Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich .
Ich möchte vor Eintritt in unsere Tagesordnung den
Parlamentarischen Staatssekretären Norbert Barthle
und Hans-Joachim Fuchtel sowie dem Kollegen Arno
Klare nachträglich zu ihrem jeweiligen 65 . Geburtstag
gratulieren .
({0})
Das gilt in ähnlicher Weise für den Kollegen Harald
Weinberg, der in dieser Woche seinen 60 . Geburtstag
gefeiert hat, dem ich ebenfalls alles Gute für das neue
Lebensjahr wünsche .
({1})
Es gibt eine Reihe von Vereinbarungen der Fraktionen, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Zur wachsenden Gefahr der Altersarmut bei
5,7 Millionen Betroffenen in Deutschland
({2})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({3}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen
Drucksachen 18/6547, 18/8885
ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle
Drucksache 18/9190
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Renate Künast, Markus Tressel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Mehr Transparenz und Klarheit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen
Drucksache 18/10043
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Initiative „She Decides“ unterstützen ‒ Die
sexuellen und reproduktiven Rechte und die
Selbstbestimmung und Gesundheit von Frauen und Mädchen in Ländern des globalen Südens stärken
Drucksache 18/11177
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({7})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung
der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates durch technische
Regulierungsstandards für die Anwendung
von Positionslimits für Warenderivate
K({8})4362 final; Ratsdok. 15163/16
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen
Union
Nahrungsmittelspekulationen stoppen - Kommissionsvorschlag zurückweisen
Drucksache 18/11173
ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Christian Kühn
({9}), Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung
Erneuerbarer Energien im Wärmebereich
({10})
Drucksache 18/6885
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({11})
Drucksache 18/8438
ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016
({12})
Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924
Nr. 1.16
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({13})
Drucksache 18/11170
ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit
bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung
und nach dem Anfechtungsgesetz
Drucksache 18/7054
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({14})
Drucksache 18/11199
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr . Thomas Gambke, Renate Künast,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr für das Gemeinwohl - Steuerabzug für
Managergehälter deckeln
Drucksache 18/11176
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({15})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({16})
zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16,
2 BvR 1494/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1624/16,
2 BvR 1807/16 und 2 BvR 2354/16
Drucksache 18/11198
ZP 10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes
Drucksache 18/11163
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({17})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Anstelle des Tagesordnungspunktes 5 - hier ging es
um den Antrag zur Begrenzung von Managergehältern soll der Antrag auf der Drucksache 18/9190 mit dem Titel „Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine
soziale Offensive für alle“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Debattenzeit von 60 Minuten beraten werden .
Der Tagesordnungspunkt 22 - ein Antrag zur Gestaltung der Arbeitswelt von morgen - soll abgesetzt und
stattdessen der Antrag auf der Drucksache 18/11176 mit
dem Titel „Mehr für das Gemeinwohl - Steuerabzug für
Managergehälter deckeln“ in Verbindung mit dem soeben genannten Tagesordnungspunkt 5 mit einer Debattenzeit von wiederum 60 Minuten aufgerufen werden .
Ebenso sollen der Tagesordnungspunkt 15 - hier
geht es um die abschließende Beratung des Gesetzes zur
Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur
Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe - und der ohne Debatte vorgesehene
Tagesordnungspunkt 28 a - abschließende Beratung des
Entwurfes eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung in der Justiz - abgesetzt werden .
Es gibt darüber hinaus die in der Zusatzpunkteliste
dargestellten Änderungen im Ablauf .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich mache auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zu dieser Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 26 . Januar 2017 ({18}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({19}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes
und zur Vereinfachung von Verfahren des
Hochwasserschutzes ({20})
Drucksache 18/10879
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({21})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss
Die am 19 . Januar 2017 gemäß § 80 Absatz 3 der
Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus
({22}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zwölfter Bericht der Bundesregierung über
ihre Menschenrechtspolitik
({23})
Drucksache 18/10800
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({24})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Ich frage Sie, ob Ihnen das alles so plausibel vorkommt, dass Sie ohne weiteres Zögern zustimmen können .
({25})
- Das habe ich mir gedacht .
({26})
- Ja, Frau Haßelmann, man könnte sich fragen, warum
man nicht gleich darauf gekommen ist, das in dieser Reihenfolge zu machen, wenn sich dieser Ablauf eigentlich
aufdrängt .
({27})
Wie schön . Wir sind uns einig .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:
3 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({28})
Drucksachen 18/11131, 18/11186
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({29})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020
und zur Änderung haushaltsrechtlicher
Vorschriften
Drucksachen 18/11135, 18/11185
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({30})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sabine Leidig, Roland Claus, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Autobahnprivatisierungen im Grundgesetz ausschließen
Drucksache 18/11165
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({31}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen
Drucksachen 18/6547, 18/8885
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache insgesamt 77 Minuten vorgesehen . Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Also können
wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
({32})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit den beiden Gesetzentwürfen sollen die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geregelt
werden . Die Gesetzentwürfe setzen das nach langen intensiven Verhandlungen erzielte Einvernehmen zwischen
den Regierungschefs von Bund und Ländern um .
Die Länder sollen zur Unterstützung bei der Erfüllung
ihrer Aufgaben ab dem Jahre 2020 um insgesamt etwas
über 9,7 Milliarden Euro jährlich finanziell entlastet
werden, wobei die Summe im Laufe der Jahre ansteigen
wird . Diese 9,7 Milliarden Euro sind die für den Bund im
Jahre 2020 entstehenden Kosten . Die Berechnung basiert
auf der aktuellen Steuerschätzung vom November 2016;
sie wird sich also noch ein wenig verändern . Die Kosten
werden, wie erwähnt, in den Folgejahren in Abhängigkeit von der Steuerentwicklung und der Finanzkraftentwicklung der Länder anwachsen . Den Kosten des Bundes stehen Entlastungen der Länder in gleicher Höhe
gegenüber .
Ein Großteil der Länderentlastung ab 2020 erfolgt
über den bundesstaatlichen Finanzausgleich . Bekanntlich laufen die geltenden Regeln des Finanzausgleichs
nach aktueller Rechtslage Ende 2019 aus . Der Entlastungsbetrag enthält die Fortsetzung von bereits heute geltenden bzw . ähnlich geltenden Regelungen wie den Entflechtungsmitteln - auch die Entflechtungsmittel waren
ursprünglich einmal bis Ende 2019 befristet; wir haben
uns darauf verständigt, dass sie länger gewährt werden
sollen; sie sollen künftig als Umsatzsteuerfestbetrag in
gleicher Höhe fortgesetzt werden -, der Gemeindeverkehrsfinanzierung, der Finanzhilfen für Seehäfen und der
Sanierungshilfen für das Saarland und die Freie Hansestadt Bremen anstelle der heutigen Konsolidierungshilfen sowie der besonderen Hilfen für die ostdeutschen
Länder, die an die Stelle des Ende 2019 wegfallenden
Solidarpakts II treten sollen .
Der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne wird in
seiner jetzigen Form mit diesen Gesetzentwürfen abgeschafft - ebenso wie der Umsatzsteuervorabausgleich.
Die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer
wird grundsätzlich nach der Einwohnerzahl der Länder
erfolgen, aber modifiziert durch Zu- und Abschläge zum
angemessenen Ausgleich der Unterschiede in der Finanzkraft . Die nähere Ausgestaltung dieses Ausgleichs erfolgt
in enger Anlehnung an den bisherigen Finanzausgleich
unter den Ländern .
Wie erwähnt kann der Bund zur besonderen Entlastung des Saarlands und der Freien Hansestadt Bremen
künftig Sanierungshilfen gewähren . Die Länder ergreifen
dafür gleichzeitig Maßnahmen zum Abbau ihrer übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschaftsund Finanzkraft .
Daneben werden die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Finanzhilfen des Bundes in den Bereichen Seehäfen und Gemeindeverkehrsfinanzierung geschaffen. Die Änderungen des Grundgesetzes sehen vor,
dass der Bund den Ländern hierfür ab 2020 Finanzhilfen
in Höhe von rund 330 Millionen Euro gewährt .
Für eine zielgerichtete und effiziente Förderung von
Investitionen in gesamtstaatlich bedeutsamen Bereichen
soll der Bund mehr Einwirkungsrechte bei Finanzhilfen
erhalten . Künftig werden die Arten der zu fördernden
Investitionen und die Grundzüge der Ausgestaltung der
Länderprogramme zur Verwendung der Finanzhilfen
durch eine bundesrechtliche Regelung mit Zustimmung
des Bundesrats oder durch Verwaltungsvereinbarungen
geregelt .
Wir haben im Übrigen 2015 den Kommunalinvestitionsförderungsfonds aufgelegt, um finanzschwachen
Kommunen zusätzliche Investitionen zu ermöglichen .
Dabei muss erwähnt werden, dass die Hilfen des Bundes immer nur eine ergänzende Funktion haben können .
Denn in allererster Linie - dabei muss es auch bleiben haben die Länder für eine ausgewogene Finanzierung ihrer Kommunen zu sorgen .
({0})
Das ist die Ordnung des Grundgesetzes und die Aufgabe
der Länder .
({1})
Das klappt auch in vielen Ländern ganz gut, leider nicht
in allen .
({2})
Deswegen ist eine zeitlich, inhaltlich und finanziell klar
begrenzte Bundeshilfe für finanzschwache Kommunen
sinnvoll .
Damit wir den Kommunen effektiver helfen können,
erweitern wir durch eine Grundgesetzänderung für diesen Zweck die Möglichkeiten von Bundeshilfen an finanzschwache Kommunen, insbesondere im Bereich der
kommunalen Bildungsinfrastruktur, vor allem für die Sanierung von Schulbauten . Wir stocken dafür den Fonds
um weitere 3,5 Milliarden Euro auf .
Wir schaffen bei Mischfinanzierungen neue Kontrollrechte des Bundesrechnungshofs in den Ländern und
Kommunen . Auch das war ein lange diskutierter Punkt .
Wir stärken den Stabilitätsrat, der künftig neben der
Einhaltung der Schuldenbremse im Bund auch die Einhaltung der Schuldenbremse in den einzelnen Ländern
überwachen soll und überwachen kann .
Wir haben uns mit den Ländern darauf verständigt,
dem Bund zusätzliche Kompetenzen in der Steuerverwaltung zu übertragen, insbesondere im Bereich der
Informationstechnik. Das wird künftig hoffentlich die
Einigung in Steuerfragen zwischen Bund und Ländern
vereinfachen und beschleunigen .
({3})
- Ja, hoffentlich. Alle, die damit zu tun haben, wissen,
dass das „hoffentlich“ aus vollem Herzen ausgesprochen
ist .
({4})
Mit der verabredeten Verkehrsgesellschaft des Bundes schaffen wir die Bundesauftragsverwaltung bei den
Bundesautobahnen ab . Der Bund wird die alleinige Verantwortung für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung von Bundesautobahnen übernehmen . Er kann
sich dann künftig zur Erledigung dieser Aufgabe einer
Gesellschaft privaten Rechts bedienen . Die Autobahnen
und Fernstraßen und die Gesellschaft selbst bleiben im
unveräußerlichen Eigentum des Bundes . Eine Beteiligung privater Investoren an der Gesellschaft ist nicht
vorgesehen. Aber die Gesellschaft wird offen sein für
Finanzierungen durch öffentlich-private Partnerschaften,
wie wir sie bereits jetzt haben . Ich will bei der Gelegenheit hinzufügen, dass ich nicht sehe, dass die Gesellschaft eine Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten
erhalten wird .
Mit der Einrichtung eines verbindlichen bundesweiten
Verwaltungsportalverbundes machen wir einen großen
Schritt in der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung . Alle Nutzer, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, werden künftig Verwaltungsleistungen von
Bund, Ländern und Kommunen online in Anspruch nehmen können . Wir sehen dafür eine Übergangsfrist von
fünf Jahren vor; denn es ist ein ungeheuer ambitioniertes
Projekt . Dabei wird sich für die Verwaltungen dann auch
der administrative Vollzugsaufwand verringern . Wir werden stärker wegkommen von einfachen Routinearbeiten,
was angesichts der knappen Personaldecke in vielen Verwaltungsbereichen zu einer Entlastung führen kann .
Entsprechendes haben wir mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens für die Steuerverwaltung bereits auf den Weg gebracht . Auch hier werden
die Beschäftigten künftig mehr Zeit für zielgerichtete
Prüfungen haben, um Verstöße noch besser aufdecken zu
können .
In dem Gesetzespaket ist auch ein Entwurf zur Neuregelung zum Unterhaltsvorschuss enthalten . Für alle
Kinder bis zur Vollendung des 12 . Lebensjahres sind bei
Ausfall der Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ausnahmslos und ohne Höchstbezugsdauer zu gewähren .
Das wird so vorgeschlagen .
Für Kinder von der Vollendung des 12 . Lebensjahres
bis zur Vollendung des 18 . Lebensjahres sollen die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nur dann
zustehen, wenn das Kind nicht auf SGB-II-Leistungen
angewiesen ist oder wenn der alleinerziehende Elternteil
im SGB-II-Bezug ein eigenes Einkommen von mindestens 600 Euro brutto erzielt . Durch diese Regelung soll
ein langfristig paralleler Bezug von SGB-II-Leistungen
und Unterhaltsvorschuss vermieden werden . Kindeseinkommen wird entsprechend dem Unterhaltsrecht zur
Hälfte angerechnet, wenn das Kind einen Schulabschluss
hat. Regelungen zum Rückgriff auf den barunterhaltspflichtigen Elternteil werden verbessert und vereinfacht.
Diese Reform soll am 1 . Juli 2017 in Kraft treten, damit die Kommunen genügend Zeit haben, sich auf die
neue Rechtslage einzustellen . Der Bund trägt statt, wie
bisher, einem Drittel künftig 40 Prozent der Kosten; die
Länder tragen 60 Prozent der Kosten für den Unterhaltsvorschuss . Die Mehrausgaben für den Bund unter Einrechnung der im SGB-II-Bereich entstehenden Entlastungen betragen insgesamt 38 Millionen Euro pro Jahr .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses umfangreiche Gesetzespaket spiegelt einen nach schwierigen
Verhandlungen erzielten Kompromiss zwischen den
Ländern und dem Bund wider . Die Ausgestaltungen des
Finanzausgleichs im Einzelnen sind im Wesentlichen
zwischen den 16 Ländern so vereinbart worden, und
der Bund hat dann seinen Teil in den Verhandlungen mit
den Ländern beigetragen . Weil es ein nach schwierigen,
langen Verhandlungen erzielter Kompromiss ist, hat die
Bundesregierung in der Gegenäußerung zu den Stellungnahmen des Bundesrates im ersten Durchgang dafür
geworben, dass man bei dem vereinbarten Kompromiss
bleibt und dass auch der Bundesrat und die Bundesländer
nicht versuchen sollten, das mühsam erzielte Kompromisspaket jetzt wieder aufzuschnüren . Ich werbe im Interesse des Gesamtpaketes ausdrücklich dafür .
({5})
Ich will im Übrigen hinzufügen: Natürlich ist die sich
ab dem Jahre 2020 ergebende Mehrbelastung für den
Bund in Höhe von 9,7 Milliarden Euro aufsteigend eine
Berechnung gegenüber der heutigen Rechtslage . Wenn
man die Sachlage, die bis 2019 besteht, zum Maßstab
nimmt, beträgt die Mehrbelastung für den Bund 4,3 Milliarden Euro aufsteigend . Aber auch das ist ein erheblicher Beitrag . Ich will das in diesem Zusammenhang
erwähnt haben .
Was uns in diesen Verhandlungen nicht gelungen ist,
ist, eine Vereinbarung zu erzielen, die das Gesamtsystem,
das komplizierte System des Ausgleichs zwischen Bund,
Ländern und Kommunen, ein Stück weit transparenter,
ein Stück weit systemischer und berechenbarer macht
und vor allen Dingen Anreize in dem System verbessert .
Das war am Anfang das ehrgeizige Vorhaben der Bundesregierung . Wir sind damit jedenfalls nicht zu einem
durchschlagenden Erfolg gekommen, um es zurückhaltend zu sagen .
Deswegen werbe ich erstens dafür, dass wir den Kompromiss, so wie wir ihn vereinbart haben, jetzt gesetzgeberisch umsetzen, und ich werbe zweitens dafür, dass
man sich in künftigen Legislaturperioden damit beschäftigt, wie wir das Verhältnis unserer föderalen Ordnung,
das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen, so weiterentwickeln können, dass wir in Anbetracht
des schnelleren Wandels aufgrund der Veränderung der
Bedingungen im wirtschaftlichen Wettbewerb, der Globalisierung und vieler anderer Fragen in der Lage sind,
angemessen schnell zu reagieren . Dafür sind wir im
Bund-Länder-Verhältnis in einer grundsätzlich richtigen
Ordnung nicht optimal aufgestellt .
({6})
Die Verwaltungsverfahren müssen schneller werden,
und wir müssen Anreize schaffen, dass diejenigen, die
Entscheidungen treffen, stärker die finanziellen Konsequenzen aus ihren Entscheidungen tragen . Das ist ein
altes ordnungspolitisches Prinzip . Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht . Aber wir sind mit den Arbeiten,
unseren Föderalismus zukunftstauglich zu halten, nur für
diese Legislaturperiode, aber nicht für die Zukunft am
Ende .
Herzlichen Dank .
({7})
Für die Fraktion Die Linke erhält der Kollege Dietmar
Bartsch das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke
bewertet das vorliegende Gesetzespaket - Herr Schäuble,
Sie haben es noch einmal umfangreich dargestellt - so,
wie Sie das von uns kennen: differenziert. Wir sehen
Positives und Kritisches . Ich war überrascht, wie viel
Kritisches Sie in kluger Formulierung zum Schluss doch
festgestellt haben . Ich teile im Übrigen, dass wir wirklich etwas tun müssen, damit diese Beziehungen geregelt sind, und zwar im Interesse aller Ebenen . Ich glaube,
dass das sehr notwendig ist, und Sie haben mehrfach vom
Kompromisscharakter des Gesetzeswerks gesprochen .
Ich will mit dem Positiven beginnen: Erstens ist es
überhaupt positiv, dass es eine Fortsetzung der Ausgleichszahlungen für finanzschwache Länder gibt. Dass
das erzielt worden ist, ist gut .
({0})
Die Wortführer des Ellbogenföderalismus, die insbesondere in einem südlichen Land sitzen, sind gestoppt worden . Das ist auch ein Verdienst der Linken im Bundesrat,
wo wir durchaus an Ihrer Seite waren, Herr Schäuble .
Es ist gut für die Menschen in diesem Land, wenn die
Linke in den Ländern regiert . Ich glaube, das hat sich da
deutlich gezeigt .
({1})
Das Zweite, das man festhalten muss, ist, dass das sogenannte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik mit dem Paket zumindest an
einer Stelle ein bisschen gelockert wird .
({2})
Wir hätten es am liebsten ganz und gar aufgehoben, aber
das können wir ja im September gegebenenfalls nachholen . Immerhin werden so Investitionen in Schulen möglich . Das ist ein Schritt nach vorne, auch wenn das natürlich zu wenig ist . Der Investitionsstau in den Schulen ist
mit 34 Milliarden Euro viel höher .
({3})
Natürlich ist es auch so, dass die Gegenfinanzierung der
Kommunen schwierig ist .
({4})
Aber Investitionen von der Bundesebene in die Zukunft
der Kinder und in die Bildung sind möglich . Das ist vernünftig . - Damit habe ich das Positive hier ordentlich
abgehandelt .
Ich habe auch an anderer Stelle schon gesagt - das ist
eben ein Ausdruck des Ganzen -, dass die Große Koalition - letztlich mit den Ländern - hier ein großes Reformprojekt eben nicht auf den Weg gebracht hat .
({5})
Eine Logik ist erhalten geblieben, und das ist die Logik
der Schuldenbremsenpolitik . Die besteht weiter fort, und
damit werden am Ende des Tages die negativen Folgen
bei den Kommunen abgeladen, meine Damen und Herren .
Stichwort „Investitionsstau“: Der Bund hat mit dem
Stabilitätsrat, den Sie hier so gelobt haben, de facto eine
Troika für die Länder geschaffen. Die Folgen der Troika
und deren Ergebnisse kennen wir alle . Ich glaube, dass
das überhaupt kein guter Weg ist .
({6})
Ein aus der Sicht der Städte und Gemeinden gedachter, solidarischer Finanzausgleich hätte wirklich anders
aussehen müssen . Jetzt wird man ja den Eindruck nicht
los - Sie haben das eben noch einmal geschildert -, dass
Bund und Länder die kommunale Selbstverwaltung als
einen Gnadenakt betrachten . Das ist aber nicht unsere
Aufgabe, sondern unsere Aufgabe ist, eine angemessene
Finanzausstattung zu gewährleisten . Eine wirklich gerechte und zukunftsorientierte Neuordnung der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern ist von Ihnen offensichtlich nicht beabsichtigt worden . Dafür muss man
auch wirklich an die Steuern herangehen; dafür braucht
man Mehreinnahmen für Bund und Länder . Wir haben da
mit unseren Steuerkonzepten Angebote gemacht .
({7})
Ich will aber jetzt zum Schluss zu einem Kernpunkt
kommen, den Autobahnen, Herr Schäuble . Die Bundesfernstraßengesellschaft ist offensichtlich ein Geschenk
an Versicherungen und Anlagefonds und deren Renditeerwartungen . Es drohen weiter Teilprivatisierungen .
Sie haben das zwar eben klug formuliert, aber sie drohen
weiter, und vor allen Dingen droht ein erheblicher Einschnitt in die parlamentarischen Rechte des Bundestages
und auch der Länder, meine Damen und Herren . Das
wird im Übrigen auch in dem Gutachten des Bundesrechnungshofes ganz deutlich sichtbar . Meine Fraktion
hat die Autoren zu sich eingeladen . Dort wurde das sehr
deutlich gemacht .
Da will ich auch an die Kollegen der SPD appellieren .
Der Anführer der APO, also der außerparlamentarischen
Opposition der SPD gegen die eigene Regierungsverantwortung, der Spitzenkandidat Martin Schulz,
({8})
redet zu Recht über mehr soziale Gerechtigkeit . Das ist
ein erheblicher Fortschritt . Das ist auch sehr gut . Nur
müssen wir beim Inhalt in dieser Frage noch einmal deutlich zulegen; denn jetzt wird ein Gesetzespaket eingebracht, nach dessen Inkrafttreten kaum noch rückgängig
gemacht werden kann, dass solche Teilprivatisierungen
möglich sind .
({9})
Das ist die Realität . Es geht in diesem Land ungerecht zu,
aber mit den Privatisierungen wird die Ungerechtigkeit
noch größer, meine Damen und Herren . Denn am Ende
bezahlen die Autofahrerinnen und Autofahrer die Renditeerwartungen, die mit dieser Privatisierung verbunden
sind. Da täuschen Sie im Übrigen auch die Öffentlichkeit . Nach den ersten Medienberichten wurde gesagt, das
sei alles überhaupt nicht möglich . Das ist aber schlicht
unwahr .
({10})
DGB, Verdi, die Bauwirtschaft usw . kritisieren diese
Grundgesetzänderungen .
({11})
Sie reiten ein Trojanisches Pferd über die Autobahn, Kollege Kahrs . Das ist die Realität .
({12})
Diese Grundgesetzänderungen können zur mittelbaren Privatisierung über ÖPP führen . Das ist das ganz große Problem .
({13})
Deswegen sollten Sie das jetzt nicht tun . Sie sollten damit warten und die Privatisierung nicht zulässig machen .
Das können wir alles zu einem späteren Zeitpunkt vernünftig machen . Haben Sie den Mut, und hören Sie hier
mehr auf Ihren Kanzlerkandidaten!
Herzlichen Dank .
({14})
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Schäuble hat aufgezeigt, dass dieses Gesetzespaket
zahlreiche Grundgesetzänderungen enthält . Nicht nur die
Quantität, sondern auch die Qualität zeigt, dass es hierbei
um eine der einschneidendsten Veränderungen im föderalen Gefüge Deutschlands für die nächsten Jahrzehnte
gehen wird .
Der bisherige Länderfinanzausgleich, der die Solidarität zwischen den Ländern sichert, sodass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse einigermaßen dargestellt
ist, dieser Länderfinanzausgleich hatte sich bewährt.
({0})
Wir haben gute Ergebnisse erzielt . Der Angleichungsprozess der ostdeutschen Bundesländer ist vorangeschritten . Mittlerweile liegt ihre Steuerkraft bei etwa
zwei Drittel derjenigen der westdeutschen Länder . Das
BIP je Einwohner in Ostdeutschland ist von 42 Prozent
des westdeutschen Wertes im Jahr 1991 auf 72 Prozent
im Jahr 2015 gestiegen . Das alles war auch durch das
Engagement des Bundes im Rahmen des Solidarpaktes
möglich . Über 150 Milliarden Euro sind dadurch in die
ostdeutschen Bundesländer investiert worden, und sie
haben sich gerechnet .
Es gab aber auch zwei Länder, die gegen diesen Länderfinanzausgleich geklagt haben, nämlich Hessen und
Bayern - beide unionsregiert .
({1})
Beide Länder machten die klare Ansage: Wir wollen
weniger Solidarität und „mehr von unserem eigenen
Geld“ - ich zitiere das - behalten.
({2})
Das war die Ausgangslage der Verhandlungen .
Im Ergebnis bekommen wir jetzt einen Länderfinanzausgleich, der die finanzschwachen Länder zwar weiterhin stützt, aber nicht mehr in dem Ausmaße wie bisher .
({3})
Die finanzstarken Länder werden mehr eigene Mittel
behalten können . De facto heißt das: Der Bund muss
eingreifen und sich noch stärker engagieren, um den finanzschwachen Ländern - das sind sehr viele - zu helfen, in etwa auf das gleiche Niveau zu kommen - wir
reden niemals davon, dasselbe zu erreichen -, damit sie
sich in etwa das Gleiche leisten können, wenn es um die
Bezahlung der Lehrer, die Polizei und die sozialen Leistungen geht .
({4})
Das tun wir jetzt. Das heißt aber auch: Die finanzschwachen Länder werden abhängiger von der Leistungsfähigkeit und der Bereitschaft des Bundes sein, sie
zu unterstützen . Das ist eine substanzielle Veränderung
unseres föderalen Gefüges .
({5})
Ob das der Eigenständigkeit der Länder dient, wird die
Zeit zeigen .
({6})
Ich sehe mich jedenfalls bestätigt darin, dass wir erstens das Grundgesetz in Bezug auf den Punkt „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ sehr ernst nehmen
und dass zweitens der Bund die Fähigkeiten, die Instrumente und die Steuereinnahmen haben muss, um diese
Gleichwertigkeit darzustellen und dafür zu sorgen, dass
es in allen Regionen unseres Landes - in den Städten und
auf dem Land, in den Zentren und in den Kleinstädten in etwa die gleichen Bedingungen gibt .
Das bedeutet für den Bund aber eine Mehrbelastung .
Diese Mehrbelastung wird - das werden wir in den
nächsten Legislaturen sehen - durch einen kleineren
Ausgabespielraum oder einen größeren Einnahmespielraum des Bundes
({7})
zu bewältigen sein . Das ist die Konsequenz dessen, was
wir hier beschließen .
Wir als SPD-Fraktion werden dies mittragen . Ich sage
aber auch gleich: Herr Minister Schäuble: Es gilt immer
noch das Struck’sche Gesetz . Es gibt hier viele verschiedene Punkte . Den Appell an den Bundesrat sehe ich gerne; der war ja intensiv daran beteiligt .
Der Bundestag beschäftigt sich am heutigen Tage in
erster Lesung mit diesem Gesetzespaket . Wir haben im
Haushaltsausschuss viele Anhörungen dazu angesetzt .
Es gibt hier enorm wichtige Punkte zu regeln, auch im
innerstaatlichen Verhältnis . Dabei geht es etwa um die
Steuerverwaltung und deren Effizienz sowie um den
Bundesrechnungshof und seine Prüfungsrechte . Wenn
wir Mittel geben, müssen wir tatsächlich auch erheben
können, was damit gemacht wird . Es liegt in unserer Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern, das nachvollziehen zu können .
({8})
Ich behalte mir vor, dass auch wir als Fraktion diese
Punkte aufgreifen .
In dem Paket sind aber auch andere wichtige Maßnahmen enthalten .
Erstens: die Infrastrukturgesellschaft . Kollegin
Hagedorn wird darauf noch eingehen . Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie hier gesagt haben:
Diese Gesellschaft soll keine Kreditermächtigung erhalten . - Das ist bisher anders vorgesehen, aber ich begrüße
diese Feststellung .
Zweiter Punkt . Der von Ihnen bereits genannte Unterhaltsvorschuss ist eine ganz wichtige Maßnahme, um
denjenigen zu helfen, denen es am schlechtesten geht und
die von Armut am stärksten betroffen sind - das sind Alleinerziehende mit Kindern, Männer wie Frauen .
({9})
Diese zeitliche Befristung des Vorschusses auf insgesamt
sechs Jahre bzw . bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres war für mich nie nachvollziehbar . Ich bin Manuela
Schwesig, der Familienministerin, sehr dankbar, dass sie
das vorangetrieben hat und dass wir dort einig sind .
Drittens wird es um die Frage gehen, welche Möglichkeiten der Bund zusätzlich zu dem hat, was er an Mitteln
für regionale Strukturpolitik bereitstellt . Wir wollen das
ganz simpel machen . Die Landesregierung in Thüringen - ich komme aus Thüringen, das hört man vielleicht
ab und an ({10})
hat sich, nachdem sie es jahrzehntelang nicht getan hat,
dazu entschlossen, Lehrer zu verbeamten . Warum? Weil
Thüringen mit dem normalen TVöD-Gehalt, das es angestellten Lehrern zahlt, gegenüber den angrenzenden
Bundesländern Bayern und Hessen nicht mehr konkurrenzfähig ist und sich die Menschen, die in Thüringen
ausgebildet werden, dafür nicht mehr einstellen lassen .
Das will keiner mehr . Das heißt, der Wettbewerb zwischen den Bundesländern hängt immer mehr auch von
der Finanzkraft ab . Nur wenn ich gute Leute habe, kann
ich gut ausbilden . Nur so kann ich dann auch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherstellen .
Einige Bundesländer werden jetzt aber zusätzliches
Geld bekommen . Die ostdeutschen Länder dagegen werden ab 2020 keinen Cent mehr haben, sogar ein kleines
bisschen weniger als 2019, während andere Länder mehr
haben werden . Dieses Mehr an Mitteln wird natürlich
eingesetzt werden - ich hoffe, klug - und dazu führen,
dass die Unterschiede zwischen den Ländern eher größer
werden . Das ist zumindest die Sorge, die wir haben . Ich
finde, der Bundestag hat eine gesamtstaatliche Verantwortung und muss auf solche Entwicklungen reagieren .
({11})
Dazu muss er die richtigen Instrumente haben .
Eines dieser Instrumente kann die ein wenig eingeschlafene regionale Strukturpolitik sein . Sie wird nicht
mehr für einen Ausgleich zwischen Ost und West sorgen .
Darum geht es nicht mehr, das brauchen wir 30 Jahre
nach der Einheit nicht mehr. Ich finde es auch gut, dass
die Bundesregierung gestern unter Führung von Andrea
Nahles beschlossen hat, endlich die Ost-West-Angleichung bei der Rente durchzusetzen . Auch da werden wir
einheitliches Recht haben .
({12})
Aber die strukturellen Unterschiede werden größer werden . Genau aus diesem Grund muss der Bund, weil er ein
Eigeninteresse daran hat, dass die Menschen nicht alle
von Erfurt nach München ziehen, weil es da ArbeitsplätCarsten Schneider ({13})
ze gibt, dafür sorgen, dass es überall Arbeitsplätze unter
einigermaßen ordentlichen Bedingungen gibt .
({14})
Er muss von daher auch die Instrumente und Mittel dafür
haben, um regional investieren zu können, sei es in die
Hochschulen, sei es in die regionale Infrastruktur . Das
wird dann aber für das ganze Bundesgebiet gelten .
Der letzte Punkt ist, dass mit dieser Reform das Ende
des Kooperationsverbotes eingeleitet wird; das ist ein
wirklicher Durchbruch .
({15})
Wir haben 2006/2007 - das will ich mahnend sagen einen Fehler gemacht, indem wir dem Bund die Möglichkeit genommen haben, in die Bildungsinfrastruktur
zu investieren . Das kann niemand nachvollziehen .
({16})
Kollege Bartsch hat die Zahlen zitiert: Das Ergebnis ist
ein Sanierungsstau in den Schulen in Höhe von 34 Milliarden Euro . Wir ermöglichen es jetzt - das war der
Wunsch und der Wille der SPD, und wir haben es durchgesetzt -, dass der Bund finanzschwachen Kommunen
finanzielle Mittel zur Verfügung stellen kann, um in die
Bildungsinfrastruktur, also in Schulen, Horte etc ., zu
investieren . Wir schließen da an das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm von Gerhard Schröder und Edelgard
Bulmahn an .
({17})
Ich glaube, dass diese Kooperation ein ganz entscheidender Schritt ist, um zwei Dinge zu erreichen, nämlich
erstens, um Schulen zu sanieren, aber zweitens auch, um
zu investieren .
