Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/19/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Einen schönen guten Tag! Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung 2013 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Dr. Helge Braun. - Bitte schön.

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Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Bericht zum Bürokratieabbau 2013 behandelt und beschlossen. Das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates verpflichtet uns, jährlich einen solchen Bericht abzugeben. Wenn Sie sich den Bericht ansehen, stellen Sie fest, dass sich seit 2006, als wir das Thema Bürokratieabbau institutionell auf den Weg gebracht haben, vieles verändert hat. Wir haben zahlreiche Verfahren etabliert. Dazu gehören die Einsetzung des Normenkontrollrates und die damit verbundene Bewertung aller neuen Gesetzesvorhaben. Hinzu kommt, dass wir - diese Regelung ist seit März 2013 in Kraft - alle neuen Gesetzesvorhaben nach Ablauf von zwei Jahren einer Ex-post-Evaluierung unterwerfen. Wir wollen uns schrittweise alle Gesetzesvorhaben ansehen, bei denen wir davon ausgehen, dass sie einen Erfüllungsaufwand von über 1 Million Euro bedeuten. Auf diese Weise wollen wir auch in der Bestandsgesetzgebung vermeidbare Bürokratiekosten identifizieren und nach Möglichkeit beseitigen. Im Bericht sind viele Zahlen zu finden. Das liegt zum Beispiel daran, dass wir in den letzten Jahren den Bürokratiekostenindex eingeführt haben, der die Bürokratiekosten im engeren Sinne erfasst. Der Bürokratiekostenindex lag im Jahr 2012 bei einem Wert von 100,27, im Jahr 2013 bei 100,31. Das ist eine Steigerung um 0,04. Das heißt, die Bürokratiekosten sind im Wesentlichen konstant geblieben; es hat nur eine kleine Steigerung der laufenden Belastungen gegeben. Wenn wir uns anschauen, was das in absoluten Zahlen heißt und wie sich die Entwicklung des Erfüllungsaufwands auf die Wirtschaft, die Verwaltung und die Bürgerinnen und Bürger auswirkt, stellen wir fest, dass die Wirtschaft im Jahr 2013 eine Zunahme ihres laufenden Erfüllungsaufwands um 1,6 Milliarden Euro, die Verwaltung um 245 Millionen Euro und die Bürgerinnen und Bürger um 472 Millionen Euro zu verzeichnen hatten. Wenn man sich ansieht, welcher der größte Brocken innerhalb des Ganzen ist, dann stellt man fest, dass die Energieeinsparverordnung die größten Kosten verursacht hat. Man muss allerdings dazusagen, dass zum Erfüllungsaufwand nicht nur die Bürokratiekosten, sondern auch die Investitions- und Maßnahmenkosten, die durch dieses Gesetzgebungsverfahren entstehen, gehören. Das heißt, dass zum Beispiel die Kosten, die sich durch die energetische Sanierung von Gebäuden für die Wirtschaft ergeben, in die Berechnung einfließen. Die Energieeinsparungen, die wir dadurch erzielen wollen, und der politische Zweck dieser Gesetzgebung stehen also den Kosten gegenüber. In Zukunft wollen wir uns den verschiedenen Lebensbereichen der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft auch in Form eines Lebenslagenmodells nähern. Auf diese Weise wollen wir überprüfen, wie sich Lebenslagen, in denen die Bürger in besonderem Maße mit Bürokratie konfrontiert werden, zum Beispiel beim Kauf eines Autos, bei einer Geburt oder im Falle eines Nachlasses, auswirken und wie man die Bürokratie in solchen Lebenslagen durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Rechtsakte reduzieren kann. Sie finden in dem Bericht auch zahlreiche Beispiele aus dem Bereich der Pflegeleistungen und anderer Sozialleistungen. Hier haben wir Projekte auf den Weg gebracht, mit denen Vereinfachungen bei der Gesetzge1688 bung erreicht werden sollen. Einige Projekte sind im Jahre 2013 abgeschlossen worden; andere, die besonders erfolgreich waren, werden im Jahr 2014 fortgesetzt. Insofern kann man resümieren, dass es bei einer im Jahr 2013 im Wesentlichen auf unverändertem Niveau fortgesetzten Belastung von Bürgern, Verwaltung und Wirtschaft mit Bürokratie noch zahlreiche Projekte gibt, mit denen wir etwas verändern wollen. Aber natürlich gibt es auch neue Regelungsvorhaben, die den Bürokratieaufwand möglicherweise erhöhen. Die Bundesregierung wird im Mai ein Arbeitsprogramm verabschieden, mit dem wir weitere Projekte mit dem Ziel des Bürokratieabbaus auf den Weg bringen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den gerade berichtet wurde. Es hat sich der Kollege Grund gemeldet. Bitte schön.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister, für Ihren Bericht über die Arbeit des Normenkontrollrates und über die Einsparungen, die für die Verwaltung, die Bürger und die Wirtschaft damit verbunden sind. Wie muss man sich das konkret vorstellen? Wie nimmt der Normenkontrollrat Einfluss auf ein Gesetzgebungsverfahren oder auf dessen Ergebnis? Wie fließt dies wiederum in das Gesetzgebungsverfahren ein? Also: Wie sieht die Arbeit eigentlich konkret aus?

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Vielen Dank. - Die Bundesregierung hat Empfehlungen für die einzelnen Ressorts herausgegeben. Jedes Ressort muss jetzt bereits bei der Erstellung eines Gesetzgebungsverfahrens den Erfüllungsaufwand konkret beziffern und diesen bei der Vorlage des Gesetzestextes transparent machen. Darüber hinaus wird der Erfüllungsaufwand vor der Verabschiedung im Kabinett und zukünftig auch nach der Verabschiedung im Bundestag nachberechnet, sodass für jeden, der im Deutschen Bundestag eine Entscheidung trifft, aber auch für die Bevölkerung transparent wird, wie hoch der Erfüllungsaufwand des jeweiligen Gesetzes ist. In der nächsten Woche werden wir für den Deutschen Bundestag, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten wie auch die Verwaltung, eine Veranstaltung durchführen, in der der Normenkontrollrat, das Statistische Bundesamt und das Bundeskanzleramt über die verschiedenen Berichts- und Mitteilungsformen informieren, damit Sie als Abgeordnete diese Informationen in die Beratungen des Gesetzgebungsverfahrens und in Ihre Entscheidung einbeziehen können.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Jetzt eine Frage des Kollegen Dr. Gambke.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, Sie haben in Ihren Ausführungen davon gesprochen, dass Bürokratie aufgebaut worden ist. Ich fand die einleitenden Worte bemerkenswert; denn Sie haben die Verfahren beschrieben, die wir gehabt haben. Ich als Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion sage: Bürokratieaufbau ist im Moment das Thema des Mittelstands. Sie selber haben darauf hingewiesen, dass zu über 60 Prozent die Unternehmen betroffen sind. Nun zu meiner Frage. Wir hatten 2007 das Ziel, die Bürokratiekosten um 25 Prozent zu senken. Wie Sie eben ausgeführt haben, hatten wir leider im letzten Jahr einen Anstieg der Bürokratiekosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein Erfüllungsaufwand, also ein Umstellungsaufwand, in Höhe von 4 Milliarden Euro. Das ist eine erhebliche Summe. Meine Frage an Sie: Hat die Bundesregierung sich mit der Frage befasst, wie jetzt neue Ziele gesetzt werden können? Wie lauten diese quantitativen Ziele, und für welchen Zeitraum gelten sie?

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Vielen Dank. - Sie haben richtig darauf hingewiesen, dass wir in den vergangenen Jahren den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft um 25 Prozent reduziert haben. Das war eine große Anstrengung. Zu der Reduzierung haben zwei Bereiche maßgeblich beigetragen: Der eine ist der Bereich der Bilanzierungsregeln bei den Unternehmen, in dem eine Entlastung von über 2 Milliarden Euro stattgefunden hat. Der andere ist der Bereich der elektronischen Rechnungsstellung, wo ein Teil der Entlastung der Wirtschaft zwar frühzeitig mit der Gesetzgebung bilanziert worden ist; aber die Entlastungwirkung hält in dem Maße an, wie die elektronische Rechnungsstellung in der Realität der Unternehmen ankommt. Das heißt, es gibt durch das Projekt der Reduzierung der Kosten aus gesetzlichen Informationspflichten um 25 Prozent bis heute Entlastungswirkungen. Wenn man in die Zukunft schaut, muss man mit Blick auf diejenigen, die sich mit Bürokratieabbau beschäftigen, eines sehr deutlich sagen: Man kann natürlich immer überlegen, ob ein Gesetz den jeweiligen Erfüllungsaufwand rechtfertigt. So hat der Deutsche Bundestag die von der Bundesregierung novellierte Energieeinsparverordnung befürwortet, weil wir Klimaziele und politische Ziele erfüllen wollen und das Ganze in der Sache für richtig halten. Dem Erfüllungsaufwand stehen - ganz abgesehen von den ökologischen Zielen - ökonomische Vorteile durch Energieeinsparung gegenüber. Insofern ist es die Aufgabe derer, die sich mit dem Bürokratieabbau beschäftigen, nicht alle Regelungen der Zukunft generell infrage zu stellen, sondern zu schauen: Kann man den politisch erwünschten Zweck möglicherweise einfacher erreichen? Nach dem deutlichen Abbau der Bürokratie in der Anfangszeit lautet die Aufgabe jetzt, in laufenden Gesetzgebungsverfahren den Zuwachs an Bürokratie nach Möglichkeit zu verhindern oder zu begrenzen. Neue Projekte, mit denen wir den Bürokratieaufwand der Unternehmen, deren Zukunft uns natürlich am Herzen liegt, deutlich reduzieren wollen, werden wir dann in dem neuen Arbeitsprogramm der Bundesregierung vorstellen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Ich sehe keine weiteren Fragen zu diesem Themenbereich. ({0}) - Herr Dr. Gambke.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine Frage. Ich stelle aber zunächst fest, dass Sie meine Frage nach einem neuen quantitativen Ziel nicht beantwortet haben. Zu meiner Frage. Wir haben uns im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz auch mit dem Thema der Hotelsteuer beschäftigt; unter diesem Stichwort ging es um den verminderten Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen. Wir wussten im Vorfeld, dass das zu erheblichen Bürokratiekosten führt, sowohl für die Gewerbetreibenden, also die Hotels, als auch für die Bürger. Das konnte dadurch umgangen werden, dass die Koalitionsfraktionen und nicht die Regierung dieses Gesetz eingebracht haben. Plant die Bundesregierung eine Ausweitung des Auftrags des Normenkontrollrates auf Gesetzentwürfe der Fraktionen, um in Zukunft zu verhindern, dass Fraktionen den schönen Beschluss, Gesetze nach ihren Bürokratiekosten zu bewerten, umgehen können?

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Der Normenkontrollrat ist ein Gremium zur Unterstützung der Bundesregierung. Natürlich kontrolliert nicht die Bundesregierung den Bundestag, sondern umgekehrt. Aber ich habe eben angedeutet, dass wir - das ist sicherlich in Ihrem Sinne - beabsichtigen, in Zukunft den Erfüllungsaufwand von Gesetzen nach der endgültigen Verabschiedung nochmals zu berechnen, um transparent zu machen, welche Belastungen durch das rechtskräftige Gesetz tatsächlich für die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und die Verwaltung entstehen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit beenden wir den Bereich der Themen der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es darüber hinaus weitere Fragen an die Bundesregierung? ({0}) Ich sehe, das ist auch nicht der Fall. Dann unterbreche ich die Sitzung bis zur Fragestunde um 13.35 Uhr. ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksachen 18/814, 18/835 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 18/835 auf. Für den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts beantwortet heute der Staatsminister Michael Roth die Fragen. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Hunko auf: Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung angesichts des Ausgangs der Volksabstimmung über einen Anschluss der Krim an Russland auf die Sicherheitslage in Deutschland und durch die in diesem Zusammenhang verhängten bzw. geplanten Sanktionen gegen Russland auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, die Stabilität der Euro-Zone bzw. die Volkswirtschaften der Europäischen Union? Herr Staatsminister Roth, bitte schön.

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Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Lieber Herr Kollege Hunko, ich will noch einmal daran erinnern, dass sich die Europäische Union bei ihren Maßnahmen und Sanktionen auf ein dreistufiges Verfahren verständigt hat. Gemäß dem jüngsten Beschluss vom 17. März 2014 greift nun die Stufe 2, das heißt, gegen 21 Personen aus der Ukraine und aus Russland sind Einreiseverbote ausgesprochen worden, und deren Vermögen wurden eingefroren. Die Bundesregierung sieht derzeit weder Beeinträchtigungen der Sicherheitslage in Deutschland noch nennenswerte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, in der Euro-Zone oder in der Europäischen Union.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Hunko.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Kollege Roth, in der letzten Woche waren Außenminister von Staaten, die gerade aus der Krise herausgekommen sind oder bei denen es den Anschein hat, dass sie jetzt aus der Krise herauskommen, zu Besuch hier im Bundestag, und sie haben diese Sorgen ebenfalls geäußert. Würden Sie auch ausschließen, dass es Auswirkungen auf die Stabilität in der EuroZone haben könnte, wenn es nach den jetzt umgesetzten Sanktionen zu einer Sanktionsspirale käme und der Konflikt über diese Sanktionen weiter eskalieren würde, oder wäre das eine reale Gefahr?

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Es gibt keinen Sanktionsautomatismus, Herr Kollege Hunko. Die Bundesregierung und die Europäische Union insgesamt sind nach wie vor zuvörderst um eine diplomatisch-politische Lösung bemüht. Wir wollen deeskalieren und nicht eskalieren. Der nächste Europäische Rat am morgigen Donnerstag wird im Lichte der jüngsten Entwicklung auf der Krim, aber auch vor dem Hintergrund der russischen Entscheidung, sich die Krim einzuverleiben, über weitere Schritte nachdenken. Es gibt derzeit aber noch keinerlei konkrete Überlegungen, Wirtschaftssanktionen auszusprechen. Ich müsste hier also spekulieren, und das möchte ich nicht.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank. - Herr Staatsminister, ich möchte Sie gerne fragen, ob aus Ihrer Sicht eine Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Russland bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und Auswirkungen auf die Verhandlungen mit dem Iran über das Atomprogramm in dem Sanktionskatalog vorgesehen sind und wie sich die Bundesregierung dazu verhält.

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Es gibt eine klare Priorität der Bundesregierung - daran arbeiten wir Tag und Nacht -, nämlich auf politischem Wege und auf diplomatischem Wege zur Deeskalation beizutragen. Wir haben auch das Ziel, dass - unabhängig von weiteren Maßnahmen - die Gesprächskanäle mit Russland offen gehalten werden. Ich habe den Eindruck, dass diese Position innerhalb der Europäischen Union auf große Zustimmung stößt. Im Übrigen wissen Sie, dass wir für die Lösung von einer Reihe von internationalen Problemen - Sie haben einige angesprochen - weiterhin auf Russland angewiesen sind. Unabhängig davon gibt es aber ein klares, deutliches Signal der Bundesregierung und der Europäischen Union: Was Russland bezüglich der Krim getan hat, verstößt gegen das Völkerrecht und ist absolut inakzeptabel.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollege Krischer hat jetzt Gelegenheit, eine weitere Frage zu stellen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, es hat in der vergangenen Woche und in der Woche davor zwei große Geschäfte von deutschen Unternehmen gegeben: zum einen die Transaktion der Firma Wintershall, die im Rahmen eines Asset-Tauschs Gasspeicheranteile an Gazprom verkauft hat, und zum anderen die Entscheidung von RWE, ihre Öl- und Gasfördertochter an einen russischen Investor zu verkaufen, und zwar zu einem überraschend hohen Kaufpreis und - wenn man die gesamte Verhandlungsdauer dieses Kaufs betrachtet - zu einem interessanten Zeitpunkt. Meine Frage ist: Welche Position hat die Bundesregierung zu diesem Thema, und erachtet sie es als notwendig, in irgendeiner Weise bei diesen Geschäften einzugreifen, zu prüfen, zu handeln?

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Unabhängig davon, wie wir zu solchen wirtschaftlichen Entscheidungen der Privatwirtschaft stehen, gibt es für die Bundesregierung derzeit keine Möglichkeiten, einzugreifen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Wenn wir jetzt über Sanktionen oder Einschränkungen im Handel sprechen, dann ist der erste Bereich, der mir dazu einfällt, der Bereich der Rüstungsexporte. Jetzt frage ich: Gedenkt die Bundesregierung die Lieferung eines gesamten Gefechtsübungszentrums nach Russland durch die Firma Rheinmetall zu stoppen? Ist dieses Geschäft möglicherweise durch eine Hermesbürgschaft abgesichert? Wie wird das dann in der Praxis abgewickelt?

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Liebe Frau Kollegin, auch wenn in der Öffentlichkeit immer wieder anderes behauptet wird: Faktisch werden bereits jetzt keinerlei Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Russland mehr erteilt. Das gilt insbesondere auch für Dual-use-Güter mit einem militärischen Verwendungszweck. Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Überprüfung der bislang schon erteilten Ausfuhrgenehmigungen eingeleitet und wird dann, wenn dies erforderlich ist, die entsprechenden Schritte einleiten. Das gilt auch für die konkreten Fälle, die Sie eben benannt haben.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, angesichts des hohen Tempos der Veränderungen in der Ukraine, mit denen kaum jemand gerechnet hat, und der sich daraus ergebenden Tatsache, dass wir die handelnden Personen und Parteien oft nicht wirklich gut kennen, möchte ich Sie fragen, wie die Bundesregierung die Übergangsregierung in Kiew und die Beteiligung der Partei Swoboda daran einschätzt. Haben wir es dort mit faschistischen Kräften und einer Regierung zu tun, der faschistische Parteien angehören?

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Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Bundesregierung hat wie die Europäische Union insgesamt ein Interesse an einer möglichst inklusiven Regierung, die möglichst alle gesellschaftlichen Kräfte, die der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie verpflichtet sind, einbezieht. Ich weiß, dass es insbesondere in Deutschland eine kontroverse Diskussion über die Rolle von Swoboda gibt. Diese Partei ist an der Regierung beteiligt und stellt zwei Minister. Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen möchte ich nicht von einer faschistischen Partei sprechen. Es ist zweifellos eine rechtspopulistische, nationalistische Partei, aber es ist keine faschistische, eindeutig antisemitische Partei. Im Übrigen - das wissen Sie; da teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundestages - ist es deutsche Tradition: Wir verabscheuen und verurteilen den Antisemitismus überall. Wir setzen uns auch in der Ukraine für eine Aufklärung der Gewalttaten auf dem Maidan, aber auch anderswo ein. Swoboda ist nach unseren Erkenntnissen - auch nach den Gesprächen mit der Zivilgesellschaft in der Ukraine, insbesondere mit den Vertretern der jüdischen Gemeinde - zwar eine rechtspopulistische und nationalistische, aber keine faschistische Partei.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Dr. Neu.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, der Kollege Gehrcke hatte gerade eine Frage gestellt, die Sie etwas unpräzise beantwortet haben. Es geht darum, ob angesichts des Instrumentenköfferchens, in denen die gerade ausgearbeiteten Sanktionen enthalten sind, auch der Abzug aus Afghanistan, bei dem Russland eine Rolle spielen wird, und der Iran Thema sind. Ja oder nein? Danke.

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Herr Kollege Neu, wir befinden uns derzeit noch in der Stufe 2 des sogenannten Sanktionsmechanismus. Die Stufe 3, die Sie ansprechen, ist überhaupt noch nicht im Gespräch. Wir befinden uns hier im spekulativen Bereich. Es bedürfte dafür auch eines gesonderten Beschlusses des Europäischen Rates. Derzeit investieren wir unsere gesamte Kraft, unser Engagement, aber auch unsere Kreativität darauf, weitere Sanktionen zu verhindern. Ich habe auch den Eindruck, dass es darüber in der Europäischen Union eine intensive Diskussion gibt. Denn wir müssen uns die Frage stellen, wer welchen Preis für welche Sanktion zahlt und ob wir das, was wir uns wünschen, mit den entsprechenden Sanktionen wirklich erzielen können. Insofern kann ich Ihnen noch nichts Konkretes sagen, weil es diese konkrete Diskussion noch nicht gibt. Einen Instrumentenkoffer mit Sanktionen, den Sie angesprochen haben, gibt es weder bei der Bundesregierung noch bei der Europäischen Union.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Petzold.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, dass es innerhalb der Bundesregierung noch gar keine Vorstellung über die Stufe 3 gibt?

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Es gibt selbstverständlich eine Reihe von Überlegungen, aber es gibt noch keine Beschlüsse. Über die würde ich Sie dann informieren, wenn sie anstehen. Derzeit haben wir eine klare Priorisierung. Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt. Denn die sogenannte dritte Stufe greift erst dann, wenn die Eskalationsspirale sich weiterdreht. Ich meine, dass es derzeit noch ein Fenster für diplomatische Bemühungen gibt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Herr Staatsminister, wenn ich die Fragen insbesondere der Vertreter der Linksfraktion richtig verstehe, besteht ein großer Konsens im Haus, dass wir daran mitwirken wollen, die Chemiewaffen in Syrien zu vernichten. Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Wochen Gelegenheit haben, in diesem Zusammenhang Äußerungen der Linksfraktion zu einer gemeinsamen Haltung zu hören. Ich würde gerne darauf Bezug nehmen, was Sie gesagt haben. Es ist nicht nur Auffassung der Bundesregierung, dass die Ereignisse auf der Krim in den letzten Stunden und Tagen und die Handlungen unterschiedlicher Personen, aber auch von Institutionen in Russland nicht nur nicht akzeptabel, sondern auch völkerrechtswidrig sind. Vielleicht kann die Bundesregierung auch hier noch einmal dokumentieren, dass dies keine Einzelmeinung Deutschlands ist, sondern dass Russland mit seiner Position und Haltung mittlerweile auch innerhalb der Europäischen Union, des Europarats und insbesondere - das ist für uns sehr wichtig - des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen isoliert ist.

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Herr Kollege Mützenich, ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis und die damit verbundene Frage, weil sie mir die Chance eröffnet, eines deutlich zu machen: Es geht nicht um die Position „Der Westen gegen Russland“. Ich will auch keinem unterstellen, in den Kategorien des Kalten Krieges zu argumentieren. Sie haben völlig recht: Russland ist aufgrund seines völkerrechtswidrigen Vorgehens gegen die Ukraine und insbesondere der Einverleibung der Krim völlig isoliert. Es gibt eine klare Positionierung des Sicherheitsrates. Es gibt eine klare Positionierung im Europarat. Es gibt derzeit - auch und gerade in dieser Stunde - Bemühungen in der OSZE. Es gibt nicht zuletzt eine klare, einmütige Positionierung der Europäischen Union. Das alles macht deutlich: Es geht nicht um „den Westen gegen Russland“, sondern um das Handeln der der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Welt. Ich will das zwar nicht im Namen aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sagen. Aber es gibt ein klares Bekenntnis, das verdeutlicht, dass das, was Russland derzeit tut, auf deutlichen Widerspruch in der Weltgemeinschaft stößt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Ich rufe nun die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu auf: Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Einsatz einer nach Medienberichten am 13. oder 14. März 2014 über der Krim abgefangenen, auf einem Standort der US-Armee in Bayern stationierten Drohne des Typs Hunter MQ-5B, unter anderem darüber, aus welcher Quelle die öffentlich gewordenen Informationen über diese angeblich abgefangene Drohne ursprünglich stammten, wer diese den Medien zugänglich machte, von wem die Drohne gegebenenfalls abgefangen wurde, wo bzw. in wessen Gewahrsam sie sich seither befindet, ob diese Drohne mit Aufklärungstechnik ({0}) ausgestattet bzw. ob sie waffenfähig bzw. bewaffnet ({1}) war, und war die Bundesregierung über diesen Einsatz vorab informiert, bzw. welche weiteren Erkenntnisse über diesen Einsatz hatte sie in dessen Vorfeld? Bitte, Herr Staatsminister Roth.

