wir einfach
ab. Trotz aller Differenzen, die wir mit unserem Koalitionspartner haben, gehört es sich, bei solchen Anträgen
Einigkeit zu erzielen . Das wissen auch die Grünen, die ja
auch schon Regierungserfahrung gesammelt haben .
({6})
Wir werden Ihren Antrag also wieder an den Ausschuss
überweisen .
({7})
Ich finde es auch nicht gut, dass der zuständige Landwirtschaftsminister Schmidt, der ja gentechnikfreie
Äcker in ganz Deutschland nicht haben will, sein Ministerium bei einer Abstimmung in Brüssel nicht für eine
Ablehnung stimmen lässt .
({8})
- Nein, das können wir nicht .
({9})
Ich finde diese Haltung, um das auch einmal zu sagen, nicht in Ordnung . Unser Bundesumweltministerium
positioniert sich dazu Gott sei Dank anders . Aber es gehört sich einfach, dass wir vor einer Abstimmung in der
Koalition, auch wenn es noch so schwerfällt, Einigkeit
erzielen . Deshalb wollen und werden wir heute hier nicht
abstimmen, sondern beantragen die Überweisung in den
Ausschuss .
Haben Sie herzlichen Dank .
({10})
- Ja, zum vierten Mal .
Vielen Dank . - Dann stimmen wir nach ständiger
Übung zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11415 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und zur
Mitberatung an den Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union . Wer stimmt für diese Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit
ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition beschlossen,
und wir stimmen heute über den Antrag auf Drucksache 18/11415 nicht in der Sache ab .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a bis 57 f auf .
Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 57 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten EntSteffi Lemke
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
19. Februar 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Drucksache 18/11138
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/11421
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11421, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11138 anzunehmen . Wir kommen zur
zweiten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 57 b bis 57 f .
Tagesordnungspunkt 57 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 411 zu Petitionen
Drucksache 18/11191
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 411 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 57 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 412 zu Petitionen
Drucksache 18/11192
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 412 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 57 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 413 zu Petitionen
Drucksache 18/11193
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 413 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 57 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 414 zu Petitionen
Drucksache 18/11194
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 414 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 57 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 415 zu Petitionen
Drucksache 18/11195
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 415 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der
Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ gemäß § 4 des Entsorgungsfondsgesetzes
Drucksache 18/11406
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/11406? - Wer stimmt dagegen? - Der
Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung
des Strafverfahrens
Drucksache 18/11277
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({6})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange für die Bundesregierung das Wort . - Bitte schön .
({7})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Strafjustiz arbeitet in hohem Maße effektiv. Die Staatsanwaltschaften haben im
Jahr 2014 allein mehr als 4,5 Millionen Verfahren bearbeitet . In diesem Zeitraum haben die Strafgerichte weit
über 700 000 Gerichtsverfahren erledigt . Dabei wird eine
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Vielzahl der Verfahren innerhalb kurzer Zeit, nämlich im
amtsgerichtlichen Verfahren innerhalb von drei Monaten,
abgeschlossen .
Aber es gibt zunehmend Strafverfahren, die die Justiz vor große Herausforderungen stellen . Deshalb hat
der Bundesjustizminister zu Beginn der Legislaturperiode eine Expertenkommission gebeten, Vorschläge zur
weiteren Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit der Strafjustiz zu erarbeiten . Der Gesetzentwurf,
über den wir heute in erster Lesung beraten, greift die
Empfehlungen dieser Kommission auf . Er betont dabei,
dass sich eine Effektivierung des Strafverfahrens nicht
allein auf Beschleunigungs- und Vereinfachungsaspekte
beschränken darf. Effektivierung des Strafverfahrens bedeutet auch und vor allem, die bestmögliche Feststellung
des wahren Sachverhalts als zentrale Grundlage schuldangemessenen Strafens durch zeitgemäße strafprozessuale Regeln zu fördern . Genau das wollen wir tun .
Im Mittelpunkt unseres Gesetzentwurfes steht deshalb
die Regelung zur audiovisuellen Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen . Die Expertenkommission hat
hierzu in ihrem Abschlussbericht völlig zu Recht festgestellt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Protokollierung
dieser Vernehmungen nicht dem Stand und den Möglichkeiten des 21 . Jahrhunderts entsprechen .
({0})
Die Praxis hält trotz bereits vor Jahren geschaffener Möglichkeiten der Bild-Ton-Aufzeichnung weitgehend an den
überkommenen Protokollierungen in Form schriftlicher
Inhaltsprotokolle fest . Sie schöpft damit die Möglichkeiten nicht aus, durch eine präzise, wortgenaue Aufzeichnung der Vernehmungsinhalte die Wahrheitsfindung als
zentrale Aufgabe der Strafverfahren entscheidend zu verbessern . Deshalb wollen wir die Bild-Ton-Aufzeichnung
jetzt jedenfalls bei Kapitaldelikten und bei besonders
schutzbedürftigen Beschuldigten verpflichtend anordnen
und Ausnahmen hiervon nur noch in ganz engen Grenzen
zulassen .
({1})
Die audiovisuelle Dokumentation des Vernehmungsgeschehens ist der Mitschrift durch die vernehmenden
Beamten weit überlegen . Das gilt gerade bei schweren
Tatvorwürfen mit oft langwierigen Beschuldigtenvernehmungen . Die Aufzeichnung der Vernehmung ist in
diesen Fällen auch deshalb besonders effektiv, weil sie
das Vernehmungsgeschehen objektiv und für jeden Verfahrensbeteiligten später auch nachvollziehbar abbildet .
Zweifel am Vernehmungsergebnis oder an der Art, wie
ein Geständnis zustande gekommen ist, kommen deshalb
erst gar nicht auf .
({2})
Häufig wirkt sich dies auch im weiteren Verfahren, etwa
durch den Verzicht auf die Vernehmung der Vernehmungsbeamten, positiv aus .
Eine effektive Verfahrensgestaltung erfordert immer
auch ein transparentes und kommunikatives Verhandeln .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Verständigung ganz ausdrücklich
betont, dass eine offene, kommunikative Verhandlungsführung der gesamten Verfahrensführung dienlich ist
und daher eine selbstverständliche Anforderung an die
sachgerechte Prozessleitung darstellt . Unser Gesetzesvorhaben sieht deshalb vor, die Grundsätze von Kommunikation und Transparenz auch im Gesetz weiter zu verankern und die hierzu bereits bestehenden Regelungen
zu ergänzen .
({3})
Die Pflicht des Gerichts, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung in umfangreichen Verfahren vorab mit den
Beteiligten abzustimmen, gehört dabei zu den eigentlich
selbstverständlichen Anforderungen an eine kommunikative Verhandlungsführung .
({4})
Dies gilt gleichermaßen für die Pflicht des Gerichts, dem
Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung das Wort zu
geben .
Natürlich enthält der Gesetzentwurf darüber hinaus
auch zahlreiche Regelungen, die auf eine Beschleunigung der Verfahrensabläufe abzielen,
({5})
ohne dabei in die Verfahrensgrundrechte der Beteiligten
einzugreifen . Beispielhaft für die vielen Gesetzesänderungen, die der Entwurf hierzu enthält, nenne ich hier
nur die neue Vorschrift zur Fristsetzung für Beweisanträge, die erst zum Schluss der Hauptverhandlung gestellt
werden . Ein Beweisantrag, der erst nach Ablauf der vom
Gericht hierfür gesetzten Frist gestellt wird, ist danach
nicht etwa unzulässig . Das wäre mit den Grundsätzen des
Strafverfahrens und den Beschuldigtenrechten nicht zu
vereinbaren . Das Gericht kann aber künftig solche Anträge, wenn es sie für unbegründet hält, im Urteil und nicht
durch immer neue Beschlüsse in der laufenden Hauptverhandlung, die das Verfahren verzögern, ablehnen .
Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetzentwurf wird damit dem Ziel, das Strafverfahren praxistauglicher und zugleich effektiver auch im Sinne der
Verbesserung von Kommunikation, Transparenz und
Dokumentation auszugestalten, mit all seinen Inhalten
gerecht . Ich bitte Sie deshalb um wohlwollende Beratung
und schließlich um Zustimmung .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Als nächster Redner kommt Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wohlwollende Beratung“, Herr Staatssekretär? Als ich
den Referentenentwurf und den Gesetzentwurf das erste
Mal auf den Tisch bekommen habe, habe ich mich zunächst gefreut,
({0})
steht doch dort in der Problembeschreibung - ich zitiere
jetzt einmal -:
Diese . . . anspruchsvolle Aufgabe wird für die Strafgerichte in der täglichen Praxis noch dadurch erschwert, dass sie sich einer dauerhaft hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sehen . . .
Und:
Der Staat ist . . . von Verfassungs wegen gehalten,
eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum
Durchbuch verholfen werden kann .
Starke Worte, habe ich gedacht . Und: Jau, endlich hat es
sich bis zur Regierung herumgesprochen, dass die Justiz
personell unterbesetzt ist . Ich bin ja selbst Richter und
weiß, wie die Arbeitsbelastung schon vor Jahren war .
Nach Auskunft meiner Kollegen ist die Situation auch
nicht besser, sondern schlechter geworden .
Jetzt geht es los, dachte ich. Aber dann fiel mir wieder
der Föderalismus ein . Ich weiß ja auch, dass die Justiz
Ländersache ist .
({1})
„Hei, wer hat denn da gehudelt?“, habe ich gedacht . Und:
Wie will die Bundesregierung das denn regeln? Zwei
Sätze weiter wurde ich dann aufgeklärt . Denn man beabsichtigt - Zitat -,
… das bestehende Regelungsgefüge unter Wahrung
der genannten Ziele des Strafverfahrens an die sich
ändernden Rahmenbedingungen anzupassen .
Anders ausgedrückt: Man möchte versuchen, die Sache
mit dem vorhandenen - zu wenigen - Personal doch noch
einigermaßen zu regeln, damit, wie schon zitiert, der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden kann .
({2})
Im Vergleich zum Referentenentwurf, der sich stark
auf die Stärkung der Beschuldigtenrechte konzentrierte,
wurde der vorliegende Gesetzentwurf deutlich reduziert .
So ist beispielsweise die Möglichkeit des Beschuldigten,
einen Pflichtverteidiger zu beantragen, nicht mehr enthalten . Die erste Vernehmung des Beschuldigten kann
unabhängig vom Tatvorwurf in Bild und Ton aufgezeichnet und später in der Hauptverhandlung vorgeführt werden . Bislang ging dies nur bei richterlichen Protokollen .
Nun kennt man ja aus diversen Krimis - aus dem Tatort und was weiß ich, wie sie alle heißen - polizeiliche
Vernehmungen . Wenn ich mir vorstelle, dass so etwas in
echt passiert und aufgezeichnet wird, muss ich sagen:
Ich möchte mir das nicht vorstellen . Kopfkino ist ganz
schrecklich .
Entfallen ist auch das ursprünglich vorgesehene Verbot der Überwachung von Anbahnungsgesprächen zwischen inhaftierten Mandanten und Verteidigern . Warum?
Auch war zuvor vorgesehen, bei umfangreichen Verfahren die Termine mit der Verteidigung, der Staatsanwaltschaft und den Nebenklagevertretern zu erörtern Sie haben es erwähnt, Herr Staatssekretär -, wobei mit
„umfangreich“ gemeint war: mehr als drei Termine . Inzwischen ist dies nur noch ab mehr als zehn Terminen
erforderlich . Das Recht des Verteidigers, eine Erklärung
zur Anklage abzugeben, wurde ebenfalls auf entsprechend lange Verfahren reduziert . Gut, ob drei oder zehn
Tage, darüber kann man streiten .
Ziel dieser Regelung soll ja unter anderem sein, spätere Streitigkeiten in der Hauptverhandlung zu vermeiden oder ihnen vorzubeugen . Späteren Streitigkeiten in
der Hauptverhandlung vorbeugen? Hallo? Streitigkeiten in der Hauptverhandlung sind ja etwas ganz Neues .
Ich selbst war über zwölf Jahre Strafrichter . Ich dachte,
Staatsanwalt und Verteidiger sind immer einer Meinung,
haben sich lieb, und am Ende muss man gar kein Urteil
sprechen, sondern einen Vergleich herbeiführen .
({3})
- Für diejenigen, die es nicht verstanden haben: Das war
Sarkasmus .
({4})
- Ich habe mir zwar gedacht, dass einige das nicht verstehen, aber eigentlich dachte ich, bei der SPD; aber gut .
Leider macht der Regierungsentwurf die guten Vorschläge, die im Referentenentwurf enthalten waren,
rückgängig . Dagegen bleiben kritikwürdige Regelungen
weiter enthalten . Typisch! Dass DNA-Ergebnisse künftig auch gegen Verwandte verwendet werden können,
scheint jedenfalls problematisch . Ich sehe auch die Erfolgsaussichten von DNA-Reihenuntersuchungen stark
infrage gestellt . Bislang gab es immer den Druck: Wenn
ich mich weigere, dann gerate ich selber in Verdacht .
Aber jetzt kann man sagen: Wenn ich mitmache, kann
die ganze Verwandtschaft in Verdacht geraten . Ob Erfolg
dann tatsächlich noch garantiert ist, bezweifle ich wirklich .
Die geltende Frist zur Stellung von Beweisanträgen
schränkt ebenfalls die Möglichkeiten der Verteidigung
ein . Ebenso ist die vorbehaltlos erweiterte Möglichkeit
zur Verlesung ärztlicher Atteste zumindest zu hinterfragen .
Na ja, es folgen ja die, wie Sie schon sagten, guten
Beratungen . Schauen wir einmal, was wir in den Beratungen noch retten können . Auf alle Fälle wäre, um eine
funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten, deutlich mehr Personal erforderlich, um der Gerechtigkeit
endlich zum Durchbuch zu verhelfen . Zeit dafür wird es
allemal .
Danke schön .
({5})
Danke, Herr Kollege . - Als nächster Redner spricht
Dr . Patrick Sensburg von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die sogenannte StPO-Reform war eines - so
wurde es von Justizminister Maas angekündigt - der
wichtigsten und größten rechtspolitischen Vorhaben
({0})
dieser Legislaturperiode .
({1})
Die Ziele waren hochgesteckt, und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe mich gefreut, für dieses Thema Berichterstatter zu sein, weil es wichtig ist, den Strafprozess
um viele Dinge zu entschlacken und zu vereinheitlichen
und die vielen Änderungen, die es in den letzten Jahren
in der StPO gegeben hat, einmal zu harmonisieren .
Ursprünglich sollte der Strafprozess vom Ermittlungsverfahren über das Zwischen-, das Haupt- und das
Rechtsmittelverfahren bis hin zum Vollstreckungsverfahren reformiert und effektiver gestaltet werden. Dafür
wurde beim Justizministerium eine Expertenkommission
eingesetzt, die sich das alles angucken und entsprechende Vorschläge machen sollte .
({2})
Diese Kommission hat am 7 . Juli 2014 ihre Arbeit aufgenommen und eine Auftaktsitzung durchgeführt . In der
Folge fanden viele weitere Sitzungen statt, und es wurde
versucht, dieses große Thema zu strukturieren .
Die Erwartungen wurden aber schnell gedämpft, weil
man gemerkt hat, dass der große Wurf einer Strafprozessreform, durch die der Strafprozess effektiver gestaltet
und verschlankt werden sollte und im Endeffekt die unterschiedlichen Normen harmonisiert werden sollten das war ja das Ziel zu Beginn -, gar nicht gelingen konnte. Bestimmte Dinge fielen ganz über Bord, zum Beispiel
das Vollstreckungsverfahren . Das gesamte Rechtsmittelverfahren sollte harmonisiert und effektiver gestaltet
werden . Davon blieb nur rudimentär etwas übrig . Auch
andere Punkte, wie gesagt, wurden am Ende nur noch
als punktuelle Reförmchen vorgeschlagen . Eine große, in
sich geschlossene Reform war es dann eben nicht mehr .
Wir hatten im Koalitionsvertrag folgendes Ziel vereinbart - ich zitiere -:
Wir wollen das allgemeine Strafverfahren und das
Jugendstrafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher
ausgestalten . Dazu wird eine Expertenkommission
bis zur Mitte dieser Wahlperiode Vorschläge erarbeiten .
Was ist geblieben? Es blieb leider nur ein Sammelsurium von einzelnen Regelungen, die mit Beschleunigung
und Effektivität leider nur teilweise etwas zu tun haben.
An anderen Punkten muss man leider über Verlängerung,
Erschwerung oder auch rechtsstaatliche Bedenken diskutieren .
Statt eine Vereinfachung des Strafprozessverfahrens
vorzufinden, muss man schauen, ob beispielsweise die
im Referentenentwurf noch enthaltenen § 148 Absatz 2
StPO zur Neuregelung der sogenannten Anbahnungsgespräche und § 73 Absatz 3 StPO zur Sachverständigenauswahl oder der im Gesetzentwurf vorgesehene
§ 141 Absatz 3 StPO zur gerichtlichen Überprüfung der
Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren wirklich zu einer Beschleunigung führen können .
Ich glaube eher, wir reden hier von einer Verzögerung
und eben nicht von einer effektiven Ausgestaltung.
Herr Staatssekretär, in Bezug auf die effektive Gestaltung haben Sie hier einen Punkt angesprochen . Ich hätte
mir gewünscht, es wäre jetzt ein ganzes Sammelsurium
von Normen und Regelungen vorgelegt worden, das den
Strafprozess, wie wir es im Koalitionsvertrag festgehalten haben, effektiver gestaltet hätte. Dieser Gesetzentwurf enthält einiges - das gestehe ich zu -, aber unter
dem Strich ist es viel zu wenig .
Unbefriedigend ist das, was wir seit langem bemängeln: Es fehlt an einer Regelung zur sogenannten Quellen-TKÜ, also der Quellen-Telekommunikationsüberwachung . Dazu enthält dieser uns aktuell vorliegende
Gesetzentwurf leider nichts. Ich finde es schade, dass
der Justizminister, der wahrscheinlich gerade im Richterwahlausschuss ist, jetzt nicht hier ist . Er hat gute Ansätze,
zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung und anderen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, vorangebracht . Ich glaube, kein Justizminister hat bisher so
viel in Bezug auf die Überwachung der Telekommunikation gemacht wie Justizminister Maas .
({3})
Bei der Quellen-TKÜ scheint er aber kalte Füße bekommen zu haben . Dementsprechend wird er sie hier nicht
vertreten wollen .
Wenn man einmal hinschaut, dann sieht man - das
finde ich besonders traurig -, dass dieser Gesetzentwurf
die Quellen-TKÜ nicht enthält . Ich habe gehört, es würde ein separater Gesetzesvorschlag vorgelegt werden,
der sie enthält . Der § 100a StPO werde gerade zwischen
dem Innenministerium und dem Justizministerium koordiniert . Ich wundere mich schon, dass die Quellen-TKÜ
nicht in diesem Gesamtpaket, über das wir jetzt seit Monaten diskutieren, enthalten ist und hinterhergeschoben
werden soll .
Ich muss sagen: Das ist keine gute Zusammenarbeit
zwischen dem Ministerium und dem Parlament . Ich
würde mir wünschen, einen in sich geschlossenen Gesetzesvorschlag zu erhalten . Da kann ich nur sagen: Herr
Minister, hören Sie auf das, was die JuMiKo im Sommer
letzten Jahres gefordert hat, nämlich die Quellen-TKÜ .
Oder hören Sie auf das, was im November letzten Jahres
der Generalbundesanwalt auf der Tagung der Generalanwälte gefordert hat . Die haben noch einmal ganz deutlich
gesagt, dass wir die Quellen-TKÜ brauchen . Ich empfehle: Hören Sie auf Ihre Leute .
Ein besonderes Problem scheint mir - das ist gerade
angesprochen worden - die audiovisuelle Aufzeichnung
zu sein, die laut dem Gesetzentwurf in § 136 StPO geregelt wird . Ich habe nicht jeden Gedanken von Ihnen, Herr
Kollege Wunderlich, was seine Stringenz angeht, nachvollziehen können, aber ich habe Ihre Bedenken gehört .
Auch ich teile Bedenken in Bezug auf die Ausgestaltung
der audiovisuellen Aufzeichnung . Natürlich wird man,
wenn man von Anfang an vor einer Videokamera sitzt,
ganz anders agieren . Es wird ein ganz anderes Verhalten von Zeugen geben . Dann muss man auch noch - das
muss man ja sagen - auf die Revisionsseite schauen .
Wenn wir damit eine Vielzahl von Revisionsgründen
schaffen, dann frage ich mich: Erleichtert die audiovisuelle Aufzeichnung wirklich etwas? Oder handelt es sich
im Kern dann um die Schaffung von Revisionsgründen
für Verteidiger? Das kann nicht das Ziel sein . Darüber
werden wir in der parlamentarischen Debatte noch einmal intensiv reden müssen .
Ich kann nur empfehlen, die audiovisuelle Aufzeichnung nicht als verpflichtende Regelung - wie Sie, Herr
Staatssekretär Lange, es gerade noch einmal betont haben - zu schaffen. Wir sollten sie auch nicht als Kannregelung einführen . Vielmehr sollte es da - wie es bis
jetzt der Fall ist - eine Sollregelung geben, welche die
Möglichkeit schafft, eine Aufzeichnung durchzuführen.
Es sollte aber weder eine Verpflichtung noch einen intendierten Zwang mit einer Sollvorschrift geben . Ich glaube,
die Gerichte können sehr gut entscheiden, wann sie eine
audiovisuelle Aufzeichnung brauchen und wann nicht .
Ich könnte, wenn ich mehr Zeit hätte, nach dem Ansprechen all dieser Themen noch sehr viele andere Punkte anführen; denn dieser Gesetzentwurf enthält sehr viele
Details . Das muss man dem Justizministerium lassen:
Es ist zwar kein großer Wurf geworden, aber an vielen
Punkten sind Ansätze vorhanden, die zu unterstützen
sind . Wir müssen sie aber intensiv diskutieren . Beispielsweise müssen wir diskutieren, wie es mit der Zeugenvernehmung bei der Polizei aussieht, die jetzt verpflichtend
sein soll . Der Zeuge muss also hingehen . Die Frage ist,
wie denn die Folgen sind, wenn der Zeuge da nicht erscheint . All das erscheint mir unter dem Blickwinkel des
geplanten Zeitrahmens, den sich das Justizministerium
wünscht, verdammt schwierig zu sein .
Wir wollen die Anhörung schon am 29 . März durchführen . So haben wir es im Rechtsausschuss beschlossen .
Das Gesetz soll bereits am 27 . April, also in knapp sechs
Wochen, beschlossen werden . Wir wollen im Deutschen
Bundestag ein Gesetz dieser Komplexität - wo Einzelregelungen in der gesamten Strafprozessordnung geändert
werden sollen - in sechs Wochen beschließen .
({4})
Ich glaube, wir sollten uns da wirklich etwas mehr Zeit
gönnen und in die einzelnen Regelungen hineinschauen,
um dann hinterher ein gutes Gesetz - es zeitigt ja intensive Eingriffe in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern - zu haben .
Ich glaube, wir müssen diskutieren, ob wir die Quellen-TKÜ noch gemeinsam mit dem Gesetz regeln sollten .
Wir haben die Regelung des § 81a StPO, also den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme . Darüber diskutieren
wir übrigens schon seit der letzten Wahlperiode . All das
müssen wir in einem geschlossenen Gesamtkontext sehen . Von daher würde ich mir wünschen, dass wir das
in Ruhe und mit Qualität machen, und nicht mit einem
Schnellschuss mit vielen Einzelregelungen, die dann hinterher noch weniger zusammenpassen, als es vor dieser
Reform der Fall war .
Der Kollege Dörflinger hat heute Morgen in der Debatte über Europa unseren Bundestagspräsidenten Norbert
Lammert zitiert . Der hat gesagt: Ein Parlament hält sich
eine Regierung, und nicht eine Regierung ein Parlament .
Ich würde mir wünschen, dass wir in der jetzt kommenden Debatte den Entwurf insgesamt so kooperativ
diskutieren, dass wir dabei ein gutes Ergebnis herausbekommen, indem wir all die genannten Aspekte einbringen, diskutieren und dann zu einem runden Gesamtpaket
schnüren . Denn so, wie es jetzt aussieht, sehe ich noch
keine StPO-Reform . Ich sehe viele einzelne Komponenten . Manche sind sehr gut, manche sind noch verbesserungsfähig, und manche halte ich noch nicht einmal in
Bezug auf den Bestimmtheitsgrundsatz für verfassungsgemäß . Da gibt es noch viel Arbeit für das Parlament .
Ich wünsche uns intensive Beratungen . Dem Gesetzentwurf in dieser Form kann ich so nicht zustimmen .
Auch kann ich seine Annahme nicht empfehlen .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Das Wort hat nunmehr Hans-Christian
Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich vermisse hier den Justizminister .
({0})
- Ja, aber man hätte den Minister angesichts dieses großen Projektes, bei dem es um eine große StrafverfahrensDr. Patrick Sensburg
novellierung geht, hier vielleicht erwarten können . Ich
hätte ihn auch gerne einmal gefragt, ob er das, was er
angekündigt hat, wirklich gemeint hat . Denn das kann ja
wohl nicht wahr sein .
Das, was hier neu sein soll - das hat Herr Lange vorhin hier dargestellt -, wird ganz überwiegend schon seit
den 70er-Jahren praktiziert . Dass bei Großverfahren eine
Vorbesprechung mit dem Vorsitzenden Richter stattfindet, war immer so . Ich kann mich an keinen Großprozess
erinnern - ich war bei vielen dabei -, bei denen das nicht
gemacht worden ist .
Oder das Erklärungsrecht des Verteidigers im Strafprozess . Ich habe als Verteidiger viele Erklärungen abgegeben . Ich habe es nicht einmal erlebt, dass jemand auch
nur Bedenken dagegen geäußert hätte . Auch die Fristsetzung bei Beweisanträgen am Ende der Beweisaufnahme
ist das übliche Verfahren . Wenn das Gericht mit seinem
Pensum fertig ist, dann wird gefragt: Welche Anträge
werden von der Verteidigung noch gestellt? Dann werden sie gestellt, und dann werden sie entschieden . Auch
das ist normal .
Nehmen wir einmal an, aus einem Antrag ergibt sich
ein wichtiger Beweisantrag und die Entscheidung darüber wird in das Urteil verlagert . Wenn der Beweisantrag im Urteil zu Unrecht abgelehnt wird, dann hat das
möglicherweise zur Folge, dass der Prozess von vorne
begonnen werden muss . Es ist besser, im Prozess wird
über Anträge mit Rede und Gegenrede entschieden, ohne
das Ganze zu vertagen .
Was übrig geblieben ist, ist ein ganz kleiner Ansatz für
eine audiovisuelle Aufzeichnung im Vorverfahren oder
für Gerichtsverfahren selber . In der Tat verlaufen Strafprozesse in Deutschland wie vor 100 Jahren . Da sitzt bei
nicht so schwerwiegenden Fällen der Amtsrichter, möglicherweise mit Schöffen, im Gerichtssaal. Dieser schreibt
möglichst mit, was die Zeugen oder der oder die Angeklagte äußern . Die Protokollführerin oder der Protokollführer, der Staatsanwalt und auch der Verteidiger schreiben mit und bemühen sich dabei, das festzuhalten, was
tatsächlich gesagt worden ist . Wenn man sich das nachher einmal durchliest, dann stellt man fest: Das hat mit
dem, was wirklich gesagt worden ist, häufig nur ganz am
Rande zu tun . Jeder hat etwas anderes aufgeschrieben .
Warum kann man in einem modernen Staat, in dem
es einfache Möglichkeiten gibt, Vernehmungen und Befragungen aufzuzeichnen, kein Tonband mitlaufen zu
lassen? Jetzt sage ich schon „Tonband“, diese sind ja
ebenfalls veraltet . Ich meine natürlich einen Tonträger,
auf dem alles aufgezeichnet wird und mit dessen Hilfe
man feststellen kann, vielleicht kurz vor oder in der Urteilsberatung, was tatsächlich gesagt worden ist .
Genauso ist es natürlich bei großen Prozessen . Manche Prozesse dauern Monate oder Jahre . Am Ende des
Prozesses soll man noch wissen, was an einem Tag von
einem Zeugen gesagt oder einem anderen Zeugen nicht
gesagt worden ist . Das könnte man dann mit einer Aufzeichnung nachprüfen .
Die große Expertenkommission, die das Justizministerium eingesetzt hat, hat dazu Empfehlungen gegeben .
Was ist davon übrig geblieben? Über die Möglichkeit, in
der Hauptverhandlung eine Aufzeichnung einzuführen,
wird nichts ausgesagt . Das kommt in dem Gesetzentwurf
überhaupt nicht vor . Ausgesagt wird lediglich etwas über
die Vernehmung des Beschuldigten . Da kann - ich betone: kann - dieses Verfahren angewandt werden . Zwingend ist das aber nur bei Verfahren - Herr Lange, Sie
haben von einer „großen Entlastung“ gesprochen - bei
einer einzigen Straftat: Es muss sich um ein Tötungsdelikt handeln . Wie viele Verfahren von den Strafverfahren
in Deutschland betreffen ein Tötungsdelikt? Ich schätze
diese Zahl auf weit unter 1 Prozent .
({1})
Sie schaffen hier eine Regelung, die an anderer Stelle dringend erforderlich wäre . Im Vorverfahren sollten
Zeugenvernehmungen zumindest auf Tonträger aufgenommen werden, damit am Ende der Hauptverhandlung
mit Beweis und Gegenbeweis, nach der Anhörung von
neuen Zeugen und den Aussagen von Wachtmeistern und
Kriminalbeamten nicht gefragt wird: Was hat der Zeuge
im Vorverfahren, was hat der Beschuldigte gleich nach
seiner Festnahme in der ersten Vernehmung wirklich
gesagt? Das, was der Kriminalbeamte mühsam in seine
Schreibmaschine hackt, ist meistens nicht das, was tatsächlich gesagt worden ist . Da kann man viel schreiben .
An diesem Punkt hätten Sie wirklich zu einer Entlastung
des Verfahrens beitragen können . Das haben Sie nicht gemacht, weil Sie sich nicht einigen konnten .
Natürlich gab es dazu in der Expertenkommission sehr
unterschiedliche Auffassungen. Ich selbst habe an einem
Strafverteidigertag teilgenommen, bei dem dafür eine
eigene Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um diese Frage
zu diskutieren. Da bestand unisono die Auffassung, und
zwar von Richtern, von anwesenden Staatsanwälten und
von Rechtsanwälten, dass man eine Aufzeichnung ganz
dringend braucht .
Lassen Sie uns einen Strafprozess mit modernen Mitteln gestalten, auch mit modernen Kommunikationsmitteln . Der Federkiel ist längst beseitigt; heute ist es der
Kugelschreiber . Lassen Sie ihn uns in möglichst vielen
Fällen durch elektronische Aufnahmen ersetzen . Dann
haben die übrigen Prozessbeteiligten genügend Möglichkeiten und Fähigkeiten, die sie ausleben können, ein Verfahren wirklich mitzuerleben und zur Wahrheitsfindung
das Mögliche beizutragen, und müssen sich nicht mit ihrer Schrift herumärgern .
({2})
Herr Kollege, das war ein guter Schlusssatz .
Es gibt viele Möglichkeiten . Machen Sie Gebrauch
davon! Eine Renovierung des gesamten StrafverfahrensHans-Christian Ströbele
rechts ist dringend erforderlich . Dieser Gesetzentwurf
leistet das überhaupt nicht .
({0})
Vielen Dank . - Als Nächste hat das Wort die Kollegin
Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu den
Aufgaben des Staates gehört auch, eine funktionierende
Strafrechtspflege zu gewährleisten. Das bedeutet, dass
prozessuale Vorschriften laufend auf Tauglichkeit, Zeitgemäßheit und Effektivität hin zu überprüfen sind.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens reformiert die Strafprozessordnung an wichtigen
Stellen und ermöglicht eine Verfahrensvereinfachung
und Verfahrensbeschleunigung, die zugleich die Rechte
der am Verfahren Beteiligten wahrt . Er basiert auf der
Untersuchung aller Verfahrensabschnitte des Strafverfahrens durch eine Expertenkommission .
({0})
Der Grat, Herr Ströbele, auf dem wir uns bei diesem Vorhaben bewegen, ist schmal . Wir wollen und müssen den
Strafanspruch des Staates durchsetzen . Gleichzeitig sind
die Grundrechte der mit Strafe Bedrohten zu sichern und
zu gewährleisten .
Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle in den Fokus stellen . Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der DNA-Analyse erzielt . Augen-,
Haar- und Hautfarbe einer Person lassen sich mit hoher
Wahrscheinlichkeit bestimmen . Denjenigen, die meinen,
dass dadurch eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen
erfolge, halte ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige entlastet werden, die vielleicht vorher unter
Generalverdacht standen. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahndung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten völlig sinnlos . Wenn die technischen Möglichkeiten diese wichtigen Hinweise für die Ermittlungsarbeit
liefern, muss die Polizei, müssen die Ermittlungsbehörden in der Lage sein, diese auch zu nutzen .
Davon getrennt zu betrachten sind die sogenannten
Beinahetreffer. Hierzu gab es vor einigen Jahren eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass, so die bisherige Rechtslage, die bei einer Reihenuntersuchung gewonnene Information, dass die DNA eines Untersuchten
zwar nicht mit der Tatort-DNA identisch ist, aber ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, weder hätte gewonnen
noch verwertet werden dürfen . In dem damaligen Fall
wurde die erfolgte Verurteilung gleichwohl nicht aufgehoben . Aber es wurde deutlich auf bestehende Zweifel
an der Verwertbarkeit derartiger Informationen hingewiesen . Um diese Zweifel zu beseitigen und klarzustellen, dass diese Informationen verwertet werden dürfen,
erfolgte die Anpassung in dem Entwurf .
Insgesamt darf bei der Bewertung dieser Fragen nicht
aus den Augen verloren werden, dass es um die Aufklärung von schweren Straftaten geht . Wenn also Wissenschaft dabei helfen kann, Verbrechen aufzuklären, sollte
das auch möglich sein und sollte falsche Rücksichtnahme
nicht dazu führen, dass zum Beispiel Mörder geschützt
werden .
({1})
Der zweite wichtige Punkt, den ich herausgreifen
möchte, betrifft den Bereich der Verbesserung der Dokumentation des Ermittlungsverfahrens . Der Entwurf
knüpft an die jüngst aus Opferschutzgründen erweiterten
Regelungen zur audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen an und will diese moderat auch auf
einen begrenzten Bereich der Beschuldigtenvernehmung
ausdehnen .
({2})
Bei vorsätzlichen Tötungsdelikten - Herr Ströbele, eine
Sekunde; ich komme jetzt dazu - sowie bei besonders
schutzbedürftigen Personen sollen Vernehmungen des
Beschuldigten im Ermittlungsverfahren grundsätzlich
in Bild und Ton aufgezeichnet werden . Das Recht des
Beschuldigten, in der Hauptverhandlung aussagen zu
können und gehört zu werden, wird dadurch also nicht
beschnitten .
Ich habe eingangs gesagt, dass der Grat, auf dem wir uns
bewegen, schmal ist . Ich setze deshalb auf Ihre konstruktive Mitarbeit bei kritischen oder strittigen Punkten des
Entwurfs in Gesprächen und Verhandlungen, die dieser
ersten Lesung folgen werden . Ich bin froh, dass wir einen
so erfahrenen Strafverteidiger wie Sie, Herr Ströbele,
({3})
und einen engagierten Juristen wie Herrn Sensburg dabei
haben, die sich in diese Verhandlungen wirklich nutzbringend für alle einbringen können .
Das Justizministerium wird zudem in diesem Monat
ein Symposium abhalten, dessen Inhalte auch Eingang
in den Entwurf finden werden, sodass wir die notwendigen Reformen zu einem erfolgreichen Abschluss bringen
können; denn das sind wir den Opfern von Gewaltverbrechen und ihren Hinterbliebenen schuldig .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als letzter Redner in
dieser Aussprache spricht nunmehr Alexander Hoffmann
von der CDU/CSU-Fraktion zu Ihnen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Aufgabe der StPO, der Strafprozessordnung, ist es, auf der einen Seite den Rahmen
für die strafrechtliche Sachverhaltsaufklärung zu bieten
und auf der anderen Seite den staatlichen Strafanspruch
zu wahren . Die Kollegin Bähr-Losse hat richtigerweise
herausgestellt, dass das kein statisches Konstrukt ist;
vielmehr hat ein funktionierender Rechtsstaat die Daueraufgabe, dieses Regelungsgefüge an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen . Ich denke, dass wir im Lichte
dieser Daueraufgabe den heute hier zu beratenden Entwurf sehen sollten .
Im ersten Block geht es um die Komponenten Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung . Die
Strafrechtler unter Ihnen wissen, dass es den Satz gibt:
Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen . - Ich glaube, bei dem ersten Block können wir wirklich feststellen,
dass dieser Entwurf durchaus gute Inhalte vorzuweisen
hat . Wir sehen umfassende Änderungen im Befangenheitsrecht; denn wir müssen feststellen, dass gerade das
Befangenheitsrecht in den letzten Jahren in der Praxis an
der einen oder anderen Stelle zunehmend als Instrument
zur Verfahrensverzögerung missbraucht worden ist .
Stellen Sie sich vor, dass ein Ablehnungsgesuch erst
kurz vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt wird .
Nun wird vorgesehen, dass der Beginn der Hauptverhandlung damit nicht verzögert wird . Sie kann bis zur
Verlesung des Anklagesatzes begonnen bzw . aufgenommen werden, wenn der Richter abgelehnt wird und
damit eine Verzögerung der Hauptverhandlung drohen
würde . Das Gericht kann zusätzlich dem Antragsteller
die Verpflichtung auferlegen, dieses Ablehnungsgesuch
auch noch schriftlich zu begründen . Wenn er diese Frist
fruchtlos verstreichen lässt, wäre auch das ein Grund, der
eine Ablehnung möglich macht . Ich halte das für eine
deutliche Beschleunigung und deutliche Steigerung der
Effizienz des Verfahrens; das sieht man, wenn man sich
mit der Praxis auseinandersetzt .
Der zweite Punkt in dem Feld der Verfahrensbeschleunigung sind Änderungen im Beweisantragsrecht,
die ich durchaus für zielführend halte . Auch hier stellen
wir fest, dass Beweisanträge oftmals nicht nur aus fester
Überzeugung gestellt werden, sondern zum Ziel haben,
ein Verfahren in die Länge zu ziehen . Deswegen sieht der
Entwurf in meinen Augen richtigerweise nun die Möglichkeit vor, dass nach Ende der Beweisaufnahme der
Vorsitzende eine angemessene Frist setzen kann, binnen
derer weitere Beweisanträge gestellt werden können und
danach eben nicht mehr .
Ich freue mich außerordentlich darüber, dass dieser
Entwurf auch das Ermittlungsverfahren weiter im Blick
behält, die Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen
vor Ermittlungspersonen . Es ist durchaus richtig, wie
der Kollege Sensburg gesagt hat, dass wir punktgenau
im weiteren Verfahren überlegen müssen, welche Konsequenzen wir im Ergebnis ziehen . Aber ich glaube, man
wird einer solchen Regelung schon eine Daseinsberechtigung zusprechen müssen . Das war der erste Block .
Den zweiten Block würde ich unter der Überschrift
„Optimierung der Wahrheitsfindung“ subsumieren. Die
audiovisuelle Aufzeichnung - das wissen Sie - gibt es
seit dem Jahr 1993 . Die wollen wir mit diesem Vorhaben ausdehnen . Es gab jüngst eine Ausweitung in diesem
Bereich aus Gründen des Opferschutzes . Auch deren Daseinsberechtigung ist, glaube ich, unbestritten . Man muss
einfach konstatieren, dass es Konstellationen gibt - beispielsweise bei Anwesenheit des Täters -, in denen es
dem Opfer nicht zumutbar ist, den Tathergang zu schildern bzw . zu konkretisieren .
Nun gibt es den Grundsatz, eine audiovisuelle Aufzeichnung im Ermittlungsverfahren bei vorsätzlichen
Tötungsdelikten und bei besonders schutzbedürftigen
Personen zu ermöglichen . Auch das ist etwas, glaube ich,
was wir dringend diskutieren sollten . Ich will zunächst
die Vorteile skizzieren, bevor ich dann aufzeigen möchte, mit welchen möglichen Nachteilen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir uns auch auseinandersetzen sollten .
Wir erhoffen uns durch diese Regelung - da bin ich
ganz beim Ministerium - eine Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung und eine bessere nachträgliche Überprüfbarkeit der Einhaltung bestimmter Formalitäten;
das sollte auch im Interesse von Strafverteidigern sein,
Kollege Ströbele . In einem Zeitalter, in dem sich digitale Möglichkeiten neu eröffnen und schnell weiterentwickeln, glaube ich, spricht auch nichts dagegen, das Strafprozessrecht an die heutigen technischen Möglichkeiten
anzupassen .
({0})
Im Zeitalter der internationalen Terrorismusbekämpfung heiße ich es auch gut, wenn wir solche Mittel einsetzen, weil sie letztendlich beim internationalen Beweistransfer deutlich besser übermittelbar sind .
Aber ich glaube, dass wir uns angesichts der Herausforderungen, die eine solche Regelung mit sich bringt,
schon auch die Frage stellen müssen, welche Risiken
eine solche Entwicklung in sich birgt . Ich glaube, dass
wir das auch im weiteren Beratungsverfahren bedenken
müssen . Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass das
Konfrontationsrecht des Angeklagten nicht ausgehöhlt werden darf . Es muss nach dem Grundsatz der Waffengleichheit immer möglich sein, dass der Angeklagte
in seinem Verfahren auch Zeugen befragt .
({1})
Deswegen müssen wir mit Augenmaß entscheiden, wie
viel wir in eine mögliche audiovisuelle Aufzeichnung
verlagern können .
Ein weiterer Punkt - ich bin dem Kollegen Sensburg
sehr dankbar, dass er mir dafür ein Stück weit die Augen
geöffnet hat - ist natürlich Folgendes: Wenn wir uns das
heutige Revisionsrecht angucken, dann müssen wir einfach feststellen, dass es unglaublich komplex geworden
ist . Wer sich in der Szene auskennt, der weiß, dass es
Strafverteidiger gibt, die eigentlich nur noch Revisionsexperten sind, und andere, die sich das Revisionsrecht
gar nicht mehr zutrauen, so komplex ist es geworden .
Da müssen wir uns natürlich schon überlegen, ob solche
technischen Möglichkeiten unter Umständen ganz neue
Diskussionsfelder im Bereich des Revisionsrechts eröffnen .
Insgesamt ist es ein Gesetzentwurf, auf dessen Beratung im weiteren Verfahren ich mich freue . Ich möchte
aber an dieser Stelle schon sagen: Es ist letztendlich das
kleine Überbleibsel eines Projekts, das der Justizminister als eines der größten rechtspolitischen Projekte dieser
Legislaturperiode angekündigt hat . Ich persönlich bedauere ein Stück weit, dass es auf zehn Seiten zusammengeschmolzen ist .
({2})
Ich will Ihnen auch noch einmal sagen, dass die Union
immer bereit ist, mit Ihnen über Strafprozesse aller Bereiche zu diskutieren, und will Ihnen da ein Stück weit
Mut machen . Ich freue mich auf die weiteren Beratungen
in diesem Verfahren .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11277 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf:
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland
Drucksache 18/11413
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen
Drucksache 18/11412
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
durchsetzen
Drucksachen 18/9667, 18/11447
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
({3})
- Ich warte noch eine Sekunde, bis alle ihre Plätze eingenommen haben .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Katrin Göring-Eckardt von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir erinnern uns: Auf die Frage, warum für ihn ein
paritätisch besetztes Kabinett so wichtig sei, antwortete der kanadische Premier Justin Trudeau: Because it’s
2015 . - Wir haben jetzt das Jahr 2017 . Deutschland ist
weit davon entfernt - nicht nur optisch für die Damen,
die Herrn Trudeau so hübsch finden.
Seit vier Jahren werden wir regiert von einer Großen
Koalition aus den Blockierern von der Union und mit den
Trommelwirbeln von der SPD . Aber immer wenn eine
große Tat dem Trommelwirbel folgen müsste - so ist das
ja eigentlich -, kreißt der Berg und gebiert eine Maus .
({0})
Wir haben das Jahr 2017 . Frauen verdienen 21 Prozent weniger . Die Rentenlücke im Alter beträgt 57 Prozent . 2017 reden wir immer noch über die gläserne Decke, Minijobs und Teilzeitfalle für Frauen - immer noch .
Das ist Ihre Bilanz, Frau Ministerin, und das müssen Sie
sich auch sagen lassen .
({1})
Frauen in Deutschland erleben sexuelle Erniedrigung,
sexuelle Gewalt . Ja, sie übernehmen nach wie vor den
Hauptteil der Fürsorgearbeit oder der Pflegearbeit. Und
die Bundeskanzlerin, angesichts dieser Situation, findet:
Das ist ein schöner Moment, den Frauen einmal Danke
zu sagen . - Ja danke für das Danke! Die Rosen nehmen
wir auch, aber: Es ist 2017, und die Frauen in diesem
Land haben die Nase gestrichen voll . Es geht nicht mehr,
dass immer nur geredet und geredet und geredet wird und
einfach nichts oder viel zu wenig passiert - im Jahr 2017,
meine Damen und Herren .
({2})
In der SPD reden Sie darüber, wofür jetzt Zeit sei . Offensichtlich war nicht mal Zeit, hier angesichts des FrauAlexander Hoffmann
entages eine anständige Debatte aufzusetzen, die wir eigentlich in jedem Jahr hatten - vielleicht war Ihnen Ihre
Bilanz selbst zu peinlich -, aber dafür, wenigstens für die
Debatte über die Situation von Frauen in diesem Land,
muss Zeit sein .
({3})
Recht auf Rückkehr auf Vollzeit . Viel zu oft reduzieren Frauen für Familie und Kind die Arbeitszeit und können später nicht auf eine Vollzeitstelle zurückkehren . Das
Rückkehrrecht steht im Koalitionsvertrag . Bis heute gibt
es aber nicht mal einen Entwurf dazu . Vier vergeudete
Jahre für die Frauen! So muss man es sagen, meine Damen und Herren .
({4})
Die Frauenquote . Da, wo es sie gibt, wirkt sie . Aber
für wie viele gilt sie? Für 101 Unternehmen von 3 500
börsennotierten! Da hat doch die gläserne Decke noch
nicht mal einen Sprung bekommen .
Statt Entgeltgleichheit bekamen wir dank der Blockierunion ein Transparenzgesetz . Nur bei Unternehmen mit
mehr als 200 Beschäftigten haben Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ein Auskunftsrecht . Übersetzt heißt das: Gerade mal 40 Prozent der erwerbstätigen Frauen können
das Recht nutzen, zu wissen, was die anderen verdienen .
Von Entgeltgleichheit, für die wir immer wieder demonstrieren, jedes Jahr - da spucken alle große Töne -, kann
nicht mal im Ansatz die Rede sein . Auch das ist Ihre Bilanz, und, ich finde, darüber muss hier gesprochen werden .
({5})
Selbst als es um die Reform des Sexualstrafrechts
ging, mussten die Frauen selbst Druck ausüben, damit
endlich etwas geschieht .
Ich finde, die Frauen in diesem Land haben mehr
verdient . Die alleinerziehende Mutter, die Bankerin, die
Studentin, die lesbische Mutter, die Rentnerin, die Architektin, die Musikerin, die Transfrau, die Hebamme, die
Pflegekraft, die Großmutter haben mehr verdient. Alle
Frauen in diesem Land gehören nicht nur auf dem Papier
und im Grundgesetz gleichberechtigt, sondern auch im
tatsächlichen Leben . Es ist die Zeit, dafür zu kämpfen
und nicht nur nette Worte zu sagen .
({6})
Wenn man sich das anschaut, muss man sagen: Sie
verpassen gerade einen historischen Moment . In den
USA ist ein frauenfeindlicher Präsident gewählt worden .
Es sind Hunderttausende von Frauen auf die Straße gegangen . Sie haben sich rosa Mützen aufgesetzt . In Polen
konnte durch den Aufstand der Frauen ein Gesetz gegen
die Abtreibung verhindert werden .
({7})
Auch hier in Deutschland schauen die Frauen nicht
länger nur zu, wenn sie nicht das kriegen, was ihnen zusteht . Gestern konnte man das in ganz Deutschland sehr
deutlich und sehr eindrücklich sehen . Die Frauen sind in
diesem Land schon auf der Straße, aber sie haben offensichtlich immer noch viel zu wenig Lobby in diesem Parlament und vor allen Dingen in dieser Regierung .
({8})
Ja, die Errungenschaften der Gleichstellung stehen
offensichtlich wieder zur Debatte. Die AfD macht sich
lustig über vermeintliches Gender-Gaga . Forscherinnen
und Forscher, die sich mit Geschlechterfragen auseinandersetzen, werden zurzeit massiv angefeindet - in diesem
Land massiv angefeindet. Ich finde, wir sollten uns gemeinsam vor diese Forscherinnen und Forscher stellen .
Es kann nicht sein, dass über Frauenfragen nicht mehr
geforscht werden kann, dass über Genderfragen nicht
mehr geforscht werden kann, ohne dass man in diesem
Land Hassmails und -postings bekommt, meine Damen
und Herren .
({9})
Ich finde, wir sollten diese krasse Form des Gender-Bashings sehr ernst nehmen . Wer meint, es sei egal,
ob Frauen in der Sprache vorkommen, dem sage ich:
Gut, dann machen wir es eben umgekehrt, dann sprechen
wir komplett weiblich, und die Männer sind mitgemeint .
Wer meint, dass die Quote leistungsfeindlich sei, dem
kann ich nur sagen: Dann möchte ich mir gerne mal die
Leistung von manchen der Männer anschauen, die das
behaupten. Wenn ich an Herrn Höcke denke, dann finde
ich: Seine Leistung ist in der Tat krass negativ bezüglich jeder gesellschaftlichen Frage in diesem Land . Nein,
es ist keine Heulsusenveranstaltung, es ist Kampf . Wir
kämpfen, und wir wollen kämpfen . Es ist eben in dieser
Zeit auch wieder Zeit für Feminismus, meine Damen und
meine Herren .
({10})
Es muss doch anders gehen . Es geht nicht mehr um
die kleinen, feinen Schritte, die als Erfolg abgerechnet
werden, es geht um Haltung . Es geht darum, dass wir den
Frauen sagen: Egal, was ihr werden wollt, ganz gleich,
wer ihr sein wollt, wir machen euch den Weg frei . Ihr
habt Rechte . Wir geben so lange keine Ruhe, bis eure
Gleichstellung erreicht ist, bis Frauen tatsächlich das
gleiche Gehalt verdienen, bis sie DAX-Unternehmen
führen, bis Mädchen Ingenieurinnen werden . Natürlich
dürfen Jungs auch Glitzernagellack verwenden oder Einhornstaub versprühen . Natürlich dürfen sie das . Nein,
wir werden rosa Spielzeug nicht verbieten, aber ich sage:
Das, meine Damen und Herren, ist wirklich gaga .
({11})
Für die Frauen in diesem Land zu kämpfen, lohnt sich .
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss .
Wir treten für die Werte unserer Gesellschaft ein, den
alten und den neuen Frauenfeinden entgegen . Ich fordere
die Frauen von Union und SPD auf: Zieht eure pinken
Mützen auf! Tretet gemeinsam mit einer klaren Haltung
für die Frauen in diesem Land ein! Es geht nicht mehr um
kleine Schritte, es geht um eine große gesellschaftliche
Auseinandersetzung . Und dafür müssen wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen, nicht nur da draußen mit netten Worten und Dankeschön, sondern auch in
einem harten Kampf und in einer harten Auseinandersetzung .
Vielen Dank .
({0})
Danke, Frau Kollegin . - Als nächste Rednerin spricht
Gudrun Zollner von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin Noll! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vermittelt den Eindruck,
dass wir in Deutschland in den letzten Jahren eine völlig
verfehlte und völlig unwirksame Politik für die Gleichberechtigung von Frauen betrieben hätten,
({0})
als hätten wir nichts erreicht, als hätten wir den hohen
Frauenanteil im Parlament in dieser Legislaturperiode
nicht für Verbesserungen für Frauen genutzt .
Aber erinnern wir uns: Vor genau zwei Jahren haben
wir hier im Deutschen Bundestag erstmals eine feste
Quote für Frauen in Führungspositionen verabschiedet .
({1})
Wir alle und besonders wir Frauen aller Fraktionen haben das als Meilenstein in der Frauenpolitik am Internationalen Frauentag 2015 überschwänglich und zu Recht
gefeiert .
({2})
Wir waren uns einig, dass wir die Rahmenbedingungen
verbessern müssen, um die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf zu erleichtern . Auch hier waren wir nicht untätig: Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz, das Elterngeld Plus, das Familienpflegezeitgesetz,
Ausbau der Betreuungsinfrastruktur usw .
Mittlerweile ist das vierte Investitionsprogramm
„Kinderbetreuungsfinanzierung“ für die Jahre 2017 bis
2020 bereits im Bundesrat beraten und im Kabinett beschlossen worden . Das Sondervermögen soll dafür um
1,126 Milliarden Euro aufgestockt werden . Ein nächster
großer Schritt ist das Entgelttransparenzgesetz, das sich
derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet. Natürlich müssen Frauen für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten . Dem widerspricht ja auch niemand,
und das wird von uns allen ja auch gefordert . Mein persönlicher Meilenstein und meine persönliche Herzensangelegenheit ist die Verbesserung des Unterhaltsvorschussgesetzes mit dem Wegfall der Bezugsdauer von
72 Monaten und der Erhöhung des Kindesalters von 12
auf 18 Jahre . Auch das gehört zur Gleichberechtigung
und zur Chancengerechtigkeit .
({3})
Wer Kinder in die Welt setzt, muss sich auch finanziell
verantwortlich zeigen . Die Last nur einem Elternteil aufzubürden und zum Schluss auch noch bessergestellt zu
sein, das ist für mich keine Gleichstellung .
({4})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir
in Deutschland auf einem guten Weg sind, bescheinigt
uns auch die kürzlich vorgestellte OECD-Studie „Dare
to Share“, auf die Sie Bezug nehmen . Diese stellt fest,
dass Deutschland in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen für die Erwerbstätigkeit von Müttern deutlich
verbessert hat und wir eines der OECD-Länder mit der
dynamischsten Familienpolitik und mit der höchsten
Frauenerwerbsquote sind . Ich weiß, dass jetzt gleich der
Einwand kommt: Hohe Frauenerwerbsquote, schön und
gut, aber viele Frauen arbeiten immer noch in Teilzeit .
Ja, und? Sie reden doch immer von Vielfalt . Vielfalt
bedeutet für mich auch Wahlfreiheit, die Freiheit einer
Familie, zu entscheiden, welches Lebensmodell für sie
am besten ist . Und es bringt uns kein Stück weiter, wenn
wir immer noch in Rabenmütter und Heimchen am Herd
unterscheiden und die eine Mutter wie auch die andere
damit diskriminieren .
({5})
Sie sprechen von Aufwertung und Wertschätzung für
diejenigen, die Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege
übernehmen . Dann dürfen Sie aber bitte nicht nur ein
Modell favorisieren, nämlich das der schnellen Rückkehr
in den Beruf und möglichst nur noch in Vollzeit .
({6})
Viele Frauen entscheiden sich ganz bewusst, nur in Teilzeit zu arbeiten, weil sie ihre persönliche Erfüllung in der
Erziehung ihrer Kinder sehen, und immer mehr junge
Väter tun es ihnen gleich .
({7})
Schon im Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ist festgehalten, dass Eltern das natürliche Recht und die Pflicht
haben, ihre Kinder zu erziehen . Ich möchte nicht, dass
der Staat diese Aufgabe übernimmt .
({8})
Natürlich muss jeder persönlich immer sein finanzielles Auskommen und seine Rente im Blick haben . Altersarmut, besonders bei Frauen, müssen wir unbedingt
verhindern . Deshalb fordern wir von der CSU auch den
dritten Rentenpunkt für Mütter, die vor 1992 Kinder zu
Welt gebracht haben: Alle Mütter werden dann für ihre
Erziehungsleistung gleich behandelt . Das nenne ich
Gleichstellungspolitik, und ich lade Sie alle herzlich
dazu ein, uns hierbei zu unterstützen .
({9})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundeskanzlerin unterstrich heute Morgen in ihrer Regierungserklärung, dass unsere soziale Marktwirtschaft die
erfolgreichste in der EU ist . Die Steuereinnahmen sind
auf einem Höchstpunkt, und die Arbeitslosigkeit ist so
niedrig wie schon seit vielen Jahren nicht mehr . Das ist
ein Verdienst der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unserem Land, und sie machen ihre Sache gut . Das verdanken wir auch den vielen Frauen, die in den Unternehmen
ihre Frau stehen . Es steht außer Frage, dass Frauen in den
Spitzengremien großer Unternehmen immer noch unterrepräsentiert sind, aber es ist auch deutlich: Die Quote
wirkt, auch wenn es manchen vielleicht etwas zu langsam gehen mag .
Aber ich möchte auch betonen: Wir Frauen sind nicht
besser oder schlechter als Männer, wir sind anders .
({10})
Und so sind wir auch anders in unserer Berufswahl . Männer setzen da mehr auf hohes Einkommen oder Macht .
Uns Frauen ist Zufriedenheit und Spaß an der Arbeit
wichtiger, auch wenn das leider oft schlechter bezahlte
Jobs sind . Aber es wäre doch einmal eine gute Aufgabe
für die vielen Gewerkschaften, sich für die Vergütung der
sogenannten Frauenberufe starkzumachen . Meist sehe
ich in den Medien nur männliche Gewerkschaftsvertreter, die sich für Piloten oder Lokführer einsetzen .
Auch von mehr Homeoffice-Plätze würden viele Familien profitieren. Dazu ist aber eine flächendeckende
Breitbandanbindung notwendig . In den Metropolen ist
das kein Problem, aber in den ländlichen Räumen schon .
Mit einem Internetanschluss von 3 000 Mbit/s kann man
keine vernünftige Arbeit verrichten . Das gilt für Angestellte genauso wie für Selbstständige . Deshalb begrüße
ich ausdrücklich die Fördermittel aus dem Haus unseres
Bundesministers Alexander Dobrindt sowie die zusätzlichen Gelder der Bayerischen Staatsregierung .
({11})
Nicht zu vergessen unsere große Aufgabe: die Integration der Schutzsuchenden in unserem Land . Bildung ist
der beste Weg zur Integration, und er führt nur über das
Erlernen der deutschen Sprache .
({12})
Und hier müssen wir ganz besonders darauf achten, dass
das auch den Frauen ermöglicht wird . Sie kommen meist
aus einer von Männern dominierten Gesellschaft . Besonders hier müssen wir auf die Gleichberechtigung von
Frauen und Männern bestehen . Wenn ich dann aber wie
letzten Freitag in der Passauer Neuen Presse lesen muss,
dass ein polnischer EU-Abgeordneter allen Ernstes der
Meinung ist, dass „Frauen schwächer, kleiner und weniger intelligent“ sind, dann sind wir leider davon noch ein
ganzes Stück entfernt .
({13})
Es zeigt uns aber wieder, dass Gesetze alleine nicht reichen und dass die Gleichberechtigung von Mann und
Frau noch immer nicht in allen Teilen der Gesellschaft
angekommen ist .
Wie völlig absurd die Meinung dieses gewählten
Volksvertreters ist, zeigt das Beispiel der tollen Luftund Raumfahrtingenieurin Magdalena Pree aus Niederbayern, die als erste deutsche Astronautin - fünf weitere
Frauen werden ihr folgen - zur ISS fliegen will.
Werte Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch stolz
auf das, was wir schon alles erreicht haben, und hören
wir endlich auf, alles schlechtzureden . Natürlich gibt es
immer wieder etwas zu verbessern, und das ist auch gut
so . Sonst hätte die Opposition keine Arbeit mehr .
Vielen Dank .
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächstes hören wir
die Kollegin Katja Kipping von der Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
war der Internationale Frauenkampftag - ein Tag, an dem
wir daran erinnern, was noch alles zu erkämpfen ist . Immer noch bekommen Frauen deutlich niedrigere Löhne .
Wir kennen die Zahl: 21 Prozent . Niedrigere Löhne führen zu niedrigeren Renten . Da muss man sich nicht wundern, wenn die Altersarmut vor allem weiblich ist .
Hinter diesen unterschiedlichen Löhnen steht natürlich auch eine Wertung, nämlich die Unterstellung, dass
die Arbeit am und mit dem Menschen weniger profitabel ist als die Arbeit an den Maschinen . Wir Linke sind
überzeugt: Diese finanzielle Diskriminierung der Arbeit
mit den Menschen muss aufhören . Deswegen müssen die
Löhne in Pflege, Gesundheit und Bildung steigen, und
zwar gründlich .
({0})
Ich glaube, wenn man das ernst meint, muss man ran an
die schwarze Null; sie muss einfach weg .
Wenn wir über Geschlechtergerechtigkeit reden, Frau
Schwesig, so kann ich nur sagen: Sie sind gut darin, Sachen zu thematisieren; aber wenn es konkret wird und
umgesetzt werden muss, auch finanziell unterfüttert
werden muss, lassen Sie sich immer wieder vom Koalitionspartner ausbremsen . Wer etwas für Frauen erreichen
will, wer wirkliche Gleichberechtigung will, der darf sich
nicht von der CDU/CSU ausbremsen lassen .
({1})
Schauen wir uns die Situation im Wissenschaftsbetrieb an: Über die Hälfte aller Studierenden sind Frauen;
aber wenn es um die Habilitation, um Professorenstellen
geht, dann brechen die Quoten ein . Dort, wo es wirklich
um Einfluss geht, da wirken die gläsernen Decken. Die
Arbeitssituation an den Universitäten hat natürlich etwas
mit dieser Situation zu tun . Unterhalb der Professur gibt
es faktisch keine unbefristeten Arbeitsplätze, das heißt,
der Flaschenhals ist extrem eng . Soziale Unsicherheit,
fehlende Planbarkeit des Lebens, weil man sich immer
nur von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln
muss - all das erschwert, dass sich Frauen auf eine Karriere im Wissenschaftsbereich einlassen . Deswegen sagen
wir: Das Gebot der Stunde für bessere Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich, aber auch für mehr Professorinnen lautet ganz klar: Wir brauchen mehr unbefristete Stellen im Wissenschaftsbereich, wir brauchen mehr
Planbarkeit, damit Frauen Karriere in der Wissenschaft
machen können .
({2})
Zu den Wurzeln der Ungleichheit gehört meiner Meinung nach die ungerechte Verteilung der Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern . Immer noch wird ein Großteil
der wunderbaren, liebevollen Familien- und Hausarbeit,
der Care-Arbeit, von Frauen getragen . Hier ist Umverteilung angesagt . Es muss Schluss damit sein, dass man den
Männern diese liebevolle, schöne, sinnstiftende Tätigkeit
vorenthält . Das können wir den Jungs nicht weiter antun .
({3})
Ein wichtiges Instrument ist dabei natürlich die Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit. Ja, ich finde, die Arbeitswoche der Zukunft muss die 30-Stunden-Woche
sein .
({4})
Von einer gerechteren Verteilung der Tätigkeiten profitieren Männer wie Frauen und übrigens auch die Partnerschaft .
Weil Sie die wirkliche Wahlfreiheit angesprochen
haben: Ich finde, dazu gehört zuallererst, dass wir uns
von klassischen Rollenmustern befreien . Vor dem Hintergrund ist es wichtig, dass es Initiativen wie „Eltern in
der Politik“ gibt, die darum streiten, dass politisches Engagement und aktive Elternschaft miteinander vereinbar
sind . Wir fordern Kinderzeit und politikfreie Sonntage .
({5})
Wenn wir uns von klassischen Rollenmustern befreien
wollen, müssen wir auch hinterfragen, was als wirklich
männlich gilt . Früher war es ja so, dass man als besonders
verantwortungsvoller Vater galt, wenn man besonders
viel Kohle nach Hause gebracht hat . Das ging eigentlich
immer damit einher, dass man besonders viel Zeit im Job
zugebracht hat . Diese Zeiten sollten vorbei sein .
({6})
Ich meine, Männer, für die es selbstverständlich ist,
dass sie mindestens 50 Prozent der Erziehungs-, Pflegeund Hausarbeit übernehmen, sind die wahren Trendsetter . Das sind die wahren Helden des Alltags .
({7})
Ich möchte noch einmal ganz grundsätzlich werden .
Wir alle erleben es: Wer immer sich positiv zu Frauenrechten äußert, der muss mit einem Shitstorm rechnen,
nicht nur im Netz . Ja, wir erleben aktuell eine aggressive
antifeministische Mobilmachung . Allen Frauen, die sich
für Frauenrechte einsetzen, sei es im Betrieb, im Netz, in
der Redaktion oder auch in so mancher Fraktion, kann
ich nur sagen: Lassen wir uns durch diese aggressive
Mobilmachung nicht entmutigen! Halten wir es mit Clara
Zetkin, die angesichts vieler Widrigkeiten immer wieder
sagte: Jetzt erst recht!
({8})
Um es zusammenzufassen: Die Frauenbewegung hat
wirklich viel erreicht . Früher konnte selbst der dümmste
sexistische Spruch noch mit schenkelklopfendem Beifall
rechnen . Diese Zeiten sind vorbei . Das ist gut . Immer
mehr Eltern wollen gleich viel Zeit mit den Kindern verbringen . Hier hat man wirklich etwas erkämpft . Kompliment! Hut ab vor der Frauenbewegung! Aber es gibt
immer noch viel zu tun .
Unsere Kämpfe um Geschlechtergleichgerechtigkeit
richten sich eben nicht ausdrücklich gegen Männer . Ganz
im Gegenteil: Wir streiten für eine Gesellschaft, in der
ein gutes Leben für alle möglich ist . Deswegen legen wir
uns mit allen Verhältnissen an, in denen der Mensch ein
geknechtetes Wesen ist .
Vielen Dank .
({9})
Herr Kollege Sönke Rix von der SPD-Fraktion geht
jetzt als Mann in die Debatte rein . Bitte schön .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern war der Internationale Frauentag . Schönen Dank
an die Grünen, dass Sie uns diese Debatte heute ermöglichen . Schönen Dank auch für die Vorlage der beiden
Anträge . Natürlich kann man der Regierung vorwerfen:
Warum habt ihr keinen Antrag vorgelegt?
({0})
Ich will es damit begründen: weil wir keine Anträge stellen, sondern weil wir Gesetze verändern .
({1})
Wir arbeiten nämlich gerade an einer großen Anzahl von
Gesetzen, die das Leben der Frauen besser machen, die
zu mehr Gleichstellung und zu mehr Gleichberechtigung
führen . Auf einige davon will ich eingehen, ebenso auf
einige, die wir bereits umgesetzt haben .
({2})
In dieser Wahlperiode haben wir sehr viel in Bezug
auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht .
Wir haben nicht nur die Situation von Frauen durch die
Einführung des Elterngeldes Plus, der Familienpflegezeit und durch den Kitaausbau verbessert, sondern durch
„KitaPlus“ auch die Partnerschaftlichkeit verbessert;
Kollegin Kipping hat gerade darauf hingewiesen . Wir haben gesagt, wir wollen gesetzlich, also zum Beispiel über
Elterngeld Plus, mehr Partnerschaftlichkeit fördern, um
mehr Männer dazu zu drängen - manchmal muss man sie
vielleicht auch drängen -, sich mehr Zeit für ihre Familien zu nehmen . Dazu formulieren wir keine Anträge, dazu
haben wir ein gutes Gesetz gemacht, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({3})
Wir haben so viel Geld für den Ausbau von Kitas ausgegeben wie lange nicht mehr . Wir haben nicht nur quantitativ, sondern auch in die Qualität investiert . Auch das
trägt zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf bei . Es kommt insbesondere Frauen zugute, weil
sie dann tatsächlich die Möglichkeit haben, berufstätig
zu sein . Da haben wir etwas auf den Weg gebracht . Da
sind wir noch nicht am Ende . Da kann noch viel mehr
passieren . In dieser Wahlperiode haben wir jedenfalls
sehr viel erreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({4})
Wir haben die Situation von Alleinerziehenden verbessert . Wenn wir über arme Menschen sprechen, über
Menschen, die als Erstes von Armut betroffen sein könnten, dann fallen uns immer sofort die Alleinerziehenden
ein. Die Große Koalition hat Maßnahmen getroffen, um
die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern . Wir
haben beispielsweise den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende deutlich erhöht . Eine so deutliche Erhöhung hat
es noch nie gegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Und es ist auch gut so, dass wir das gemacht haben .
({5})
Es gibt eine Gesetzesvorlage zum Unterhaltsvorschuss . Gerade in der Woche, in der der Internationale
Frauentag begangen wird, hat eine Anhörung dazu stattgefunden . Wir wollen den Unterhaltsvorschuss maßgeblich erweitern . Das entlastet insbesondere die alleinerziehenden Frauen . Wie gesagt, Frau Göring-Eckardt, wir
brauchen keine Anträge, wir machen Gesetze .
({6})
Ein weiteres Gesetz ist gerade im parlamentarischen
Verfahren . An den Beratungen sind auch Sie beteiligt .
Wir verbessern die Situation von Frauen im Mutterschutz . Wir verbessern die Situation der Frauen, die als
Studierende, als Schülerinnen Kinder bekommen, aber
auch die Situation von Müttern behinderter Kinder . Auch
das führt zur Verbesserung der Situation von Frauen .
Auch hierzu brauchen wir keinen Antrag; da machen wir
ein Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Wir haben die Frauenquote - übrigens dankenswerterweise auch mit den Stimmen der Grünen - auf den
Weg gebracht . Sie müssen uns Sozialdemokraten doch
nicht darauf hinweisen, dass es da noch viel mehr zu tun
gibt, dass man da noch viel mehr erreichen kann . Aber
Sie wissen doch, in welcher Koalition wir sind und dass
wir einen Ausgleich finden müssen; das kennen die Grünen aus Hessen sehr gut . Man kann mit der Union nicht
immer alles sofort durchsetzen; aber sie ist lernfähig . So
konnten wir in dieser Großen Koalition die Frauenquote
auf den Weg bringen, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({8})
Wir haben das Sexualstrafrecht reformiert . Dafür haben die Frauen, auch in diesem Parlament, jahrzehntelang gekämpft . Aber das ist nicht gegen die Stimmen der
Koalition geschehen, Frau Göring-Eckardt, sondern mit
den Stimmen der Koalition . Tun Sie doch nicht so, als
hätten wir nichts gemacht! Die Reform war ein Meilenstein, und das ist gut so . Jetzt heißt Nein wirklich Nein,
und das haben insbesondere die Frauen hier im Parlament
fraktionsübergreifend erreicht, und zwar gemeinsam mit
der Großen Koalition . Herzlichen Dank dafür!
({9})
Jetzt sind wir dabei, auch die Situation bei der Bezahlung von Frauen und Männern zu verbessern . Frau
Schwesig hat ein Entgelttransparenzgesetz auf den Weg
gebracht, um Entgeltgleichheit zu erreichen. Das befindet sich derzeit im parlamentarischen Verfahren . Auch
hier wissen wir, liebe grüne Kollegen und liebe Kollegen der Linkspartei: Wenn wir in einer anderen Koalition
wären, dann würden wir vielleicht auch in diesem Punkt
mehr erreichen . Wir machen aber einen ersten und sehr
wesentlichen Schritt: Wir gehen das Thema „Gleichstellung bei den Löhnen“ erstmals gesetzlich an und sorgen
dafür, indem wir Transparenz herstellen . Auch das ist ein
Meilenstein .
({10})
Ich bin dankbar, dass wir uns in der Großen Koalition darauf einigen konnten, und dankbar, dass Frau Schwesig
den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({11})
Natürlich gibt es noch viel zu tun, und manchmal sind
am Ende eines gemeinsamen Weges die Gemeinsamkeiten aufgebraucht . Gerade was Arbeitszeitmodelle angeht,
sind wir als SPD-Fraktion sehr wohl dafür, die Familienarbeitszeit einzuführen, um tatsächlich dafür zu sorgen,
dass man sich die Arbeitszeit partnerschaftlich teilen
kann und so mehr Zeit für die Familie hat; denn beide Elternteile sind gefragt . 30 Stunden plus 30 Stunden sind ja
immer noch mehr, als wenn einer Vollzeit und der andere
gar nicht arbeitet . Von daher ist es richtig, dass Manuela
Schwesig auch dazu einen Vorschlag unterbreitet hat .
Wir arbeiten auch an diesem Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({12})
Das Bedrückende am Internationalen Frauentag ist alle meine Vorredner haben es angesprochen -, dass
vieles, was wir für selbstverständlich gehalten haben,
eben doch nicht mehr selbstverständlich ist . Gerade die
Populisten von rechts sind massiv unterwegs, die Frauenrechte, die Gleichstellung und die Gleichberechtigung
infrage zu stellen . Damit legen Sie ihre Axt nicht nur an
die Gleichstellung, sondern auch an die Demokratie .
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss uns gemeinsam gelingen, die Populisten von rechts davon zu überzeugen, dass die Gleichheit der Menschen nicht nur für
Männer gilt, sondern natürlich für Frauen und Männer .
Wir werden es uns nicht bieten lassen, wenn sie an der
Gleichstellung rütteln wollen .
Herzlichen Dank .
({14})
Vielen Dank . - Jetzt spricht die Kollegin Dr . Claudia
Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verhandeln hier
heute das Thema Chancengerechtigkeit . Dazu liegen drei
Anträge vor, in denen es um viele verschiedene Anliegen
geht . Als Bildungs- und Wissenschaftspolitikerin will ich
die Anliegen aufgreifen, die sich mit der Situation in unserem Wissenschaftssystem befassen .
Erstes Stichwort: Geschlechterforschung . Das ist ein
Stichwort aus dem Antrag der Grünen . Ja, natürlich:
Sachlich-kritische Auseinandersetzung gehört zu jeder
Wissenschaftskultur, und selbstverständlich müssen wir
gegen jede Form von Diffamierung vorgehen, die ganze Forschungsfelder und erst recht einzelne Forschende
betrifft. Das gilt auch und gerade für das Forschungsfeld
Geschlechterforschung . Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut, das wir nicht infrage stellen .
Es gibt zudem selbstverständlich gute Gründe, auf
die Erkenntnisse der Geschlechterforschung zu setzen .
Sie befasst sich mit relevanten geschlechtsbezogenen
Unterschieden in den verschiedenen Forschungsfeldern,
und dass das wichtig sein kann, merkt man immer am
besten am Beispiel der medizinischen Forschung . Wenn
man da Geschlechterforschung nicht ernst nimmt, dann
kann das tödliche Folgen haben; denn Symptome und
Krankheitsverläufe sind bei Männern und Frauen durchaus sehr unterschiedlich . Für Männer und Frauen können
unterschiedliche Medikations- und Behandlungsformen
richtig sein . Es gilt wie immer: Richtig gute Spitzenforschung braucht Diversität von Fragestellungen und Fragestellern . Geschlechterforschung kann darüber hinaus
auch helfen, sich klarer darüber zu werden, was denn
die Voraussetzungen für wirkliche Chancengerechtigkeit
sind .