Herr Minister Schäuble hat auf einen wichtigen Punkt
hingewiesen . 2009 gab es ja eine Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer Verringerung des Wachstums um
5 Prozent . Was macht man da normalerweise? Der Staat
investiert, um private Investitionen zu ersetzen . Wenn
wir uns das Ganze aber retrospektiv anschauen, sehen
wir, dass die Investitionen tatsächlich erst 2011 angelaufen sind . Da waren wir schon wieder auf einem Wachstumspfad . Das heißt, wenn man konjunkturpolitisch noch
einigermaßen agieren will - und das wollen wir als Sozialdemokraten; ich glaube, das wollen mittlerweile auch
große Teile der Wirtschaftswissenschaft -, dann ist es
entscheidend, dass wir die politischen Entscheidungen
zur Konjunktursteuerung und zu Investitionen, die wir
hier treffen, auch umsetzen können, um sozusagen die
PS auch auf die Straße zu bekommen .
Herr Kollege .
Herr Bundestagspräsident, das war mein Schlusswort . - Und so will ich dann auch in die Beratungen gehen .
Vielen Dank .
({0})
Ich bedanke mich . - Das Wort erhält nun die Kollegin
Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute diskutieren wir endlich - wir sind damit schon
ziemlich spät dran - über die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen . Der Umfang dieser Reform mit
13 Verfassungsänderungen ist in der Tat erheblich . Es
geht hier um nichts Geringeres als um unseren Föderalismus und darum, diesen zukunftsfest - für mindestens die
nächste Dekade, wenn nicht länger - aufzustellen .
Ich will vorweg sagen: Wir Grünen werden, auch
wenn wir die bisherigen Hinterzimmerberatungen der
Großen Koalition, um es einmal so auszudrücken, für intransparent und im Ergebnis ineffizient erachten, hieran
jetzt konstruktiv mitarbeiten .
({0})
Denn es geht um die Planungssicherheit des Bundes und
insbesondere der Länder, und das vor dem Hintergrund
der Verpflichtung der Länder, ab 2020 die Schuldenbremse einzuhalten . Es geht hier um die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand und auch um das Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger in ebendiese Handlungsfähigkeit .
({1})
Kern der Reform ist die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs im eigentlichen Sinne; Herr Schäuble hat
das schon ausgeführt . Dass die Länder selbst - gerade
auch überzeugte Föderalisten - in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit den Länderfinanzausgleich gerade auch
als sichtbares Zeichen ihrer Solidarität untereinander
aufgeben, finde ich bemerkenswert.
({2})
Ich glaube nicht, dass wir das von der Bundesebene werden zurückdrehen können . Das haben die Ministerpräsidenten so beschlossen .
Dass dieser MPK-Beschluss aber den Charakter unseres Föderalismus ändern wird, glaube ich schon . Es
ist das ausdrückliche Ziel dieses Beschlusses, dass es
formal keine Geber und Nehmer mehr geben soll; alle
wollen stattdessen Nehmer von Steueranteilen, die das
Bundesgesetz ihnen zuteilt, werden . So hat das Professor
Carsten Schneider ({3})
Korioth in einem aktuellen Beitrag im ifo Schnelldienst
geschrieben . Ich vermag in diesem Verzicht auf Solidarität untereinander keine Stärkung unseres Föderalismus
erkennen .
({4})
Die eigentliche Schwäche der Reform liegt für mich
allerdings darin - damit komme ich zu Ihrer Verantwortung, Herr Schäuble -, dass die drängendsten Herausforderungen unseres Föderalismus - auch das, was als
Herausforderung in Zukunft sichtbar ist - nicht zielgenau angegangen werden . Das ist nämlich die wachsende
Spreizung von armen und reichen Regionen .
Treiber dieses Trends ist der demografische Wandel
und auch der sozialräumliche Wandel, den wir ja sehen .
Es gibt Wegzugsregionen und Zuzugsregionen . Wir haben ein System in unserem Föderalismus, in dem der
Maßstab des Ausgleichs die Finanzkraft, gemessen pro
Kopf, ist. Angesichts des demografischen Trends und
des sozialräumlichen Wandels muss man sich doch fragen, ob in überalterten Regionen mit schwacher Finanzkraft und Wirtschaftskraft der Maßstab „Finanzkraft pro
Kopf“ überhaupt noch richtig ist.
({5})
Es wäre Ihre Verantwortung gewesen, diese Gedanken,
also den demografischen und sozialräumlichen Wandel,
zum Ausgangspunkt einer grundsätzlichen Analyse der
Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu machen .
Sie haben leider mit Ihrem Setting den Bundestag bewusst nicht einbezogen .
({6})
Die Verantwortung tragen aber auch die großen Fraktionen hier im Haus . Aber dass wir das nicht im Rahmen
einer sorgfältigen Analyse als Grundlage für unsere Reformüberlegungen nehmen, ist wirklich peinlich und der
Herausforderung auch inhaltlich nicht angemessen . Wir
beklagen gerade den Frust von Menschen, die sagen:
Die öffentliche Infrastruktur ist in bestimmten Regionen
dieses Landes nicht gewährleistet . - Das hat politische
Folgen. Wir haben nicht die Chance ergriffen, dem vernünftig entgegenzuwirken .
({7})
Ich muss noch einmal ganz deutlich unterstreichen,
was Herr Schneider angedeutet hat: Es gibt natürlich
längst wissenschaftliche Untersuchungen zu Auswirkungen dieser Reform . Diese Untersuchungen - zum Beispiel von Professor Lenk von der Uni Leipzig - kommen
zu dem Ergebnis, dass ab 2020 die wirklich starken Länder überproportional profitieren werden, die schwachen
jedoch nicht .
({8})
Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen,
um für Ausgleich in unserem Land zu sorgen .
({9})
Aber es gibt auch Licht . Dieses Licht ist eine Korrektur, eigentlich eine Selbstkorrektur der Großen Koalition .
Die Erweiterung des Grundgesetzes um die Mitfinanzierungskompetenz des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur für finanzschwache Kommunen ist das Licht in diesem Reformbauwerk, und das ist
wirklich notwendig und überfällig .
({10})
Herr Schneider hat es ja zugegeben: Das war ein Fehler
der vorangegangenen Föderalismusreform . - Dass wir
jetzt finanzschwache Kommunen gezielt und insbesondere mit Blick auf die Bildungsinfrastruktur vom Bund
aus mitfinanzieren können, wird von den Grünen ausdrücklich unterstützt .
({11})
Wir sagen aber auch: Diese schmale Öffnung in unserer Verfassung ist nur ein erster Schritt . Wir halten an
der vollständigen Aufhebung des Kooperationsverbotes
fest . Wir halten das als eine wesentliche Zukunftsaufgabe unserer Gesellschaft für notwendig und werden weiter
daran arbeiten .
({12})
Ich sage auch ganz deutlich in Richtung Länder: Wenn
der Bund jetzt finanzschwache Kommunen in der Bildungsinfrastruktur unterstützt, werden wir auch auf den
Bundeseinfluss achten.
Es gibt noch viele andere Punkte bei dieser Reform .
Meine Kollegin wird noch auf den wichtigen Punkt Verkehrsinfrastruktur eingehen . Gut, dass wir uns wenigstens ausführlich Zeit nehmen, in mehreren Anhörungen
dieses Gesetzeswerk zu beraten . Ich rufe die Große Koalition auf: Lassen Sie uns bitte auch Verbesserungen
vornehmen!
({13})
Sie sind notwendig; wir sollten sie nicht scheuen . Trotzdem müssen wir vor dem Sommer zum Abschluss kommen . Das brauchen insbesondere die Länder, und dann
werden die schon mitziehen .
Schönen Dank .
({14})
Ralph Brinkhaus ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die nächsten Minuten nutzen, um einige Irrtümer auszuräumen, um einige kritische Anmerkungen zu machen
und um insbesondere über das parlamentarische Verfahren zu sprechen .
({0})
Es ist ja, meine Damen und Herren, ein parlamentarisches Verfahren mit erster Lesung, mit Anhörungen,
mit Ausschussberatungen und einer zweiten und dritten
Lesung . Und an die Adresse des Bundesrates gerichtet
sage ich: Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Verfassungsorgan .
({1})
Gesetze werden, meine Damen und Herren, immer noch
im Deutschen Bundestag erarbeitet und nicht in irgendwelchen Nachtsitzungen von irgendwelchen Ministerpräsidenten . Und da ist es auch völlig egal, ob da 16 : 0
oder 15 : 1 entschieden wird . Gesetze werden hier gemacht! Das schreiben Sie sich bitte ins Gebetbuch .
({2})
Herr Kollege Brinkhaus, darf die Kollegin Haßelmann
eine Zwischenfrage stellen?
Die Kollegin Haßelmann kann gerne eine Zwischenfrage stellen . - Das ist aber schon früh, Frau Kollegin .
({0})
Ich habe gerade erst angefangen .
Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, auch
Herr Brinkhaus, dass Sie meine frühzeitige Zwischenfrage zulassen .
Bei Ihren Ausführungen gerade haben Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen geklatscht . In diesen
ging es ja darum, nochmals ins rechte Licht sowohl hinsichtlich der Kammer des Bundesrates als auch dieser
Kammer, nämlich des Bundestags, des Parlaments, zu rücken, wo eigentlich gewählte Vertreterinnen und Vertreter sitzen; und da nahmen Sie eine Einordnung vor, was
die Ministerpräsidentenkonferenz eigentlich ist und welche Entwicklung sich dort inzwischen vollzogen hat . Wir
tun ja inzwischen öffentlich so, als wäre das eine dritte
Kammer . Aber zugleich bat Herr Schäuble am Ende seiner Ausführungen ja darum, dass wir als Parlament bitte
nichts mehr ändern sollten, weil das den Vorgang verkomplizieren würde .
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
ich habe gerade auch geklatscht, meine aber - und deshalb frage ich Sie, Herr Brinkhaus -, dass Sie das dann
auch ernst nehmen und als Koalition und als Bundesregierung entsprechend handeln sollten . Ich sehe jedoch
zwischen der Kritik, die Sie gerade geäußert haben - der
auch wir zustimmen -, und dem Handeln der Bundesregierung und der Großen Koalition einen erheblichen
Dissens .
({0})
Denn Sie nutzen bei jeder grundsätzlichen Problematik,
die Sie in dieser Koalition haben, die Ministerpräsidentenkonferenz als vorgeschaltetes Gremium .
({1})
Dann gibt es dort eine Problembeschreibung . Dann gibt
es dort eine Einigung . Und dann kommt ein Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag, dem wir am Ende nur
noch zustimmen sollen . Ich könnte ihnen etliche Beispiele nennen .
Da Reden und Handeln weit auseinanderklaffen, lautet meine Frage: Können wir jetzt damit rechnen, dass
Schluss ist mit diesem Prinzip?
({2})
Frau Kollegin, zwei Anmerkungen . Erstens . Ich habe
noch keinen Minister kennengelernt, der mehr für die
Parlamentsrechte eintritt als Wolfgang Schäuble . Insofern müssen Sie etwas missverstanden haben .
({0})
Die zweite Bemerkung bezieht sich auf Ihren Satz, wir
benutzten die Ministerpräsidentenkonferenz . Ich glaube,
die Ministerpräsidentenkonferenz würde sich dagegen
verwahren, benutzt zu werden, und zwar insbesondere
vom Bundestag und von der Bundesregierung . Insofern
sind Ihre Anmerkungen da nicht zielführend . - Herzlichen Dank .
({1})
Reden wir einmal über das, was hier und heute zu regeln ist . Es geht um 725 Milliarden Euro Steuergelder .
Diese Steuergelder werden erst einmal aufgeteilt zwischen dem Bund und den 16 Ländern, um dann innerhalb
der 16 Länder aufgeteilt zu werden . Das Verfahren, das
sich in den letzten Jahrzehnten dazu entwickelt hat, ist
so kompliziert, dass ich behaupte, dass es keine 20 Leute in Deutschland verstehen . Es wäre eigentlich unsere
Aufgabe gewesen, dieses Verfahren transparenter zu machen . Wir müssen dieses Verfahren anpacken, weil die
Geltungsdauer bestimmter gesetzlicher Regelungen nach
2019 nicht mehr verlängert wird .
Jetzt könnten Sie fragen: Wo bleiben eigentlich, da
Herr Brinkhaus jetzt vom Bund und von den Ländern redet, die Kommunen? Damit sind wir beim ersten Irrtum,
dem sowohl der Kollege Schneider als auch die Kollegin Hajduk aufgesessen sind . Es ist nämlich so, dass die
Kommunen Bestandteil der Länder sind . Das heißt, für
eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen
sind die Länder zuständig .
({2})
Wenn immer wieder gesagt wird, dass hier in Berlin
irgendetwas entschieden wird, was die Kommunen belastet, dann ist dazu festzustellen, dass das leider richtig
ist . Aber bei diesen Entscheidungen sitzen die Länder
durch den Bundesrat immer mit am Tisch . Es gibt zwei
Möglichkeiten, darauf zu reagieren, wenn die Kommunen mit ihren Aufgaben nicht mehr klarkommen . Dass
die Kommunen eine angemessene Finanzausstattung
bekommen, ist die erste Möglichkeit . Die zweite Möglichkeit ist: Wenn die Länder das nicht schaffen, dann
müssen sie hier ein Veto gegen die entsprechenden Gesetzentwürfe einlegen .
Die Mischfinanzierungen, die Sie, Frau Hajduk und
Herr Schneider, immer fordern, sind Gift für den Föderalismus und sind Gift für die Demokratie, weil am Ende
des Tages die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar sind .
Was ist denn, wenn eine Schule kaputt ist? Wer ist denn
dafür verantwortlich? Die Kommune, das Land oder der
Bund?
({3})
Wie soll denn der Bürger eine Entscheidung treffen,
wenn er will, dass es in eine bestimmte Richtung geht?
({4})
Deswegen kann ich Ihnen nur eines sagen: Das Kooperationsverbot ist grundsätzlich richtig, und Mischfinanzierungen sind Gift für unsere Demokratie und Gift
für unseren Staat . Deswegen sollten wir uns überlegen,
wie sich die Mischfinanzierungen verringern lassen, und
nicht darüber nachdenken, wie sie sich vermehren lassen .
({5})
Zweiter Irrtum . Es wird immer wieder gesagt, dass
der Bund vor Steuereinnahmen nur so überquillt, während Länder und Kommunen nicht genug haben . Ja, wir
als Bund haben mehr Steuereinnahmen . Aber ich weiß
nicht, ob jeder hier im Haus weiß: Von 1 Euro Einkommensteuereinnahmen gehen nur 42,5 Cent an den Bund
und 57,5 Cent an die Länder und die Kommunen . Das
heißt, wenn wir als Bund mehr Steuereinnahmen haben,
dann haben auch die Länder und die Kommunen gemeinschaftlich mehr Steuereinnahmen; auch das muss an
dieser Stelle klar gesagt werden . Deswegen ist auch die
Verschuldung des Bundes höher als die Verschuldung der
Länder und Kommunen . Dementsprechend haben wir
auch weniger Spielräume .
Meine Damen und Herren, wir haben trotzdem etwas
für die Kommunen und die Länder gemacht, weil wir
gesehen haben, dass bestimmte Bundesländer es einfach
nicht geregelt bekommen und dass das zulasten der Bürger geht .
({6})
Das Entlastungsvolumen belief sich in dieser Legislaturperiode - ohne den Ersatz der Kosten für Migration und
Flüchtlinge - auf mehr als 80 Milliarden Euro: Grundsicherung im Alter, Kitaausbau, Kitabetriebskosten,
BAföG-Übernahme, Investitionszuschüsse und viele andere Dinge . Wir hätten das nicht machen müssen, aber
wir haben es gemacht, weil die Bundesländer in ihrer
Aufgabenerfüllung an dieser Stelle versagt haben .
({7})
Meine Damen und Herren, wir werden zwei Pakete
beschließen - vielleicht auch mit einigen Änderungen -:
ein Finanzpaket und ein Paket mit strukturellen Verbesserungen .
Das Finanzpaket kostet uns - der Bundesfinanzminister hat das bereits erläutert - 10 Milliarden Euro . Dieses
Finanzpaket ist aus mehreren Gründen durchaus kritisch
zu beleuchten .
Der erste Punkt ist: Diese 10 Milliarden Euro tun uns
weh . Diese wachsen übrigens auf 13 Milliarden Euro und
mehr auf . Diese 10 Milliarden Euro tun uns deswegen
weh, weil die finanzielle Situation, die wir momentan haben, nicht immer so bleibt . Wir stehen vor erheblichen
Risiken auf der Einnahmenseite - Stichwort: wirtschaftliche Entwicklung -, aber auch auf der Ausgabenseite:
innere Sicherheit, äußere Sicherheit, Migration, Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme . Wenn wir so
weitermachen, dass wir unser Bundesgeld an die Länder und Kommunen geben, dann haben wir bald keine
Handlungsspielräume mehr, dann können wir keine produktiven Ausgaben mehr tätigen, dann können wir nicht
mehr gestalten, sondern wir sind dann nur noch damit
beschäftigt, unser Geld an die Länder und Kommunen
weiterzuleiten und Pflichtaufgaben zu erfüllen. Das sollte
nicht so sein .
({8})
Zweiter Kritikpunkt - das hat Frau Hajduk sehr gut
ausgeführt; vielen Dank dafür - ist die Entsolidarisierung
der Länder . Das heißt, was momentan mit diesem Paket
passiert, ist, dass für die unterschiedliche Finanzkraft
der Länder zunehmend der Bund verantwortlich ist und
nicht mehr die Solidargemeinschaft der Länder . Darüber mag sich Bayern freuen - Bayern spart 1 Milliarde
Euro -, aber Länder wie Berlin werden zum Kostgänger
des Bundes . Ob das mit einem selbstbewussten föderalen
System zu vereinbaren ist, ist eine Frage, die diese Länder selber beantworten müssen .
({9})
Der dritte Kritikpunkt, der mich dräut, ist, dass wir, um
dieses alles möglich zu machen, umfangreiche Grundgesetzänderungen vornehmen müssen . Das Grundgesetz
war für mich eigentlich immer etwas Heiliges, das man
nur im äußersten Notfall anpackt .
({10})
Die Tatsache, dass wir jetzt so mir nichts, dir nichts, um
irgendwelchen Bundesländern finanzielle Vorteile zu
verschaffen, umfangreich in das Grundgesetz eingreifen, kann uns auch nicht zufriedenstellen . Auch darüber
müssen wir im Laufe des parlamentarischen Verfahrens
reden .
({11})
Wir müssen uns zumindest aber ausreichend Zeit nehmen, diese Grundgesetzänderungen ordentlich zu beraten, und dürfen das Ganze jetzt nicht im Schnellverfahren
durchziehen .
({12})
Ganz kurz noch zu dem Strukturpaket: Es geht nicht
nur um das Geld, sondern wir wissen alle - wir alle sind
Freunde des Föderalismus -, dass der Föderalismus
knirscht und kracht und dass es Verbesserungen geben
muss, nicht nur im Bereich des Fernstraßenbaus, sondern auch im Bereich der Digitalisierung der Steuerverwaltung . Deswegen haben wir strukturelle Maßnahmen
und Veränderungen auf den Weg gebracht . Davon waren
die Bundesländer nicht sonderlich begeistert, aber wer
10 Milliarden Euro haben will, muss an anderer Stelle
Zugeständnisse machen . Deswegen ist es auch überhaupt
nicht akzeptabel, dass der Bundesrat in seiner ersten
Stellungnahme das Geld nimmt, aber die strukturellen
Zugeständnisse wieder infrage stellt . So haben wir nicht
gewettet, und so wird dieses parlamentarische Verfahren
auch nicht laufen, meine Damen und Herren . Das geht
so nicht .
({13})
Insgesamt gesehen muss man sich den Worten einiger Vorredner anschließen . Wir werden mit diesem Paket
über die nächsten Jahre kommen, die Bundesländer besser als der Bund; das ist überhaupt keine Frage . Aber die
grundlegende Frage, wie ein moderner Föderalismus im
21 . Jahrhundert in einer europäisierten und globalisierten
Welt aussehen muss, haben wir immer noch nicht beantwortet . Das müssen wir aber tun; denn ansonsten wird
der Föderalismus mittelfristig scheitern .
Danke schön .
({14})
Gesine Lötzsch erhält nun das Wort für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir haben hier heute die erste Lesung eines umfangreichen Gesetzespaketes . Bei meinem
Kollegen Dietmar Bartsch kamen Zwischenrufe, und es
wurde gefragt, wer alles zugestimmt habe . Ich glaube, wir
müssen hier einmal über unser Selbstverständnis reden .
Wir sind der Deutsche Bundestag, wir haben die Aufgabe, über das Gesetz im Detail zu beraten, und Dietmar
Bartsch hat sehr deutlich gemacht, dass es grundlegende
Verbesserungen geben muss . Dafür werden wir uns auch
hier im Parlament einsetzen .
({0})
Wir haben bekanntermaßen im Haushaltsausschuss
drei umfangreiche Anhörungen geplant, und eine Anzahl
weiterer Ausschüsse wird sich mit diesem Gesetzespaket
zu beschäftigen haben . Darum müssen die Ungerechtigkeiten, die hier schon benannt worden sind, insbesondere
die Privatisierungsversuche, eindeutig gestoppt werden .
({1})
Zuerst einmal etwas Positives, eine gute Nachricht:
Eine alte Forderung, die auch von den Linken immer
wieder erhoben wurde, wird nun umgesetzt . Alleinerziehende Elternteile - in der übergroßen Mehrzahl sind das
Frauen, alleinerziehende Mütter -, die keinen Unterhalt
bekommen, können ein bisschen aufatmen .
({2})
- Ja, bitte Beifall, danke .
({3})
Bekanntlich sind alleinerziehende Mütter besonders häufig von Armut bedroht, und wir unterstützen deshalb diese Regelung .
Es war mir sowieso schon immer ein großes Rätsel,
wie die Mehrheit in diesem Hause übersehen konnte,
dass Kinder auch nach dem zwölften Lebensjahr eine
Menge Geld brauchen . Gerade in der Pubertät wechselt
die Schuhgröße manchmal von einem Tag zum anderen,
weil die Füße größer werden . Da muss geholfen werden .
Wir brauchen wirksame Regelungen gegen Kinderarmut .
Das kann nur der erste Schritt sein . Wir werden uns im
Wahlkampf sehr deutlich mit dem Thema Kinderarmut
auseinandersetzen, meine Damen und Herren .
({4})
Nun die schlechte Nachricht: Union und SPD - so ist
es hier zumindest einmal vorgeschlagen worden; aber ich
höre auch sehr viel Kritik aus der Fraktion der SPD, auch
von der Union - wollen durch die Hintertür die Autobahnen verscherbeln . Sie selbst bestreiten das zwar - auch
Herr Schäuble hat versucht, das mit schönen Wortgirlanden zu umschreiben -,
({5})
aber selbst der Rechnungshof, der ja eine von uns allen hochgeachtete Institution ist, hat geschrieben, dass
es hier um eine funktionelle Privatisierung geht . Dem,
meine Damen und Herren, müssen wir uns alle entgegenstellen .
({6})
Denn der Einfluss von Bundestag und Bundesregierung
wird, wenn das so umgesetzt wird, gegen null gehen, und
der Rechnungshof wird auch nicht mehr kontrollieren
dürfen . Was in dieser Gesetzesvorlage geplant ist, ist eine
Lizenz zum Gelddrucken, und zwar für Versicherungsfonds und Banken, und das machen wir nicht mit, meine
Damen und Herren .
({7})
Wenn sich die Menschen dann über steigende Mautgebühren beschweren werden, werden Sie sagen: Dafür
sind wir nicht mehr zuständig . - Das können wir nicht
akzeptieren, zumal wir in unserem Nachbarland Frankreich sehen, wie das funktioniert . In Frankreich ist es
nämlich so: Da teilen sich drei Konzerne die Mauteinnahmen und realisieren eine Umsatzrendite von 20 bis
24 Prozent . Das sind Renditen, die wir noch von Herrn
Ackermann und der Deutschen Bank kennen . Das ging
nur auf dem Rücken der Beschäftigten und der Steuerzahler . Diese Zeiten müssten ein für alle Mal vorbei sein,
meine Damen und Herren .
({8})
Ich will nur daran erinnern - die Idee ist ja nicht neu -:
Schon 2015 hat sich die sogenannte Gabriel-Kommission mit der zukünftigen Finanzierung der Autobahnen
beschäftigt und vorgeschlagen, „mit attraktiven Investitionsangeboten kapitalkräftige Versicherungen und Pensionsfonds als Investoren“ zu gewinnen. Das darf nicht
geschehen, meine Damen und Herren . Herr Gabriel hat ja
nun ein anderes Aufgabenfeld; also sollte man das auch
ad acta legen .
({9})
Abschließend ist die Frage zu beantworten - auch
Kollegin Hajduk ist schon darauf eingegangen -, ob die
Finanzverteilung zwischen den Ländern nun gerechter
wird . Das ist mitnichten so . Die reichen Länder haben
sich aus der Solidarität verabschiedet, und bei der Verteilung sehen wir das genau - auf die Studie von Thomas
Lenk, Professor für Finanzwissenschaft in Leipzig, ist
Frau Hajduk ebenfalls schon eingegangen -: Die Länder
werden im Durchschnitt 234 Euro pro Einwohner mehr
bekommen; in Bayern werden es 271 Euro sein und in
Brandenburg nur 134 Euro . - Gerechtigkeit sieht anders
aus, meine Damen und Herren!
Die Linke wird für eine Veränderung dieses Gesetzespaketes kämpfen .
({10})
Angesichts der vielen Zwischenrufe, die ich hier gehört
habe, und der vielen unterschiedlichen Diskussionsbeiträge bin ich guter Hoffnung, dass es uns auch gelingen
wird, zu Verbesserungen zu kommen .
Herzlichen Dank .
({11})
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Johannes Kahrs .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben hier eine Debatte, in der - das hat
sich eben schon in den Beiträgen der Kollegen gezeigt die Opposition relativ wenig Opposition war, weil auch
Ministerpräsidenten wie Ramelow und Kretschmann zugestimmt haben .
({0})
Die schärfste Kritik dagegen kam von Ralph Brinkhaus
und Carsten Schneider . Man muss einfach einmal sagen:
Das gibt es relativ selten im Deutschen Bundestag .
Wenn man sich den Grund dafür anschaut, erkennt
man: Er liegt darin, dass eine Zustimmungsrate von
16 : 0 nirgendwo im Grundgesetz verankert ist . Eine solche Zustimmungsrate wäre Ausdruck einer neuen Regierungsform in diesem Land, und die Frage ist, ob man das
will .
Hier hat bisher nur die Exekutive mit der Exekutive
verhandelt . Hier haben die Länder mit der Bundesregierung verhandelt . Jetzt wird erwartet, dass der Deutsche
Bundestag dem Ergebnis zustimmt - am besten ganz
schnell, am besten ohne Anhörung und am besten eben
so, dass es keiner groß merkt . Ich glaube, das geht nicht .
({1})
Wir sind Bundestagsabgeordnete, wir haben ein Selbstverständnis, und das, was da bisher gelaufen ist, geht
überhaupt nicht .
Es gilt immer noch das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetzentwurf wird den Bundestag so verlassen, wie er in
den Bundestag hineingekommen ist . - Wir haben das ja
heute schon mehrfach gehört . Das halte ich für richtig,
und das halte ich für gut . Ich glaube, dass es nicht angehen kann, dass sich die Länder hier mit einem Stimmenverhältnis von 16 : 0 auf Kosten des Bundes durchsetzen
und dass der Deutsche Bundestag dem sang- und klanglos zustimmt .
Wenn man sich das in der Sache einmal anschaut,
dann kann man sich über Feinheiten streiten . Der Kollege
Brinkhaus hat gegen die Eingrenzung des Kooperationsverbotes gewettert . Das hat er schon immer getan; daher
ist er sich darin treu geblieben . Die Grünen haben uns gemahnt, es nun aufzuheben . Man muss aber auch einmal
sagen, dass es der grüne Ministerpräsident Kretschmann
war, der in einer Protokollnotiz am härtesten von 16 Ministerpräsidenten gegen die Aufweichung des Kooperationsverbotes vorgegangen ist .
({2})
Da muss man sich als Grüner doch einfach einmal fragen, warum man hier entsprechend predigt, aber der eigene Ministerpräsident das genaue Gegenteil tut .
({3})
Es gibt den Wunsch nach eine Zwischenfrage, Herr
Präsident .
Ja, ich habe es gesehen. Ganz offenkundig haben Sie
darauf gewartet .
({0})
Bitte schön, Frau Haßelmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . Vielen Dank auch, Herr
Kahrs, dass Sie die Frage zulassen . - Um keinen falschen
Eindruck entstehen zu lassen: Ich spreche mich mit Herrn
Kahrs nicht ab .
Ich habe eine Frage zu dem, was Sie gerade gesagt haben . Herr Kahrs, der Neuigkeitswert Ihrer Aussage geht
doch gen null . Dass Herr Kretschmann dazu eine andere
Position hat als die grüne Bundestagsfraktion
({0})
und sehr viele andere grün-regierte Länder, ist hinreichend bekannt, und zwar seit Jahrzehnten, lange vor diesen Vereinbarungen .
Wenn Sie dieses Prinzip gern als Maßstab anlegen,
dann muss ich sagen: Uns ist durch öffentliche Einlassungen auch bekannt, dass sich Ihr neuer Spitzenkandidat Schulz öffentlich massiv gegen die Managergehälter
positioniert, wie wir Grünen dies ebenfalls tun, gleichzeitig aber die Vertreter der Regierung in Niedersachsen - das gilt für die CDU/FDP-Koalition als auch für
die SPD; ich nenne hier die Ministerpräsidenten Wulff
und Weil - für alle entsprechenden Regelungen bei VW
gestimmt haben . So ist es manchmal im Leben, und ich
denke, es ist wichtig, dass unsere grüne Fraktion ihre Position deutlich macht .
({1})
Jetzt habe ich das Problem, Frau Kollegin - und ich
bedaure das, weil Sie eine so erfahrene Kollegin sind -,
dass die Frage gefehlt hat . Eigentlich ist es ja so üblich,
dass man eine Frage stellt und so lange stehen bleibt, bis
man eine Antwort bekommt .
({0})
Wenn man aber keine Frage stellt, sondern ein Statement
bringt, dann habe ich jetzt ein Problem .
Ich finde es natürlich gut, dass Sie noch einmal betont
haben, dass der grüne Ministerpräsident Kretschmann
dagegen ist, dass der Bund Geld gibt, um Schulen zu
finanzieren. Dass Sie noch einmal unterstreichen, dass
Sie das anders sehen, finde ich okay. Aber damit dürfte
auch bei den Letzten die Nachricht angekommen sein,
dass sich die Grünen nicht einig sind . - Vielen Dank . Sie
dürfen sich setzen .
({1})
Im Ergebnis ist es aber so, dass neben diesem Punkt
auch andere Punkte enthalten sind . Das Thema Unterhaltsvorschuss ist bereits erwähnt worden . Ich danke
Manuela Schwesig für ihren monatelangen Kampf . Das
war nicht ganz einfach; wir wissen das . Daher freuen wir
uns, dass du dich dort durchgesetzt hast .
({2})
Im Ergebnis, denke ich, ist es nämlich so, dass gerade
den Alleinerziehenden, über die viel geredet wird, die
aber manchmal ziemlich allein sind, geholfen wird . Das
ist eines der guten Dinge .
({3})
Was schwierig ist, ist allerdings, dass wir 13 Grundgesetzänderungen haben . Wir haben alle hart darum
gerungen, dass wir sechs Anhörungen in drei Tagen
durchführen können . Wir müssen im März sehr genau
prüfen, inwieweit wir das, was es an Diskussions- bzw .
Beratungsbedarf gibt, in diesen drei Sitzungen behandeln
können . Ich bin den Kollegen der CDU/CSU sehr dankbar, dass wir das gemeinsam so beschlossen haben . Das
ist nicht einfach . Aber ich denke, es kann nicht angehen,
dass zwischen Ministerpräsidenten und Bundesregierung jahrelang diskutiert wird und wir das hier einfach
durchwinken . Für mich ist das nicht akzeptabel . Deshalb
meine ich, dass man sich das im Ergebnis genau anschauen muss .
Es gibt nämlich Dinge, von denen ich auch persönlich denke, dass man noch etwas ändern muss . Das sind
beispielsweise die Rechte des Bundesrechnungshofes . Er
hat eine wichtige Aufgabe . Wenn wir die Stärkung seiner
Rechte gemeinsam durchsetzen können, würde mich das
jedenfalls sehr freuen .
({4})
Ich denke auch, dass die Rechte des Bundes mit Blick
auf die Steuerverwaltung gestärkt werden müssen .
({5})
Ich bin immer ein großer Fan einer einheitlichen Bundessteuerverwaltung gewesen, und ich denke, dass dieser
Wirrwarr mit den Ländern aufhören muss . Wenn wir das
schon nicht komplett schaffen, muss es zumindest stärkere Kontrollrechte des Bundes geben, damit in allen Ländern gleiches Recht existiert .