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Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte die dringlichen Fragen 2 und 3 im Zusammenhang beantworten.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sind Sie damit einverstanden, Herr Dr. Neu? - Dann rufe ich auch noch die dringliche Frage 3 auf: Sofern die Bundesregierung über einen dieser Aspekte keine Erkenntnisse besitzt, was hat sie unternommen, um entsprechende Erkenntnisse zu erlangen, bzw. sofern dies nicht geschehen ist, aus welchem Grund wurde nicht versucht, Erkenntnisse zu erlangen? Bitte, Herr Staatsminister Roth.

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Herr Kollege Neu, um das den Kolleginnen und Kollegen zu erläutern, die nicht so im Bilde sind wie Sie: Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten betreiben auf den Truppenübungsplätzen in Grafenwöhr und Hohenfels in Bayern zu Übungszwecken einige unbewaffnete, unbemannte Flugzeuge des Typs Hunter, also Drohnen. Diese haben eine Reichweite von 260 Kilometern. Um von Bayern in die Ukraine zu kommen, müssten ungefähr 2 000 Kilometer zurückgelegt werden. Insofern halte ich das deutliche und sofortige Dementi des USVerteidigungsministeriums, dass es sich dabei nicht um Drohnen des Typs Hunter gehandelt haben kann, für mehr als nachvollziehbar.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Neu, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie gehen also davon aus, dass diese Drohnen sozusagen keinen Zwischenstopp in Polen, Rumänien oder Ungarn machen können, um aufgetankt zu werden?

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Uns liegt ein deutliches Dementi der Vereinigten Staaten vor. Wir haben keine weiteren Erkenntnisse. Meine Ingenieurskunst reicht nicht aus, um Ihre Frage so zu beantworten, dass sie vielleicht in das Schema passt, das Sie von mir erwarten. ({0}) - Die habe ich Ihnen auch gegeben.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das Wort zu einer Frage hat jetzt der Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Sie gehen jetzt davon aus, dass es sich um eine Drohne des Typs Hunter handelt. Nehmen wir einmal an, dass es eine Drohne eines anderen Typs war, möglicherweise sogar eine bewaffnete Drohne. Geben Sie mir recht, dass eine solche Drohne in Deutschland starten und auch bis in die Ukraine fliegen könnte und dass es in der Vergangenheit schon vorgekommen ist, dass solche Drohnen von Deutschland aus in eine andere Richtung, nämlich in Richtung Afrika, eingesetzt worden sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, die Frage des Kollegen Neu bezieht sich auf eine Information von The Voice of Russia. Demzufolge soll die russische Rüstungsagentur am 14. März behauptet haben, dass ein unbemanntes US-Flugzeug des Typs Hunter bei einem Aufklärungsflug auf der Krim-Halbinsel abgefangen worden sei. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass in Bayern solche Drohnen stationiert sind, dass es aber technisch unmöglich ist, bei einer Reichweite von 260 Kilometern von Bayern in die Ukraine zu kommen. Insofern handelt es sich hier um eine grobe Spekulation, die ich nicht weiter befeuern möchte.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, angesichts der besorgniserregenden militärischen Handlungen auf der Krim und der großen Sorge der internationalen Gemeinschaft, dass sich der nächste militärische Akt in der Ostukraine ereignet, frage ich Sie, ob Sie Informationen bestätigen können, dass im Dorf Strilkowe, also auf kontinental-ukrainischem Gebiet, mehrere Kampfhubschrauber russischer Herkunft gelandet und gepanzerte Fahrzeuge russischer Herkunft einschließlich 60 Soldaten stationiert sind, die eine Gasverdichtungsstation besetzt haben?

Not found (Gast)

Sie wissen, Frau Kollegin Beck, dass die Lage insbesondere in der Ostukraine, aber auch im Süden der Ukraine mehr als instabil ist und dass es dort eine Reihe von Gefährdungen gibt. Ich möchte mich jetzt ausdrücklich nicht auf Ihr Beispiel beziehen, weil mir die entsprechenden Erkenntnisse im Detail dazu fehlen. Nicht zuletzt veranlasst uns diese doch sehr fragile, gefährliche Lage dazu, nach Kräften dazu beizutragen, dass es die entsprechende Monitoring-Kommission der OSZE alsbald gibt - gerade heute finden die Verhandlungen statt -, um dafür Sorge zu tragen, dass mithilfe der OSZE, eines Partners, der den Menschenrechten verpflichtet ist, die derzeitige Lage vor Ort aufgeklärt wird, damit wir nicht nur auf informelle Berichte angewiesen sind.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat jetzt die Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, bereits seit über einer Woche erreichen uns immer wieder Berichte über verstärkte Aktivitäten von NATOTruppen im östlichen Polen, insbesondere in der masurischen Region. In diesem Kontext würde mich schon interessieren, was der genaue Auftrag dieser Truppen ist und inwieweit und in welcher Form die Bundesregierung diese Aktivitäten unterstützt.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um mögliche Aktivitäten der NATO in Polen handelt und nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern kann ich Ihre Frage nicht beantworten, weil das nicht in den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amts fällt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollege Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, angesichts dieser auch von den Kollegen beschriebenen militärischen Entwicklung möchte ich noch einmal auf die Frage zurückkommen, die Sie mir eben beantwortet haben. Sie sagten, dass Sie keinerlei rechtliche Möglichkeit sehen, auf Geschäfte der RWE oder der Wintershall AG Einfluss zu nehmen oder in irgendeiner Weise aktiv zu werden. Deshalb meine konkrete Nachfrage. In § 4 des Außenwirtschaftsgesetzes wird eine ganze Reihe von Gründen genannt, in denen die Bundesregierung in Vertretung der Bundesrepublik aktiv werden kann. Da ist zum Beispiel von einer Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker die Rede, da ist von einer Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik die Rede. Meine Frage: Interpretiere ich Sie richtig, dass diese Gründe, die in § 4 des Außenwirtschaftsgesetzes genannt werden, auf die Geschäfte der RWE bzw. der Wintershall AG keine Anwendung finden?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich wiederholt für ein gemeinsames Vorgehen - ich hatte bislang immer den Eindruck, dass dies auch von einer sehr breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag getragen wird und eine gemeinsame Strategie der Europäischen Union ausgesprochen. Das heißt, das, was wir tun oder auch nicht tun, ist in eine Strategie der Europäischen Union eingebettet. Wir werden nicht zuletzt am kommenden Donnerstag auf dem Europäischen Rat darüber sprechen müssen, wie wir mit der jüngsten Entscheidung Russlands umzugehen haben, ob wir im Bereich der zweiten Stufe verbleiben. Aber wir sind noch weit davon entfernt, über die dritte Stufe konkret zu verhandeln, geschweige denn, diese zu beschließen. Ich will wiederholen: Das setzt nämlich einen weiteren dezidierten Beschluss des Europäischen Rates voraus. Es geht also hier um eine gemeinsame Anstrengung, um gemeinsame Maßnahmen, die von der Europäischen Union insgesamt verabredet werden. Ich hielte es für nicht besonders überzeugend, wenn hier einzelne Mitgliedstaaten vorpreschten und einzelne, nationalstaatliche Maßnahmen ergreifen würden.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Nachfragewünsche. Damit sind auch die dringlichen Fragen 2 und 3 beantwortet. Wir kommen zu den Fragen auf Drucksache 18/814. Ich rufe sie in der üblichen Reihenfolge auf. Als Erstes behandeln wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer zur Verfügung. Zunächst rufe ich die Frage 1 des Abgeordneten Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Welche Treffen gab es zwischen der Europäischen Kommission und Vertretern der Bundesregierung bezüglich einer europarechtskonformen Ausgestaltung der Besonderen Ausgleichsregelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz, bitte nach Inhalt und Terminen aufschlüsseln, und welchen inhaltlichen Vorschlag zur europarechtskonformen Ausgestaltung hat die Bundesregierung der Europäischen Kommission diesbezüglich unterbreitet? Herr Kollege Beckmeyer.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Ich beantworte die Frage wie folgt: Es gab und gibt zwischen der EU-Kommission und der Bundesregierung zahlreiche Gespräche bezüglich einer europarechtskonformen Ausgestaltung der Besonderen Ausgleichsregelung im EEG. Nähere Informationen zu Daten bzw. Gesprächsinhalten und zu inhaltlichen Vorschlägen der Bundesregierung können nicht übermittelt werden, da die Verhandlungen der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen sind.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Beckmeyer, herzlichen Dank für die Antwort. - Diese Antwort verwundert mich etwas. Denn wenn man in Verhandlungen geht, hat man erst einmal eine Position; das kennen wir alle aus dem Bereich der Tarifverhandlungen. Deshalb erstaunt mich, dass die Bundesregierung bei diesem Thema offensichtlich gar keine Position zu haben scheint. Wenn man in eine Verhandlung geht, dann muss man doch eine Position haben. Mich würde interessieren, mit welcher konkreten Position die Bundesregierung in die Verhandlungen gegangen ist. Dass Sie über den Verhandlungsfortschritt natürlich nicht im Detail berichten können, kann ich nachvollziehen. Das ist sicherlich ein interner Prozess. Aber mich interessiert die grundsätzliche Position. Gestern gab es Medienberichte, wonach 65 Branchen von der Ökostromumlage ausgenommen sein sollen. Können Sie bestätigen oder dementieren, dass eine solche Zahl im Raume steht und am Ende Teil einer Vereinbarung mit der EU-Kommission wird?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Kollege Krischer, Sie haben danach gefragt, welche Treffen es zwischen der Europäischen Kommission und den Vertretern der Bundesregierung gegeben hat, um diese Ausgestaltung zu beraten. Meine Antwort darauf habe ich Ihnen eben vorgetragen. ({0}) - Ich komme zum zweiten Teil. Die Beratungen betreffen unter anderem die Inhalte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. In diesem Zusammenhang sind speziell das Thema „Besondere Ausgleichsregelung“, aber auch das Thema „Eigenverbrauch“ zu nennen. Sie haben mich außerdem gefragt, wie wir mögliche Ausnahmen von der Ökostromumlage - Meldungen darüber sind gestern durch wen auch immer an die Öffentlichkeit geraten - bewerten. Dabei geht es um ein Papier der EU-Kommission, in dem Ausnahmen für bestimmte Branchen vorgeschlagen werden. Wir werten diese Vorschläge zurzeit aus und beurteilen sie auch im deutschen Interesse.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, dass es dabei um das EEG und die Besondere Ausgleichsregelung geht, vermelden die Überschriften. Genauso ist es oft bei Tarifverhandlungen, wenn vermeldet wird, dass es um Lohnpolitik und Arbeitszeiten geht. Überschriften dieser Art sagen aber noch nichts über Ihre Position aus. Deshalb noch einmal meine Frage: Mit welcher Position, mit welchen konkreten Inhalten, mit welchem Ziel ist die Bundesregierung in diese Verhandlungen gegangen? ({0})

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Kollege Krischer, wir haben uns ja bereits im Ausschuss für Wirtschaft und Energie darüber unterhalten. Es ist klar, dass das jetzige Erneuerbare-EnergienGesetz - zuletzt geändert 2012; das Gesetz, das von der EU-Kommission im Grunde gestoppt worden ist - in diesem Jahr novelliert werden soll; das ist erklärte Politik der Bundesregierung. Unser Zeitplan sieht vor, dass der Entwurf der Novelle dem Kabinett Anfang April vorliegt. Wir werden ihn danach im Plenum des Deutschen Bundestages beraten. Wir möchten gerne, dass dieses Gesetz, nachdem wir es mit Ihnen zusammen beraten haben, am 1. August 2014 mit seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft tritt. Das Hinterfragen aller Inhalte des Ihnen bekannten Erneuerbare-Energien-Gesetzes - der Besonderen Ausgleichsregelung, einer Umlage auf Eigenstromverbrauch ist Teil der Verhandlungen, die wir mit der EU-Kommission aktuell führen. Da gibt es im Detail sehr viele verschiedene Ansichten und Positionierungen. Ich bitte Sie, den Abschluss der Gespräche abzuwarten. Danach werden wir Ihnen einen entsprechenden Beschluss des Kabinetts vorlegen. Dann werden wir uns dazu inhaltlich weiter auseinandersetzen können. Herzlichen Dank.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Zu einer weiteren Frage erteile ich jetzt dem Kollegen Petzold das Wort.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich möchte Sie trotzdem noch einmal fragen, mit welcher Position die Bundesregierung, was die Ausnahmeregelungen für Unternehmen anbelangt, in diese Verhandlungen geht.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Wir sind bereits in den Verhandlungen. Diese Verhandlungen haben insbesondere zum Ziel, die deutsche Wirtschaft im Zusammenhang mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz und dessen Novelle international konkurrenzfähig zu halten. Das ist eines der Hauptziele der Bundesregierung bei diesen Verhandlungen mit der Europäischen Kommission.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt Die Frage 2 des Abgeordneten Oliver Krischer, die Frage 3 der Abgeordneten Bärbel Höhn, die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Klaus Ernst und die Frage 6 der Abgeordneten Agnieszka Brugger werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Ich bedanke mich bei Herrn Staatssekretär Beckmeyer für die Beantwortung. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth zur Verfügung. Die Frage 7 der Abgeordneten Agnieszka Brugger wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke auf: Über welche Erkenntnisse und Hinweise verfügt die Bundesregierung, dass die gegen jüdische Einrichtungen und Bürger jüdischen Glaubens gerichteten Angriffe in der Ukraine wie in Kiew im Januar 2014 ({0}) vom russischen Geheimdienst, von anderen russischen Sicherheitsorganen und/oder vom ukrainischen Geheimdienst oder von anderen ukrainischen Sicherheitsorganen organisiert und gesteuert wurden?

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Gehrcke, wir gemeinsam hier im Hohen Hause, aber auch in der Bundesregierung verurteilen den Antisemitismus auf das Schärfste - überall und selbstverständlich auch in der Ukraine. Die Bundesregierung verfügt aber über keine derartigen Erkenntnisse, wie Sie sie mit Ihrer Frage insinuiert haben. Sie können sich darauf verlassen: Wir stehen in engstem Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinden in der Ukraine. Selbstverständlich ist die Lage in der Ukraine ausgesprochen schwierig. Aber alle Repräsentanten der jüdischen Gemeinden haben uns gegenüber noch einmal bestätigt, dass man von einer allgemeinen Zunahme des Antisemitismus im Zusammenhang mit den jüngsten Unruhen in der Ukraine nicht sprechen könne. Ich will noch einen Punkt ergänzen, Herr Kollege Gehrcke. Sie werden sich bestimmt an den offenen Brief der jüdischen Gemeinden an Präsident Putin vom 5. März erinnern, in dem prominente Vertreter der ukrainischen jüdischen Organisationen deutlich gemacht haben, dass das Argument Putins, es handele sich hier um einen wüsten Antisemitismus, mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun hat.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich muss ja nicht dem russischen Präsidenten Putin helfen wollen; ich will der Bundesregierung helfen, ({0}) klare Erkenntnisse zu gewinnen und ihre Positionen, die Sie beschrieben haben, in der Öffentlichkeit auch energisch genug vorzutragen. ({1}) Ich zitiere aus der israelischen Zeitung Haaretz; sie ist bekannt, das ist eines der großen seriösen Blätter. Dort war am 23. Februar zu lesen: Aus Angst vor antisemitischen Übergriffen inmitten des Chaos in Kiew fordert der ukrainische Rabbiner Moshe Reuven Asman die Juden zum Verlassen der Stadt auf. „Ich habe meine Gemeinde aufgefordert, das Stadtzentrum und auch die ganze Stadt zu verlassen und wenn möglich auszureisen.“ Das können Sie in der Haaretz nachlesen. So wird das in Israel wahrgenommen. Muss nicht die Bundesregierung angesichts solcher Wahrnehmungen viel energischer deutlich machen: „Man setzt sich nicht mit Nazis zusammen an einen Tisch, man lässt sich nicht mit denen fotografieren, sondern man wird international die Ächtung betreiben“?

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Ich muss das auf das Schärfste zurückweisen. Die Bundesregierung setzt sich nicht mit Nazis und Faschisten an einen Tisch. Sie können sich darauf verlassen, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten alles dafür tun, um Jüdinnen und Juden in der Ukraine zu schützen. Wir verlassen uns dabei nicht so sehr auf Medienberichte, sondern in erster Linie auf unmittelbare Gespräche mit Repräsentanten der jüdischen Gemeinden in der Ukraine. Ich möchte daran erinnern, dass heute, in dieser Stunde, der Vorsitzende des Vereins Jüdischer Gemeinden und Organisationen in der Ukraine, Herr Zissels, in Berlin ist - ich bedanke mich auch noch einmal bei der Kollegin Beck, die das offenkundig initiiert hat -, um unter anderem mit den Vertreterinnen und Vertretern des Menschenrechtsausschusses, aber auch mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses über die Lage der Juden in der Ukraine zu sprechen. Wenn ich als Vertreter der Bundesregierung sage, dass uns derzeit keine Erkenntnisse über eine Zunahme des Antisemitismus in der Ukraine vorliegen, speist sich das aus unmittelbaren Gesprächen mit Vertretern der jüdischen Gemeinden in der Ukraine.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auf die Quelle unmittelbarer Gespräche kann auch ich zurückgreifen. Ich halte Ihnen aber noch einmal vor - ich möchte ja, dass sich die Bundesregierung bewegt und etwas tut -, wie Ihr Kollege Günter Verheugen, der ehemalige EU-Erweiterungskommissar, der ja Ihrer Par1696 tei angehört und nicht meiner - ich könnte jetzt sagen: bedauerlicherweise; aber das ist so -, die Lage beurteilt - ich zitiere -: Das Problem liegt eigentlich gar nicht in Moskau oder bei uns. Das Problem liegt ja in Kiew, wo wir die erste europäische Regierung des 21. Jahrhunderts haben, in der Faschisten sitzen. Ende des Zitates von Günter Verheugen, Mitglied der SPD, ehemaliger Erweiterungskommissar.

Not found (Gast)

Diese Auffassung teilen wir so nicht. Ich will Ihnen einfach einmal erklären, was wir bislang tun, um jeden gewaltsamen Akt entschlossen und entschieden aufzuklären: Erstens. Es gibt eine klare Zusage der derzeitigen ukrainischen Regierung, in der sie ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen bekräftigt hat. Zweitens hat sich eine Kommission in der Ukraine gegründet unter starkem Einbezug der Zivilgesellschaft, selbstverständlich auch unter Einbezug der jüdischen Gemeinden. Drittens hat der Europarat das sogenannte International Advisory Panel etabliert, das an der Aufklärung von Gewalttaten in der Ukraine aktiv beteiligt ist. Nicht zuletzt war der Untergeneralsekretär für Menschenrechte der Vereinten Nationen jüngst in der Ukraine und hat sich über die Menschenrechtssituation, auch über die Gefährdung durch Antisemitismus, einschlägig informiert. Wir sehen seinem unmittelbar aus der Lage vor Ort gewonnenen Bericht mit großer Spannung entgegen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Die Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat der Kollege Petzold.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich möchte noch einmal nachfragen, welche Rolle denn solche Erkenntnisse spielen - diese sind ja auch im Internet oder in der Presse deutlich nachvollziehbar - wie die, dass führende Repräsentanten der Swoboda-Partei eindeutige Posen zeigen, die bei uns als verfassungswidrig gelten, und dass Führungspersonal dieser Partei, dass Parlamentarier dieser Partei an Veranstaltungen der rechtsextremen NPD in Deutschland teilnehmen und teilgenommen haben. Welche Rolle spielt das bei Ihrer Meinungsbildung? Das muss doch die Alarmglocken bei Ihnen schrillen lassen.

Not found (Gast)

Es gibt ja noch eine schriftlich eingereichte Frage zu der möglichen Kooperation der NPD mit Swoboda oder auch mit anderen Organisationen in der Ukraine. Ich will dem aber durchaus einmal vorgreifen und eines deutlich sagen: Aus den Erkenntnissen, die der Bundesregierung zu Swoboda vorliegen, wird deutlich, dass es sich um eine rechtspopulistische und nationalistische Partei handelt, aber um keine faschistische. Sie haben darüber hinaus nachgefragt, wie die Kooperationen der NPD mit Swoboda oder auch mit Prawyj Sektor - das ist ja eine andere Organisation, die aber dezidiert nicht der ukrainischen Regierung angehört - aussehen. Uns liegen derzeit keinerlei Hinweise auf eine finanzielle Zusammenarbeit vor. Es gibt auch kein klares Bild. Ich will Ihnen einfach einmal ein paar Beispiele nennen: Es ist durchaus richtig, dass sich die NPD bemüht hat, entsprechende Kontakte in die Ukraine zu vertiefen. Dafür spricht nicht zuletzt auch das Interview, das ein Swoboda-Funktionär im Parteiorgan Deutsche Stimme gegeben hat. Es gab auch den Besuch einer Swoboda-Delegation im Mai 2013 bei der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen. Der Vertreter des sogenannten Rechten Sektors, des Prawyj Sektor, hat seine Teilnahme am Europakongress der Jungen Nationaldemokraten im März dieses Jahres inzwischen zurückgezogen. Es gibt auch Äußerungen der NPD, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Hier gibt es nämlich teilweise eine deutliche Parteiergreifung für die Position Russlands. So wirft zum Beispiel die NPD in Mecklenburg-Vorpommern den USA und der Europäischen Union in Bezug auf die Ukraine eine antirussische Aggressionspolitik und die Destabilisierung durch Einflussagenten vor. Eine klare Positionierung der NPD kann ich hier nun beim besten Willen nicht erkennen. Auf eines können Sie sich aber immer verlassen: Die Bundesregierung wird immer uneingeschränkt gegen Antisemitismus und Faschismus vorgehen - egal wo, weltweit.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Staatsminister, ich darf Sie im Hinblick auf die Beantwortung der weiteren Fragen an die Einhaltung der Redezeit erinnern.

Not found (Gast)

Danke.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Der Herr Kollege Grund hat eine Frage.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich möchte auf die Frage von Herrn Kollegen Gehrcke zurückkommen und Sie und die Bundesregierung fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass mehrere Mitglieder des Übergangskabinetts in Kiew, so zum Beispiel Ministerpräsident Jazenjuk, jüdische Wurzeln haben und dass der vor kurzem ernannte Gouverneur von Dnipropetrowsk, Kolomojskyj, Vorsitzender des Europäischen Rats der Jüdischen Gemeinden, Präsident der Europäischen Jüdischen Union und Leiter der Vereinten Jüdischen Gemeinden der Ukraine ist?

