Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/17/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Einen wunderschönen friedvollen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet . Bitte nehmen Sie Platz . Ich rufe zu Beginn den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksache 18/11161 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist das somit beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn das Wort dem Bundesminister Heiko Maas . - Bitte sehr, Herr Minister . ({1})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Mit dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz ist der Terror endgültig in unsere Mitte gekommen . Wir sind fest entschlossen, alles dafür zu tun, dass sich ein solcher Fall Amri nicht wiederholen kann . Ein wehrhafter Rechtsstaat ist die beste Antwort auf den Hass der Terroristen . Deshalb habe ich mit meinem Kollegen de Maizière vor einigen Wochen einen Zehn-Punkte-Plan erstellt, wie wir unser Recht und dessen Durchsetzung noch weiter verbessern können . Wir wollen diesen Plan rasch und konsequent umsetzen . Dazu gehört auch der Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute Morgen vorlegen . Wir wollen extremistische Straftäter, die nach einer Freiheitsstrafe weiterhin als gefährlich gelten, in Zukunft besser überwachen . Dazu schlagen wir drei Änderungen vor: ({0}) Erstens . Wir weiten den Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung per Fußfessel aus . Wir wollen das tun, indem wir den Katalog der terroristischen Straftaten, bei denen dieses Instrument in Betracht kommt, ergänzen . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Bundesminister, Sie haben das Wort . Fahren Sie fort .

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist gesagt worden, dass es um das Thema Fußfessel geht . Dieses Thema werden wir also nachher noch einmal beraten . Dann würde ich Ihnen gerne den Gesetzentwurf zum besseren Schutz von Polizei- und Vollstreckungsbeamten begründen . ({0}) - Meine Damen und Herren, das ist auch wichtig . Das ist vollkommen richtig . Deshalb haben wir uns entschlossen, an dieser Stelle eine Veränderung herbeizuführen . Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass tätliche Angriffe insbesondere gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte permanent zunehmen . Wir haben mittlerweile jedes Jahr über 60 000 Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte . Es geht nicht nur um Beleidigungen, sondern es handelt sich vielfach auch um körperliche Gewalt . Deshalb, meine sehr verehrDeutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721938 ten Damen und Herren, sind wir der Auffassung, dass diejenigen, von denen wir erwarten, dass sie für Recht und Ordnung und für Sicherheit in unserem Land sorgen, in Zukunft besser zu schützen sind . Wir sind nicht der Auffassung, dass wir dieser Entwicklung weiterhin tatenlos zusehen können . Dafür legen wir Ihnen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir beabsichtigen, nicht nur Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, sondern auch Rettungskräfte, das heißt Sanitäterinnen und Sanitäter, Feuerwehrleute, bei der Ausübung ihrer wichtigen Arbeit besser zu schützen . Wir schlagen Ihnen vor, dass wir zunächst einmal den Schutz dieser Personen bei ihrer Arbeit deutlich ausweiten . Bisher ist es lediglich möglich, etwa bei Polizeibeamten die strafrechtlichen Bestimmungen in Anwendung zu bringen, wenn sie dabei sind, eine sogenannte Vollstreckungshandlung durchzuführen, ({1}) das heißt zum Beispiel, wenn ein Polizeibeamter eine Verhaftung vornimmt . Mittlerweile ist es allerdings so, dass sich die Angriffe, die es gegen Polizeibeamte gibt, nicht nur auf diesen Bereich beschränken, sondern dass es genauso der Fall ist, wenn sie auf Streife gehen oder wenn sie in der Stadt, im Ort, im Dorf unterwegs sind . Deshalb wollen wir die Regelung ausweiten . Das heißt, wir wollen den Schutz, den wir ihnen bieten, nicht auf Vollstreckungshandlungen beschränken, sondern grundsätzlich auf ihre gesamte Dienstausübung ausweiten, weil wir der Auffassung sind, dass der bessere Schutz von Polizeibeamten, Vollstreckungsbeamten, aber auch von Feuerwehrleuten, Sanitätern und Rettungskräften ausgeweitet werden sollte . Insofern geht es hier um eine wichtige Angelegenheit, meine sehr verehrten Damen und Herren . In Zukunft muss jeder, der einen tätlichen Angriff auf einen Polizeibeamten durchführt, wissen, dass er mit einer Mindeststrafe von drei Monaten belangt werden kann . Wir sind nicht nur der Auffassung, dass das rechtsstaatlich geboten ist, sondern auch der Auffassung, dass wir das den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, den Rettungskräften, den Vollstreckungsbeamten schuldig sind; ({2}) denn sie leisten eine wichtige Arbeit, und wir wollen sie bei dieser Arbeit besser unterstützen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen aber auch fest, dass das Ausmaß der Gewalt der Angriffe ein immer höheres Niveau erreicht . Deshalb wollen wir die Regelbeispiele für die besonders schweren Fälle der Tatbegehung ebenfalls weiten . Wir wollen, dass in Zukunft das Bei-sich-Führen einer Waffe, unabhängig davon, ob sie in der Absicht bei sich getragen wird, sie einzusetzen, härter bestraft wird . Wir wollen, dass in Zukunft härter bestraft wird, wenn solche Angriffe gemeinschaftlich begangen werden . Deshalb sehen wir für diese schweren Formen der Tatbegehung in Zukunft Mindeststrafen von sechs Monaten vor . Auch das ist, glaube ich, eine angemessene Entscheidung . Denn, meine Damen und Herren, angesichts der Tatsache - das ist beim Besuch von Dienststellen der Polizei deutlich geworden -, dass diese Angriffe mittlerweile teilweise so hart sind, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte monatelang nicht mehr ihren Dienst ausüben können und lange Rehabilitationsmaßnahmen brauchen, muss sich aus dem Strafgesetz ergeben, finde ich, dass diese besonders schwere Form der Tatbegehung auch besonders hart bestraft wird . Deshalb wird es dafür in Zukunft eine Mindeststrafe von sechs Monaten geben, meine Damen und Herren . Auch das ist wichtig und richtig . ({3}) Meine Damen und Herren, wir wissen, dass das Strafgesetzbuch, die Art und Weise, wie der Staat Vollstreckungsbeamte schützt, natürlich nur eine Seite der Medaille ist . Genauso wichtig ist es, dass die Polizei hinsichtlich Personal, Organisation und Ausrüstung so ausgestattet ist, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sich selber besser schützen können . Deshalb ist die Entscheidung vieler Bundesländer, die Einsparquoten im Polizeibereich deutlich zurückzuführen, wichtig und richtig; sie nimmt die Realität, die wir mittlerweile haben, in den Blick . Ich glaube, dass wir mit den Strafrechtsverschärfungen auf der einen Seite und der besseren personellen und organisatorischen Ausstattung der Polizei auf der anderen Seite insgesamt ein Paket haben, das dazu führen wird, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, Vollstreckungsbeamte ebenso, besser bei ihrer Arbeit geschützt werden und damit der Schutz, den sie vom Staat erwarten können, geleistet wird . ({4}) Meine Damen und Herren, das hat auch etwas mit Respekt gegenüber dem Staat sowie den Behörden und den Beamten, die die Rechtsordnung des Staates durchsetzen, zu tun . Insofern bin ich froh, dass wir an der Stelle eine Regelung treffen werden, die dazu führen wird, dass das, was an Gewalt und an tätlichen Angriffen bedauerlicherweise in unserer Gesellschaft Realität geworden ist, vom Rechtsstaat in einer Art und Weise geahndet werden kann, wie wir das als angemessen und notwendig empfinden. Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf . Herzlichen Dank . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Danke schön, Herr Bundesminister . - Nächster Redner ist der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke . ({0})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Gewalt ist grundsätzlich abzulehnen, wenn sie nicht zum eigenen Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21939 Schutz oder zum Schutz Dritter dringend erforderlich ist . Selbstverständlich gilt das insbesondere dann, wenn sie gegen Menschen gerichtet ist, deren Aufgabe es ist, anderen Menschen zu helfen . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe diese Rede für meine Fraktion gerade deshalb übernommen, weil ich viele Jahre selbst als Polizeibeamter unterwegs war - ich bin Streife gelaufen -, weil ich mit vielen Polizeibeamten bis heute in vielfältigem Dialog bin und weil ich als Berichterstatter meiner Fraktion für den Bereich Katastrophenschutz mit vielen Helfern von THW, Feuerwehr und Rettungsdiensten regelmäßige Kontakte pflege. Mit diesem Blickwinkel sage ich ganz klar: Eine zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungsdienste ist nicht hinnehmbar . Wir sind gemeinsam dazu aufgerufen, dem wirksam entgegenzutreten . ({1}) Eines ist aber auch klar: Zunehmende Gewalt ist kein Phänomen, das nur Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst betrifft . Betroffen sind auch Zugbegleiter, Lehrer, Verkäuferinnen und viele andere . Es ist richtig, dass die Politik für Polizeibeamte und Rettungsdienste im Dienst des Staates eine besondere Verantwortung hat . Das ist der Punkt, bei dem wir uns hier im Plenum alle einig sein dürften . Das Kriterium, ob die Linke dem Entwurf der Regierungskoalition zustimmen kann, ist also nicht, ob ein besonderer Schutz für Polizeibeamte und andere notwendig ist, sondern ob neue Strafrechtsvorschriften diesen Schutz zumindest ansatzweise gewährleisten können . ({2}) Und genau daran, meine Damen und Herren, hat die Linke erhebliche Zweifel . ({3}) - „Nicht nur die Linke“, das höre ich gerne . Es gibt bereits einen Sonderparagrafen: § 113 Strafgesetzbuch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte . Dieser wurde ursprünglich mit Blick auf die besondere Situation des Bürgers bei der Vollstreckungshandlung geschaffen . Schutzgut ist übrigens nicht das Individualrecht des Beamten, sondern die Vollstreckungsgewalt des Staates . ({4}) Das nur mal so zur Erinnerung . Es geht also zum Beispiel um aktive Gegenwehr bei einer Festnahme oder aktiven Widerstand gegen die Beschlagnahmung eines Gegenstandes . Mit den von Ihnen vorgeschlagenen §§ 114 und 115 StGB sollen nun zahlreiche weitere Handlungen unabhängig von Vollstreckungshandlungen in das Sonderstrafrecht übernommen werden, also Angriffe auf Polizeibeamte, die zum Beispiel einer allgemeinen Streifentätigkeit nachgehen . Gibt es eine Rechtslücke, die das erforderlich macht? Gibt es verwerfliche Handlungen, die bisher nicht unter Strafe gestellt werden können? Gibt es gar Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungsdienstler, die nicht geahndet werden kann? Gehen wir es durch: Werden Einsatzkräfte beleidigt, bespuckt, bepöbelt, kann das wegen Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch geahndet werden . Auch einfache Ohrfeigen und Schubser können als tätliche Beleidigung zur Anzeige gebracht werden . Angriffe mit tätlicher Gewalt können nach § 223 StGB - Körperverletzung -, § 224 StGB - Gefährliche Körperverletzung - und § 226 StGB - Schwere Körperverletzung - geahndet werden . Wenn, wie in dem von Ihnen vorgeschlagenen § 115 StGB beschrieben, Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt an ihrer Tätigkeit gehindert werden, entspricht das einer Handlung gemäß § 240 Strafgesetzbuch, der Nötigung . ({5}) Meine Damen und Herren, es gibt keine einzige mögliche Handlung, die Sie unter Strafe stellen wollen, die nicht bereits jetzt strafbar ist . ({6}) - Ich komme auf die Signale noch zu sprechen . - Glauben Sie im Ernst, dass jemand, der Polizeibeamte attackiert, der Feuerwehrleute am Löschen hindert, der Rettungsdienste nicht durchlässt, auch nur einen Augenblick überlegt, nach welchem Paragrafen er jetzt belangt werden kann? Das ist Tätern egal . ({7}) Täter denken nicht darüber nach, welches Strafmaß sie jetzt ereilt . ({8}) Das kann ich aus vielen Beschuldigtenvernehmungen durchaus sagen . Wissenschaftliche, kriminologische Erkenntnisse und die Rechtspraxis zeigen immer wieder, dass Strafverschärfung keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Straftaten hat . Das ist jetzt wirklich nichts Neues . ({9}) - Melden Sie sich doch einfach mal! So viel Erziehung muss doch sein . - Wenn Sie glauben, dass gewaltsame Übergriffe durch ein härteres Strafmaß verhindert werden können, dann ist das eine Illusion . ({10}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721940 Die Justiz hat übrigens die Möglichkeit, die besondere Verwerflichkeit einer Handlung gegen Polizeibeamte oder Feuerwehrleute beim Strafmaß zu berücksichtigen . ({11}) Deswegen haben wir einen Spielraum beim Strafmaß . Das könnte die Justiz ohne zusätzlichen Paragrafen berücksichtigen . Auch hier brauchen wir kein neues Gesetz . ({12}) Jeder hier im Saal weiß genau, meine Damen und Herren, dass die von Ihnen beabsichtigten neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch keine einzige Straftat gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte verhindern wird - nicht eine einzige . Was Sie vorhaben - jetzt komme ich auf den netten Kollegen zu sprechen, der sich nicht traut, sich dazu zu melden -, ({13}) ist, ein Zeichen zu setzen, ein Signal zu setzen . ({14}) - Ja, ich beachte hier jeden . - Das halte ich grundsätzlich für richtig . Auch Zeichen können wichtig sein . Es macht sogar Sinn, den Blick der Öffentlichkeit auf diese üble Entwicklung zu richten und den Dialog mit der Gesellschaft zu suchen . Das halte ich, wie gesagt, für richtig . Aber das Strafrecht ist doch nicht das richtige Mittel dazu . ({15}) Es gibt politische Möglichkeiten, Signale zu setzen . Gesetze - das gilt auch für das Strafgesetzbuch - sind keine Signalgeber der Politik, sondern sie sind das Rüstzeug und die Arbeitsgrundlage für die Justiz . Also überlassen Sie das denen . Gibt es Ihnen gar nicht zu denken, dass gerade juristische Organisationen Ihren Gesetzentwurf so deutlich kritisieren? Dass Sie den Linken nicht glauben, sind wir ja gewohnt . Der Deutsche Anwaltverein hat im Januar eine Stellungnahme abgegeben, in der Ihr Vorhaben sehr deutlich kritisiert wird und in der er darlegt, warum die Änderungen dieses Strafgesetzes falsch und unnötig sind . ({16}) - Wieder einer, der sich nicht traut, sich zu melden . - Der Deutsche Richterbund hat eine Stellungnahme abgegeben, in der er den Gesetzentwurf ebenfalls deutlich kritisiert . Auch das scheint Sie nicht zu interessieren . Sie möchten ja Signale setzen . Auch von der Neuen Richtervereinigung haben Sie eine sehr kritische Bewertung bekommen . Meine Damen und Herren, Sie bekommen aus den Reihen der Justiz ganz klare Argumente gegen Ihren Gesetzentwurf . ({17}) Ich verstehe ja durchaus, dass insbesondere Polizeigewerkschaften gesonderte Strafrechtsnormen begrüßen; auch das registrieren wir . Aber auch sie verstehen das mehr oder weniger als politisches Signal . Sie fordern durchaus zu Recht, dass etwas gegen die Zunahme der Übergriffe unternommen wird, selbst wenn es nur ein Signal ist . Wenn den Polizeigewerkschaften die Alternative geboten würde, statt politische Signale zu setzen, über andere wirksame Maßnahmen zu reden, kämen wir wahrscheinlich weiter . ({18}) Es ist ein Unterschied, ob bei einem Polizeieinsatz zwei, vier oder sechs Beamte auftauchen, um einer kritischen Lage Herr zu werden . Es ist eine Ressourcenfrage, ob ausreichend Polizeibeamte vor Ort sind, um die Arbeit von Rettungskräften abzusichern . Der Stellenabbau bei der Polizei in Bund und Ländern hat für die Eigensicherung der Beamten im Einsatz erhebliche Risiken mit sich gebracht . Darüber muss man reden . Darüber wird auch die Linke mit Ihnen reden, wenn Sie tatsächlich über die Sicherheit von Einsatzkräften reden wollen . Auch bei der persönlichen Ausrüstung kann noch sehr viel für die Sicherheit der Polizeibeamten getan werden . Vieles ist veraltet, zu schwer und wenig praktikabel . Wir haben beim Thema Bodykamera signalisiert: Wenn es rechtlich sauber ausgestaltet ist, wenn Sie da die Hausaufgaben nachholen, dann sind wir bereit, über solche Mittel, die möglicherweise die Hemmschwelle für Gewalttaten gegen Polizeibeamte heben, tatsächlich zu diskutieren . Lassen Sie uns gemeinsam mit den Betroffenen und der Zivilgesellschaft aber auf die Suche nach den Ursachen einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft gehen . ({19}) Daraus werden sich dann auch die richtigen Maßnahmen ergeben . Ohne Ursachensuche führt das nicht zum Erfolg . ({20}) Fehlende Straftatbestände sind nicht die Ursache für Gewalt, und neue Straftatbestände werden diese Gewalt auch nicht minimieren . Auch falsche Lösungen geben zunächst einmal das Gefühl, etwas getan zu haben . Damit verhindern Sie aber gleichzeitig, dass wir das Richtige tun . Auch das kann nicht im Interesse von Polizeibeamten, Feuerwehrleuten usw . sein . Danke schön . ({21})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Stephan Harbarth . ({0})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In jeder Gesellschaft ist Polizei unverzichtbar . Keine Gesellschaft kann organisiert werden, keine Gesellschaft kann ihre Ordnung wahren ohne die Existenz von Polizei und ohne die Ermöglichung ordnungsgemäßer Abläufe bei der Polizei . Dies gilt in allgemeinen Zeiten, und dies gilt in Zeiten wie diesen, in denen die Sicherheitslage angegriffen ist, in ganz besonderer Weise . Wir alle stehen in der Verpflichtung, Polizistinnen und Polizisten zu schützen, weil sie tagtäglich einen für unsere Gesellschaft unverzichtbaren Dienst leisten . Worum geht es bei der Debatte? Ganz praktisch: Eine deutsche Großstadt . Nachts an einem Wochenende, kurz nach zwei Uhr, schlägt eine große Gruppe einen jungen Mann zusammen . In der darauffolgenden Fahndung fällt der Streifenwagenbesatzung eine Personengruppe auf, die sich in unmittelbarer Nähe zum Tatort aufhält . Man versucht eine Personenkontrolle . Dabei kommt es zu wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen der Polizeibeamten . Die Situation spitzt sich zu, als sich die Beamten mit der Androhung körperlicher Gewalt konfrontiert sehen . Dennoch gelingt es ihnen, zwei Personen vorläufig festzunehmen. Andere Personen der Gruppe versuchen daraufhin, die Festgenommenen aus dem Gewahrsam der Polizei zu lösen . ({0}) Unterstützung muss angefordert werden, um die Lage in den Griff zu bekommen und fünf weitere Personen kontrollieren zu können . Am Ende sind vielleicht sechs oder acht Streifenwagen am Einsatz beteiligt, um die aufgeladene Situation zu entschärfen . So oder ähnlich geschieht dies in Deutschland Tag für Tag . Meine Damen und Herren, nicht immer gehen Einsätze so, wie ich es eben beschrieben habe, einigermaßen glimpflich aus. Im Jahr 2015 sind mehr als 64 000 Polizisten Opfer von Straftaten geworden . Laut Kriminalstatistik gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 2 Prozent bei vollendeten Straftaten gegen Polizisten . Man hat manchmal den Eindruck, als hätten sich Teile des politischen Spektrums daran gewöhnt, dass dieser Anstieg von Jahr zu Jahr zu einer Art Regel- und Normalfall wird . Wir dürfen nicht mit politischer Abstumpfung auf die Verrohung des Klimas gegenüber den Beamten reagieren . In den schwierigen Zeiten, in denen wir leben, sind wir in besonderem Maße auf die Kompetenz, auf die Professionalität unserer Einsatzkräfte angewiesen . Ihr Einsatzprofil wird stetig komplexer, vielfältiger und gefährlicher . Deshalb werden wir von der Großen Koalition den Polizisten und Polizistinnen den Schutz gewähren, den sie benötigen . ({1}) Die Polizisten halten jeden Tag in unserem Land den Kopf hin . Sie kommen zu den Bürgern, sie wagen sich in gefährliche Einsätze, sie arbeiten im Schichtdienst, sie arbeiten am Wochenende, und für all das, was sie leisten, gebühren ihnen nicht Misstrauen und Geringschätzung, sondern Dank, Anerkennung und Respekt . ({2}) Meine Damen und Herren, der Angriff auf ein Individuum ist immer schlimm . Es ist ein Angriff auf die persönliche Integrität, auf Leib und auf Leben . Aber was wir im Fall von Angriffen auf Polizisten erleben, ist ein Weiteres . Es ist nicht nur der Angriff auf ein Individuum, es ist der Angriff gegen unseren Staat, und einen solchen Angriff müssen wir in aller Entschlossenheit beantworten . ({3}) Wir haben deshalb in unserer Politik auf einen Dreiklang gesetzt: mehr Personal, bessere Ausrüstung, aber auch die Verschärfung des Strafrechts . Mehr Schutz durch Personal: Die Große Koalition hat in dieser Wahlperiode mehr als 10 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei und den Sicherheitsbehörden des Bundes beschlossen . Einen solchen Aufwuchs kann man ohne Übertreibung historisch nennen . Das ist eine historische Leistung . Sie ist in ganz besonderer Weise das Verdienst unseres Innenministers Thomas de Maizière, dem ich an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich danke . ({4}) Mehr Schutz durch bessere Ausrüstung: Die Große Koalition hat die Haushaltsmittel für die Ausrüstung unserer Polizistinnen und Polizisten deutlich aufgestockt . Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesem Bereich viel hinbekommen . ({5}) - Herr Tempel, können Sie sich erinnern, dass Sie vorhin auf die Einwürfe des Kollegen Luczak gefragt haben, ob es ihm an Erziehung fehle? Vielleicht messen Sie sich einmal an Ihren eigenen Maßstäben! ({6}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721942

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Harbarth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel?

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, Ausführungen des Kollegen Tempel haben wir heute schon genug genossen, Herr Präsident . ({0}) Wir haben die Ausrüstung der Polizisten verbessert, wir werden die Bundespolizei umfassend mit Body-Cams ausrüsten, deren Einsatz die Zahl der tätlichen Angriffe nachweislich reduziert, und wir werden noch in diesem Jahr eine bundesweite Kampagne initiieren, um das gesellschaftliche Klima für uniformierte Einsatzkräfte zu verbessern .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Harbarth, der Kollege Ströbele möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen .

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Ströbele hatte heute noch nicht die Gelegenheit, hier zu sprechen . Kollege Ströbele hat gern die Chance . ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke . - Herr Kollege, Sie sagen, dass man so viel für die Polizei getan hat . Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Polizei gerade in diesen Tagen in Berlin auf die Straße gehen muss, um für eine angemessene Bezahlung zu demonstrieren? ({0}) Gestern wurde, glaube ich, in Sichtweite des Reichstages demonstriert . Können Sie diesen Widerspruch erklären? ({1})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ströbele, vielen Dank für Ihre Frage . Ich habe Ihnen eben berichtet, wie es sich bei der Bundespolizei verhält, für die wir als Bund, als Große Koalition Verantwortung tragen . Ich habe Ihnen gesagt, dass wir hier einen massiven Aufwuchs an Personal haben . Wir haben bei der Bundespolizei nach unserer Überzeugung Vergütungsstrukturen, die es ermöglichen, dass wir hochprofessionelle Polizeiarbeit betreiben können . ({0}) Wenn es einzelne Bundesländer gibt, die die Polizei kaputtsparen, dann rate ich Ihnen in allererster Linie dazu, sich in den Ländern zu erkundigen, in denen Sie politische Verantwortung tragen . ({1}) Ich möchte Ihnen raten, Herr Kollege Ströbele, dass Sie die Stimme für die Polizei nicht nur dann erheben, wenn es um Vergütungsfragen geht, sondern dass Sie die Stimme für die Polizei etwa auch dann erheben, wenn Frau Peter in so schlimmen Entgleisungen über die Polizei richtet, wie sie das Anfang Januar getan hat . ({2}) Wir bringen neben personellem Aufwuchs und neben besserer Ausrüstung auch strafrechtliche Verschärfungen auf den Weg . Wir bringen sie heute auf den Weg - mit der Umsetzung einer Vereinbarung, die wir im Koalitionsvertrag mit der SPD vor über drei Jahren getroffen haben . Wir sind froh, Herr Bundesjustizminister, dass wir an diesen Punkt gekommen sind . Wir als Unionsbundestagsfraktion freuen uns sehr darüber, dass wir heute die Neuregelung einbringen . Ich sage Ihnen allerdings auch: Wir hätten uns vonseiten der Unionsfraktion bei der Priorisierung der Projekte in dieser Legislaturperiode eine etwas andere Reihenfolge gewünscht . Aus unserer Sicht wäre es besser gewesen, wenn man dieses Projekt nicht erst im Jahr 2017 aufgegriffen hätte . Es geht im Kern um verschiedene Änderungen in der Rechtslage . Wir werden die Begehungsformen des tätlichen Angriffs in einem eigenständigen Straftatbestand regeln . Dieser Straftatbestand wird mit einer höheren Mindestfreiheitsstrafe versehen sein . Wir werden künftig nicht mehr darauf abstellen, ob eine Vollstreckungshandlung vorliegt oder ob es an einer Vollstreckungshandlung fehlt . Bisher hat die Norm allgemeine Diensthandlungen wie etwa Streifengänge, Observationen oder die Aufnahme eines Unfalls nicht erfasst . Wir sind der Überzeugung: Polizistinnen und Polizisten sind bei solchen Tätigkeiten genauso schützenswert, und deshalb ist es ein klares Zeichen, das wir hier setzen . Wir setzen ein klares Zeichen auch bei anderen Tatbegehungen oder für den Fall, dass Waffen mit sich geführt werden, auch wenn keine Absicht besteht, sie einzusetzen . Wir schließen Lücken, die im Strafgesetzbuch bisher bestehen . Das erhöhte Aggressionspotenzial beschränkt sich aber nicht auf Polizeibeamte . Aus diesen Gründen dehnen wir die skizzierten Maßnahmen auch auf Hilfskräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der RetDeutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21943 tungsdienste aus . Das ist eine längst überfällige Maßnahme, wie erschreckende Berichte immer wieder belegen . Wenn wir erleben müssen, dass Feuerwehrleute, die versuchen, einen Brand zu löschen, daran gehindert werden, wenn wir Berichte lesen, dass Sanitäter, vielleicht auch in Begleitung von Notärzten, beim Versuch, Menschenleben zu retten, behindert, gestört oder angegriffen werden, dann fehlt mir dafür jedes Verständnis . Dem muss mit gleicher Konsequenz entgegengetreten werden wie bei Angriffen auf Polizisten . ({3}) Ich könnte mir auch gut vorstellen, Mitarbeiter von Jobcentern, in Jugendämtern und in Ausländerbehörden in den Schutzbereich mit aufzunehmen; denn auch sie sind aufgrund ihrer Tätigkeit häufig solchen Anfeindungen ausgesetzt . Ich räume ein, dass das handwerklich in der Umsetzung nicht einfach ist; aber ich glaube, wir sollten dies auf unserer politischen Agenda belassen . Ich glaube, dass es gut wäre, wenn von diesem Tag im Hinblick auf den Einsatz der Polizistinnen und Polizisten in Deutschland aus diesem Haus ein Signal der Geschlossenheit ausgehen würde . Sie verrichten einen Dienst für unser Gemeinwesen insgesamt . Sie hätten es verdient, dass alle Fraktionen dem Gesetzentwurf, den wir nun parlamentarisch beraten werden, in der Folge auch zustimmen . Herr Kollege Tempel, Sie haben für Ihre Fraktion schon das Gegenteil angekündigt und darauf hingewiesen, wie falsch es sei, durch Veränderungen beim Strafrahmen etwas beim Schutz zu machen . ({4}) Wenn der Strafrahmen keine Auswirkungen auf die Abschreckung hat, warum wollen wir dann eigentlich die Normen, die wir im Augenblick haben, überhaupt beibehalten? Wenn der Strafrahmen keine Auswirkungen hat, dann wäre es eigentlich genauso gut vertretbar, zu sagen: Angriffe auf Polizisten werden künftig mit kleinen Geldstrafen, mit ein bisschen Arbeit in einer Sozialstation, mit ein paar Sozialstunden abgegolten . ({5}) Ich glaube, so etwas sollte man nicht ernstlich vertreten . Natürlich hat der Strafrahmen eine abschreckende Wirkung . ({6}) Deshalb werden wir dieses Paket so beschließen . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Tempel hat jetzt die Möglichkeit, das Wort zu einer Kurzintervention zu ergreifen .

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Kollege, bei dem, was Sie vortragen, verstehe ich schon, dass sich bei meiner Rede keiner getraut hat, eine ordentliche Zwischenfrage zu stellen, und dass Sie sich nicht getraut haben, meine Zwischenfrage zuzulassen . ({0}) Zu Ihrer Frage, die Sie am Schluss Ihrer Rede direkt an mich gerichtet haben, muss ich sagen: Die Antwort würde umfangreiche Erläuterungen im Bereich der Kriminologie erfordern . Ich biete Ihnen einfach an, gemeinsam mit mir den Deutschen Richterbund oder den Deutschen Anwaltverein zu besuchen und dort genau diese Frage zu erörtern . ({1}) Die haben Ihnen das in Gutachten ausführlich dargelegt . ({2}) Ich habe aber zwei konkrete Fragen an Sie: Erstens . Sie haben hier Rechtsszenarien, Sachverhalte geschildert . War da irgendetwas dabei, was strafrechtlich momentan nicht handhabbar ist? ({3}) Sie haben ausschließlich Fälle geschildert, in denen das Strafrecht bereits jetzt ausreichende Mittel bereithält, um tatsächlich tätig zu werden und sie entsprechend handzuhaben . Die Justiz hat eben einen Rahmen bei der Strafzumessung . Noch ist es doch - ich möchte gerne wissen, ob auch Sie dieser Meinung sind - Sache der Justiz, das Strafmaß innerhalb eines Rahmens festzulegen; und der Strafrahmen umfasst weitaus mehr als ein paar Arbeitsstunden oder Sozialleistungen . Das Zweite ist: Sie haben hier davon gesprochen, dass das Personal der Bundespolizei deutlich aufgestockt werden soll . Ich bin jetzt seit siebeneinhalb Jahren im Innenausschuss . Ich habe über viele Jahre hinweg den pauschalen Personalabbau bei der Bundespolizei kritisiert und auch entsprechende Haushaltsanträge eingebracht . Es waren ausschließlich Unionsminister - Herr de Maizière gleich zweimal -, die sie immer wieder abgelehnt haben . Erst vor zwei Jahren gab es einen Kurswechsel . Können Sie hier vor Publikum bestätigen, dass den Personalabbau, den wir jetzt ein Stück weit zu korrigieren versuchen, auch aufgrund eines weiteren Aufgabenzuwachses, gerade auf Bundesebene doch in erster Linie die CDU/ CSU mitzuverantworten hat? ({4}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721944

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Harbarth, Sie haben die Möglichkeit, zu erwidern .