Damit zu meinem zweiten Stichwort: Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft . Ja, es stimmt, Frauen sind an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer noch
unterrepräsentiert . Es gilt auch die alte Binsenweisheit:
Je höher die Karrierestufe, je höher die Besoldung, je
mehr Macht und Möglichkeiten mit einer Aufgabe verbunden sind, desto niedriger der Anteil der Frauen . Diese
Situation - da stimme ich vollkommen zu - ist nicht akzeptabel; denn das ist weder gerecht, noch kommt man
damit zu wirklich exzellenten Ergebnissen in der Wissenschaft . Die Gründe für diese Situation aber sind sehr
vielfältig . Wer wirklich nachhaltig etwas verändern will,
der muss entsprechend vielfältig ansetzen .
Alle Erkenntnisse nutzen aber nichts, wenn sie nicht
umgesetzt werden . Aus den Projekten der BMBF-Förderrichtlinie „Frauen an die Spitze“ sind teilweise sehr
konkrete Handlungsempfehlungen an die verschiedenen
Akteure der Wissenschaftscommunity hervorgegangen .
Lesen hilft! Es reicht aber nicht, wenn es dabei bleibt . Ich
würde sagen, an der Stelle haben wir in vielerlei Hinsicht
kein Erkenntnis-, sondern vor allen Dingen ein Umsetzungsproblem .
Wie genau man aber hinschauen muss, zeigt vielleicht
folgender Hinweis . Gleich im dritten Absatz des Antrags
der Grünen heißt es - Zitat -:
Sönke Rix
Die Chancen eines männlichen Hochschulabsolventen auf eine Professur sind nach wie vor höher als
die einer Hochschulabsolventin .
Vergleicht man dies mit den Zahlen derjenigen, die sich
um einen Lehrstuhl bewerben, dann gilt: Jede 18 . Frau,
aber nur jeder 26 . Mann ist dabei erfolgreich . Frauen
hätten demnach sogar die besseren Chancen . In unserem
Fachgespräch zur Chancengleichheit, das wir im Herbst
geführt haben, waren die Expertinnen einhellig der Meinung, dass Berufungsverfahren an den Hochschulen
inzwischen - zum Beispiel dank standardisierter Leitlinien - in der Regel durchaus vorbildlich geschlechtersensibel ablaufen . Das sollten wir auch einmal anerkennen .
Trotzdem spießt der Antrag der Grünen einen wichtigen Punkt auf und hat recht, wenn man die ganze Laufbahn in den Blick nimmt . Jedenfalls bewerben sich in absoluten Zahlen nach wie vor deutlich weniger Frauen auf
Professuren als Männer, und das, obwohl sie im Schnitt
mittlerweile schon 40 Prozent derjenigen ausmachen,
die eine Promotion erfolgreich abschließen . Das heißt
im Klartext: Nach der Promotion scheiden viel zu viele
Frauen aus dem Wissenschaftssystem aus und gehen ihm
mit ihren Talenten und Begabungen verloren .
Mein drittes Stichwort heißt deshalb: Vereinbarkeit
von Familie und Beruf . Ja, es stimmt, wir haben eine
ganze Reihe von Problemen, die wir angehen müssen;
aber ein großes ist nach wie vor die Vereinbarkeit einer
Wissenschaftskarriere mit der Verantwortung für die Familie . Das ist nach wie vor ein großes Thema, vor allem für Frauen . Es sollte auch für junge Väter ein Thema
sein; allerdings sind es nach wie vor noch immer regelmäßig die Frauen, die stärker die Sorgearbeiten in der
Familie ausüben .
Die Strukturen der Arbeitswelt, zumal in der Wissenschaft - wir haben es jetzt schon mehrfach gehört -, sind
nicht familienfreundlich, nicht für die Mütter, aber auch
nicht für die Väter . Die Kultur der ständigen Verfügbarkeit, die Idee eines Forschertypus, der allein und nur für
seine Forschungsarbeiten lebt, prägt leider nach wie vor
noch zu sehr die Wissenschaft .
Was tun wir bislang, um den erfolgreichen Kulturwandel in der Wissenschaft zugunsten der Eltern und ihrer
Familien zu beschleunigen? Ich nenne einige Beispiele:
Wir haben in vielen Zusammenhängen - Begabtenförderung, BAföG - eine Verlängerungsmöglichkeit aufgrund von Familienpflichten eingeführt.
Wir arbeiten mit Hochdruck an immer umfassenderen
Kinderbetreuungsmöglichkeiten .
Es gibt auch kluge Ideen, etwa über die Mittel der
DFG-Gleichstellungspauschale, Verwaltungs- oder Laborunterstützung für schwangere Frauen oder zurückkehrende Elternteile zu finanzieren.
Es gibt planbarere Karrierewege . Wir haben ein reformiertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz, neue Ideen für
ein Tenure-Track-Programm und - das will ich besonders
hervorheben - das von der Bundesregierung mittlerweile schon in der zweiten Phase geförderte Professorinnenprogramm . Wir müssen es unbedingt ausweiten und
dafür sorgen, dass es für die jungen Frauen neben den
Perspektiven auf eine Professur in Zukunft auch Stellenmöglichkeiten vor und neben einer Professur gibt .
({0})
Das ist alles gut und richtig . Wir sind uns wahrscheinlich einig: Es hilft immer noch nicht genug und geht zu
langsam . Wir brauchen weitere kreative Ideen . Das betrifft vor allen Dingen Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten zur kreativen Gestaltung des Arbeitsplatzes .
Als Beispiel möchte ich eine Idee vorstellen, die in
der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt wurde, die ja
durchaus Bedarf hat, ihre Frauenbilanz zu verbessern .
Dort hat man beispielsweise zwei verschiedene Karrierewege entwickelt . Als Expert Scientist ist man von
Verwaltungsaufgaben befreit und kann Zeit und Ort der
eigenen Arbeit weitgehend selbst bestimmen . Wenn die
eigene Situation es wieder zulässt - etwa nach einer Familien- oder Pflegephase -, kann man dann in den Pfad
des Senior Scientists wechseln .
Mir ist an dieser Stelle die Botschaft wichtig: Mit guten rechtlichen Rahmenbedingungen können wir dafür
sorgen, dass - bei aller Wahlfreiheit der Einzelnen - Elternschaft nicht länger zum Hinderungsgrund für eine
wissenschaftliche Karriere wird .
Damit komme ich auch schon zum Schluss . Es ist gut,
dass wir uns heute aus Anlass des Weltfrauentages mit
Chancengerechtigkeit auch und gerade für Frauen beschäftigen .
({1})
Noch wichtiger wäre mir aber, dass wir dieses Anliegen
auch die anderen 364 Tage im Jahr ernst nähmen .
({2})
Frauen brauchen keine vereinfachten Zugangsbedingungen oder spezielle Nachhilfe für wissenschaftliche
Karriere . Wir müssen ihnen keinen roten Teppich auslegen . Aber wir müssen endlich die bestehenden Hürden,
die es für sie nach wie vor gibt, aus dem Weg räumen .
Das wäre gut für die Frauen, aber auch für die Qualität
unserer Wissenschaft .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Jetzt hat die Kollegin
Marianne Schieder von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren, wie Sie schon gehört haben, heute gleich mehrere
Anträge der Opposition zur Gleichstellung von Männern
und Frauen . Auch ich möchte mich vor allen Dingen auf
das Thema „Gleichstellung in der Wissenschaft“ konzentrieren, da ich genauso wie Frau Dr . Lücking-Michel dem
entsprechenden Ausschuss angehöre .
Das Grundanliegen der beiden dazu vorgelegten Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke teilen wir . Gerade im Bereich von Wissenschaft und Forschung sind wir weit davon entfernt,
wirklich von gleichen Chancen für Männer und Frauen
sprechen zu können .
({0})
Die Lage bessert sich . Doch der Fortschritt ist hier in der
Tat eine Schnecke .
Seit geraumer Zeit besuchen mehr Mädchen als Jungen weiterführende Schulen und erreichen auch die besseren Schulabschlüsse . Mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften sind Frauen in allen Studiengängen meist
gleich vertreten, wenn nicht sogar überrepräsentiert und
erreichen auch hier die besseren Abschlüsse . Also fragt
man sich: Wie kann es immer noch sein, dass Frauen in
den Führungsebenen unserer Universitäten, Hochschulen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen kaum
zu finden sind?
Sicher ist es so, dass Frauen, wenn sie überhaupt im
System bleiben, dann spätestens während der Promotion
und der Habilitation erfahren, dass sie es viel, viel schwerer haben als ihre männlichen Kollegen . Der Wunsch es ist darauf hingewiesen worden -, Familie und Beruf
miteinander vereinbaren zu wollen, stellt junge Wissenschaftlerinnen vor die allergrößten Herausforderungen .
So viel zur Problemanalyse, bei der wir uns, wie gesagt,
schnell einigen können . Aber was folgt daraus?
Schaut man sich den Antrag der Linken an, dann stellt
man fest - das habe ich bereits bei der ersten Lesung,
aber auch im Ausschuss gesagt -: Dieser umfangreiche
Antrag ist ein Rundumschlag . Er fällt mehr unter die Kategorie „Wünsch dir was!“, als dass er sich eignen würde,
Wege aufzuzeigen, wie die Lage verbessert werden kann .
({1})
- Ja, es ist so . - Kompetenzverteilung und Zuständigkeiten finden ebenso wenig Berücksichtigung wie die
Selbstverwaltungshoheit der betroffenen Einrichtungen.
Was ist das zum Beispiel für eine Forderung, die Politik der temporär befristeten Pakte zu beenden und dafür
als Bund die Grundfinanzierung für die Universitäten
deutlich anzuheben und auf hohem Niveau zu verstetigen?
({2})
Sie sollten die Rechtslage kennen, liebe Kolleginnen und
Kollegen . Nach der momentanen Rechtslage führt kein
Weg dorthin .
({3})
- Das stimmt schon . - Auch der Großteil der anderen
Forderungen ist einfach unrealistisch und reines Wunschdenken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz dazu
ist der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sehr viel
brauchbarer .
({4})
Auch nach meinem Dafürhalten wäre eine neue Diskussion über Genderforschung sinnvoll .
({5})
Vor allen Dingen, lieber Kai Gehring - das kommt in diesem Antrag ein bisserl zu kurz -, wäre eine Diskussion
sinnvoll, wie die Genderforschung in allen relevanten
Forschungsbereichen eine selbstverständliche Berücksichtigung finden kann.
({6})
Auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Fortsetzung des Professorinnenprogramms
unbedingt nötig .
({7})
Ich bin der Meinung, dass man das Programm nicht nur
fortführen, sondern auch weiterentwickeln sollte .
({8})
- Ich komme darauf zu sprechen, lieber Kai . - Ich kann
mir beispielsweise vorstellen, das Programm auch für
Positionen vor und neben der Professur zu öffnen. Denn
in der Regel scheiden jungen Wissenschaftlerinnen nicht
erst kurz vor der Berufung zur Professorin aus dem
System aus . Bereits während der Promotion und in der
Postdocphase gehen zu viele Frauen verloren . Selbstverständlich müssten die Mittel für das Programm bei seiner
Weiterführung aufgestockt werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist einfach Fakt:
Dieses Programm verhalf und verhilft nicht nur Frauen
zu einer Professur, sondern es hat auch maßgeblich dazu
beigetragen, dass das Thema Gleichstellung auf den Leitungsebenen angekommen ist und dort verankert werden
konnte . Die breite Nutzung dieses Programms durch die
Hochschulen unterstreicht, wie gut es angenommen wird .
Zum Schluss möchte ich mich eindringlich an unseren
geschätzten Koalitionspartner wenden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wirklich sehr, sehr schade,
dass wir heute nicht über einen Antrag von CDU/CSU
und SPD zum Thema „Wissenschaft und Gleichstellung“
diskutieren können . Auf diese Weise hätten wir auch die
Fortsetzung des Professorinnenprogramms beschließen
können . An der SPD - das möchte ich betonen - liegt
es nicht .
({9})
Unser Antrag ist fertig . Ich kann nicht nachvollziehen,
warum die CDU/CSU sich hier verweigert . Mein AngeMarianne Schieder
bot steht nach wie vor . Noch ist Zeit für einen gemeinsamen Antrag, nicht mehr viel - das weiß ich -, aber sie
reicht noch aus . Vielleicht ist der eine oder der andere
ja durch die heutige Diskussion zu besseren Einsichten
gekommen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({10})
Vielen Dank, Frau Schieder . - Ich schließe die Aussprache .
Zusatzpunkte 6 und 7 . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11413 und
18/11412 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Zusatzpunkt 8 . Wir kommen zur Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11447, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9667
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung
in der GKV ({0})
Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696
Nr. 1.5
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1})
Drucksache 18/11449
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, sobald die Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion sich gesetzt haben .
Das Wort hat Michael Hennrich von der CDU/CSU-Fraktion . - Bitte schön .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu,
({0})
und wir rufen zum ersten Mal in größerem Umfang die
Arzneimittelthemen auf . Das liegt zum einen daran, dass
wir einen vorgelagerten Pharmadialog hatten, zum anderen daran, dass wir mit Rabattverträgen, einem Festbetragssystem und der frühen Nutzenbewertung ein System
etabliert haben, das nicht einfach zu verstehen ist, aber
gute Versorgung zu vernünftigen Preisen gewährleistet .
Dieses System wird von allen Beteiligten akzeptiert: von
Patienten, von Kassen, von Ärzten und von Herstellern .
Wenn ich mir die entsprechenden Anträge der Opposition anschaue, dann haben wir, wie ich glaube, auch hier
im Parlament einen großen Konsens, vor allem unter den
Gesundheitspolitikern, weil wir Patienten mit innovativen Produkten versorgen, in der Regel zu vernünftigen
Preisen und so für die Industrie einen verlässlichen und
sicheren Rahmen vorgeben . Das ist ja im Kern auch die
Grundidee des AMNOG .
Wir haben in den letzten Wochen Diskussionen über
den Sinn und Unsinn des Pharmadialogs geführt . Ich will
ganz klar und deutlich sagen: Ich glaube, es war ein ganz
wichtiger Punkt, dass wir diesen Pharmadialog geführt
haben . Es gab ja Kritik nach dem Motto, da habe es Vereinbarungen zulasten Dritter gegeben . Ich denke, das Gesetzgebungsverfahren hat deutlich gemacht, dass wir als
Parlament stark genug sind, unsere eigenen Akzente zu
setzen . Beim Thema Vertraulichkeit ist uns das meiner
Meinung nach in vorbildlicher Weise gelungen .
({1})
Der Pharmadialog war auch deshalb wichtig, weil wir
der Pharmaindustrie in der vergangenen Legislaturperiode einiges zugemutet haben . Ich darf in Erinnerung rufen:
Wir haben mit dem AMNOG ein System etabliert, das einen echten Paradigmenwechsel darstellte . Wir haben die
Rabattverträge gestärkt . In der letzten Legislaturperiode
gab es darüber hinaus einen Herstellerabschlag in Höhe
von 16 Prozent . Wenn wir das alles zusammenrechnen,
kommen wir in den vier Jahren dieser Legislaturperiode auf ein Einsparvolumen von rund 20 Milliarden Euro .
Das ist der Grundstein dafür, dass die GKV heute immer
noch solide finanziert ist.
Wenn man sich anschaut, was wir in anderen Bereichen gemacht haben - ich weise nur auf die Sparbeiträge hin -, kann ich nur sagen: Es war richtig, dass wir
mit der Industrie über die Pharmapolitik diskutiert und
gemeinsam erörtert haben: Welchen Stellenwert hat die
Pharmaindustrie in Deutschland noch? Wir waren ja einmal die Apotheke der Welt, und heute werden wir von
amerikanischen Pharmaunternehmen dominiert . Und
weiter: Wo liegen die zentralen Herausforderungen? Was
können wir machen? Wie können wir die Forschung stärken? Welche Trends gibt es? Im Pharmadialog ging es
auch darum - ich glaube, das wird uns auch in Zukunft
noch beschäftigen -: Wie vernetzt sich Forschung mit
Versorgung? Kommen wir am Ende vielleicht zu einem
System, in dem Forschung und Versorgung immer mehr
verschmelzen?
({2})
Ich glaube, der Pharmadialog hat bei allen Beteiligten zu einem Erkenntnisgewinn geführt . Wir sind damit
für die nächsten Jahre gut aufgestellt und können darangehen, über die zentralen Herausforderungen zu diskutieren . Dass wir als Parlamentarier nicht daran beteiligt
waren, kann ich verschmerzen . Ich kann Ihnen ganz offen sagen: Ich habe den Bericht gelesen . Da stand nichts
drin, was mir als Parlamentarier nicht vorher schon bekannt gewesen wäre .
Einer der Schwerpunkte im Gesetzgebungsverfahren
ist natürlich die frühe Nutzenbewertung . Ich glaube auch das hat der Pharmadialog gezeigt -, dass sich das
System bewährt hat und viele Probleme von der Selbstverwaltung gelöst wurden . Am Ende gab es zwei Themen, über die wir intensiv diskutieren mussten: über die
europäische Referenzierung und die damit verbundene
Frage der Vertraulichkeit sowie über die chronischen Erkrankungen. Ich sage ganz offen: Ich bin nicht sonderlich
traurig, dass die Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise
nicht kommt .
({3})
Das hätte der Wähler im 21 . Jahrhundert, in dem alle über
Transparenz und Ähnliches reden, schlecht verstanden .
Ich glaube, wir alle können ganz gut damit leben, dass es
keine Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise geben wird .
({4})
Und ich sage auch, dass das eine Barriere für das Arztinformationssystem gewesen wäre .
Ein ganz wesentlicher Baustein in diesem Gesetzgebungsverfahren war, einen Akzent im Bereich „Qualität
der Versorgung“ zu setzen . Auch hier wäre Vertraulichkeit ein Hindernis gewesen . In Bezug auf chronische Erkrankungen war es richtig, dass wir die Möglichkeit für
flexiblere Preise geschaffen haben. Deswegen glaube ich,
dass wir folgende zwei Punkte gut abgearbeitet haben:
Wir haben strukturelle Verbesserungen in Bezug auf den
Bestandsmarkt vorgenommen, und wir schauen, wie wir
mit Adaptive Pathways umgehen, um auch hier eine entsprechende Antwort zu finden.
Wir wollten die Begleitdiagnostik und die personalisierte Medizin nach vorne bringen, sodass es am Ende
richtig war, zum Beispiel auf die Umsatzschwelle zu verzichten . Wir wollen zwar keine Vertraulichkeit, aber wir
wollen mit diesem Punkt der Pharmaindustrie das klare
Signal geben, dass es für sie in Zukunft mehr Sicherheit
und einen verlässlichen Rahmen gibt .
({5})
Das Wichtigste ist aber, glaube ich, dass wir das Thema „Qualität in der Versorgung“ nach vorne bringen .
Ich habe schon das Stichwort „Arztinformationssystem“
genannt . Wir haben die Arzneimittelversorgung in den
zurückliegenden Jahren immer unter dem Aspekt Wirtschaftlichkeit und nicht unter den Aspekten Versorgungssicherheit und Qualität diskutiert .
Wir haben beim Thema Antibiotika etwas gemacht,
und wir schauen, dass wir die Forschung im Bereich
Kinderarzneimittel intensivieren . Wir gehen das Thema
Lieferschwierigkeiten an, indem wir eine Meldepflicht
etablieren . Aber ich glaube, dass wir uns hier in Zukunft
vielleicht noch neuen Herausforderungen stellen müssen .
Wir haben das Thema Zytostatika-Versorgung gut geregelt, und wir haben die Ausschreibungen für Impfstoffe
abgeschafft. Das sind ganz wesentliche Bausteine, die
die Qualität der Versorgung sicherstellen .
Zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir haben ein
Signal an die mittelständische Industrie gesetzt, indem
wir nicht nur Politik für Big Pharma, sondern eben auch
für den Mittelstand gemacht und ihm Handlungsspielräume eröffnet haben. Deswegen möchte ich mich an diesem Punkt auch ausdrücklich bei der SPD bedanken, die
sich sehr kooperativ gezeigt hat .
Ich glaube, dass wir hier ein rundes Paket geschaffen
haben, das uns Versorgungssicherheit und Planungssicherheit für die nächsten Jahre gibt .
({6})
Deswegen möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich
bedanken .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Nächste Rednerin ist
Frau Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute will die
Mehrheit von CDU/CSU und SPD in diesem Haus ein
Gesetz beschließen, das die Versorgung mit Arzneimitteln stärken soll . Schauen wir doch einmal genauer hin,
was jetzt tatsächlich geliefert wurde .
({0})
Der Gesundheitsminister Herr Gröhe hat sich mit
seinen Ministerkollegen für Wirtschaft und Forschung
zwei Jahre lang mit Industrievertretern getroffen, um den
Pharmastandort Deutschland voranzubringen . Schon von
der Anlage her war klar, dass hier nicht so sehr die Interessen der Patientinnen und Patienten und das Wohl der
Versicherten im Mittelpunkt stehen sollten, sondern eben
eine Standortpolitik .
So sah dann auch Ihr erster Gesetzentwurf aus . Die
Erstattungspreise für neue Medikamente, die die Krankenkassen auf der Basis der Nutzenbewertung nach dem
ersten Jahr verhandeln, wollten Sie tatsächlich geheim
halten . Damit sollten die Arzneimittelpreise in Deutschland angeblich gesenkt werden, aber eben um den Preis,
dass bei unseren europäischen Nachbarländern keine Informationen über den realen Preis in Deutschland vorliegen und sie darüber getäuscht würden, sodass sie dann
dort eben mehr als nötig bezahlen müssten . Ich sage
Ihnen ganz klar: Europäische Solidarität, wie sie Frau
Merkel und Herr Schäuble an anderer Stelle so gerne
im Munde führen, sieht für uns nun wirklich anders aus .
Deshalb haben wir von vornherein gesagt: Das geht gar
nicht .
({1})
Im Gegenzug wollten Sie den Unternehmen eine klitzekleine Kostenbremse für die superteuren Medikamente auferlegen . Erst ab einem Umsatz von 250 Millionen
Euro im ersten Jahr sollte der Preis nach den Preisverhandlungen nachträglich rückwirkend gesenkt werden .
Von dieser Maßnahme wären aber nur sehr wenige Medikamente betroffen gewesen. Wirkliche Einsparungen
für die Krankenkassen hätte das kaum gebracht . Nun ist
ja einerseits gegen eine solche Kostenbremse eigentlich
nichts einzuwenden . Ich habe mich aber immer gefragt:
Warum sollen eigentlich die Unternehmen im ersten Jahr
den Preis ganz allein festlegen?
({2})
Um wirksam Kosten zu bremsen, hätte der Rabatt, den
die Kassen und die Unternehmen nach dem ersten Jahr
vereinbaren, ab dem Tag der Zulassung gelten müssen .
Nur so wäre es wirklich eine echte Bremse gewesen .
({3})
Dann hätten sich die Unternehmen auch gut überlegen
müssen, ob sie Scheininnovationen - die den Patientinnen und Patienten nichts bringen, die Versicherten aber
mit hohen Kosten belasten - wirklich massiv in den
Markt drücken wollen . Statt aber diese Bremse nun richtig scharf zu stellen, haben Sie sie kurzerhand komplett
gestrichen . Das ist, ehrlich gesagt, nicht zu fassen .
({4})
Stattdessen verlängern Sie jetzt das Preismoratorium .
Das betrifft aber die neuen Medikamente gar nicht und
wirkt wie ein Rasenmäher . Auch eher niedrige Preise
dürfen nicht steigen, selbst wenn die Unternehmen höhere Ausgaben bei den Löhnen und höhere Energiekosten
haben . Also, Politik für den Mittelstand, lieber Michael
Hennrich, sieht echt anders aus .
({5})
Nun sagen Sie: Es sollte ja gar nicht primär um Kosteneinsparungen gehen, sondern um die Versorgungssicherheit . - Wir haben in den letzten Jahren gerade bei
essenziell wichtigen Medikamenten immer wieder mit
Lieferengpässen zu tun gehabt. Auch Impfstoffe kamen
immer öfter nicht in den Arztpraxen und Apotheken an .
Zur Lösung dieser Probleme haben wir als Linke Ihnen
sehr konkrete Vorschläge gemacht .
({6})
Man könnte etwa die Hersteller gesetzlich verpflichten,
drohende Lieferengpässe frühzeitig zu melden und durch
Vorratshaltung von wichtigen Medikamenten Vorsorge
zu leisten .
({7})
Bei Verstößen gegen die Melde- und Vorratspflicht müssten dann aber auch schmerzhafte Sanktionen drohen;
denn schließlich geht es hier um die Gesundheit der Bevölkerung . Das aber wollen Sie nicht . Sie begnügen sich
mit einem sogenannten Jour fixe und mit völlig unverbindlichen Meldepflichten. Bei diesem Jour fixe wird das
Ministerium dann mit den Herstellern über die Engpässe
sprechen . Ich sage es einmal so: Schaden tut das nicht .
Aber hilft es?
Gestern haben wir im Ausschuss noch eine ganze Reihe von Änderungsanträgen beraten, die in der Gesamtschau das Gesetz eher verbessert haben, zum Beispiel mit
den Sonderregelungen für die Krankenhausapotheken .
Man sieht schon, dass es auch in der Koalition ein paar
Abgeordnete gibt, die daran arbeiten und sich bemühen,
dem Ministerium ein paar Fortschritte abzuhandeln .
({8})
In einem Änderungsantrag folgen Sie sogar unserem
Vorschlag und beenden die Ausschreibungsverfahren der
Krankenkassen zumindest schon einmal bei den Impfstoffen. In der Begründung geben Sie auch zu, dass exklusive Rabattverträge zu Lieferproblemen führen können. Das ist, finde ich, ein schöner Erkenntnisfortschritt.
Darüber habe ich mich gefreut .
({9})
Insgesamt aber ist das Gesetz aus unserer Perspektive nicht geeignet, die Arzneimittelversorgung wirklich
substanziell zu verbessern . Und gegen die Mondpreise
haben Sie nun gar nichts getan . Das ist leider eine verschenkte Chance . Deshalb können wir auch trotz der positiven Ansätze nicht Ja zu diesem Gesetz sagen, sondern
uns nur enthalten .
({10})
Vielen Dank . - Der nächste Redner ist der Kollege
Dr . Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal lautet die Frage, die berechtigt
gestellt wird: Ist das in Bezug auf die ArzneimittelversorKathrin Vogler
gung ein Verstärkungsgesetz oder nicht? Ich will das an
drei Beispielen klarmachen .
Wir haben uns erstens sehr intensiv mit der Frage
beschäftigt: Sollten die verhandelten Arzneimittelpreise transparent bleiben, oder sollten sie vertraulich sein?
Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Im parlamentarischen Verfahren sind wir - wofür ich mich ausdrücklich bei allen Beteiligten bedanken möchte - zu
dem Ergebnis gekommen, dass vertrauliche Preise nicht
zeitgemäß sind . Wir leben in einer Zeit, wo wir mehr
Transparenz in unserem Gesundheitssystem benötigen
und wo sowohl die Ärzte als auch die Patienten ein Recht
darauf haben, die Preise der verordneten Arzneimittel
zu kennen, sonst kann keine wirtschaftlich vernünftige
Verordnung getroffen werden und sonst kann der Patient
ein Medikament nicht wertschätzen . Außerdem wäre das
nicht nur für das Ausland von Bedeutung gewesen; denn
selbstverständlich sind die Informationen über hohe Preise, die der Öffentlichkeit bekannt sind, auch ein Mittel,
das den Krankenkassen hilft, in den Verhandlungen über
die Arzneimittelpreise entsprechenden Druck aufzubauen .
Daher ist diese Transparenz ein zeitgemäßes und sinnvolles Instrument, um im AMNOG-Verfahren überhaupt
zu guten, gerechten und angemessenen Preisen zu kommen . Das ist eine Verstärkung dieses Verfahrens . Wir
haben klipp und klar gesagt: Geheimpreise gehören dort
nicht hinein .
({0})
Ich möchte zweitens ausdrücklich auf Folgendes hinweisen: Es ist ein unerträglicher Umstand, dass zwar in
den Apotheken fast alle Medikamente lieferbar sind - es
gibt in den Apotheken kaum Lieferengpässe -, dass aber
in den Krankenhausapotheken zwischen 30 und 50 Arzneimittel, die für die Patienten unbedingt notwendig
sind - fehlen diese Medikamente, kann das für die Patienten lebensbedrohlich sein -, entweder nicht erhältlich
oder nur zeitweise erhältlich sind . Das ist ein Armutszeugnis, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass
der Patient, wenn er diese Medikamente nicht bekommt,
weil sie nicht lieferbar sind, dies nie erfährt .
Ein Beispiel: Ein krebskrankes Kind wird in einem
solchen Fall mit einer Kombinationstherapie behandelt,
die nicht optimal ist, weil das entsprechende Medikament, zum Beispiel Alkeran, nicht vorrätig ist . Die Eltern und das Kind erfahren nie, dass auch eine andere
Behandlung sinnvoll gewesen wäre . Gleichzeitig werden
diese Medikamente teilweise im Ausland zu höheren
Preisen noch verkauft, oder sie werden beim Großhandel
gelagert, um sie für niedergelassene Onkologen über die
Lieferkette bereitzustellen . Das sind unhaltbare Zustände. Das haben wir abgeschafft.
Wir haben drittens eine Verpflichtung zur Meldung
eingeführt . Wir haben darüber hinaus den Krankenhäusern die Möglichkeit gegeben, sich zu bevorraten, wenn
der Hersteller nicht liefern kann. Er ist verpflichtet, dies
zu melden . Das Krankenhaus kann sich für einen Zeitraum von über 14 Tagen bevorraten . Das ist eine dramatische Sanktion, weil die Hersteller, die liefern könnten,
dies aber nicht tun, dadurch einen Kunden verlieren . Der
Kunde, in diesem Fall das Krankenhaus, kann sich dann
im Ausland die Medikamente besorgen . Somit wenden
wir die Bedrohung vom Patienten ab und halten eine entsprechende Sanktion bereit .
Das Arzneimittelgesetz hätte eine wirtschaftliche
Sanktion in Höhe von maximal 25 000 Euro zugelassen .
Die Sanktion, die wir jetzt beschlossen haben, geht weit
darüber hinaus und beinhaltet klare Verantwortlichkeiten . Ich glaube, das ist auf jeden Fall ein Schritt in Richtung Versorgungsstärkung im Arzneimittelbereich .
({1})
Abschließend möchte ich sagen: Ich persönlich betrachte es auch als eine Verstärkung der Versorgung,
wenn in den Arztinformationssystemen demnächst nicht
nur die Preise, sondern auch die Leitlinien, die Therapiealternativen, die entsprechenden Bewertungen des
AMNOG-Verfahrens durch das IQWiG so präsent sind,
dass sie der Arzt elektronisch schnell und in einer verständlichen Art und Weise abrufen kann . Wir dürfen uns
nicht täuschen: Oft ist tatsächlich die Praxissoftware
die einzig belastbare und rasch zur Verfügung stehende
Quelle für einen Arzt, um sich zu informieren . Wenn
ein Arzt anhand der Software die Kosten eines Medikaments, die wissenschaftliche Bewertung des IQWiG und
die Therapiealternativen sieht, dann ist er auf der Grundlage des besten wissenschaftlichen Stands in der Lage,
eine Entscheidung zu treffen.
Diese Möglichkeit war bisher nur im Ausnahmefall
möglich und wurde von den Herstellern, die die notwendigen Informationen nur sehr zögerlich zur Verfügung gestellt haben, zum Teil unterlaufen . Das ist eine
deutliche Verbesserung für die Ärzte . Das ist eine deutliche Verbesserung der Arzneimittelsicherheit . Das wird
im Übrigen auch dazu führen, dass die auf Basis des
AMNOG verhandelten Preise und die Nutzenbewertungen mehr Einfluss auf die Versorgung haben. Auch hier
sehe ich eine Verbesserung im Vergleich zu vorher .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Das Wort hat nunmehr
Frau Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was vor
zwei Jahren mit dem sogenannten Pharmadialog begann,
findet nun heute sein vorläufiges Ende im sogenannten
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, das hier heute
zur Abstimmung steht . Nach zwei Jahren Dialog und einem Jahr Beratung im Parlament ein solches Gesetz vorzulegen, halte ich für einen schlechten Scherz .
({0})
Das Gesetz zeigt, wie unter einer Großen Koalition Reformstillstand dazugehört, und dies gerade im so wichtigen Bereich der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln .
Wir hatten schon immer befürchtet, dass der Pharmadialog der Großen Koalition scheitern wird . Unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutierten drei Ministerien,
zwei von der CDU und eines von der SPD geführt, gemeinsam mit der Pharmaindustrie über Mittel und Wege,
die Arzneimittelforschung und den Wirtschaftsstandort
Deutschland zu stärken . Nur am Katzentisch, wenn sie
überhaupt beteiligt waren, saßen die Krankenkassen, die
Patientenvertreter, die Zivilgesellschaft, unabhängige
Experten und die Bundestagsabgeordneten als Vertreter
der gesetzgebenden Gewalt .
Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wird
heute mit seiner Verabschiedung ein Beleg dafür sein,
dass der Pharmadialog gescheitert ist; denn die komplexen Herausforderungen der Arzneimittelversorgung sind
wieder nur vertagt worden .
({1})
Was steht denn überhaupt in diesem Bauchladen, in
diesem Gesetz? Das Preismoratorium für Arzneimittel, die vor 2011 auf den deutschen Markt kamen, wird
nun bis Ende 2022 verlängert . Auch ich halte das für
einen unvermeidbaren Schritt, um die derzeitige Arzneimittelversorgung überhaupt bezahlbar zu halten . Aber
wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies kein
nachhaltiger Schritt ist und vor allem kleine und mittlere pharmazeutische Hersteller treffen wird, die die steigenden Lohnkosten durch die seit Jahren fixierten Preise
nicht abbilden können .
Außerdem werden die Rabattverträge abgeschafft, die
bisher zwischen den Krankenkassen und Zytostatika-herstellenden Apotheken geschlossen wurden . Die neuen Instrumente sind hinsichtlich der Versorgung jedoch nicht
ausreichend durchdacht . Unklar bleibt, wie die Qualität
für die Patienten mit Krebserkrankungen auf Dauer gesichert werden kann .
Meine Damen und Herren, das Vertrauensverhältnis
zwischen Patienten, Onkologen und Apotheken ist zentral für eine erfolgreiche Behandlung .
({2})
Bei einem Markt mit einem Umsatz von 3 Milliarden
Euro pro Jahr muss man darauf achten, dass auch die
Korruptionsanfälligkeit wirklich ausgeschlossen ist .
Es gibt ein paar richtige Korrekturen, die vorgeschlagen werden . Dazu zähle ich die Anhebung der Apothekenvergütung um rund 110 Millionen Euro, den verstärkten Einsatz von Diagnostika in der Antibiotikatherapie,
um Resistenzen zu vermeiden, die Einführung des Arztinformationssystems - das ist gerade schon angesprochen worden -, damit die Nutzenbewertung endlich auch
in der Arztpraxis ankommt und somit die Patientenversorgung gestärkt werden kann .
Doch kommen wir zurück zu den vermeintlichen
Versprechen des Pharmadialogs . Erst in dieser Woche,
in letzter Minute, wurden zwei wesentliche Regelungen
aus dem AMVSG entfernt . Die Umsatzschwelle, die die
Kosten für neue, innovative Arzneimittel im ersten Jahr
der Markteinführung begrenzt hätte, kommt nicht . Die
Schwelle war mit 250 Millionen Euro ohnehin so hoch,
dass sie im letzten Jahr nur bei drei Medikamenten wirksam geworden wäre . Anstatt die Schwelle abzusenken,
wird die Regelung ganz gestrichen . Das ist wirklich unglaublich; denn das ermöglicht den Herstellern, im ersten
Jahr der Markteinführung weiter unbegrenzt die Preise
festzusetzen, die sogenannten Mondpreise . Das hätte
wirklich nicht passieren dürfen .
({3})
Wenn wir die Preise gerade bei innovativen Medikamenten nicht in den Griff bekommen, dann werden entweder die Krankenkassenbeiträge explodieren, oder es
werden immer mehr Patienten von der Versorgung ausgeschlossen . Deswegen fordern wir ganz deutlich, dass
die zwischen Kassen und Herstellern ausgehandelten
Rabatte vom ersten Tag der Markteinführung an gelten .
({4})
Gestrichen wurde - glücklicherweise, muss man sagen - die Abschaffung der Transparenz der ausgehandelten Erstattungspreise . Diese Transparenz führt dazu,
dass die in Deutschland ausgehandelten Preise auch in
anderen Ländern als Referenzpreis dienen . Peinlich für
die Bundesregierung ist nur, dass es ohnehin das einzige
positive Ergebnis aus dem Pharmadialog für die Pharmaindustrie war, und das streichen Sie auch noch, meine
Damen und Herren . Das einzige Ergebnis des Pharmadialogs ist seit Anfang dieser Woche Geschichte .
Mittelfristig ist die Gesundheitsversorgung mit dem
vorliegenden Gesetz nicht auf dem heutigen Stand zu
halten. Sie haben es noch nicht einmal geschafft, dass
alle damit zufrieden sind .
Herr Gröhe hat gestern hier an dieser Stelle gesagt:
Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz ist ein Gesamtkunstwerk . - Das ist es weiß Gott nicht . Es ist vertane Zeit für alle Beteiligten gewesen . Der Pharmadialog
ist ein Dialog nach dem Motto gewesen: Außer Spesen
nichts gewesen .
Ich danke Ihnen .
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Der nächste Redner ist
Reiner Meier von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im vergangenen Jahr haben unsere gesetzlichen Krankenkassen einen Überschuss von 1,38 Milliarden Euro
erzielt . Das ist bemerkenswert; denn wir haben an mehKordula Schulz-Asche
reren Stellen die Leistungen für die Versicherten deutlich
verbessert . Die gute Finanzsituation der Kassen ist damit
Ausdruck einer verantwortungsvollen Ausgabenpolitik,
die wir betreiben .
Verantwortung heißt aber auch, das große Ganze
in den Blick zu nehmen . Neben der optimalen Versorgung der Patienten gehören dazu wirtschaftliche und
forschungspolitische Überlegungen; denn mit weit über
100 000 Arbeitsplätzen in der Pharmaindustrie steht uns
ein großer Arbeitgeber und ein bedeutender Partner für
unsere Hochschulen und unsere Forschung gegenüber .
Damit das so bleibt, hat die Bundesregierung erfolgreich,
Frau Schulz-Asche, einen Pharmadialog geführt, den wir
mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz in wesentlichen Teilen umsetzen .
({0})
Es ist parlamentarischer Usus, dass kein Gesetzentwurf den Bundestag so verlässt, wie er ihn erreicht hat .
Ich meine aber, dass wir beim AMVSG am Ende ein
noch besseres Paket geschnürt haben . So wird die Resistenzsituation künftig bei den Festbeträgen für Antibiotika
berücksichtigt . Ähnliches gilt für kindgerechte Medikamente . In diesem Bereich stellen wir zudem klar, dass
Arzneimittel, die nur für Kinder und Jugendliche erstattet
werden können, von der Nutzenbewertung befreit werden .
({1})
Damit schaffen wir verlässliche Anreize für die Entwicklung von Antibiotika und Kinderarzneimitteln .
({2})
Mit dem Ende der Exklusivverträge bei Zytostatika
tragen wir dem Umstand Rechnung, dass gerade in der
Krebstherapie Ärzte und Apotheker zusammenarbeiten
müssen . Hier muss die Sicherheit der Krebspatienten an
erster Stelle stehen . Ebenso stärken wir mit dem Gesetz
die Transparenz . Dies gilt bei Lieferengpässen, die nun
einer Meldepflicht unterliegen, aber auch bei der Listung
der Erstattungsbeträge .
Transparenz steht auch hinter dem Arztinformationssystem . Künftig verfügen unsere Ärzte über eine zentrale Informationsquelle rund um alle Arzneimittel . Es
geht weder darum, Werbung für neue Medikamente zu
machen, noch darum, Ärzte zu billigeren Verordnungen
zu drängen . Alleiniges Ziel ist es, den Ärzten eine stets
aktuelle Übersicht über Präparate und das geltende Recht
an die Hand zu geben . Ich sage ganz klar: Die Therapiefreiheit steht für uns nicht zur Debatte .
({3})
Etwas ist mir persönlich besonders wichtig, nämlich
die Abschaffung von Ausschreibungen bei Impfstoffen.
Gemeinsam mit dem Kollegen Irlstorfer kämpfe ich
schon seit Jahren für eine bessere Impfquote . Durch die
Ausschreibungen waren oft nur noch die Impfstoffe der
erfolgreichen Bieter in Deutschland erhältlich . Dadurch
kam es immer wieder zu Engpässen, wenn der Hersteller
nicht liefern konnte . Künftig stehen in der Versorgung
alle zugelassenen Impfstoffe zur Verfügung. Wer eine
Schutzimpfung will, muss keine Engpässe mehr fürchten . Das ist wirklich eine gute Nachricht .
({4})
Meine Damen und Herren, vor vielen Jahren sagte man noch: Deutschland ist die Apotheke der Welt . Apotheke, nicht Versender . Heute werden auf der ganzen
Welt neue, innovative Medikamente entwickelt . Mit dem
vorliegenden Gesetzeswerk bringen wir diese Fortschritte zu den Patienten und stärken gleichzeitig die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln in unserem Land .
Auch wenn wir im Parlament bisweilen Kompromisse finden müssen, bin ich davon überzeugt, dass das
AMVSG ein gutes und ausgewogenes Gesamtpaket ist,
eines, das die Arzneimittelversorgung in unserem Land
sachgerecht und sinnvoll weiterentwickelt . Deshalb bitte
ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Meier . - Jetzt hat das Wort
Martina Stamm-Fibich von der SPD-Fraktion .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Besucher und Besucherinnen! Fast
zwei Jahre - wir haben es gehört - haben Vertreter der
Pharmaindustrie und der Bundesregierung im Pharmadialog verhandelt . Diese Form der Gespräche war unter
demokratischen Gesichtspunkten eher ungewöhnlich . So
waren weder die Krankenkassen noch die zuständigen
Berichterstatter der Fraktionen beteiligt . Auf den Punkt
gebracht: Wir Abgeordnete waren nicht Teil des Dialogs,
mussten aber jetzt über das Gesetz beraten . Absprachen,
die im Pharmadialog getroffen wurden, sind jedoch für
uns Abgeordnete nicht bindend . Frau Kollegin SchulzAsche, Gesetze werden eben hier gemacht . Das ist, glaube ich, auch gut so .
({0})
Wir haben mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz als Ergebnis des Pharmadialogs einen vernünftigen Kompromiss erarbeitet und einen eigenen
Fokus auf Transparenz und Qualität in der Versorgung
gelegt. Folgende Änderungen finden wir als SPD-Fraktion besonders begrüßenswert:
Seit Einführung des AMNOG im Jahre 2011 sind alle
neuen, innovativen Epilepsie-Medikamente an der frühen Nutzenbewertung gescheitert . Der Epilepsie Bundes-Elternverband hat sich deshalb Mitte des Jahres 2015
mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt .
Mit dieser Petition wurde eine Reform des AMNOG gefordert, damit die Versorgung aller therapieresistenten
Menschen mit der Krankheit Epilepsie mit neuen Medikamenten sichergestellt wird. Die Petition befindet sich
immer noch in der Prüfung . Wir haben aber mit diesem
Gesetz jetzt eine Lösung zum Wohle dieser Patientinnen
und Patienten gefunden; denn künftig können Hersteller,
deren Medikament keinen Zusatznutzen hat, auch nach
der Marktrücknahme mit den Krankenkassen über einen
Erstattungsbetrag verhandeln .
Wir gehen hier aktuell von rund 2 500 Betroffenen
aus, die ihr Medikament aus dem europäischen Ausland
erhalten, weil es auf dem deutschen Markt nicht mehr
verfügbar ist . Epileptiker sind ein Beispiel für betroffene Patientinnen und Patienten; denn bei Krankheiten
wie Epilepsie sprechen wir über Medikamente, die sehr
individuell ansprechen . Zudem müssen diese Patienten
häufig eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen, und
dabei kommt es oft zu Wechselwirkungen .
Je größer die Bandbreite der auf dem Markt existierenden Arzneimittel ist, desto größer ist folglich die
Wahrscheinlichkeit, dass Patienten das für sie individuell richtige Medikament finden und damit anfallsfrei und
selbstbestimmt leben können . Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz haben wir jetzt die Chance genutzt und diese Rahmenbedingungen so geändert, dass
Menschen mit chronischen Erkrankungen besser versorgt werden können .
Auch im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit
konnten wir viele Verbesserungen erzielen . Seit rund
20 Jahren verweisen Experten auf das Problem der unzureichenden Arzneimittelversorgung für Kinder und
Jugendliche . So sind etwa immer noch 20 Prozent der
Arzneimittelverordnungen im ambulanten und beinahe
70 Prozent der Verordnungen im stationären Bereich
außerhalb oder ohne eine formale Zulassung . Die Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche muss gestärkt werden . Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die im
Gesetz verankerte Übertragung von Evidenz bei Kinderarzneimitteln .
({1})
Auch die Neuerung im Bereich Festbetrag begrüßen
wir; denn die bestehenden Festbetragsregelungen führen
dazu, dass nicht ausreichend Arzneimittel mit neuen alters- und kindgerechten Darreichungsformen, also Säften
und Lösungen, zur Verfügung stehen . Um dem entgegenzuwirken, haben wir eine gesonderte Berücksichtigung
altersgerechter Darreichungsformen für Kinder bei der
Bildung von Festbetragsgruppen beschlossen .
Der Markt für Kinderarzneimittel ist deutlich kleiner
und damit weniger profitabel als der Markt für Erwachsenenmedikamente . Die Marktkräfte allein reichen hier
leider nicht aus, um die Entwicklung von Medikamenten
für Kinder voranzutreiben . Deswegen haben wir als Gesetzgeber eine Hilfestellung geschaffen. Von Anfang an
haben wir hier Verbesserungen gefordert .
Wir fordern gemeinsam mit den Kollegen von der
Union endlich die Abschaffung der Impfstoffausschreibungen .
({2})
Impfungen sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und der beste Schutz vor schwerwiegenden Infektionserkrankungen . Über das Ziel einer hohen Durchimpfungsrate besteht gesellschaftlicher und überparteilicher
Konsens . Aber noch immer sind die Impfquoten in
Deutschland viel zu niedrig . Gerade bei der Grippe sind
wir weit davon entfernt, das EU-Ziel von mindestens
75 Prozent geimpfter Senioren zu erreichen .
Die Ärzteschaft fordert bereits seit 2014 die Abschaffung der Ausschreibung von Impfstoffen. Zuletzt kam es
beim Grippeimpfstoff wirklich vermehrt zu Lieferengpässen; aber auch bei verschiedenen Standardkinderimpfungen gab es Engpässe . Das verunsichert die Patienten .
Wir schaffen nun die Ausschreibungen ab und fördern
damit die Versorgungssicherheit und langfristig sicher
auch höhere Impfquoten .
Last, but not least haben wir auch die Honorare der
Apotheker für Rezeptur- und BtM-Gebühren um rund
100 Millionen Euro erhöht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitsausgaben sind auch im Jahr 2015 gestiegen . Insgesamt
haben sich die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um
15 Milliarden Euro erhöht . Laut Statistischem Bundesamt ist im Jahr 2015 mehr als jeder neunte Euro für Gesundheit ausgegeben worden . Das ist erfreulich; denn die
Gesundheit scheint einen hohen Stellenwert zu genießen .
Immer mehr Menschen nehmen ihre Gesundheit ernst .
Sie achten auf Ernährung, integrieren Sport in ihren Alltag und interessieren sich für die medizinische Vorsorge .
Das ist richtig und wichtig; denn jeder Euro, der der Gesundheit der Bürger nutzt, ist gut angelegt .
({3})
Aber perspektivisch sollten wir darüber nachdenken,
ob wir innerhalb der EU weiter das einzige Land sein
wollen, in dem alle neu zugelassenen Arzneimittel zunächst zum Wunschpreis der jeweiligen Hersteller in den
Markt eingeführt werden können . Um für Patientinnen
und Patienten langfristig den Zugang zu einer modernen
Arzneimitteltherapie und zu echten Innovationen erhalten zu können und gleichzeitig die Finanzierbarkeit sicherstellen zu können, müssen wir weiter an einem ausgewogenen Ausgleich der Interessen arbeiten .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Martina Stamm-Fibich . - Schönen
Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war
jetzt der zweite Wechsel zu mir. Ich hoffe, ich sehe Sie
heute Nacht um eins auch - da bin ich wieder dran -; ich
würde mich sehr freuen . Vielleicht brauchen wir da die
Gesundheitsexperten sowieso .
({0})
Ich sehe, dass die Abdeckung an den Plätzen immer
noch nicht wieder angebracht worden ist . Das kommt
auch noch . Zwei Kolleginnen sitzen sozusagen im Freien .
Letzter Redner in dieser Debatte: Thomas Stritzl für
die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich darf den Zuschauern sagen: Das Dach ist
dicht .
Lassen Sie mich ein paar Anmerkungen machen; fast
alles ist schon erwähnt worden . - Die Initiative des Bundesgesundheitsministers und dieser Koalition, den Gesprächsfaden zur Pharmabranche nach den Erfahrungen
einer ganzen Legislaturperiode mit dem AMNOG qualifiziert wieder aufzunehmen, war gut und folgerichtig.
({0})
Diesen Faden fortzuspinnen, erscheint mir genauso angezeigt, wie es mir ratsam erscheint, in dieser Frage eine
geeignete Gesprächsebene mit dem Hohen Haus selbst
zu finden.
Es ist angesprochen worden, Frau Kollegin, dass das
Gesetz heute eine andere Fassung als bei der Einbringung hat .
({1})
Dass das so ist, finde ich auch richtig; denn sonst würde
man ja sagen: Parlamentarische Beratungen haben gar
keinen Wert . - Die Punkte sind auch ein bisschen schwieriger, als sie manchmal zu sein scheinen .
So haben wir jetzt - Sie haben darauf hingewiesen keine Preisvertraulichkeit mehr . Die forschende Industrie
sieht darin einerseits einen Wettbewerbsnachteil auf internationaler Ebene; auf der anderen Seite sieht sie den
Weg zur Eindämmung des versorgungsgefährdenden Parallelhandels verbaut . Andere feiern das, wie gehört, als
Gewinn für mehr Transparenz . Bei der Einbringung des
Gesetzes im November 2016 haben die Kolleginnen und
Kollegen von der Linken gar eine zutiefst antieuropäische Einstellung des Ministers vermutet .
({2})
- Natürlich zu Unrecht . - Ich darf mit Genehmigung der
Frau Präsidentin einmal kurz zitieren .
Ja .
Ein für die Fachöffentlichkeit zugängliches Verzeichnis mit Listenpreisen und entsprechenden Rabatten existiert - bis auf die deutschen Erstattungsbeträge - bisher leider nicht .
Dieses Zitat stammt aus einer Publikation des Wissenschaftlichen Instituts der AOK .
Wie Sie aus der Anhörung, die Sie sicherlich verfolgt
haben, mitbekommen haben, hat Frau Dr . Vogler als Einzelsachverständige ausgeführt, dass immer mehr europäische Staaten dazu übergegangen seien, vertrauliche
Rabatte zu vereinbaren, um der Bevölkerung Zugang zu
hochpreisigen Medikamenten zu gewähren . Das sei ein
Trend, den wir in den letzten Jahren gesehen hätten . In
einer Erhebung, die 2011 von ihrem Behördennetzwerk
gemacht worden sei, hätten damals 25 von 31 Ländern
gesagt, dass sie vertrauliche Rabatte bei bestimmten Produkten haben .
Vertraulichkeit ist also die europäische Realität und
nicht die europäische Ausnahme . Das ist auch der Grund,
warum die Industrie eine Wettbewerbsverzerrung vermutet . Man kann es anders sehen, aber bitte nicht behaupten,
dass es antieuropäisch sei, wenn das, was in Europa gemacht wird, von anderen verlangt wird .
({0})
Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt etwas
sagen . Man muss sich natürlich überlegen, ob wir für so
viel Transparenz sind . Ich habe gerade dem Herrn Professor zugehört, der von Geheimpreisen gesprochen hat .
Wenn wir das so apodiktisch meinen - das können wir
ja meinen und darüber reden; ich finde es gut, dass wir
darüber diskutieren -, dann ist doch die Frage: Wieso hat
der Patient keine Kenntnis über die Rabattpreise, wenn
er, wie ich vorhin gehört habe, schon in der Apotheke
wissen müsste, was das Medikament kostet, weil das für
den Therapieerfolg ursächlich sei? Warum weiß die Kasse A nicht, was Kasse B bei einem gewissen Wirkstoff für
einen Rabattvertrag vereinbart hat? Da haben wir doch
die Vertraulichkeit . Wir sollten bitte schön nicht auf der
einen Seite die Vertraulichkeit heiligsprechen und auf
der anderen Seite einen solchen Ansatz verdammen . Ich
stelle das nur dar, damit man sieht, dass man auch in der
Sache sehr vernünftig über diese Punkte streiten kann .
Aber sie eignen sich sicherlich nicht, Frau Kollegin, zur
versuchten Stigmatisierung .
({1})
Ein anderer Punkt ist die Frage des Ausschreibungsverzichts bei Impfstoffen. Da rennen Sie bei uns offene
Türen ein . Wir waren immer dafür; der Kollege Henke
hat vorhin darauf hingewiesen . Ich sage es noch einmal:
Heiko Schmelzle, der früher bei uns für dieses Thema
zuständig war und sich auch ganz wesentlich dafür eingesetzt hat - heute ist er wohlbestallter Bürgermeister -,
Vizepräsidentin Claudia Roth
hätte sich, glaube ich, ganz besonders über den Durchbruch gefreut .
({2})
Ich glaube, in der Gesamtsicht ist es richtig, dass wir den
Menschen die Möglichkeit geben, sich besser und mit
verbesserten Impfstoffen impfen zu lassen, dass wir die
Impfquote bei Grippe - Sie haben es angesprochen, Frau
Kollegin - von 35 Prozent auf 75 Prozent, wie die WHO
empfiehlt, anheben sollten. Dies ist ein Weg, das zu tun,
weil auch die produktionsspezifischen Eigenschaften bei
Impfstoffen diesen Weg als angeraten erscheinen lassen.
Ich halte ihn für richtig . Wir sollten ihn also auch gemeinsam gehen .
Ein letzter Punkt, der angesprochen worden ist, ist die
Streichung der Umsatzschwelle . Auch hier lassen Sie
mich sagen: Ich glaube nicht, dass sich das zur Stigmatisierung eignet . Wir haben sehr bewusst und auch ganz
offen miteinander über diesen Punkt geredet. Natürlich
ist es so, dass das Preismoratorium die mittelständische
Industrie, aber auch die Pharmaindustrie ganz massiv
betrifft. Das ist eine Situation, die man nicht unbegrenzt
fortschreiben kann . Umso wichtiger ist es, glaube ich,
dass man Signale setzt, wo man sich noch entsprechende
Verbesserungen wünscht .
({3})
Natürlich hat das erste Jahr ab Zugang zum Markt Bedeutung für die forschende Industrie, für neue Arzneimittel . Da kann man sich nicht so schlank hinstellen und
sagen: Alles Mondpreise, alles zulasten der Versicherten!
({4})
- Nein, kann man nicht, gnädige Frau .
Und man kann das jetzt auch nicht weiter ausführen,
weil Sie deutlich über der Zeit sind .
Einen letzten Satz . - Sagen Sie mir bitte, was aus
Sicht der Linken Heilung kosten darf. Der Wirkstoff gegen Hepatitis C gibt Hunderttausenden Menschen auf der
Welt eine Chance auf Heilung statt auf Chronifizierung.
({0})
Das ist an Geld doch gar nicht zu bemessen . Und wenn
wir die Forschungsschwerpunkte auf Heilung und nicht
auf Chronifizierung lenken, dann haben wir im Sinne der
Versicherten, der Patientinnen und Patienten ein wirklich
gutes Werk getan . Auch das spiegelt sich in diesem Gesetz wider .
Vielen Dank .
({1})
Danke, Herr Kollege Stritzl . - Damit schieße ich die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der Arzneimittelversorgung in der GKV . Der Ausschuss
für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11449, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10208 und
18/10608 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt
haben die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Jetzt kommt Bewegung ins
Parlament .
({0})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den
gleichen Mehrheiten angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11457 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt . Dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD, dafürgestimmt hat Bündnis 90/
Die Grünen und enthalten haben sich die Linken .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 9
auf:
10 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann ({2}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit in der Pflege - Personalbemessung in der Altenpflege einführen
Drucksachen 18/9122, 18/11347
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine Lobby für die Pflege - Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften
verbessern
Drucksache 18/11414
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Erwin
Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion .
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir haben in dieser Legislaturperiode nahezu Historisches vollbracht mit dem, was wir in diesen
fast vier Jahren durch unsere umfänglichen Pflegereformen auf den Weg gebracht haben . Das kommt auch den
Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeitern zugute. Ich
möchte hier einmal sagen: Ich ziehe den Hut vor denen,
die jeden Tag ihre Leistung in der Altenpflege und in der
Krankenpflege erbringen. Das ist bemerkenswert.
({0})
Das ist fachlich hochqualifiziert, mit viel Empathie und
mit viel Herzensbildung . Dafür darf man auch einmal an
dieser Stelle Danke sagen .
({1})
Wir haben in dieser Legislaturperiode viel für die
Pflege vollbracht. Wir haben bereits mit dem Pflegestärkungsgesetz I in der stationären Pflege zusätzliche
Betreuungs- und Aktivierungsangebote geschaffen und
diese auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Wir haben
eine neue Bemessungsgrundlage für das Betreuungsverhältnis geschaffen, sodass über 45 000 zusätzliche Betreuungskräfte in den stationären Einrichtungen zur Verfügung stehen . Das ist eine Riesenentlastung . Das bringt
mehr Hände für die Pflege. Darauf können wir stolz sein.
({2})
Das verbessert den Pflegealltag für die Pflegekräfte, aber
auch für die Pflegebedürftigen.
Ein ganz wesentlicher Beitrag, der außerdem geleistet
wurde: Wir haben geregelt, dass bei Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen
das Zahlen von Tariflöhnen nicht als unwirtschaftlich
eingestuft werden darf .
({3})
- Wir mussten es auf jeden Fall gesetzlich regeln .
({4})
- Deshalb sage ich ja: Wir haben in dieser Legislaturperiode mannigfaltige Dinge vollbracht, auch, dass mehr
Lohn in der Pflege gezahlt wird. - Das, was wir mit dem
PSG I für die tarifgebundenen Unternehmen gelöst haben, haben wir mit dem PSG III auch für die nicht tarifgebundenen gelöst . Es wird so sein, dass in den nächsten
Monaten bzw . in wenigen Jahren das Zahlen von Tariflohn in der Pflege zum Standard wird. Dafür haben wir
gesorgt .
({5})
Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz haben wir
der Selbstverwaltung den Auftrag erteilt, bis 2020 ein
wissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur Personalbemessung zu entwickeln . Damit soll künftig festgestellt
werden, wie viele Pflegekräfte die Einrichtungen für eine
gute Pflege brauchen.
({6})
- 2020 . Diese Jahreszahl ist mir schon bewusst . Aber
wenn man es wissenschaftlich fundiert machen will,
braucht man diese Zeit für ein ordentliches Ergebnis .
({7})
Wir haben 2015 mit dem Strukturmodell flächendeckend eine vereinfachte Pflegedokumentation im ambulanten wie im stationären Bereich eingeführt . Bürokratie
senkt Motivation und verbraucht Zeit, die eigentlich für
die Pflegetätigkeit dringend gebraucht wird. Mit dem Bürokratieabbau ermöglichen wir den Pflegekräften wieder
mehr Zeit am Bett . Wir haben klargestellt, dass der mit
der Entlastung einhergehende Zeitgewinn für die Pflegekräfte nicht durch Personalkürzungen konterkariert werden darf .
Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Vielzahl
von Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Situation in der Pflege auf den Weg gebracht. Wir haben gute
Rahmenbedingungen geschaffen. Wir haben die Umsetzung der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege auf den Weg gebracht. Den Mindestlohn möchte ich hier erwähnen, ebenso die Aufwertung der Pflege
durch eine wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung
der Qualitätsinstrumente, insbesondere dadurch, dass wir
in Zukunft die Ergebnisqualität stärker betonen . Wir haben auch die Förderung der Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland gestärkt .
Bereits nach geltendem Recht können in den Landesrahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder zur Bemessung von Pflegezeiten vereinbart
werden . Bislang werden in den Ländern allerdings nur
Richtwerte vereinbart . Im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind
diese Rahmenverträge nun entsprechend anzupassen und
Vizepräsidentin Claudia Roth
auf die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft
auch die Vorgaben zur Personalausstattung in Pflegeeinrichtungen .
Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, nimmt diese
Koalition die personellen Herausforderungen im Pflegebereich ernst und sorgt mit umfangreichen Maßnahmen
dafür, den Pflegeberuf zu stärken, die Rahmenbedingungen zu verbessern und mehr qualifizierte Fachkräfte für
die Altenpflege zu gewinnen. Es braucht aber nun einmal
etwas Zeit, bis diese Maßnahmen die entsprechende Wirkung entfalten .
Wir alle, die wir hier im Plenum sind, wissen, dass in
Sachen Pflegepersonal auch über diese Legislaturperiode
hinaus Handlungsbedarf besteht, zum Beispiel, wenn es
darum geht, die Ausbildung der Pflegehelfer zu stärken
und ihre Kompetenzen zu erweitern . Wir werden uns
weiter darauf konzentrieren, die Arbeitsbedingungen in
der Pflege zu verbessern. Das haben die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in der Pflege verdient.
Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten,
dass derjenige, der heute in der Pflege arbeitet oder eine
Ausbildung in der Pflege macht, mit Freude bis zur Rente
in diesem Beruf arbeitet . Das ist unser Ziel . Daran arbeiten wir in dieser Koalition .
Vielen Dank .
({8})
Danke, Herr Rüddel . Darf ich Sie noch auf ein visuelles Moment hinweisen? Wenn Sie reden und da ein Licht
aufleuchtet, bei dem „Präsident“ steht, dann denken Sie
sich „Präsidentin“, und Sie wissen, dass Ihre Redezeit
vorbei ist .
({0})
Herr Rüddel, nächstes Mal halten wir uns daran . - Danke
schön .
({1})
Nächste Rednerin: Pia Zimmermann für die Linke .
({2})
Herzlichen Dank . - Liebe Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen konnten
wir der Presse entnehmen, dass nach einer repräsentativen Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege
mehr als 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger das
Thema Pflege so wichtig finden, dass sie ihre Wahlentscheidung davon abhängig machen wollen . Meine Damen und Herren von der Koalition, darum würde ich mir
an Ihrer Stelle schon Sorgen machen .
({0})
Sie haben es trotz vieler Gesetze versäumt, die Situation für die Menschen mit Pflegebedarf, für die Menschen,
die pflegen, vor allen Dingen aber auch für die Beschäftigten in der Pflege grundsätzlich zu verbessern;
({1})
denn die Befragung ergab auch, dass 71 Prozent von der
Politik Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen in
der Pflege wünschen und erwarten. Fast zwei Drittel der
Befragten fühlten sich schlecht oder sehr schlecht über
die Pflegereform informiert, darunter sogar diejenigen,
die selber Pflegebedarf haben oder selber pflegen.
Das wird besonders dadurch deutlich, dass Sie eine
der wichtigsten Berufsgruppen in der Pflege konsequent
vernachlässigt haben: die Altenpflegerin und den Altenpfleger. Dabei müssten die Anerkennung und Wertschätzung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern sowie
auch von Pflegehelferinnen und Pflegehelfern endlich
spürbar und sichtbar werden .
({2})
Denn sie sind da, wenn sich niemand von Ihnen mehr
dafür interessiert, was Ihre Gesetze ganz konkret am
Pflegebett oder bei der Betreuung bedeuten. In keinem
der sogenannten Pflegestärkungsgesetze haben Sie sich
wirklich nachhaltig für die Belange der Altenpflegekräfte
eingesetzt. Dabei sind die Anliegen der Pflegenden längst
bekannt und stoßen auch in unserer Bevölkerung auf große Zustimmung .
Es gibt eine gesellschaftlich breit getragene Forderung
nach einer gesetzlichen Personalbemessung . Die Regierung hat in den Pflegestärkungsgesetzen beschlossen:
Eine gesetzliche Personalbemessung ist bis 2020 wissenschaftlich zu prüfen . - Aber eine Umsetzung der Personalbemessung nach 2020 ist in keinem der Pflegestärkungsgesetze vorgesehen. Die teilhabeorientierte Pflege
soll jetzt schon stattfinden. Wir wissen jedoch ganz genau: Bereits jetzt fehlt Pflegepersonal, und teilhabeorientierte Pflege bedeutet noch viel mehr Personal. Ich frage
mich tatsächlich: Wie wollen Sie das denn umsetzen?
Natürlich benötigen wir eine wissenschaftlich fundierte Personalbemessung . Da gehen wir mit, das unterstützen wir .
({3})
Aber wissenschaftliche Untersuchungen über die Notwendigkeit und die Wirkung gesetzlicher Personalbemessung gibt es doch längst . Eins ist ganz klar - das sagen die Ergebnisse dieser Untersuchung sehr deutlich -:
Je mehr Pflegepersonal vorhanden ist und je besser dieses
Pflegepersonal ausgebildet ist, umso besser ist am Ende
die Pflege, umso besser sind die Arbeitsbedingungen.
Das kann man messen . Darum hören Sie endlich auf, sich
dem politisch zu verweigern .
({4})
Ich habe einige Beispiele als Belege für die Zustände
in der Altenpflege mitgebracht: Viel zu oft ist nur eine
einzige Pflegefachkraft für 60 bis 100 zu Pflegende in der
Nacht alleine verantwortlich . Wenn eine Kollegin krank
wird, gibt es selten Ersatz . Die Arbeit machen dann einfach diejenigen, die noch da sind, oder die Kolleginnen
werden aus dem Feierabend zurückgeholt .
Wenn die Fachkraftquote von 50 Prozent in einem
Pflegeheim nicht eingehalten werden kann, werden Pflegehelferinnen entlassen, um den Proporz wiederherzustellen, weil es zu teuer wäre, Pflegefachkräfte einzustellen. Die Personalschlüssel in den Pflegeheimen werden
laut aktuellen Recherchen regelmäßig unterschritten . Da
frage ich mich: Wo bleibt eigentlich das Geld?
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich gefallen
lassen, dass ich das alles sage; denn das alles ist erlaubt .
Sie sind in der Regierungsverantwortung und lassen das
zu . Wir haben keine bundesweit einheitliche gesetzliche
Personalbemessung in der Altenpflege. Es reicht aus,
dass eine examinierte Pflegefachkraft unterschreibt, egal
ob sie 2, 20 oder 100 Menschen mit Pflegebedarf betreut.
In der Altenpflege gibt es kein Pflegeförderprogramm
wie in der Krankenpflege. Das muss sich ändern, und
zwar sofort . Dafür steht die Linke .
({5})
Wir legen Ihnen mit unserem Antrag Eckpunkte vor,
aus denen hervorgeht, wie man die Altenpflege sofort
verbessern kann . Wir wollen jetzt mehr Fachkräfte in der
Altenpflege. Wir wollen aus dem unrentablen und unsinnigen Pflegevorsorgefonds einen Personalfonds machen,
damit die Finanzierung angeschoben werden kann . Wir
wollen, dass die Pflegesatzverhandlungen transparent
gemacht werden und nicht hinter verschlossenen Türen
stattfinden, damit man endlich weiß: Was sind denn die
Hemmnisse, die einem guten Pflegesatz entgegenstehen?
Der Pflegesatz sollte natürlich auch einheitlich sein.
Das Thema Pflege ist den Menschen wichtig, weil es
alle betreffen kann. Die meisten wissen das auch. Sie
wissen, wie dramatisch die Situation im Moment in der
Pflege ist. Mein Dank, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, und mein Respekt gelten allen Pflegekräften in unserem Land, verbunden mit unserem Versprechen: Die Linke wird sich auch weiterhin für
Pflegegerechtigkeit in unserem Land einsetzen, und das
nicht nur sechs Monate vor der Wahl, sondern immer, die
ganze Legislatur hindurch .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank, Pia Zimmermann . - Nächste Rednerin:
Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann
es mir nicht verkneifen, zwei Anmerkungen zu meiner
Vorrednerin bzw . zu meinem Vorredner zu machen:
({0})
Pflege ist sehr viel mehr als Altenpflege. Dieses Verständnis ist dringend notwendig, damit wir ein professionelles
Pflegeverständnis und eine professionelle Pflegebildung
umsetzen und durchsetzen. Altenpflege alleine ist ein
Sektor, der uns nicht die entsprechende Lebensqualität
garantiert, wenn wir einmal - wir sind durchschnittlich
ja auch schon ein bisschen älter - vielleicht auf Pflege
angewiesen sein werden .
({1})
Auch ich kenne die Untersuchung des ZQP . Ja, es ist
richtig - das ist tatsächlich gesagt worden, und ich finde
es gut, dass es gesagt worden ist -: Pflegepolitik gehört
nicht nur in die Mitte der Gesellschaft. Pflegepolitik ist
Bestandteil eines großen politischen Entscheidungsnetzwerkes; denn Pflege hat nicht nur gesundheitspolitische
und bildungspolitische Elemente, sondern auch mikrotechnische Auswirkungen und sozialpolitische Auswirkungen und, und, und . Darauf weist der Bericht zu Recht
hin .
Aber die SPD muss sich nicht verstecken .
({2})
Wir haben bzw . Martin Schulz hat längst angekündigt,
({3})
dass Pflege zu einem Kernthema des Wahlkampfes werden wird . Und ich sage Ihnen: Wir gehen gut gerüstet in
die Auseinandersetzung .
({4})
Grundlage dieser Debatte sind zwei Anträge . Der
Antrag der Linken stammt vom Juli 2016, ist also alt,
der Antrag der Grünen ist umso frischer, er stammt von
gestern . Beide Anträge beschreiben einerseits reale Herausforderungen, vor denen die Pflege noch steht, andererseits wird so getan, als gäbe es die Pflegestärkungsgesetze nicht, als gäbe es das, was wir hier in der Großen
Koalition die große Pflegereform nennen, nicht. Da kann
ich nur sagen: Dieses Vergessen ist schade!
({5})
Denn wir haben viel erreicht. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsassessment sind
in der Mitte der Gesellschaft angekommen und werden
von denen, die es betrifft, auch sehr gelobt.
({6})
Wir wollen, dass die Pflegegrade die Grundlage sind,
und - das ist auch richtig ausgeführt worden - wir wollen
die entsprechenden personellen Zumessungen . Das pasPia Zimmermann
siert auch . Sowohl die Einrichtungen in der stationären
Langzeitpflege als auch die der ambulanten Dienste sind
darüber genauso hocherfreut wie letztendlich die pflegeempfangenden Menschen selbst; denn es funktioniert .
Das sagen mir alle Gesprächspartner bei den Besuchen .
Zum Thema Personalbemessung . Wer uns vorwirft,
nichts zu tun, zeigt damit nur, dass er noch nicht einmal
die Zeitung von dieser Woche gelesen hat . Die Expertinnen- und Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ hat die Personaluntergrenzen, die in bestimmten Bereichen nicht unterschritten werden dürfen, genau
definiert. Das ist doch genau das, was wir wollen. Auch
die Pflege im Krankenhaus gehört zum Bereich Pflege.
Meine Bitte lautet: Lesen Sie das nach . Sie können dabei
auch Wesentliches über die entsprechenden Indikatoren
lesen .
({7})
Weiterhin geht es mir um Folgendes: Sie haben zu
Recht gesagt, dass die Pflegeberufe aufgewertet werden
müssen, dass wir eine bessere Bezahlung brauchen . Es
stimmt, dass die Pflegequalität mit einer besseren Ausbildung beginnt. Dazu findet man im Antrag der Linken
kein Wort,
({8})
im Antrag der Grünen
({9})
findet man das falsche Rezept und bei unserem Koalitionspartner totale Uneinigkeit; dort stellt man sich ja sogar gegen den eigenen Gesundheitsminister Gröhe . Fakt
ist doch: Wir brauchen eine zukunftsfähige Ausbildung
im Bereich Pflege; wir brauchen die Generalistik; wir
brauchen das Pflegeberufereformgesetz;
({10})
und wir brauchen diese Qualifizierung für alle Bereiche
der Pflege - nicht mehr segmentiert nach Alter, nicht mehr
segmentiert nach Pflegeorten. Nein, was macht denn der
jüngere oder der ältere Mensch, wenn er aufgrund von
Pflegebedürftigkeit seine Häuslichkeit verlässt, wenn er
ins Krankenhaus muss, gegebenenfalls auch noch in die
Rehabilitation, möglicherweise sogar in eine stationäre
Einrichtung? Der jüngere und der ältere Mensch brauchen die gleiche hochqualifizierte Pflege. Die Grundlage
für diese Pflege schaffen wir mit dem Pflegeberufereformgesetz . Wir brauchen also eine Ausbildung für das
gesamte Berufsfeld der Pflege, und wir brauchen darauf
ausgerichtete Fort- und Weiterbildungsangebote .
Wir haben auch viele Verbesserungen für das Personal erreicht: bessere Personalschlüssel, bessere tarifliche Anerkennung . Als Gewerkschafterin sage ich aber:
Selbstverständlich ist noch viel zu tun . Ich fordere uns
alle auf, auch die in der Pflege und den Gesundheitsberufen Tätigen,
({11})
uns hier verstärkt zu organisieren . Wir stehen ja auch für
die Pflegekammern. Es geht um ein gutes Mitspracherecht beim Thema „Qualität in der Pflege“. Dieses Thema betrifft ja nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch
die Unternehmen .
Wie gesagt, wir haben viel erreicht, aber vieles bleibt
auch noch zu tun . Seien Sie gewiss, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Qualität in der Pflege. Wir wollen nämlich den Schutz der pflegebedürftigen
Menschen gewährleisten . Seien Sie kooperativ . Ich bitte
um das Pflegeberufereformgesetz.
Danke schön .
({12})
Vielen Dank, Mechthild Rawert . - Nächste Rednerin:
Elisabeth Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen . Brauchen Sie einen Stuhl? - Nein, gut .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie ich gerade eindrücklich bewiesen
habe, ist Pflege keine Frage des Alters. Das kann jeden
von uns jeden Tag, in jedem Alter und manchmal auch
zeitweise treffen.