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Lieber Herr Kollege Grund, Sie haben völlig recht: Es gibt eine Reihe von politischen Repräsentanten jüdiStaatsminister Michael Roth schen Glaubens; Sie haben einige genannt. Auch der stellvertretende Premierminister, Herr Hrojsman, ist jüdischen Glaubens. Darüber hinaus gibt es - das sind zumindest meine bisherigen Erkenntnisse - drei Gouverneure, die ebenso jüdischen Glaubens sind.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die organisatorische und finanzielle Zusammenarbeit zwischen der ukrainischen Partei Swoboda und der Kampfgruppe Rechter Sektor mit der deutschen NPD und anderen rechtsextremistischen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland vor?

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Ich hatte diese Frage im Rahmen der Frage Ihres Kollegen eben schon weitgehend zu beantworten versucht. Ich will das noch einmal kurz darstellen und erläutern: Es ist gefragt worden, ob es eine finanzielle Zusammenarbeit zwischen Swoboda oder der sogenannten Kampfgruppe Rechter Sektor, Prawyj Sektor, zur NPD gebe. Ich habe deutlich gemacht, dass es derzeit keinerlei Hinweise auf eine finanzielle Zusammenarbeit gibt. Das ambivalente Verhältnis zwischen der NPD einerseits und diesen Gruppierungen andererseits habe ich bereits beschrieben.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich finde Ihre Unterscheidung zwischen einer faschistischen Partei sowie einer nationalistischen und rechtspopulistischen Partei schon interessant. Wenn die Position der Bundesregierung etwas klarer und entschlossener herüberkäme, würde ich gern mit Ihnen weiter darüber diskutieren. Ich möchte Ihnen einfach einmal ein paar Wahrnehmungen bezüglich der Swoboda-Partei schildern: Die Denkfabrik, das ideologische Zentrum der SwobodaPartei, heißt „Joseph-Goebbels-Forschungszentrum für Politik“. Ist das faschistisch oder rechtspopulistisch? Das würde mich schon interessieren. Viele der Anhänger dieser Partei laufen mit Armbinden herum, auf der die sogenannte Wolfsangel zu sehen ist. Das war das Erkennungszeichen der Waffen-SS in der Ukraine. Und was Waffen-SS in der Ukraine, gerade in der Westukraine, bedeutet, ist bekannt. Ist die Bundesregierung, was Swoboda angeht, wenigstens bereit, zu sagen, dass der Übergang von einer faschistischen zu einer rechtspopulistischen Partei fließend ist und dass diese Partei eine Gefahr für die ukrainische und europäische Demokratie ist?

Not found (Gast)

Da mich die Präsidentin an meine Redezeit erinnert hat, möchte ich Ihnen ausdrücklich das Angebot unterbreiten, andernorts noch einmal intensiver gemeinsam darüber zu diskutieren, wo die Unterschiede zwischen einer rechtsnationalistischen und einer faschistischen Partei liegen. Dies hat insbesondere etwas mit dem Parteiaufbau zu tun. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, wie die Bewertungen der Bundesregierung bezogen auf Swoboda aussehen. Ich finde es schon merkwürdig, dass hier insinuiert werden könnte, wir würden faschistisches, antisemitisches Gedankengut in irgendeiner Weise decken. Dies ist mitnichten der Fall. Ich will noch einmal eines deutlich unterstreichen: Der weitaus größte Teil der Protestbewegung in der Ukraine und auch deren Unterstützer haben mit Rechtsnationalismus oder -populismus, mit Faschismus, mit Antisemitismus überhaupt nichts am Hut. Insofern möchte ich hier gerne eine Trennung vornehmen: Das eine sind Entwicklungen, die auf unseren deutlichen Widerstand stoßen. Wir werden das auch im Rahmen unserer Möglichkeiten zum Thema machen und bekämpfen. Das andere ist, dass nicht der Eindruck entstehen sollte, dass die Protestbewegung auf dem Maidan in erster Linie von Faschisten und Antisemiten unterwandert wurde.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist überhaupt nicht mein Eindruck. Ganz im Gegenteil: Ich möchte Trennschärfe und Klarheit haben. Ich stelle Ihnen einmal die Regierungsbeteiligung der Swoboda-Partei dar: Sie stellt vier Minister: den stellvertretenden Premierminister, den Verteidigungsminister - hier geht es um Waffen -, den Minister für Agrarpolitik und Ernährung sowie den Minister für Umwelt und Bodenschätze. Der Rechte Sektor stellt den Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates, den Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates sowie den Generalstaatsanwalt. Finden Sie es angemessen, gerade vor dem Hintergrund Ihrer Analyse, dass diese Rechtspartei - ich finde, faschistische Partei - einer Regierung so stark angehört?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat ein Interesse an einer möglichst - ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe - inklusiven ukrainischen Regierung, die alle der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Teile der ukrainischen Gesellschaft angemessen einbezieht. Dieser Linie bleiben wir treu. Alle anderen Aspekte zur Situation und Bewertung von Swoboda habe ich Ihnen deutlich geschildert. Da scheint es zwischen Ihrer Bewertung und der Bewertung der Bundesregierung einen Dissens zu geben. Sie können sich aber darauf verlassen, dass wir in dieser Frage sehr wachsam sein werden. Sollte es irgendeinen Anlass geben, der Ihre Unterstellungen erhärten sollte, dann wird es darauf eine klare Antwort der Europäischen Union, aber auch der Bundesregierung geben.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, die Bundesregierung legt offensichtlich großen Wert auf die Unterscheidung zwischen rechtspopulistischen und faschistischen Kräften. Ich finde es gut, wenn man dies sauber trennt. Deswegen würde mich interessieren, worin aus Sicht der Bundesregierung der Unterschied besteht zwischen der FPÖ eines Jörg Haider in Österreich, die von allen hier im Hause vertretenen Parteien ausgesprochen kritisch gesehen wurde und mit deren Funktionären man eine Zusammenarbeit aus gutem Grund gemieden hat, und der Swoboda, die, wie der Kollege sagte, vier Minister, darunter den Verteidigungsminister, stellt, und warum Sie, wenn Sie eine möglichst inklusive Regierung aller an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientierten Kräfte wollen, eine Partei einbezogen sehen wollen, die ein Joseph-GoebbelsForschungszentrum unterhält?

Not found (Gast)

Ich finde es erst einmal interessant, dass Sie ein Mitgliedsland der Europäischen Union, nämlich Österreich, offenkundig mit der Ukraine gleichzusetzen versuchen. Im Übrigen habe ich Ihnen deutlich klarzumachen versucht, dass die Bundesregierung eine andere Definition von Faschismus und von einer faschistischen Partei vornimmt als Sie. Daraus dürfen Sie aber nicht schließen, dass die Bundesregierung nicht mit aller Entschlossenheit und Entschiedenheit gegen Faschismus und Antisemitismus in der Ukraine und weltweit vorgeht und dagegen entschieden eintritt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Hunko.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Kollege Roth, Sie haben hier Ihre Linie damit begründet, dass Sie Swoboda als rechtspopulistisch und nicht als faschistisch einschätzen. Nun hat der Cheftheoretiker von Swoboda, Mychaltschyschyn, persönlich das Kleine ABC des Nationalsozialisten von Goebbels, das 25-Punkte-Programm der NSDAP oder den Aufsatz Warum SA von Ernst Röhm ins Ukrainische übersetzt und das mit der Aktualität dieser Schriften begründet. Wenn Sie meine Aussagen bestätigt sehen würden, würden Sie dann immer noch davon ausgehen, dass es sich dabei um Rechtspopulisten handelt, oder würden Sie dann nicht zu der Einschätzung kommen, dass es sich doch um Faschisten handelt?

Not found (Gast)

Meine Antworten speisen sich aus den Informationen, die mir derzeit vorliegen. Auf Grundlage dieser Informationen formuliere ich die Antworten, die ich Ihnen und im Übrigen allen anderen Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages gebe.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Einschätzung, dass die Bürgerbewegung in der Ukraine, die Protestbewegung gegen das Anketten an Russland im russischen Fernsehen und von den dortigen Nachrichtenagenturen sehr stark - eigentlich fast ausschließlich - unter dem Stichwort „Faschismus“ und in Bezug auf eine mögliche faschistische Machtübernahme dargestellt wird und diese Bürgerbewegung dadurch diskreditiert wird? Teilen Sie meine Einschätzung, dass früher die Sowjetunion und heute Russland diesen Vorwurf sehr gerne nutzte bzw. nutzt, wenn es um eigene Interessen ging bzw. geht, etwa im Zusammenhang mit dem Bürger- und Arbeiteraufstand in der DDR am 17. Juni 1953, der von der sowjetischen Propaganda ebenso als faschistisch gesteuert bezeichnet wurde, um das Eingreifen zu rechtfertigen? Liegt das jetzige Verhalten möglicherweise auf einer solchen Linie, die es schon in der Vergangenheit gab?

Not found (Gast)

Herr Kollege Grund, die Bundesregierung - auch ich persönlich - tut sich mit Gleichsetzungen mit Geschehnissen der Vergangenheit immer schwer. Aber ich kann Ihnen nur darin zustimmen, dass sowohl beim Aufstand von 1953 als auch bei den Aufständen von 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei, in Prag, immer von faschistischen Aufständen gesprochen wurde. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt eine Parallele zu der Propaganda ziehen möchte, die offenkundig in Russland betrieben wird. Ich will eines klarstellen: Nichts wiegt für die Bundesregierung schwerer als der Vorwurf des Antisemitismus. Deshalb sind wir mit den Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinden, aber auch mit den Vertretern der Zivilgesellschaft sehr eng und intensiv im Gespräch. Wenn uns die Vertreter der jüdischen Gemeinden beispielsweise erklären, dass es aus ihrer Sicht zu keinem Anstieg des Antisemitismus in der Ukraine gekommen ist, dann liegt es mir fern, dem öffentlich oder auch nichtöffentlich zu widersprechen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Frage 10 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich bedanke mich bei Herrn Staatsminister. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings zur Verfügung. Frage 11 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Ich komme zur Frage 12 der Kollegin Wawzyniak. Ich sehe die Kollegin nicht. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt Frage 13 des Kollegen Ströbele und die Fragen 14 und 15 der Kollegin Jelpke werden schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zur Frage 16 der Abgeordneten Luise Amtsberg: Welche Schlussfolgerungen bzw. Konsequenzen zieht die Bundesregierung hinsichtlich der Situation von Flüchtlingen mit Behinderungen in Deutschland, insbesondere im Hinblick auf ihre Unterbringung und den Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen, und sollten der Bundesregierung hierzu keine Daten vorliegen, plant sie, einen entsprechenden Forschungsauftrag zu vergeben?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Auf die Kollegin Amtsberg ist Verlass; vielen Dank. Bei Flüchtlingen handelt es sich um Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde. Ihnen sind nach Art. 29 und Art. 30 der Richtlinie 2011/95/EU Sozialhilfeleistungen und medizinische Versorgung wie eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Eine Unterbringung von anerkannten Flüchtlingen, in Unterkünften für Asylbewerber etwa, findet daher nicht statt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Haben Sie eine Nachfrage, Kollegin Amtsberg? - Das ist nicht der Fall. Danke. Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Britta Haßelmann werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen 19 bis 21 steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange und für die Frage 22 der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber zur Verfügung. Die Frage 19 der Kollegin Ulle Schauws wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Martina Renner auf: Sind durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie das Bundesministerium des Innern inzwischen Entwürfe für die Änderungen der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren und der einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften fertiggestellt worden, wie sie der Abschlussbericht des 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Nationalsozialistischen Untergrund, NSU, vorgesehen hat, in dem die gemeinsame Empfehlung der Obleute als Erstes die nachfolgende für den Bereich Polizei fordert: „In allen Fällen von Gewaltkriminalität, die wegen der Person des Opfers einen rassistisch oder anderweitig politisch motivierten Hintergrund haben könnten, muss dieser eingehend geprüft und diese Prüfung an geeigneter Stelle nachvollziehbar dokumentiert werden, wenn sich nicht aus Zeugenaussagen, Tatortspuren und ersten Ermittlungen ein hinreichend konkreter Tatverdacht in eine andere Richtung ergibt. Ein vom Opfer oder Zeugen angegebenes Motiv für die Tat muss von der Polizei beziehungsweise der Staatsanwaltschaft verpflichtend aufgenommen und angemessen berücksichtigt werden. Es sollte beispielsweise auch immer geprüft werden, ob es sinnvoll ist, den polizeilichen Staatsschutz zu beteiligen und Informationen bei Verfassungsschutzbehörden anzufragen. Dies sollte in die Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren ({0}) sowie in die einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften aufgenommen werden.“ ({1})? Bitte schön.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Empfehlung Nr. 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages betrifft Richtlinien und Dienstvorschriften bei Justiz und Polizei, also Bereichen, die überwiegend der Organisationshoheit der Länder obliegen. Der Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages war deshalb auch Gegenstand unter anderem der Erörterungen der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 14. November 2013 in Berlin. Die Justizministerinnen und Justizminister haben ihren Strafrechtsausschuss beauftragt, unter Beteiligung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz den aus dem Abschlussbericht folgenden gesetzgeberischen und sonstigen Handlungsbedarf, zum Beispiel durch eine Änderung der Richtlinien für das Strafverfahren und für das Bußgeldverfahren, RiStBV, zu prüfen und der Konferenz über das Ergebnis zu berichten. In Ausführung dieses Auftrags hat der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der Vertreterinnen und Vertreter der Landesjustizverwaltungen sowie des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz angehören. Die konstituierende Sitzung der Arbeitsgruppe fand am 30. Januar dieses Jahres in Düsseldorf statt. In der Auftaktsitzung der Arbeitsgruppe wurden die Vorschläge zunächst einer ersten Bewertung unterzogen und zu Themengebieten zusammengefasst. Anschließend wurden die Zuständigkeiten für ihre Aufarbeitung unter den Mitgliedern der Arbeitsgruppe aufgeteilt, um zeitnah eine aus fachlicher Sicht umfassende Analyse der Vorschläge nebst etwaigen Umsetzungsüberlegungen vorlegen zu können, die in einer zweitägigen Sitzung der Arbeitsgruppe am 26. und 27. März 2014 erörtert werden sollen. Geplant ist, das Ergebnis und etwaige Umsetzungsüberlegungen in einem Bericht an den Strafrechtsausschuss sowie des Weiteren an die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister vorzulegen, die im Juni 2014 tagen wird.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Renner.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich würde gerne wissen, in welche Richtung jetzt weiter verfahren wird. Gibt es schon erste Textentwürfe zur Änderung der Richtlinie für das Strafverfahren? Können Sie uns Eckpunkte benennen oder gegebenenfalls nachreichen? Gibt es einen Konsens unter den Justizministern und -ministerinnen, dass an diesem Punkt den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses Folge geleistet wird, oder gibt es auch Gegenargumente, die in dieser Kommission gegebenenfalls vorgetragen wurden? Wenn ja, welche sind das?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin Renner, inhaltlich deckt sich Ihre Nachfrage mit der von Ihnen eingereichten Frage 21, in der Sie wissen wollten, wann entsprechende Entwürfe für die Änderungen der RiStBV vorliegen und wie sich die Justizministerkonferenz dazu verhält. - Wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin, dann würde ich die Frage gerne entsprechend beantworten.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Dann rufe ich die Frage 21 der Abgeordneten Martina Renner auf: Wann sollen die Entwürfe für die Änderungen der RiStBV und der einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften der Innenministerkonferenz und der Justizministerkonferenz zur Verabschiedung vorgelegt werden?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Über die Ergebnisse und den Fortgang des in der Antwort zu Ihrer vorangegangenen Frage skizzierten Prüfund Analyseprozesses wird den Fachkonferenzen, der JuMiKo und der Innenministerkonferenz, im Frühjahr 2014 berichtet werden. Diesen Fachkonferenzen und den in ihnen vertretenen Justiz- und Innenressorts der Länder obliegt die Entscheidung, ob bzw. in welcher Weise Empfehlungen zur Ergänzung oder Änderungen der Richtlinien und Dienstanweisungen aufgegriffen werden.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Renner, da die beiden Fragen zusammengezogen wurden, haben Sie die Möglichkeit, noch drei Nachfragen zu stellen.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ist damit zu rechnen, dass noch in diesem Jahr eine Verabschiedung erfolgen wird? Sie haben darauf verwiesen, wann die nächsten Beratungen anstehen. Ich würde aber gerne wissen, ob die Änderung der Vorschrift tatsächlich zum Jahresende kommen wird?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Ich kann mich nur wiederholen, liebe Frau Kollegin Renner: Die Entscheidung, ob bzw. in welcher Weise die Länder das umzusetzen gedenken, obliegt ihnen und nicht der Bundesregierung.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Möchten Sie eine weitere Nachfrage stellen?

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, danke.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke. - Ich sehe auch keine anderen Fragen. Ich bedanke mich beim Herrn Parlamentarischen Staatssekretär. Die Frage 22 des Abgeordneten Herbert Behrens wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Frage 23 der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Dr. Axel Troost, die Frage 26 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, die Frage 27 der Abgeordneten Lisa Paus und die Fragen 28 und 29 der Abgeordneten Susanna Karawanskij werden alle schriftlich beantwortet. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich beendet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf. Die Beantwortung der Fragen übernimmt die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller. Die Frage 30 der Abgeordneten Tabea Rößner wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Luise Amtsberg auf: Auf welche Weise bzw. an welchen Orten können sich nach Kenntnis der Bundesregierung Flüchtlinge mit Behinderungen bzw. behinderte Menschen, die schlecht oder nicht deutsch sprechen, über sozialrechtliche Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen informieren, und sollte die Bundesregierung hierzu keine Kenntnis haben, plant sie, einen entsprechenden Forschungsauftrag zu vergeben?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Amtsberg, Ihre Frage beantworte ich gerne wie folgt: Flüchtlinge mit Behinderung sowie behinderte Personen mit Migrationshintergrund, deren Kenntnisse der deutschen Sprache nicht ausreichend sind, um sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache zu verständigen, können sich über die ihnen zustehenden Sozialleistungen und über die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine Berechtigung zur Teilnahme an Integrationskursen grundsätzlich bei jedem Sozialleistungsträger informieren. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Asylbewerberleistungsgesetzes, zum Beispiel bei Flüchtlingen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, oder bei Ausländern mit gesichertem Aufenthaltsstatus, besteht für die Sozialleistungsträger eine Pflicht zur Beratung und Auskunft. Am besten wendet sich ein Flüchtling oder Ausländer, bei dem eine Behinderung vorliegt, an das für ihn örtlich zuständige Integrationsamt, das auch bei der Stellung eines Antrags auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises helfen kann. Angesichts der gebotenen Kürze der Antwort verzichte ich auf die Nennung der jeweiligen Rechtsgrundlage. Daneben können auch in den gemeinsamen Servicestellen der Rehaträger Auskünfte über die Zielsetzung, Zweckmäßigkeit und die Erfolgsaussicht hinsichtlich der Gewährung möglicher Leistungen zur Teilhabe eingeholt werden. Es wird der individuelle Hilfebedarf ermittelt und geklärt, welche Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig sind. Sind Leistungen verschiedener Rehaträger angezeigt, koordiniert die Rehaservicestelle die Zusammenarbeit dieser Träger. Behinderte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die in den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen und Grundleistungen nach den §§ 3 ff. Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, können sich hinsichtlich der für sie in Betracht kommenden Unterstützungsleistungen an den zuständigen Leistungsträger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wenden. Die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern fällt in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Da Sie gefragt haben, ob ein Forschungsauftrag zu der Problematik geplant ist, will ich Ihnen antworten: Nein, das ist nicht geplant.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Amtsberg.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal nachfragen. Es ist ja so, dass Flüchtlinge, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, in den ersten 48 Monaten nur bei akuten Schmerzen eine medizinische Versorgung bekommen. Das gilt auch für Rehamaßnahmen. Die Frage ist, ob es mit der Behindertenrechtskonvention vereinbar ist, wenn in vielen Fällen Anträgen auf eine Brille, einen Rollator oder einen Rollstuhl nicht stattgegeben wird. Deshalb noch einmal die Frage: Gibt es möglicherweise Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um diese Menschen zu unterstützen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich antworte gerne darauf. Ich beziehe mich auf die Antwort, die ich Ihnen gerade gegeben habe. In meiner Antwort habe ich den Unterschied herausgearbeitet: Behinderte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die in den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, fallen hinsichtlich Versorgung und Unterbringung in die Zuständigkeit der Länder. Das ist der Punkt, den ich hier herausarbeiten möchte. Deshalb bezieht sich Ihre Frage in erster Linie auf die Regelungen der Länder. Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollegin Amtsberg?