Außerdem müssen wir uns das Thema der Bundesfernstraßengesellschaft noch einmal genau anschauen .
({6})
Ich bin dem Bundesminister der Finanzen sehr dankbar,
dass er eben gesagt hat, dass diese neue Gesellschaft
nicht kreditfähig sein wird .
({7})
Wir Haushälter hatten große Angst, dass hier das Problem von Schattenhaushalten entsteht . Das kann und darf
so nicht sein .
({8})
Gleichzeitig glauben wir aber nicht, dass eine GmbH
die richtige Lösung wäre, um hier um die Kurve zu kommen .
({9})
Wir haben das anderswo erlebt . Wenn man den Bericht
des Bundesrechnungshofes liest, dann stellt man fest,
dass nach wenigen Jahren die Rechtsform in Richtung
Aktiengesellschaft geändert werden kann . Das haben wir
bei der Deutschen Bahn erlebt . Jeder, der erklärt, dass
die Deutsche Bahn ein wunderbares Instrument ist, um
irgendetwas effizient und vernünftig zu organisieren,
der möge das doch einfach einmal täglich ausprobieren .
Dann kommt er vielleicht zu anderen Ergebnissen . Ich
persönlich halte eine Anstalt des öffentlichen Rechts für
die richtige Rechtsform .
({10})
Ich glaube, dass wir hier kein Geldproblem haben,
sondern ein Organisationsproblem . Wenn es denn dann
so sein sollte, dass die Länder zustimmen, dass das
Ganze auf Bundesebene stattfindet, dann müssen wir
auch dafür sorgen, dass es funktioniert . Nur weil es eine
Bundesverwaltung wird, heißt das nicht, dass sie besser
funktioniert . Ich könnte jetzt über die Wasserstraßenund Schifffahrtsverwaltung des Bundes sprechen. Es gibt
also bestimmte Gesellschaften des Bundes, bei denen das
nicht so toll funktioniert . Bei der Bundeswehr erleben
wir das auch ab und an .
Im Ergebnis ist es so, dass wir hier eine Anstalt öffentlichen Rechts brauchen . Ich glaube, diese sollte nicht
kreditfähig sein . Da müssen wir ganz klar aufpassen und
alle gemeinsam darauf achten, dass nachher nicht über
die Hintertür eine Privatisierung dieser Bundesautobahnen stattfindet mit dem Ergebnis, dass die beteiligten Firmen dann wie in Frankreich Renditen von 22 bis 27 Prozent haben . Das kann nicht das Interesse des Deutschen
Bundestages, des Steuerzahlers
({11})
und in diesem Fall auch des Autofahrers sein, der dies
dann über eine neu geschaffene Pkw-Maut langfristig
zahlen wird .
Vielen Dank .
({12})
Das Wort erhält nun die Kollegin Valerie Wilms für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Kahrs, das Spezialthema Autobahngesellschaft, das Sie angesprochen haben,
würde ich gerne mit Ihnen noch einmal behandeln; denn
im Straßenbau - da sind wir uns, glaube ich, alle einig läuft einiges schief .
({0})
Wir schaffen es einfach nicht, Straßen und Brücken
vernünftig zu erhalten . Erst fehlt jahrelang das Geld,
dann stecken wir Milliarden rein, und am Ende gelingt es
nicht, dieses Geld auszugeben . Wir verhaken uns in den
Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern . Der Bund
stellt die goldene Kreditkarte bereit, die Länder sollen
das Geld ausgeben . So eine Trennung in den Verantwortlichkeiten geht immer schief . Das heutige System der
Auftragsverwaltung funktioniert nicht oder zumindest
nicht so, wie das die Bürgerinnen und Bürger von uns
erwarten . Da muss eine Reform her .
Jetzt steht die Frage im Raum, ob die geplante Autobahngesellschaft die Probleme lösen kann . So eine Reform bringt nur etwas, wenn die Organisation damit tatsächlich effizienter wird und die Verantwortlichkeiten in
einer Hand liegen . Ich glaube, Herr Kahrs, da liegen wir
nicht weit auseinander . Wenn es andere Absichten gibt,
bekommen wir früher oder später massive Probleme . Die
Zeiten neoliberaler Privatisierungsorgien - da schaue ich
einmal zum Finanzminister - müssen ein für alle Mal
vorbei sein .
({1})
Öffentliches Eigentum darf schlicht und ergreifend
nicht verschleudert werden .
({2})
Die Straßen gehören allen . Dafür muss die Politik dauerhaft sorgen . Deswegen muss der Gesetzgeber hier ganz
klar sein: Keine Privatisierung zu keinem Zeitpunkt!
Punkt, aus, vorbei!
({3})
Alles, was eine Hintertür öffnet, müssen wir ausschließen. Trickreiche Konstruktionen für öffentlich-private
Partnerschaften brauchen wir einfach nicht mehr .
({4})
Auch irgendwelche Anlagemodelle für die Versicherungswirtschaft haben hier nichts verloren; denn im
Straßenbau fehlt nicht in erster Linie Geld . Was uns aber
fehlt, sind: erstens eine effiziente Organisation mit eindeutigen Verantwortlichkeiten
({5})
und zweitens die Bereitschaft der Politik, das Anlagevermögen des Staates endlich einmal vernünftig zu bilanzieren . Das haben wir bis heute noch nicht getan .
Werte Kolleginnen und Kollegen, da es um Geld geht,
kann ich gleich zum nächsten Punkt kommen: zu der
Kreditfähigkeit . Hier gibt es zwei Dinge, auf die wir achten müssen . Erstens . Wenn sich die Autobahngesellschaft
verschulden kann, dann kann damit die Schuldenbremse
umgangen werden . Das wollen wir eindeutig nicht .
({6})
Zweitens . Wenn die Gesellschaft Kredite ohne Staatsgarantie aufnimmt, dann wird es teurer, weil sie höhere
Zinsen zahlt als der Staat . Auch daran haben wir kein Interesse .
({7})
Ich habe mit Interesse vernommen, was Herr Schäuble
heute gesagt hat . Er war in der Vergangenheit trotz vieler Nachfragen von mir oder von Kollegen noch nie so
eindeutig . Schauen wir einmal, ob er es auch durchhält .
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe die
Skepsis vieler gegenüber einer Autobahngesellschaft . Es
wurde in der Vergangenheit viel Murks bei der Auslagerung von staatlichen Aufgaben gemacht . Ganz wichtig
sind deswegen sinnvolle und wirksame demokratische
Kontrolle und Transparenz .
({8})
Wir brauchen keine Straßenbaumaschine, die wild
drauflosbaut. Die Politik muss klare Ziele vorgeben und
damit wirksam steuern. Wir müssen effektiv kontrollieren können, dass die Ziele umgesetzt werden und was
mit Maut und Steuergeld gemacht werden . Wir kennen
die Probleme bei ÖPPs und bei der Bahn . Daraus müssen
wir lernen, und deswegen schließen wir Grüne eine Aktiengesellschaft ein für alle Mal aus .
({9})
Werte Kolleginnen und Kollegen, der Entwurf der
Bundesregierung hinterlässt noch einige Fragezeichen .
Wo es an Klarheit mangelt, müssen wir jetzt als Parlament ran . Das ist üblich . Der Bundesrat hat einige interessante Vorschläge gemacht .
Die können Sie, Frau Kollegin, jetzt aber nicht mehr
erläutern .
Die sollten wir uns bei den Fachberatungen einmal genau ansehen . - Herr Präsident, damit bin ich auch schon
am Ende .
({0})
Wie schön, ich bedanke mich . - Norbert Brackmann
ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung die Abschaffung des klassischen Länderfinanzausgleichs. Der
erste Eindruck ist: Eine Änderung des Grundgesetzes an
13 Stellen ist nicht unbedingt hilfreich, wenn man den
Menschen Politik erklären will . Wir sind aber gehalten,
den Menschen Politik zu erklären, damit sie sie begreifen können . Dazu gehört auch, dass man das transparent
macht, was man durchsetzen will .
Es ist der Eindruck entstanden, als ginge es darum,
dass die Länder kein Geld mehr hätten, um ihre Aufgaben zu erfüllen, und dass der Bund dort helfen müsse . Das blendet aber aus, dass die Länder im Jahr 2015
2,8 Milliarden Euro und im Jahr 2016 8,6 Milliarden
Euro Überschuss gemacht haben . 14 von 16 Ländern haben das Geld genommen, um Schulden zu tilgen, aber
nicht, um die viel beschworenen Aufgaben, die auch
heute Morgen wieder diskutiert wurden, in Angriff zu
nehmen, wie zum Beispiel Schulen sanieren oder andere
wichtige Landesaufgaben .
Es geht uns doch ein Stück Transparenz verloren,
wenn wir mit der Aufhebung des Kooperationsverbotes
diesen Weg der Verschleierung weitergehen würden . Solange wir keine klaren Verantwortlichkeiten haben, solange wir nicht wissen, wer wofür zuständig ist, so lange
werden wir nur provozieren, dass es weitergeht in diesem
16 : 0 - oder 16 : 1-Ränkespiel .
Am Ende werden wir auch für die kaputten Toiletten
in den Kommunen verantwortlich gemacht . Es geht dann
nicht mehr um die Frage: „Haben wir die Fähigkeit, irgendwo etwas mitzufinanzieren?“, sondern um die Frage:
Haben wir in Wirklichkeit die Zuständigkeit, und werden
wir für jedes Defizit in jedem Dorf in ganz Deutschland
als Bund künftig verantwortlich gemacht?
Dieser Punkt spielt schon eine Rolle . Insofern reden
wir nicht erst, seit wir die heute zu beratende Vorlage auf
dem Tisch haben, über 16 : 0; dieser Eindruck verbreitet
sich auch in den Medien . Was die Menschen am wenigsDr. Valerie Wilms
ten brauchen, ist, dass wir uns immer über Zuständigkeiten streiten . Die Menschen wollen, dass wir endlich ihre
Probleme anpacken und auch lösen . Und da ist es dann
auch wieder wichtig, darüber zu diskutieren, wie wir das
angehen .
Nehmen wir das Beispiel der Autobahngesellschaft:
Da streiten wir uns darum, wie wir es im Einzelnen ausgestalten . Klar ist aber, dass es hier nicht um eine Frage
der Kooperation geht . Wir sind - Carsten Schneider hat
es angesprochen - für gleichwertige Lebensverhältnisse
zuständig . Aber schon heute - da geht es nicht einmal um
Kooperation, weil die Länder nach unserer Verfassung im
Rahmen der Auftragsverwaltung dafür zuständig sind gibt es vorsorglich die Aussage: Wir spielen da nicht
mehr mit . - Einzelne Länder sagen: Wir haben da ja noch
einen zweiten Finanzausgleich . - Es geht also nicht nur
um den Finanzausgleich, über den wir hier reden . Denn
die Länder sparen bei Investitionen in Autobahnen und
Bundesstraßen im Schnitt auch noch 15 Prozent der Investitionskosten, weil sie die Planungskosten nicht mehr
aufbringen müssen . Das sind für das Jahr 2016 noch einmal über 200 Millionen Euro, und das muss man einmal
hochrechnen . Das ist heute schon Anreiz für manch ein
Land, einfach zu sagen: Wir stellen die Arbeit ein .
Als Beleg will ich einmal ein wörtliches Zitat nehmen - 9 . Februar, Verkehrsminister Meyer, Schleswig-Holstein -:
„Mit Blick auf die Infrastrukturgesellschaft Verkehr,
die künftig für die Bundesautobahnen und damit
auch für die neue Teilanschlussstelle bei Hamberge
zuständig sein wird, wurden die Planungsaktivitäten für die Anschlussstelle erst einmal zurückgestellt“, erklärte der Minister. Das Land werde keine
finanziellen Ressourcen für ein Projekt einsetzen,
dass demnächst in der alleinigen Verantwortung des
Bundes liege .
Das heißt, da gibt es heute schon - entgegen unserer
Verfassung, entgegen den Zuständigkeiten - Arbeitsverweigerung, also eine Verweigerung, die eigene Arbeit zu
machen . Die Erklärung dafür, dass beim Lärmschutz an
Straßen schon heute die Arbeit eingestellt wird, ist die
Aussicht auf schnöden Mammon in der Zukunft . So kann
keine Reform gelingen, meine sehr verehrten Damen und
Herren .
({0})
Ich erteile der Kollegin Bettina Hagedorn für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Auch ich möchte ausführlich auf das hier schon häufig
angesprochene Thema der neu zu gründenden Infrastrukturgesellschaft des Bundes für die Autobahnen eingehen .
Aber eine Bemerkung sei mir vorab gestattet .
Es ist ja so, dass heute nicht nur wir Politiker sagen,
sondern auch in den Medien zu lesen ist: Ein großes Problem - übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in der
ganzen Welt - und eine bedeutende Ursache von Frust
bei den Menschen ist die Tatsache, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht .
({0})
Hier ist schon gesagt worden - es stimmt, und ich will es
unterstreichen -: Wenn dieses Gesetz, auch in veränderter Form, vom Deutschen Bundestag beschlossen wird
und die Verfassung geändert wird, dann werden wir dazu
beitragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich
({1})
bezogen auf die Bundesländer in Deutschland immer
weiter auseinandergeht . Damit würden wir einen Beitrag
dazu leisten, dass das, was in unserer Verfassung steht,
dass wir nämlich für gleichwertige Lebensverhältnisse
in der Republik zu sorgen haben, immer schwieriger zu
erreichen und alleine vom Bund zu schultern sein wird .
Darum ist es nicht verwunderlich, dass quer durch alle
Fraktionen, insbesondere von den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, hier heute schon sehr viel grundsätzlich Problematisches und Negatives zu den Rahmenbedingungen dieser Reform gesagt worden ist .
({2})
Dem will ich mich ausdrücklich anschließen .
Zu der Infrastrukturplanungsgesellschaft sagt der
Bundesrechnungshof, auf den hier schon sehr oft verwiesen wurde, seit Jahren: Das muss besser werden als der
Status quo, als die Auftragsverwaltung . - Dem schließe
ich mich an . Wir können mit dem heutigen Stand nicht
zufrieden sein. Eine Entflechtung der Zuständigkeiten,
also Finanzierung, Planung und Bau in eine Hand zu legen, ist ein guter Weg . Das wäre besser, wenn es denn
gelingt . Wir müssen uns anschauen, ob man mit den Gesetzentwürfen, die hier vorgelegt wurden, diesem Ziel
gerecht werden kann .
Herr Schäuble, ich habe mit Freude gehört, dass Sie
vorhin gesagt haben, diese Gesellschaft solle nicht kreditfähig sein . Allerdings sagt der Bundesrechnungshof auch das ist zu betonen -: Im Gesetzentwurf steht das
leider nicht so drin . - Das heißt, wir müssten den Gesetzentwurf an dieser Stelle verändern .
({3})
Das Gutachten des Bundesrechnungshofs besagt ganz
eindeutig, dass in dem Gesetzentwurf drei Phasen vorgesehen sind und nur in der ersten Phase eine Kreditfähigkeit nicht vorgesehen ist . In der zweiten und dritten Phase
werde sie aber hergestellt, und die dritte Phase soll schon
2020 erreicht sein, sodass die Gesellschaft dann die Kreditfähigkeit hätte . Wenn wir das nicht wollen - und ich
habe dem Beifall vorhin entnommen, dass wir das nicht
wollen -, dann greift an dieser Stelle das Struck’sche Gesetz: Wir müssen den Gesetzentwurf ändern .
({4})
In dem vorgelegten Gesetzentwurf sind Prüfrechte
des Bundesrechnungshofs nicht vorgesehen . Auf unsere
Nachfrage hat das Bundesfinanzministerium erklärt, das
könnten wir im parlamentarischen Verfahren ändern . Das
stimmt, und ich gehe davon aus, dass wir das tun . Allerdings muss man fragen, warum diese Prüfrechte in der
Vorlage der Regierung nicht drinstehen; denn eines ist
wahr: Wenn der Bundesrechnungshof keine Prüfrechte
hat, dann haben wir Abgeordneten auch keine Chance,
im Haushaltsausschuss unserer Aufgabe der Kontrolle
und letzten Endes auch der Steuerung der Ausgabenströme - dabei geht es um Milliarden -, die wir anstreben,
gerecht zu werden . Insofern müssen wir die Prüfrechte
des Bundesrechnungshofs einfügen . Sonst entmachten
wir uns als Abgeordnete selber .
({5})
Das Stichwort „Privatisierung“ ist hier zu Recht schon
häufig genannt worden. Es ist gut, dass Sigmar Gabriel
am 24 . November 2016 durchgesetzt hat, dass neben der
einfachen Privatisierungsbremse, die mit den Stimmen
aller 16 Ministerpräsidenten am 14 . Oktober 2016 abgesegnet wurde, eine zweite Privatisierungsbremse in den
Regierungsentwurf eingefügt wurde, es also eine doppelte Privatisierungsbremse gibt . Allerdings - auch das
will ich hier deutlich sagen - ist das nichts, worauf wir
uns ausruhen können . Wir müssen an dieser Stelle dringend nachbessern, da funktionale Privatisierungen, zum
Beispiel über Netz-ÖPP, möglich sind . Der Bundesrechnungshof hat uns dazu dankenswerterweise aufgeschrieben - sehr klug -, welche Privatisierungen durch die
Hintertür es geben könnte, wenn wir den Gesetzentwurf
so belassen, wie er jetzt ist . Ich gehe davon aus, dass wir
das nicht wollen .
({6})
Der Bundesrechnungshof hat uns hinsichtlich der Gesellschaftsform darauf aufmerksam gemacht, dass wenn,
wie im Gesetzentwurf vorgesehen, jetzt eine GmbH installiert wird, eine Aktiengesellschaft nicht ausgeschlossen ist . Ich schließe mich diesbezüglich meinem Kollegen Johannes Kahrs an: Wir von der SPD-Fraktion halten
eine Anstalt öffentlichen Rechts für die richtige Form;
diese wäre aber ausgeschlossen, wenn der Gesetzentwurf
so bliebe . Ich habe nicht gehört, dass irgendjemand in
diesem Parlament die Aktiengesellschaft will . Sogar das
BMF hat gesagt, dass es die Aktiengesellschaft eigentlich
nicht will . Ich frage mich allerdings, warum sie weiterhin
im Prüfauftrag enthalten ist .
({7})
Der Bundesrechnungshof warnt uns davor . Er sagt: Liebe Parlamentarier, wenn ihr diesen Prüfauftrag nicht
streicht, kann in Zukunft ohne Parlamentsbeteiligung aus
einer GmbH eine AG entstehen . - Als Beispiel wurde die
Deutsche Bahn genannt . Niemand von uns im Parlament
will, glaube ich, ein solches intransparentes Monstrum,
das am Ende nicht mehr der parlamentarischen Steuerung und Kontrolle unterliegt . Darum müssen wir hier
etwas tun .
({8})
Wir müssen also sehr viel tun . 13 Grundgesetzänderungen werden - das ist hier schon gesagt worden - angestrebt . Liebe Gesine Lötzsch, du hast vorhin gesagt,
wir hätten drei Anhörungen . Nein, wir haben sechs Anhörungen .
({9})
Wir haben gestern beschlossen, sechs Anhörungen an
drei Tagen innerhalb von drei Wochen durchzuführen . Zu
jeder Anhörung werden wir neun Sachverständige einladen . Das heißt, wir erwarten innerhalb von drei Wochen
über 50 Gutachten, die wir alle nicht nur lesen, sondern
vor allen Dingen auch bewerten müssen . Dafür brauchen
wir Zeit. Bei einem solch umfangreichen Eingriff, wie er
hier schon vielfach beschrieben worden ist, geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit .
Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns . Ich bin
froh, heute aus allen Fraktionen gehört zu haben: Ja, diese Aufgabe nehmen wir verdammt ernst . Darum: Wenn
es eine Zustimmung zur Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit geben soll, dann - davon gehe ich aus muss der Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten verändert werden .
Vielen Dank .
({10})
Alois Rainer ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuregelung
des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem
Jahr 2020 wollen wir nicht nur die finanziellen Weichen
für unsere föderale Struktur in Deutschland neu stellen,
sondern auch die Zusammenarbeit von Bund und Ländern modernisieren . Mehrmals - es ist schon angesprochen worden; ich werde später noch darauf eingehen trafen sich die Regierungschefs von Bund und Ländern,
um die Eckpunkte zur Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs festzulegen .
Zusätzlich muss auch das Grundgesetz an der einen
oder anderen Stelle neu geregelt oder ergänzt werden .
Grundsätzlich werden die Länder durch die Einigung
ab 2020 per anno um circa 10 Milliarden Euro entlastet .
Dies ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle, ein stattlicher Betrag. Damit ist der Bund den Ländern finanziell
sehr weit entgegengekommen und übernimmt auch noch
zusätzliche Aufgaben .
Ich sagte eingangs, dass wir mit den Änderungen auch
die Strukturen modernisieren wollen, etwa bei der Steuerverwaltung und mit Blick auf die Einwirkungsrechte für
Finanzhilfen an die Länder . Auch soll es Verbesserungen
bei der Digitalisierung der Verwaltungen geben . Außerdem bekommt der Bund, wie bereits angesprochen, die
vollständige Verantwortung für die Bundesautobahnen .
Es ist ein wahrlich großer Schritt, die Verwaltung der
Autobahnen gesamtheitlich zu übernehmen . Genau deshalb müssen und werden wir hier im parlamentarischen
Verfahren besonders aufpassen und vorsichtig agieren .
Denn das darf nicht dazu führen, dass gute Strukturen
den Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes zum Opfer fallen .
({0})
Als bayerischer Abgeordneter spreche ich natürlich
auch davon, dass es in Bayern funktioniert .
({1})
Der Ausbau der Bundesfernstraßen in Bayern funktioniert . Kein anderes Bundesland ruft so viele Mittel für
den Straßenbau ab wie Bayern .
Als Haushaltsberichterstatter für den Bereich des Familienministeriums ist es für mich heute natürlich eine
besondere Aufgabe, ein paar Worte über den Unterhaltsvorschuss zu verlieren . Ich freue mich über den Vorstoß
der Ministerin . So konnte unsere AG Familie ihren schon
länger gehegten Wunsch, den Unterhaltsvorschuss zu reformieren, jetzt erfolgreich umsetzen . Ich bin auch äußerst froh darüber, dass diese Änderungen erst Mitte des
Jahres greifen . Denn wenn wir jetzt einen Schnellschuss
gemacht hätten, wer weiß, was dann am Ende des Tages
dabei herausgekommen wäre . Es ist auch richtig, dass
wir die Alleinerziehenden dementsprechend unterstützen
können . Da sind wir mit dabei .
Ich freue mich auch, dass diese Regelung mit den
Ländern herbeigeführt worden ist . Aber ich habe in jeder Rede, in jeder Ausführung im Ausschuss gesagt: Ich
bin bei Verbesserungen des Unterhaltsvorschusses dabei .
Jedoch darf man nie vergessen, dass es ein Vorschuss ist .
Man darf auch nicht vergessen, dass - darüber bin ich
froh - bei der Rückholquote Verbesserungen angestrebt
werden .
({2})
Ich nenne da nur zwei Zahlen: Bayern 30 Prozent, Bremen 11 Prozent . In dieser Spanne bewegen wir uns in
Deutschland . Ich würde mir wünschen, dass wir auch in
diesem Bereich Erfolge erzielen .
Heute ist viel philosophiert worden über 16 : 0 oder
15 : 1 .
({3})
Diese Ministerpräsidentenkonferenz - gestern das
5 : 1 des FC Bayern gegen Arsenal war ja auch schön ({4})
ist meines Erachtens durchaus sinnvoll .
({5})
- Ich werde gleich noch etwas dazu sagen . - Denn wir
können uns in diesem Haus schön einig sein, wenn wir
jedoch über dieses Gesetzesvorhaben keine Einigung im
Bundesrat erzielen, werden wir in den nächsten Jahren
keinen Erfolg haben .
({6})
Liebe Kollegin, jetzt sage ich Ihnen einmal eines,
wenn Sie die CSU und vielleicht die Solidarität der CSU
ansprechen:
({7})
Bayern zahlt momentan 55 Prozent in den Länderfinanzausgleich .
({8})
Nur dies ist solidarisch .
({9})
Dann sage ich Ihnen noch etwas: Diese Entlastung in
Höhe von 1,35 Milliarden Euro, die Bayern aus der neuen Struktur erhalten wird, wird sich innerhalb von drei
Jahren wieder kompensieren .
({10})
Und das Nächste sage ich Ihnen auch: Ein Stück weit
sind die Länder schon selbst für ihr eigenes Glück verantwortlich .
({11})
Man kann nicht ständig mit dem Finger auf den Bund
zeigen und seine Hausaufgaben zu Hause nicht machen .
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss
weiter daran arbeiten . Der Bund - da bin ich dabei -, diese Bundesregierung, unterstützt die Länder und die Kommunen wie noch keine Regierung zuvor .
({13})
Wir können das auch, weil wir gute Steuereinnahmen haben . Aber auch diese guten Steuereinnahmen sind nicht
so einfach vom Himmel gefallen .
Deshalb freue ich mich, dass wir jetzt in der ersten
Lesung diesen Länderfinanzausgleich - wenn ich es so
nennen darf - beraten haben, freue mich aber auch auf
die Anhörungen und das parlamentarische Verfahren,
das durchaus notwendig ist . Und so selbstbewusst sind
wir als Parlamentarier, dass wir uns durchaus zutrauen,
in diesem Verfahren noch die eine oder andere Verbesserung in unserem Sinne zu erreichen .
In diesem Sinne vielen herzlichen Dank .
({14})
Ich schließe die Aussprache .
Über den weiteren Verlauf von Champions-League-Spielen sind keine Beschlüsse herbeizuführen, aber
wir müssen uns über den Umgang mit den hier zur Debatte stehenden Materialien verständigen .
Hierzu gibt es einen interfraktionellen Vorschlag,
die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/11131,
18/11186, 18/11135 und 18/11185 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Das ist
offensichtlich einvernehmlich und damit so beschlossen.
Dann kommen wir unter dem Tagesordnungspunkt 3 c
zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11165 . Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktion CDU/CSU wünscht
Überweisung, und zwar federführend an den Haushaltsausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur .
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Die Antragsteller . Wer enthält sich? Keiner . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Beim Zusatzpunkt 2 geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8885, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/6547 abzulehnen . Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Antragsteller bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
Drucksache 18/11133
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Auch hier ist eine 77-minütige Debatte vorgesehen . Dazu sehe ich keine anderen Vorschläge . Wir können
also so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Manuela Schwesig .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Heute ist ein wichtiger
Tag für Frauen und Männer in unserem Land, aber insbesondere für Frauen . Denn mit zwei Gesetzentwürfen,
die heute hier im Parlament beraten werden, wertschätzen wir die Leistung von überwiegend Frauen, aber auch
Männern besser . In der vorigen Debatte zum Unterhaltsvorschuss ging es um die wirklich starke Leistung von
alleinerziehenden Frauen und Männern - aber zu 90 Prozent sind Alleinerziehende eben Frauen -, die jeden Tag
unheimlich viel leisten . Alle von uns, die wir Kinder
haben, wissen: Es ist schon zu zweit ein Riesenkraftakt,
und gelegentlich kommt man an seine Grenzen . Wer
dabei alleine ist, der hat meinen großen Respekt . Wenn
man dann noch finanzielle Probleme hat, ist es besonders
schwierig . Deshalb ist es gut, dass wir hier ein Zeichen
für die Bekämpfung der Kinderarmut, aber auch für die
Anerkennung der Leistung von alleinerziehenden Frauen
und Männern setzen .
({0})
Ich danke in dieser Debatte denen, die dieses Thema
aufgerufen haben . Es waren vor allem Männer, in der
SPD-Fraktion, aber auch in der CDU/CSU-Fraktion . Ich
will auch Finanzminister Schäuble erwähnen, der gemeinsam mit mir mit den Ländern verhandelt hat, damit
wir das hinbekommen . Auch ihm gilt mein Dank .
({1})
In unserem Entwurf eines Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit, den wir jetzt beraten, geht es auch um die
Anerkennung von Leistung, um die Anerkennung der
Leistung insbesondere von Frauen . Wir wollen, dass
Frauen, die arbeiten, in unserem Land genauso fair bezahlt werden wie Männer - nicht mehr, aber eben auch
nicht weniger .
({2})
Meine Damen und Herren, wir brauchen solche Gesetze,
um die Rechte von Frauen zu stärken, in der Arbeitswelt
und in der Familienwelt . Gleichzeitig müssen wir das,
was wir schon erreicht haben, bewahren .
Sehr geehrter Herr Präsident, weil ich heute die Gelegenheit habe, dann zu reden, wenn Sie im Hohen Hause
sind, möchte ich Ihnen für Ihre klaren Worte gegen
Rechtspopulisten im Rahmen der Bundesversammlung
danken . Das hat sehr, sehr gut getan .
({3})
Denn diese Rechtspopulisten sind nicht nur gegen Fremde, sondern sie stellen auch einen gesellschaftlichen
Konsens infrage, nämlich den gesellschaftlichen Konsens von uns Demokraten hier im Parlament - unabhängig von einzelnen Instrumenten -, dass die Forderungen
nach gleichen Rechten für Frauen und Männer, nach
Gleichberechtigung von Frauen und nach Gleichstellung
bei den Chancen kein Genderquatsch sind, sondern dass
dies in unserer Demokratie Grundrechte sind .
({4})
Es ist wichtig, hier klare Kante zu zeigen . Wir wollen die Rechte von Frauen, die viele Frauen und einige
toughe Männer in den Jahrzehnten vor uns erkämpft haben - vom Frauenwahlrecht bis hin zu mehr Chancen in
der Arbeitswelt -, nicht nur verbessern, sondern sie auch
vor Kräften in unserer Gesellschaft, die diese Entwicklung zurückdrehen wollen, schützen und bewahren .
({5})
Da, Herr Präsident, haben Sie klare Worte gefunden . Das
war gut, mutig und richtig und hat denen, die die Mehrheit sind, gut getan . Denn wir wissen: Es lohnt sich, in
unserer Gesellschaft dafür zu kämpfen . Es lohnt sich aber
auch, konkrete Gesetze auf den Weg zu bringen .
Eine große Errungenschaft sind die Werte unseres
Grundgesetzes . Die große Mehrheit in unserem Land ist
sich einig, dass dies die Werte sind, auf deren Grundlage
wir in unserem Land zusammenleben wollen, unabhängig von sozialer Herkunft, ethnischer Herkunft, Religion
und der Frage: Glaube, ja oder nein? Ein wichtiger Wert
ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern . Die
Politik hat die Verantwortung - auch das steht im Grundgesetz -, diese Gleichberechtigung voranzubringen . Aber
Gleichberechtigung muss auch in der Lebenswirklichkeit
der Frauen ankommen; sie darf nicht nur im Grundgesetz
stehen .
Zur Lebenswirklichkeit von Frauen in der Arbeitswelt gehört immer noch, dass sie für ihre Arbeit weniger
Geld bekommen als Männer . Die Lohnlücke beträgt in
Deutschland 21 Prozent .
({6})
- „Seit 100 Jahren“, das hört sich nicht gut an; deswegen
wollen wir das ändern . - Sie hat verschiedene Ursachen .
Frauen geraten schnell aufs berufliche Abstellgleis, wenn
sie sich für Kinder entscheiden . Da heute viele junge
Frauen auf der Zuschauertribüne sitzen, sage ich: Obwohl es in der Regel die Mädchen sind, die in der Schule
die besseren Abschlüsse machen, und obwohl mehr junge Frauen als Männer einen Studienabschluss machen,
erleben sie, wenn sie in der Arbeitswelt ankommen, dass
sie schlechter bezahlt werden und schlechtere Karrierechancen haben als Männer, auch dann, wenn sie sich
nicht für Kinder entscheiden . Aber gerade dann, wenn sie
sich für Kinder entscheiden, geraten sie in die Teilzeitfalle, und ihre Arbeit wird schlechter bezahlt .
Aber selbst, wenn man das alles wegnimmt, ist immer noch eine Lohnlücke von 7 bis 8 Prozent vorhanden .
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir müssen uns fragen: Wollen wir, dass auch diese Generation
von jungen Mädchen, die heute hier sitzen, die oft besser
sind als ihre Geschlechtsgenossen, in Zukunft weiter so
schlecht behandelt wird? Wollen wir das auch für unsere
Kinder?
({7})
Oder wollen wir das nicht endlich verändern?
Wir haben schon viel verändert . Wir haben mit dem
Elterngeld Plus und mit mehr Kitaausbau dazu beigetragen, dass es mehr Möglichkeiten gibt, Beruf und Familie zu vereinbaren . Wir brauchen aber einen weiteren
Schritt . Wir müssen erreichen, dass sich Unternehmen,
aber auch der öffentliche Dienst mit der Frage der Lohnlücke beschäftigen und hinschauen: Warum sind es vor
allem Frauen, die Teilzeit arbeiten? Warum möchten
35 Prozent der Teilzeitbeschäftigten in unserem Land
eigentlich mehr arbeiten, können es aber nicht? Warum
haben die jungen Väter immer noch Hemmungen, zu sagen: „Ich will eigentlich in Elternzeit gehen, ich will gern
auch einmal Teilzeit arbeiten“? Mit all diesen Fragen beschäftigt sich dieser Gesetzentwurf auch und legt fest:
Das soll zukünftig Thema in Unternehmen, aber auch im
öffentlichen Dienst sein.