({0})
Deswegen sollten wir sehr ernsthaft an diese Debatte herangehen . - Ich möchte bei so einer Debatte ganz einfach
auch sagen: Sehr geehrte Pflegekräfte in der gesamten
Republik!
Pflegekräfte arbeiten am Limit, und das schon ganz,
ganz lange, und das ist uns auch schon ganz lange bekannt. Zum Glück tut sich da etwas: Die Pflege fängt
endlich an, sich zu wehren. Letztes Jahr haben die Pflegekräfte an der Charité gestreikt, nicht für mehr Geld,
nein, sie haben für mehr Kolleginnen und Kollegen gestreikt .
({1})
Im Saarland ist sogar ein flächendeckender Streik geplant .
Umso erstaunlicher ist es, dass die Bundesregierung
bisher kaum etwas gegen den Fachkräftemangel in der
Pflege unternommen hat. Ja, es wird gleich gerufen: „Wir
haben doch ganz viel getan“, und ja, Sie haben eine Menge Pflegereformen in Angriff genommen, so viele wie
nie zuvor in einer Wahlperiode . Aber ich frage Sie: Wie
sollen sie umgesetzt werden, wenn an allen Ecken und
Enden Personal fehlt?
({2})
Wir haben durch das PSG II eine halbe Million Anspruchsberechtigte mehr. Wir haben einen neuen Pflegebegriff, der die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen
unterstützen und fördern soll . All das geht nicht ohne
mehr Personal . Es geht auch nicht, ohne dass das Personal mehr Zeit hat .
Das sind doch genau die beiden Punkte, die in der
Pflege so viel Druck machen.
({3})
Es sind die fehlenden Kolleginnen und Kollegen, und es
ist der Kampf gegen die Zeit. Die Pflegekräfte machen
Pflege mit der Stoppuhr. Das muss endlich gestoppt werden . Da muss endlich gehandelt werden .
({4})
Und was hat die Koalition getan? In der Altenpflege
wollen Sie ein Personalbemessungsinstrument bis 2020
entwickeln und erproben . Im Krankenhaus sollen jetzt die
Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband Personaluntergrenzen in pflegesensitiven
Bereichen vereinbaren. Die durch den Pflegezuschlag
und das Pflegestellen-Förderprogramm zusätzlich geschaffenen Stellen sollen erhalten bleiben.
Also noch einmal: Was machen Sie? Sie lassen Zeit
verstreichen, sehr viel Zeit . Sie entwickeln Instrumente,
ohne dass von Einführung die Rede ist . Sie beauftragen
eindeutig interessengeleitete Akteure mit der Personalfrage . Sie halten das Stellenniveau, statt es zu erhöhen .
Angesichts des fortbestehenden Fachkräftemangels
und angesichts des Drucks, unter dem Pflegekräfte täglich leiden, ist das schon fast zynisch .
({5})
Pflegekräfte brauchen bundesweit verbindliche Personalbemessungsinstrumente und eine verbindliche Finanzierung des ermittelten Personals. Pflegekräfte brauchen
gute Arbeitsbedingungen . Dazu gehören verlässliche und
planbare Arbeitszeiten . Das ständige Holen aus dem Frei
ist zur Normalität geworden . Ruhe- und Erholungszeiten
enden schlagartig, wenn am Wochenende oder im Urlaub
das Handy klingelt und Pflegekräfte damit in den Dienst
geholt werden. Das schafft Frust und macht die Pflegekräfte am Ende des Tages auch einfach krank .
Wenn wir uns darum nicht kümmern, dann können wir
noch so viele Personalbemessungsinstrumente einführen
und werden dennoch keine Pflegekräfte finden.
({6})
Pflegekräfte brauchen eine angemessene Bezahlung.
Tariflohn für alle sollte die Normalität sein. Das ist
grundsätzlich erst einmal Sache der Tarifpartner . Das ist
auch gut so . Aber der Gesetzgeber kann Hilfestellungen
geben, was ja nun auch passiert ist. Tarifliche Vergütungen dürfen bei den Entgeltverhandlungen im stationären
Bereich nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden . Das
ist gut, sollte aber natürlich auch für die häusliche Krankenpflege ermöglicht werden.
({7})
Hier hat Schwarz-Rot bislang nicht gehandelt .
Ein Tarifvertrag Soziales könnte für faire Gehälter in
der Pflege sorgen.
({8})
Ein Tarifvertrag Soziales könnte durch die Politik für allgemeinverbindlich erklärt werden .
Pflegekräfte brauchen mehr Kompetenzen und echte
Aufstiegs- und Karrierechancen . Darum wollen wir, liebe
Mechthild Rawert, eine integrativ-gestufte Ausbildung ({9})
eine Ausbildung, die modular gestaltet ist, sodass ein
Wechsel zwischen den Berufsfeldern und der Aufstieg
von der Pflegehelferin bis hin zur Pflegeprofessorin möglich sind. Wenn eine Pflegekraft die notwendige Qualifikation erworben hat, dann soll sie bestimmte Tätigkeiten
auch selbstständig ausüben dürfen. Pflege ist eine eigenständige Profession und nicht nur eine Entlastungstätigkeit für Ärzte .
({10})
Pflegekräfte brauchen mehr Mitspracherechte. Dort,
wo politische Entscheidungen getroffen werden, sind
Pflegekräfte aber kaum beteiligt. Ein Beispiel: In dem
Gremium, das Empfehlungen zur sektorübergreifenden
Versorgung abgeben soll, ist keine Beteiligung der professionellen Pflege vorgesehen. Aber Pflegekräfte sind
der Dreh- und Angelpunkt in einer Versorgung, an der
Hausärzte, Fachärzte, andere Gesundheitsberufe, Krankenhäuser usw. beteiligt sind. Pflegekräfte machen eine
sektorübergreifende Versorgung doch überhaupt erst
möglich .
Von den Landespflegeausschüssen ganz zu schweigen! Dort kommt die Pflege nämlich überhaupt nicht vor.
Darf ich an die Redezeit erinnern?
Ja. - Es wird wieder einmal über die Pflege geredet
und nicht mit der Pflege. Das geht gar nicht.
({0})
Darum sage ich zum Schluss noch einmal ganz deutlich, um es auf den Punkt zu bringen, Herr Kauder: Wir
brauchen endlich eine Lobby für die Pflege.
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Elisabeth Scharfenberg . - Nächster
Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Die Anträge der Fraktionen der Grünen
und der Linken befassen sich mit einem sehr wichtigen
und ernstzunehmenden Thema: mit der Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen und den Mitspracherechten
von Pflegekräften. Wir wissen, dass das wichtig ist.
Ich möchte, bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, verehrte Frau Rawert, sagen: Ich bin froh, dass Sie
viele Dinge gesagt haben, die durchaus richtig sind . Sie
sagen, dass Pflege ein Zukunftsthema ist. Das ist richtig.
Aber ich bin etwas verwundert und frage mich, was die
Zukunft unseres Landes mit der Person Schulz zu tun hat .
Das überrascht mich .
({0})
Das möchte ich an dieser Stelle sagen .
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich bei den Begründungen der Anträge und bei den Problemlösungsvorschlägen der Linken und auch der Grünen gewisse
Zweifel habe, wie das Ganze funktionieren soll .
({1})
Kollegin Scharfenberg hat gesagt, dass unsere Krankenhäuser, unsere Altenheime und unsere Senioreneinrichtungen nur deshalb so gut und so ordentlich funktionieren, weil wir engagierte Menschen haben, die in der
Pflege
({2})
arbeiten . Das wissen wir . Wenn ich mich mit den Bediensteten in den Krankenhäusern unterhalte, geht es
nicht nur um eine ordentliche Bezahlung, wobei das eine
Grundvoraussetzung sein muss; das haben wir in dieser
Legislaturperiode noch einmal zementiert und verfestigt .
Es geht einfach darum, dass wir auf unseren Stationen
ordentlich aufgestellt sind .
Man kann natürlich in der Theorie darüber sprechen .
Man kann das Ganze natürlich immer wieder gesetzlich
einfordern; das ist alles vollkommen klar .
({3})
Aber ich glaube, es ist notwendig, dass wir bei der Praxis - hören Sie lieber zu - ansetzen, statt fiktive Zahlen
in den Raum zu werfen . Es fehlt auch nicht an Geld, sondern es fehlt an der Motivation . Es geht darum, dass wir
die Menschen dazu bringen, diesen Beruf zu ergreifen .
({4})
Es ist unsere politische Aufgabe, hier zu motivieren . Das
werden wir nicht mit Ihrer destruktiven Haltung, die Sie
hier immer wieder zeigen, schaffen.
({5})
Zur Pflege in den Einrichtungen erzählen Sie - vor allem
Sie, Frau Zimmermann - Woche für Woche hier irgendetwas, was so nicht stimmt . In Deutschland wird hervorragende Pflege geleistet. Das ist die Situation.
({6})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ich habe viele, viele
dieser Einrichtungen besucht . Ein Hauptthema ist, dass
wir zu wenig Menschen auf den Stationen haben . Ein
anderes Hauptthema ist das ganze Dokumentationswesen . Wir brauchen Digitalisierung auf den Stationen und
Digitalisierung am Bett . Das ist notwendig und wichtig .
Ich muss Ihnen sagen: Ich habe in den letzten anderthalb Jahren all diese Dinge, über die wir hier in der
Theorie abgestimmt haben, im privaten Bereich erleben
dürfen und müssen . Ich kann Ihnen nur sagen, dass das,
was hier in den letzten Jahren im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze entschieden worden ist, vor Ort greift .
Der Dreiklang - wir haben hier eine neue Melodie aufgesetzt -, dass wir uns um die zu Pflegenden kümmern,
dass wir auch die Angehörigen mitnehmen und natürlich
auch die Beschäftigten, ist erfolgreich . Den Erfolg dieses
Dreiklangs können Sie nicht abstreiten; denn er kommt
draußen an . Das ist die Wahrheit .
({7})
Wenn wir hier über die Ausbildungszahlen sprechen,
kann ich nur das Statistische Bundesamt zitieren . Wenn
wir die Situation in 2005 und in 2015 betrachten, sehen wir Folgendes: Wir hatten in der Altenpflege 2005
45 000 Auszubildende; jetzt haben wir 66 285 . In der
Krankenpflege hatten wir damals 57 257 Ausbildungsverträge; jetzt haben wir über 64 000 . Das sind Zahlen,
das sind Fakten, das sind Realitäten . Deshalb liegen wir
richtig . Trotzdem machen wir weiter und sagen: Wir wollen und brauchen ein ordentliches Ausbildungssystem .
Wir sind auch hier komplett beieinander und sagen: Wir
wollen eine generalistische Ausbildung in den Bereichen,
in denen man generalistisch ausbilden kann .
({8})
Warum denn nicht? Aber wir möchten auch, dass die
Spezialisierung in den einzelnen Berufen bestehen bleibt,
weil sie ein Qualitätsmerkmal ist .
({9})
Deshalb werden wir auch weiterhin in diese Richtung
verhandeln . Ich glaube, wir sind auf einem guten und ordentlichen Weg, das hoffentlich auch hinzubekommen.
Ich würde mich freuen, Frau Rawert, wenn auch Sie in
dieser Richtung mitmachen würden .
({10})
In diesem Sinne: Herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank, Erich Irlstorfer . Das war auf die Sekunde
genau .
({0})
Nächste Rednerin: Heike Baehrens für die SPD-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir
heute wieder einmal über ein Thema debattieren können,
das uns Sozialdemokraten besonders am Herzen liegt,
({0})
nämlich über eine würdevolle Pflege im Alter oder bei
Krankheit . Ich bin sehr froh darüber, dass wir einiges von
dem, was dafür notwendig ist, in dieser Legislaturperiode
tatsächlich miteinander auf den Weg bringen konnten .
({1})
Insofern hinken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, mit Ihrer zentralen Forderung der Realität etwas
hinterher . Denn ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen zu
entwickeln und zu erproben, ist längst beschlossen und
in Auftrag gegeben .
({2})
Gerade für die Pflegeheime ist es dringend notwendig,
die Pflegeschlüssel neu zu bestimmen. Denn in den meisten Bundesländern wird noch heute mit den gleichen Personalrichtwerten wie vor 25 Jahren gearbeitet, und das,
obwohl sich die Bewohnerstruktur in den Pflegeheimen
inzwischen völlig verändert hat . Wesentlich mehr Menschen mit fortgeschrittener demenzieller Erkrankung,
ein höherer Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, kürzere Verweildauern und intensivere Begleitung
in der letzten Lebensphase, das kennzeichnet die heute
beschriebenen Anforderungen . Sie können mit den alten
Personalschlüsseln nicht ausreichend bewältigt werden .
({3})
Darum ist es so wichtig, tatsächlich tragfähige Grundlagen für die Personalbemessung zu schaffen.
Aber auch unabhängig davon sind die Verhandlungspartner der Selbstverwaltung, also die Einrichtungen und
die Kostenträger, aufgefordert und in der Pflicht, bereits
vorhandene Erkenntnisse umzusetzen . Denn sie können
in Pflegesatzverhandlungen selbstverständlich nicht nur
die auskömmliche Finanzierung, sondern eben auch gute
Personalschlüssel vereinbaren . Das wurde im vergangenen Jahr im Zuge der Umstellung auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vielerorts tatsächlich gemacht.
Dafür haben wir als Große Koalition mit den Pflegestärkungsgesetzen I und II die Grundlage geschaffen.
({4})
Woran wir aber schon heute denken müssen: Mehr
Personal kostet auch mehr Geld .
({5})
Im jetzigen System zur Finanzierung der Pflegeversicherung führt das dazu, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen steigen . Diese Eigenanteile sind aber schon
heute außerordentlich hoch und überfordern viele Betroffene . Darum werden wir als SPD sehr genau beobachten,
wie sich die vielen Neuerungen der Pflegereformen auswirken. Wenn es so sein sollte, dass die finanzielle Belastung der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner noch
weiter steigt, dann werden wir in der nächsten Legislaturperiode die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen . Es kann jedenfalls nicht sein, dass die steigenden
Personalkosten allein von den Pflegebedürftigen bezahlt
werden müssen . Nein, da benötigen wir andere Ideen und
Finanzierungskonzepte .
({6})
Wir werden beim Personal definitiv nicht sparen
können . Nein, wir werden vielmehr ins Personal und in
bessere Rahmenbedingungen für die Pflege investieren
müssen . Denn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen nicht länger hinnehmen, dass Pflegekräfte immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit
verrichten müssen, dass engagierte Pflegekräfte aus dem
Beruf aussteigen, weil sie sich überfordert fühlen, dass
Pflegekräfte eine zunehmende Entfremdung von ihrer
Arbeit empfinden, weil sie ihren Arbeitsalltag mit ihrem
Verständnis von einer würdevollen Pflege nicht in Einklang bringen können .
({7})
Wir wollen es nicht länger hinnehmen, Frau
Zimmermann, dass die Ökonomisierung und die zunehmende Arbeitsverdichtung den Pflegekräften keinen
Raum mehr für den eigentlichen Kern der Pflege lassen,
nämlich für Zuwendung, für Anteilnahme und für den
Blick auf den pflegebedürftigen Menschen mit seinem
individuellen Bedarf und seinen sozialen Bezügen . Das
ist es, was sich die Pflegekräfte wünschen und was diesen
Beruf wieder attraktiver machen würde; denn wir brauchen - das wurde heute schon angesprochen - nicht nur
eine bessere Personalbemessung, sondern auch die Pflegekräfte, die die zusätzlichen Stellen mit Leben füllen .
Sollen sich mehr Menschen für diesen verantwortungsvollen Beruf begeistern lassen, braucht es eben neben
verbesserten Arbeitsbedingungen vor allem eine höhere
Wertschätzung und mehr Anerkennung .
Daher zum Abschluss mein Appell an die Kolleginnen
und Kollegen der Unionsfraktion: Blockieren Sie nicht
länger die dringend notwendige Pflegeberufereform.
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank, Heike Baehrens . - Die letzte Rednerin in
dieser Debatte: Ute Bertram für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beide Anträge, der Antrag der Fraktion Die Linke und
auch der auf die Schnelle nachgeschobene Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, machen die Personalausstattung in den Pflegeeinrichtungen zu einem Thema,
das angeblich dringendsten Handlungsbedarf aufweist .
({0})
Es ist keine Frage: Die Ausstattung der Pflegeeinrichtungen in Deutschland mit qualifiziertem und motiviertem Personal und einem geeigneten Personalschlüssel
ist eine noch fertigzustellende Baustelle . Deshalb haben
CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag 2013 auch
vereinbart, sich - Zitat - „im Rahmen der rechtlichen
Möglichkeiten für Personalmindeststandards im Pflegebereich“ einzusetzen . Diese Vereinbarung haben wir
auch eingelöst. Wir haben die Pflegestärkungsgesetze I,
II und III verabschiedet und damit die Türen aufgestoßen, damit die Lage in unseren Pflegeeinrichtungen verbessert werden kann .
Wir alle wissen: Jede Einrichtung und jede Organisation kann nur so gut sein wie das Personal, das darin
arbeitet . Wer also Qualität will, muss dafür sorgen, dass
qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorhanden sind. Dies alles trifft auch auf die Pflege
zu . Dementsprechend hat der Bundestag die einschlägigen Vorschriften im SGB XI ausgestaltet .
Gerade mit dem Pflegestärkungsgesetz II vom Dezember 2015 hat sich die Koalition der Personalbemessung
in unseren Pflegeeinrichtungen angenommen, und mit
dem neuen § 113c SGB XI hat sie die bundesgesetzliche
Grundlage geschaffen, damit die sogenannten Vertragsparteien an die Arbeit gehen und den ihnen auferlegten
Auftrag erledigen können .
Bei diesen Vertragsparteien handelt es sich um den
Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, also der Länder, die kommunalen Spitzenverbände
und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen . Zu beteiligen sind außerdem der MDK, die PKV, die
Verbände der Pflegeberufe und der maßgeblichen Organisationen pflegebedürftiger und behinderter Menschen.
Schließlich sind die Entwicklung und Erprobung eines
einheitlichen Personalbemessungsverfahrens im Einvernehmen mit dem BMG und dem BMFSFJ sicherzustellen .
({1})
Mit dieser Aufzählung will ich Sie nicht langweilen,
sondern unterstreichen, dass die Ermittlung einer fundierten Personalbemessung eine Aufgabe ist, die zwingend viele Akteure erfordert .
({2})
Der gesetzliche Auftrag lautet, „ein wissenschaftlich
fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des
Personalbedarfs“ nach qualitativen und quantitativen
Maßstäben zu entwickeln und zu erproben . Dazu hat der
Gesetzgeber eine Frist bis zum 30 . Juni 2020 gesetzt . Der
Koalition ging es dabei auch um den Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ .
({3})
Ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren, um den
Personalbedarf in den Pflegeeinrichtungen nach einheitlichen Grundsätzen qualitativ und quantitativ zu bestimmen, hat uns bisher nicht vorgelegen . Damit wird einerseits der notwendige Druck auf die Akteure ausgeübt,
sich an die Arbeit zu begeben, und andererseits auch die
Zeit gegeben, zu einem seriösen Ergebnis zu kommen .
Hierbei sind der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die
neuen Pflegegrade ebenso zu berücksichtigen wie bereits
vorliegende Untersuchungen und Erkenntnisse unter anderem zu Anforderungs- und Qualifikationsprofilen in
der Pflege.
Die Regelung bezieht sich sowohl auf stationäre als
auch auf ambulante Pflegeeinrichtungen. Dabei sind insbesondere die historisch gewachsenen und teilweise sehr
unterschiedlichen Personalrichtwerte auf Landesebene in
stationären Pflegeeinrichtungen und die Entwicklungen
in der ambulanten Pflege zu berücksichtigen.
Bei dieser Sachlage ist es doch angezeigt, unsere
wohlüberlegten Entscheidungen vom Dezember 2015
wirken zu lassen . Jedenfalls gibt es für meine Fraktion
keinen Grund, nun alles zugunsten einer hektischen BeHeike Baehrens
triebsamkeit über den Haufen zu schmeißen und einen
Zeitdruck aufzubauen, aus dem auf jeden Fall nichts Gescheites erwachsen kann . Auch im Gesundheitsbereich
haben wir doch alle genug Erfahrungen gesammelt, dass
zu kurz bemessene Fristen uns als Gesetzgeber immer
wieder gezwungen haben, längere Leine zu geben .
({4})
Ein Qualitätsmerkmal für eine gute Gesetzgebung war
das noch nie . Deshalb spricht jetzt auch alles dafür, dass
wir im Wissen um die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen in der Pflege Kurs halten und unsere beschlossenen Maßnahmen wirken lassen, anstatt mitten im
Lauf die Richtung und die Geschwindigkeit zu wechseln .
Letztlich kann die Personalproblemlösung nur gelingen, wenn die Akteure mit Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit rechnen können . Eigentlich wissen das auch
die Antragsteller . Deshalb wird es Sie nicht verwundern,
dass wir den Antrag der Linken ablehnen werden . Wir
werden dann noch Gelegenheit haben, über den Antrag
der Grünen im Ausschuss zu beraten, um dann zu entscheiden .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Ute Bertram . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Gute Arbeit in der Pflege - Personalbe-
messung in der Altenpflege einführen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11347, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9122 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Die Lin-
ke war dagegen, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die
Grünen .
Zusatzpunkt 9 . Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 18/11414 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie
sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Jetzt kommen wir - ich lasse mir mit dem Vorlesen
Zeit, damit der Minister dann auch Gehör findet - zu ei-
nem neuen Tagesordnungspunkt, genauer gesagt zu den
Tagesordnungspunkten 11 a und 11 b:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung
({0}) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie ({1}) 2016/680 ({2})
Drucksache 18/11325
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken
Drucksache 18/11401
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das auch so beschlossen .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, weil ich die
Aussprache gerne eröffnen würde.
Ich erteile Dr . Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Titel des heute zu beratenden Gesetzes ist lang und
kompliziert . Auch der Text wirkt auf den ersten Blick
kompliziert . Der Inhalt aber ist es im Wesentlichen nicht .
Vielleicht wird auch nicht jedem sofort die Bedeutung
des Gesetzes klar, wenn man den Titel hört .
Datenschutz war früher oft etwas für Kenner und Spezialisten . Abstrakt waren alle dafür . Streit gab es dann bei
der konkreten Anwendung .
({0})
Jetzt geht es um viel mehr Daten als früher . Jetzt geht es
nicht mehr um ein Spezialrecht für wenige Daten; jetzt
geht es um die Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und unsere wirtschaftliche Entwicklung .
Wir setzen mit diesem Gesetz europäisches Recht um .
Auch das klingt rechtstechnisch . Im Mai vergangenen
Jahres sind zwei EU-Rechtsakte in Kraft getreten: die
europäische Datenschutz-Grundverordnung und die Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei
und Justiz .
Die Datenschutz-Grundverordnung wurde vier Jahre lang mit viel Mühe, mit langem Atem und mit sehr
unterschiedlichen Interessen zwischen allen möglichen
Beteiligten verhandelt . 28 unterschiedliche Datenschutzrechtsregeln in 28 Mitgliedstaaten mit all den Nachteilen,
die das für Wirtschaft und Verbraucher bei grenzüberschreitenden Sachverhalten hatte: All das wird jetzt beendet . Es werden in Europa einheitliche Regeln gelten,
grenzüberschreitend einheitliche Datenschutzstandards
und eine einheitliche Datenschutzaufsicht für Unternehmen - davon profitieren Bürgerinnen und Bürger genauso wie die Wirtschaft .
Es gilt: ein Markt - ein Recht . Das gilt auch für Dienste, die von außerhalb Europas in Europa angeboten werden, etwa für die vielen sozialen Netzwerke, die Sie alle
kennen und jetzt möglicherweise gerade nutzen . Dienste,
die von außerhalb angeboten werden und in Europa, also
in Deutschland, in Irland, in Italien - wo auch immer -,
abgerufen werden, unterfallen alle nach dem Marktortprinzip einem Recht, und zwar unserem europäischen
Recht . Dass sich in EU-Mitgliedstaaten Unternehmen
ansiedeln, die bewusst auf Oasen mit niedrigen Datenschutzstandards setzen, wird es künftig nicht mehr geben .
Das ist gut, das ist richtig, und das war längst überfällig .
({1})
- Ich bin über diesen Beifall erstaunt .
({2})
Die Datenschutz-Grundverordnung funktioniert aber
nicht ohne nationale Gesetzgebung . Eine Verordnung
ist unmittelbar geltendes Recht . Wir debattieren gerade
noch mit der Kommission darüber: Was darf man zitieren und aufschreiben? Aber auf jeden Fall enthält die
Datenschutz-Grundverordnung Handlungs- und Gestaltungsaufträge für den nationalen Gesetzgeber . Nehmen
Sie etwa den Auftrag zur Festlegung der deutschen Vertretung im Europäischen Datenschutzausschuss, der Instanz, die künftig maßgeblich über die Auslegung dieser
Datenschutz-Grundverordnung entscheidet . Das können, ehrlich gesagt, nicht 16 Datenschutzbeauftragte aus
Deutschland sein . Da muss man sich schon etwas kohärenter aufstellen . Das schlagen wir hiermit vor .
Wir nehmen diese und weitere Gestaltungsaufträge
verantwortungsbewusst wahr . Deutschland schöpft dabei
den Rahmen moderat aus . Deutschland überschreitet keine gemeinschaftlichen Grenzen . Herr Abgeordneter von
Notz, weil Sie sicherlich gleich darauf eingehen werden:
Deutschland unterschreitet auch nicht das nationale Datenschutzniveau - an keiner einzigen Stelle .
({3})
Wir sind im Übrigen allen Gesetzgebern zeitlich weit
voraus, sowohl im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten als auch im föderalen Gefüge . Alle Bundesländer
müssen nämlich ihre Gesetze daraufhin überprüfen, ob
sie dem ab Mai geltenden Recht standhalten . Wir wollen
deshalb frühzeitig Rechtssicherheit schaffen und geben
allen Beteiligten genug Zeit, sich auf die neue Rechtslage
vorzubereiten .
Im Mai tritt das europäische Recht in Kraft . Ohne das
neue Recht bleiben wesentliche datenschutzrechtliche
Kontroll- und Sanktionsmechanismen unvollkommen,
oder es findet ohne Deutschland statt. Beides ist schlecht.
Auf der anderen Seite bitte ich um eine zügige Verabschiedung, weil ohne das neue Gesetz notwendige Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen
fehlen würden; denn das heute zu beratende Gesetz ist das
Fundament für mehrere Hundert Fachgesetze, für die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen im Geschäftsbereich
der Bundesregierung und darüber hinaus .
Das führt mich zum zweiten Pfeiler dieses Gesetzes,
zur Umsetzung der europäischen Datenschutzrichtlinie
Polizei und Justiz in nationales Recht . Mit dieser Umsetzung schaffen wir essenzielle datenschutzrechtliche
Grundlagen für die Polizei- und Justizgesetze des Landes . Mit diesem Dachgesetz haben wir dann eine klare,
einheitliche Datenschutzregelung für die Bundespolizei,
für das Bundeskriminalamt und für den Generalbundesanwalt . Hätten wir sie nicht und würden wir sie in
dieser Legislaturperiode nicht hinbekommen, dann hängen diese Datenschutzregeln entweder in der Luft, oder
wir müssten sie sehr kompliziert in die Fachgesetze hineinoperieren, was jedenfalls nicht anwenderfreundlich
ist . Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir auch diese
Richtlinie bis Mai nächsten Jahres umsetzen, nicht nur
zur Vermeidung von Vertragsverletzungsverfahren .
Ich halte das auch für wichtig, um Deutschland mit
einer modernen und zeitgemäßen Datenpolitik auszustatten . Wir leben nicht mehr in den 70er-Jahren . Deswegen
dürfen wir beim Datenschutz auch nicht mehr die Streitpunkte der 70er-Jahre anführen .
({4})
Das Verständnis eines Datenschutzes im Sinne möglichst großer Datensparsamkeit hat sich auch durch die
technische Entwicklung überholt .
({5})
Datensparsamkeit ist kein Wert an sich . Datenschutz
schützt nämlich nicht die Daten und schon gar nicht die
Daten an und für sich, sondern Datenschutz schützt die
Menschen vor einem Missbrauch von Daten . Das ist der
eigentliche Zweck des Datenschutzes .
({6})
Getrennte Datentöpfe sind noch kein Datenschutz . Die
Verknüpfung von Daten ist noch kein Verstoß gegen den
Datenschutz . Im Gegenteil: Die kluge Verknüpfung von
Daten kann Leben retten, hilft der Forschung, lenkt den
Verkehr, schützt die Umwelt und hilft bei der Verbrechensbekämpfung . Nicht die Verknüpfung von Daten ist das Datenschutzproblem, sondern der Missbrauch zulasten von
Persönlichkeitsrechten; das wollen wir verhindern .
({7})
Wenn nicht in Europa die Datenschätze gehoben, analysiert, zu wertvollen Informationen veredelt und klug
genutzt werden, dann werden es andere tun . Die anderen
werden es aber nicht auf dem Datenschutzniveau der Europäischen Union machen . Sie werden es nicht so machen wie wir, die wir den Datenschutz achten als wichtigen Grundsatz des menschlichen Zusammenlebens .
Deswegen dient die Verabschiedung dieses Gesetzes
mit den Elementen Gestaltungsauftrag aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung und Umsetzung der Richtlinie nicht nur der Umsetzung irgendwelchen EU-Rechts,
sondern sie liegt im Interesse sowohl des Persönlichkeitsschutzes als auch der wirtschaftlichen Entwicklung
unseres Landes . Deswegen bitte ich um zügige Beratung
und Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs noch in der
laufenden Legislaturperiode .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank, Minister de Maizière . - Nächste Rednerin: Petra Pau für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesinnenminister, in einem gebe ich Ihnen
recht: Der Inhalt des Gesetzes ist nicht kompliziert . Das,
was darin vorgesehen ist, ist gut zu verstehen . Allerdings - das setze ich gleich an den Anfang - haben wir
offensichtlich einen grundlegenden Dissens in der Beurteilung des Inhalts und der Wirkung der vorgeschlagenen
Regeln . Deshalb möchte ich am Beginn der Debatte uns,
aber insbesondere auch die jüngeren Zuhörerinnen und
Zuhörer an etwas erinnern:
1983 hatte das Bundesverfassungsgericht ein legendäres Urteil gesprochen . Allgemein wird es Volkszählungsurteil genannt . Damit wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, mithin der Datenschutz, auf einen
Verfassungsrang gehoben . Wenn wir also heute über Datenschutz reden, dann nicht über belanglose Nebensächlichkeiten, sondern immer über verbriefte Grundrechte
und unabdingbare Grundlagen der Demokratie .
Heute geht es um die Anpassung des deutschen Datenschutzes an aktuelle Vorgaben der Europäischen Union .
Also heißt die zentrale Frage: Schafft der vorliegende
Gesetzentwurf mehr Datenschutz, mehr Bürgerrechtsschutz und auch mehr Transparenz oder nicht? Die Fraktion Die Linke beantwortet diese Fragen mit Nein und
lehnt folglich als sozialistische Bürgerrechtspartei diesen
Gesetzentwurf ab .
({0})
Mit unserer Ablehnung sind wir übrigens mitnichten
allein, wie zahlreiche Stellungnahmen und Gutachten zeigen, darunter auch eine ausführliche Kritik der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, unserer ehemaligen Kollegin Andrea Voßhoff.
Besonders zugespitzt hat es die Initiative Digitalcourage formuliert . Ich zitiere:
Am Donnerstag dieser Woche
- also heute sollen im Bundestag gleich zwei schlechte Gesetze
beraten werden: Das Datenschutzanpassungsgesetz
… läutet den Totalausverkauf des Datenschutzes
ein …
Das „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ …
macht es für Bürgerinnen und Bürger unmöglich,
sich noch unbeobachtet im öffentlichen Raum zu
bewegen .
({1})
Ende des Zitats . - Es geht also um viel .
({2})
Als konstruktive Opposition hat die Linke einen eigenen Antrag zum vorliegenden Regierungsentwurf gestellt . Im Kern geht es uns um fünf grundlegende Verbesserungen .
Erstens . Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger sind zu stärken . Das beginnt beim Auskunftsrecht in
Bezug auf erhobene Daten und betrifft ebenso die Möglichkeit, persönliche Daten löschen zu lassen .
Zweitens . Die Kompetenzen des bzw . der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sind zu stärken, inklusive Sanktionsmöglichkeiten
bei Datenmissbrauch .
Drittens . Eine unabhängige datenschutzrechtliche
Kontrolle gegenüber Nachrichten- und Geheimdiensten
ist zu schaffen.
Viertens . Die Zahl der Daten und deren Zweckentfremdung bei sogenannten Scoringverfahren, zum Beispiel wenn es um die Kreditwürdigkeit von Personen
geht, sollen minimiert werden .
Fünftens . Wir brauchen in Zeiten der fortschreitenden
Digitalisierung ein gesondertes und neues Datenschutzrecht für Beschäftigte . Das steht übrigens auch schon seit
Ende der 1980er-Jahre aus . Wir sollten uns dem Ganzen
einmal zuwenden .
({3})
All das gibt der vorliegende Entwurf nicht her . Stattdessen senkt er bislang geltende Standards . Er bleibt partiell hinter EU-Recht zurück . Deshalb lehnen wir diesen
Entwurf ab . Aber wir haben noch die Chance, unsere fünf
Verbesserungsvorschläge vielleicht hineinzunehmen .
({4})
Vielen Dank, Petra Pau . - Nächster Redner: Gerold
Reichenbach für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Datenschutz reden, dann reden
wir eigentlich nicht über den Schutz von Daten per se .
Vielmehr ist Datenschutz Schutz von Persönlichkeitsrechten . Deswegen sind viele der oftmals auch von Wirtschaftsseite in die Debatte eingebrachten Gegensätze
keine . Natürlich kann ich viele Daten nutzen, aber ich
muss nicht viele Daten über Personen haben . Um zum
Beispiel Gesundheitsforschung zu betreiben, muss ich
nicht wissen, wer die Person ist, sondern ich muss die
Genealogie kennen . Um Fahrzeuge vernünftig lenken zu
können, muss ich nicht wissen, wer darin sitzt, was er zu
Hause für eine Einrichtung hat und zu welchen Zeiten er
sein Garagentor öffnet. Ich brauche die Verkehrsdaten.
Weil immer mehr Daten anfallen - der Herr Minister
hat es angesprochen -, haben wir auf europäischer Ebene
nach langen Verhandlungen im Mai 2016 die sogenannte Datenschutz-Grundverordnung erlassen . Nach einer
Übergangsfrist von zwei Jahren wird sie ab Mai 2018
unmittelbar gelten . Es geht jetzt darum, unser nationales
Recht in diese unmittelbar geltende Grundverordnung
einzupassen . Diese Datenschutz-Grundverordnung ist
ein Erfolg für das Ziel eines einheitlichen Marktes und
eines einheitlichen Rechtsraums in der Europäischen
Union, gerade was die Zukunft und die Entwicklung unserer digitalen Gesellschaft betrifft.
Für datenverarbeitende Unternehmen stellt es einen
enormen Vorteil dar - das wurde angesprochen -, wenn
in ganz Europa das gleiche Datenschutzrecht gilt . Für
die europäischen Bürgerinnen und Bürger wird ein hoher
Standard des Schutzes ihrer persönlichen Daten erreicht,
der in ganz Europa nicht mehr unterschritten und damit
auch nicht ausgehebelt werden kann .
Zentrales Element der Verordnung ist das Marktortprinzip . Dieses Prinzip besagt, dass das nicht nur für die
in der EU niedergelassenen Unternehmen gilt; vielmehr
können sich auch Unternehmen, die irgendwo sitzen,
nicht mehr mit dem dort geltenden Recht herausreden,
solange und sobald sie Daten europäischer Bürger erheben, verarbeiten und sammeln . Auch dann gilt europäisches Recht . Das bedeutet für die Unternehmen in
Europa gleiche Wettbewerbsbedingungen und für die
Verbraucher und Bürger nun endlich die Möglichkeit,
ihre Rechte über nationale Grenzen hinweg auch effektiv
durchzusetzen .
({0})
Mit dem Satz eines Freundes der datenverarbeitenden
Industrie „Das Beste am deutschen Datenschutz ist, dass
er nicht durchgesetzt werden kann“ ist nach Inkrafttreten
der Verordnung dann endlich Schluss .
({1})
Dieses Thema wird übrigens mit zunehmender Digitalisierung unseren Alltag immer weiter prägen . Bei neuen
technischen Entwicklungen - sie sind genannt worden wie den sogenannten intelligenten Autos, Smart Cars,
wie dem Smart Home - die Wohnung, die alles über dich
weiß, weil sie dich den Tag über rundum bedient -, bei
Smart-Health-Produkten bzw . Datenerhebungsprodukten, die direkt am Körper sind, wird es in Zukunft für
die Bürger eine immer größere Rolle spielen, wie mit
den Daten, die direkt von ihnen erhoben werden, umgegangen wird und wer sie nutzt . Hier geht es um die
Verwendung hochsensibler Daten: über den Standort, die
Bewegung, die Gesundheit bis hin zu intimen Details der
privaten Lebensführung .
Der nun vorliegende Gesetzentwurf zur Anpassung
des deutschen Rechts wurde Anfang Februar nach
schwierigen Ressortabstimmungen im Bundeskabinett
beschlossen und ist hier heute eingebracht worden . Ich
sage auch offen: Im ersten Entwurf des BMI wurde das
Ziel der Einhaltung eines hohen und einheitlichen europäischen Datenschutzniveaus, das die Verordnung vorgibt, nach Auffassung der SPD nicht überall erreicht. Er
enthielt nicht nur Abweichungen von den europäischen
Vorgaben, sondern es gab an einigen Stellen auch den
Versuch, das Datenschutzniveau durch die Hintertür etwas gängiger zu machen, um es einmal ganz vorsichtig
zu formulieren .
Das geschah wohl auch als falsch verstandenes Entgegenkommen gegenüber der datenverarbeitenden Wirtschaft, „falsch verstanden“ deswegen, weil gilt: Es ist
auch der Wirtschaft nicht damit gedient, wenn wir nationale Regelungen zu ihren Gunsten treffen, die später vom
EuGH wieder einkassiert werden und für sie nur Rechtsunsicherheit produzieren . Es ist ihr schon gar nicht damit
gedient, wenn Deutschland als eines der ersten Länder,
die das nationale Recht an die Verordnung anpassen,
durch eine überziehende Interpretation, vermeintliche
Öffnungsklauseln und nationale Sonderregelungen den
Basar neu eröffnet mit dem Ergebnis, dass die anderen
europäischen Länder es uns gleichtun und dadurch der
für die Wirtschaft große Vorteil eines einheitlichen europäischen Rechtsrahmens und gleicher Wettbewerbsbedingungen sogleich wieder zerschossen wird .
({2})
Bei der Ressortabstimmung hat insbesondere Heiko
Maas mit seinem Ministerium für Verbraucherschutz,
glaube ich, sehr beharrlich darauf hingearbeitet, dass
der jetzt vorliegende Entwurf einen Großteil der Mängel
nicht mehr enthält . Zwischen dem aktuellen Entwurf und
dem ursprünglichen liegen also sowohl strukturell als
auch inhaltlich durchaus einige Welten .
Wir Sozialdemokraten haben schon während der Verhandlungen in der Europäischen Union stets betont, dass
aus unserer Sicht das hohe nationale Datenschutzniveau
durch die Grundverordnung nicht abgesenkt oder verwässert werden darf . Das ist auch gelungen . Aus Sicht
der SPD-Fraktion steht fest: Das erreichte Schutzniveau
der Grundverordnung gilt für uns als Marke, und wir
werden allen Versuchen, dies durch eine Überziehung
von Öffnungsklauseln wieder zu schwächen, eine klare
Absage erteilen .
({3})
Dort, wo es um nationale Spezifika geht, etwa im Bereich des Schutzes der Verbraucher, beim Scoring und
im Beschäftigtendatenschutz, werden wir die bisherigen
Regelungen im Kern erhalten . Beim Beschäftigtendatenschutz haben wir die in der Datenschutz-Grundverordnung ausdrücklich gegebene Möglichkeit spezifischer
Regelungen genutzt, um das nationale Niveau im Kern
zu erhalten . Aber ich sage auch: Weil Digitalisierung
auch in der Arbeitswelt rapide voranschreitet, bestehen
wir Sozialdemokraten nach wie vor auf einem eigenen
Beschäftigtendatenschutzgesetz; denn nur so können wir
diesen rasanten Entwicklungen Rechnung tragen .
({4})
Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es auch
im Bereich des Scoring eines eigenen Gesetzes bedarf,
das die notwendigen Schutzmechanismen nicht wie in
der Vergangenheit an der falschen Stelle, nämlich beim
Datenschutz, sondern im Bereich des Verbraucherschutzes und des Zivilrechts regelt . Wenn wir das in dieser
Legislaturperiode, auch aus Zeitgründen, mit unserem
Koalitionspartner nicht mehr hinbekommen, dann wird
das für uns Sozialdemokraten auf der Tagesordnung bleiben, und wir werden eigenständige Gesetze im Bereich
des Datenschutzes und des Scoring in der nächsten Legislaturperiode erneut angehen .
Im Fokus der weiteren Beratung, Herr Minister, stehen für die SPD-Fraktion die Rechte der Betroffenen.
Wir wollen nicht, dass am Ende durch nationale Ausnahmeregelungen für die datenverarbeitende Wirtschaft
deutsche Bürger und Verbraucher in Europa weniger
Rechte haben als etwa die Bürger in Österreich oder in
anderen europäischen Ländern .
Ich nenne ein Beispiel: unverhältnismäßiger Aufwand . Die Zahl der Daten, die von Personen gespeichert
sind, soll Auskunftsrechte und -pflichten aushebeln. Was
heißt denn das dann praktisch, wenn sich ein Unternehmen auf einen solchen unverhältnismäßigen Aufwand
aufgrund der hohen Zahl der Betroffenen berufen könnte, um den in der Verordnung festgelegten Informationsund Löschungspflichten gegenüber dem Bürger nicht
nachkommen zu müssen? Der kleine Laden müsste dann
Auskunft erteilen, weil er nur wenige - in Anführungszeichen - Kunden hat, aber die großen Datenkraken oder
der Massenverarbeiter müssten es nicht . Das kann doch
nicht gewollt sein . Das kleine Unternehmen mit Onlineshop müsste einem Bürger mitteilen, dass es seine persönliche Daten für einen anderen Zweck weiterverarbeitet hat als für den, für den einmal die Zustimmung erteilt
worden ist; die Amazons, Facebooks und Googles dieser
Welt müssten es aber nicht . Das können wir, glaube ich,
nicht wollen .
({5})
Eine solche Regelung würde übrigens darüber hinaus
geradezu das Risiko heraufbeschwören, dass Unternehmen den Aufwand künstlich erhöhen, das Ganze verkomplizieren, um ihre Informations- und Löschungspflichten
zu umgehen . Auch das kann von uns allen nicht gewollt
sein .
Es wäre zudem eine absurde Idee, dass ein Unternehmen, das entgegen dem Gesetz persönliche Daten gesammelt oder verarbeitet hat, zwar entsprechend der EU-Verordnung sanktioniert würde, aber diese Daten nicht
löschen müsste, wenn es nur genügend viele sind, sodass
es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde .
Das widerspräche jedem Rechtsverständnis und jedem
Gerechtigkeitsgefühl . Deswegen glaube ich, dass wir an
der Stelle noch einmal sehr genau hinschauen müssen .
Das gilt auch für die Frage „allgemein anerkannter
Geschäftszweck“ . Heißt das, dass in Zukunft die Daten,
die etwa Rabatterwägungen zugrunde gelegt werden,
nicht mehr nachgefragt werden dürfen, weil „Rabatt“ ein
allgemeiner Geschäftszweck ist? Heißt das, dass ich bei
Unternehmen, die meine persönlichen Daten sammeln
und auswerten, um individuelles Pricing - so heißt das zu machen, nicht mehr nachfragen darf: „Welche Daten
hast du von mir? Auf welcher Grundlage basiert dieses
individuelle Pricing?“? Das könnte am Ende vielleicht
dazu führen, dass mir in Onlineshops aufgrund meines
Kaufverhaltens regelmäßig nur überhöhte Preise angeboten werden . Darf ich das dann nicht mehr nachfragen, weil das nicht ein Geschäftsgeheimnis, sondern ein
anerkanntes Geschäftsmodell ist? Es geht nicht darum,
Geschäftsgeheimnisse abfragen zu dürfen . Auch an der
Stelle müssen wir, glaube ich, noch einmal nachfragen .
Ich glaube, trotz guter Vorarbeit wird es im parlamentarischen Verfahren und im Beratungsprozess noch
eine ganze Reihe von Punkten geben, mit denen wir uns
beschäftigen müssen . Auch die Interessen der Bundesländer und die Stellungnahme des Bundesrates, die am
Freitag erfolgen wird, werden berücksichtigt werden
müssen, auch bei der Frage der Vertretung der Landesdatenschutzbeauftragten im Europäischen Datenschutzausschuss .
So wird wohl auch für dieses Gesetz das alte
Struck’sche Gesetz gelten: Kein Gesetz wird den Bundestag so verlassen, wie es hereingekommen ist . - Aber
eine gute Beratungsgrundlage ist dieses Gesetz allemal .
({6})
Vielen Dank, Gerold Reichenbach . - Nächster Redner: Dr . Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr de
Maizière, Herr Reichenbach, wenn man Ihnen zuhört, ist
man gar nicht mehr sicher, ob Sie dasselbe Gesetz vorgelegt haben . - Doch? Dann bin ich ja beruhigt .
({0})
Die unzähligen Datenschutzskandale, die Datenlecks,
die ungezügelte Datensammelei, Snowden und jetzt ganz
aktuell Vault 7 zeigen ja, wie dringend und wie drängend
der Datenschutz ist .
({1})
Sie haben völlig recht, Herr de Maizière: Die 70er-Jahre sind vorbei, aber, ich glaube, anders, als Sie meinen .
Datenschutz ist heutzutage sehr viel wichtiger geworden
und ein ganz zentraler Punkt der Politik, meine Damen
und Herren .
({2})
Es gibt ja Gerüchte, wonach es in der jetzigen Führung
des Bundesinnenministeriums zwei lebendige Feindbilder gibt: den Datenschutz und die EU-Kommission . Der
heutige TOP vereinigt beide miteinander . Die unmittelbar geltende Verordnung zwingt alle Mitgliedstaaten der
EU und damit eben auch Deutschland in eine ernsthafte
Datenschutzreform . Dass das der Bundesregierung so
nicht schmecken würde, war klar . Denn Datenschutz gilt
Ihnen - das war ja deutlich herauszuhören - viel zu oft
als Hemmnis für die Privatwirtschaft und im Sicherheitsbereich als Risiko . Und deswegen sage ich: Das Innenministerium hat meiner Ansicht nach viel Kraft aufgewandt
und verschwendet, die Reform insgesamt zu verzögern
und aufzuhalten . Der Ausgang der Geschichte ist heute
klar: Die Bundesregierung hat in dieser Frage verloren,
und das ist auch gut so, meine Damen und Herren .
({3})
Jetzt legen Sie hier einen Entwurf vor, der wenig
unversucht lässt, Ziele und Vorgaben der EU-Datenschutz-Grundverordnung sowie der EU-Richtlinie zur
Polizei und Justiz zu hintertreiben . Ganz typisch für Sie
sind auch die am Ende des langen Artikelgesetzes versteckten Änderungen des BND-Gesetzes, etwa um die
Datenschutzaufsicht dieser Problembehörde weiter zu
erschweren . Das ist inakzeptabel .
({4})
Die EU-Reform ist insgesamt gesehen nämlich ein
Erfolg . Wir haben endlich ein Instrument gegen Datenmissbrauch durch Facebook, Google und Co, einen
Schutz, den Sie von der Union in zwölf Regierungsjahren in unverantwortlicher Weise verweigert haben . Das
Marktortprinzip der Verordnung ist ein Meilenstein, auch
die hohen Sanktionen und Sonderregelungen wie die zur
Datenportabilität sind innovativ und gut .
Bedauerlich ist es, dass die Bundesregierung mit einem Anpassungsgesetz reagiert, das inzwischen annähernd 70 Gegenanträge der Bundesländer hervorrufen
musste, Forderungen, die überwiegend auf den Inhalt
der EU-Datenschutzverordnung verweisen und deren
Geltung einfordern . So traurig scheint es leider um die
EU-Vertragstreue dieser Bundesregierung bestellt zu
sein . Wirklich unsäglich sind die Beschneidungen der Informationsrechte der Bürgerinnen und Bürger . Sie stellen
Auskunftsansprüche und Informationspflichten unter den
kommerziellen Vorbehalt der Unternehmen . Das werden
wir keinesfalls mitmachen, meine Damen und Herren .
({5})
Abschließend: Auch wir machen uns nichts vor . Die
Geschwindigkeit und die Tiefe des Digitalisierungsprozesses sind eine enorme Herausforderung . Nicht alle
selbstgesteckten Ziele der EU-Reform sind erreicht worden . Die Verordnung selbst ist hochabstrakt und - Sie
haben es angesprochen, Herr Minister - wegen ihres
Kompromisscharakters vielfach auslegungsbedürftig .
Das schafft eben auch ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit. Auch Dutzende Öffnungsklauseln stellen das
wünschenswerte Ziel einer EU-weiten Harmonisierung
wieder infrage . Aber die zentrale Aufgabe der Verordnung liegt vor allen Dingen in Folgendem: Big Data,
künstliche Intelligenz, Cloud Computing, das Internet
der Dinge, dies alles verlangt konkrete Regelungen, und
dem widerspricht eben auch nicht das wichtige Ziel der
Technikneutralität . Die EU-Kommission hat dies verstanden und einen Entwurf der E-Privacy-Verordnung
vorgelegt . Das gilt leider bisher nicht für Sie .
Die Bundeskanzlerin hat in falscher Wirtschaftsfreundlichkeit ganz ähnlich wie Sie eben, Herr de
Maizière, öffentlich mehrfach gesagt, den Datenschutz
schleifen zu wollen . Den Preis sollen die Bürgerinnen
und Bürger zahlen - durch weniger Schutz und weniger Transparenz . Das machen wir als Bürgerrechtspartei
nicht mit . Wir können von Ihnen nur eine ordentliche
Umsetzung der guten Vorlage verlangen . Fangen Sie
endlich damit an!
Ganz herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank, Konstantin von Notz . - Nächster Redner: Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich glaube, man kann mit
Fug und Recht behaupten, dass die Datenschutz-Grundverordnung das mit Abstand wichtigste Dossier der Europäischen Union in der laufenden Legislaturperiode der
Kommission ist .
({0})
Ab Mai 2018 findet sie unmittelbare Anwendung. Man
könnte daher durchaus die Frage stellen: Warum bedarf
es dann noch eines nationalen Anpassungs- und Umsetzungsgesetzes? Es bedarf deshalb eines Anpassungs- und
Umsetzungsgesetzes, weil diese Verordnung viele Öffnungsklauseln beinhaltet .
Ich möchte ausdrücklich betonen: Der große Vorteil
der Datenschutz-Grundverordnung ist aus meiner Sicht,
dass es gelungen ist, eine Harmonisierung des europäischen Datenschutzrechts in 28 Ländern - in absehbarer
Zeit vielleicht in 27 Ländern - zu erreichen, einem Raum
mit 500 Millionen Bürgern . Es ist ein Wert an sich, dass
in diesem gemeinsamen Raum ab Mai nächsten Jahres
ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht gilt .
({1})
Herr Kollege von Notz, Sie haben Geschichtsklitterung betrieben mit der Behauptung, die Bundesregierung
wäre erfolglos gewesen, weil sie es nicht geschafft hätte,
diese Datenschutz-Grundverordnung zu verhindern . Das
Gegenteil ist der Fall, Herr Kollege von Notz .
({2})
Diese Datenschutz-Grundverordnung entspricht in vielerlei Hinsicht dem geltenden Bundesdatenschutzgesetz .
Wir haben es gemeinsam geschafft - hier nehme ich den
Deutschen Bundestag durchaus mit ins Boot -, mit der
Bundesregierung, indem wir auf europäischer Ebene dafür geworben haben, das europäische Datenschutzrecht
auf das deutsche Niveau zu heben .
Herr Kollege Reichenbach, wir waren vor zwei Wochen gemeinsam in Irland . Ohne Kritik an einem kleinen
schönen Mitgliedsland der Europäischen Union betreiben zu wollen: Das Bewusstsein in Irland für die Notwendigkeit von Datenschutz und auch die Ausgestaltung
des irischen Datenschutzrechts sind, vorsichtig formuliert, noch verbesserungsbedürftig .
({3})
Deshalb ist es ein Wert an sich, dass wir jetzt eine Harmonisierung erreichen, und zwar nicht auf niedrigem Niveau, sondern in vielerlei Hinsicht auf dem hohen Niveau
unseres deutschen Datenschutzrechts .
({4})
Ich bin auch sehr froh, dass das Bundesinnenministerium
nur in sehr reduzierter Weise von den Öffnungsklauseln
Gebrauch gemacht hat; denn ein übermäßiger Gebrauch
der Öffnungsklauseln würde diese Harmonisierung im
Datenschutzrecht konterkarieren .
Zur Klarstellung: Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, hat 85 Paragrafen . 60 dieser 85 Paragrafen sind zwingende Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung . Daran können wir nichts
ändern . Die verbleibenden 25 Paragrafen beziehen sich
auf Sachverhalte, die wir nach der Datenschutz-Grundverordnung zwingend regeln müssen . Also, mit Verlaub,
Herr Kollege von Notz und meine lieben Kollegen von
den Linken: Dieses Gesetz eignet sich beileibe nicht für
eine Skandalisierung .
({5})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
als CDU/CSU-Fraktion sind der Auffassung, dass den
berechtigten Informations- und Auskunftsrechten der Bevölkerung bzw . der Verbraucher entsprechend Rechnung
getragen werden muss, auch was die Löschungspflichten
anbelangt . Um auch hier ein klares Statement abzugeben,
weil immer versucht wird, den Eindruck zu erwecken,
wir würden den großen Datenkraken - Herr Kollege von
Notz hat sie so genannt - Facebook, Google, Amazon
und Co das Wort reden und deren Wünschen Rechnung
tragen: Das Gegenteil ist der Fall . Es geht bei all den
Änderungen, die wir vornehmen wollen, nicht darum,
Facebook, Google und Co zu privilegieren, sondern es
geht darum, insbesondere im Lichte des risikobasierten
Ansatzes vor allem darauf zu achten, dass kleinere Unternehmen, Handwerksbetriebe und Einzelhändler nicht
übermäßig durch Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung belastet werden .
Herr Kollege Reichenbach, Sie haben die Formulierung „unverhältnismäßiger Aufwand“ erwähnt . Es geht
auch bei dieser Ausnahme der Informations- und Auskunftspflichten nicht darum, Facebook und Google zu
privilegieren . Es geht ausdrücklich nicht darum, die zu
privilegieren, die in digitaler Form Datenspeicherung betreiben . Wenn es darum geht, „Privilegien“ auszureichen,
dann bei analoger Speicherung von Daten, insbesondere
bei Handwerksbetrieben, kleineren Dienstleistungsunternehmen und Einzelhändlern . Darum geht es uns ganz
konkret .
({6})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
wir werden diesen Gesetzentwurf zügig behandeln . Wir
werden Ihrem Wunsch Folge leisten, sehr geehrter Herr
Bundesinnenminister. Ich sage aber auch ganz offen: Wir
werden ihn sehr gründlich und seriös beraten; denn es ist
ein wichtiges Gesetz . Ich sage Ihnen auch zu: Wir werden dieses Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode verabschieden .
Wir dürfen nicht zulassen, dass bewährte Geschäftsmodelle unterminiert werden oder sogar unmöglich
gemacht werden . Aber - das möchte ich abschließend
sagen - wir werden auch darauf achten, dass deutschen
Interessen in diesem Umsetzungsgesetz entsprechend
Rechnung getragen wird, insbesondere auch, was die
Vertretung Deutschlands im Europäischen Datenschutzausschuss anbelangt . Ich glaube, die Vorlage ist sehr salomonisch und sehr vernünftig formuliert .
In diesem Sinne freue ich mich auf intensive Auseinandersetzungen bezüglich dieses Gesetzentwurfes,
({7})
aber auch auf zügige Auseinandersetzungen; denn es ist
geboten, diesen Gesetzentwurf in der laufenden Legislaturperiode abschließend zu beraten und zu verabschieden .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank, Stephan Mayer . - Letzter Redner in der
Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Stephan Mayer ({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Musik der 80er-Jahre wird sicherlich nie aus der Mode sein .
Das stimmt .
({0})
Da haben wir mal eine gemeinsame Position .
({0})
- Richtig . - Das Datenschutzverständnis der 80er-Jahre da besteht vielleicht auch noch Einigkeit - ist allerdings
vollkommen aus der Mode und hat keinen Charme mehr .
Davon kommen wir zum Glück langsam weg .
Mit einem einheitlichen Datenschutzrecht geht Europa einen großen Schritt auf dem Weg zum gemeinsamen digitalen Binnenmarkt, einem Markt mit insgesamt
510 Millionen Einwohnern, mit einheitlichen Regeln und
Standards . Das große Gewicht, das all diese Menschen
für gute europäische Regeln in die Waagschale werfen,
wird auch globale Auswirkungen haben; denn das Internet ist nicht auf Europa begrenzt, sondern global . Deswegen können wir Vorreiter für einen weltweiten Datenschutzstandard sein .
Unternehmen müssen nun nicht mehr 28 kleine Märkte mit eigenen, gewachsenen Strukturen des Datenschutzrechtes beliefern, sondern können sich auf Standards einstellen, die gemeinschaftlich und einheitlich
sind . Dadurch wird das Leben einfacher - für alle Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Unternehmen . Das
ist Wirtschaftsförderung pur . Ich denke, wir sollten an
dieser Stelle die Europäische Union auch einmal loben
und zeigen, wofür sie gut ist, statt immer nur Kritik in
Richtung Brüssel zu schicken .
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es beim Datenschutz in erster Linie darum gehen muss, die Verarbeitung
von Daten zu regulieren und so die Bürger zu schützen .
Die Erfassung von Daten zu regulieren und zu steuern, ist
in der heutigen Zeit aus meiner Sicht kaum mehr möglich . Vom Datenschutzverständnis der 80er-Jahre - Datensparsamkeit, Datenerfassung - müssen wir wegkommen . Vielmehr müssen wir uns darauf konzentrieren, die
Nutzung und Verwendung der Daten der Bürgerinnen
und Bürger zu steuern und zu kontrollieren . Das ist zeitgemäß und entspricht dem 21 . Jahrhundert .
Meine Damen und Herren, Datenschutz ist ein kontroverses Thema . Wenn wir auf die Angsthasen hörten,
dann wäre in Deutschland am Ende gar nichts mehr erlaubt, dann gäbe es keine deutschen oder europäischen
IT-Unternehmen, und Daten der Bürgerinnen und Bürger würden am Ende gar nicht geschützt, da Dienste und
Dienstleistungen außerhalb Europas angeboten würden,
in Staaten, in denen es keine Datenschutzstandards,
kein Datenschutzrecht gibt . Das schadete den Bürgern,
wie beschrieben, gleich doppelt - und zusätzlich dadurch, dass wirtschaftliches Wachstum in Europa und in
Deutschland gehemmt würde . Wir wollen Arbeitsplätze
in Zukunftsbranchen schaffen.
({1})
Mit dem neuen europäischen Datenschutzrecht und
der entsprechenden Umsetzung haben wir einen Kompromiss gefunden, der es einerseits den Menschen ermöglicht, die digitalen Dienstleistungen in Anspruch zu
nehmen, die sie wünschen, und gleichzeitig einzuschätzen, wie viel sie von sich preisgeben müssen, was mit
ihren Daten passiert. Andererseits verpflichten wir die
Unternehmen, verantwortungsbewusst mit den Daten der
Kunden umzugehen und kein Schindluder damit zu treiben . Mir und der CDU/CSU-Fraktion kommt es darauf
an, dass wir diese Ausgewogenheit erhalten .
Ein einheitliches Datenschutzrecht in Europa betrifft
auch die Nutzung von Daten durch unsere Verwaltung,
durch den Staat . Das ist ein zentraler Punkt . Ohne das
neue Bundesdatenschutzgesetz würden unseren Behörden Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung in der
Zukunft fehlen, vor allem in der alltäglichen Arbeit . Allein dies ist aus meiner Sicht schon Veranlassung genug,
zügig über das neue Bundesdatenschutzgesetz zu beraten
und es zu beschließen .
Das Gesetz, das hier im Entwurf vorliegt, bildet die
Grundlage für umfangreiche Änderungen auch an weiteren Spezialgesetzen . Wir wollen dies in dieser Wahlperiode abschließen . Spätestens im nächsten Jahr wird uns
die Datenschutz-Grundverordnung der EU noch entsprechenden Druck auferlegen .
Ich freue mich auf die weiterhin intensive Beratung in
den nächsten Wochen und danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Kollege Wendt . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11325 und 18/11401 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten SvenChristian Kindler, Kerstin Andreae, Anja Hajduk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Öffentliches Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren
Drucksache 18/11188
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre so
manches, aber das scheint mir kein Widerspruch zu sein .
Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist,
also seit 2005 - davon hat sie übrigens acht Jahre zusammen mit der SPD regiert -, ist Deutschland bei den
öffentlichen Investitionen im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt unter den letzten drei Staaten in der Europäischen Union, also tief im Keller . Das sind Zahlen
von Eurostat . 2015 waren nur Zypern und Irland noch
schlechter .
({0})
Im Fußball wäre bei zwölf Jahren auf einem Abstiegsplatz, bei zwölf Jahren im Keller schon längst ein Trainerwechsel vollzogen worden. Ich finde, 2017 ist es Zeit,
dies auch in Deutschland zu tun;
({1})
denn das ist maximal das Niveau vom Hamburger SV .
Aber Scherz beiseite!
({2})
Wir haben ein massives Problem in Deutschland, weil
zu wenig investiert wird . Richtig ist: Länder und Kommunen können zum Teil kein Geld ausgeben, weil ihnen
die Planungskapazitäten fehlen . Warum ist das der Fall?
Weil die Bundesregierung, weil CDU/CSU und SPD eine
Investitionspolitik nach Kassenlage machen: hier mal ein
Sonderprogramm, da mal ein bisschen was . Das ist ein
Zickzackkurs, der aber keine Langfristigkeit, keine Verlässlichkeit, keine Planbarkeit bietet . Das verunsichert
Kommunen und auch Länder, neue Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, neue Planerinnen und Planer einzustellen . Es
liegt in Ihrer Verantwortung, dass die Investitionspolitik
in Deutschland so schlecht läuft . Deswegen fordern wir
Sie auf: Hören Sie auf mit dieser Zickzackinvestitionspolitik!
({3})
Wir haben heute einen umfassenden Vorschlag dazu
eingebracht . Die Idee ist ganz einfach: Wir wollen die
Schuldenbremse ergänzen. Sie soll nicht nur die offensichtliche Verschuldung begrenzen, sondern auch die
Verschuldung, die durch den Verlust von öffentlichem
Vermögen entsteht, beenden . Mindestens das, was abgeschrieben wird, der Wertverlust, muss im Haushalt
reinvestiert werden . Diese Regel ist so einfach, so einleuchtend und so sinnvoll, dass auch die Große Koalition
zustimmen könnte .
({4})
Damit das überhaupt möglich ist, brauchen wir eine Änderung im Bundeshaushalt, nämlich eine ordentliche
Bilanzierung . Wir müssen ja genau wissen: Wie viel
Vermögen hat der Bund ganz genau, nicht nur ungefähr?
Was müsste jährlich bilanziell abgeschrieben werden? Wir fordern mit unserem Antrag heute eine Vermögensbilanzierung; denn die geltende Kameralistik kann das so
nicht abbilden .
Dass wir dies dringend brauchen, haben wir in den letzten Jahren gesehen . Hätten wir da schon eine ordentliche Bilanzierung durchgeführt, hätte Wolfgang Schäuble
das Investitionsdefizit im Haushalt nie leugnen können.
Er hat lange geleugnet, dass wir überhaupt ein Problem
im Hinblick auf Investitionen haben . Wenn er jährlich
schwarz auf weiß gesehen hätte, dass unser öffentliches
Vermögen im Haushalt schrumpft, hätte er das nicht
leugnen können . Deswegen wird es höchste Zeit für eine
ehrliche Bilanzierung im Haushalt, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({5})
Last, but not least wollen wir mit unserem Antrag erreichen, dass Investitionen nachhaltig und sinnvoll finanziert werden . Die Bundesregierung setzte in den letzten
Jahren vermehrt auf öffentlich-private Partnerschaften,
und das, obwohl wir wissen, dass der Bundesrechnungshof und vermehrt auch die Landesrechnungshöfe nachweisen, dass solche Projekte in der Regel teurer sind, als
wenn wir sie konventionell finanzieren. Warum macht
die Bundesregierung das? Sie macht es, weil ÖPP-Projekte nicht in die Schuldenbremse eingerechnet werden .
Dadurch wird ein krasser Fehlanreiz gesetzt . Wir wollen,
dass ÖPP-Projekte in die deutsche Schuldenbremse eingerechnet werden; denn das sind teure Kredite, die auch
als solche behandelt werden müssen . Es muss endlich
Schluss sein mit der teuren Schattenverschuldung durch
ÖPP-Projekte .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen
heute einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, wie man
das Investitionsdefizit langfristig beheben und eine langfristige Investitionsplanung angehen kann . Ich bitte Sie:
Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie uns das weitere
Vorgehen gemeinsam im Ausschuss und im Plenum beraten! Schließen Sie sich unserer Initiative an!
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Sven-Christian Kindler . - Jetzt spricht
für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zumindest zur Überschrift des Antrags der Grünen kann
Vizepräsidentin Claudia Roth
man sagen: Stimmt! Deswegen möchte ich kurz auf die
Punkte in der Überschrift eingehen .
Es geht zum einen darum, Vermögen zu erhalten .
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Kollege
Kindler: Wir investieren schon mehr als in der Vergangenheit, wir investieren mehr denn je . Wir investieren in
die Bildung und konnten hier eine Steigerung der Mittel
von 75 Prozent erreichen, eine Steigerung, die es nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat .
Wir investieren in den Straßenbau, die Schiene und die
Wasserwege, und zwar mehr als in den vergangenen Jahren und von Jahr zu Jahr mehr . Wir investieren mit einem
4-Milliarden-Euro-Programm in den Breitbandausbau .
Wir helfen den Kommunen, zu investieren, und geben
dafür beginnend 2015 3,5 Milliarden Euro und jetzt noch
einmal 3,5 Milliarden Euro aus, sodass wir die Kommunen mit insgesamt 7 Milliarden Euro unterstützen .
Wir haben die Kommunen in den letzten Jahren entlastet wie noch keine Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionen zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik, was Investitionsspielräume freisetzt . Aber wir
müssen gemeinsam feststellen - das ist der entscheidende Punkt, aber dazu schreiben Sie in Ihrem Antrag leider
wenig -: Wir bekommen das Geld im Moment gar nicht
verbaut . Die schöne Überschrift „Vermögen erhalten“,
immer nur zu sagen, wir sollten mehr Geld zur Verfügung stellen, um zu investieren, bringt nichts, wenn das
Geld nur als Soll im Haushalt steht, aber am Ende nicht
abfließt, weil die Projekte nicht baureif sind.
Sie erwähnen die Planungskapazitäten, ja; aber den
entscheidenden Punkt, nämlich warum es so lange dauert, bis in Deutschland eine Straße gebaut werden kann,
ein Gewerbegebiet ausgebaut werden kann, irgendetwas
nach vorne gebracht werden kann, stellen Sie nicht .
({0})
Aber darüber müssen wir in Deutschland reden . Wir müssen auch mit der Europäischen Union reden, was die Planungsverfahren angeht . Handelt nur derjenige moralisch
wertvoll, der für Nistplätze von Fledermäusen kämpft?
Oder ist es auch ein moralischer Wert, für Arbeitsplätze
von Menschen zu kämpfen? Und wie wägen wir das vernünftig gegeneinander ab?
({1})
- Ich kann Ihnen sagen, aus welcher Grotte ich komme:
Das ist eine ziemlich schöne Region, das Münsterland .
({2})
Und wissen Sie, was wir im Münsterland erleben? Mit
Änderungen im Planungsrecht sorgt Ihr Umweltminister Remmel dafür, und zwar mit System, dass bei uns in
Nordrhein-Westfalen kleinere und größere Kommunen
keine neuen Wohnbaugebiete und keine neuen Gewerbegebiete ausweisen können .
({3})
Das Land hatte null Komma null Prozent Wachstum im
Jahr 2015. Nordrhein-Westfalen hat es geschafft, innerhalb von zehn Jahren 70 000 Hektar mehr Wald und
70 000 Hektar mehr Grünfläche auszuweisen, aber bei
den Gewerbegebieten minus 4 000 Hektar . Da stimmen
die Relationen doch offensichtlich nicht!
({4})
- Das müssen Sie sich schon gefallen lassen .
({5})
Wenn Sie Vermögen erhalten wollen, kann ich nur
empfehlen: Arbeiten Sie mit uns an der Beschleunigung
und der Vereinfachung der Planungsverfahren!
({6})
Das alles bringt nämlich nur etwas, wenn man das Geld
auch ausgeben kann .
Zur Frage der Bilanzierung kann ich Ihnen sagen:
Wir sind auf dem besten Weg, uns ehrlicher zu machen;
das haben wir in der Vergangenheit an vielen Stellen
auch schon verfolgt . Wir sind übrigens nach Artikel 114
Grundgesetz dazu verpflichtet, regelmäßig eine Vermögensrechnung vorzulegen . Die Vorgabe ist sehr klar .
Ich gebe aber zu, dass es viele Bereiche gibt, in denen man das Vermögen noch besser darstellen könnte,
in denen wir das besser zusammenführen müssen . Wir
brauchen eine Übersicht über die Schulden und Verbindlichkeiten . Natürlich müssen auf der anderen Seite
auch Rückstellungen und Rücklagen aufgeführt werden .
Hier sind auch die Bundesbeteiligungen als Vermögen
abzubilden . Die Frage, welches Immobilienvermögen
wir haben, ist mittlerweile weitgehend geklärt . Seit der
Auslagerung in die BImA, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, wird das Immobilienvermögen in weiten
Teilen bilanziell dargestellt . Es wäre gut, wenn Sie mithelfen würden, damit wir auch mit der Infrastrukturgesellschaft endlich vorankommen; denn dann können wir
auch das Vermögen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur darstellen und bilanzieren, insbesondere bei den
Straßen . Das wäre ein weiterer wichtiger Schritt .
Es ist aber zu fragen - diese Frage kenne ich auch aus
dem Kreistag und dem Gemeinderat, in dem ich lange
mitgearbeitet habe -, ob die Doppik um der Doppik willen, mit all dem Aufwand, der damit verbunden ist, am
Ende wirklich der Weisheit letzter Schluss ist .
({7})
Es wird wahnsinnig viel Aufwand betrieben, um das zusammenzuführen, ohne dass am Ende ein größerer ErParl. Staatssekretär Jens Spahn
kenntnisgewinn steht, zumindest mit Blick auf die Entscheidungen, die wir treffen.
({8})
Ja, an den richtigen Stellen muss besser bilanziert werden . Ja, an den richtigen Stellen müssen das Vermögen
und die Verbindlichkeiten klar aufgeführt werden . Aber
Doppik um der Doppik willen ist, glaube ich, nicht der
richtige Ansatz . Insofern sollten wir darüber reden .
({9})
Ich will noch einen Punkt ansprechen . Ein Satz in Ihrem Antrag ist sehr richtig:
Die aktuelle Nullverschuldung wird getragen von
guten Steuereinnahmen, niedriger Arbeitslosigkeit
und den historisch niedrigen Zinsen .
({10})
Natürlich helfen diese drei Faktoren . Die spannende Frage ist nur: „Tun wir genug, damit das so bleibt?“, weil
diese Faktoren alleine das Wachstum in den nächsten
zwei oder drei Jahren nicht tragen werden . Über Anträge
zu dieser Frage würde ich viel lieber hier im Deutschen
Bundestag beraten als über die Frage, wie wir alles schöner bilanzieren . Wir müssen vielmehr die Frage in den
Mittelpunkt rücken, auch in solchen Anträgen, wie wir
dafür sorgen können, dass wir wirtschaftlich stark bleiben, wie wir auch mit Blick auf den Bundeshaushalt für
eine gute Situation sorgen können .
({11})
Bei uns im Münsterland sagt man: Das Schwein wird
vom Wiegen nicht fett . Allein das Messen hilft nichts . Es
geht darum: Wie füttern wir zu, damit mehr Vermögen
und mehr Wirtschaftswachstum entstehen?
({12})
Dabei geht es etwa darum, die Steuern für diejenigen,
die investieren, zu senken, weil die meisten Investitionen im privaten und nicht im öffentlichen Bereich vorgenommen werden . Es geht darum, Planungsverfahren
schneller zu machen, damit wir das Geld, das für den Infrastrukturbereich vorgesehen ist, verbaut bekommen . Es
geht darum, uns in Sachen Digitalisierung vorzubereiten
und zu investieren, damit die Wertschöpfung in Sindelfingen und Wolfsburg erfolgt und nicht zum Beispiel im
Silicon Valley . Es geht darum, uns darauf vorzubereiten,
dass in den vor uns liegenden 30er-Jahren die Generation
der Babyboomer in Rente geht . Auch dafür müssen wir
Vorsorge treffen. - Wenn Sie sich damit in Zukunft etwas
mehr beschäftigen als mit der Frage, wie wir das alles
noch detaillierter bilanzieren können, ist der Schwerpunkt richtig gesetzt .
({13})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Nächste Rednerin:
Heidrun Bluhm für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren - das ist aus der Fibel des ehrbaren Kaufmanns
abgeschrieben und könnte hier im Haus eigentlich einen
breiten Konsens finden, wenn das Adjektiv „öffentlich“
nicht wäre. Öffentliches Vermögen erhalten, durch richtiges Investieren stärken, gleichzeitig aber Schuldenbremse und ÖPP - mit kleinen Korrekturen - gut finden,
({0})
das geht nicht zusammen, liebe Bündnisgrüne . Ihr Antrag hört sich gut an, das ist er aber nicht . Es ist gerade
der Vorteil der Kameralistik, dass sich der Staat nicht wie
ein privater Kaufmann verhalten muss .
({1})
Fragen Sie mal viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die das von ihnen verwaltete Vermögen in den
vergangenen Jahren bilanzieren mussten . Viele Kommunen waren danach pleite . Würde Ihr Antrag angenommen, würde er dazu beitragen, dass der Staatshaushalt
börsenreif gemacht wird . Deshalb lehnen wir Linke ihn
ab .