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Das ist ja alles richtig. Der Punkt ist nur, dass wir auf Bundesebene zumindest die Aufgabe haben, zu schauen, wie die Länder mit einer solchen Situation umgehen. Deshalb habe ich auch danach gefragt, ob nicht eine Evaluation der Situation vor Ort angemessen wäre. Was mich noch interessiert, ist Folgendes: Entstehen für die betroffenen Personen Kosten, bzw. kann es sein, dass an irgendeiner Stelle Kosten entstehen? Ist das eigentlich eine proaktive Geschichte? Wann erfährt ein Betroffener, der eine Behinderung hat, davon, dass er die Rechte, die Sie vorgetragen haben, tatsächlich hat?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich antworte gerne auf Ihre Frage. - Ich will Ihnen sagen: An genau dieser Stelle kommt es darauf an, welchen Personenkreis Sie mit Ihrer Frage meinen. Ich möchte sie nicht interpretieren. Ich habe aber die Vermutung, dass Sie jene Asylbewerberinnen und Asylbewerber meinen, die Leistungen nach §§ 3 ff. Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Daher muss ich meine Antwort leider wiederholen: Das ist in der Tat Sache der Bundesländer. Selbstverständlich sind wir in vielen Angelegenheiten mit den Bundesländern im Gespräch. Aber natürlich ersetzt das nicht die Verschiebung von Zuständigkeiten. Hier sind die Bundesländer gefragt. Ich denke, in den jeweiligen Bundesländern gibt es entsprechende Regelungen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gelegenheit zu einer Nachfrage hat jetzt die Kollegin Rüffer.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist ja richtig, dass die Zuständigkeit für diesen Bereich bei den Ländern liegt. Aber die Zuständigkeit für die Gesetzgebung liegt beim Bund. Insofern könnte man natürlich darüber nachdenken, welche Änderungen geboten wären bzw. ob sogar ein Wegfall des Asylbewerberleistungsgesetzes geboten wäre, um bestehenden Härten, die es in der Bundesrepublik jeden Tag gibt, entgegenzutreten, medizinische Leistungen auch Menschen, die einen Flüchtlingsstatus haben oder als Asylbewerber in Deutschland sind, ihn also noch nicht haben, zu ermöglichen und ihnen Hilfsmittel wie Rollatoren, Rollstühle usw. zur Verfügung zu stellen. Es ist eine ganz problematische Situation, dass das derzeit nicht geschieht. Die Beratung - gleich komme ich zu meiner Frage ist gerade für Flüchtlinge mit Behinderung unglaublich wichtig. Diese Flüchtlinge haben es sehr schwer, die nötigen Informationen zu bekommen und damit Kenntnis darüber zu erlangen, welche Hilfemöglichkeiten in der Bundesrepublik, die für sie naturgemäß fremd ist, zur Verfügung stehen. Ich habe vor kurzem ein Gespräch mit Vertretern einer Initiative in Berlin geführt, die sich auf genau diese Fälle spezialisiert hat, nämlich auf Asylbewerber, Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund mit Behinderung. Ihr Problem besteht darin, dass ihre Finanzierung überhaupt nicht gesichert ist. Diese Initiative arbeitet also, ohne zu wissen, ob sie nächstes Jahr noch wird beraten können. Meine Frage an die Bundesregie1702 rung lautet: Planen Sie, Mittel zur Verfügung zu stellen, damit diese wichtige Beratungstätigkeit in Zukunft stabil ausgeübt werden kann?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Rüffer, Sie sprechen damit unter anderem einen Personenkreis an, den ich anfangs abgegrenzt habe, nämlich Flüchtlinge, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, und Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus. Für diesen Personenkreis gelten andere Regelungen als für jene Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen. Ich will Ihnen sagen - ich glaube, wir sind da einer Meinung -: Personen mit Behinderung, die noch dazu Flüchtlinge oder Asylbewerber sind, finden auch in Deutschland erschwerte Bedingungen vor; diese Einschätzung teilt die Bundesregierung mit Ihnen und dem Parlament. Deshalb gibt es die Regelung, dass immer dann, wenn der Schutz gewährt und der Status anerkannt ist, sehr weit reichende Möglichkeiten bestehen, nicht nur zur Beratung - diese muss schon nach den §§ 14 und 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch verpflichtend erfolgen -, sondern auch im Hinblick auf entsprechende Leistungen. Davon abzugrenzen - ich wiederhole meinen Vortrag sind jene Menschen, deren Status ein anderer ist. Für sie gelten andere Regelungen. Sie haben außerdem nach der finanziellen Absicherung der Beratungsmöglichkeiten gefragt. Was die erste Zielgruppe, die ich gerade erwähnt habe, betrifft, ist es so, dass alle Einrichtungen, die es in Deutschland gibt, die Pflicht zur Beratung haben. Erfolgt die Beratung durch weitere Einrichtungen - vielleicht können Sie das ja schriftlich konkretisieren -, müsste man prüfen, wie ihre Situation, ihre finanzielle Lage und die entsprechende Förderung ist und ob man ihnen zukünftig helfen kann. Da ich aber jetzt keine Einrichtung von Ihnen benannt bekommen habe, kann ich dazu leider keine Auskunft geben.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ehe ich jetzt der Kollegin Klein-Schmeink das Wort erteile, bitte ich noch mal alle Fragestellerinnen und Fragesteller und alle Antwortenden, die vereinbarte Redezeit zu beachten. Wir haben zu Ihrer Hilfe Lichtzeichen an verschiedenen Stellen eingeführt. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Solange es grün ist, dürfen Sie reden. Wenn es gelb ist, müssen Sie zum Schluss kommen. Aber Rot bedeutet eindeutig: Ende der Redezeit. Frau Klein-Schmeink.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gern an die Frage anknüpfen. Es gibt gerade bei den Menschen mit anerkanntem Aufenthaltsstatus sehr viele Menschen mit seelischer Behinderung, auch aufgrund von Traumaerfahrungen in ihrem Herkunftsland oder aufgrund von Foltererfahrungen. Ich habe dazu in der letzten Wahlperiode eine Kleine Anfrage gestellt. Damals wurde deutlich, dass die Bundesregierung, was die Versorgung dieser Personengruppe angeht, über keinerlei Zahlen verfügte, vor allen Dingen auch nicht darüber, ob ihnen Möglichkeiten der muttersprachlichen Beratung und natürlich auch der Therapie zur Verfügung standen. Daraus habe ich abgeleitet, dass man dringend eine Untersuchung einleiten sollte, um zu schauen, wo es Handlungsbedarf gibt, um dann eine konkrete Grundlage zu haben. Würden Sie diese Sicht der Dinge teilen, und was gedenken Sie dann zu tun?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich ermuntere Sie ausdrücklich, möglicherweise noch einmal in dieser Hinsicht zu fragen. Wir sind uns einig, dass gerade der Personenkreis mit zum Beispiel Posttraumatischen Belastungsstörungen ein Personenkreis ist, der ganz besonderer Hilfe bedarf; das gilt nicht nur für den Personenkreis mit dem Status, den Sie gerade angesprochen haben, sondern grundsätzlich. In den letzten Jahren hat sich nicht nur bei der Diagnose, sondern insbesondere bei der Therapie viel getan. Wir wissen, dass wir nicht nur für den hier angesprochenen Personenkreis, sondern grundsätzlich noch viel tun müssen, um insgesamt zu einer adäquaten Leistung zu kommen. Davon profitiert dann auch der von Ihnen genannte Personenkreis. Ich bin mir sicher, dass wir genau diese Fragestellung erörtern werden. Letzten Endes wird die Leistung aber auch im Zusammenhang mit einer Krankenversicherung noch einmal zu erörtern sein.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Peter Meiwald werden schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 34 der Abgeordneten Doris Wagner auf: Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, um für Eltern mit Behinderungen einen Rechtsanspruch auf Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Elternrolle zu schaffen, sofern sie zum Ausgleich ihrer Behinderung darauf angewiesen sind ({0})?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank; ich beantworte diese Frage gerne. Frau Präsidentin, ich versuche wirklich, das in der gebotenen Kürze zu tun, und hoffe, dass dann trotzdem die Tiefe nichts zu wünschen übrig lässt. Meine Antwort auf Ihre Frage, Frau Kollegin Wagner, lautet wie folgt: Nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch ist bei der Entscheidung über Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe den besonderen Bedürfnissen behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages sowie den besonderen Bedürfnissen behinderter Kinder Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung schließt sich dem Ergebnis der eigens für diese Frage „Rechtsanspruch auf ElternassisParl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller tenz: Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages unterstützen“ eingerichteten Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz an. Diese ist zu dem Ergebnis gelangt, dass nach dem bestehenden Recht alle Bedarfe von Eltern mit Behinderung durch vorrangige Leistungsgesetze wie insbesondere gesetzliche Krankenversicherung und gesetzliche Pflegeversicherung sowie durch das Achte und das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch gedeckt werden können. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung einer konkreten Bedarfsdeckung durch die jeweiligen Leistungsgesetze im Einzelfall wird die Unterstützung von Eltern mit Behinderungen ein wichtiger Diskussionspunkt bei den Überlegungen zur Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes sein.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Wagner.

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau Staatssekretärin. Leider ist es allerdings so, dass es immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Gewährung von Elternassistenz kommt, obwohl es doch eigentlich unerheblich ist, dass die Leistungen der Elternassistenz bei den Eingliederungsleistungen nicht ausdrücklich genannt sind, da diese Auflistung beispielhaft ist. Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, dies zu verhindern, um behinderten Eltern einen unkomplizierten Weg zu den notwendigen Unterstützungsmöglichkeiten zu garantieren?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich beantworte Ihnen die Frage gerne. Wir leben in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung. Jeder Antragsteller hat das Recht, sein Recht auch auf dem Klagewege noch einmal prüfen und entscheiden zu lassen; das steht außer Frage. Gleichwohl habe ich darauf hingewiesen, dass wir diesen Themenkomplex auch aufgreifen werden, und es ist ja nicht ausgeschlossen, dass wir bei den Überlegungen zur Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes eben auch genau diese Fragen erörtern; ich trug das eben vor. Ich denke, auch da werden wir uns solchen Fragestellungen vertieft widmen. Ob das allerdings ausschließt, dass es auch späterhin - wenn denn ein solches Gesetz in Kraft getreten ist - zu Klagen kommt, vermag ich nicht zu sagen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Die Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat der Kollege Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerade die Zersplitterung des Leistungsrechts für Menschen mit Behinderungen und die Verteilung der verschiedenen Ansprüche über verschiedene Sozialgesetzbücher, verbunden mit dem Unwillen der Leistungsträger, zu leisten, und dem Willen, sich stets für unzuständig zu erklären, führen dazu, dass gerade Menschen mit Behinderungen nicht nur hier, aber gerade auch hier, häufig den Klageweg beschreiten müssen. Hält die Bundesregierung das wirklich für zumutbar? Wäre es, wenn man das erkannt hat und seit weit mehr als zehn Jahren sieht, dass sich das eher verschlechtert als verbessert, nicht sinnvoller, die verteilten Ansprüche - zum Beispiel beim Recht auf Elternassistenz - zu bündeln, eindeutig, rechtssicher und klar zusammenzufassen und einem einzelnen Leistungsträger verpflichtend zuzuordnen, damit die Leistungsberechtigten nicht quasi routinemäßig auf den Klageweg verwiesen werden?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Herr Kollege Kurth, über den Unwillen der Leistungsträger möchte sich die Bundesregierung an dieser Stelle nicht äußern. Ihnen steht es zu, das so zu bewerten. Wir sind der Auffassung, dass es in der Tat sehr viele Schnittstellen gibt, und halten das als Bundesregierung für nicht zielführend. Genau deshalb planen wir, uns diese Schnittstellen im Rahmen der Gestaltung eines Bundesteilhabegesetzes noch einmal anzuschauen, um im Ergebnis etwas zu erzielen, was, wie ich denke, einer Zersplitterung, wie Sie das genannt haben, deutlich entgegenwirkt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Wagner auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der Studie „Strukturelle und finanzielle Hindernisse bei der Umsetzung der interdisziplinären Frühförderung“ durch das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, um eine bundeseinheitliche Umsetzung der Komplexleistung „Frühförderung“ zu gewährleisten und Schnittstellenprobleme abzubauen, und wann wird die Bundesregierung tätig werden?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Wagner, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Laut der Studie „Strukturelle und finanzielle Hindernisse bei der Umsetzung der interdisziplinären Frühförderung“ sind die Eltern unabhängig von der Versorgungsstruktur mit dem Leistungsgeschehen der Frühförderung überwiegend sehr zufrieden. Die Eltern beurteilen die Leistungen, die sie und ihr Kind durch die Frühförderung erhalten, zu 97 Prozent positiv. Hinweise auf Versorgungslücken oder unterversorgte Kinder liefert diese Studie nicht. Richtig ist allerdings, wie in der Studie auch ausgeführt, dass die Vereinbarung einer gemeinsamen Empfehlung gemäß § 13 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch auf der Grundlage einer freiwilligen Verpflichtung wegen der Widerstände der beteiligten Leistungsträger nicht erreicht werden konnte. Die Leistungsträger stützen sich dabei im Wesentlichen auf die unterschiedlich gewachsenen Strukturen und verweisen auf die nur mit erheblicher Mühe geschlossenen Landesrahmenvereinbarungen, welche die Probleme im Hinblick auf die wichtigen Abstimmungen und Regelungsbedarfe in den Ländern weitestgehend gelöst hätten. Im Kontext der Vorbereitung eines Bundesteilhabegesetzes wird die Bundesregierung dieses Thema in ihre Überlegungen einbeziehen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Wagner?