Ein zweiter wichtiger Punkt: Wir wollen mehr Transparenz schaffen. Oft wird Frauen vorgeworfen: Ihr seid
doch selbst schuld daran, ihr verhandelt nicht richtig . Aber ich frage Sie: Wie will man verhandeln, wenn man
gar nicht weiß, wie viel Geld vielleicht der Mann, der die
Stelle vorher besetzt hat, bekommen hat oder wie viel die
anderen bekommen?
({8})
Alle Frauen, die derzeit vor Gericht klagen, ob die
Journalistin oder andere, haben es durch Zufall erfahren;
({9})
wie eine Mechanikerin, die der Antidiskriminierungsstelle berichtet hat, sie habe nur durch Zufall von Kollegen
erfahren, dass die Kollegen besser verdienen . Und der
Chef war ehrlich, als er gesagt hat, warum das so ist: Weil
Sie eine Frau sind! - Kein guter Grund, aber es zeigt, was
immer noch in unserem Land los ist .
Ich sage all denjenigen, die in diesen Tagen wieder
versuchen, die Lohnlücke zu negieren, die sagen, das seien alles Gründe, die bei den Frauen selbst lägen: Man
kann unterschiedlicher Meinung über die richtigen Instrumente sein, um die Lohnlücke zu schließen, aber die
Tatsache zu bestreiten, dass es immer noch so ist, dass
Frauen schlechter bezahlt werden als Männer und dass
das auch strukturelle und gesellschaftspolitische Gründe
hat, ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen .
({10})
Da wird die Lebensrealität nicht ernst genommen . Wir
nehmen sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ernst .
Wir wollen, dass zukünftig der Grundsatz „Gleicher
Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ für alle festgeschrieben wird, für alle ohne Ausnahme . So steht es
auch im Gesetzentwurf .
({11})
- So konkret nicht, liebe Abgeordnete .
Wir unterstützen das konkret mit drei Instrumenten
in diesem Gesetz: mit einem Auskunftsrecht für mehr
Transparenz für Betriebe ab 200 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern und mit Prüfverfahren und Berichtspflichten für Betriebe ab 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern . Das Gesetz, das Ihnen vorliegt, ist ein Kompromiss .
Es ist kein Geheimnis, dass wir lange in der Regierung
und in der Koalition darum gerungen haben, ab wann die
Instrumente gelten sollen . Ja, wenn es nach mir ginge,
gälten sie für alle bzw . so viele Beschäftigte wie möglich .
Dem Koalitionspartner war es wichtig, darauf zu achten,
dass es erst bei größeren Betrieben anfängt . Deshalb bin
ich froh, dass wir uns geeinigt haben, dass die Grenze,
ab der das Auskunftsrecht gilt, nicht erst bei Betrieben
mit mehr als 500 Beschäftigten liegt, sondern schon in
Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt . In solchen arbeitet immerhin die Hälfte der
Beschäftigten .
Jetzt kann man viel darüber diskutieren, ob es zu wenig ist . Es gibt aber auch einige Stimmen, die sagen, es
sei ihnen viel zu viel. Offensichtlich liegt man dann ganz
richtig, wenn die einen sagen, es sei ihnen zu wenig, und
die anderen sagen, es sei ihnen zu viel .
Mir ist wichtig, dass wir dieses Gesetz jetzt gut beraten und dass wir es dann auf den Weg bringen . Es nützt
auch nichts, dass man seit Jahrzehnten die Lage beklagt,
wenn wenig passiert . Wir müssen, nachdem wir das Gesetz zur Frauenquote auf den Weg gebracht haben - und
es wirkt; wir sehen, dass wir mehr Frauen in Führungspositionen in kürzerer Zeit mit Gesetz als in der langen
Zeit ohne Gesetz haben -, auch dieses Gesetz auf den
Weg bringen, um deutlich zu machen: „Gleicher Lohn
für gleiche und gleichwertige Arbeit“ ist ein politisches,
gesellschaftspolitisches Thema . Wir erwarten, dass Unternehmen und öffentlicher Dienst sich damit auseinandersetzen . Wir wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
mehr Rechte dafür geben .
Ich will eines deutlich machen: Die Frage nach gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit ist nicht
nur eine Frage für Frauen .
({12})
Kein Mann kann wollen, dass seine Partnerin schlechter
bezahlt wird, weil sie eine Frau ist . Und kein Vater kann
wollen, dass seine Tochter schlechter bezahlt wird, nur
weil sie eine Frau ist . In diesem Sinne sollten wir gemeinsam für die Lohngerechtigkeit kämpfen .
({13})
Cornelia Möhring ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Ministerin Schwesig, ich kann Ihre Begeisterung für diesen Gesetzentwurf leider gar nicht teilen,
und ich befürchte, dass das Gesetz in der jetzigen Form
nicht besonders hilfreich wird .
Das hat andere Gründe als die Blockaden der Union
und auch andere Gründe als die Kritik der Arbeitgeberverbände; denn im Gegensatz zu den beiden genannten
Organisationen finden wir Transparenz durchaus sinnvoll
und besonders nötig .
({0})
Wer nicht weiß, was die Kollegen und Kolleginnen verdienen und für die gleiche Arbeit bekommen, der kann
keine Ungerechtigkeiten erkennen . Das haben Sie zu
Recht festgestellt . Ob mit diesem Gesetzentwurf die nötige Transparenz aber wirklich hergestellt wird, bezweifle
ich stark .
({1})
Sie haben eben gesagt, es werden drei zentrale Instrumente eingeführt . Alle drei genannten Instrumente sind
an sich auch nicht falsch, sie sind aber völlig unzureichend . Diskriminierung kann nicht einfach weggestreichelt werden .
({2})
Zum ersten Punkt . Die Beschäftigten sollen einen individuellen Anspruch gegenüber ihren Arbeitgebern auf
Auskunft über die Höhe des Entgelts für gleiche und
gleichwertige Tätigkeiten im Unternehmen erhalten . Das
gilt aber, wie Sie eben selber festgestellt haben, nicht für
alle Beschäftigen, sondern nur für die, die in Betrieben
mit mehr als 200 Beschäftigten arbeiten . Wo arbeiten
aber die meisten Frauen, und wo ist die Lohnlücke am
größten? Ja, richtig, in Betrieben, die kleiner sind . Somit lassen Sie die Mehrheit der Frauen leider im Regen
stehen .
In Ihrem eigenen Bundesland beträgt die Anzahl der
Beschäftigten in Betrieben ab 200 Beschäftigten übrigens mitnichten 50 Prozent . Nach der Antwort auf eine
Anfrage der Linken im Landtag Mecklenburg-Vorpommern haben gerade einmal 0,5 Prozent der Betriebe über
200 Beschäftigte .
({3})
Aber auch für Frauen in größeren Betrieben geht der
Auskunftsanspruch meiner Meinung nach an der Realität
vorbei . Einmal mehr wird die Verantwortung den Frauen
zugeschoben; denn die Frauen müssen nun von Ihren Arbeitgebern die Auskunft einfordern und erfragen, ob sie
diskriminiert werden . Es ist doch logisch, dass sich die
Anzahl derjenigen, die von diesem Recht Gebrauch maBundesministerin Manuela Schwesig
chen, noch einmal reduziert. Ich finde, ein berechtigter
Anspruch wäre es, von den Arbeitgebern zu verlangen,
dass sie nachweisen müssen, ob sie gerecht entlohnen
bzw . bezahlen .
({4})
Was erwartet aber die Bundesregierung von den Arbeitgebern? Es soll - das ist das zweite Instrument - eine
Berichtspflicht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit
eingeführt werden. Die Berichtspflicht ist auch schön
und gut, aber auch hier ist nach dem ersten Trippelschritt
schon wieder Schluss . Sie gilt nur für Unternehmen mit
über 500 Beschäftigten, und es ist völlig unklar, ob und,
wenn ja, was überhaupt auf diese Berichte folgt . Ich würde Ihnen damit die höchste Punktzahl auf der Skala der
Unverbindlichkeit erteilen .
({5})
Das dritte Instrument ist die absolut unverbindliche
Aufforderung, sogenannte Lohnvergleichsverfahren einzuführen . Mit Lohnvergleichsverfahren werden Tätigkeiten und Anforderungen verglichen . Solch ein Check versetzt Betriebe und uns erst in die Lage, festzustellen, ob
bei gleichwertiger und gleicher Arbeit die Arbeitsplätze
auch gerecht bewertet sind . Deshalb ist es eine zentrale
Forderung all derjenigen, die wirklich Lohngerechtigkeit
wollen, dass diese Vergleichsverfahren zertifiziert und
verbindlich eingeführt werden .
({6})
Nach Ihrem ersten Entwurf aus 2015 sollte das auch
noch so sein . Davon ist jetzt aber keine Rede mehr . Damit bescheren Sie uns ein großes Problem, weil das voll
nach hinten losgehen kann . Ich zitiere hier einmal den
Deutschen Juristinnenbund, der sagt:
Das freiwillige Prüfverfahren kann sogar zu gegenläufigen Ergebnissen führen, denn die Unternehmen
dürfen die Methode dieser freiwilligen Prüfung
frei wählen und nicht nur unter den zertifizierten
Verfahren . So können ungeeignete Prüfverfahren
verwendet werden, die dem geltenden Recht nicht
entsprechen und nicht geeignet sind, Diskriminierungspotenziale und Diskriminierung aufzudecken .
Unternehmen könnten sich sodann fälschlicherweise einer Diskriminierungsfreiheit rühmen und entstandene Ansprüche von ({7}) Beschäftigten zum Erlöschen bringen …
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das finde ich brandgefährlich .
({8})
Damit erweisen Sie den Frauen und dem Anliegen, der
Herstellung von Entgeltgleichheit, womöglich einen Bärendienst . Schlimmstenfalls wird dadurch nämlich einem
wirkungsvollen Entgeltgleichheitsgesetz für lange Zeit
der Weg versperrt . Es nimmt der jahrelangen Kampagnenarbeit den Wind aus den Segeln, weil Sie vorgaukeln,
tatsächlich etwas Sinnvolles auf den Weg zu bringen .
Dieses Gesetz mit seinen butterweichen Regelungen zur
Prüfung kann, wie ich eben sagte, richtig viel Schaden
anrichten .
Liebe Ministerin Schwesig, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ich bitte Sie wirklich eindringlich: Bringen Sie nicht so etwas Halbgares auf den Weg!
({9})
Es wäre besser, wenn dieses Gesetz den Bundestag nicht
verließe . Oder nutzen Sie die Mehrheiten hier im Parlament . Lassen Sie uns mit verbindlichen Regelungen, mit
Regelungen zur Transparenz und zu Rechten, die für alle
gelten, und mit Regelungen für geeignete zertifizierte
Prüfverfahren einen wirklichen Schritt zur Herstellung
von Entgeltgleichheit gehen . Sie haben die Wahl: Gleichstellung oder GroKo . Die Linke wäre dabei an Ihrer Seite .
Vielen Dank .
({10})
Das Wort hat nun die Kollegin Nadine Schön für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Entgeltgleichheit auf Knopfdruck, hergestellt
mit einem Gesetz des Deutschen Bundestages: Das wäre
so schön, das würden wir alle gerne machen . Aber leider
wird das auch mit dem Gesetz, das wir heute in erster
Lesung beraten, nicht so sein; denn Entgeltgleichheit ist
schwer herzustellen . Das dauert Jahre . Das hat viele Ursachen und Gründe und muss deshalb an verschiedenen
Punkten angepackt werden . Wir müssen am heutigen Tag
so offen und ehrlich sein, zu sagen, dass wir mit diesem
Gesetz die Entgeltungleichheit in unserem Land leider
nicht mit einem Schlag beenden .
Wir wissen, dass die Gründe für die Lohndifferenz in
unserem Land vielfältig sind . Deshalb macht man es sich
zu einfach, wenn man den Eindruck erweckt, man könne dieses Problem mit einem Gesetz lösen . Wir kennen
die objektiven Kriterien für den größten Teil der Lohnlücke - das ist der Teil, den man erklären und nachvollziehen kann -, nämlich die Tatsache, dass jede zweite Frau
in unserem Land Teilzeit arbeitet . Bei den Müttern sind
es sogar drei Viertel, also drei von vier Frauen .
({0})
Diese Lücke ist auch darauf zurückzuführen, dass es
bei vielen Frauen zu Erwerbsunterbrechungen kommt,
wegen der Familie oft auch mehrmals . Es liegt ebenfalls
daran, dass Frauen in Berufen arbeiten, die schlechter beCornelia Möhring
zahlt werden - auch das ist ein Grund -, und leider auch
in Führungspositionen oft nicht vertreten sind . Daran erkennt man, dass es vieler Maßnahmen bedarf, um diese
Lohnlücke anzugehen .
Das tun wir seit Jahren, etwa mit dem Elterngeld und
dem Elterngeld Plus, mit denen der Wiedereinstieg in den
Beruf erleichtert und die Partnerschaftlichkeit gestärkt
werden . Das tun wir mit dem Ausbau der Kitabetreuung,
für die wir in den letzten Jahren eine Menge Geld von
Bundesseite gegeben haben, um die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu erleichtern . Das tun wir mit den
MINT-Initiativen und den Berufswahl-Initiativen . Das
tun wir mit dem Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen. Das tun wir auch mit dem Pflegestärkungsgesetz, das dazu führen wird, dass Frauen, die in der Pflege
arbeiten, besser bezahlt werden .
({1})
Das alles betrifft die objektiven Kriterien, die den
größten Teil der Lohnlücke ausmachen . Der kleinere
Teil - sein Anteil liegt zwischen 2 und 7 Prozent - ist
nicht zu erklären . Auch dagegen wollen wir vorgehen .
Es ist ein Skandal, dass wir in unserem Land bei einem
gewissen Teil der Lohnlücke immer noch nicht wissen,
woher er kommt, bei dem man davon ausgehen muss,
dass Frauen wegen ihres Geschlechtes oder wegen der
Unachtsamkeit der Arbeitgeber schlechter bezahlt werden als Männer, auch wenn sie eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausüben . Da wollen wir mit diesem
Gesetz ansetzen .
Frau Ministerin, Sie haben gesagt: In diesem Gesetz
schreiben wir vor, dass die ungleiche Bezahlung ab sofort
nicht mehr erlaubt ist . - Das ist schon jetzt nicht erlaubt .
({2})
Das AGG verbietet, dass Männer und Frauen bei gleicher
oder gleichwertiger Arbeit ungleich bezahlt werden .
({3})
Was wir bis jetzt noch nicht hatten, war die Möglichkeit,
herauszufinden, ob das tatsächlich so ist. Hier setzt dieses
Gesetz an . Woher sollen Frauen wissen, ob sie ungerecht
bezahlt werden, wenn es keine Transparenz hinsichtlich
der Bezahlung der Kollegen gibt?
({4})
Dieses Problem gehen wir mit diesem Gesetz an .
Jetzt ist es so, dass der vorliegende Gesetzentwurf das hat die Kollegin Möhring erwähnt - während der Beratungen schon große Kritik erfahren hat, und zwar nicht
nur - das betone ich - von den Arbeitgebern, sondern
auch von den Gewerkschaften .
({5})
Arbeitgeber und Gewerkschaften haben deshalb viele
Wochen mit der Familienministerin an diesem Gesetzentwurf gearbeitet und um Verbesserungen gerungen .
({6})
Was wir jetzt haben, ist etwas ganz anderes als das,
was damals im Referentenentwurf vorgelegen hat . Sie
haben auf das große Auskunftsverfahren für viele Betriebe verzichtet . Wären vorher noch 36 Millionen Beschäftigte von diesem ausgiebigen Auskunftsanspruch betroffen gewesen, sind es jetzt noch 14 Millionen, davon
1 Million Frauen, die in Betrieben ohne Tarifvertrag bzw .
Tarifanwendung arbeiten . Das ist auch sachgerecht; denn
wenn es einen Tarifvertrag gibt, dann muss man davon
ausgehen, dass er geschlechtssensibel ist und dass Männer und Frauen, die derselben Gehaltsgruppe angehören,
das gleiche Gehalt bekommen .
({7})
Das liegt in der Natur eines Tarifvertrages .
({8})
Deshalb ist es auch sachgerecht, dass es hier eine Privilegierung gibt .
Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf werden
Betriebe nicht mehr verpflichtet, das Lohnfeststellungsverfahren durchzuführen; sie werden dazu aufgefordert .
Diese Verfahren müssen nicht mehr von der Antidiskriminierungsstelle zertifiziert werden. Auch muss bei Ausschreibungen nicht mehr das Mindestgehalt angegeben
werden .
Man sieht: Dieser Gesetzentwurf ist ein Kompromiss
zwischen den Interessen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften . Das alles wurde im Familienministerium
in langen Beratungen ausdiskutiert . Wir beraten diesen
Kompromiss jetzt im Deutschen Bundestag . Wir werden
uns mit dem Gesetzentwurf gründlich befassen und ihn
mit allen Beteiligten diskutieren und noch einmal in die
Tiefe gehen . Ich freue mich auf die Beratungen .
Klar ist aber auch: Wir werden auch mit diesem Gesetzentwurf die Lohnlücke nicht auf null bringen, weil
das Ganze zu schwierig und kompliziert ist, um dies mit
einem Gesetz zu ermöglichen .
Deshalb, liebe Kolleginnen, sind wir alle weiterhin
gefordert, auch vor Ort in den Unternehmen - in der Diskussion mit Unternehmern, aber auch mit Frauen - darauf hinzuwirken, dass Frauen in Gehaltsverhandlungen
gut verhandeln, dass aber auch die Unternehmer sensibler dafür werden, dass Frauen im Erwerbsleben anders
agieren . Aber das darf kein Grund dafür sein, dass Frauen
schlechter bezahlt werden . Deshalb müssen wir sowohl
etwas gegen die erklärbare Lohnlücke als auch gegen die
2 Prozent bis 7 Prozent tun, für die wir keine Erklärung
haben .
Nadine Schön ({9})
Das ist eine Frage der Gerechtigkeit . Dafür kämpfen
wir . Das ist ein Anliegen der Union, und der Gesetzentwurf ist ein Baustein dafür . Deshalb, liebe Kolleginnen
und Kollegen, freue ich mich auf die Beratungen .
({10})
Kaja Dörner erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Frau Schwesig, vieles von dem, was
Sie eben ausgeführt haben, hätte ich voll und ganz unterschreiben können . Gerade deshalb hätten wir uns ein
wirklich wirksames Lohngleichheitsgesetz gewünscht .
Aber das liegt heute nicht vor .
({0})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, manchmal muss
man in der Politik kleine Schritte gehen . Das wissen wir,
glaube ich, alle . Aber man sollte den kleinen Schritt dann
nicht als großen Erfolg verkaufen .
({1})
Es gibt auch kleine Schritte, bei denen man erhebliche
Zweifel haben muss, ob sie zum Ziel führen . Das ist leider mit diesem Entwurf eines Entgeltgleichheitsgesetzes
der Fall. Mit diesem Gesetzentwurf wird der Öffentlichkeit bzw . den Frauen Sand in die Augen gestreut, weil
nicht drin ist, was draufsteht, weil er nicht hält, was er
verspricht .
({2})
Wir konnten im Laufe der letzten Monate sehen, wie
aus einem ersten wirklich diskutablen Schritt für mehr
Lohngerechtigkeit dank eifriger Interventionen der Union der mickrige Aufschlag wurde, der uns heute vorliegt . Ich fand es bei Ihrer Rede bemerkenswert, Frau
Schön, dass Sie dafür plädieren, dass es gleichen Lohn
für gleiche Arbeit gibt, aber gleichzeitig in Ihrer Pressemitteilung begrüßen, dass das Auskunftsrecht durch die
Verhandlungen so weit reduziert werden konnte, dass es
wahrscheinlich nur 1 Prozent der Berechtigten in Anspruch nehmen wird . Das passt nicht zusammen, und das
zeigt, dass es Ihnen mit Lohngleichheit nicht wirklich
ernst ist .
({3})
Beim ersten Internationalen Frauentag 1911 forderte Clara Zetkin schon gleichen Lohn für gleiche Arbeit .
Heute, mehr als einhundert Jahre später, gibt es den
Equal Pay Day, der am 18. März stattfindet. Mehr als
hundert Jahre später ist Deutschland in der Frage der
Lohngerechtigkeit international weiterhin abgeschlagen .
Im europäischen Vergleich rangieren wir auf dem drittletzten Platz . Schlechter sind nur Tschechien und Estland . - Und was legt uns Frau Schwesig heute vor? Kein
Entgeltgleichheitsgesetz, kein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit, wie sie es immer nennt - mitnichten! Denn
wirklich wirksame Mechanismen, um Entgeltgleichheit
herzustellen und Diskriminierung zu beseitigen, sucht
man in diesem Gesetzentwurf vergebens . Komplette
Fehlanzeige! Frau Schwesig legt ein Transparenzgesetz
vor - so heißt es ja ganz offiziell -, das diesen Namen
nicht wirklich verdient .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Auskunftsrecht
soll nur für Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten gelten; die Zahl hat das Ministerium genannt . Nicht einmal
40 Prozent der berufstätigen Frauen hätten überhaupt ein
Auskunftsrecht, weil der Großteil der Frauen einfach in
kleineren Betrieben beschäftigt ist . Etwas mehr Transparenz für nicht einmal die Hälfte der Frauen - das hat mit
echter Lohngleichheit gar nichts zu tun .
({5})
Und darüber, dass überhaupt nur Unternehmen mit mehr
als 500 Beschäftigten aufgefordert sind - sie sind nur
aufgefordert und mitnichten dazu verpflichtet -, betriebliche Prüfverfahren vorzunehmen, kann man nur den
Kopf schütteln .
({6})
Allerdings: Was nützt es letztlich, zu wissen, dass
ich in meinem Unternehmen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekomme, wenn ich faktisch keine wirklichen Durchsetzungsmöglichkeiten habe, diesen Zustand,
diese offensichtliche Diskriminierung zu beenden? Um
Lohngerechtigkeit durchsetzen zu können, brauchen wir
dringend ein Verbandsklagerecht .
({7})
Dass Frauen individuell klagen, wird selten vorkommen; das können wir von den Frauen auch nicht verlangen . Ich halte es für einen kardinalen Webfehler in diesem Gesetzentwurf, dass das Verbandsklagerecht fehlt .
({8})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich ärgere mich
über diesen Gesetzentwurf wirklich - das muss ich sagen -, weil ein gutes und wirkungsmächtiges Entgeltgleichheitsgesetz so wichtig wäre, weil gleicher Lohn
für gleiche und für gleichwertige Arbeit einfach gerecht
ist, weil so viele Frauen schon so lange darauf warten
und sich so viele Frauen in diesem Land so intensiv dafür
engagiert haben . Entgeltgleichheit würde viele Probleme
zwar nicht komplett lösen, aber doch anpacken, angefangen von der gerechten Verteilung von Erwerbs- und
Nadine Schön ({9})
Familienarbeit bis hin zur Vermeidung von Altersarmut
von Frauen . Deshalb ist dieser Gesetzentwurf aus unserer
Sicht eine ganz herbe Enttäuschung .
({10})
Schon den Referentenentwurf kommentierte der Deutsche Frauenrat mit den Worten, die Entgeltgleichheit sei
mächtigen Wirtschaftsinteressen geopfert worden . Aber
selbst der Referentenentwurf ist im weiteren Verfahren
weiter entkernt worden .
Der DGB hat sich mit seiner Pressemitteilung direkt
an uns, an den Bundestag, gewandt und uns aufgefordert,
den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren zu
verbessern . Das Parlament soll sich einen Ruck geben
und den Gesetzentwurf verbessern . Wir Grüne sind sehr
gern dazu bereit . Wer echte Lohngerechtigkeit für Frauen will, muss aus diesem zahnlosen Tiger eine kräftige
Raubkatze machen .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Katja Dörner . - Schönen guten Morgen,
liebe Kolleginnen und Kollegen . - Die nächste Rednerin:
Dr . Carola Reimann für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gleicher Job, gleiche Leistungen, weniger
Geld - für viele Frauen in Deutschland ist das die bittere
Realität im Arbeitsalltag . Guckt man sich das konkret an,
stellt man fest, dass das für eine Lagerarbeiterin heißt,
dass ihr Bruttomonatseinkommen um fast 300 Euro unter
dem ihrer männlichen Kollegen liegt . Eine Köchin bekommt für ihren Knochenjob 400 Euro weniger als der
Koch am Nachbarherd .
({0})
Bei der Bürokauffrau sieht es auch nicht besser aus. All
das sind Berufe, die nicht gerade exorbitant gut bezahlt
werden; da sind 300, 400 Euro richtig viel Geld . Das betrifft Frauen mit Kindern, die Familie und Beruf unter
einen Hut bringen müssen, Frauen, die auf jeden Euro
angewiesen sind, Frauen, die viel leisten, dafür aber viel
schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen .
Das ist nicht gerecht . Deshalb braucht es jetzt ein Gesetz .
Es geht nicht um Peanuts und auch nicht um Prozentpunkte, über die wir viel diskutieren . Es geht um diese
Frauen . Deshalb regt es mich auch so auf, wenn versucht
wird, diese Lohnlücke kleinzureden und zu erklären .
Noch schlimmer ist, so zu tun, als ob diese Lohnlücke
darauf basierte, dass die Frauen persönliche Entscheidungen getroffen hätten, die falsch sind, nach dem Motto: Selbst schuld, wenn ihr euch für diesen Job entscheidet! - Nein, ungleiche Bezahlung ist nicht die Schuld der
betreffenden Frauen. Sie ist vielmehr die Folge verkrusteter Strukturen in unserer Gesellschaft und in unserer
Arbeitswelt. Es ist unsere Pflicht als Gesetzgeber, dagegen vorzugehen . Mit dem Mindestlohn und der Frauenquote sind in dieser Legislaturperiode wichtige Meilensteine für mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt gesetzt .
Das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit ist ein weiterer
wichtiger Schritt, damit das Gebot „Gleicher Lohn für
gleiche bzw. gleichwertige Arbeit“ auch in der Praxis
umgesetzt wird .
({1})
Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern muss
sich auch auf dem Lohnzettel widerspiegeln .
Die Lohnlücke ist ein Skandal. Noch schlimmer finde
ich persönlich, dass viele Frauen gar nicht wissen, dass
sie schlechter bezahlt werden . Genau hier liegt die Stärke
des Gesetzentwurfs . Er setzt auf Transparenz . Mit dem
individuellen Auskunftsanspruch, der Berichtspflicht
und der Aufforderung zum Prüfverfahren leistet er einen wichtigen Beitrag, Lohnstrukturen und Lohnfindung
transparent zu machen . Es ist kein Geheimnis, dass die
SPD an dieser Stelle weitergegangen wäre .
({2})
Wir sind der Meinung, dass alle Beschäftigten ein Recht
darauf haben, zu erfahren, ob sie gerecht bezahlt werden .
Deshalb bleibt unser Ziel ein Auskunftsanspruch für alle .
({3})
Wir hätten uns von unserem Koalitionspartner gerade
in Sachen Transparenz mehr Mut und mehr Gestaltungswillen gewünscht . Klar ist aber auch: Ohne die SPD und
den beharrlichen Einsatz der Ministerin gäbe es überhaupt kein Gesetz .
({4})
Die Äußerungen, die in dieser Woche von einigen Herren der CDU/CSU-Fraktion zu vernehmen waren, haben
das wieder deutlich gemacht . Dass oft, wenn es um Frauenrechte geht, Bürokratiekeulen geschwungen werden,
kennen wir schon .
({5})
Aber Freiherr von Stetten hat mit seiner Äußerung zu
Beginn dieses Jahres noch eines draufgesetzt . Ich zitiere: „Durch den Lohnauskunftsanspruch werden Neid und
Unfrieden in die Unternehmen einziehen.“
({6})
Was ist das denn für eine Vorstellung von Unternehmenskultur und Arbeitnehmerrechten in unserem Land?
({7})
Herr von Stetten - er ist nicht anwesend -, das nennt man
nicht Neid und Unfrieden, sondern Transparenz und Mitbestimmung . Sie gehören zu den Grundsäulen unserer
demokratischen Gesellschaft .
({8})
Was Sie wollen, ist nichts anderes, als die Geheimniskrämerei auf dem Rücken der Frauen fortzuführen . Das ist
mit uns nicht zu machen .
({9})
Im Übrigen ist das auch wirtschaftspolitischer Unsinn .
Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt ist ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft . Ich
bin fest davon überzeugt: Der Wettbewerb um die besten
Fachkräfte kann nur mit einer offenen, wertschätzenden
Unternehmenskultur gewonnen werden
({10})
und nicht mit von Stettens Wirtschaftsverständnis der
50er-Jahre, wo zigarrenrauchende Herren in Hinterzimmern allein entscheiden .
({11})
Mit diesem Gesetz stoßen wir eine Tür auf . Wir sorgen
für faire Bezahlung von Frauen und Männern durch mehr
Transparenz . Viel Vorarbeit ist geleistet sowohl im Koalitionsvertrag als auch im Koalitionsausschuss und nun
auch mit diesem Gesetzentwurf . Deshalb steht einem zügigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in diesem
Haus nichts im Weg .
Danke .
({12})
Vielen Dank, Carola Reimann . - Nächste Rednerin:
Jutta Krellmann für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als 20-jährige Chemielaborantin hätte ich mir
nicht träumen lassen, dass ich 40 Jahre später noch immer über Lohngerechtigkeit von Frauen und Männern
streiten muss. Ich empfinde das echt als superbitter, was
hier passiert .
Heute muss ich als Bundestagsabgeordnete über ein
Gesetz mitentscheiden, das mich nicht wirklich zufriedenstellt . Gleiches Geld für gleiche Arbeit, das ist doch
eine zentrale Forderung und ein zentrales Anliegen der
Frauenbewegung schon seit vielen Jahrzehnten . Das ist
wirklich nichts Neues, sondern schon seit Jahrzehnten
Thema . Wieder liegt ein Gesetzentwurf vor, der diesem
Anliegen nicht gerecht wird .
({0})
Wie lange sollen Frauen denn noch warten? Weitere
40 Jahre? Das kann doch überhaupt nicht wahr sein . Die
Arbeitgeber haben den Gesetzentwurf weichgespült, und
die Bundesregierung hat das zugelassen . Was kommt dabei heraus? Ein Gesetz für Betriebe ab 200 Mitarbeitern,
und dabei weiß jeder - das ist auch hier schon gesagt
worden -, dass genau in den kleinen und mittelständischen Betrieben mit unter 200 Beschäftigten die größten Ungerechtigkeiten stattfinden. Genau da machen wir
nichts .
Auch in anderen Punkten hält der Gesetzentwurf nicht
das, was er im Grunde verspricht, zum Beispiel bei der
Mitbestimmung. Obwohl 25-mal das Wort „Betriebsrat“
vorkommt, ändert sich im Verfahren für Betriebsrätinnen
und Betriebsräte rein gar nichts . Das alles steht schon seit
45 Jahren im Betriebsverfassungsgesetz . Wichtig wären
erzwingbare Mitbestimmungsrechte, und genau die fehlen wieder .
({1})
Die Lohnlisten und Gehaltslisten müssten an die Betriebsräte ausgehändigt werden . Einsichtsrechte alleine
genügen doch nicht . Aber mit dieser Regierung ist noch
nicht einmal das zu machen . Erneut haben Sie der Tarifbindung keinen Gefallen getan. Wieder finden sich in
diesem Gesetzentwurf tarifliche Öffnungsklauseln, die
es den Arbeitgebern erlauben, im Betrieb von der Prüfpflicht abzuweichen. Hören Sie endlich auf, die Tarifbindung zu entwerten, auch in diesem Gesetzentwurf .
({2})
Frauen werden nicht nur schlechter behandelt; die Arbeitsbedingungen sind fast noch entscheidender . Es sind
meist Frauen, die in Minijobs oder in Teilzeit arbeiten .
Die Folge: Sie werden im Alter arm sein . Das wissen
doch eigentlich alle . Dagegen muss etwas getan werden .
Es geht nicht nur darum, dass ich erfahre, an welcher
Stelle ich schlecht behandelt werde .
({3})
Zum Schluss möchte ich allen Erzieherinnen und Sozialpädagogen, die gestern gestreikt haben, von hier aus
sagen: Ihr führt einen gerechten Kampf nicht nur um
Lohnprozente, sondern auch um die spürbare Aufwertung eurer Arbeit . Dabei unterstützen wir euch als Linke,
damit auch ihr nicht nach 40 Jahren feststellen müsst,
dass ihr nicht gleiches Geld für gleiche Arbeit erreicht
habt . Wir wollen, dass eure Arbeit endlich aufgewertet
wird und ihr endlich sagen könnt: Jawohl, auch wir haben dafür gesorgt, dass Männer und Frauen gleiches Geld
für gleiche Arbeit erhalten . Deshalb viel Erfolg!
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Jutta Krellmann . - Nächster Redner:
Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Dass das eine differenzierte Debatte werden muss, darüber müssen wir uns schon im Klaren sein .