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das, was Sie heute ausgeführt haben, fügt sich leider in die Linie ein, die Sie und Ihre Fraktion im Bereich der inneren Sicherheit konsequent vertreten . ({0}) Wann auch immer wir in diesem Haus etwas beschließen, was zu einem Mehr an innerer Sicherheit führt, wird es von Ihnen abgelehnt . Im Augenblick - ({1}) - Hören Sie mir zu, genauso wie ich Ihnen zugehört habe? ({2}) Das ist, glaube ich, eine Frage des Umgangs in diesem Haus, nachdem Sie vorhin dem Kollegen Luczak mangelnde Erziehung vorgeworfen haben . ({3}) Wie gesagt, das, was Sie hier heute vorgetragen haben, fügt sich nahtlos in die politische Linie ein, die Sie in diesem Haus seit Jahren verfolgen . Alles, was für ein Mehr an innerer Sicherheit beschlossen wird, wird von Ihrer Fraktion abgelehnt . Jede einzelne Maßnahme wird als ein Angriff auf die Bürgerrechte, als ein Angriff auf die Freiheitsrechte bekämpft . ({4}) Das ist mit uns als Union nicht zu machen . Deshalb haben wir einen großen Aufwuchs bei der Polizei beschlossen, deshalb haben wir ein Mehr bei der Ausrüstung beschlossen, und deshalb beschließen wir auch einen besseren Schutz . ({5}) Ja, auch ich bin der Auffassung, dass es natürlich die Aufgabe der Justiz ist, im konkreten Fall das Strafmaß festzulegen . Aber den Strafrahmen vorzugeben, ist nicht die Aufgabe der Justiz, sondern die Aufgabe des Gesetzgebers . Dieser Aufgabe kommen wir nach, zum Schutz unserer Polizistinnen und Polizisten . Geben Sie sich einen Ruck! Die hätten es verdient, dass auch Sie in dieser Frage endlich einmal mitziehen . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Um das in dieser Debatte gleich einmal vorweg zu sagen: Es ist selbstverständlich nicht hinnehmbar und in keiner Weise tolerierbar, wenn Polizeibeamte als Repräsentanten des Rechtsstaates, Rettungsdienstmitarbeiter, Feuerwehrleute oder andere Einsatzkräfte Opfer von Angriffen werden . ({0}) Deshalb muss der Rechtsstaat selbstverständlich auch wehrhaft sein . ({1}) Aber: Er ist es heute schon . Herr Kollege Harbarth, Sie sagen, dass der neue Straftatbestand zum Schutz dieser Einsatzkräfte geschaffen werden soll . Aber dieser Straftatbestand, den Sie hier heute schaffen wollen, ist zur angemessenen Verfolgung solcher Angriffe in der Praxis schlicht überflüssig. Herr Maas, Sie sagten, dass bisher nur die Vollstreckungshandlung vom Gesetz geschützt ist . Das ist schlicht nicht wahr . Auch alle anderen Angriffe, die sich gegen Polizeivollzugsbeamte oder gegen Einsatzkräfte richten, sind schon heute von den bestehenden Straftatbeständen erfasst . Der Kollege Tempel hat Ihnen das hier haarklein aufgeführt . Ich kann nicht nachvollziehen, dass Sie das nicht begreifen . ({2}) Das gilt für versuchte Taten, bei denen es zu keiner Körperverletzungshandlung kommt, genauso wie natürlich für die besonders schweren Fälle . Und, Herr Kollege Harbarth, es gibt keine Hinweise, dass die bestehenden Strafrahmen in der Praxis nicht ausreichen würden . Deswegen ist Ihr Antrag - ich muss es leider so sagen - nicht mehr als eine nette Geste in Richtung der Polizeigewerkschaft oder, wie Sie es nennen, ein Zeichen . Nett gemeint, und es kostet noch dazu keinen Cent: Ja, so stellen Sie sich den Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vor . Für den tatsächlichen Schutz bringt das alles aber eben nichts . ({3}) Es ist ja nicht so, dass wir mit Strafverschärfungen nicht auch unsere Erfahrungen gemacht hätten . Der Tatbestand „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ ist erst im Jahre 2011 verschärft worden . Die Zahl der Fälle Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21945 von Widerständen und Körperverletzungsdelikten zulasten von Polizeibeamten ist dadurch aber nicht etwa geringer geworden, sondern sie ist sogar gestiegen . ({4}) Für Kriminologen ist das alles keine Überraschung . Durch ein Drehen am Strafrahmen lässt sich ein solcher Angriff eben nicht verhindern . ({5}) In den typischen Situationen, in denen solche Angriffe stattfinden und bei denen die Täter in vier von fünf Fällen noch dazu unter erheblichem Alkoholeinfluss stehen, bewirkt eine höhere Strafe auch kein Umdenken . Umdenken sollten daher lieber diejenigen, die glauben, dass man über das Strafrecht mehr Respekt vor Einsatzkräften verordnen könnte . Den zu Recht geforderten Respekt und mehr Wertschätzung für den schwierigen Polizeiberuf können Sie doch viel besser zum Ausdruck bringen, nämlich durch eine gute personelle und materielle Ausstattung der Polizei, eine gute Ausbildung und regelmäßiges Training, damit die Einsätze fachlich und technisch optimal vorbereitet und schwierige Alltagssituationen ebenso gut bewältigt werden können, ({6}) also anders, als es die CDU hier in Berlin gemacht hat: Da wollte nämlich der Innensenator Henkel die Polizeibeamten mit ausrangierten Waffen aus Schleswig-Holstein ausrüsten . ({7}): Ist noch nicht so lange her!) So drückt man Wertschätzung ganz sicher nicht aus . ({8}) In diesem Bereich haben Sie schon viel angekündigt . Den Stellenaufwuchs bei der Bundespolizei und beim Bundeskriminalamt haben wir auch unterstützt . Jetzt müssen Sie es auch umsetzen, damit die Personalnot und die Schwächen bei der Ausstattung und beim Digitalfunk endlich beseitigt werden . Diese Maßnahmen sind auch deshalb dringend nötig, weil viele Polizeibeamte in Befragungen angegeben haben, dass sie sich auf Übergriffe hinsichtlich der psychologischen Beurteilung, der körperlichen Abwehr und der Konflikthandhabung nicht ausreichend vorbereitet sehen. Hier gibt es also genug, was Sie verbessern können . Eine strafrechtliche Sonderbehandlung hilft da ganz sicher nicht . Sie hilft vor allem nicht den Beamtinnen und Beamten, die heute Opfer von Straftaten werden . Die Verfolgung solcher Offizialdelikte ist sowieso eine Selbstverständlichkeit, und auch die Verurteilungsquote von 75 Prozent bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte kann sich sehen lassen . Durch mehr Personal und eine bessere Ausstattung würde man sicherlich auch diese Quote noch weiter verbessern können, und viele Polizeibeamte, die Opfer von Angriffen werden, würden dann mehr Gerechtigkeit erfahren . Der Respekt für die Arbeit von Polizistinnen und Polizisten, die jeden Tag ihren Dienst für unsere Gesellschaft leisten, kommt jedenfalls nicht durch einen neuen Straftatbestand, sondern von den Menschen selbst . ({9}) Herzlichen Dank . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Johannes Fechner für die SPD . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Etwa 65 000 Polizisten sind im Jahr 2015 nach der polizeilichen Kriminalstatistik Opfer von Gewalttaten geworden . Das sind über 170 pro Tag . Leider gab es wiederum eine Steigerung zum Vorjahr . Deswegen ist für uns in der SPD klar: Wir müssen die Polizistinnen und Polizisten besser schützen . ({0}) Wir machen das zum einen, indem wir mehr Stellen zur Verfügung gestellt haben . Das war eine Initiative der SPD, die wir durchgesetzt haben . Selbstverständlich, Herr Kollege Tempel, sind wir in Kontakt mit den Verbänden . Sie hätten auch die Gewerkschaft der Polizei nennen sollen, ({1}) die wir gern mit Ihnen besuchen, um über dieses Thema zu diskutieren . Sicherlich ist das Strafrecht kein Allheilmittel . Deswegen haben wir uns in der Koalition in intensiven Beratungen auch nicht nur auf diesen Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, geeinigt, sondern wir haben auch 5 Millionen Euro für eine Imagekampagne für die Polizei zur Verfügung gestellt . Wir sind uns des Weiteren einig, dass wir vermehrt Body-Cams einsetzen wollen, weil die PoIrene Mihalic Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721946 lizeireviere, in denen diese Technik eingesetzt wird, nach den ersten Tests schon festgestellt haben, dass potenzielle Täter eben nicht attackieren, weil sie zu Recht die Sorge haben, dass sie durch die Body-Cams identifiziert werden können und dann eine Verurteilung sehr wahrscheinlich ist . Wir haben uns aber auch dazu entschlossen - deshalb unterstützen wir das heute -, den strafrechtlichen Schutz der Polizisten zu verbessern . Bei den Vorberatungen empfand ich Fotos und Berichte von den Polizeipräsidenten, die unmittelbar von den körperlichen Auseinandersetzungen berichtet haben, als besonders schockierend . Auch ich durfte in meinem Wahlkreis bei einer Nachtschicht, bei der ich die Polizei begleiten konnte, erleben, wie heftig Polizisten manchmal der Gewalt ausgesetzt sind . In meinem Wahlkreis war es so, dass die Mitarbeiter einer Behörde bei einer Geschwindigkeitskontrolle attackiert wurden, weil sie einen Raser erwischt haben . Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir hier auch das Strafrecht verschärfen . Polizisten müssen in jeder Situation geschützt sein . ({2}) Denn gerade, wenn Polizisten Streife gehen oder eine Verkehrskontrolle durchführen, sind sie nicht mit Schutzkleidung ausgerüstet und deswegen weniger gegen Attacken geschützt . Deshalb ist es gut und richtig, dass wir Polizisten - egal in welcher Situation - auch besser strafrechtlich schützen . Besonders schockiert mich, dass immer öfter Rettungskräfte attackiert werden . Gerade Sanitäter und Feuerwehrleute engagieren sich oft ehrenamtlich und vor allem im Dienst der Allgemeinheit für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger . Wenn sich Menschen in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren und dann auch noch verprügelt werden, sind wir, finde ich, als Gesetzgeber gefordert und müssen diesen Personenkreis besser schützen . Deshalb ist es gut, dass in diesem Gesetz der Personenkreis besser strafrechtlich geschützt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Schließlich haben wir das schlimme Phänomen zu beobachten, dass es bei Straßenverkehrsunfällen oft mehr Gaffer als Helfer gibt . Wenn dann die Rettungsarbeiten durch Gaffer behindert werden, besteht durchaus die Gefahr, dass die Verletzungen der Opfer noch schlimmer werden oder diese dann erst recht gesundheitlich beeinträchtigt werden . Deswegen ist es gut, dass wir heute den Startschuss für die Beratung darüber geben, ob Gaffer, die die Rettungskräfte behindern, bestraft werden können . Wir unterhalten uns sicherlich dann noch darüber, welche Anforderungen wir daran stellen, ob es, wie hier vorgeschlagen, eine Gewalthandlung geben muss oder ob, wie es der Bundesrat vorschlägt, eine einfache Behinderung ausreichen soll . Das müssen wir sicherlich kritisch prüfen. Aber ich finde, auch hier sollten wir uns überlegen, wie wir die Rettungskräfte besser schützen und damit auch etwas für die Opfer tun können . ({4}) Einen Satz möchte ich noch zur Kritik der Opposition sagen: Natürlich sind zahlreiche Handlungen, die wir heute beispielhaft genannt haben, strafbewehrt . Aber das ist die Rechtfertigung für die Neuregelung, die wir heute schaffen - die bloße Verurteilung wegen einer Körperverletzung bringt eben nicht vollständig das spezifische Unrecht eines Angriffs gegen einen Polizisten zum Ausdruck; denn der Angriff richtet sich ja nicht nur gegen den Bürger, sondern eben auch gegen das staatliche Gewaltmonopol . ({5}) Deswegen ist eine solche Vorschrift gerechtfertigt . Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Wir wollen Polizistinnen und Polizisten, wir wollen Rettungskräfte, Sanitäter und Feuerwehrleute besser schützen - auch mit Hilfe des Strafrechts . Deshalb stimmen wir Minister Maas und dem Gesetzentwurf zu . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker spricht jetzt für die CDU/CSU . ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Rängen und zu Hause! Am 22 . Januar dieses Jahres postete die Berliner Polizei auf Facebook folgenden Beitrag: +++ In unseren Fahrzeugen befinden sich Menschen +++ Unbekannte haben vergangene Nacht mehrfach Steine auf Polizeiautos geworfen . Das stellt einen Angriff dar, zu dem wir den Tätern aber auch der Öffentlichkeit etwas zu sagen haben . . . Unsere Kolleginnen und Kollegen sind auf der Straße für jeden von Ihnen rund um die Uhr da . . . . sie helfen, trösten, trauern, ({0})schützen, passen auf und hören zu . Aber sie schlichten auch Streits, sorgen nachts für Ruhe, überprüfen, kontrollieren, finden klare Worte . . . und nehmen fest . Natürlich machen sie sich dabei auch bei dem einen oder anderen unbeliebt . Das ist quasi Berufsrisiko . . . Was jedoch gar nicht geht, sind feige Übergriffe, wie in der letzten Nacht . Dann folgt die Schilderung dessen, was in der vorausgegangenen Nacht passiert war: Das Polizeifahrzeug war gegen 2 Uhr nachts auf einer normalen Streifenfahrt ohne besonderen Anlass mit Steinen beworfen worden . Es Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21947 wurden weitere Funkwagen angefordert . Als sie kamen, prasselten auch auf sie Steine nieder . Ein Angestellter wurde verletzt. Die Täter flüchteten. Fünf Polizeiautos wurden stark beschädigt . ({1}) Meine lieben Zuhörer, das richtige Maß an Sicherheit auf der einen Seite und Freiheit auf der anderen Seite muss immer wieder neu austariert werden . Das ist wichtig, denn sonst geht das eine neben dem anderen unter . Für unsere Demokratie, aber auch für unsere ganz persönliche Lebensqualität muss beides gegeben sein . Sicherheit darf die Freiheit nicht ersticken, aber muss sie schützen: die Freiheit, abends noch in den Park zu gehen, die Freiheit, sein Zuhause für längere Zeit verlassen zu können, ohne damit rechnen zu müssen, dass es einen Einbruch gibt . Bei alldem kann es nicht darum gehen, dass die potenziellen Opfer ihr Verhalten ändern müssen, sondern es muss klar sein, dass es weiterhin darum geht, dass die Täter gestoppt werden müssen . ({2}) Es ist Sache des Staates, mit seinem Gewaltmonopol genau dafür zu sorgen . In diesem Kontext sind eben die Polizisten und Rettungskräfte diejenigen, die sich für uns einsetzen, die sich für den Schutz unserer Freiheit, unserer körperlichen Unversehrtheit, der Meinungsfreiheit, des Eigentums, die sich für Demokratie und damit letztendlich für unseren Staat und unsere Gesellschaft in Notlagen und Gefahr einsetzen . Sie können sich nicht aussuchen, in welche Situation sie kommen . Sie müssen mutig sein . Ihr Tun und Handeln sind keine Selbstverständlichkeit . Sie halten den Kopf in gefährlichen Situationen hin, etwa dann, wenn Clans, die unbedingt zusammenhalten, sich gegen Polizisten im Einsatz zusammenrotten, oder wenn sie gegen Einbrecherbanden vorgehen und nicht wissen, welche Gefahr auf der anderen Seite auf sie wartet . Das müssen wir respektieren . Das verdient Anerkennung, und das verdient auch den nötigen Schutz . In der Realität ist es anders - wir haben die Zahlen schon gehört -: Die Angriffe richten sich nicht nur persönlich gegen Polizisten, sondern diese werden auch als Vertreter des Staates angegriffen . Polizeibeamte und Rettungskräfte sind keine besseren Menschen, im Gegenteil . Der Post der Berliner Polizei geht genau damit weiter, dass betont wird: Es geht um ganz normale Menschen mit ihren Familien, die sich zu Hause Sorgen machen . Es geht um Menschen, die ihren Angehörigen wieder erklären müssen, dass sie wegen eines Einsatzes nicht rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause sind und dass sie wieder einmal nicht mit auf die Geburtstagsfeier im Freundeskreis gehen können . Dieser persönliche Einsatz macht sie besonders schutzwürdig . Dass sie aber auch für den Staat eintreten, dass sie auch in gefährlichen Situationen ihren Kopf hinhalten, macht sie auch besonders schutzbedürftig . Ein weiterer Aspekt ist, dass es aus dem Blickwinkel des Täters nicht damit getan ist, dass er bei einem Angriff auf einen Polizisten eine Privatperson attackiert, sondern der Täter bringt damit auch eine besondere Respektlosigkeit gegenüber dem Staat zum Ausdruck . Das alles zusammengenommen ist der Grund dafür, dass wir hier eine besondere Norm brauchen, die dieses besondere Tatunrecht zum Ausdruck bringt, das sich dann auch in der strafrechtlichen Bewertung im Einzelfall niederschlagen muss . ({3}) Meine Damen und Herren, wie folgenschwer und belastend solche Übergriffe sind und dass das auch das Funktionieren der Dienststellen vor Ort wirklich beeinträchtigt, kann sich jeder anhören, der sich zu Hause im Wahlkreis auch einmal mit Rettungskräften und Polizisten unterhält . Es gibt aber auch eine Studie aus dem Jahre 2011 aus Nordrhein-Westfalen dazu . In dieser haben 43 Prozent der befragten Polizeivollzugsbeamten angegeben, in diesem einen Jahr - 2011 - mindestens einmal einen tätlichen Übergriff erlebt zu haben . 2,1 Prozent der Befragten gaben an, davon eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung davongetragen zu haben . „2,1 Prozent“ hört sich wenig an, aber das bezieht sich auf ein Jahr . Rechnen Sie das einmal auf die durchschnittliche Dienstzeit eines Polizistenlebens hoch . Die Studie zeigt auch, was mit den Betroffenen dann passiert . Eine Polizistin wird zitiert: Ich glaube, dass unterschätzt wird, was ständige Anfeindungen von Bürgern ({4}) oder Unterstellungen auf Dauer anrichten können ({5}) . Das zeigt auch auf, was auf dem Spiel steht; denn wir wollen doch, dass sich unsere Polizisten motiviert, mutig, unvoreingenommen in die Situationen hineinbegeben, in die sie gerufen werden, dass sie mit Fingerspitzengefühl und Verständnis agieren . Auch deshalb müssen wir etwas tun, um die zunehmende Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte einzudämmen . Wir sind der Auffassung, dass wir hier auch das Mittel des Strafrechts heranziehen müssen . Das ist eine lang gehegte, seit Beginn dieser Legislaturperiode seitens der Union eingebrachte Forderung . Es ist auf unser Betreiben in den Koalitionsvertrag hineingekommen . ({6}) Wir haben mit dem Koalitionspartner lange darüber verhandelt . Wir waren uns von Anfang an einig, dass es eine bessere Ausstattung, dass es mehr Personal geben muss . Aber wir waren von Anfang an uneinig darüber, ob wir auch das Strafrecht anpassen . ({7}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721948 Darüber haben wir lange streitig verhandelt . Es war durchgängig unsere Ansicht, dass wir auch an den § 113 StGB heranwollen, während das vom Koalitionspartner nicht zugestanden wurde . Das lässt sich heute durchaus noch nachlesen, zum Beispiel auf der Homepage vom vorwärts, vorwaerts .de, oder auch - ganz zutreffend dargestellt - in der FAZ vom letzten Sonntag . Jeder, der das anders in Erinnerung hat, kann sich da noch einmal vergewissern, ob seine Erinnerung stimmig ist . Was ist nun neu an dem Paragrafen, den wir ändern wollen? Wir wollen, wie gesagt, auch die allgemeinen Diensthandlungen in den besonderen Schutz des § 113 hineinnehmen . Wir werden auch das Strafmaß erhöhen . Es soll bei tätlichen Angriffen bei mindestens drei Monaten Haftstrafe - im besonders schweren Fall wie bisher bei sechs Monaten - beginnen und bis hin zu fünf Jahren reichen . Dabei ist mir vor allem der untere Strafrahmen noch einmal wichtig . Es wird zu Recht gesagt, dass der Strafrahmen meist noch Luft nach oben lässt . Aber die Erfahrung ist eben, dass dieser Strafrahmen nicht ausgereizt wird . Deshalb müssen wir als Gesetzgeber diesen Strafrahmen neu justieren, damit in diesen Fällen auch gleich zur Haftstrafe gegriffen werden kann und das nicht im Ungefähren bleibt bzw . mit einer kleinen Geldstrafe abgetan wird . Genau das ist das Ziel dieses Gesetzgebungsverfahrens . Aber wir wollen natürlich nicht das eine tun, um das andere zu lassen, sondern müssen es im Gesamtpaket sehen . Wir stehen ja am Anfang der parlamentarischen Beratungen und müssen uns noch verschiedene Dinge überlegen, die teilweise auch schon angesprochen wurden . Wir müssen uns den Kreis der besonders geschützten Personen noch einmal ansehen . Von unserer Seite war auch hier immer der Vorschlag, möglicherweise in § 46 StGB zum Ausdruck zu bringen, dass auch andere, die für den Staat stehen - Angestellte in den Jobcentern zum Beispiel, medizinische Helfer in den Ambulanzen und dergleichen mehr -, besonders geschützt werden sollten . Kontrolleure in S-Bahnen wären auch eine Gruppe, die wir in den Blick nehmen müssen . Es gibt dazu, darf ich sagen, einen Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen, im Dezember im Bundesrat eingegangen . Ich schaue einmal, ob das Wirkung auf den Koalitionspartner und den Justizminister hat . ({8}) Vielleicht können wir an dieser Stelle noch etwas nachbessern . Zur nötigen Ausstattung ist schon etwas gesagt worden . Ich möchte noch einmal an uns alle appellieren, dass wir neben all den Forderungen - Ausstattung, Strafrecht und dergleichen - vor allem gut über die Polizei reden und auch in unseren Reden den Respekt und die Anerkennung gegenüber den Rettungskräften und Polizisten zum Ausdruck bringen . Frau Peters Aussagen wurden schon als Gegenbeispiel genannt . Ich nenne als positives Beispiel den Antrag der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, der ausdrücklich den Dank an die Polizisten, die in der letzten Silvesternacht im Einsatz waren, zum Ausdruck bringt . Diesem Dank schließe ich mich ausdrücklich an . Danke für die Aufmerksamkeit . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wir sind der Auffassung, dass Vollstreckungsbeamte, aber natürlich auch Rettungskräfte, wenn sie im Interesse der Sicherheit und des Wohls der Bevölkerung im Einsatz sind, erstens Anerkennung verdienen und zweitens geschützt sein müssen - wie übrigens alle anderen gefährdeten Berufsgruppen auch . Nun haben Sie Beispiele genannt, die begründen sollen, warum wir eine gesetzliche Verschärfung brauchen, warum wir einen neuen Paragrafen brauchen . Frau Winkelmeier-Becker, ich weiß nicht, ob Sie auch einmal Strafrichterin gewesen sind . Wenn ja, dann wüssten Sie, dass die Täter aus dem Fallbeispiel, das Sie genannt haben, wenn sie erwischt werden, Freiheitsstrafen bekommen werden, die wahrscheinlich weit über einem Jahr liegen werden, und zwar auch ohne die von Ihnen geplante Vorschrift; diese gilt ja noch nicht . Das Beispiel, das Herr Dr . Harbarth gebracht hat, ist ein klassisches Beispiel dafür, dass wegen gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen ist, dass wegen Beleidigung zu verurteilen ist . Auch hier wird die Freiheitsstrafe, die verhängt wird, weit über einem halben Jahr liegen . Was Sie da erzählen, wenn Sie diese Beispiele bringen und sagen, dass wir eine neue gesetzliche Regelung brauchen, weil wir in solchen Fällen nicht ausreichend strafen könnten, das stimmt einfach nicht . ({0}) Bei keinem Ihrer Beispiele haben Sie das mal durchdekliniert . Ich weiß gar nicht, ob diese Beispiele aus dem Leben gegriffen sind . Sie, Frau Winkelmeier-Becker, haben ja einen Vorfall als Beispiel genannt, der erst kürzlich geschehen ist . Aber bei den anderen Beispielen wurde nicht klar, welche Strafen die Täter bekommen haben . Oder fantasieren Sie da nur und vermuten, dass die Täter straffrei ausgehen? Es gibt in der Tat in der Gesellschaft Berufsgruppen, die besonders gefährdet sind, insbesondere welche, die im staatlichen Dienst sind . Das sind auch Sozialarbeiter oder diejenigen, die in Bezirksämtern und Ausländerbehörden arbeiten . Wie wir gehört haben, soll Herr Amri einem Mitarbeiter einer solchen Behörde mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben; so etwas kommt dort also vor . Aber es gibt auch andere Berufsgruppen wie Bürgermeister, Ärzte und sogar Politiker, die einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind . Wollen Sie für alle diese http://vorwaerts.de Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21949 Berufsgruppen jeweils ein gesondertes Strafrecht einführen? Das kann doch nicht Ihr Wunsch sein . ({1}) Ich sage Ihnen: Das braucht man auch nicht . Ich selber war während eines Wahlkampfes einem tätlichen Angriff - wie es im Gesetz heißt - ausgesetzt . Bekanntermaßen sind Politiker nach dem Strafrecht nicht besonders geschützt; da gibt es keinen Extraparagrafen . Der Täter, zu dessen Festnahme ich damals Gott sei Dank beitragen konnte, hat eine Freiheitsstrafe von über sechs Monaten bekommen . Die ist auch nicht zur Bewährung ausgesetzt worden, weil er wegen einer anderen Straftat schon auf Bewährung war . Das ging auch, ohne dass von Ihnen ein Paragraf eingeführt wird, der vorsieht, dass besonders gefährdete Politiker besonders geschützt werden müssen . Nein, das braucht man nicht . Das alles ist überflüssig. Die Anwendung der geltenden Gesetze reicht völlig aus . ({2}) Nehmen Sie als Beispiel den Bürgermeister von Dresden, den man zurzeit häufiger im Fernsehen sehen kann und der über viele Gefährdungen zu berichten weiß, denen er ausgesetzt ist . Wollen Sie auch für diese Berufsgruppe ein neues Gesetz erlassen? Sie können so etwas doch nicht nur für eine Berufsgruppe machen, insbesondere dann nicht, wenn es ohnehin überflüssig ist. Wenn Sie den Polizeibeamten und den Rettungskräften Ihre Anerkennung und Wertschätzung ausdrücken wollen, dann müssen Sie das anders machen . Das geht auch nicht durch eine millionenschwere Imagekampagne; diese ist eher kontraproduktiv . ({3}) Das sage ich Ihnen . Besser helfen Sie ihnen durch eine Ausstattung, mit der sie sehr schnell Hilfe herbeirufen können . Wenn jeder Beamte über ein Funkgerät verfügt, dann kann er Hilfe herbeirufen . Eine Verbesserung wäre auch die Entlastung durch mehr Personal . Wenn Sie das viele Geld statt für die Imagekampagne für die Bezahlung der Polizei, vor allem für die Bezahlung der Überstunden, ausgeben würden, dann würden Sie, glaube ich, bei der Polizei und auch bei der Bevölkerung sehr viel mehr Verständnis finden. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Ströbele . - Das Wort hat jetzt der Kollege Gerold Reichenbach für die SPD . ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer! Ich grüße auch die, um die es heute im Besonderen geht, nämlich die Polizeibeamten, die Feuerwehrleute, die Mitglieder der Hilfsorganisationen und der Rettungsdienste, die uns vielleicht zuschauen . Einen Teil dessen, worüber wir reden, kenne ich aus eigenem Erleben . Ich war und ich bin noch beim Technischen Hilfswerk aktiv . In meinem Landkreis hat mir im letzten Jahr mein Stellvertreter erzählt, dass er zu einem brennenden Objekt, zu dem das THW zu Hilfe gerufen wurde, trotz Blaulicht nicht durchdringen konnte, weil er von der Gafferschar behindert wurde . Ich selber habe erlebt, als ich bei einem Hochwassereinsatz versucht habe, Gaffer vom Deich zu verweisen, weil sie nicht nur die Rettungskräfte behindert, sondern auch sich selbst gefährdet haben, dass ich nicht nur nach dem Motto: „Wir als Steuerzahler bezahlen doch dich und deinen Laden“ beschimpft wurde, sondern dass mir auch Prügel angedroht wurde . Natürlich gebe ich Ihnen recht: All die Straftatbestände wären auch jetzt schon unter Umständen strafrechtlich verfolgbar . Wir erleben aber auch, dass Sanitäter oder Brandwachen der Freiwilligen Feuerwehr auf Festen, wo sie Bereitschaftsdienst leisten, bei Schlägereien plötzlich Objekt der Aggression sind . ({0}) Es gibt allerdings einen Riesenunterschied zwischen dem Bürger und Politiker, der ich bin, und mir als THW-Helfer . Als normaler Bürger kann ich versuchen, mich einer solchen Situation deeskalierend zu entziehen oder, wenn ich weiß, dass dort eine gefährliche Situation droht, sie zu vermeiden . Genau das können Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Sanitäter und andere Rettungskräfte nicht . Sie müssen sich oft sogar dieser Situation aussetzen, um helfen zu können . Das ist der fundamentale Unterschied . ({1}) Deswegen können wir sie beim Schutz, auch beim strafrechtlichen Schutz, nicht so behandeln wie jemanden, der durch eigenes Zutun auch dazu beitragen könnte, dass die Gefährdung bzw . der Straftatbestand nicht eintritt . ({2}) Ich kann, Herr Ströbele - das ist Ihre graue Theorie -, auf dem Deich nicht zu demjenigen, der mich angreift, sagen: „Ich gehe, dann hast du deinen Frieden, und ich habe meine Ruhe“ und damit den Konflikt vermeiden. Ich muss dableiben, weil ich das Ziel habe, zu helfen . Der Sanitäter kann nicht sagen: „Auf das Fest gehe ich nicht“, weil dort üblicherweise Schlägereien und andere Zwischenfälle drohen . Er hat den Auftrag, ob als Ehrenamtlicher oder als Hauptamtlicher, dort helfen zu müssen . ({3}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721950 Er hat auch das Ethos, dort zu helfen, und das will er auch . ({4}) Deswegen kann ich nicht sagen, dass da der gleiche Schutz wie der für einen Bürger reicht, der sich auf andere Weise solch einer Situation entziehen kann . Dann kommen wir zu einem zweiten Punkt und reden über den Strafrahmen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Kollege Reichenbach, der Kollege Ströbele hätte gerne eine Zwischenfrage gestellt .

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, das verlängert meine knappe Redezeit .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich erkenne ja an, dass Sie bemüht sind, eine Unterscheidung hinzubekommen, warum dies notwendig ist . Wenn aber auf einem Fest eine Schlägerei stattfindet, dann kann der Polizeibeamte, der dort ist, nicht nach Hause gehen, sich wegducken oder sich unter dem Tisch verstecken, sondern er muss eingreifen . Aber genau in diesem Augenblick steht er unter dem besonderen Schutz des geltenden § 113 StGB, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, nach dem er besonders geschützt ist . Das hat der Gesetzgeber schon vor Jahren so eingeführt, übrigens damals auch nicht ganz unumstritten .

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Kollege Ströbele, für die Zwischenfrage . Ich denke, Sie offenbaren damit ein wenig Praxisferne . Ich spreche eben nicht über den Feuerwehrmann, ({0}) der zu Hilfe eilt, weil er einen Brand löschen muss, oder über den Polizisten, der einschreitet, weil es zu einer Schlägerei kommt, oder den Sanitäter, der einen Verletzten zu versorgen hat . Ich spreche von denen, die Bereitschaft haben, die am Rande des Festes stehen und Brandwache leisten . Das ist noch keine Vollstreckungshandlung in Ihrem Sinne . Sie können eben nicht, wie man es als Privatperson tun könnte, sagen: „Nein, auf dem Fest wird es mir langsam zu brenzlig und zu gefährlich . Ich gehe jetzt“, sondern sie haben dazubleiben . ({1}) Sie haben weiter Brandwache zu leisten und weiter als Sanitäter in Bereitschaft zu stehen . Ich glaube, Sie verkennen diesen Unterschied . ({2}) Der letzte Punkt: der Strafrahmen . Mir hat ein Sanitäter, der angegriffen wurde - es kam dann auch zu einer Verhandlung und einer Verurteilung -, berichtet, dass er sehr enttäuscht war, da die Strafe aufgrund des Strafrahmens relativ niedrig ausfiel. Er sagte: Ich habe nach dem Urteil das Gefühl gehabt, ich sei so etwas wie Freiwild . Ich denke, auch darum geht es, wenn wir dieses Gesetz hier beraten . ({3}) Deshalb bin ich der festen Auffassung, dass wir dies tun sollten . Ich war übrigens schon immer dieser Auffassung . Außerdem sollten wir im Zuge der Beratungen auch das Problem der Gaffer, die zunehmend das Leben Dritter gefährden, indem sie die Einsatzkräfte behindern ({4}) ich erinnere nur an die Rettungsgasse -, aufnehmen . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr . Volker Ullrich . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen eine besorgniserregende Entwicklung in unserem Land beobachten: die Zunahme von Gewalt gegen Polizeibeamte, Rettungskräfte und Feuerwehrleute . Diejenigen, die schützen, helfen und retten, werden selbst zur Zielscheibe von Angriffen . Allein im Jahr 2015 waren es beinahe 65 000 Fälle . Wir dürfen diese Entwicklung nicht hinnehmen, und wir machen mit dieser Debatte deutlich, dass wir die Verpflichtung haben, diejenigen zu schützen, die uns schützen . Deshalb freue ich mich, dass der Bundesjustizminister auf unser Drängen diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Der bessere gesetzliche Schutz von Rettungskräften, Polizisten und Feuerwehrleuten ist unsere Herzensangelegenheit . ({0}) Mit diesem Gesetzentwurf werden Polizisten aber nicht nur bei Vollstreckungshandlungen geschützt, sondern auch ganz allgemein bei Diensthandlungen aller Art . Diese tätlichen Angriffe werden zukünftig härter bestraft . Den gleichen Schutz erhalten auch Feuerwehrleute und Rettungskräfte, die Angriffen ausgesetzt sind . Dieser Gesetzentwurf ist, wie ich meine, die rechtsstaatlich geGerold Reichenbach Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21951 botene und verhältnismäßige strafrechtliche Antwort auf die zu Recht zu beklagenden Entwicklungen . ({1}) Im Augenblick wird eingewendet, dass es zu überhaupt keiner Änderung des Strafrechts kommen müsse, da das geltende Recht doch ausreichend Schutz bieten würde . ({2}) Diese Argumente übersehen aber ein wichtiges Detail: ({3}) Natürlich ist dadurch, dass Körperverletzung und Beleidigung Delikte darstellen, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit gewährleistet . Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte sind aber durch ihre Tätigkeit besonderen Gefahren ausgesetzt, denen sie nicht ausweichen können . Sie sind diesen Gefahren ausgesetzt, weil sie Repräsentanten des Rechtsstaats und des Gewaltmonopols sind . Wir schützen damit auch unseren Staat, die Rechtsstaatlichkeit und das Gewaltmonopol . ({4}) Wir werden uns im Gesetzgebungsverfahren auch die Frage stellen müssen, wie wir weitere Gruppen, die unter Respektlosigkeit und Anfeindungen leiden, ({5}) besser schützen können . Ich spreche von Mitarbeitern in Jobcentern, Angestellten in Bürgerbüros, Fahrkartenkontrolleuren, Busfahrern und vielen anderen, die einen Dienst für die Allgemeinheit tun . Auch sie haben Schutz verdient . ({6}) Uns ist dabei vollkommen klar: Weder Respekt noch einen sorgsamen Umgang miteinander vermag eine Gesellschaft allein durch ihre Rechtsordnung sicherzustellen . Sie muss aber klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass Gewalt unter keinen Umständen akzeptiert werden darf . Ein Rechtsstaat, der sich aus guten Gründen von der historischen Auffassung eines Über- bzw . Unterordnungsverhältnisses zwischen der Staatsgewalt und den Bürgern verabschiedet hat, muss dies auch im Umgang mit seiner eigenen Polizei vollziehen . Es sind nicht nur anonyme Uniformen, die dem Bürger gegenüberstehen, sondern es sind unsere Polizeibeamten . Es sind Menschen mit ihrer Würde und mit ihrem Recht auf Schutz . ({7}) Meine Damen und Herren, angesichts von Respektlosigkeit, Hass und Verrohung der Sprache fehlt es in diesen Tagen nicht an Aufrufen zu einem anständigen Umgang . Wenn wir über diese Themen reden, dürfen wir aber diejenigen nicht vergessen, die die Rechtsstaatlichkeit und das Gewaltmonopol erst durchsetzen: unsere Polizisten - am Wochenende, in der Nacht, im Schichtdienst, im mittleren Dienst bezahlt . Ihnen gehört unsere Solidarität . Deutlich wird: Wer auch immer glaubt, das Gewaltmonopol dieses Staates infrage stellen und damit die Geltung des Rechts und unser friedliches Zusammenleben gefährden zu können, der muss wissen, dass wir dem auch mit diesem Gesetzentwurf eine deutliche Absage erteilen . Eine Änderung des Strafrechts wird aber nicht genügen . Wir brauchen in unserem Land auch ein starkes Bewusstsein und einen konsequenten Einsatz für Polizei und Justiz . ({8}) Die Verantwortlichen in Bund und Ländern sind aufgerufen, für eine ausreichende und angemessene Personalausstattung zu sorgen . Das wird einen erheblichen Mitteleinsatz kosten und seine Zeit in Anspruch nehmen . Aber wer vom Rechtsstaat redet, der muss auch über Überstunden bei der Polizei, über Stellenbesetzungen und gute Ausrüstung sprechen . Wer die Bedingungen bei der Polizei verbessern möchte, der muss auch die Vergütung von Polizisten in Ballungsgebieten und die Personalausstattung bei Staatsanwaltschaften und Gerichten in Angriff nehmen . ({9}) Lange Verfahrensdauern lassen sich manchmal nicht vermeiden . Sie sind niemals bequem . Aber Verfahrenseinstellungen, die allein dem Umstand geschuldet sind, dass eine zu geringe Personalausstattung bei Polizei oder Justiz vorhanden war, sind für einen Rechtsstaat nicht hinnehmbar, und das bringen wir auch deutlich zum Ausdruck . ({10}) Der Bund hat gehandelt . Er hat über 3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei geschaffen ({11}) und die Ausrüstung kontinuierlich verbessert . ({12}) Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen und eine starke gesellschaftliche Wertschätzung . Wir brauchen auch in den Ländern, dort, wo andere politische Gruppierungen Verantwortung tragen, eine bessere Personalausstattung und eine bessere Ausrüstung . ({13}) Wir brauchen einen besseren gesetzlichen strafrechtlichen Schutz für Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte . Wenn wir das alles angehen und damit auch die gesellschaftliche Wertschätzung für diese wichtige Arbeit erhöhen, dann haben wir unserem Rechtsstaat und unserer Freiheit einen starken Dienst geleistet . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721952 Ich möchte meine Rede schließen mit einem Dank an alle Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehrleute, die tagtäglich für Freiheit und Sicherheit einstehen . Herzlichen Dank . ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/11161 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Andere Vorschläge dazu gibt es nicht . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 8 sowie den Tagesordnungspunkt 5 auf: ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr für das Gemeinwohl - Steuerabzug für Managergehälter deckeln Drucksache 18/11176 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie 5 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Managergehälter wirksam begrenzen Drucksache 18/11168 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2}) Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch gegen die Dauer der Aussprache erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Managergehälter, Boni: Kartell des Schweigens über Jahre . Geschwiegen haben die Manager natürlich selbst . Geschwiegen hat die Große Koalition . Geschwiegen haben Aufsichtsräte . Geschwiegen hat ein Ministerpräsident . Geschwiegen haben sogar Betriebsräte und Gewerkschafter . Alle, die immer gern über Gerechtigkeit reden, wenn es um die anderen geht, schweigen . Ein Kanzlerkandidat redet - gut so -, schweigt aber, wenn es plötzlich um VW geht, wenn es plötzlich um das Stammland geht, wenn es plötzlich um die eigenen Leute geht . Wenn es um Glaubwürdigkeit gehen soll, dann macht man das anders, meine Damen und Herren . ({0}) Also reden wir . Anlass dieses Mal: 12 Millionen Euro Abfindung für 13 Monate Tätigkeit von Christine Hohmann-Dennhardt im VW-Vorstand . Sie erinnern sich? Das war jene Frau, die von Daimler abgeworben wurde, um im Zuge des Dieselabgasskandals Ordnung in den Saustall VW zu bringen . Sie war Integritäts- und Compliance-Chefin - ausgerechnet. 12 Millionen Euro. Es ist nicht verwunderlich, dass bei VW ausgerechnet die Frau für Integritätsfragen geht . Es ist auch nicht verwunderlich, dass es die Abfindungspraktiken immer noch gibt . Schließlich bezahlte der Konzern - wir erinnern uns - auch die Heizung für den Koi-Karpfen-Teich des früheren VW-Chefs . Seine Betriebsrente von VW übrigens 3 100 Euro pro Tag . Schon klar, dass es dann für den Koi nicht mehr reicht . Nun kommt ausgerechnet von VW der Vorschlag, Managergehälter auf 10 Millionen Euro zu begrenzen . ({1}) Klar, wenn man die Rekordbezüge von 17,5 Millionen Euro als Maßstab nimmt, die der Ex-Vorstandsvorsitzende Winterkorn eingestrichen hat, sind 10 Millionen Euro schon weniger . Wenn man sich einmal anschaut, was im DAX los ist, dann sieht man: Es gibt genau zwei Vorstände, die darüber liegen . Für alle anderen ist das, was VW vorschlägt, eine Orientierung nach oben . Meine Damen und Herren, das ist obszön . Das ist alles andere, als verstanden zu haben, worum es hier eigentlich geht . ({2}) Es ist doch tragisch, dass man heute bei VW nicht an moderne Autos, an sichere Autos, an umweltbewusste Autos, gar an Elektroautos denkt, sondern man denkt an Boni, Dieselskandal . Aber es gibt leider überhaupt niemanden, der dafür Verantwortung übernimmt . Das schadet dem Gemeinwohl, meine Damen und Herren, und zwar grundständig . ({3}) Es ist doch absurd . Es widerspricht auch allen wirtschaftlichen Ideen, wie man nachhaltig wirtschaftet . Und es widerspricht übrigens auch dem, was die allermeisten Menschen, die heute in der Wirtschaft Verantwortung übernehmen, denken und sagen . Die vielen Unternehmerinnen und Unternehmer, die redlich handeln, die vielen Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich nicht obszöne Beträge in die eigene Tasche stecken, werden in Mithaftung genommen . So wird ein ganzer Berufszweig Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21953 durch solch obszönes Handeln diskreditiert, meine Damen und Herren . ({4}) Kein Zweifel: Manager in einem großen Konzern zu sein, ist ein harter Job . Die Verantwortung ist groß . Aber dass man deswegen 57-mal mehr verdienen muss - das ist der Durchschnitt bei DAX-Unternehmen - als der Arbeiter im eigenen Unternehmen, das geht nicht, das hat nichts mit Zusammenhalt zu tun . Das ist das Gegenteil von dem, was Verantwortung bedeutet . ({5}) Da will ich gar nicht über die Rettungssanitäterin und ihre Verantwortung reden; das werden sich viele dazudenken . Solche Millionengehälter, meine Damen und Herren, kann man nicht mit Leistung, Verantwortung, Weitblick rechtfertigen - all dem, von dem dann immer die Rede ist . Denn auch in einem DAX-Konzern gilt: Es sind immer viele Menschen für den Erfolg verantwortlich, mit ihrer Leistung, mit ihrer Kreativität, ihrem Engagement und ihrem Wissen . Ja, wer viel leistet, soll anständig bezahlt werden - natürlich! Aber was hier geschieht, hat eben nichts mit nachhaltiger Unternehmensführung zu tun . Vor allem - wenn es um Vertrauen geht -: Was ist denn eigentlich, wenn man sich seiner Verantwortung als nicht würdig erweist, weil man es etwa in der Automobilbranche verschläft, zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen, wie beispielsweise in Bezug auf die Elektromobilität, oder wenn durch den Abgasskandal bei VW 23 000 Menschen ihre Jobs verlieren? Was macht dann der Vorstand? Er streicht immer noch 63,2 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2015 ein . Das geht nicht, meine Damen und Herren . ({6}) Wenn es einen Bonus gibt, dann muss es doch auch einen Malus geben . Das muss doch selbstverständlich sein . Wenn man von Verantwortung redet, dann muss dies auch dann gelten, wenn es schlecht läuft, meine Damen und Herren . ({7}) Es kann nicht sein, dass es, wenn es schlecht läuft, eine Extraschippe obendrauf gibt . Sie von der Großen Koalition haben jahrelang nichts dagegen getan, diese Praxis zu ändern . ({8}) Jahrelang waren Sie untätig, und dann beginnt der Wahlkampf und es tut sich etwas . Ich bin ja dafür - wenn es jetzt geht, dann von mir aus gerne . ({9}) Selbst Frau Hasselfeldt hat sich inzwischen dafür ausgesprochen . Herzlichen Glückwunsch! Ich bin gespannt, was Sie dazu sagen . Ich habe gehört, bei Ihnen in der Fraktion gab es deswegen Ärger . Ich bin gespannt . In Niedersachsen jedenfalls war Herrn Weil die soziale Gerechtigkeit nicht so wichtig, und er hat die Bosse gewähren lassen . Im Übrigen haben auch die IG Metall und die Betriebsräte im Aufsichtsrat kein gutes Bild abgegeben, sondern sie haben durchgewinkt . Still war Herr Weil auch, als es um die 12 Millionen Euro für Frau Hohmann-Dennhardt ging . Herr Kahrs hat ja dann vorgeschlagen, dass Frau Dennhardt das Geld doch bitte spenden könnte . Ein umfassenderes Eingeständnis, dass es eine absurde Praxis ist, ein umfassenderes Eingeständnis der eigenen, absurden Untätigkeit kann es gar nicht geben, meine Damen und Herren . ({10}) Das Ganze hat Herr Weil im Fall Hohmann-Dennhardt gemacht - das kann ich Ihnen nun wirklich nicht ersparen -, obwohl die Mehrheit des Niedersächsischen Landtags, mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen und sogar der CDU, beschlossen hat, dass es anders gehen soll . ({11}) Das war im Jahr 2013 . Im Jahr 2015 wurde immer noch das Gegenteil getan . Und ich möchte wissen, wie Sie das sehen . Ich möchte auch wissen, warum Sie im Oktober 2016, als wir hier im Bundestag eine Debatte dazu hatten, nicht zugestimmt haben . Da hätten Sie nämlich auch schon die Gelegenheit gehabt, meine Damen und Herren . Ich fordere Sie auf: Handeln Sie jetzt endlich! Sorgen Sie dafür, dass man mit dieser Obszönität aufhört! Sorgen Sie dafür, dass Zusammenhalt ernst gemeint ist, dass Glaubwürdigkeit ernst gemeint ist und dass das nicht nur für die unten gilt, sondern auch für die ganz oben . Dafür stehen wir jedenfalls, und ich hoffe, Sie auch, meine Damen und Herren . ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort . ({0})

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben heute Anträge zur Deckelung von Managergehältern eingebracht . Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wie Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721954 die meisten von uns habe auch ich mich in den letzten Wochen sehr über eine Entscheidung in Niedersachsen geärgert, auf die die Grünen in ihrem Antrag Bezug nehmen; Frau Göring-Eckardt hat sie eben angesprochen . Mich treibt dabei nicht der Neid auf die Bezahlung von Mitmenschen . Ich habe kein Problem mit einer leistungsgerechten Vergütung . Allerdings muss man die Frage stellen: Wo ist an dieser konkreten Stelle die Leistung, und wo ist an dieser Stelle die Angemessenheit der Vergütung dieser Leistung? ({0}) Hier zeigt sich: Unangemessene Abfindungen für Vorstände sind zuallererst ein Zeichen dafür - das haben Sie zu Recht angesprochen, Frau Göring-Eckardt -, dass Aufsichtsräte ihre Verantwortung, wie in dem konkreten Fall, nicht wahrgenommen haben . ({1}) Der Aufsichtsrat hat aus meiner Sicht gegenüber dem Unternehmen, gegenüber den Aktionären, gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Arbeitnehmern die Pflicht, diese Verantwortung wahrzunehmen. Das ist keine freiwillige Veranstaltung . Wir haben diese Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder im Aktiengesetz niedergelegt . Insofern gibt es eine rechtliche Bindung, diese höchstpersönliche Verantwortung wahrzunehmen . Das gilt aus meiner Sicht in besonderem Maße dann, wenn ein Aufsichtsrat nebenher auch noch ein öffentliches Mandat hat, zum Beispiel als Ministerpräsident eines Bundeslandes . Dann ist er aus meiner Sicht in besonderer Weise dem Gesetz verpflichtet. ({2}) Frau Göring-Eckardt, Sie haben eben von Schweigen und von Verantwortung gesprochen . Wenn ich richtig unterrichtet bin, tragen Sie mit Ihrer Landtagsfraktion das Verhalten dieses Ministerpräsidenten mit . ({3}) Was verschweigen Sie da? Wo nehmen Sie an dieser Stelle die Verantwortung wahr? Wo sind Sie als Bündnis 90/ Die Grünen dort tätig geworden? ({4}) Am meisten erstaunt mich, dass Sie in erster Linie nicht über das konkrete Verhalten einzelner Aufsichtsorgane reden . Wir sollten gemeinsam darauf hinwirken, dass dort verantwortlich gehandelt wird . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Staatssekretär .