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Keine weiteren Fragen. Ich rufe die Frage 36 der Abgeordneten Beate MüllerGemmeke auf: Ist es aus Sicht der Bundesregierung geboten, die Arbeitsstättenverordnung dergestalt zu überarbeiten, dass Betriebe generell verpflichtet werden, Arbeitsstätten barrierefrei zu gestalten und die Integrationsämter zur Übernahme der Kosten in vollem Umfang zu verpflichten?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank. - Sehr geehrte, liebe Kollegin MüllerGemmeke, die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit, die Arbeitsstättenverordnung dahin gehend zu ändern, dass eine Verpflichtung für den Arbeitgeber zur generellen barrierefreien Gestaltung von Arbeitsstätten eingeführt wird. Die Bundesregierung hat mit § 3 a Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung geregelt, dass Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben haben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Eine allgemeine, von jedem individuellen Bezug losgelöste Verpflichtung zur Einrichtung und Unterhaltung barrierefreier Arbeitsplätze und Arbeitsstätten würde die Arbeitgeber in tatsächlicher wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht überfordern. Eine Änderung der Arbeitsstättenverordnung ist auch deshalb nicht erforderlich, da der Stand der Barrierefreiheit in der Arbeitswelt für Menschen mit Behinderungen in Deutschland ein hohes Niveau erreicht hat. Um den Arbeitgeber jedoch bei seinen Verpflichtungen zu unterstützen, hat der in § 7 Arbeitsstättenverordnung geregelte Ausschuss für Arbeitsstätten unter anderem Gestaltungsvorschläge für das Einrichten und Betreiben von barrierefreien Arbeitsstätten ermittelt. Diese heißen „Technische Regeln für Arbeitsstätten“ mit Maßnahmen für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen und mit Anforderungen zum Beispiel an behindertengerechte Türen, Verkehrswege, Fluchtwege, Notausgänge, Treppen, Orientierungssysteme und Toilettenräume. Sie wurden im Gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesregierung veröffentlicht.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte gerne nachfragen, weil ich glaube, dass noch ein paar mehr Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt Chancen haben sollten. Von daher möchte ich nachfragen: Wenn Sie an der Arbeitsstättenverordnung nichts verändern wollen, was wird die Bundesregierung stattdessen unternehmen, um die Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Darauf antworte ich sehr gerne. - In der Tat hat die Bundesregierung ein großes Interesse daran, dass wir mehr Menschen mit Behinderung einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erlauben. Das Stichwort ist dabei inklusiver Arbeitsmarkt. Daran werden wir in dieser Legislaturperiode arbeiten und ganz sicher auch Ergebnisse erzielen. Wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam mit dem Parlament zu wirklichen Verbesserungen kommen. Ihre Frage zielte jedoch auf Folgendes: Wollen wir eine generell barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten einführen? - Das ist eine ganz grundsätzliche Sache. Sie würde jeden Arbeitsplatz und jede Barriere betreffen. Aus den von mir vorgetragenen Gründen halten wir das nicht für zielführend.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich möchte noch einmal nachfragen. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, die Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX zu erhöhen und damit die Chancen für behinderte Menschen zu verbessern? Wenn Sie etwas in dieser Richtung vorhaben: In welcher Form und wann wird das passieren?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank auch für diese Frage, die ich ebenso gerne beantworte. - Es besteht zurzeit nicht die Absicht, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. In der Tat steht sie zur Verfügung, um genau die genannten Maßnahmen zu unterstützen und voranzubringen. Wir gehen davon aus, dass wir auskömmliche Mittel zur Verfügung haben. Deshalb sehen wir zurzeit keine Notwendigkeit, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Ich rufe die Frage 37 der Kollegin Beate MüllerGemmeke auf: Wie viele Arbeits- und Ausbildungsplätze wurden durch die „Initiative Inklusion“ bisher tatsächlich geschaffen, und wie viele der Menschen, die darüber einen Arbeits- bzw. AusVizepräsidentin Ulla Schmidt bildungsplatz bekommen haben, sind derzeit noch dort beschäftigt?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Auch diese Frage beantworte ich sehr gerne, Kollegin Müller-Gemmeke. - Die „Initiative Inklusion“ wird von den Ländern in enger Kooperation mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales seit 2011 bis 2018 durchgeführt. Die Länder haben gemäß der Richtlinie Initiative Inklusion dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Abstimmung mit den zuständigen Trägern der Arbeitsverwaltung zu festgelegten Stichtagen über den Stand der Umsetzung zu berichten. Die Länder sind dieser Berichtspflicht zuletzt am 31. März vergangenen Jahres nachgekommen. Demnach ergibt sich zum Stichtag 31. Dezember 2012 - das ist der aktuelle Bericht - Folgendes: 214 neue Ausbildungsplätze für schwerbehinderte Jugendliche in Betrieben und Dienststellen des allgemeinen Arbeitsmarktes; berichtet wurde in diesem Zusammenhang von sechs Ausbildungsabbrüchen, sodass sich die Zahl von 208 ergibt. 310 neue Arbeitsplätze für ältere schwerbehinderte Menschen; Angaben zu Abbrüchen in diesem Handlungsfeld werden erstmalig zum 30. Juni 2014 fällig. Deshalb können wir dazu noch keine Aussage machen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie haben die Gelegenheit zu zwei Nachfragen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ja, ich möchte gerne nachfragen. Welche Vorteile bieten denn diese befristeten Sonderprogramme, wie beispielsweise die „Initiative Inklusion“ oder „Job 4000“, für die Arbeitgeber einerseits, aber auch für die arbeitsuchenden Menschen mit Behinderung andererseits? Welche Vorteile haben sie gegenüber den Förderinstrumenten im SGB III?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Auch darauf antworte ich gerne. - Ich will das am Beispiel der Förderung neuer Ausbildungsplätze aus den Mitteln der „Initiative Inklusion“ aufzeigen, wobei ich vorausschicken will, dass es grundsätzlich darum geht, überhaupt eine bessere Motivationslage und eine höhere Informationsdichte zu erreichen. Ich glaube, ich darf, ohne Sie vereinnahmen zu wollen, sagen: Wir wissen, dass wir in Deutschland hier noch viel tun können. Der Arbeitsmarkt zeigt nicht annähernd die Aufgeschlossenheit und die Initiativbereitschaft, wie sich das die Bundesregierung zurzeit wünscht. Deshalb halte ich diese Initiative für richtig. Ich habe es schon dargestellt: Sie hat zwar bereits 2011 begonnen, aber wir wollen ihr mehr Nachdruck verleihen. Wir sind also dabei, das voranzubringen. Insofern haben wir, denke ich, neben der Unterstützung im Einzelfall auch die ganz starke Zielsetzung in einer starken öffentlichen Wirkung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Befristete Sonderprogramme sind nun einmal genau das: Sonderprogramme und befristet. Von daher möchte ich nachfragen, wie die Förderinstrumente im SGB III verbessert werden könnten und was die Bundesregierung in nächster Zeit vorhat.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Liebe Kollegin Müller-Gemmeke, ich sprach schon von der Zielsetzung der Bundesregierung, besonderes Augenmerk auf den inklusiven Arbeitsmarkt zu legen. Genau darauf zielt auch Ihre Frage, wenn man das in einem größeren Kontext behandelt. Ich bin sicher, dass wir nach einer kritischen Analyse der Instrumente, die wir derzeit haben, danach fragen werden, wie sie zu bewerten sind und ob sie der Zielsetzung entsprechen, die wir als Bundesregierung erklärtermaßen haben, den Arbeitsmarkt in Deutschland inklusiver zu gestalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink das Wort.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage zur „Initiative Inklusion“. Inwieweit werden dort Menschen mit seelischer Behinderung einbezogen? Haben Sie dazu Zahlen? Haben Sie vor, das auch in den regulären Arbeitsmarktinstrumenten verstärkt vorzusehen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Auch darauf antworte ich gerne, wobei ich sagen muss, dass ich die Zahlen nicht im Kopf habe. Ich kann sie aber gerne schriftlich nachliefern. Grundsätzlich muss man sehen, dass wir mit unseren Instrumente Menschen mit Behinderung nicht ausschließen wollen; wir wollen ihnen und auch unserem Arbeitsmarkt vielmehr die Möglichkeit geben, sozusagen inklusiver zu werden. Erlauben Sie mir, dass ich das schriftlich nachliefere. Denn ich denke, Sie wollen verlässliche Zahlen haben, und wir haben ein Interesse, sie zu liefern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann ist das so zugesagt und wird geschehen. Die Frage 38 der Kollegin Kerstin Andreae wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 39 des Kollegen Markus Kurth: Vizepräsidentin Petra Pau Welche Erfahrungen wurden aus Sicht der Bundesregierung bislang mit dem „Budget für Arbeit“ gemacht, und aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung dazu entschieden, zur Erleichterung des Übergangs aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt lediglich Erfahrungen mit dem „Budget für Arbeit“ einzubeziehen, obwohl die Landesregierungen hier weiter gehen und die gesetzliche Verankerung eines „Budgets für Arbeit“ in der erprobten Form fordern ({0})? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Verehrter Kollege Kurth, auch hierauf gebe ich gerne Antwort. In ihrem Koalitionsvertrag sprechen sich CDU, CSU und SPD dafür aus, den Übergang zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern und dabei die Erfahrungen mit dem „Budget für Arbeit“ einzubeziehen. Den Erfahrungen mit dem Modell „Budget für Arbeit“ in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen kommt aus der Sicht der Bundesregierung eine hohe Bedeutung zu. Sie bestätigen in einer ganzen Reihe von Einzelfällen, dass in einer von der Eingliederungshilfe unterstützten Beschäftigung werkstattbedürftiger, dauerhaft voll erwerbsgeminderter Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchaus eine Alternative zu einer Beschäftigung im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen gesehen werden kann, allerdings im Wesentlichen beschränkt auf Personen, die zu den Leistungsträgern innerhalb der Gruppe der werkstattbedürftigen Menschen mit Behinderung gehören. Die Mehrheit der Werkstattbeschäftigten, die weniger leistungsfähig ist, wäre aus Sicht der Bundesregierung bei einer tariflich entlohnten Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit über Werkstattniveau liegenden Leistungsanforderungen überfordert. Eine derartige Beschäftigung kann daher für diese Menschen keine sinnvolle und in ihrem wohlverstandenen Interesse liegende Alternative zu einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen darstellen. Vor dem Hintergrund dieser Bewertung, in der sich die Bundesregierung und die Länder im Übrigen einig sind, ist auch nicht daran gedacht, einen allgemeinen anspruchsbegründenden Leistungstatbestand „Budget für Arbeit“ im Recht der Eingliederungshilfe zu verankern. Vielmehr soll gerade den nachweislich zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigten Menschen der Übergang von der Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht bzw. erleichtert werden, natürlich unter der Voraussetzung, dass die volle Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach wie vor besteht. In diesem Sinn wird die Bundesregierung bei den Überlegungen zur Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes auf Basis der Erfahrungen mit dem „Budget für Arbeit“ prüfen, wie ein Minderleistungsausgleich für werkstattbedürftige Menschen mit Behinderung, die zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigt sind, auf eine sichere Rechtsgrundlage gestützt werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Lösekrug-Möller, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung keinen Rechtsanspruch auf ein persönliches „Budget für Arbeit“ begründen will, sodass es beantragt werden muss? Wie rechtfertigen Sie dies angesichts der Tatsache, dass das persönliche Budget nur eine andere Leistungsform darstellt, die nicht mehr kostet und die es in anderen Leistungsbereichen wie der Assistenz - da gibt es bereits einen Rechtsanspruch - längst gibt? Warum gibt es einen solchen Anspruch im Bereich Arbeit nicht? Im wohlverstandenen Interesse der Beschäftigten im Werkstattbereich liegt es, dass diese nach ihrer eigenen Fähigkeitseinschätzung entscheiden können. Das sollte nicht etwa vom jeweiligen Sozialhilfeträger verfügt werden.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ihre Frage enthält mehrere Aspekte, auf die ich gerne eingehe. Ich habe gesagt: Es geht nicht darum, einen allgemeinen, anspruchsbegründenden Leistungstatbestand im Recht der Eingliederungshilfe zu verankern. Herr Kurth, ich kenne Sie als einen sehr sachkundigen Experten. Wir beide wissen, dass es hier wirklich auf Details ankommt; das wissen wir aus gemeinsamer politischer Erfahrung. Ich würde nicht unterstellen, dass hier andere etwas über andere verfügen. Wir gehen sehr seriös mit der Entwicklung um. Deshalb habe ich ja gesagt: Wir werden die Erfahrungen einbeziehen und prüfen. Genau das werden wir tun, und das Ergebnis werden wir Ihnen ganz sicher in dem Augenblick, in dem wir eine gesicherte Erkenntnis haben und uns darüber im Klaren sind, wie wir politisch vorgehen wollen, mitteilen und hier im Parlament zur Diskussion stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, erlauben Sie mir die Bemerkung, dass ich der Auffassung bin, dass wir nach vielen Jahren der Erfahrung mit dem persönlichen „Budget für Arbeit“ bereits über sehr viele Erkenntnisse verfügen. Angesichts der Tatsache, dass ein Bundesleistungsgesetz möglicherweise erst in der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten wird - die finanzielle Entlastung wurde jedenfalls eher für 2018 und nicht früher in Aussicht gestellt -, also angesichts der Tatsache, dass es noch einige Jahre auf sich warten lassen wird: Hält es die Bundesregierung für denkbar, vorzeitig Regelungen speziell für das „Budget für Arbeit“ zu machen - wenn nur Mittel umgeschichtet werden, entstehen für die Kostenträger keine neuen finanziellen Belastungen -, sodass wir schon im Vorgriff im Bereich des Übergangs zum allgemeinen Arbeitsmarkt Erfolge erzielen können?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Unsere Aufgabe sehen wir darin, geltendes Recht immer dann zu verbessern, wenn es zielführend erscheint. Es ist eine Daueraufgabe einer Regierung, entsprechende Vorschläge zu machen und die Initiative zu ergreifen. Was Ihre Vorstellung über den Zeitraum, bis ein Bundesleistungs- bzw. Bundesteilhabegesetz kommt und in Kraft tritt, angeht: Sie reden über längere Zeiträume, als es die Bundesregierung im Augenblick in ihrer Planung vorsieht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 40 des Kollegen Markus Kurth: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Landesregierungen, dass im Rahmen der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe ein dauerhafter Lohnkostenzuschuss für wesentlich behinderte, erwerbsfähige Menschen im Sinne eines Minderleistungsausgleiches eingeführt werden sollte ({0}), um ihre Chancen auf Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern, und welche Gründe bzw. Erwägungen liegen der Einschätzung zugrunde? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr gerne. - In Ihrer Frage wird nicht die Auffassung der Länder wiedergegeben. Diese teilen vielmehr unverändert die Auffassung der Bundesregierung, dass die Förderung der Teilhabe erwerbsfähiger Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben keine Aufgabe der Eingliederungshilfe ist. Im Beschluss der 90. Arbeits- und Sozialministerkonferenz wird ausdrücklich festgestellt, dass Voraussetzung für ein „Budget für Arbeit“ grundsätzlich der Zugang über den Arbeitsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen sein soll und damit das „Budget für Arbeit“ nur den behinderten Menschen offenstehen soll, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind. Eine andere Darstellung der Positionierung der Länder im Sinne der Fragestellung, die einer vorläufigen Protokollfassung der 90. Sitzung der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zu entnehmen war, wurde mit der Endfassung korrigiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hält die Bundesregierung denn diese Grenzziehung zwischen erwerbsfähig und nicht erwerbsfähig bzw. voll erwerbsgemindert überhaupt noch für zielführend? Wäre es nicht vielmehr viel sinnvoller, von einem Kontinuum auszugehen, also von leichten Einschränkungen an einem Ende und schweren Einschränkungen am anderen Ende, und die personenbezogene Leistung, die es nach einer Veränderung der Eingliederungshilfe geben soll, eben individuell zuzumessen und an der Stelle nicht nur eine einfache Scheidelinie zu haben?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Als kundiger Thebaner wissen auch Sie, dass wir uns mit allen Fragestellungen rund um Behinderung beschäftigen und dass wir uns im Rahmen der Diskussion, die wir nicht nur zum künftigen Bundesteilhabegesetz, sondern auch zur UN-Behindertenrechtskonvention haben, genau mit dieser Frage beschäftigen. Deshalb haben wir weder ein Denkverbot noch ein Entwicklungsverbot im Hinblick auf die Fragestellung, die Sie gerade an mich gerichtet haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben gewiss eine zweite Nachfrage. Bitte.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine weitere Nachfrage. In meiner Frage bezog sich der dauerhafte Lohnkostenzuschuss keineswegs nur auf den Kreis der Werkstattberechtigten. Ich würde gerne die Bundesregierung fragen, ob das Modell der sogenannten Integrationsfirmen - ein Modell ist es ja gar nicht mehr; es gibt schon Hunderte von ihnen -, ob also nicht das Vorbild der Integrationsfirmen und Integrationsabteilungen eine Blaupause sein kann, um einen dauerhaften Lohnkostenzuschuss und auch „Budgets für Arbeit“ zu implementieren. Hält die Bundesregierung es für denkbar und möglich, dies auch stärker in die sogenannten normalen Firmen des ersten Arbeitsmarkts hineinzutragen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Herr Kollege Kurth, der Erfolg von Integrationsfirmen ist auch der Bundesregierung nicht verborgen geblieben. Wir haben, glaube ich, in allen Bundesländern sehr erfolgreiche Modelle. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit nicht nur darauf geschaut, wie sie sich entwickeln, sondern diese Modelle auch immer wieder unterstützt. Deshalb ist das eine Möglichkeit, die wir selbstverständlich in die Weiterentwicklung mit einbeziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Brigitte Pothmer auf: Wie hat sich die Zahl schwerbehinderter Arbeitsloser und schwerbehinderter arbeitsloser Akademikerinnen und Akademiker seit dem Jahr 2010 im Vergleich zum allgemeinen Trend auf dem Arbeitsmarkt entwickelt - bitte Zahlen für jedes Jahr getrennt nach Rechtskreisen angeben -, und wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr gerne. - Das ist jetzt ein anderer Themenschwerpunkt. Verehrte Kollegin Pothmer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen hat von 2010 auf 2013 um rund 2 Prozent auf etwa 178 600 zugenommen, während die Arbeitslosigkeit insgesamt in diesem Zeitraum um 9 Prozent gesunken ist. Der Anteil der schwerbehinderten akademisch ausgebildeten Arbeitslosen an allen akademisch ausgebildeten Arbeitslosen hat sich von 3,5 Prozent auf 3,9 Prozent erhöht. Da die Darlegung der Entwicklung der Zahlen schwerbehinderter Arbeitsloser und schwerbehinderter arbeitsloser Akademikerinnen und Akademiker seit 2010 im Vergleich zum allgemeinen Trend auf dem Arbeitsmarkt für jedes Jahr getrennt nach Rechtskreisen - so haben Sie Ihre Frage ja auch formuliert - den hier zur Verfügung stehenden Zeitrahmen sprengen würde, möchte ich Ihnen gern die entsprechende von der Bundesagentur für Arbeit erstellte Tabelle zusenden. Ich habe sie dabei. Sie ist sehr schwer vorzulesen, schon gar nicht in der mir zustehenden Zeit. Frau Präsidentin, Ihre Vorgängerin in der Sitzungsleitung hatte mich da ganz hart ermahnt. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen ist stark von statistischen Effekten geprägt. Nachdem Ende 2007 Regelungen zum erleichterten Leistungsbezug für die Altersgruppe „58 Jahre und älter“ ausliefen, ist die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Menschen in dieser Altersgruppe erheblich gestiegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stieg ihre Zahl von rund 9 300 im Jahr 2008 auf rund 45 400 im Dezember 2013. Damit lag der Anteil dieser Altersgruppe an allen arbeitslos gemeldeten schwerbehinderten Menschen Ende 2013 bei rund 26 Prozent. Bei arbeitslosen schwerbehinderten Akademikerinnen und Akademikern war der Anteil mit rund 37 Prozent sogar deutlich höher. Zwar haben Lebensältere ein geringeres Risiko als Jüngere, arbeitslos zu werden, zugleich aber - das wissen wir aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt - schlechtere Chancen, die Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung wieder zu beenden. Bei der Kombination „Schwerbehinderung und höheres Lebensalter“ gestaltet sich eine Beschäftigungsaufnahme zum Teil noch schwieriger. Gerade diese Kombination ist aber für die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen prägend. Oftmals ist auch aufgrund von Vorbehalten und fehlenden Erfahrungen im Umgang mit behinderten Menschen ein zurückhaltendes Einstellungsverhalten bei Arbeitgebern festzustellen. Hier besteht aus Sicht der Bundesregierung nach wie vor großer Handlungsbedarf. Aufklärung oder, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention bezeichnet, Bewusstseinsbildung sind wichtige Voraussetzungen, um Vorbehalte abzubauen und mehr Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu realisieren. Auch das ist ein zentrales Ziel der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Oktober 2013 zusammen mit den maßgeblichen Arbeitsmarktpartnern gestalteten Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich vermag mir gar nicht auszumalen, was es noch an Zeit gekostet hätte, wenn Sie die Tabelle mit vorgetragen hätten. ({0}) Frau Pothmer, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Rücksichtnahme auf das Publikum, aber auch auf Sie selbst. Ich begrüße das. Auch wenn Sie nicht alle Zahlen en détail vorgetragen haben, ist deutlich geworden, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Besonderen bei behinderten Akademikerinnen und Akademikern wie eine Schere auseinandergehen. Als einen Grund haben Sie statistische Effekte genannt, zum Beispiel die 58er-Regelung. Diese Regelung betrifft nun nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern alle arbeitslosen Menschen. Sie kann also keine Erklärung dafür sein; es können also nicht nur statistische Effekte sein, die dieses Auseinandergehen verursacht haben. Insofern noch einmal die Frage: Können Sie die Gründe, warum die Schere so exorbitant auseinandergeht, deutlicher erläutern?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Pothmer, das tue ich gerne. Ich glaube, dieser Effekt ist allerdings nicht unerheblich; von daher möchte ich noch einmal auf ihn verweisen. Ich will gerne schauen, ob wir Ihnen genauere Zahlen dazu liefern können. Von diesem Effekt sind meines Erachtens die Menschen mit Behinderung überproportional betroffen. Es ist so - ich will mich gerne wiederholen -, dass wir einen dringenden Handlungsauftrag sehen, zumal immer mehr Jahrgänge hochqualifizierter Menschen mit Behinderung auf den Arbeitsmarkt kommen. Deshalb ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, genau hier initiativ zu werden. Ich habe beschrieben, dass wir es besonders wichtig finden, den Vorbehalten entgegenzutreten, die diese Personengruppe in keiner Weise verdient; vielmehr sollten wir ermunternd und unterstützend darauf hinwirken, dass diese Menschen einen Platz im ersten Arbeitsmarkt finden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Pothmer, Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nehmen Sie mir es nicht übel, Frau Staatssekretärin: Angesichts der Dramatik, die sich in diesen Zahlen zeigt, scheint mir das Vorhaben, für mehr Aufklärung zu sorgen, dem Problem wohl nicht ganz angemessen. Es gibt ja eine ganze Reihe von Vorschlägen, auch aus den BeBrigitte Pothmer hindertenverbänden. Darin wird zum Beispiel deutlich hervorgehoben, dass sich die Bundesagentur für Arbeit in Bezug auf die Beratung von behinderten Menschen sehr stark auf die Akquirierung von Arbeitsplätzen und nur noch sehr wenig auf die Betreuung von behinderten Menschen konzentriert. Das hat sehr viel damit zu tun, dass für die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zählt, wenn ein Arbeitsloser einen Arbeitsplatz erhalten hat. Berücksichtigt wird dabei überhaupt nicht mehr die Frage, wie lange die jeweilige Person ihren Arbeitsplatz behalten konnte. Menschen mit Behinderung brauchen nicht nur einen Arbeitsplatz. Wenn sie einen Arbeitsplatz bekommen haben, brauchen sie darüber hinaus Unterstützung und Begleitung. Von Behindertenverbänden wird kontinuierlich angemahnt, dass das nicht der Fall ist. Haben Sie vor, da etwas zu verändern?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Pothmer, auch mir ist bekannt, dass Behindertenverbände darauf hinweisen. Ich will gerne aufgreifen, dass wir das auch mit der Bundesagentur für Arbeit erörtern. Ich teile aber nicht automatisch Ihre Einschätzung, dass es da sozusagen einen Mangel an Engagement gibt. Das will ich hier ganz deutlich sagen. Ich will aber der festen Meinung Ausdruck verleihen, dass die Bundesregierung wirklich bereit ist, sich genau um diese Personengruppe zu kümmern und da viel zu tun. Insofern danke ich für Ihre Frage. Sie zielte im Übrigen - wenn ich das noch ergänzen darf; die Zeit reicht dafür ja auch noch - im Grunde genommen schon auf die nächste Frage, die ich gleich zu beantworten gedenke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zuerst hat aber die Kollegin Rüffer eine Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann an die Frage von Frau Pothmer anschließen; das passt dazu. - Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Qualifizierung von Mitarbeitern im Jobcenter sozusagen als Problemfeld gesehen wird. Meine Frage ist mit Blick auf die Beratung von Menschen mit Behinderung und speziell mit Blick auf die Beratung des in der Frage benannten Personenkreises: Wann können wir mit einer Lösung rechnen und in welchem Umfang?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich antworte gern, liebe Kollegin Rüffer. - Grundsätzlich sind wir daran interessiert, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf dem bestmöglichen Qualifikationsstand sind. Das ist eine Daueraufgabe. Wir haben dies noch einmal besonders hervorgehoben - Sie haben das zu Recht zitiert und richtig zitiert -, weil wir wissen, dass eine maximale Qualifizierung auch zu hohen Arbeitserfolgen in der Vermittlung führt. Das gilt übrigens nicht nur für die Zielgruppe, über die wir gerade sprechen, sondern das gilt grundsätzlich. Wenn Sie danach fragen, wann wir dazu Ergebnisse haben werden, will ich Ihnen sagen: Wir sehen das im Mittelpunkt der Aufgaben der nächsten Zeit. Sobald wir Ergebnisse haben, werden wir das Plenum, aber ganz sicher den Fachausschuss Arbeit und Soziales unterrichten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Kollegin Rüffer, als Hinweis für die Zukunft: Wir bleiben im Allgemeinen stehen, wenn wir bei der Beantwortung von Fragen im Gespräch mit Personen auf der Regierungsbank sind. Ich rufe die Frage 42 der Kollegin Pothmer auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., DVBS, hinsichtlich des Reformbedarfs bei der Arbeitsvermittlung schwerbehinderter Menschen und hinsichtlich der Rolle der Vermittlungsstelle für besonders betroffene schwerbehinderte Akademikerinnen und Akademiker in der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung, wie Dr. Heinz Willi Bach sie in seinem Beitrag in der Zeitschrift horus ({0}) darlegt ({1}), und welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Verbesserung der Vermittlung schwerbehinderter Arbeitsloser und schwerbehinderter arbeitsloser Akademikerinnen und Akademiker? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Präsidentin! Liebe Frau Pothmer, die Bundesregierung sieht keinen Reformbedarf hinsichtlich der Rolle des Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit; abgekürzt heißt die AG: SBZAV. Ich glaube, es ist besser, das auszusprechen. Der Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker ist eine konsequente Weiterentwicklung der üblichen Praxis, arbeitgeber- und arbeitnehmerbezogene Prozesse strikt zu trennen. Die Weiterentwicklung ist angezeigt, um für diese Zielgruppe überregional zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere im öffentlichen Sektor, zu erschließen. Der Arbeitgeberservice führt seine Vermittlungsaktivitäten einerseits bewerberorientiert durch. Das heißt, es werden, vom Kunden, also vom Arbeitnehmer, ausgehend, Beschäftigungsmöglichkeiten gesucht. Dies erfolgt auf Basis vorhandener Stellenangebote. Es werden andererseits Arbeitgeber initiativ angesprochen, um geeignete Stellen zu akquirieren. Auf dieser Grundlage werden Informationsveranstaltungen oder Gruppenberatungen für schwerbehinderte Akademiker und Akademikerinnen sowie Stellen-Matchings organisiert, um so direkt für Bewerberinnen und Bewerber aktiv zu werden. Bezogen auf die Vermittlung wird der Arbeitgeberservice also für beide Marktseiten tätig. Das ist die Besonderheit, die wir hier vorfinden. Der Service ist ausschließlich auf Personen ausgerichtet, die nach Art oder Schwere ihrer Behinderung im Arbeitsleben besonders betroffen sind. Konkret handelt es sich um den Personenkreis besonders betroffener schwerbehinderter Akademikerinnen und Akademiker im Sinne des § 72 Abs. 1 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch. Darüber hinaus wird der Arbeitgeberservice aufgrund eines Vermittlungsauftrags der Agenturen für Arbeit und der Jobcenter tätig. Das heißt, Arbeitsagenturen oder Jobcenter entscheiden einzelfallbezogen über seine Einschaltung. Der vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf hergestellte Zusammenhang, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen sei wegen eines Konstruktionsfehlers des Arbeitgeberservice angestiegen, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht herstellen. Die Bundesagentur für Arbeit erbringt ihre Dienstleistungen - Beratung, Vermittlung, Förderung - auch für schwerbehinderte Arbeitslose sowie für schwerbehinderte arbeitslose Akademikerinnen und Akademiker auf Grundlage des Zweiten, Dritten und Neunten Buchs Sozialgesetzbuch. Dabei haben Arbeitsagenturen und Jobcenter umfangreiche Fördermöglichkeiten. Darüber hinaus hat das Bundesministerium Programme initiiert, die die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben verbessern sollen. Über die „Initiative Inklusion“ habe ich ja bereits heute Auskunft gegeben. Sie wird in Verantwortung der Länder durchgeführt und umfasst - ich will noch eine Zahl nachschieben - ein Mittelvolumen von 140 Millionen Euro, finanziert - wir sprachen auch darüber - aus der Ausgleichsabgabe. Wir haben Ende 2013 ein neues Programm zur intensivierten Eingliederung und Beratung mit einer Laufzeit von 2014 bis 2016 aufgelegt; es wird mit 50 Millionen, auch aus Mitteln des Ausgleichsfonds, finanziert. Damit sollen Konzepte gefördert werden, die bereits bestehende Förderinstrumente und Maßnahmen ergänzen und die berufliche Integration verstärken und anregen. Die ZAV plant, hier ein Konzept zur Unterstützung der Vermittlung schwerbehinderter Akademikerinnen und Akademiker einzureichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich möchte die Bitte meiner Vorgängerin hier vorne noch einmal wiederholen, doch in der verabredeten Antwortzeit zu bleiben, damit noch möglichst viele Nachfragen stellen können. Sie, Frau Pothmer, haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, die Behindertenverbände berichten immer wieder, dass insbesondere Arbeitgeber, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Probleme mit der Sonderausstattung haben, die für manche behinderte Menschen notwendig ist, dass diese Sonderausstattung erst sehr spät zur Verfügung gestellt wird. Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, da Einfluss zu nehmen und diesen Prozess zu beschleunigen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich versuche, Zeit aufzuholen. - Es ist denkbar, dass das in Einzelfällen unter dem Optimum bleibt. Mir sind jetzt aber keine Einzelfälle bekannt. Deshalb kann ich darauf nicht antworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Neben dem Problem der schlechten oder verspäteten Ausstattung für Sonderarbeitsplätze wird immer wieder auch bemängelt, dass der Verwaltungsaufwand, insbesondere für Arbeitgeber, exorbitant hoch sei. Denkt die Bundesregierung darüber nach, da Vereinfachungen vorzunehmen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Die Bundesregierung ist nicht der Meinung, dass der Verwaltungsaufwand exorbitant hoch ist. Wir haben als Bundesregierung - so haben wir heute in der Befragung der Bundesregierung gehört - ein großes Interesse an Entbürokratisierung und Vereinfachung. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch dieser Bereich dabei betrachtet und untersucht wird. Sofern da Vereinfachungen möglich erscheinen, werden sie ganz sicher vorgenommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Kurth hat das Wort zu einer Nachfrage.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wo es nun um das Thema Vermittlung geht, bietet es sich an, noch einmal nach den sogenannten Integrationsfachdiensten zu fragen. Diese Integrationsfachdienste hat ja der Gesetzgeber 2001 eingerichtet, damit Arbeitgeber und auch Bewerber im Vorfeld beraten werden können, Bewerber vermittelt und danach auch betreut werden können. Das sollte eine ganzheitliche Leistung sein; so hat es sich der Gesetzgeber jedenfalls vorgestellt. Nun hat die vergangene Bundesregierung den Teilbereich der Vermittlung aus diesen Diensten einfach herausgebrochen und durch Ausschreibungsverfahren vergeben. Das hatte zum Ergebnis eine zum Teil zersplitterte Leistungslandschaft. Das hat die damalige Opposition kritisiert, und zwar vehement. Plant die jetzige Bundesregierung, diese Fehlentscheidung der vergangenen Regierung wieder zurückzunehmen bzw. zu korrigieren und die Integrationsfachdienste wieder zu dem zu machen, was der Gesetzgeber ursprünglich wollte?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Herr Kollege Kurth, die amtierende Bundesregierung sieht davon ab, Entscheidungen der vorangegangenen Bundesregierung zu bewerten. Deshalb antworte ich Ihnen: Sollte es zu Schwierigkeiten gekommen sein, wird die jetzige Bundesregierung ganz sicher mit einem entsprechenden Problembewusstsein auch diese Fragestellung betrachten. Sollte es erforderlich sein, hier Lösungen zu finden, dann werden sie - da bin ich mir ziemlich sicher - gesucht werden. Ich will Ihnen aber sagen, dass ich erst einmal Ihre Vermutung, dass es negative Auswirkungen gibt, so nicht bestätigen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 43 und 44 des Kollegen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, 45 und 46 der Kollegin Sabine Zimmermann ({0}) sowie 47 und 48 der Kollegin Azize Tank zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales werden schriftlich beantwortet. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Frage 49 der Kollegin Bärbel Höhn, die Fragen 50 und 51 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann sowie 52 und 53 des Kollegen Harald Ebner werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 54 des Kollegen Omid Nouripour aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist als Nächstes an der Reihe. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks zur Verfügung. Die Frage 55 der Kollegin Tabea Rößner soll schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 56 der Kollegin Corinna Rüffer auf: Wann wird die Bundesregierung das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Recht auf angemessene Vorkehrungen als Diskriminierungstatbestand in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen, und wie begründet sie es, falls sie keine entsprechende Änderung plant? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Rüffer, Ihre Frage beantworte ich gerne, und zwar wie folgt: Um die Behindertenrechtskonvention umzusetzen, hat die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode einen Nationalen Aktionsplan verabschiedet, der in der laufenden Legislaturperiode weiterentwickelt wird. Dieser sieht auch eine Evaluierung des Behindertengleichstellungsgesetzes vor. Im Rahmen dieser zurzeit stattfindenden Evaluierung wird im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention auch geprüft, ob es bezüglich des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ gegebenenfalls Handlungsbedarf gibt. Es ist derzeit nicht auszuschließen, dass sich aus dem Ergebnis dieser Prüfung auch Auswirkungen zum Beispiel auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ergeben können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne. - Ich bin etwas verwundert, weil die Antwort auf die Frage sehr vorsichtig ausgefallen ist. Die Monitoring-Stelle zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte schreibt - ich zitiere -: „Solange es Barrierefreiheit nicht gibt, helfen nur angemessene Vorkehrungen.“ Das ist sehr eindeutig. Wie bewerten Sie diese Aussage, und sehen Sie jetzt vielleicht doch einen dringenderen Handlungsbedarf?