Deswegen will ich, bevor ich gleich nett werde und versuche, den Konsens herzustellen, zwei, drei Bemerkungen zu den Reden von Frau Reimann und Frau Dörner
machen .
Liebe Frau Reimann, wir haben hier ein Problem und
eine Schieflage. Darüber debattieren wir auch. Ich finde
es nur unangemessen, den deutschen Unternehmer als
zigarrenrauchenden Mann zu bezeichnen, der grundsätzlich Frauen diffamiert.
({0})
Sie wissen und müssten es viel besser als ich wissen,
dass gerade viele deutsche Unternehmer hier voranmarschieren,
({1})
auch in der Frage der Entgeltgleichheit .
Liebe Frau Dörner, wenn wir darüber diskutieren,
müssen wir gemeinsame Lösungen erarbeiten und schauen, wo die Probleme und die Schieflagen sind. Dass Sie
jetzt das Verbandsklagerecht ins Spiel bringen, halte ich
für eine hochinteressante politische Forderung . Ich kann
nur sagen: Dann würden Sie wirklich das Kind mit dem
Bade ausschütten . Dazu sage ich als Hamburger, der viel
mit Verbandsklagerechten erlebt hat: Das wäre der völlig
falsche Weg . Den werden wir selbstverständlich ablehnen .
({2})
Trotzdem will ich den gesellschaftlichen Konsens,
den die Ministerin angesprochen hat, gerade in diesen
Zeiten, in denen in anderen Ländern, gar nicht einmal
so weit von Deutschland entfernt, Gesetze wieder rückgängig gemacht werden, die die Rechte von Frauen garantiert haben, gerne aufgreifen . Woanders werden jetzt
Gesetze gemacht, die die Rechte oder gar den Schutz von
Frauen einschränken . Sie wissen, was ich meine . Es handelt sich um ein Land, in dem alle 40 Minuten eine Frau
umgebracht wird, weil der Mann sie schlägt . Insofern ist
es wichtig, dass wir zwei oder drei grundsätzliche Dinge
klarstellen:
Erstens - das halte ich eigentlich für die beste Erklärung -: Ich bin Vater; ich habe einen Sohn . Andere haben
eine Tochter . Es gibt auch welche, die haben Tochter und
Sohn . Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass es
richtig wäre, wenn ein Vater oder eine Mutter beim Auszahlen des Taschengeldes am Samstag um 10 Uhr sagen
würde: Der Sohn bekommt 1 Euro, und die Tochter bekommt 90 Cent . Das kann man zwar gerne machen, aber
über den Familienfrieden in den darauffolgenden Tagen
möchte ich lieber nicht nachdenken . Mütter und Väter
wollen, dass Töchter und Söhne für die gleiche Arbeit
auch das gleiche Einkommen erhalten .
({3})
- Na, 1 Euro für einen Sechsjährigen ist doch schon ambitioniert, oder?
({4})
Zweitens. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sollte man häufiger
wiederholen, weil er uns als Orientierung und als Maßstab dient . In diesem Zusammenhang noch einmal einen
Dank an die vier Frauen, die damals dafür gesorgt haben,
dass dieser Satz im Grundgesetz steht: Elisabeth Selbert,
Helene Weber, Helene Wessel und Frieda Nadig .
({5})
Frau Dörner, Sie scheinen eins zu verwechseln . Wenn
Sie ein bisschen Zeit haben, dann können Sie sich gerne einmal mit der Sozialethik der Christdemokraten
beschäftigen; ich rate das an . Es ist für uns unter sozialethischen Gesichtspunkten eine Selbstverständlichkeit,
dass Frauen und Männer bei gleicher Arbeit auch gleich
bezahlt werden .
({6})
Das ist ein Grundsatz für uns als christliche Partei; das ist
christliches Gedankengut .
Nun muss man aber auch eins sagen: Da, wo es gleiche Arbeit gibt, muss gleich bezahlt werden . Aber da, wo
ungleiche Arbeit verrichtet wird, da kann und muss die
Entlohnung sogar voneinander abweichen . Was wir wollen, ist die Gerechtigkeit . Was wir nicht wollen, ist die
von oben vorgeschriebene Gleichheit .
({7})
Insofern unterscheiden wir uns schon ganz deutlich von
gewissen Ansätzen, auch was sozialethische Grundannahmen betrifft. Auch wir haben immer gesagt: Wenn
Menschen den ganzen Tag mit ihren Händen arbeiten,
dann sollen sie davon leben können . Aber die, die etwas
mehr arbeiten, müssen auch mehr davon haben . Deswegen muss es sicherlich einen Unterschied bei der Entlohnung geben .
({8})
- Vielleicht hören Sie zu, wenn ich es immer wieder
sage: Für die gleiche Arbeit muss es selbstverständlich
den gleichen Lohn geben .
Dritter Punkt . Es geht mir darum, Konsens herzustellen - verfassungsrechtlich haben wir es klar definiert;
wir haben es sozialethisch, aber auch gesellschaftspolitisch definiert -: Ja, vor 30, 40, vielleicht sogar noch vor
20 Jahren mussten viele Frauen für die Gleichstellung
noch kämpfen . Dieses Thema wurde von vielen Frauen
nach vorne gebracht . Sie wurden teilweise belächelt,
despektierlich betitelt, und ihre Vorschläge wurden nicht
ernst genommen . Wir wissen heute: Für über 77 Prozent
der Menschen in Deutschland ist das Thema Gleichstellung ein wichtiges Thema . Das heißt, nicht nur verfassungsrechtlich und sozialethisch, sondern auch gesellschaftspolitisch müssen wir dieses Thema mit diesem
Gesetz in der Koalition angehen . Das ist eine gute Entwicklung in Deutschland, könnte man sagen . Ich habe
darauf verwiesen, dass es in anderen Regionen dieser
Welt mittlerweile wieder Rückschritte gibt . Umso wichtiger ist es, dass wir zu dieser Entwicklung stehen .
Richtig ist das, was die Ministerin angesprochen hat:
Viele Frauen sind heutzutage gut ausgebildet, voller Tatendrang, und sie bringen sich in die Gesellschaft und in
die Arbeit ein . Sie nutzen ihre Chancen . Aber sie müssen ihre Chancen auch haben, und zwar selbstverständlich gerechte Chancen . Deswegen sagen wir: Da, wo es
Unterschiede gibt, die nicht erklärbar sind, müssen sie
abgestellt werden .
Jetzt komme ich zum Thema Gender Pay Gap . Die
Diskussion darüber müssen wir sehr differenziert führen.
21 Prozent, 7 Prozent, 1,8 Prozent, 3 Prozent - all diese
Zahlen habe ich schon gehört . Es ist mir, auf Deutsch
gesagt, relativ egal: Lohnunterschied ist bei gleicher Arbeit Lohnunterschied, und der muss abgestellt werden .
Da sind wir, glaube ich, einer Meinung . Trotzdem bitte
ich darum, eine politisch saubere Diskussion zu führen .
Man muss gewisse Dinge schon erklären . Eine Frage
ist, ob ein Lohnunterschied von 21 Prozent erklärbar ist
oder nicht . Nadine Schön hat schon deutlich gemacht,
dass wir den Lohnunterschied von 7 Prozent im Fokus
haben; denn es gibt Gründe, warum Löhne voneinander
abweichen . Sie dürfen nur nicht bei gleicher Arbeit voneinander abweichen . Deswegen verweisen wir, wenn wir
uns auf die laut Statistischem Bundesamt nicht erklärbare
Lohnlücke von 7 Prozent beziehen, auf den Gesetzentwurf .
({9})
Drei Kernelemente dieses Gesetzentwurfs wurden bereits dargestellt:
Erstens . Für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als
200 Mitarbeitern wird ein individueller Auskunftsanspruch eingeführt . Kritisiert wurde: Dieser Anspruch
muss doch eigentlich schon für Betriebe mit einem Mitarbeiter eingeführt werden . Ich kann nur anraten, diese
schwierige Debatte hochsensibel zu führen und Lösungen zu erarbeiten, die dem Ansinnen gerecht werden,
die es aber auch mit sich bringen, dass die deutsche
Wirtschaft, auch kleinere und Kleinstunternehmen, das
wuppen kann . Denn wir brauchen die Unterstützung der
Unternehmen in dieser Frage . Was wir nicht brauchen,
ist, dass die einen für die Frauen sind, während die anderen für die Wirtschaft sind. Eine solche Konflikthaltung
müssen wir verhindern; vielmehr müssen wir beides zusammenbringen .
({10})
Deswegen war es, glaube ich, richtig, die Beschäftigtenzahl zu erhöhen .
Viele Mittelständler mit wenigen Beschäftigten sind
gerade mühevoll dabei, Frauen ein gleich hohes Gehalt
zu zahlen . Deshalb, denke ich, müssen wir auch auf die
mit Blick auf die Bürokratie geäußerten Bedenken hören .
Der zweite Punkt: Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten werden aufgefordert, betriebliche Verfahren
zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit
durchzuführen - in der Methodik offen.
Der dritte Punkt: Für Unternehmen mit in der Regel
mehr als 500 Beschäftigten wird, soweit diese lageberichtspflichtig sind, eine Berichtspflicht zu Gleichstellung und Entgeltgleichheit eingeführt .
Es gab einen ersten Entwurf im Dezember 2015 . Ich
sage ganz offen: Als wir ihn gelesen haben, konnten wir
als Union nicht mitgehen, weil wir - das ist unsere Aufgabe - den mittleren Weg, den Sie beschrieben haben,
zwischen der Wirtschaft und dem, was wir mit Blick auf
die Entgeltgleichheit erreichen wollen, gehen wollen .
Deshalb ist es richtig, dass dieser Entwurf vom Dezember 2015 in sehr vielen Punkten nochmals verändert wurde .
({11})
Es war wichtig und richtig, dass die Gewerkschaften
und die BDA dabei waren, da sie diejenigen sind, die die
Interessen ihrer jeweiligen Gruppe gut repräsentieren .
Deshalb sind die Änderungen auch sehr klug .
({12})
Es ist weder Sinn noch Zweck eines solchen Gesetzes,
die Arbeitgeber zu überfordern . Wir müssen sie mitnehmen, und wir müssen Dinge verändern; aber wir sollten
die Arbeitgeber nicht überfordern und an möglicherweise
zu hohen Hürden scheitern lassen . Darauf werden wir als
Union achten .
({13})
Angesprochen wurde bereits der Auskunftsanspruch
mit den Entgeltbestandsteilen . Darüber wird man diskutieren. Er ist jetzt geändert worden. Es fließen nicht mehr
alle Entgeltbestandteile ein, sondern nur noch zwei .
Nun komme ich zu dem Satz mit dem Unfrieden von
Herrn Christian von Stetten . Was er meint, ist doch einmal überlegenswert . Es ist doch so: Was bauen Sie bei
der Betrachtung der Entgeltgleichheit mit ein - nur das
Grundeinkommen, oder gibt es weitere Bestandteile?
({14})
Ich finde es richtig, und man sollte es nicht so diffamiert
darstellen, wie es hier geschehen ist, dass man fragt: Wie
kann ich dafür sorgen - das ist doch die erste Pflicht -,
dass wir weiterhin Frieden in den Unternehmen haben?
({15})
Marcus Weinberg ({16})
Denn das ist doch die Basis des Wohlstandes und der Erfolge der deutschen Unternehmen .
({17})
Wenn man den jetzigen mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf vergleicht, dann sieht man, dass wir den Bürokratieaufwand und die Belastungen für die betroffenen
Betriebe auf ein annehmbares Maß reduziert haben . Wir
werden auch im parlamentarischen Verfahren weiter fragen: Wo können wir mit Blick auf die Bürokratie weitere
Veränderungen vornehmen?
Ich bin mir sicher, dass wir am Ende ein Gesetzespaket bekommen, das im Sinne der Frauen sowie im Sinne
der deutschen Wirtschaft ist . Noch einmal: Wir wissen,
dass wir hier nur einen kleinen Schritt gehen . Daneben
sind auch andere Bereiche entscheidend, zum Beispiel
das Thema „Rückkehrrecht nach Teilzeit“.
({18})
Angesprochen wurde schon der gesamte Kitaausbau . All
die Maßnahmen der vergangenen Jahre haben doch dafür
gesorgt, dass sich die Situation insbesondere für Frauen
ändert .
Wir sehen aber auch am Beispiel Schweden, wo es
ganz andere gesetzliche Maßnahmen gibt, dass die bereinigte Lohnlücke bei 6 Prozent liegt, während sie bei uns
bei 7 Prozent liegt . Deshalb sollte man das als Gesamtpaket sehen . Das heißt, das Thema „Gleichstellung im
Arbeitsleben“ ist ein Gesamtpaket. Dazu gehören viele
Aspekte, so auch die Situation derjenigen, die im Pflegebereich arbeiten und deren finanzielle Situation dringend
verbessert werden muss .
Ich fand es übrigens in der Diskussion über die Frage
„Frauen in Führungspositionen“ - dort haben wir ja auch
ein gutes Gesetz hinbekommen - immer viel wichtiger,
dass man bei jenen, die nur ein geringes Einkommen haben, dafür sorgt, dass Frauen und Männer gleichbezahlt
werden .
Deshalb ist der Gesetzentwurf richtig . Er bietet die gesellschaftliche Chance, ihn als Signal zu begreifen; denn
das Entgelttransparenzgesetz wird ein weiterer Schritt
sein, um die Gleichstellung von Frauen und Männern in
der Erwerbswelt voranzutreiben . Denken Sie einmal daran: Väter und Mütter wollen, dass Söhne und Töchter
für gleiche Arbeit auch das gleiche Einkommen erhalten .
Daran werden wir weiter arbeiten .
Vielen Dank .
({19})
Und das gleiche Taschengeld . Vielen herzlichen Dank,
Marcus Weinberg . - Nächste Rednerin: Beate MüllerGemmeke für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD freut
sich über das Entgelttransparenzgesetz. Die Lohnfindung
dürfe keine Blackbox sein, so die Ministerin, deshalb sei
das Gesetz ein echter Durchbruch .
Einen Grund zum Feiern hat aus meiner Sicht eigentlich nur die Union; denn sie hat so lange verhandelt, bis
Anspruch und Wirklichkeit weit auseinandergehen . Dabei haben die Wirtschaftskonservativen wirklich ganze
Arbeit geleistet, deshalb ist das Gesetz auch kein Durchbruch, sondern nur eine Nebelkerze, und das wird diesem
wichtigen Thema in keiner Weise gerecht .
({0})
Meine Kollegin Katja Dörner hat ja schon ausgeführt,
dass das Gesetz viel verspricht, aber ein Großteil der
Frauen gar nicht davon profitiert. Wir haben noch mehr
Kritik . Vier Aspekte möchte ich kurz ansprechen .
Erstens . Das Entgeltgleichheitsgebot gilt für alle
Teile des Lohns, doch wird das Auskunftsrecht jetzt
beschränkt auf den durchschnittlichen Bruttolohn und
auf zwei Lohnanteile . Ich frage mich: Wie soll das gehen? Woher sollen denn die Beschäftigten wissen, nach
welchen Lohnanteilen sie fragen müssen? Der durchschnittliche Bruttolohn allein macht Benachteiligungen
nicht sichtbar . Diese Regelung ist komplett verfehlt und
nichts anderes als eine Mogelpackung; denn nur dann,
wenn die Beschäftigten den monatlichen Bruttolohn und
alle Lohnanteile vergleichen können, entsteht tatsächlich
Transparenz .
({1})
Zweitens . Für Betriebe, die an einen Tarifvertrag
gebunden sind oder sich darauf beziehen, und - ganz
neu - auch für kirchliche Arbeitgeber gilt eine Angemessenheitsvermutung . Angemessen bedeutet hier: Die
Lohnstrukturen sind per se diskriminierungsfrei, und Tätigkeiten in unterschiedlichen Entgeltgruppen werden als
nicht gleichwertig definiert. Das ist fatal; denn die Beschäftigten können nicht mehr überprüfen lassen, ob sie
richtig eingruppiert wurden, obwohl gerade durch eine
fehlerhafte Eingruppierung ganz häufig Entgeltdiskriminierungen entstehen . Diese Angemessenheitsvermutung
schafft keine Transparenz. Im Gegenteil: Sie führt sogar
dazu, dass Benachteiligungen bei der Eingruppierung
verschleiert werden . Das ist nicht akzeptabel .
({2})
Drittens . Unternehmen sollen zukünftig ihre Lohnstrukturen auf Entgeltdiskriminierung überprüfen . Das
hört sich gut an, und es wäre auch wichtig . Aber das gilt
nur für private Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und nicht für tariflich gebundene oder kirchliche
Arbeitgeber . Die wenigen, die dann noch prüfen sollen,
sind nicht einmal an ein zertifiziertes Prüfverfahren gebunden . Vor allem werden die Arbeitgeber nicht verpflichtet, sondern nur aufgefordert. Ein Prüfauftrag ohne
Verpflichtung und ohne Sanktionen wird aber ins Leere
Marcus Weinberg ({3})
laufen . Dabei könnte das Prüfverfahren richtig wirkungsvoll sein . Diese Chance haben Sie schlichtweg verpasst .
({4})
Viertens . Niemand darf wegen seines Geschlechts
mittelbar beim Lohn benachteiligt werden . Das ist Gesetzeslage . Aber genau dieses Verbot wird jetzt relativiert; denn laut Entgelttransparenzgesetz können arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsbezogene Kriterien
ungleiche Bezahlung rechtfertigen. Definiert werden die
Kriterien aber nicht . Sie müssen nur angemessen sein .
Damit ist Entgeltdiskriminierung zukünftig möglich . Sie
muss nur begründet werden, und der Interpretationsspielraum dafür ist groß . So wird Entgeltungleichheit nicht
abgebaut, sondern im Gegenteil in diesen Fällen gesetzlich legitimiert . Und das geht gar nicht .
({5})
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Lohnlücke
von 21 Prozent ist ungerecht . Deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, damit Entgeltgleichheit endlich
durchgesetzt wird, und wir brauchen - ich sage es noch
einmal - ein Verbandsklagerecht, damit Verbände bei
strukturellen Diskriminierungen klagen können .
({6})
Das sogenannte Entgelttransparenzgesetz wird diesem
Anliegen aber in keiner Weise gerecht . Das Gesetz verspricht viel, aber es ist darauf ausgerichtet, dass möglichst wenig passiert . Gesetzliche Regelungen sind zwar
dringend notwendig, aber dieses Gesetz brauchen wir
wahrlich nicht .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke . - Nächste
Rednerin: Petra Crone für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Herren und Damen auf der Tribüne! Viele
Jahre - einige sagen: 100 Jahre - haben wir Frauen - und
übrigens auch Männer - parteiübergreifend für eine gerechte Bezahlung von Frauen und Männern gearbeitet .
Es ist kein Geheimnis, liebe Koalitionskolleginnen:
Sie sind bei diesem Thema nicht gerade fahnenschwenkend vorausgeeilt . Aber wir haben uns immer gemeinsam jährlich zum Equal Pay Day am Brandenburger Tor
getroffen und damit der Lohnungerechtigkeit unseren
Kampf angesagt . Jetzt haben wir ein Ergebnis . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es bleibt
hinter den Erwartungen der SPD-Bundestagsfraktion zurück . Aber wir sind zufrieden, dass wir einen, wie ich
finde, ganz gut ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorliegen
haben . Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen, Sie merken, bei diesem Thema ist die SPD-Bundestagsfraktion sozusagen die Butter auf der Klappstulle .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Frauen stärken . Wir wollen ihnen ein Instrument an die Hand
geben, das ihnen ermöglicht, Licht ins Dunkel von Gehaltsentscheidungen zu bringen . Sie müssen nicht wie
bisher auf ihr eigenes Risiko hin klagen . Diese Hürde
nehmen wir . Denn zu viel wird immer noch willkürlich
verhandelt und entschieden .
Bei Unternehmen mit Tarifbindung werden schon im
Vorfeld große Teile an Eingruppierungs- und Lohnungerechtigkeiten abgefedert . Aber in vielen Unternehmen
gibt es keine Tarifbindung . Gemeinsam mit den Betriebsräten sollen auch dort Frauen - und übrigens auch
Männer - die Möglichkeit haben und ermuntert werden,
eventuelle Ungleichheiten aufzuspüren . Das ist ein Riesenfortschritt im Vergleich zur jetzigen Situation .
({1})
Meine Herren und Damen, das Gesetz zur Förderung
der Transparenz von Entgeltstrukturen müssen wir als
einen Baustein in einem Gefüge begreifen . Die Einführung des Mindestlohns, die Verbesserungen durch das
Elterngeld Plus, das geplante Rückkehrrecht von Teilzeit
auf die frühere Arbeitszeit und die Modernisierung der
Pflegeberufe flankieren den Wunsch der Mehrheit der
Bevölkerung: die Partnerschaftlichkeit von Männern und
Frauen .
({2})
Das kann nicht nur privat gelten . Wir müssen und wollen
darauf eine politische Antwort geben .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor ein paar
Tagen fragte mich ein Journalist in einem Interview zu
diesem vorliegenden Gesetz: Warum wählen Frauen
auch die falschen Berufe? Ich frage Sie alle hier: Sind
etwa Pflegeberufe, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, falsche Berufe?
({3})
In der Altenpflege verrichten diese Frauen eine körperlich und seelisch sehr anstrengende Arbeit für Menschen .
({4})
Durch die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung
({5})
werden wir die berufliche Wertschätzung für diese Frauen erhöhen und auch endlich die notwendige finanzielle
Aufwertung erreichen .
({6})
Eines zum Schluss . Oft wird gönnerhaft oder auch kritisch bei diesem Gesetz von Boni für Frauen gesprochen .
Nein, es ist eine Selbstverständlichkeit . Wer Selbstverständlichkeiten wie die faire Bezahlung von Männern
und Frauen stets mit Bürokratie gleichsetzt, zeigt, dass
er den Wert gesellschaftlicher Modernisierungen nicht
verstanden hat .
({7})
Deshalb lassen Sie uns gemeinsam mehr Gerechtigkeit
schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich danke Ihnen für das Zuhören .
({8})
Vielen Dank, Petra Crone . - Die nächste Rednerin:
Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Mit dem Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen setzen wir nach der Frauenquote eine weitere wichtige Maßnahme im Bereich
Gleichstellung und Frauenpolitik um, die wir nicht nur
im Koalitionsvertrag, sondern zuerst auch in unserem
Wahlprogramm vereinbart hatten . Dass der CDU frauenpolitische Themen - Chancengerechtigkeit und Fairness
in der Berufswelt - wichtig sind, dokumentieren wir auch
dadurch, dass unser Fraktionsvorsitzender Herr Kauder
heute hier ist . Ich frage mich: Wo sind die anderen Fraktionsvorsitzenden, denen dieses Thema so wichtig ist?
({0})
Wir beginnen damit eine breite gesamtgesellschaftliche Debatte, ohne die ein solches Gesetz keine dauerhafte Veränderung in der Gesellschaft möglich macht .
Wir alle erwarten, dass dieses Gesetz dazu beiträgt,
den Lohnunterschied bei Männern und Frauen zu verkleinern . Klar ist aber auch, dass allein mit diesem Gesetz die restliche Lohnlücke nicht zu schließen sein wird,
sondern wir weiterhin auf allen gesellschaftlichen Ebenen dafür kämpfen müssen .
({1})
Dabei ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt: Wir
müssen junge Frauen und junge Männer viel früher in
Sachen Beruf und Finanzen aufklären und informieren
und die Beratung viel breiter aufstellen - nicht erst bei
der Arbeitsagentur oder bei der Berufsberatung, sondern
in allen Schulen ab der siebten Klasse, übrigens nicht nur
zu Verdienstmöglichkeiten in einzelnen Branchen, sondern auch über deren Auswirkungen bis zur Rente, inklusive Erwerbsunterbrechungen aus den verschiedensten
Gründen .
Dies gilt umso mehr in einer Zeit der hybriden Arbeitsverhältnisse . Denn wir müssen aufpassen, dass wir
nicht einen aussterbenden Arbeitsmarkt regeln, während
die Realität längst ganz anders aussieht und unsere Gesetze schon vor der Einführung quasi überholt sind .
Ich werbe dafür, nicht mit zweierlei Maß zu messen .
Wir müssen offensichtliche Ungerechtigkeiten überall abbauen, auch und gerade in unserem Bereich, dem
öffentlichen Dienst. Der Bund ist in diesem Gesetz mit
drin, Länder und Kommunen aber draußen;
({2})
und gerade da ist noch viel zu tun - beispielsweise in vielen Jobcentern der Arbeitsagenturen . Dort gibt es unterschiedliche Bezahlungen für Angestellte, je nachdem, ob
sie beim Bund oder bei der Kommune angestellt sind, für
exakt die gleiche Tätigkeit im selben Büro . Da können
wir ganz schnell Abhilfe schaffen.
Ein weiteres Beispiel sind befristete Verträge, die hier
immer von vielen angeprangert werden, aber beispielsweise bei Lehrkräften in Rheinland-Pfalz gang und gäbe
sind . Hier gibt es eine ungleiche Bezahlung für zwei
Lehrkräfte an ein und derselben Schule, die ein und dieselbe Tätigkeit ausüben . Solange wir so etwas dulden,
brauchen wir nicht mit spitzen Fingern auf andere zu zeigen, sondern wir können selbst etwas tun .
Ich möchte auch dafür plädieren, dass wir weniger Regulierungswut zulassen . Die Annahme, alles mit Gesetzen regeln zu können und zu müssen, erweist sich nämlich auch bei der Entgelttransparenz als Irrglaube,
({3})
und zwar aus mehreren Gründen:
Erstens . Es hat sich die allumfassende Regulierung
in Sachen Gleichstellung weder hier noch anderswo
bewährt; mein Kollege hat darauf hingewiesen . Skandinavien wird immer als glühendes Vorbild hochgehalten .
Dabei wird von allen Kolleginnen aus den Parlamenten
dieser Länder bestätigt, dass trotz totaler Transparenz
beim Einkommen, trotz verpflichtender Vätermonate
und, und, und sie eine um nur 1 Prozentpunkt niedrigere
bereinigte Lohnlücke haben als wir .
Und zweitens ist gerade bei diesem Gesetz der Anwendungsbereich derart disparat, dass es sehr schwer ist,
damit allen Arbeitnehmerinnen gleichzeitig zu helfen . Im
Gegensatz zur Frauenquote oder zum Mindestlohn soll
dieses Gesetz Frauen in allen Branchen, allen Berufen
und auf allen Ebenen etwas bringen - von der Kassiererin bis zur Managerin, von der Krankenschwester bis zur
Chefärztin .
Dabei wissen wir doch, dass es schon schwer ist,
innerhalb einer Branche die Lohnlücke zu reduzieren,
weil sie dort unterschiedlich ausfällt . Nehmen wir den
Bereich der Kunst: Beim Film haben wir beispielsweise katastrophal schlechte Voraussetzungen, während es
bei Bibliotheken oder in der Kunstpädagogik für Frauen
deutlich besser aussieht . Und das gilt erst recht, wenn
man mehrere verschiedene Branchen vergleicht .
Es ist hier nicht nur die Politik gefordert, sondern es
sind die Sozialpartner gefordert, und dem werden sie in
der Regel auch gerecht . Aber wir sollten den Gewerkschaften, die ja letztlich auch selbst Arbeitgeber sind,
genauso wenig pauschal eine unfaire Bezahlung unterstellen wie irgendeinem mittelständischen Unternehmen .
({4})
Die Privilegierung von tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen zieht sich als roter Faden durch
den gesamten Gesetzentwurf . Damit honorieren wir die
Tatsache, dass schon heute die Lohnlücke in Tarifbetrieben am niedrigsten ist . Aber wir verbinden damit auch einen klaren Auftrag an die Sozialpartner und Betriebsräte:
Das Engagement für Gleichstellung und Frauenförderung muss fortgesetzt und zu einer Selbstverständlichkeit
gemacht werden .
Ein dritter Punkt, der gegen zu viel Regulierung und
Gesetzeshörigkeit spricht: Wir schaden damit sowohl
den Unternehmen als auch den Frauen selbst . Wir sollten
anerkennen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen
in aller Regel für beide Seiten buchstäblich gewinnbringend zusammenarbeiten . Dies gilt übrigens auch für die
bereits angesprochenen vielen kleinen und mittleren Unternehmen ohne Tarifvertrag .
Die Frage ist doch: Wie gehen wir das Ziel Gleichstellung an? Gehen wir von einer feindlichen Arbeitgeberschaft und böswilligen Kollegen aus? Dann spräche
tatsächlich vieles dafür, Frauen mit umfassenden Gesetzesmaßnahmen zu beschützen . Ich glaube aber, die Wirklichkeit ist - in den meisten Fällen jedenfalls - längst eine
andere . Wo Missstände sind, müssen wir diese energisch
angehen; aber wir sollten nicht den Fehler begehen, Frauen immer nur beschützen zu wollen .
({5})
Wir sollten sie stattdessen lieber fördern und unterstützen, was diese Bundesregierung auch getan hat, beispielsweise durch den Ausbau der Kinderbetreuung .
Frauen sind wesentlich belastbarer und flexibler als
Männer . Nur in Sachen Selbstbewusstsein und Streitbarkeit, wenn es um uns selbst geht, könnten wir noch eine
Schippe drauflegen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen ist nur ein weiterer Schritt in Sachen Gleichstellung .
Das Engagement für eine moderne, partnerschaftliche
Arbeits- und Familienwelt muss weitergehen .
({7})
Gerade junge Frauen sollten die bisherigen Errungenschaften nicht als Selbstverständlichkeit betrachten .
Ich bin mir sicher, dass das Thema Entgeltgleichheit
jetzt in den Unternehmen und in den Köpfen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer präsenter sein wird und damit der Einsatz
für faire Entlohnung wichtiger und vor allem erfolgreicher werden wird . Wenn wir alle unseren Töchtern und
Söhnen vorleben, dass es sich lohnt, für unsere Ziele zu
streiten, und partnerschaftlich unsere Aufgaben teilen,
erreichen wir dauerhaft am meisten für Frauen in der Gesellschaft .
Danke schön .
({8})
Vielen Dank, Ursula Groden-Kranich . - Nächster
Redner: Sönke Rix für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal ganz kurz zur Vorrednerin, zur werten
Koalitionskollegin: Sie haben gerade gesagt, dass die
Frauen ruhig noch eine Schippe drauflegen können, wenn
es um den Kampf für ihre eigenen Rechte geht . Mindestens die drei Herren hier vorne haben gleich geklatscht .
Ich will an dieser Stelle sagen: Es liegt nicht in erster
Linie am Kampfesgeist der Frauen, wenn es um ihre eigenen Rechte geht, sondern meistens an der Blockade
einiger Männer .
({0})
- Ein Glück, dass das hier nicht so ist, auch nicht, wenn
wir über diesen Gesetzentwurf reden . Nein, um Gottes
willen . - Aber die Frauen dafür selber verantwortlich zu
machen, das sollten wir, finde ich, nicht tun. Gerade deshalb reden wir jetzt das erste Mal über richtig konkrete gesetzliche Maßnahmen: weil die Frauen eben nicht
selbst verantwortlich dafür sind, dass sie weniger Geld
für die gleiche oder gleichwertige Arbeit verdienen .
Dieser erste, wie ich finde, wichtige und gute Schritt
ist sehr nötig, um den Frauen an dieser Stelle zu helfen,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Er schafft Transparenz. Er schafft endlich die Gelegenheit, Transparenz in Gehaltsstrukturen zu bekommen .
Wir sind seit Jahrzehnten geprägt davon, dass man nicht
einmal in der eigenen Familie darüber spricht, dass man
nicht einmal dem eigenen Schwager erzählt, welches Gehalt man bekommt . Bei uns, die wir hier sitzen: Da weiß
jeder, was wir bekommen . Bei vielen ist das aber eher ein
Tabuthema . In den Ländern, in denen Lohntransparenz
herrscht, in den Ländern, in denen sie ganz selbstverständlich ist, weil inklusive Steuererklärung alles irgendwie öffentlich ist, ist das Gap in der Entlohnung zwischen
den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit geringer . Von
daher ist Lohntransparenz nicht nur ein erster Schritt zur
Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Herstellung von Gerechtigkeit in der Lohnpolitik insgesamt .
Das tut uns ganz gut, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Der Gesetzentwurf schafft einen soliden Rahmen
und befreit uns von dem Gang vors Gericht, wenn wir
glauben, wir werden für die gleiche Arbeit nicht gleich
bezahlt . Denn die Regelung, wie wir bezahlt werden,
gehört in die Betriebe . Deshalb leistet dieses Gesetz
auch so einen wichtigen Beitrag . Es darf nicht sein, dass
Lohndiskriminierung eine Sache von Verhandlungen in
Hinterzimmern ist . Lohndiskriminierung ist einfach nur
unfair . Von daher muss dieser Bereich gesetzlich geregelt
werden .
({3})
Natürlich ist es auch ein Signal . Mit diesem Gesetzentwurf sagen wir auch: Wir greifen diese Debatte auf .
Wir machen einen ersten Schritt hin auf gesetzliche Rahmenbedingungen, wissen aber natürlich auch, dass dies,
wenn wir von schlechterer Bezahlung von Frauen nicht
nur für gleiche, sondern eben auch für gleichwertige Arbeit sprechen, nur ein Baustein ist . Ein anderer Baustein
ist - viele Kolleginnen und Kollegen haben es gesagt -:
das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit . Hier müssen
wir noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen.