Trotzdem kommt die Debatte über diesen Themenkomplex genau zur richtigen Zeit; denn die Analyse in
Ihrem Antrag ist größtenteils richtig, Herr Kindler: Der
Bund versteckt Schulden . Der Bund investiert zu wenig
in Infrastruktur . Vermögenswerte werden verzehrt . ÖPP
ist ein Umgehungstatbestand der Schuldenbremse, privatisiert Gewinne und verstaatlicht Verluste und Risiken .
({2})
Aber, Herr Spahn, genau das wollen Sie doch auch .
Tun Sie doch hier nicht so, als wenn die in dem Antrag
formulierte Analyse nicht richtig wäre . Am 31 . März
2017 sollen wir doch über mehrere Grundgesetzänderungen abstimmen, mit denen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen nach 2019 neu gestaltet werden sollen . In
diesem Zusammenhang wollen Sie hinsichtlich öffentliParl. Staatssekretär Jens Spahn
chem Vermögen, Schuldenbremse und ÖPP neue Festlegungen treffen.
Stimmt der Bundestag den geplanten Grundgesetzänderungen zu, dann setzt er damit einen massiven Privatisierungsschub in Gang; das führt sogar die Frankfurter
Rundschau unter dem Titel „Die Autobahn als Profitmaschine“ aus . Denn trotz anderslautender Bekundungen
werden mit der Grundgesetzänderung Privatisierungen
beim Bau und Betrieb von Autobahnen und Schulen ermöglicht, zwar nicht in Form, wie ursprünglich vom Finanzminister vorgeschlagen, einer materiellen Privatisierung, aber über den Umweg der Beteiligung Privater am
Eigenkapital von Tochtergesellschaften der öffentlichen
Hand .
({3})
Das soll grundgesetzlich ermöglicht werden und wird
auch passieren, wenn wir im Bundestag nicht noch die
Notbremse ziehen .
Der mitregierenden SPD sei gesagt, dass sie mit einer
Zustimmung zu diesem Gesetzespaket ihrem Kanzlerkandidaten ein gewaltiges Kuckucksei ins Nest - oder
ins Kanzleramt - legen würde; denn damit wird die Verfügungsgewalt über öffentliches Eigentum zentralisiert
und über Umwege die Möglichkeit eröffnet, öffentliches
Eigentum auf privates überzuleiten .
({4})
Der Bundesrechnungshof hat dies als „funktionale Privatisierung“ bezeichnet und eindringlich vor den Folgen
gewarnt .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Fratzscher-Kommission des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat maßgeblich die Vorschläge für das
Wirtschaftsministerium erarbeitet,
({5})
die mit dieser Grundgesetzänderung in Gesetzesform
gegossen werden sollen . In der Kommission mitgewirkt
haben unter anderem die Deutsche Bank und die Allianz AG .
({6})
Letztere hat ihre Renditeerwartung aus den ÖPP-Betreibermodellen mit 5 bis 8 Prozent beziffert, und das, obwohl öffentliche Kredite zurzeit für null zu haben sind.
({7})
Aber der Bund selbst hat ja - Herr Spahn hat es gesagt keine ausreichenden eigenen Planungskapazitäten mehr,
um die notwendigen Investitionen überhaupt abzuwickeln . Auch das muss sich ändern .
({8})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zunächst
können Bund, Länder und Kommunen sich unter Umgehung der Schuldenbremse an ÖPP-Projekten beteiligen .
Aber dann müssen sie bei Einhaltung der Schuldenbremse jahrzehntelang für die überteuerten ÖPP-Projekte
zahlen . Das ist heute schon die bittere Erfahrung vieler
Kommunen . Was nützt es den Menschen also, ein über
ÖPP schön saniertes Schulgebäude stehen zu haben,
wenn Hausmeister und Reinigungskräfte entlassen werden müssen, weil die Kommunen kein Geld mehr für deren Bezahlung haben, nachdem die fälligen Raten und
Zinsen für die ÖPP-Schulprojekte abgeführt sind? So
konkret stellen sich die Fragen, wenn es heute um den
Erhalt öffentlichen Vermögens, ehrliche Bilanzierung
und richtiges Investieren geht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erhalt und Ausbau
von öffentlichem Vermögen müssen natürlich Schwerpunkt solider Haushaltspolitik sein . Das geht aber anders,
liebe Grünen,
({9})
nämlich durch ehrliche Bestandsaufnahme, Bestimmung
des Nutzungszwecks, solide Finanzplanung, orientiert
am Bedarf, sowie transparente und zweckorientierte
Investitionsplanung in den jeweiligen Haushaltsjahren .
Nur so bleibt das Bundesvermögen ökologisch und ökonomisch in Topform, bedarfsorientiert und zukunftsfähig . Ein börsennotiertes Bundesvermögen kann kein Ziel
unserer Haushaltspolitik sein .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank, Heidrun Bluhm . - Nächster Redner:
Dennis Rohde für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dem uns vorliegenden Antrag wird behauptet, dass das
Vorliegen eines ausgeglichenen Haushaltes in den letzten Jahren keine haushälterische Leistung sei . Natürlich
haben wir gute Rahmenbedingungen . Wir haben gute
Steuereinnahmen, wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit, wir haben niedrige Zinsen . Aber ein ausgeglichener
Haushalt an sich ist keine Selbstverständlichkeit .
({0})
Wenn wir uns die teilweise milliardenschweren Änderungswünsche von Teilen der Opposition in den letzten
Jahren angucken, dann wissen wir: Wir hätten auch eine
Neuverschuldung von 20, 30 oder 40 Milliarden Euro haben können .
({1})
Dass dies nicht der Fall ist, ist Ergebnis einer guten und
nachhaltigen Politik, die wir hier betrieben haben .
({2})
Natürlich müssen wir den Blick auch in die Zukunft
richten . Wir wissen, dass ausgeglichene Haushalte keine
Selbstverständlichkeit sind .
({3})
Wir wissen, dass sich die momentan guten Rahmenbedingungen in der Zukunft verschlechtern können . Wir
wissen auch, dass neue Herausforderungen auf uns zukommen . Zum Beispiel werden wir im Rahmen der
Bund-Länder-Finanzvereinbarungen stärker als bisher
dafür verantwortlich sein, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land vorfinden. Wir werden die
Aufgabe haben, die Unterschiede zwischen armen und
reichen Regionen nicht zu groß werden zu lassen . Das
werden dann Investitionen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseres Landes sein . Sie lassen sich schlecht
bis gar nicht bilanzieren . Aber sie sind unglaublich wichtig für unsere Gesellschaft . Das sind Dinge, die auf uns
zukommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({4})
Wir wissen natürlich, dass wir in Bezug auf Investitionen noch besser sein können . Wir haben Herausforderungen, die es anzugehen gilt . Aber man muss noch einmal
betonen - der Staatssekretär hat es schon gesagt -: Wir
haben in dieser Legislaturperiode Milliarden an Investitionen getätigt . Wir haben in den Breitbandausbau investiert . Wir haben in Kinder und Familien investiert . Wir
haben in die Bildung in diesem Land investiert . Wir werden jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro für Schulen in
die Hand nehmen .
({5})
Wir haben Länder und Kommunen entlastet und ihnen
damit ihrerseits die Möglichkeit gegeben, wieder zu investieren . Das alles waren richtige und wichtige Maßnahmen . Das waren einige Maßnahmen von vielen . Doch
uns als SPD ist klar, dass es noch viel zu tun gibt . Es ist
kein Geheimnis: Wir hätten die Überschüsse im Bundeshaushalt gerne investiert .
({6})
Wir hätten sie gerne in Infrastruktur und Bildung investiert . Wir gestehen ja ein, dass wir uns an der Stelle nicht
durchgesetzt haben . Aber wir hielten und halten das nach
wie vor für richtig, weil es den Kapitalstock des Bundes
nachhaltig erhalten hätte bzw . dazu beigetragen hätte .
({7})
Zusammenfassend: Wir wissen um die Situation, in
der wir uns befinden. Es gibt a) Risiken für den Bundes-
haushalt, und wir stehen b) vor Herausforderungen, zu
investieren . Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, den Ausgleich zwischen diesen
beiden Polen zu finden. Es ist unsere Aufgabe, Schwerpunkte dabei zu setzen . Es ist unsere Aufgabe, festzulegen, wo der Investitionsbedarf am größten ist, weil wir
im Endeffekt jeden Euro nur einmal ausgeben können.
Es ist auch unsere Aufgabe, zu sagen, wie wir das Ganze
refinanzieren wollen.
Aber ich möchte deutlich machen, dass es unsere Aufgabe ist, für das Hier und Jetzt zu entscheiden, für die
Bundeshaushalte in dieser Legislaturperiode, also 2014,
2015, 2016 und 2017 . Ich möchte auch deutlich machen:
Es ist Aufgabe eines jeden gewählten Bundestages, mit
seinen Abgeordneten seine eigenen Schwerpunkte zu
setzen. Ich finde, wir sollten künftige Abgeordnete, wir
sollten künftige Bundestage nicht in ein noch engeres
Korsett zwängen . Wir sollten nicht weitere Regelungen
auf den Weg bringen. Ich finde, jeder Bundestag sollte
seine Prioritäten selbst setzen können .
({8})
Wir sollten aufpassen, dass wir künftigen Bundestagen keine Schattenhaushalte hinterlassen. Ich finde zum
Beispiel, dass es unsere Aufgabe im Hier und Jetzt ist,
dafür Sorge zu tragen, dass die geplante Bundesfernstraßengesellschaft nicht kreditfähig wird . Das ist eine konkrete Aufgabe, vor der wir im Hier und Jetzt stehen .
({9})
Ich möchte noch auf etwas Weiteres in dem Antrag,
der uns vorliegt, eingehen . Sie fordern die Erweiterung
der Kameralistik hin zu einer Bilanzierung des Bundesvermögens . Ich habe die Umstellung von Kameralistik
auf Doppik in der Kommunalpolitik miterlebt. Ich finde,
man kann schon allein darüber streiten - der Staatssekretär hat es gerade zu Recht angesprochen -, ob damit
eigentlich das Ziel erreicht wurde, das man sich einmal
gesetzt hat, nämlich Kommunalhaushalte transparenter
und steuerbarer zu machen .
({10})
Ich finde, wenn man sich das anschaut, kann man zumindest Zweifel daran haben .
({11})
Wenn ich erlebe, dass neue Ratsmitglieder erst einmal mehrtägige Schulungen besuchen müssen, um einen
kommunalen Haushalt mit einem Volumen von 10 oder
15 Millionen Euro überhaupt lesen zu können,
({12})
wenn ich erlebe, dass Bürgerinnen und Bürger mit dem
doppischen Haushalt als solchem nichts mehr anfangen
können, dann, finde ich, sollte man das zumindest kritisch betrachten. Ich finde, wir sollten auch vorsichtig
sein, wenn wir über die Einführung von so etwas für den
Bund diskutieren .
Nun fordern Sie - das möchte ich zu Recht anmerken - nicht die Einführung der Doppik, sondern eine Bilanzierung des Bundesvermögens. Ich finde, man sollte
auch sagen, was dazugehört . Man kann ja darüber diskutieren, aber zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, was
alles dazugehört . Dazu gehört nämlich, sämtliches Bundesvermögen zu erfassen, zu betrachten und zu bewerten .
Dabei geht es wirklich um sämtliche Vermögensgegenstände des Bundes .
({13})
Sie müssen sich jeden Kilometer Straße anschauen . Sie
müssen sich jedes Gebäude anschauen . Sie müssen sich
jeden Mobiliargegenstand anschauen .
Ich will Ihnen einmal sagen: Meine Gemeinde hat
106 Quadratkilometer . Es hat Jahre gedauert und viel
Personal gebunden, um hier eine Eröffnungsbilanz zu erstellen . Man muss auch fragen, wie das Ganze in einem
Land, das 357 000 Quadratkilometer groß ist, vonstattengehen soll . Entweder - das ist die Wahrheit - stellt
man massiv Personal ein und vergrößert die Ministerien
deutlich, oder man macht ein millionen- bis milliardenschweres Förderprogramm für Wirtschaftsberatungsunternehmen . Beides kann nicht in unserem Interesse sein .
({14})
Es ist auch fragwürdig, ob das Ganze zu einer guten
Politik beiträgt, ob es einen Nutzen hat. Ich finde, wir
können das Geld wahrlich besser anlegen . Deswegen
werden wir den Antrag heute ablehnen .
Vielen Dank .
({15})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Alois Rainer für die CDU/CSU das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Bund hat seine Vermögensrechnung seit
einigen Jahren in moderaten Schritten stückweise verbessert . Das wurde auch vom Bundesrechnungshof in
seinen Jahresbemerkungen regelmäßig anerkennend
erwähnt . Die Verwaltungsvorschriften für die Buchführung und die Rechnungslegung über das Vermögen und
die Schulden des Bundes sind für den Kernbereich im
Bund einschlägig festgelegt . Des Weiteren dürfte die
geforderte Einführung eines kaufmännischen Buchführungssystems - oder zum Teil eines kaufmännischen
Buchführungssystems - mit erheblichen Mehrkosten
und vor allem mit einem erheblichen Mehr an Bürokratie
verbunden sein . Auch können der Nutzen durch diesen
bürokratischen Mehraufwand sowie die Mehrkosten für
finanzpolitische Entscheidungen eher bezweifelt werden, schon deshalb, weil Erfahrungen gerade auch im
kommunalen Bereich zeigten, dass die Einführung eines
kaufmännischen Rechnungswesens sehr häufig nicht zu
einer Veränderung der Entscheidungsmechanismen beigetragen hat .
Meine Damen und Herren, in Ihrem Antrag steht unter anderem, in unserem Land werde zu wenig investiert .
Insbesondere sprechen Sie im Hinblick auf die Modernisierung der Infrastruktur von „zukunftsvergessen“ . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch Sie
waren ja in den letzten Monaten und Jahren dabei . Ich
nenne als Beispiele nur den Bundesverkehrswegeplan,
die verschiedenen Bundeshaushalte, die Änderungen des
Finanzausgleichsgesetzes, das kommunale Investitionspaket und den Kommunalinvestitionsförderungsfonds .
Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass diese Bundesregierung so viel investiert wie schon lange nicht mehr .
Wenn es Ihnen um die klassische Verkehrsinfrastruktur geht, lassen Sie mich sagen, dass wir die Mittel für die
Verkehrsinfrastruktur um circa 25 Prozent erhöht haben .
Das ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle . In diesem
Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass diese
Bundesregierung die Länder und Kommunen in den letzten vier Jahren finanziell so sehr unterstützt hat wie keine
andere Bundesregierung zuvor .
({0})
Wenn man ehrlich miteinander umgeht, dann darf man
auch sagen: Derzeit ist es faktisch so, dass es planungsrechtlich oder auch im Vollzug nur schwerlich möglich
ist, die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, vollständig
abzurufen . Der Bund stellt in vielen Bereich mehr Geld
zur Verfügung, als überhaupt abgerufen werden kann . Da
stellt sich doch meines Erachtens eher die Frage, ob wir
im Planungs- und Planfeststellungsbereich etwas ändern
sollten .
Unabhängig davon macht sich die Nachhaltigkeit unserer Haushalts- und Finanzpolitik nicht nur durch die
schwarze Null, sondern auch dadurch bemerkbar, dass
wir investieren . Wir investieren nicht nur in Güter, wie
vorhin angesprochen, sondern auch in die Menschen in
dieser Republik . Das ist allerdings nicht so einfach messbar wie die Investition in eine Straße . Das, meine Damen
und Herren, ist meines Erachtens generationengerechte
Politik . Sie wollen nachhaltige Haushaltspolitik . Wir machen sie, und wir werden sie auch weiterhin machen .
({1})
Lieber Kollege Sven-Christian Kindler, lassen Sie
mich, da Sie vorhin von der Champions League gesprochen haben,
({2})
sagen: Deutschland spielt in der Champions League gesamtstaatlich ganz oben mit . Reduzieren Sie Ihren Blick
nicht auf einige wenige Investitionen .
({3})
Wir stehen im Europa der jetzt 28, bald vielleicht 27 Staaten ganz oben, und das kann sich sehen lassen . Es gibt
zwar kein Finale der Staaten in der Champions League,
aber faktisch sind wir ganz oben .
({4})
Wer hätte das noch vor zehn Jahren gedacht?
Vielen Dank .
({5})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/11188 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch
erhebt sich dagegen nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe hiermit den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf
Hinterbliebenengeld
Drucksache 18/11397
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch dagegen erhebt sich keinerlei Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian
Lange für die Bundesregierung das Wort .
({1})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir, wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, ein weiteres wichtiges Vorhaben dieser Legislaturperiode beraten können, nämlich
den bereits erwähnten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld .
Terroranschläge, wie zuletzt im Herzen unserer
Hauptstadt, absichtlich herbeigeführte Flugzeugabstürze,
wie jüngst beim Germanwings-Flugzeug über Südfrankreich, oder alltägliche Unglücksfälle, bei denen Menschen durch das Verschulden Dritter zu Tode kommen:
Stets geht der Verlust geliebter Menschen einher mit
Ohnmacht und Wut und vor allem mit dem grenzenlosen
seelischen Leid derer, die trauernd und alleine zurückbleiben .
Regelmäßig steht dann auch die Frage nach einer Entschädigung für die Hinterbliebenen im Raum . Im internationalen Vergleich zeigt sich das deutsche Schadensersatzrecht in diesem Punkt bisher eher zurückhaltend . Es
kennt nämlich bis heute keinen gesetzlichen Anspruch,
nach dem Hinterbliebene für das mit dem Tod eines nahen Angehörigen verbundene Leid entschädigt werden .
Die Gerichte gewähren Hinterbliebenen derzeit nur
ganz ausnahmsweise einen eigenen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld, nämlich dann, wenn sie durch
den Tod eines Angehörigen deutlich in ihrem gesundheitlichen Befinden beeinträchtigt sind. Den meisten von
Ihnen hier ist in diesem Kontext sicherlich der Begriff
„Schockschaden“ geläufig.
Der historische Gesetzgeber fand es seinerzeit anstößig, einen immateriellen Schaden in Geld aufzuwiegen .
Über die moralischen Beweggründe für diese Entscheidung kann man trefflich streiten. Der Ansatz hat aber zunehmend Kritik erfahren . Der Deutsche Juristentag hat
etwa schon in den 60er-Jahren eine gesetzliche Regelung
für einen Entschädigungsanspruch beim Tod eines Angehörigen gefordert . In den letzten Jahren ist diese Frage
jedoch immer kontroverser diskutiert worden . Insoweit
könnte der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, durchaus als Paradigmenwechsel im deutschen Schadensersatzrecht bezeichnet werden .
Das seelische Leid und die Trauer von Hinterbliebenen wollen wir künftig im Sinne einer Anerkennung
entschädigen . Medizinisch fassbare gesundheitliche
Beeinträchtigungen sind dazu nicht mehr erforderlich .
Selbstverständlich - dessen sind wir uns bewusst - kann
kein Geld der Welt die Trauer der Betroffenen relativieren oder gar kompensieren . Wir wollen aber ein wichtiges Zeichen in Richtung der Hinterbliebenen senden:
Die Rechtsordnung verschließt sich eurem seelischen
Leid nicht länger . Mit der Einführung eines Anspruchs
auf Hinterbliebenengeld machen wir nämlich deutlich:
Die Gesellschaft steht solidarisch hinter denjenigen, die
zurückbleiben, und gewährt ihnen Anerkennung .
Mit diesem Gesetzentwurf beenden wir auch bestehende Ungerechtigkeiten; denn bei Ehrverletzungen und
selbst bei entgangenen Urlaubsfreuden haben die BetrofAlois Rainer
fenen bereits einen Anspruch auf Ersatz ihres immateriellen Schadens . Hinterbliebenen, die unter dem Verlust
ihrer Lieben sicherlich ungleich mehr leiden, bleibt dies
bislang verwehrt, und genau dies ändern wir nunmehr .
({0})
Letztendlich entfällt mit der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld auch ein - darin dürften wir uns hier im Hause sicherlich einig sein - nicht
wünschenswertes Alleinstellungsmerkmal des deutschen
Rechts . Viele Staaten in der Europäischen Union und
weltweit kennen bereits seit langem - wenn auch mit
unterschiedlicher Begründung und Ausprägung - einen
Entschädigungsanspruch für Hinterbliebene . Deutschland zieht hiermit nach .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine
ausgewogene Lösung gefunden haben, und das war nicht
ganz leicht .
Lassen Sie mich deshalb abschließend noch einige
Details des Entwurfes skizzieren .
Der Anspruch wird im Hinblick auf die Anspruchsberechtigten als „Hinterbliebenengeld“ bezeichnet . Anspruchsberechtigt sind diejenigen Hinterbliebenen, die in
einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten stehen .
Für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner, Eltern
und Kinder wird dies vermutet .
Der Gesetzentwurf gibt mit der Anerkennung als
Zweck des Anspruchs zugleich den entscheidenden Faktor für seine Bemessung vor . Es geht um eine im Einzelfall angemessene Entschädigung . Deswegen führen wir
auch keine Pauschale ein . Denn dies wäre einerseits nicht
geeignet, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, andererseits ist es gerade nicht angemessen, in Gestalt einer Pauschale eine Art „Sterbegeld“ zu zahlen . Die Bestimmung
der Anspruchshöhe soll also den Gerichten überlassen
bleiben . Dass die Rechtsprechung dazu imstande ist, belegen die deutsche Rechtspraxis und die Erfahrungen aus
anderen Staaten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass dieser Gesetzentwurf vielen von Ihnen ein Herzensanliegen
ist. Deshalb hoffe ich auf Unterstützung unseres Gesetzentwurfes und um angemessene Beratung .
Vielen Dank .
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Das letzte Mal haben wir am 1 . Dezember des vergangenen Jahres über Hinterbliebenengeld gesprochen . Damals hatte
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen sehr guten
Antrag vorgelegt,
({0})
in dem die Regierung aufgefordert wurde, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Einführung eines Hinterbliebenengeldes regelt . Ich will zumindest zu Beginn meiner
Rede - ich liege doch nicht falsch, Herr Präsident, dass
wir den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD und
nicht den der Bundesregierung beraten?
Herr Kollege Petzold, Sie liegen richtig .
- genau - klarstellen, dass es der Bundesregierung
bis jetzt nicht gelungen ist, einen eigenen Gesetzentwurf
vorzulegen - obwohl der Kollege Fechner uns vollmundig zugesichert hat, dass das Bundesjustizministerium
jetzt ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren gestartet hat . Der Schmerzensgeldanspruch im Bürgerlichen
Gesetzbuch sowie in weiteren Gesetzen sowie die Gefährdungshaftung würden kommen. Die Aufforderung an
die Bundesregierung, tätig zu werden, sei schlicht nicht
mehr nötig .
Geschehen war nämlich bis dahin nichts . Und geschehen ist seitens der Bundesregierung auch bis heute
nichts . Das wollen wir einmal festhalten .
({0})
Ich gehe aber einmal davon aus, dass unsere Kritik damals sowie Ihre Beurteilung, der Antrag der Grünen sei,
zumindest inhaltlich, gut, Sie dazu bewogen haben, noch
einmal in sich zu gehen und uns heute diesen Gesetzentwurf und damit etwas, mit dem man tatsächlich etwas
anfangen kann, vorzulegen . Die Wahlperiode ist fast zu
Ende, und jetzt scheint es Ihnen zumindest aufgefallen
zu sein, dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle noch
nicht umgesetzt worden ist .
Ich kann ansonsten meine Stellungnahme zu dem
Gesetzentwurf insoweit kurz machen, als ich feststelle,
dass meine Fraktion dieses Vorhaben grundsätzlich unterstützt . Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, Sie können sich den Tag, an dem
ich Sie gelobt habe, im Kalender anstreichen . Ich tue es
aber, weil zumindest Ihr Versprechen umgesetzt wurde
und ich damit meine Kritik, dass Sie nur ein Ankündigungsabgeordneter sind, Herr Kollege Fechner, zurücknehmen und in aller Höflichkeit diesbezüglich zumindest
um Entschuldigung bitten kann .
({1})
Ansonsten bitte ich Sie, im parlamentarischen Verfahren zumindest die Punkte, die vonseiten der Opferverbände - zum Beispiel vom Weißen Ring, aber auch
vom Deutschen Anwaltverein - gekommen waren, noch
einmal auf sich wirken zu lassen . Der Weiße Ring hat
uns beispielsweise darum gebeten, auch ein Trauergeld
für Angehörige von schwerstverletzten Opfern einzuführen, weil deren eigene Schmerzensgeldansprüche bisher
nur immaterielle Schäden eines Verletzten umfassen,
nicht aber das darüber hinausgehende Leid einer oder
eines Angehörigen, der den Verletzten oder die Verletzte möglicherweise lebenslang pflegt und dadurch täglich
mit dessen oder deren Leid konfrontiert ist . Ich denke,
das ist ein Anliegen, dem wir uns nicht zu verschließen
brauchen .
Der Deutsche Anwaltverein hat kritisiert - er bittet
uns dahin gehend um Korrektur -, dass im Gesetzentwurf
vorgesehen ist, nur die sogenannte deliktische Haftung
zu regeln . Er bittet darum, dass auch eine vertragliche
Haftung vorgesehen wird . Ich will das anhand eines Beispiels erklären . Es gibt den tragischen Fall - davon haben Sie möglicherweise schon gehört -: Eine Kitagruppe
geht auf Wanderung . Eines der Kinder geht leider verloren, und es kommt zu einem sehr tragischen Todesfall .
In diesem Fall haben die Eltern auch nach Ihrem Gesetzentwurf keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil
kein tätliches Delikt vorliegt und die Kita möglicherweise nachweisen kann, dass sie fachgerechtes Personal eingesetzt hat . Für die Hinterbliebenen muss sich aber aus
dem vertraglichen Verhältnis, das sie mit dem Kitaträger
und der Kita hat, ein solcher Anspruch ergeben . Das sollten wir auf jeden Fall prüfen .
Darüber hinaus will ich den Antrag der Grünen in Erinnerung rufen . Die Grünen haben damals - Sie haben
darauf zumindest inhaltlich positiv reagiert - die Forderung aufgemacht, dass die Geschädigten im Fall eines
Forderungsausfalls, wenn also vom Schädiger nichts zu
holen ist, ebenfalls einen Anspruch, zum Beispiel nach
dem Opferentschädigungsgesetz, haben könnten . Auch
das müssten wir nachträglich regeln . Das ist in Ihrem
Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen .
Schließlich werden wir als Linke in der öffentlichen
Anhörung zum Gesetz die Frage thematisieren, was ein
„besonderes persönliches Näheverhältnis“ bedeutet, das
Ansprüche nach dem Gesetzentwurf definieren soll. Hier
hat der Bundesrat darum gebeten, dass wir den Personenkreis eindeutig benennen. Ich finde aber Ihren Ansatz
gar nicht so schlecht, diesen Kreis auch auf Geschwister
und auf nahe Freunde auszuweiten . Ich denke, das sollten wir in der öffentlichen Anhörung thematisieren und
nachfragen, wie das in der Fachwelt gesehen wird, und
hier eventuell nachbessern .
Sie sehen: Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser
werden könnte . In diesem Sinne haben Sie, wie gesagt,
die grundsätzliche Zustimmung meiner Fraktion zum
Gesetzesvorhaben der Koalitionsfraktionen; das will ich
ausdrücklich betonen .
Sie machen nichts anderes als das, was auch wir immer machen, wenn wir feststellen: Die Bundesregierung
pennt, und sie schläft den Schlaf der Selbstgerechten . Sie haben nun selber einen Gesetzentwurf vorgelegt .
({2})
Nichts anderes machen wir auch. Ich finde, dieses Vorgehen ist legitim und sollte von der Mitte des Parlaments
viel öfter genutzt werden . Insofern haben Sie, wie gesagt,
unsere Zustimmung zu dem Verfahren . Ich bin sehr gespannt auf die weiteren parlamentarischen Diskussionen .
Danke schön .
({3})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Hendrik
Hoppenstedt .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der eine oder andere hat möglicherweise bezweifelt, ob wir die erste Lesung zu diesem
Gesetzesvorhaben noch in dieser Wahlperiode erleben
werden . Wir erleben sie heute . Ich gebe zu: Auch ich war
nicht immer ganz sicher . Aber es ist umso schöner, dass
das heute der Fall ist .
Es gibt für das Bundesministerium Lob und Tadel zugleich . Ein Stück weit muss ich erst einmal den Herrn
Staatssekretär und seine Leute in Schutz nehmen . Es ist
nicht so, dass sie nicht geliefert oder nichts getan hätten .
Vielmehr wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung
morgen im Bundesrat beraten, während wir heute den der
Koalitionsfraktionen debattieren .
({0})
Es ist nicht so, Herr Kollege Petzold, dass die Bundesregierung nichts getan hätte .
Es gibt dafür Lob, weil ich finde, dass das, was materiell-rechtlich im Gesetzentwurf vorgelegt wird, wirklich hervorragend ist. Mir fiel, ehrlich gesagt, nichts ein,
was man verbessern könnte . Ich bin daher ganz unsicher,
Frau Kollegin Keul, ob das Struck’sche Gesetz dieses
Mal überhaupt Anwendung finden kann. Aber vielleicht
hat die Opposition noch die eine oder andere Idee, was
möglich ist .
Tadel gibt es in der Tat dafür, dass es insgesamt dreieinhalb Jahre gedauert hat, bis die erste Lesung zu diesem Gesetzesvorhaben durchgeführt werden kann . Das
liegt, meine Damen und Herren, hoffentlich nicht daran,
dass es die Union war, die dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat . Wir jedenfalls hätten
uns gewünscht, dass das Ganze deutlich schneller gegangen wäre, weil dann natürlich mehr Menschen, die tragischerweise einen nahen Angehörigen verloren haben,
von diesem Gesetzeswerk hätten profitieren können.
Meine Damen und Herren, was haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart?
Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir
als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids
einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein,
der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt .
Harald Petzold ({1})
Ich betone diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag deswegen so deutlich, weil viele gesagt haben, dass sich die
Koalition diesem Thema erst durch den Absturz der Germanwings-Maschine gewidmet hätte . Das ist schlichtweg nicht der Fall .
Warum haben wir das in den Koalitionsvertrag geschrieben? Es gibt zwei Gründe dafür . Zum einen ist nicht
nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Schmerz, unter
dem man möglicherweise ein Leben lang leidet, wenn
man das eigene Kind durch einen Unfall, den ein Dritter verschuldet hat, getötet wird, von der Rechtsordnung
nicht anerkannt wird, vor allen Dingen dann, wenn man
bedenkt, dass für ganz andere Sachen, wie zum Beispiel
entgangene Urlaubsfreuden, der Kfz-Nutzungsausfall
oder Ehrverletzungen, Entschädigungen gezahlt werden .
Andere europäische Rechtsordnungen sehen deswegen
ein Angehörigenschmerzensgeld schon lange vor .
Zum anderen gibt es einen Wertungswiderspruch .
Ein Schädiger steht hierzulande im Fall der Tötung eines Dritten wirtschaftlich besser da als bei einer Körperverletzung . Die Kollegin Keul hat das bei ihrem Antrag
in der letzten Sitzung, als wir hier darüber diskutiert
haben, ganz plastisch dargestellt, indem sie gesagt hat:
Wenn ich auf einer Landstraße eine Person anfahre und
verletze, dann ist es wirtschaftlich günstiger, den Rückwärtsgang einzulegen, um dem armen Opfer den Garaus
zu machen . - Das ist in der Tat richtig . Man sieht daran
allerdings auch, dass die Grünen nur wieder an das Geld
denken .
({2})
In der Tat werden nach § 844 BGB, wenn eine Tötung
erfolgt, nur die Beerdigungskosten oder gegebenenfalls
der Unterhalt ersetzt, falls überhaupt ein Unterhaltsberechtigter da ist, während in der Fallkonstellation, dass
der Verletzte am Leben bleibt, ein Anspruch auf alle Vermögens- und Nichtvermögensschäden existiert .
Deswegen, meine Damen und Herren, führen wir einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld ein . Dem § 844
BGB, der schon bislang die Ersatzansprüche Dritter bei
der Tötung regelt, wird ein neuer Absatz 3 angefügt:
Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der
zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem
besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für
das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid
eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten .
Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng gefasst, lässt aber auch eine gewisse Flexibilität zu . Das besondere Näheverhältnis - Herr Staatssekretär Lange hat
es schon erwähnt - wird bei Ehegatten, Lebenspartnern,
Elternteil oder Kindern vermutet . Bei anderen Verbindungen greift der Anspruch nur dann, wenn das Verhältnis dem entspricht, welches typischerweise zwischen den
Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern oder Eltern besteht .
Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld soll auch in
Fällen der Gefährdungshaftung bestehen . Das ist tatsächlich eine Konsequenz des Germanwings-Absturzes, weil
wir gesagt haben: Es kann in der Sache nicht sein, dass
Hinterbliebene beispielsweise einer Fluggesellschaft ein
Verschulden nachweisen müssen, was bei solchen Unglücken üblicherweise ziemlich kompliziert werden kann .
Zu der Frage der Anspruchshöhe . Was können Angehörige erwarten? Dazu wird vielfach gesagt: Man kann
einem Menschenleben kein exaktes Preisschild anhängen . Das ist zumindest missverständlich; denn erstens
wird der Verlust eines nahestehenden Menschen durch
kein Geld der Welt ausgeglichen werden können . Zweitens ist es aber auch gar nicht das Ziel, dass wir ein Menschenleben materiell bewerten möchten . Ziel des Hinterbliebenengeldes ist nämlich der symbolische Ausgleich
des Trauerschmerzes von nahestehenden Angehörigen .
Die Zahlung des Hinterbliebenengeldes wird seelisches
Leid nicht wirklich ausgleichen können . Mit der Schaffung des Anspruches wird aber gezeigt, dass die Rechtsordnung den empfundenen Schmerz anerkennt .
Wir stellen aus gutem Grund die Höhe des Anspruchs
in richterliches Ermessen, weil jeder Fall anders gelagert ist . Wir äußern uns aber in der Gesetzesbegründung
durchaus zu Orientierungspunkten . Es wäre nämlich
falsch, Erwartungen zu wecken, dass künftig in Deutschland Entschädigungssummen in Dimensionen gezahlt
werden, wie man sie aus den Vereinigten Staaten von
Amerika kennt. Wir hatten hierzu - das sei offen angesprochen - mit dem Koalitionspartner durchaus Diskussionsbedarf, weil die SPD andere Vorstellungen dazu
hatte . Dort hat man sich 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehörigen vorgestellt . Wir haben gesagt: Es macht mehr
Sinn, sich an der Schockschadensumme zu orientieren,
die bei ungefähr 10 000 Euro liegt . Andere Fraktionen
haben möglicherweise ganz andere Forderungen, sodass
man darüber sicherlich diskutieren kann . Aber wir jedenfalls halten das, was jetzt in dem Gesetzentwurf steht,
für richtig; denn im Koalitionsvertrag haben wir auch
vereinbart, dass sich der Anspruch in das Schadenersatzrecht einfügt . Damit ist nicht nur die systematische
Stellung im Gesetz gemeint, sondern auch die Größenordnung der Schadenersatzzahlungen .
Im Gesetzentwurf gehen wir von circa 24 000 Haftungsfällen pro Jahr aus . Da beim Hinterbliebenengeld
geringere Summen als für Schockschäden zugesprochen
werden, ergibt sich auf der Grundlage der Schockschadensummen rechnerisch eine Gesamtschadensumme von
maximal 240 Millionen Euro pro Jahr .
Wenn man jetzt 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehörigen zugrunde legen würde, würde die Gesamtschadensumme zwischen 480 Millionen und circa 1,4 Milliarden
Euro liegen . Das würde dazu führen, dass das deutsche
Schadenersatzrecht aus der Balance gebracht werden
würde, weil natürlich dann auch für andere Schadenfälle wesentlich höhere Schadensummen gezahlt werden
müssten . Hinzu kommt, dass natürlich dann die Versicherungsunternehmen die entsprechenden Schäden auf die
Versichertengemeinschaft über erhöhte Prämien umlegen müssten . Deswegen tun wir gut daran, dass wir uns,
was die Höhe betrifft, genauso wie es im Gesetzentwurf
geregelt ist, an der Schockschadenrechtsprechung orientieren .
Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen, nämlich
die Berücksichtigung des Hinterbliebenengeldes beim
Zugewinnausgleich . Dazu steht im Gesetzentwurf noch
nichts . Darüber müssen wir uns im Ausschuss unterhalten, insbesondere auch deswegen, weil das morgen im
Bundesrat Thema sein wird . Von der typischerweise
sehr individuell empfundenen Trauer des Anspruchsberechtigten, etwa beim Unfalltod seiner Eltern, wird der
Ehegatte regelmäßig nicht so mitbetroffen sein, dass eine
nachträgliche Beteiligung über einen Zugewinnausgleich
zwingend gerechtfertigt wäre . Deshalb soll das Hinterbliebenengeld beim Zugewinnausgleich dem Anfangsvermögen hinzugerechnet werden, sodass es im Ergebnis
tatsächlich nur dem Angehörigen zugutekommt .
Unter dem Strich ist das ein wirklich gelungenes Gesetzesvorhaben . Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und darauf, dass wir dann hoffentlich dieses Gesetz im Bundesgesetzbuch haben werden .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Fast möchte man ausrufen: Halleluja . Das für
2015 versprochene Weihnachtsgeschenk kommt jetzt zu
Ostern 2017 . Aber am Ende hat es vielleicht doch geholfen, dass wir Grüne aus der Opposition heraus zwei Jahre
lang beim Thema Angehörigenschmerzensgeld Druck
gemacht haben .
({0})
Immer wieder haben Sie unseren Antrag vertagt, am
Ende haben Sie ihn sogar abgelehnt . Dabei unterscheidet
sich Ihr jetziger Vorschlag gar nicht so wesentlich von
unserem . Der Trauerschaden und die seelischen Schmerzen, die eine Person infolge des Todes eines nahen Angehörigen erleidet, sollen auch bei uns in Deutschland
künftig zu einem Ersatzanspruch führen . Bislang gilt:
Schmerzen für ein verlorenes Bein sind bezifferbar, aber
nicht die Schmerzen für ein verlorenes Kind .
Das gilt selbst bei Vorsatztaten und führt in der Tat
dazu, dass es für einen Täter finanziell attraktiver ist,
wenn das Opfer stirbt, als wenn es schwerverletzt überlebt . Meine zugegebenermaßen etwas zugespitzte Formulierung aus der ersten Rede brauche ich jetzt nicht
zu wiederholen; das hat der Kollege Hoppenstedt mir
dankenswerterweise abgenommen . Aber das Beispiel
scheint geholfen zu haben, Sie zu motivieren, einen Gesetzentwurf vorzulegen .
Viele andere europäische Länder haben längst so eine
Regelung und gewähren ein Angehörigenschmerzensgeld, dort aber zum Teil mit festen Entschädigungssummen . Wir Grüne hatten in unserem Antrag vorgeschlagen, die Entschädigungssummen in das Ermessen des
Gerichts zu geben, wie das sonst auch bei Schmerzensgeldansprüchen üblich ist . Diesem Vorschlag sind Sie
gefolgt, und das begrüßen wir .
({1})
- Ein bisschen Hilfe kann nie schaden . - Ebenso sind
wir uns einig, dass der Trauerschaden auf Todesfälle beschränkt sein soll und nicht etwa auf schwere Verletzungen zu erstrecken ist .
Auf der anderen Seite muss sich der Anspruch aber
auch auf die Gefährdungshaftung beziehen und darf sich
nicht auf reines Verschulden beschränken; denn es wäre
letztlich nicht nachvollziehbar, Opfer von Unglücksfällen aus Flugzeugabstürzen oder Eisenbahnunfällen von
der Regelung auszunehmen . Auch hier sind Sie unseren
Vorschlägen gefolgt .
Anders als wir haben Sie sich allerdings als Rechtsgrundlage für den § 844 BGB entschieden, also für eine
Vorschrift aus dem Deliktsrecht . Das ist aus meiner Sicht
nicht so glücklich; denn so sind zwar die Ansprüche aus
unerlaubter Handlung oder Gefährdungshaftung umfasst,
nicht aber die Ansprüche aus vertraglicher Haftung .
({2})
Deswegen kann es in Einzelfällen zu Schutzlücken
kommen; - Kollege Petzold hat es gerade gesagt . Auch
der DAV hat das in seiner Stellungnahme kritisiert .
Wenn etwa ein Mensch aufgrund einer Verletzung von
vertraglich vereinbarten Betreuungspflichten ums Leben
kommt, zum Beispiel in einem Pflegeheim oder in einer
Kindertagesstätte, würde der § 844 nicht greifen . Die Betreuungspflicht obliegt in diesen Fällen dem Träger der
Einrichtung, und dieser haftet nicht, wenn er geltend machen kann, dass er sein Personal sorgfältig ausgewählt,
angeleitet und überwacht hat; denn so ist das eben in der
deliktischen Haftung . Der Träger kann sich exkulpieren,
anders als bei der vertraglichen Haftung .
Deswegen hatten wir uns in unserem Antrag für einen
anderen Ansatz entschieden . Wir wollten den Schmerzensgeldanspruch in § 253 BGB regeln . Das sind die
allgemeinen Vorschriften zu Art und Umfang von Schadenersatzansprüchen . Auf diese Vorschrift verweist auch
das Deliktsrecht, wenn es um den Ersatz eines immateriellen Schadens geht . Auf diesem Wege wären dann ohne
Weiteres alle Anspruchsarten, auch die aus vertraglicher
Haftung, umfasst . Vielleicht können wir Sie im Verfahren doch noch davon überzeugen, dass auch diese positive Gesetzesvorlage noch verbessert werden kann .
Für die Opfer von Straftaten hatten wir auch noch einen Vorschlag gemacht, den Sie nicht übernommen haben . Wir wollen, dass das Opferentschädigungsgesetz
reformiert wird und künftig auch Hinterbliebene nach
diesem Gesetz Ansprüche geltend machen können, wenn
der Straftäter selbst mittellos ist .
Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch einmal an
die Streichung von § 1 Absatz 11 Opferentschädigungsgesetz erinnern, die wir hier anlässlich des Attentats vom
Breitscheidplatz diskutiert haben . Für die Hinterbliebenen sollte es keinen Unterschied machen, ob die Tat
mittels eines Pkw oder einer anderen Waffe begangen
worden ist . Einzelfalllösungen und Härtefallfonds können Rechtssicherheit in solchen Fällen dauerhaft nicht
ersetzen .
Trotz dieser Defizite begrüßen wir Ihren Gesetzentwurf, weil er erstmals einen Schmerzensgeldanspruch für
die Trauer von Angehörigen einführt, und darauf haben
wir lange genug gewartet .
Vielen Dank .
({3})
Der Kollege Dr . Johannes Fechner spricht jetzt für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
Wir freuen uns auch sehr, dass wir nach intensiven und
gründlichen - ich sage nicht „langen“, sondern „gründlichen“ - Vorberatungen heute diesen Gesetzentwurf
vorlegen können und damit das Verfahren starten, damit
Hinterbliebene endlich eine eigene Anspruchsgrundlage
für eine Entschädigung bekommen . Damit stehen wir
hinter den Hinterbliebenen und stellen eines klar: Das
seelische Leid von Menschen, die einen nahestehenden
Menschen durch einen Unfall oder eine Straftat verloren
haben, wird künftig nicht mehr ohne Anerkennung bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das war auch mir
eine Herzensangelegenheit .
({0})
Ich darf mich beim Bundesjustizministerium herzlich
für die sehr gute Zu- und Zusammenarbeit bedanken .
Herzlichen Dank! Das war wirklich sehr gut .
Meine Damen und Herren, der Tod eines nahestehenden Menschen ist der schlimmste Verlust, den man
sich vorstellen kann . Wir werden das Leid der Hinterbliebenen sicher nicht durch eine Geldleistung aufheben
können . Aber zumindest ein Stück weit können wir das
Leid der Hinterbliebenen mit einer eigenen Anspruchsgrundlage lindern . Es ist nach heutiger Rechtsprechung
und auch nach heutiger Rechtslage für Hinterbliebene
einfach viel zu kompliziert und zu schwierig, einen solchen Entschädigungsanspruch durchzusetzen; denn nach
der heutigen Rechtslage haben die Angehörigen nur dann
einen Anspruch, wenn sie nachweisen, dass sie über das
Maß der normalen Trauer hinaus in ihrer seelischen Verfassung verletzt sind . Das nachzuweisen, ist nahezu ein
Ding der Unmöglichkeit . Deswegen müssen wir die Änderung, wie wir sie heute hier vorschlagen, durchführen .
Ich halte es für richtig und sinnvoll, dass wir uns nicht
am traditionellen Familienbild orientieren, sondern die
Formulierung so fassen, dass anspruchsberechtigt etwa
auch Patchwork-Familien sein können oder auch ein unverheirateter Hinterbliebener, der einem Verstorbenen
sehr nahe gestanden hat .
Was die Höhe der Entschädigung angeht, so haben
wir darüber in der Tat intensiv diskutiert . Wir waren uns
einig, dass wir keine Summe in das Gesetz hineinschreiben sollten . Aber wir hätten eine Orientierung für sinnvoll gehalten . Die Bundesrechtsanwaltskammer hat vor
wenigen Tagen in einem Schreiben deutlich gefragt, warum wir keinen Entschädigungsrahmen in der Gesetzesbegründung vorgegeben haben, und es wird - ich zitiere - „eine extrem voneinander abweichende richterliche
Rechtsprechung“ erwartet . Angesichts dessen glaube ich,
lagen wir mit unserem Vorschlag nicht so falsch, einen
Rahmen, einen Korridor in der Gesetzesbegründung zu
nennen . Immerhin haben wir in der Gesetzesbegründung
den klaren Hinweis auf die bisherige deutsche und europäische Rechtsprechung . Wir verweisen auf Urteile,
die etwa bis zu 25 000 Euro zugesprochen haben, was
als Mindestbetrag gelten sollte . Aus meiner Sicht kann
sich die Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwickeln, dass den Hinterbliebenen höhere Beträge zugesprochen werden; denn ich finde, eines ist doch ganz
wichtig: Wenn wir eine eigene Anspruchsgrundlage für
die Hinterbliebenen schaffen, dann sollten die Ansprüche
auch nicht mit kleineren Summen abgegolten werden,
sondern dann muss es eine wirklich angemessene Entschädigungszahlung für die Hinterbliebenen geben, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns
gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage
haben müssen . Gerade in der schweren Zeit der Trauer
sollten wir den Hinterbliebenen schwierige und komplizierte Verhandlungen mit den Schädigern oder deren Versicherung ersparen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es
darf nicht sein, dass Hinterbliebene in der schweren Zeit
ihrer Trauer solch schwierigeren Verhandlungen ausgesetzt sind, nur weil eine klare Rechtsgrundlage fehlt .
Künftig wird das nicht mehr vorkommen . Mit der neuen
Regelung wird das Risiko minimiert, dass Hinterbliebene wegen der unklaren Rechtslage nicht zu ihrem Recht
kommen .
Natürlich können wir nicht verhindern, dass Ansprüche gegen den Täter oder den Unfallverursacher ins Leere laufen, wenn der Täter oder der Unfallverursacher kein
Vermögen hat - wie etwa der Täter bei dem schrecklichen Anschlag hier auf dem Berliner Breitscheidplatz .
Ich möchte deshalb ausdrücklich loben, dass die Bundesregierung gestern einen Beauftragten für die Anliegen
der Opfer des Terroranschlags auf den Breitscheidplatz
und deren Hinterbliebene bestimmt hat,
({2})
um die Entschädigung für die Opfer dieses Anschlags und
deren Angehörige zu gewährleisten . Ich glaube, mit Kurt
Beck wurde eine ebenso vertrauenswürdige wie kompetente Person zum Beauftragten der Bundesregierung für
diese Entschädigungen benannt . Ich bin mir sicher: Er
wird sich für die Belange der Hinterbliebenen engagiert
einsetzen und den Hinterbliebenen ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner in dieser schwierigen Rechtsgestaltung sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich sehr,
dass wir heute mit diesem wichtigen Gesetz das parlamentarische Verfahren starten können . Wir sollten noch
in dieser Legislaturperiode für die Hinterbliebenen die
Grundlage schaffen.
Für den Leistungsdruck, dem uns die Opposition ausgesetzt hat, möchte ich mich ausdrücklich bedanken . Das
war sehr konstruktiv .
({3})
- Ja, ernsthaft . Ich glaube, es gibt wenige Themen, die
sich für Parteipolitik weniger eignen würden als dieses
Gesetz . Lassen Sie es uns zügig beraten und dann noch
in dieser Legislaturperiode einvernehmlich beschließen!
Vielen Dank .
({4})
Am Ende dieser ersten Beratung des Gesetzentwurfs
spricht jetzt der Kollege Alexander Hoffmann für die
CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
und Kollegen! Statistiken weisen manchmal schwerwiegende Zahlen aus . Statistiken für unser Land zeigen,
dass wir im Jahr circa 3 000 fremdverursachte Todesfälle
im Straßenverkehr haben sowie circa 1 500 Todesfälle
aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler . Circa 500 Menschen fallen in unserem Land in jedem Jahr Mord bzw .
Totschlag zum Opfer . Dazu kommen circa 1 000 haftungsauslösende Todesfälle aufgrund anderer Ursachen .
Diese Statistiken bedeuten auch: Hinter jedem dieser
Fälle stehen circa vier Hinterbliebene . Wenn wir dann
über Schmerzensgeld für Angehörige reden, dann reden
wir - das lässt sich schnell hochrechnen - über circa
24 000 Haftungsfälle im Jahr .
Spannend ist die Antwort, die der Rechtsstaat auf all
diese Fragen gibt . Es gibt zwei Stränge, den strafrechtlichen und den zivilrechtlichen .
Auf der strafrechtlichen Seite ist das, was der Rechtsstaat in unserem Land dazu zu sagen hat, schon sehr
komplett . Es kommt zur Strafe . Es kommt zur Geldstrafe . Es geht um Schuld, Sühne, auch um Vergeltung . Der
Strafanspruch, den der Staat verwirklicht, zeigt, dass der
Staat letztendlich das Rechtsgut schützen will . Der Staat
will auch eine Botschaft für Hinterbliebene übermitteln,
nämlich: Der Hinterbliebene ist nicht allein; der Staat
steht ihm bei .
Wenn man auf die zivilrechtliche Seite blickt, dann
muss man feststellen, dass das ein ganzes Stück weniger komplett ist . Natürlich gibt es Ersatz für materielle
Schäden . Aber Schmerzensgeld für Angehörige gibt es
eigentlich nur - der Kollege Fechner hat es angedeutet im Fall der Schockschäden . Nicht jedes Leid, nicht jeder
Schmerz, nicht jede Trauer eines Menschen in dem Moment, in dem er die Information bekommt, dass ein naher
Angehöriger ums Leben gekommen ist, ist ein Schock
in diesem Sinne; es muss eine traumatische Auswirkung
von einigem Gewicht sein . Mehr gibt es auf der zivilrechtlichen Seite für die Hinterbliebenen bislang dem
Grunde nach nicht .
Deswegen bin ich sehr dankbar, dass der bayerische Justizminister Winfried Bausback das sehr früh in Worte
gefasst hat . Er hat das so beschrieben: Stellen Sie sich
vor, Eltern verlieren ihr Kind, während es mit dem Fahrrad auf dem Schulweg unterwegs ist, und der Rechtsstaat
gibt als Antwort nur: Wir geben Ersatz für das Fahrrad,
aber kein Schmerzensgeld für den Verlust des Kindes .
Das war ein wesentlicher und wichtiger Beweggrund
für die CSU, dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag
hinein zuverhandeln .
({0})
Nachdem im Bundesjustizministerium bedauerlicherweise lange wenig geschah, kam Anfang 2015 aus Bayern ein Gesetzentwurf . Vor diesem Hintergrund sage ich:
Es ist heute ein guter Tag, weil wir den Entwurf, der uns
heute vorliegt, endlich ins gesetzgeberische Verfahren
einbringen können . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Wir sind
uns sehr wohl darüber im Klaren, dass Geld den Schmerz,
das Leid nicht aufwiegen kann . Aber Geld kann zumindest ein Stück Genugtuung geben . Ein Geldbetrag setzt
am Schluss auch ein Zeichen, nämlich: Der Staat lässt
Hinterbliebene nicht allein .
Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen zweiten
Punkt zu sprechen kommen, der mir durchaus wichtig
erscheint und der mir kürzlich in den Sinn gekommen ist,
als ich einen Beitrag über die Aufarbeitung der Germanwings-Katastrophe gelesen habe . Ich persönlich glaube,
ein Rechtsstaat ist dafür verantwortlich, welche juristischen Diskussionen bei der Aufarbeitung juristischer
Fragen im Land geführt werden, und er ist auch dafür
verantwortlich, dass diese Diskussionen nachvollziehbar
sind . In diesem Beitrag ging es darum, dass Hinterbliebene dieses Absturzes bis heute Diskussionen mit der Fluglinie und auch mit Versicherungen führen . Dabei geht es
um Fragen wie diese: Wie lange haben die Passagiere
gelebt? Was haben sie noch wahrgenommen? Haben sie
gemerkt, dass es jetzt unwiederbringlich dem Ende entgegengeht? Was hat das für sie medizinisch, gesundheitlich bedeutet, oder sind sie gleich verstorben? Insofern
glaube ich, dass der Staat in dem Moment seiner Verantwortung gerecht wird, wo er sagt: Diese Diskussion
ist für niemanden mehr nachvollziehbar . Deshalb ist das
heute ein so wichtiger Schritt .
Ich begrüße es außerordentlich, dass wir hier nicht
mit Pauschalsätzen um uns werfen . Natürlich wäre es
ein Leichtes gewesen, gleich eine Größenordnung festzusetzen und zu sagen: Ab dieser Größenordnung muss
ab jetzt Schadensersatz zugesprochen werden . Das ist
gut so, weil wir bislang immer die Höhe des Schadensersatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt haben .
Die Rechtsprechung zeigt, dass die Entscheidung dort in
guten Händen ist . Um noch einmal die Statistik zu bemühen: Der durchschnittliche Wert in Fällen dieser Art
betrug in den letzten Jahren ungefähr 10 000 Euro . Damit
stimmt das, was der Kollege Hoppenstedt vorhin gesagt
hat: Das ist natürlich deutlich weniger als in den USA .
Allerdings will ich auch sagen, dass wir nüchtern konstatieren müssen: Am Ende macht es unter Umständen
keinen Unterschied, ob es 10 000 oder 50 000 Euro sind,
weil es den tatsächlichen Ausgleich nicht geben wird .
Das führt mich aber noch zu einem anderen Punkt, der
mir ganz wichtig ist: Wir haben mittlerweile im Versicherungsrecht und in der Rechtsprechung ein sehr ausgewogenes und austaxiertes System, was die Bewertung
der Schadenshöhen angeht; das wissen Sie . Da gibt es
Tabellen, was der Verlust ganzer Gliedmaßen im Versicherungsrecht wert ist . Das mag an mancher Stelle skurril erscheinen, aber es ist ein Gefüge, das in einem gesunden Verhältnis zueinander steht . Letztendlich sollten wir
nicht vergessen, dass diese Sachverhalte auch in der Versicherungswirtschaft abgebildet werden müssen . Wenn
wir uns jetzt dafür entscheiden, einen höheren Wert festzulegen, worüber man ja unter Umständen reden kann,
wird das am Ende des Tages dazu führen, dass wir auch
in allen anderen Bereichen nachlegen müssen . Das wird
wieder dazu führen, dass die Schadenshöhen und auch
die Haftungsrisiken steigen, was am Schluss mit einem
Steigen der Versicherungsrisiken einhergeht und eines
Tages wieder bei den Prämien ankommen wird . Deswegen finde ich es gut, dass wir bei diesem Entwurf mit sehr
viel Augenmaß vorgehen . Ich freue mich auf die weiteren
Beratungen im Verfahren .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/11397 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Dagegen gibt es weder anderweitige Vorschläge noch
Widerspruch . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 14:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Rosemarie Hein, Sabine Zimmermann
({0}), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Berufsbildungsgesetz novellieren - Ausbildung verbessern
Drucksache 18/10281
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr . Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke das Wort . Ich bitte die anderen Kolleginnen
und Kollegen, Ihre Plätze einzunehmen .
Vielen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Leider gehen jetzt die meisten jungen Leute
auf den Tribünen. Das ist schade. Ich hatte gehofft, dass
Sie diese Debatte noch miterleben können; denn um sie
geht es eigentlich .
Seit einigen Jahren geben sich Delegationen aus vielen anderen Ländern bei uns die Klinke in die Hand, um
sich über das duale Ausbildungssystem in Deutschland
zu informieren . Die Bundesregierung hält es deshalb für
einen Exportschlager . Auch in Deutschland gibt es viel
Zustimmung zur dualen Ausbildung . Gerade darum bedarf es einer soliden Rechtsgrundlage - das ist das Berufsbildungsgesetz -, und dafür ist der Bund zuständig .
Laut Koalitionsvereinbarung sollte in dieser Wahlperiode
geprüft werden, ob es einen Veränderungsbedarf gibt .
Vor einem Jahr wurde ein Evaluationsbericht vorgelegt, und die Bundesregierung hat im Sommer des vergangenen Jahres erklärt, dass sie keinen Novellierungsbedarf sieht. Wir sehen ihn schon und finden uns dabei
in guter Gesellschaft mit den Gewerkschaften und vor
allem mit der DGB-Jugend, die Anwältin der betroffenen
Auszubildenden ist .
({0})
Darum haben wir Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, in
dem wir wichtige Veränderungsbedarfe darlegen . Weil
ich nicht viel Redezeit habe, will ich nur auf wenige
Punkte eingehen. Die meisten Vorschläge betreffen die
rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für Auszubildende .
Erstens . Wir wollen eine Mindestausbildungsvergütung im Gesetz festschreiben . Das Bundesinstitut für
Berufsbildung hat kürzlich die durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen für das Jahr 2016 veröffentlicht. Das sind im Monat 854 Euro brutto. Doch
der Teufel steckt im Detail . Und deshalb ist es nicht nur
so, dass wir im Westen immer höhere Ausbildungsvergütungen haben als im Osten, sondern wir haben auch
ganz niedrige Ausbildungsvergütungen . Zum Beispiel im
Fleischerhandwerk im Osten sind es 310 Euro . Das sind
nur die tariflich festgelegten Vergütungen. Es gibt auch
Ausbildungsvergütungen in Betrieben, die keine Tarifbindung haben, dort sieht es noch düsterer aus .
Zweitens . Ein ganzer Strauß Vorschläge zielt auf die
Verbesserung der Ausbildungsqualität . Dazu hatten wir
schon einmal einen Antrag im Bundestag . Wenn zum
Alexander Hoffmann
Beispiel Ausbildungspläne nicht existieren, Ausbilder
gar nicht oder nur sehr selten zu den Auszubildenden
kommen, Überstunden geleistet werden müssen oder
nach der Berufsschule am gleichen Tag wieder gearbeitet
werden soll, dann spricht das für Mängel in der Ausbildungsqualität, die behoben werden müssen .
Drittens . Ohne gute Berufsschulen gibt es kein duales
Ausbildungssystem . Darum müssen die Berufsschulen
dringend aufgewertet werden .
({1})
Das betrifft die Ausstattung der Schulen ebenso wie die
Versorgung mit gut ausgebildeten Lehrkräften . Es ist
auch nur angemessen, wenn die erreichten Lernergebnisse an den Berufsschulen auf den Kammerzeugnissen
regelmäßig vermerkt werden . Sie sind ja Bestandteil der
dualen Ausbildung . Aber zurzeit passiert das nur auf
freiwilliger Basis . Dabei haben wir sehr wohl im Blick,
dass Berufsschulen in der Landesverantwortung liegen,
aber die duale Ausbildung kann nicht an Zuständigkeitsschranken - um einen Begriff von Tankred Schipanski zu
nehmen - zwischen Ländern und Bund scheitern .
Viertens . Ich möchte noch erwähnen, dass die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Prüferinnen und
Prüfer deutlich verbessert werden müssen . Hier wird im
Evaluationsbericht sogar ein deutlicher Veränderungsbedarf festgestellt, aber die Bundesregierung fühlt sich
trotzdem dafür nicht zuständig . Wir halten das für falsch .
Prüferinnen und Prüfer arbeiten ehrenamtlich. Ich finde,
sie brauchen für diese Aufgabe rechtlich abgesicherte
Konditionen .
({2})
Darum müssen die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen genauso ins Berufsbildungsgesetz wie jene,
die für andere Bereiche der Ausbildung gelten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir finden: Wer die
duale Ausbildung aufwerten will, der muss das Berufsbildungsgesetz besser machen . Wir wollen das . Machen
Sie doch einfach mit .
({3})
Wenn Sie nämlich nicht mitmachen, dann können Sie
sich eigentlich auch die vielen Krokodilstränen über die
angeblich nicht vorhandene Attraktivität der dualen Ausbildung künftig schenken .
Vielen Dank .
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Thomas Feist für
die CDU/CSU .
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich möchte einmal drei Facetten
des Antrags der Linken zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes betrachten, Frau Hein .
Erstens: die Notwendigkeit dieses Antrages . Sie
schreiben ganz am Anfang von der angespannten Situation am Ausbildungsmarkt, nur leider hat das mit der Realität nichts zu tun . Denn sowohl das Bundesinstitut für
Berufsbildung als auch die Arbeitsagentur sagen etwas
völlig anderes, nämlich dass die Lage entspannter ist .
Ein zweiter Aspekt hinsichtlich der Notwendigkeit .
Wir haben mit diesem Berufsbildungsgesetz in Deutschland eine Jugendarbeitslosigkeit von knapp über 5 Prozent . Im europäischen Durchschnitt sind es 23 Prozent .
Jetzt ein gutes Gesetz auf Grundlage Ihrer Angaben zu
verschlimmbessern, halte ich für nicht notwendig .
({0})
- Verschlimmbessern . Ich bleibe dabei .
Zweitens: die Frage der Form, die Art und Weise, wie
Ihr Antrag gestaltet ist . Nun ist es so, dass Sie den Berufsbildungsbericht nehmen und darauf aufbauend Ihre
Argumentationsketten entwickeln . Dann kommt noch
das Hohelied über Gewerkschaftspapiere . Das sei Ihnen
vergeben; das ist ja auch in Ordnung .
({1})
Am Schluss ist es allerdings so, dass Sie die Evaluation,
die von demselben Ministerium vorgenommen wird, das
auch für den Berufsbildungsbericht zuständig ist, als fehl
am Platze einschätzen . Da muss man sich doch schon
mal überlegen, ob die Quellen, die man nutzt, seriös sind
oder nicht - beides in einem Antrag zu behaupten, das
geht nicht .
({2})
- Nein, das geht generell nicht . Man muss schon ein bisschen stringent vorgehen .
In Ihrem Antrag „Berufsbildungsgesetz novellieren“
haben Sie eigentlich alles zusammengefasst, was irgendwie mit Berufsbildung zu tun hat . Das ist auch Ihr gutes
Recht; das können Sie gerne machen . Nur sind darin einige gravierende Fehler enthalten . Sie reden zum Beispiel
über die Berufseinstiegsbegleiter und behaupten, das
entsprechende Programm sei nicht nachhaltig . Ich muss
ganz ehrlich sagen: Für junge Leute, die besonderen Förderbedarf haben, ist das eine tolle und nachhaltige Sache .
({3})
Das ist so festgelegt; es ist eine gesetzliche Leistung, die
im Sozialgesetzbuch verankert ist . Deswegen ist das auch
kein „Programm“ . Ebenso ist die Assistierte Ausbildung
im Sozialgesetzbuch niedergelegt; sie ist - anders, als Sie
es im Antrag umschreiben - kein „Programm“ . Was Sie
schreiben, ist leider völlig falsch .
({4})
Drittens . Ich komme zu ein paar Punkten, die den
Inhalt betreffen. Nun kann man sagen, einige Forderungen in Ihrem Antrag sind ganz vernünftig, zumindest im
Sinne der Auszubildenden . Sie haben die Mindestausbildungsvergütung angesprochen . Nun gibt es ja das Instrument der Bundesausbildungsbeihilfe . Das heißt, wenn
jemand nicht bei seinen Eltern wohnt und wenig Lehrlingsgeld bekommt, kann dieses aufgestockt werden, damit er sich eine eigene Wohnung leisten kann . Auch das
sind gesetzlich festgeschriebene Leistungen . Ein interessanter Schachzug wäre gewesen - eigentlich habe ich da
auf Ihren Vorschlag gewartet -, wenn Sie gesagt hätten:
Wir haben das BAföG beim BMBF, und wir sollten das
für die Azubis auch beim BMBF regeln . - Das wäre doch
etwas Sinnvolles . Denn bis jetzt ist es so, dass Sie Forderungen stellen, die zwar erfüllt werden könnten, aber
eben nicht von diesem Ministerium .
Ein zweiter inhaltlicher Aspekt ist die Lernmittelfreiheit . Das ist eine ganz tolle Sache für junge Leute . Ich
bin auch dafür . Nur, warum sollen wir denn hier im Bund
etwas beschließen, was die Länder dann umsetzen müssen? Hier ergibt sich keine Stringenz .
({5})
Einige Dinge mehr sind im Antrag enthalten . Im Übrigen finden sich da auch Karteileichen wie die Ausbildungsplatzabgabe . Nun, Frau Hein, es ist so: Zum ersten
Mal wurde vor 41 Jahren, 1976, über die Novellierung
des Berufsbildungsgesetzes gesprochen . Da saßen Sie
von der Linken noch nicht hier, da saß auch die Fraktion der Grünen noch nicht hier . Damals stand das auch
schon in einer Vorlage, und schon damals ist es abgelehnt
worden .
({6})
Unsere Meinung ist folgende: Wir werden das gute
Gesetz, das wir haben, nicht durch Aufblähen bürokratischer und schlechter handhabbar machen und dadurch
für die Unternehmen, die ausbildungswillig sind, verschlimmbessern . Deswegen werden wir Ihren Antrag
ablehnen .
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate WalterRosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist bezeichnend . - Es
ist bezeichnend, dass wir heute über den Antrag einer
Oppositionsfraktion diskutieren . Es ist bezeichnend, dass
wir wieder einmal nicht über einen Antrag der Regierungskoalition sprechen . Und es ist erst recht bezeichnend, dass wir heute ganz sicher nicht über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung diskutieren . Beides gibt es
nämlich nicht .
Ministerin Wanka und die Große Koalition bleiben
sich damit treu: Über berufliche Bildung wird viel geredet, aber es wird wenig dafür getan .
({0})
Sie dösen immer noch im berufsbildungspolitischen
Winterschlaf .
({1})
Und während man sich fragt, ob Sie eigentlich jemals daraus erwachen werden, versuchen die Oppositionsfraktionen, die berufliche Bildung in Deutschland voranzubringen .
({2})
Das ist die Realität nach fast vier Jahren CDU-geführter
Bildungspolitik .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, lassen
Sie uns das Kind doch beim Namen nennen: Diese Koalition hat abgewirtschaftet!
({3})
Liebe Frau Hein, Sie haben absolut recht: Die berufliche Bildung muss im Jahr 2017 die Anforderungen des
21 . Jahrhunderts aufnehmen und daran angepasst werden . Und ja: Wenn eine Ausbildung auch in Zukunft noch
attraktiv sein soll, müssen wir jetzt für bessere Ausbildungsbedingungen sorgen .
({4})
Eine Reform des Berufsbildungsgesetzes ist da ein
erster Schritt . Heute zeigt sich aber einmal mehr: Ihre
Koalition war und ist zu echten Reformen nicht in der
Lage. Anstatt der beruflichen Bildung einen zeitgemäßen
gesetzlichen Rahmen zu geben, ducken Sie sich lieber
weg und verweisen auf die große Allianz für Aus- und
Weiterbildung . Ich verrate Ihnen da sicher kein Geheimnis: Diese Kaffeerunde hat überhaupt keine Entscheidungskompetenz . Das wissen Sie so gut wie ich .
({5})
- Nein . Die Kolleginnen der Linken weisen zu Recht darauf hin, dass die Allianz eben keine gesetzlich definierten Standards für mehr Ausbildungsqualität setzen kann .
Das kann sie nicht . Nein! Denn genau das ist die Aufgabe des Gesetzgebers . Und genau das ist die Aufgabe, der
sich Union und SPD verweigern .
Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist leider
nicht die einzige Baustelle, die nach dreieinhalb Jahren
übrig bleibt . Letztes Jahr im Herbst hat der damalige
Bundeswirtschaftsminister Gabriel großspurig einen Berufsschulpakt verkündet. Die beruflichen Schulen sollten
für das digitale Zeitalter fit gemacht werden. Im Haushalt
suchen wir die versprochenen Milliarden aber bis heute
vergeblich .
({6})
Wir Grüne haben schon damals schwarz auf weiß
500 Millionen Euro pro Jahr für die beruflichen Schulen
gefordert . Unseren Antrag hat die Koalition damals abgelehnt . Das, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, zeigt
doch: Sie betreiben reine Symbolpolitik .
({7})
Die beruflichen Schulen in Deutschland brauchen aber
bare Münze, keine leeren Worte . Geben Sie ihnen doch
endlich die Unterstützung, die sie für die Integration von
Geflüchteten und für einen modernen Unterricht brauchen .
Dann die nächste Baustelle: Behäbig und zögerlich
doktern Sie nun an einer kleinen Möglichkeit herum, wie
Sie das Kooperationsverbot in der Bildung, das es laut
einigen Unionskollegen angeblich ja gar nicht gibt, öffnen können . Gut, das ist ein erster Schritt . Aber seien Sie
doch ehrlich! Machen Sie es wie die SPD, und gestehen
Sie ein, dass Sie sich jahrelang auf dem Holzweg befunden haben!
({8})
Lassen Sie uns diesen Unsinn gemeinsam beenden, damit
unser Land endlich eine echte Bildungsrepublik wird .
Ihre Bilanz ist, wie ich finde, wirklich kein Grund,
sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen .
Enden will ich heute aber trotzdem mit einem tröstlichen Gedanken: Spätestens am 24 . September wird auch
diese Bundesregierung aus dem Winterschlaf erwachen .
({9})
Eines, lieber Kollege, ist auch heute noch sicher: Der
nächste Frühling kommt selbst nach dem härtesten aller
Winter .
({10})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Rainer Spiering .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Kurz zu den Vorschlägen
der Linken: Frau Hein, Sie haben einige Aspekte genannt
und Überlegungen angestellt, denen man sehr wohl zustimmen kann .
({0})
Was ich ausgesprochen gut finde, ist, dass in diesem
Hause, zumindest von den Grünen und von den Linken,
erstmalig die Berufsschule in den Fokus genommen
wird . Das freut mich .
({1})
Andere haben da vielleicht noch Nachholbedarf .
Ihr Vorschlag, Frau Hein, enthält neben anderen
Punkten einen Punkt, der schlicht und ergreifend nicht
umsetzbar ist . In Ihrem Antrag fordern Sie die grundgesetzliche Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen
Ausbildungsplatz . Es kann doch keiner so naiv sein, zu
glauben, dass wir per Grundgesetz einen solchen Anspruch erfüllen können . Genau das macht Ihren Antrag
absolut nicht zustimmungsfähig .
({2})
- Frau Hein, lassen Sie uns jetzt nicht darüber debattieren, was man braucht, um das Grundgesetz zu ändern .
Der vorliegende Antrag ist, was diesen Punkt betrifft,
schlicht und ergreifend obsolet .
Zweiter Punkt. Über die solidarische Umlagefinanzierung hat man in diesem Land schon häufig und lange
nachgedacht . Man kann darüber auch intensiv nachdenken, aber ich weise darauf hin: Wir haben mittlerweile
sehr viele kleine Betriebe . Ich rede jetzt nicht von den
Mittelständlern, sondern von den Einmann- oder Einfraubetrieben. Man kann diese in die Umlagefinanzierung integrieren, aber es würde für viele dann unendlich
schwierig werden, den Auflagen gerecht zu werden. Deswegen würde ich mit solch einer Forderung sehr vorsichtig umgehen .
Der dritte Punkt ist die Lernmittelfreiheit . Das haben
wir in Niedersachsen ausprobiert, und es lohnt sich, sich
mit diesem Thema auseinanderzusetzen . Wenn man bedenkt, wo wir damit gelandet sind, würde ich sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! - Man kann schnell etwas
verlangen, aber eine entsprechende Umsetzung kann am
Ende des Tages ausgesprochen schwierig werden . Deshalb sollte man sich vorher mit dem Thema auseinandersetzen und bei denen nachfragen, die das schon einmal
ausprobiert haben .
Das sind drei Vorschläge von Ihnen, denen man, wie
ich sagen würde, überhaupt nicht folgen kann .
Was ich gut finde, ist, dass wir das Thema auf die
Tagesordnung gesetzt haben . Thomas Feist, in diesem
Punkt sind wir völlig unterschiedlicher Meinung: Das
Bildungssystem in Deutschland hat eine Unwucht, und
das können wir nicht gesundbeten . Auf der einen Seite
gibt es die Nachfrage nach hochqualifizierten Facharbeitern, der wir nicht ausreichend nachkommen können, auf
der anderen Seite - und das tut mir sehr weh - gibt es
2 Millionen junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und keinen bekommen werden .
({3})
Ich glaube, darüber kann man nicht einfach so lax hinweggehen .
({4})
Thomas Feist schüttelt mit dem Kopf: Werfen Sie
einfach einen Blick in den Bericht des BIBB . Es gibt
2 Millionen Menschen, die keine Perspektive haben, die
Existenzängste haben und die von der Gesellschaft abgehängt werden. Ich finde, das kann sich ein System wie
das deutsche schlicht und ergreifend nicht leisten .
({5})
Da würde ich auch gerne alle ideologischen Überlegungen und Wettbewerbsfragen außen vor lassen . Das ist
eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, und vor allen
Dingen auch stellen können, wie ich glaube . Die Frage
ist nur, wie wir das tun .
Nächste Anmerkung - und das tut mir als Berufsschullehrer so leid -: Das Wirtschafts- und Sozialsystem
in Deutschland ist mit keinem Bildungssystem so eng
verknüpft wie mit dem Berufsbildungssystem, aber es
gibt keine Wertschätzung vonseiten der Öffentlichkeit.
Ich finde, hier müssen wir etwas tun. Genau daran müssen wir arbeiten: an der Wertschätzung für das berufsbildende System .