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Herr Präsident, ich möchte gerne zusammenhängend vortragen . ({0}) - Ich glaube, es muss schon möglich sein, dass man im Zusammenhang Stellung nimmt zu einem Sachverhalt, ohne dass man abgelenkt und auf Nebenkriegsschauplätze gelockt wird . ({1}) - Mir ist schon klar, dass Sie sich darüber aufregen . Sie sind hier scheinheilig aufgetreten, mit einer Doppelmoral, haben hier erzählt, andere sollen Verantwortung wahrnehmen, haben in Ihrer Rede aber kein einziges Wort zu Ihrer eigenen Verantwortung gesagt . ({2}) Bei allem berechtigten Ärger über Abfindungen, die auch bei bestem Willen aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar sind, sollten wir nicht vergessen: In der Verfassung dieses Landes sind Vertragsfreiheit und Tarifautonomie niedergelegt . Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze sollten wir beachten! Der Gesetzgeber kann tätig werden, wenn die Verantwortlichen in der Wirtschaft es nicht selbst schaffen, angemessene Regelungen zu finden. In einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung sollten eigentlich die Verantwortlichen ihre Verantwortung wahrnehmen . So sieht es übrigens auch der Corporate Governance Kodex vor . Im Übrigen geht es hier um einen noch nicht umgesetzten Punkt, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Ich bin der Meinung, es besteht dringender Handlungsbedarf, das, was im Koalitionsvertrag steht, umzusetzen . Wenn Aufsichtsräte, also zum Beispiel Arbeitnehmervertreter und Vertreter des Landes, ihre Verantwortung nicht wahrnehmen - Frau Göring-Eckardt, Sie haben darauf hingewiesen, dass das in diesem Fall so war -, dann sollte man die Verantwortung in die Hände der Eigentümer legen . Dann sollte anstelle des Aufsichtsrats die Hauptversammlung entscheiden . Das haben wir vereinbart, und das sollten wir auch gesetzlich umsetzen . ({3}) Ein regulierender Eingriff muss gut begründet sein . Ein Argument, das Sie in Ihrem Antrag anführen, ist aus meiner Sicht nicht zutreffend. Denn die Allgemeinheit finanziert überhöhte Gehälter nicht anteilig mit . ({4}) Sie vergessen bei dieser Behauptung, dass Gehälter selbstverständlich vom Empfänger zu versteuern sind, und zwar mit seinem persönlichen Steuersatz . Wenn man Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21955 Ihrem Antrag folgen würde, würde das zu einer Doppelbesteuerung führen, nämlich zunächst auf Unternehmensebene und anschließend noch einmal bei dem Bezieher des Einkommens . ({5}) Ich erwarte eine Antwort darauf, wie Sie damit umgehen wollen . ({6}) Zum Zweiten gilt nach meiner Kenntnis Artikel 3 Grundgesetz . Artikel 3 Grundgesetz ist der Gleichheitssatz . Wir müssen jegliche Abweichung von Artikel 3 Grundgesetz rechtfertigen . Wir können - so ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - das objektive Nettoprinzip anwenden und von diesem in begrenztem Umfang von Artikel 3 abweichen . Dann muss aber folgerichtig dargelegt werden, warum wir das tun . Bei der Entfernungspauschale zum Beispiel hatten wir versucht, in der Gesetzgebung entsprechend vorzugehen; dies ist uns damals aber nicht vollständig gelungen . Insofern ist das, was Sie hier vorschlagen, aus meiner Sicht nicht im Einklang mit dem, was unser Grundgesetz vorsieht . ({7}) In diesem Land zahlen 73 000 Menschen den Spitzensteuersatz. Diese 73 000 Mitbürger finanzieren 12 Prozent des Aufkommens der Einkommensteuer . Ich glaube, wir sollten uns fragen: Wenn wir zu solchen Regelungen kommen würden, wie Sie sie vorschlagen, wären wir dann für die Bezieher solcher Einkommen ein besonders attraktiver Standort? ({8}) Wir werben gerade im Kontext des Brexit dafür, ein attraktiver Standort zu sein und zu bleiben . Sie unternehmen alles dafür, dass wir das nicht sind . ({9}) Insofern werbe ich dafür, dass wir uns im Steuerrecht an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientieren und Gerechtigkeit im Steuerrecht beibehalten . ({10}) Unternehmen sind nicht vollkommen frei, ihre Vergütungen an Vorstandsmitglieder festzulegen . Wir haben zum Beispiel speziell bei Finanzinstituten die Relation zwischen Fest- und variablem Gehalt geregelt . Wir haben sogar geregelt, dass gewährte variable Vergütungsbestandteile wieder zurückgefordert werden können . Ich glaube, entlang dieser Überlegungen kann man vorgehen, wenn man der Einschätzung folgt, dass wir zu hohe Vergütungen, zu hohe Abfindungen haben. Ich würde mich darüber freuen, wenn diejenigen, die in die zuständigen Gremien gewählt sind, ihre Verantwortung wahrnehmen . Bei mitbestimmten Unternehmen ist mindestens die Hälfte der Vertreter von der Arbeitnehmerbank . Diese Vertreter sollten ihre Verantwortung insbesondere mit Blick auf die Interessen der Arbeitnehmer wahrnehmen . Vielen Dank . Ich freue mich auf die Debatte zu dieser Thematik . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatssekretär, der Kollege Kindler erhält jetzt das Wort für eine Kurzintervention . Darauf können Sie dann antworten . - Herr Kollege Kindler .

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Staatssekretär Meister, ich habe vor allen Dingen verstanden, dass Sie jetzt in dieser Rede nach Gründen gesucht haben, die steuerliche Abzugsfähigkeit für Managergehälter, für Boni und Abfindungen nicht zu deckeln. Ich finde das, ehrlich gesagt, peinlich. Ich finde, der Deutsche Bundestag muss heute zu einer Entscheidung kommen, wie man regeln kann, dass diese Millionenabfindungen für Manager endlich gedeckelt und nicht durch Steuergeld weiter bezuschusst werden . ({0}) Sie haben sich auch zu Niedersachsen und zu der Rolle der Grünen dort geäußert . An dieser Stelle Ihrer Rede hatten Sie meine Zwischenfrage leider nicht zugelassen . Deswegen gehe ich jetzt in einer Kurzintervention darauf ein . Es ist so im Aktienrecht - das wissen auch Sie -, dass die Aufsichtsratsmitglieder verantwortlich sind und dass nicht Parteien in Aufsichtsräten sind, sondern dass Personen Aufsichtsratsmitglieder sind . Das sind in diesem Fall Stephan Weil und Olaf Lies von der Sozialdemokratie . 2013 hat die rot-grüne Koalition im niedersächsischen Landtag mit Mehrheit einen Antrag beschlossen, der vorsah, dass Managergehälter, Boni und Abfindungen bei der steuerlichen Abzugsfähigkeit gedeckelt werden . Wir haben die Landesregierung auch aufgefordert, die persönliche Haftung von Vorstandsmitgliedern deutlich schärfer zu regeln . Ich will Sie gern darauf aufmerksam machen, dass wir im Landtag auch stark kritisiert haben, dass Frau Hohmann-Dennhardt eine solch hohe Abfindung bekommen hat . Wir wollen die Aufklärung bei VW, beim Dieselskandal vorantreiben, und zwar hier im Deutschen Bundestag und im niedersächsischen Landtag . Denn es geht nicht, dass dieser Konzern trotz des Dieselskandals noch so hohe Abfindungen zahlt. Wir wehren uns entschieden dagegen . ({1}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721956 Ich weise Sie auch ganz genau darauf hin, Herr Staatssekretär, dass der Dieselskandal nicht erst in den letzten Jahren angefangen hat . Mit der Schummelsoftware wurde schon viel früher begonnen, nämlich 2007, und richtig schlimm ist es 2011 geworden . Zu der Zeit waren nicht Sozialdemokraten im Aufsichtsrat, waren nicht Herr Weil und Herr Lies im Aufsichtsrat, sondern Christian Wulff und David McAllister von der CDU . ({2}) Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis zu nehmen . Vielen Dank . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt die Möglichkeit einer Entgegnung .

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Kindler, zunächst einmal habe ich dafür geworben, dass jeder Mensch in unserem Land als Person dort Verantwortung wahrnimmt, wo er Verantwortung übernommen hat . ({0}) - Nein, das ist nicht gemacht worden . ({1}) Sie haben ja selbst in Ihrer Rede, Frau Kollegin GöringEckardt, darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerbank und die beiden Vertreter des Landes ({2}) zugestimmt haben - nicht beim Ausscheiden von Frau Hohmann-Dennhardt, sondern bei der Berufung von Frau Hohmann-Dennhardt, beim Wechsel vom früheren Arbeitgeber zum jetzigen Arbeitgeber VW . Das Präsidium des Aufsichtsrats hat zugestimmt, und dort waren genau diese Vertreter dabei . Worum ich geworben habe, ist, dass die Menschen, die das beschlossen haben, persönlich für das, was sie beschlossen haben, einstehen und die Verantwortung wahrnehmen . Das ist der Punkt, um den es geht . ({3}) Sie haben in Ihrer Rede dargelegt, Frau GöringEckardt, dass es wenige Fälle sind - gemeint ist die Grenze, die VW jetzt vorschlägt -, die hier überschreitend sind . Deshalb haben wir kein allgemeines Phänomen zu regeln, ({4}) sondern wir haben die Verantwortung von denen sicherzustellen, die Verantwortung haben . Und an der Stelle wollen wir etwas tun . Der zweite Punkt: Ich glaube schon, Sie machen es sich ein bisschen billig, ({5}) wenn Sie sich hier hinstellen und das im Allgemeinen kritisieren . Aber Sie fordern von den beiden Regierungsmitgliedern in Niedersachsen, die Sie mit Ihrer Stimme in die Verantwortung gewählt haben, nicht ein, dass diese Verantwortung gelebt wird . ({6}) Das zeugt von einer Doppelmoral . Es ist scheinheilig, hier so aufzutreten und zu fordern, es müsse allgemein etwas geschehen, und im konkreten Fall auszuweichen und sich zu verstecken . Das lasse ich Ihnen nicht durchgehen! ({7}) Da können Sie noch so lautstark über andere Themen reden . An der Stelle hätten Sie besser, wenn Sie sich so verhalten, Ihren Antrag gar nicht gestellt . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Millionen Menschen fühlen, dass es in diesem Staat nicht gerecht zugeht … Wenn ein Konzernchef verheerende Fehlentscheidungen trifft, dafür noch Millionen an Boni kassiert, eine Verkäuferin dagegen aber für eine kleine Verfehlung rausgeschmissen wird, dann geht es nicht gerecht zu . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich wundere mich, dass Sie jetzt nicht alle geklatscht haben . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21957 Das waren Aussagen Ihres Kanzlerkandidaten und künftigen Parteichefs . ({1}) Martin Schulz hätte natürlich ehrlicherweise dazusagen können, dass die SPD in ihren letzten 15 Jahren Regierungszeit erhebliche Mitverantwortung für die von ihm zu Recht kritisierten Zustände trägt . Aber egal, späte Einsicht ist besser als gar keine Einsicht . ({2}) Natürlich ist es ein Skandal, dass in diesem Land immer mehr Menschen trotz harter Arbeit auch nicht ansatzweise einen halbwegs gesicherten Wohlstand erreichen können, während am oberen Ende der Einkommenspyramide Millionen eingestrichen werden, die jeden Bezug zur persönlichen Leistung verloren haben, wo elementare Prinzipien von Haftung und persönlicher Verantwortung völlig außer Kraft gesetzt sind . Das sind himmelschreiende Ungerechtigkeiten . ({3}) Und das empfinden die meisten Menschen zu Recht so. Deswegen ist es gut, dass Sie von der SPD das inzwischen auch so sehen . Darüber freuen wir uns . ({4}) Die Freude wäre allerdings ungetrübter, wenn wir das Gefühl hätten, den Reden von Herrn Schulz würden jetzt auch reale Taten folgen . Es klang ja zunächst gut, als die SPD-Fraktion angekündigt hat, im März einen Gesetzentwurf vorzulegen mit einem festgeschriebenen Maximalverhältnis zwischen Vorstandsgehältern und durchschnittlichem Einkommen im Unternehmen . ({5}) Das wäre vernünftig . Deshalb haben wir als Linke genau das schon mehrfach in diesem Parlament beantragt . Allerdings hat sich Ihre eigene Wirtschaftsministerin davon schon wieder abgewandt und die Forderung auf eine Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Managergehältern reduziert - also das, was jetzt auch die Grünen beantragt haben . ({6}) Ja, glauben Sie denn im Ernst, dass die Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit irgendeinen Konzern davon abhalten wird, weiter seine Gehaltsexzesse auszuleben? Das ist doch völlig absurd, das hätte doch gar keinen Effekt . ({7}) Und dann will die SPD ihren Gesetzentwurf natürlich auch nur dann im Parlament einbringen, wenn sie sich mit der CDU geeinigt hat . Nun hat zwar die Kanzlerin diese Woche, wie ich der Presse entnommen habe, ihre Fraktionskollegen sogar ermuntert, sie könnten ruhig über die Begrenzung von Managergehältern diskutieren - das finden wir wirklich großzügig von ihr -, ({8}) aber für den Fall, dass es um mehr als ums Diskutieren geht, hat Herr Schäuble schon einmal vorsorglich verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet . Ich muss sagen: Es ist eigentlich schade, dass Herrn Schäuble solche verfassungsrechtlichen Bedenken bei Milliardenbetrügereien mit Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäften von Banken komischerweise nie gekommen sind . Das hätte dem Staat und damit dem Steuerzahler Mindereinnahmen in Höhe mehrerer Milliarden ersparen können; aber das nur nebenbei . ({9}) So oder so: Jede Erfahrung, und auch der Redebeitrag von Herrn Meister natürlich, spricht dagegen, dass die SPD mit der CDU in dieser Frage eine vernünftige Regelung erreichen wird . ({10}) Deshalb möchten wir in Erinnerung rufen, dass es im Bundestag längst eine Mehrheit von SPD, Linken und Grünen gibt . ({11}) Sie brauchen also gar nicht Frau Merkel oder Herrn Schäuble zu überzeugen, Sie müssen allenfalls einige allzu wirtschaftsliberale Grüne überzeugen. Aber ich finde: Das sollte machbar sein, und es ist auch dringend notwendig, wenn man sich die Entwicklungen ansieht . ({12}) - Ich habe gesagt: „einige“ Grüne, da müssen Sie sich nicht so sehr aufregen . ({13}) Anfang der 90er-Jahre lag das Verhältnis der Managerbezüge zu dem Einkommen eines durchschnittlichen Arbeitnehmers bei 1 : 28, das heißt, ein Manager bekam in einem Jahr so viel wie ein Arbeitnehmer in 28 Jahren . Das war schon ziemlich viel . Aber heute ist es völlig anders . Heute liegt das Verhältnis im Schnitt bei 1 : 83, das heißt, ein Manager streicht in einem Jahr doppelt so viel ein wie ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in seinem ganzen Erwerbsleben . Und dieser absurden Entwicklung haben Sie alle jahrelang zugeschaut . Während Herr Schulz Gerechtigkeitsreden hält, stimmt Herr Weil der viel diskutierten 12-Millionen-Euro-Abfindung bei VW zu, und obendrauf - das ist noch nicht erwähnt worden - gibt es auch noch eine Rente von rund 8 000 Euro für Frau Hohmann-Dennhardt bis zum Lebensende, und das Ganze für eine 13-monatige Tätigkeit . Angesichts dieser schamlosen Selbstbereicherung möchte ich Sie daran erinnern, wie hoch die Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721958 Durchschnittsrente ist, die ein Arbeitnehmer nach 40 bis 45 Beitragsjahren erhält . Sie beläuft sich dank Ihrer Rentenkürzung auf etwa 1 000 Euro . Und dann wundern Sie sich, dass die Menschen empört sind und dass viele den Politikbetrieb nur noch für korrupt und verlogen halten? Wenn Ihnen der Zusammenhalt unserer Gesellschaft wirklich am Herzen liegt, dann tun Sie doch endlich etwas dafür, dass diese Schere nicht immer weiter auseinandergeht . ({14}) Tun Sie etwas dafür, dass die Durchschnittsrente steigt; man kann es nicht oft genug betonen . In Österreich zum Beispiel bekommt ein Durchschnittsrentner 800 Euro mehr Rente, und zwar im Monat . Tun Sie etwas dafür, dass diese Boniexzesse nicht mehr möglich sind . Der einzig effektive Weg dazu ist tatsächlich eine Koppelung der Managervergütungen an die Lohnentwicklung im Unternehmen, etwa in der Relation 1 : 20 zur unteren Lohngruppe, so wie wir das ja auch beantragt haben . Das wäre übrigens nicht nur sozial gerechter, es würde vor allem ganz andere Anreize setzen; denn statt in erster Linie auf den Aktienkurs zu schielen, würden Manager dann belohnt, wenn sie ein Unternehmen so führen, dass auch die Arbeitnehmer von der Entwicklung profitieren. ({15}) Ich sage Ihnen: Der Ehrgeiz in den Vorstandsetagen, jede sich bietende Möglichkeit zur Lohndrückerei auszunutzen, würde ganz schnell gravierend ermatten; und das wäre ja vielleicht auch nicht schlecht . Es gibt übrigens sehr erfolgreiche Unternehmen, in denen es eine solche Regelung gibt . Die Carl-Zeiss-Stiftung etwa hat seit dem 19 . Jahrhundert eine Begrenzung der Managergehälter auf das Zehnfache des Durchschnittslohns in ihrem Statut . Und das ist ein Unternehmen, das seit etwa 150 Jahren erfolgreich ist . Wir sollten natürlich auch darüber reden, weshalb es sich die großen Konzerne überhaupt leisten können, Jahr für Jahr auf der einen Seite Rekorddividenden auszuschütten und auf der anderen Seite ihr Management in Millionen zu baden . Dafür gibt es Gründe, und die Gründe haben ganz wesentlich mit den Gesetzen der letzten 20 Jahre zu tun . Sie haben etwas zu tun mit der schlechten Lohnentwicklung dank Leiharbeit und Werkverträgen, woran auch diese Koalition wieder nichts verändert hat . Sie haben zu tun mit der Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge, weil die abhängig Beschäftigten einen immer größeren Teil für Kranken- und Rentenversicherung inzwischen selber zahlen müssen . Sie haben zu tun mit den Steuergesetzen, die bewirken, dass inzwischen 80 Prozent des Steueraufkommens ausschließlich aus Lohn- und Verbrauchsteuern stammen, während sich die Konzerne immer leichter um ihre Steuerpflichten drücken können . Das alles muss dringend geändert werden, wenn es in diesem Land wieder gerecht zugehen soll . ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie die vorhandene Mehrheit jetzt nicht nutzen, wer soll Ihnen glauben, dass Sie das nach der Wahl tun werden? Die Linke jedenfalls redet nicht nur von sozialer Gerechtigkeit, sondern wir stimmen und streiten auch dafür . ({17})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Carsten Schneider . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ja bisher eine muntere Debatte . Sie wird auch munter bleiben; denn das Thema „Hohe Managergehälter“ regt die Menschen auf . Es regt sie insbesondere dann auf, wenn die hohe Vergütung nicht im Einklang mit der erbrachten Leistung steht . Es regt sie auf, wenn - wie derzeit in Deutschland - die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes streiken und man erfährt, dass zum Beispiel Erzieherinnen und Erzieher - in Deutschland im Durchschnitt 2 500 Euro brutto verdienen, in Thüringen, meinem Bundesland, sogar nur 2 000 Euro brutto . Erzieherin ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf; ich selbst bin Vater von zwei Töchtern und glaube, es gibt nichts Wertvolleres, als seine Kinder gut betreut zu wissen, wenn man sie in Obhut gibt . Deren Gehalt steht in keinem Verhältnis zu den Gehältern im obersten Managementbereich der DAX-Konzerne - die Zahlen wurden genannt - und erst recht nicht zu den Pensionszusagen . Die Frage ist: Was macht man? Frau Göring-Eckardt hat das Thema VW angesprochen . Dort hat es - ganz klar - eine Fehlentwicklung gegeben . Diese Fehlentwicklung, nämlich viel zu hohe Gehälter, begann allerdings schon 2001 mit dem Eintritt von Martin Winterkorn in den Vorstand . Damals hatten Herr McAllister und Herr Wulff die Verantwortung . ({0}) In Teilen sind das noch laufende Verträge . Ich persönlich muss sagen: Ich kann den Vertrag von Frau Hohmann-Dennhardt überhaupt nicht nachvollziehen . Ich hätte dem auch nicht zugestimmt . ({1}) Ich finde, die Grünen sind mit ihrem Antrag sehr nah an den Positionen der SPD, was die steuerliche Absetzbarkeit betrifft . ({2}) Wir machen aber Gesetze und stellen keine Anträge, Frau Andrae . ({3}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21959 Man muss zu seiner Verantwortung stehen, auch in einer Koalition, auch in Niedersachsen. Ich finde, Sie machen sich einen etwas zu schlanken Fuß, wenn Sie mit dem Finger jetzt nur auf die beiden Vertreter der SPD im Aufsichtsrat zeigen . ({4}) Sie hätten diese Fragen auch sehr gut in Ihrem Koalitionsvertrag regeln können . ({5}) Wenn Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen, dass letztendlich die Hauptversammlung der Anteilseigner, der Besitzer, der Eigentümer des Unternehmens die Entscheidung über die Vergütungssysteme und die einzelnen Verträge trifft, dann sind wir auf dem richtigen Weg . ({6}) Dann wären sie mit in der Verantwortung und könnten sich dazu bekennen . ({7}) Wir wollen, dass der angesprochenen Fehlentwicklung in Deutschland etwas entgegengesetzt wird . Dabei gibt es bisher einen Dissens . Denn wenn ich die Ausführungen von Herrn Meister richtig verstanden habe - ich weiß allerdings nicht, ob das die private Meinung von Herrn Meister, die Auffassung des Finanzministeriums oder die der CDU/CSU war -, dann wollen Sie keine steuerliche Begrenzung der Absetzbarkeit . Zumindest Frau Hasselfeldt - sie ist ja keine irrelevante politische Person im Bundestag, sondern die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe - habe ich so verstanden, dass sie dem offen gegenübersteht . Frau Wagenknecht, die Verhältnisse zwischen den Managementvergütungen und den normalen Einkommen der Arbeitnehmer sind explodiert . Die Höhe der Managergehälter beträgt derzeit das 50-Fache des Durchschnittseinkommens der Beschäftigten . In den Zeiten des Wirtschaftswunders lag sie beim 15- bis 20-Fachen; auch da haben Vorstände schon gut verdient, aber sie waren zufrieden . Ich glaube, für eine so verantwortungsvolle Aufgabe, die derjenige auch übernehmen will, bekommt man auch jemanden für weniger Geld . Wir reden ja nicht von viel weniger Geld . Wir wollen, dass nicht mehr die Aufsichtsräte, sondern die Gesellschafter, die Aktionäre, über die Höhe der Vergütung entscheiden . Dafür gibt es gute Gründe . Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat nicht nur aufgearbeitet, dass die Managementvergütung derzeit das 50-Fache der Durchschnittsvergütung beträgt, sondern sich auch angeguckt, wie die Hauptversammlungen über die Managementvergütung entschieden haben, wenn sie es konnten . Im Jahr 2015 betrug die Zustimmung zu den Vergütungssystemen noch über 90 Prozent . Im Jahre 2016 lag sie nur noch bei 76 Prozent, und bei der Deutschen Bank ist sogar ein Vorschlag des Aufsichtsrates abgelehnt worden, weil die Vergütung zu hoch war . Deswegen ist für uns sehr klar, dass wir hier Transparenz und eine Orientierungsgröße haben wollen, die zwischen der maximalen Vergütung und der Durchschnittsvergütung - also nicht der untersten Lohngruppe - liegt, und dass die Aktionäre über die Managergehälter zu entscheiden haben . Sie werden dann sehr wohl entscheiden, ob derjenige das tatsächlich auch wert ist . Ich bin zuversichtlich, dass das auch gelingt . Dabei geht es letztendlich auch um den Gewinn . Daneben wollen wir eine Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit . In den nächsten beiden Wochen - wir sind fast fertig - werden wir einen Gesetzentwurf vorlegen, der die steuerliche Absetzbarkeit von Gehältern auf 500 000 Euro deckelt - Boni etc . inklusiv . ({8}) Ich komme nun zu den Pensionen, die abstrus hoch sind . Wieso braucht jemand, der keine Leistung mehr bringt, aber Millionen verdient hat, noch 3 000 Euro pro Tag? Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar . ({9}) Wir wollen, dass auch dort ein Stoppschild gesetzt wird, indem es für die Aktionäre, die Eigentümer, teurer gemacht wird, Herr Meister . Die Absetzbarkeit von Aufwendungen zur Altersvorsorge soll auf das Maximum dessen begrenzt werden, was an gesetzlicher Rente pro Jahr ausgezahlt wird, und das ist deutlich weniger . ({10}) Das ist das, was wir aus unserer Sicht im Rahmen des Grundgesetzes rechtlich normieren können . Frau Wagenknecht, Sie haben darauf hingewiesen, dass wir das ja mit schmaler Mehrheit im Bundestag jetzt schon tun können . Ich bin ganz zuversichtlich, dass uns das auch in dieser Koalition noch gelingt . ({11}) - Warten Sie es ab . - Wir werden in den nächsten beiden Wochen den Gesetzentwurf vorlegen und dann mit der CDU/CSU-Fraktion Gespräche darüber führen . Ich bin zuversichtlich, dass auch bei den Unionsabgeordneten Bereitschaft besteht, darüber zu sprechen . ({12}) Wir werden allerdings keinen faulen Kompromiss machen . Eine halbgare Lösung, nur um eine Lösung zu haben, wird es also nicht geben . Dann werden wir uns im Wahlkampf darüber auseinandersetzen; denn auch Sie wissen, dass wir wegen eines solchen Punktes so kurz vor einer Bundestagswahl keine Koalition platzen lassen; das ist klar . Die entscheidende Frage ist aber: Wofür steht die SPD? Wir stehen für Transparenz, für Begrenzung, dafür, dass der Steuerzahler diese hohen Gehälter und PensioCarsten Schneider ({13}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721960 nen nicht noch zusätzlich subventionieren muss, dass es teurer und unangenehmer wird und dass auch wieder ein bisschen Moral in diesem Land einkehrt . ({14}) Ein Letztes . Dass das gehen kann, haben wir mit der Institutsvergütungsverordnung für Banken gezeigt . Darin ist auch die Frage geregelt, was passiert wenn jemand eine Schlechtleistung erbringt . Dabei geht es um die sogenannte Clawback-Klausel . Bei der Deutschen Bank betragen die Vorstandsgehälter zurzeit das 22-Fache des durchschnittlichen Arbeitnehmergehalts, das vielleicht ein bisschen höher ist als in anderen Betrieben . Das ist überraschend . Bei anderen Unternehmen liegt die Spanne zwischen dem 50-Fachen und dem 114-Fachen . Es geht also . Wenn dort ein Vorstand eine Schlechtleistung erbringt, werden die Boni, die in Deutschland einen viel zu hohen Gehaltsbestandteil ausmachen, nämlich fast 48 Prozent, gekürzt . Ich bin hier mehr für Festvergütungssysteme; in diese Richtung geht ja auch Daimler Benz . Daneben muss es bei einer Schlechtleistung von Managern auch eine Rückgriffsmöglichkeit geben . Frau Göring-Eckardt hat in ihrer Rede recht gehabt: Es kann nicht sein, dass man nur nimmt, wenn es gut läuft - dann schaut man nur auf den kurzfristigen Unternehmenserfolg und nicht darauf, dass man auch nachhaltig arbeitet -, und keine Verantwortung trägt, wenn es dann mal schlecht läuft . Das wollen wir Sozialdemokraten nicht, und aus diesem Grund ist das eine gute Richtschnur . Vielen Dank . ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Professor Heribert Hirte . ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer oben auf den Tribünen! Das Thema Managervergütung haben Sie, liebe Kollegen von den Grünen, zu Recht auf die Tagesordnung gesetzt . Der Fall, der uns hier beschäftigt, nämlich der Fall der Abfindungszahlung an die frühere SPD-Politikerin - das muss man schon einmal sagen - Hohmann-Dennhardt, ist in der Tat skandalös . Dann darf und muss man natürlich auch einen Blick zurück werfen, was eigentlich die Vorgeschichte ist . Ausgangspunkt waren - das haben Sie gesagt - die Manipulationen bei den Abgaswerten . Was wir jetzt sehen, ist das, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat . Diese Manipulationen bei den Abgaswerten haben zu Strafzahlungen in astronomischer Höhe geführt, sie haben zu Rückstellungsbedarf in der Bilanz bei Volkswagen geführt . Wir wissen noch gar nicht, ob man da schon am Ende angekommen ist . Als Folge davon sehen wir natürlich auch, dass dies möglicherweise Auswirkungen auf die Ausschüttungen an die Gesellschafter und auch auf die Berechnung der Vorstandsvergütung hat . Deshalb ist das in der Tat ein irre heißes Thema . ({0}) Jetzt kommen wir zu der Frage, die gerade einige der Kollegen vorgebracht haben und die auch in Ihrem Antrag enthalten ist, ob die richtige Antwort das Steuerrecht ist . Sie wollen den Betriebsausgabenabzug für Vorstandsvergütungen ab einer bestimmten Höhe einschränken . Der Kollegin Wagenknecht stimme ich sonst nur ungern zu, aber hier tue ich das sehr gerne . Die Wirtschaft bestätigt genau das, was die Kollegin Wagenknecht gesagt hat: Steuerliche Beschränkungen dieser Art führen nicht zu einer Verkürzung, zu einer Reduktion der Vorstandsvergütung . ({1}) Der einzige Effekt ist: Es wird weiter gezahlt, die Steuern für die Unternehmen steigen, und das bedeutet, dass das, was den Aktionären und den Arbeitnehmern zur Verfügung steht, sinkt . Das ist der Effekt des Antrags, den Sie hier bringen . ({2}) - Zu den anderen Lösungsansätzen komme ich noch . Um es kurz zu sagen: Dieser Antrag führt zu einem Mehr für den Staat, einem Weniger für Unternehmen, Kleinaktionäre und Arbeitnehmer und einem allenfalls unklaren Effekt auf die Höhe der Managerbezüge . Wenn man das steuerlich weiterdenkt - ich habe das getan, und ich bin sicher, das Finanzministerium tut das auch -, dann stellt sich die weitere Frage, ob der Teil, der dann nicht mehr als Betriebsausgabe berücksichtigt werden kann, möglicherweise als Gewinn ausgeschüttet werden kann - mit im Übrigen besseren Effekten für die Vorstandsmitglieder, nämlich mit geringerer Besteuerung . Sie haben das nicht zu Ende gedacht . Das ist nicht die Lösung, die wir uns vorstellen können, weil sie weder gesellschaftsrechtlich, was die Vergütungshöhe angeht, noch steuerlich zu dem führt, was Sie eigentlich wollen . Ich knüpfe an das an, was der Kollege Meister gesagt hat: Das alles muss in der Tat vor dem Grundgesetz Bestand haben, vor dem Artikel 3, der Gleichbehandlung . Wir müssen uns dann fragen: Gibt es auch andere Fälle, die ähnlich sind? Ich verweise nur auf die Aufsichtsratsvergütungen, die im Augenblick nicht abgezogen bzw . nicht voll abgezogen werden können . Wenn Sie jetzt hingehen und eine andere Obergrenze einführen wollen, dann müssten wir über die Frage nachdenken, ob nicht vielleicht aus steuersystematischen Gründen auch die Aufsichtsratsvergütungen bis genau zu dieser Grenze abzugsfähig sind . Auch hier geht der Schuss nach hinten los, auch hier wurde nicht zu Ende gedacht . ({3}) Ich glaube, es war Kollege Kindler, der gesagt hat: Dann kommen Sie mit eigenen Vorschlägen! - Ja, es gibt Vorschläge . Natürlich diskutieren wir das . Wenn Carsten Schneider ({4}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21961 man einmal Unternehmensbesteuerung auf der einen Seite und individuelle Besteuerung bei den Vorstandsmitgliedern auf der anderen Seite zusammen betrachtet und berechnet, dann treibt mich der Punkt wirklich um, dass einige dieser Vorstandsmitglieder ihr persönliches Einkommen ausschließlich im Ausland versteuern . Da muss man natürlich einmal über die Frage nachdenken dürfen, ob nicht die Tätigkeit eine Tätigkeit ist, die dem Unternehmen zuzuordnen ist und damit als persönliche Einkommensteuer dann im Inland zu versteuern ist . Es ist nicht so, dass wir da keine Vorschläge hätten . ({5}) Aber Ihre Vorschläge zur steuerlichen Abzugsfähigkeit führen uns nicht zum Ergebnis . Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns das Gesellschaftsrecht ansehen . Es ist mehrfach gesagt worden: Der Aufsichtsrat ist für die Bestellung der Vorstandsmitglieder zuständig . Deshalb müssen wir uns fragen, warum ein Aufsichtsrat solche zu Recht als zu hoch empfundenen Zahlungen erst einmal bewilligt und anschließend, wenn es zu Schäden kommt - denn das ist die andere Seite der Medaille -, es unterlässt, die Vorstandsmitglieder haftbar zu machen . Dann fragt man sich auch hier, warum das gerade bei Volkswagen ein solcher Skandal ist . Sie haben eben nur halb darauf hinweisen und nur halb zuhören wollen, aber da sind natürlich SPD und Grüne in der Pflicht. Sie könnten in der Hauptversammlung die entsprechenden Mehrheiten organisieren und die Haftung realisieren . ({6}) Dann kommen wir zu der Frage, die uns allgemein umtreiben sollte: Warum gibt es - so wie es bei Volkswagen ist, ist es nicht bei allen anderen Gesellschaften - solche überhöhten Vergütungen? Das liegt an der Struktur börsennotierter Aktiengesellschaften mit einer anonymen Eigentümerstruktur . Wir müssen uns die Frage stellen, wie hier das Problem gelöst werden kann . Wir haben es schon gehört: Wir sind dieses Problem angegangen . Der Kollege Schneider - ich bin ihm dankbar, dass er das ausdrücklich gesagt hat - hat erklärt: Wir müssen die Verantwortung für die Festlegung der Vergütungshöhe in die Hände derer legen, die die Zeche bezahlen . Das sind die Aktionäre, das sind die Gesellschafter . Genau das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart . Wir warten seit drei Jahren darauf, dass das SPD-geführte Justizministerium uns hierzu einen Vorschlag macht . Wir warten nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag . Schließlich haben wir - auch das möchte ich sagen - eine solche Regelung am Ende der letzten Legislaturperiode in diesem Hause schon einmal verabschiedet . Sie ist im Bundesrat gekippt worden, aber nicht mit den Stimmen der Union . Wir hätten schon längst eine Regelung zur Begrenzung der Managervergütung, wenn Sie sie nicht blockiert hätten . ({7}) Ich möchte aus dem Koalitionsvertrag zitieren . Da heißt es: Um Transparenz bei der Feststellung von Managergehältern herzustellen, wird über die Vorstandsvergütung künftig die Hauptversammlung auf Vorschlag des Aufsichtsrats entscheiden . Es geht nicht darum, ihn nur anzuhören; denn das hilft nicht . Man muss entscheiden . Am Ende entscheiden die Eigentümer . Natürlich folgt die Frage, ob das reicht, weil möglicherweise in den Hauptversammlungen die gleichen Mehrheiten bestehen, die den Aufsichtsrat gewählt haben . Ich kann Ihnen sagen: Natürlich denken wir auch darüber nach . Ich kann Ihnen auch die Idee nennen, die ich schon ein paar Mal in den Raum gestellt habe . Wir brauchen ein Recht der Minderheitsaktionäre - eine Zahl X, einen bestimmten Prozentsatz -, das es ihnen ermöglicht, sich dann, wenn ihnen die Vorstandsvergütung als zu hoch erscheint, an ein drittes Gremium zu wenden . Das wäre naheliegenderweise - der Kollege Meister hat es eben schon angesprochen - wie bei den Kreditinstituten die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht . Dort könnte geklärt werden, ob die Höhe angemessen ist . Angemessenheit orientiert sich an dem, was die ordentliche mittelständische Wirtschaft, nämlich die Leistungsträger unserer Gesellschaft, an Vergütung zahlt . Damit führen wir die Vergütung auf Maß und Mitte zurück . Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen - wenn nicht jetzt mit Ihnen, dann in der nächsten Legislaturperiode . Vielen Dank . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir beraten heute ein Thema, das den Kern der sozialen Marktwirtschaft betrifft . Wenn Manager über das 50-Fache des Durchschnittsgehaltes der Normalbelegschaft verdienen, dann fehlt es bei den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht immer mehr an der Akzeptanz unserer sozialen Marktwirtschaft . Auch wir waren entsetzt, dass man bei VW nach einem Jahr 12 Millionen Euro Abfindung bekommen kann oder dass Herr Winterkorn 3 000 Euro pro Tag bekommt . All das untergräbt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darin, dass es in unserer Gesellschaft noch gerecht zugeht . Aber, Herr Kollege Meister, Sie haben gesagt, das sei die Schuld von Rot-Grün in Niedersachsen gewesen . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721962 Dazu muss ich sagen: Ich halte das, was Sie hier gesagt haben, für eine billige Wahlkampfnummer . ({0}) Diese Gehaltsexzesse fußen auf einer Gehaltsstruktur, die die schwarz-gelbe Handschrift der Vorgängerregierung trägt, die in Niedersachsen tätig war . ({1}) Bei allem Ärger über diese Exzesse: Die Grundlage dafür hat die schwarz-gelbe Vorgängerregierung im Aufsichtsrat geschaffen . ({2}) Wir, die SPD-Fraktion, haben schon in der vergangenen Legislaturperiode mit einem ganz konkreten Antrag dargelegt, wie wir diese Vergütungsexzesse verhindern wollen . Wegen der Vertragsfreiheit können wir sicherlich nicht explizit ein Höchstmaß im Verhältnis zwischen der Vergütung des Vorstands und der Belegschaft festlegen . Aber wir können eine gesetzliche Grenze für die steuerliche Abzugsfähigkeit regeln; denn es kann nicht sein, dass ein Unternehmen umso weniger Steuern bezahlt, je höher die Managervergütungen sind . ({3}) Das kann auf gar keinen Fall sein! ({4}) Herr Kollege Hirte, wir haben doch auch mit den Stimmen der Union für die Unternehmen, die wir mit Steuergeldern gerettet haben, festgelegt: Wir wollen keine exzessiven Managervergütungen haben . - Sie haben zugestimmt, einen solchen Deckel in das Gesetz einzuziehen . Sie waren dafür . Dort funktioniert es . Kurzum: Es muss der Grundsatz gelten: Keine Steuergelder für Gehaltsexzesse, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({5}) Die Bundeswirtschaftsministerin hat mit Recht darauf verwiesen, dass wir das Verhältnis zwischen den Vorstandsvergütungen und den Belegschaftseinkommen nicht gesetzlich regeln können . Aber was wir im Aktienrecht unproblematisch regeln können, das ist - wie von der SPD-Fraktion schon lange gefordert - die Verpflichtung für ein Unternehmen, das Verhältnis zwischen Vorstandsvergütung und Durchschnittsgehalt der Belegschaft festzulegen und hierüber dann im Sinne der Transparenz auch öffentlich berichten zu müssen . Genau eine solche Regelung könnten wir schaffen . Deswegen habe ich auch kein Verständnis dafür, dass die Linke hier mit dem lapidaren Satz „Bundesregierung, leg mal eine solche Obergrenze vor!“ ins Rennen geht . Das ist zu dünn . Wenn Ihnen dieses Thema tatsächlich wichtig wäre, würden Sie hier, wie es die SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode aus der Opposition heraus gemacht hat, einen fundierten ausführlichen Antrag stellen, wie Sie für mehr Gerechtigkeit sorgen wollen . ({6}) Was Sie hier vortragen, ist viel zu dünn . ({7}) Gleiches finde ich auch beim Grünenantrag. Sie schreiben hier, dass Sie lediglich das Verhältnis der Vorstandsgehälter zu den Belegschaftseinkommen in angemessener Weise berücksichtigen wollen. Das, finde ich, ist viel zu schwammig . Wir brauchen hier eine klare Verpflichtung. ({8}) Das ist zu dünn, und deswegen können wir diesem Antrag ebenfalls nicht zustimmen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Frage der Gehaltsexzesse geht es nicht nur um eine wirtschaftspolitische Frage, sondern auch darum, dass die Menschen wieder Vertrauen in unsere soziale Marktwirtschaft gewinnen . Gerade wenn die Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, sehen, dass Herr Winterkorn 3 000 Euro pro Tag erhält oder 12 Millionen Euro Abfindung für ein Jahr gezahlt werden, dann habe ich großes Verständnis dafür, dass sie nicht mehr glauben, dass es in unserer Gesellschaft gerecht zugeht . Lassen Sie uns deshalb noch in dieser Legislaturperiode - und wir werden spätestens im März einen Vorschlag unterbreiten - diese Exzesse bei der Managervergütung stoppen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch einmal zur Klarstellung: Es geht bei der steuerlichen Begrenzung nicht um Neid, sondern es geht um Fairness, Fairness gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Aktionären und der Gesellschaft . Jeder Mensch darf gutes Geld verdienen, wenn er es denn verdient hat . Wenn aber ein Manager nicht das 50-fache - was der Durchschnitt ist -, sondern wie bei VW das 141-fache seines Facharbeiters verdient ({0}) und mit 3 000 Euro am Tag in den Ruhestand geschickt wird, dann ist jede moralische Grenze überschritten . ({1}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21963 Und es ist völlig klar: Was nach den Buchstaben des Gesetzes legal ist, ist eben noch lange nicht legitim . Union und SPD hätten längst Kriterien festlegen können . Sie haben ja gesagt, in Ihrem Koalitionsvertrag steht: Über die Vorstandsvergütung wird zukünftig die Hauptversammlung auf Vorschlag des Aufsichtsrates entscheiden . - Das ist eine gute Formulierung, eine gute Idee in Ihrem Koalitionsvertrag . Leider ist es aber nicht Realität . Und warum soll die Hauptversammlung entscheiden? Damit öffentlich diskutiert wird, ({2}) damit dann gemeinsam entschieden wird, damit Akzeptanz hergestellt wird . ({3}) Und was machen Sie jetzt? Jetzt spielen Sie sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu . Ich finde es ja interessant, Herr Hirte: die hilflose Unionsfraktion in den Händen von Heiko Maas! Da fällt Ihnen nichts ein . Sie haben gar keine Idee, gar keinen Vorschlag mehr, den Sie hier einbringen . ({4}) Herr Michelbach, was ich ja wunderbar finde, sind die Zitate aus den letzten Tagen: Diese Entscheidung trifft nicht die Manager, sondern die Aktionäre . - Ja, wollen Sie jetzt die Aktionäre schützen oder die Steuerzahler? ({5}) Wolfgang Steiger, Wirtschaftsrat der Union, sagte: „Politik bricht . . . mit wesentlichen Grundsätzen unserer Wirtschaftsordnung .“ Ich sage Ihnen etwas: Eine Wirtschaftsordnung, bei der die Mehrheit für die Exzesse einiger weniger aufkommt, gehört in die Tonne und nicht ins Gesetz . ({6}) Und schließlich Michael Fuchs - großartig -: Wer über eine Begrenzung von Managementgehältern nachdenkt in Klammern: wir reden nicht über eine Begrenzung von Managergehältern, sondern über eine Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe, weil ansonsten die Steuerzahler dafür aufkommen; das nehmen Sie bitte zur Kenntnis! -, ({7}) der sollte sich von der Idee verabschieden, Deutschland könne bei der Digitalisierung vorn mitspielen . ({8}) Ich sage Ihnen eines: Nicht die Winterkorns machen Deutschland stark, sondern die mittelständischen Unternehmen . ({9}) Ich kenne kein einziges mittelständisches Unternehmen, das so verantwortungslos gehandelt hat wie zum Beispiel VW in den letzten Monaten . Was wir brauchen, ist positives Unternehmertum, das sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt und nicht der persönlichen Bereicherung . Das hat hier einfach gefehlt; das muss man zur Kenntnis nehmen . Wenn Vergütungssätze falsche Anreize setzen und wenn kurzfristige Erfolge mit hohen Boni belohnt werden, Misserfolge aber auf die Allgemeinheit verlagert werden, dann fördert das eben kurzsichtiges und risikoreiches Handeln . Ein Unternehmer steht zur Not mit seinem Privatvermögen für das Unternehmen gerade . Ein Manager trägt kein Risiko; das ist ein Fehler im System . Das müssen wir verändern . ({10}) Liebe Linke, Ihr habt einen Antrag vorgelegt, der ein bisschen ambitionslos ist . Wir haben uns bei unserem Antrag etwas einfallen lassen . Er beinhaltet vier einfache Punkte, die Sie alle gerade mehr oder weniger für richtig gehalten haben . Über Ausgestaltung und falsche Anreizmechanismen muss man reden, und das haben wir auch gemacht . Ich komme zu unseren Punkten . Erstens . Der Betriebsausgabenabzug von Gehältern wird auf 500 000 Euro pro Jahr und Kopf gedeckelt . Das beinhaltet auch die Boni . 500 000 Euro! ({11}) Zweitens. Für einmalige Zahlungen und Abfindungen gilt die Grenze von 1 Million Euro . Wenn jemand seinem Vorstand mehr zahlen will, dann kann er das tun . Aber es wird nicht mehr steuerlich subventioniert . ({12}) Drittens . Die Erfolgsbeteiligung wird an den langfristigen Erfolg geknüpft . Das heißt, Aktienoptionen dürfen zum Beispiel erst nach fünf Jahren ausgeübt werden . Es ist richtig, dass hier verhindert wird, eine Vertragsumgestaltung durch Aktien vorzunehmen . Nein, hier werden Erfolgsbeteiligungen an den langfristigen Erfolg geknüpft . Schließlich: vierter Punkt . Manager dürfen nicht nur am Gewinn, sondern müssen auch am Verlust beteiligt werden . ({13}) Das sind vier klare Vorstellungen, über die Sie mit uns diskutieren sollten . Stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann haben Sie von der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode tatsächlich noch etwas gemacht . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721964 Danke schön . ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Man muss der Opposition dankbar sein, dass wir heute über diese Anträge debattieren dürfen . Herzlichen Dank! ({0}) Ja, wir müssen reden; denn die Entwicklung bei Spitzengehältern in der Wirtschaft und auch im Sport kann einem manchmal schon den Atem verschlagen . Aktueller Anlass für die Opposition, ihre schon seit Jahren bekannten Vorschläge wieder aus der Klamottenkiste herauszukramen, ist der Fall der ehemaligen SPD-Ministerin Hohmann-Dennhardt . Es lohnt sich in der Tat, diesen Einzelfall näher zu betrachten . Da wird zunächst für eine ehemalige SPD-Ministerin ein neuer Vorstandsposten bei VW geschaffen . Verantwortlich dafür ist ein Gremium, in dem Gewerkschaftsvertreter, der Betriebsrat und der SPD-Ministerpräsident des Landes Niedersachsen das Sagen haben . Nachdem die Dame dann nach knapp einem Jahr nicht mehr weitermachen will, erhält sie für ihr Ausscheiden eine Abfindung, die Normalbürger schwindeln lässt: 12 Millionen Euro! Ob das rechtlich in Ordnung ist, wird noch zu prüfen sein . Aber interessant ist, dass die gleichen Leute, die diesen Deal eingefädelt haben und sowohl für die Einstellung als auch für die vertraglich geschuldete Abfindung beim Ausscheiden verantwortlich sind, nun Krokodilstränen vergießen . Das ist schon ein starkes Stück! Dieser Fall macht ganz besonders deutlich, dass bei den anprangerungswürdigen Gehaltsexzessen in mitbestimmten Unternehmen immer auch die Arbeitnehmerseite, die Gewerkschaften, der Betriebsrat und im Fall VW ganz besonders der Miteigentümer, die SPD-geführte Landesregierung, die direkte Verantwortung tragen . Ausufernde Managergehälter stellen in der Tat ein großes gesellschaftliches Problem dar . Ich kann verstehen, dass es in der Bevölkerung große Empörung über solche Vorkommnisse gibt . Wir haben deswegen zusammen mit dem Koalitionspartner bereits im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir im Hinblick auf die Kontrolle von Managergehältern gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehen . Wir haben konkret vereinbart, dass wir - um Transparenz bei der Feststellung von Managergehältern herzustellen - künftig die Hauptversammlung über die Vorstandsvergütung entscheiden lassen wollen . Das ist ein richtiger Schritt . Leider hat der zuständige Justizminister bis heute in dieser Legislaturperiode keinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt . Wir haben heute gehört, dass das in den nächsten Wochen wohl der Fall sein wird . Das ist gut so . Bei der Diskussion über die Begrenzung der Vorstandsgehälter darf man aber nicht vergessen, dass wir im Hinblick auf eine Verbesserung der Kontrolle bereits einiges getan haben . In der christlich-liberalen Koalition haben wir schon 2009 das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und wichtige andere Änderungen im Aktiengesetz vorgenommen . So hat der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge eines Vorstands dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen dürfen . Das haben wir bereits beschlossen, schon 2009, wobei man das bei VW offenbar überlesen hat . Ferner können Bezüge schon jetzt auf eine angemessene Höhe herabgesetzt werden, wenn sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so verschlechtert, dass die Fortzahlung unbillig für die Gesellschaft wäre . Es bestehen also bereits die notwendigen Instrumente, um zu handeln . Es liegt aber in der Verantwortung gerade des Aufsichtsrates und in den mitbestimmten Unternehmen auch der Arbeitnehmerseite, hier zu handeln . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen wollen jetzt eine Begrenzung des Steuerabzugs bei Managergehältern . ({1}) Die Linke will gleich eine flexible, am Ende aber doch feste Obergrenze bei Gehältern . Beides mag gut gemeint sein, nur sinnvoll ist es in der Tat nicht . Es bedeutet nämlich einen massiven Eingriff in die Eigentumsrechte und in die Berufsfreiheit . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege .