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Sehr geehrte Frau Kollegin Rüffer, ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Wir warten die Evaluierung ab. Wir werden sie auswerten und dann in der Bundesregierung zu einem Ergebnis kommen, das Auswirkungen auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz haben könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das AGG enthält keine Umsetzungsvorschrift zu Art. 5 der Richtlinie aus 2000/78/EG vom 27. November 2000, nach der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpflichtet werden sollen, angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, um ihre Gleichberechtigung sicherzustellen. Wie bewerten Sie das? Was haben Sie im Hinblick auf diesen Mangel vor?

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Den Aspekt, den Sie angesprochen haben, Frau Kollegin, werden wir ganz gezielt angehen. Wir werden das AGG in der jetzigen Ausgestaltung daraufhin prüfen. Es kann durchaus sein, dass wir Handlungsbedarf sehen. Das wird dann innerhalb der Bundesregierung abzustimmen sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 57 der Kollegin Corinna Rüffer: Welche Position vertritt die Bundesregierung zum vorliegenden Entwurf der Fünften Antidiskriminierungsrichtlinie der EU, und welche Alternativen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen sieht sie, falls sie den Entwurf weiterhin grundsätzlich ablehnt ({0})? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Diese Frage kann ich in wenigen Sekunden beantworten. Frau Kollegin Rüffer, ich kann Ihnen bezüglich dieser Frage nur mitteilen, dass innerhalb der Bundesregierung die Meinungsbildung zur Fünften Antidiskriminierungsrichtlinie noch nicht abgeschlossen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den von der EU-Kommission geplanten Rechtsakt zur Barrierefreiheit von Waren und Dienstleistungen?

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Auch das wird grundsätzlich geprüft. Wie gesagt: Die Frage, ob es Handlungsbedarf gibt, ist in der Regierung, wenn es darum geht, wie die Antidiskriminierungsrichtlinie weiter ausgestaltet wird, noch nicht abschließend beantwortet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich pule jetzt noch ein bisschen weiter in der Wunde herum.

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Gerne.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es tut mir leid, wenn das schmerzt. Mich interessiert aber: Was müsste Ihren derzeitigen Absprachen nach mit diesem Richtlinienentwurf passieren, damit es für Sie als Bundesregierung möglich wird, zu handeln?

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Es ist weder eine Wunde, noch schmerzt es; das kann ich Ihnen von dieser Stelle aus versichern. Ich kann mich nur wiederholen: Wir - dabei handelt es sich im Übrigen um verschiedene Bundesministerien - warten mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bzw. der eventuellen Weiterentwicklung des AGG. Die Federführung bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention liegt im Hause des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ist federführend beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Zwischen all den Ministerien, die mit dieser Frage maßgeblich betraut sind, wird es nach der Evaluierung einen entsprechenden Austausch geben, der dann zu einem Ergebnis führen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde, da die verabredete Zeit ausgeschöpft ist. Mit den übrigen Fragen verfahren wir entsprechend unserer Geschäftsordnung. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Preise wieder senken will, muss zurück zur Atomkraft. Wir sind bayerische Irritationen gewohnt, so auch das Hü und Hott bei der Energiewende: Mal sind es die Netze, dann ist es die Windkraft. Aber dieses Zitat stammt von einem, der nicht nur Bayer, sondern auch Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ist. Deshalb kann man ihm das nicht so einfach durchgehen lassen. ({0}) Ich zitiere ihn weiter - ich muss in der dritten Person reden, weil er offensichtlich nicht hier ist -: Die Energiewende zum Nulltarif ist eine Illusion, jeder Bürger wird einen hohen Preis zahlen. Von Nulltarif hat, glaube ich, niemand geredet. ({1}) Selbstverständlich ist eine Investition in die Zukunft, in eine unschlagbar günstige und sichere Energieversorgung unserer Kinder und Kindeskinder nicht umsonst zu haben. Das weiß nun wirklich jeder. Aber Herr Ramsauer hatte genug Stichwortgeber, die die Energiewende auf eine weitgehend faktenfremde Kostendebatte reduziert haben. Ich frage mich, was dieses Schlechtreden der Erneuerbaren am Ende bringen soll. Außer Verunsicherung wird nichts gewesen sein. Schließlich - schauen wir weiter, was Herr Ramsauer gesagt hat - geht es ihm nicht um den Bürger, sondern um die Unternehmen, die weiterhin ihre Rabatte haben sollen - zulasten des Bürgers; denn irgendwer muss die ausufernden Rabatte am Ende bezahlen, und das sind die Bürger. Wenn Herr Ramsauer meint, dass er als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie sich hauptsächlich um die Belange der Wirtschaft kümmern muss, dann ist das vielleicht das CSU-Verständnis einer solchen Funktion. Ich meine, als Mitglied des Bundestages müsste er sich auch ein bisschen um die Volkswirtschaft kümmern. Ich erinnere einmal an die WDR-Recherchen, nach denen letzte Woche der volkswirtschaftliche Schaden der teuersten Technologie, die die Menschheit je hervorgebracht hat, der Atomtechnologie, mit 1 000 Milliarden Dollar beziffert wurde. In diesem Betrag sind natürlich die nicht unbeträchtlichen Folgekosten der Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima enthalten. Aber auch in Deutschland sind wir mit atomaren Fehlinvestitionen und Zahlungen aufgrund der Folgen von Tschernobyl mit 150 Milliarden Dollar dabei. - So viel zu dem billigen Atomstrom. ({2}) Wir reden wohlgemerkt nicht von den Kosten der Atomenergie als solcher, sondern von Geld, das ohne jeden Gegenwert für die Atomkraft ausgegeben wurde bzw. ausgegeben werden musste. Mit dieser Summe sind wir noch lange nicht am Ende. Falls Herr Ramsauer sogar an Neubauten denkt, dann empfehle ich ihm einen Blick nach Großbritannien, zum geplanten Hinkley Point C, der die Bürger mit mehr als 11 Cent für die Kilowattstunde für 35 Jahre beglücken soll. Das heißt: Auch 2050 sollen die Bürger von Großbritannien über 11 Cent pro Kilowattstunde bezahlen, mehr als jeder Wind- oder Sonnenstrom dann kosten wird. Wenn wir über Atomkraft reden, müssen wir auch über einen anderen Preis als den ökonomischen reden. Wir hatten heute Professor Kusnezow und Naoto Kan, den früheren Premier von Japan, im Umweltausschuss und haben uns einmal erzählen lassen, wie es in diesen Ländern aussieht, was die Folgen eines GAU für die Menschen bedeuten: Verlust von Heimat, Verlust von Gesundheit, unbewohnte Landstriche und die Angst, die bleibt. Das ist ein hoher Preis. Weil unsere Bürger diesen Preis niemals zahlen sollen, steigen wir aus der Atomkraft aus. ({3}) Ich grüße Sie, Herr Ramsauer. Entweder habe ich Sie übersehen oder Sie sind in der Zwischenzeit hereingekommen. ({4}) - Das freut mich. Auch Sie sind vielleicht noch lernbereit, Herr Ramsauer. Die Produktion von Atomstrom verlangt auch Verantwortung für den Müll, und da sieht es in Bayern bisher ganz mau aus. Ihr Land ist nicht einmal bereit, eine Handvoll Castoren zurückzunehmen, und Sie sind - nach Niedersachsen - hauptverantwortlich für den Müll in 26 Castoren, der noch darauf wartet, aus Sellafield und La Hague zu uns zurückzukommen, nachdem wir ein Gesetz beschlossen haben, das regelt, dass er nicht mehr nach Gorleben darf. Anstatt jetzt der Produktion von noch mehr Atommüll das Wort zu reden, sollten Sie in Bayern anfangen, Verantwortung für den bereits produzierten Atommüll aus Bayern zu übernehmen. ({5}) Ich gebe Ihnen den guten Rat: Vergessen Sie das dumme Gerede von vor ein paar Tagen, und bieten Sie dafür das Zwischenlager Isar an! Reden Sie sich nicht mit Transportwegen heraus; denn diese haben Sie beim Transport des Mülls nach La Hague und Sellafield und dann nach Gorleben auch nicht gestört. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich bin nun auch schon eine Weile Mitglied dieses Hauses; aber die Debatte, die wir hier führen, ist schon einmalig. ({0}) Der Titel, den Sie ursprünglich für diese Aktuelle Stunde vorgesehen hatten, lautet: Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen des Bundesministers a. D. und Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, Dr. Peter Ramsauer, die Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland zu verlängern. - Sie wollen also über die Haltung eines Mitglieds des Deutschen Bundestages zu den Laufzeiten reden. ({1}) Ich dachte bisher, dass es so läuft: Das Parlament kontrolliert die Regierung. Sie sagen jetzt, die Bundesregierung müsse jede einzelne Äußerung eines Bundestagsabgeordneten kontrollieren. ({2}) Das ist eine neue Perspektive, die ich so nicht teilen kann. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie dem Kollegen Ramsauer aus Anlass seines 60. Geburtstages eine Sonderdebatte widmen wollten; das mag sein. ({3}) Ansonsten kann es nicht Ihr Ernst sein, dass wir uns in einer Aktuellen Stunde mit einem Interview auseinandersetzen - wir tun es aber leider auf Ihren Antrag hin -, das in weiten Teilen so ist, dass man sogar in Ihren Krei1714 sen nicht darüber diskutieren müsste, weil die Positionen geteilt werden. Wenn Sie es so wollen, kann ich dieses Interview einmal durchgehen: Die Energiewende zum Nulltarif ist eine Illusion, jeder Bürger wird einen hohen Preis zahlen. Das Einzige, was wir tun können, ist, den Anstieg zu dämpfen. Ich habe hier noch keinen anderen Vorschlag gehört als den, den Anstieg zu dämpfen. Dass die Energiewende teuer ist, ist ja wohl Common Sense. ({4}) Wir arbeiten in der Koalition momentan intensiv an der Frage, wie man die Kosten einigermaßen in den Griff bekommt. Nun will ich gar nicht darauf eingehen, wie es so weit gekommen ist. Sonst müsste ich Ihnen vorhalten, was ich Ihnen hier schon manchmal vorgehalten habe, nämlich dass Sie die Photovoltaik über das EEG zu früh an den Markt gebracht haben, ({5}) wodurch es zu teuer wurde, und dass die Hälfte der EEG-Umlage insbesondere grüner Ideologie geschuldet ist. Das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({6}) - Das EEG ist aber von Ihnen. Oder wollen Sie das etwa auch leugnen? Das glaube ich doch nicht. ({7}) Das war zu früh, und es war zu teuer. Es war nicht machbar, es rechtzeitig so zu gestalten, wie wir uns das vorgestellt haben. Peter Ramsauer sagte weiter: Es darf keine Einschnitte für die Wirtschaft geben. Auch das müsste doch unsere gemeinsame Handlungsgrundlage sein. Das, was uns momentan aus Brüssel droht, ist die Grundlage für eine Deindustrialisierungswelle in Deutschland, ({8}) und die wollen wir alle nicht. Oder sind Sie da anderer Auffassung? ({9}) Die Grünen haben bei Differenzkosten von 0,2 Cent eine Härtefallregelung eingeführt. Jetzt liegen die Differenzkosten bei 6,24 Cent. ({10}) Wenn der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses sagt: „Das ist sehr bedenklich, insbesondere, wenn Brüssel die Ausnahme kippen will“, dann ist das doch ehrenhaft. Das muss er in seinem Amt auch sagen dürfen, meine Damen und Herren. ({11}) Herr Ramsauer hat auch gesagt: Wer die Preise wieder senken will, muss zurück zur Atomkraft. Ich persönlich ({12}) teile das als politische Zielsetzung nicht. ({13}) Aber er beschreibt damit das, was wir ursprünglich getan haben: Wir haben die Laufzeiten damals verlängert, weil wir wussten, dass die Energiewende teuer und zeitaufwendig wird und dass wir Geld und Zeit brauchen, um sie umzusetzen. ({14}) Wir haben uns wohlweislich - da lassen wir uns von Ihnen nichts anhängen - für einen anderen demokratischen Weg entschieden, weil die breite Mehrheit der Bevölkerung, auch unsere Wählerinnen und Wähler, gesagt haben: Wir wollen keine Kernenergie. Aber wir haben immer auf die Konsequenzen hingewiesen: teuer, schwierig, sehr komplex. ({15}) Sie haben uns immer als „Atomlobbyanhänger“ und was weiß ich noch alles verunglimpft. ({16}) Sie haben so getan, als ginge die Energiewende kostenlos vonstatten, als wäre sie billig zu haben, als käme es auf Geld gar nicht an. ({17}) - Doch, ein großer Teil der Grünen hat so getan, als wäre eine hundertprozentige Erzeugung von Energie aus erDr. Georg Nüßlein neuerbaren Energien schon ab morgen möglich, als wäre alles ganz einfach, als würde sie nicht mehr Geld kosten. ({18}) Sagen Sie doch, wie es ist: Sie kostet mehr Geld! Warum haben Sie ein Problem damit, uns an dieser Stelle recht zu geben? ({19}) All das heißt aber nicht, dass wir zurück zur Kernenergie wollen. Das heißt vielmehr, dass wir in einen konstruktiven Dialog eintreten müssen, um zu klären, wie wir diese Energiewende so gestalten, dass unsere Wirtschaft am Ende nicht am Boden liegt; denn sonst wird uns auf diesem Weg niemand folgen. Dann wäre die Energiewende in Deutschland eine Insellösung, die niemanden interessiert. ({20}) Jeder wird über uns lachen. Das ist die Sorge unseres Ausschussvorsitzenden Peter Ramsauer. Ich bitte Sie, das wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen und wenigstens diese Ansicht zu teilen. Das wäre mir sehr wichtig. Vielen herzlichen Dank. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hubertus Zdebel für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ramsauer, ich freue mich, dass Sie persönlich anwesend sind, muss aber feststellen: Sie haben aus Fukushima offensichtlich nichts gelernt. Aus Fukushima zu lernen, heißt nicht: AKW müssen länger laufen. Das Gegenteil ist der Fall: AKW gehören abgeschaltet, und zwar unverzüglich. ({0}) Offenbar lernen vor allem jene Teile der Menschheit, denen Profite wichtiger sind als Menschen, nur bedingt dazu. Nach Tschernobyl trauten sich die Atomiker über 20 Jahre nicht aus der Deckung. Nach dem Super-GAU von Fukushima dauerte das gerade einmal zwei Jahre. Atomkraft und verlängerte Laufzeiten werden nicht erst jetzt ins Spiel gebracht. Das läuft bereits seit mehr als einem Jahr, und die Atomlobby hat noch nicht einmal richtig losgelegt. Die Äußerungen von Ihnen, Herr Ramsauer, zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und zum Ausstieg aus dem Ausstieg stehen nicht isoliert. Ähnlich haben sich Unionsfraktionsvize Michael Fuchs und der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder geäußert. ({1}) Bei Ihnen fällt lediglich die Plattheit Ihrer Argumentation in Bezug auf die Stromkosten auf, Herr Ramsauer - Zitat aus einem Spiegel-Interview -: „Wer die Preise wieder senken will, muss zurück zur Atomkraft.“ ({2}) Dass Atomstrom billiger ist, ist blanker Unsinn. ({3}) Aber das hat in den Reihen von CDU/CSU auch schon vor Fukushima niemanden gestört, die Laufzeitverlängerung für deutsche Atommeiler zu beschließen. Atomstrom ist nicht billig, sondern unbezahlbar. Die Kosten für die Atomenergie wurden mit milliardenschweren Subventionen seit Jahrzehnten künstlich niedrig gehalten. Herr Ramsauer, in Ihrem Interview mit dem Spiegel betonen Sie dutzendfach, wie sehr Ihnen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands am Herzen liegt. Dabei sind Atomkraftwerke, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kürzlich wieder betonte, marktwirtschaftlich nicht lebensfähig. Atomkraft ist in Deutschland von 1950 bis 2010 mit circa 204 Milliarden Euro subventioniert worden. ({4}) Das ist das Ergebnis einer 2010 veröffentlichten Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag von Greenpeace. Die Kosten hat der Steuerzahler zu tragen, und das wird noch Jahre so weitergehen. Ein abgeschriebenes AKW bringt den Atomkonzernen in Deutschland pro Tag etwa eine halbe Million Euro ein - mindestens. Der im Sommer 2011 verabschiedete Atomkompromiss von Union, SPD, FDP und Grünen setzt elf weitere Jahre auf die Atomkraft. Die Linke hat nachgewiesen, dass der Ausstieg deutlich zügiger und schneller möglich gewesen wäre. ({5}) Zwar wurden die sieben ältesten Atomkraftwerke sowie das AKW Krümmel vom Netz genommen; die Betriebsgenehmigung der übrigen neun Atomkraftwerke erlischt jedoch nur schrittweise bis zum Ende des Jahres 2022. Sie produzieren täglich neuen Atommüll - trotz des unverantwortlichen Risikos für die Bevölkerung. Wie schon beim von Rot-Grün im Jahr 2000 beschlossenen Atomausstieg richten sich die AKW-Restlaufzeiten nach den Profitinteressen der Betreiber. Das steht ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs aus dem Jahr 2011, aus der ich hier kurz zitieren möchte - man kann das nicht oft genug sagen -: Auch die nunmehr vorgesehene zeitliche Befristung der Berechtigung zum Leistungsbetrieb ist … so ausgestaltet, dass die von dieser Regelung betroffenen Unternehmen nicht unverhältnismäßig belastet werden und den Betreibern eine Amortisation der Investitionen sowie die Erzielung eines angemessenen Gewinns weiterhin ermöglicht wird. Hinzu kommt: Deutschland ist nach wie vor globaler Player im nuklearen Exportgeschäft mit Atomkraftwerkstechnik und Brennelementen sowie bei Investitionen in AKW in anderen Ländern. Die Linke fordert deshalb einen unverzüglichen und unumkehrbaren Atomausstieg. Nur ein zurückgebautes Atomkraftwerk ist ein sicheres Atomkraftwerk. ({6}) Die Restlaufzeiten der neun noch laufenden Atomkraftwerke sollen deutlich verkürzt werden, möglichst noch innerhalb dieser Wahlperiode. Daneben soll ein Verbot der friedlichen wie militärischen Nutzung der Atomenergie im Grundgesetz verankert werden. Nur so kann verhindert werden, dass eine neue Parlamentsmehrheit den Ausstiegsbeschluss einfach revidiert. ({7}) Für einen wirklichen Ausstieg aus der Atomwirtschaft muss auch die Fertigung atomarer Brennelemente in Gronau beendet werden. Die Zentrifugentechnik in der Urananreicherungsanlage in Gronau ist hochbrisant. Sie kann auch zur Produktion von Atomwaffen genutzt werden. Handeln ist das Gebot der Stunde. Wir sollten nicht den Ramsauers dieser Welt folgen, sondern die richtigen Konsequenzen ziehen und den Ausstieg in Deutschland konsequent fortschreiben und wasserdicht machen. ({8}) Deshalb werde ich am Karfreitag mit vielen anderen Aktivistinnen und Aktivisten vor der Urananreicherungsanlage in Gronau für den sofortigen Atomausstieg demonstrieren. Ich danke Ihnen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Zdebel, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit und sicherlich auch viele weitere Reden. ({0}) Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. ({1})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Ramsauer sehr dankbar für seine Äußerungen, weil sie dokumentieren, dass der Atomausstieg nichts Selbstverständliches ist. Wir werden sicherlich immer wieder dafür streiten müssen. Manchmal ist man ein bisschen belächelt worden, wenn man in einer Podiumsdiskussion im Vorfeld der Bundestagswahl gesagt hat: Das ist ein einfaches Gesetz, und es kann wieder aufgehoben werden. - Ich glaube, dass Herr Ramsauer etwas ausgesprochen hat, was sicherlich nicht nur er allein denkt. Es ist ja ein mühseliger Prozess gewesen. Die SPD hat dafür mehrere Jahrzehnte gebraucht; die CDU/CSU hatte diese Überzeugung vor zwei oder drei Jahren. Dass man dann hadert, ob das so richtig ist oder nicht, ist verständlich. Deswegen werden wir, möglicherweise auch an anderer Stelle, immer wieder darüber diskutieren müssen. Ute Vogt und ich haben überlegt, ob wir in unserer Arbeitsgruppe darauf drängen sollten, dass in den Koalitionsvertrag der Satz aufgenommen wird: Es bleibt beim beschlossenen Atomausstieg. - Wir dachten, das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich finde, es war richtig, das so deutlich zu formulieren; denn das dokumentiert: In den nächsten dreieinhalb Jahren, in dieser Konstellation, bei dieser Bundesregierung bleibt es bei dieser glasklaren Aussage, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Der Kollege Ramsauer hat in seinem Spiegel-Interview gesagt - jeder kann sich die Zitate ansehen -: Welche Folgen die Energiewende für die Stromkosten hat, hätte man sich vorher überlegen müssen. Ich finde, damit spricht er etwas an, was auch für uns Politiker ein entscheidendes Signal sein sollte, nämlich die Frage der Verlässlichkeit und der Investitionssicherheit. Dieses Thema hat nämlich nicht nur für die Wirtschaft, die Sie vielleicht im Blick haben, Auswirkungen, sondern auch für die vielen Menschen, die seit Jahren, seit Jahrzehnten im Bereich der Erneuerbaren aktiv sind. Deswegen ist es, gerade auf einem Gebiet wie der Energiepolitik, tödlich, nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ zu verfahren. ({1}) Das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, darf es in Deutschland nie wieder geben. Man muss sich darauf verlassen können, dass es bei dieser Energiewende bleibt. ({2}) Hinzu kommt - in diesem Punkt sind wir überhaupt nicht einer Meinung, Herr Kollege; die Vorredner haben das schon ein bisschen problematisiert -, dass Sie sagen, Atomstrom sei gleich billige Energie. ({3}) Es werden im Augenblick mehrere Millionen Euro für Kampagnen zur Verfügung gestellt, es gibt großflächige Plakate, und es gibt große Anzeigen. Aber wir alle wissen, dass Atomstrom nie billig gewesen ist. ({4}) Es ist vielmehr eine Frage der politischen Steuerung - das gilt auch für die Energiewende -, die Energiekosten für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für die Wirtschaft so zu gestalten, dass sie akzeptabel sind; das ist unsere Aufgabe. Das hat man jahrzehntelang gemacht. Warum sollte das im Zeitalter der Erneuerbaren nicht gehen? Es geht, wenn man will. Davon bin ich überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich bin mir sicher, dass wir mit Barbara Hendricks eine Ministerin haben, die versucht, das voranzubringen, was für mich seit vielen Jahren die Grundlage dafür ist, einen Weg weg von der Atomkraft zu fordern. Ich finde - das muss immer, auch in einem solchen Interview, Herr Kollege Raumsauer, gesagt werden -, es handelt sich um eine hochunethische Technologie, wenn wir Generationen, die von diesen Energiepotenzialen null Nutzen hatten, für Millionen Jahre Müll überlassen, von dem wir heute nicht sagen können, was damit zu machen ist. Allein dieses Argument reicht für mich aus, um alles daranzusetzen, aus dieser Technologie so schnell wie möglich auszusteigen. ({6}) Sie haben natürlich das Recht, auch in diesem Haus immer wieder Kritik zu üben und Fragen zu stellen; wir alle haben dieses Recht. Aber ich wünsche mir, dass wir alle zusammen an dem Kurs der Energiewende festhalten, sodass es in Deutschland nie wieder zu einem Rückfall in das atomare Zeitalter kommt. Daran sollten wir alle arbeiten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Oliver Krischer das Wort.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nüßlein, wie nötig diese Debatte war, hat vor allen Dingen Ihr Wortbeitrag gezeigt. ({0}) Damit haben Sie deutlich gemacht, dass Sie noch längst nicht da angekommen sind, wo viele andere schon lange waren und manche hingekommen sind; dass diese Frage für Sie noch lange nicht geklärt ist. ({1}) Vor drei Jahren dachte ich, wir haben in diesem Parlament einen Konsens, ({2}) was die Atomkraft angeht. Bei dem, was der Kollege Miersch hier gerade gesagt hat, dachte ich: Dem kann sich eigentlich niemand verweigern. - Ihr minimaler bis nicht vorhandener Beifall zu diesen Äußerungen zeigt aber ganz deutlich, wie notwendig diese Debatte ist. ({3}) Ich habe eben im Wirtschaftsausschuss gehört, dass die Äußerungen, die der Parlamentsnovize Ramsauer da gemacht hat, nicht so gemeint gewesen seien. Herr Dr. Ramsauer, wer bei Ihrer Biografie - Bundesminister und, ich weiß nicht, die sechste Legislaturperiode im Bundestag ({4}) solche Sätze in einem Spiegel-Interview sagt, sagt die ganz bewusst, um eine Debatte anzustoßen, um eine Debatte loszutreten. Sie selber haben eben angedeutet, wie die Debatte bei Ihnen intern läuft: dass das tatsächlich eine Frage ist, die im Raume steht. ({5}) Deshalb ist es notwendig, dass wir hier darüber diskutieren und das auch klar benennen. ({6}) Was ich besonders zynisch finde: Sie erwecken den Eindruck - bei Menschen, die diese Botschaft aufnehmen -, dass Atomkraft billig sei, dass Atomkraft dazu führe, dass die Strompreise sinken. Sie alle hier in diesem Hause wissen ganz genau, dass exakt das Gegenteil der Fall ist: Die Kosten der Atomkraft sind die höchsten im Vergleich zu allen anderen Formen der Energieerzeugung. Das muss hier noch einmal klar und deutlich gesagt sein, damit solche Äußerungen wie die Ihre nicht stehen bleiben. ({7}) Die Kosten, die spätere Generationen, unsere Kinder und Enkel, tragen müssen für das, was wir da hinterlassen, sind - der Kollege Miersch hat das beschrieben noch nicht einmal eingerechnet. In meinem Wahlkreis steht ein Forschungsreaktor, der AVR Jülich, mit einer Leistung von 15 Megawatt; das entspricht irgendwie fünf Windkraftanlagen. Sein Rückbau hat bis heute 700 Millionen Euro gekostet, und niemand zweifelt mehr daran, dass er am Ende 1 Milliarde Euro kosten wird. Die Endlagerung ist dabei noch nicht eingerechnet. Wie kann man da heute den Eindruck erwecken, Atom1718 kraft erzeuge billig Energie? Das ist absurd. Diese Beispiele kann man weiterdeklinieren: Die Asse wäre ein weiteres Beispiel; auch dort werden Kosten in Milliardenhöhe auf uns zukommen. Es gibt viele andere Beispiele mehr. Wie kann man da behaupten, Atomkraft sei billig? Der Unterschied ist - da liegt möglicherweise das Problem -: Die Kosten der erneuerbaren Energien stehen auf der Stromrechnung. Das, was Sie und vorherige Politikergenerationen mit der Atomkraft zu verantworten haben, steht nicht auf der Stromrechnung. Das wird anders finanziert. Das bezahlen wir alle über unsere Steuern. Das ist nicht transparent. Diese Kosten sind deutlich höher als die gesamten Kosten der Energiewende. ({8}) Ich sage Ihnen eines: Die Debatte, die wir führen, ist ein bisschen auch eine bayerische Debatte; Herr Dr. Ramsauer kommt aus Bayern. Bei dem, was wir in den letzten Wochen aus Bayern gehört haben, kann ich nur sagen: Das ist energiepolitischer Irrsinn. - Wenn behauptet wird, die Förderung der erneuerbaren Energien führe zu einer Deindustrialisierung Deutschlands, muss ich sagen: Das ist ein völlig blödsinniger und fahrlässiger Satz, der nur dazu dient, die Energiewende schlechtzureden. - Wenn das gesagt wird, antworte ich Ihnen: Die personifizierte Gefahr einer Deindustrialisierung Deutschlands, das ist Herr Seehofer, das ist die Politik, die in Bayern gemacht wird. ({9}) - Schauen Sie sich doch einmal an, was die Kommunalwahl an dieser Stelle gezeigt hat! - Was Sie machen, ist das Gegenteil von Verlässlichkeit, da gilt mittags schon nicht mehr, was vormittags energiepolitischer Grundsatz war. Wer keine erneuerbaren Energien im eigenen Land will, wer Stromtrassen ablehnt, der landet am Ende bei einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken - da werden Ihre Worte, Herr Dr. Ramsauer, dann zur Selffulfilling Prophecy; genau das ist die Politik, die im Freistaat von der CSU betrieben wird, dem reden Sie letztendlich das Wort. ({10}) Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt gerade in Bezug auf die aktuelle außenpolitische Debatte. Auch wenn es um Unabhängigkeit und Energiesicherheit geht, kann die Antwort eigentlich nur eine sein: Wir müssen auf erneuerbare Energien und auf Energieeffizienz statt auf Risikotechnologien setzen, die uns von den Despoten dieser Welt abhängig machen. Wir wollen erneuerbare Energien und Effizienz. Das ist die Antwort für Energiesicherheit und für die Zukunft. Hier und nicht im Rückgriff auf angeblich billige Atomkraft liegt die Verantwortung für den Industriestandort Deutschland. Ich danke Ihnen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Steffen Kanitz das Wort. ({0})