({6})
Ich möchte kurz darstellen, was wir anbieten . Ich habe
hier mehrfach vier Forderungen vorgetragen - ich werde
sie gleich um eine fünfte ergänzen -: knappe, einfache
und sinnvolle Veränderungen am Berufsbildungsgesetz vor allen Dingen unter dem Aspekt der Qualitätssteigerung -,
({7})
Freistellung von über 18-Jährigen für den Berufsschulunterricht - ich habe hier lang und breit erklärt, warum, wieso, weshalb -, Freistellung von Mitgliedern in
Prüfungsausschüssen, Finanzierung von Freistellungsansprüchen von Prüfern und verbindlicher Durchstieg
von zweijähriger in die dreieinhalbjährige Ausbildung .
Ich kann mich im Übrigen auch mit der Mindestausbildungsvergütung sehr anfreunden . Wir haben beim Mindestlohn da sehr gute Erfahrungen gemacht .
({8})
Das sind einfache und unspektakuläre Schritte .
({9})
- Dazu möchte ich eine Ansage machen:
({10})
Auch die Grünen würden sich, wenn sie Teil in einer Koalition wären, an die Koalitionsabsprachen halten . Das
gehört sich so in einem Parlament .
({11})
Wir haben das hier offen diskutiert, und ich mache an
dieser Stelle jetzt die Position der SPD deutlich: Wir
brauchen nicht die großen Schritte, wir brauchen die einfachen Schritte .
Ich sage auch gleich etwas zu dem großen Wurf, der
so gerne mal in den Raum gestellt wird . Kollege Mutlu,
wer glaubt, sensible und fragile Systeme wie das Berufsbildungssystem in einem großen Wurf verändern zu können, der irrt . Beteiligt sind IHK, HWK, Zentralverband
des Deutschen Handwerks, BDI, BDA, Gewerkschaftsverbände, Kommunen, Länder und die Bundesrepublik
Deutschland, und von den Kirchen habe ich noch gar
nicht angefangen zu reden . Wer glaubt, in dieses System
mit einem großen Schlag einbrechen zu können, kann nur
scheitern . Wer an das Berufsbildungsgesetz herangeht,
der muss das sehr sorgfältig machen
({12})
und sich über den Stand der Dinge informieren . Ich glaube, das haben wir ungenügend getan .
Wo sieht meine Fraktion einen Anknüpfungspunkt,
um wirklich etwas tun zu können? Das zentrale Element
im System der Berufsbildung ist momentan die Berufsschule . Wer sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt,
weiß, dass Innovation für kleine und mittelständische
Betriebe heute nur noch über die Berufsschule transportiert werden kann . Das machen übrigens viele Berufsschulen sehr gut vor . Wenn wir fördern wollen, dann ist
das Berufsschulsystem das System, das wir schlechthin
fördern müssen .
An dieser Stelle muss ich auch Kritik an meiner Ministerin hinsichtlich des Wissenschaftsbereichs äußern:
Wir haben nach wie vor keine nachhaltige Forschung
zur Berufsbildung; wir haben keine Förderung der digitalen Strukturen in den berufsbildenden Schulen; wir
haben keine Förderung der Berufsschullehrerausbildung;
wir haben keine Zusicherung des Staates für junge Menschen, dass sie einer sicheren Zukunft entgegenblicken
können . - Die Berufsschule kann das leisten . Die Berufsschule kann den Einstieg leisten, um junge Menschen zu
qualifizieren. Hamburg macht es exemplarisch vor, wie
man junge Menschen in Berufsschulen holt und aus den
Berufsschulen heraus in den ersten Ausbildungsmarkt
bringt . Ja, das geht .
Damit komme ich zu der nächsten zentralen Aussage,
Thomas Feist: Man kann sich immer gut hinstellen und
sagen, dass das eine Forderung an die Länder ist; aber
viele Länder sind schlicht und ergreifend völlig überfordert . Wir wissen, dass Kommunen im Grenzbereich
der Leistungsfähigkeit sind . Träger der berufsbildenden
Schulen sind die Kommunen, Landkreise oder kreisfreien Städte . Wenn ich mir die Finanzen unserer kreisfreien
Städte angucke, dann weiß ich, dass die nicht gut sind .
Wir müssen endlich einmal begreifen: Auch wenn Bildung an sich keine gesamtstaatliche Aufgabe ist, ist die
Berufsbildung das allemal .
({13})
Wenn wir der Berufsschule helfen wollen, dann ist das
eine gesamtstaatliche Aufgabe, der sich diese Republik
stellen muss .
Wenn wir das Hohelied der dualen Berufsausbildung
singen und sie im Ausland so präsentieren, dann müssen
wir auch willens sein, den Preis dafür zu zahlen . Und ich
sage: Der Preis wird nicht niedrig sein . Dann sind wir
in der Lage, unsere Berufsschulen so auszustatten, dass
sie auch Menschen, die unter schwierigen Bedingungen
starten, an die Hand nehmen können, damit sie in dem
System Berufsschule, das integrativ ist - ich habe das
hier häufig vorgetragen -, vorankommen.
Herr Kollege Spiering, Sie denken an die Redezeit?
Sie haben vollkommen recht, Herr Präsident . Ich war
gerade so in Aufwallung .
({0})
Kolleginnen und Kollegen, das Berufsbildungsgesetz
wird uns weiter verfolgen, und wir werden es ändern . Wir
werden es unter dem Aspekt der Berufsschule ändern .
Herzlichen Dank fürs Zuhören .
({1})
Zum Abschluss dieser Antragsberatung hat die Kollegin Uda Heller das Wort für die CDU/CSU .
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, Gesetze nach Jahren
auf den Prüfstand zu stellen und auf ihre Praxistauglichkeit und Aktualität hin zu durchleuchten .
Wenn ich mir die Wunschliste im vorliegenden Antrag
der Linksfraktion anschaue, frage ich mich, ob Sie den
Evaluierungsbericht des BMBFs richtig gelesen haben
oder ob wir zwei unterschiedliche Fassungen haben .
({0})
Erstens . Viele Ihrer Forderungen fallen nicht in die
Zuständigkeit des Berufsbildungsgesetzes .
({1})
Darauf hat bereits Herr Kollege Dr . Feist hingewiesen .
({2})
Zweitens . Einige Ihrer Wünsche sind unzeitgemäß;
denn sie berücksichtigen nicht die aktuelle Situation auf
dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt .
({3})
Drittens ignorieren Sie, dass einige der in Ihrem Antrag genannten Punkte bereits im Berufsbildungsgesetz
verankert sind, im Evaluierungsbericht erläutert und
mit Anpassungsvorschlägen versehen wurden und dass
auch Handlungsempfehlungen des Hauptausschusses des
Bundesinstituts für Berufsbildung vorliegen .
Hier nun ein paar Beispiele:
Nicht in die Zuständigkeit des Berufsbildungsgesetzes fällt die Forderung nach der verbindlichen Ausweisung der Berufsschulnote auf dem Kammerzeugnis . Der
Evaluierungsbericht erklärt eindeutig, weshalb nicht das
BBiG, sondern die Länder für die Ausweisung der Berufsschulnote zuständig sind .
Auch die bezahlte Freistellung von ehrenamtlichen
Prüfern ist nicht im BBiG geregelt . Hier greift das Arbeitsrecht .
({4})
Ich stimme der Auffassung zu, dass die technische
und personelle Ausstattung in den Berufsschulen verbessert werden muss . Aber das ist, wie auch Sie, Frau
Hein, schon gesagt haben, Ländersache . Hier kommt
dem Bund nur eine begleitende Funktion zu . Darf ich Sie
daran erinnern, dass der Bund mittlerweile viel mehr von
dem schultert, was eigentlich Ländersache ist?
({5})
Ihre Forderung, einen Rechtsanspruch auf Ausbildung
gesetzlich zu verankern, betrifft - das haben Sie zumindest erkannt - nicht das BBiG, sondern das Grundgesetz .
Hier frage ich mich allerdings, ob Sie die aktuelle Situation auf dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
kennen .
({6})
Sie blenden ja vollkommen aus, dass die Schulabgängerzahlen seit Jahren rückläufig sind und sich momentan
eben auch mehr Schulabgänger für ein Studium entscheiden .
({7})
Der Wettbewerb um eine Ausbildung hat sich längst in
einen Wettbewerb um Auszubildende gewandelt . Bessere
Bedingungen für Ausbildungsplatzsuchende als derzeit
hatten wir noch nie .
Vielleicht brauchen wir in der derzeitigen Situation
eine gesetzliche Ausbildungspflicht. - Sie sehen: Auch
ich habe Wünsche, die sich nicht erfüllen lassen .
Sehr geehrte Damen und Herren, die Fraktion Die
Linke beklagt in ihrem Antrag, dass immer weniger Unternehmen Ausbildungsbereitschaft zeigen, fordert aber
im nächsten Atemzug eine solidarische Umlagefinanzierung, die alle Betriebe in die Pflicht nehmen soll.
({8})
Auch das ist eine uralte Forderung, und der Ansatz wird
auch bei ständiger Wiederholung nicht besser .
({9})
Durch unverhältnismäßige Bürokratie oder stetig
wachsende Anforderungen an ehrenamtliche Prüfer und
Ausbilder schrecken zukünftig kleine Ausbildungsbetriebe noch mehr davor zurück, auszubilden . Auch das sollte
uns bewusst sein .
Die Attraktivität der dualen Ausbildung muss wieder
steigen; das wissen wir alle . Dazu werden aber die Überregulierungen im Gesetz und zu eng gefasste Definitionen keinen Beitrag leisten .
Nie zuvor wurde in den Bildungs- und Forschungsbereich mehr Geld investiert als in dieser Legislaturperiode .
({10})
Es bleibt mir jetzt nur noch, zusammenzufassen: Das
Berufsbildungsgesetz hat sich als wirksamer und flexibler Rechtsrahmen bewährt . Daran ist nicht zu rütteln .
Mit einem zeitlichen Aufwand von zwei Jahren wurde es
intensiv unter die Lupe genommen . Der Evaluierungsbericht des BMBF hat notwendige Anpassungen vorgeschlagen . Ein grundlegender Novellierungsbedarf wurde
nicht festgestellt . Das spiegelt nicht nur die Meinung der
CDU/CSU-Fraktion wider, sondern vor allem auch die
der Fachexperten, die täglich in der dualen Berufsausbildung tätig sind und mit dem Berufsbildungsgesetz arbeiten .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit zu der späten
Stunde .
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Heller . - Damit schließe
ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10281 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Damit sind
alle einverstanden, wie ich hier sehen kann . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia
Drucksache 18/11273
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Ich freue mich, dass ich im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungspunkt eine Reihe von Soldatinnen
und Soldaten der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“
heute hier auf der Zuschauertribüne begrüßen kann .
({1})
Sie leisten einen oft gefährlichen, aber stets erfolgreichen Einsatz für den Frieden . Dafür möchte ich Ihnen
herzlich danken . Wir freuen uns, dass Sie wieder gesund
hierher zurückgekommen sind .
({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung das Wort .
({3})
Guten Abend, lieber Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen erreichen
uns wieder Nachrichten einer humanitären Katastrophe
am Horn von Afrika, vor allem in Somalia, dem Land,
über das wir hier heute beraten wollen .
Über 6 Millionen Menschen - das entspricht etwa der
Hälfte der somalischen Bevölkerung - sind derzeit auf
humanitäre Hilfe angewiesen . Mehr als 1 Million Somalis, darunter sehr viele Kinder, sind akut von Hunger bedroht . Ende Februar hat das Auswärtige Amt daher weitere 16,5 Millionen Euro bereitgestellt, um die drohende
Hungersnot am Horn von Afrika zu bekämpfen .
Zudem erreichen uns immer wieder Berichte von
grausamen Anschlägen, vor allem in der Hauptstadt Mogadischu, die viel zu viele unschuldige Opfer unter der
Zivilbevölkerung fordern . Es ist einfach nur schrecklich,
was Menschen dort erleiden müssen .
Die Lage, die ich Ihnen schildere, ist von viel Schatten, aber eben auch Licht geprägt . So gibt es durchaus
auch ermutigende Zeichen: Anfang Februar ist in Somalia ein neuer Präsident gewählt worden - von einem
Parlament, das erstmals in der Geschichte Somalias alle
Regionen und die dort lebenden Volksstämme und Clans
weitestgehend repräsentiert . Ein langer und schwieriger
Wahlprozess ist damit erfolgreich abgeschlossen worden .
Niemals zuvor war eine somalische Regierung derart
umfassend demokratisch legitimiert .
Noch immer ist Somalia aber auch eines der Schlusslichter weltweit, was staatliche Funktions- und Handlungsfähigkeit betrifft. Dennoch hat Somalia heute die
besten Zukunftsaussichten seit mehr als 25 Jahren, also
seit dem Staatszerfall 1991 . Das dauerhafte beharrliche
Engagement der internationalen Gemeinschaft und die
unerschütterliche Zuversicht der Somalis selbst, ihr Land
wieder aufzubauen, tragen inzwischen erste Früchte .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch
realistisch bleiben . Die Entwicklung Somalias ist und
bleibt wie so oft ein Marathon, der Ausdauer und einen
langen Atem verlangt . Das Land wird auch weiterhin auf
unsere Unterstützung, auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen sein .
Deutschland hat zur positiven Entwicklung einen
wichtigen Beitrag geleistet - national wie im europäischen Rahmen . Wir werden dies auch weiterhin tun .
({0})
Insbesondere unser ziviles Engagement möchte ich hervorheben: von der humanitären Hilfe über politische
und gesellschaftliche Stabilisierung bis hin zur Entwicklungszusammenarbeit . Wir unterstützen den Aufbau eines föderalen Systems in Somalia, in dem sich möglichst
alle Somalis wiederfinden. Diesen Prozess begleiten
wir nicht nur auf der zentralen Staatsebene, über Verfassungs- und Organisationsberatung in der Hauptstadt
Mogadischu, sondern auch in den Regionen beim Aufbau
von Gliedstaaten .
In Zukunft werden wir dieses Engagement abermals
verstärken . Wir wollen die erfolgreichen Programme, mit
denen die meist jungen Kämpfer der al-Schabab-Miliz
demobilisiert, entwaffnet und vor allem auch wieder in
die Gesellschaft eingegliedert werden sollen, ausweiten .
Dabei wollen wir erstmals auch weibliche Kämpferinnen
erreichen . Darüber hinaus wollen wir auch den allgemeinen Staatsaufbau weiter unterstützen . Eine funktionierende Finanzverwaltung, der nachhaltige Kampf gegen
die grassierende Korruption und eine gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, mit Wasser,
mit den Grundnahrungsmitteln sowie medizinische Versorgung sind wichtige Pfeiler der weiteren Entwicklung
Somalias . Hier engagieren wir uns im Verbund mit unseren internationalen Partnern .
({1})
Bis hierhin - davon gehe ich fest aus - gibt es Konsens
im Hohen Hause . Aber jetzt kommen wir zu dem nach
wie vor kontroversen Aspekt . Wichtigste Voraussetzung
für unseren vielfältigen Einsatz, den ich Ihnen eben in
aller Kürze zu schildern versucht habe, bleibt ein Mindestmaß an Sicherheit . Deshalb gilt es, wieder tragfähige
Sicherheitsstrukturen aufzubauen . EUTM Somalia leistet hier durch Ausbildung und Beratung der somalischen
Streitkräfte einen wichtigen Beitrag, um das Land dauerhaft zu stabilisieren und zu befrieden .
Unser deutsches Engagement ist eben umfassend und
setzt auf zahlreiche zivile, aber eben auch militärische
Elemente . Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind im
Rahmen von EUTM Somalia und im Anti-Piraterie-Einsatz EUNAVFOR/Operation Atalanta eingesetzt . Und
Deutschland beteiligt sich an den internationalen zivilen
Einsätzen, beispielsweise beim Polizeiaufbau im Rahmen der politischen VN-Mission UNSOM und beim
Aufbau einer Küstenwache durch die GSVP-Mission,
also eine EU-Mission, EUCAP Somalia .
Die EU unterstützt die Friedensmission AMISOM der
Afrikanischen Union, die derzeit noch eine ganz zentrale
Säule für die Sicherheit des Landes und den Kampf gegen die Terrormiliz al-Schabab bildet . Doch nicht mehr
lange: Der Abzug von AMISOM und die Übergabe der
Verantwortung an die somalischen Sicherheitskräfte sind
bereits angekündigt . Bis Ende 2020 soll dies abgeschlossen sein. Dadurch steigt zwangsläufig auch der Erfolgsdruck auf die EU-Mission .
EUTM Somalia hat in den vergangenen sieben Jahren
über 5 500 Soldaten ausgebildet . Diese beachtliche Zahl
wurde unter schwierigsten Bedingungen erreicht . Das
General Dhagabadan Training Center, die Ausbildungsstätte von EUTM Somalia und AMISOM, muss aufwendig gesichert werden . Die Sicherheitslage in Mogadischu
erlaubt den Ausbildern von EUTM nur einen Aufenthalt
im Trainingscamp von wenigen Stunden pro Tag . Aber
genau hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
geduldig bleiben . Die Arbeit von EUTM Somalia bleibt
wichtig .
Wenn wir das Erreichte bewahren und darauf aufbauen wollen, müssen wir die Defizite der Vergangenheit
aber auch ganz kritisch ansprechen . Genau dies hat die
Bundesregierung getan; denn wir wollen und wir müssen besser werden . Gemeinsam mit anderen EU-Partnern
haben wir uns in Brüssel erfolgreich dafür eingesetzt, die
Mission neu auszurichten . So wollen wir den schwierigen Verhältnissen besser Rechnung tragen und die Wirksamkeit der Mission weiter erhöhen . Erst auf dieser deutlich verbesserten Grundlage haben wir beschlossen, das
EU-Mandat von EUTM Somalia zu verlängern bzw . Sie
um Ihre Unterstützung zu bitten . Mein Kollege aus dem
Verteidigungsministerium wird Ihnen sicherlich noch die
Punkte nennen, die sich in dem Mandat aus unserer Sicht
deutlich verbessert haben .
Somalia braucht weiterhin internationale Unterstützung. Mit der Entscheidung, die Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Beratungsund Ausbildungsmission EUTM Somalia fortzuführen,
würde der Deutsche Bundestag dazu einen wichtigen
Beitrag leisten . Deshalb bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Unterstützung dieses schwierigen,
aber auch wichtigen Mandats .
Vielen Dank .
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Alexander Neu,
Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Somalia ist ein seit
langem gescheiterter Staat - genau genommen seit 1991 .
Das westliche Staatsverständnis in Somalia ist nicht oder,
besser gesagt, nicht mehr ausgeprägt; wie übrigens in
vielen Ländern Asiens und Afrikas das Staatsverständnis
nicht mehr ausgeprägt ist, zum Beispiel in Libyen oder
Syrien . In diesen Ländern wie auch in Somalia, worum
es hier ja speziell geht, dominieren die traditionellen
Clanstrukturen . Das heißt, die Clans verfolgen ihre egoistischen Interessen auf Kosten eines funktionierenden
Gesamtstaates und somit auf Kosten der einfachen Menschen . Die neueste Föderalisierung Somalias soll gewissermaßen eine Kompromissformel zwischen einerseits
den Clanstrukturen und andererseits dem Erfordernis
eines funktionierenden Gesamtstaates darstellen . Ob das
funktionieren wird, Kollege Roth, bleibt abzuwarten . Ich
bin da angesichts des Erfordernisses, dass die Clans mitspielen, noch skeptisch .
Heute reden wir über EUTM Somalia . Im Prinzip gibt
es ja zwei Militäreinsätze in Somalia, einmal die Operation Atalanta und zum anderen EUTM Somalia . Heute
reden wir, wie gesagt, über EUTM Somalia . Die Mission hat Anfang 2010 begonnen, und die Bundeswehr
ist - mit einer kurzen Unterbrechung - seit März 2010
dabei . Das Ziel, so die Formulierung, ist der Aufbau von
Sicherheitsstrukturen, also von funktionierendem Militär
und funktionierender Polizei, zur Gewährleistung des
Gewaltmonopols .
Die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung ist
wichtig; das ist überhaupt keine Frage . Dazu gehört auch
eine Sicherheitssektorreform; auch das ist keine Frage .
Die Sicherheitssektorreform, vor allem in Somalia, leidet
aber zum einen unter Stümperhaftigkeit und zum anderen
unter nationalen Egoismen .
Kommen wir zum nationalen Egoismus: Es gibt neben
der Europäischen Union noch viele andere Akteure, die
dort bei der Ausbildung der sogenannten somalischen Armee mitmischen . Das heißt, es gibt diverse Ausbildungskonzepte, die mit der somalischen Armee abgesprochen
werden . Somit gibt es keine einheitlichen Standards .
({0})
Warum gibt es keine Vereinheitlichung der Ausbildungsstandards? Weil die Staaten mithilfe ihrer Ausbildungskonzepte dort ihre eigenen Interessen verfolgen . Es geht
mal wieder nicht in erster Linie um Somalia, sondern um
Interessenverfolgung .
Ein anderes Beispiel für die Stümperhaftigkeit: Es
kommt immer wieder vor, dass somalische Soldaten oder
auch Polizisten ihren Sold nicht erhalten . Das führt zu
Korruption oder gar zu Desertation . Bei der von Ihnen
genannten Zahl von, ich glaube, 5 500 ausgebildeten
Soldaten haben Sie vergessen, zu erzählen, wie viele
von denen desertiert oder übergelaufen sind . Das wäre
eine wichtige Information gewesen . Hinzu kommt der
US-Drohnenterror über Somalia, der nach wie vor zivile
Opfer mit sich bringt und damit auch den Terrorismus
fördert .
Das alles untergräbt letztendlich einen effektiven
Staatsaufbau . Wir, die Linke, fordern: Hungerbekämpfung statt Bundeswehr in Somalia;
({1})
denn wichtiger als die Sicherheitssektorreform ist die
Hunger- und Armutsbekämpfung .
Es wurde angesprochen: Derzeit droht angesichts der
schweren Dürre in Somalia und der umliegenden Region
eine massive Hungersnot . Der neue UN-Generalsekretär
Guterres hat am 7 . März 2017, also vor wenigen Tagen,
mit Blick auf Somalia getwittert: „Menschen sterben .
Die Welt muss jetzt handeln, um das zu stoppen .“ Meine
Frage ist: Was tut die Bundesregierung eigentlich gegen
diese Hungerkatastrophe, abgesehen von der Anwesenheit der Bundeswehr in Somalia?
({2})
- Darauf komme ich gleich . - Haben Sie den Hilferuf
von Guterres gehört? Sie sprachen von 16,5 Millionen
Euro . Ich glaube, 16,5 Millionen Euro sind wirklich
nichts im Vergleich zu dem, was erforderlich wäre . Es ist
schändlich, mit 16,5 Millionen Euro hier im Bundestag
aufzutreten und so zu tun, als sei man ein großer Helfer
mit zivilen Mitteln .
({3})
Ich hätte gerne von Ihnen gehört, welche zivilen Hilfeleistungen Sie jetzt dort einzubringen wirklich planen .
Oder möchte die Bundesregierung ihrer internationalen
Verantwortung doch wieder nur mit militärischen Mitteln
nachkommen?
Die Linke erwartet Antworten seitens der Bundesregierung genau auf diese Frage,
({4})
und auch die Menschen in unserem Land erwarten Antworten auf diese Frage . Wie lange gedenkt die Bundesregierung eigentlich noch mit militärischen Aktivitäten in
Somalia und anderswo die Übernahme von internationaler Verantwortung vorzutäuschen?
({5})
Ich danke Ihnen .
({6})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
kaum ein Land ist der Begriff „Failed State“ leider so
zutreffend wie für Somalia - und das seit Jahrzehnten.
Seit rund einem Vierteljahrhundert wird das Land, dem
die wirtschaftliche Basis fehlt, von Krieg und Konflikten, von Hungersnöten und von der tödlichen Bedrohung durch islamistische Terrormilizen heimgesucht, die
in diesem Land ihre Spuren hinterlassen haben, einem
Land, das in einer Region am Horn von Afrika liegt, die
groß, komplex und insgesamt krisenträchtig ist . Es ist
eine bedeutende strategische Frage, aber natürlich auch
eine ganz wichtige humanitäre Aufgabe, diese Region zu
stabilisieren .
Wer behauptet, wir seien dort nur mit dem Militär aktiv und leisteten dort keine Entwicklungshilfe und keine
humanitäre Hilfe, der stellt dummdreist falsche Tatsachen in den Raum . Das sind bestenfalls alternative Fakten, die nichts mit der Realität zu tun haben .
({0})
Ohne den Aufbau wirksamer staatlicher Strukturen in
Somalia wird sich die Lage nicht verbessern können weder in dem Land selbst noch in den angrenzenden Regionen . So schwierig die Lage war und ist: Es sind auch
Erfolge zu verzeichnen . Davon war schon die Rede .
Seit mehreren Jahren engagieren wir uns auch im
Rahmen von EUTM Somalia . Diese Mission begann
in Uganda, weil die Sicherheitslage das Engagement in
Somalia nicht zugelassen hatte . Seit 2014 sind wir mit
dieser Trainingsmission in Somalia, und wir sind zuversichtlich, dass wir dort die Lage weiter verbessern können .
Kollege Roth hat es hier angesprochen: In diesem ganzen Prozess, der auch immer wieder mit Rückschlägen
behaftet war, gibt es neue Hoffnung dadurch, dass am
8 . Februar ein neuer Präsident in einer Weise gewählt
worden ist, die einen friedlichen Übergang auf ihn ermöglicht hat . Er übt Macht aus, soweit somalische Stellen Macht ausüben können . Es war aber ein friedlicher
Übergang .
Ich hatte die Gelegenheit, am Rande der Münchner
Sicherheitskonferenz mit Michael Keating, dem Vertreter des UN-Generalsekretärs dort, über dieses Thema zu
sprechen . Sie behaupten ja gerne, das sei eine Konferenz
von Militaristen und ganz schlimmen Menschen . Das
Gegenteil ist der Fall . Wir sprechen dort mit Menschen,
die jeden Tag vor Ort sind und sich couragiert und engagiert für den Frieden und die Stabilität in der Region einsetzen. Und es gibt neue Hoffnung, dass jetzt auch dort
ein friedlicher Übergang gelingt, wenn er denn von der
internationalen Gemeinschaft unterstützt wird .
Wir stehen eben vor der schwierigen Aufgabe, ein
von Hungersnot, Dürren und Terroranschlägen bedrohtes Land aus seiner Fragilität herauszuführen . Das ist ein
denkbar schwieriger Weg - aber ein Weg, bei dem die
somalische Bevölkerung unsere Unterstützung braucht .
Es ist, glaube ich, richtig, gelegentlich einmal zu fragen: Wie wäre es denn eigentlich, wenn wir nicht dort
wären? Gäbe es dann keine Instabilität? Gäbe es dann
keine Dürre? Gäbe es dann keine Hungersnot? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind zwar bei weitem
nicht in der Lage, alle humanitären Probleme in Somalia
zu lösen, aber wir leisten einen wichtigen Beitrag dazu .
Dafür können wir dankbar sein . Und wir können auf unsere Soldatinnen und Soldaten, die diesen Einsatz leisten,
stolz sein .
({1})
Weil wir, wie Kollege Roth zu Recht gesagt hat, die
Probleme überhaupt nicht übersehen, hat die Europäische Union auch eine strategische Überprüfung durchgeführt . Sie hat reagiert, indem sie die Ausbildungs- und
Beratungsmission, die wir dort durchführen, teilweise
neu ausgerichtet hat . Dieses neu ausgerichtete Konzept
geht nun weg von der Ausbildung einzelner Rekruten
bzw . Soldaten hin zu einer clanübergreifenden gemeinsamen Ausbildung ganzer Kompanien . Es wäre ja töricht,
sich die Clanstrukturen nur wegzuwünschen . Sie sind da,
und wir müssen mit ihnen umgehen .
Es gibt im Übrigen - das sei nur der guten Ordnung
halber erwähnt - dort auch keine Statistikbehörde, wie
wir das hier in Deutschland oder in Europa gewohnt sind,
die auflistet, wer nach einer erfolgreichen Ausbildung
eben nicht den Dienst leistet, den wir eigentlich von ihm
erwartet haben . Ja, solche Fälle gibt es . Aber man kann
sie nicht quantifizieren. Das hat mit den Clanstrukturen
zu tun . Darauf müssen wir Rücksicht nehmen, und das
tun wir . Deshalb gibt es eine Neuausrichtung, eine Neukonzeption in der Ausbildung . Es war gerade auch uns
als Bundesrepublik Deutschland wichtig, dass die Europäische Union mit dieser Neuausrichtung sowohl auf die
positiven als auch auf die negativen Erfahrungen reagiert
hat . Daran werden wir uns beteiligen .
Unsere militärische Beteiligung beträgt - bei einer
Obergrenze von 20 - derzeit insgesamt neun Soldaten .
Sie soll in dieser Höhe, aber eben mit einer Neuausrichtung in der Konzeption fortgesetzt werden, um den besonderen Strukturen vor Ort gerecht zu werden und um
in der angespannten Sicherheitslage dort richtig reagieren zu können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin ganz sicher:
Mit der Fortsetzung der Unterstützung senden wir wichtige und richtige Signale aus - Signale an die Europäische
Union, von deren Verantwortung für Sicherheits- und
Verteidigungspolitik wir überzeugt sind, und Signale an
das Land Somalia, das weiterhin unserer Unterstützung
bei seinem Weg aus der Instabilität bedarf . Deswegen
bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für dieses Mandat .
Vielen Dank .
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für
das Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Staatsminister hat ja gerade völlig zu Recht die dramatische Lage in Somalia benannt . Da geht es nicht nur um
Hunger, da geht es auch um Anschläge; auch das ist gerade erwähnt worden . Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir
immer, wenn wir hier über Somalia sprechen, auch über
Hoffnungsschimmer sprechen. Und das ist auch richtig
so . Denn es gibt graduelle Verbesserungen . Vor allem ist
Somalia heute sicher nicht mehr das gleiche Land, das
in den düsteren Jahren flächendeckend vom Bürgerkrieg
überzogen war .
Wir haben es jetzt bei den Wahlen gesehen: Sie waren
himmelschreiend korrupt . Nichtsdestotrotz ist am Ende
ein erstaunlich positives Ergebnis - zumindest im Vergleich zu dem, was man eigentlich erwartet hatte - herausgekommen . Ich möchte an dieser Stelle dem neuen
Präsidenten Mohamed Abdullahi Farmajo herzlich zu
seiner Ernennung gratulieren - auch wenn es keine Wahl
war, sondern eher ein Selektionsprozess . Das Ergebnis war überraschend gut . Es zeigt, dass viele Somalis
trotz aller Widerstände und trotz aller Schwierigkeiten
weiterhin an ihr Land glauben. Sie geben die Hoffnung
nicht auf . Sie investieren, und sie engagieren sich . Diese
Menschen sind es, die wir mit allen Kräften unterstützen
müssen .
({0})
Deshalb kann ich nur sagen: Wir begrüßen ausdrücklich, dass Deutschland jetzt wieder Entwicklungshilfe
leistet . Das ist gut . Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass
Deutschland zur Polizeiausbildung zumindest beiträgt .
Auch das ist gut . Wir müssen an der Seite der Menschen
stehen, die das Land aufbauen wollen . Das Problem ist
nur, dass wir in den letzten Jahren immer wieder auch
auf der falschen Seite gestanden haben, nämlich auf der
Seite der Menschen, die Somalia für den eigenen Vorteil
ausplünderten .
Die nun glücklicherweise abgewählte Regierung hat
für Bestechung öffentliches Land verkauft und die Gehälter vieler Beamten ausgesetzt . Sie hat widerspenstige
Delegierte im Selektionsprozess bestochen, bedroht und
ausgeschlossen . Es ist noch keine zwei Jahre her - da
war die vorherige Regierung noch im Amt -, dass Staatsminister Roth von dieser Stelle im März 2015 folgende
Worte sprach:
Unser gemeinsames Ziel bleibt, dass 2016
- das war letztes Jahr endlich freie Wahlen in einem ausreichend stabilisierten Land stattfinden.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn das der Indikator für
Weitsicht und Realismus in der Somalia-Politik der Bundesregierung ist, dann wird mir angst und bange .
({2})
Die Auswirkungen dieser gigantischen Korruptionsmaschinerie werden noch lange zu spüren sein, auch in
der Armee . Damit bin ich beim Kernproblem, nämlich
dass die Menschen in der Armee keinen Sold bekommen .
Das bemängeln wir seit Jahren . Es ist sehr klar: Wenn
Menschen, die an Waffen ausgebildet werden, keinen
Sold bekommen, werden sie sich andere Arbeitgeber suchen . Diese Arbeitgeber sind genau diejenigen, die die
Gewalt im Land noch weiter antreiben . Wir liefern diesen
Milizen damit gut ausgebildetes Personal . Das ist nicht
verantwortlich .
({3})
Einen etwas anderen Sachverhalt schildert eine somalische NGO mit dem schönen Namen „Marqaati“, die
eine tolle Arbeit macht . „Marqaati“ bedeutet „Zeugin“ .
Diese NGO beobachtet die Korruption im Land . Sie
berichtet davon, dass Soldaten der Armee uniformiert
bewaffneten Straßenraub begehen. Meine Damen und
Herren, wenn wir in den Augen der Menschen in Somalia mit diesen Praktiken assoziiert werden, dann schaden
wir nicht nur dem Ansehen unseres Landes, sondern wir
verlieren auch Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit
in diesem Land .
Das bestätigt übrigens auch der interne Bericht, den
es zu EUTM Somalia gibt und aus dem ich heute nicht
zitieren darf . Das Ergebnis dieses Berichtes ist relativ
deutlich . Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Bericht vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze .
Er ist ein Totalverriss dieses Einsatzes .
Es ist geradezu rührend, wie die Bundesregierung
versucht, darum herumzureden . Sie schreiben in der Begründung für das Mandat, die Mission - Zitat - „habe
ihre Aufgaben nicht wirksam genug umsetzen können“ .
Das ist richtig . Dann kommen die Vorschläge für Verbesserungen - diese haben wir gerade gehört -: Es soll
integrierte Bataillone aus verschiedenen Stämmen und
Regionen geben . Das ist gut . Nach sieben Jahren sollen
endlich die Daten der Rekruten biometrisch erfasst werden . Auch das ist gut . Aber das Hauptproblem, das gigantische Problem für den Staatsaufbau und für den Aufbau
des Sicherheitssektors, ist das Ausbleiben der Bezahlungen . Die Menschen zu bezahlen, ist weiterhin nicht möglich . Solange das aber der Fall ist, bleibt all das, was dort
passiert, im besten Falle Flickschusterei .
Ja, wir brauchen einen Aufbau der somalischen Sicherheitskräfte . Das ist zweifelsfrei richtig . Aber um das
zu erreichen, muss man die Probleme adressieren, statt
darum herumzureden . Es ist richtig, dass die neue Regierung Unterstützung braucht . Es ist richtig, dass dazu
auch gehört, dass die Streitkräfte aufgebaut werden müssen . Das wird aber nur mit einer anderen Somalia-Politik funktionieren, nicht jedoch mit diesem verkorksten
Mandat .
({4})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Florian Hahn für die CDU/CSU das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Horn von Afrika ist in der letzten Zeit angesichts der
Vielzahl neuer Krisenherde auf der Welt ein bisschen aus
dem Fokus geraten . Deshalb ist es gut, dass wir uns heute
mit Somalia beschäftigen, mit dem Land, das als Paradebeispiel eines Failed State gilt .
Sie haben erwähnt: Die Korruption ist nach wie vor
außerordentlich hoch . - Transparency International kürte
Somalia sogar zum korruptesten Staat der Welt . Außerdem steht das Land erneut vor einer riesigen Hungerkatastrophe . Das wäre die dritte Hungersnot innerhalb von
25 Jahren .
Durch die extreme Dürre am Horn von Afrika und die
anhaltende Gewalt in der Region sind über 22 Millionen
Menschen bedroht. Somalia trifft es ganz besonders hart.
Laut UN werden bald mehr als 6 Millionen Somalier auf
internationale Hilfe angewiesen sein . Das ist etwa die
Hälfte der Bevölkerung . Mittlerweile hat die Regierung
des nordostafrikanischen Staates in einigen Landesteilen
den Ausnahmezustand verhängt . Das alles sind furchtbare Zahlen . Die humanitäre Situation ist derart dramatisch,
dass es an dieser Stelle auch nichts zu beschönigen gibt .
Guterres, der gestern oder vorgestern dort war, sagte:
Die Kombination aus Konflikten, Dürren, Klimawandel,
Cholera und Korruption sind ein Albtraum. - Betroffen
sind auch Nachbarstaaten wie Nigeria, der Jemen und
Südsudan .
Trotzdem möchte ich sagen, dass das Land, zumindest politisch gesehen, einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen hat bzw. dass es hier einen Hoffnungsschimmer gibt . Anfang Februar wurde - auch das wurde schon
gesagt - ein neuer Präsident gewählt . Er genießt einen
exzellenten Ruf und gilt als Kämpfer gegen Korruption .
Bereits als Ministerpräsident 2010 hat er sich bemüht,
die Korruption in seinem Land einzudämmen . Unter
seiner Herrschaft erhielten die Soldaten beispielsweise
regelmäßig ihre Gehälter . Natürlich müssen nun erst einmal Taten folgen . Aber ich möchte schon jetzt mit aller
gebotenen Vorsicht sagen: Es tut sich etwas in diesem
Land. Die Bevölkerung Somalias setzt große Hoffnungen in den neuen Präsidenten .
Meine Damen und Herren, unter diesen Gesichtspunkten die Ausbildungsmission abzubrechen, wie es die
Grünen und die Linken fordern, wäre ein fatales Zeichen .
Gerade jetzt, wo zum ersten Mal so etwas wie eine Aufbruchsstimmung in dem fragilen Land herrscht, einfach
zu gehen und Somalia wieder sich selbst zu überlassen,
wäre verantwortungslos . Die extreme Dürre stellt ohnehin die erste große Herausforderung für den neu gewählten Präsidenten dar .
Das Erreichen unseres langjährigen Ziels, die somalische Regierung zu befähigen, schrittweise selbst für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, und die Unterstützung
somalischer Behörden bei der Errichtung nachhaltiger
und langfristig selbsttragender Staatsstrukturen sind jetzt
so wichtig wie nie .
Lassen Sie mich deshalb auf die Kritik der Linken an
dem Einsatz eingehen . Letztes Jahr beispielsweise wollte Frau Dağdelen die Mission abbrechen und das Geld
lieber in Kitaplätze in Deutschland stecken . Das heißt
im Klartext: hier Kitas bauen, statt in Somalia Kindersoldaten zu verhindern . Das ist die Entscheidung, vor
die Sie uns stellen wollen . Aber da gehen wir nicht mit .
Wir entscheiden uns für die Verantwortung - sowohl für
unsere Kinder in Deutschland als auch für die Krisenregionen auf der Welt . Wir investieren auf Rekordniveau
in den Kitaausbau hier in unserem Land und beschließen
trotzdem die Mission EUTM Somalia zum Aufbau der
Sicherheitsarchitektur in Somalia .
Lieber Herr Neu, ich habe mit Interesse festgestellt,
dass Sie eigentlich nichts dagegen haben, dass man in
solchen Ländern wie Somalia auch für Sicherheit sorgt .
Der Grund, den Sie genannt haben, warum Sie an dieser
Stelle nicht mitgehen können, war die nicht einheitliche
Ausbildung, also die unterschiedlichen Akteure, die es da
gibt . Wenn ich es richtig verstanden habe: Gäbe es nicht
unterschiedliche Akteure, sondern wäre die Ausbildung
aus einer Hand und würden die Soldaten regelmäßig bezahlt werden, dann wären Sie dafür .
({0})
Ich finde, das ist neu und ganz interessant.
({1})
Herr Nouripour, Sie haben heute wie auch in der letzten Debatte gesagt, der Hauptgrund, warum Ihre Partei
einer Mandatsverlängerung nicht zustimmt, ist, dass die
Soldaten ihre Gehälter nicht bekommen und sich früher
oder später gegen den Staat wenden werden .
({2})
Das stellt sich doch aktuell etwas anders dar . Zumindest
ein Vertrauensvorschuss für den neuen Präsidenten, der
als Ministerpräsident vor sieben Jahren sehr wohl alle
Gehälter gezahlt hat, wäre angemessen . Außerdem zahlt
die EU Stipendien für die ausgebildeten Soldaten . Hier
können wir selbst etwas tun, damit unser Training auch
nachhaltig der richtigen Seite zugutekommt .
Grundsätzlich gilt: Man kann einem zerrütteten Staat
nur helfen, wenn man einen langen Atem beweist . Diesen langen Atem sollten wir auch in Somalia haben, auch
wenn dieser Einsatz aktuell nur neun Soldatinnen und
Soldaten umfasst .
Herzlichen Dank .
({3})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11273 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Damit sind alle einverstanden? - Jedenfalls erhebt sich kein Widerspruch .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten
Drucksache 18/11410
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das somit beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Kollegen Uwe Kekeritz das Wort für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gott
sei Dank, jetzt wird alles besser . Wir haben eine neue Superwaffe entdeckt: Das sind die Investitionen. Mit diesen
werden wir die Entwicklung in den Entwicklungsländern
wirklich positiv vorantreiben . Die Argumentation dahinter ist auch so was von plausibel: Investitionen bedeuten
Arbeitsplätze, bessere Bildung, höhere Gehälter, soziale
Absicherung, Wohlstandsgewinn und damit eine erhöhte
Nachfrage . Das ist doch alles plausibel . - Es stellt sich
aber nur die Frage, warum die Entwicklungspolitik das
nicht schon seit 60 Jahren mitbekommen hat, wenn das
alles so einfach ist .
({0})
Na gut, ab sofort wird alles besser . Heute gibt es den
Juncker-Plan, es gibt den Müller’schen Marshallplan mit
einem Finanzierungsvolumen von 0 Euro, bisher zumindest, und - damit die Sache auch wirklich gut wird greift jetzt Finanzminister Schäuble ein . Er schlägt einen
„Compact with Africa“ vor . Allerdings haben alle drei
Pläne eines gemeinsam: Sie sind weder neu, noch unterscheiden sie sich . Es gab schon immer Förderungen
für Investitionen, es gab schon immer hervorragende Beratung, Absicherung von Exporten, und in zig Ländern
dieser Welt gibt es Wirtschaftssonderzonen, in denen die
Unternehmen keine Steuern zahlen . Also, warum gab es
denn bisher noch keine ausreichenden Investitionen?
Man hört, das Investitionsrisiko für die Unternehmer
sei nun einmal viel zu groß . Das ist eine merkwürdige
Argumentation, haben wir doch circa 100 bilaterale
Handelsverträge abgeschlossen, die alle ein Schiedsgerichtssystem implementiert haben . Die Sicherheit für die
Investitionen ist gegeben . Warum wird also nicht investiert?
Um eines klarzumachen: Wir Grüne sind selbstverständlich für private und öffentliche Investitionen, und
zwar reichlich . Niemand spricht sich gegen diese Investitionen aus . Allerdings müssen wir sie nachhaltig gestalten . Dafür sind bestimmte Kriterien unbedingt notwendig . Ich will Ihnen eine kleine Auswahl geben .
Erstens. Investitionen müssen profitabel sein.
Zweitens . Das Geschäftsrisiko muss bei Unternehmen
bleiben, nicht beim Steuerzahler .
Drittens . Investitionen müssen Wertschöpfungsketten
im Entwicklungsland aufbauen . Die LDCs müssen dabei
besonders berücksichtigt werden .
Viertens . Das Gemeinwohl muss bei der Investition
berücksichtigt werden, und die Investition muss inklusiv
sein .
Fünftens . KMUs müssen im Fokus der Förderung stehen .
Sechstens . Geförderte Investitionen müssen den Kriterien der Nachhaltigkeitsagenda und der Pariser Erklärung entsprechen .
Siebtens . Soziale Rechte, die ILO-Normen, aber auch
die ökologischen Anforderungen müssen erfüllt sein .
Achtens . Planungen bei Investitionsprojekten ab einer bestimmten Größe müssen rechtzeitig veröffentlicht
werden, damit die Zivilgesellschaft informiert wird . Es
müssen Folgeabschätzungen durchgeführt werden .
Neuntens . PPPs dürfen nur dann durchgeführt werden,
wenn die Kosten mittel- und langfristig geringer sind, als
wenn die öffentliche Hand das Projekt alleine realisieren
würde .
Zehntens . Eine schleichende Staatsverschuldung
durch PPPs muss ausgeschlossen sein .
Elftens - das ist das Wichtigste -: Das Prinzip, Verluste zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren, darf es
zukünftig nicht mehr geben .
({1})
Nicht nur diese Prinzipien müssen eingehalten werden . Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, warum bisher tatsächlich so wenig investiert worden ist . Das hat
Gründe . Bei allen drei Plänen wird nicht danach gefragt,
warum es solche Investitionen bisher nicht in ausreichendem Maße gegeben hat . Das scheint auch nicht so richtig
zu interessieren . Aber ich kann Ihnen ein paar Gründe
nennen .
Das Interesse am Aufbau von Wertschöpfungsketten
in Entwicklungsländern gab es nicht, und das gibt es
auch heute noch nicht . Als Beleg dafür kann man aktuelle Handelsverträge heranziehen . Keiner ist daran interessiert, die Handelsverträge so zu gestalten, dass die
Kriterien, die ich gerade genannt habe, erfüllt sind . Es ist
die westliche Agrarpolitik, die nach wie vor die Produktion in den Entwicklungsländern verhindert . Auch unsere
Steuerpolitik beweist, dass wir an einer selbstständigen
Entwicklung in den Entwicklungsländern wenig Interesse haben .
Vizepräsident Johannes Singhammer
Herr Kollege Kekeritz, denken Sie bitte an die Redezeit .
Ich bin am Ende, Herr Präsident . - Für uns muss, bitte
schön, klar sein: Ohne Veränderungen in diesem Bereich
werden auch die neuen Initiativen scheitern . Je länger das
dauert, desto schwerer werden die Entwicklungsländer
getroffen, aber auch der Rückschlag auf die westlichen
Länder wird umso größer sein .
Danke schön .
({0})
Ich darf jetzt den Kollegen Johannes Selle als nächsten Redner für die CDU/CSU ankündigen .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Weltgemeinschaft steht vor großen Herausforderungen . 2050
werden voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen auf
der Erde leben, davon 7 Milliarden in unterentwickelten
Verhältnissen . Die Frage nach Sicherstellung der Versorgung, die Frage nach dem Schutz der Menschenwürde,
nach sozialem Schutz und die Frage nach dem Erhalt
der natürlichen Grundlagen sind von einer nicht mehr zu
übersehenden Dringlichkeit geworden .
Unser Bundesminister hat gesagt: Wir sind die erste
Generation, die die Technik, die Innovationskraft und das
Wissen hat, um eine Welt ohne Hunger zu schaffen, eine
Welt in Frieden ohne Aids und ohne Tuberkulose .
({0})
Aber wir sind auch die erste Generation, die durch ein
„Weiter so!“ den Planeten an den Rand der Apokalypse
führen kann .
Für uns in Europa ist inzwischen auch der Migrationsdruck heftig zu spüren . Man schätzt, dass über 200 Millionen Menschen in Afrika bereit sind, die Heimat zu
verlassen. Das geflügelte Wort: „Überall ist es besser, als
hier zu krepieren“ macht in verschiedenen Variationen
die Runde .
Gott sei Dank hat ein weltweites Umdenken begonnen . Das Jahr 2015 hat eine neue Dynamik in die internationale Politik gebracht und kann als Meilenstein gar
nicht hoch genug eingeschätzt werden . Es gab die Finanzierungskonferenz in Addis Abeba, den UN-Gipfel in
New York mit der Agenda 2030 und die Klimakonferenz
in Paris . Ein großer Sprung gelang; denn globale Partnerschaft wird mit dringlichen Klimathemen, mit sozialen
Fragen, mit nachhaltiger Finanzierung und Stärkung privater Investitionen verknüpft . Die Agenda 2030 kommt
vielleicht gerade noch rechtzeitig, um wirtschaftlichen
Fortschritt, soziale Gerechtigkeit und ökologische Grenzen gut miteinander zu verbinden .
Es sind Rahmenwerke entstanden, die auf Umsetzung warten . Deutschland hat sich in New York verpflichtet, aktiv in der Gruppe der acht Vorreiter bei der
Agenda 2030 mitzuarbeiten . Deutschland unterstützt die
EU-Investitionsoffensive External Investment Plan. Wir
gehen voran mit dem Marshallplan für Afrika und mit
dem vom Finanzministerium vorgeschlagenen „Compact
with Africa“ für den G-20-Gipfel . Deutschland stellt sich
wahrlich der Verantwortung, und das erkennt die Welt
auch an .
({1})
Sie schreiben es ja selbst in Ihrem Antrag und geben
zu, dass das Bundeskabinett - einschließlich der Bundeskanzlerin - da kohärent arbeitet . Das erleben wir in Form
des größten Zuwachses beim BMZ-Haushalt . Wir als Regierung und als Koalition halten am Ziel der ODA-Quote
von 0,7 Prozent fest . Das kann noch nicht einmal die Opposition kritisieren .
Das wichtigste Ziel bleibt die Bekämpfung von Armut .
Die Armut wird am besten bekämpft durch gute Arbeitsplätze . Gute Arbeitsplätze brauchen Investitionen . Gute
Arbeitsplätze brauchen die private Wirtschaft . Ich will
ausdrücklich hervorheben, dass der Antrag der Grünen
das nicht infrage stellt . Dieser Antrag passt eigentlich genau in die Aufbruchstimmung . Man merkt ihm an, dass
Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden sollen .
Man merkt ihm an, dass er den Partnerschaftsgedanken
unterstreicht . Transparenz und Kontrolle sollen Fairness
und Nachhaltigkeit sicherstellen .
Ich finde auch den Bezug passend, die nationalen Entwicklungspläne zu berücksichtigen, die allerdings oftmals nicht in der Qualität vorhanden sein dürften, wie es
im Antrag vorausgesetzt wird . Diese herzustellen helfen,
wird zu den Aufgaben gehören, auf die wir uns einstellen
können; denn es soll ja gezielt, systematisch und nachhaltig gefördert werden .
Ich kann auch gut verstehen, dass keine Privatisierung
der öffentlichen Daseinsvorsorge stattfinden soll. Das
sollte weitestgehend beachtet werden . Aber so kategorisch schließen wir das für uns selbst nicht aus; schließlich werden defizitär geführte öffentliche Krankenhäuser
der Daseinsvorsorge privatisiert, um die Kommunen von
Kosten zu entlasten .
({2})
Ebenfalls sind Standards für internationale Steuerpolitik sehr wünschenswert . Sie sollten angestrebt werden,
aber keine notwendige Voraussetzung sein . Wir erleben
das auch unter den entwickelten Ländern, die fehlende
Standards zwar beklagen, aber das nicht hinbekommen .
Im Kontext mit dem Brexit wird da bereits wieder gedroht .
Auch die Investitionsplattformen finde ich sinnvoll.
Diese sollten nicht nur auf mögliche Finanzierungen verweisen, sondern auch auf mit den jeweiligen nationalen
Entwicklungsplänen abgestimmte Erfordernisse und damit auf Investitionschancen .
Unsere Zustimmung findet der Vorschlag, zunehmend
Investitionen in Lokalwährungen möglich zu machen ein Schwerpunkt, den die KfW in der Anhörung benannt
hat . Die KfW hat gerade einen afrikanischen Fonds mitgegründet, der regionale Wertschöpfungsketten und die
Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in lokaler
Währung unterstützen soll .
Der Antrag ist voll von Regulierungen und Kontrollen . Da wir uns auch gezielt an kleine Unternehmen
wenden - das ist ja Inhalt des Antrags -, will ich darauf
hinweisen, dass das auch für solche Unternehmen passen
muss . Ich denke da an eine Fischzucht und eine Korbflechterei, mit denen ich es jüngst zu tun hatte. Ich möchte nicht, dass bei allen einzuhaltenden Vorschriften der
Unternehmer und Investor sein eigenes Ziel nicht mehr
sieht und seinen Weg nicht verfolgen kann .
Auch bei dem rigorosen Verzicht auf Förderung, wenn
fossile Energie im Spiel ist, muss differenziert werden.
Wirkungsgradsteigerung und Verlustreduzierung wären
bei bestehenden Anlagen nicht mehr möglich; es würde
eher klimaschädlich wirken .
Im Ausschuss haben wir mehrfach das Thema „Datenschutz bei Investitionen“ behandelt . Auch da geht der
Antrag wieder vollständig undifferenziert vor. Diesbezüglich muss Sicherheit gewährleistet sein, damit uns bei
unseren Vorhaben die Investoren nicht ausgehen .
Die kategorische Ablehnung von Schiedsgerichten
verkennt, dass diese gerade in Entwicklungsländern mit
schwierigen Rahmenbedingungen und nicht ausgeprägtem Rechtsstaat notwendig sind, um das Interesse eines
Investors aufrechtzuerhalten .
Der Antrag adressiert wichtige Themen . Wer ihn allerdings unvermittelt liest und die sinnvollen Vorschläge
aufnimmt, hat den Eindruck: Die Bundesregierung hat
geschlafen .
({3})
Vieles von dem, was gefordert wird, ist Standard und lang
geübte Praxis . Ich würde hier eine sorgfältigere Abgrenzung empfehlen . Grund dafür gibt es genug . Deutschland
ist nämlich nicht nur Vorreiter, sondern für viele Länder
auch Vorbild .
({4})
Das alles werden wir hoffentlich konstruktiv im Ausschuss im Detail besprechen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Thomas Lutze von der Linken hat als
nächster Redner das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich danke den Kollegen der Grünen dafür, dass sie mit
ihrem Antrag das wichtige Thema „Entwicklungszusammenarbeit und globale Investitionen“ auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt haben . Schade, dass dieses
wichtige Thema zu so fortgeschrittener Zeit behandelt
wird . Aber wenigstens geht es nicht, wie so vieles heute,
zu Protokoll .
Die Grünen nennen alle wichtigen Initiativen auf
nationaler und europäischer Ebene . Als Linksfraktion
begrüßen wir, dass Sie die Deutsche Investitions- und
Entwicklungsgesellschaft, immerhin Teil der KfW-Bankengruppe, auch einigermaßen kritisch sehen . Die Linke
ist grundsätzlich der Meinung, dass private Investitionen,
wenn überhaupt, nur bedingt und durch weitere Maßnahmen begleitet als Instrument der sogenannten globalen
Entwicklungshilfe taugen . Die in den letzten Jahren immer stärkere Fokussierung der Bundesregierung, aber
auch der Europäischen Union und von Akteuren wie den
G 20 auf private Investitionen als Schlüssel für die Entwicklungspolitik sehen wir äußerst kritisch .
({0})
Private Investitionen sind nicht automatisch ein Segen
für die sogenannten Entwicklungsländer . Die Staatskassen vieler Staaten sind aufgrund der massiven Steuerflucht der Unternehmen trotz zahlreicher privater Investitionen, die es heute schon gibt, in der Regel leer . Bevor
ich mich weiter mit den Vor- und Nachteilen von Privatinvestitionen in der Entwicklungszusammenarbeit beschäftige, möchte ich eine grundsätzliche Frage stellen:
Weshalb sind wir überhaupt so sehr auf private Gelder
angewiesen? Würden die Industriestaaten endlich ihre
Verpflichtung einhalten und 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit zur
Verfügung stellen, wären ausreichende Mittel zur Förderung von nachhaltiger Entwicklung vorhanden .
({1})
Die Regierungsfraktionen wollen zukünftig 2 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes für militärische Rüstung ausgeben . Sie haben an dieser Stelle aber immer wieder zu
wenig öffentliche Gelder. Ist das wirklich Ihr Ernst? Denken Sie wenigstens einmal darüber nach, ob diese Debatte da nicht einen klitzekleinen Widerspruch in sich hat .
({2})
Grundbedingung für eine nachhaltige Entwicklung ist
der Aufbau funktionierender Volkswirtschaften in den
sogenannten Entwicklungsländern. Wenn Sie öffentliche
Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit verwenden, bestimmen Sie in der Regel auch die Rahmenbedingungen für diese Zusammenarbeit . Bei privaten Unternehmen, die lediglich Absatzmärkte suchen, was in der
Natur der Sache liegt, ist so etwas, wenn überhaupt, nur
eingeschränkt möglich . Und wenn Sie es mit den Zielen
Ihrer Entwicklungshilfe wirklich ernst meinen, dann höJohannes Selle
ren Sie endlich auf, diese Ziele mit den für den Süden
unfairen Handelsabkommen zu konterkarieren .
({3})
Setzen Sie sich wirksam gegen Steuerflucht und für
internationale Steuergerechtigkeit ein . Neben der notwendigen Hilfe und den sinnvollen Förderprogrammen
muss auch immer mitgedacht werden, dass die Ursachen
von Hunger, Armut und Unterentwicklung in der Regel hier bei uns im reichen Norden liegen . Ein Beispiel:
Wenn wir zum Beispiel im Deutschen Bundestag darüber entschieden haben, dass an der Tankstelle dem Sprit
5 oder 10 Prozent Pflanzenöl beigefügt werden sollen,
dann klingt das so, als ob das ganz gut fürs Ökoimage
wäre . Doch wenn dieses Öl zum Beispiel aus Palmöl hergestellt wird und riesige Plantagen und Monokulturen in
Afrika, in Asien oder in Südamerika die einheimischen
Bauern plattmachen, dann sollten wir selbst uns einmal
darüber Gedanken machen, wer hier eigentlich wen entwickeln sollte .
({4})
Im Großen und Ganzen können wir dem Antrag der
Grünen zustimmen . Bei einigen Detailfragen, wie zum
Beispiel dem Unternehmensstrafrecht, sehen wir allerdings noch Gesprächsbedarf .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in der Debatte hat
Dr . Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! In der Tat ist es so, dass in Afrika oft nicht
die Länder mit den wenigsten Investoren die ärmsten
sind, sondern durchaus die Länder besonders arm sind,
die die meisten ausländischen Investoren haben, sowie
die Länder, die besonders viele Rohstoffe haben. Da, wo
Rohstoffe sind, sind viele ausländische Investoren. Da
braucht man nicht zu werben, man braucht nicht einmal
Fördermittel der KfW, von internationalen Entwicklungsbanken oder von der Weltbank, sondern ausländische Investoren gehen dorthin, wo Öl, Kohle, Seltene
Erden, Gold oder Diamanten vorkommen . Wir erleben,
dass in diesen Ländern die Gewinne oft nicht bei den
Menschen ankommen, dass die Einnahmen aus solchen
Minen zweckentfremdet werden, dass damit oft Bürgerkriege und Kindersoldaten finanziert werden. Deswegen
ist der Rohstoffreichtum in Afrika oft mehr Fluch als
Segen . Deswegen ist die Zielrichtung des Antrages der
Grünen das, was wir als Sozialdemokraten auch immer
sagen: Wir wollen, dass die Gewinne der Globalisierung
endlich den Menschen zugutekommen und nicht nur ausländischen Investoren und Großkonzernen, meine sehr
verehrten Damen und Herren .
({0})
Wenn wir Globalisierung gerecht gestalten und dafür
sorgen wollen, dass es den Menschen vor Ort dient, wenn
dort Investitionen getätigt werden, dann brauchen wir
auch verbindliche Regeln . Die SPD-Fraktion hat schon
im Mai 2015, Herr Kekeritz, beschlossen:
In allen Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und im Allgemeinen Präferenzsystem der EU sind deshalb Regeln für die
verbindliche Einhaltung und Umsetzung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards
wie der ILO-Kernarbeitsnormen mit konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen zu vereinbaren .
Der letzte Punkt ist besonders wichtig, weil es oft in der
Prosa von solchen Abkommen steht . Wenn aber dagegen
verstoßen wird, greifen keine wirksamen Sanktionen .
Deswegen haben wir Sozialdemokraten immer sehr dafür gekämpft .
Wir sind auch der Auffassung, dass zum Beispiel die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika nachgebessert werden müssen, in denen diese verbindlichen
Regeln nicht enthalten sind, bei denen es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt, wenn in Ländern, die zwar offiziell die international vereinbarten Arbeitnehmerrechte
bei den Vereinten Nationen unterschrieben haben, aber
Kinderarbeit und sklavenähnliche Arbeit an der Tagesordnung sind . Sonst werden wir diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ablehnen . Wir wollen fairen statt
freien Handel, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({1})
Ich wünsche mir nicht nur, sondern wir fordern auch
von der Europäischen Union und der Kommission, dass
sie mit dem, was wir bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika fordern, auch dort Ernst machen,
wo sie diese Möglichkeiten schon haben, zum Beispiel
beim Allgemeinen Präferenzsystem . Wir haben die Initiative „Everything But Arms“, das heißt, die ärmsten
Entwicklungsländer dürfen ihre Waren zollfrei in die Europäische Union exportieren, wenn sie Menschenrechte
und Arbeitnehmerrechte einhalten . Aber leider sehen wir
in den letzten Jahren, dass es viele Länder gibt, für die
diese Zollfreiheit gilt, die zum Beispiel Textilien liefern,
aber die Arbeitnehmerrechte trotzdem mit Füßen treten .
Ich finde es Mut machend, dass es mittlerweile ein
Umdenken bei manchen Investoren gibt, auch in der
Textilindustrie und auch bei der deutschen . Das zeigt das
Beispiel Bangladesch . Die bangladeschische Regierung
hat vor ein paar Wochen Gewerkschafter verhaftet . Arbeitnehmer haben für höhere Löhne demonstriert und
wurden massenhaft entlassen . Es gibt ein Schreiben - das
finde ich sehr bemerkenswert - von den deutschen Gewerkschaften, den deutschen NGOs, der Kampagne für
Saubere Kleidung gemeinsam mit dem Textilhandelsverband und den Textilunternehmen, in dem ausdrücklich steht: Wenn die bangladeschische Regierung die
Arbeitnehmerrechte nicht einhält, dann fordern wir die
Europäische Kommission auf, von ihren Möglichkeiten
Gebrauch zu machen, Zölle anzuheben, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich Rechte haben,
damit die Näherinnen und Näher, die Frauen, die oft stundenlang unter elenden Bedingungen in Fabriken arbeiten,
ihre Kinder ernähren können . - Das ist der richtige Weg .
Deswegen müssen wir weiter darauf drängen, dass wir
mit solchen verbindlichen Regeln dafür sorgen, dass die
Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit die Gewinne für
die Investoren erwirtschaften, am Ende gut davon leben
können, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({2})
Genauso verbindlich müssen wir das auch machen .
Ich habe gerade das Beispiel genannt, wenn Investoren
nach Afrika gehen, um Seltene Erden, Gold oder andere
Rohstoffe auszubeuten.
Wir haben viele Jahre dafür gekämpft, dass wir eine
verbindliche Regelung im Bereich der sogenannten Konfliktrohstoffe erreichen. Hier möchte ich ein Beispiel dafür nennen, dass die Wirtschaft, dass Investoren am Ende
mit uns in einem Boot sitzen können . In meinem Wahlkreis, in Hanau, ist die edelmetallverarbeitende Industrie
mit Heraeus und Umicore recht groß vertreten . Schon
seit Jahren bin ich deswegen jedes Jahr mit ihnen in Gesprächen, in denen es um ihre Problemstellungen geht .
Vor sechs oder sieben Jahren kamen dann zum ersten
Mal Forderungen von mir und anderen Entwicklungspolitikern auf: Wir wollen, dass zum Beispiel Gold aus
Konfliktregionen wie dem Kongo zertifiziert sein muss,
dass nur Gold nach Europa darf, mit dessen Ertrag keine
Kindersoldaten finanziert werden und für dessen Gewinnung keine Kinder als Sklaven in Minen arbeiten .
Am Anfang war es das typische Konfliktfeld: Da saßen die Fachvereinigung Edelmetalle und auch Firmen
aus meinem Wahlkreis, die gesagt haben: Wir wollen hier
keine verbindlichen Regeln; das sorgt für Bürokratie, das
behindert unsere Wirtschaft . - Auf der anderen Seite saß
der Entwicklungspolitiker Raabe, der gesagt hat: Nein,
ihr müsst an die Menschen dort, an die Kindersoldaten
denken; das muss sein . - Dann haben die immer gesagt:
Aber, Herr Raabe, wir nehmen doch schon auf freiwilliger Basis so viele gute Zertifizierungen vor. - Dann habe
ich gesagt: Wenn das so ist, dann müsst ihr doch keine
Angst davor haben, dass das, was ihr freiwillig macht, in
verbindlicher Gesetzesform kommt .
Das Schöne war, dass am Ende, als wir in der Europäischen Union auch mit unserem Wirtschaftsminister
dafür gekämpft haben, dass es wirklich eine verbindliche Regelung gibt, die deutsche edelmetallverarbeitende
Industrie Seite an Seite mit uns war und gesagt hat: Ja,
wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen, das heißt, wir
wollen, dass sich auch Firmen in anderen Ländern daran
halten . - Als einige südeuropäische Länder auf den letzten Metern einen Freiwert von 100 Kilo reingedrückt haben, haben die edelmetallverarbeitenden Firmen hier in
Deutschland mit mir gemeinsam einen Brief an das Wirtschaftsministerium geschrieben und gesagt: Wir wollen,
dass da keine Schlupflöcher, keine Ausnahmen sind; wir
wollen, dass Gold nur aus sauberen Quellen kommt .
Daran sieht man: Die Akzeptanz der Verbraucher, die
wissen wollen, wo die Sachen herkommen, ist für Investoren - ob jetzt in dem Bereich oder im Bereich der Textilindustrie - wichtig .
Herr Raabe, ich möchte Sie bitten, zum Schluss zu
kommen .
Ja, mache ich . - Keiner möchte einen Ehering haben, an dem Blut aus solchen Konfliktminen klebt. Es
ist wichtig, dass wir uns im Sinne der Menschen vor
Ort, aber auch in unserem eigenen Interesse - damit wir
mit gutem Gewissen konsumieren können - für Investitionsabkommen und Handelsabkommen einsetzen, die
die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten garantieren . Dafür werden sich die Sozialdemokraten weiter einsetzen . Schön, wenn ihr von den Grünen
es genauso seht!
Danke .
({0})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11410 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung
Drucksache 18/11180
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu
Protokoll gegeben . - Ich sehe, Sie sind damit einverstan-
den .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/11180 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
1) Anlage 2
Einrichtung einer Kommission beim Bundes-
ministerium der Finanzen zur Evaluierung
der Staatsleistungen seit 1803
Drucksachen 18/4842, 18/11428
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11428, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4842 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU
im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt
Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225
Nr. 7
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Drucksache 18/11439
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Debatte. Als erste Rednerin hat die
Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks das Wort .
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Novellierung des Bauplanungsrechts ist in den vergangenen Monaten sehr intensiv diskutiert worden . Ich
will mich bei Ihnen allen sehr herzlich dafür bedanken,
insbesondere auch bei meinem Kollegen Florian Pronold,
der in einem sehr transparenten Verfahren mit Ihnen allen
zusammengearbeitet hat .
({0})
Ich freue mich, dass es gelungen ist, eine breite Zu-
stimmung zu erreichen und heute das parlamentarische
Verfahren abschließen zu können . Das ist auch ein star-
kes Signal an den Bundesrat . Um dies zu veranschauli-
chen, möchte ich drei wesentliche Elemente ansprechen:
1) Anlage 3
Zum einen können wir die Frist einhalten, in der wir
die geänderte europäische Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die UVP-Richtlinie, umsetzen
müssen . Das gelingt uns längst nicht immer, aber hier gelingt es uns . Wenn Bebauungspläne aufgestellt werden,
sind die Umweltbelange zu prüfen . Hierzu machen wir
nun präzisere Vorgaben. Wir schaffen auch mehr Transparenz . Informationen über die Bebauungspläne müssen
künftig immer ins Internet eingestellt werden .
Noch wichtiger ist zweitens zweifellos die neue Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ . Wir setzen damit
eine Stadtentwicklung in Gang, die auf weniger Flächenverbrauch ausgerichtet ist . Das urbane Gebiet soll es ermöglichen, mehr Wohnraum zu schaffen, gerade in den
besonders nachgefragten Innenstädten, und greift damit
die Vorstellungen der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen
europäischen Stadt“ auf .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine
Stadt der kurzen Wege ermöglichen . Deshalb sehen wir
eine höhere bauliche Dichte vor, also mehr Wohnungen
auf gleicher Fläche, und eine flexiblere Nutzungsmischung . Der Handwerksbetrieb oder andere Gewerbebetriebe sollen trotz des Wohnungsbaus nicht aus den
Innenstädten verdrängt werden . Deshalb wollen wir in
Bezug auf Gewerbelärm mehr Flexibilität ermöglichen
und in der hierfür geltenden immissionsschutzrechtlichen
Verwaltungsvorschrift, der TA Lärm, die Richtwerte für
das urbane Gebiet gegenüber dem Mischgebiet um 3 Dezibel erhöhen . Ja, diese Werte belasten die Nachbarschaft
etwas mehr . Wir halten das gleichwohl für moderat, vor
allem vor dem Hintergrund, dass die Kommunen zusätzlichen Lärmschutz bei der Aufstellung des Bebauungsplans vorsehen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an die Länder gerichtet möchte ich betonen, dass es um Möglichkeiten für
Kommunen geht, mit denen diese verantwortlich umgehen können und das auch tun werden . Bund und Länder
sollten den Kommunen diesen zusätzlichen Spielraum
nicht verweigern .
({1})
Ich bin sicher, dass wir den Kommunen eine solche Entscheidung zutrauen können .
Schließlich will ich ein drittes Element ansprechen,
das insbesondere in den Ferienregionen der nord- und
ostdeutschen Küstenländer wichtig ist . Ein Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Greifswald hatte die Frage aufgeworfen, ob Ferienwohnungen in klassischen Wohngebieten zulässig sind . Dies hat vor allem in touristischen
Regionen Kommunen und private Ferienwohnungsbetreiber verunsichert . Hier wollen wir durch eine Klarstellung die nötige Rechtssicherheit herstellen und den
Kommunen mehr planerische Möglichkeiten geben .
Zum Abschluss möchte ich insbesondere den Mitgliedern des Umwelt- und Bauausschusses für die konstruktive Arbeit danken . Uns ist es in den parlamentarischen
Beratungen gelungen, noch weitere Verbesserungen vorzunehmen . Insbesondere freue ich mich, dass wir den
Milieuschutz von zehn Jahren auf zwölf Jahre verlängert
haben - eine sehr gute Nachricht für die Mieter - und
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
dass wir in § 13b des Entwurfs eine zeitlich enge Begrenzung eingeführt haben, die Vorratsbeschlüsse der Kommunen ausschließt .
Ich möchte Sie alle bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen . Die Kommunen und die Menschen vor Ort
warten auf dieses Gesetz .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Da die Kollegin Caren Lay im Stau
steckte und daher ein bisschen später kommt, sind Sie
hoffentlich damit einverstanden, wenn die Kollegin
als letzte Rednerin spricht . Dann würde ich jetzt in der
Reihenfolge weitermachen und Frau Dött für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort geben . Danach erhält die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Deutschlands Städte sind attraktiv .
Von ihnen gehen Wachstumsimpulse aus, sie sind Innovationszentren und für viele Menschen auch gesuchte
Lebens- und Arbeitsorte . Die Städte wachsen . Wohnen,
Wirtschaft, Freizeit und der wachsende Verkehr konkurrieren um die Fläche . Mit diesem Gesetz geben wir darauf die richtigen Antworten, damit die Städte auch in
Zukunft lebenswerte Heimat für die Menschen sein können . Wenn wir uns die Städte in Deutschland anschauen,
stellen wir fest, dass die quirligen und kompakten Viertel besonders beliebt und gefragt sind. Dort finden Wirtschaft, Wohnen und Wohlfühlen nebeneinander statt, und
diese Nutzungsmischung überzeugt die Menschen .
Die Baugebietskategorien in der Baunutzungsverordnung sind noch immer dem alten Leitbild der räumlichen
Trennung der Funktionen verhaftet . Das ist überholt .
Städte der Zukunft müssen anders aussehen . Beispielsweise würden die beliebten Gründerzeitviertel heute
nicht mehr genehmigungsfähig sein, wenn nicht auf komplizierte und aufwändige Ausnahmeregelungen zurückgegriffen werden könnte. Hier setzen wir an und schaffen
die neue Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ .
Das urbane Gebiet wird die gewollte funktionale
Durchmischung in unseren Städten stärken . Wir ermöglichen eine höhere Bebauungsdichte und damit mehr Stadt
in der Stadt . Aber wenn die Nutzungsmischung vielfältiger wird, kann es auch mal etwas lauter werden . Die Stadt
der kurzen Wege wird nur dann funktionieren, wenn auch
die Geräuschpegel für urbane Gebiete entsprechend gestaltet werden. Ich hoffe deshalb, dass der Bundesrat uns
hier folgt und der Änderung der Technischen Anleitung
Lärm zustimmt .
({0})
Ich weiß, dass Ministerin Hendricks hier noch einige
Überzeugungsarbeit zu leisten hat, aber wir helfen, wo
wir können .
Meine Damen und Herren, die zentrale Herausforderung in den Städten und auch in den verschiedenen ländlichen Regionen ist der bezahlbare Wohnraum . Wir sind
uns einig, dass das Defizit an Wohnraum nur durch zusätzliche Investitionen in den Wohnungsbau zu beheben
ist . Sie kennen das von uns: bauen, bauen, bauen .
Das Problem ist, dass die Wohnungsbauzahlen der
letzten Jahre nie die prognostizierten Bedarfszahlen erreicht haben . Wir brauchen also neue Impulse . Dazu gehört insbesondere die Mobilisierung von Bauland . So begrüßen wir ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf auch die
Ausweitung des vereinfachten Bebauungsplanverfahrens
auf Ortsrandlagen vorsieht . Damit geben wir den Kommunen ein Instrument an die Hand, mit dem sie sehr zügig und deutlich weniger bürokratisch auf den aktuellen
Baulandbedarf reagieren können . Ich gebe als Umweltpolitikerin zu, dass die zusätzliche Baulandbereitstellung
den Weg zur Erreichung unseres 30-Hektar-Ziels nicht
leichter macht . Deshalb haben wir die Fläche begrenzt
und die Planung zeitlich befristet . Für uns hat die Innenentwicklung weiterhin Priorität, und ich gehe außerdem
davon aus, dass die Kommunen mit diesem Instrument
sehr verantwortungsbewusst umgehen werden .
Meine Damen und Herren, zum Gesetz haben wir im
parlamentarischen Verfahren weitere wichtige Änderungen beschlossen . Ich will sie gar nicht alle erwähnen,
aber besonders wichtig ist mir, dass es gelungen ist, die
Belange von Familien mit mehreren Kindern in die Planungsleitlinien zu integrieren .