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen, sondern im Zusammenhang vortragen . - Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie hier bewusst grundgesetzwidrige Vorschläge einbringen, aber was Sie vorschlagen, ist verfassungsrechtlich nicht zu halten . Wenn ich es richtig verstehe, geht es Ihnen um die Vorstandsgehälter in Großkonzernen . Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen exorbitante Gehälter gezahlt werden, zum Beispiel im Profifußball. Auch da bekommen Angestellte mehr als 500 000 Euro . Ich sage: Die bekommen das Geld . Ich sage bewusst nicht, dass sie es verdienen . Sind die eigentlich in Ihren Vorschlägen eingeschlossen? Ich habe den Vorschlag mehrmals gelesen . Ich konnte es nicht erkennen . Meinen Sie nur die Organe von Kapitalgesellschaften, oder soll Ihre Begrenzung grundsätzlich für alle Arbeitnehmer gelten? Was ist mit Personengesellschaften? ({0}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21965 Was ist mit den Einzelunternehmen? Wie ist es denn dann mit Artikel 3 Grundgesetz? Was Sie, liebe Frau Göring-Eckardt, hier vorschlagen, verstößt gegen das Grundgesetz . ({1}) Das wäre ein systemwidriger Eingriff . Ihr Vorschlag verstößt gegen das Nettoprinzip . Am Ende schadet er Kleinaktionären und der Arbeitnehmerschaft . Das wäre das Ende der grundgesetzlich geschützten Vertragsfreiheit . Ihr Vorschlag brächte für Deutschland erhebliche Wettbewerbsnachteile und würde Umgehungstatbestände und Verlagerungen ins Ausland geradezu provozieren . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, lassen Sie uns gerne gemeinsam eine vernünftige Lösung suchen, ({3}) wie wir zu einer Begrenzung von ausufernden Managergehältern kommen . Aber seien Sie so lieb und lassen Sie die Scheinlösungen, die Sie hier heute anbieten, wieder in Ihrer Kiste verschwinden . Herzlichen Dank . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dehm das Wort . ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Gutting, Sie hätten meine Zwischenfrage zulassen sollen; denn ich bin genauso wie Sie entsetzt über den Vorgang Hohmann-Dennhardt, weil ich Frau Hohmann-Dennhardt als viel klügere und anständigere Person einmal kennengelernt habe . Das muss man einmal sagen: Sie war als Verfassungsrichterin wirklich ein Gewinn . Als sie diesen Quatsch mitgemacht hat, hat sie ihrer Biografie sehr geschadet. Ich will Ihnen aber eines nicht durchgehen lassen, nämlich dass Sie diesen Vorfall mit einem Spin auf die Mitbestimmung lenken . Ich kann Ihnen nur eines sagen: Dass es die Mitbestimmung in Deutschland gibt - die gibt es übrigens in viel zu kleinem Ausmaß -, ist in vielen Fällen, gerade im Bereich der Finanzwirtschaft, bei den Sparkassen, ein Segen gewesen - nicht immer, auch da gibt es Fehlentscheidungen . Ich will Ihnen nur sagen: In der Deutschen Bank gibt es keine Mitbestimmung, und dort waren es nicht die Mitbestimmungsorgane, die Transparenz möglich und schließlich auch die kritische Öffentlichkeit mobilisiert haben, sondern es war die Staatsanwaltschaft, die mehrfach einrücken musste, für Dinge, die im Zusammenhang mit dem Namen „Deutsche Bank“ wirklich unerträglich sind . Tun Sie uns deshalb einen Gefallen - ich glaube, auch für die Sozialdemokraten und einen Teil der Grünen mitsprechen zu können -, ({0}) und versuchen Sie nicht, die Mitbestimmung und die Transparenz infrage zu stellen . Die Arbeitnehmerbank muss in Deutschland gestärkt werden, die Willkür der Aktionäre ist schon viel zu groß . Danke schön . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung .

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dehm, da haben Sie etwas falsch verstanden; denn ich habe ganz bestimmt nicht die Mitbestimmung insgesamt infrage gestellt . ({0}) Es ist nur verwunderlich, dass gerade im mitbestimmtesten Unternehmen, das ich kenne, nämlich VW, diese Missstände aufgetaucht sind . Dort müssen wir noch einmal genauer hinschauen . Lassen Sie uns - ich habe es angeboten - gemeinsam nach einer Lösung suchen, damit solche Vorkommnisse zukünftig nicht mehr passieren . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion . ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lesen Headlines: „Gutverdiener zahlen den Löwenanteil der Einkommensteuer“, und die CDU/CSU-Kollegen werden auch nicht müde, zu sagen, dass 10 Prozent der am höchsten Besteuerten mehr als die Hälfte des Einkommensteueraufkommens zahlen . ({0}) - Das stimmt hundertprozentig . - Wir sprechen oft über Steuer und Steuergerechtigkeit, und wir hören auch, dass Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721966 die Reichen den größten Anteil des Aufkommens überhaupt erbringen . Auch das stimmt . Es hörte sich jetzt ungerecht an, wenn ich sagen würde: Lasst uns doch genau dieser Gruppe noch ein bisschen mehr aufbürden! Das klingt doch richtig ungerecht; aber die Absurdität löst sich schnell auf, wenn man zwei Fragen stellt: Wie ist die Einkommenslage vor Steuern? Wenn wir annehmen, dass jemand mit 10 000 Euro im Jahr zurechtkommt und jemand mit 40 000 Euro am Tag Probleme hätte, wenn er mehr als 50 Prozent Steuern bezahlt, merken wir, dass da etwas nicht stimmt; denn ich meine, jemand mit 20 000 Euro pro Tag - ich schaue einmal ins Publikum - könnte zurechtkommen, wenn er sich anstrengen würde . Deshalb müssen wir auch fragen: Was bleibt nach der Steuer? Ein normaler Arbeitnehmer verdient etwa diesen Anteil von 4 Zentimetern auf meinem mitgebrachten Zollstock . Jetzt versuche ich zu messen, was ein Manager verdient . Das ist mir ein bisschen peinlich; denn mein Zollstock - bei uns heißt er Metermaß - ist 2 Meter lang und damit zu kurz, um das Gehalt der Manager zu messen . Mein Zollstock reicht dafür nicht aus, während der Verdienst der Arbeitnehmer, die ihm dieses Gehalt ermöglichen, der kleine Teil ganz unten ist . Daran merken wir, es ist etwas ganz anderes durcheinandergekommen: die Ausgangslage in der Gesellschaft . Herr Hirte, möglicherweise könnte uns das auf den Gedanken bringen, das objektive Nettoprinzip einzuschränken . Das könnte sinnvoll sein . ({1}) - Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Das ist wie bei Peter Lustig!) Insofern muss sich eine Gesellschaft, die dies akzeptiert, überlegen: Was wäre eigentlich die Konsequenz? Einmal angenommen, wir würden sagen, 10 000 Euro am Tag müssen denen da oben genügen, dann hieße das: Einer muss 75 Prozent Steuern bezahlen; und 75 Prozent hören sich exorbitant, ja geradezu ungerecht viel an, aber 10 000 Euro am Tag bleiben, und das würde mir persönlich eigentlich genügen - und vielen hier im Saal sicher auch . ({2}) Wir sehen also: Gerechtigkeit lässt sich nicht mit einer physikalischen Größe messen; aber die Ungerechtigkeit gibt uns sehr wohl ein Gefühl dafür, wie sich Manager fühlen müssen, wenn sie noch irgendeine moralische Kategorie im Hinterkopf haben . Jetzt wollen wir natürlich diese Boni und die Managergehälter begrenzen . Das ist auch eine gute Sache . Vorhin wurde gesagt, das sei doch dumm, die Einkommensteuer ist doch fiskalisch mehr, als wenn wir die Boni im Betriebsausgabenabzug begrenzen . Aber hierbei geht es überhaupt nicht um eine fiskalische Größe, sondern darum, ob eine Gesellschaft diese Ungerechtigkeiten überhaupt aushält . Wir wissen von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapiere, dass Vorstände in DAX- und MDAX-Unternehmen - das haben wir heute schon einmal gehört - im Durchschnitt 50-mal mehr als ein Angestellter im MDAX- oder im DAX-Unternehmen verdienen . Diese Asymmetrie wollen wir aufheben . Wenn man fragt, wie es dazu kommt, dann stellt man fest, dass dahinter noch viel tiefer liegende Ursachen stecken, nämlich Fehlanreize . Ein Fehlanreiz besteht darin, dass sich die Bezüge an kurzfristigen Zielen orientieren . Kurzfristige Ziele im Unternehmen zu verfolgen, heißt immer, die langfristigen Ziele aus dem Blick zu verlieren. Wer sich bestimmte Großunternehmen in Schieflage anschaut, der merkt genau, dass die kurzfristigen Ziele alle erreicht wurden, das Ganze im Ergebnis aber im Desaster endet. Das können wir ganz häufig sehen. Immer waren die Boni die Triebfeder für Fehlentscheidungen, die am nächsten Bilanzstichtag, 90 Tage im Voraus, orientiert waren . Jeder merkt: Das ist keine langfristige Orientierung . Deshalb müssen wir sehr viel mehr machen als bisher . Wir haben aber auch schon etwas gemacht: Im Aktiengesetz sind die Angemessenheit der Vergütungsvereinbarung und die Transparenz im Entscheidungsfindungsverfahren geregelt . Selbst im Deutschen Corporate Governance Kodex der Unternehmen steht, was unter einer angemessenen und leistungsgerechten Vergütung zu verstehen ist . Nur: Wir haben gesehen, dass nichts von alldem, was ich erzählt habe, irgendwie auch nur andeutungsweise eingetreten ist . Stattdessen haben in diesen Unternehmen Exzesse stattgefunden, und eine Selbstbedienungsmentalität hat um sich gegriffen . Das ist natürlich ein riesengroßes Problem . Deshalb müssen wir die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern . In diesem Zusammenhang ist der Betriebsausgabenabzug eine Idee; das ist völlig klar . Denn sonst wäre der Steuerzahler an diesen überbordenden Boni und Gehaltszahlungen immer mit 30 Prozent beteiligt, weil das Unternehmen natürlich 30 Prozent Gewinnsteuer sparen würde, wenn diese Gehälter dort angerechnet werden könnten . Insofern ist das eine sehr gute Sache . Die Überlegung, ob man darüber im Aufsichtsrat entscheidet oder in der Hauptversammlung, ist natürlich kompliziert . Die Hauptversammlung schafft Transparenz; das ist völlig klar . Die Entscheidung im Aufsichtsrat stärkt die Mitbestimmung . Das ist sicherlich eine Sache, über die zu reden sein wird; denn die Gewerkschaften zu schwächen, ist die eine Sache, die Transparenz zu stärken, die andere . ({3}) Ich würde gerne darüber noch einmal etwas genauer nachdenken und jetzt sozusagen nicht eilfertig einen Vorschlag machen . Das ist eine hochkomplexe Sache, die das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber möglicherweise in eine völlig neue Situation bringt . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Binding, Sie müssen bitte einen Punkt setzen . Lothar Binding ({0}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21967

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich schlage vor, noch einmal darüber nachzudenken . Das hat selten geschadet . Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Exorbitante Millionengehälter und Abfindungen, die in keinem Verhältnis zum durchschnittlichen Verdienst eines Arbeitnehmers stehen oder zum Ertrag eines Unternehmens, haben mit sozialer Marktwirtschaft wenig zu tun . Es sind absurde Exzesse, wenn manche Vorstände in einem Jahr Arbeit das Doppelte oder Dreifache von dem verdienen, was eine Krankenschwester oder ein Polizist in ihrem Arbeitsleben nach Hause bringen . ({0}) Die Entwicklung der Managementvergütung hat sich über den Lauf der Jahre sehr erstaunlich entwickelt . In den 80er-Jahren betrug sie etwa das 15- bis 16-Fache, Mitte der 90er-Jahre das 19-Fache und heute das über 50-Fache des Verdienstes eines durchschnittlichen Arbeitnehmers . Was bemerkenswert ist und was hier nicht verschwiegen werden darf, ist der Umstand, dass es innerhalb von sieben Jahren zu einem exorbitanten Anstieg kam, nämlich vom 20-Fachen auf das 40-Fache . Diese exorbitante Steigerung vom 20-Fachen auf das 40-Fache fand in den Jahren 1998 bis 2005 statt . Das waren bekanntlich die rot-grünen Jahre in Deutschland . ({1}) Darauf, meine Damen und Herren, hat der Gesetzgeber reagiert . Darauf hat die Union reagiert, indem im Jahr 2009 die Frage der Vorstandsvergütung neu geregelt wurde . Wir haben gesagt: Die Vorstandsvergütung muss zukünftig angemessen sein, und sie muss an nachhaltigen Zielen ausgerichtet werden . Verantwortlich dafür ist der Aufsichtsrat . Ja, jetzt muss man zu Recht fragen, ob dieses Gesetz in der Praxis funktioniert oder nicht . Schauen wir doch auf den Aufsichtsrat, in dem Vertreter von SPD und Gewerkschaften die absolute Mehrheit haben, womit sie die Vergütungspolitik eigenverantwortlich bestimmen können . Ein solcher Aufsichtsrat mit der absoluten Mehrheit von SPD-Vertretern und Gewerkschaftern ist die Volkswagen AG . Ausgerechnet in diesem Aufsichtsrat sind die absurdesten und unerträglichsten Vergütungen zu verzeichnen: ein Herr Winterkorn, der 16 Millionen Euro verdient hat und jetzt eine Betriebsrente in Höhe von 3 100 Euro hat - täglich -, eine Frau Hohmann-Dennhardt, die nach 12 Monaten Arbeit mit einer Abfindung in Höhe von 13 Millionen Euro nach Hause geht . Ich sage Ihnen ehrlich: Wer hohe Managementvergütungen zu Recht anprangert, der muss beginnen, vor der eigenen Tür zu kehren . ({2}) Welche Möglichkeiten hat der Gesetzgeber, auf diese Verhältnisse zu reagieren? Ich meine, ein wesentlicher Punkt ist die Kontrolle durch Transparenz . Wenn nämlich Vergütungsstrukturen und Entscheidungsprozesse nicht mehr allein im Hinterzimmer entschieden werden, sondern auf der Hauptversammlung diskutiert werden, wenn also Transparenz und Offenheit herrschen, dann wird allein durch den öffentlichen Druck eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die zu einer Begrenzung führt . ({3}) Ein solches Gesetz, meine Damen und Herren, hat die letzte Koalition aus CDU/CSU und FDP im 17 . Deutschen Bundestag beschlossen ({4}) gegen die Stimmen der SPD, der Linken und der Grünen . ({5}) Was ist passiert? Im Bundesrat hat die SPD dieses Gesetz am 20 . September 2013 gestoppt . Wir hätten seit vier Jahren eine Hauptversammlungskompetenz haben können . Sie haben das verhindert . Also machen Sie jetzt hier bitte keinen Aufstand . ({6}) Wir werden einen neuen Anlauf unternehmen, dass die Hauptversammlung eine zusätzliche Kompetenz bekommt - nicht alleine, sondern gemeinsam mit der Verantwortung im Aufsichtsrat . Wir werden auch die Arbeitnehmervertreter, die in großen Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, nicht aus der Verantwortung entlassen . Wir werden aber auch die Verantwortung der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten ergänzen durch die Verantwortung der Eigentümer, also der Aktionäre und der Kleinaktionäre . Im Rahmen einer solchen Hauptversammlungspflicht und -kompetenz kann geregelt werden, dass beispielsweise auch über die Managementvergütungen der zweiten und dritten Ebene, also die der Bereichsvorstände, berichtet werden muss, damit der Kleinaktionär einen vollkommenen Blick darauf hat, wie die Entgeltstrukturen im Unternehmen aussehen . Das ist effektive Kontrolle durch Transparenz . Ich lade Sie ein, da bei uns mitzumachen . ({7}) Beim Thema Steuerrecht bitte ich darum, dass wir klug agieren . Das Steuerrecht ist komplex und für viele zu kompliziert, auch für diejenigen, die sich damit oftmals beruflich beschäftigen; das ist gar keine Frage. Aber Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721968 wir dürfen keine Situation bekommen, bei der am Ende des Tages der Kleinaktionär durch einen verminderten Gewinn auf Ebene des Unternehmens stärker leidet als das Unternehmen . ({8}) Bei einem Unternehmen mit einem Umsatz von 60 bis 70 Milliarden Euro fällt eine Managementvergütung von 2 oder 3 Millionen Euro bei der steuerlichen Abzugsfähigkeit nämlich nicht ins Gewicht . ({9}) Andererseits ist das Argument, dass eine Gemeinschaft hohe Vergütungen nicht auch noch durch steuerliche Subventionen fördern muss, ein tragfähiges Argument . ({10}) Deswegen sage ich: Lassen Sie uns darüber klug und besonnen reden ({11}) und nicht irgendwelche Schnellschüsse machen . Wir stehen bereit . Herzlichen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung die Vorlage auf Drucksache 18/11176 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall? Dann ist die Überweisung so beschlossen? Der Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11168 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden . Die Federführung ist jedoch strittig . Die Fraktionen der CDU/ CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz . Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen: Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen: Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1494/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1624/16, 2 BvR 1807/16 und 2 BvR 2354/16 Drucksache 18/11198 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen . Wir kommen daher gleich zur Abstimmung . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11198, eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und einigen Stimmen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen, wobei es aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch Gegenstimmen und Enthaltungen gab . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11162 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Wenn alle Kolleginnen und Kollegen, die uns jetzt verlassen müssen, ihre Gespräche draußen fortsetzen und die anderen Kollegen einen Platz gefunden haben, können wir hier fortfahren . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas . ({2}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21969

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich komme zurück zur Fußfessel . ({0}) Wie ich bereits heute Morgen - zwar an der falschen Stelle, aber in der Sache, wie ich finde, nach wie vor richtig ausgeführt habe, wollen wir extremistische Straftäter, die nach einer Freiheitsstrafe weiterhin als gefährlich gelten, in Zukunft besser überwachen . Dafür schlagen wir drei Änderungen vor . Erstens . Wir weiten den Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung per Fußfessel aus . Wir wollen das tun, indem wir den Katalog der terroristischen Straftaten, bei denen dieses Instrument in Betracht kommt, ergänzen . Wenn also jemand wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Terrorismusfinanzierung, wegen Unterstützung in- und ausländischer terroristischer Vereinigungen oder wegen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für diese Vereinigungen verurteilt worden ist, soll künftig in all diesen Fällen nach der Entlassung aus der Haft im Rahmen der Führungsaufsicht eine Überwachung per Fußfessel grundsätzlich möglich sein . Zweitens . Wir wollen die Voraussetzungen für den Einsatz der Fußfessel bei diesen und anderen extremistischen Delikten absenken . In Zukunft soll schon eine Verbüßung von zwei Jahren Freiheitsstrafe ausreichend sein; bisher lag die Schwelle bei drei Jahren . Drittens . Schließlich wollen wir für extremistische Straftäter auch die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung erweitern . Damit können wir in ganz extremen Ausnahmefällen sogar verhindern, dass sie überhaupt wieder in Freiheit kommen, solange sie noch als hochgradig gefährlich gelten . ({1}) Meine Damen und Herren, die elektronische Fußfessel macht es unseren Sicherheitsbehörden leichter, gefährliche Extremisten zu überwachen . Dadurch steigt das Entdeckungsrisiko . Außerdem kann die Polizei schneller eingeschaltet werden und möglicherweise auch noch rechtzeitig einschreiten . Praktische Wirkung entfaltet die Aufenthaltsüberwachung vor allem in Verbindung mit einer Weisung, bestimmte Gebiete nicht zu betreten, etwa potenzielle Anschlagsziele wie Flughäfen, Bahnhöfe, den Umkreis von Kraftwerken oder Sportstadien . Verstößt der Betroffene gegen diese Auflage, wird das elektronisch sofort angezeigt . Dann kann eingeschritten werden . Denkbar ist auch, dass jemand einen Landkreis oder ein Bundesland nur mit Erlaubnis verlassen darf . Wir wissen mittlerweile, dass Extremisten hoch mobil sind, quer durch das Land reisen und viele Kontaktstellen haben . Diese Netzwerke zerschneiden wir, indem wir künftig Beschränkungen des Aufenthalts eben nicht nur anordnen können, sondern diese Anordnungen auch tatsächlich überwachen können . Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf sorgen wir für den verstärkten Einsatz der Fußfessel nach einer einschlägigen Verurteilung und Haftverbüßung . Wir brauchen aber auch mehr Möglichkeiten, gefährliche Extremisten zu überwachen, die noch nicht gegen die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs verstoßen haben oder, wie im Fall Anis Amri, hier in Deutschland eher als Kleinkriminelle aufgefallen und wahrgenommen worden sind . Dazu sind auch Änderungen im Polizeirecht nötig . Die Bundesregierung hat, soweit der Bund dafür zuständig ist, mit dem vor zwei Wochen vom Kabinett beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des BKA-Gesetzes auch hinsichtlich dieser Frage neue Regelungen auf den Weg gebracht . Wir hoffen, dass die Länder dort, wo sie zuständig sind, auch aktiv werden . Die bessere Überwachung von gefährlichen Extremisten durch die elektronische Fußfessel - ganz gleich, ob vor oder nach einer Verurteilung - ist nach unserer Auffassung und nach den gemachten Erfahrungen sowohl notwendig als auch angemessen . Sie ist aber - auch daraus machen wir keinen Hehl - kein Allheilmittel . Deshalb brauchen wir auch darüber hinausgehende Anstrengungen . Wir müssen - auch das ist kein Geheimnis; aber das können wir allein in Deutschland nicht regeln - noch mehr für eine effiziente Zusammenarbeit der Behörden in Deutschland tun, insbesondere beim Datenaustausch . ({2}) Vor allem aber wollen wir die Anstrengungen zur Prävention deutlich verstärken und die politische Radikalisierung von Menschen so früh wie möglich stoppen . Wir wollen diese Menschen abbringen von ihrem Irrweg, der Gewalt und Hass realisiert. Das ist, wie wir finden, der beste Schutz für unser Land und die wirksamste Terrorismusbekämpfung überhaupt . Herzlichen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt in der Tat das Ziel, sogenannten Gefährdern ({0}) nach der Haftentlassung die elektronische Fußfessel anzulegen bzw . sie in Sicherheitsverwahrung zu nehmen . Betroffen sind dabei Personen, die nicht wegen vollzogener Terroranschläge verurteilt wurden, sondern weDeutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721970 gen Vorbereitungshandlungen, die sich also zum Beispiel in einem Terrorcamp aufgehalten haben oder wegen Finanzierung, Unterstützung oder Werbung für eine terroristische Gruppierung verurteilt wurden . ({1}) Die Linke lehnt diese Vorstöße aus zwei Gründen ab: ({2}) Sie versprechen, erstens, überhaupt keine Wirkung, und sie sind, zweitens, unverhältnismäßig, weil sie viel zu tief in rechtsstaatliche Grundsätze eingreifen . ({3}) Um Menschen zu verfolgen, die sich Terrorgruppen anschließen oder diese unterstützen, gibt es bereits entsprechende strafrechtliche Mittel . Durch Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs würden Personen bedroht, von denen man lediglich annimmt, sie seien auch nach der Haftentlassung noch gefährlich . Um als Gefährder eingestuft zu werden, genügt es bereits, wenn aus Polizeisicht - ich zitiere - „bestimmte Tatsachen die Annahmen rechtfertigen“, eine Person werde „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begehen . Es handelt sich um eine reine Prognose, deren Zuverlässigkeit nicht bekannt ist . Auf dieser Grundlage freiheitseinschränkende Maßnahmen wie Fußfesseln oder Sicherheitsverwahrung zu fordern, ist unverhältnismäßig und widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien, wie zum Beispiel der Unschuldsvermutung . ({4}) Laut Gesetzesbegründung soll die Fußfessel verhindern, dass jemand für eine terroristische Vereinigung wirbt, ihr Finanzen beschafft oder sie unterstützt . Aber ich sehe wirklich nicht, wie ein elektronisches Band um das Fußgelenk jemanden davon abhalten soll, Gelder zu sammeln, im Internet zu agitieren oder sich mit anderen Salafisten zu treffen, um sie für den „Islamischen Staat“ anzuwerben . ({5}) Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung: Mit der Fußfessel könnte die Weisung verbunden werden, bestimmte Bereiche wie Bahnhöfe - wir haben es eben schon gehört -, Flughäfen oder Sportstadien zu meiden, um dort Anschläge zu verhindern . - Glauben Sie denn im Ernst, Anis Amri hätte den Anschlag in Berlin unterlassen, wenn ihm ein Gericht verboten hätte, zum Weihnachtsmarkt zu gehen? ({6}) Das ist doch einfach unsinnig . Es gibt in Berlin und überall, gerade in den Metropolen, sehr viele Plätze, wo viele Menschen sind . Jederzeit können gegen diese Menschen Anschläge verübt werden . Deswegen ist solch eine Regelung einfach unnütz . ({7}) Der Gesetzentwurf verweist auf eine Studie - das ist äußerst interessant -, die angeblich die Aufenthaltsüberwachung als taugliches Mittel beschreibt . Ich habe mir diese Studie auf der Homepage des Justizministeriums einmal genauer angeschaut . Ich zitiere jetzt aus der Studie: Eine gesicherte Schlussfolgerung zu der Wirksamkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Hinblick auf die Rückfallhäufigkeit ist nicht möglich . Die Autoren der Studie lehnen eine Ausweitung der Aufenthaltsüberwachung mittels Fußfessel auf weitere Tätergruppen ganz klar ab . Es ist schon ziemlich dreist, finde ich, diese Studie in der Begründung des Gesetzentwurfes anzuführen, obwohl dort genau das Gegenteil steht und auch wieder betont wird, dass es ein Grundrechtseingriff in viel zu großem Ausmaß ist . Ich mache Ihnen jetzt einige Vorschläge, die zeigen, wie wir uns vorstellen, wie man gegen Terroristen vorgehen könnte . ({8}) Als Allererstes sollten wir wirklich einmal den Begriff „Gefährder“ definieren. Das ist auch in diesem Gesetzentwurf nicht gemacht worden . Bislang entscheidet allein die Polizei, und zwar in jedem Bundesland, nach eigenem Gutdünken . Auch das könnte man ändern . Zweitens brauchen wir eine Untersuchung zur Wirksamkeit der Fußfessel; denn solch eine Untersuchung gibt es nicht . Drittens müssen wir Alternativen prüfen . Wenn ein Gericht schwerwiegende Gründe findet, kann polizeiliche Observation angeordnet werden . Dann sieht man auch, was der Verdächtige macht . An Personal scheint es hier nicht zu mangeln . Denn selbst die Bundesregierung geht davon aus, dass es sich hier nur um eine Handvoll Personen pro Jahr handelt . ({9}) Was aber nicht sein darf: auf bloßen Verdacht hin die Grundrechte einzuschränken und dabei zu wissen, dass es gar nichts nützt . Das ist reine Symbolpolitik zum Schaden unserer Demokratie . Denken Sie bitte noch einmal darüber nach, ehe Sie dem Rechtsstaat Fußfesseln anlegen . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({10}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21971