Steffen Kanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004320, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Krischer, wenn Sie die Debatte nicht wollen, von der Sie glauben, dass Herr Ramsauer sie angestoßen hat, dann frage ich Sie: Warum führen Sie sie dann hier? Ich behaupte einmal, das tun Sie, weil das das Einzige ist, wozu Sie debattieren können, weil das das einzige Thema ist, bei dem alte Reflexe bedient werden und Sie glauben, damit in der Bevölkerung Widerhall zu finden. ({0}) „Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland“, das ist der Titel der Aktuellen Stunde, den Sie angemeldet haben. Gibt es irgendeine Äußerung eines Vertreters der Bundesregierung, mit der er sich gegen den Ausstieg aus der Kernkraft ausspricht? Mir ist keine einzige bekannt. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, beziehen sich einzig und allein auf die Äußerung eines Parlamentariers, den Sie dann auch noch verzerrt wiedergeben. Damit - das hat Kollege Nüßlein gerade sehr schön deutlich gemacht - offenbaren Sie ein aus meiner Sicht völlig falsches Verständnis von der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung. Das Parlament kontrolliert die Regierung - und nicht andersherum. Bei allen Gesprächen, die wir zu Oppositionsrechten führen, dürfen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, doch so selbstbewusst sein, diese Kontrollrechte auch ernsthaft gegenüber der Regierung wahrzunehmen. Unsere Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien sind weltweit ehrgeizig und einmalig, und wir halten unsere Ziele auch ein. Ein Viertel der deutschen Stromerzeugung erwirtschaften wir schon heute aus erneuerbaren Quellen. Die Energiewende kann aber nur zum gesamtgesellschaftlichen Erfolg werden, wenn wir endlich die steigenden Energiekosten in den Griff bekommen. Nur so erhalten wir die notwendige Akzeptanz für die Energiewende. Das gilt im Übrigen für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes genauso wie für die Unternehmerinnen und Unternehmer, womit wir bei dem Grund für die heutige Aktuelle Stunde sind. Was hat Peter Ramsauer denn gesagt? Die Energiekosten sind ein Standortfaktor. Zu hohe Energiekosten gefährden den Wirtschaftsstandort Deutschland. ({1}) Auf diesen Zusammenhang hat er hingewiesen. Damit liegt er völlig richtig. ({2}) Hohe Strompreise sind aber auch eine soziale Frage. Ich kenne genug junge Familien aus Dortmund, denen die steigenden Stromrechnungen zum Verhängnis werden ({3}) und die sagen: Wir haben damit zukünftig ein Problem. Wir als Politik müssen es hinbekommen, dass beispielsweise der Facharbeiter in den Zementunternehmen unserer Wahlkreise in die Lage versetzt wird, seine Stromrechnungen zu bezahlen. Dieser Anspruch hat im Übrigen nichts mit der völlig absurden und falschen Unterstellung zu tun, in Deutschland wieder auf Kernenergie setzen zu wollen. Ganz im Gegenteil: Weil wir uns in Deutschland im Konsens für das Ende des Atomzeitalters entschieden haben, müssen wir jetzt auch verantwortungsvoll dafür sorgen, dass die Energiewende bezahlbar bleibt. Natürlich muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz effizienter und marktwirtschaftlicher werden; denn die Energiewende ist eine Mammutaufgabe. Erste Erfolge sind sichtbar: Die EEG-Reform wird den Kostenanstieg der EEG-Umlage spürbar verlangsamen, bestehende Überförderungen bei der Einspeisevergütung werden abgebaut, und die Höhe der Förderung wird marktgerechter gestaltet. Auch wenn ich mir ein früheres Eintrittsdatum für das Ausschreibungsmodell wünschen würde, setzt die Bundesregierung mit ihrem Kurs der Energiepolitik die richtigen Prioritäten. ({4}) Das gilt auch für die Ausgleichsregelung für stromintensive Unternehmen. Dort müssen wir darauf achten, unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Auch hier habe ich Vertrauen in unseren Energieminister, der die nationalen Interessen unseres Industriestandortes Deutschland verantwortungsvoll vertritt. Wo würden wir denn heute mit einem grünen Umweltminister stehen? ({5}) Sie hätten die Ausnahmen doch längst kampflos aufgegeben. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Auch die EU-Kommission sieht mittlerweile ein, dass es sich bei einem Großteil der Ausnahmeregelungen nicht um eine ungerechtfertigte Subvention handelt, sondern dass wir hier in Deutschland für Wettbewerbsgleichheit im europäischen Kontext sorgen. ({6}) Spinnen wir diesen irrwitzigen Gedanken - zugegebenermaßen: das fällt mir schwer - einer Verantwortung der Grünen für die Energiewende doch einmal weiter. Sie wollen 100 Prozent erneuerbare Energien, Sie wollen den Ausstieg aus Kohle, Sie wollen den Ausstieg aus Öl, und Sie wollen weiterhin eine hohe Förderung des Staates einzelner Erzeugungstechnologien, ohne diese zu hinterfragen. Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihre Vorstellungen der Energiewende führen zu explodierenden Kosten. ({7}) Das ist übrigens der Grund, warum die Menschen uns - uns! - diese Aufgabe anvertrauen, nicht Ihnen. ({8}) Ihre Widersprüchlichkeit zeigt sich auch an der Umsetzung der Energiewende vor Ort. Einerseits unterstützen Sie das Ende der Kernenergie. Aber neue hocheffiziente Kraftwerke wie die in Datteln verteufeln Sie und arbeiten aktiv gegen die Fertigstellung. ({9}) Um den ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin, der anwesend ist, zu zitieren: Wer mit uns koalieren will, muss sich darauf einstellen, dass diese Investition - nämlich Datteln IV - nicht zu Ende geführt wird. Meine Damen und Herren von den Grünen, hören Sie endlich damit auf, die Energiewende in Sonntagsreden zu propagieren und vor Ort zu sabotieren. ({10}) Dafür, dass sich die grüne Opposition über die erfolgreiche Politik der Bundesregierung ärgert, habe ich Verständnis, aber kein Mitleid. Wir forcieren den Ausstieg und machen weiter mit der Energiewende. Der größte Garant für eine umweltfreundliche Energieversorgung, die sicher und bezahlbar ist, bleibt eine Regierungsverantwortung von CDU und CSU. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe am Sonntagabend das Interview gelesen und gedacht: Ich bin einfach baff! - Dann habe ich gedacht: Irgendwo habe ich das schon gelesen. Ich habe dann überlegt und verstanden, wo ich das gelesen habe: bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. ({0}) Vorher wurde hier über soziale Strompreise gesprochen. Ich möchte das mit dem, was im Interview steht, in einen Zusammenhang bringen. Agenda 2010: Super! Wenn die Regierung etwas anderes macht, ist das ein Verrat an Schröders Erbe. Keinen Schluck mehr aus der Pulle der Sozialleistungen. Der Mindestlohn ist eher schlecht. Vor ihm wird gewarnt, weil das Auswirkungen auf das ganze Gefüge hat und weil das Ganze nicht der Beschäftigung dient. Rente mit 63 Jahren und Mütterrente sind eigentlich auch schädlich für den Wettbewerb und für den Standort Deutschland. ({1}) Dann geht es um Strompreise: Wettbewerbsfähigkeit über alles. Dann kommt der Satz: Wir müssen entscheiden, ob wir uns die Energiewende so leisten können und wollen. ({2}) Wir müssen entscheiden. - Wen er damit meint, sagt er nicht: sich, die CSU, die Unternehmen, die Konzerne oder Otto Normalverbraucher. „Wer die Preise wieder senken will, der muss zurück zur Atomkraft.“ So steht es wortwörtlich im Spiegel. Hier wurde von alten Reflexen gesprochen. Es stimmt: Das sind die alten Reflexe der CSU, die da wieder zum Vorschein kommen. ({3}) Komischerweise ist das Interview erst am Montag veröffentlicht worden, nicht an dem Wochenende davor; denn am Sonntag waren Kommunalwahlen in Bayern. Jetzt reden wir einmal über die Kosten der Atomkraft in Deutschland. Von 1950 bis 2010 wurde sie mit circa 198 Milliarden Euro subventioniert. Das hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft schon vor Jahren errechnet. Darin enthalten sind Steuervergünstigen, die Stilllegung von Meilern, Forschung inklusive Kernfusionsforschung und die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie Euratom. Würde man die Kosten konventioneller Energie, also Kohle und Atomkraft, nach der Methode des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Form einer Umlage von den Stromverbrauchern bezahlen lassen, hätte diese Energieumlage im Jahre 2012 umgerechnet 10,2 Cent pro Kilowattstunde betragen. Müssten die Betreiber von Atomkraftwerken eine Haftpflichtversicherung abschließen, wenn sie denn eine bekämen, müssten sie für jedes Atomkraftwerk 72 Milliarden Euro jährlich bezahlen. Das haben Finanzmathematiker der Versicherungsbranche ausgerechnet. Derzeit ist die Haftpflicht der Betreiber auf knapp 250 Millionen Euro begrenzt. Ein weiterer Vorteil der Atombranche: Wenn etwas passiert, bezahlen es natürlich die Verbraucher und die Steuerzahler; das ist klar. Auch Professor Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung konstatiert: Atomkraft ist noch nie wettbewerbsfähig gewesen und wird es auch nie sein … Weder in Europa, noch an einem anderen Ort dieser Welt ist jemals ein Atomkraftwerk unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gebaut worden. … Übliche Kostenschätzungen für Atomkraft beinhalten oft nicht den Rückbau der Anlagen sowie die Endlagerung …, ganz zu schweigen von den enormen Kosten möglicher Großunfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl. - Darüber haben wir heute im Umweltausschuss Berichte gehört. Sie waren erschütternd. … Das finanzielle Risiko wird vom Staat, also uns allen getragen. Ende 2016 läuft die Brennelementesteuer aus. Dann werden die Atomkraftwerke noch mehr zu Gelddruckmaschinen, und die Gewinne werden natürlich nicht umverteilt, sondern die kassieren die großen Konzerne. Jetzt reden wir noch über die Störfälle in deutschen AKW. 2013 gab es in deutschen AKW 52 Störfälle. Das ist jede Woche einer. Ich zähle sie Ihnen auf. Brokdorf: 6, Grafenrheinfeld: 3, Grohnde: 3, Gundremmingen B: 3, Isar 2: 5, Emsland: 3, Neckar 2: 9, Philippsburg 2: 20. Das sind insgesamt 52 Störfälle. Erklären Sie bitte einmal den Menschen, dass ihr Strom vielleicht billiger wird, dass sie aber eventuell einen Störfall in Kauf nehmen müssen! Reden wir auch über Isar 2 in Ohu, das zurzeit heruntergefahren wird. Es gibt wieder einmal große Probleme, und die Menschen sind wieder verunsichert. Und dann wollen Sie in Gundremmingen in Bayern die Kapazitäten hochfahren. ({4}) Es gibt genug Studien darüber, dass das Kernkraftwerk das nicht aushält. Ich halte diese Politik für verantwortungslos, und ich bitte Sie und hoffe, dass Sie sich an die Koalitionsvereinbarung und zumindest an das Gesetz zum Atomausstieg 2022 halten. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Demonstrationen beginnen. Am Samstag gibt es die ersten. ({5}) - Das werden nicht die letzten sein. Das beginnt jetzt erst, auch in Ihrem Gebiet. - Wir stehen dahinter. Wir unterstützen diese Initiativen, und wir sagen: Atomausstieg möglichst schnell! Wir müssen die Menschen vor solchen Ideen bewahren. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Hiltrud Lotze für die SPDFraktion. ({0})