({1})
Damit setzen wir einen weiteren Baustein für aktive Familienpolitik .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Christian
Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich möchte mich am Anfang der Debatte
bei den Berichterstattern für die Berichterstattergespräche und für das kollegiale Miteinander in den Beratungen zur BauGB-Novelle bedanken, ganz explizit auch
bei Staatssekretär Florian Pronold . Ich glaube, es war ein
gutes Verfahren . Leider wurden wir von der Opposition
nur einmal in dieser Legislaturperiode an einem wichtigen Gesetz beteiligt. Ich finde, die Große Koalition hätte
öfter den Mut haben können, auf uns von der Opposition
zuzugehen, dann wären Ihre Gesetze im Schnitt auch ein
bisschen besser gewesen .
({0})
Mit der Novelle schreiben wir das urbane Gebiet in
das Baugesetzbuch . Das war eine der Ideen, die in der
Charta von Leipzig festgehalten wurden . Nach zehn Jahren ist das eigentlich längst überfällig, aber wir Grünen
finden die Idee gut, und wir sind froh, dass diese grüne
Idee endlich im Baugesetzbuch verankert wird . Dabei
geht es um die Logik einer anderen Stadtentwicklung,
um die Logik „innen vor außen“, um die Stadt der kurzen
Wege . Eine funktionale, eine soziale und eine ästhetische
Mischung in der Stadt wird hier festgeschrieben . Das ist
gut . Deswegen stimmen wir der Einführung der Baugebietskategorie „Urbanes Gebiet“ zu .
Diese Baugesetzbuchnovelle hat aber einen ganz großen Haken . Diese Baugesetzbuchnovelle ist nämlich
mit einer Erhöhung des Lärms in diesen Gebieten um
3 dB verbunden . 3 dB, das heißt doppelter Lärm . Frau
Hendricks, Sie haben das „moderat“ genannt . Das ist
nicht „moderat“, sondern das ist gesundheitsschädlicher
Lärm, und davor müssen wir die Menschen in unseren
Städten schützen .
({1})
3 dB mehr Lärm sind unzumutbar . Das ist gesundheitspolitisch falsch, das ist umweltpolitisch falsch, und
das ist stadtentwicklungspolitisch falsch. Ich hoffe, dass
der Bundesrat dieses Vorhaben stoppen wird . Das sehen
nicht nur wir Grünen so, sondern das sagen auch das Umweltbundesamt und der Sachverständigenrat für Umweltfragen . Ich glaube, Sie sollten an dieser Stelle einmal auf
Ihre eigenen Expertinnen hören .
({2})
Wir Grünen sagen nicht, wir wollen gar nichts für den
Lärmschutz tun; ganz und gar nicht . Wir wollen das Hamburger Fenster, den Hamburger Weg . Wir wollen mehr
technischen Lärmschutz ermöglichen . Ich glaube, das ist
eine Lösung, mit der die Kommunen abwägen und punktuell, bei wirklichen Lärmschutzproblemen eingreifen
können . 3 dB mehr Lärm in allen Gebieten zu erlauben,
halten wir für falsch . Wie gesagt, das ist gesundheitspolitisch und lärmschutzpolitisch der völlig falsche Weg .
Der zweite Haken an diesem Gesetz ist der § 13b, den
die CSU jetzt in dieses Baugesetzbuch hineinschreiben
will . Das ist nichts anderes als ein Flächenfraßparagraf;
denn damit wird die Außenentwicklung privilegiert . Die
ganze Idee der Baugesetzbuchnovelle ist ja, die Innenentwicklung zu privilegieren . Die CSU bringt mit dem
§ 13b aber sozusagen den Flächenverbrauch im Außenbereich ein. Ich finde, das passt hinten und vorne nicht
zusammen . Dass Sie, Frau Hendricks, da mitmachen,
zeigt mal wieder, dass es Ihnen nicht gelingt, Umweltschutz und Baupolitik miteinander zu verbinden . Das ist
die Bilanz Ihrer Regierungszeit .
({3})
Ziel dieser Novelle ist eigentlich die Privilegierung
der Innenentwicklung; dem folgt die ganze Logik . Dass
dieses Ziel nicht erreicht wurde, ist wirklich schade . Dass
die CSU auf ihrer Forderung besteht, kann ich überhaupt
nicht verstehen . Das zeigt doch nur, dass Sie als CSU
die Dorfkerne und die Innenentwicklung in den Städten
längst aufgegeben haben, dass Sie sich sozusagen eher
um die Investoren kümmern als um eine gute dörfliche,
regionale und städtische Entwicklung .
({4})
Herr Kühn, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold zu?
Ich lasse gerne eine Zwischenfrage des Kollegen
Pronold zu .
Lieber Kollege Kühn, mein Melden zu einer Zwischenfrage ist leider zu spät bemerkt worden . Sie bezieht
sich auf den Punkt, den Sie zuvor angesprochen haben,
auf die wirklich wichtige Frage: Wie bekommen wir einen Konsens zwischen mehr Lärmbelastung und Innenverdichtung hin? Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das
Hamburger Fenster dazu gedacht, mehr Lärmschutz für
die Leute zu schaffen. Das Hamburger Fenster bedeutet
jedoch, dass ich eine Lärmbelastung von bis zu 70 Dezibel im Außenbereich haben kann und nicht 63 Dezibel,
wie die Koalition sie vorschlägt . Durch die Verlagerung
des Messpunktes, wie Sie das wollen, können bis zu
70 Dezibel im Außenbereich, vor dem Fenster, vorherrschen . Ist das die angebliche Lärmreduzierung, die Sie
den Leuten versprechen?
Erst einmal ist das ja ein Vorschlag, den das Bundesland Hamburg eingebracht hat, und der Erste Bürgermeister dieses Bundeslandes ist kein Grüner, sondern ein
Sozialdemokrat . Das Bundesland Hamburg ist gleichzeitig Land und Stadt . Es hat genau die Probleme, über die
wir hier beim urbanen Gebiet reden, täglich vor der Tür:
Wie kommen wir an Flächen heran? Wie können punktuelle Lösungen aussehen?
Bei der HafenCity ist genau dieses Problem aufgetreten . Daraufhin hat das Land Hamburg überlegt: Wie
könnte eine technische Lösung ohne Veränderung des
Messpunktes aussehen? Denn sie wäre im Augenblick
auch gesetzlich gar nicht möglich . So hat das Bundesland Hamburg ein geschlossenes Fenster entwickelt, das
aber eigentlich geöffnet ist. Der Messpunkt ist weiterhin
vor dem Fenster, die technische Einheit aber dahinter,
der Lärmschutz wird heruntergerechnet, um im Innenpegelbereich zu bleiben . Damit muss der Messpunkt nicht
verändert werden . Das ist sozusagen die Gretchenfrage .
Auf der einen Seite ist das eine baupolitische Einschätzung und auf der anderen Seite eine immissionspolitische
Einschätzung . Das ist kein Bruch mit dem Immissionsschutz, sondern eine punktuelle Erleichterung .
Der Vorschlag Hamburgs geht noch weiter . Es geht
nicht darum, dass das im ganzen Gebiet so sein muss .
Im Außenbereich jeder Wohneinheit muss es einen Zugang geben, sozusagen einen geschützten Außenbereich .
Christian Kühn ({0})
Das bedeutet, dass, wenn wir beispielsweise in einem
urbanen Gebiet an den Parkplatz eines Supermarktes
heranrücken - dort gibt es mehr Lärm -, eine Seite mit
dem Hamburger Fenster oder anderen technischen Lärmschutzeinheiten ausgerüstet ist, aber der Innenbereich des
urbanen Gebiets weiterhin geschützt ist .
Was Sie wollen, ist Folgendes: Die 3 dB sollen vorgeschrieben werden . Dann können die Kommunen abwägen, ob sie daruntergehen . Damit machen Sie aber einen
Bruch im Immissionsschutz auf . Denn Sie lassen in einem Gebiet diese 3 dB mehr an gesundheitsschädlichem
Lärm zu . Das wird dazu führen, dass in anderen Gebietskategorien der Lärmschutz auch geschliffen wird und
dann auch Gerichte einen höheren Lärmpegel erlauben .
Deswegen liegen Sie im Umweltministerium falsch .
Ich sage Ihnen auch, warum Ihre Immissionsschützer im
Umweltministerium das hineingeschrieben haben . Das
hat einen Grund . Sie wollen nämlich, dass das scheitert .
Ich glaube, dass das Umweltministerium letztlich etwas
auf den Weg gebracht hat, bei dem man jetzt die Idee hat,
dass die Bundesländer da scheitern müssen .
Ich sage Ihnen: In dem Verfahren zwischen dem Bundesrat und der Bundesregierung wird es jetzt auch zu
einer anderen Lösung kommen . Am Ende wird es nach
meiner Einschätzung der technische Lärmschutz sein und nicht Ihre Vorstellung von 3 dB .
({1})
Wenn Sie erlauben, mache ich eine Zwischenbemerkung .
Gerne .
Was Sie vorschlagen, ist ein echter Bruch . Damit geben Sie nämlich das Verursacherprinzip auf . Das ist der
echte Bruch, den Sie dabei veranstalten . Und das ist mit
mir als Umweltpolitikerin nicht zu machen .
({0})
Nur eine Aussage dazu: Sie als Umweltpolitikerin
schreiben in eine Gebietskategorie einen Lärmpegel hinein, den sowohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen als auch das Umweltbundesamt für gesundheitsschädlich halten . Das ist als Umweltpolitiker auch nicht
hinnehmbar, glaube ich .
({0})
Meines Erachtens haben sowohl die 3 dB als auch der
§ 13b mit guter Stadtentwicklungspolitik wenig zu tun .
Deswegen müssen wir uns als Grüne, obwohl wir das urbane Gebiet sehr schätzen und es für eine sehr gute Idee,
eine wirkliche Weiterentwicklung und einen Meilenstein
im Baugesetzbuch halten, bei dieser Baugesetzbuchnovelle leider enthalten .
Wir Grüne stehen für lebenswerte Städte mit kurzen
Wegen, mit einer Nutzungsmischung, mit einer Vielfalt
und mit einer kleinräumigen Teilung von Gewerbe, Arbeiten und Leben untereinander in der Stadt . Wir stehen
aber nicht für eine Stadt, in der der Flächenfraß im Außenbereich organisiert wird und in dem die Menschen
mit Lärm und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen
haben .
Danke schön .
({1})
Als nächster Redner hat Michael Groß für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Chris Kühn, ich glaube, dass unsere Gesetze auch ohne die Opposition gut
waren und gut sind .
({0})
- Doch, doch . Ich glaube, dass wir das bisher auch ohne
Sie ganz gut hinbekommen haben .
Ich muss deutlich sagen - da will ich mich auch noch
einmal dem Dank anschließen -, dass wir hier einen sehr
guten Prozess gehabt haben . Es gab einen sehr guten Dialog und war sehr transparent . Deswegen wollte ich auch
heute in Ergänzung zur Ministerin noch einmal reden
und mich herzlich bei Ihnen, bei Herrn Pronold und bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMUB, die
ich dort hinten sehe, für diesen Prozess bedanken . Herzlichen Dank dafür! Das Ergebnis kann sich auch sehen
lassen, glaube ich .
({1})
Die Menschen ziehen in Städte, weil sie viele Dinge
miteinander vereinbaren wollen . Kurze Wege sind schon
angesprochen worden . Es geht um Gewerbe, um kurze
Wege zur Arbeit, aber auch um Leben, Freizeit und Kultur in der Stadtmitte .
Sie wissen selber, dass die Städte sich in den letzten
Jahren anders entwickelt haben . Es hat eine Entwicklung
in den Außenbereichen stattgefunden . In den Innenstädten hat man sich darüber beklagt, dass das Leben dort
nicht mehr stattfindet. Insbesondere findet dort kein Leben mehr statt, nachdem Geschäfte schließen .
Wir wollen die Leipzig-Charta umsetzen . Die Ministerin hat die Vorteile dargestellt . Meines Erachtens wird
es mit diesem Gesetzentwurf gut gelingen, das urbane
Gebiet zu ermöglichen und den Kommunen, den Städten
Christian Kühn ({2})
und Gemeinden, die Möglichkeit zu geben, mit lokalen
Bebauungsplänen deutlich zu machen, wie sie sich eine
Stadtentwicklung vorstellen. Das betrifft natürlich auch
die Lärmfrage .
Herr Kühn, Sie wissen, dass dort nicht steht, dass die
Städte 3 dB mehr erlauben müssen . Vielmehr steht da,
dass sie es können .
({3})
Bisher war es auch möglich, dass die Städte passiven
Lärmschutz vorgesehen haben . Wir haben jetzt Rechtssicherheit geschaffen, damit die Städte in die Lage versetzt
werden, diesen passiven Lärmschutz umzusetzen . Ich
glaube, es ist der richtige Weg, vor Ort entscheiden zu
können, wie die Menschen vor Lärm geschützt werden
können .
({4})
Wir haben als SPD-Fraktion dann einem Bereich zugestimmt, bei dem durchaus ein Problem besteht - ich
will noch einmal darauf hinweisen; Herr Kühn hat es angesprochen -, nämlich der beschleunigten Bebauung im
Außenbereich . Das ist uns sehr schwer gefallen, weil wir
natürlich auch genau die Probleme sehen, die Sie angesprochen haben, Frau Dött . Das ist eine Außenentwicklung, die wir eigentlich nicht wollen . Denn das bedeutet,
dass der Flächenverbrauch massiv ansteigen wird, wenn
die Kommunen dieses Instrument in Anspruch nehmen
werden . Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass wir
dies noch auf Gebiete beschränken, in denen Wohnraum
knapp ist . Das ist leider nicht gelungen .
Dafür sind Sie uns bei einem anderen Punkt entgegengekommen: beim Milieuschutz . Wir sind sehr dankbar, dass wir den Kompromiss gefunden haben, dass der
Kündigungsschutz zwei Jahre länger greift . Ich glaube,
das ist ein gutes Signal für die Mieterinnen und Mieter in
diesen Milieuschutzgebieten . Da haben wir viel erreicht .
Herzlichen Dank . Glück auf!
({5})
Als nächste Rednerin hat Dr . Anja Weisgerber für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Erst heute Mittag haben wir hier im Hohen
Haus wieder darüber diskutiert, wie die Mieten in unseren Städten bezahlbar bleiben können . Ein entscheidender
Baustein zur Lösung ist - wir haben es heute in der Debatte schon gehört -: bauen, bauen, bauen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine gute Grundlage,
um dem Wohnraummangel entgegenzutreten . Neben der
Stärkung der Innenentwicklung durch das urbane Gebiet dies ist uns ganz besonders wichtig - erweitern wir auch
das beschleunigte Bebauungsplanverfahren auf Ortsrandlagen . Denn allein durch Innenentwicklung werden wir es
nicht schaffen, den Bedarf von bis zu 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr zu decken . Das haben auch die Experten
in der Anhörung verdeutlicht .
Deshalb geben wir den Kommunen dort - und nur
dort -, wo die Innenentwicklung an ihre Grenzen stößt,
ein Planungsinstrumentarium zur Wohnbaulandmobilisierung an die Hand . Die Innenentwicklung hat weiterhin Priorität . § 13b Baugesetzbuch war sicherlich - wir
haben es der Debatte gerade schon entnommen - einer
der umstrittensten Punkte in den Verhandlungen . Doch
wir haben letztendlich einen Kompromiss gefunden
und das Instrument zusätzlich zu den Beschränkungen,
die bereits vorgesehen waren, auch noch zeitlich eingeschränkt . Um einer möglichen Vorratsbeschlussfassung
entgegenzuwirken, muss der Aufstellungsbeschluss im
Bebauungsplanverfahren bis zum 31 . Dezember 2019
gefasst sein und das Verfahren komplett bis spätestens
31 . Dezember 2021 mit dem Satzungsbeschluss abgeschlossen sein . Damit ist das beschleunigte Verfahren
eine kurzfristige Antwort, um eine besondere Herausforderung bei der Wohnraumversorgung zu bewältigen und
den akuten Bedarf zu decken .
Uns ist bewusst, dass jede Neuerschließung von Bauland die Frage des Flächenverbrauchs aufwirft . Ich sage
auch als Umweltpolitikerin ganz klar: Es ist und bleibt
unser politisches Ziel, den Flächenverbrauch weiter zu
reduzieren . Es ist doch aber auch unsere politische Aufgabe, langfristige Ziele mit den unabweisbaren akuten
Bedürfnissen der Menschen, der Bevölkerung in Ausgleich zu bringen . Gerade wenn das Instrument nicht
nur in großen Städten greift, sondern auch in ländlichen
Räumen, führt dies zu einer Entlastung der überhitzten
Metropolen und Innenstädte. Der Sickerungseffekt kann
vielen Haushalten, insbesondere jungen Familien, dabei
helfen, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das ist doch
unser gemeinsames Ziel .
Viele Kollegen behaupten immer wieder, dass die
Umweltbelange im beschleunigten Verfahren vollkommen unter den Tisch fallen . Da muss man aber bei der
Wahrheit bleiben . Das stimmt so nicht . In jedem Fall hat
die Kommune die Belange von Umwelt und Naturschutz
in ihre Abwägungsentscheidungen mit einzubeziehen .
Auch Öffentlichkeit und Bürger werden beteiligt, aber
eben in einem vereinfachten Verfahren, in einer vereinfachten Form . Die Interessen der Umwelt und der Bevölkerung fallen also nicht vollkommen unter den Tisch .
Abschließend möchte ich noch betonen, dass wir mit
dem Instrument lediglich den kommunalen Handlungsspielraum vergrößern . Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, das mir immer sehr wichtig ist, vertraue ich
jedoch darauf, dass unsere Kommunen auch mit Blick
auf den Flächenverbrauch verantwortungsbewusst mit
diesem Instrument umgehen . Ich möchte Ihnen an dieser
Stelle etwas Persönliches sagen: Ich war viele Jahre GeMichael Groß
meinderätin und bin immer noch im Kreistag tätig . Aufgrund meiner Erfahrung aus dem Gemeinderat weiß ich,
dass Gemeinderäte verantwortungsvoll handeln . Es kann
doch nicht sein, dass wir den Kommunen unterstellen, sie
würden ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein Baugebiete ausweisen . Das stimmt so nicht, meine Damen
und Herren .
({0})
Weiterhin begrüße ich, dass wir im Gesetzgebungsverfahren eine Lösung für das Dauerwohnen in Erholungsgebieten gefunden haben und hier Rechtssicherheit
schaffen. Schön ist auch, dass die Wohnbedürfnisse der
Bevölkerung, insbesondere von Familien mit mehreren
Kindern, in die Grundsätze der Bauleitplanung aufgenommen werden .
In dem vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir darüber hinaus einen Aspekt, der mich persönlich, auch als
ehemalige Europaabgeordnete, schon lange begleitet:
Wir stellen die sogenannten Einheimischenmodelle auf
rechtssicheren Boden, indem wir hervorheben, dass diese
dem Erwerb von angemessenem Wohnraum durch einkommensschwächere Personen der örtlichen Bevölkerung dienen . Das ist ein weiteres gutes Signal an unsere
Kommunen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was lange währt,
wird endlich gut; das fasst die Verhandlungen zur vorliegenden Baurechtsnovelle sehr treffend zusammen. Daher
möchte auch ich mich bei allen Beteiligten, insbesondere
beim BMUB, aber auch bei der Opposition für die gute,
wenn auch nicht immer einfache Zusammenarbeit in den
letzten Monaten bedanken . Doch die langen und intensiven Diskussionen haben sich ausgezahlt . Am Ende haben
wir ein gutes Ergebnis erzielt .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({1})
Als letzte Rednerin spricht Caren Lay für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch ich möchte mit den positiven Aspekten des
vorliegenden Gesetzentwurfes beginnen und die Punkte
erwähnen, bei denen sich zeigt, dass es sich gelohnt hat,
die Opposition einzubeziehen . Auch dafür will ich mich
natürlich herzlich bedanken .
Mir geht es um die Verbesserung des Kündigungsschutzes von Mieterinnen und Mietern in Gebieten mit
Erhaltungssatzung, also in Gebieten mit angespannten
Wohnungsmärkten. Ich finde es sehr gut, dass hier ein
Punkt aufgegriffen wurde, den der von uns benannte
Sachverständige vom Deutschen Mieterbund in der Anhörung betont hat, nämlich dass wir den Kündigungsschutz von Mieterinnen und Mietern verbessern sollten .
Bislang ist es ja so: Nachdem eine Wohnung von einer
Miet- in eine Eigentumswohnung umgewandelt wurde,
gilt der Kündigungsschutz drei bis maximal zehn Jahre .
Diese Frist wird jetzt verlängert; zukünftig gilt er fünf
bis zwölf Jahre . Das ist zwar nicht ganz die Regelung,
die der Bundesrat vorgeschlagen hat - er hat einen Kündigungsschutz für die Dauer von 7 bis 14 Jahren vorgeschlagen -, aber immerhin ein Schritt in die richtige
Richtung. Ich finde es gut, dass dieser Aspekt aufgegriffen wurde .
({0})
Ich persönlich finde, ehrlich gesagt, dass man in Gebieten mit Milieuschutzsatzung gar nicht umwandeln
sollte, auch dann nicht, wenn die Wohnung dem Mieter
zum Kauf angeboten wird; denn das ist häufig vorgeschoben . Aber darüber können wir ja möglicherweise in
rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen sprechen .
({1})
Das ist mit der Union bestimmt nicht zu machen .
Meine Damen und Herren, die Milieuschutzsatzung
kann den Kapitalismus bestimmt nicht abschaffen, ihn
aber immerhin aufhalten. Deswegen finden wir es gut,
dass in § 172 des Baugesetzbuches etwas geändert wurde . Genauso begrüßen wir die Weiterfassung der Umweltverträglichkeitsprüfung .
Wir finden es auch richtig - das ist, glaube ich, noch
gar nicht angesprochen worden -, die Rechtssicherheit
im Hinblick auf Ferienwohnungen an der Küste, zumindest dort, wo sie gefährdet war, zu stärken . Dies ermöglicht einkommensschwachen Familien den Urlaub und
päppelt auch das Einkommen vieler Küstenbewohner
auf . Gleichzeitig kennen wir das Problem des massiven
Missbrauchs von Ferienwohnungen in Großstädten, wo
Mieterinnen und Mieter verdrängt werden . Dieses Problem gibt es zum Teil natürlich auch in beliebten Küstenorten . Wir kennen auch die Furcht vor sogenannten
Rollladensiedlungen, also leeren Ortschaften, in denen
nichts mehr passiert. Deswegen finden wir es gut, dass
die Kommunen eine Handhabe bekommen und gestärkt
werden, wenn es darum geht, hier zu regulieren . Ich muss
an dieser Stelle aber auch sagen, dass ich allen Ländern
wirklich empfehle, eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung zu erlassen, um den Missbrauch von Ferienwohnungen zu verhindern .
({2})
Meine Damen und Herren, auch wir Linke wollen natürlich lebendige, durchmischte Städte. Wir finden deswegen die Einführung eines urbanen Gebietes richtig .
Ich habe schon bei der ersten Lesung gesagt: Die derzeit
so beliebten Gründerzeitviertel würden heute gar nicht
mehr genehmigt werden . Aber genau das wollen wir ja
häufig: kurze Wege, eine Mischung aus Wohnen und ArDr. Anja Weisgerber
beiten sowie Unterhaltung . Deswegen ist es gut, dass es
das urbane Gebiet gibt .
Beim Lärmschutz sind wir uns nicht wirklich einig geworden; das hat schon mehrfach eine Rolle gespielt . Ich
finde - das habe ich hier auch gesagt -, darüber können
wir reden . Wer in die Stadt zieht bzw . wer in ein Gebiet
zieht, das in der Nähe vorhandener Unterhaltungsangebote liegt, kann natürlich nicht erwarten, dass es dort so
leise ist wie auf dem Dorf; das habe ich ganz klar gesagt .
Ich habe hier auch schon einmal die Position vertreten, dass wir in den Städten - das kann man an Berlin
sehr gut sehen - natürlich auch einen Bestandsschutz für
die bestehenden Clubs brauchen .
({3})
Ich finde es, ehrlich gesagt, amüsant, wenn Leute, die als
Studenten dorthin gezogen sind, weil es dort so schön
munter und lebendig war, zehn Jahre später finden, dass
es dort zu laut ist, und versuchen, gegen die bestehenden
Clubs zu klagen . So geht es natürlich nicht .
Trotzdem hätten wir es vorgezogen, man wäre dem
Vorschlag des Bundesrates nachgekommen und hätte die
Lärmmessung in den Innenraum verlagert . Ja, das wäre
ein Paradigmenwechsel, aber ich finde, einer, der nötig
ist, und ich habe es, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warum es anders gemacht werden soll . Entscheidend ist im
Endeffekt, wie laut oder leise es innen ist.
Ich schlage vor, dass wir hier in den Haushaltsverhandlungen über einen Lärmschutzfonds reden, mit dem
wir lärmschützende Maßnahmen für die Mieterinnen und
Mieter unterstützen, zum Beispiel den Einbau von Hamburger Fenstern . Aber auch die Gewerbebetriebe und die
Clubs müssen abgedichtet werden können, ohne dass sie
um ihre Existenz fürchten müssen .
Ich komme zu meinem letzten Argument: Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil auch
wir den § 13b wirklich für falsch halten . Dadurch wird
der Sinn des Gesetzes, nämlich die Stärkung der Innenentwicklung, wirklich komplett karikiert . Sie befördern
stattdessen mit mehr Eigenheimsiedlungen die Flächenzersiedelung in den Dörfern . Meine Befürchtung ist, dass
man in den Außenbereichen der Großstädte - Stichwort
Gropiusstadt - Sozialwohnungen baut, weil man die Armen nicht in der Innenstadt haben will .
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen . Sie
haben ihre Redezeit deutlich überschritten .
Das finde ich einfach falsch. Deswegen werden wir
die Streichung des § 13b beantragen . Wenn das nicht angenommen werden sollte, müssen wir uns enthalten .
Vielen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht zur
Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt .
Zu der Abstimmung liegen mir mehrere persönliche
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11439,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10942 und 18/11181 in der Ausschussfassung
anzunehmen .
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum einen über Artikel 1
Nummer 16 - Einfügung von § 13b in das Baugesetzbuch - und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen .
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Artikel 1
Nummer 16 in der Ausschussfassung .
({0})
- Wir stimmen jetzt als Erstes über Artikel 1 Nummer 16
in der Ausschussfassung und danach über den Gesetzentwurf im Übrigen ab .
({1})
- Dazu kommen wir später . Jetzt stimmen wir erst über
Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung ab . Ich
glaube, das hat jetzt jeder nachvollziehen können . - Wer
stimmt dem Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der Artikel 1 Nummer 16 in der
Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen des Kollegen Göppel von der CDU/CSU
und der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen worden .
Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/11453 vor, über den wir jetzt
abstimmen .
({2})
- Ja, wir gehen nicht durcheinander vor . - Wer stimmt
für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
abgelehnt worden .
Ich bitte nun diejenigen, die den übrigen Teilen des
Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
1) Anlage 4
Wer enthält sich? - Damit sind die übrigen Teile des
Gesetzentwurfes mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden . Alle Teile des
Gesetzentwurfes sind damit in zweiter Lesung angenommen worden .
Wir kommen damit jetzt auch zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen
worden .
({3})
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/11439 fort . Unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion
Die Linke bei Gegenstimmen durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Ich komme jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/11454 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
jetzt zum nächsten Tagesordnungspunkt, zum Tagesordnungspunkt 16:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({4}), Sven-Christian Kindler,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nicht um jeden Preis - Großprojekte im Zeitund Kostenrahmen realisieren
Drucksache 18/8402
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({5})
Finanzausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
ich kann die Debatte eröffnen.
Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich
aber noch einmal die Kollegen, wirklich die Zeit einzuhalten . Wir sind jetzt bei einem Ende um 2 .10 Uhr . Es ist
einfach unkollegial, wenn man angesichts unserer Zeitlage - das kann man ja schon so sagen - dann auch noch
die Redezeit überzieht . Deshalb bitte ich alle, die Zeit
einzuhalten . Das ist eben leider nicht der Fall gewesen .
Deshalb noch einmal ein Appell an Sie .
Als erster Redner in der Aussprache hat Christian
Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Also mir als Baupolitiker ist es eigentlich peinlich . Deutschland war einmal bekannt für herausragende
bzw . gute Architektur . Das betraf Walter Gropius, Mies
van der Rohe und andere . Heute sind diese Zeiten leider
längst vorbei . Wir sind in der Welt eher für Planungsdesaster als für gut realisierte Architektur bekannt .
40 Prozent der Projekte, die über einem Kostenrahmen von 10 Millionen Euro liegen, sprengen diesen Rahmen sowie auch den Zeitrahmen . Ich glaube, dies ist der
Zeitpunkt, wo wir wirklich darüber nachdenken müssen,
ob wir in Deutschland nicht einfach anders planen und
mit Großprojekten anders umgehen sollten .
({0})
Das Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie war
wahrscheinlich eines der teuersten der Geschichte . Es
wurden dafür vom Steuerzahler 600 Millionen Euro
mehr als vorgesehen hingelegt . In meinem Bundesland
Baden-Württemberg bauen wir einen Bahnknoten aus,
der 1995 einmal 2,5 Milliarden Euro hätte kosten sollen .
Heute liegen die Kosten irgendwo zwischen 7 Milliarden
Euro und 10 Milliarden Euro . Es gibt also eine Vervierfachung der ursprünglich veranschlagten Kosten . Der BER
kostet mittlerweile 2,9 Milliarden Euro mehr . Das ist eine
Verdoppelung der veranschlagten Baukosten . Den Steuerzahler kostet das - wegen der Nichteröffnung - jeden
Tag 1,3 Millionen Euro .
Ich finde, es ist jetzt endlich an der Zeit, dass wir uns
als Politik ehrlich machen und nicht mehr zulassen, dass
solche Projekte gegen die Wand gefahren werden .
({1})
Dafür gibt es drei ganz einfache Regeln, die wir in unserem Antrag letztlich mit vielen Maßnahmen unterlegen .
Erstens geht es dabei um die Ehrlichkeit bei den Zahlen,
zweitens um den Grundsatz: Erst planen und dann bauen .
Und drittens sollten staatliche Aufgaben durch staatliche
Stellen erledigt werden .
Erstens. Jedes Großprojekt des Bundes sollte, finden
wir, in Zukunft eine realistische Kostendarstellung erhalten, also die Risiken der Zukunft eingepreist haben, etwa
Inflation und anderes. Ich glaube, wir brauchen endlich
Kostenwahrheit . Es ist doch peinlich, wenn wir ein Projekt beschließen und nach zehn Jahren schließlich erklären müssen, warum es doppelt so teuer geworden ist . Das
ist nicht gut für die Politik, weder für ihr Ansehen noch
für den Staat als Bauherrn .
({2})
Zweitens . Gut geplant ist halb gebaut . Wir sollten darauf achten, dass in Deutschland kein Bauprojekt mehr
angefangen wird, bei dem die Planungen noch nicht beVizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
endet sind . Als Bund können wir das bei unseren eigenen Projekten tun . Da sollten wir Vorbild sein . Also: Erst
planen und dann bauen . Ferner müssen wir gutes Planen
fördern . Wir müssen die Bauverwaltungen mit mehr Personal ausstatten, damit das Controlling auf den Baustellen effektiv funktionieren kann.
Drittens . Wir sollten davon Abstand nehmen, staatliche Aufgaben durch sogenannte öffentlich-private Partnerschaften realisieren zu lassen . ÖPP ist intransparent .
Es ist in der Finanzierung vergleichsweise teuer . Es führt
am Ende dazu, dass wir als Parlamentarier keine richtige
Kontrolle mehr über diese Projekte haben . Diese brauchen wir aber dringend . Deswegen sagen wir ganz klar:
Finger weg von ÖPP, gerade bei Großprojekten!
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese
drei Regeln beherzigen . Lassen Sie uns darauf achten,
dass bei Großprojekten Kostenexplosionen nicht zum
Dauerzustand werden . Lassen Sie uns Großprojekte endlich richtig in den Blick nehmen und kontrollieren . Ich
finde, die Bundesregierung muss beispielsweise beim
Hauptstadtflughafen als Anteilseigner energischer auftreten und Druck machen, damit die Kosten nicht weiter aus
dem Ruder laufen .
Lassen Sie uns Planungsdesaster in Zukunft vermeiden . Denn es schadet der Politik; es schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland; es schadet auch dem Architekturstandort Deutschland . Das können wir uns nicht
leisten .
Danke schön .
({4})
Als nächster Redner hat Christian Haase für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gewissenhaft wie ich bin, versuche ich, alle Anträge der
Grünen ernst zu nehmen .
({0})
In diesem Fall hieße das - etwas polemisch gesagt -: Wir
sollten in Deutschland am besten gar nicht mehr bauen .
({1})
Die Argumentation liest sich folgendermaßen:
({2})
Großprojekte sind viel zu teuer . Also: Lasst uns viel Geld
ausgeben, um die Bauverwaltung aufzublähen . Diese
kann dann lang und ausgiebig prüfen, um am Ende festzustellen, dass gar nicht gebaut wird . - So stellen sich die
Grünen offenbar Investitionen in die Zukunftsfähigkeit
unseres Landes vor .
({3})
Dabei ist es völlig richtig, dass bei den im Antrag genannten Großprojekten viel falsch gelaufen ist .
({4})
Dafür werden zutreffende Gründe genannt: mangelnde
Kompetenz, politische Änderungswünsche und fehlende
Öffentlichkeitsarbeit. Aber der Handlungsbedarf ist doch
längst erkannt . Die Bundesregierung hat im letzten Jahr
einen Reformbericht vorgelegt, der viele richtige Punkte
benennt . Wie Sie angesichts von neun Handlungsfeldern
und 34 Maßnahmenempfehlungen im Bericht - Herr
Hofreiter, ich hoffe, Sie kennen diese Dinge - und der
Ankündigung eines jährlichen Sachstandsberichtes Bundesbau darauf kommen, dass es - ich zitiere aus Ihrem
Antrag - „keine weitergehende Initiative“ gibt, ist mir
wirklich ein Rätsel .
Einen der vielversprechenden Lösungsansätze schließen Sie von vornherein kategorisch aus . Im Antrag wird
der vollständige Verzicht auf öffentlich-private Partnerschaften gefordert - mit der fadenscheinigen Begründung, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen zu
diesem Thema . Herr Kühn, das ist doch Ideologie pur .
Klar: Es gibt bei ÖPP-Projekten Risiken, aber diese Partnerschaften sind doch kein Teufelswerk . Mit klaren Regeln und weihwasserdichten Verträgen kann man das in
den Griff bekommen.
Natürlich muss man bei der Auswahl der privaten
Partner auf Qualität und Seriosität achten . Aber anstatt
ÖPP-Projekte zu untersuchen und zu verbessern, wollen
Sie sie einfach abschaffen. Das ist mal wieder grüne Verbotspolitik in Reinkultur .
({5})
ÖPP ist ein guter Ansatz, um Gemeinwohlorientierung
und effiziente Leistungserbringung zusammenzubringen.
Spezialisierte Unternehmen haben langjährige Erfahrungen im Bau von Großprojekten, anders als viele öffentliche Bauverwaltungen, die solche Projekte vielleicht alle
zehn Jahre einmal stemmen müssen . Selbst die BundesChristian Kühn ({6})
bauverwaltung stellt pro Jahr nur etwa 20 Hochbauprojekte fertig .
Herr Kühn, woher sollen denn Ihrer Meinung nach die
Spezialisten, die Sie fordern, kommen? Der Arbeitsmarkt
ist leergefegt . Das kann niemals von dem einen auf den
anderen Tag geschehen, so wie Sie sich das vorstellen,
weil diese guten Leute in den Unternehmen arbeiten .
Deshalb ist es viel, viel besser, wir arbeiten mit diesen
privaten Unternehmen zusammen, als sie zu verteufeln .
({7})
Meine Damen und Herren, wie machen wir Großprojekte denn nun zum Erfolg? Ein Hauptgrund für die vielen Negativbeispiele ist sicherlich die Komplexität, verbunden mit dem hohen Kostendruck . Nur Insidern sagen
Begriffe wie „RBBau“, „RZBau“ und „ZBau“ etwas.
Das sind die kleinteiligen Regelungen zur Umsetzung
öffentlicher Bauvorhaben. Natürlich: Wir brauchen Regeln . Aber eine Entrümpelung dieser Vorschriften wäre
ein guter Schritt zum Bürokratieabbau . Das wäre ein
sicherlich guter Beitrag der Politik, die Komplexität zu
senken und die Effizienz zu steigern.
({8})
Kommen wir zu den Kosten . Anbieter sind regelrecht
gezwungen, zu günstige Angebote zu machen, wenn sie
überhaupt eine Chance bei den Ausschreibungen haben
wollen . Dabei sind die Planungs- und Ausführungsphasen bei Großprojekten viel zu lang, um belastbare Aussagen über Baukosten und Bauzeiträume zu treffen. Nachher darf es natürlich nicht verwundern, wenn die Kosten
explodieren . Man muss sich am Anfang ehrlich machen,
auf höhere Qualität setzen und von Anfang an die Preisentwicklung und andere Risiken einplanen .
({9})
Das ist auch nötig, um die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen . Wir dürfen nicht den Eindruck erzeugen, dass
ihre Steuergelder verschwendet werden . Aber genau das
passiert, wenn die Summen Stück für Stück im Nachhinein nach oben korrigiert werden müssen . Wenn man von
Anfang an ehrlich plant, wächst auch die Akzeptanz für
Großprojekte .
Es ist ja nicht so, dass Großprojekte grundsätzlich
zum Scheitern verurteilt sind . Das Berliner Stadtschloss
zeigt, dass man mit der richtigen Herangehensweise auch
bei einem großen Projekt Erfolg haben kann .
({10})
Angefangen bei der frühzeitigen Bürgerbeteiligung über
eine strukturierte und realistische Planung bis hin zu einer soliden Finanzierung einzelner Bauabschnitte wurde
hier vieles richtig gemacht . Das Berliner Stadtschloss ist
ein Best-Practice-Beispiel, wie man Großprojekte anpackt .
Meine Damen und Herren, Einsicht ist der erste
Schritt zur Besserung . Im Gegensatz zu den Grünen bin
ich daher sehr zuversichtlich, dass wir unsere Effizienz
bei Großprojekten in Zukunft steigern werden . Viele dieser Projekte bringen unser Land kulturell, technologisch
und wirtschaftlich voran . Darauf können und sollten wir
nicht verzichten .
Vielen Dank .
({11})
Sabine Leidig hat als nächste Rednerin für Die Linke
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Der Antrag der Grünen enthält nichts, von
dem wir nicht sagen würden: Das ist gut . - Allerdings
gehen Sie gutwillig davon aus, dass die Bundesregierung
die Großprojekte eigentlich im Kosten- und Zeitrahmen
realisieren will, aber nicht die richtigen Instrumente zur
Verfügung hat oder nicht genügend kompetent ist . Ich
teile, ehrlich gesagt, diese optimistische Grundhaltung
nicht .
({0})
Im letzten Jahr sind zwei echte Megaprojekte in Betrieb gegangen: der Gotthardtunnel in der Schweiz und
der neue, stark ausgebaute Panamakanal . Bei beiden
Großprojekten wurde der Kosten- und Zeitrahmen weitgehend eingehalten . Also: Was im Nachbarland Schweiz
oder gar in dem mittelamerikanischen Kleinstaat Panama
möglich ist,
({1})
sollte doch auch hier machbar sein, zumal es in der
Schweiz übrigens teilweise die gleichen Baukonzerne sind, die den Plan dort einhalten und hierzulande
die Großprojekte aus dem Ruder laufen lassen . Vielleicht steckt ein bisschen System dahinter, wenn es bei
Großprojekten schiefläuft.
Auch hierzulande sind in bestimmten Zeiten, in den
1980er-Jahren, Dutzende Autobahnen, Flughäfen, Bahnneubaustrecken und mit Kassel-Wilhelmshöhe auch ein
großer Bahnhof neu und im Zeit- und Kostenrahmen gebaut worden .
Heutzutage sieht aus meiner Sicht das systematische
Problem folgendermaßen aus: Man schaltet bestehende Gesetze und Kontrollmechanismen aus und lässt auf
diese Weise denen, die von den Bauzeitverlängerungen
und von den Kostensteigerungen profitieren - die gibt es
auch; es ist ja nur die öffentliche Hand, es sind die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die drauflegen -, freien
Raum . Kostensteigerungen sowie fehlende Transparenz
und Kontrolle bei Großprojekten werden im Grunde regierungsseitig ermöglicht .
Dazu gehört - das ist vielleicht sogar der wichtigste
Punkt -, dass Gutachten und Empfehlungen des Bundesrechnungshofes und der Landesrechnungshöfe von Vertretern der Bundesregierung nicht nur ignoriert, sondern
auch diskreditiert werden . Das taucht in Ihrem Antrag
leider gar nicht auf . Dabei sind die Rechnungshöfe im
Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder verankerte Kontrollinstitutionen . Sie funktionieren eigentlich
sehr gut, bzw . sie würden funktionieren, wenn man auf
sie hören und ihre Rechte und Kompetenzen stärken statt
schwächen würde .
In Ihrem Antrag, liebe Grüne, heißt es, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen zu den Kosten von
ÖPP-Projekten . Sie fordern den Verzicht auf ÖPP . Das
finden wir super. Da sind wir ganz beieinander. Aber der
zitierte Satz ist nicht richtig . Es gibt diese unabhängigen
Untersuchungen, und diese belegen das Gegenteil dessen, was zum Beispiel Herr Dobrindt und seine Freunde
behaupten . Sie belegen: ÖPP verteuert Projekte massiv .
Viele davon werden mit ÖPP in den Sand gesetzt . Es waren die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, die
die Belege dafür erbracht haben . Große Publikationen
sind dazu erschienen .
Nehmen wir Stuttgart 21 . Dazu stehen ein bisschen
schmallippig in Ihrem Antrag drei Zeilen . Es wird von
6,5 Milliarden Euro überhöhten Kosten gesprochen . Das
ist ein bisschen erstaunlich . Wir wissen aus dem Gutachten von Vieregg-Rössler, dass die Kosten bei 10 Milliarden Euro liegen werden. Mit Veröffentlichung des
Gutachtens des Bundesrechnungshofes sehen wir das bestätigt . Was machen die Bundesregierung und die Deutsche Bahn? Sie behaupten entweder, den Bericht nicht
zu kennen, oder, dass er von falschen Voraussetzungen
ausgehen würde . Dabei wissen eigentlich alle, dass der
Bundesrechnungshof recht hat .
Zum Schluss . Sie schreiben in Ihrem Antrag - das
wurde gerade schon moniert -, dass die Bundesregierung
zwar eine Analyse veröffentlicht habe, aber keine Initiative habe, um die Kosten von Großprojekten zu senken .
Tatsächlich hat Herr Dobrindt einen 100 Seiten starken
Endbericht vorgelegt . Darin wird unter anderem empfohlen, außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren einzuführen . Das heißt, private Schiedsgerichte sollen etabliert
werden, um zwischen der öffentlichen Hand und den privaten Akteuren auszugleichen, jenseits der vorhandenen
Institutionen .
Frau Leidig, ich muss auch Sie bitten, zum Schluss
zu kommen . Auch Sie haben Ihre Redezeit schon wieder
spürbar überschritten .
Das wäre die gleiche Richtung, in die Sie auch mit
TTIP und CETA ziehen wollen . Das lehnen wir ab . Ich
kann nur hoffen, dass wir gemeinsam verhindern können, dass eine solche Verschleierungstaktik auf Kosten
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingeführt wird .
Danke .
({0})
Der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold
hat als nächster Redner das Wort für die Bundesregierung .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Christian
Kühn, manchmal ist dein Gedächtnis doch ein bisschen
schlecht ausgeprägt . Wir hatten vor, glaube ich, einem
Dreivierteljahr eine gute Sitzung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, in der alle,
auch die Grünen, den Bericht, den Barbara Hendricks
vorgelegt hat, gelobt haben . In diesem Bericht haben
wir 300 Hochbauprojekte der letzten 15 Jahre analysiert
und sind zu dem Ergebnis gekommen, das auch du zitiert
hast, nämlich dass 60 Prozent im Zeit- und Kostenrahmen liegen, aber viel zu viele, nämlich 40 Prozent, nicht .
Dann haben wir eine Ursachenanalyse gemacht und
einen Maßnahmenkatalog mit 38 Einzelmaßnahmen vorgestellt, die jetzt in der Umsetzung sind und Stück für
Stück abgearbeitet werden . Es ist schön, dass du große
Teile deines Antrags aus diesem Bericht abgeschrieben
hast - dafür bin ich dir dankbar -, aber das mit der Behauptung zu verbinden, wir würden an der Stelle nichts
tun, ist verkehrt . Es ist Barbara Hendricks gewesen, die
genau diese Punkte aufgegriffen und einen klaren Kurswechsel für die Zukunft eingeleitet hat . Das ist die Wahrheit .
({0})
Liebe Frau Leidig, die Streitschlichtungsverfahren,
die auch der Kollege Dobrindt für seinen Bereich vorgeschlagen hat, gibt es bei uns im Hochbau schon lange .
Das hat überhaupt nichts mit Schiedsgerichten zu tun .
Ich will Ihnen einfach einmal sagen, was da tatsächlich
passiert .
({1})
Ich bin zurzeit Bauherr beim Berliner Schloss, wo
alles Gott sei Dank im Zeit- und Kostenrahmen ist . Ich
kann Ihnen sagen, dass es mit Einzelnen, die dort auf
dem Bau tätig sind, Streit gibt, weil sie behaupten, sie
hätten alles erfüllt, wir als Bauherr aber sagen: Das ist
mangelhaft . - Dann sagen diese Firmen: Wenn wir streiten, stellen wir erst einmal den Bau ein . Dann könnt ihr
schauen, wo ihr bleibt . - Wenn das so passieren würde das ist oft genug passiert -, dann geraten alle anderen Gewerke, die darauf aufbauen, auch in Verzögerung . Dann
entsteht ein Dominoeffekt, und zum Schluss führt das zu
Baukostensteigerungen .
Deswegen machen wir nichts anderes, als dass wir
partnerschaftlich damit umgehen und sagen: Lasst uns
die Sachen festhalten . Lasst uns da einen Prozess durchführen, der den Bau nicht verzögert, und im Anschluss
daran diese streitigen Dinge entscheiden . Nichts anderes
machen wir da . Das hat sich bisher bewährt .
Wir haben festgestellt, dass es sehr unterschiedliche
Ursachen dafür gibt, dass Projekte aus dem Zeit- und
Kostenrahmen laufen . Ich sage einmal - genauso wie es
im Antrag der Grünen steht und wie es alle in diesem
Haus teilen -: Wir verwalten Steuergelder . Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben einen Anspruch darauf, dass wir mit dem uns anvertrauten Geld gut umgehen . Deswegen ist uns jede Zeitverzögerung und jede
Kostensteigerung ein Dorn im Fleisch, und das wollen
wir alle nicht .
({2})
Jetzt muss man sich aber einmal anschauen, wo die
Ursachen liegen . Die Ursachen sind vielfältig . Dieselbe
Bundesbauverwaltung, die beim Pergamon-Museum tatsächlich Probleme hat, hat drei Museen auf der Museumsinsel im vorgesehenen Zeit- und Kostenrahmen fertiggestellt . Da kann man doch nicht einfach sagen: Die
öffentliche Verwaltung ist nicht in der Lage, im Zeit- und
Kostenrahmen zu bauen . - Da muss man sich doch anschauen, wo die Gründe dafür liegen . Die Gründe sind
vielfältig . Wir haben zum Beispiel ein Vergaberecht, das
oft von Firmen auch dazu benutzt wird, Verzögerungen
zu produzieren. Ich finde, da müsste man einen Hebel
ansetzen . Da sind wir auch dran . Das kommt in unserem
Bericht vor, und die Grünen haben es gut abgeschrieben .
Es ist ja schön, wenn wir uns da einig sind . Wir müssen
bloß die EU-Kommission davon überzeugen, dass wir
das europarechtsfest hinkriegen . Natürlich hat einer, der
bei einer Ausschreibung ungerechtfertigterweise unterliegt, einen Schadensersatzanspruch . Aber es geht nicht
an, dass er die Möglichkeit hat, den ganzen Bau zu blockieren . Das wollen wir für die Zukunft ändern, und wir
sind bereits auf dem Weg .
Wir stellen übrigens auch fest, wenn wir als Bundestag bauen - das ist einer der Punkte, die ihr auch von
uns abgeschrieben habt -, dass man vorher wissen muss,
was man haben will . Wenn man in der Bauphase anfängt,
Änderungen bei der Nutzung vorzunehmen, dann wird es
teuer . Das haben alle, die hier sitzen, bei vielen Projekten getan . Deswegen sollten wir uns an die eigene Nase
fassen und so, wie wir das beim Schloss auch machen,
sagen: Nein, während der Bauphase wird nichts mehr
geändert, sondern wir wollen die Planung vorher haben,
und zwar so exakt, dass man das Projekt entsprechend
ausschreiben kann .
Ferner muss man sagen, dass über 20 Jahre lang eine
Ideologie geherrscht hat, unter der behauptet worden ist,
der Staat sei zu fett, und man hat eingespart . Wir erleben jetzt - nicht nur bei der Bundesverwaltung, sondern
auch bei den Kommunen -, dass es viel zu wenig Leute
gibt, die überhaupt noch die Bauabläufe auf Bauherrenseite kontrollieren können . Darum haben wir im Zuge der
letzten Haushaltsberatungen beim BBR 80 neue Stellen
geschaffen, damit dieses Defizit ausgeglichen wird und
der Bund als Bauherr überhaupt in der Lage ist, die Dinge, die er in der Hand hat, selber zu kontrollieren, wenn
er sie schon selber nicht machen kann .
Das sind die Voraussetzungen, die wir jetzt schaffen,
damit das zukünftig so nicht mehr auftritt . Viele Dinge,
die gemacht werden - es sind ja einige da, die auch in der
Bau- und Raumkommission des Deutschen Bundestages
sitzen und unsere Bundestagsbauten mit begleiten -, hängen nicht vom Bund ab, sondern wir sind sehr oft auf
Baufirmen, Planungsfirmen und andere angewiesen, die
schlecht erfüllen . Da kommt es dann zu Zeitverzögerungen und zu Kostensteigerungen, die wir zum Schluss,
wenn wir Glück haben, über eine gute Versicherung vielleicht wieder ausgleichen; manchmal ist das aber nicht
der Fall . Das ist doch ein Ärgernis . Das, was wir machen können, ist in dem Bericht von Barbara Hendricks
in 38 Themenfeldern aufgeführt . Es war, glaube ich, der
erste Bericht, der diesem Haus vorgelegt worden ist, in
dem man schonungslos alle Ursachen aufgezeigt hat, die
dazu führen, dass es zu Zeitverzögerungen und Baukostensteigerungen kommt .
Einer der Gründe ist auch, dass man von Anfang an
eine falsche Darstellung macht . Das Haushaltsrecht, das
wir uns gemeinsam gegeben haben, erlaubt es im Regelfall nicht, dass man die zu erwartenden Kosten und die
Baukostensteigerungen schon bei der ersten Beschlussfassung mit ausweist . Wenn ein Projekt 10 oder 15 Jahre
dauert, dann wird es vielleicht 10 oder 20 Millionen Euro
teurer, ohne dass irgendetwas Überraschendes passiert,
einfach weil es eine Inflationsrate gibt. Aber es schaut
nachher so aus, als wären wir zu blöd, das in dem vorgesehenen Kostenrahmen fertigzustellen. Ich finde, zur
Transparenz gehört auch, dass man von Anfang an solche
Risiken und solche Preisentwicklungen offen darstellt.
Das wäre auch ein Gewinn für Transparenz und Bürgerakzeptanz an dieser Stelle .
({3})
Liebe Grüne, ihr habt schön abgeschrieben . Aber man
muss jemanden, der überzeugt ist, die Dinge zu ändern,
nicht dazu anstiften . Darum herzlichen Dank für die Gelegenheit, dass wir unsere gute Arbeit hier noch einmal
darstellen durften .
({4})
Als letzter Redner in der Aussprache hat Florian
Oßner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich den Antrag der Grünen zum ersten
Mal in der Hand hatte, musste ich zweimal das Datum
kontrollieren . Aber nein, es handelt sich nicht um einen
Aprilscherz . Die Partei, die sich bislang eher als Verhinderer und nicht als Befürworter von Infrastruktur- und
Großprojekten hervorgetan hat, fordert tatsächlich ein
Programm zur Einhaltung der Zeit- und Kostenrahmen
bei Großprojekten ein . Unglaublich!
Viele Großprojekte werden bekannterweise durch
ständiges Störfeuer und Klagen von grünen Verbänden
vor Ort unnötig in die Länge gezogen oder gar verhindert .
({0})
Damit steigen natürlich zwangsläufig auch die Kosten.
({1})
Denn was wird günstiger, wenn man es bewusst in die
Länge zieht? Sehr geehrte Kollegen der Grünen, am
meisten wäre uns und den Großprojekten in Deutschland
geholfen, falls Sie das ewige Nörgeln, Aufwiegeln der
Bevölkerung und ständige Neinsagen vor Ort endlich beenden würden .
({2})
Insofern ist der Antrag der Grünen schon mal eine gute
Sache und geht in die richtige Richtung .
({3})
Allerdings scheinen Sie übersehen zu haben, dass der
damalige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Peter Ramsauer, bereits im Jahr 2013 die
Reformkommission Bau von Großprojekten ins Leben
gerufen hat . Diese hat bereits im Juni 2015 ihren Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen für Politik,
Wirtschaft und Verwaltung vorgelegt, also weit vor Ihrer
Antragstellung . Es schadet sicherlich nicht, wenn man
sich informiert, bevor man einen Antrag stellt,
({4})
liebe Kollegen von den Grünen und Herr Hofreiter . Aber:
Besser ist die späte Einsicht als keine Einsicht .
Auf der Grundlage der Kommissionsempfehlungen
wurde daraufhin der „Aktionsplan Großprojekte“ erarbeitet, der Ende 2015 im Bundeskabinett verabschiedet
wurde . Lassen Sie mich bitte kurz auf folgende einzelne
Punkte eingehen:
({5})
Es soll sichergestellt werden, dass mit dem Bau erst
dann begonnen wird, wenn für das genehmigte Bauvorhaben die Ausführungsplanung mit detaillierten Angaben
zu Kosten, zu Risiken und zum Zeitplan sowie eine integrierte Bauablaufplanung im Team vorliegen . Also: Erst
planen, dann bauen . Ich denke, da sind wir uns einig .
Bei der Vergabe sollen stärker als bisher qualitative
Wertungskriterien wie zum Beispiel der technische Wert,
die Betriebs- und Folgekosten und die Qualität der Auftragsdurchführung einbezogen werden . Also: Vergabe an
den Wirtschaftlichsten, nicht den Billigsten .
Um entstehende Konflikte möglichst nicht eskalieren
zu lassen, sondern frühzeitig zu lösen und damit kostspielige Gerichtsverfahren zu vermeiden, sollen geeignete Streitbeilegungsmechanismen stärker genutzt werden,
also die außergerichtliche Streitbeilegung .
Die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für öffentliche Großprojekte setzt den Nachweis einer angemessenen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung einschließlich einer
Begründung für die Auswahl des Beschaffungsmodells
voraus .
({6})
Das BMVI, das Bundesministerium für Verkehr und
digitale Infrastruktur, treibt die digitale Revolution im
Baubereich zügig voran . Hier gilt der ganz besondere
Dank unserem Bundesminister . Alexander Dobrindt hat
maßgeblich dazu beigetragen, dass in den Bereich der
Entwicklung innovativer Bauplanung in Deutschland
erheblich Bewegung gekommen ist . Ein herzliches Dankeschön dafür!
({7})
Es gilt die Maxime: Erst digital, dann real bauen . Der
Stufenplan Digitales Planen und Bauen des BMVI hat
hierfür bereits den Weg geebnet . Building Information
Modeling - kurz gesagt: BIM - wird bis 2020 Standard
bei neuen Verkehrsinfrastrukturprojekten des Bundes
sein . In der ersten Vorbereitungsphase wurden vier geeignete Pilotprojekte beauftragt und begleitet . Dabei wurden
Strukturen, Prozessabläufe und Interaktionen analysiert
und ausgewertet . Die Schnittstellen spielen dabei eine
ganz besondere Rolle . Dadurch wurden noch nicht ausgenutzte Potenziale identifiziert. Das 5D-Modell wurde
geschaffen. Über das sehr bekannte 3D-Modell hinausgehend, werden nun also noch die Funktionen Kosten
und Zeit implementiert . In Bayern, so zum Beispiel beim
Bau der Bundesstraße B 15 neu, haben wir damit schon
erste sehr gute Erfahrungen gesammelt . Deutschland insgesamt wird mit dem System zukunftsfest gemacht .
Wie man sehen kann, sind wir bereits auf dem besten Wege, Großprojekte zukünftig besser und effizienter
zu planen und umzusetzen . Alle hierzu erforderlichen
Schritte sind bereits eingeleitet, sodass für den Antrag
der Grünen definitiv kein Bedarf mehr besteht und er damit unnötig wird .
Darum sage ich: Ein herzliches „Vergelts Gott!“ fürs
Zuhören .
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8402 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
auch so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie den Zusatzpunkt 10 auf:
20 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Share Economy - Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen
Drucksache 18/11399
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter
Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Share Economy - Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen
Drucksache 18/11411
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist das jetzt
auch so geschehen .1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/11399 . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser
Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Zusatzpunkt 10 . Interfraktionell wird Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 18/11411 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
ist das auch so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Güterkraftverkehrsge-
setzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes
zur Regelung der Arbeitszeit von selbständi-
gen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgeset-
1) Anlage 5
zes und des Gesetzes über die Errichtung eines
Kraftfahrt-Bundesamtes
Drucksache 18/10882
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({1})
Drucksache 18/11431
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11431, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10882 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition
angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11431 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung
Drucksachen 18/10884, 18/11025 Nr. 2,
18/11443
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Michael Thews von der SPD-Fraktion das Wort .
({3})
2) Anlage 6
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Klärschlamm kann eine ziemlich zähe Masse sein,
und zäh und langwierig war auch die Neuordnung der
Klärschlammverordnung . Seit fast zehn Jahren wird an
der Novelle gearbeitet . Deswegen ein besonderes Lob
an Barbara Hendricks und das BMUB, dass es gelungen
ist, diesen Gesetzentwurf jetzt vorzulegen . Ich weiß, dass
viele Gespräche und Vermittlungen notwendig waren .
({0})
Im Mittelpunkt der jahrelangen Diskussion stand die
Frage über den Nutzen und den Schaden der Ausbringung von Klärschlamm als Dünger auf landwirtschaftliche Nutzflächen sowie die Notwendigkeit der Phosphorrückgewinnung . Klärschlämme enthalten auf der einen
Seite wertvolle Pflanzennährstoffe. Deshalb werden sie
als Dünger eingesetzt . Aber sie enthalten auch anorganische Schadstoffe wie Blei oder Quecksilber sowie organische Schadstoffe wie Dioxine, PCB, PFT, aber eben
auch Arzneimittelrückstände und sogar Krankheitserreger . Letzten Endes muss uns klar sein: Alles, was unser
Abwasser belastet, landet in den Kläranlagen und letztendlich auch im Klärschlamm .
Bereits bei der Agrar- und Umweltministerkonferenz
im Jahr 2001 forderten einzelne Bundesländer das Verbot
der Ausbringung auf landwirtschaftliche Flächen . 2007
wurde daher ein Entwurf für eine neue Klärschlammverordnung vorgelegt, der eine Einschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung und vor allem strengere Grenzwerte für anorganische und organische Schadstoffe vorsah.
Also bereits 2007 war allen Beteiligten klar, dass ein
Weiter-so in der Klärschlammverwertung nicht möglich
ist . Trotzdem kam keine Einigung zustande . Dabei sprachen die Erkenntnisse aus dem Umweltbundesamt eine
deutliche Sprache . In mehreren Studien und Berichten
seit 2011 kam man zu dem Ergebnis, dass Schadstoffe
in den Nahrungskreislauf gelangen können, und zu der
Schlussfolgerung, dass Monoverbrennung von Klärschlämmen bei gleichzeitiger Rückgewinnung von Phosphor die geeignetste Entsorgungsmethode ist .
Immer wieder tauchen auch heute Probleme bei der
Ausbringung von Klärschlämmen auf den Böden auf . So
führen neue Arzneimittelrückstände und auch das aktuelle Thema Mikroplastik - kleinste Kunststoffteilchen,
die auf dem Weg der landwirtschaftlichen Nutzung von
Klärschlämmen in die Gewässer und die Meere gelangen, wo sie bereits zu einem globalen Umweltproblem
geworden sind - dazu, dass wir neue Wege gehen müssen . Ich meine, hier muss gehandelt werden . Dies können
wir nicht weiter zulassen .
({1})
Der Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Nutzung
ist wegen der möglichen Gefährdung von Umwelt und
Menschen notwendig . Hier stimme ich hundertprozentig
dem Umweltbundesamt zu, genauso wie der Einschätzung, dass bei einem Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Nutzung eine Phosphorrückgewinnung wegen der
Bedeutung von Phosphor als Pflanzennährstoff notwendig ist .
Der vorliegende Entwurf zur Neuordnung der Klärschlammverordnung hat daher zwei Schwerpunkte . Zum
ersten Mal werden die Betreiber von Abwasserbehandlungsanlagen als Klärschlammerzeuger und die Betreiber von Klärschlammverbrennungsanlagen oder -mitverbrennungsanlagen grundsätzlich dazu verpflichtet, den in
Klärschlamm bzw . in Klärschlammaschen enthaltenen
Phosphor nach einer gestaffelten Übergangsfrist von
12 bzw . 15 Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung
zurückzugewinnen . Warum so lange Übergangsfristen,
wenn doch die Diskussion schon so lange andauert? Das
hat einen relativ einfachen Grund . Es müssen ganz neue
Kapazitäten im Bereich der Klärschlammverbrennung
und natürlich auch bei Verfahren zur Phosphorrückgewinnung aufgebaut werden . Dazu ist der komplette Neubau von entsprechenden Anlagen notwendig . Von der
Planung über die Genehmigungsphase bis zur baulichen
Fertigstellung benötigen wir natürlich Zeit . Aus diesem
Grund sind die entsprechenden Übergangszeiten festgeschrieben worden . Ich bin überzeugt, dass in diesem
Zeitrahmen der Umstieg gelingen kann . Den Startschuss
setzen wir heute mit dieser Verordnung .
Der zweite Schwerpunkt ist der Phosphor selbst .
Phosphor ist ein wichtiger Rohstoff für die Landwirtschaft . Die Europäische Kommission hat mit Datum vom
26. Mai 2014 Phosphor als kritischen Rohstoff eingestuft . Noch gibt es keine akuten Engpässe; aber viele Abbaustätten von Phosphor liegen in Krisenregionen, und
der Bedarf steigt ständig . Im Sinne eines nachhaltigen
Ressourcenschutzes und der Verringerung der Importabhängigkeit müssen wir Phosphor aus dem Klärschlamm
wiedergewinnen und als Sekundärstoff einsetzen. Dies
ist praktizierte Kreislaufwirtschaft .
Bei den Verfahren werden bewusst keine technischen
Vorgaben gemacht, um zukünftige Innovationen zu ermöglichen . Es ist zu erwähnen, dass es bereits lange Zeit
Forschung in diesem Bereich gibt und eine Reihe von
technischen Verfahren in Pilotanlagen getestet wurden .
Wir fangen nicht bei null an, sondern haben schon jetzt
die Möglichkeit, bekannte Verfahren umzusetzen .
Noch ein Wort zu den Kosten . Klärschlammentsorgung kostet Geld; der Bau neuer Anlagen ist auch nicht
umsonst . Aber glaubt irgendjemand, dass die Einhaltung
strengerer Grenzwerte und die Erfüllung der Anforderung, Medikamentenrückstände und Mikroplastik aus
dem Umweltkreislauf zu beseitigen, umsonst zu haben
sind? Die zukünftigen Kosten hängen an vielen Faktoren, wie zum Beispiel an den Preisen für Energie oder für
Phosphor auf dem Weltmarkt . All jene, die behaupten,
sie könnten heute schon eine generelle Verteuerung voraussagen, haben wohl eher in die Glaskugel geschaut; sie
wissen es schlicht nicht .
Angesichts der Belastungen für den Boden haben bereits viele Abwasserverbände und Betreiber von Kläranlagen längst die Konsequenzen gezogen und sind aus der
landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung ausgestiegen . Nur noch ein Drittel des Klärschlamms wird in der
Landwirtschaft verwertet .
Sehr geehrte Damen und Herren, mit der heute vorgelegten Verordnung werden wir die Klärschlammverwertung verbessern. Wir setzen die fünfstufige
Abfallhierarchie fort, beginnen den Einstieg in die
Phosphorrückgewinnung und schränken die negativen
Auswirkungen auf Umwelt, Boden, Gewässer und den
Nahrungskreislauf ein . Nach einer über zehnjährigen
Vorarbeit sind wir nun auf dem richtigen Weg .
Vielen Dank .
({2})
Vorbildlich! - Als nächster Redner hat Ralph Lenkert
für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Klärschlamm ist unappetitlich, aber er
fällt nun einmal beim Reinigen unserer Abwässer an . Im
Klärschlamm gibt es nützliche Bestandteile wie Phosphor, bedenkliche wie Polyamide, also Kunststoffe, und
giftige wie Schwermetalle .
Für mich als Techniker hat dieser Verordnungsentwurf
der Koalition doch ein paar lobenswerte Ziele: Strengere Normen gelten beim Ausbringen von Klärschlamm in
der Landwirtschaft . Das schützt unser Essen vor Schwermetallen und Kunststoffen. Auch die Differenzierung der
Methoden zur Behandlung von Klärschlamm nach seiner Zusammensetzung und nach anfallender Menge hilft
kleinen und mittleren Abwasserbetrieben . Dass Klärschlamm überwiegend verbrannt werden soll, begrüßt
die Linke .
Wie Sie es nicht anders erwarten, hat diese Verordnung für uns aber leider auch einige bedenkliche und
schädliche Bestandteile .
({0})
Es ist bedenklich, wenn Sie fordern, dass die Abwasserreiniger den Mangelrohstoff Phosphor für die Landwirtschaft - ich zitiere aus dem Verordnungsentwurf - „in
pflanzenverfügbarer Form“ bereitstellen müssen. Wer
trägt dafür die Kosten? Der Ausbau der Monoverbrennung von Klärschlamm ist technisch langwierig und
teuer . In einer Machbarkeitsstudie für die Stadtentwässerung Göppingen wird festgestellt, dass die Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlammmonoaschen nur
theoretisch die effektivste Methode ist. Dem Vorteil einer
Rückgewinnung von Phosphor stehen die hohen Kosten
und neue Risiken für die Umwelt entgegen . Zur Rückgewinnung des Phosphors aus der Asche werden große
Mengen giftiger Schwefelsäure benötigt . Die Folgen bei
Havarien wären schlimm .
Sie von der Koalition ignorieren außerdem, dass der
Phosphoranteil im Abwasser kontinuierlich sinkt . 2013
trat das völlige Verbot von Phosphaten in Waschmitteln
in Kraft, am 1 . Januar 2017 das Verbot von Phosphaten
in Geschirrspülmitteln . Es ist schwachsinnig, wenn man
neue Verfahren gesetzlich einführt, und dies mit der theoretischen Betrachtung alter Zahlen begründet, die aus der
Zeit vor den Phosphatverboten stammen . Trotzdem setzt
diese Verordnung auf den Bau von Monoverbrennungsanlagen . Das ist teuer und ökologisch zweifelhaft .
({1})
Der Hammer sind jedoch Ihre Vorstellungen zur Finanzierung der Phosphorrückgewinnung . In der Begründung des Verordnungsentwurfes heißt es zum Erfüllungsaufwand - ich zitiere -:
Eine Belastung der kommunalen Haushalte erfolgt … nicht, da die für Abwasserentsorgung und
Abfallentsorgung anfallenden Kosten über die Erhebung von Gebühren an die Bürger weitergereicht
werden .
Im Klartext: Bürgerinnen und Bürger müssen als Gebührenschuldner für Investitionen in teure Monoverbrennung und Phosphorrückgewinnung zahlen . Das lehnt die
Linke ab .
({2})
Unklar ist aber dann der Text hinsichtlich der Belastung der Bürgerinnen und Bürger durch diese Verordnung . Ich zitiere erneut:
Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand .
Was meinen Sie denn nun, liebe Koalition? Entsteht ein
Aufwand oder nicht? Oder sind Bürgerinnen und Bürger
für Sie keine Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler?
Da sollten Sie offen und ehrlich sein. Sie lasten es den
Bürgerinnen und Bürgern an . Die sollen sicherstellen,
dass Phosphat für die Landwirtschaft bereitgestellt werden kann . Das ist der falsche Finanzierungsweg .
({3})
Im günstigsten Fall kostet die einmalige Umstellung
auf Monoverbrennungsanlagen 400 Millionen Euro .
Hinzu kommen bisher nicht kalkulierte höhere Verbrennungskosten für die Klärschlämme . Wieso sollen Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler - ich kann es nur
wiederholen - die Phosphorrückgewinnung für Düngemittelhersteller bezahlen? Eine technisch unausgereifte,
ökologisch zweifelhafte Phosphorrückgewinnung mit
nicht kalkulierten Kosten bringt nur neue Profite für die
Anlagenhersteller .
Leider muss die Linke wegen dieser giftigen Bestandteile die ansonsten sinnvolle Verordnung ablehnen . Sozial und ökologisch handeln, dafür steht die Linke .
({4})
Eine Kurzintervention, aber bitte wirklich kurz .
Ich darf mich ganz kurz fassen . - Herr Lenkert, Sie
wissen schon, dass gerade der Phosphor - den haben Sie
als den Bestandteil erwähnt, der dann für die Landwirtschaft bereitgestellt wird - bei dem ganzen Verfahren
Geld einbringt, weil er am Ende verkauft wird . Insofern
ist das keine Ausgabe . Das ist eine falsche Darstellung .
({0})
Herr Lenkert, Sie haben das Wort zur Erwiderung .
Herr Kollege, der Verkauf von Phosphor bringt in
etwa 60 Euro . Die Kosten für die Gewinnung derselben
Menge Phosphor liegen bei 400 Euro . Ich kann nicht erkennen, wie man da Gewinne machen kann . Es tut mir
echt leid .
({0})
Als nächster Redner spricht Karsten Möring für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Lenkert, es ist wie so oft bei den Linken: Es
zahlt immer der liebe Gott oder irgendein edler Spender .
({0})
Verraten Sie mir einmal den Unterschied zwischen dem
Gebührenzahler, der für das Abwasser zahlt, und dem
Steuerzahler, der dafür zahlt, wenn es die Kommune
bezahlt . Ich sehe da keinen nennenswerten Unterschied .
Insofern brauchen wir uns darüber nicht zu streiten . Wir
haben schon x-mal festgestellt, dass Umweltschutz,
Recycling und alles, was damit zusammenhängt, Geld
kosten . Dieses Geld bringt immer der Endverbraucher,
der Steuerzahler, der Stromkunde auf . Das ist so, und das
können Sie nicht wegreden . - Das als Vorbemerkung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer von Ihnen hat
schon einmal ein Vespasiani benutzt - das könnten Sie in
Rom getan haben ({1})
oder ein Vespasienne? Das könnten Sie in Paris getan
haben .
({2})
- Nein, meine ich nicht . Wenn es angesichts des Themas,
um das es geht, nicht vielleicht ein bisschen befremdlich
wäre, müsste man sagen: Diese Benennung ist zu Ehren
einer Person gefunden worden, die vor rund 2 000 Jahren
etwas gemacht hat, was wir heute auch machen, in diesem
Fall der römische Kaiser Vespasian . Vespasian war derjenige, der die öffentlichen Toiletten in Rom nutzte, um
Urin zu sammeln und diesen Urin den Gerbern zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Gerbprozesse durchführen
konnten. Er war auch der Erfinder, der dieses Verfahren
zusätzlich besteuert hat, was ihm Krach mit seinem Sohn
bescherte, der sich über den Geruch der öffentlichen Toiletten beschwerte . Als sein Vater ihm einen Geldschein
oder eine Geldmünze, die er dafür eingenommen hatte,
unter die Nase hielt, hat er den berühmten Spruch geprägt: Pecunia non olet! Geld stinkt nicht!
({3})
Hat der Kollege das gewusst?
({4})
- Das verbindet uns . Ich habe es auch . Aber kehren wir
zum Kern des Themas zurück .
({5})
Was machen wir, um die Recyclingquote zu verbessern? Es muss jetzt heißen: Recycling stinkt nicht,
sondern ist notwendig . Mit der Verordnung sorgen wir
letztendlich dafür, dass sich die Recyclingquote erhöht .
Aber - die Problematik ist schon angerissen worden womit haben wir es zu tun? Wir haben es damit zu tun,
dass wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass wir
das Ausbringen von Klärschlamm reduzieren wollen,
weil das eine Schadstoffbelastung mit sich bringt und
der Aufwand groß ist, die Schadstoffe herauszufiltern.
Zudem wird sowieso schon ein großer Teil nicht mehr
ausgebracht, sondern verbrannt, und damit ist alles, was
an nützlichen Stoffen im Klärschlamm enthalten ist, weg.
({6})
- Danke für die Gelegenheit zur Trinkpause .
Wie machen wir das? Wir machen das, indem wir die
Rückgewinnung von Phosphor vorschreiben . Warum ist
Phosphor für uns von so großer Bedeutung? 1 Gramm
Phosphor ist notwendig zur Erzeugung von 100 Gramm
Biomasse . Als wir in einer Zeit lebten, als Phosphor noch
in Waschmitteln enthalten war und dadurch in unsere Gewässer gelangte und wir das Problem der Überdüngung
hatten, hatten wir zusätzlich das Problem, dass der Abbau
der so erzeugten Biomasse wiederum 150 Gramm Sauerstoff verbrauchte, was dazu führte, dass viele Gewässer
umkippten . Diese Zeiten sind vorbei .
Jetzt haben wir ein zweites Problem, nämlich dass wir
uns bei der Versorgung mit Phosphor, das wir dringend
für den Pflanzenwuchs brauchen, dessen Vorkommen
aber endlich ist und das leider in Gegenden der Welt vorkommt, in denen die politischen Verhältnisse nicht sehr
menschenwürdig und auch nicht sehr stabil sind, mehr
auf unsere eigenen Vorkommen besinnen müssen, und
die finden wir eben im Kreislaufprozess im Zusammenhang mit Klärschlamm . Es geht also darum, möglichst
viel Phosphor rückzugewinnen . Das ist unser Hauptziel .