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Möglichkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung kann seit dem Jahr 2011 im Rahmen der Führungsaufsicht angeordnet werden . Es geht darum, beispielsweise Gebots- und Verbotszonen zu definieren, um damit einen verurteilten Straftäter von weiteren Straftaten abzuhalten und die Resozialisierung in unserer Gesellschaft zu fördern . Voraussetzung für die Anordnung der Führungsaufsicht ist bislang, dass der Straftäter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren nach einer schweren Katalogstraftat verurteilt worden ist . Zu den Katalogstraftaten gehören der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung, schwerer Raub, aber auch Straftaten gegen Leib und Leben . Eines sollten wir heute im Bundestag auch feststellen: Es war richtig, dass der Gesetzgeber im Jahr 2011 diese Möglichkeit geschaffen hat, weil sie dazu beigetragen hat, beispielsweise durch elektronische Fußfesseln auch Kindergärten und andere Einrichtungen vor verurteilten Sexualstraftätern zu schützen . ({0}) Aber wir müssen auch feststellen, dass wir neue Bedrohungen haben . Zu diesen Bedrohungen gehören der internationale Terrorismus und seine Begleiterscheinungen . Eine Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder wegen Terrorfinanzierung reicht bislang nicht aus, um im Rahmen der Führungsaufsicht eine elektronische Fußfessel anzuordnen . Wir meinen aber, es gibt einen Bedarf dafür, dass demjenigen, der wegen einer Straftat bereits rechtskräftig verurteilt wurde, dass demjenigen, der eine Haftstrafe wegen Terrorfinanzierung oder wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgesessen hat, eine Fußfessel zur Überwachung angelegt werden kann . Das gehört zum Selbstbehauptungsrecht des Rechtsstaats . ({1}) Frau Jelpke, Sie haben hier ordentlich Nebelkerzen geworfen . ({2}) Sie haben hier von Unschuldsvermutung oder von sogenannten Gefährdern gesprochen. Wer wegen Terrorfinanzierung oder wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bereits rechtskräftig verurteilt wurde, für den gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung und der ist auch kein sogenannter Gefährder, sondern er ist ein Gefährder, und den muss dieser Rechtsstaat auch überwachen, um die Bürger zu schützen . ({3}) Sie haben hier ein unerträgliches Maß an Täterschutz propagiert . Für uns steht der Opferschutz im Vordergrund . ({4}) Ich kann Ihnen ehrlich sagen: Wer nachweislich Terror finanziert hat, wer nachweislich Mitglied in einer terroristischen Vereinigung war, der kann nicht auf Toleranz dieses Rechtsstaats hoffen; ({5}) vielmehr setzen die Bürger darauf, dass sich der Rechtsstaat für sie einsetzt und dass der Rechtsstaat die Gefährder stärker überwacht, damit klar ist, in welchen Bereichen sie sich bewegen, damit sie sich nicht Bahnhöfen oder Flughäfen nähern . Sie mögen jetzt einwenden: Es gibt Beispiele wie den schrecklichen Mord an einem Priester in Rouen in Frankreich, wo der Täter ebenfalls eine Fußfessel getragen hat . ({6}) Ja, das ist richtig . Diese Beispiele gibt es . Wir sagen auch nicht, dass eine Fußfessel stets dazu führen wird, dass es solche Straftaten nicht mehr geben wird . Aber die elektronische Fußfessel wird sehr stark dazu beitragen, dass der Rechtsstaat eine Möglichkeit mehr hat, solche Straftaten zu verhindern . ({7}) Es geht um die Erhöhung der Aufklärungs- und der Verhinderungswahrscheinlichkeit . Auch das ist ein hohes Gut in einem Rechtsstaat . Es wird zukünftig von der Polizeitaktik abhängen, ob beispielsweise dann, wenn ein verurteilter Straftäter einen bestimmten Bereich betritt oder wenn er sich die Fußfessel durchschneidet und der Alarm ausgelöst wird, die Polizei innerhalb von fünf oder zehn Minuten Zugriff nimmt, um möglicherweise einen terroristischen Anschlag zu verhindern . Ich glaube, an diesem Spannungsfeld wird deutlich, dass wir hier ganz klar die rechtsstaatliche Balance wahren, dass wir hier im Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit unsere Bürger vor denjenigen schützen, die - ich wiederhole das - wegen einer schweren Straftat bereits verurteilt worden sind . ({8}) Meine Damen und Herren, aber all das wird allein nicht genügen . Wir müssen auch an das Polizeirecht herangehen; das ist auch ein dringender Appell an die einzelnen Länder . Der Bund macht das im Rahmen einer Novelle zum BKA-Gesetz, bei dem es um die Neuregelung von Befugnissen geht und über das wir später beraten werden . Aber auch die 16 Länder müssen ermöglichen, dass wir Gefährdern, die auffällig sind und bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen terroristischen Anschlag besteht, Fußfesseln anlegen . Diese VerDeutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721972 pflichtung haben die Länder, und daraus dürfen wir sie nicht entlassen . Ja, mit strafrechtlichen Mitteln allein werden wir dieses Themas nicht Herr werden . Wir brauchen auch Prävention und Aufklärung . Wir müssen uns die Frage stellen, weshalb sich junge Menschen in unserem Land vor unseren Augen radikalisieren und weshalb sie bereit sind, beispielsweise für den IS in den Krieg zu ziehen oder an Planungen terroristischer Attentate in Deutschland mitzuwirken . Wir sollten aber Prävention und strafrechtliche Maßnahmen nicht gegeneinander ausspielen; ein kluger und wehrhafter Rechtsstaat braucht vielmehr beides . Wir legen heute mit diesem Gesetzentwurf die Grundlage dafür, dass wir verurteilten Straftätern, von denen eine hohe Gefahr ausgeht, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Fußfesseln anlegen, um damit einen klaren und deutlichen Beitrag zur Sicherheit unserer Bürger zu leisten . Herzlichen Dank . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat richtig, wenn man sich nach so einem schrecklichen Anschlag wie dem kurz vor Weihnachten hier in Berlin auf dem Breitscheidplatz fragt: Wie konnte es dazu kommen, und wie kann man in Zukunft so etwas verhindern? Verschiedene Gremien des Deutschen Bundestags, aber auch Gremien in Länderparlamenten sind dabei, erst einmal zu klären: Wie konnte es dazu kommen? Was ist richtig und was ist falsch gemacht worden? Wo ist eine Fehlentwicklung gewesen? Wo sind geltende Gesetze nicht angewandt worden? - Daraus sind dann Schlussfolgerungen zu ziehen . Nun haben Sie hier als Erstes den Vorschlag gemacht, die elektronische Fußfessel einzusetzen . Die gesetzliche Grundlage für eine solche Möglichkeit der Überwachung ist relativ neu; so etwas gab es früher nicht . Sie ist allerdings für einen ganz anderen Tätertyp geschaffen worden, nämlich - Sie haben darauf hingewiesen - für Sexualstraftäter, bei denen man davon ausgeht, dass sie ein ganz normales Leben führen, möglichst nicht auffallen wollen und dann, aus welchen Gründen auch immer aus Krankheitsgründen, weil es sie überkommt, weil sich eine Gelegenheit ergibt oder weil sie sich eine Gelegenheit schaffen wollen -, eine Sexualstraftat begehen . Aber das trifft doch nicht auf Herrn Amri oder ähnliche Personen zu . Herr Amri würde unter die gesetzliche Bestimmung, wie sie hier formuliert ist, überhaupt nicht fallen; denn gegen ihn wurde noch kein Strafverfahren durchgeführt . Aber selbst wenn die Polizei jemanden als Gefährder ansieht - Amri wurde als Gefährder angesehen - und sagt: „Auch bei Gefährdern legen wir eine Fußfessel an“, stellt sich für mich die Frage: Was ist denn die Wirkung? - Haben Sie sich damit einmal beschäftigt? Es stimmt gar nicht, dass eine Fußfessel eine Fessel ist; da wird niemand gefesselt . Der Betroffene kann noch laufen, er kann Fahrrad fahren, er kann noch Auto fahren, er kann noch U-Bahn fahren, er kann noch Straftaten begehen, und zwar jede Straftat, die man sich denken kann - das verhindert die Fußfessel nicht -, und er kann die Fußfessel auch ablegen, wenn er sich beispielsweise auf die Flucht begibt . ({0}) Wie funktioniert das? In der Fußfessel ist ein Sender, und der Sender löst einen Alarm aus, und zwar nicht in der nächsten Polizeidienststelle, wie Sie eben gesagt haben, sondern in der Nähe von Frankfurt am Main . Stellen Sie sich vor, Amri hätte eine Fußfessel getragen . Dann hätten mehr als ein Jahr lang, also solange er als Gefährder angesehen worden ist, ständig Alarmsignale in der Nähe von Frankfurt gebimmelt; denn er hat sich ja ständig nicht dort aufgehalten, wo er sich aufhalten sollte . Die Behörden wussten, dass er sich überall aufhält, nur nicht dort, wo er sich aufhalten sollte; sie haben aber nichts unternommen . Sie wussten das, weil sie ihn beobachtet haben, ({1}) weil sie zum Teil sein Telefon überwacht haben, weil sie zum Teil einen V-Mann direkt neben ihm sitzen hatten, mit dem er nach Berlin gefahren ist, und ähnliche Geschichten . Sie waren also über alles informiert . Es fehlte doch hier nicht an Kommunikation, sondern es fehlte an der richtigen Reaktion des Staates . ({2}) Da nützen Fußfesseln überhaupt nichts . Herr Amri hätte auch mit Fußfessel Auto bzw . Lkw fahren können . Er hätte sie abstreifen können . Er hätte versuchen können, sie auszuschalten . Als er aus dem Lkw ausgestiegen ist, hätte er das Band - eine Art metallverstärktes Lederband - ablegen können. Er hätte also genauso fliehen und nach Lyon oder schließlich nach Mailand oder sonst wohin kommen können, selbst wenn er eine Fußfessel gehabt hätte . Nein, das ist der völlig falsche Weg . Ich glaube, da wird versucht, eine trügerische Sicherheit zu schaffen; denn das ist gar keine richtige Sicherheit . Was falsch gemacht worden ist - so viel wissen wir inzwischen -, ist, dass die bestehenden Gesetze nicht angewandt worden sind . ({3}) Es gab mehr als ein Dutzend Straftaten, derer er verdächtigt worden ist und die er auch alle begangen hat, übrigens in einem Zeitraum, als er nach Ihrer Vorstellung eigentlich eine Fußfessel hätte tragen müssen . Über diese Straftaten wusste man Bescheid, sie waren auch bewiesen; aber man hat nichts gemacht . Man hat nicht etwa eine Staatsanwaltschaft damit beauftragt, alle Verfahren zusammenzuführen und dann die notwendigen Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21973 strafrechtlichen und strafprozessualen Konsequenzen zu ziehen . Man hätte ihn auch in Haft nehmen können . Deshalb: Sie wollen darüber hinwegtäuschen, dass gravierende Fehler gemacht worden sind, wahrscheinlich in Nordrhein-Westfalen, wahrscheinlich in Berlin und wahrscheinlich vor allen Dingen auch in Bundesbehörden, ({4}) etwa im Bundesinnenministerium, das nicht dafür gesorgt hat, dass die Passersatzpapiere - die für einen Haftbefehl wegen einer strafbaren Handlung gar nicht gebraucht werden, sondern um eine Abschiebung zu sichern und ihn aus diesem Grunde in Haft zu nehmen beschafft werden . Das Bundesinnenministerium hat die Chance verpasst, ihm diese Papiere zu verschaffen . Die Mitarbeiter dort wussten mindestens seit Oktober letzten Jahres, dass sie die Papiere von Tunesien hätten bekommen können, weil man ihn dort als eigenen Staatsbürger anerkannt hat . Aber sie haben nichts gemacht . ({5}) Sie haben das Ganze irgendeiner Behörde in Nordrhein-Westfalen überlassen und haben gesagt: Kümmert ihr euch darum . - Die haben dann Briefe geschrieben oder Mails geschickt; das wissen wir nicht . ({6}) Jedenfalls hat man sich damit zufriedengegeben, dass man nichts bekommen hat . Wären alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgenutzt worden, dann hätte man eine große Chance gehabt, diesen Anschlag zu verhindern . An diesen Gedanken müssen Sie sich gewöhnen . Sie müssen sich fragen: Warum werden die Gesetze nicht angewandt? ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht erst der schreckliche Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat uns gezeigt, dass es auch bei uns in Deutschland terroristische Gefährder gibt, die Anschläge bei uns planen . Wenn sich Bürgerinnen und Bürger Sorgen machen und sich fragen, ob alles für ihre Sicherheit getan wird, dann müssen wir diese Sorgen ernst nehmen und prüfen, ob wir gesetzliche Lücken haben und wo wir gesetzliche Lücken haben, die wir schließen müssen . Dabei dürfen wir nicht überreagieren und unsere Freiheit übermäßig einschränken . Aber dort, wo es tatsächlich Schutzlücken gibt, und dort, wo das Instrumentarium der Strafverfolgungsbehörden nicht ausreicht, müssen wir handeln . Allerdings gilt für mich hier immer der Satz von Helmut Schmidt: „Auch im Zorn kühlen Kopf bewahren“, um Terror und Kriminalität effektiv zu bekämpfen . ({0}) Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir das Maßregelrecht für extremistische Straftäter erweitern . Dabei geht es insbesondere darum, die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die sogenannte Fußfessel, auf gefährliche extremistische Gewalttäter auszuweiten . Schon heute ist der Einsatz der Fußfessel möglich . Knapp 100 Straftäter müssen gegenwärtig eine Fußfessel tragen . Wenn die terroristische Bedrohung zunimmt, müssen wir auch die Möglichkeiten ausweiten, dass verurteilte gefährliche Straftäter - nur um solche geht es heute auch nach Verbüßung der Haft überwacht werden können . Deshalb wollen wir mit diesem Gesetzentwurf zum einen den Katalog der sogenannten Anlasstaten ausweiten . Das heißt, zukünftig sollen auch Straftäter, die sich wegen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Terrorismusfinanzierung oder wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar gemacht haben, mittels elektronischer Aufenthaltsüberwachung überwacht werden, was nach heutigem Recht nicht möglich ist . Zum anderen werden wir den Anwendungsbereich der sogenannten Fußfesseln ausweiten, indem die heutige Voraussetzung, nämlich die volle Verbüßung einer dreijährigen Haftstrafe, auf zwei Jahre abgesenkt wird . Diese Regelungen sind erforderlich, weil wir dadurch extremistische Straftäter, die nachweislich gefährlich sind, besser überwachen können . In der Praxis sieht das dann so aus, dass die Fußfessel zwingend zu tragen ist und alle fünfzehn Minuten ein Signal abgibt, das über GPS von der Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder, der sogenannten GÜL, in Bad Vilbel aufgenommen wird . Immer dann, wenn eine unzulässige Ortsveränderung stattfindet, gibt sie Alarm . Dann kann umgeschaltet und in Echtzeit gesehen werden, wo diese Person mit der Fußfessel gerade ist, und insbesondere kann dann die Polizei vor Ort informiert werden . Klar ist, dass die Fußfessel kein Allheilmittel ist . Der schreckliche Mord an einem französischen Priester wurde von einem Täter mit Fußfessel begangen . Deswegen ist auch uns klar, Frau Kollegin Jelpke, dass das kein Allheilmittel ist . Der große Vorteil dieser Regelung aber ist, dass die Einhaltung einer gerichtlichen Weisung an Extremisten, bestimmte Orte, etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder Großveranstaltungen, nicht zu begehen, überwacht werden kann . Wenn sich diese Person einem solchen Ort nähert, gibt es einen Alarm, und dann kann die Polizei vor Ort sofort informiert werden und dagegen einschreiten . Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass der heute vorliegende Gesetzentwurf nichts mit der Frage zu tun hat, ob und gegebenenfalls auf welcher Rechtsgrundlage und wie lange auch präventiv das Tragen von Fußfesseln angeordnet werden kann . Das ist Sache der PoliHans-Christian Ströbele Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721974 zeigesetze der Länder . In manchen Ländern ist nach den gesetzlichen Regelungen durchaus eine Präventivhaft möglich und deswegen vermutlich für einen bestimmten Zeitraum auch die Fußfessel . Das müssen wir in Ruhe diskutieren; vor allem müssen das die Länder diskutieren . Das alles steht nicht in diesem Gesetzentwurf . Hier geht es nicht um den präventiven Einsatz . Wohlgemerkt: Es geht uns darum, gefährliche extremistische Straftäter besser überwachen zu können . Angesichts der unbestritten gestiegenen Gefährdungssituation in Deutschland halte ich eine maßvolle Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für eine sinnvolle Maßnahme . Stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu! Vielen Dank . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Professor Dr . Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, zuerst Herrn Minister Maas und Herrn Innenminister de Maizière für die guten Gesetzentwürfe zu danken, die sie vorgelegt haben und die wir jetzt in erster Beratung debattieren . Wichtig ist, dass wir im parlamentarischen Raum die Chance haben, uns die Gesetzentwürfe anzugucken und vielleicht noch Ideen einzubringen; ich sage dazu gleich noch etwas . Es ist aber, glaube ich, auch wichtig, an dieser Stelle festzustellen, dass Fußfesseln funktionieren; denn das wird ja teilweise bestritten . Wir sehen zurzeit das ist gerade vom Kollegen Fechner gesagt worden - an 100 Fällen, dass Fußfesseln technisch und in der Praxis funktionieren und ein probates Mittel sind, um zu überprüfen, wo sich die Träger der Fußfesseln befinden. Kollege Ströbele, ich glaube, Sie haben den Sinn und Zweck der Fußfessel falsch verstanden . Es geht nicht darum, eine Person an einen Ort zu fesseln, sondern es geht darum, die Möglichkeit zu haben, die Spreu vom Weizen zu trennen und zu sehen, wer sich an entsprechende Auflagen, an bestimmte Regelungen hält und wer nicht . ({0}) Für die 24-Stunden-Überwachung eines Gefährders sonst macht die Überwachung ja keinen Sinn - werden bis zu 30 Polizeibeamte benötigt . Deswegen sucht man nach Mitteln und Wegen, die einen weniger intensiven Eingriff darstellen . Und wenn bei der Überwachung eines Gefährders 30 Polizeibeamte eingesetzt werden, die sich um ihn herum aufhalten, dann halte ich das auch für einen Grundrechtseingriff . Ich glaube, dass die Fußfessel ein sehr probates Mittel ist, um zu überprüfen, ob diejenigen, die zwei Jahre nach ihrer Verurteilung wieder in Freiheit gekommen sind, sich an ihre Auflagen halten, und das bei weniger polizeilichem Aufwand . Diejenigen, die wiederholt und regelmäßig die Auflagen brechen, die reisen, muss man intensiv unter polizeiliche Beobachtung stellen . Dafür ist die Fußfessel ein probates und taugliches Mittel . Minister Maas hat das gerade dargestellt . ({1}) Ich glaube, dass wir noch etwas weiter denken müssen; das sei im parlamentarischen Raum auch erlaubt . Wir wollen die Fußfessel auf die terroristische Betätigung ausdehnen, also über das Maß hinaus, für das sie schon geregelt ist . Warum weiten wir sie nicht auch auf den Bereich des Rechts- und Linksterrorismus aus? Bei denjenigen, die beispielsweise für linksextremistische Taten zwei, drei oder vier Jahre verurteilt worden sind und nach Verbüßung der Freiheitsstrafe wieder gleiches Gedankengut propagieren und Polizeibeamte oder staatliche Institutionen angreifen, würde ich auch darüber nachdenken, ob eine Fußfessel nicht ein probates Mittel ist, um zu überprüfen, ob sie wieder zu entsprechenden Veranstaltungen, zum Beispiel nach Berlin zum 1 . Mai, reisen . ({2}) - Meine Damen und Herren von den Grünen, es ist schön, dass Sie lachen, wenn es um Linksextremismus geht, wenn es um Angriffe auf Polizeibeamte geht . Ich wollte gerade sagen: Das Gleiche gilt für mich bei rechtsextremistischen Straftaten . ({3}) Ich halte es für unsäglich, wenn Rechtsextremisten, die Menschen verletzt haben, die Gewalttaten begangen haben, nach zwei oder drei Jahren rauskommen und wieder genau das Gleiche tun . Diese Personen würde ich auch gerne auf den Schirm nehmen . Das geht über den Gesetzentwurf hinaus . Aber es ist schon klar, meine Damen und Herren von den Grünen, dass Sie hier wieder laut schreien, wenn es um rechtsextremistische und linksextremistische Straftaten geht . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Konstantin von Notz? Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21975

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen . Die Kurzintervention wird ja kommen . Dann können wir unsere Gedanken austauschen, Herr Kollege von Notz . ({0}) Ich wollte gerade auf einen Punkt zu sprechen kommen, den der Kollege Ströbele eben angesprochen hat, nämlich das Thema Verhältnismäßigkeit . Die Verhältnismäßigkeit von staatlichen Eingriffen und Grundrechtseingriffen muss gewahrt sein . Das ist mit der Fußfessel als sehr mildem Mittel gewährleistet . ({1}) Ich hatte eigentlich erwartet, dass Frau Jelpke in die Diskussion einbringt, ob die Fußfessel beim verurteilten Täter nicht am Bein reibt, ob das nicht ein unzulässiger Menschenrechtseingriff ist . Sie haben immer die Täter im Blick . Ich muss ganz ehrlich sagen: Wir müssen auch einmal die Opfer im Blick haben . Wenn wir, um den unsäglichen Anschlag hier in Berlin anzusprechen, die Fußfessel in Nordrhein-Westfalen eingesetzt hätten, als das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen am 28 . Oktober von der Stadtverwaltung Köln die Meldung bekam, Tunesien erkenne die Staatsbürgerschaft an, ({2}) wäre es meiner Meinung nach möglich gewesen, zu wissen, dass diese Person bleibt; die Fußfessel hätte den genauen Ort bekannt gegeben . ({3}) Insofern sind Fußfesseln probate, verhältnismäßige Mittel . Wir werden in Nordrhein-Westfalen aufarbeiten müssen, warum das Innenministerium, das die Erkenntnisse der Stadtverwaltung Köln hatte, Anis Amri nicht auf dem Schirm hatte ({4}) und sich mehrere Monate keine Gedanken gemacht hat . Ich hätte den Wunsch gehabt, dass Innenminister Jäger bei Anis Amri ganz deutlich agiert hätte . ({5}) Repressives Handeln, das wir uns hier anschauen, also die Strafverfolgung, aber auch präventives Handeln, beides ist wichtig . Da wird es darauf ankommen, ob - neben dem Gesetz, das wir gleich diskutieren, der Veränderung des Bundeskriminalamtgesetzs für die Ebene des Bundes - auch die Länder ihre Hausaufgaben machen, ob sie nicht nur sagen: „Wir wollen Gefährder auf dem Schirm haben“, sondern nachziehen und eine entsprechend probate und vernünftige Lösung finden und deswegen in den Polizeigesetzen die Überwachung von Gefährdern durch Fußfesseln regeln . Noch einmal: Wir haben in Deutschland eine Vielzahl von Gefährdern; das ist unbestritten . Wir werden tendenziell immer mehr bekommen, die strafrechtlich verurteilt worden sind . Diese werden zu einem nicht unerheblichen Teil ihr Gedankengut später nicht über Bord werfen, sondern wieder eine Gefährdung darstellen . Wenn der Rechtsstaat die Bürger nicht schützt, dann versagt er . Die Fußfessel ist ein probates Mittel, ein geringer Eingriff im Verhältnis zu der Gefährdung, die diese Personen darstellen . Insofern kann ich nur dafür plädieren, diese beiden guten Gesetzentwürfe von Justizminister Maas und Innenminister de Maizière im parlamentarischen Raum gemeinsam zu diskutieren und eine gute Lösung zu finden - zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger . Dazu rufe ich gerade die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken auf; denn sie haben leider ein doch teilweise etwas gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat, wie ich heute wieder feststellen muss . Danke . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11162 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksache 18/11163 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721976 Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Bundesminister Dr . Thomas de Maizière . ({1})

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatten über Sicherheit beginnen meistens mit der Frage: Was können und sollen Polizistinnen und Polizisten tun, wie sollen sie arbeiten, um Straftaten zu verhindern, Straftaten aufzuklären und Täter zu ermitteln? Für diese Arbeiten brauchen sie moderne Instrumente wie das BKA-Gesetz, zu dem ich gleich noch komme . Sie brauchen aber auch robusten Schutz vor gewalttätigen Übergriffen mit guter Ausstattung und mithilfe des Rechts . Erlauben Sie mir eine Bemerkung zu einer Debatte von heute Morgen. Ich finde es gut - das war überfällig -, dass der Justizminister heute seinen Gesetzentwurf eingebracht hat, um die Strafbarkeit bei Angriffen gegen Polizisten und Rettungskräfte zu erhöhen . Wir haben lange darüber gesprochen . Jetzt ist der Gesetzentwurf da . Das ist gut und richtig . ({0}) Angriffe auf Menschen, die uns schützen und die uns helfen, sind besonders niederträchtig . Da brauchen wir kein Verständnis . Da brauchen wir eine harte und klare Linie, das heißt auch: härtere Strafen . Deshalb freue ich mich über diesen Gesetzentwurf . Nun zu den nötigen Instrumenten für die Polizei und damit zum vorliegenden Gesetzentwurf zum Bundeskriminalamt, den ich hiermit einbringe . Mit dem neuen Bundeskriminalamtgesetz fällt der Startschuss für das von mir angekündigte Projekt „Polizei 2020“ . Dieses Gesetz leitet eine Zeitenwende ein und setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem April des letzten Jahres um . Was meine ich mit dem Begriff „Zeitenwende“? Die Informationsarchitektur des Bundeskriminalamts und des polizeilichen Verbundes von Bund und Ländern stammt in ihren Grundzügen aus den 70er-Jahren, ein System verschiedener und kaum miteinander verbundener Datentöpfe . Dieses System wurde vom damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts, Horst Herold, im Zusammenhang mit dem westdeutschen RAF-Terrorismus entwickelt . Es war damals modern und revolutionär, übrigens auch umstritten . Jetzt ist es nicht mehr zeitgemäß . Der Polizeibeamte in einem Bundesland muss wissen, dass sein Kollege in einem anderen Bundesland gegen die gleiche Person ermittelt . Beide müssen wissen, welche Informationen über diese Person beim Bundeskriminalamt bekannt sind . Jeder Polizist und jede Polizistin soll zu jeder Zeit und an jedem Ort Informationen abrufen können, die er oder sie benötigt und die er oder sie abrufen darf . Daten sollen einmal eingegeben und mehrfach genutzt werden - mit einer guten Datenqualität und einem modernen Datenschutz, mit einem intelligenten, präzisen und nachverfolgbaren Zugriffssystem . Datenaustausch und Datenschutz werden mit diesem Gesetz versöhnt; sie werden miteinander in Einklang gebracht . Effektive Datenverarbeitung bei der inneren Sicherheit mit vernünftigem Datenschutz, das ist der wesentliche Inhalt dieses neuen Gesetzes . Über dieses Ziel bin ich mir mit meinen Länderkollegen einig . Die Innenminister der Länder und ich haben im Herbst letzten Jahres in Saarbrücken gemeinsame Leitlinien verabschiedet, die das Gesetz, das jetzt im Entwurf vorliegt, rechtlich umsetzt, soweit das der Bund kann . Das ist der Beginn eines gemeinsamen Weges für eine gemeinsame Informationstechnik- und Sicherheitsarchitektur in Deutschland und deswegen ein großer Schritt . ({1}) Die Schaffung der technischen Voraussetzungen für dieses Großprojekt hat bereits begonnen . Der Gesetzentwurf regelt darüber hinaus auch die Möglichkeit einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung von Gefährdern mit einer sogenannten Fußfessel . Das war Teil der politischen Einigung, die Kollege Maas und ich der Öffentlichkeit am 10 . Januar mitgeteilt haben . Eben wurde über die elektronische Fußfessel im repressiven Bereich für verurteilte extremistische Straftäter diskutiert . Hier geht es um die Möglichkeit der Nutzung von Fußfesseln im Gefährderbereich, also im Bereich der Gefahrenabwehr . Diese Regelung ist kein Allheilmittel - darüber werden Sie eben auch diskutiert haben -, so wie alle anderen Einzelmaßnahmen von Sicherheitsbehörden für sich genommen keine Allheilmittel sind . Es ist aber besser, zu wissen, wo sich ein Gefährder aufhält, als es nicht zu wissen . Eine Fußfessel kann helfen, den Aufenthaltsort von Gefährdern zu ermitteln und so ihr Untertauchen zu verhindern . Allerdings richtet sich die Überwachung nahezu aller Gefährder nach Landesrecht . Für die praktische Bewährung dessen, was wir dann hoffentlich mit der Verabschiedung des BKA-Gesetzes beschließen, kommt es deshalb darauf an, dass die Länder vergleichbare Regelungen in ihre Polizeigesetze aufnehmen, und wie ich höre, planen mittlerweile viele Länder, entsprechende Regelungen in ihren Polizeigesetzen vorzusehen . Wir brauchen - aber das Thema kann und will ich heute nicht vertiefen - eine verbindlichere und bundesweit gleiche Vorgehensweise im Umgang mit Gefährdern, die festlegt, was genau geschehen soll, wenn man sich über die Gefährlichkeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum einig ist . Auch das ist ein nicht ganz leichter Weg in unserem föderalen Gefüge; aber daran müssen wir arbeiten . Natürlich setzt das neue BKA-Gesetz darüber hinaus das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch in anderen Punkten um, etwa beim Kernbereichsschutz, etwa bei der Gleichbehandlung aller Rechtsanwälte und vielen anderen Themen . Ich denke, es ist selbstverständlich, dass wir ein solches Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen . Vizepräsidentin Petra Pau Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21977 Dieses Gesetz dient der Arbeit der Polizistinnen und Polizisten in Deutschland . Es dient dazu, dass wir mehr Sicherheit in Deutschland bekommen . Deswegen bitte ich um gute Beratung und Ihre tatkräftige Unterstützung . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich finde, Sie hätten schon erwähnen sollen, dass Sie im vergangenen Jahr ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht bekommen haben, das Ihnen wesentliche Verfassungsverstöße im alten BKA-Gesetz bestätigt und nahegelegt hat, dass hier Abhilfe durch ein neues Gesetz geschaffen werden soll . Ich meine, das war eine gewaltige Klatsche für die Bundesregierung, die hier unter dem Etikett „Terrorbekämpfung“ Verfassungsbruch billigend in Kauf genommen hat . Es ging damals um den Schutz der Privatsphäre . Es ging insbesondere um die Überwachung von Wohnraum und Computern, um Befugnisse zur Datenübermittlung und die Beobachtung von Kontaktpersonen von Terrorverdächtigen . Leider müssen wir feststellen, dass der Gesetzentwurf, der heute vorliegt, wieder schwere Eingriffe in die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern erlaubt . Wir sind der Meinung: Wenn da nicht massiv nachgebessert wird, können wir dem Gesetz nicht zustimmen . ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat die Zweckbindung von Daten bekräftigt . Das bedeutet: Wenn wegen Terrorverdachts ermittelt wird, dürfen die Erkenntnisse aus der Telefon- oder Computerüberwachung nicht zur Aufklärung zum Beispiel eines Bagatelldelikts verwendet werden . Sie dürfen auch nicht einfach an andere Behörden übermittelt werden . Doch im vorliegenden Gesetzentwurf gibt es da massenhaft Schlupflöcher. Wir werden das sicherlich in einer Anhörung noch herausarbeiten . Damit setzt sich die Regierungskoalition einfach über die vom Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellte Zweckbindung der Daten hinweg . Wir haben schon über die elektronische Fußfessel für Gefährder gesprochen . Ich habe zu diesem Tagesordnungspunkt schon einiges gesagt . Aber noch einmal: Die Koalition will künftig - so auch laut BKA-Gesetz Personen, die nicht vorbestraft sind und gegen die kein Strafverfahren geführt wird, Fußfesseln anlegen . Der Begriff „Gefährder“ ist weiterhin gesetzlich nicht definiert; das muss dringend geschehen . ({1}) Im Gesetzentwurf ist nur von der Annahme oder der konkreten Wahrscheinlichkeit eines zu erwartenden strafbaren Verhaltens die Rede . Eine solche Formulierung gibt es in keinem einzigen Polizeigesetz, sodass erst die richterliche Anordnungspraxis deutlich machen wird, was das eigentlich bedeutet . Wir alle wünschen uns natürlich - das kann überhaupt keine Frage sein -, dass ein Verbrecher wie Anis Amri, der den Anschlag hier in Berlin verübt hat, frühzeitig dingfest gemacht wird . Aber wir dürfen Maßnahmen wie die Fußfessel nicht nur aufgrund von Annahmen und ohne Beweise anordnen . ({2}) Zudem ist es völliger Unsinn, zu glauben, dass Fußfesseln den potenziellen Täter daran hindern, seine Tat zu begehen . Wer einen Terroranschlag begehen will, wird ihn begehen, ob er nun eine Fußfessel trägt oder nicht . ({3}) Das ist nichts anderes als Symbolpolitik . Sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern ein trügerisches Sicherheitsgefühl nach dem Motto „Wir tun etwas“ vermitteln . Deswegen sagen wir ganz klar: ({4}) Im Namen der Terrorbekämpfung darf nicht alles erlaubt sein, was technisch möglich ist . Das ist einfach unsinnig . ({5}) Noch ein Punkt . Laut Gesetz soll die Beobachtung von Personen erlaubt werden, von denen die Polizei annimmt, dass sie andere Leute kennen, die Straftaten begehen könnten . Ich frage Sie ernsthaft: Wie weit soll das eigentlich gehen? Sollen auch diejenigen beobachtet werden, die eine Person kennen, die wiederum den Terroristen kennt? Ich bin wirklich erschrocken, wie weit die Maßnahmen laut Gesetz gehen sollen . Das kann Unschuldige betreffen . Worüber wir im Ausschuss sicherlich noch diskutieren sollten, ist die Übermittlung von Daten zwischen Landes- und Bundesbehörden . In der Tat müssen wir das Desaster aufarbeiten, das es im Zusammenhang mit dem Anschlag hier in Berlin gegeben hat . Da sind meines Erachtens Behördenfehler gemacht worden . Hier lässt sich sicherlich einiges verbessern . Darüber können wir gerne diskutieren . Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil im vorigen Jahr das Ziel verfolgt, den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger zu stärken . Die Koalitionsfraktionen legen mit diesem Gesetzentwurf jedenfalls nicht das vor, was wir unter einer vernünftigen Balance und unter Grundrechtsfreundlichkeit - diese fordern wir nach wie vor ein - verstehen . Bürgerrechte dürfen nicht für die Illusion von Sicherheit geopfert werden . ({6}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721978

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die SPD-Fraktion . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland wird auch in Zukunft nicht alles erlaubt sein, was im Namen der Terrorabwehr technisch möglich wäre; das will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen . In Deutschland werden in Zukunft auch bei der Terrorbekämpfung Recht und Gesetz gelten . Auch bei der Terrorbekämpfung werden wir in Zukunft zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen und uns die Mühe machen, diesen täglichen Spagat immer wieder aufs Neue hinzubekommen . ({0}) Das jetzt in den Bundestag eingebrachte Gesetz ist in der Tat kein Allheilmittel, und auch die darin enthaltenen Aspekte sind keine Allheilmittel, sondern es sind weitere Bausteine in der deutschen Sicherheitsarchitektur, die uns und unser Land noch sicherer machen sollen; denn die allermeisten Menschen fühlen sich in Deutschland sicher, und sie vertrauen unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten . Auch das ist mir wichtig zu sagen . Bei aller grundsätzlichen Kritik an Maßnahmen möchte ich sagen, dass wir hier über Befugnisse des Bundeskriminalamtes sprechen . Wer sich schon einmal mit dem Bundeskriminalamt, seiner Aufstellung und seiner Arbeitsweise befasst hat, der weiß doch, dass diese Befugnisse gerade beim Bundeskriminalamt in wirklich guten Händen sind . ({1}) Wenn wir über Sicherheit vor dem Hintergrund dieses Gesetzes reden, heißt das natürlich auch, dass Sicherheit und Freiheit ihren Preis haben . Wir haben in dieser Legislaturperiode bereits mehrfach Gesetze verschärft und Befugnisse für Sicherheitsbehörden geschaffen - das stimmt natürlich -, von denen auch ich mir wünschen würde, dass sie gar nicht notwendig wären . Ich bin aber froh, dass wir sie haben, weil sie im Jahr 2017 eben notwendig geworden sind . Dieses Gesetz hat zum einen den Anspruch, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2016 umzusetzen . Das Gericht hatte geurteilt, dass heimliche Überwachungen von Wohnungen, Handys und Computern mit dem Grundgesetz vereinbar sind, sie aber künftig verhältnismäßig ausgestaltet werden müssen . Es ist ein feiner Unterschied, ob es um die Ausgestaltung geht oder ob man eine Maßnahme grundsätzlich als verfassungswidrig einstuft . ({2}) Wir haben auch hier nachgebessert . Eine Regelung ist mir besonders wichtig, auch vor dem Hintergrund des Datenschutzes . Künftig muss das BKA dafür Sorge tragen, dass personenbezogene Daten grundsätzlich nicht für andere Zwecke als für die, für die sie erhoben wurden, verarbeitet werden - bei uns, aber auch im Ausland . Denn auch die Terrorabwehr muss datenschutzrechtlichen Bestimmungen genügen, weil wir auch dahin gehend keine amerikanischen Verhältnisse haben wollen . Wenn wir über den Datenaustausch zwischen dem BKA, der Bundesbehörde, und den Länderpolizeien reden, dann gilt natürlich auch für die Länderpolizeien, dass sie die erhobenen Daten nicht für andere Zwecke als für die verwenden dürfen, für die sie das Bundeskriminalamt erhoben hat . Das klingt zunächst sehr kompliziert, ist aber ein enorm wichtiger Aspekt dieses Gesetzes . Es geht in diesem Gesetz weiterhin um nichts Geringeres als einen kompletten Umbau der IT-Architektur des Bundeskriminalamtes und des Informationsverbundes mit den Länderpolizeien, und zwar mit dem Ziel, unter dem Dach des BKA ein einheitliches Verbundsystem aufzubauen, was im Jahr 2017 eigentlich auch schon längst eine Selbstverständlichkeit sein sollte und was wir mit diesem Gesetz nachholen . Zum anderen geht es um eine Reihe von neuen Befugnissen, die das BKA zur Terrorabwehr bekommt das stimmt natürlich -, wie etwa die Ermächtigung zur Verhängung von Aufenthaltsverboten oder die Postbeschlagnahme . Zu den Befugnissen für das BKA gehören etwa auch die Onlinedurchsuchungen . Auch dazu sage ich: Man kann es durchaus als Glaubensfrage sehen, ob es in Deutschland Onlinedurchsuchungen geben sollte oder nicht . Ich bin der Überzeugung, dass es so etwas im Jahr 2017 leider geben muss, weil auch in diesem Bereich die Straftäter sehr aktiv sind . Ich glaube, das muss ich hier nicht extra betonen . Wir, die SPD, werden in den nun anstehenden Verhandlungen größten Wert darauf legen, die Vorgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht gemacht hat, wie etwa den Nachweis vonseiten des BKA, dass der zu überwachende Verdächtige in absehbarer Zeit wirklich einen Terroranschlag plant, umzusetzen . Denn machen wir uns alles in allem nichts vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dieses Gesetz ist natürlich ein schwieriger Balanceakt zwischen der Freiheit auf der einen Seite und der Sicherheit in unserem Land auf der anderen Seite . Die Menschen aber reagieren vor dem Hintergrund des Anschlags vom 19 . Dezember doch mit völligem Unverständnis, wenn ein Terrorverdächtiger wie Anis Amri vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwinden kann . Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von den Sicherheitsbehörden völlig zu Recht, dass sie Gefährder und ihre Netzwerke im Blick haben . Apropos Gefährder: Das teile ich . Ich denke auch, wenn wir heute darüber sprechen, was wir im Gesetz mit den Gefährdern tun wollen und welche Maßnahmen wir dagegen ergreifen wollen, dann müssen wir natürlich auch als Legislative beschreiben, wer das eigentlich ist: ein Gefährder . Ich glaube nicht, dass die Definition des AK II der Innenministerkonferenz hierfür ausreicht . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21979 Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist, wie es der Name schon sagt, eine komplette Neustrukturierung des BKA . Ich würde mich freuen, wenn wir uns als Abgeordnete im nun beginnenden parlamentarischen Beratungsverfahren im Rahmen ausführlicher Gespräche und einer öffentlichen Expertenanhörung eingehender mit den Details dieses Gesetzes beschäftigen könnten . Wir sollten als Parlament und als Regierung alles dafür tun, dass dieses Gesetz diesmal verfassungssicher ausgestaltet wird . Vielen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Konstantin von Notz .