Ferner: Wir wollen die Pflegeberufe aufwerten.
Ich will an dieser Stelle sagen, auch wenn ich nicht
konkret in die Tarifverhandlungen eingreifen will: Meine
Solidarität gehört denjenigen, die jetzt gerade im öffentlichen Dienst, insbesondere in den Bereichen Pflege, Kindererziehung und Soziales, in Verhandlungen treten mit
dem Ziel, dass sie besser bezahlt werden . Meine Solidarität haben diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
({4})
Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, über den die Union sagt: Das geht in Teilen ein Stück weit zu weit . Die
Opposition sagt: Das geht uns nicht weit genug und ist
eher zu wenig . Einige Arbeitgeber sagen: Das ist zu viel
Bürokratie und belastet uns zu viel . Die Frauenverbände
und Arbeitnehmerinnen sagen: Im Gegenteil, es hilft uns
noch nicht richtig . - Aus diesen Aussagen leite ich ab:
Das ist ein vernünftiger erster Schritt, ein guter Kompromiss. Ich finde, den sollten wir schnellstmöglich hier im
Parlament umsetzen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Kollege Rix . - Der nächste und letzte Redner in dieser Debatte: der werte Kollege Paul
Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren an den
Bildschirmen und hier im Auditorium! Genau wie alle
anderen Kolleginnen und Kollegen habe auch ich pünktlich zum Valentinstag den Equal-Pay-Newsletter bekommen . Darin wird auf den diesjährigen internationalen Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Männern
und Frauen hingewiesen . Am 18 . März jährt sich dieser
Tag in Deutschland zum zehnten Mal . Rund um dieses
Datum werden bundesweit wieder zahlreiche Aktionen
stattfinden.
({0})
- Ja, wir wollen den sukzessive auf den 1 . Januar vorverlegen . Liebe Frau Kollegin Dörner, danke für den
Einwand . Wenn Sie eine Frage stellen würden, hätte ich
etwas mehr Redezeit; das würde mich noch mehr freuen .
({1})
Natürlich arbeitet diese Große Koalition ein halbes
Jahr vor der nächsten Bundestagwahl in die richtige
Richtung . Ich hätte es begrüßt, Frau Kollegin Möhring,
wenn Sie gesagt hätten: Jawohl, das ist ein Schritt in die
richtige Richtung . Wir, die Linke, unterstützen das . - Von
euch hätte ich es mir auch gewünscht . Wie schon gesagt,
ihr habt noch die Möglichkeit, in der Ausschussanhörung
in euch zu gehen und diesen Gesetzentwurf mitzutragen .
({2})
Sie könnten sagen: Wir könnten noch mehr haben, aber
wir sind auf einem guten Weg .
({3})
Ich darf mich sehr herzlich bedanken . Wenn Sie sagen, Frau Kollegin Crone, die SPD sei die Butter auf
der Stulle, dann muss ich sagen, dass die CDU/CSU der
Schinken auf der Butter ist . Das macht es erst schmackhaft; nur, dass Sie Bescheid wissen .
({4})
Von Vorrednern wurde bereits auf viele Details des Gesetzentwurfes hingewiesen . Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir diesen Gesetzentwurf als Teil eines ganzen
Paketes sehen . Ebenfalls wurde darauf hingewiesen, dass
auch die starken Frauen - hier geht es um das Verhandlungsgeschick bei Lohnverhandlungen - ein Stück weit
stärker motiviert werden müssen . Ich bin nicht der Auffassung, dass der böse Arbeitgeber den Frauen Ansprüche in vielen Bereichen vorenthält, wie es klassenkämpferisch von einer Vorrednerin ausgeführt wurde . Nein,
ich glaube, wir müssen die Frauen durch verschiedene
Programme - diese gibt es parteiübergreifend -, zum
Beispiel Mentoringprogramme, unterstützen . Ich kenSönke Rix
ne das zum Beispiel bei uns in der Frauen-Union . Dort
geht es um die Frage: Wie kann ich in der Politik, wie
kann ich im gesellschaftlichen Bereich so auftreten, dass
ich genau dieselbe Härte habe wie die Männer, wenn es
beispielsweise um Lohnverhandlungen geht? Ich glaube,
wir müssen versuchen, über Mentoringprogramme die
Arbeitnehmerinnen zu stärken . Wir müssen den Frauen
auch klarmachen - Stichwort: „Fachkräftemangel“ -: Ihr
werdet gebraucht . Dies hilft ihnen in ihrer Position .
Eines, Frau Ministerin, haben wir, glaube ich, in dem
Gesetzentwurf übersehen; das wird sicherlich in der Anhörung nachgebessert werden . Wir haben im Kabinett den
Beschluss „One in, one out“, also dass man fragt: Wie
können wir Bürokratie an anderer Stelle ein Stück weit
reduzieren? Dann wird der Gesetzentwurf noch besser .
({5})
Wir haben eine spannende Anhörung in 14 Tagen . Das
Thema Lohngerechtigkeit gehen wir auf mehreren Ebenen an .
Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass wir am
1 . Januar genau vor zehn Jahren das Elterngeld eingeführt haben . Damals - unter der Familienministerin Frau
von der Leyen - wurden die Kindergartenbetreuung und
der Kitaausbau vorangebracht . Wir haben mittlerweile
viel erreicht in dieser Beziehung . Wir haben seit dreieinhalb Jahren - seit dem 1 . August 2013 - den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz . Das macht natürlich auch die
Position von jungen Frauen, die sich um einen Arbeitsplatz bewerben, besser .
({6})
Das spielt hier alles ein Stück weit positiv hinein . Es sind
verschiedene Puzzlesteine, wie du gesagt hast, die hier
ein Gesamtbild ergeben . Das wird dazu führen, dass die
Position der Frauen stärker wird .
Der Ausbau der Kinderbetreuung, der Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz, das Elterngeld Plus mit Partnermonaten, aber natürlich auch die richtige Behandlung von Tagespflegepersonen - das ermöglicht es, zu sagen: Jawohl,
ich kann nach der Geburt eines Kindes, wenn ich das wünsche, dem Unternehmen wieder zeitnah zur Verfügung
stehen . - Es stärkt die Position der Frauen - auch bei Gehaltsverhandlungen -, wenn sie sagen können: Ich bleibe
keine drei Jahre zu Hause - wie es noch vor zehn Jahren
der Fall war -, sondern ich kann, wenn ich will, nach 12
oder 14 Monaten wieder an meinem Arbeitsplatz sein .
({7})
Das ist, glaube ich, auch ein ganz wichtiges Thema:
Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht kontinuierliche Erwerbsbiografien von Frauen
und existenzsichernde Beschäftigungsformen .
Ja, es ist richtig: Es handelt sich um eine Abwägung
bei der Frage: Was können wir hier ein Stück weit erreichen? Der Auskunftsanspruch bei 200 Beschäftigten,
die Berichtspflichten bei 500 Beschäftigten, im Übrigen
auch die Stärkung der tarifgebundenen Unternehmen
bzw . der Gewerkschaften - dafür hätte ich mir auch
ein bisschen Lob von der Linkspartei gewünscht, Herr
Kollege Birkwald; habt ihr leider vergessen, uns dafür
zu loben - zeigen im Endeffekt, dass viel Gutes in dem
Gesetz steht . Wir werden damit die Situation der Frauen
in der Arbeitswelt, aber auch die Möglichkeit, Familie
und Beruf zusammenzubringen, deutlich verbessern . Ich
wünsche mir am 6 . März in der Anhörung ein konstruktives Begleiten .
({8})
Ich bin froh, dass auch als Vertreter unseres Wirtschaftsflügels der Kollege Klaus-Peter Willsch hier ist
und gesagt hat: Wir werden uns bei der Anhörung mit
einklinken und auf die Bedenken bzw . die Themen der
Unternehmen hinweisen .
({9})
Verantwortlich regieren heißt, die verschiedenen Interessen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Beteiligten unter einen Hut zu bringen . Da sind wir auf einem
guten Weg, Frau Ministerin . Ich glaube, wir haben ein
vernünftiges Gesetz hinbekommen .
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und
auf die Anhörung und wünsche Ihnen allen noch einen
schönen Tag .
Herzlichen Dank .
({10})
Und ich lobe Sie, lieber Paul Lehrieder, dass Sie sich
so an die Redezeit gehalten und sogar noch ein bisschen
eingespart haben .
({0})
- Ja, ich kenne Sie doch, natürlich .
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/11133 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge, dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Vielen Dank für die lebendige Debatte .
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
bitte ich darum, zügig die Plätze zu tauschen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle
Drucksache 18/9190
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre manches, aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Sevim
Dağdelen für die die Linke.
({2})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir leben in einem Land - wie es der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge so treffend formuliert hat -, in dem die Reichen immer reicher und die
Armen immer zahlreicher werden .
({0})
Wir leben in einem Land, das sich sozial immer weiter
zerlegt; einem Land, in dem der eiskalte Neoliberalismus
der letzten drei Jahrzehnte gesellschaftlichen Zusammenhalt immer weiter und immer stärker zerstört; einem
Land, in dem in vielen Städten mittlerweile jedes fünfte
Kind, ja in manchen sogar jedes dritte Kind von Hartz IV
leben muss . Und wir leben in einem Land, in dem sich die
soziale Frage in aller Schärfe neu stellt, wie es der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes,
Ulrich Schneider, in seinem wirklich lesenswerten Buch
Kein Wohlstand für alle!? auf den Punkt gebracht hat .
Schneider benennt in seinem Buch die Dynamik dieser
Entwicklung wie folgt - ich zitiere -:
Den Menschen wurde ein ganzes Stück sozialer
Sicherheit genommen . Wer sehr gut verdient und
einen sicheren Job hat, kann damit umgehen . Für
diejenigen aber, für die jeder Cent zählt und deren
Jobs alles andere als sicher sind, häufig nur befristet
oder auch als Leiharbeit, ist es eine echte Bedrohung und wird auch so wahrgenommen . Es reicht
dann der Zuzug von Flüchtlingen, wie wir ihn in den
letzten Jahren hatten, um die politische Stimmung
völlig kippen zu lassen, um Rassismus und Aggression hochkommen zu lassen und jenen eine Chance
einzuräumen, die mit nationalistischen Parolen erfolgreich sein wollen .
Auf die Frage nach den Ursachen führt der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Schneider,
wie folgt aus:
Doch es waren nicht die Geflüchteten. Es waren die
neoliberale Ungleichheitspolitik und die damit verbundenen Ausgrenzungen und Bedrohungen .
Genau deshalb, meine Damen und Herren, ist es verantwortungslos, jetzt von sozialer Ungerechtigkeit zu
sprechen, sich aber gleichzeitig in dieser Welt, in der
Wirklichkeit, allem zu verweigern, was nur ein Stück
mehr an Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft schaffen
könnte .
({1})
Vor diesem Hintergrund: Es gilt ja für Sie gleich als skandalös, wenn man, wie die Linke, mehr soziale Gerechtigkeit und die Wiederherstellung des Sozialstaates fordert .
Aber wir als Linke werden dranbleiben, bis diese Ungerechtigkeiten aufgehoben sind .
({2})
Wenn es etwas gibt, das CDU, CSU, SPD, FDP und
auch die Grünen eint, dann ist es die Zerstörung des Sozialstaates .
({3})
Denn ob mit Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder jetzt SchwarzRot: Seit Jahren wurde die Axt angelegt . Gesundheit ist
in unserer Gesellschaft zu einer teuren Ware verkommen .
Statt sicherer Arbeitsplätze, guter Löhne und damit natürlich auch guter Renten nehmen 1-Euro-Jobs, Leiharbeit, Dauerbefristungen und auch Werkverträge zu, mit
dem Ergebnis, dass Hunderttausende von ihrer Arbeit
nicht leben und ihre Familien schlicht nicht ernähren
können . Gleichzeitig explodieren die Mieten, und das
längst nicht mehr nur in den lukrativen Ballungszentren,
wie man sehen kann . Wen wundert es dann, wenn immer
größere Teile der Bevölkerung von Zukunftsängsten geplagt werden?
({4})
Es kommt hinzu, dass die Infrastruktur in Deutschland
auf den Hund gekommen ist . Das Ergebnis dieser rigorosen Rotstiftpolitik der vergangenen Jahre: marode Brücken, marode Bahnstrecken, Schlaglöcher in den Straßen
und immer mehr Schwimmbäder, die schließen müssen .
({5})
Der Investitionsrückstand beträgt allein bei den Kommunen mittlerweile 130 Milliarden Euro . Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnete einen
Investitionsstau von über 1 000 Milliarden Euro seit
1999 . Dieses Kaputtsparen, meine Damen und Herren,
hat wirklich ganz konkrete Konsequenzen . Mittlerweile
kann am Ende der vierten Klasse nur noch jeder zweite Grundschüler schwimmen, klagt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft . Nicht besser sieht es bei den
öffentlichen Bibliotheken als Orten von gesellschaftlicher Teilhabe, als Orten von Austausch und Begegnung
aus, so wie ich es zumindest empfunden und auch gelernt
habe . Auch sie werden nach und nach weggespart und
damit nach und nach geschlossen .
Doch nicht nur im Bereich der fehlenden Investitionen
wurde der Staat gezielt geschwächt . Auch vor der Ankunft der Flüchtlinge gab es zu wenige Lehrer, zu wenige
Krankenpfleger, zu wenige Finanzbeamte und zu wenige
Polizisten .
({6})
Auch durch die massiven Kürzungen im öffentlichen
Dienst in den letzten Jahren war man als Staat damals
bei der Ankunft von vielen Flüchtlingen nur noch bedingt
handlungsfähig . Dabei ist der Sozialstaat gerade auch für
gesellschaftliche Notsituationen konzipiert worden . Ein
starker Sozialstaat hätte in dieser Situation ganz anders
Vizepräsidentin Claudia Roth
reagieren können . Deshalb fordern wir die Wiederherstellung eines starken Sozialstaates in Deutschland .
({7})
Sie sagen: Wir haben doch in die Integration investiert . - Sicher, das ist unbestritten so . Das sagen auch
wir Linke und haben es immer gefordert . Für die Integrationsleistungen wendete der Bund laut dem Bundesfinanzministerium im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden
Euro auf . Doch das reicht bei weitem nicht aus . Auch die
Überweisungen des Bundes an die Länder und Kommunen, die 9,3 Milliarden Euro, reichen nicht aus, um die
Integrationskosten vor Ort zu decken . Man hängt auch
einer gefährlichen Illusion an, wenn man glaubt, dass
die Gelder, die man eingeplant hat, reichen und man den
Haushalt nicht entsprechend aufstocken müsste . Die Folgen sind für uns alle verheerend; denn das Geld reicht
einfach nicht aus - das beklagen zumindest die Kommunen bei uns in NRW -, um ausreichend Integrationskurse
anzubieten, und auch für den notwendigen Bau von Sozialwohnungen, Kindergärten und Schulen ist kein Geld
da .
({8})
- Meine liebe Kollegin, das trifft auch für die CDU- oder
CSU-regierten Kommunen zu .
({9})
Es ist nicht so, dass nur die rot-grün regierten Bundesländer davon betroffen sind. Es ist so, dass man die Kommunen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer weiter finanziell hat ausbluten lassen. Sie sollten mit
dieser Parteipolitik aufhören; denn ein Finger zeigt auch
auf Sie. Von einer sozialen Offensive zu sprechen, sollte
man vermeiden, wenn man bedenkt, dass das Geld vor
Ort nirgendwo reicht .
({10})
Es ist eine schwere Hypothek auf die Zukunft, die Sie
mit dieser Art der unzureichenden Integrationspolitik
aufnehmen . Zusätzlich schüren Sie Ressentiments in diesem Land, fördern die Spaltung dieser Gesellschaft, wenn
Sie Flüchtlinge als Lohndrücker einsetzen wollen, indem
Sie beispielsweise 100 000 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge
schaffen oder den Mindestlohn bei Flüchtlingen aussetzen wollen und das alles Integrationsgesetz nennen . Wir
lehnen das ab . Sie sollten vernünftige Löhne sowohl für
die Einheimischen als auch für die Geflüchteten als Regel einführen und nicht irgendwelche Ausnahmen .
({11})
In diesem Sinne ist es für uns auch völlig inakzeptabel, dass Sie mit 300 Millionen Euro Sprachkurse für die
Flüchtlinge von der Arbeitsagentur und damit aus den
Beiträgen der Arbeitslosenversicherung bezahlen lassen .
Es kann doch nicht sein, dass die Integrationskosten den
Beitragszahlern der Sozialversicherung aufgebürdet werden, während Sie hier andererseits jede Initiative zur Einführung einer Reichensteuer, einer Millionärssteuer blockieren . Das zeigt nur, welche Interessen Sie bedienen .
Wir sagen: Das Geld ist da . Wir müssen dafür sorgen,
dass die Reichen in diesem Land den Tisch decken für
eine soziale Offensive in diesem Land, damit Integration gelingen kann, damit nicht gespaltet wird, damit kein
Rassismus in diesem Land geschürt wird, sondern eine
Perspektive für alle Menschen in Deutschland gewährleistet ist und somit denjenigen, die von dieser Situation
profitiert haben, der Nährboden entzogen wird.
Vielen Dank .
({12})
Vielen Dank, Sevim Dağdelen. - Nächste Rednerin:
Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, es ist
ja nicht sehr schwer, zu erkennen, was Sie hier machen:
Sie nehmen die Themen Integration und Zuwanderung
zum Vorwand, um uns hier schon einmal Ihr Bundestagswahlprogramm aufzutischen und eine kleine Generaldebatte vom Zaun zu brechen . Die Flüchtlingsthematik ist
für solche durchsichtigen Wahlkampfspielchen eigentlich zu ernst und zu wichtig; aber Sie wollen es so .
({0})
Sie wollen uns weismachen, dass im Zuge der Flüchtlingskrise erst so richtig offenkundig wurde, wie desolat
unser Staatswesen ist . Ich sage Ihnen: Genau das Gegenteil ist der Fall . Im Zuge der Flüchtlingskrise wurde deutlich, wie stark unser Land ist .
({1})
Wie kein anderes Land dieser Erde haben wir in Deutschland geholfen, wie kein anderes Land dieser Erde haben
wir Humanität bewiesen, wie kein anderes Land dieser
Erde haben wir soziale Verantwortung gezeigt .
({2})
Es scheint momentan unter Rechtspopulisten ebenso
wie unter Linkspopulisten aber wieder schick zu sein,
den Untergang Deutschlands zu propagieren . Dass die
Ränder des politischen Spektrums eng beieinander liegen, konnten wir am vergangenen Wochenende bei der
Bundesversammlung sehen .
({3})
Es war ja fast schon beklemmend, mit ansehen zu müssen, wie ähnlich Ihr Verhalten in diesem Raum ist .
({4})
Sie von der ganz Linken und von der ganz Rechten
haben offenbar Freude daran gefunden, unseren Rechtsund Sozialstaat in diesem Wahlkampf als marodes Gebilde darzustellen, das unfähig ist, seine Aufgaben zu
erfüllen, aber immer noch fidel genug, um uns alle in den
Untergang zu treiben .
({5})
In Ihrem linkspopulistischen Manifest basteln Sie sich
eine ganz schlichte Welt zusammen, eine Welt aus Gut
und Böse, aus Schwarz und Weiß, und entsprechend einfach fallen Ihre Antworten aus .
({6})
Sie müssen selbst wissen, ob Sie das in Ordnung finden.
Mir wäre nicht ganz wohl dabei .
({7})
Erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen zu Ihren Ausführungen; denn blankem Linkspopulismus kommt man
vielleicht am besten mit Fakten bei:
({8})
Die Arbeitslosenquote ist seit 2005, also seit die Union
Regierungsverantwortung trägt, von 11,7 auf 6,1 Prozent gesunken; sie hat sich fast halbiert . Die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in dieser
Zeit von 26 Millionen auf 32 Millionen gestiegen . Das
Durchschnittseinkommen stieg von 29 000 Euro auf
jetzt 36 000 Euro . Das führt unter anderem dazu, dass
Deutsche noch nie in ihrer Geschichte so wenige Stunden arbeiten mussten wie heute, um sich einen Fernseher leisten zu können, nämlich im Schnitt 26 Stunden .
Vielleicht auch aus diesem Grund sind laut einer Studie
von TNS Infratest 92 Prozent der Bundesbürger sehr oder
ziemlich zufrieden mit dem Leben in unserem Land . Seit
zehn Jahren hat die Ungleichheit bei den Einkommen in
Deutschland nicht weiter zugenommen .
({9})
Wir stehen beim Gini-Koeffizienten, der die Einkommensungleichheit anhand des verfügbaren Einkommens
bemisst, besser da als der OECD-Durchschnitt .
Liebe Linksfraktion, ich weiß, dass all diese Fakten
ungünstig sind, wenn man sich erst einmal vorgenommen hat, einen Wahlkampf dahin gehend zu führen, dass
man den Untergang des Abendlandes propagiert .
({10})
Deshalb liefere ich Ihnen gleich noch ein paar mehr dieser für Sie so ungünstigen Fakten .
Ich möchte mich der Beschreibung unseres Sozialstaates widmen, nachdem Sie den Menschen jetzt weismachen wollen, dass es den in unserem Land so gut wie
gar nicht mehr gibt:
Es gibt beispielsweise eine wichtige Kennzahl, die
aussagt, welchen Anteil am Bruttoinlandsprodukt ein
Staat für soziale Zwecke ausgibt . Seit Angela Merkel
2005 Bundeskanzlerin geworden ist, hat sich diese Sozialleistungsquote erhöht, und das, obwohl wir weniger
Arbeitslose haben . Das heißt, weniger Bedürftige haben
mehr bekommen . Unter Angela Merkel wurde der Sozialstaat eben gerade nicht ausgehöhlt .
({11})
Erst gestern hat das Kabinett Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner beschlossen . Ich halte diese
Maßnahmen für wichtig .
({12})
Wir haben ein Bundesteilhabegesetz beschlossen, das
wesentliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen bringt .
({13})
Wir werden diesen Weg weitergehen . Auch hier haben
wir gezeigt, dass wir Sozialstaat können .
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion,
ich will Ihnen einmal sagen, wo offenbar die grundlegenden Unterschiede in unserem Sozialstaatsverständnis
liegen:
({15})
Sie sind der Meinung, dass man mit Geld alles richten
kann . Ich sage Ihnen: Das kann man nicht, weil wir es
mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun haben .
Sie sind für Gleichmacherei und bezeichnen das als
Gerechtigkeit . Ich sage Ihnen aber: Menschen sind Individuen, und man wird ihnen eben nicht durch Gleichmacherei gerecht, sondern nur durch Fördern und Fordern,
damit sie selbst das Beste aus ihrem Leben machen können .
Sie wollen 100 Milliarden Euro jährlich mehr in den
Sozialhaushalt pumpen und glauben, das ließe sich dauerhaft finanzieren, indem man sich das Geld von den Reichen und Superreichen holt .
({16})
Ich aber sage Ihnen: Wir sind eine Solidargemeinschaft
und keine Räuberbande mit ausgeprägter Selbstbedienungsmentalität, die sich einfach beim Bürger holt, was
sie braucht .
({17})
Sie wollen einen Mindestlohn von 12 Euro, das Ende
von Hartz IV,
({18})
eine Rückkehr zur Rente mit 65 und eine Grundsicherung von mehr als 1 000 Euro . Damit würden Sie unseren
Sozialstaat frontal gegen die Wand fahren, und für unsere
Kinder und Kindeskinder bliebe nichts mehr übrig . Wenn
es der Bundestagswahl im Herbst dient, ist Ihnen aber
offenbar jedes Mittel recht. Ich sage Ihnen: Wir werden
diesen Sozialstaat vor solchen Fantasien schützen, weil
wir nicht die Letzten sind, die hier stehen, und weil auch
die, die nach uns kommen, eine Grundlage brauchen .
({19})
Noch ein paar Sätze zu dem Thema, das Sie als Vorwand für die heutige Debatte genommen haben, nämlich
zur Integrationspolitik. Ihre Fraktionschefin und Oppositionsführerin hier im Bundestag hat bereits erkannt was nicht so schwer ist -, dass man Zuwanderung begrenzen muss, um integrieren zu können . Davon steht
in dem uns vorliegenden Antrag nichts . Wahrscheinlich
haben Sie einfach vergessen, es hineinzuschreiben . Im
Antrag steht nur, was Sie als Linksfraktion den Zuwanderern alles zugestehen wollen, unter anderem einen vollen Zugang zu allen Sozialleistungen . Das wären nach
Ihren Vorstellungen für jeden Asylbewerber vom ersten
Tag an 1 050 Euro netto im Monat . Ich will Ihnen sagen:
Damit hätten wir einen solchen Pull-Faktor geschaffen,
dass nie wieder ein Asylbewerber auf die Idee käme, in
einem anderen Land als in Deutschland einen Asylantrag
zu stellen .
({20})
Es gäbe eine explosionsartige Zuwanderung in unsere
Sozialsysteme mit allen Folgen .
Ich sage Ihnen auch: Man muss für gute Integration
tatsächlich Geld in die Hand nehmen . Um zu sehen, wie
man das richtig macht, können Sie nach Bayern schauen .
Dort schaffen wir Stellen bei der Polizei, Stellen bei der
Justiz und natürlich auch Stellen in den Schulen . Da können Sie lernen, wie Integration funktioniert . Richten Sie
das einmal Ihren Parteifreunden in Thüringen aus!
({21})
Nur weil ein Asylbewerber mehr Geld vom deutschen
Staat überwiesen bekommt, so wie Sie sich das vorstellen, wird er sich garantiert nicht besser integrieren . Um
zum Beispiel die deutsche Sprache zu lernen, braucht es
Willen, Fleiß und Disziplin . Wenn man Begabung für
Sprache hat, macht das das Ganze deutlich einfacher . Damit sind wir aber wieder bei dem grundlegenden Unterschied zwischen Ihrem und meinem Menschenbild . Jeder
Mensch ist anders . Auch in einem Sozialstaat haben wir
es mit Individuen zu tun .
Wir werden Ihren Antrag ablehnen, weil dessen Umsetzung unseren Sozialstaat innerhalb kürzester Zeit ruinieren würde . Möge der Wähler dafür sorgen, dass Sie
mit Ihren Ideen nicht zum Zuge kommen .
({22})
Vielen Dank, Astrid Freudenstein . - Nächster Redner: Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine
Rede gehört, in der alles schwarzgemalt worden ist, und
eine Rede, in der alles schöngeredet und rosarot gemalt
worden ist .
({0})
Es ist wichtig, klar zu sagen, was gut ist und was schlecht,
wo die Chancen liegen und wo die Risiken, und auch die
Probleme deutlich zu benennen .
({1})
Ich fange mit dem Positiven, mit den Chancen an . In
der Tat, Deutschland geht es gut . Wir sind in einer guten
ökonomischen Phase . Wir sind auch in einer guten demografischen Phase. Uns geht es im Durchschnitt gut.
({2})
Sie haben es gesagt: Die Mehrheit ist durchaus zufrieden .
({3})
Es kann nicht oft genug betont werden: Es gibt nach
wie vor Millionen Menschen in Deutschland, die geflüchteten Menschen helfen und sie dabei unterstützen, bei uns
anzukommen und Teil unserer Gesellschaft zu werden,
die für das neue Wir arbeiten . Das sind viel mehr Menschen als die, die in Dresden und anderswo für Fremdenfeindlichkeit demonstrieren . Pegida und Co . sind nicht
die Mehrheit .
({4})
Zuwanderung ist für Deutschland eine Chance, und
zwar sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch . Eine
bunte, vielfältige Gesellschaft ist in jeder Hinsicht gut .
Wir brauchen Vielfalt statt Einfalt .
({5})
Wir müssen diese Chance aber auch nutzen . Wenn es uns
nicht gelingt, die Menschen, die zu uns kommen, in den
Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu integrieren, werden wir ernste Probleme bekommen . Wir dürfen deshalb
die Fehler, die wir bei den sogenannten Gastarbeitern gemacht haben, nicht wiederholen .
Es ist zum Beispiel ein Fehler der Bundesregierung,
dass wir eine Dreiklassenintegration haben und dabei danach unterscheiden, aus welchem Land jemand kommt .
({6})
Es ist doch völlig daneben, dass jemand aus einem Land
mit einer Anerkennungsquote von 49 Prozent weniger
Unterstützung erhält als jemand aus einem Land mit
einer Anerkennungsquote von 51 Prozent . Wir müssen
doch den einzelnen Menschen in den Blick nehmen .
({7})
Integrations- und Sprachkurse lohnen sich auch für Menschen - da gucke ich vor allen Dingen in Richtung Union -, die vielleicht wieder in ihre Heimat zurückkehren .
Wir brauchen Integration von Anfang an, und zwar für
alle .
({8})
Wir dürfen aber auch die Probleme nicht verschweigen . Die Armutszahlen sind in Deutschland seit zehn
Jahren auf Rekordniveau . Es gibt schon jetzt mindestens
12 Millionen Menschen, die Leistungen der Grundsicherung beziehen oder einen Anspruch darauf haben . Jetzt
kommen noch einige Hunderttausend Menschen hinzu,
die ebenfalls Unterstützung brauchen. Das schafft große Herausforderungen . Möglicherweise steigen dadurch
Armut und Ungleichheit noch an . Auch die Zahl der
Arbeitslosen könnte durch die Menschen, die zu uns
kommen, steigen, weil nicht nur gut qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter kommen . Es stellt unser
Bildungssystem vor Herausforderungen, und wir brauchen mehr Wohnraum . Um diesen Herausforderungen
gerecht zu werden, müssen wir investieren . Aber das sind
Investitionen, die sich mittel- und langfristig lohnen .
({9})
Wenn wir sie nicht durchführen, kann uns das teuer zu
stehen kommen: ökonomisch und sozial .
Die Bundesregierung hat aber immer noch kein Konzept . Stattdessen diskutiert sie über Abschottung und darüber, wie ein paar Tausend Menschen schneller und einfacher abgeschoben werden können . Dadurch wird kein
einziges Problem gelöst . Ich fände es gut, wenn Sie Ihre
Energie endlich dafür verwenden würden, sich darum zu
kümmern, wie wir es schaffen, dass diejenigen, die hier
sind und hier bleiben, Teil unserer Gesellschaft werden .
Wir haben Ihnen dazu schon vor ziemlich genau einem Jahr einen Antrag vorgelegt, in dem wir deutlich gemacht haben, was ansteht . Wir Grünen haben dabei einen
klaren Kompass . Unser Kompass ist der einer inklusiven
Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt wird,
({10})
die bunt und vielfältig ist und in der alle das Gefühl haben: Ich gehöre dazu. - Statt Ausspielen der Geflüchteten
gegen Einheimische braucht es einen inklusiven Ansatz .
Es braucht inklusive Strukturen und Institutionen, bei
denen die einzelnen Menschen mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt gestellt werden,
und zwar egal ob jemand aus Dresden oder aus Damaskus kommt . Es geht nicht um die Frage „Wo kommst du
her?“, sondern um die Frage „Wo willst du hin?“.
({11})
Wir brauchen inklusive Bildung, damit nicht mehr
die Herkunft entscheidet . Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt . Wir brauchen Wohnraum für alle . Wir
brauchen Gesundheit für alle statt einer Dreiklassenversorgung. Die Notversorgung für Geflüchtete reicht nicht.
Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft.
({12})
Wir sind für gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen,
aber auch für eine gleiche Grundsicherung; denn die
Würde des Menschen ist unantastbar .
({13})
Und die Redezeit ist begrenzt .
Unser Ziel ist selbstbestimmte Teilhabe für alle: für
die, die hier geboren sind und schon länger hier leben,
und die, die neu dazukommen .
Ja, gesellschaftliche Teilhabe für alle und die Schaffung von inklusiven Strukturen kosten auch Geld . Es
geht auch um einen Kampf um Ressourcen . Dabei stehen
die, die schon länger hier leben und ausgegrenzt werden
oder sich ausgegrenzt fühlen,
Herr Kollege!
- und die, die jetzt neu dazukommen, eigentlich auf
der gleichen Seite .
Deutschland ist ein reiches Land . Wir können das
schaffen.
({0})
Vielen Dank, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn . - Ich
bitte Sie, auf die Redezeiten zu achten . Alle! - Nächste
Rednerin: Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion .
({0})
- Ja, sie trifft es jetzt.
Dann rede ich schneller . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Integration ist ein
höchst umstrittener Begriff. Viele haben damit Probleme.
Ich habe mich ein bisschen mit dem Begriff versöhnt, als
ich mich noch einmal mit seinen Wurzeln befasst habe .
Integration ist dem lateinischen Wort „integrare“ entlehnt. Das bedeutet „ergänzen“, aber auch „unversehrt
machen“. Das ist eigentlich eine ganz schöne Bedeutung.
Das bedeutet quasi eine gelungene, gewinnbringende
Eingliederung in ein bestehendes System .