Trotzdem haben wir in der Verordnung eine gestaffelte
Übergangszeit festgelegt; Kollege Thews hat schon beMichael Thews
gründet, warum das notwendig ist . Wir haben aber Anlagen in der Größenordnung „50 000 Einwohner und
kleiner“ von dieser Regelung ausgenommen, weil - Herr
Lenkert, hören Sie gut zu! - wir uns natürlich über die
Belastung der Gebührenzahler Gedanken machen . Es
ist ganz einfach so, dass bei den großen Anlagen durch
Skaleneffekte die Rückgewinnung von Phosphor preiswerter ist als bei kleinen Anlagen . Deshalb haben wir in
der Abwägung verschiedener Ziele diesen Kompromiss
gefunden, und ich meine, es ist ein guter Kompromiss .
({7})
Wer zahlt das Ganze? Es zahlt - die Berechnungen
in der Begründung der Vorlage, was die Größenordnung
angeht, sind möglicherweise richtig; genau wissen wir es
auch noch nicht, weil wir die großtechnischen Anlagen
für die Rückgewinnung noch nicht entwickelt haben letztlich der Gebührenzahler oder der Steuerzahler . Darüber gibt es noch Streit . Sie wissen, dass die Gegenargumente des VKU, der kommunalen Vertreter, genau auf
diesen Punkt zielten . Sie befürchten, dass sie auf einem
Teil der Kosten sitzenbleiben . Das ist eine Frage, der sicherlich noch geklärt werden muss, genau wie die Frage, mit welchen Anlagen wir das Ganze erreichen können . Wir haben die Möglichkeit der Monoverbrennung,
um den Phosphor aus der Asche zurückzugewinnen . Es
gibt Verfahren, mit denen wir Magnesiumammoniumphosphat direkt gewinnen können; die Ausbeute ist zwar
nicht besonders groß, aber es wäre direkt als Dünger verwendbar .
Wie die Vermarktung später aussieht, wissen wir auch
noch nicht . Der Kostenunterschied wurde eben angesprochen; das ist richtig . Also entweder steigt der Phosphorpreis wegen der Knappheit irgendwann so stark, dass
die rückgewonnenen Mengen an Phosphor damit konkurrieren können, oder wir werden die Beschaffung von
Phosphor auf irgendeine Weise subventionieren müssen .
Da es sich um einen begrenzten Stoff handelt, den wir
zwingend brauchen, ist das auch gerechtfertigt . Das ist
ein weiterer Grund dafür, weshalb wir lange Übergangszeiten brauchen: Wir brauchen Zeit, um die nötigen Entwicklungen voranzubringen und wichtige Abschätzungen vornehmen zu können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir könnten davon
sprechen, dass wir hier eine Klärschlammschlacht schlagen .
({8})
Wir tun das auch . Aber anders als bei anderen
Schlammschlachten gehe ich davon aus, dass diese
Schlammschlacht keine Verletzungen verursacht, hoffentlich auch keine Verschmutzungen, sondern dass es
eine Klärschlammschlacht ist, bei der es letztlich nur
Gewinner gibt . Es gewinnt die Umwelt, es gewinnt die
Landwirtschaft, und über beides gewinnen unsere Bürgerinnen und Bürger .
Angesichts der späten Stunde schenke ich dem Plenum die letzten zwei Minuten meiner Redezeit .
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit zu dieser
späten Stunde .
({9})
Vielen Dank . - Ich gebe zu: Ich habe nicht erwartet,
dass die Debatte insgesamt so interessant werden würde .
({0})
Also, liebe Kollegen, es lohnt sich auch, spät ins Plenum
zu kommen .
Peter Meiwald hat als letzter Redner in der Aussprache das Wort .
({1})
Herzlichen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat gut, dass die zumeist
kommunalen Betreiber der Kläranlagen mit diesem aus
einem langen Prozess hervorgetretenen Konstrukt nun
endlich Planungssicherheit für die dringend anstehenden
Investitionen bekommen . Das ist positiv; das kann man
nur so sagen .
Auch dass die Phosphorfrage angegangen wird, ist
grundsätzlich positiv . Das ist in der Tat ein langfristiges
Thema . Im Moment bzw . solange es noch keine Knappheit gibt, ist der Preis für das Produkt noch nicht hoch .
Das ist offensichtlich. Grundsätzlich ist es trotzdem richtig, sich über die zukünftige Phosphorversorgung Gedanken zu machen . Ob sich die Monoverbrennung am Ende
sinnvollerweise wirklich durchsetzt oder die eben angesprochene MAP-Technologie oder eine andere Technologie, das sollte sich im Laufe der weiteren Entwicklung
zeigen . Ich glaube, da muss man erst einmal noch technologieoffen denken.
Die Klärschlammausbringung insgesamt zu beenden,
ist auch aus anderen Gründen sinnvoll . Die Belastung
des Klärschlamms konnten wir an vielen Stellen reduzieren - durch Grenzwerte und Kontrollen konnten wir
einiges machen -; aber sowohl Medikamentenrückstände als auch Schwermetallrückstände sind leider nach wie
vor an vielen Stellen im Klärschlamm enthalten, wenn
auch nicht überall .
Eine Geschichte ist relativ neu . Dieses Thema ist
bei vielen, glaube ich, noch gar nicht richtig angekommen . Es geht um eine aktuelle Untersuchung, die das
Alfred-Wegener-Institut im Auftrag des OOWV, des
Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes, und
des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz durchgeführt hat . Man
hat geguckt, was an Mikroplastik im Klärschlamm enthalten ist . Dabei hat sich herausgestellt, dass allein der
Klärschlamm der 46 Klärwerke des OOWV ungefähr
93 Milliarden Mikroplastikpartikel pro Jahr enthält . Bei
10 000 Tonnen bedeutet das, dass wir in einer Tonne
Klärschlamm durchschnittlich 930 000 Mikroplastikpartikel haben, und da sind die Fasern noch nicht mitgerechnet, weil die noch gar nicht erfasst werden konnten .
Das heißt, wir haben über die weiter gehende Schwermetallbelastung und die Medikamentenbelastung hinaus
ein Thema, das wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen . Wir wissen noch zu wenig darüber . Wir wissen zwar,
dass wir über unsere Kläranlagen einen ganzen Teil an
Mikroplastik aus unseren Abwässern herausfiltern können . Wenn wir das aber über den Klärschlamm hinterher
wieder der Natur zuführen, haben wir nichts gewonnen .
Insofern hilft es der Umwelt nicht - das ist auch unsere Kritik an diesem Verordnungsentwurf -, wenn wir an
diesem Punkt stehen bleiben und uns auf die Anlagengröße beziehen .
({0})
Das Alfred-Wegener-Institut hat bei der Untersuchung
festgestellt, dass es eben nicht von der Größe der Anlage
abhängig ist, wie viel Mikroplastik am Ende im Klärschlamm ist . Deswegen halten wir es für sinnvoll, mit
einer durchaus längeren Übergangsfrist - darum geht es
ja gar nicht - auch die kleinen Anlagen langfristig einzubeziehen . Das fehlt in diesem Entwurf . Deswegen können wir ihm in dieser Form nicht zustimmen .
Wir haben hier den Bedarf, unsere Umwelt zu schützen . Wir haben an vielen Stellen mit Mikroplastik zu
kämpfen; das wissen wir alle . Aber wenn wir wissen,
dass solche Mengen Mikroplastik im Klärschlamm enthalten sind, sollten wir das unserer Umwelt und den
Äckern nicht zumuten . Deswegen müssen wir hier eine
Bremse einbauen .
({1})
Gerade ist die Frage der Monoverbrennung aufgeworfen worden. Da haben wir durch Skaleneffekte bei den
größeren Anlagen einfach bessere Möglichkeiten . Ich
glaube, es gibt auch die Möglichkeit, die Verbrennung
des Klärschlamms mehrerer Kläranlagen durch Zweckverbände und Ähnliches zusammenzuführen . Insofern
sollte das für uns kein Hinderungsgrund sein, langfristig
auch den Klärschlamm aus den kleinen Anlagen zu verbrennen .
Wir haben aktuell ja keinen Nährstoffmangel. Wenn
man sich die Gülleproblematik und andere Dinge anschaut, muss man feststellen, dass wir im Moment keinen Bedarf an Klärschlamm haben . Wir müssen nicht
sagen: Die Landwirtschaft braucht die Klärschlämme
unbedingt . - Ich habe bis vor wenigen Wochen auch noch
anders argumentiert und gesagt: Es ist wichtig, dass wir
die humosen Bestandteile des Klärschlamms nicht sinnlos verbrennen . - Nach den vorliegenden Erkenntnissen
zur Mikroplastikbelastung bleibt uns aus meiner Sicht
aber keine andere Wahl, als letztlich - mittelfristig - alle
Klärschlämme zu verbrennen .
Ich danke Ihnen .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu der Verordnung der Bundesregierung zur Neuordnung
der Klärschlammverwertung. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11443,
der Verordnung auf Drucksache 18/10884 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht
der Fall . Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing
({0})
Drucksache 18/11285
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Wenn die Kolleginnen und Kollegen zügig ihre Plätze
einnehmen, kann ich die Debatte eröffnen. - Als erster
Redner in der Debatte hat Steffen Bilger für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Automobilität heißt heute nicht mehr nur, mit dem eigenen Pkw unterwegs zu sein . Ein Auto ist für viele
Menschen nach wie vor wichtig, aber sie benötigen dafür
nicht immer zwangsläufig ein eigenes. Unterschiedliche
Verkehrsmittel werden vermehrt flexibel genutzt und
kombiniert . Das gilt in ganz besonderem Maße für jüngere Menschen . Für diese veränderte Nachfrage sind in den
letzten Jahren viele neue Angebote entstanden . In den
Metropolen und größeren Städten kann man es jeden Tag
besonders gut beobachten: Carsharing boomt und ist inzwischen aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken .
Carsharing bietet ein riesiges Potenzial und viele Vorteile für eine intelligente und nachhaltige Mobilität . Das
wollen wir fördern .
({0})
Ein Gesetz, das dieser veränderten Wirklichkeit der Menschen Rechnung trägt und Hemmnisse für Carsharing
abbaut, ist daher ein wichtiger Schritt . Der vorliegende
Gesetzentwurf stellt dafür die notwendigen Weichen .
Seit Anfang der 2000er-Jahre ist die Anzahl der Carsharing-Fahrzeuge und -Nutzer massiv gestiegen . Seit dem
Jahr 2011 erleben wir sogar einen richtigen Boom . HatPeter Meiwald
ten wir im Jahr 2011 noch circa 300 000 fahrberechtigte
Nutzer, so waren es im Jahr 2016 bereits knapp 1,3 Millionen . Auch die Zahlen zu Fahrzeugen und Stationen
belegen dieses rasante Wachstum . Kräftig wachsen nicht
nur die stationsabhängigen Carsharing-Dienste . Insbesondere die sogenannten Free-Floating-Angebote, also
stationsunabhängige Carsharing-Systeme, wie wir sie
besonders in den großen Städten wie Berlin, Hamburg,
München oder Stuttgart finden, erfreuen sich in jüngster
Zeit immer größerer Beliebtheit .
Die Gründe für dieses Wachstum sind komplex und
vielschichtig . Neue Nachfrage- und Nutzungsstrukturen,
veränderte urbane Wohnformen und eine steigende Anzahl von Bewohnern in größeren Städten, um nur einige
wichtige Punkte zu nennen, tragen zum großen Erfolg
des Carsharings bei. Hieraus eröffnen sich enorme Chancen, flexible und nachhaltige Verkehrskonzepte zu fördern, die Elektromobilität weiter voranzubringen, Umweltbelastungen in vielerlei Hinsicht zu reduzieren und
die Lebensqualität in den Städten deutlich zu erhöhen .
({1})
Doch wir müssen auch erkennen, dass diese Entwicklung vermehrt an ihre Grenzen stößt . Carsharing benötigt
entsprechende Flächen für Parkraum, die gerade in der
Stadt knapp sind . Wir als Politiker haben die Aufgabe,
diesen veränderten Realitäten Rechnung zu tragen und
die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Carsharing attraktiv bleibt und weiter wachsen
kann .
Der vorliegende Gesetzentwurf kommt diesem Ziel
in hervorragender Weise nach . Gut Ding braucht Weile . Gerade kam schon der Zwischenruf: Zwölf Jahre hat
es gedauert . - Es ist kein Geheimnis, dass auch wir uns
gewünscht hätten, die nun vorliegende Regelung hätte
früher zur Abstimmung gestanden . Auch die ursprünglich angedachte Kopplung mit dem Elektromobilitätsgesetz war wegen der vielen rechtlichen Parallelen und
der gemeinsamen Grundlage der nachhaltigen Mobilität
ein guter Gedanke . Es hat etwas länger gedauert . Aber
mit diesem Gesetz wird es gelingen, Carsharing auf der
Überholspur zu halten und Hemmnissen frühzeitig zu begegnen .
Ländern und Kommunen räumt das Gesetz die Möglichkeit ein, Sonderparkplätze oder kostenfreies Parken
für Carsharingfahrzeuge im öffentlichen Verkehrsraum
einzurichten . Hierfür gab es bislang keine Ermächtigungsgrundlagen . Dies wird mit dem Gesetz nun in aller
Klarheit im deutschen Recht verankert. Zudem schaffen
wir die notwendigen Regelungen für eine Kennzeichnung der Fahrzeuge . Kommunen haben in Zukunft die
Möglichkeit, Carsharing in ihrer Stadt oder Gemeinde
besser zu unterstützen, und zwar ganz unabhängig davon, ob es sich um stationsgebundenes Carsharing oder
Freefloating handelt. So schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass Carsharing weiter adäquat wachsen kann .
Der vorliegende Gesetzentwurf trägt auch Aspekten
der Stadtentwicklung Rechnung . Parksuchverkehre für
Carsharingfahrzeuge werden durch die Regelungen deutlich vermindert . Zudem entsteht durch die Ausweitung
von Carsharing auch insgesamt ein Entlastungseffekt für
den öffentlichen Raum, da weniger Parkplätze und Stellflächen benötigt werden und die sich neu eröffnenden
Räume anderweitig genutzt werden können .
Zusätzlich werden wir auch die Elektromobilität und
alternative Antriebe mit dem Gesetz weiter voranbringen . Das Angebot von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben wird ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl
geeigneter Anbieter für die Zuweisung von Sonderstellflächen sein. Somit enthält der Gesetzentwurf einen zusätzlichen Hebel für eine nachhaltige Mobilität und die
Verbesserung der Luftqualität in den Städten, den ich
sehr begrüße . Nicht zuletzt deshalb gehört Carsharing zu
den Maßnahmen, die in unseren großen Städten bewirken sollen, dass Fahrverbote aufgrund von Schadstoffgrenzwertüberschreitungen vermieden werden können .
Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz
die richtigen Weichen für eine weitere Verbreitung des
Carsharing stellen, das aus Klima-, Umwelt- und städtebaulicher Sicht viele positive Wirkungen entfalten wird .
Ich bitte Sie daher um Unterstützung für dieses Vorhaben .
({2})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion Die
Linke ist der Kollege Herbert Behrens .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wurde eben schon gesagt: Von null auf 100 in zwölf
Jahren, das ist selbst für Verkehrspolitiker eine beeindruckende Hausnummer . Aber es geht ja auch darum,
die wichtige Frage, die 2005 gestellt worden ist, zu entscheiden: Darf es im öffentlichen Raum privilegierte
Parkflächen für Carsharingfahrzeuge geben? Jetzt, im
Jahr 2017, wird die Frage mit Ja beantwortet . Besser spät
als nie, könnte man sagen .
({0})
Das ist auch nicht ganz falsch .
Aber, ich denke, man kann daran auch sehen, wie die
Große Koalition Verkehrspolitik macht . Wann wird eine
schnellere Gangart eingelegt? Das ist jetzt der Fall . Wenn
wir uns ansehen, wie sich der Carsharingmarkt zusammensetzt, erkennen wir, warum . Erst jetzt, wo große Unternehmen wie BMW oder Daimler auf dem Markt sind,
wird man aktiv . Früher waren es überwiegend ehrenamtlich organisierte Vereine, die ihren Mitgliedern Autos zur
Verfügung stellen konnten . Die Vereinsmitglieder wollten auf ein privates Auto verzichten . Sie wollten ein Auto
nur für wenige Fahrten nutzen . Dieses konnten sie sich
mit anderen teilen . Dahinter steckte und steckt die Idee
einer anderen Verkehrspolitik: weg vom motorisierten
Individualverkehr, hin zum gemeinschaftlich genutzten
Steffen Bilger
Verkehrsmittel . Ich meine, das ist eine kluge Verkehrspolitik, die unbedingt unterstützt werden muss .
({1})
Inzwischen haben sich auch die Vereine verändert .
Sie haben sich zusammengeschlossen und sind teilweise bundesweit am Start . Sie treten mit den großen Autofirmen in die Konkurrenz um Kundinnen und Kunden.
Doch eines hat sich nicht geändert: Bei den kleinen Anbietern werden die Autos weiterhin auf festen Stellplätzen stationiert. Die Freefloater stehen an allen möglichen
Stellen, häufig dort, wo es nicht erlaubt ist, zum Beispiel
in den Halteverboten und auf Fahrradwegen . Manchmal
wird so argumentiert, dass sie ja auch total schnell wieder
weg sind, weil sie über das Smartphone geordert werden
können . So hat es mir zumindest jemand berichtet, der
das einmal mit seinem Smartphone gemessen hat .
Dass in Zukunft zwischen den unterschiedlichen
Carsharinganbietern eine Konkurrenz um die Sonderparkplätze eintritt, ist nicht ausgeschlossen . Die Städte
werden noch viel Fantasie und Kreativität aufbringen
müssen, um zu verhindern, dass es zu einer Verdrängung
von Vereinsfahrzeugen kommt . Darum ist es wichtig,
dass nach vier Jahren geprüft wird, ob Sinn und Zweck
des Gesetzes erreicht wurden, ob es die Folgen hat, die
es haben sollte .
Die Linke sieht das stationsbasierte Carsharing als
eine Chance für weniger Autos in Städten . Das belegen
auch die Zahlen . Der Sprecher des Bundesverbandes
CarSharing, bcs, Herr Nehrke, sagt in der Berliner Zeitung: 78 Prozent der Nutzer von stationsgebundenen Autos haben kein eigenes Auto, bei den Nutzern von Freefloatern sind es nur 43 Prozent.
Da wird auch der Unterschied, über den wir hier reden, deutlich: Es sind zwei unterschiedliche Systeme,
die mit einem Gesetz reguliert werden sollen . Das kann
durchaus zu Problemen führen . Stationsbasierte Autos
werden dann genutzt, wenn der öffentliche Personennahverkehr oder das Fahrrad nicht ausreicht und diese Lücke
gefüllt werden muss; das Angebot, das gemacht wird, ist
also sehr gezielt. Stationsunabhängige Freefloater werden häufig genutzt, um sich ein Taxi zu sparen oder nicht
in den Bus steigen zu müssen .
Die Bundesregierung verbindet trotzdem große Ziele
mit diesem Gesetz . Geworben wird mit dem Klimaschutz
und mit der Verminderung des motorisierten Individualverkehrs, weil Menschen auf ihr privates Auto verzichten . Carsharing könnte mit einer Marktdurchdringung
mit neuen umweltschonenden Antriebstechnologien wie
E-Mobilität verbunden werden . Ich weiß nicht, ob dieses Gesetz das wirklich leisten wird . Doch beide Systeme des Carsharings sind aus unserer Sicht eine sinnvolle
Ergänzung des Mobilitätsangebotes . Darum stehen wir
auch dazu . Wir werden bei der weiteren Beratung des
Gesetzentwurfes auf das Kleingedruckte achten müssen .
Das werden wir auch tun; denn eine sozial-ökologische
Verkehrswende ist für die Linksfraktion die Grundlage
für eine menschen- und klimaverträgliche Mobilitätspolitik .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Arno Klare das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solche Debatten - das hat Ihre Vorgängerin auf dem Präsidentenstuhl
gesagt - sind manchmal lehrreich . Wir haben heute schon
verschiedene Sprichwörter und etwas von Vespasian gehört . Man kann es auch mit einem deutschen Sprichwort
ausdrücken: Was lange währt, wird endlich gut . - Es ist
wirklich gut geworden .
Als ich vor drei Jahren in den Deutschen Bundestag kam, hat mir Sören Bartol gesagt: Es gibt da so ein
Carsharinggesetz . Das ist keine große Sache, aber es
dauert schon zehn Jahre . - Jetzt sind drei weitere Jahre
hinzugekommen . Er hat mir persönlich dann mit auf den
Weg gegeben: Bring das endlich zu Ende . - Das habe
ich natürlich nicht allein geschafft. Herr Bilger und viele
andere waren dabei . Jetzt ist dieser Gesetzentwurf aber
Gott sei Dank auf der Zielgeraden .
Wir müssen uns eines klarmachen: Es gibt in den
Köpfen der Menschen so etwas wie eine Verkehrswende .
20 Prozent der Führerscheininhaber können sich laut einer Umfrage vorstellen, auf das eigene Auto zu verzichten; 20 Prozent, das ist ein Fünftel . Es gibt eine Studie
für die Stadt Hamburg, die zu dem Ergebnis kommt, dass
eine relativ geringe Zahl von Carsharingfahrzeugen die
Hälfte der privaten Kfz ersetzen könnte, ohne dass es
Mobilitätsverluste gäbe, einfach deshalb, weil das Auto
geshared, also von vielen benutzt wird . Für New York
gibt es im Übrigen eine Studie, die zu einem ähnlichen
Ergebnis kommt .
Im wahrsten Sinne des Wortes - wirklich im wahrsten
Sinne des Wortes - ist Carsharing die Chance für urbane
Räume, wieder Luft zum Atmen zu haben .
({0})
Insofern ist dieser Gesetzentwurf aufgrund der ökologischen Dimension, die darin enthalten ist, in der Tat sehr
wichtig, auch wenn die Einschätzung von Sören Bartol,
dass er keine ganz große Sache ist, im Prinzip richtig war .
Aber er ist ein Mosaikstein in der Verkehrswende .
Ich stelle fest, dass auch die OEMs - weil die Kanzlerin in ihrer Anhörung im Untersuchungsausschuss gefragt hat, was OEMs sind, und dieser Begriff dann erläutert werden musste, erkläre ich ihn auch hier -, also die
Automobilhersteller, umdenken .
({1})
Denn die Unternehmen sagen nicht mehr: „Wir sind Automobilhersteller“, sondern sie sagen: „Wir sind AnbieHerbert Behrens
ter von Mobilitätsdienstleistungen der Zukunft .“ Dazu
gehört - integriert - auch das Carsharing, und zwar in
der Form des Freefloating. Das heißt, die Zukunft wird
nicht von dem Auto, das ich besitze, bestimmt, sondern
von Mobilität, die multimodal und intermodal sein wird .
Carsharing ist ein Element davon . Das gilt übrigens auch
für die ländlichen Räume, Stichwort „Dorfauto“ . Das
gibt es heute schon .
Wir haben uns - wenn ich „wir“ sage, dann meine ich
die SPD-Fraktion und vor allen Dingen die Verkehrspolitiker in der SPD-Fraktion - eine Regelung im Straßenverkehrsrecht gewünscht . In dem Diskussionsprozess
haben wir dann aber lernen müssen - auch ich habe das
lernen müssen -, dass wir das nicht bundeseinheitlich im
Straßenverkehrsrecht regeln können - der Bund ist nun
einmal nicht für Landstraßen und Stadtstraßen zuständig -, sondern dass wir das sozusagen gestuft machen
müssen .
({2})
- Ja, ich kenne diese Studien auch, ich habe sie alle gelesen. - Wir haben uns dieser Rechtsauffassung aber irgendwann einmal gebeugt und gesagt: Wir machen das
so .
Ich stelle fest, dass die ganze Szene des Carsharings auch der Carsharingverband - mit dem jetzt vorliegenden
Gesetzentwurf hochzufrieden ist . Gleichwohl müssen
wir in der Debatte drei Punkte eventuell noch einmal in
den Blick nehmen . Das ist ja immer so, wenn wir anfangen, über etwas zu debattieren .
Einen Punkt hat Herr Bilger gerade schon erwähnt:
Der Parkdruck in den Innenstädten wird deutlich verringert . Das steht als expliziter Begründungszusammenhang bisher aber nicht im Gesetzentwurf . Das sollten wir
eventuell noch als wichtigen Punkt aufnehmen .
Zweiter Punkt . Wir müssen uns vielleicht auch noch
einmal Gedanken darüber machen - das ergibt sich aus
der Rückmeldung der Verbände und vor allen Dingen des
Städte- und Gemeindebundes sowie der kommunalen
Spitzenverbände -, ob wir beim Vergabeverfahren mit
diesem riesengroßen „Besteck“ aufwarten müssen oder
ob es nicht vielleicht auch kleiner geht .
Das Gleiche gilt - das ist der dritte Punkt, den ich
noch anmerken möchte - in Bezug auf die Verlängerung
des fünf Jahre laufenden Vertrages . Wir müssen uns fragen, ob es nicht eine Möglichkeit gibt - zum Beispiel im
Interessenbekundungsverfahren -, sich davon zu lösen .
In kleineren und mittleren Städten wird es nämlich wahrscheinlich gar nicht wahnsinnig viele Bewerber geben,
sondern man wird einen finden müssen, und man wird
vielleicht froh sein, wenn man dann einen gefunden hat .
Insofern müssen wir darüber noch einmal nachdenken .
Ich hoffe, dass wir konstruktive Debatten darüber führen werden . Mit allen bisherigen Äußerungen - auch denen von Herbert Behrens und vom Kollegen Bilger - war
ich sehr zufrieden, weil das, was wir hier gehört haben,
sehr konstruktiv war . Ich bin mir ziemlich sicher, dass
wir nachher hier im Deutschen Bundestag ein Carsharinggesetz verabschieden werden, das nach zwölf Jahren
endlich diese Möglichkeiten einräumt .
Danke .
({3})
Vielen Dank . - Jetzt spricht Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Mobilität verändert sich . Mobilität ist heute nicht mehr
automatisch Automobilität, und Automobilität bedeutet
heute nicht mehr automatisch, Eigentum am Auto haben .
Die Mobilität ändert sich auch durch steigende Anteile
des öffentlichen Nahverkehrs und durch eine Zunahme
des Radverkehrs sowie dadurch, dass zunehmend verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert werden, dass zum Beispiel mit dem Fahrrad zum Bahnhof
gefahren oder mit der Bahn möglichst nah ans Ziel herangefahren wird, um dann mit dem Carsharingauto endgültig ans Ziel zu fahren .
Seit zehn Jahren wird diskutiert, dass ein Carsharinggesetz notwendig ist, um die erforderliche Rechtssicherheit beim Parken zu schaffen. Acht Jahre davon haben
Große Koalitionen regiert . Initiativen vom Bundesrat und
auch von uns Grünen wurden in dieser Zeit abgeschmettert . Jetzt liegt endlich ein Gesetzentwurf vor . Endlich
haben wir etwas, woran wir uns abarbeiten können . Endlich liegt etwas vor, bei dem wir noch versuchen können,
es besser zu machen, als es jetzt eingebracht wurde . Dazu
möchte ich vier kritische Aspekte anmerken .
Erstens . Der Bundesregierung fehlt ein Mobilitätskonzept mit Carsharing als einer von mehreren Säulen .
({0})
Die Menschen kombinieren zunehmend verschiedene
Verkehrsmittel . Sie nutzen die Verkehrsmittel also rationaler als früher . Sie wählen für den jeweiligen Weg das
jeweils passende Verkehrsmittel und kombinieren diese .
Die Bundesregierung denkt die Verkehrsmittel aber noch
viel zu stark separat jeweils für sich .
Die Bundesregierung übersieht, dass Carsharing auch
eine Chance für das Thema Elektromobilität ist . Wer über
Carsharingautos Elektromobilität auf der Straße erlebt,
wird fasziniert sein und dann, wenn es um die Anschaffung eines Autos geht, vielleicht eher an ein Elektroauto
denken und auch dafür werben .
({1})
Zweitens . Der Gesetzentwurf ist zu bürokratisch und
zu kompliziert . Die Länder müssen für die Rechtssicherheit der Kommunen und der Anbieter sorgen . Es liegen
mehrere Rechtsgutachten vor, die belegen, dass es auch
anders gehen kann, nämlich über das Straßenverkehrsrecht und damit über das Bundesrecht .
({2})
Drittens . Der Gesetzentwurf enthält keine Umweltvorgaben für die Carsharingflotten. Wir brauchen zunächst
einmal ganz generell klare und realistische Angaben für
die CO2-Emissionen und die Stickoxidemissionen des
Automobils . Dann können wir auch entsprechende Vorgaben für den Bereich des Carsharings machen - so wie
es ursprünglich im Referentenentwurf für dieses Gesetz
vorgesehen war .
({3})
Viertens . Das private Carsharing ist von diesem Gesetzentwurf nicht erfasst . Auch der Bundesrat hat das
moniert. Wir hoffen, dass sich hier noch eine Lösung
findet. Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Wir hoffen,
dass sich im weiteren Verfahren noch eine Lösung dafür
finden lässt.
Unser Fazit: Es ist gut, dass endlich ein Gesetzentwurf
für die Stärkung des Carsharings vorliegt; denn Carsharing braucht Rechtssicherheit, um seine Potenziale noch
besser als bisher ausschöpfen zu können . Ich erinnere
daran, dass ein Carsharingauto mindestens sechs Privatfahrzeuge ersetzen kann .
Ich habe unsere Kritik an dem Gesetzentwurf vorgebracht . Das Gesetz ist allerdings nicht so schlecht, dass
es nicht auch noch gut werden könnte . Deswegen setzen
wir auf das weitere Verfahren . Wir werden uns hier kritisch und konstruktiv in der Hoffnung einbringen, dass
am Ende noch etwas wirklich Gutes daraus wird .
({4})
Vielen Dank . - Jetzt hat Carsten Müller, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eigentlich ist Carsharing ein Thema, von dem
ich dachte, dass wir es alle hier im Haus fraktionsübergreifend sehr positiv begleiten . Deswegen war ich ein
bisschen verwundert, Kollege Gastel, als Sie hier so ein
wenig, finde ich, unbotmäßig laut aufs Dach gehauen haben . Denn wenn Sie die Große Koalition dafür kritisieren, dass es ein bisschen gedauert hat, dann heißt das ja
nur, dass wir uns sorgfältig um das Thema gekümmert
haben . Sie haben leider verschwiegen, dass Sie, als die
Grünen in der Bundesregierung waren, gar nicht auf die
Idee gekommen sind, ein Carsharinggesetz auf den Weg
zu bringen .
({0})
- Wie auch immer, meine Damen und Herren, jedenfalls
hat es nicht zum Erfolg geführt .
({1})
- Das mag Ihnen leidtun, Herr Bartol, aber damit können
Sie leben und ich auch .
Meine Damen und Herren, Carsharing ist ein wichtiger Baustein der Mobilitätspolitik .
({2})
So, aber jetzt hat Herr Müller das Wort .
({0})
- Er darf sagen, was er will .
Es ist deswegen ein wichtiger Baustein, weil es erstens klima- und umweltfreundlich ist und weil damit
zweitens richtigerweise der Ansatz verfolgt wird, umwelt- bzw . klimafreundliches Verhalten zu privilegieren,
anstatt zu verbieten . Es bevorzugt kluges, intelligentes
Verkehrsverhalten, und es schafft Anreize, anstatt Hürden aufzubauen . Das ist so ein bisschen das Gegenteil
von dem, was einige Mitglieder des Hauses sich wünschen, nämlich Steuererhöhungen, Fahrverbote, Verteufelung der Dieseltechnologie und Bevormundung .
Bei dem zweiten Ansatz, den wir ausdrücklich nicht
für richtig halten, würde vollkommen ausgeblendet, dass
sich damit nicht hinzunehmende soziale Konsequenzen
für die Bürgerinnen und Bürger ergäben und das Handwerk und der Mittelstand zu leiden hätten .
Meine Damen und Herren, fest steht: Um Klimaziele
zu erreichen, müssen die Treibhausemissionen bis zum
Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 um bis zu 95 Prozent
reduziert werden . Der Verkehrsbereich hat hierzu einen
ganz erheblichen Beitrag zu leisten . Insofern ist das ein
wichtiges Gesetz . Des Weiteren müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, intelligente Verkehrsverlagerungen zu unterstützen . Kollege Klare hat richtigerweise
gesagt: Integrative Mobilitätskonzepte sind hier die Antwort der Wahl . Carsharing kann hierbei ein besonders
wichtiges Puzzlestück sein .
Der Vorredner hat eben allerdings richtigerweise
gesagt, dass es eine Reihe von Studien gibt, die nachweisen, dass bis zu 6 Privatfahrzeuge durch ein Carsharingfahrzeug ersetzt werden können, teilweise geht man
sogar von bis zu 20 aus . Relativ unbestritten ist jedoch,
dass die CO2-Emissionen durch umfangreiches Carsharing um rund 6 Millionen Tonnen pro Jahr verringert
werden können . Das sind immerhin 4 Prozent der verkehrsbedingten CO2-Emissionen, die wir haben . Der oft
diskutierte Schwefeldioxidausstoß würde um 5 Prozent
zurückgeführt werden . Bei den Stickoxiden würden wir
sogar eine Reduktion um mehr als 6 Prozent erreichen
können .
Ganz wichtig - deswegen ist das ein Thema, das die
Leute bewegt - ist eben auch der Gesichtspunkt, dass wir
die Städte vom Verkehr entlasten, Parkdruck lindern und
auch Anreize für neue Geschäftsmodelle setzen . Auch
das liegt uns als Union außerordentlich stark am Herzen .
Meine Damen und Herren, ich finde, wir sollten Folgendes ebenfalls betonen: Carsharing bietet eine gute
Möglichkeit bzw . einen guten Ansatzpunkt, um auch
Elektromobilität dort, wo es sehr viel Sinn macht, zu
unterstützen und zu fördern . Es geht - das will ich abschließend gerne noch ansprechen - nicht nur um Elektromobilität, sondern auch um sonstige alternative Antriebskonzepte. Deswegen finde ich es wichtig, in diesem
Zusammenhang auch das Thema der steuerlichen Privilegierung von Erdgasantrieben und von Flüssiggasantrieben zu erwähnen . Da sind wir im Moment in der Beratung . Gerade das Thema Carsharing eignet sich dafür,
weil die Ladeinfrastruktur vorhanden ist und auch die
Art des Nachladens und des Nachbetankens aus meiner
Sicht gerade beim Carsharing sinnvoll kombiniert werden kann .
Wir wollen das Thema der steuerlichen Privilegierung
in der nächsten Zeit hier in diesem Hause beraten . Wir
als Union wollen uns insbesondere für das Thema Gasantrieb insgesamt einsetzen . In der Kombination mit
Carsharingangeboten haben wir hier gute Chancen, der
Umwelt Gutes zu tun .
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lühmann? - Sie
sind fertig .
({0})
Damit sind wir am Ende der Aussprache . - Wenn der
Herr Kollege keine Frage zulässt, lässt er keine zu . Er
darf das selbst entscheiden .
({1})
- Ich verstehe jetzt gar nichts .
({2})
- Eine Kurzintervention wird nicht vom Platz aus beantragt . Dafür hätte schon die Geschäftsführerin kommen
müssen . Jetzt ist aber die Zeit abgelaufen .
({3})
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11285 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
hierzu weitere Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der
Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und
weiterer Gesetze
Drucksache 18/11272
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/11272 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Auch hierzu
sehe ich keine anderen Vorschläge . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes
Drucksachen 18/11281, 18/11407
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/11281 und 18/11407 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich
sehe, das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({6})
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen
im Binnenmarkt, zur Festlegung eines
Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen
und Anforderungen sowie zur Änderung
der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung ({7}) Nr. 1024/2012 über die
Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe
des Binnenmarkt-Informationssystems
KOM({8}) 821 endg.; Ratsdok. 5278/17
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
1) Anlage 7
2) Anlage 8
Carsten Müller ({9})
über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
vor Erlass neuer Berufsreglementierungen
KOM({10}) 822 endg.; Ratsdok. 5281/17
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen
Rahmen für die durch die Verordnung ...
[ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte
KOM({11}) 823 endg.; Ratsdok. 5283/17
- zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen
KOM({12}) 824 endg.; Ratsdok. 5284/17
hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2
zum Vertrag von Lissabon ({13})
Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/11442
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Wir müssen die Reihenfolge der Redner etwas umstellen, da noch nicht alle eingetroffen sind. Die Kollegin
Lena Strothmann von der CDU/CSU-Fraktion darf die
Debatte eröffnen. - Bitte schön.
({14})
Danke schön . - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Europäische Kommission hat im Zuge ihrer Binnenmarktstrategie am 10 . Januar dieses Jahres
ihr Dienstleistungspaket vorgelegt . Ziel dieser Binnenmarktstrategie ist unter anderem, das Potenzial des
europäischen Binnenmarktes freizusetzen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und Hemmnisse im Dienstleistungsverkehr abzubauen .
Eine vorbereitende Maßnahme war zum Beispiel die
Transparenzinitiative der Europäischen Kommission, die
zwei Jahre lang die reglementierten Berufe auf den Prüfstand gestellt hat .
In ihren länderspezifischen Empfehlungen aus dem
Jahr 2011 hat die Kommission die reglementierten Berufe und den deutschen Meister erstmals als Binnenmarktschranke bezeichnet und die Aufweichung der
Berufsreglementierungen gefordert . 5 600 reglementierte Berufe, das ist eindeutig zu viel, so die Aussage der
zuständigen EU-Kommissarin Bienkowska . Aus ihrer
Sicht gibt es noch immer zu viele Hürden bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung . Ursache
ist laut Kommission vor allen Dingen die Gesetzgebung
der Mitgliedstaaten .
Circa 50 Millionen Menschen - 22 Prozent aller Erwerbstätigen in Europa - arbeiten in reglementierten
Berufen . Deutschland hat lediglich 149 reglementierte
Berufe, davon 41 im Handwerk . Im europäischen Durchschnitt sind es mit circa 200 deutlich mehr .
Das Dienstleistungspaket soll jetzt eine höhere Durchlässigkeit und mehr Wettbewerb schaffen. Diese Maßnahmen schießen jedoch eindeutig über das Ziel hinaus .
Inhalt des Dienstleistungspakets sind vier Einzelmaßnahmen, von denen drei als Richtlinie rechtlich verbindlich sein sollen: die elektronische Dienstleistungskarte,
das Notifizierungsverfahren und die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen . Zudem gibt
es noch eine Verordnung zur Dienstleistungskarte und
eine Empfehlung zur Berufsreglementierung .
Die Hoffnung, dass das gesamte Dienstleistungspaket empfehlenden Charakter haben wird, hat sich leider
zerschlagen . Die aktuellen Vorschläge zielen darauf ab,
unsere vergleichsweise hohen Anforderungen und Qualitätsstandards für Berufszugänge aufzuweichen .
Das Dienstleistungspaket ist ein weiterer Schritt in
Richtung Deregulierung . Das, meine Damen und Herren,
ist nicht gut für Deutschland .
({0})
Betroffen sind vor allem Unternehmensdienstleistungen und freie Berufe wie Architekten, Ingenieure,
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie der gesamte
Bausektor . Aber auch das Handwerk mit den Ein- und
Ausbaugewerken und den Gebäudereinigern ist betroffen, und damit auch der deutsche Meister . Er steht bei
uns noch immer für Qualität und Ausbildung . Hier legt
die Kommission die Axt an den deutschen Meister . Auch
das dürfen wir nicht zulassen .
Das Handeln der Kommission ist nicht nachvollziehbar . Auf der einen Seite bewertet sie unser duales Ausbildungssystem als Best Practice gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit vor allen Dingen in Südeuropa . Auf der
anderen Seite stuft die Kommission den Meisterbrief als
Hemmnis für den Berufszugang im Binnenmarkt ein .
Auch wenn die Kommission dabei immer wieder betont,
den deutschen Meister nicht abschaffen zu wollen, laufen die jetzt vorgelegten Richtlinienvorschläge darauf
hinaus .
Meine Damen und Herren, mit ihren Richtlinienvorschlägen wie dem geplanten Notifizierungsverfahren
verletzt die Kommission die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sowie der Subsidiarität nach dem Vertrag von
Lissabon . Auch im Blick auf die Berufsreglementierung
überschreitet sie ihre Kompetenzen .
Für die Reglementierung der freien sowie der Handwerksberufe sind die Mitgliedstaaten zuständig . Auch
hier verletzt der Kommissionsvorschlag die Grundsätze
der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität, sodass wir
eine Subsidiaritätsrüge gegen das Dienstleistungspaket
erheben . Dies tun ebenfalls der Bundesrat und auch das
französische Parlament . Der Deutsche Bundestag hat von
dem Instrument der Subsidiaritätsrüge seit dem Vertrag
von Lissabon nur selten Gebrauch gemacht . Deshalb ist
es, meine Damen und Herren, an der Zeit, dass wir als
nationales Parlament unser Kontrollrecht nutzen und die
Verstöße gegen die Subsidiarität rügen .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Trotz der knappen Frist haben wir es geschafft, eine
gemeinsame Rüge mit dem Koalitionspartner auf den
Weg zu bringen . An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Dankeschön an den Koalitionspartner für die gute
Zusammenarbeit und die schnelle und unkomplizierte
Abstimmung richten .
({1})
Vor allem die osteuropäischen Staaten, aber auch die
Skandinavier und die Briten - trotz Brexit - unterstützen
die Vorschläge .
Für mich als Handwerksmeisterin und Sprecherin unserer Fraktion für das Handwerk sind zwei Punkte besonders kritisch: einmal die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Berufsreglementierungen und zum anderen
die Elektronische Europäische Dienstleistungskarte .
Deshalb will ich auf beide gesondert eingehen .
Die Europäische Kommission kritisiert unverhältnismäßige und veraltete Reglementierungen als Hemmnis
zum Berufszugang . Sie schlägt daher Verhältnismäßigkeitsprüfungen bei der Verabschiedung neuer Reglementierungen oder Änderungen vor . Hierzu werden elf neue
Prüfkriterien vorgeschlagen, durch weitere zehn ergänzt,
die die Entscheidungskompetenzen der nationalen Gesetzgeber einschränken . Die Annahme, dass Deregulierung und Liberalisierung zu mehr Wachstum führen, ist
durchaus fraglich . Auch rechtlich gibt es da Zweifel .
Der EuGH hat bisher stets anerkannt, dass Berufsreglementierungen Sache der Nationalstaaten sind . Zudem gibt es bereits vier Verhältnismäßigkeitskriterien
des europäischen Gesetzgebers im Rahmen der Anerkennungsrichtlinie . Auch die Mobilität im Binnenmarkt
ist durch die Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifizierungen gewährleistet und funktioniert vor allen
Dingen . Die Prüfkriterien der Richtlinie schränken die
Entscheidungsautonomie nationaler Gesetzgeber weiter
ein . Außerdem müssen neue, unabhängige Stellen für
die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen eingerichtet werden . Das widerspricht dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip und schafft neue, unnötige
Bürokratie .
Die Dienstleistungskarte soll grenzüberschreitende
Arbeiten erleichtern . Praktisch soll die Karte von Dienstleistern in ihrem Herkunftsland beantragt werden, um in
einem anderen Mitgliedstaat Leistungen zu erbringen .
Das Zielland muss die Dienstleistungskarte akzeptieren
und kann keine weiteren Anforderungen stellen . In der
Praxis sind die geplanten Prüffristen von zwei Wochen
viel zu kurz, sodass faktisch Genehmigungen ohne Prüfung erteilt werden . Auch hier sollen die Mitgliedstaaten
entsprechende Behörden einrichten . So werden Doppelstrukturen geschaffen, da es bereits den einheitlichen Ansprechpartner in den Mitgliedstaaten gibt .
Das Herkunftslandprinzip, das wir bei der Dienstleistungsrichtlinie noch verhindert haben, wird hier durch
die Hintertür eingeführt . Das lehnen wir strikt ab . Auch
für Dienstleister aus anderen EU-Staaten müssen weiter
unsere Anforderungen gelten . Der Vorschlag schießt weit
über das Ziel hinaus und schränkt die Kompetenzen der
nationalen Parlamente ein . Es ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Verwaltung und das öffentliche Wirtschaftsrecht der Mitgliedstaaten . Es kann nicht Ziel sein,
neue, kostenintensive bürokratische Verwaltungsstrukturen in den Mitgliedstaaten zu schaffen. Die Schwierigkeiten im grenzüberschreitenden Dienstleistungsbereich
liegen an anderer Stelle, zum Beispiel in mangelnden
Sprachkenntnissen und unterschiedlichen technischen
Ausstattungen .
Mit der Subsidiaritätsrüge senden wir ein wichtiges
Signal nach Brüssel . Außerdem wehren wir uns dagegen,
dass jetzt schnell im informellen Trilog solche einschneidenden Entscheidungen getroffen werden. In unserem
Entschließungsantrag zur Binnenmarktstrategie im Juni
letzten Jahres haben wir uns bereits klar gegen solche
Eingriffe positioniert.
Europa steht vor großen Herausforderungen und ringt
um Wege aus der Krise . Einmischungen in die Subsidiarität und der Ausbau unnötiger und unverhältnismäßiger
Bürokratie in den Mitgliedstaaten bringen die Bürger
immer mehr gegen die EU auf . Maßnahmen wie das
Dienstleistungspaket treiben sie in die Arme der Europagegner . Ich weiß nicht, wie ich das meinen Handwerkern
zu Hause erklären kann . Ich bitte daher um Ihre Unterstützung .
({2})
Vielen Dank . - Als nächstes hat Annalena Baerbock
für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben ja jetzt zu später Stunde noch
heftige Kost .
({0})
- Ja, zu Recht; das wollte ich gerade sagen . Es ist doch
sehr wichtig, dass wir das hier diskutieren - Sie wollten
das ja einfach so abstimmen lassen -; denn das Thema
ist sehr komplex . Das Thema ist, weil es hochjuristisch
ist, sicherlich keines, das die Herzen der Menschen erwärmen wird . Eher das Gegenteil ist der Fall . Wenn man
falsch argumentiert, droht die Gefahr, dass es wieder zur
Stimmungsmache gegen Europa taugt . Deswegen ist es
sehr wichtig, dass wir uns differenziert mit der Kritik
auseinandersetzen .
({1})
Man muss hier zwischen materieller Kritik, dem, was
man inhaltlich in den Richtlinien falsch findet, und der
Subsidiaritätsfrage trennen . Frau Strothmann, das haben
Sie hier aus meiner Sicht leider alles durcheinandergebracht; denn die Frage der Subsidiarität lautet: Hat die
EU hier eine Kompetenz? Darf die EU hier rechtlich aktiv werden? Wir reden nicht darüber, wie viele Wochen
man jetzt eine Prüffrist hat. Das kommt später im VerfahLena Strothmann
ren . Jetzt ist die Frage: Hat die EU hier Gesetzgebungskompetenz? Das ist ein großer Unterschied . Gerade in
Zeiten, in denen es in Europa so stürmisch zugeht, sollte
man als Gesetzgeber diesen Unterschied immer berücksichtigen .
({2})
Ich möchte noch einmal daran erinnern: Die Dienstleistungsfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten innerhalb der EU . Dienstleistungen machen heute zwei Drittel
der Wirtschaftsleistungen der EU aus. Sie schaffen laut
EU-Kommission etwa 90 Prozent der neuen Arbeitsplätze in unserem Binnenmarkt . Das heißt, es ist jetzt nicht
irgend so ein Pipifax, über den wir hier reden . Es ist eine
feste Säule unserer Europäischen Union . Zugleich - da
bin ich auch bei der materiellen Kritik - erinnere ich
mich sehr gut an die harten Diskussionen zur Dienstleistungsrichtlinie 2004 bis 2006 . Ich war da nämlich zufälligerweise Mitarbeiterin im Europäischen Parlament, und
ich habe ganz persönlich hart dafür gekämpft, dass das
Herkunftslandprinzip aus der damaligen Dienstleistungsrichtlinie herauskam . Dafür haben einige gekämpft, Sie
als Konservative bekanntermaßen leider nicht .
Nichtsdestotrotz: Diese Dienstleistungsrichtlinie wurde auch gegen die Stimmen von uns Grünen hier angenommen . Sie haben damals nicht infrage gestellt, dass
die Europäische Kommission hier eine Kompetenz hat .
Deswegen verwundert es mich schon, dass Sie jetzt
plötzlich sagen, die europäische Ebene darf hier nicht
aktiv werden;
({3})
denn die drei Richtlinienvorschläge, um die es hier geht,
sind Verbesserungen der bestehenden Dienstleistungsrichtlinie . Ja, ich sehe in den drei Richtlinien massive
Probleme, die Sie zum Teil auch angesprochen haben .
Es geht nicht, dass wir bei der Berufsreglementierung
überhaupt keine Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr haben . Es kann nicht sein, dass der EuGH plötzlich umgangen wird . Es kann auch nicht sein, dass die Systematik
des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 258 des
EU-Vertrages plötzlich aufgekündigt wird . Das geht alles
nicht .
Auch ich habe große Sorge, wie es die IG BAU formuliert, dass das Herkunftsprinzip durch die Hintertür
eingeführt wird . Aber noch einmal: Bei der Subsidiaritätsrüge geht es um die Frage: Darf die Kommission hier
tätig werden? Aus meiner Sicht darf sie das, rechtlich gesehen, erst einmal prinzipiell . Wir haben das in Artikel 56
des Lissabon-Vertrages, Dienstleistungsfreiheit, geregelt .
Die EU-Kommission ist die Hüterin der Verträge, und als
Hüterin der Verträge muss sie handeln, wenn etwas nicht
korrekt läuft . Das macht sie eben mit diesen Vorschlägen .
Sie haben die Notifizierung angesprochen. Dieser
Richtlinienvorschlag ist sicherlich der kritischste . Wir
haben ihn uns ganz genau angeguckt . Wir sehen, dass die
Rechtsgrundlage, die hier gewählt wurde - ich komme
zum Schluss, Artikel 53 und Artikel 114, es nicht trifft.
Aber das ist immer noch kein Grund für eine Subsidiaritätsrüge, sondern das wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung .
Lange Rede, kurzer Sinn: Materiell können diese
Richtlinien nicht so bleiben, wie sie derzeit sind . Das
müssen wir im Gesetzgebungsverfahren ändern, aber das
dürfen wir nicht über das Instrument der Subsidiaritätsrüge machen, gerade in stürmischen Zeiten nicht; denn das
hat Verhetzungspotenzial, was wirklich gefährlich wäre .
Ich möchte noch einmal an das erinnern, was Sie gerade gesagt haben . Sie haben gesagt: Wir haben das noch
nie gemacht . Jetzt wird es einmal Zeit, dass wir Deutschen auch dieses Instrument nutzen . - Das ist nun komplett die falsche Argumentation .
({4})
Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns das materiell
prüfen, aber nicht mit falschen rechtlichen Instrumenten
hantieren .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Sabine
Poschmann für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte jetzt einmal deutlich machen, gerade nach Ihrer Rede: Wir haben hier in diesem Parlament bereits zwei Stellungnahmen abgegeben, mehrheitlich . Wir haben ganz klar gemacht, dass wir das Ziel der
EU-Kommission, den Binnenmarkt zu vertiefen, grundsätzlich begrüßen . Da waren wir alle einer Meinung; ich
glaube, das ist auch weiter so .
Gleichzeitig wollen wir uns aber hiermit kritisch zu
einzelnen Aspekten der Binnenmarktstrategie äußern .
Das Dienstleistungspaket besteht aus vier Einzelmaßnahmen . Dazu gehören die Dienstleistungskarte, die
Stärkung des Notifizierungsverfahrens und ein Analyseraster zur Verhältnismäßigkeitsprüfung . Außerdem
gibt die Kommission eine rechtlich nicht verbindliche
Reformempfehlung für Berufsregulierung vor . Zu allen
Vorschlägen hatten wir uns bereits in unseren vorherigen
Stellungnahmen kritisch positioniert .
({0})
Da ist der Koalitionsantrag für eine Subsidiaritätsrüge
jetzt nur folgerichtig .
Bei den Richtlinienvorschlägen zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung sehen
wir das Subsidiaritätsprinzip der EU-Verträge verletzt .
Sie schränken den Handlungsspielraum des nationalen
Gesetzgebers - darum geht es uns jetzt - unverhältnismäßig ein und sind nicht von den EU-Verträgen abgedeckt .
Das Notifizierungsverfahren betrifft neue oder auch
zu ändernde Regelungen, die in den Anwendungsbereich
der Dienstleistungsrichtlinie fallen . Es geht also in erster
Linie um Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln,
von denen insbesondere die Baubranche, aber auch Unternehmensdienstleistungen und der Fremdenverkehr betroffen sind. Regeln in diesem Bereich werden nicht nur
vom Bundestag und den Länderparlamenten beschlossen, sondern auch von den Kammern im Rahmen ihrer
Selbstverwaltungsbefugnisse .
Eine Notifizierungspflicht gibt es bereits heute, und
so richtig überzeugend kann die EU-Kommission nicht
begründen, warum das geltende Verfahren reformiert
werden muss . Umso kritischer sehen wir die mit dem
vorgeschlagenen Verfahren verbundene Einschränkung .
So soll es während des laufenden nationalen Gesetzgebungsverfahrens eine dreimonatige Stillhaltefrist geben,
in der die Kommission sowie die anderen Mitgliedstaaten die Regeln prüfen und noch einmal kommentieren
können . Gibt es Bedenken, kann es zu einer Vorwarnung
kommen, und das Gesetzgebungsverfahren kann für weitere drei Monate ausgesetzt werden . Schließlich kann die
Kommission das Gesetz sogar komplett stoppen . Dem
Mitgliedstaat selbst bleibt dann nur der Gang zum Europäischen Gerichtshof, um gegen diese Entscheidung zu
klagen .
Das ist meiner Ansicht nach eine Umkehrung des
bisher geltenden Prinzips, wonach die Kommission vor
den Europäischen Gerichtshof ziehen musste, wenn sie
nationale Regelungen für EU-rechtswidrig hielt . Ein solches Verfahren geht weit über die Kompetenz der EU hinaus, Regelungen für die gegenseitige Anerkennung von
Zeugnissen und anderen Nachweisen zu schaffen. Zum
anderen widerspricht dieses Verfahren unserem Demokratieprinzip: Jede parlamentarische Tätigkeit mit Bezug
zu Dienstleistungen stünde dann unter Genehmigungsvorbehalt der EU-Kommission . Unabhängig davon würde es die nationalen Gesetzgebungsprozesse und somit
auch notwendige Reformen natürlich verlangsamen . Gerade weil wir alle bemüht sind, Bürokratie, die nicht sein
muss, zurückzudrängen, ist die Frage, warum wir sie hier
doppelt aufbauen .
Hinsichtlich der vorgeschlagenen detaillierten Verhältnismäßigkeitsprüfung haben wir ebenfalls erhebliche Bedenken. Wir sind bereits heute dazu verpflichtet,
Berufsregulierungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu
prüfen . Die Kriterien dafür wurden vom EuGH entwickelt und sind in der Berufsanerkennungsrichtlinie
festgeschrieben . Auch bei diesem Vorschlag ist meines
Erachtens nicht ersichtlich, weshalb nun eine Richtlinie
gebraucht wird . Laut dieser soll sich die Verhältnismäßigkeit von neuen oder geänderten Berufsregulierungen
an EU-einheitlichen Maßstäben orientieren . Das dafür
vorgesehene Analyseraster enthält 21 detaillierte Prüfkriterien . Zudem sollen empirische Begründungen der
Notwendigkeit sowie ökonomische Wirkungsanalysen
vorgelegt werden . Auch das würde diesen Prozess sehr
verlängern . Ich denke, eine Umsetzung dieses Vorschlags
wird nicht zu einer verbesserten Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Mitgliedstaaten führen, sondern eher zu
einer schematischen Abarbeitung der Prüfkriterien Es ist
sogar zu befürchten, dass die tatsächlich nötige inhaltliche Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit
dabei auf der Strecke bleibt .
Mit unserer Kritik sind wir übrigens nicht alleine .
Gerade kam ja der Vorwurf, dass wir die Verhältnismäßigkeit im Grunde gar nicht so ins richtige Licht rücken
würden .
({1})
Nein, beide Kammern des französischen Parlaments sowie der Bundesrat teilen unsere Subsidiaritätsbedenken .
Das Dienstleistungspaket beinhaltet darüber hinaus die
Dienstleistungskarte . Frau Strothmann hat es gerade angesprochen . Wir halten eine Subsidiaritätsrüge zu diesem
Vorschlag nicht für notwendig. Deshalb differenzieren
wir schon sehr . Wir werden das inhaltlich diskutieren
müssen und uns damit auch noch weiter kritisch auseinandersetzen . Denn wir sehen hier die Gefahr, dass das
Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt
wird, was wir entschieden - alle zusammen, glaube ich ablehnen .
Sehr geehrte Damen und Herren, bei aller Kritik, die
ich hier vorbringe, möchte ich zum Schluss noch einmal
betonen, dass wir Erleichterungen für den europäischen
Dienstleistungsmarkt grundsätzlich begrüßen . Und ich
möchte auch ganz klar sagen, dass es uns nicht darum
geht, ausländische Konkurrenz aus unserem Land fernzuhalten . Wir sind wie die EU-Kommission an einem
freien Dienstleistungsmarkt interessiert, aber wir sollten
dabei nicht übers Ziel hinausschießen . Die EU-Kommission sollte, wie sie es auch von ihren Mitgliedsländern
verlangt, die Verhältnismäßigkeit wahren .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Zum Abschluss der Debatte hat jetzt
der Kollege Dr . André Hahn die Gelegenheit, hier kurz
für die Fraktion Die Linke zu reden .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Meine Fraktion wird der vorliegenden Entschließung zustimmen . Gründe dafür sind von den Vorrednern,
die ebenfalls dieses Votum abgeben wollen, ausreichend
genannt worden . Die muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen und spare Ihnen und mir die Redezeit . Das Votum der Fraktion habe ich bekannt gegeben .
Herzlichen Dank .
({0})
Das Besondere ist, dass Sie den Applaus fast des gesamten Hauses haben. Das kommt ja nicht so häufig vor.
({0})
Damit sind wir am Schluss der Aussprache angelangt .
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11442, in Kenntnis der
auf Drucksache 18/11229 unter den Buchstaben A .8 bis
A .11 genannten Unterrichtungen eine Entschließung
gemäß Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon
in Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungsgesetzes anzunehmen . Es handelt sich um eine Subsidiaritätsrüge . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie ({1}) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.
Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in
der Union
Drucksache 18/11242
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben wer-
den . - Ich sehe, Sie sind einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11242 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch da
sehe ich von Ihrer Seite keine anderen Vorschläge . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises
Drucksache 18/11279
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Sie sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11279 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch da
sehe ich von Ihrer Seite keine anderen Vorschläge . Dann
ist so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
1) Anlage 9
2) Anlage 10
zes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von
Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei
durch den Einsatz von mobiler Videotechnik
Drucksachen 18/10939, 18/11282
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
Drucksache 18/11438
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes - Erhöhung der Sicherheit in
öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr
durch optisch-elektronische Einrichtungen
({5})
Drucksachen 18/10941, 18/11183, 18/11225
Nr. 8
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6})
Drucksache 18/11435
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Günter Baumann für die CDU/CSU-Fraktion .
({7})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich mit zwei Beispielen beginnen . Ein Bundespolizist geht im Hautbahnhof Hannover
Streife . Er hat die Aufgabe, auf die Sicherheit zu achten .
Er ist ausgebildet und darauf geschult, auf Gefahren zu
achten, wo Gefahren entstehen können . Bei der Personenkontrolle eines 16-jährigen Mädchens wird er mit
einem Messer am Hals schwer verletzt . Ein zweites Beispiel: eine Demonstration in Berlin . Junge Polizistinnen
und Polizisten geraten zwischen die Fronten von Chaotengruppen und werden mit Pflastersteinen beworfen und
schwer verletzt .
Das sind nur zwei Beispiele, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die symbolisch zeigen, dass in unserem Land
leider Gewalt zunimmt, vor allem - das ist das Schlimme - Gewalt gegen Polizisten . Das müssen wir akzeptieren .
({0})
- Kollege von Notz, das ist einfach so, auch wenn Sie
den Kopf schütteln .
Bei normalen Streifengängen, bei Einsätzen bei Fußballspielen oder bei Demonstrationen gibt es eine ansteigende Anzahl von Angriffen gegen die Polizei. Wir
hatten im Jahr 2015 fast 15 000 Fälle von leichter Körperverletzung gegen Polizisten . Wir hatten über 4 000
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Fälle von schwerer gefährlicher Körperverletzung . Das
war in beiden Fällen ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr .
Das heißt, die Politik ist gefordert, zu handeln .
({1})
Wir müssen alle Möglichkeiten, die die Politik hat, nutzen, um darauf einzuwirken, dass Hemmschwellen wieder absinken und Polizeibeamte ihrer Arbeit sicherer
nachgehen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Abbau von
Polizeikräften in den meisten Bundesländern und die
Stagnation der Bundespolizei in den letzten Jahren waren
natürlich keine Beispiele, die Sicherheit in unserem Land
zu erhöhen . Wir haben Entwicklungen einfach falsch
eingeschätzt . Ich denke, man kann mit Recht sagen, wir
haben in der letzten Zeit als Koalition darauf reagiert .
Wir haben ein enormes Stellenzuwachsprogramm bei der
Bundespolizei . Wir haben mehr Geld für den Haushalt
in die Hand genommen . Auch die meisten Bundesländer
stocken ihre Polizei wieder auf . Das heißt, wir sind wieder auf einem guten Weg .
({2})
- Ich habe gesagt, wir sind jetzt wieder auf einem guten
Weg und haben vorher einige Fehler gemacht, Herr von
Notz . Das habe ich hier eingestanden .
({3})
Wir müssen aber auch eines sagen, liebe Kolleginnen
und Kollegen: In unserer Gesellschaft haben leider der
Respekt und die Achtung des Gegenübers, eines Nachbarn, eines Fremden oder einer Sicherheitskraft abgenommen, was von einem moralischen Verfall unserer
Grundwerte in unserem Land zeugt . Wir müssen überlegen, an welchen Stellen wir stärker einwirken müssen;
dies geht in den Familien, in den Schulen . Unsere Medien sind auch nicht immer der beste Weg .
Wir haben als Koalition heute einen weiteren Baustein
vorgelegt, einen Baustein, bei dem wir mehr Schutz für
unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gewährleisten können . Ein Beispiel für mehr Sicherheit: Ein
einjähriger Feldversuch hat in mehreren Bundesländern
gezeigt, dass Bodycams ein Baustein für mehr Sicherheit
sein können . Wir haben am Montag in der Anhörung von
Fachexperten gehört, dass Polizisten, die vor Ort Versuche gemacht haben, gefragt worden sind . 92 Prozent
von ihnen sagen ganz klar: Es ist sinnvoll, mit Kameras
ausgestattet zu sein . 67 Prozent geben an, dass ihr Gegenüber nicht mehr so aggressiv ist . 76 Prozent sagen,
es ist auch zum Nutzen ihrer Eigensicherung . Bodycams
können sowohl präventiv, das heißt als Abschreckung für
einen möglichen Gegner dienen, aber auch repressiv, das
heißt für eine Aufklärung von Straftaten von erheblichem
Nutzen sein . Die Kameras bewirken ein deeskalierendes
Verhalten des Gegenübers . Ich denke, wenn solche Mittel
zur Verfügung stehen, sind wir verpflichtet, diese auch
einzusetzen .
Es gibt auch vereinzelte Fälle, in denen nach Veranstaltungen gesagt wird, dass es zu Übergriffen von Polizisten gekommen ist . Auch hier kann man mit Aufzeichnungen der Bodycams leichter feststellen, was passiert
ist, und es konkret aufklären .
Auch die Datenverwertbarkeit wurde am Montag von
den Experten eindeutig bestätigt . Sie ist sichergestellt,
und wir können die Kameras nutzen .
Ich denke, wir sollten neben anderen Mitteln - weitere
Verbesserung der Personalausstattung, weiterer Einsatz
von Geld für Technik - auch die Mittel, die wir hier an
der Hand haben, nutzen . Ich denke, es ist ein Schritt, der
in die richtige Richtung geht . Damit werden wir nicht alles lösen, aber es kann ein Baustein sein .
Ich denke, dass wir alle die Meinung vertreten - auch
die Opposition -, dass wir für den Schutz unserer Polizisten relativ viel tun müssen, sodass wir heute alle gemeinsam dem Gesetz zustimmen können . Ich freue mich
darauf .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Frank Tempel .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein ehemaliger Kollege, ein Polizeibeamter,
hat mich vor wenigen Stunden gefragt, was es denn im
Bundestag zu Mitternacht Wichtiges zu besprechen gibt .
Meine Antwort: Ich habe sage und schreibe vier Minuten
Zeit, um zu zwei Gesetzen zu sprechen,
({0})
die nach öffentlicher Verlautbarung mehr Sicherheit bringen sollen .
Das Fazit der nächtlichen Debatte ist auch schon
klar - Herr Wendt, da werden Sie mir recht geben -: Wer
dem Gesetz nicht zustimmt, ist gegen mehr Sicherheit,
zumindest nach Auffassung der Regierungskoalition.
({1})
Für die Fraktion Die Linke bleibt aber das entscheidende Kriterium: Bringen Ihre Vorschläge im Rahmen
der Verhältnismäßigkeit tatsächlich mehr Sicherheit?
({2})
Dann würden wir auch zustimmen . Prüfen wir mal!
In der Problemstellung zum Videoüberwachungsverbesserungsgesetz - schöner Name! - beschreiben Sie:
Terroristen und Straftäter nehmen für Anschläge
auch hochfrequentierte öffentlich zugängliche Anlagen in ihren Fokus, um größtmöglichen Schaden
anzurichten …
So weit ist es richtig .
Als Ziel Ihres Gesetzes bezeichnen Sie dann, „solche
potentiellen Schäden frühestmöglich zu verhindern .“
Weiter unterstreichen Sie deutlich, Sie wollten „die Sicherheit der Bevölkerung präventiv … erhöhen .“
({3})
So steht es in Ihrem Gesetzentwurf, und danach müssen
wir ihn bewerten .
Erreichen wollen Sie das Ziel durch eine Verbesserung der Videoüberwachung .
({4})
Es gibt bereits solche Videokameras, und es gibt auch
immer wieder Beispiele dafür, dass sie bei der Aufklärung von Straftaten geholfen haben - eben weil sie den
Täter nicht von der Tat abgehalten haben, weil die Prävention in diesem Bereich versagt hat .
({5})
Terroristen wollen sogar häufig öffentliche Bilder haben, um ihre Taten verbreiten zu können .
Sie behaupten, Kameras wären ein präventives Mittel,
um Anschläge zu verhindern, und das ist entweder inkompetent oder bewusst gelogen .
({6})
Bei der Gefahrenabwehr machen sinnvoll postierte Kameras nur Sinn, wenn entsprechendes Personal die Gefahren live zur Kenntnis nimmt und entsprechende Maßnahmen einleiten kann . In der Regel gibt es aber genau
dieses Personal nicht . Somit ist das im Gesetzentwurf genannte Ziel der verbesserten Prävention von Anschlägen
mit Ihren Vorschlägen nicht zu erreichen . Der Gesetzentwurf ist daher als untauglich abzulehnen .
({7})
Zur Prävention sind die Kameras nicht geeignet .
({8})
Ich möchte auf einen zweiten Aspekt Ihres Gesetzentwurfs zu sprechen kommen . Ich habe ja gesagt: Wer Nein
sagt, der braucht nach Ihrer Auffassung gar nicht prüfen,
ob die Gesetze etwas taugen, sondern ist per se dagegen . - Das Gleiche gilt für die Bodycams . Wir haben ja
in der ersten Lesung deutlich Gesprächsbereitschaft beim
Thema Bodycams signalisiert . Weil das Gesetz im Grunde genommen etwas stümperhaft war, haben wir Ihnen
ein paar Hinweise gegeben, woran man da arbeiten muss,
um es tauglich zu machen .
Zum Beispiel ist leider nach wie vor die Gerichtsverwertbarkeit der Aufnahmen nicht gewährleistet . Die Frage der Manipulationssicherheit der Aufnahmen ist nach
wie vor nicht geregelt . Der Beamte kann nach Ihrem
Entwurf weiterhin selbst entscheiden, welchen Teil einer
Situation er aufnimmt . Auch das ist gewissermaßen eine
Art und Weise der Manipulation; denn der Verdacht wird
immer im Raum stehen, dass mit diesen Teilaufnahmen
tatsächliche Abläufe verzerrt werden könnten .
Sie, liebe Kollegen von der Regierungskoalition,
möchten gern im Wahlkampf die Schlagzeile sehen, für
mehr Sicherheit von Polizeibeamten gesorgt zu haben .
Das ist aber genau das - ({9})
- Es ist wie im Innenausschuss: Immer dazwischenbrabbeln, aber nie etwas Gescheites dazugeben . Machen Sie
doch die Gesetze besser . Dann brauchen wir Sie nicht
ständig darüber zu belehren, was Sie machen müssen .
({10})
Alle diese Punkte sind in der ersten Lesung eingebracht worden . Wir haben eine Anhörung dazu gemacht .
Nicht einen einzigen Punkt haben Sie nachgebessert .
({11})
Ihre Art und Weise, Gesetze zur inneren Sicherheit zu
machen, ist genauso, als wenn Sie jemandem erzählen,
dass Sie ihm schönes Haus bauen wollen, es aber dann,
wenn er hineingeht, zusammenfällt, weil Sie gepfuscht
haben . So geht es nicht .
({12})
Wenn es Ihnen mit der Sicherheit von Polizeibeamten
und Bürgern ernst ist, dann machen Sie Ihre Hausaufgaben gründlich und lassen Sie uns gemeinsam beraten,
wie man die Sache mit den Bodykameras besser regeln
kann - sie können unter Umständen ja ein Mittel für mehr
Sicherheit sein -, und über Personalstärken, Schutzausrüstung und vor allen Dingen auch ein besseres Deeskalationstraining für Polizeibeamte reden .
Bei so vielen fachlichen Defiziten müssen wir auch
Ihren zweiten Gesetzentwurf leider ablehnen, weil er einfach stümperhaft ist .
({13})
Vielen Dank . - Als Nächster hat Sebastian Hartmann,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Große Koalition redet nicht nur, sie handelt auch, liebe Vertreter der Opposition . Wir haben die
Chancen der Digitalisierung und der Technik ernst genommen und aufgenommen .
({0})
Wir werden an zwei Stellen handeln, wo wir auch die
technischen Möglichkeiten haben, um die Sicherheitslage in einem der sichersten Länder der Welt, nämlich
Deutschland, weiter zu verbessern . Das ist unsere gemeinsame Aufgabe .
Ich nehme den Ball der Opposition auch auf . Sie würden ja gerne mitmachen . Sie haben Ihre Vorschläge eingebracht . Wir haben das auch eingehend geprüft, aber ein
gutes Gesetz kann man mit solchen Vorschlägen nicht
noch besser machen . Dann muss man das beschließen,
was wir vorgelegt haben .
({1})
Denn es nicht so, als hätten wir das im luftleeren Raum
beschlossen . Wir haben hier einen Vorschlag eingebracht .
Es ist ein maßvoller Vorschlag, mit dem wir punktuell
an zwei Stellen das bestehende gute Gesetze verbessern
werden .
Der eine Punkt betrifft, wie schon angesprochen, die
Bodycams . Das Ziel ist doch klar: Wenn sich Menschen
für Sicherheitsbehörden entscheiden, wenn sie sich dafür entscheiden, als Polizistin oder als Polizist dafür zu
sorgen, dass dies ein sicheres Land bleibt, dann ist es
unsere Verantwortung als Gesetzgeber, dafür zu sorgen,
dass diese Menschen im Dienst geschützt werden . Wenn
wir eine Verrohung der Sitten feststellen und dass die Gewalt gegen Polizeibeamte ansteigt, müssen wir uns als
Gesetzgeber doch fragen, was wir dagegen tun können,
dass diese Polizistinnen und Polizisten nicht ausreichend
geschützt sind . Unsere Antwort darauf ist auf der einen
Seite eine Sammlung von Gesetzen, mit denen wir noch
einmal klarmachen, wie die Ordnung hier herzustellen
ist, und auf der anderen Seite die Erlaubnis, Bodycams
eben auch punktuell einzusetzen .
In der Anhörung haben wir Folgendes gehört: Die
einen sagen, dass 2 500 Kameras überhaupt nicht ausreichen, wenn man über 40 000 Polizisten redet . Die anderen sprechen über die disziplinarrechtlichen Probleme,
die sich ergeben . Wir sagen: Lassen Sie uns uns doch auf
den Weg machen . Lassen Sie uns doch prüfen, ob wir es
dadurch nicht weiter verbessern können . Wenn wir auf
dem Weg dorthin feststellen, dass manche der Bedenken,
die hier mal so eben in den Raum gestellt worden sind,
zutreffen, dann können wir es immer noch verbessern.
Der zweite Punkt ist die Videoüberwachung von öffentlich zugänglichen Plätzen . Als wir darüber hier redeten, haben wir festgestellt - auch unter dem Eindruck von
aktuellen Taten -, dass die Überwachung eines Bereichs
von öffentlich zugänglichen Plätzen von privaten Akteuren betrieben wird . Diese privaten Akteure brauchen auf
dem Weg zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit
auch klare Maßgaben, wie sie dafür sorgen können - zum
Beispiel durch Videoüberwachung -, dass Kundinnen
und Kunden von Einkaufszentren besser geschützt werden .
Ich gebe uns aber eine Empfehlung: Lassen Sie es
nicht zu einer Übertreibung, zu einem Überbietungswettbewerb kommen . Genau genommen haben wir eine Zahl
von etwa 3 100 Kameras identifiziert, die möglicherweise infolge dieses Gesetzes dann rechtssicher aufgestellt
sind . Wir regeln sowohl das Extrem, dass ein Privater
sagt: „Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll, also
lasse ich es lieber ganz bleiben“, obwohl er den Bedarf
sieht, als auch das gegenteilige Übermaß, indem wir klar
sagen: Genau hier wollen wir für die Schutzgüter Leben
und körperliche Unversehrtheit handeln . - Das haben wir
getan .
Die Anhörung hat ergeben, dass wir mit dem Gesetz
auf einem guten Weg sind . Die Expertinnen und Experten haben doch einerseits gesagt: Es ist mit dem Bundesdatenschutzgesetz und unserem hohen Schutzniveau für
Daten gut vereinbar, dass wir hier, um einen guten Zweck
zu erreichen, alle erforderlichen Maßnahmen anstreben .
Damit kann man das guten Gewissens beschließen .
Andererseits wollen wir keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung betreiben . Das ist ja auch behauptet worden . So ist es nicht .