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Grüne sind wir angesichts der Herausforderungen durch Terror und organisierte Kriminalität entschlossen, rechtsstaatlich und effektiv unsere Sicherheitsbehörden und die Polizeiarbeit zu modernisieren und zu stärken . Wir brauchen top ausgestattete Sicherheitsbehörden und moderne rechtsstaatliche Konzepte, aber eben auch klare Verantwortlichkeiten und entsprechende Kontrollen . ({0}) Das würde den Ermittlern bei ihrer derzeit so wichtigen wie schwierigen Arbeit konkret helfen . Hier lagen und liegen die Knackpunkte einer effektiven und rechtsfesten Sicherheitsarchitektur in Deutschland, meine Damen und Herren . ({1}) Doch 2008 wie heute haben Sie als Große Koalition lieber erst unsere Behörden schwachgeredet, um dann wild Kompetenzen umzuverteilen - gegen die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken aus polizeifachlichen Kreisen, aber auch aus der Opposition, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft . Wie zu erwarten war, wurde das Gesetz in Karlsruhe beklagt, und Karlsruhe erklärte genau die auch von uns kritisierten Teile für verfassungswidrig und nichtig . Das war eine echte Klatsche, Herr de Maizière . ({2}) Vor dem Urteil haben Sie gesagt, was Sie im Plenum immer sagen: Das, was jetzt hier vorliegt, stimmt aber diesmal echt; es ist verfassungskonform . So wird es ja auch heute hier gesagt . ({3}) Nach dem Urteil, Herr de Maizière - das fand ich bemerkenswert -, haben Sie sich als Verfassungsminister entschlossen, das Gericht offen zu kritisieren, und gesagt, es sei nicht Aufgabe der Richter, dem Gesetzgeber ständig in den Arm zu fallen, und es gebe Bedenken des Gerichts, die Sie nicht teilen . ({4}) Ich finde, die Vorlage zeigt: Diesen Worten lassen Sie Taten folgen . Sie zetteln meiner Ansicht nach eine Auseinandersetzung mit einem anderen Verfassungsorgan an, übrigens ohne ordentliches Verfahren . Vor zwei Tagen wurde diese Vorlage auf die Tagesordnung gehievt, und jetzt kommen Sie mit einem erneut uneinsichtigen Entwurf und fordern das Gericht heraus . Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht. Ich finde auf jeden Fall, dass dies in Ton, Umgang und Inhalt ein ziemlich einmaliger Vorgang ist . ({5}) Das Gericht definierte im letzten Jahr in langer Traditionslinie seiner Rechtsprechung zentrale, glasklare Vorgaben: Erstens . Die Überwachungsmaßnahmen müssen zwingend, verhältnismäßig und zielgerichtet sein . Zweitens . Sie müssen effektiv unabhängig kontrolliert werden, zum Beispiel von der BfDI . Drittens. Es braucht klare Löschverpflichtungen in der Norm und einen hohen Kernbereichsschutz . Viertens . Dauerhafte Überwachungen sind unzulässig, und besondere Vertrauensbeziehungen brauchen einen besonderen Schutz . Fünftens . Datenverarbeitung unterliegt gerade im Polizeibereich der Zweckbindung, und die Übermittlung in andere Staaten ist eine Zweckänderung . All diese Vorgaben des Gerichts sind abgewogene und vor allen Dingen umsetzbare Vorgaben, die unseren Rechtsstaat stark machen und ihn ausmachen, meine Damen und Herren . ({6}) Gleich mehrere dieser Grundsätze erfüllt Ihre Neuauflage leider nicht . Sie preisen offensichtlich die Korrektur durch Karlsruhe in die eigene Gesetzgebung inzwischen voll ein und nehmen somit ein jahrelanges rechtsstaatlich problematisches Agieren der Behörden billigend in Kauf . Das ist aus unserer Sicht problematisch gegenüber den Beamtinnen und Beamten und den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, meine Damen und Herren . Gerade in Zeiten wie diesen, in denen unser Rechtsstaat und die ihn konstituierenden Grund- und Freiheitsrechte nicht nur von salafistischen Terroristen, sondern auch von den Systemverächtern von ganz rechts angegriffen werden, ({7}) ist es die Pflicht des Gesetzgebers, besonnen und abgewogen, ({8}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721980 lieber Kollege Wendt, zu agieren . Nach den letzten Anschlägen von Paris und Brüssel haben Sie hier eine Burkadiskussion gestartet, Herr Mayer, an die sich heute schon niemand mehr richtig erinnert . ({9}) Da war die Burka das zentrale Sicherheitsthema . Jetzt haben Sie in diesen Gesetzentwurf das Symbolthema Fußfessel gepackt . Statt die gezielte Polizeiarbeit bei konkretem Verdacht mit rechtmäßigen Mitteln zu stärken, weiten Sie erneut Massenüberwachungsmaßnahmen aus . ({10}) Ihr Gesetzentwurf nimmt einen grundlegenden Paradigmenwechsel - das haben Sie ja selbst gesagt - bei der IT-Datenhaltung vor . Die gesetzliche Absicherung dieses neuen IT-Konzepts ist völlig unzureichend . Der zentrale Grundsatz der Zweckbindung wird bewusst ausgehebelt, die Errichtungsanordnung ersatzlos abgeschafft und eine Überprüfung der Dateien so verunmöglicht . So geht es nicht, meine Damen und Herren . Der Weg dieses Gesetzes zur Verfassungskonformität ist noch sehr weit . Ich hoffe, wir werden ihn gemeinsam gehen . Ganz herzlichen Dank . ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Herr Kollege von Notz, die ersten drei Sätze Ihrer Rede waren durchaus überraschend für mich . Sie waren sehr staatstragend . Ich war dann aber doch beruhigt, als Sie ab dem vierten Satz wieder in Ihre Klischees und Ihre althergebrachten Muster zurückgefallen sind . Insoweit haben Sie also tatsächlich leider nichts dazugelernt, insbesondere was die aktuelle Bedrohungssituation unseres Landes anbelangt . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, bevor ich auf den konkreten Gesetzentwurf eingehe, erlauben Sie mir ein paar Sätze zum Bundeskriminalamt im Generellen . Das Bundeskriminalamt ist seit seiner Gründung 1951 untrennbar und eng mit der Geschichte der inneren Sicherheit unseres Landes verbunden . Es hat eine sehr vielschichtige, eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich . Nicht ohne Grund lautet der Titel des Gesetzes, das als Grundlage für das Bundeskriminalamt dient, „Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten“ . Über die Jahrzehnte hinweg sind die Befugnisse und die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes deutlich erweitert worden . Es sind Möglichkeiten geschaffen worden wie die, dass der Generalbundesanwalt das Bundeskriminalamt mit Ermittlungen beauftragt . Es sind originäre Ermittlungskompetenzen für das Bundeskriminalamt geschaffen worden . Das Bundeskriminalamt hat die Aufgabe zugesprochen bekommen, insbesondere im Bereich der kriminaltechnischen Forschung tätig zu sein . Zuletzt hat das Bundeskriminalamt richtigerweise Befugnisse zur Gefahrenabwehr im Bereich des islamistischen Terrorismus bekommen . Der Grund für die vielen Änderungen des BKA-Gesetzes in den letzten Jahrzehnten war nicht nur der Zuwachs an Aufgaben und die gestiegenen Herausforderungen, die sich unserem Land im Bereich der inneren Sicherheit stellen, sondern insbesondere auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, beginnend mit dem Volkszählungsurteil, das völlig neue Anforderungen an die polizeilichen Informationsbefugnisse gestellt hat . Ich möchte aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, behaupten: Das Bundeskriminalamt steht jetzt vor der größten Herausforderung seiner Geschichte, insbesondere angesichts der eminenten Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus . Natürlich ist es hier nicht alleine gefordert, sondern zusammen mit den anderen Bundessicherheitsbehörden, zusammen mit den Sicherheitsbehörden der Länder . Aber ich glaube, man kann schon behaupten, dass dem Bundeskriminalamt hier eine zentrale Rolle zukommt . Nicht ohne Grund haben wir als Haushaltsgesetzgeber, insbesondere auf Betreiben der CDU/CSU, die Zahl der Stellen für das Bundeskriminalamt für die Jahre 2016 bis 2020 um 1 300 erhöht . Das bedeutet: Innerhalb von nur fünf Jahren wird die Belegschaft des Bundeskriminalamtes um 25 Prozent erhöht . Das ist richtig . Das ist aber auch den gestiegenen Herausforderungen geschuldet . Der Anlass für die jetzt vorliegende Novellierung des BKA-Gesetzes ist insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 20 . April letzten Jahres und die EU-Datenschutzrichtlinie, die den öffentlichen Bereich regelt . Diese Novellierung hat vor allem drei Ziele zum Inhalt . Zum einen geht es darum, den Datenschutz zu erhöhen . Zum anderen geht es darum, eine Harmonisierung und eine Verbesserung des Informationsaustausches mit den Polizeibehörden anderer EU-Länder vorzunehmen; gerade hochaktuell angesichts der Erfahrungen des schrecklichen Anschlags vom Breitscheidplatz . Das dritte Ziel ist, dass das BKA modernisiert wird, vor allem die Informationstechnologie verbessert wird, und dem Bundeskriminalamt in Zukunft eine stärkere Zentralstellenfunktion in der Sicherheitsarchitektur in Deutschland zukommt . Das sind drei wichtige Ziele . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum Datenschutz . Das Bundesverfassungsgericht - ich bin dem Kollegen Grötsch sehr dankbar, dass er dies deutlich gemacht hat - hat nicht in Gänze geurteilt, dass die Befugnisse, insbesondere die verdeckten ErmittlungsbeDr. Konstantin von Notz Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21981 fugnisse, im Bereich des islamistischen Terrorismus verfassungswidrig sind, ({0}) sondern es hat geurteilt, dass es an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gibt bezüglich Benachrichtigungspflichten oder Löschungspflichten. ({1}) Sehr geehrter Herr Kollege von Notz, ich wehre mich massiv gegen Ihren Vorwurf und vor allem den Vorwurf gegenüber dem Bundesinnenminister, dass das Bundesinnenministerium mit diesem Gesetzentwurf das Bundesverfassungsgericht herausfordert oder provoziert . Ganz im Gegenteil . Ich sage ganz offen: Ich erwarte von einem Bundesinnenminister, dass er, wenn wir ein derartiges Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wie das vom 20 . April letzten Jahres bekommen, nicht wartet, bis die Umsetzungsfrist abläuft - sie läuft nämlich erst am 30 . Juni 2018 ab -, sondern dass er angesichts der jetzigen Bedrohung schnell und effektiv reagiert . ({2}) Deshalb ist dieser Gesetzentwurf keine Provokation und keine Herausforderung des Verfassungsgerichtes, sondern eine sachgerechte Umsetzung des Urteils . ({3}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird besser ausgestaltet . Es gibt Verbesserungen bei den Löschungs- und Benachrichtigungspflichten, insbesondere wird dem Transparenzgebot stärker Rechnung getragen . Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern wird verbessert . Die Stellung der Bundesdatenschutzbeauftragten beim polizeilichen Informationsaustausch wird gestärkt . ({4}) Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, das Urteil des Verfassungsgerichtes, das durchaus ein Grundsatzurteil bezüglich des polizeilichen Datenschutzes ist, ({5}) wird entsprechend umgesetzt . Der zweite wichtige Punkt ist die Modernisierung der Informationstechnologie in der Sicherheitsarchitektur . Ich sage ganz offen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist anachronistisch, dass wir in 16 Ländern und im Bund 17 verschiedene ITs im Bereich der Polizeien haben . Das ist nicht mehr sachgerecht, das ist nicht mehr zeitgemäß . Das stammt aus einer Zeit vor den 70er-Jahren unter dem damaligen BKA-Präsidenten Horst Herold . Das muss entsprechend modernisiert werden . Dem BKA muss insbesondere im Bereich der Informationstechnologie, auch gegenüber den Ländern, eine stärkere Rolle zugeschrieben werden . ({6}) Letztens, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wird mit dieser neuen Befugnisnahme für das Anbringen der elektronischen Fußfessel auch ein Beispiel für die Länder gegeben . Wir haben die klare Erwartungshaltung, dass die Länder in ihren Polizeiaufgabengesetzen dem Beispiel des Bundes folgen und entsprechend auch Befugnisnahmen schaffen, um Gefährder und damit hochgefährliche Personen, für deren Rund-um-die-UhrObservierung 24 bis 30 Beamte benötigt werden, zur Not auch mit der elektronischen Fußfessel zu überwachen . Ich glaube, dass ist ein erheblicher und wesentlicher Schritt nach vorne . Deswegen sollten wir, meine Kolleginnen und Kollegen, diesen Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren in der gebotenen Sorgfalt und gebotenen Seriosität, aber auch in der gebotenen Eile angesichts der erheblichen Bedrohungssituation beraten . Darum bitte ich . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Susanne Mittag für die SPD-Fraktion . ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes kommt vom Titel unscheinbar und ein klein bisschen kompliziert daher . Wenn man es allerdings genauer betrachtet, dann ist es ein größerer Umbau beim BKA als nur die Neustrukturierung eines einzelnen Gesetzes . Heute ist die erste Lesung . In den kommenden Wochen werden wir die Details weiter beraten, diskutieren und aushandeln . Der Entwurf ist eine Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Jahr . Meine Vorredner haben schon in diverser Bandbreite darauf hingewiesen, was das oberste deutsche Gericht bemängelt hat und was zu verändern ist . Das will ich hier jetzt nicht wiederholen . Aber wir haben auch eine Frist wie schon erwähnt - bis Juni 2018 für die Umsetzung des Urteils . Die voraussichtlich letzte Sitzungswoche, in der wir noch Gesetze beschließen können, ist Ende Juni dieses Jahres . Danach - das weiß jeder - ist Wahlkampf . Bis sich eine neue Bundesregierung etabliert hat, kann 2017 schon vorbei sein . Ich denke, das Gesetz ist so wichtig, dass wir jetzt darüber reden müssen . Man muss ja nicht immer alles auf den letzten Drücker entscheiden . ({0}) Aktueller und wichtiger denn je ist der Austausch von Daten zwischen den Sicherheitsbehörden . Darauf zielt Stephan Mayer ({1}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721982 der Entwurf unter anderem ab . Das Gesetz verbessert auch den Schutz von personenbezogenen Daten . Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass die bisherige Praxis beim BKA mit der Verfassung zum Teil nicht im Einklang steht, und das soll jetzt verbessert werden . Nun schützen wir personenbezogene Daten nach dem Grundsatz der - man höre und staune - hypothetischen Datenneuerhebung . Das heißt, Daten, die zum Beispiel in einem Fall aus einer Telekommunikationsüberwachung gewonnen wurden, dürfen nur dann zu einem anderen Zweck verwandt werden, wenn sie auch für diesen zweiten, neuen Zweck rechtmäßig erhoben werden könnten . Das ist doch schon mal ein ziemlich erheblicher Unterschied . Damit soll eine Datennutzung ins Blaue hinein verhindert werden . Beschäftigte beim BKA sollen auch nur auf Daten zugreifen können, auf die sie auch zugreifen dürfen . Gleichzeitig müssen aber die Daten auch so vernetzt sein, dass nicht unnötig viel Personal und Zeit darauf verwandt werden muss, unterschiedliche Systeme miteinander arbeiten zu lassen oder gar Informationen per Hand einzugeben - das soll es ja auch gegeben haben . Dieser wichtigen Forderung des ersten NSA-Untersuchungsausschusses aus der vergangenen Legislaturperiode können wir mit diesem Gesetz auch nachkommen . Das sollte man nicht ganz vergessen . Aber die Stärkung des Datenschutzes und die gleichzeitige Vernetzung der Daten sind nicht mit der jetzigen IT-Architektur des BKA zu bewerkstelligen . Daher muss ein völlig neues Konzept aufgebaut werden . Das BKA wird in seiner Zentralstellenfunktion gegenüber den anderen Polizeien des Bundes und der Bundesländer gestärkt . Das ist dringend erforderlich . Deswegen haben wir bereits die Erhöhung der Haushaltsansätze im IT-Bereich beschlossen; das war schon mal sehr vorausschauend . Es kann nicht sein, dass es insgesamt 19 verschiedene Datensysteme mit unterschiedlichen Schnittstellen bei der Polizei, bei den Ländern gibt und man irgendwie versucht, dass sie miteinander kommunizieren . Nein, Informationen müssen allen, die zu ihrer Nutzung berechtigt sind, schnell zur Verfügung stehen . Die Datenverantwortlichkeit - das ist vielleicht auch nicht ganz unwichtig - bleibt bei den eingebenden Dienststellen, geht also nicht auf das BKA über . Das gilt nicht nur für das Inland, sondern auch für die Kooperation außerhalb, und zwar in der Europäischen Union . Dort funktioniert der Datenaustausch auch nicht so reibungslos, wie wir ihn eigentlich brauchten . Ich möchte da nur ein Beispiel nennen: Im Prümer Beschluss haben die Mitgliedstaaten 2008 vereinbart, dass sie DNA-, Kraftfahrzeug- und Fingerabdruckdaten zur Verfügung stellen - 2008! Neun Jahre später gibt es immer noch fünf Mitgliedstaaten, die sich nicht oder nur zum Teil daran beteiligen . Wir müssen also nicht nur bei uns daran arbeiten, sondern auch auf europäischer Ebene . Auf der EU-Ebene wird an der Europol-Verordnung gearbeitet . Damit wird das BKA als nationale Stelle für die Zusammenarbeit mit der europäischen Polizeibehörde noch wichtiger . Wir müssen den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit geben, phänomenübergreifend auszuwerten, zu analysieren und die Ergebnisse für unsere Sicherheit zu nutzen, und dies immer - das sage ich ganz klar - unter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen . Dass wir das Amt der Bundesbeauftragten für den Datenschutz stärken wollen, ist schon erwähnt worden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Bei aller Wichtigkeit des Umbaus der Datenstruktur müssen wir auch im Auge behalten, dass es im laufenden Betrieb des BKA funktioniert . Wir machen nicht erst mal den Laden zu, bauen um, und dann geht es weiter, sondern das wird sich einige Jahre hinziehen . Das ist keine einfache Angelegenheit . Ich möchte für meine Fraktion sagen, dass das BKA dabei unsere vollste Unterstützung hat . Falls noch mehr Mittel und Personal als derzeit im Haushalt beschlossen nötig sein sollten, werden wir an Ihrer Seite stehen . Sie leisten ganz hervorragende Arbeit, und mit diesem Konzept wird sie noch erheblich verbessert werden . Herzlichen Dank . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort der Kollege Marian Wendt für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Heute ist wieder ein guter Tag für die innere Sicherheit in unserem Land . ({0}) Wir haben das Polizeischutzgesetz eingebracht, wir haben über die Fußfessel beraten, und aktuell beraten wir über die Reform des BKA-Gesetzes . Auch der Ausblick auf die nächste Sitzungswoche stimmt mich freudig . Es wird um Verbesserungen beim Digitalfunk für die Sicherheitsbehörden, das Verschleierungsverbot, Body-Cams und öffentliche Videoüberwachung gehen . ({1}) Sie sehen, dass die unionsgeführte Koalitionsregierung klar im Sinne unserer inneren Sicherheit arbeitet . ({2}) Wir haben in den letzten Wochen und Monaten Verschärfungen beim Asylrecht vorgenommen, wir haben den Terror effektiv bekämpft, ({3}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21983 wir haben das Personal bei den Sicherheitsbehörden aufgestockt und sie damit gestärkt . ({4}) Die Neustrukturierung des BKA-Gesetzes ist, wie es richtigerweise bereits erwähnt wurde, ein Baustein in diesem ganzen Prozess . Es geht dabei nicht nur um mehr Personal, eine bessere technische Ausstattung und nötige Rechtsmittel; es geht dabei vor allen Dingen um ein effektives und modernes System der Kommunikation, der Fallbearbeitung und des Informationsaustausches zwischen den Polizeien der Länder und des Bundes . Moderne Datenverarbeitung ist im 21 . Jahrhundert Alltag . Das ist eine banale Wahrheit . Aber diese moderne Datenverarbeitung und -vernetzung ist leider noch nicht so ganz Alltag bei unseren Sicherheitsbehörden . Das ist ebenso eine banale Wahrheit . Der Gesetzentwurf hat drei Ziele, die ich sehr unterstütze - sie sollten im Interesse aller im Bundestag vertretenen Fraktionen sein -: Es geht erstens um die Stärkung des Datenschutzes, es geht zweitens um die Harmonisierung zur Verbesserung des Informationsflusses zwischen den Polizeibehörden in Europa, und es geht drittens um die Modernisierung des BKAs als zentrale Stelle, die einheitliche Informationstechnik zur Verfügung stellt, Prozesse koordiniert und Diskussionsprozesse moderiert . In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden zahlreiche Eigenentwicklungen, Sonderlösungen, Schnittstellen, unterschiedliche Dateiformate und unterschiedliche Erhebungsregeln entwickelt, die es erschweren, Informationen zwischen den Polizeibehörden des Bundes und der Länder auszutauschen . Das kostet eine Menge Geld, und es kommt zu doppelten Entwicklungen . Ich glaube, das Steuergeld wäre sinnvoller angelegt, wenn wir das Ganze harmonisierten . Das neue Gesetz wird deshalb eine Zeitenwende einleiten, kleine Könige entmachten und eine einheitliche Strategie einführen . ({5}) Das klingt für uns, die wir uns in den letzten Wochen und Monaten mit dem Thema „Digitale Verwaltung“ beschäftigt haben, nicht neu . Das ist auch in anderen Bereichen der Staatsverwaltung zwingend nötig . Ich freue mich besonders, weil an dieser Stelle die beiden Themen, für die mein Herz schlägt, vereint sind: die innere Sicherheit und die digitale Verwaltung in einem modernen Staat . Maßnahmen zur Anpassung an die Anforderungen des 21 . Jahrhunderts sind nötig . Wir leben nicht mehr in den 70er-Jahren, aus denen die Struktur des BKAs und des Informationsaustausches stammt . Deshalb müssen wir uns heute und in den nächsten Wochen darüber unterhalten - flankierend sind weitere gesetzgeberische Maßnahmen nötig -, wie wir die Zugriffsbefugnisse der Polizeien auf die Kommunikation von Tätern im 21 . Jahrhundert ausrichten und damit verbessern können . Das Telefon wurde 1844 entwickelt, Mobiltelefone gibt es seit 1973, die erste SMS mit dem Text „Frohe Weihnachten“ wurde 1992 versendet, und Apple hat sein iPhone 2007 erstmalig auf den Markt gebracht . ({6}) Mittlerweile macht es für viele Menschen keinen Unterschied mehr aus, ob sie einen Anruf mit dem WhatsApp-Programm, über das GSM-Netz oder über das Festnetz machen . ({7}) Aber rechtlich machen wir hinsichtlich des Zugriffs Unterschiede . So erschweren wir es den Polizeibehörden und Nachrichtendiensten, diese Informationen abzugreifen . ({8}) „Abzugreifen“ meine ich nicht in einem negativen Sinne, sondern damit meine ich die Überwachung von Terroristen . Wir müssen uns überlegen, wie wir hier die Zugriffsmöglichkeiten der Polizeibehörden verbessern können, wie wir nicht nur die IT-Landschaft, also den Hintergrund, sondern auch die Befugnisse ins 21 . Jahrhundert transportieren können . Die am 20 . Januar neu geschaffene Stelle ZITiS, die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, darf ich deswegen hier noch einmal erwähnen . ({9}) Auch sie ist ein sinnvoller und wichtiger Baustein für die Verbesserung der Arbeit unserer Polizeibehörden, ebenso wie die Einführung des neuen BKA-Gesetzes . Ich freue mich auf die Beratungen . Vielen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Wendt . - Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war jetzt wieder ein fliegender Wechsel hier oben. Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11163 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich höre keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunk 25 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({0}), Herbert Behrens, Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721984 Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Soziale Lage und Absicherung von Solo-Selbstständigen Drucksachen 18/8803, 18/10762 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch dazu gibt es keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Sabine Zimmermann für die Linke . ({1})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die Große Anfrage unserer Fraktion zur Situation der Solo-Selbstständigen . Von den 4,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland sind mittlerweile über die Hälfte solo-selbstständig . Sie haben keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und sie versuchen, sich mit Aufträgen auf dem harten Arbeitsmarkt zu behaupten . Wer heute selbstständig ist, ist längst nicht mehr automatisch Chef oder Unternehmer . Die soziale Lage der Selbstständigen hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert . Viele können ihre Krankenkassenbeiträge nicht zahlen . Sie leben von extrem niedrigen Einkommen und müssen fürchten, auch im Alter arm zu sein . Darauf muss die Politik reagieren . ({0}) Im Jahre 1999 hat die rot-grüne Mehrheit hier im Haus das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit verabschiedet . Das war sozusagen die Geburtsstunde der sogenannten Ich-AGs . ({1}) Seit Jahren wissen wir, dass nur aus ganz wenigen Gründungen in dieser Zeit wirklich erfolgreiche Unternehmen entstanden sind . Gleichzeitig greifen aber immer mehr große Unternehmen nur zu gern auf Solo-Selbstständige zurück . Auf diese Weise sparen sie sich natürlich den Arbeitgeberbeitrag für die Sozialversicherung . Das führt zu immer mehr Scheinwerkverträgen und Scheinselbstständigkeit . Damit, meine Damen und Herren, muss endlich Schluss sein . ({2}) Unter den Solo-Selbstständigen finden sich sehr unterschiedliche Berufsgruppen, zum Beispiel die Computerspezialisten . Viele von ihnen verdienen ganz gut . Aber in einem der größten Bereiche der Solo-Selbstständigen, dem Bereich der sogenannten personennahen Dienstleistungen, verdienen 40 Prozent der Solo-Selbstständigen nicht mehr als 1 100 Euro . Personennahe Dienstleistungen findet man zum Beispiel in der Gastronomie und im Hotelgewerbe, aber auch medizinische und Pflegeberufe gehören dazu . Allesamt sind sie für schlechte Arbeitsbedingungen berüchtigt . Ebenso gehören erzieherische Berufe dazu, zum Beispiel selbstständige Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der ganze Kreativbereich, zum Beispiel Schauspieler, Musiker, Künstlerinnen und Künstler . ({3}) Auch bei den freien Journalistinnen und Journalisten sieht die Lage oft kritisch aus . Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir die Künstlersozialkasse stärken . ({4}) Ein Drittel aller hauptberuflich Solo-Selbstständigen verdient nur 1 100 Euro . Zur Erinnerung - wir haben in dieser Woche schon einmal über Altersarmut gesprochen -: Die Armutsgrenze liegt bei 1 033 Euro . Nennen wir es doch beim Namen: Selbstständigkeit zu solchen Bedingungen ist modernes Tagelöhnertum . Das muss abgeschafft werden . ({5}) Die meisten der Solo-Selbstständigen haben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder auch einen Hochschulabschluss . Ich frage mich wirklich: Wollen Sie diese Menschen mit der Symbolpolitik von Frau Nahles immer weiter in die Enge treiben? ({6}) Ihre Korrekturen, zum Beispiel das Gesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen aus dem vergangenen Herbst, sind viel zu klein . Das ist reine Kosmetik, und das hilft den Solo-Selbstständigen überhaupt nicht . ({7}) Sprechen wir heute von Armut trotz Arbeit in Deutschland, dann sprechen wir nicht nur über diejenigen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, sondern wir sprechen auch über den großen Teil der 2,3 Millionen Solo-Selbstständigen . Diese Zahl macht eigentlich deutlich, dass die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung für die allermeisten Solo-Selbstständigen viel zu hoch angesetzt ist . Das muss dringend verändert werden . ({8}) Wir wollen, dass die Beiträge anhand des tatsächlichen Einkommens festgesetzt werden . Die untere Bemessungsgrenze sollte im Bereich der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro liegen . Im Moment haben wir die Situation, dass allein die Krankenversicherungsbeiträge viele kleine Selbstständige in die Armut drücken . An andere soziale Absicherungen wie zum Beispiel an eine Altersvorsorge für die Solo-Selbstständigen ist überhaupt nicht zu denken, weil sie dafür einfach das Geld nicht haben . Bereits jetzt verfügt knapp die Hälfte der ehemaligen Selbstständigen im Alter über weniger als 1 000 Euro . Auf die Einkommensarmut - das wissen wir doch - folgt immer die Altersarmut . Vizepräsidentin Claudia Roth Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21985 Volles Risiko, volle Leistung - das alles schützt heute nicht mehr vor einem Leben am Rande des Existenzminimums und vor der ständigen Unsicherheit: Wie kann ich den nächsten Monat noch überstehen? Wir haben in unserem Entschließungsantrag Vorschläge gemacht, was getan werden muss: ein wirksames Vorgehen gegen Scheinselbstständigkeit, eine Untergrenze beim Einkommen, zum Beispiel durch gesetzliche Mindesthonorare, eine realistische Beitragsbemessung in der Krankenversicherung und vor allen Dingen auch die Stärkung der Künstlersozialkasse . Vielen Solo-Selbstständigen fehlt die soziale Absicherung . Damit fallen viele Menschen in Armut . Tun Sie endlich etwas, und unterstützen Sie unseren Entschließungsantrag! Danke schön . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sabine Zimmermann . - Nächster Redner: Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der Frau Vorrednerin zugehört hat, dann musste man den Eindruck gewinnen: Für die Linke in Deutschland sind Selbstständige ein großes Problem sowohl für die Wirtschaft wie für den Arbeitsmarkt . ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will erst einmal festhalten: Selbstständige sind ein wichtiger Motor der wirtschaftlichen Dynamik in unserem Land . ({1}) Sie sind innovationsfreudig, ({2}) und sie sind von einer hohen Risikobereitschaft geprägt . ({3}) Das ist ein Gewinn für unser Land . ({4}) Allerdings hat sich das Bild vom Selbstständigen in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert . Nach wie vor ist es so, dass ein großer Teil der Selbstständigen erfolgreich eigene Unternehmen betreibt, mit guten Betriebsergebnissen, und damit auch einen guten Lebensstandard für sich selber absichern kann, auch für das Alter entsprechend gut vorsorgt . ({5}) Aber wir haben auf der anderen Seite in den letzten Jahren eine Zunahme der Zahl von Personen, die selbstständig arbeiten und keine weiteren Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter haben . In diesem Personenkreis, den man kurz „Solo-Selbstständige“ nennt, haben wir auch wieder ein differenziertes Bild . Es gibt Personen, die sehr gute Einkommen erzielen, die auch eine gute Altersvorsorge betreiben, ({6}) aber eben auch Personen, die sehr geringe Einkünfte erzielen und die deswegen auch nicht groß etwas übrig haben, um zu sparen . ({7}) Wenn man sich diese Gruppe anschaut, sieht man, dass darunter sehr viele Personen sind, für die die Selbstständigkeit nur eine vorübergehende Form der Berufstätigkeit ist . ({8}) Viele der Solo-Selbstständigen - das zeigen ja die präzisen Zahlen, die die Bundesregierung zur Großen Anfrage der Linken vorgelegt hat ({9}) - Sie haben ja bereits gesprochen; dann brauchen Sie nicht ständig Zwischenrufe zu machen - sind nach wenigen Jahren wieder in einem Angestelltenverhältnis . Auch nimmt die Zahl derjenigen zu, die beides sind: Sie haben einen Job als Angestellte, und sie sind nebenbei auch noch in irgendeiner Form als Selbstständige tätig . Deswegen haben wir heute im Vergleich zur Vergangenheit ein in der Tat differenzierteres Bild bei der Selbstständigkeit. Ich muss sagen: Auch das finde ich nicht verwerflich. Wer auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterschiedliche Formen der Beschäftigung sucht und sie mit Erfolg ausüben kann, ist kein Problem für unser Land, sondern ist ein Gewinn für unser Land . ({10}) Allerdings stellt die Ausdifferenzierung dieser Selbstständigkeit - die Tatsache, dass es eben nicht mehr so ist: man hat sich irgendwann in seinem Leben entschieden hat: ich werde jetzt selbstständig, und das bleibe ich bis zu meinem Lebensende -, also die Tatsache, dass sehr oft zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit gewechselt wird, neue Fragen an unsere Sozialversicherungssysteme, und auf diese Fragen muss man in der Tat dringender denn je eine Antwort geben . Wir als Union hatten in der letzten Legislaturperiode mit dem damaligen Koalitionspartner FDP bereits versucht, ein Modell zu entwickeln, wie eine solche zusätzliche Absicherung, vor allen Dingen für das Alter, aussehen könnte . ({11}) Sabine Zimmermann ({12}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721986 - Ich gebe es offen zu, Herr Rosemann - Ihr Zwischenruf ist richtig -: Wir haben es nicht zu Ende bringen können, was schade ist . Deswegen bleibt uns das als Aufgabe für die Zukunft erhalten . Aber an Dringlichkeit hat es nicht verloren . Ich glaube, ein Grundprinzip sollte sein - und zwar für jeden, egal in welchem Beschäftigungsverhältnis -, dass zwingend etwas für das Alter vorgesorgt wird . In den Jahren, in denen man gut verdient, sollte man wirklich so viel zur Seite legen, dass man im Alter nicht auf staatliche Unterstützung, auf Grundsicherung angewiesen ist . Es ist ja eine großartige Zusage unseres Sozialstaates: Wir lassen niemanden verhungern und verdursten . Jeder kann dank der Grundsicherung auch im Alter am gesellschaftlichen Leben teilnehmen . - Aber umgekehrt: Es besteht ein Erfordernis für jeden von uns, so vorzusorgen - wenn er kann -, ({13}) dass er auf Grundsicherung möglichst nicht angewiesen ist . Deswegen war es unsere Idee, eine Form von sozialer Absicherung einzuführen . Entweder geht der Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung, oder er weist zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach, dass er im Rahmen der Altersvorsorge so viel anspart, dass er später mindestens Grundsicherungsniveau erreichen kann . Das ist das Prinzip . ({14}) Nun muss man auch ein paar Nebenbedingungen beachten . Erstens . In der Existenzgründungsphase ist es in der Regel so, dass der Existenzgründer einen Kredit aufnimmt, hohe Zins- und Tilgungsraten zahlen muss und meist wenig Gewinn erzielt . Für Existenzgründer muss es also beitragsfreie Jahre geben . ({15}) Zweitens . Wer den Beitrag, der mindestens zur Grundsicherung führt, wegen geringem Verdienst nicht leisten kann, der muss auch niedrigere Beiträge zahlen können . Die Frage ist, wie man diese staffelt, in Stufen oder in Prozentsätzen . Drittens . Selbstständige haben in der Regel kein regelmäßiges Einkommen . Es gibt keinen Arbeitsvertrag, wo drinsteht: „Jeden Monat kommt soundso viel“, sondern das Einkommen geht rauf und runter . Also muss es Möglichkeiten geben, die Beiträge dem Auf und Ab der Einkommensentwicklung anzupassen . Mein nächster Punkt ist: Ab welchem Alter beginnen wir? Selbstständige, die 50 Jahre und älter sind, haben in der Regel schon für die Zukunft vorgesorgt . Es wäre unsinnig, sie zwangsweise in ein neues System zu überführen . Deswegen muss eine Regelung so aussehen: Bei den über 50-Jährigen belassen wir es dabei, wie es heute geregelt ist, für die Gruppe der 30- bis 50-Jährigen schaffen wir eine Wahlmöglichkeit, und für unter 30-Jährige führen wir die neue Pflicht ein. Selbstständige müssen sich auf das, was wir für die Zukunft neu regeln wollen, einstellen können . Ich finde, dass ein Konzept, wie wir es damals entwickelt haben, nach wie vor attraktiv wäre und dabei mithelfen würde, ein Hauptproblem im Bereich der Selbstständigkeit befriedigend zu lösen, nämlich dass jeder Selbstständige in Zeiten, in denen er leistungsfähig ist - das kann sich ja von Jahr zu Jahr und von Monat zu Monat ändern -, einen Teil seines Einkommens in eine vernünftige Altersversorgung einbringt . Das muss unser Ziel sein . ({16}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sehen, dass sich ehemalige Selbstständige zu einem höheren Prozentsatz in der Grundsicherung wiederfinden als diejenigen, die nicht selbstständig gearbeitet haben . ({17}) Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass es in Zukunft gerade im Bereich der Selbstständigen zum Problem der Altersarmut kommen könnte . Mit einer obligatorischen Pflicht zur Altersvorsorge muss natürlich auch die Frage verbunden sein, welche Regelungen man mit Blick auf die Krankenversicherung trifft; das ist vollkommen richtig . Ich glaube, es nützt nichts, Anträge zu Einzelpunkten zu stellen, sondern es muss ein Gesamtkonzept her, das die Versicherungspflicht und die Leistungsfähigkeit der Selbstständigen im Hinblick auf ihre soziale Absicherung insgesamt berücksichtigt . Es muss gewährleistet werden, dass Selbstständige tatsächlich leistungsfähig sind, wenn es darum geht, wie sie ihre Kranken- und Pflegeversicherung sowie ihre Altersvorsorge gestalten . In den vergangen Jahren haben wir etwas erlebt; damit bin ich beim Thema Scheitern von Herrn Rosemann . ({18}) - Nein, Sie haben das Wort „scheitern“ in die Debatte eingebracht . ({19}) Ein Grund für das Scheitern damals war, dass sich viele Verbände und Gruppen von Selbstständigen massiv gegen zusätzliche Regelungen, was ihre soziale Absicherung anbelangt, zur Wehr gesetzt haben . Ich will daran erinnern, dass in der letzten Legislaturperiode eine große Onlinepetition mit zahlreichen Unterschriften bei uns eingegangen ist, mit der sich der Petitionsausschuss beschäftigen musste . Erfreulich ist, dass in den letzten Jahren offenbar ein Sinneswandel eingetreten ist . ({20}) Viele Verbände, die Selbstständige organisieren, sagen heute klipp und klar: Ja, wir sehen das ein . So kann es Peter Weiß ({21}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21987 nicht weitergehen . Wir brauchen für alle Selbstständigen, ob Solo-Selbstständige oder nicht, verlässliche Regelungen zur sozialen Absicherung . Unser Anliegen ist, dass wir die Selbstständigen auf dem Weg zu einem solchen Konzept mitnehmen und ein solches System der sozialen Absicherung von Selbstständigen gemeinsam mit den Verbänden der Selbstständigen entwickeln, damit sie erkennen: Wir denken nicht nur an ihre Anliegen, sondern wir lassen sie auch mitreden, damit sie bei ihren Berufskolleginnen und -kollegen Werbung dafür machen, dieses Anliegen aktiv zu unterstützen, sodass bei uns keine Onlinepetition mehr eingeht, die das Gegenteil behauptet . Vielen Dank . ({22})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Peter Weiß . - Nächster Redner: Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Selbstständige in Deutschland, das finden wir Grüne grundsätzlich erst einmal gut . ({0}) Wir als Freiheitspartei, ({1}) als liberale, libertäre Partei finden es gut, wenn mehr Menschen selbstständig arbeiten . ({2}) Das ist ein Wert an sich, aber auch notwendig für die ökologischen und sozialen Veränderungen, die wir anstreben . Im Kampf gegen die Klimakatastrophe brauchen wir mehr Kreativität, mehr Innovation, mehr Selbstständige in unserem Land . Deswegen: Wir wollen Selbstständigkeit oder Solo-Selbstständigkeit nicht verhindern das klang bei den Linken manchmal so -, sondern wir wollen sie ermöglichen . ({3}) Selbstständigkeit zu ermöglichen, heißt aber auch, sie sozial besser abzusichern und die Rahmenbedingungen zu verbessern . ({4}) Denn wenn soziale Sicherheit herrscht, ist auch die Bereitschaft, selbstständig zu arbeiten, größer . Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt, wie stark insbesondere die Zahl prekärer, nicht gut abgesicherter Selbstständiger gestiegen ist . Genau da müssen wir ansetzen . Es gibt aber nicht nur mehr Solo-Selbstständige, sondern auch weitere grundlegende Veränderungen, und zwar nicht erst seit der Digitalisierung - sie beschleunigt das noch mal -, sondern schon länger. Es gibt häufigere Wechsel zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung. Die Grenzen werden langsam fließend. Herr Kollege Weiß, allein deswegen funktioniert Ihr Modell mit der Vorsorgepflicht nicht. Sie haben ja selber gesagt: Die Solo-Selbstständigen sind häufig gar nicht ihr ganzes Leben lang selbstständig . Man entscheidet das nicht; man ist mal abhängig beschäftigt, mal selbstständig . - Es macht viel mehr Sinn und es ist nötig, dass man sie in die gesetzliche Rentenversicherung integriert, damit sie durchgängig abgesichert werden können . ({5}) Bei diesen Wechseln bekommt man das sonst in der Tat nicht hin . Wir müssen aber auch noch an weiteren Punkten ansetzen, zum Beispiel das Arbeitsrecht verändern . Auch hier wirken sich diese fließenden Übergänge bzw. Wechsel aus . Wir müssen die Arbeitsrechte von Solo-Selbstständigen gegenüber ihren Auftraggebern stärken und da, wo es möglich ist, Mindesthonorare einfordern - ähnlich wie beim Mindestlohn -, damit Solo-Selbstständige für ihre Arbeit auch möglichst existenzsichernd entlohnt werden . ({6}) Ich finde übrigens, dass hier auch die Gewerkschaften in der Pflicht sind und mehr Möglichkeiten dafür schaffen sollten, dass sich Selbstständige engagieren . In meiner Gewerkschaft Verdi ist das zum Beispiel der Fall; aber auch andere Gewerkschaften könnten hier weiter aktiv werden . Vor allen Dingen müssen wir aber die sozialen Sicherungssysteme überarbeiten; denn sie passen nicht mehr zu den Veränderungen, die wir auf dem Arbeitsmarkt erleben . Wir müssen wegkommen von der Arbeitnehmer- und Erwerbsarbeitszentriertheit und hinkommen zu universellen Absicherungssystemen . ({7}) Das grüne Prinzip „Bürgerversicherung“ ist hier genau die richtige Antwort . Die Menschen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, damit klar ist, dass sie immer abgesichert sind . Der Unterschied zwischen der Bürgerversicherung und der Erwerbstätigenversicherung, die ja von der SPD und den Linken immer gefordert wird, ist übrigens, dass bei der Peter Weiß ({8}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721988 Bürgerversicherung auch Phasen der Nichterwerbstätigkeit mit abgesichert sind . ({9}) Gerade bei Selbstständigen ist häufig gar nicht richtig zu unterscheiden, wann man erwerbstätig ist und wann nicht . Deswegen ist die Bürgerversicherung hier die bessere Lösung als die Erwerbstätigenversicherung . ({10}) Das grüne Prinzip „Bürgerversicherung“ ist auf jeden Fall ganz zentral für die Rentenversicherung, in die wir die Solo-Selbstständigen einbeziehen wollen . Wichtig ist uns aber auch, dass am Ende eine Rente dabei herauskommt, von der man leben kann . Deswegen wollen wir eine Garantierente dafür, dass die Menschen eingezahlt haben, damit auch die Selbstständigen im Alter vor Armut geschützt sind . ({11}) Dann lohnt sich das gerade für Selbstständige mit geringem Einkommen . Trotzdem stellt sich natürlich die Frage: Wie sollen sich gerade die Selbstständigen mit geringem Einkommen die Beiträge leisten können? Dazu denken wir erstens darüber nach, wie man die Auftraggeber an den Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen kann . Das ist nicht so einfach . Gerade bei den entstehenden Plattformen ist es aber, glaube ich, ganz wichtig, darüber nachzudenken, wie man die Auftraggeber an den Sozialversicherungskosten beteiligen kann . ({12}) Zweitens ist es wichtig, die Sozialversicherungen zusammenzudenken . Wir müssen den Mindestbeitrag in der Krankenversicherung dringend senken, damit die Last der Sozialversicherungsbeiträge insgesamt nicht zu hoch wird . ({13}) Drittens brauchen wir insgesamt eine Entlastung von unteren Einkommensgruppen - nicht nur für Selbstständige, sondern für alle . Ich denke hier an eine Kindergrundsicherung, eine Wohnkostenentlastung und eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen . Ich persönlich würde da noch ein paar Schritte weiter gehen . Ich glaube zum Beispiel, dass ein Grundeinkommen gerade bei den Selbstständigen besonders zielführend wäre . ({14}) Man könnte auch über ein Grundeinkommen nur für Erwerbstätige nachdenken . Der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat in Frankreich hat gute Vorschläge dafür gemacht . Wir brauchen also eine bessere Existenzsicherung, mehr Rechte, Mindesthonorare, eine Bürgerversicherung, eine Garantierente und eine Entlastung unterer Einkommen . So wollen wir Selbstständige besser absichern und Selbstständigkeit in diesem Land besser ermöglichen . Vielen Dank . ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn . Nächster Redner: Michael Gerdes für die SPD-Fraktion . ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es schade, dass wir heute Vormittag nicht wie ursprünglich geplant über den Antrag der Grünen zur Zukunft der Arbeitswelt beraten haben; denn vieles, was wir mit dem Thema „Arbeit 4 .0“ verbinden, passt auch zu der hier vorliegenden Großen Anfrage und dem Entschließungsantrag der Linksfraktion . Liebe Frau Kollegin Zimmermann, ich freue mich, dass wir das Thema Solo-Selbstständige heute wieder einmal beraten . Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt deutlich und noch stärker beeinflussen, als wir es bisher kennen. Wir haben es heute Morgen schon mehrfach gehört: Erwerbsbiografien werden voraussichtlich häufiger als früher Wechsel zwischen Zeiten der Selbstständigkeit und der abhängigen Beschäftigung aufweisen . Im Fokus stehen hier insbesondere die Solo-Selbstständigen . Die Solo-Selbstständigkeit wird wohl zunehmen; aber ob sich die Quote der Selbstständigen ohne Mitarbeiter signifikant erhöht, können wir heute nicht vorhersagen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verlief der Anstieg der Solo-Selbstständigkeit in den letzten Jahren bei uns wesentlich moderater. Und dennoch: Berufliche Laufbahnen verändern sich . Da müssen wir uns unweigerlich die Frage stellen: Welche Auswirkungen wird das auf die soziale Sicherung haben? Bereits heute haben wir in Deutschland circa 3 Millionen Selbstständige, die keine obligatorische Altersvorsorge haben . Man könnte zu dem Schluss kommen, dass sie ihre berufliche Freiheit mit sozialer Unsicherheit bezahlen. Ich finde, das ist keine schöne Bilanz . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles geht deshalb mit ihrem Gesamtrentenkonzept explizit auf die Situation von Selbstständigen ein . Dabei schaut sie aber nicht nur auf diejenigen, die per Definition solo-selbstständig sind, sondern auf alle Selbstständigen . Das ist, wie ich meine, eine kluge Politik; denn nur weil jemand zwei Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21989 oder drei Mitarbeiter hat, heißt das nicht, dass er für alle Zeiten ausgesorgt hat . Gerade letzte Woche berichtete die Presse einmal mehr über die Beitragsrückstände von Selbstständigen bei den gesetzlichen Krankenkassen . Für viele Selbstständige sind die Beiträge im Verhältnis zum Verdienst zu hoch . Besonders junge Existenzgründer kämpfen zu Beginn ihrer Selbstständigkeit um wirtschaftliche Erfolge . Da dürfen die Sorgen über die soziale Absicherung nicht zu groß werden . Um etwas auf die Seite zu legen, reicht es oft nicht . Der Bundesrat hat aktuell einen Antrag der Länder Thüringen, Berlin und Brandenburg auf dem Tisch, der darauf abzielt, die Krankenkassenbeiträge für Solo-Selbstständige zu senken . Wir sollten die Diskussion über Mindestbeiträge zur Krankenversicherung auch dringend führen . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kennen die Sorgen der Selbstständigen . Die Plenardebatte, die wir im November 2016 in diesem Haus geführt haben, hat gezeigt, dass durchweg alle Fraktionen Handlungsbedarf sehen - das sehen wir auch heute wieder -, um derzeit bestehende Lücken bei der sozialen Absicherung zu schließen und die Beanspruchung von Grundsicherungsleistungen aufgrund mangelhafter Altersvorsorge zu verhindern . Selbstständigkeit ist nicht gleich Selbstständigkeit . Ein Kioskbesitzer - ich hatte Büdchen-Guido hier schon einmal erwähnt - lässt sich nicht mit einem Unternehmensberater vergleichen; ein Programmierer dürfte andere Umsätze haben als ein Paketzusteller . Deswegen kann es keine pauschalen Lösungen geben . Vom Grundsatz her plädieren wir als SPD-Fraktion für eine Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, sprich: Wir wollen eine Rentenversicherungspflicht. Wir brauchen gute soziale Absicherung für alle, auch für alle Selbstständigen . ({2}) Dabei geht es insbesondere um diejenigen, die nicht auf ein bereits existierendes berufsbezogenes Versorgungswerk zurückgreifen können. Solch eine Pflicht, meine Damen und Herren, sollte nicht negativ interpretiert oder als überzogener Eingriff des Staates in die Eigenverantwortung gesehen werden . Im Gegenteil: Unser Ziel ist die bessere Absicherung aller Selbstständigen durch bezahlbare Beiträge in allen Versicherungszweigen, und das kann nur gut sein . Um dieses Ziel zu erreichen, könnte ein Blick in andere Länder helfen, auch wenn diese Systeme natürlich nicht immer eins zu eins übertragbar sind . Österreich hat alle Selbstständigen, nicht nur die Solo-Selbstständigen, und auch Beamte in die Rentenversicherung einbezogen . In den Niederlanden existiert eine Basiskranken- und -rentenversicherung für Solo-Selbstständige . Beides sollten wir uns wenigstens mal anschauen und betrachten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zur Diskussion stehende Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke ist nicht in allen Aussagen und Forderungen nachvollziehbar, zum Beispiel bei der Scheinselbstständigkeit . Mit dem Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung haben wir im Herbst 2016 mehr Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von abhängiger und selbstständiger Tätigkeit geschaffen . ({3}) Nun ist es gesetzlich definiert, wann ein Arbeitsvertrag vorliegt . Genau damit wollen wir den Missbrauch von Werkverträgen verhindern . Wir sind schon einen Schritt weiter, als der Antrag suggeriert . Wir haben etwas getan, und wir werden auch weiterhin etwas tun . Abschließend möchte ich klar und deutlich festhalten: Selbstständige Erwerbstätigkeit sollte kein Armutsrisiko sein - weder jetzt noch im Alter . ({4}) Das Ziel der SPD-Fraktion heißt: soziale Sicherheit auch für Solo-Selbstständige . Ich stelle fest, dass wir in diesem Hause nicht weit auseinanderliegen . Herzlichen Dank und Glück auf! ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Michael Gerdes . - Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Welt ist bunt, auch die Unternehmerwelt . Wir haben es heute wieder einmal mit einem Antrag zu tun, ({0}) der Gleichmacherei betreibt und, wie ich finde, auch ein Schritt in die Planwirtschaft ist . ({1}) Was Sie machen wollen, liebe Kollegen und Kolleginnen der Linken, ist: Sie wollen Selbstständige zu Arbeitnehmern machen, indem Sie alle Selbstständigen unter ein gemeinsames Regelwerk von Rentenversicherung, von Arbeitslosenversicherung und von Krankenversicherung bringen wollen . ({2}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721990 Unternehmertum aber, meine Damen und Herren, folgt auch im Sozialversicherungsrecht zunächst der Annahme, dass man von seinen Einkünften leben kann . ({3}) Deshalb bedeutet Selbstständigkeit nicht nur Entscheidungsfreiheit, sondern auch Eigenverantwortung: hinsichtlich der Absicherung im Alter, gegen Arbeitslosigkeit und Krankheit . Wir alle kennen natürlich auch die Beispiele, in denen der Lebensplan nicht aufgegangen ist . Das sind jene Fälle, in denen mit der Hoffnung auf bessere Zeiten alles in die Firma und nichts in die Vorsorge gesteckt wurde . Auch das Fehlen eines Nachfolgers, dem das Geschäft eigentlich übergeben werden sollte, kann im Alter zu einer existenziellen Schieflage führen. Doch diese Beispiele, meine Damen und Herren, rechtfertigen eben nicht, dass wir ein bestehendes und etabliertes Regelwerk und Wertegerüst an Rechten und Pflichten von Selbstständigen über Bord werfen . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Kurth?