Ja, der gesunde Menschenverstand sagt uns: Natürlich
funktioniert das nur dann gut, wenn das bestehende System gut funktioniert . Integration ist also nur dann einfach,
wenn es der Aufnahmegesellschaft gut geht . Das hat die
SPD schon immer gesagt; wir haben auch in dieser Legislatur danach gehandelt und wichtige Beiträge geleistet . Beispielsweise haben wir den Mindestlohn eingeführt
und gerade gestern die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente auf den Weg gebracht . All das zeigt Wirkung,
und es trägt eine sozialdemokratische Handschrift . Wir
können sagen: In vielerlei Hinsicht geht es Deutschland
gut . Die Arbeitslosigkeit ist sehr niedrig, und wir haben
Haushaltsüberschüsse . Das ist gut so; denn dann gelingt
Integration leichter .
({0})
Aber in gewisser Weise ist der Tenor des Antrags auch
teilweise richtig . Auch wir sehen bei vielen Dingen eine
Schieflage in diesem Land. Deutschland ist im Durchschnitt ein sehr reiches Land . Dennoch macht uns Sorgen, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergegangen ist . Wir machen uns Gedanken über die
Langzeitarbeitslosigkeit, die nicht so stark zurückgehen
will, wie wir das gerne hätten .
({1})
Wir machen uns auch Gedanken über prekäre Beschäftigung . Das kann nicht so bleiben; das müssen wir angehen .
Trotzdem, liebe Linke: Wir haben schon richtig viel
geschafft. Das auszublenden, wie Sie das in Ihrem Antrag
machen, ist hochgradig peinlich und albern .
({2})
Ein paar Stichworte zum Mitschreiben: Wir haben den
Mindestlohn eingeführt, die Tarifbindung gestärkt und
die Leiharbeit eingedämmt . Wir haben ein Programm
gegen Langzeitarbeitslosigkeit aufgelegt, die Situation
Alleinerziehender verbessert, die gesetzliche Rente gestärkt . Ich könnte die Aufzählung fortführen .
Frau Dağdelen, ich muss schon sagen: Ich finde es
sehr ärgerlich, was für Nebelkerzen Sie hier werfen .
({3})
Wer will denn bitte schön den Mindestlohn für Geflüchtete abschaffen? So ein Blödsinn!
({4})
Und wenn Sie sagen, die berufsbezogenen Sprachkurse
würden allein den Beitragszahlern zur Last fallen,
({5})
dann schauen Sie sich bitte die Sozialgesetzbücher an:
Der allergrößte Teil ist im Bereich des SGB II und damit
sozusagen Jobcenterangelegenheit . Wir können Ihnen
gern erklären, wie das mit den Sozialgesetzbüchern läuft;
das können wir nach der Rede gerne machen .
({6})
Schauen Sie doch auch einmal bei uns im Ausschuss für
Arbeit und Soziales vorbei!
Aber zurück zu Ihrem Antrag . Ein bisschen trägt er
schon die Handschrift - da würde ich auch zustimmen -,
dass eine clevere Integrationspolitik allen nutzt, den Einheimischen und den Geflüchteten. Die SPD hat genau
das vorangetrieben, und wir haben sehr viel erreicht . Wir
haben die Wohnungsbaumittel zweimal verdoppelt; das
nutzt allen, Hinzukommenden wie hier Lebenden . Wir
haben die Kommunen massiv entlastet; auch das nutzt
allen . Wir haben das Personal in den Jobcentern aufgestockt; das nutzt allen .
({7})
Wir haben Integrationskurse und Ausbildungsförderung
für Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive geöffnet;
das nutzt auch allen .
({8})
Damit kommen die Menschen nämlich aus der Hilfsbedürftigkeit heraus, und unsere Wirtschaft bekommt Arbeitskräfte, und das schneller .
Also: Es geht Deutschland gut, und wir haben gute
Voraussetzungen für Integration . Aber wir haben natürlich noch einiges zu tun . Beispiel Ausbildungsförderung,
Berufsausbildungsbeihilfe: Wir haben das für Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive geöffnet. Wir müssen aber
den Fokus darauf richten, dass alle, die sich in Deutschland anstrengen, etwas davon haben .
({9})
Das mache ich nicht an einer Bleibeperspektive fest . Wer
sich anstrengt, sollte auch etwas davon haben . Ich persönlich bin für eine weitere Öffnung dieser Hilfen.
Sprechen wir beispielsweise über die aus Afghanistan Geflüchteten. Dazu hätte ich auch noch einen Satz
zu sagen . Wenn wir uns ernst nehmen, müssen wir uns
an unsere eigenen Regeln halten . Für mich bedeutet eine
Schutzquote von 50 Prozent - ich hatte es so verstanden,
dass das allgemein anerkannt ist - eine gute Bleibeperspektive .
({10})
Aus Afghanistan Geflüchtete haben seit vielen Monaten
eine Bleibeperspektive von deutlich über 50 Prozent .
Nach meiner Lesart sind das Menschen mit guter Bleibeperspektive, die Zugang zu Integrationskursen und anderen Hilfen bekommen müssten .
({11})
Das wird derzeit im BMI geprüft . Ich kann nur dazu raten, zügiger zu prüfen; denn bei der Frage, ob wir diese
Menschen zügig integrieren, geht es auch um die Zukunft
unseres Landes .
Wenn wir als Gesetzgeber sagen, dass Geflüchtete
im Asylverfahren, die eine Ausbildung beginnen, hier
sicher sind und noch zwei Jahre arbeiten können, muss
das auch gelten, und zwar in allen Bundesländern gleichermaßen . Wir sehen, dass in manchen Bundesländern
versucht wird, die Menschen noch schnell außer Landes
zu bringen, bevor sie ihre Ausbildung antreten können .
So haben wir das hier nicht gemeint . Deswegen lassen
Sie uns deutlich sagen - wir müssen das ernst nehmen -:
Die Drei-plus-zwei-Regelung muss in allen Bundesländern gelten, auch im Süden dieses Landes .
({12})
In diesem Sinne: Schön, dass wir über dieses Thema
reden konnten; aber Sie haben es mit Ihrem Antrag komplett übertrieben . Sie haben zum Beispiel über Zwangsverrentung gesprochen . Warum bitte schön? Mit dem
Thema hat das aus meiner Sicht gar nichts zu tun, zumal
wir die Zwangsverrentung auch gerade - da sind Ihre
Kenntnisse etwas veraltet - weitgehend abgeschafft haben, übrigens auf SPD-Initiative .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({13})
Vielen Dank, Daniela Kolbe . - Nächster Redner:
Dr . Martin Pätzold für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Antrag der Linken gibt uns heute die
Möglichkeit, über die Erfolge der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Großen Koalition zu sprechen . So sehe
ich Ihren Antrag, der in einigen Punkten - in diesem Fall
sind es sieben Politikfelder - Defizite benennt. Aus Sicht
eines Unionspolitikers halte ich ihn zum Teil für sehr
einseitig . Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich die
Wirklichkeit betrachte .
Ich möchte einmal die Entwicklungen im Berliner Osten, in meinem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg darlegen .
Wir haben die Wiedervereinigung und danach soziale
und gesellschaftliche Umbrüche erlebt . 2005 - das war
der Höhepunkt - lag die Arbeitslosenquote in meinem
Wahlkreis bei 17,3 Prozent . Damals hat sich die rot-grüne Koalition durchgerungen, mutige Arbeitsmarktreformen umzusetzen, und zwar mit Unterstützung der Union .
So ist die Arbeitslosenquote von 17,3 Prozent im Jahresdurchschnitt 2013 auf 10,8 Prozent gefallen . Das war das
Jahr, in dem ich in den Deutschen Bundestag gewählt
wurde und meinen Beitrag im Ausschuss für Arbeit und
Soziales leisten wollte, dass diese positive Entwicklung
fortgesetzt wird . Im Jahresdurchschnitt 2016 lag die Arbeitslosenquote in Berlin-Lichtenberg bei 8,5 Prozent .
Das bedeutet, dass wir uns weiterhin um diejenigen
kümmern müssen, die noch Arbeit suchen . Im gleichen
Zeitraum gab es ebenfalls eine positive Entwicklung bei
der Jugendarbeitslosigkeit . Die Jugendarbeitslosigkeit
ist im Jahresdurchschnitt 2013 von 10 Prozent auf nun
8 Prozent gesunken . Das alles sind höchst erfreuliche und
positive Zahlen .
Wenn es um eine soziale Offensive geht - hier suche
ich gern das Verbindende -, dann muss man natürlich
ansprechen, dass es auch in den letzten Jahren Personenkreise gab, die von der positiven Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt nur zum Teil profitiert haben. Dazu gehören Langzeitarbeitslose - diese machen mittlerweile in
Lichtenberg einen großen Anteil aus -, die leider Gottes
nicht so einfach in Arbeit integriert werden konnten . Des
Weiteren gibt es geflüchtete Menschen, die hier einen
Bleibestatus haben und es ebenfalls nicht einfach haben,
in Arbeit zu kommen . Aber eine richtige Integration kann
nur über Arbeit erfolgen .
In der Politik ist es entscheidend, konkrete Vorschläge zu machen . Ich habe bei der Abgeordnetenhauswahl
erlebt, dass der Anteil populistischer Parteien in Berlin-Lichtenberg hochgegangen ist . Auch deswegen haben wir uns entschieden, ein Pilotprojekt in Lichtenberg
auf den Weg zu bringen . Dieses Tandem-Job-Programm
integriert immer einen Langzeitarbeitslosen und einen
Flüchtling in Arbeit . Dieses Pilotprogramm erfährt große Unterstützung von Karl Schiewerling und Peter Weiß
aus der Arbeitsgruppe . An diesem Programm beteiligen
sich freiwillig große Unternehmer aus Berlin-Lichtenberg wie das Königin-Elisabeth-Herzberge-Krankenhaus
und das Abacus-Tierpark-Hotel sowie Unternehmen aus
der Sicherheitsbranche genauso wie soziale Unternehmen, zum Beispiel die Kiezküchen . Insgesamt werden so
20 Personen durch bestehende Möglichkeiten der FAV in
Arbeit integriert . Das heißt, zehn Langzeitarbeitslose und
zehn Flüchtlinge werden gemeinsam von Unternehmen
in Arbeit integriert . Das ist ein Beitrag für eine soziale
Offensive in meinem Wahlkreis, der Menschen konkret
hilft, in Arbeit zu kommen .
({0})
Sie nennen in Ihrem Antrag die Punkte, wo Ihrer
Auffassung nach Defizite bestehen, zum Beispiel bei
der Schaffung des Wohnraums, der Arbeitsmarktreform - diese sind wir Ihrer Meinung nach nicht angegangen - und im Gesundheitsbereich . Zudem stellen Sie im
Bereich des Arbeitsmarktes Forderungen an die Bundesregierung . Ich will auf drei Punkte eingehen, die Sie im
Bereich der Arbeitsmarktpolitik formulieren .
Erstens. Sie wollen den öffentlichen Beschäftigungssektor auf 300 000 Personen ausbauen . Angesichts meiner Erfahrungen in meinem Wahlkreis Lichtenberg kann
ich verstehen, dass es Personengruppen gibt, für die man
Hilfe organisieren muss . Aber 300 000 Personen und
eine entsprechende Finanzierung stellen eine Herausforderung dar, die wir im Bundeshaushalt nicht stemmen
könnten und auch nicht stemmen wollen .
Zweitens wollen Sie die Sanktionen abschaffen. Ich
will ganz offen sagen, dass es auch bei uns Diskussionen darüber gibt, ob es tatsächlich so hilfreich ist, wenn
Personen aus den Hilfesystemen herausfallen . Aber die
grundsätzliche Abschaffung von Sanktionen lehnen wir
selbstverständlich ab .
({1})
Der dritte Punkt in Ihrem Antrag ist - das führt die
Gesellschaft nicht zusammen -, dass Sie eine Sonderabgabe für Arbeitgeber in Höhe von 0,5 Prozent einführen
wollen, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen .
Dieses Gegeneinander-Ausspielen von Gruppen wird,
finde ich, in Ihrem Antrag sehr deutlich. Auch deswegen
ist es für uns, die CDU/CSU, klar, dass wir Ihren Antrag
ablehnen .
Meine Vorrednerin Astrid Freudenstein hat schon
sehr deutlich gemacht, dass Ihr Antrag eine Zusammenstellung Ihres Wahlprogramms ist, in dem Sie die unterschiedlichen Themenbereiche benennen . Ich bin gespannt, in der politischen Debatte zu erfahren, wie Sie
Ihre Forderungen finanzieren wollen.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle den zahlreichen Unternehmern in Lichtenberg danken, die in den letzten Jahren
Tausende Arbeitsplätze geschaffen haben. Ich möchte
dem Jobcenter Lichtenberg dafür danken, dass es mit viel
Initiative und mit vielen engagierten Mitarbeitern dazu
beiträgt, dass Menschen in Arbeit kommen . In diesem
Zusammenhang seien Lutz Neumann, der Geschäftsführer, und Michael Denkert, der Bereichsleiter, genannt .
({3})
Ich danke auch der Agentur für Arbeit in Berlin-Brandenburg, die es ermöglicht hat, das Tandem-Job-Programm
in die Wirklichkeit umzusetzen . Es sind vor allem Jutta
Cordt und Bernd Becking, denen mein Dank gebührt .
({4})
Den Antrag der Linken müssen wir leider ablehnen .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Dr . Martin Pätzold . - Nächster Redner:
Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
ökonomistischen Grundthese Ihres Antrags vermag ich
nicht zu folgen . Soziale Gerechtigkeit und Rechtspopulismus folgen nicht einem einseitigen Wirkungsmechanismus . Soziale Gerechtigkeit sollte man um ihrer selbst
willen machen, aus ethischer und verfassungsrechtlicher
Grund überzeugung, und nicht bloß als Rechtspopulismusprophylaxe .
({0})
Es erklärt sich auch nicht alles, was wir an Pegida,
AfD und dergleichen haben, nur aus der sozialen Situation . Empirisch ist das sogar falsch . Die Leute, die diesen
Gruppen anhängen, sind überwiegend eher gut situiert
und haben allenfalls Abstiegsängste . Denen geht es letztendlich nicht um soziale Gerechtigkeit, sondern ein Stück
weit um Egoismus; sie haben Angst vor Veränderungen,
und das muss man eigenständig politisch adressieren .
({1})
Ihr Antrag enthält am Ende viel Richtiges und Falsches . Er ist ein buntes Potpourri, und man fragt sich,
wozu man reden soll und was man sich herausgreifen
soll .
Ich will Ihren Antrag insofern ernst nehmen, als er
zum Thema Integrationspolitik gestellt worden ist, und
ein wichtiges Thema aufgreifen, bei dem ich finde, dass
wir besser werden müssen, weil die Regelung nicht so
funktioniert hat, wie sich die Koalition sie vorgenommen
hat: Das ist die Bleiberechtsregelung .
Ich habe die Bundesregierung danach gefragt, wie viele Menschen davon eigentlich profitiert haben. Ursprünglich sagte man, dass man 30 000 Menschen, die geduldet
sind und seit acht Jahren hier leben, eine anständige aufenthaltsrechtliche Perspektive eröffnet. 4 100 sind es nur
geworden . Wir können doch nicht sagen, dass wir eine
gute Integrationspolitik machen, wenn wir sehen, dass wir
offensichtlich bei Menschen innerhalb von acht Jahren
keine aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen durchführen
können, aus praktischen oder menschenrechtlichen guten
Gründen . Dann muss man doch im Sinne der Integration
sagen: Ja, kommt hinein in diese Gesellschaft, macht mit,
nehmt eure Chancen wahr, beteiligt euch . Das ist besser,
als den dauerhaften Ausschluss durch den prekären Aufenthaltsstatus fortzusetzen . Das ist integrationspolitisch
falsch und integrationsfeindlich. Ich finde, hier müssen
wir dringend umsteuern .
({2})
Wenn man sich das genau anschaut, dann sieht man,
dass das Elend eigentlich noch viel schlimmer ist und die
Hürden einfach zu hoch sind . Länger als sechs Jahre sind
86 000 Menschen in diesem Land . Wir haben gerade einDr. Martin Pätzold
mal 4 100 Menschen zu einem Aufenthaltsstatus verholfen . Das kann auf Dauer nicht gutgehen .
Diese Leute sind aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt .
Ihre Kinder sind aus dem Bildungsbereich ausgegrenzt .
Hier setzt sich das Schicksal der Ausgrenzung von Generation zu Generation fort . Das ist ein großer desintegrativer Faktor in unserer Gesellschaftspolitik . Hier müssen
wir anders vorgehen .
({3})
Sie haben vorhin das Thema Afghanistan angesprochen . Als Ausländerrechtler, als Einwanderungspolitiker
muss ich sagen: Ja, wir entscheiden, wer hier hereinkommt . Wenn Menschen aus humanitären Gründen kommen, wenn sie Schutz vor Verfolgung brauchen, dann
kann es keine Obergrenze geben, sondern dann müssen
das Asylrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention und die
Europäische Menschenrechtskonvention zur Wirkung
kommen . Wenn Leute keinen Anspruch auf Schutz vor
Verfolgung haben, dann muss man dazu stehen, dass sie
gehen müssen, es sei denn, dass sie aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, also über einen anderen Korridor,
als Migranten, die wir brauchen, in unserer Gesellschaft
Platz finden. - Ja, das ist richtig.
Wenn man sich aber die Praxis im Einzelnen anschaut,
wie die Asylverfahren ablaufen, muss man feststellen:
Nicht jeder, der verfolgt wird, kann in diesem Verfahren
tatsächlich erwirken, dass sein Verfolgungsschicksal erkannt und anerkannt wird .
Was nicht geht, unter keinen Bedingungen, ist, dass
man Menschen in kriegerische Auseinandersetzungen
abschiebt .
({4})
Deshalb fehlt mir jedes Verständnis dafür, dass man
Menschen, selbst wenn sie Ladendiebe sind, zurück nach
Afghanistan abschiebt . Wir brauchen hier eine Neubewertung der Sicherheitslage .
({5})
- Ich freue mich auf die Zwischenfrage . - Diese Menschen muss man nicht dauerhaft dabehalten; aber man
darf sie nicht in ein kriegerisches Land abschieben und
ihr Leben damit aufs Spiel setzen .
Herr Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr . Rosemann?
Ja, ich würde mich sehr darüber freuen .
Ja, das weiß ich, dass Sie sich darüber freuen . Deswegen habe ich ja gefragt, ob Sie das zulassen . Aber Sie tun
das natürlich .
({0})
Bitte schön, Herr Dr . Rosemann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Beck,
wie erklären Sie der Öffentlichkeit, dass in dem Bundesland, das in Deutschland als einziges einen grünen
Ministerpräsidenten hat, im Unterschied zu einer ganzen Reihe von Ländern, die einen sozialdemokratischen
Ministerpräsidenten haben, etwa weil sie rot-grün regiert
sind, dass in dem einzigen Bundesland, in dem die Grünen die führende Regierungspartei sind, Volker Beck ({0}) ({1}):
Das schmerzt Sie sehr .
- Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt und
vom grünen Ministerpräsidenten auch verteidigt werden?
Das erkläre ich mir dadurch, dass auch ein grüner Ministerpräsident in der Lage ist, falsche Ansichten zu vertreten . Ich sehe das anders als der Kollege Kretschmann .
({0})
Ich habe hier übrigens keinen parteipolitischen Angriff
gemacht, weil ich das bei solchen Themen im Ergebnis
billig fände . Mir geht es um die Menschen, um das Leben
der Menschen . Ihre Partei stellt so viele Ministerpräsidenten . Auch die schieben kräftig ab . Was soll das?
Wir müssen um die Wahrung eines menschenrechtlichen Prinzips kämpfen . Das Recht auf Leben darf nicht
infrage gestellt werden, unabhängig davon, ob es um
Menschen geht, die den Status „politisch verfolgt“ haben .
({1})
Lassen Sie uns deshalb zusammenarbeiten - im Sinne
der Humanität und nicht im Sinne von Parteipolitik, bei
der man mit dem Finger auf andere Leute zeigt . Alle hier
vertretenen Parteien sind auch in Landesregierungen vertreten . Sofern wir humanitär orientiert sind, sind wir alle
nicht mit jedem Beschluss von Ministerpräsidentenkonferenzen, in denen übrigens ebenfalls alle hier vertretenen Parteien repräsentiert sind, immer einverstanden .
Jetzt kommen Sie bitte zum Ende .
Herr Kollege, ich denke, wir sollten uns an den Inhalten orientieren . Aber ich verstehe, dass es Sie schmerzt,
Volker Beck ({0})
dass Baden-Württemberg einen grünen Ministerpräsidenten hat, während Sie dort in der Opposition sitzen .
({1})
Vielen Dank, Volker Beck . - Nächste Rednerin:
Kerstin Griese für die SPD-Fraktion .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion Die Linke vom Juli letzten
Jahres ist ein sozialpolitischer Rundumschlag, der alles
kritisiert, alles schwarzmalt, was mit dem Zusammenleben und dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu tun hat . Wieder einmal ist es angeblich - große
Überraschung - die Agenda 2010, die an allem Elend in
Deutschland schuld ist;
({0})
es darben Millionen verarmter Bürgerinnen und Bürger . Ich will das gar nicht fortsetzen; denn wir kennen das von
Ihnen zur Genüge . Aber ich sage Ihnen ganz klar: Das
Bild, das Sie von unserer Gesellschaft zeichnen, wird
durch stete Wiederholung nicht richtiger . Unsere Gesellschaft ist nicht schwarz; sie ist bunt und vielfältig .
({1})
Es gibt viel zu tun . Ja, wir alle, besonders natürlich
wir von der SPD, wollen mehr soziale Gerechtigkeit . Wir
kämpfen dafür mit viel Leidenschaft und konkreten Ideen . Aber wir wissen auch, dass die Menschen in unserem
Land zuversichtlich sind, dass sie zusammenhalten, dass
sie sich gegen Spaltung und für den Zusammenhalt engagieren . Und das ist gut so .
Unser Arbeitsmarkt ist in einer guten Verfassung . Wir
haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 26 Jahren .
Die Zahl der Menschen in Beschäftigung, die Zahl der
Erwerbstätigen, ist mit über 43 Millionen so hoch wie
noch nie . Darüber gibt es viel Positives zu sagen, und gerade deshalb sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Wir müssen uns gerade jetzt noch mehr um
die Langzeitarbeitslosen kümmern . Für sie müssen wir
noch mehr tun . Gerade in Zeiten guter Beschäftigungskonjunktur geht es darum, ihnen zu helfen . Es geht dabei
aber auch darum, pragmatische Vorschläge zu machen
und nicht dauernd zu übertreiben oder schlichte Rezepte
anzubieten, wie Sie das tun .
Wir haben dafür Lösungen . Wir schlagen den Passiv-Aktiv-Transfer vor . Wir tun viel, um Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bekommen, und wir reden nicht alles nur
schlecht . Ich sage Ihnen: Es gibt viel Gutes zu berichten .
({2})
Frau Kollegin Griese, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Ulrich von der Linken?
Selbstverständlich .
Gut .
Kollegin Griese, Sie versuchen wieder, unseren Antrag schlechtzureden und wollen ablenken . Sie erzählen
hier, wie toll doch alles ist, was Sie in der Großen Koalition umgesetzt haben, und versuchen, die Agenda 2010
zu lobpreisen .
Es gibt seit zwei, drei Wochen einen neuen Kanzlerkandidaten der SPD, der keine Talkshow auslässt und
erzählt, wie sozial ungerecht es in diesem Land zugeht .
Haben Sie eine andere Auffassung als Ihr Kanzlerkandidat, wenn dieser von sozialer Ungerechtigkeit spricht, die
bei jedem hart arbeitenden Menschen spürbar wäre? Was
glauben Sie denn, was er dazu sagt bzw . was seine Vorstellungen dazu sind? Oder sagen Sie auch, er hat unrecht
mit seiner Darstellung der sozialen Lage in Deutschland?
({0})
Lieber Herr Kollege Ulrich, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie den SPD-Kanzlerkandidaten und zukünftigen Bundeskanzler Martin Schulz erwähnen .
({0})
Denn er tut genau das, was ich eben sagte: mit Leidenschaft und Konzepten für mehr soziale Gerechtigkeit
kämpfen; und das werden Sie auch von uns immer gemeinsam so hören . Wenn Sie meiner Rede weiterhin zuhören, werden Sie auch einige konkrete Vorschläge dazu
vernehmen . Ich bin sehr froh, dass Martin Schulz das
Thema soziale Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt
der politischen Debatte gestellt hat, und er ist unser aller
Unterstützung gewiss .
({1})
Wir haben viel Gutes zu berichten, ich sage nur:
Mindestlohn, Mietpreisbremse, sozialen Wohnungsbau
ausgebaut, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, Ganztagsschulausbau, Regulierung der Leiharbeit und der
Werkverträge, massive Verbesserungen in der Rente das alles ist gut . Wenn Sie einmal in den 5 . Armuts- und
Reichtumsbericht schauen, sehen Sie, wo die Ursachen
Volker Beck ({2})
der Probleme liegen . Die Einkommensschere, die sehr
weit offen war, schließt sich langsam wieder,
({3})
weil wir Gutes getan haben, zum Beispiel beim Mindestlohn . Was auseinandergeht, ist die Vermögensschere, weil in Deutschland dadurch so viel Ungerechtigkeit
herrscht, dass die Chancen ungerecht verteilt sind, weil
große Vermögen vererbt werden und dadurch die einen
mehr und die anderen weniger Chancen haben .
({4})
Deshalb ist der richtige Schlüssel, dort anzusetzen, damit
alle Kinder gleiche und gerechte Chancen haben .
({5})
Gerade bei der Integration von Flüchtlingen haben wir
viel geleistet; die Kollegin Daniela Kolbe hat es schon
erwähnt . Wir haben ein Integrationsgesetz beschlossen,
in dem wir die Rechte und Pflichten von Flüchtlingen für
eine gelingende Integration festgehalten haben . Wir haben Hürden abgebaut . Sprache, Arbeit und Bildung - das
sind die zentralen Punkte der Integration .
Wir haben Rechtssicherheit geschaffen, wenn ein
Flüchtling in der Ausbildung ist - die Drei-plus-zweiRegelung -; das ist Rechtssicherheit für die Auszubildenden und die Arbeitgeber . Wir haben zum Beispiel in
Nordrhein-Westfalen mit den Integration Points in allen
47 Arbeitsagenturbezirken ein richtig gutes Konzept einer Verzahnung der Arbeit von Arbeitsagentur, Jobcenter und kommunalen Ausländerbehörden . Wir haben die
Vergütung der Sprachkurslehrerinnen und -lehrer verbessert, wir haben das Gesamtprogramm Sprache aufgelegt,
und was mich besonders freut: Es ist endlich auch wieder
Kinderbetreuung bei den Deutschkursen möglich . Das ist
insbesondere für die Mütter wichtig, die geflohen sind
und jetzt die deutsche Sprache lernen .
Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der in dem
Antrag der Linken komplett falsch ist und schwarzgemalt
wird: die Kommunen . Der Bund hat die Kommunen bei
der großen Aufgabe, den Zuzug der Flüchtlinge zu bewerkstelligen, keineswegs alleingelassen: 7 Milliarden
Euro für die Integration von Flüchtlingen zur Förderung
des Wohnungsbaus, 2,6 Milliarden Euro für die Kosten
der Unterkunft und, was immer wieder vergessen wird,
aber erwähnt werden muss, 5 Milliarden Euro jährlich
für die Entlastung der Kommunen ab 2018, unabhängig
vom Flüchtlingszuzug . Diese 5 Milliarden Euro jährliche
Entlastung ist die größte Unterstützung der Kommunen,
die je eine Bundesregierung geleistet hat . Das ist ein ganz
wichtiger, riesiger Schritt .
({6})
Es gibt einen Punkt, in dem ich dem Antrag der Linken zustimme: dass wir der Verrohung unserer Sprache
entgegenwirken müssen und etwas für einen guten und
solidarischen Umgang miteinander tun müssen . Wir
müssen die Initiativen zur Demokratieförderung dauerhaft auf bundesgesetzlicher Grundlage unterstützen . Da
gibt es ja noch einen offenen Posten aus dem Koalitionsvertrag: das Demokratiefördergesetz . Das brauchen wir
dringend, damit gerade in diesen Zeiten, in denen der
Rechtspopulismus stärker wird, diejenigen unterstützt
werden, die sich für Demokratie, Toleranz und Miteinander engagieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind alle zusammen gefragt, bei rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parolen gegenzuhalten, für unsere offene und
plurale Gesellschaft zu streiten . Das tun wir am besten,
indem wir nicht schwarzmalen, sondern indem wir die
Realität sehen - sowohl die Erfolge als auch die Defizite;
dafür habe ich Beispiele genannt ({7})
und indem wir alle zusammen anpacken . Martin Schulz danke, dass Sie ihn noch einmal erwähnt haben, Herr
Kollege Ulrich -, der Kanzlerkandidat der SPD,
({8})
macht genau das: Er appelliert an den Zusammenhalt
unserer Gesellschaft . Er sagt: Wo es Ungerechtigkeiten gibt, setzen wir uns für mehr soziale Gerechtigkeit
ein - darüber zu diskutieren, ist sinnvoll und richtig -,
für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für
ein solidarisches Miteinander, für gute Chancen für alle
Generationen .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin zuversichtlich, dass die Menschen keine Schwarzmalerei wollen .
Sie wollen, dass wir zusammen an einer solidarischen
Gesellschaft arbeiten; denn gemeinsam sind wir stark .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank, Kerstin Griese . - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat die Kollegin Zimmermann .
Danke schön . - Ich muss noch einmal auf das eingehen, was die Kollegin Griese bezüglich der Agenda 2010
gesagt hat . Martin Schulz spricht ja davon, dass die hart
arbeitenden Menschen endlich mehr Lohn in der Tüte
bzw . mehr Geld in der Tasche brauchen
({0})
und dass die Armut zunimmt . Davon spricht er . Ich will
aber - ich bin noch nicht ganz fertig - die SPD-Genossinnen und -Genossen einmal daran erinnern, dass wir
durch die Agenda 2010 einen enormen Wandel am Arbeitsmarkt erlebt haben, nämlich weg vom gut bezahlten
Vollzeitarbeitsverhältnis hin zu prekärer Beschäftigung .
({1})
Ich will das auch mit Zahlen unterstützen: Wir haben
1 Million Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer - gerade haben wir die Schwelle von 1 Million erreicht -, und wir wissen ganz genau, dass die bis
50 Prozent weniger Geld kriegen als die, die in der
Stammbelegschaft arbeiten . Wir haben Werkverträge .
Wir haben 5,7 Millionen Menschen, die in Altersarmut
leben . Wir haben 3,4 Millionen Kinder, deren Eltern sich
nicht einmal eine Woche Urlaub leisten können .
({2})
Das alles sind Auswirkungen der Agenda 2010, und ich
finde, dass man sich an dieser Stelle nicht hinstellen und
sagen kann, wie gut diese Agenda 2010 gewesen ist;
denn sie hat Armut in diesem Land gebracht . Auch die
SPD muss endlich einmal einsehen, dass es so ist, und ich
hoffe, dass der Kanzlerkandidat Martin Schulz sich von
der Agenda 2010 distanziert .
Danke .
({3})
Kerstin Griese, bitte .
Liebe Frau Kollegin Zimmermann, ich bin auch Ihnen
dankbar, dass Sie noch einmal Martin Schulz erwähnen,
den Kanzlerkandidaten der SPD,
({0})
der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass hart arbeitende Menschen gerecht behandelt werden wollen und mehr
Lohn in der Tüte brauchen .
({1})
Wir machen eine Politik dafür, eine Politik für mehr
Tarifbindung . In jedem unserer Gesetze haben wir die
Tarifbindung gestärkt. Wir pflegen eine enge und gute
Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften . Insofern ist
dieser Weg genau richtig .
({2})
Ich bitte Sie, da Sie immer auf die Agenda 2010
schimpfen, über eine Sache einmal ganz ernsthaft nachzudenken: Wir haben jetzt 2 Millionen Arbeitslose weniger als vor deren Einführung . Stellen Sie sich einmal
vor - einfach nur einen Moment darüber nachdenken -,
wir müssten die Integration von Flüchtlingen bei 5 Millionen Arbeitslosen bewältigen . Dass wir momentan in einer wirtschaftlich so guten Situation sind, hilft uns doch
gerade - wir diskutieren ja hier auch über Integration -,
die Flüchtlinge gut in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren . Wir sind froh, dass wir diese Entwicklung haben; es
ist eine positive Entwicklung für die Menschen . Außerdem haben wir den Mindestlohn eingeführt; das ist ganz
wichtig . In dieser Situation kann unsere Gesellschaft diese große Integrationsleistung erbringen . Daran ist auch
die Politik der SPD im positiven Sinne schuld .
Vielen Dank .
({3})
Jetzt hat Mark Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Ich reklamiere gleich zu Beginn meiner Rede die Beteiligung der CDU/CSU an dem Erfolg, den die Kollegin
Griese gerade richtig herausgestellt hat .
({0})
Ich bedanke mich bei den Linken, dass wir heute über
diesen Antrag und über Integrationspolitik sprechen können . Uns liegt Integrationspolitik am Herzen . Der Antrag, der hier vorliegt, ist allenfalls preiswürdig in der
Kategorie „Recycling“. Der Antrag enthält nichts, was
wir nicht schon einmal von Ihnen gehört haben, und er
enthält alle Forderungen, die wir auch schon einmal von
Ihnen gehört haben .