({2})
- Nein, so ist es eben nicht . - Wir haben den Zweck
genau festgelegt . So wollen wir dafür sorgen, dass wir
dann, wenn es zu einem Terroranschlag oder einer Bedrohungssituation in unserem Land kommt, einen Zugriff
auf bestimmte Daten haben . Einsicht nehmen könnten
wir dann vielleicht in Daten aus einem öffentlich überwachten Raum, aber nicht in die aus einem Einkaufszentrum . Dadurch hätten wir in Zukunft dann verbesserte
Chancen, für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes zu sorgen . Das sind wir ihnen schuldig,
und wir haben aufgrund der aktuellen Lage erkannt, dass
wir hier handeln müssen . Deswegen lade ich Sie ein, dem
Gesetzentwurf zuzustimmen .
({3})
Es gab natürlich einiges an Hin und Her . Auf der einen
Seite wurde behauptet - die Opposition muss sich wirklich überlegen, was sie will -: Wir bauen einen riesen
Datenhaufen auf, den sich nie irgendjemand angucken
kann, also bringt das alles nichts . - Auf der anderen Seite
wurde behauptet: Durch Kameras wird ein Placeboeffekt
von öffentlicher Sicherheit erzeugt, und es kommt zu
Verhaltenseffekten.
({4})
Wir haben hier auf der Basis der aktuellen Erfahrung und
im Einklang mit dem geltenden Recht gesagt: Wir geben
den Privaten eine Auslegungsregel an die Hand, damit
sie mithilfe von Videotechnik ihren Bereich schützen
können. Es ist nicht so, dass damit eine öffentliche Aufgabe privatisiert wird . Wir geben vielmehr den Privaten
lediglich eine Auslegungsregel mit an die Hand, damit
sie wissen, wie das funktioniert .
Die Erkenntnisse der Anhörungen nehmen wir mit auf
den Weg . Die Datenschützer waren sich einig . Wir haben
auch die Hinweise der Polizeibediensteten, die sich sehr
eingebracht haben, und ebenso die Hinweise des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen ernst genommen .
Darum sagen wir: Wir sind auf einem guten Weg . Man
kann das Gesetz guten Gewissens beschließen . Wir sorgen dafür, dass Deutschland nicht nur eines der sichersten
Länder der Welt ist, sondern auch bleibt . Wir verbessern
dafür einige Gesetze und laden die Opposition herzlich
zur Zustimmung ein .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Dr . Konstantin von Notz .
Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine Damen und
Herren!
({0})
Die beiden Gesetze, die wir heute diskutieren, werden
von der Bundesregierung und auch von den Fraktionen in
den Kontext der derzeitigen terroristischen Gefährdungslage gestellt . Die drei inhaltlich völlig unterschiedlichen
Maßnahmen, die hier in zwei Gesetzentwürfe gepackt
wurden, sollen die öffentliche Sicherheit verbessern; so
hieß es ja auch in den Reden . Dabei geht es erstens um
die Erleichterung des Einsatzes von Überwachungskameras, zweitens um die automatische Kennzeichenerfassung und drittens um die Einführung von Bodycams bei
der Polizeiarbeit .
({1})
Nach der Anhörung in dieser Woche gibt es aber überhaupt keinen Zweifel: Keine einzige dieser Maßnahmen
hätte auch nur eines der schrecklichen Vorkommnisse,
die wir letztes Jahr erlebt haben, verhindern können,
weder den Anschlag auf den Breitscheidplatz, noch Ansbach, noch den Amoklauf von München .
({2})
Denn die Videoüberwachung - Kollege Tempel hat es
gesagt - hat eben keine Präventivwirkung, insbesondere
nicht auf salafistische Terroristen wie Anis Amri.
({3})
Vielmehr zelebrieren es diese sogar noch, wenn ihre Taten auf Video aufgenommen werden . Deswegen helfen
Ihre Gesetze bei diesen Problemen überhaupt nicht weiter .
Videoüberwachung kann natürlich - das sage ich ganz
deutlich für meine Fraktion - an neuralgischen Punkten
im öffentlichen Raum helfen, Straftaten aufzuklären,
({4})
wie das jüngst bei dem Angriff auf den Obdachlosen in
Berlin der Fall war .
({5})
Aber die Terrorismusbekämpfung und Mittel zur Strafverfolgung auf Dritte, auf Private zu übertragen, das
führt auf die schiefe Bahn;
({6})
denn beides sind originäre Aufgaben des Staates, meine
Damen und Herren, und dürfen nicht outgesourct werden . Dass Ihnen nicht einmal die Tatsache zu denken
gibt, dass der Deutsche Richterbund Ihre Pläne für verfassungswidrig hält, spricht auch eine deutliche Sprache .
({7})
Ähnlich liegen die Dinge bei der automatischen Kennzeichenerfassung. Sehenden Auges schaffen Sie hier ein
Gesetz der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung und Schleierfahndung,
({8})
welches verfassungsrechtlich nicht weniger heikel ist als
das andere . Die Zulässigkeitsvoraussetzung haben Sie
so wachsweich formuliert, dass es sich um einen Freifahrtschein handelt, und ich sage Ihnen: Das wird wieder
nicht, wie bei den beiden Landesgesetzen, Bestand vor
dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben .
({9})
Ganz zu schweigen, Herr Kollege Wendt, von der wahnsinnigen Arbeitsbelastung für die Bundespolizei, die
damit einhergeht - wegen der Bearbeitung von Fehltreffern. Ich wünsche frohe Verrichtung. Wenig Nutzen,
viele Probleme - willkommen in der GroKo! Ein solches
Gesetz machen wir nicht mit .
({10})
All dies macht es für Ihre dritte Regelung umso trauriger; denn die Bodycams für Polizeibeamte sind tatsächlich eine gute Idee . Auch wenn sie mit Blick auf terroSebastian Hartmann
ristische Bedrohungslagen keinen Effekt haben, wären
sie, isoliert gesehen, durchaus zustimmungswürdig und
-fähig .
({11})
In der Tat sind die gewalttätigen Übergriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte - das wurde schon angesprochen - ein sehr ernstes Problem . In bestimmten
Situationen können Bodycams tatsächlich deeskalierend
wirken .
({12})
Sie vermischen dieses Gesetz aber nicht nur mit der
automatischen Kennzeichenerfassung - das ist ja wirklich ein Irrsinn -, sondern Sie bleiben auch völlig unklar
hinsichtlich der Frage, wie die Auswertung des Datenmaterials genau erfolgen soll, welche Standards die Technik
zu erfüllen hat und wie die Einhaltung der Rechte der
Betroffenen gewährleistet wird, übrigens auch die der
Beamtinnen und Beamten . Sie wären es den Bürgerinnen
und Bürgern und den Polizeibeamtinnen und -beamten
schuldig gewesen, diesen Gesetzentwurf nachzubessern,
statt hier heute Nacht einen solchen Schnellschuss durchzupeitschen .
({13})
Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr von Notz .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Sie
wollen hier eben kein ordentliches Gesetz machen . Sie
wollen das hier heute Nacht abhaken . So erklärt sich
auch dieser Debattenplatz; der Kollege Tempel hat es
angesprochen . Wir haben hier vier Minuten, um drei so
wesentliche Maßnahmen zu besprechen . Das zeugt von
Lieblosigkeit gegenüber diesem Thema . So sieht der
Stellenwert aus, den Sie den Bürgerrechten, der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und der Sicherheit der
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten beimessen .
Jetzt ist aber Schluss .
Hier nachts solche Gesetzentwürfe durchzuwinken,
geht nicht an, meine Damen und Herren .
({0})
Danke schön . - Jetzt ist der Kollege Marian Wendt
von der CDU/CSU-Fraktion dran .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist wieder
ein guter Tag für die innere Sicherheit in unserem Land,
wie bereits in der letzten Sitzungswoche . Wir haben auch
heute zahlreiche gute Gesetzentwürfe für die Sicherheit
in unserem Vaterland beschlossen bzw . werden sie noch
beschließen . Das Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, das sogenannte E-ID-Gesetz, das
Videoüberwachungsverbesserungsgesetz und das Bodycamgesetz sind, glaube ich, sehr gute Maßnahmen, um
die Sicherheit im Land noch weiter zu verbessern und die
Lage stabil zu halten .
Die Entwicklungen des letzten Jahres, die Anschlagsversuche und die durchgeführten Anschläge unter anderem in Berlin, Bonn, Würzburg und München haben
gezeigt, dass wir insbesondere im Bereich Videoüberwachung noch einiges tun müssen . Was tun wir? Wir
fordern nicht die Privaten auf, überall Kameras zu installieren . In § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes sagen
wir klar, wo wir uns den Einbau von Kameras besonders
wünschen, ohne dass wir eine Verpflichtung zum Einbau
hineinschreiben .
({0})
- Das ist nicht wahr . Sie unterstellen uns da etwas, was
wir überhaupt nicht vorhaben .
Ich denke, dass es im Interesse des Rechtsstaates und
auch im Sinne der Opposition ist, dass wir Dinge, die
gleich sind, in Deutschland auch gleich regeln . Wenn
wir dafür sorgen, weil wir es für richtig erachten, dass
in öffentlich zugänglichen Räumen wie Einkaufszentren,
Parkplätzen und Sportstätten einheitliche Regelungen für
die Datenerhebung und vor allen Dingen die Datenverwendung im Nachhinein bei entsprechenden Taten gelten, wenn die Polizei das Material braucht, dann ist das,
glaube ich, vor allen Dingen im Sinne der Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land .
Weiterhin ist es, glaube ich, richtig, dass wir versuchen, einheitliche Maßstäbe im ÖPNV-Bereich festzulegen . Es gibt Länder, in denen Bus- und Bahnunternehmen Kameras installieren . Dort wird aufgezeichnet;
aber es gibt keine einheitliche Regelung, ob das Material
24 Stunden gespeichert wird, eine Woche oder zwei Monate . Die Speicherdauer wollen wir gerne harmonisieren .
Wir müssen darüber nachdenken, ob wir dafür in Zukunft eine einheitliche deutschlandweite Lösung finden.
24 Stunden sind, glaube ich, keine angemessene Frist,
insbesondere, wenn wir Straftaten auch im Nachhinein
aufklären und bewerten wollen .
Wir wollen durch das Gesetz die öffentlich-private
Partnerschaft solidarisch ausgestalten . Wir wollen, wie
gesagt, dass auch private Plätze sinnvoller überwacht
werden können - können, wie gesagt . Außerdem wollen
wir die Anwender und Nutzer in eine rechtsklare Position
bringen . Das sollte auch Ihnen, lieber Kollege von Notz,
ein wichtiger Anknüpfungspunkt sein .
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kennzeichenerfassung . Ich selber wohne an einer Transitstraße, wie ich
das nennen würde, nämlich der B 87 . Von mir in Sachsen
aus ist man in anderthalb Stunden in Polen . Da wünschen
sich natürlich viele Bürgerinnen und Bürger, dass es unterwegs zum Beispiel Kennzeichenlesegeräte und auch
mobile Polizeikontrollen gibt, um gegebenenfalls bei
Diebstahl die Fahrzeuge entsprechend kontrollieren zu
können bzw. mögliche Treffer anzeigen zu können.
({1})
Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Weg gehen und
auch dafür sorgen, dass die Bundespolizei dieses Mittel
zur besseren Grenzüberwachung an die Hand bekommt .
Der letzte Punkt ist für mich und auch für meine Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion ein
sehr entscheidender, nämlich der Schutz unserer Beamtinnen und Beamten im Einsatz . Es geht um das Thema
„Videoüberwachung durch Bodycams“ . Da haben der
letztjährige Feldversuch, aber auch die Maßnahmen, die
bereits in den Bundesländern stattfinden, gute Wirkungen
gezeigt . Es gibt gute Belege dafür, dass es sich dabei um
ein sehr sinnvolles Einsatzmittel handelt .
({2})
Deswegen unterstützen wir das auch; denn es hilft sowohl den Bundespolizisten als auch den Bürgerinnen
und Bürgern, weil Situationen besser dargestellt werden
können .
Wir haben ja enge Regelungen getroffen. Ich denke
an die 30-Sekunden-Vorlaufzeit und die Löschung dieses
Materials, wenn es nicht zu einem Einsatz kommt . Es ist
wichtig - das sage ich gerade auch an die Adresse der
Fraktion der Grünen -, unseren Beamtinnen und Beamten auch ein bisschen Vertrauen entgegenzubringen, dass
sie genau wissen, wann ein Einsatz beginnt,
({3})
wann sie den Knopf drücken und damit die Szene filmen
und wann nicht .
Vor allen Dingen geht es im nächsten Gedankengang
auch darum - da sind wir, etwas weiter gefasst, natürlich
wieder bei dem Punkt „digitale Verwaltung“ -, wie wir
diese Daten auswerten . Denn Sie können sich ja vorstellen, dass 2 500 Beamte, die Videomaterial aufzeichnen,
auch ein entsprechendes Volumen herstellen . Wie man
dieses Volumen verarbeitet, sinnvoll speichert
({4})
und auch in einen möglichen Datenverarbeitungsakt einführt, wird uns in den nächsten Wochen und Monaten
noch beschäftigen .
Ich freue mich, dass wir heute diese beiden wichtigen Gesetze beschließen . Das ist gut für die Sicherheit
im Land .
Ich danke Ihnen und wünsche eine gute Nacht .
({5})
Vielen Dank . - Die Aussprache ist damit beendet .
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 30a zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Fahndung
bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den
Einsatz von mobiler Videotechnik . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/10939 und 18/11282 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen .
Tagesordnungspunkt 30b . Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes - Erhöhung
der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen
Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11435, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/10941 und 18/11183 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Das sind die Koalitionsfraktionen . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Opposition . Wer enthält sich? - Niemand . Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 sowie Zusatzpunkt 11 auf:
31 Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des BDBOS-Gesetzes
Drucksache 18/11139
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in
Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicher-
stellen
Drucksache 18/11409
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Beim BDBOS-Gesetz geht es um die Errichtung einer
Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Or-
ganisationen mit Sicherheitsaufgaben .
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11139 und 18/11409 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist
das so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration
Drucksachen 18/11136, 18/11182
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
Drucksache 18/11441
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden, sofern Sie damit einverstanden sind . - Ich sehe,
das ist der Fall . 2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11441, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/11136 und 18/11182 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen
1) Anlage 11
2) Anlage 12
schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen
Drucksache 18/11233
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind einverstanden .3)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/11233 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch hiermit
sind Sie einverstanden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
Drucksache 18/11234
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden . 4)
Wir kommen zur Abstimmung . Interfraktionell
wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11234 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keine weiteren
Vorschläge . Dann ist das so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen
Drucksache 18/11291
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind einverstanden .5)
Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/11291 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Sie sind ein-
verstanden, wie ich sehe .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung raumordnungsrechtlicher
Vorschriften
3) Anlage 13
4) Anlage 14
5) Anlage 15
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Drucksache 18/10883
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({5})
Drucksache 18/11432
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11432,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10883 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Tagesordnungspunkt 37:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes
Drucksache 18/10818
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({6})
Drucksache 18/11200
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11200,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10818 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzent-
wurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
in der dritten Lesung angenommen .
1) Anlage 16
2) Anlage 17
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen
und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten
Drucksache 18/11240
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({7})
Ausschuss für Gesundheit
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Sie sind damit einverstanden .3)
Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/11240 an den Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz zu überweisen . - Niemand hat
dazu einen anderen Vorschlag . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und
zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung
Drucksache 18/8486
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({8})
Drucksache 18/11437
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . - Sie sind
damit einverstanden .4)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11437, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/8486 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Alle, die zustimmen wollen,
bitte ich, aufzustehen . - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes
zur Änderung des Strafgesetzbuches - Straf-
barkeit von Sportwettbetrug und der Manipu-
lation von berufssportlichen Wettbewerben
Drucksache 18/8831
3) Anlage 18
4) Anlage 19
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({9})
Drucksache 18/11445
Die Reden werden nicht zu Protokoll gegeben . Vielmehr sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr . Johannes Fechner von der SPD-Fraktion .
({10})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe zwei Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
({0})
- Drei? Oh, entschuldigen Sie bitte; Sie habe ich übersehen . - Im Ernst: Der Sport hat eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung . Wir müssen deshalb alles tun ein erster Ansatz war das Anti-Doping-Gesetz -, um die
Glaubwürdigkeit des Sports zu schützen . Sportwettbetrug und die Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben beeinträchtigen nicht nur die Glaubwürdigkeit,
sondern schädigen auch das Vermögen anderer und insbesondere das Vertrauen in den Sport . Das gefährdet den
Sport in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Relevanz .
Der Wettskandal rund um den ehemaligen Schiedsrichter Robert Hoyzer im Jahr 2005 hat die Glaubwürdigkeit nicht nur des Fußballsports nachhaltig erschüttert . Betrug und Manipulation nehmen dabei deutlich
zu . Zuletzt brachte im Januar dieses Jahres eine wissenschaftliche Studie drei Bundesligaschiedsrichter mit auffälligen Wettsetzungen in Verbindung . Die brisante Studie der Universität Bielefeld und zweier Universitäten in
den USA kommt zu dem Ergebnis, dass bei den Spielen
dieser drei Schiedsrichter auffällig hohe Wettbeträge gesetzt werden, und zwar auf sogenannte Über/Unter-Wetten, bei denen es darum geht, ob mehr oder weniger als
2,5 Tore fallen, und das in einer statistischen Häufung,
die nach Ansicht der Wissenschaftler auch bei Wettbetrug zu erwarten wäre . Es fällt schwer, hier noch an einen
Zufall zu glauben . Solchen Manipulationen müssen wir
daher auch mit den Mitteln des Strafrechtes entgegentreten . Es ist deshalb richtig, dass wir diesen Gesetzentwurf
hier heute beraten .
Es gibt eine Lücke im Strafrecht . Nach der heutigen
Rechtslage ist bei einem Betrug nur dann eine Strafbarkeit gegeben, wenn auch ein Erfolg eintritt . Genau das
ändern wir mit diesem Gesetzentwurf . Wir gestalten
den Sportwettbetrug als abstraktes Gefährdungsdelikt .
Es muss also nicht zu einem entsprechenden Erfolg und
Vermögensschaden kommen .
Darüber hinaus schaffen wir einen Qualifikationstatbestand des besonders schweren Falles, wenn sich die Tat
auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder der Täter
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt . In
diesen Fällen wird zudem eine Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung eingeräumt . Ich glaube, auch das
wird dazu beitragen, das Vertrauen in den Sport wiederherzustellen .
({1})
Die Umsätze, die allein in Deutschland mit Sportwetten erzielt werden, liegen im Milliardenbereich . Die
Anreize zur Manipulation werden dadurch immer größer .
Mit dem heutigen Gesetzentwurf setzen wir deshalb ein
Signal für den sauberen Sport, für einen Sport ohne Betrug und ohne Bestechung .
In diesem Sinne stimmen wir diesem Gesetzentwurf
zu .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Johannes Fechner . - Schönen guten
Abend bzw . guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Nächster Redner: Dr . André Hahn für Die Linke .
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf fand
am 7 . Juli 2016 statt . Die Reden wurden zu Protokoll
gegeben, da der Tagesordnungspunkt erst zu nächtlicher
Stunde aufgerufen worden wäre . Am 28 . September 2016
lud der federführende Ausschuss namhafte Experten zu
einer öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf ein.
Solche Anhörungen haben das Ziel, die Abgeordneten
mittels externen Sachverstands zu beraten und zu unterstützen, damit sie sachgerechte Entscheidungen treffen
und eventuell auch noch Änderungen am Gesetzentwurf
vornehmen können .
Mit großem Interesse habe ich die schriftlichen Stellungnahmen der Experten gelesen und ihre Antworten
auf meine Fragen in der Anhörung verfolgt . Dabei wurde
deutlich, dass es eine ganze Reihe von rechtlich fragwürdigen Regelungen in diesem Gesetzentwurf gibt und die
Koalition gut daran täte, das Papier noch einmal gründlich zu überarbeiten .
Warum erzähle ich das?
({0})
Ich erzähle das, Herr Kollege Baumann, weil es bis zu
dieser Woche, ein halbes Jahr später, noch immer kein
Protokoll von dieser Anhörung im Rechtsausschuss gibt .
Das erschwert nicht nur den Abgeordneten die Arbeit unVizepräsidentin Ulla Schmidt
nötig, sondern das ist in meinen Augen auch eine Missachtung der Arbeit der Sachverständigen .
({1})
Vielleicht ist das fehlende Anhörungsprotokoll ja ein
Grund dafür, dass wir einen so halbherzigen Änderungsantrag der Koalition vorliegen haben, der die zentralen
Fragen und Kritikpunkte nicht aufgreift . Nach monatelangem Stillstand soll die Beschlussfassung nun aber im
Schweinsgalopp durchgezogen werden .
Erst gestern fanden die abschließenden Beratungen in
den Ausschüssen statt - jetzt muss man „vorgestern“ sagen -, ohne dass es dort tiefgehende Debatten gegeben
hätte . Die Opposition durfte noch zwei, drei Kritikpunkte
anbringen, die von der GroKo wie immer ignoriert wurden, und heute soll der Gesetzentwurf im Plenum durchgewunken werden ({2})
wieder zu nächtlicher Stunde und damit de facto ohne
Öffentlichkeit. Das ist nicht nur parlamentarisch schlechter Stil, sondern das wird auch dem wichtigen Anliegen
dieses Gesetzentwurfs nicht gerecht .
({3})
Ich halte dieses Prozedere, das man jetzt anscheinend
häufiger praktizieren will, für meine Fraktion und auch
für mich persönlich für wirklich inakzeptabel .
Nun aber zu einigen inhaltlichen Aspekten:
Nach dem Anti-Doping-Gesetz wird nun auch ein
Gesetz gegen Wettbetrug und Manipulation im Sport
verabschiedet, indem neue Tatbestände ins Strafrecht
eingefügt werden . Schutzgut soll damit zum einen die Integrität des Sports - wir haben es eben gehört - und zum
anderen das Vermögen sein . Begründet wird dies mit
der herausragenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Sports, der unter anderem auch aus
diesen Gründen einen strafrechtlichen Schutz benötige .
Bisher sei aus Sicht der Koalition eine strafrechtliche
Verfolgung nur unzureichend möglich . Das ist eben auch
vorgetragen worden . Nun greift man zu einer neuen Regelung, die auch nicht wirklich überzeugen kann .
Gänzlich neu im Gesetzentwurf - das will ich durchaus sagen - ist der geplante Tatbestand zur Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe, ein Handeln, das
bisher noch nie strafrechtlich geregelt worden ist . Danach macht sich strafbar, wer einen Vorteil fordert, sich
versprechen lässt oder annimmt oder als Gegenleistung
dafür den Verlauf oder das Ergebnis einer Sportveranstaltung wettbewerbswidrig beeinflusst. Das ist der Fall,
wenn zum Beispiel der Trainer einer Fußballmannschaft
dieser aufträgt, ein Spiel bewusst zu verlieren, wenn ein
Torwart gegen Entgelt absichtlich Tore zulässt oder wenn
ein Schiedsrichter bewusst spielentscheidende Fehlentscheidungen trifft. Hier soll insbesondere die Integrität
des Sportes geschützt werden .
Grundsätzlich - das will ich klar sagen - spricht sich
selbstverständlich auch die Linke für einen besseren
Schutz gegen Sportwettbetrug aus .
({4})
Ich darf darauf verweisen, dass wir schon in unserem Antrag zum Anti-Doping-Gesetz - Drucksache 18/2308 gefordert hatten, dass der Staat zum Schutz des Sportes
und seiner Werte und nicht zuletzt sportlicher Wettbewerbe selbst ein solches Regelwerk schaffen muss.
Angesichts der teilweise exorbitanten Summen, die
auf legale oder auch illegale Weise durch den Sport umgesetzt werden, sowie der schweren Schäden, die durch
Betrug verursacht werden können, besteht durchaus dringender Handlungsbedarf . Der Sport allein kann dieses
Problem nicht lösen . Deshalb brauchen wir neben den
sportlichen auch staatliche Sanktionsmechanismen, die
sich gegenseitig ergänzen .
Ich habe aber Fragen: Reichen die derzeit geltenden
strafrechtlichen Bestimmungen wirklich nicht aus, um
Schuldige zu belangen? Warum soll Manipulation nur
bei berufssportlichen Wettbewerben als Straftatbestand
angewandt werden? Was geschieht zum Beispiel, wenn
beim Fußballspielen im Amateurbereich Spiele gekauft
werden, die am Ende aber über den Aufstieg in den Profibereich entscheiden? In wie vielen und welchen Sportarten gibt es überhaupt echte Profis? Und ist es nicht
so, dass selbst die Spitzenathleten in vielen Sportarten
nicht von der Ausübung ihrer Sportart leben können und
zusätzliche Unterstützung benötigen? Soll dort dann
straffrei manipuliert werden können?
Diese und andere Fragen sind nicht wirklich hinreichend beantwortet . Es bestehen viele Lücken und Graubereiche, beispielsweise hinsichtlich der Abgrenzung
zwischen Amateur- und Berufssport . Deshalb lautet mein
Resümee: Nicht alles, was in bester Absicht vorgelegt
wird und auf den ersten Blick gut aussieht, ist letztlich
wirklich geeignet . Deshalb können wir als Linke dem
Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern werden uns der
Stimme enthalten .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Dr . André Hahn . - Der nächste Redner
ist Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hahn, ich darf gleich
am Anfang etwas berichtigen . Es ist nicht richtig, dass
das Protokoll der Anhörung bis zu diesem Moment nicht
vorliegt . Es wurde heute Mittag kurz nach zwölf verschickt .
({0})
- Ja gut, wir wollen bei der Wahrheit bleiben . Jetzt haben
wir 0 .37 Uhr . Das heißt, es wäre ein bisschen Zeit gewesen, um das eine oder andere noch nachzulesen, wenn es
für Sie so interessant gewesen wäre .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung?
Aber wahnsinnig gerne .
({0})
Ja, das glaube ich Ihnen .
Ich bedanke mich, dass ich kurz eine Frage stellen
kann . - Können Sie mir sagen, wie ein Abgeordneter,
ohne dass er dieses Protokoll - es lag zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung im Ausschuss nicht vor; es liegt mir
auch jetzt nicht vor - lesen konnte, in den Ausschusssitzungen auf die wirklich gravierenden rechtlichen Einwände der Sachverständigen eingehen und eventuell daraus Änderungsanträge ableiten konnte?
({0})
Die Frage ist unglaublich spannend, lieber Kollege
Hahn . Die habe ich mir nämlich vorhin auch gestellt,
weil Sie meiner Erinnerung nach just bei der Ausschusssitzung, in der dieses Gesetz besprochen worden ist, gar
nicht anwesend waren . Darum habe ich überhaupt nicht
verstanden, warum Sie die Beratungen im Rechtsausschuss beklagt haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern Abend gab
es eine Sternstunde des internationalen Sports . Der FC
Barcelona besiegte Paris Saint-Germain mit 6:1, nachdem es für Barcelona nach dem mit 0:4 verlorenen Hinspiel sehr schlecht aussah . Vor allem die Tore in der 88 .,
91 . und 95 . Minute erzeugten das, was viele Medien heute als Fußballwunder bezeichnet haben .
Meine Damen und Herren, was ist es, was die Menschen am Sport so begeistert? Ich glaube, es sind drei
Dinge . Das sind einmal die Hochleistungen, erzeugt
durch Technik, Schnelligkeit und Kraft . Dann ist es der
Siegeswille, der immer zu spüren ist . Und es gibt noch
eine dritte Komponente, die, glaube ich, heute sehr wichtig ist, nämlich die Unvorhersehbarkeit des Ausgangs .
Niemand besucht ein Fußball- oder Tennismatch, wenn
er weiß, wie das Ergebnis am Ende aussieht, egal wie gut
die Sportler auf dem Platz sind .
Diese Begeisterung hat in den letzten Jahrzehnten einen echten internationalen Wirtschaftssektor geschaffen.
Es geht um Geld . Da, wo es um Geld geht, wetten Menschen, um etwas von diesem Geld abzubekommen . Dann
gibt es auch diejenigen, die auf illegale Art und Weise
an das Geld kommen wollen . Dann muss der Rechtsstaat
überlegen: Müssen wir einschreiten? Müssen wir die
Bürger, müssen wir Rechtsgüter schützen?
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Reichen die §§ 263 und 299 StGB aus? Diese Frage kann
man stellen . Mit Blick auf § 299 StGB kann man immerhin sagen: Der internationale Sportbereich ist doch
ein Wirtschaftssektor . Ist das nicht so etwas wie ein geschäftlicher Verkehr? Er greift aber deswegen nicht, weil
es eben nicht um den Bezug von Waren und Dienstleistungen geht . § 263 StGB kam hin und wieder zur Anwendung, nämlich über die Beihilferegelungen für Sportler
und auch für Schiedsrichter, aber immer nur dann, wenn
es einen Wettbezug gibt .
Hinzu kommt noch eine dritte Komponente . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist ein
Dreiklang, so will ich es einmal beschreiben . Die Begeisterung für Sport ist der Grund für die wirtschaftliche Existenz dieses Sektors . Diese Begeisterung wird
hervorgerufen durch Hochleistung, Siegeswillen und
den ungewissen Ausgang . Wer Spiele verschiebt, der
führt Leistungen und den Siegeswillen ad absurdum . Er
zerstört eben auch die Begeisterung an dem ungewissen
Ausgang . Damit wird genau die Grundlage dieses internationalen Wirtschaftssektors vernichtet . Deshalb ist es
richtig, dass wir die Verletzung der Integrität des Sportes
in einem separaten Straftatbestand abbilden . Wir etablieren zwei neue Straftatbestände: § 265c StGB - Sportwettbetrug - für Manipulationsabreden mit Bezug auf
Sportwetten, und § 265d StGB, Manipulationsabreden
ohne Sportwettbezug .
Wichtig ist mir am Ende eins: Ich glaube, eine Abbildung beispielsweise durch eine Veränderung von § 299
StGB alleine wäre nicht sachgerecht gewesen . Natürlich
kann man sagen: § 299 StGB ist doch so etwas Ähnliches . Er schützt die Integrität des geschäftlichen Verkehrs . Aber ich will Ihnen ein Gegenbeispiel nennen .
Nehmen wir den Abschluss von Energielieferverträgen .
Wer da manipuliert, der schadet natürlich dem Ansehen
der Branche . Manche Menschen werden sich von dem
einen Unternehmen abwenden und sich dem anderen
zuwenden . Aber sie werden sich nicht von der ganzen
Branche abwenden, weil Energie erforderlich ist und sie
Energie beziehen müssen .
Beim Sport ist das anders . Schauen Sie sich die Beispiele an, die wir haben, etwa die Dopingskandale im
Radsport, die mittlerweile dazu geführt haben, dass in
vielen Ländern die Berichterstattung der Tour de France gestoppt wurde . Wir müssen damit rechnen, dass sich
Menschen bei Betrug oder Manipulationen im Sport
von ganzen Sportbereichen abwenden . Deswegen ist es
wichtig, dass wir Betrug und Manipulationen in anderen
Straftatbeständen abbilden . Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetz . Ich werbe um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({0})
Alexander Hoffmann
Vielen Dank, Alexander Hoffmann. - Die nächste
Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, dass der Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten,
wieder einmal ein Musterbeispiel für den verfehlten Einsatz des Strafrechts durch die Große Koalition ist .
({0})
Ja, Sport hat eine herausragende gesellschaftliche Rolle, und zwar sowohl der Profibereich als auch der Bereich
der Amateure; der letzte Bereich mittlerweile vielleicht
sogar mehr . Ja, Fairness und Integrität sind Grundvoraussetzungen, machen etwas aus und können gesellschaftlichen Einfluss haben. Aber Fairness und Integrität
sind einschließlich des Verbots von Spielmanipulationen
und des Verbots der Herausgabe von Insiderkenntnissen
in den Regelkatalogen der Vereine und Verbände schon
enthalten. Ich finde, dahin gehören sie, nicht in ein Strafgesetzbuch .
({1})
Wir brauchen keinen zusätzlichen speziellen Straftatbestand . Mit dem, was bereits vorhanden ist, nämlich mit
den §§ 263 und 299 StGB, Betrug sowie Bestechlichkeit
und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, können wir
gegen Sportwettbetrug vorgehen . Deshalb kommen wir
zu dem Ergebnis: Dieses Gesetz ist unnötig .
({2})
Damit stehen wir nicht alleine, sondern sowohl der Deutsche Anwaltverein als auch der Deutsche Richterbund
haben in den Anhörungen von einem solchen Gesetz, von
einer solchen Regelung abgeraten .
Die Integrität des Sports - das haben wir schon beim
Doping diskutiert - und das rein wirtschaftliche Interesse der Sportwettenanbieter sind keine Rechtsgüter, die
für meine Begriffe eine solche Rechtsqualität aufweisen,
dass sie durch das Strafgesetzbuch geschützt werden
müssen . Dann werden Sie demnächst auch Musikwettbewerbe, vielleicht den Eurovision Song Contest, Frau
Präsidentin, den Architektenwettbewerb und andere
Wettbewerbe strafrechtlich schützen müssen. Ich finde,
dass solche Begriffe wie Integrität gar nicht in das Strafgesetzbuch gehören .
({3})
Nun lasse ich einmal Details beiseite, die in diesem
Gesetzentwurf noch enthalten sind . Was ist eigentlich
Berufssport? Soll sich die Staatsanwaltschaft jetzt alle
Spiele ansehen und dann, wenn eine Rote Karte fälschlicherweise gezogen wurde, am nächsten Morgen einen
Prüfvorgang anlegen? Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Ich
finde, dass dieses Gesetz mehr Unklarheiten schafft als
Klarheiten .
Wir sind der festen Überzeugung, dass hier etwas mit
den Mitteln des Strafgesetzbuchs geregelt wird, was der
Sport selbsttätig regeln kann und müsste . Warum sind
wir hier am Gängelband vom DFB und anderen, um deren Hausaufgaben zu erledigen, damit Herr Grindel dann
sagt: „Wir tun ja viel“?
({4})
Wir tun viel in einem Bereich, der wirtschaftlich nicht
gerade darbt . Es gibt Jungs, die so viel Geld haben, dass
sie sich fragen, wohin damit . Manche bringen es in die
Karibik . Die haben so viel Geld, dass sie das Personal
bezahlen könnten, das notwendig ist, um für andere
Strukturen zu sorgen . So wie es in einem berühmten Lied
heißt: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk
der Arbeiter sein“, heißt es hier: Es kann die Integrität
des Sportes nur das Werk des Sportes sein .
({5})
Wir könnten klare Vergaberegeln für Sportgroßveranstaltungen auflegen. In korruptionsbelasteten Staaten
gibt es keine Sportgroßveranstaltungen mehr . Ich höre,
dass 18 Vereine einen Wettanbieter als Sponsor haben .
Was ist das denn? Da lebt man als Sponsor davon, dass
einer auf Halbzeitergebnisse wettet oder darauf, dass die
Rote Karte falsch ist . Meine Damen und Herren, das meinen Sie doch nicht ernst .
({6})
Vielleicht könnten die Liga und der DFB einmal Seriositätskriterien in Bezug auf den Werbepartner festlegen .
Sie sollten nicht mit Sportwettenanbietern zusammenarbeiten, die sich in ausländischen Niedrigsteuergebieten
bewegen .
Ich kann Ihnen nur mit Fragen kontern: Warum gründet der Sport nicht endlich selbst eine unabhängige Anti-Korruptions-Agentur? Warum hat die Bundesregierung 2013 die angekündigte nationale Plattform gegen
Spielmanipulationen nicht durch- und umgesetzt bzw .
gar nicht eingerichtet? Warum soll eigentlich die Allgemeinheit finanziell und personell das regeln, was der
Sport mit seinen Geldern tun kann? Warum sollen eigentlich wir mit den engen personellen Kapazitäten und
angesichts eines Generalbundesanwalts, der den Ländern
sagt: „Schickt mir mehr erfahrene Staatsanwälte“, etwas
regeln, was der Sport selber regeln kann und muss?
({7})
Vielen Dank, Renate Künast . - Der nächste Redner:
Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Wahrheit
liegt auf dem Platz .“ Otto Rehhagel meinte mit seiner
Fußballwahrheit jeden Fußballplatz vom Bolzplatz bis
zur Bundesliga . Auf dem Bolzplatz lernten viele von uns
und lernen auch heute noch viele Jungs und viele Mädchen die Werte des Sports: Fairness, Respekt, Leistungsbereitschaft, Disziplin, Teamplay, Hinfallen und Aufstehen und im weitesten Sinne auch die Demokratie .
({0})
- André, das hätte ich nicht von dir gedacht .
Um die Wahrheit auf dem Platz feststellen zu können,
brauchen wir Regeln, Spielregeln, die transparent sind
für alle und ohne Ausnahme gelten . Es gibt aber Einzelfälle im Sport, da gelten diese Regeln nicht . Da wird
betrogen und manipuliert, und der autonome Sport, Frau
Künast, ist nicht in der Lage und war nicht in der Lage,
das alleine zu regeln . Darum braucht es einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, und das ist gut so .
Ich möchte an dieser Stelle neben der rechtlichen Notwendigkeit aus der Perspektive des Sports auf die Bedeutung des Gesetzentwurfs eingehen, insbesondere mit
Blick auf einen wirksamen Schutz vor Manipulation und
Wettbetrug . Ob auf dem Bolzplatz oder in großen Stadien: Winkt ein Gewinn, versuchen manche, die Regeln zu
umgehen. Das Streben nach persönlichem Profit verleitet
kriminelle Geister zu Betrug und Manipulation, erst recht
dann, wenn, wie das bisher der Fall war, kaum rechtliche
Konsequenzen zu befürchten sind .
Darunter leiden alle, die sich dem Sport verbunden
fühlen, zuallererst seien hier die Fans genannt . Nicht
nur ihr Team, sondern gleich die ganze Sportart nimmt
Schaden und gerät ins Zwielicht . Es fällt auch auf die
unbescholtenen Sportlerinnen und Sportler zurück, und
wo Spielmanipulation und Sportwettbetrug nicht ausreichend geahndet werden, ist auch die Debatte um Doping
nicht weit .
Auch die Glaubwürdigkeit der Schiedsrichter leidet .
Die Missetat eines Einzelnen - wir haben das alle noch
im Kopf - fällt auch allen anderen auf die Füße . Aber
auch jene, die auf ehrliche Weise mit Sportwetten Geld
verdienen, werden in Mitleidenschaft gezogen . Ja, auch
der dahinterstehende Wirtschaftszweig muss hier mitberücksichtigt werden .
({1})
Nicht zuletzt leiden auch die Sportvereine, ob große oder
kleine, unter Sportwettbetrug und Manipulation, wenn
Verdächtigungen und Misstrauen aufkeimen .
Sport fungiert als zentraler Träger der Werte, die ich
eingangs nannte . Deswegen tragen wir hier im Deutschen Bundestag eine große Verantwortung für den Sport
und für unsere Gesellschaft . Die strafrechtliche Verfolgung derlei Geschäfte ist bislang nur unzureichend möglich . Darum schließt der vorliegende Gesetzentwurf eine
Lücke und bestraft Wettbetrug wenigstens .
Nichtsdestotrotz sollten wir uns auch die Frage nach
möglichen Präventionsmaßnahmen stellen: Wie können
wir frühzeitig gegen Betrug und Manipulation im Sport
vorgehen? Wir dürfen die Strukturen, die kriminelles
Verhalten begünstigen, nicht aus den Augen verlieren .
Zusätzlich muss aber Aufklärungsarbeit geleistet werden . Die Menschen müssen davon überzeugt werden,
dass sich Betrug nicht lohnt, auch abseits von gesetzlichen Vorgaben . Spielsüchtigen Menschen muss geholfen
werden, da ihre Lage sie scheinbar zu Betrug und Manipulation zwingt . Ich bin zusätzlich der Meinung, dass wir
auch international zum Handeln aufgefordert sind, nicht
zuletzt wegen der nicht enden wollenden niederschmetternden Erkenntnisse im Zuge mehrerer FIFA-Skandale .
Wir können heute deutlich machen, dass uns der Sport
und die Werte, die er vermitteln sollte, nicht egal sind .
Der Gesetzentwurf schließt eine Lücke und hilft auch,
durch Abschreckung kriminellen Machenschaften eine
klare Absage zu erteilen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit oder, um es mit
Trapattoni zu sagen: Ich habe fertig .
({2})
Vielen Dank, Matthias Schmidt . - Der letzte Redner in dieser Debatte: Ingo Wellenreuther für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, Sie alle um diese Uhrzeit hier zu sehen . - In den
Koalitionsverhandlungen haben wir beschlossen, ein
deutliches Signal für einen sauberen, manipulationsfreien Sport zu setzen . Nach dem Anti-Doping-Gesetz im
letzten Jahr verabschieden wir heute ein Gesetz gegen
den Sportwettbetrug und gegen die Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe und stellen dies unter Strafe .
Wir sind dies den ehrlichen Sportlerinnen und Sportlern schuldig, aber auch den Anbietern von Sportwetten,
Wettteilnehmern, Sportvereinen, Veranstaltern, Sponsoren und auch der Öffentlichkeit ganz allgemein.
Aber auch der organisierte Sport, insbesondere der
Deutsche Fußballbund, begrüßt die Einführung der neuen Straftatbestände . Es geht hier um Manipulationsabreden im Sport . Diese werden in Zukunft als Sportwettbetrug in § 265c StGB unter Strafe gestellt, wenn sie einen
Bezug zu Sportwetten haben, und in § 265d StGB, wenn
sie berufssportliche Wettbewerbe betreffen, ohne einen
Bezug zu Sportwetten zu haben . Letzteres ist der Union
zu verdanken, weil wir es nicht nur den Verbänden überlassen wollten, interne Strafen auszusprechen; denn eine
strafrechtliche Verurteilung wird den Taten eher gerecht .
Auch die Abschreckungswirkung ist durch einen Straftatbestand eine andere .
Wir waren auch aus rechtspolitischer Sicht aufgerufen, die Integrität des Sports sowie die Vermögensinteressen vieler Beteiligter zu schützen . Der Verlauf und das
Ergebnis sportlicher Wettbewerbe dürfen weiterhin nicht
voraussehbar sein . Gerade dies macht ja den Sport für
viele Menschen so attraktiv und reizvoll . Die bisherigen
Straftatbestände waren nicht ausreichend . Kriminelles
Verhalten von Sportlern konnte oft nur als Beihilfe geahndet werden, und die Manipulation berufssportlicher
Wettbewerbe war gar nicht strafbar . Darüber hinaus gab
es Beweisschwierigkeiten, oder die Strafbarkeit scheiterte am konkreten Nachweis eines Vermögensschadens .
Matthias Schmidt ({0})
Kern des abstrakten Gefährdungsdelikts beim Sportwettbetrug ist die Unrechtsvereinbarung, mit welcher die
Vorteilsannahme als Gegenleistung für die Beeinflussung
des Wettkampfs mit dem Vermögensvorteil einer Sportwette verknüpft wird . Täter sind Spieler oder Trainer .
Dazu zählen in Zukunft dank unseres Einsatzes auch
Athletiktrainer, Technik- oder Torwarttrainer, wenn sie
auf Geschehnisse Einfluss nehmen können.
Dank des Einsatzes der Union ist der Sportwettbetrug
auch in den Katalog der Geldwäschevortaten aufgenommen worden . Bei der Manipulation berufssportlicher
Wettbewerbe reicht es aus, wenn Ergebnisse manipuliert werden, auch ohne dass eine Sportwette damit in
Zusammenhang steht . Dazu gehören Absprachen über
den Spielausgang, etwa zur Verhinderung des eigenen
Abstiegs . Das konnte man ja - das ist schon lange her 1971 beim damaligen Bundesliga-Skandal beobachten .
Für beide Straftatbestände ist es durch die Änderung
von § 100a StPO auch gelungen, den Behörden die Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation einzuräumen . Besser wäre es meines Erachtens gewesen,
wenn in besonders schweren Fällen der Strafrahmen ausgeweitet worden wäre . Vor dem Hintergrund der Millionenbeträge, die gewettet werden, wäre ein höherer Strafrahmen schuldangemessener gewesen und hätte auch
eine bessere abschreckende Wirkung erzielt .
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich sehr zufrieden bin, dass wir in dieser Wahlperiode, nachdem
wir im letzten Jahr zunächst das Anti-Doping-Gesetz
verabschiedet haben, nunmehr mit diesem Gesetz im
Kampf gegen Spielmanipulationen mit und ohne Bezug
zu Sportwetten ein deutliches Signal für einen sauberen,
ehrlichen und fairen Sport setzen können. Ich hoffe auf
eine präventive Wirkung des Gesetzes, damit es zu solchen Taten erst gar nicht mehr kommt, meine Damen und
Herren .
Danke schön .
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Wellenreuther . - Wir
kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des
Strafgesetzbuches - Strafbarkeit von Sportwettbetrug
und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11445, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8831 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen .
Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD . Dagegen
waren Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die
Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/
CSU und die SPD . Dagegengestimmt hat Bündnis 90/
Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke .
Ich begrüße die Gäste auf der Tribüne, die so zahlreich, warum auch immer, jetzt erschienen sind,
({0})
und rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und
Konzernlageberichten ({1})
Drucksachen 18/9982, 18/10344, 18/10444
Nr. 1.6
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Drucksache 18/11450
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({3}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe
Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung - Nachhaltigkeitsberichte wirksam und
aussagekräftig ausgestalten - Umsetzung der
CSR-Richtlinie
Drucksachen 18/10030, 18/11450
Nach interfraktioneller Vereinbarung sind 25 Minuten
für die Aussprache vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Sie wollen also nicht länger debattieren . Dann ist
das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat Metin
Hakverdi .
({4})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Europäische Union .
({0})
Heute ist ein guter Tag für die Entwicklung der Unternehmenskultur in unserem Land, aber auch in Europa .
Mit der Umsetzung der CSR-Richtlinie stellen wir wichtige Weichen für die Unternehmensführung, für die Zukunft von Unternehmen und ihrer Berichterstattung in
Deutschland und ganz Europa: Einführung der Berichtspflichten in den Bereichen Umwelt, Arbeitnehmer und
Sozialbelange, in den Bereichen der Achtung der Menschenrechte und der Bekämpfung von Korruption bis in
die internationale Lieferkette hinein .
Das bedeutet, dass Unternehmen zukünftig nicht nur
das Ziel verfolgen dürfen und sollen, mit guten und wettbewerbsfähigen Produkten und Dienstleistungen Geld zu
verdienen; nein, sie sollen auch ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung nachkommen, diese nicht nur beachten,
sondern in ihren Berichten darüber auch öffentlich Rechenschaft ablegen. Wir glauben fest daran, dass Profit
und Verantwortung kein Widerspruch sein muss .
({1})
Corporate Social Responsibility, das ist schwer zu
übersetzen . Ich versuche es mal mit „gesellschaftliche
unternehmerische Verantwortung“ oder „soziale unternehmerische Verantwortung“ . Es ist eine Verantwortung,
an die die Unternehmen in jedem Jahr bei ihrer Berichtserstellung erinnert werden . Es geht aber um mehr .
Es geht um Verbraucherinnen und Verbraucher, die die
Produkte und Dienstleistungen immer mehr danach bewerten, inwieweit Unternehmen ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung auch tatsächlich nachkommen . Deshalb
legen größere Unternehmen auch jetzt schon, ohne die
gesetzliche Pflicht, CSR-Berichte vor. Im Übrigen spielt
die nichtfinanzielle Information in den Berichten zum
Umgang mit Menschenrechten, Umweltbelangen und sozialen Belangen auch auf dem Kapitalmarkt eine immer
größere Rolle .
Ein Satz am Ende zu den Vorschlägen der Grünen . Wir
hätten uns auch mehr gewünscht . Sicherlich hätten wir
uns einen größeren Anwendungsbereich gewünscht . Sicherlich hätten wir uns die Debatte über die Verbraucherbelange an prominenterer Stelle gewünscht . Aber dies ist
ein erster guter Schritt . Wir wünschen uns, dass wir in
Zukunft, nach der Evaluierung auf europäischer Ebene
und nach den Berichten über die Erfahrungen auf nationaler Ebene, auf dieser Schiene weiterfahren, um den
Konflikt zwischen Gewinn und sozialer Verantwortung
in Zukunft nicht größer werden zu lassen .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, in Anbetracht der Uhrzeit besonders bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung . Einen schönen Abend!
({2})
Vielen Dank, Kollege Hakverdi . - Nächste Rednerin:
Birgit Menz für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Die Wirtschaft soll dem Gemeinwohl dienen . Doch tut sie das, wenn immer weniger
Konzerne immer größere Profite einstreichen und gleichzeitig immer mehr Menschen schlechte Arbeitsbedingungen haben? Wenn deutsche Unternehmen bei der Herstellung ihrer Produkte die Schädigung der Gesundheit von
Arbeiterinnen und Arbeitern, die Zerstörung der Umwelt
und die Missachtung von Sozialstandards in Kauf nehmen, dient das nicht dem Gemeinwohl .
Nennen wir die Dinge beim Namen: Das Bekleidungsunternehmen KiK oder der Spielzeughersteller
Schleich lassen in Bangladesch oder China produzieren,
um fairen Löhnen, guten Sozialstandards und strengen
Umweltschutzregeln aus dem Weg zu gehen . Zweck ist
ausschließlich die Profitmaximierung. Die damit verbundenen Umwelt- und sozialen Kosten aber tragen gerade
die armen Menschen, die am stärksten unter den Folgen
des sozialen und ökologischen Raubbaus leiden und weniger in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen . Für
die Linke möchte ich klarstellen: Wer Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verursacht, soll sich
dafür verantworten müssen .
({0})
Das Verursacherprinzip muss in unserem Wirtschaftssystem wieder durchgesetzt werden . Einige deutsche
Unternehmen zeigen, dass man Produkte unter fairen
Bedingungen herstellen und zu fairen Preisen auf den
Markt bringen kann . Auch wenn Waren aus den Ländern
des Südens bezogen werden, kann jedes Unternehmen
sicherstellen, dass die Lieferbeziehungen fair sind . Das
setzt aber voraus, dass man für seine gesamte Lieferkette
Verantwortung übernimmt . Leider sind die meisten Unternehmen dazu nicht freiwillig bereit . Sie werden erst
dann wirklich handeln, wenn sie rechtlich dazu verpflichtet werden .
Mit der Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie sollen Unternehmen über ihr nichtfinanzielles Wirtschaften Bericht erstatten. Sie sollen öffentlich über die
Achtung von Menschenrechten, Umweltschutzstandards,
Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten sowie
über Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung informieren . Verbraucherinnen und Verbraucher können sich so
Klarheit verschaffen, ob Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden . Damit werden die Unternehmen
gestärkt, die sich tatsächlich der Gemeinwohlökonomie
verpflichtet fühlen.
Diese Idee ist gut und richtig, aber die Bundesregierung setzt sie nicht konsequent genug durch . Statt klarer
Berichtspflichten können sich fast alle Unternehmen vor
Auskünften drücken . Nur 3 Prozent der großen Unternehmen in Deutschland werden nach dem Vorschlag der
Bundesregierung einen Bericht vorlegen müssen . Der
Gesetzentwurf sieht sogar vor, dass Unternehmen Angaben über nachteilige Entwicklungen weglassen können .
Und: Die Berichte müssen nicht einmal durch unabhängige Gutachter geprüft werden . Lebensmittelkonzerne
wie Aldi und Lidl, die derzeit wieder wegen massiver
Verletzung von Arbeiterrechten auf den Plantagen in der
Kritik stehen, müssen nicht ein Wort über ihr unverantwortliches Handeln sagen . Das ist nicht hinnehmbar .
Die Linke fordert, dass alle deutschen Unternehmen,
die im globalen Handel tätig sind, ab sofort verpflichtet
werden, die Einhaltung von Menschenrechten, Umweltschutzstandards, Arbeitnehmerinnen- und ArbeitnehmerMetin Hakverdi
rechten und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung
durchgängig zu garantieren .
({1})
Was wir brauchen, ist eine Pflicht zur Gemeinwohlökonomie, und zwar für alle Unternehmen . Wenigstens das
sind wir den Menschen schuldig, die in anderen Ländern
unseren Wohlstand produzieren .
Danke .
({2})
Vielen Dank, Birgit Menz . - Der nächste Redner:
Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin, schönen guten Morgen!
Guten Morgen!
Den Kolleginnen und Kollegen ebenfalls einen guten
Morgen! Das Faszinierende ist, zu sehen, dass wir selbst
zu dieser morgendlichen oder nächtlichen Stunde noch
viele Zuschauer haben . Der Einwand, dass wir hier nicht
vor Publikum diskutieren, wie wir ihn gerade eben von
den Linken
({0})
und auch von den Grünen gehört haben, ist überhaupt
nicht wahr .
({1})
Wir diskutieren hier freudig weiter . Ich habe Zeit bis
morgen früh .
({2})
Ich bin Kölner . Ich kann das nur bestätigen: Wir können
weitermachen . Vielleicht ist auch die Präsidentin dann irgendwann zu Hause . Aber gerne auch zur Sache .
Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es bei Corporate Social Responsibility? Kollege
Hakverdi hat es eben schon gesagt: Den Wert eines Unternehmens machen nicht nur die Waren aus, die im Regal stehen, sondern auch das, was sozusagen drumherum
ist oder auf das man drumherum einwirkt, nämlich die
Belastungen auf die Umwelt . Deshalb ist es richtig und
wichtig, dass wir diese Werte einerseits und die Belastungen andererseits in die Bewertung des Unternehmens,
wie das in der Bilanz gemacht wird, einbeziehen . Kollege Hakverdi hat das eben erläutert .
Das ist der Konzeptansatz der europäischen Richtlinie, mit der auf europäischer Ebene jetzt versucht wird,
dies zu vereinheitlichen, und die wir heute hier umsetzen
wollen . Das Umsetzungsgesetz sieht dabei eine Erweiterung der allgemeinen Berichtspflichten im Lagebericht
durch die Einführung einer sogenannten nichtfinanziellen Berichterstattung für kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern vor . Die Unternehmen können dabei grundsätzlich wählen, ob sie diese
Berichtspflichten innerhalb des Lageberichts oder gesondert auf der Homepage erfüllen . Wenn sie diese Berichterstattung vornehmen, muss diese - das haben wir noch
ein kleines bisschen klarer formuliert - in Anlehnung an
andere Regelungen spätestens innerhalb von vier Monaten nach dem Abschlussstichtag erfolgen . Wir haben aber
andererseits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
klargestellt, dass es nicht notwendig ist, diesen Bericht
zu erstellen, wenn ein irgendwo liegendes Mutterunternehmen einen vergleichbaren Bericht erstellt hat . Es ist
nicht erforderlich, dass es ein Mutterunternehmen mit
Sitz im EWR ist .
Inhaltlich muss berichtet werden über Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung
der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption. Im Gesetzestext finden sich dafür jeweils Beispiele.
Dabei ist insbesondere über die wesentlichen Risiken,
die mit den Geschäftsbeziehungen und der Gesellschaft
verbunden sind, ihren Produkten und Dienstleistungen
und die sehr wahrscheinlich schwerwiegenden negativen
Auswirkungen zu berichten . Wir haben dabei sichergestellt, dass nur berichtet werden muss, soweit die Angaben von Bedeutung sind und die Berichterstattung über
diese Risiken verhältnismäßig ist .
Bei allem Verständnis nach weiteren zusätzlichen
Informationen - das haben die Grünen in ihrem Antrag
zusätzlich gefordert, und die Linken haben es auch gesagt; ich habe immer ein unbegrenztes Informationsinteresse - müssen wir die Frage stellen, ob der Aufwand für
die Beschaffung und die Kontrolle dieser Informationen
verhältnismäßig und angemessen ist . Deshalb ist es richtig, dass wir bei der Umsetzung dieser Richtlinie nicht
festlegen, dass die Angaben durch einen externen Prüfer überprüft werden müssen, sondern es dabei belassen,
dass der Aufsichtsrat den entsprechenden Bericht auf die
Richtigkeit, die Stimmigkeit überprüft . Natürlich kann
der Aufsichtsrat einen externen Prüfer beauftragen . Andererseits gilt, wenn er die Prüfung selbst vornimmt, dass
er natürlich mehr tun muss, als nur festzustellen, dass der
Bericht vorgelegt worden ist . Er muss ihn zumindest
selbst auf Plausibilität überprüfen .
Was die inhaltliche Seite angeht, sehe ich den Kollegen Kelber an . Wir haben natürlich darüber gestritten - er
ist noch wach, ich sehe es; ich hoffe, ich habe ihn nicht
geweckt -, ob wir die Angaben zum Daten- und Verbraucherschutz in die Berichtspflicht aufnehmen sollten. Ich
bin nach wie vor der Meinung - Sie haben sich unserer
Meinung angeschlossen; angeschlossen nicht, wir merken, der Dialog funktioniert -, dass es an dieser Stelle
systemfremd wäre, dies einzubauen . Ich bin nicht gegen
Verbraucherschutz, aber er gehört nicht in das Bilanzrecht .
Bei der Frage, ob ein Rahmenwerk heranzuziehen ist,
haben wir noch einen weiteren Punkt klargestellt . Man
muss offenlegen, welches Rahmenwerk man herangezoBirgit Menz
gen hat oder ob man keines herangezogen hat . Wir haben
nicht vorgesehen, dass ein bestimmtes Rahmenwerk herangezogen werden muss; denn das ist aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich .
Ein letzter Punkt . Wir setzen das Gesetz rückwirkend
zu Beginn dieses Geschäftsjahres in Kraft, weil wir es
nicht geschafft haben, es rechtzeitig vor der Jahreswende
zu verabschieden . Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir
als Unionsfraktion gesagt haben - Herr Kelber, ich stelle das gerne klar -, Gesetze, die die Wirtschaft belasten,
wollen wir nicht vorziehen, wenn andere Gesetze, die
Begünstigungen für die Wirtschaft vorsehen, verzögert
werden . Das war das Insolvenzanfechtungsgesetz . Wir
bekommen es rückwirkend umgesetzt . Das ist rechtlich
kein Problem, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen
nicht . Deshalb glaube ich, wir haben einen guten Kompromiss, und dafür bitte ich um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank und gute Nacht .
({3})
Noch nicht . Vielen herzlichen Dank . Sie hören jetzt
sicher noch den drei nächsten Rednern zu .
({0})
- Vielen Dank, Herr Dr . Hirte . - Nächste Rednerin:
Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich finde - das sage ich
an die Koalition gerichtet -, Sie haben eine Chance verpasst . Sie haben erstens die Chance verpasst, deutschen
Unternehmen zu helfen, verstärkt auf den Weg der Nachhaltigkeit zu gehen . Es geht doch nicht um Anfeindung
oder Bürokratie . Gucken Sie sich einmal die großen
Unternehmen an, die international tätig sind . Sie wissen
doch, woher ihre Produkte kommen, wie, unter welchen
Bedingungen und Kriterien, sie hergestellt worden sind,
und haben zur Zusammenstellung dieser Informationen
die entsprechende Technik .
Herr Professor Hirte, Sie sagen, Sie hätten auch ein
unbändiges und unstillbares Informationsbedürfnis, aber
das alles würde nicht in diesen Bericht hineingehören .
Sie schreiben es nicht hinein . Aber das ist für die Kunden
am Ende uninteressant; denn im digitalen Zeitalter tauschen wir die Daten aus . Wir wissen, wer in Bangladesch
zu welchen Bedingungen produziert .
({0})
- Nein. - Man findet das am Ende alles heraus. Dann
müssten Sie doch eigentlich an der Stelle denken, dass
man es lieber systematisch aufschreiben lassen sollte;
denn es ist dann wenigstens ein Wettbewerbsvorteil für
die Unternehmen,
({1})
und sie bauen es tatsächlich in ihr Management ein .
Zweitens haben Sie es bei dem, was Sie dann irgendwie aufgrund der europäischen Richtlinie regeln mussten - sonst hätten Sie es ja gar nicht angepackt -, verpasst, eine Regelung zu schaffen, die zu aussagekräftigen
und vergleichbaren Ergebnissen führt . Sie haben blinde
Flecken in diesem Gesetz . Ich verstehe gar nicht, warum
man die Unternehmen nicht dazu verpflichten sollte man kann das im Rahmen der Richtlinie -, dass sie über
die Risiken für Mensch und Umwelt berichten, die sich
aus ihrer unternehmerischen Tätigkeit ergeben . Dann
würden sie auch berichten, wie sie diese minimieren wollen - das interessiert uns doch .
Aber am Ende ist es so: Bei Ihnen gilt die Berichtspflicht nur, wenn dadurch Gewinneinbußen für Unternehmen drohen; das soll das Unternehmen selber beurteilen .
Für wie blöd halten Sie uns, wenn Sie meinen, wir glaubten, dass ein Unternehmen schreibt: Wir verhalten uns
beim Färbeprozess so, dass wir das ganze Färbewasser
in den nächsten Fluss gießen; das wird uns wirtschaftlich
schaden, und deshalb müssen wir darüber berichten . - So
macht die Geschichte meines Erachtens überhaupt keinen Sinn . Die Unternehmen können jetzt faktisch selber
festlegen, über was sie berichten und über was sie lieber
nicht berichten . Meine Damen und Herren, ich sage es
noch mal: Die NGOs, die Gewerkschaften merken es am
Ende doch - warum dann nicht systematisch machen?
Warum nutzen Sie nicht die Chancen, die in der europäischen Richtlinie liegen?
({2})
Was haben Sie bei anderen konkreten Punkten gemacht? Zum Anwendungsbereich - wer ist berichtspflichtig? - wurde schon gesagt: nur kapitalmarktorientierte
Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern . In
der Antwort auf eine Frage des Kollegen Gerhard Schick
kam damals heraus:
Nach einer vorläufigen Schätzung des Bundesanzeigers … dürften … ca . 300 Unternehmen berichtspflichtig sein.
Wer ist draußen? So unbedeutende Unternehmen wie
zum Beispiel die Deutsche Bank . Sonst ist die Deutsche
Bank überall dabei, nur hier soll sie nicht über Nachhaltigkeit usw . berichten . Aldi ist nicht dabei, obwohl sie
große, internationale Auftraggeber in vielen Bereichen
sind, auch in Entwicklungsländern, mit langen Produktions- und Lieferketten . Warum sollen sie eigentlich nicht
berichten, meine Damen und Herren? dm, Ferrero und
viele andere müssen auch nicht berichten . Daran sieht
man doch, wie eng Ihre Umsetzung der CSR-Richtlinie
ist, meine Damen und Herren . Wir meinen, es muss nicht
nur um börsennotierte Unternehmen gehen, sondern auch
um Unternehmen gehen, die wegen ihrer Größe von öffentlichem Interesse sind .
Sie sind gerade auf die Standardisierung eingegangen . Sie machen nicht einmal die Vorgabe, dass man den
Bericht anhand standardisierter Rahmenwerke erstellen
muss, also zum Beispiel anhand der Standards der Global
Reporting Initiative, des Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder der Leitsätze der OECD .
({3})
In der Anhörung gab es vernichtende Kritik . Alle haben
gesagt, das mache keinen Sinn, weil die Berichte nichts
aussagten, wenn man sie nicht vergleichen könne .
({4})
Jetzt sagen Sie: Okay, das ändern wir . - Man soll dann
angeben, warum man ein bestimmtes Rahmenwerk nicht
benutzt . Toll! Dann würde ich als Unternehmen einfach
schreiben: Das passt bei uns nicht .
Ihre Umsetzung der Richtlinie, meine Damen und
Herren, führt am Ende zu Berichten, die am Ende nicht
aussagekräftig, nicht vergleichbar sind . Damit nutzt sie
aber auch nichts - nicht den Unternehmen und nicht den
Kunden . Warum Sie am Ende noch sagen, die Verbraucher gehörten nicht hinein, verstehe ich gar nicht; denn
für sie, meine Damen und Herren, produziert man doch
am Ende .
({5})
Können Sie an die Redezeit denken?
Ja . - Ich bin der festen Überzeugung: Transparenz ist
das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher zu wissen, wie produziert wurde, was die Umweltauswirkungen sind . Sie selber haben ja gesagt, Sie wollten
nachhaltigen Konsum. Weil Sie das alles nicht schaffen,
haben Sie am Ende nicht nur Schlechtes für die Verbraucher getan, sondern Sie nutzen auch nicht die Chancen,
die für die deutschen Unternehmen darin lägen .
({0})
Vielen Dank, Renate Künast . - Nächster Redner:
Dr . Hans-Joachim Schabedoth für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Nachtschwärmer! Das Netz geschäftlicher Beziehungen wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter
gesponnen und wurde dadurch immer enger . Die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich erweitert . Für die
meisten Unternehmen war und ist die Globalisierung
eine Riesenchance . Mehr Umsatz und die Maximierung
der Gewinne gingen aber oft zulasten der Umwelt, der
Belegschaften und sogar der Menschenrechte .
Viele Verbraucher machten das mit . Warum sich Gedanken machen, wenn man vielleicht selber nicht viel
Geld im Portemonnaie hat?
Doch für immer günstigere Kleidung schuften Menschen Zigtausende Kilometer von unseren Wohlstandszonen und Einkaufsmeilen entfernt oft bis zum Umfallen,
oft zu Hungerlöhnen und teils unter lebensgefährlichen
Bedingungen . Das mag nur ein Aspekt sein, der die Problematik verdeutlicht .
Auf beiden Seiten der Ladentheke ist jedoch inzwischen etwas in Bewegung geraten . Das sollten wir nicht
ignorieren . Verbraucher achten immer mehr darauf, was
sie kaufen, wo es herkommt und wie es dort aus welchen
Materialien oder Rohstoffen produziert wurde.
Viele Firmen haben für sich schon erkannt - ohne grüne Nachhilfe -, dass ein niedriger Preis nicht mehr der
Weg zum höchsten Profit ist. Transparente Lieferketten
und faire Produktion haben an Bedeutung gewonnen .
Das dürfen wir doch nicht ignorieren . Das begründet
schon lange ein neues Geschäftsmodell, mit dem sich
auch in der Zukunft gutes Geld verdienen lässt . Das gilt
nicht nur für Schokolade, Kleidung oder Handys, die zu
großen Teilen im Ausland hergestellt werden, sondern
auch für lokal produzierte Waren .
Mit der Umsetzung der EU-CSR-Richtlinie soll dieser bereits von vielen Unternehmen eingeschlagene Weg
ausgebaut werden. Sie verpflichtet vor allem die Big
Player dazu, in einem nichtfinanziellen Bericht Rechenschaft abzulegen . Das bezieht sich auf die Arbeitsbedingungen, Lieferketten, ökologisches und soziales Engagement und das Vorgehen gegen Korruption .
Doch nicht alle haben das Potenzial der transparenten
Berichterstattung erkannt . Manche verkennen den Nutzen solcher Offenlegungen. Deshalb muss es jetzt die
Verpflichtung geben.
Manche sagen: Das reicht nicht . Der Anwendungsbereich ist zu klein, die Sanktionen nicht hart genug oder
die Berichtspflichten nicht ausführlich genug. - Ihnen
halte ich entgegen: Manchmal ist es besser, eine Kerze
anzuzünden, als immer über die Dunkelheit zu jammern .
({0})
Ich bin sicher: Das, was wir heute verabschieden, wird
zu einer Art Schneeballeffekt führen. Je mehr Unternehmen verpflichtet werden, desto mehr werden nachziehen, wenn sie nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen
wollen. Nichtfinanzielle Aspekte werden die Bewertung
einer Firma und Investitionsentscheidungen dann sicherlich ebenso beeinflussen wie die klassischen finanziellen
Eckdaten . Das erfolgreiche Geschäftsmodell von morgen
ist der Nachweis einer fairen, sozialen und ökologischen
Produktion . Mit der Umsetzung der Richtlinie wollen wir
das unterstützen . Ich bin sicher: Wir haben damit einen
Stein ins Wasser geworfen, der Kreise ziehen wird .
({1})
Vielen Dank, Herr Dr . Schabedoth . - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr . Volker Ullrich .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bilanz und Anhang einer Kapitalgesellschaft
dienen dem Zweck der steuerlichen Gewinnermittlung
und der Verteilung des Gewinns auf die Anteilseigner .
Darüber hinaus sollen Gläubiger und solche, die Interesse an der finanziellen Solidität der Gesellschaft haben,
über deren Geschäftsvorfälle informiert werden . Aber
für Gesellschaften, die eine Vielzahl von Beziehungen
haben, globalisiert sind, eine Lieferkette in viele Staaten dieser Erde haben, reicht allein der finanzielle Rechenschaftsbericht nicht aus, sondern Anteilseigner,
Verbraucher, aber auch interessierte Menschen, die Öffentlichkeit, haben ein Interesse daran: Wie produzieren
diese Unternehmen? Wie beschaffen sie ihre Ware? Welchen Stellenwert haben sie in einer globalisierten Wirtschaft? - Diese Fragen sind nicht trivial .
Unternehmen haben selbst eine Verantwortung für
Produktionsbedingungen, für Arbeitsplätze, für Menschenrechte, auch für die ökologischen Verhältnisse
dort, woher sie ihre Waren beziehen . Es gibt einen Anspruch darauf, dass diese Daten geliefert und transparent
gemacht werden, auch im Interesse der Unternehmen
selbst. Viele Unternehmen nehmen diese Verpflichtung
bereits wahr; denn Sie wissen, dass ihre Aufgabe mehr
ist, als nur Gewinne zu erzielen . Sie wollen auch ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden . Aber
die gesellschaftliche Verantwortung muss stärker dokumentiert werden . Deswegen ist es richtig, dass die Europäische Union mit dieser Richtlinie diesen Weg gegangen ist .
Wenn man sich die Zahlen ansieht, dann stellt man
fest, dass gerade viele große deutsche Unternehmen mit
ihren Umsatzzahlen eine regelrechte Marktmacht haben .
Allein der größte deutsche Konzern hat einen größeren
Umsatz als das Bruttoinlandsprodukt von 50 afrikanischen Staaten. Das zeigt, dass in einer verflochtenen, globalisierten Welt die Fragen: „Woher beziehen Unternehmen ihre Waren? Werden Menschenrechte eingehalten?
Wird der Kampf gegen Korruption wahrgenommen?“
wichtige Fragen sind . Wenn Unternehmen das zukünftig
dokumentieren werden, dann können Verbraucher deutlich erkennen, wie die Unternehmen mit diesen Fragen
umgehen . Deswegen ist es richtig, dass in den Rechenschaftsberichten der Gesellschaften diese Fragen zukünftig verstärkt thematisiert werden .
({0})
Natürlich kann man sich die Frage stellen: Warum betrifft das nur rund 300 Unternehmen, warum nicht 500
oder 1 000 Unternehmen?
({1})
Ich will eines deutlich machen: Zunächst einmal handelt
es sich bei den 300 Unternehmen um börsennotierte Gesellschaften . Es geht um viele Milliarden Euro Umsatz
und um viele Millionen Arbeitsplätze . Wir bilden damit
einen guten Teil unserer Wirtschaft ab . Zudem darf man
bei den Berichtspflichten eine Sache nicht vergessen: Bei
der Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag bei der Erfüllung von bürokratischen Vorschriften geht es immer
um ein gesundes Verhältnis . So wie wir auf der einen
Seite von Unternehmen verlangen, dass sie ihre Berichtspflichten wahrnehmen und die Vorgänge dokumentieren, so wollen wir auf der anderen Seite kleinere und
mittelständische Unternehmen nicht mit einer solchen
Berichtspflicht überfordern. Ich vertraue darauf, dass gerade mittelständische Unternehmen, die dieser Berichtspflicht nicht nachkommen müssen, sich trotzdem an die
Vorgaben halten . Größere Unternehmen, gerade solche,
die börsennotiert sind, sollten die Berichtspflicht wahrnehmen . Wir haben insgesamt für ein gesundes Augenmaß gesorgt, wenn es darum geht, wie die Vorschriften
umgesetzt werden sollen .
Wir können Verantwortung nicht allein durch mehr
bürokratische Regelungen erreichen . Wir können Verantwortung aber dokumentieren, indem eines klargemacht
wird: Unternehmen, gerade solche, die im globalen Wettbewerb stehen, stehen nicht außerhalb der Welt, sondern
sie stehen mit ihrer Verantwortung in der Welt . Dass
sie diese Verantwortung stärker dokumentieren, das beschließen wir heute . Ich bitte deswegen um Zustimmung
zum Gesetzentwurf .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Volker Ullrich . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stär-
kung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unter-
nehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten . Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11450, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/9982 und 18/10344 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . - Wer stimmt dagegen? - Keine Enthaltungen .
Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .
Tagesordnung 41 b . Wir setzen die Abstimmung zu
der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/11450 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10030
mit dem Titel „Zukunftsfähige Unternehmensverantwor-
tung - Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräf-
tig ausgestalten - Umsetzung der CSR-Richtlinie“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar
2013 über ein Einheitliches Patentgericht
Drucksache 18/11137
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/11451
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften
auf Grund der europäischen Patentreform
Drucksachen 18/8827, 18/9238, 18/9596 Nr. 1.6
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Drucksache 18/11451
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .1)
Tagesordnungspunkt 42 a . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen vom 19 . Febru-
ar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11451, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11137 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Ich
habe gesehen, Sie haben sich alle erhoben . Dann gibt es
keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen . Damit ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen im
Haus einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 42 b . Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anpassung patentrechtlicher Vorschriften aufgrund der
europäischen Patentreform . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11451, den
1) Anlage 20
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/8827 und 18/9238 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit Zustimmung von allen Fraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Niemand stimmt dagegen,
niemand enthält sich . Der Gesetzentwurf ist einstimmig
von allen Fraktionen im Haus angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen
Drucksache 18/407
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Drucksache 18/11436
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11436, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/407
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen war niemand, enthalten
haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen hat niemand gestimmt . Enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung
des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates
vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der
organisierten Kriminalität
Drucksache 18/11275
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Innenausschuss
2) Anlage 21
Vizepräsidentin Claudia Roth
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11275 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Haben Sie
andere Vorschläge? - Nein . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4})
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Re-
gion stärken - Deutsches Know-how nutzen
Drucksachen 18/10651, 18/11226
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .2)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11226, den Antrag der Fraktionen CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 18/10651 anzunehmen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke .
Dagegen war demnach niemand mehr .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten
Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa
zur Änderung des Abkommens vom 13. März
1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der
Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den
Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland
Drucksache 18/11280
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .3)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11280 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch
dazu haben Sie keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
1) Anlage 22
2) Anlage 23
3) Anlage 24
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a und 48 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende
Maßnahmen bei Kindern
Drucksache 18/11278
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({6})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmigungserfordernisses bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber
Kindern
Drucksache 18/9804
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({7})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Auch damit sind Sie einverstanden .4)
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/11278 und 18/9804 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Auf meinem Sprechzettel steht jetzt: Die Tagesordnung ist erschöpft . - Wir auch!
({8})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 10 . März 2017, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich bedanke mich bei Ihnen für die breite Präsenz und wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend . Außerdem bedanke ich mich herzlich
bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus, bei
den Damen und Herren, die Protokoll geführt haben, bei
den Assistenten hier im Saal, beim Parlamentarischen
Staatssekretär und bei meinen beiden hier oben . Und jetzt
schlafen Sie gut! Schöne Träume!