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meine Ausführungen gerne erst einmal zu Ende führen . Vielen Dank .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das ist Ihr gutes Recht .

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wollen uns heute einmal mehr weismachen, dass Altersarmut auch in der Unternehmerwelt ein Massenphänomen ist . Doch die Antworten der Bundesregierung belegen, dass dem nicht so ist . ({0}) Während gerade einmal 3 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland Grundsicherung im Alter beziehen, waren davon in 2015 nur 17,4 Prozent Selbstständige . Auch 2003 lag der Anteil bei 17 Prozent . Ein Anstieg der Gefährdung durch Altersarmut bei Selbstständigen ist daher nicht erkennbar . Dass Altersarmut unter ehemaligen Selbstständigen weit verbreitet sein soll, stimmt deshalb nicht . ({1}) Im Gegenteil: Selbstständige sind eine äußerst heterogene Gruppe . Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie ein Problem damit haben, dass Menschen individuell sind und unterschiedlich sind . Von daher erläutere ich Ihnen das gerne . Das betrifft sowohl die Verteilung auf einzelne Berufsgruppen als auch beim Einkommen . Viele Selbstständige gehen in Vollzeit ihrer Arbeit nach, einige arbeiten nur wenige Wochenstunden, andere arbeiten zusätzlich neben ihrer Tätigkeit als Angestellte . So vielfältig die Selbstständigkeit in Deutschland ist, so vielfältig ist auch ihre Absicherung im Alter . Und das ist gut so, meine Damen und Herren . ({2}) Ein Großteil ist über die berufsständischen Versorgungswerke abgesichert . Rund 400 000 der 4,2 Millionen Selbstständigen sind derzeit aktiv über ein Versorgungswerk abgesichert; und der Anteil nimmt weiter zu . ({3}) Die kontinuierlich steigenden Mitgliederzahlen belegen das . Bei den Mitgliederzahlen der Versorgungswerke hat sich insbesondere die Zahl der Frauen seit 2005 fast verdoppelt . ({4}) Andere Selbstständige zahlen bereits freiwillig in die gesetzliche Rente ein . Auch das sind derzeit rund 300 000 Menschen . ({5}) Wenn jemand nicht den gesetzlichen Versicherungsschutz genießt, heißt das nicht, dass er per se von Altersarmut betroffen ist . Genau das wollen Sie von den Linken uns aber immer wieder weismachen . Sie glauben, mit der verpflichtenden Einbeziehung der Selbstständigen in unsere sozialen Sicherungssysteme die Lösung für vermeintliche Probleme gefunden zu haben . Doch hier fehlt Ihnen die nötige Weitsicht . Was wäre denn die Konsequenz, wenn beispielsweise diese Gruppe der beruflich Tätigen in Deutschland in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müsste? ({6}) Natürlich würden die Einnahmen der Rentenkasse zunächst einmal steigen . Laut Berechnungen des BMAS wären das bis 2020 jährlich Beitragseinnahmen von rund 1,3 Milliarden Euro, die bis 2045 auf 7,1 Milliarden Euro ansteigen würden . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ließen sich wahrlich viele Traumschlösser bauen, doch wieder einmal zulasten der kommenden Generationen . Denn auch Selbstständige werden älter und haben irgendwann einen Anspruch darauf, aus ihren eingezahlten Beiträgen eine Rente zu beziehen . Eine Erweiterung des Kreises der Beitragszahler ist gleichbedeutend mit einer Erweiterung des Kreises der RentenbeJana Schimke Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21991 zieher und löst nicht die Probleme der Zukunft, die wir in unseren sozialen Sicherungssystemen haben . Liebe Kollegen, Sie stellen ja selbst fest, dass Selbstständige das alleinige unternehmerische Risiko tragen . Das ist richtig; denn genau das zeichnet Unternehmertun aus . Genau aus diesem Grund benötigen wir passgenaue Lösungen . Wir brauchen Wahlfreiheit, natürlich auch Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge . Deshalb halte ich eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige für den falschen Weg . Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, den ich in dieser Debatte für wichtig halte: Aufgabe von Politik ist es nicht, unternehmerische Eigenständigkeit zu beschränken . Wir müssen unsere Unternehmer und insbesondere auch die Solo-Selbstständigen stärken und entlasten . Dazu haben wir in der Vergangenheit bereits eine Menge von Projekten auf den Weg gebracht . Wir haben Verbesserungen beim Meister-BAföG bewirkt, wir sind beim Bürokratieabbau entscheidende Schritte gegangen und haben dies auch in Zukunft vor, und wir wollen mit Blick auf den Meisterbrief auch zu Regelungen zurückkommen, die sich schon lange bewährt haben . Ich möchte aber auch Folgendes anmerken, meine Damen und Herren: Der Antrag der Linken führt dazu, dass wir heute über die soziale Absicherung von Selbstständigen in Deutschland reden . ({7}) Aber Selbstständigkeit - ich hatte es bereits ausgeführt bedeutet natürlich auch, Eigenverantwortung für das, was man tut, zu übernehmen . Wenn man merkt, dass ein Geschäftsmodell nicht aufgeht, dass das Einkommen nicht passt, dass es - auch mit Blick auf das Alter - nicht funktioniert, dann sollte man sich vielleicht auch fragen, ob das, was man tut, richtig ist oder ob man nicht doch etwas anderes machen, eine andere Tätigkeit ausüben sollte, indem man beispielsweise in ein Angestelltenverhältnis geht . ({8}) Das muss an dieser Stelle auch einmal klar gesagt werden . Unsere Aufgabe als Politik ist es nicht, alle Probleme vollumfänglich immer zu lösen . Gelegentlich sind die Menschen auch selbst gefordert, in ihrem Leben Veränderungen vorzunehmen . Ich denke, diese Forderung und auch die Ermahnung in diese Richtung ist zutreffend . Und: In Deutschland selbstständig zu sein bedeutet natürlich auch, organisiert zu sein in Interessenvertretungen, Kammern beispielsweise . Auch die sind natürlich gefragt, ihre Mitglieder zu beraten - zu beraten in Sachen Altersvorsorge, zu beraten in Sachen Unternehmensnachfolge, zu beraten in Sachen Existenzgründung . Da gibt es schon Strukturen, die helfen und die auch unterstützen müssen . Meine Damen und Herren, die Union ist die Partei des Mittelstandes . ({9}) Das war sie immer, das wird sie immer bleiben . Wir werden uns für unternehmensgerechte Lösungen, für richtige Lösungen einsetzen . Ich denke, wir sind auf einem guten Weg . Vielen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jana Schimke . - Das Wort für eine Kurzintervention hat Markus Kurth .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Schimke, in Ihrem Bestreben, das sich hier leider immer wieder beobachten lässt, sich an der Fraktion Die Linke quasi abzuarbeiten und immer gleich Gleichmacherei zu sehen, steuern Sie an einer Betrachtung in der Sache regelmäßig vorbei . Wenn Sie sagen, das sei jetzt Gleichmacherei und die Rentenversicherung sei deswegen per se nichts für Selbstständige, dann ignorieren Sie - ob willentlich oder unwissentlich -, dass wir bereits jetzt für eine ganze Reihe von Selbstständigen eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung haben, und zwar nicht, um irgendetwas gleichzumachen, sondern weil es ein Schutzbedürfnis gibt, das damit gestillt wird . Dieses gewährleisten wir schon . ({0}) Der Kern ist ja, wie Herr Weiß ganz richtig gesagt hat: Warum soll am Ende des Tages die Allgemeinheit - die Steuerzahlerin, der Steuerzahler - mit Grundsicherungsleistungen für unterlassene Altersvorsorge aufkommen? Das ist aus meiner Sicht auch eine ordnungspolitische Frage . Es ist einerseits natürlich individuell, für Solo-Selbstständige bitter, wenn sie in der Grundsicherung sind . Aber auf der anderen Seite ist es auch ordnungspolitisch relevant, wenn sie während des Erwerbslebens womöglich ihre Konkurrentinnen und Konkurrenten unterboten haben, weil sie eben nicht fürs Alter vorgesorgt haben, und dann am Ende auf Kosten der Steuerzahler leben . Ein letzter Punkt . Ich bin letztens damit konfrontiert worden, dass mir jemand sagte: Ich habe achteinhalb Jahre 1 100 Euro monatlich in eine kapitalgedeckte Vorsorge eingezahlt - das ist ja eine Menge Geld -, und nun habe ich nach achteinhalb Jahren nur 450 Euro monatlich von dieser Kapitalrente zu erwarten . - Dann habe ich das nachgerechnet und gesehen: Hätte diese Person freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt, läge die monatliche Rente bei über 500 Euro . - So viel zu Wahlfreiheit und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721992 Rentenversicherung . Das kann man, glaube ich, nicht oft genug sagen . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Schimke .

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal unterscheidet das deutsche Sozialversicherungsrecht nicht zwischen Personen, die verschuldet oder unverschuldet in die Bedürftigkeit geraten; das ist gut . Deswegen ist es richtig, dass Menschen, die bedürftig sind - egal mit welchem beruflichen Hintergrund -, einen Anspruch auf Grundsicherung haben . Ich glaube, Sie haben mich nicht ganz verstanden . ({0}) Was wir wollen, ist Wahlfreiheit . Jeder, der kann oder möchte, soll gerne in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen dürfen . Aber wir wollen das den Selbstständigen nicht vorschreiben . Es gibt viele, die Betriebsvermögen und andere gute, bewährte Formen haben, mit denen sie für das Alter vorsorgen . Wir möchten den Menschen da nichts vorschreiben . So viel Freiheit, lieber Herr Kurth, möchten wir den Unternehmern in unserem Land schon noch lassen . Vielen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Schimke . - Dann hat jetzt als letzter Redner in dieser Debatte Dr . Martin Rosemann für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manches in dieser Debatte war schon bemerkenswert, und manches, finde ich, ist auch unklar geblieben, also zum Beispiel: Was gilt denn jetzt bei CDU und CSU? Die Position von CDA und Peter Weiß oder die Position von BDA und Jana Schimke? ({0}) - Nein, bei uns ist das klar . Dazu komme ich gleich noch . Etwas Weiteres, was ich noch bemerkenswert fand, war die Definition von Bürgerversicherung durch die Grünen . Um es vielleicht für uns noch einmal ganz klar zu machen: Der Unterschied zwischen einer Bürgerversicherung und einer Erwerbstätigenversicherung ist, dass bei der Bürgerversicherung Beiträge auch auf Einkommen jenseits von Arbeitseinkommen erhoben werden, also auch auf Kapitaleinkommen . Das wollen wir ja gerade im Gesundheitswesen durchsetzen, um die Finanzierung unseres Gesundheitswesens auf eine breitere Grundlage zu stellen . Aber wir wollen es nicht dort, wo die Leistungen - wie in der Rentenversicherung - beitragsbezogen sind und die zusätzlichen Einnahmen aus Beiträgen auf Kapitaleinkommen am Ende nur dazu führen würden, dass die Leistungsansprüche wachsen würden . Deswegen ist dort die Erwerbstätigenversicherung richtig . ({1}) Ich will heute gerne Sie, Frau Zimmermann, loben, allerdings weniger für Ihre Rede als für den Entschließungsantrag Ihrer Fraktion. In Ihrer Rede ist, wie ich finde, halt wieder durchgekommen, dass Sie ein rundweg negatives Bild von Selbstständigkeit haben . ({2}) Dazu muss man schon sagen: Viele Leute in diesem Land sind gerne selbstständig, und es würden sich, glaube ich, gerne noch mehr selbstständig machen . Natürlich sind Gründungen und Selbstständigkeit der Impuls für Innovationen, neue Ideen und damit für Wachstum in diesem Land . Auch das sollten Sie einmal anerkennen . ({3}) Ich erkenne gerne an, dass in Ihrem Entschließungsantrag gute Ansätze vorhanden sind und dass Sie tatsächlich relevante Probleme ansprechen, nämlich dass Selbstständigkeit heutzutage eben nicht mehr automatisch mit einem hohen Einkommen oder einem hohen Vermögen verbunden ist ({4}) und dass Selbstständigkeit häufig mit Armut im Alter verbunden ist . ({5}) Zum Beispiel waren 17 Prozent der Grundsicherungsbezieher zuvor selbstständig; bei denjenigen, die keine Grundsicherung im Alter beziehen, waren zuvor nur 10 Prozent selbstständig, und die Grundsicherungsquote ist unter Selbstständigen doppelt so hoch wie unter abhängig Beschäftigten . Deswegen war es ja auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass bei der Anhörung, die unser Ausschuss für Arbeit und Soziales zum Alterssicherungsbericht und zum Rentenversicherungsbericht durchgeführt hat, vor dem Hintergrund der Altersarmut die Problemgruppe der Selbstständigen besonders betont wurde . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21993 Das alles spricht dafür, dass wir uns um eine verbindliche Absicherung der Solo-Selbstständigen bemühen müssen . Wir Sozialdemokraten sehen dafür die gesetzliche Rentenversicherung im Grundsatz als den richtigen Ort an . Dafür sprechen auch noch weitere Gründe . So sind die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit zunehmend unklar . Sie werden fließender - Stichwort Arbeit 4.0 -; darauf hat Michael Gerdes hingewiesen . Diese Wechsel zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung haben schon zugenommen und werden in Zukunft weiter zunehmen . Deswegen hat die SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier für eine bessere soziale Absicherung von Selbstständigen dazu detaillierte Lösungen vorgelegt . ({6}) Wichtig ist für uns dabei, dass es keine Unterschiede zwischen gut verdienenden und weniger gut verdienenden Selbstständigen gibt . Dazu würde das Optionsmodell führen, für das Peter Weiß hier plädiert hat . Dann könnten sich nämlich die Gutverdiener aus der Solidargemeinschaft verabschieden . Wichtig ist auch, dass wir keine neue Trennungslinie zwischen Solo-Selbstständigen und selbstständigen Mitbeschäftigten ziehen; denn das wäre in der Praxis nicht umsetzbar, würde zu neuen Wettbewerbsverzerrungen führen und damit insgesamt das Problem nicht lösen . Klar ist aber auch: Wenn wir die Selbstständigen einbeziehen wollen, dann müssen die Rahmenbedingungen stimmen . Wir brauchen strikt einkommensabhängige Beiträge, also Bemessung am Gewinn . Wir müssen bei der Beitragsbemessung die besondere Situation von Selbstständigen mit den stark schwankenden Einkommen berücksichtigen . Wir brauchen Übergangsregelungen, und wir brauchen vor allem - das haben nahezu alle hier im Haus gesagt - gleichzeitig eine Entlastung bei den Krankenkassenbeiträgen . ({7}) All dies ist Bestandteil unseres Konzeptpapiers . All dies ist auch in das Gesamtkonzept von Bundesministerin Andrea Nahles zur Alterssicherung eingegangen . ({8}) Mit diesem Konzept, meine Damen und Herren, tragen wir den Bedürfnissen vor allem der Solo-Selbstständigen Rechnung, die ja nun seit vielen Jahren bereits die Mehrheit unter den Selbstständigen stellen . Zum Schluss: Ich weiß sehr wohl, dass es unter Selbstständigen auch Vorbehalte gegen eine Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung gibt. Aber ich finde, dabei muss man berücksichtigen, dass eben die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur aus dem Einnehmen von Beiträgen und dem Auszahlen von Renten besteht, sondern dass die gesetzliche Rentenversicherung auch Schutz bei Erwerbsminderung bietet, eine Hinterbliebenenversorgung garantiert und vor allem den Zugang zu Prävention, Reha und Nachsorge sicherstellt . ({9}) Genau das haben wir gemeinsam mit dem Flexirentengesetz hier verbessert . Damit stellen wir sicher, dass gerade dann, wenn sich die Arbeitswelt ändert, eine bessere Unterstützung im Arbeitsleben möglich ist . Davon sollten auch Selbstständige profitieren. Herzlichen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Martin Rosemann . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 18/11204 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD, und enthal- ten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt Drucksache 18/11164 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 - Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten Drucksache 18/11179 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721994 Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, zügig die Plätze zu wechseln und diese dann auch einzunehmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Es wäre schön, wenn wir jetzt in die Debatte eintreten könnten und Gespräche woanders geführt würden . Das gilt für alle hier im Saal . Ich gebe als erster Rednerin Sybille Benning für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({2})