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus dem Wahlkreis Lüchow-Dannenberg - Lüneburg. In Lüchow-Dannenberg liegt Gorleben, und in Gorleben befindet sich das oberirdische - ich betone ausdrücklich: das oberirdische - Transportbehälterlager für hochradioaktiven Atommüll. In den Jahren 1995 bis 2011 sind dort 113 Castorbehälter abgestellt worden. Sie stehen schön aufgereiht in einer ebenerdigen Halle aus Stahlbeton mit einem Dach aus Betonplatten. Im Volksmund wird sie Kartoffelscheune genannt. Das gibt einen Hinweis darauf, dass das auf Dauer nicht die richtige Behausung für die Castorbehälter ist. In dieser Halle zu stehen, ist ein besonderes Erlebnis. Ich empfehle das allen. Man sieht diesen Behältern nicht an, welche tödliche Gefahr sich in ihnen verbirgt. Man riecht nichts. Man schmeckt nichts. Aber man spürt die Hitze, die von den Brennelementen ausgeht. Die Region Lüchow-Dannenberg trägt seit mehr als drei Jahrzehnten die größten Lasten aus der umstrittenen Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Die Menschen dort haben das Hü und Hott über die Atompolitik gründlich satt. Sie sind auch zermürbt von dem jahrelangen Prozess, den sie dort erlebt haben, den Castortransporten und der strahlenden Gefahr, die sie vor der Haustür haben. Die Menschen dort sind aber mittlerweile Fachleute geworden. Sie kennen die tödlichen Risiken, die von der unbeherrschbaren Technik der Atomkraft ausgehen. Sie kennen die Bilder und die Schilderungen aus Tschernobyl und Fukushima. Einige sind persönlich dort gewesen und haben sich einen Eindruck verschafft. In jedem Sommer kommen krebskranke Kinder aus Tschernobyl und der umliegenden Region nach Lüneburg und Lüchow-Dannenberg, um sich in Deutschland für einige kurze Wochen zu erholen. Nicht nur in meinem Wahlkreis, aber ganz besonders dort schütteln die Menschen deswegen in diesen Tagen verwundert den Kopf, sind erschrocken oder - das gibt es auch - fühlen sich in ihrem Misstrauen der Politik gegenüber bestätigt, wenn sie in der Zeitung lesen - übrigens nur wenige Tage nach dem Jahrestag von Fukushima -, dass in der Politik über eine Renaissance der Atomkraft nachgedacht wird. ({0}) Ich muss es so formulieren: Für mich, die ich da schon vorbelastet bin, ist es schon starker Tobak, wenn solche Überlegungen aus den Reihen unseres Koalitionspartners kommen. ({1}) Im Koalitionsvertrag, für den ich im Übrigen vehement geworben habe, steht wortwörtlich: Wir wollen die Entwicklung zu einer Energieversorgung ohne Atomenergie und mit stetig wachsendem Anteil erneuerbarer Energien konsequent und planvoll fortführen. Ich denke, das gilt ohne Wenn und Aber, auch für Bayern und die CSU. ({2}) Wir haben im Übrigen - das wurde schon erwähnt auch die Endlagerfrage noch nicht gelöst. Daher verbietet es sich, darüber nachzudenken, die Atomkraft weiter zu nutzen und so weiteren Atommüll anzuhäufen, ganz abgesehen - darauf habe ich eben schon versucht hinzuweisen - von den Gefahren, die von dieser Technik ausgehen, und den verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur im Fall eines Unfalls. Die Überlegungen, Herr Ramsauer, die Sie angestellt haben, befeuern vielleicht die Debatte - das merken wir hier auch -, aber sie sind das falsche Signal. Ich empfinde es so, dass sie Misstrauen säen, und das ausgerechnet in einer Phase, in der die Endlagersuchkommission ihre Arbeit beginnen soll und wir besonderes Vertrauen schaffen müssen, Vertrauen in die Verlässlichkeit von politischen Beschlüssen, Vertrauen in die handelnden Personen. Stattdessen wird hier ohne Not Vertrauen verspielt. ({3}) Schade auch, Herr Ramsauer, dass Sie heute nicht die Gelegenheit nutzen konnten, an der Sitzung des Um1722 weltausschusses teilzunehmen. Wir hatten eine öffentliche Anhörung. ({4}) - Es tut mir leid, aber ich vermute, Ihr Büro wusste, dass diese Sitzung stattfindet. ({5}) Aber ich glaube, dass die Sitzung aufgezeichnet wurde. Sie können es sich also noch nachträglich anschauen. Es wäre sicherlich sehr informativ gewesen, dort zuzuhören. Wir haben uns über Tschernobyl und Fukushima informiert. Wir haben vom ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten gehört, dass die hochentwickelte und technisierte Nation Japan die Probleme in Fukushima selbst drei Jahre nach dem Unfall nicht in den Griff bekommt. Herr Professor Kusnezow aus Russland hat uns die Probleme und die Situation in Tschernobyl und Russland geschildert und gesagt, er verneige sich vor uns - das fand ich sehr beeindruckend -, weil wir den Atomausstieg besiegelt haben, und Deutschland sei in diesem Prozess eine Lokomotive. ({6}) Ich bin froh, dass wir, die SPD, ein Teil dieser Regierung und damit ein Garant dafür sind, dass wir nicht wieder den Ausstieg aus dem Ausstieg proben. Ich bin froh, dass wir mit Sigmar Gabriel einen Minister haben, der die Energiewende mit Hochdruck vorantreibt. Ich bin mir ganz sicher, dass unsere Kanzlerin aus ehrlicher und tiefer Überzeugung hinter der Energiewende und dem Atomausstieg steht ({7}) und nicht erneut versucht, eine Volte zu schlagen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Ihre Glaubwürdigkeit in dieser Frage nicht verlieren wollen und natürlich genauso wie wir zum Atomausstieg stehen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehrfach in der heutigen Debatte gesagt worden: Der Ausstieg ist beschlossen. Für mich als Sozialdemokratin und als Abgeordnete aus dem Wahlkreis, in dem Gorleben liegt, ist unumstößlich, dass wir nie wieder zur Atomkraft zurückkehren und dass diese Koalition für den endgültigen Ausstieg steht. Ich möchte appellieren, dass wir unsere Energie ab heute noch viel stärker darauf verwenden, für das Gelingen der Energiewende zu arbeiten, weil das ein Beitrag dazu ist, eine bezahlbare, sichere und ökologisch vernünftige Energieversorgung in der Zukunft zu haben. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Lotze, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen natürlich viel Erfolg für Ihre Arbeit. Wenn ich noch einen persönlichen Wunsch, auch im Namen meiner Präsidiumskollegen, anschließen darf: Achten Sie bitte beim nächsten Mal durchaus auch auf die Zeichen für die Redezeit. ({0}) - Genau; es ist mir schon klar, dass das beim ersten Mal so ist, aber ich bitte, in Zukunft darauf zu achten. ({1}) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Christian Haase das Wort. ({2})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin, ich werde es wahrscheinlich nicht schaffen, die Zeit jetzt wieder hereinzuholen, aber ich will mich bemühen. Die Energiewende in Deutschland kann nur Erfolg haben, wenn das Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit eingehalten wird. Was bezahlbar ist, dafür haben die knapp 41 Millionen Privathaushalte in Deutschland ein sehr sicheres Gespür, und darauf sollte die Politik hören. Wenn Sie, liebe Oppositionskollegen von den Grünen - ich sehe, Sie sind noch zu neunt; so wichtig scheint die Debatte für Sie heute nicht zu sein -, ({0}) einmal ein Ohr für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land hätten, dann wüssten Sie, dass es bei der Energiewende vor allem auf die Akzeptanz in der Bevölkerung ankommt. Genau hierauf hat der Kollege Ramsauer hingewiesen. Er hat auf die Risiken hingewiesen, die das Zieldreieck gefährden könnten. Die Gefahren sind real, und es wäre töricht, sie aus ideologischen Gründen nicht zu bedenken. ({1}) Wir haben im Augenblick in der Bevölkerung eine Zustimmung von 89 Prozent zur Energiewende. Doch diese Stimmung kann auch kippen, wenn der Strom zum Luxusgut wird, wenn Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagern oder wenn Stromausfälle das private und öffentliche Leben beeinträchtigen. ({2}) Nach einer Umfrage des BDEW haben 70 Prozent der Bevölkerung Angst vor steigenden Strompreisen. Ich war vor meinem Wechsel in den Bundestag Bürgermeister in Beverungen, einer ostwestfälischen Kleinstadt im Kreis Höxter. Von meinem Wohnhaus blicke ich auf das sich im Rückbau befindende Kernkraftwerk in Würgassen. Ich habe daher schon aus privaten und beruflichen Gründen eine sehr intensive Beziehung zum Thema Energie. Sehr geehrte Frau Bulling-Schröter, ich kenne den Unterschied zwischen Störfällen und meldepflichtigen Ereignissen. Vielleicht sollten Sie noch einmal recherchieren. Das waren meldepflichtige Ereignisse, die Sie eben angeführt hatten. ({3}) Nach dem Abschalten des Kernkraftwerkes 1996 haben wir sukzessive den Ausbau regenerativer Energien bei uns vorangetrieben, dezentral, mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit aktiven Stadtwerken und auch immer mit dem Blick auf die regionale Wertschöpfung. Mittlerweile werden 60 Prozent des verbrauchten Stroms bei uns im Kreis Höxter regenerativ erzeugt: 200 Windkraftanlagen, 5 000 Photovoltaikanlagen, 40 Biogasanlagen, 40 Wasserkraftanlagen. Zurzeit wird ein Wasserspeicherkraftwerk in meiner Heimatstadt geplant. Und das alles mit breiter Zustimmung der Bevölkerung. ({4}) Warum? Weil wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und nach den Prinzipien von Maß und Mitte agieren. Doch ich spüre: Auch bei uns ist die gute Stimmung keine Dauergarantie. Die rot-grüne Landesregierung will uns mit dem Landesentwicklungsplan eine Verdoppelung der Windkraft verordnen. Es gibt keinen Schutz vor der bedrängenden Wirkung von Windkraftanlagen, weil die Landesregierung schon angekündigt hat, die Länderöffnungsklausel nicht zu nutzen. Im Nachbarkreis sorgen von einer Goldgräberstimmung getriebene Windkraftinvestoren für Wildwuchs, weil Gerichte kommunale Planungen reihenweise kippen. Jetzt stellt die Firma TenneT ihre Planungen für die Nord-Süd-Gleichstromtrasse SuedLink vor und macht alle Anfängerfehler hinsichtlich einer guten Kommunikation. Die Bürger gehen auf die Barrikaden und stemmen sich mit aller Macht gegen den Bau dieser Trasse. Ich möchte Ihnen mit dieser Schilderung verdeutlichen: Es gibt keine Garantie, dass wir alle für die Versorgungssicherheit notwendigen Leitungen rechtzeitig errichten können. Die Planer des Stuttgarter Bahnhofs lassen grüßen. Es gibt keine Garantie, dass der Ausbau regenerativer Energien so positiv vorangeht. Es gibt keine Garantie, dass wir das Speicherproblem rechtzeitig lösen, und es gibt keine Garantie, dass wir Markt und Kosten in einer Balance halten. Deshalb ist eine Energiepolitik mit Maß und Mitte, wie wir sie im Koalitionsvertrag verankert haben und jetzt auch umsetzen, gefragt. Ideologische Debatten oder das Spiel mit Ängsten, wie mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde, sind da kontraproduktiv. ({5}) Meine Damen und Herren, machen Sie mit, anstatt mit Nebelkerzen zu werfen! Abschließend, an den Kollegen Zdebel gerichtet: Karfreitag muss das Motto nicht Demo, sondern Demut sein. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Haase, auch für Sie war das heute die erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich möchte Ihnen ausdrücklich dazu gratulieren, dass Sie die Redezeit nicht nur eingehalten, sondern sogar unterschritten haben. ({1}) Das Wort hat der Kollege Klaus Mindrup für die SPD-Fraktion. ({2})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach erwähnt worden: Heute Vormittag hat im Umweltausschuss die Anhörung zu den Folgen der Atomkatastrophe in Tschernobyl und in Fukushima stattgefunden. Was da gesagt wurde, hat mich persönlich wirklich sehr tief erschüttert. Frau Lotze hat eben schon auf das, was dort gesagt worden ist, hingewiesen. Ich kann jedem hier wirklich nur empfehlen: Schauen Sie sich die Aufzeichnungen an, oder lesen Sie das Protokoll! Das, was dort steht, ist etwas, worüber wir nachdenken müssen. Vor allen Dingen müssen wir uns mit den weiteren Gefahren beschäftigen, die uns dort vor Augen geführt worden sind. Ich denke vor allen Dingen an die Gefahren von Atomkraftwerken, die bereits ein sehr kritisches Lebensalter erreicht haben. Meine Damen und Herren, auch wir in Deutschland sollten nicht so arrogant sein, zu meinen, dass wir diese Technik beherrschen können. Insofern begrüße ich es, dass wir hier den Atomausstieg mit einem breiten Konsens beschlossen haben. Das Positive der Anhörung heute war: Uns wurde sowohl von japanischer als auch von russischer Seite gesagt, dass wir, Deutschland, das weltweite Vorbild für den Wandel hin zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz sind. ({0}) Das müssen wir vorantreiben. Natürlich müssen wir auch über Kosten reden. Das ist schon angesprochen worden; Kollege Miersch hat es ge1724 sagt. Wenn man einen Vergleich zu atomaren und fossilen Großkraftwerken zieht, muss man sich natürlich ehrlich machen. Sich ehrlich machen bedeutet: Die externen Kosten sind bei den bisher existierenden Kraftwerken nicht berücksichtigt worden; das Thema Versicherung ist in diesem Zusammenhang schon angesprochen worden. Die zukünftigen Kosten werden nicht berücksichtigt. Die Subventionen in der Vergangenheit werden nicht berücksichtigt. Selten wird berücksichtigt, dass wir eine Konkurrenz zwischen abgeschriebenen bzw. abbezahlten Kraftwerken und neuen Kraftwerken, die sich noch refinanzieren müssen - das betrifft übrigens auch effiziente Gaskraftwerke -, haben. Man darf natürlich nicht nur auf den Strombereich schauen, sondern muss sich auch den Wärmemarkt und den Transportsektor ansehen. Diesbezüglich wird viel zu wenig über die Kosten geredet. Sie sind nämlich stärker als im Strombereich gestiegen. Ich komme zurück zum Stromsektor. Wir alle gemeinsam wissen - so besagt es auch der Koalitionsvertrag -, dass der Ausbau der Windkraft im Binnenland und der Netzausbau zusammen die Energiewende erst bezahlbar machen. Insofern wundert es mich, dass gerade aus Bayern, aus der CSU, die beiden wesentlichen Aspekte, nämlich Windkraft im Binnenland und Netzausbau, infrage gestellt werden. ({1}) Das ist unter den Gesichtspunkten von Kostengünstigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht nachvollziehbar. ({2}) Der Kollege Haase hat es bereits betont: Es geht auch um Wertschöpfung - das ist mir persönlich sehr wichtig -; es geht auch um die industrielle Substanz unseres Landes. Außerdem geht es darum, dass wir ein intelligentes System haben wollen. Die neue Energiewelt wird eine dezentrale Energiewelt sein. Ich weiß das persönlich: Unsere Genossenschaft hat hier in Berlin ein Blockheizkraftwerk im Keller und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Übrigens stammt unser Blockheizkraftwerk aus Bayern - die Hersteller sind durch die Diskussion gerade etwas verunsichert -; vielleicht kann man auch sagen: Es kommt aus Franken. Dann wissen Sie, woher es kommt. Ein Aspekt spielt für mich in der Debatte eine noch zu geringe Rolle, nämlich dass wir das Internet und die Energiewende stärker miteinander kombinieren müssen - weg sozusagen von den unintelligenten Großkraftwerken. Die moderne Mess-, Steuer- und Regelungstechnik macht es uns nämlich möglich, die Strom- und Wärmeerzeugung stärker miteinander zu kombinieren. Wenn wir heute hören: „Speicher sind sehr teuer“, muss ich sagen: Das gilt nicht für Wärmespeicher, das gilt nicht für die großen Fernwärmenetze, und das gilt auch nicht für die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung. Zum Beispiel die Anlage bei uns im Keller könnte man über eine intelligente Steuerung durchaus auch stromgeführt fahren. Man muss nur Anreize schaffen, anstatt im Grunde genommen die Wende hin zu dezentralen Systemen zu verdammen. Wichtig sind noch die volkswirtschaftlichen Aspekte. Wir alle altern. Wenn ich in 20 Jahren - hoffentlich - im wohlverdienten Ruhestand bin, dann ist ein Großteil der Investitionen in die Energiewende abbezahlt; wir haben dann abgeschriebene Kraftwerke, und dann wird dieses Land sehr gut von der Wende zu den erneuerbaren Energien leben können. Deswegen ist der Weg, den wir gemeinsam eingeschlagen haben, richtig und zukunftsweisend. ({3}) Ich komme nun zurück zu dem Thema Atomenergie. Wir haben Sinne, die uns bei der Atomenergie, aber auch beim Klimawandel im Stich lassen. Wir können hören, sehen, schmecken, riechen und tasten. Diese Sinne versagen bei der Radioaktivität, und sie versagen beim Klimawandel. Deswegen sind wir da auch nicht so sehr alarmiert. Wenn wir einen Sinn für radioaktive Strahlen und für den Klimawandel hätten, dann sähe die Gesellschaft anders aus. Aber wir haben ja einen Kopf zum Denken bekommen. Wir sollten uns darüber klar sein, dass ein Windrad auf dem Berg vielleicht die Landschaft verändert, aber gleichzeitig unsere Wirtschaft und unsere natürlichen Lebensgrundlagen sichert. Natürlich muss man Windräder vernünftig planen, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das Windrad auf dem Berg aber ist Zukunft; es ist nicht Vergangenheit. ({4}) Wir brauchen also die Atomkraft nicht. Daher möchte ich ganz besonders mit Blick auf die Anhänger der Atomindustrie - glücklicherweise werden es immer weniger - mit einem alten Indianersprichwort schließen: Spätestens wenn du merkst, dass das Pferd tot ist, das du reitest, solltest du absteigen. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mindrup, auch Sie haben heute Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Ich wünsche Ihnen als Berliner Kollegen alles Gute für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Andreas Jung das Wort. ({1})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lotze, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Auf eines will ich aber doch eingehen. Weil Sie Ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass der Kollege Dr. Ramsauer heute früh nicht an der Anhörung im Umweltausschuss teilgenommen hat, will ich einfach darauf hinweisen, dass er, wie wir alle wissen, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses ist; das ist ja auch der Aufhänger für diese Debatte. Wir wissen ferner, dass der Wirtschaftsausschuss heute früh getagt hat. Wir alle ahnen, dass man einer Leitungsaufgabe dort nur nachkommen kann, wenn man tatsächlich da ist. ({0}) Ich kann Ihnen versichern: Trotz seines langjährigen Wirkens in der Christlich-Sozialen Union ist dem Kollegen Ramsauer die Gnade der Bilokalität noch nicht erwiesen worden. ({1}) Deshalb konnte er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Ich denke, wir können ihn als entschuldigt betrachten. ({2}) Damit zur Sache. Es bestehen offenkundig Meinungsunterschiede darüber, ob die heutige Debatte notwendig ist oder nicht. Die Frage, die gestellt wird, ist jedenfalls schnell beantwortet. Sie richtet sich auf die Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Antwort ist leicht zu finden. Im Koalitionsvertrag ({3}) auf Seite 43 links oben - dass es oben steht, ist gut; dass es links steht, ist Zufall; auch dieser Passus wird von allen Teilen der Koalition mitgetragen ({4}) steht in nicht zu übertreffender Eindeutigkeit: Es bleibt beim Ausstieg aus der Kernenergie. - Es steht dort ferner: Das letzte Kernkraftwerk geht in Deutschland im Jahr 2022 vom Netz. - Und: Wir werden in Europa für diese Energiewende werben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist beschlossen, das ist gut und richtig so, und das bleibt so. ({5}) Ich will hinzufügen, dass es eine Entscheidung ist, die ja nach reiflicher Diskussion, nach langjähriger Debatte und am Ende auch nach einer sorgfältigen Abwägung, was die Umstände und den Zeitpunkt angeht, getroffen wurde. Auf Ratschlag der Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung hat der Bundestag das mit der großen Mehrheit von vier Fraktionen, nämlich denen von Union, SPD, Grünen und FDP, beschlossen, auch breit abgestützt in den Ländern und in der Gesellschaft. In dieser Kommission - ich finde es richtig, dass man daran immer wieder erinnert - waren natürlich Vertreter der Kirchen, es waren auch Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Gewerkschaften dabei, und damit solche, die sich mit der ethischen Frage beschäftigt haben, aber auch solche, die sich mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen beschäftigt haben. All diese haben am Ende gesagt: Es gibt eine ethische Begründung für diesen Ausstieg. Wir haben Technologien, wir haben Formen der Energieerzeugung, die die Risiken, die die Kernenergie durch den Umgang mit bzw. die Verwendung und später die Endlagerung von radioaktivem Material hat, nicht mit sich bringen. Deshalb ist es richtig und notwendig, auszusteigen. Sie haben aber gleichzeitig auch in dieser Breite, also Vertreter von Kirchen, von Gewerkschaften, gesagt - das sage ich an die Adresse der Vertreter der Linken, die teilweise einen sofortigen Ausstieg gefordert haben -: Es ist nicht möglich, das von heute auf morgen zu machen. Wir wollen es schneller machen, als es vereinbart war; wir wollen es sogar erheblich schneller machen. Aber wir brauchen für dieses große Projekt ein Jahrzehnt. Diese Zeit müssen wir uns nehmen, um tatsächlich den Umbau hin zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Wenn wir es nämlich sofort machen würden - auch das haben sie gesagt -, dann würde es zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommen. Ich denke, auch das sollten Sie bedenken, wenn Sie fordern, man solle sofort aussteigen. Damit würden wir, wie ich glaube, unserer Gesamtverantwortung für Ökologie, Soziales und Wirtschaft nicht gerecht werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass das in einem so breiten Konsens möglich war, schafft doch jetzt die Chance, gemeinsam, statt die Debatten von gestern zu führen - dieses Kapitel ist abgeschlossen -, nach vorne zu schauen. Die Frage ist nicht mehr: Kernenergie oder Erneuerbare? Die Frage ist vielmehr: Wie schaffen wir es, erneuerbare Energien so effizient zu fördern, dass die Kosten möglichst gebremst werden? Wie schaffen wir es, dass wir wirtschaftlich davon Vorteile haben und es nicht dazu kommt, dass daraus ein Standortnachteil oder gar eine soziale Frage wegen steigender Preise wird? Ich glaube, das ist eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam annehmen sollten, immer mit dem Ziel vor Augen: Wir wollen eine vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien erreichen. Wir wollen dabei so schnell wie möglich vorankommen. Und wir wollen dies so tun, dass der Klimaschutz weiterhin Priorität genießt. All das zusammen - Erneuerbare fördern, aus der Kernenergie aussteigen, aber unter Berücksichtigung unserer Klimaziele nicht den Weg zur Kohle einschlagen sind die Herausforderungen, um die es jetzt geht. ({6}) Darüber sollten wir diskutieren. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber sprechen wir eigentlich heute? Letztlich über ein Interview von Peter Ramsauer, in dem er auf Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland hinweist. Ich meine, das steht dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses durchaus zu. ({0}) Neuerdings scheint dies allerdings so außergewöhnlich zu sein, dass die Grünen dazu eine Aktuelle Stunde beantragen. Was hat Peter Ramsauer eigentlich gesagt? Er hat gesagt: „Die Energiewende zum Nulltarif ist eine Illusion.“ Und weiter - das ist wohl auch mit der Stein des Anstoßes -: „Wer die Preise wieder senken will, muss zurück zur Atomkraft.“ Peter Ramsauer hat nie gesagt, dass er die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern will. ({1}) Schon die in Ihrem Antrag für diese Aktuelle Stunde enthaltene Formulierung, „Äußerungen von Peter Ramsauer, die Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland zu verlängern“, entspringt also rein Ihrer blühenden Fantasie. ({2}) Peter Ramsauer drückt mit seiner Formulierung gerade aus, worum es im Kern bei der EEG-Novellierung geht, nämlich um eine Begrenzung des Anstiegs der Stromkosten. ({3}) Hätte Peter Ramsauer das mit bayerischem Idiom vor Ihnen gesagt, hätte ich verstehen können, dass es nicht alle aus Ihrer Fraktion verstehen, obwohl der bayerische Dialekt Herrn Hofreiter geläufig sein sollte. Aber er ist heute nicht anwesend. ({4}) So muss man Ihnen ein bewusstes Falsch-verstehenWollen unterstellen. ({5}) Trotzdem freut sich Peter Ramsauer über die immense Aufmerksamkeit und das politische Blitzcomeback, dass er so schnell wieder in das Zentrum der politischen Debatte gerückt ist, wobei die unfreiwillige Werbung für den Spiegel sicher nicht in seinem Sinne war. ({6}) Bei der anstehenden Reform des EEG geht es darum, dass die Kostendynamik bei den erneuerbaren Energien nicht aus dem Ruder läuft, sondern gebremst wird. Es geht auch darum, den Industriestandort Deutschland und damit Tausende von Arbeitsplätzen nicht zu gefährden. Und es geht darum, eine schleichende Abwanderung von Industriearbeitsplätzen zu verhindern. Der Weg zum Ausstieg aus der Atomkraft ist vorgezeichnet. Die Termine für die Abschaltung der Kernkraftwerke, wie zum Beispiel Grafenrheinfeld - Ende 2015 - und Gundremmingen B - Ende 2017 -, stehen fest. Wir halten am Atomausstieg fest. Die Messe ist gelesen. Spätestens 2022 wird das letzte Kernkraftwerk in Deutschland abgeschaltet. Ja, die Energiewende bietet immer noch Chancen, gerade für die regionale Wertschöpfung. Bereits heute stammt rund ein Viertel des produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien. Der im Koalitionsvertrag festgelegte Ausbaukorridor steht mit 40 bis 45 Prozent Erneuerbaren bis 2025 und 55 bis 60 Prozent bis 2035 fest. Mit dieser Zielsetzung unterscheiden wir uns grundlegend von dem, was die Grünen in ihrer Regierungszeit getan haben. Sie haben zwar den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, jedoch keinen Weg aufgezeigt, wie die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. ({7}) Sie haben sich überhaupt nicht um die Preisentwicklung, den Netzausbau, den Speicherausbau und die Sicherheit der Versorgung gekümmert. ({8}) Sie haben vielmehr einseitig einen unkoordinierten und ungebremsten Ausbau der erneuerbaren Energien betrieben. Das müssen und werden wir jetzt reparieren. ({9}) Es geht darum, den Ausgleich der wegfallenden Kernkraftkapazitäten sicherzustellen. Die Grundlastfähigkeit muss nun einmal gewährleistet werden. Auf diese Herausforderungen hat Peter Ramsauer hingewiesen. Auch seine Aussage, dass man den Menschen keine sinkenden Strompreise versprechen sollte, ist nur ehrlich. Wir sind es und nicht Sie, die den Ausbau der erneuerbaren Energien wirtschaftlich vernünftig vorantreiben. Wir sind es und nicht Sie, die mehr Markt bei der Energiewende umsetzen. Und wir sind es, die den Industriestandort Deutschland erhalten werden. ({10}) Wir kämpfen für den Erhalt der besonderen Ausgleichsregelung. Die Befreiung von energieintensiven Unternehmen von der EEG-Umlage ist wirtschaftspolitisch geboten. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: Wenn die Ausnahmen für die Industrie wegfallen, würde ein privater Haushalt dadurch circa 55 Euro pro Jahr weniger Stromkosten bezahlen. Wegen der zu erwartenden Wohlstandsverluste würde das real verfügbare Einkommen jedoch jährlich um circa 500 Euro sinken. Das, was wir verteilen, müssen wir erst erwirtschaften. Auch hier hat Peter Ramsauer recht. ({11}) Vor Ort erlebt man, dass es eine hohe Zustimmung zur Energiewende gibt. Über 80 Prozent der Menschen halten die Energiewende für richtig. Nur ein umsichtiger, ehrlicher und realistischer Blick auf die Probleme, die mit der Energiewende verbunden sind, gewährleistet langfristig deren Akzeptanz. Ich danke Peter Ramsauer noch einmal für seinen Beitrag zur Debatte. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das war der letzte Beitrag in dieser Aktuellen Stunde. Sie ist damit beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. März 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Tag.