Sybille Benning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Prima, dass doch noch ein paar anwesend sind . Der Titel des Antrags lautet: „MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt“ . Die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt für alle ist das Ziel von MINT-Bildung, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik . Menschen mit ihrer Umgebung und den Wandlungsprozessen in ihrer Umwelt vertraut zu machen - das ist wichtig . Das Verständnis der Naturwissenschaften sowie die Einsicht in Funktion und kulturelle Bedingtheit von Technik ist der Schlüssel für eine prinzipielle Offenheit für wissenschaftliche und technische Neuerungen . ({0}) Scientific Literacy, die Vertrautheit des Menschen mit seiner von Wissenschaft und Technik geprägten Lebenswelt - also mehr als nur Faktenwissen - ist oberstes MINT-Ziel. Scientific Literacy bildet die Grundlage für Kompetenz und Mündigkeit im Alltag . MINT-Bildung macht sachkundige und souveräne Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen und technischen Phänomenen möglich - also zukunftsoffene Herangehensweise statt Ängste aus Unwissenheit . ({1}) Als Grundlage für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland ist MINT-Bildung unabdingbar . Deutschland ist ein Hochtechnologiestandort . Die Stärken unserer Wirtschaft sind attraktive Produkte, Spitzenforschung und Innovationsfähigkeit . Als rohstoffarmes Land leben wir vom Know-how in den Köpfen, also brauchen wir hochqualifizierte Fachkräfte mit MINT-Kompetenzen . Das gilt sowohl für den akademischen Bereich als auch für die berufliche Bildung. ({2}) Arbeitgeber signalisieren, dass ihnen die Besetzung von Stellen in einzelnen MINT-Bereichen zunehmend schwerer fällt . Es gibt deutlich mehr offene Stellen, als es Menschen gibt, die in diesem Bereich arbeiten wollen . Daher können wir festhalten: Wer eine Ausbildung im MINT-Bereich hat, hat beste Aussichten auf unserem Arbeitsmarkt . Ich möchte heute auch dazu beitragen, dass sich das noch viel stärker herumspricht, gerade auch bei jungen Frauen . ({3}) Meine Damen und Herren, es geschieht ja bereits viel Gutes . Schulbildung ist bekanntlich Ländersache, jedoch ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf vielen Ebenen erfolgreich aktiv, um MINT voranzubringen . Beispielhaft nenne ich hier die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, die Schüler- und Jugendwettbewerbe wie zum Beispiel „Jugend forscht“ . An dieser Stelle möchte ich jenen gratulieren, die im Regionalbezirk Münster gewonnen haben und heute in der Zeitung stehen . Glückwunsch an alle Jungen und Mädchen! ({4}) Allein schon zur Teilnahme! Ich finde das großartig. Es gibt die Qualitätsoffensive Lehrerbildung, den Qualitätspakt Lehre, den Girls’ Day als Mädchen-Zukunftstag und den Nationalen Pakt für Frauen in den MINT-Berufen „Komm, mach MINT“ . Die Erfolge sind deutlich erkennbar . Wir haben auch das in unserem Antrag ausführlich dargestellt . Daneben gibt es eine Vielzahl außerinstitutioneller MINT-Aktivitäten in unserem Land . Staatliche und nichtstaatliche Akteure haben sich in regionalen Netzwerken, den MINT-Regionen, zusammengeschlossen . Die Körber-Stiftung erfasste 2015 allein 80 davon . Die Initiative „MINT Zukunft schaffen“ zeichnet MINT-freundliche Schulen aus . Das Nationale MINT-Forum steht allein für über 30 Institutionen, die sich für die Förderung der MINT-Bildung einsetzen, und in zahlreichen Schülerwerkstätten werden Heranwachsende bei technischen Experimenten begleitet . Ich weiß, dass gerade hier enorm viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wird . Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken . ({5}) Aber bei einer Vielzahl außerschulischer Lernorte verschiedenster Anbieter, die gelegentlich substanzielle Unterstützung von Unternehmen und Kommunen erfahren, jedoch größtenteils noch nicht evaluiert worden sind, zeigt sich ein noch zu geringes Maß an systemischer Effizienz. Derzeit gibt es verschiedene Portale, die auf zahlreiche MINT-Initiativen verweisen, aber keine einheitliche, für alle Lehrenden und Lernenden leicht zugängliche, überschaubare Präsentation vorhandener MINT-Angebote aufweisen . Somit ist das Angebot fragmentiert . Es fehlt ein übergreifendes Konzept für eine systemische Vernetzung und Verzahnung von Initiativen . Es fehlt die Kontinuität über den gesamten Zeitraum von Vizepräsidentin Claudia Roth Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21995 der primären zur tertiären Bildung, von der Kita bis ins Berufsleben . Früher hätte ich gesagt: Ich wünsche mir eine zentrale Telefonnummer für MINT . Heute sage ich: Wir brauchen eine zentrale Webadresse, ein MINT-E-Portal als Eintrittspforte in die MINT-Welt, um die Vielzahl der existierenden Maßnahmen im Bereich der MINT-Bildung einer breiten Öffentlichkeit bekannt und zugänglich zu machen . Wir sollten auf dieser zentralen Koordinationsplattform zum einen die zahlreichen lokalen und regionalen Initiativen ihre Angebote präsentieren lassen, und zwar für Jung und Alt entlang der gesamten Bildungskette . Zum anderen sollten Kontakte zwischen Wirtschaft und Schulen knüpfbar sein sowie Vernetzungen zwischen den Initiativen angeregt werden, um Synergien in der MINT-Bildung zu erreichen und um die Kontinuität der MINT-Bildung zu ermöglichen, damit anschlussfähiges Wissen auch Anschluss findet. ({6}) Zudem wäre eine überschaubare Anzahl nachvollziehbarer Qualitätskriterien sinnvoll . Sie sollten sicherstellen, dass ein fachlich-inhaltlicher Grundstandard erfüllt wird . Dazu ist auch Begleitforschung unabdingbar . Im Laufe der Zeit könnte das MINT-E-Portal auch ein Gütesiegel der MINT-Bildung in Deutschland entwickeln . Um das alles zu erreichen, müssen sich die Aktiven im MINT-Bereich, nämlich die maßgeblichen Akteure sowie Bund und Länder, an einen Tisch setzen . ({7}) Sie müssen, und zwar im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten, nach zuverlässigen und nachhaltigen Wegen suchen, um MINT-Bildung flächendeckend, systematisch und nachhaltig im Lebenslauf der Heranwachsenden zu adressieren . ({8}) Denn jeder Mensch in Deutschland sollte eine gute MINT-Bildung erfahren . Meine Damen und Herren, Deutschland braucht Spitzenkräfte, gerade im MINT-Bereich . Die hier skizzierten Anstrengungen müssen wir aber auch unternehmen, weil grundlegendes technisches Wissen für jeden von uns von großer Bedeutung ist . Es gilt, der MINT-Bildung für alle breiteren Raum zu geben . Nur kurz nenne ich das Beispiel der Digitalisierung . Ohne Informatiker, Techniker und Ingenieure kommen wir nicht weiter . Wir müssen mit der Digitalisierung umgehen können . Die Digitalisierung verändert nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch unser aller Kommunikationsverhalten, unser Einkaufsverhalten und nicht zuletzt die politische Teilhabe, das Herzstück unserer Demokratie . Die Bedeutung von MINT-Bildung kann also gar nicht hoch genug eingeschätzt werden . Dieser Antrag ist eine Chance für die MINT-Bildung in Deutschland . Alle maßgeblichen Akteure im MINT-Bereich sind eingeladen, ihre Kompetenzen einzubringen . Es geht darum, Vorhandenes besser als bisher aufeinander abzustimmen, damit sich staatliche und nichtstaatliche Bildungsangebote im MINT-Bereich noch effektiver als bisher gegenseitig ergänzen und durch Kontinuität eine nachhaltige Wirkung erzielen können . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sybille Benning . - Nächste Rednerin: Dr . Rosemarie Hein für die Linke . ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf den Tribünen! Technisches, naturwissenschaftliches und mathematisches Wissen sowie Kenntnisse in der Informatik sind zentrale Bestandteile von Allgemeinbildung . Das braucht man heute, um sich in dieser Welt zurechtzufinden, und das ist auch wichtig, um neue technische und wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch hinterfragen zu können . ({0}) So weit bin ich mit der Koalition einverstanden . ({1}) Aber dann wird es auch schon schwierig . Im Jahre 2000 erschien die erste internationale Schulleistungsstudie, genannt PISA . Diese bescheinigte Schülerinnen und Schülern aus Deutschland in Mathematik und Naturwissenschaften schlechte Leistungen im internationalen Vergleich . ({2}) Das hat die Politik dann sehr erschreckt . Darum wurden zahlreiche Initiativen zur Verbesserung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung gestartet . Die Kultusminister vereinbarten Empfehlungen, und private Verbände, Stiftungen, Vereine widmeten sich diesem Thema - auch Unternehmen . Bis 2012 ging es dann auch bergauf mit den Leistungen . Doch dann kam die PISA-Studie 2016 . ({3}) Das löste wieder Erschrecken aus; denn die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland rutschten ab, zum Teil unter das Niveau von 2006 . Das war offenSybille Benning Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721996 sichtlich der Anlass für den vorliegenden Schaufensterantrag . ({4}) Im Antrag werden nun unzählige Initiativen benannt, die MINT-Bildung befördern, Forderungen nach Qualitätskriterien - wir haben es gerade gehört - und Gütesiegeln aufgemacht, alle laufenden bildungspolitischen Programme auf MINT getrimmt, Bildungsketten und MINT-Regionen eingefordert, bürgerschaftliches Engagement beschworen usw . usf . ({5}) Alleine das Aufzählen dieser Maßnahmen würde meine Redezeit weit überschreiten . ({6}) Man bekommt hier den Eindruck, als würde um ein Problem ein Kokon aus Projekten gesponnen in der Hoffnung, dass aus der Raupe darin ein Schmetterling wird . ({7}) So geht es in der Natur, in der Bildung aber nicht . ({8}) Denn die Raupe im Inneren, das sind die Schulen, das sind die Berufsschulen, das sind die Hochschulen; und dafür sind die Länder zuständig . Der Bund kann hier nur sehr wenig direkt mitfinanzieren. ({9}) Wieder einmal steht uns das Kooperationsverbot in der Bildung im Wege . ({10}) Das können Sie auch mit noch so vielen Initiativen nicht aushebeln . Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Vorbereitung auf diese Debatte bin ich auf die erste TIMSS-Studie aus dem Jahre 1997 gestoßen . In ihr wurden die naturwissenschaftlichen und mathematischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler der frühen 90er-Jahre untersucht . Dort gab es ein einziges Mal einen Vergleich zwischen den alten und den neuen Bundesländern . Und siehe da, die neuen Bundesländer haben in den Jahren 1991, 1992 deutlich besser abgeschnitten als die alten Bundesländer . Neun Jahre später, im Jahr 2000, war dieser Vorsprung vollständig aufgebraucht, und das Leistungsniveau in ganz Deutschland lag unter dem Durchschnitt der OECD . Dann erst ist man aufgewacht . Da frage ich mich doch: Hätte man beim Entern des DDR-Bildungssystems nicht einmal draufschauen können, was jenseits der Ideologie noch brauchbar für ganz Deutschland gewesen wäre? ({11}) Die DDR-Schule verstand sich als eine polytechnische Schule mit einer starken mathematisch-naturwissenschaftlichen Orientierung . Für polytechnische Bildung gab es eigens ausgebildete Fachlehrerinnen und Fachlehrer . Es gab mit den Stationen Junger Naturforscher und Techniker außerschulische Angebote in jedem Landkreis für die naturwissenschaftlich-technisch interessierten Schülerinnen und Schüler . Es gab insgesamt 192 Stationen, öffentlich finanziert. Aber nichts da: Es wurde beargwöhnt, es wurde belächelt und dann abgewickelt . Nun stellt man sich hin und beschwört die Wichtigkeit der MINT-Bildung, also der Bildung in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächern und in der Informatik . MINT klingt zwar frischer, aber das ist es nicht wirklich . Wäre man klug gewesen, hätte man diese Bestandteile der DDR-Schule modernisiert und ausgebaut . Dann hätten wir heute eine andere Situation . ({12}) Sie könnten sich heute die Beschwörungsformeln sparen . Sie hätten eine riesengroße Modellregion fertig vorgefunden . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Schipanski?

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gerne doch . ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hein . - Sie werden es kaum glauben, ich teile Ihre Sichtweise über die naturwissenschaftliche Ausbildung in den neuen Bundesländern . Das war eine Perle des DDR-Schulsystems . ({0}) Ich möchte auch sagen, dass die ehemalige Bundesministerin Frau Schavan dies in ihren Reden anerkannt hat . Das gilt auch für unsere jetzige Bundesministerin . Sie wissen, die Linke ist in Thüringen in Verantwortung und stellt dort die Kultusministerin . Die Sachlage dort ist so, dass keinerlei außerschulische Aktivitäten, gerade auch im naturwissenschaftlichen Bereich, vonseiten des Kultusministeriums finanziert werden. ({1}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21997 Es gibt auch keine neue große MINT-Initiative in den Schulen in Thüringen . Mich interessiert, wie dies mit Ihren Äußerungen zusammenpasst, das sei alles ganz furchtbar und schlimm . Denn: Wo Sie in Verantwortung sind, ändern Sie weder außerschulisch noch schulisch etwas . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Überwiegend antwortet jetzt Frau Dr . Hein .

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diesen Teil der Antwort kann ich mir schon einmal sparen . - Sie können doch nicht erwarten, dass, nachdem Sie alles abgewickelt hatten, 25 Jahre danach innerhalb von zwei Jahren alles wieder aufgebaut wurde, was vorher zerkloppt worden ist . Es tut mir leid: Das ist eine illusorische Herangehensweise . ({0}) Dann muss ich Ihnen sagen: Die Einseitigkeit, mit der Sie MINT-Bildung betreiben, steht auch bei mir in der Kritik . Soweit ich weiß, werden - übrigens auch in Thüringen - seit Jahren wieder Formen entwickelt, wie man stärker praxisorientiert arbeiten kann . Schülerpraktika werden verstärkt angeboten . Es gibt eine Art polytechnische Orientierung in manchen Schulen . Das dauert aber alles, weil die Strukturen dafür gar nicht mehr vorhanden sind . Da haben Sie ganze Arbeit geleistet . Diese wieder aufzubauen, dauert noch ein bisschen . - Vielen Dank . ({1}) Ich will Ihnen aber zum Schluss noch ein anderes Problem nennen; dem ist auch die DDR-Schule nicht ganz entkommen . Sie sind zurzeit dabei, das Kind mit dem Bade auszuschütten . MINT-Bildung ist Bestandteil eines umfassenderen Allgemeinbildungskonzeptes, das auf alle Seiten der Persönlichkeit zielt . Darum dürfen die musisch-ästhetische Bildung und die humanistische Bildung nicht vernachlässigt werden . Sie müssen genauso gefördert werden . Mit Ihrer Orientierung droht aber eine solche Einseitigkeit auf die MINT-Fächer . Deshalb glaube ich, dass Sie hier einen Fehler machen . Den Antrag zur Weiterführung des Programms „Kultur macht stark“ haben bekanntlich wir in den Bundestag eingebracht . ({2}) Ich glaube, dass Sie falsch liegen, wenn Sie glauben, dass Sie an der Stelle nur auf die Wirtschaft hören können . Ohne eine umfassende Allgemeinbildung wird es am Ende keine gebildete Gesellschaft geben . Vielen Dank . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Hein. - Nächste Rednerin: Elfi Scho-Antwerpes für die SPD-Fraktion . ({0})

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist ein Innovationsland . Wir sind das Land der Dichter und Denker, und wir sind das Land der Ideen . Zu unseren Stärken gehört die Hightechbranche, und „Made in Germany“ ist ein Garant für höchste Qualität . ({0}) Das klingt exzellent - aber ist es nachhaltig? Wer sich auf den Lorbeeren ausruht, wird bekanntermaßen schnell von der Wirklichkeit überholt . Wir dürfen uns nicht mit gegenwärtigen Etiketten und Zuschreibungen beschäftigen, sondern müssen nach vorne sehen . Die Herausforderungen sind schon lange bekannt . Der demografische Wandel und der industrielle und digitale Fortschritt setzen uns sozusagen unter Zugzwang . Wir brauchen jetzt mehr Menschen, die sich den Herausforderungen stellen . Wir brauchen Fachkräfte und gut ausgebildeten Nachwuchs . ({1}) Das wissen wir alle längst . Qualifikationen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik spielen in diesem Zusammenhang eine außerordentlich wichtige Rolle . Sie sind der Schlüssel zur Innovationskraft und müssen entsprechend gestärkt, gefördert und ausgebaut werden . ({2}) Ohne qualifizierten Nachwuchs entwickelt auch ein Innovationsland keine Innovationen . Stillstand ist Rückschritt . Leider deckt sich der Blick auf die aktuelle MINT-Bildung in Deutschland so gar nicht mit den eingangs zitierten Schlagwörtern rund um das Land der Dichter und Denker . Wir haben einen andauernden Mangel an gut ausgebildeten und weitergebildeten MINT-Lehrkräften . Die naturwissenschaftlich-technischen Fächer werden in der Lehramtsausbildung für die Sekundarstufen I und II anhaltend wenig nachgefragt. Besonders signifikant und bedenklich ist der Mangel an entsprechendem Lehrpersonal an den Berufsschulen . Sieht man von den Lehramtsstudiengängen ab, entwickeln sich die Studienanfängerzahlen immerhin vorsichtig positiv, auch mit Blick auf Frauen, auf Mädchen, die sich verstärkt in Physik, Informatik und technische Fächer einschreiben - allerdings nur minimal . In der beruflichen Bildung ist es umgekehrt: Es werden weniger MINT-Ausbildungsverträge abgeschlossen . Ganz offenTankred Schipanski Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721998 bar gelingt es nicht, den Nachwuchs für Naturwissenschaften und Technik, für das Forschen und Entdecken zu begeistern . Die Leidenschaft für Technik und Naturwissenschaften tragen viele Kinder bereits in sich . Sie benötigen nur die Gelegenheit, die Leidenschaft zur Entfaltung zu bringen . ({3}) Wer bereits in der Kita und Grundschule ein junger Wissenschaftler ist, wird sich auch verstärkt für entsprechende Fächer interessieren . Das ist die Basis für Fachkräftenachwuchs . ({4}) Kreative Ideen, die die Neugierde auf Naturwissenschaften und Technik fördern, werden also dringend gesucht . Mich hat in dem Zusammenhang der auf dem IT-Gipfel vorgestellte Minicomputer Calliope, ({5}) allen sicherlich -

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dürfen wir den auch sehen?

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön . Darauf ist ein Smiley zu sehen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich dachte, es ist ein Karnevalsorden - aber gut! ({0})

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe in der Tat schon jemanden gesehen, der ihn als solchen getragen hat . Das soll es aber nicht sein, und es wäre auch viel zu schade . Weiter geht’s . - Mit diesem kleinen Instrument für 15 Euro lernen Kinder ganz spielerisch, aber mit Nachhaltigkeit, zu programmieren . Über einfache Codes können sie zum Beispiel Schrittmacher realisieren, sie können einen Alarm auslösen, wenn die Blumen gegossen werden müssen usw . Das fördert bei den Kindern das logische Denken und das technische Verständnis . Wenn der Forschergeist erst einmal geweckt ist, setzt er sich in den Köpfen fest und entwickelt sich mit Freude weiter . Sie erkunden die digitale Welt, und zwar fächerübergreifend . MINT-Bildung ist viel zu lange stiefmütterlich behandelt worden . ({0}) Diese Haltung missachtet nicht nur die bildungspolitische, sondern vor allem auch die gesellschaftspolitische Relevanz von Bildung . Der Koalitionsantrag ist ein erster Schritt, eine umfassende MINT-Bildung in Deutschland zu gewährleisten . ({1}) - Ich sage, ein erster Schritt . Weitere müssen natürlich folgen, und zwar große Schritte . ({2}) Von Bundesseite geht es zunächst vor allem darum, vorhandene Angebote zu stärken - sie wurden eben schon genannt - und auf höchste Standards Wert zu legen . Zahlreiche Initiativen haben sich die Stärkung der MINT-Bildung auf die Fahne geschrieben, allerdings sind sie von sehr unterschiedlicher Qualität . Es braucht in unserem Hochtechnologieland noch immer ein strategisches Gesamtkonzept zum Thema MINT-Bildung . Lassen Sie uns endlich die Ärmel hochkrempeln . Wir müssen handeln, statt weiterhin nur zu reden . Mit viel Fantasie machen sich Menschen Gedanken zur MINT-Bildung . Sie bringen sich regional und überregional ein . Nehmen Sie etwa die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, über deren Arbeit die Lust am Entdecken und Experimentieren wahrlich geweckt wird, ({3}) oder das Nationale MINT Forum, das mit seinen zahlreichen Mitgliedern Synergieeffekte erzeugt, etwa wenn es um die Entwicklung von Qualitätsstandards für die MINT-Bildung geht . Was ist über den Antrag hinaus zu tun? Sie wissen, dass es in den Schulen oftmals an angemessener Ausstattung fehlt . Wie soll eigentlich ein junger Mensch Interesse an Physik oder Chemie gewinnen, wenn die Fachräume nicht einmal im Ansatz ordentlich ausgestattet sind? ({4}) Bevor wir den Nachwuchs auf ein Leben in einer digitalisierten und technikgeprägten Welt vorbereiten, haben wir unser pädagogisches Personal darauf vorzubereiten . ({5}) Wir müssen nicht nur aus- und weiterbilden, sondern auch alle befähigen, mit den Kindern, den Jugendlichen, den jungen Menschen auf einer Linie zu sein ({6}) - ganz genau -, auf Augenhöhe und kooperativ zu sein . Wir kennen alle die Vorgänge in den Schulen: Schülerinnen und Schüler tun sich mit den Lehrern zusammen; denn unsere Schüler können zum Teil wesentlich besser mit den Gerätschaften umgehen als manch ein Erwachsener . Schulen, in denen ein computergestützter Unterricht angeboten wird, zu besuchen, ist sinnvoll - ich habe das hier in Berlin getan - und bildet . Politik und Bildungsforschung müssen sich mit neuen Lehr- und Lernkonzepten beschäftigen . Nehmen Sie das „I“ in MINT, die Informatik: Da geht es in erster Linie Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21999 darum, den Kindern den Umgang mit dem PC beizubringen . Das können die sowieso hervorragend, zum Teil besser als Erwachsene . Es geht darum, die informatorischen und digitalen Möglichkeiten fächerübergreifend, ob Erdkunde oder Physik, zu übernehmen . Das muss keine Revolution sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, sicher aber eine Evolution . Packen wir es an . Stärken wir die MINT-Bildung in Deutschland . Herzlichen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Elfi Scho-Antwerpes. - Nächster Redner: Özcan Mutlu für Bündnis 90/Die Grünen .

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Befunde der letzten nationalen und internationalen Bildungsstudien sind eindeutig: Unser Bildungssystem tritt weiterhin auf der Stelle . Das belegen auch die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften . Die Leistungen unserer 15-jährigen Schülerinnen und Schüler verschlechtern sich erstmals seit 2001 in den Bereichen Naturwissenschaften und Mathematik . Gleichzeitig stellt die TIMSS-Studie unseren Grundschülerinnen und Grundschülern in den MINT-Fächern ein miserables Zeugnis aus . ({0}) PISA macht deutlich, dass außer einigen wenigen positiven Entwicklungen, zum Beispiel im Bereich des Lesens, keine signifikanten Verbesserungen zu verzeichnen sind . Im Vergleich zu anderen Ländern stagnieren die Leistungen der Jugendlichen in Deutschland . In den MINT-Fächern werden sie sogar schlechter . ({1}) Dabei ist gerade jetzt eine MINT-Nachwuchskräftesicherung absolut wichtig . Denn ohne Bildung 4 .0 bleibt Industrie 4 .0 eine leere Floskel . ({2}) Unsere Jugendlichen und unsere Bildungseinrichtungen müssen fit für das Zeitalter der digitalen Transformation gemacht werden . Das gilt für die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer gleichermaßen wie für die inhaltliche Ausrichtung und Ausgestaltung des Unterrichts . Es geht um Medienkompetenz und um Lernen im digitalen Zeitalter . Deshalb müssen wir die Ergebnisse der ICILS-Studie, die die Internetkompetenzen der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrerinnen und Lehrer untersucht hat, und auch die der jüngsten PISA-Studie sehr ernst nehmen . ({3}) Es ist löblich, dass Sie sich nach drei Jahren Großer Koalition endlich auf einen Antrag zur MINT-Bildung einigen konnten . Leider verweisen Sie in Ihrem Antrag immer nur auf die Verantwortung der Länder und spielen das übliche Lied der Zuständigkeiten . Zuständigkeitsgerangel ist aber das Letzte, was wir jetzt brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroKo . Den mit großem Tamtam angekündigten Digitalpakt Ihrer Ministerin ({4}) erwähnen Sie in Ihrem Antrag nicht einmal . Ich kann das gut verstehen . Schließlich war das ein Wahlkampfgetöse Ihrer Ankündigungsministerin und weder inhaltlich noch finanziell abgesichert. ({5}) Das Lernen und Lehren in der digitalen Gesellschaft erfordert eine gebündelte Kraftanstrengung aller im Bund, in den Ländern und in den Kommunen . Einzelne Leuchtturmprojekte und eine halbgare Ankündigung eines Digitalpaktes sind einfach zu wenig ({6}) und werden den Herausforderungen nicht gerecht . Es geht darum, wie Bund, Länder und die Kommunen in dem wichtigen Bereich der Bildungspolitik dauerhaft und sinnvoll miteinander kooperieren können und nicht durch ein Kooperationsverbot gegängelt werden . ({7}) - Ja, genau, das sage ich in Ihre Richtung . Damit Sie verstehen, dass allerhöchste Eisenbahn ist, nenne ich Ihnen einige Beispiele . ({8}) - Frau Präsidentin, ich fahre in meiner Rede fort . Ich weiß, welche Zwischenfrage er stellen möchte . ({9}) Die Antwort hat er schon tausendmal bekommen . Deshalb spare ich mir das . MINT-Fächer stoßen bei Studierenden, vor allem im Lehramt, auf wenig Interesse . Das bedeutet: Trotz der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ droht laut MINT-Nachwuchsbarometer weiterhin ein großer Lehrermangel . Der Kompetenzunterschied in den Naturwissenschaften zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten am stärksten ausgeprägt, und zwar im negativen Sinne . Bei den Unterschieden zwischen den Geschlechtern gewinnen wir auch keinen Blumentopf . 15-jährige Mädchen in Deutschland schneiden signifikant schlechter ab und haben relativ wenig Freude an Naturwissenschaften . Das Interesse hat in den letzten Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201722000 Jahren sogar weiter abgenommen . Das sind beschämende Beispiele . Das können wir uns nicht weiter leisten . ({10}) Die Frage ist: Warum und wie schaffen es andere Länder besser? Eine andere Frage ist: Wann schaffen wir es endlich, Herkunft und Bildungserfolg voneinander zu entkoppeln? Qualitativ hochwertige und gerechte Bildung, Bildungszugänge, die unabhängig von der Herkunft alle einschließen, sind der Garant für eine demokratische Gesellschaft . Daher ist eine gute und inklusive Bildung essenziell für die Zukunft unseres Landes . Deshalb, finde ich, sollten wir gemeinsam an einem Strang ziehen . ({11}) Mit der Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wird ein erstes richtiges Schrittchen - ich betone: Schrittchen - getan, um zumindest im Bereich der Bildungsinfrastruktur etwas zu verbessern . Aber das reicht nicht in Anbetracht des Investitionsstaus in der Bildung und in der Bildungsinfrastruktur . Ich sage: Als eines der reichsten Länder der Welt müssen wir mehr tun, um Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen . Daher fordern wir mit unserem Antrag erneut eine flächendeckende Bildungsoffensive und mehr Investitionen in Bildung, damit wir eben nicht, wie Kollegin Hein zu Recht kritisiert hat, in 25 Jahren die Missstände bejammern, die wir heute beheben können . Danke sehr . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Özcan Mutlu . - Nächster Redner in der Debatte: Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Xaver Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004316, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Mutlu, das war ja ein richtiges Horrorszenario, das Sie uns hier von der letzten PISA-Studie gemalt haben . ({0}) Das stimmt doch alles gar nicht, und das wissen Sie auch . Die Grünen sind in zehn Bundesländern in den Landesregierungen . ({1}) Sie sind da dafür zuständig, aber hier jammern Sie jetzt über die Ergebnisse, die herausgekommen sind . ({2}) Richtig ist vielmehr, dass wir mit unserem Antrag dazu beitragen wollen, mehr Schülerinnen und Schüler für Technik, Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften zu begeistern; denn hier liegt für unsere Arbeitsplätze die Zukunft . Wir brauchen eine ganz neue Generation von MINT-Nachwuchs - nicht nur im IT-Bereich, wozu der Kollege Sven Volmering gleich noch etwas sagen wird . Ich denke auch nicht nur an Hochschulabsolventen . Wir brauchen dringend junge Menschen, die programmieren können, die dieses Handwerk beherrschen und die das auch wollen . Chefs haben wir nämlich genug in Deutschland . Wir halten hier oft schöne Reden und stellen Anträge . Das ist das eine . Wenn man aber vor Ort nicht die richtigen Leute hat, beispielsweise motivierte Lehrer und Ehrenamtliche, dann wird das nichts . Wie sieht es denn aus an unseren Schulen? Da flattern ständig von außen neue MINT-Angebote ins Haus . Es fehlt aber oft der Überblick, es fehlt an ausreichend qualifiziertem Personal . Damit fehlt es auch an ausreichender Motivation . Interes sierte Schülergruppen werden oft als zu klein angesehen, um AGs zu bilden . Also bleiben deren Wünsche auf der Strecke . Uns gehen damit die sehr wohl vorhandenen Talente verloren . Das sind doch die Hauptursachen, warum das Interesse von Jugendlichen an MINT im Verlauf der Schulkarrieren nachlässt . Begeisterung für MINT schaffen, geht anders . Für ausreichende Lehrerstellen aber sind - wie wir alle wissen - die Länder zuständig . Und auf diese Defizite weisen wir hier schon seit Jahren hin, lieber Herr Mutlu . Da überschätzen Sie auch die Möglichkeiten einer Verfassungsänderung . ({3}) Meine Damen und Herren, Wissenschaft und Forschung müssen für Schülerinnen und Schüler als Abenteuer, als alternative Freizeitbeschäftigung, als interessantes Hobby angeboten werden, und zwar nicht nur im großstädtischen Bereich, sondern im ganzen Land . Wie sieht die Realität im Land aus? Wenn ich früher als Lehrer ins Schülerlabor des Oberstufenzentrums Kaiserslautern wollte, bedeutete das, einen kompletten Tag unterwegs zu sein, mit Bus, Bahn, Bus und dann zu Fuß, um dann dort höchstens zwei Stunden zu experimentieren und zu forschen . Das heißt, die Zeit für den Weg dorthin war fast doppelt so lang wie die Zeit für den eigentlichen Zweck der Reise . Das ist für Schülerinnen und Schüler unzumutbar . Dass sie dann den Spaß verlieren, ist - glaube ich - offensichtlich . Die Schüler haben sich zwar gefreut, weil aufgrund des hohen Zeitaufwands viel Unterricht ausgefallen ist, ({4}) aber Spaß am Forschen und am Experimentieren ist da nicht aufgekommen . ({5}) Wir müssen dorthin, wo die Schüler sind, und wir müssen hier auch die ständige Benachteiligung des ländlichen Raums beenden . Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 22001 Offenbar gab es diesbezüglich in der DDR paradiesische Zustände . Ich frage mich nur, warum dann die Wirtschaftskraft der DDR nicht dazu ausgereicht hat, wirkliche Spitzentechnik zu produzieren . ({6}) Meine Damen und Herren, das Konzept der MINT-Region - wir haben es gehört - ist ein wunderbares Instrument, um das zu ändern . Es verbindet schulische Akteure mit Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft systematisch entlang der Bildungskette . Ein von mir initiierter Verbund von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Institutionen bemüht sich gerade bei der Körber-Stiftung um Anerkennung . Ich kann alle nur ermutigen, solche Regionen zu gründen . ({7}) Bei mir stehen Angebote für Schulen einer großflächigen Region - von Zweibrücken bis Rockenhausen, von Birkenfeld bis Landau mit dem Zentrum Kaiserslautern künftig bereit . Wir werden regionale Außenstellen schaffen, digitale und mobile Angebote suchen, um die Wege zu verkürzen . Aber auch dazu braucht man Personal . Bekanntlich ist aller Anfang schwer . Am Anfang stehen oft Misstrauen und Eifersucht zwischen den Institutionen, aber der Zwang zur gemeinsamen Aktion ist da, und so werden irgendwann aus misstrauischen Konkurrenten doch vertrauensvolle Partner . So ist es bei uns gewesen . Ich bedanke mich bei allen, die da mitgemacht haben . Unser vorliegender Antrag stützt solche Regionen künftig . So können wir umfangreicher und gezielter fördern, und das finde ich gut. Ich fordere Sie auf - wenn Sie an der Zukunft unseres Landes mitarbeiten wollen, und dazu ist der vorliegende Antrag sicher ein weiterer Schritt -: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Die Lehrer, die Eltern und auch die Schüler werden Ihnen dankbar sein . Vielen Dank . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Xaver Jung. - Aber die Schulausflüge lassen Sie nicht ganz ausfallen; die fand ich nämlich am coolsten . - Nächste Rednerin: Dr . Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion .

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Tribünen! Ich beschäftige mich nicht mit dem, was getan worden ist . Mich interessiert, was getan werden muss . Dieses Zitat, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Kai Gehring, stammt nicht etwa aus deinem Mund oder aus dem einer der anderen Oppositionspolitikerinnen und -politiker, nein, ich habe es bei Marie Curie entlehnt . Marie Curie war Physikerin, wie alle von uns vermutlich wissen, und sie war die erste Professorin an der Sorbonne . Von Marie Curie habe ich kämpfen gelernt . Ich könnte jetzt einstimmen in das Klagelied, wie schlecht es um die MINT-Fächer in unserem Land und um den Fachkräftenachwuchs in den MINT-Bereichen bestellt ist . Das will ich aber nicht tun; denn man sollte nach vorne schauen . Als ehemalige Gleichstellungsbeauftragte weiß ich, dass gerade die MINT-Bereiche auf dem Geschlechterauge viel zu lange blind gewesen sind . Aber ich darf all denjenigen, die das betrübt, heute Entwarnung geben; denn wir haben mit dem vorliegenden Antrag in der Tat ein gutes Konzept vorgelegt; ein „Schrittchen“ hat es Özcan Mutlu genannt, aber diese Beschreibung ist, glaube ich, viel zu bescheiden . ({0}) Er ist ein großer Schritt, aber nicht der letzte . Das darf ich versichern . Natürlich beunruhigt es mich, dass der Frauenanteil in den MINT-Studiengängen immer noch so gering ist, und ich weiß, dass der Fortschritt, lieber Özcan, eine Schnecke ist . Aber immerhin: Es geht voran . ({1}) Wir müssen durch die Programmlinien mehr Neugierde und mehr Interesse wecken . Wir haben da wirklich noch viel zu tun . Es wurde schon angesprochen, dass es das Haus der kleinen Forscher gibt, aber es ist eigentlich ein Haus der kleinen Forscherinnen, wenn ich das so sagen darf; denn wir müssen Mädchen ermutigen, MINT-Fächer für sich zu entdecken und mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln . ({2}) Es braucht auch eine Stärkung der pädagogischen Ansätze . Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Kollegen und ich - Frau Hein wird sich erinnern, Xaver Jung und auch Özcan Mutlu waren dabei - haben die Initiative „Jugend forscht“ aufgerufen, nicht nur Mädchen Mut zu machen, sondern auch Jugendlichen mit Migrationshintergrund . Sie sind ein riesiges Potenzial, das wir für die MINT-Fächer noch gewinnen können . ({3}) - Vielen Dank für den Applaus, lieber Kollege . Der Girls’ Day ist angesprochen worden . Auch damit haben wir eine riesige Chance . Ich hoffe, dass Sie alle mit dabei sind und Mädchen einladen und ihnen Mut machen, ihre Perspektive zu erweitern und zu entwickeln . Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung will ich als Berichterstatterin besonders erwähnen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen aber etwas Besseres als diese Qualitätsoffensive Lehrerbildung . Wir haben die Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201722002 Möglichkeiten nach Artikel 91b Grundgesetz bei weitem noch nicht ausgeschöpft . Hier gibt es noch einiges zu tun, und das werden wir auch angehen . Ich will auch an die Initiative Bildungsketten erinnern, weil wir für mehr Durchlässigkeit und für mehr Zugangsmöglichkeiten sorgen und die Übergänge in den Bildungssystemen glätten müssen . Das sind wir der beruflichen Bildung schuldig. Ich will als Letztes den Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen nennen . Hier läuft es nämlich richtig gut; das weiß ich inzwischen aus Erfahrung . Man muss Theorie und Praxisbezug zusammen denken . Man muss deutlich machen: Wer sich für MINT interessiert, der weiß: Das ist ein Lernprozess mit Kopf, Herz und Hand, und das findet sich eben auch in den Schülerlaboren wieder. Lassen Sie mich also mit einem mutigen und optimistischen Appell enden . Wir werden uns, wie Sie lesen können, am 8 . März hier wieder treffen . Der 8 . März ist der Internationale Frauentag . Ich bin auf die vielen guten MINT-Ideen, die Sie zur Unterstützung von Frauen und Mädchen mitbringen werden, sehr gespannt . Vielen Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Dr . Daniela De Ridder . - Und der letzte Redner in dieser Debatte: Sven Volmering für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Sven Volmering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004432, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Wahlkampfgetöse ({0}) muss man an dieser Stelle erst einmal festhalten, dass ein Großteil der den MINT-Bereich betreffenden Forderungen, die die Grünen in ihrem Antrag formulieren, deckungsgleich mit dem ist, was unsere Berichterstatterin Sybille Benning herausgearbeitet hat . Ihr möchte ich an dieser Stelle für ihr Engagement recht herzlich danken, ({1}) gemeinsam und in Zusammenarbeit mit der Kollegin Scho-Antwerpes . Ich finde es schon ein bisschen bedauerlich, dass in dieser Debatte insbesondere von den Grünen die positiven Ergebnisse der PISA-Studie im MINT-Bereich ein bisschen leichtfertig abgetan worden sind . ({2}) Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, es gebe Stagnation auf hohem Niveau, und das sei für Sie kein Erfolg . ({3}) Wenn wir nach dieser Definition vorgehen würden, dann hätte der FC Bayern München in den letzten Jahren überhaupt keinen Erfolg gehabt, weil er auf dem Niveau des deutschen Meisters stehengeblieben ist . ({4}) So einfach ist es letztendlich doch nicht . Wenn wir ein hohes Niveau halten, ist das allemal besser, als wenn wir auf einem mittleren oder einem niedrigen Niveau stehenbleiben würden oder unser Niveau insgesamt absacken würde . ({5}) All das ist überhaupt nicht passiert . Wir stehen bei den Naturwissenschaften im OECD-Vergleich überdurchschnittlich gut da . Wir stehen auch in Mathe gut da . Unsere Leistungsstarken liegen über dem OECD-Durchschnitt, und unsere Leistungsschwächeren liegen deutlich über dem OECD-Durchschnitt . Auch das muss der Wahrheit halber gesagt werden, damit hier in Deutschland nicht ständig ein falscher Eindruck erweckt wird . ({6}) Ich brauche an dieser Stelle nicht auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen - sie sind in dieser Debatte schon genannt worden -, einzugehen, auch nicht auf die zahlreichen guten Initiativen. Es findet ein weiterer Ausbau statt; Kollege Jung hat darauf hingewiesen . Für uns als CDU/CSU ist es wichtig, vor dem Hintergrund der Themen Industrie 4 .0, Digitalisierung und Fachkräftemangel auf die enge Kooperation mit der Wirtschaft und dem Mittelstand hinzuweisen, damit wir das Ziel erreichen, das Image der MINT-Berufe zu verbessern, ({7}) damit es uns gelingt, die Abbrecherquoten zu verringern, und damit wir gute Fachkräfte gewinnen . ({8}) Zu diesem Zweck müssen wir es schaffen, die entsprechenden Multiplikatoren in allen Bereichen der Bildungsketten in ihrer Rolle als MINT-Botschafter zu stärken . ({9}) Da finde ich es schon bemerkenswert, wie schlecht im Grünenantrag über Lehrer gesprochen wird - ich zitiere -: ({10}) Deutscher Bundestag - 18 . Wahlperiode - 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 22003 Die meisten naturwissenschaftlichen Unterrichtsstunden sind wenig kognitiv anregend und werden kaum durch Experimente ergänzt . Dies führen Sie als Ursache für die - ja guten - Ergebnisse bei der PISA-Studie an, und dann beschimpfen Sie wieder einmal den Bund, der mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ nur halbherzig reagiert habe . ({11}) Das ist definitiv falsch und ist durch die eindrucksvolle Liste der verschiedenen Initiativen und Programme auch längst widerlegt . ({12}) Hinzu kommt, dass Sie auch die Initiative „Haus der kleinen Forscher“ positiv erwähnen . Sie widersprechen sich in Ihrem Antrag also selbst . Ich glaube, das, was Sie hier gemacht haben, ist ein bisschen mit heißer Nadel gestrickt . ({13}) - Doch, doch . Sie tun so, als ob der MINT-Unterricht in Deutschland flächendeckend noch immer so aussieht wie im Fernsehen beim Telekolleg aus den frühen 80er-Jahren . ({14}) Es gibt aber mittlerweile über die 1 100 MINT-Schulen hinaus viele engagierte Kollegen, die wirklich lebensnahen Unterricht machen ({15}) und die es schaffen, Begeisterung zu wecken, indem sie auch Projekte wie „Jugend forscht“ in ihren Unterricht einbauen . Wenn der Unterricht wirklich so schlecht wäre, dann verstehe ich nicht, warum wir diese guten Ergebnisse erzielt haben . ({16}) Wir wissen, dass natürlich nicht alles Gold ist, was glänzt . Aber deshalb sagen wir ja, dass wir bei der Studienorientierung etwas machen wollen, dass wir die Begleitforschung stärken wollen ({17}) und dass wir didaktische Konzepte entwickeln wollen, um das Interesse an den MINT-Fächern gerade bei Mädchen und Migranten dauerhaft zu halten . Die entscheidende Frage ist letztendlich: Wie bekommen wir es hin, schwierige Sachverhalte vielleicht besser und lebensnaher zu vermitteln? ({18}) Ich habe an dieser Stelle bereits oftmals darauf hingewiesen, wie rudimentär Einrichtungen zu Lehrerausbildung und Fortbildungen teilweise ausgestattet sind . Wenn ich höre, dass in Nordrhein-Westfalen über 4 000 Lehrer- und Verwaltungsstellen nicht besetzt sind, dann muss ich sagen: Dies ist das Ergebnis schlechter Schulpolitik . Auch darüber müssten wir einmal reden . ({19}) - Dass Sie so schreien, zeigt ja, dass ich Sie treffe . ({20}) Letzter Punkt . Im EFI-Jahresgutachten wurde diese Woche festgestellt, dass Deutschland ein Topinnovationsstandort ist . ({21}) Wir arbeiten weiter daran, das auszubauen . Über den Digitalpakt haben wir in diesem Hohen Hause schon bei verschiedensten Gelegenheiten gesprochen . ({22}) Die MINT-Fächer haben da gute Chancen; denn wenn der Unterricht digital durchgeführt wird, ist das lebensnah . Ich fordere, dass Bund und Länder den Digitalpakt schnell umsetzen . In diesem Sinne wünsche ich Ihnen als letzter Redner in dieser Sitzungswoche ein schönes Wochenende und bedanke mich für die Aufmerksamkeit . ({23})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Volmering . - Ich schließe die Debatte . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11164 und 18/11179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind dieser Meinung . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Nun sind wir tatsächlich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, wie schon gesagt, auf den Internationalen Frauentag, den 8 . März 2017, 13 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen, die fünfte Jahreszeit gut zu erleben und zu überleben . Damit ist die Sitzung geschlossen .