Lassen Sie mich exemplarisch auf drei Punkte eingehen, die Sie vom Bund fordern . Der erste Punkt ist: mehr
finanzielle Unterstützung der Kommunen. Der zweite
Punkt, auf den ich eingehen möchte: mehr finanzielle
Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus . Der dritte
Punkt: mehr finanzielle Unterstützung beim Ausbau der
Kinderbetreuung . Man bekommt beim Lesen schnell das
Gefühl, dass sich erstens der Bund auf dem Gebiet der
Integrationspolitik überhaupt noch nicht engagiert hat,
weswegen ich mich zweitens frage, wie Sie so erkenntnisfrei durch die letzten anderthalb Jahre gekommen
sind .
({1})
Ich möchte einige Beispiele nennen, um zu zeigen,
was wir alles auf den Weg gebracht haben . Ich entschuldige mich schon jetzt bei den Zuhörern . Ihnen werden in
Anbetracht der Millionen- und Milliardenbeträge, die ich
gleich nenne, die Ohren schlackern . Leider bin ich gezwungen, sie zu nennen, um Ihnen die Absurdität des Antrages, über den wir heute beraten, vor Augen zu führen .
Kommen wir zum ersten Punkt Ihrer Forderungen:
mehr finanzielle Unterstützung für die Kommunen. Wir
haben bereits im Koalitionsvertrag festgelegt, dass der
Bund den Kommunen von 2015 bis 2017 jährlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen wird . Im Jahr 2017
kommen noch einmal 1,5 Milliarden Euro hinzu . Im Juli
letzten Jahres hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, dass der Bund den Ländern als Kompensation
von Mehrausgaben für die Integration von Flüchtlingen
bis zum Jahr 2018 weitere 7 Milliarden Euro zur Verfügung stellt . Im November letzten Jahres wurde hier im
Bundestag beschlossen, dass der Bund seine Beteiligung
an den Kosten der Integration noch einmal deutlich ausweitet . Länder und Kommunen werden mit zusätzlich
6 Milliarden Euro für die Jahre 2016 bis 2018 unterstützt .
Zudem wurde auch die Verteilung der ab 2018 vorgesehenen Kommunalentlastungen in Höhe von 5 Milliarden
Sabine Zimmermann ({2})
Euro jährlich beschlossen . Das ist eine gewaltige Leistung des Bundes für die Kommunen .
({3})
Die Länder verfügen also über das notwendige Geld,
um den Kommunen die Kosten der Integration von der
Hand zu halten . Jetzt muss das Geld endlich auch einmal
in die Kommunen fließen.
({4})
Zweitens . Kommen wir zu der Forderung der Linken nach mehr finanzieller Unterstützung des sozialen
Wohnungsbaus durch den Bund . Richtig ist, dass es Aufgabe des Sozialstaates ist, Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen zu unterstützen und für Wohnraum
zu sorgen . Wenn Wohnungen fehlen, muss der soziale
Wohnungsbau gefördert werden . Was die Kollegen der
Linken aber offensichtlich übersehen haben: Für den sozialen Wohnungsbau sind seit der Föderalismusreform
im Jahr 2006 allein die Länder zuständig . Der Bund
kann lediglich Modellvorhaben und Förderprogramme
ausschreiben . Davon hat er Gebrauch gemacht . Er will
in den nächsten zwei Jahren jeweils eine halbe Milliarde
Euro mehr zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus ausgeben . Das ist eine gute Nachricht; denn mit
anständigen Wohnungen zu bezahlbaren Preisen sichern
wir den sozialen Zusammenhalt in unserem Land .
({5})
Bereits zum zweiten Mal in Folge werden die Mittel
um eine halbe Milliarde Euro aufgestockt . Erst zu Beginn
des letzten Jahres hat der Bund die Kompensationsmittel
auf über 1 Milliarde Euro fast verdoppelt . Diese werden
den Ländern für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt . Ab dem 1 . Januar 2017 stehen damit über
1,5 Milliarden Euro aus Mitteln des Bundes für den dringend benötigten sozialen Wohnungsbau zur Verfügung .
Klar ist aber auch, dass die Mittel, die der Bund gibt, von
den Ländern aufgestockt werden müssen .
Kommen wir zum dritten und letzten Punkt, auf den
ich eingehen möchte: mehr finanzielle Unterstützung
der Kinderbetreuung . Es ist ein sehr interessanter Punkt,
auch für mich ganz persönlich als Vater eines kleinen
Jungen, der in der Kita ist . Ich habe nach dieser Rede
sicher einen anderen Blick auf das Geschehen . Auch
der Ausbau der Kleinkindbetreuung - Sie können sich
sicher denken, was jetzt kommt - fällt in die originäre
verfassungsrechtlich geregelte Zuständigkeit der Länder . Gleichwohl hat der Bund das Betreuungsprogramm
für unter Dreijährige im Rahmen des Investitionsprogramms „Kinderbetreuungsfinanzierung“ bis 2014 mit
5,4 Milliarden Euro gefördert . In dieser Wahlperiode wird das Programm nochmals um 1 Milliarde Euro
aufgestockt . Für den Betrieb von Kinderkrippen und
Tagespflegestellen werden seit dem Jahr 2015 jährlich
845 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Für die Jahre 2017 und 2018 erhöht der Bund diesen Betrag noch
einmal um 100 Millionen Euro .
Zudem förderte der Bund im Zeitraum 2011 bis 2015
mit weiteren 400 Millionen Euro die Sprachförderung
in den Kindertagesstätten . Dieses Programm wird seit
2016 fortgesetzt . Der Bund stellt dafür bis 2020 Mittel
im Umfang von bis zu 1 Milliarde Euro zur Verfügung .
So können zusätzlich bis zu 7 000 Halbtagsstellen für
Fachkräfte in den Kindertagesstätten und in den Fachberatungsstellen geschaffen werden.
Das ist auch noch nicht alles: Derzeit wird im Bundestag über ein Gesetz beraten, mit dem das Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ weitergeführt
werden soll . Damit sollen zusätzliche 100 000 Betreuungsplätze für ältere Kinder bis zum Schuleintritt geschaffen werden. Für dieses neue Programm bis 2020
sollen insgesamt 1,1 Milliarden Euro durch den Bund zur
Verfügung gestellt werden .
Ich will nur am Rande erwähnen - damit wir ein vollständiges Bild bekommen -: Im Bereich Familie und
Bildung belaufen sich die Entlastungen des Bundes für
die Länder in den Jahren 2010 bis 2019 auf über 50 Milliarden Euro .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
Sie sagen, eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordere
eine soziale Offensive für alle.
({6})
Und ich sage Ihnen: Nichts anderes machen wir seit Jahren vonseiten des Bundes,
({7})
und zwar als Daueraufgabe und nicht mit einem effekthaschenden Antrag, den man kurz vor einer Bundestagswahl hier ins Plenum einbringt . Wer hier von unzureichender finanzieller Unterstützung redet - man könnte
auch sagen: schwadroniert -, dem ist wahrlich nicht zu
helfen .
Ich sage Ihnen aber auch: Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert, dass wir uns vorrangig auf Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive konzentrieren . Nur der
darf bleiben, der tatsächlich einen Schutzanspruch erhält .
Laut einer aktuellen McKinsey-Analyse für die Regierung ist davon auszugehen, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen bis Jahresende auf 485 000 Menschen ansteigen könnte. 2016 kehrten rund 80 000 ausreisepflichtige
Menschen in ihre Heimatländer zurück; dabei handelte es
sich in gerade einmal 24 000 Fällen um Abschiebungen .
Schuld an diesen minimalen Zahlen sind vor allem rotgrün regierte Bundesländer . Das Land Berlin, in dem Sie
mitregieren, ist da die ganz unrühmliche Nummer eins .
Sie verfahren leider nach dem Motto: Einmal in Deutschland, immer in Deutschland .
({8})
Bedenkt man, dass die Kosten, die ein Ausreisepflichtiger verursacht, 670 Euro im Monat betragen, liegen
damit laut der genannten Analyse die Gesamtkosten in
diesem Jahr bei rund 3 Milliarden Euro - Geld, das bei
konsequenter Rückführung für die Sozial- und IntegraMark Helfrich
tionspolitik, für diejenigen, die wirklich schutzbedürftig
und hilfsbedürftig sind, zusätzlich zur Verfügung stünde .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank, Kollege Helfrich . - Die letzte Rednerin
in dieser Debatte: Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich will diese Debatte mal so zusammenfassen: Herzlich
willkommen im Wahlkampf!
({0})
Sieben Monate vor der Bundestagswahl hat die Linke ihr
Wahlprogramm mal in einen Antrag gepackt und bringt
ihn heute in den Bundestag ein .
({1})
Das ist sehr schön . Es ist aber auch sehr einfach . Diese
Einfachheit kann man so eigentlich nicht stehen lassen .
Ganz ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ja, in
unserer Gesellschaft sind Konflikte aufgebrochen - Konflikte, die auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die
zu uns vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind. Ja, es ist
auch so, dass es nicht gerecht ist, wenn ein alteingesessenes Café oder auch die Kellnerinnen, die dafür arbeiten,
ordentlich und brav ihre Steuern zahlen, aber der weltweit agierende Kaffeekonzern sich davor drücken kann.
({2})
Und ja, die Menschen müssen spüren, dass wir auf ihrer
Seite stehen . Wir nehmen sie ernst, und darum versprechen wir jedenfalls nicht das Blaue vom Himmel .
({3})
Der Antrag der Linken, liebe Kolleginnen und Kollegen, nimmt keine Rücksicht auf Zuständigkeiten - Bund,
Land, Kommunen, alles quer durch den Gemüsegarten -,
er nimmt keine Rücksicht auf die Kosten - das haben
verschiedene Kollegen hier schon deutlich gemacht -,
und letztendlich nimmt dieser Antrag auch überhaupt
keine Rücksicht auf die Auswirkungen . Kurz gesagt: Sie
versprechen wirklich das Blaue vom Himmel .
Das finde ich sehr schade, weil in dem Antrag auch
manches Richtige steht, zum Beispiel dass wir denen,
die bei uns Schutz suchen, genauso helfen müssen wie
denen, die schon immer hier leben und Unterstützung benötigen - keine Frage . Über das Wie müssen und können
wir streiten . Da sehen auch wir Baustellen; das ist in dieser Debatte deutlich geworden .
Aber meinen Sie das ernst, wenn Sie in Ihrem Antrag
von der Wiederherstellung des Sozialstaates sprechen?
({4})
Da dreht sich jedem Demokraten hier in Deutschland,
glaube ich, der Magen um .
({5})
Deutschlands gut funktionierendes Sozialsystem sucht in
der Welt seinesgleichen .
({6})
Frau Freudenstein hat entsprechende Zahlen genannt,
Kollegin Kolbe hat entsprechende Zahlen genannt,
({7})
und der Kollege Helfrich hat das alles in epischer Breite
dargestellt . Wir müssen darüber diskutieren, wie wir dieses Sozialsystem noch besser machen können .
({8})
Wir müssen darüber reden, wie wir die sich völlig verändernde Arbeitswelt anpassen können . Aber hören Sie
bitte auf, unseren Sozialstaat schlechtzureden und Luftschlösser anzubieten .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen mitten in
einer Arbeitswelt, die sich rasant ändert .
({10})
Neue Technologien führen zu neuen Anforderungen,
und die Flexibilität gewinnt immer mehr an Bedeutung .
Diesen Wandel wollen nicht nur Unternehmen . Diesen
Wandel wollen auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen,
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen . Viele erleben
es als Freiheit, zum Beispiel von zu Hause aus arbeiten
zu können . Ich weiß das aus der eigenen Familie . Mein
Sohn macht das auch .
Eine Medaille hat natürlich immer zwei Seiten . So
wissen wir natürlich, dass, wenn wir auf diese Weise
arbeiten, psychische Belastungen zunehmen . Wir haben
gestern schon darüber geredet, dass es dazu Untersuchungen gibt . Viele Menschen haben Angst davor, dass
sie im Rahmen der Digitalisierung einfach abgehängt
werden . Ich glaube, dass hier ein kleiner Teil der Antwort
auf die Frage nach den Konflikten in unserer Gesellschaft
zu finden ist. Hier gibt es begründete Ängste, die wir aufgreifen müssen . Hier müssen wir an der Seite der Menschen stehen . Aber leider lese ich darüber nichts in dem
Antrag der Linken .
({11})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Bundesministerin
Nahles hat mit dem Diskussionsentwurf zum Weißbuch
„Arbeiten 4.0“ einen ganz wichtigen Beitrag zur Gestaltung der Digitalisierung geleistet . Wir haben außerdem
den Mindestlohn eingeführt, Leiharbeit und Werkverträge eingeschränkt, Anreize für eine bessere Tarifbindung
gesetzt und für etliche Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente gesorgt . Wir haben erst gestern darüber gesprochen, wie gut es bei der Erwerbsminderungsrente
sein wird . - All das haben wir getan . Das sind unsere
Erfolge . Das ist unsere Politik für die Menschen in unserem Land .
({12})
Als SPD-Fraktion haben wir auch einen Vorschlag
vorgelegt, wie wir die Solo-Selbstständigen sozial absichern können . Auch das gehört zum sozialen Zusammenhalt .
({13})
Wir haben umsetzbare Möglichkeiten aufgezeigt, wie
wir die Renten bis 2045 stabilisieren können . Das sind
unsere Ziele . Unser Anspruch war und bleibt es, den Sozialstaat besser zu machen . Diesem Anspruch sind wir in
dieser Koalition in dieser Wahlperiode mehr als gerecht
geworden .
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9190 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f sowie
Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:
27 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen vom 19. Februar
2013 über ein Einheitliches Patentgericht
Drucksache 18/11137
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 19. Februar 2016
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Drucksache 18/11138
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Illegalen Elfenbeinhandel stoppen - Afrikanische Elefanten schützen
Drucksache 18/10494
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Offenlegung von Gutachten zur Deutschen Bahn AG
Drucksache 18/11011
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Förderung des sozialen Wohnungsbaus
durch den Bund auch nach 2019 ermöglichen
Drucksache 18/11169
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rückstellungen für Braunkohlefolgekosten sicherstellen
Drucksache 18/11172
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Nicole Maisch, Renate Künast, Markus
Tressel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Transparenz und Klarheit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen
Drucksache 18/10043
Waltraud Wolff ({5})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Initiative „She Decides“ unterstützen ‒ Die
sexuellen und reproduktiven Rechte und
die Selbstbestimmung und Gesundheit von
Frauen und Mädchen in Ländern des globalen Südens stärken
Drucksache 18/11177
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({7})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung
der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates durch technische
Regulierungsstandards für die Anwendung
von Positionslimits für Warenderivate
K({8})4362 endg.; Ratsdok. 15163/16
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit
von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
Nahrungsmittelspekulationen stoppen Kommissionsvorschlag zurückweisen
Drucksache 18/11173
Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen .
Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f sowie Zusatzpunkte 4 a und 4 b . Interfraktionell wird vorgeschlagen,
die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .
Wir kommen nun zu einer strittigen Überweisung: Zusatzpunkt 4 c . Hier liegt der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Stopp von Nahrungsmittelspekulationen auf Drucksache 18/11173 vor . Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über
ihren Antrag in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD wünschen Überweisung .
Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur
Geschäftsordnung erwünscht ist . Deshalb hat zunächst
Frau Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat waren wir nicht damit
einverstanden, dass hier im Rahmen eines Tagesordnungspunktes ohne Debatte unser so wichtiger Antrag
zum Thema „Nahrungsmittelspekulationen stoppen Kommissionsvorschlag zurückweisen“ ohne Diskussion
einfach in die Ausschüsse überwiesen wird . Weshalb waren wir damit nicht einverstanden?
Meine Damen und Herren, wir halten es für zwingend
notwendig, dass der Deutsche Bundestag in dieser Woche, also heute, darüber eine Abstimmung durchführt .
Denn heute ist die letzte Möglichkeit für den Deutschen
Bundestag und die Bundesregierung, zu widersprechen,
bevor in Brüssel entschieden wird . Deshalb ist dieser
Antrag auf Überweisung in die Ausschüsse, den Sie nun
stellen, irreführend und täuschend . Denn es ist vollkommen klar: Wenn wir so verfahren, wie Sie von SPD und
CDU/CSU das wünschen, dann kann sich dieses Parlament nicht mehr zu dieser wichtigen Frage positionieren,
und das ist grundfalsch .
({0})
Meine Damen und Herren, uns steht das Recht auf
eine Stellungnahme zu diesem Kommissionsvorschlag
nach Artikel 23 Grundgesetz zu . Wenn Sie von diesen beiden Fraktionen nun heute für die Überweisung
stimmen, entziehen Sie dem Deutschen Bundestag das
Recht - Ihr und auch unser Recht - auf eine fristgemäße
Stellungnahme zu einem so wichtigen Thema .
({1})
Deshalb habe ich hier heute das Wort gewünscht . Es geht
darum, dass sich die Bundesregierung bis zum 1 . März da endet nämlich die Widerspruchsfrist - im Europäischen Rat zum Kommissionsvorschlag zum Stopp von
Nahrungsmittelspekulationen äußert . Wir halten den Vorschlag der Kommission für absolut unzureichend; denn
er bietet entgegen der bisherigen Positionierung in Europa keinen Stopp bzw . keinen klaren Rahmen für das
Ende von Nahrungsmittelspekulationen . Das ist ein großes Problem, wenn wir an die Bekämpfung von Hunger
und Armut weltweit denken .
({2})
Wir alle waren uns damals in der Finanzmarktkrise 2008 und 2009 einig, dass den Nahrungsmittelspekulationen deutliche Grenzen gesetzt werden müssen, und
zwar hier im Deutschen Bundestag und auf europäischer
Ebene . Das war die Haltung, die Sie alle, die wir alle
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
zusammen zum Ausdruck gebracht haben . Jetzt weicht
der Kommissionsvorschlag von dieser klaren Haltung ab,
und das ist das Problem . Deshalb wollen wir die Bundesregierung auffordern, sich noch vor dem 1. März hier klar
zu positionieren .
Es muss ein deutliches Signal des Deutschen Bundestags gegen Nahrungsmittelspekulationen geben . Wir wissen, dass Millionen von Menschen weltweit durch diese
Preisspekulation auf Nahrung Hunger und Armut erlebt
haben . Das können wir nicht nur in Sonntagsreden kritisieren, sondern da müssen wir uns auch positionieren .
Deshalb fordere ich Sie auf, heute für die Sofortabstimmung zu stimmen und diesen Antrag, der so wichtig
ist und der die Bundesregierung binden würde, sich zu
verhalten, nicht in einen Ausschuss zu überweisen, wo er
dann frühestens am 6 . März, wenn unsere Fristen schon
verstrichen sind, zur Entscheidung stehen würde .
Vielen Dank .
({3})
Für die Koalition hat Matthias Hauer das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! - Schreien Sie doch nicht, bevor ich angefangen
habe zu reden! Das können Sie gleich noch nachholen .
({0})
Der Antrag „Nahrungsmittelspekulation stoppen“
({1})
hat eine ordnungsgemäße parlamentarische Beratung in
den Fachausschüssen verdient, eine inhaltliche Debatte
im Plenum .
({2})
Und das verwehren Sie uns heute . Sie betonen die Rechte
des Parlaments, entziehen uns aber die Möglichkeit, hier
heute vernünftig darüber zu diskutieren, indem Sie das
als Ohne-Debatte-Punkt anmelden .
({3})
Das ist einfach schlechter Stil .
Wir wollen, dass das ordnungsgemäß beraten wird:
federführend im Finanzausschuss, mitberatend im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung .
({4})
Der Antragsteller, Bündnis 90/Die Grünen, hat sich hier
für einen anderen Weg entschieden . Sie wollen das heute
auf die Schnelle abstimmen, haben das als Ohne-Debatte-Punkt auf die Tagesordnung gesetzt . Sie hätten es hier
als Debattenpunkt auf die Tagesordnung setzen können;
haben Sie nicht getan .
({5})
Sie verwehren stattdessen uns allen hier die Möglichkeit,
über dieses wichtige Thema vernünftig zu beraten .
({6})
Da nützt auch die gespielte Empörung Ihrer Kollegin
überhaupt nichts . Sie hatten genug Zeit . Die Verordnung
auf europäischer Ebene ist nicht vom Himmel gefallen .
Seit einem Jahr wird darüber europäisch debattiert, wie
da die Positionslimits aussehen - seit über einem Jahr .
Seit dem 1. Dezember ist diese Verordnung veröffentlicht, und soweit ich mich erinnere, hatten wir im Dezember auch eine Sitzungswoche . Wir hatten dann im
Januar zwei Sitzungswochen . Wo waren da Ihre Anträge? Ich habe keinen Antrag gesehen . Sie haben keinen
gestellt . Insofern: Fehlanzeige bei den Grünen .
({7})
Da muss man einmal sagen: Sie hätten das einfach auf
die Tagesordnung bringen können; dann hätten wir das
hier ordnungsgemäß beraten .
Was passiert nun? Gestern kommt Ihr Antrag, heute
nur darüber abzustimmen, nicht in der Debatte zu beraten. Das finde ich nicht in Ordnung. Das lassen wir Ihnen
auch so nicht durchgehen .
({8})
- Sie haben es auch nicht auf die Tagesordnung setzen
lassen, sehr geehrte Kollegin . - Im Übrigen: Wir werden
das im Rahmen der Beratungen zur MiFID ohnehin beraten . Insofern vergeben wir uns dazu nichts .
({9})
- Zur Frist komme ich genau jetzt . - Der Antrag ist nämlich auch überholt . Sie fordern die Bundesregierung auf,
Einwände auf europäischer Ebene zu erheben, obwohl
der Ecofin-Rat dazu bereits Ende Januar getagt hat. Da
hat übrigens kein Land Ihre Bedenken geteilt .
({10})
Gestern hat das Europäische Parlament die Verordnung angenommen . Das Thema ist also europäisch entschieden .
Wir wollen einfach, dass das Thema angemessen behandelt wird . Es ist ein wichtiges Thema .
({11})
Es geht dabei einerseits darum, Spekulationen mit Lebensmitteln zu unterbinden, und andererseits, zum Beispiel Landwirten es zu ermöglichen, sich weiterhin gegen Preisrisiken abzusichern . Das sieht die Delegierte
Verordnung auf europäischer Ebene so auch vor, und
das werden wir so beraten - in den Fachausschüssen und
später dann auch hier inhaltlich im Plenum, leider inhaltlich nicht schon heute, weil die Grünen es nicht anders
wollten .
Vielen Dank .
({12})
Wir stimmen jetzt nach - wie es so schön heißt - ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zur federführenden Beratung an den
Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung .
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht hilfsweise, sofern über den Antrag nicht in der Sache abgestimmt
wird, Überweisung zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den Finanzausschuss
und an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft .
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Dann ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt worden .
({0})
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, also
Federführung beim Finanzausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Damit ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen .
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen wir
über den Antrag auf Drucksache 18/11173 nicht in der
Sache ab .
({1})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 b bis 28 g auf .
Es handelt sich hierbei um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 28 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 405 zu Petitionen
Drucksache 18/10991
Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall . - Enthält sich
jemand? - Auch nicht . Dann ist diese Sammelübersicht
angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 406 zu Petitionen
Drucksache 18/10992
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 406
ebenfalls einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 407 zu Petitionen
Drucksache 18/10993
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 407 mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 408 zu Petitionen
Drucksache 18/10994
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 409 zu Petitionen
Drucksache 18/10995
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 409 ist mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 410 zu Petitionen
Drucksache 18/10996
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 410 mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung ({8})
Drucksache 18/10186
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({9})
Drucksache 18/11205
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({10})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink,
Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Versorgung durch Heilmittelerbringer
stärken - Valide Datengrundlage zur Ver-
sorgung und Einkommenssituation von
Heilmittelerbringern schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Versorgung verbessern - Kompetenzen von
Heilmittelerbringern ausbauen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-
Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula
Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fairen Wettbewerb in der solidarischen
Krankenversicherung ermöglichen - Wei-
terentwicklung des morbiditätsorientierten
Risikostrukturausgleiches vorantreiben
Drucksachen 18/8399, 18/10247, 18/10252,
18/11205
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Corinna Rüffer, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung menschenrechtskonform gestalten
Drucksachen 18/3155, 18/11205
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser
Aussprache hat Dr . Roy Kühne für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . - Herr Kollege .
({12})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mein Fraktionsvorsitzender - er ist jetzt nicht
da - erinnert gerne an den Satz von Kurt Schumacher:
„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“
({0})
Die Wirklichkeit im Bereich der Heilmittel- und
Hilfsmittelerbringer sieht aber nicht besonders gut aus .
Nur 5,4 Prozent der GKV-Gesamtausgaben sind offenbar weder politisch noch finanziell interessant genug,
um etwas zu tun . Beide Bereiche sind nicht gut geregelt .
Es kommt zu Qualitätseinbrüchen, es kommt zum Abwandern von Mitarbeitern, und es kommt bedauerlicherweise inzwischen auch zu massiven Nachwuchssorgen .
Heute beschließen wir deshalb ein Gesetz zur Stärkung
der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Das sage ich mit
aller Deutlichkeit: Die Heil- und Hilfsmittelerbringer in
Deutschland haben es verdient .
({1})
- Danke .
Es ist ein Gesetz, welches die Versorgung verbessern
wird und unsere Heilmittelerbringer, die Therapeutinnen
und Therapeuten, in ihrer Arbeit stärkt und sie respektiert .
Es ist ein Gesetz, das aber auch unsere Hilfsmittelerbringer - das sind unter anderem die Orthopädietechniker,
die Orthopädieschuhtechniker und die Pflegehilfsmittelberater - weiter etabliert . Es ist ein Gesetz - und das ist
wichtig -, das die ganzheitliche Versorgung in unserem
Land vorantreibt . Das Hilfsmittelverzeichnis zum Beispiel wird einer grundlegenden Überarbeitung unterzoVizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
gen . Das ist notwendig, damit wir auch hier einen aktuellen Stand halten und Patienten mit neuen, innovativen
Produkten versorgen können .
({2})
Diese Überarbeitung muss bis Ende 2018 abgeschlossen
werden; das ist sportlich .
Ich würde mich freuen, wenn sich der Spitzenverband der Krankenkassen meiner Forderung nach einer
Hilfsmittelkommission anschließt und eine gelebte Zusammenarbeit umsetzt . Das Know-how der Hersteller
und Betroffenenverbände ist enorm. Es gilt, dieses Wissen mitberatend einzubinden . Wir können es nicht verschwenden . Stellungnahmen für die Schublade haben wir
in letzter Zeit genug produziert .
Qualität ist der Maßstab - eine Regel, die wir alle
privat natürlich beherzigen . 5 Millionen Menschen in
Deutschland sind direkt oder indirekt auf eine vernünftige Hilfsmittelversorgung angewiesen . Das haben wir
erkannt und haben Maßstäbe gesetzt . Bei Ausschreibungen - sehr wichtig - müssen jetzt zum Beispiel 50 Prozent der Produktkriterien qualitative Aspekte sein . Wir
setzen weiterhin durch, dass Versicherte zwischen verschiedenen aufzahlungsfreien Hilfsmitteln wählen dürfen . Diese müssen auch eine gute Qualität haben . Bei
Hilfsmitteln mit einer hohen Individualität legen wir fest,
dass es keine Ausschreibung geben darf . Das alles ist
vernünftig und endlich im Interesse der Patientinnen und
Patienten in Deutschland .
({3})
Aber auch der Bereich der Heilmittel wird neu überdacht . Heilmittelerbringer kennen Sie alle: Es sind Podologen . Sie sorgen dafür, dass wir gut zu Fuß sind . Es
sind die Logopäden, die besonders nach Schlaganfällen
Betroffenen das richtige Sprechen wieder beibringen.
Es sind weiterhin die Ergotherapeuten, die die eingeschränkte Motorik zum Beispiel für das Schreibenlernen bei Kindern verbessern - wichtig für die Teilhabe .
Fast jeder von uns war bestimmt schon einmal bei einem
Physiotherapeuten oder einem Masseur . Nicht nur beim
Spruch „Ich habe Rücken!“ können sie weiterhelfen. Sie
alle leisten gute Arbeit am Patienten . Dafür mein aufrichtigster Dank an diese Berufsgruppen!
({4})
Aber sie alle sind in der Vergangenheit oftmals
aus dem Blickfeld von Politik und Kassen gerutscht .
Schlechte Bezahlung, aber doch Wertschätzung durch
die Patienten sind Alltag. Stichpunkt „Wertschätzung“:
Sie alle haben bestimmt ein Auto, wenn nicht sogar zwei .
Denken Sie doch einmal an Ihr Auto . Jeder von uns weiß,
was die Stunde beim Automechaniker kostet . Die Preise
brauche ich Ihnen sicher nicht zu nennen .
({5})
Aber wissen Sie auch, was die Therapeuten für eine
Stunde ihrer Arbeit bekommen? Es kann nicht sein, dass
ein Automechaniker offensichtlich deutlich mehr wert ist
als ein Menschenmechaniker . - Dieses Wort meine ich
nicht despektierlich, sondern voller Respekt .
({6})
Ganz ehrlich: Man muss auch laut nachfragen dürfen, die Ursachen ergründen und dann mit den Verantwortlichen darüber reden, warum die Bezahlung so ist .
Aufgrund der schlechten Gehaltsaussichten interessieren sich kaum noch junge Menschen für diese Berufe .
Es sind schöne Berufe, welche an sich sehr beliebt sind .
Kommen wir aber mit den Gehaltsinformationen, fliegen
sie meistens schnell wieder aus den Berufsvorstellungen
hinaus . Wir haben erkannt, dass die Vergütungssituation
offensichtlich abschreckend ist. Wir haben erkannt, dass
wir mit der Entkoppelung von der Grundlohnsumme ein
Signal setzen können - ein Signal, durch das wir deutlich
machen, dass die Patientinnen und Patienten von besser
bezahlten Therapeuten mehr haben . Hier tragen jetzt
aber die Verbände die Verantwortung . Auch das wird ein
Lernprozess sein . Sie müssen lernen, sich gut mit den
Krankenkassen auseinanderzusetzen . - Nur ein Hinweis
an die Verbände: Je geschlossener Sie dies tun, umso erfolgreicher werden Sie wohl werden .
Weiterhin wissen wir, dass das Potenzial von gut ausgebildeten Therapeuten nicht genug ausgeschöpft wird .
Wir müssen ihr Wissen mehr nutzen und Modelle finden,
mit denen wir das Wissen adäquat ausschöpfen . Mit der
Blankoverordnung haben wir uns für solch ein Modell
entschieden . Es gibt den Therapeuten die Chance, zu zeigen, wie sie ihre Arbeitsqualität einbringen können . Es
stellt sich die Frage, mit welcher Therapieform und wie
lange sie nach einer ärztlichen Diagnose am Patienten
arbeiten .
Das Modellvorhaben wird deutlich machen, wie groß
das Potenzial ist, nicht nur fachlich, sondern auch wirtschaftlich bewusst zu arbeiten - und das allen Unkenrufen zum Trotz. „Delegation“ und „Substitution“ sind die
Stichworte, die wir jetzt und zukünftig umsetzen müssen .
({7})
Ich bin mir ganz sicher, dass wir dadurch eine verbesserte Versorgung erreichen werden, und ich bin sehr
davon überzeugt, dass wir kurz- und langfristig Kosten
einsparen werden. Es muss ein Umdenken stattfinden. Es
kann nicht mehr ein Nebeneinanderher geben; dieses Silodenken muss aufhören . Man muss daran denken, dass
man im Interesse der Patienten arbeitet .
({8})
Letztendlich ist mir noch ein Punkt wichtig, welcher
in der Vergangenheit leider schon oft übersehen wurde:
Wenn die Politik einen Gesetzentwurf verabschiedet,
dann darf sie sich nicht von der Begleitung des Gesetzes
verabschieden . Es muss eine Berichterstattung bei der
Durchführung und eine Sanktionierung bei Nichtumsetzung geben . Der Gesetzgeber sanktioniert ja auch Menschen, die bei Rot über die Ampel fahren .
Sehr geehrte Damen und Herren, die Idee, welche
nicht im Koalitionsvertrag steht - damit komme ich
zum Ende -, hatte eigentlich keine Chance . Deshalb
geht mein herzlicher Dank an unseren Bundesminister
für Gesundheit, Hermann Gröhe, an die Parlamentarischen Staatssekretärinnen Annette Widmann-Mauz und
Ingrid Fischbach, an den Pflegebeauftragten Karl-Josef
Laumann und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Ministeriums . Aber auch meiner AG-Vorsitzenden Maria
Michalk will ich danken - und zum Schluss meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeitsgruppe, welche ich
mit dem Thema sicherlich immer wieder genervt habe .
({9})
Ich danke aber auch den Kolleginnen und Kollegen aus
dem Gesundheitsausschuss .
({10})
Zuletzt möchte ich mich bei denjenigen bedanken,
die es betrifft, nämlich bei den Heil- und Hilfsmittelerbringern, welche uns als CDU/CSU-Fraktion mit vielen
Beiträgen spürbar zu diesem Gesetz ermutigt haben . Es
sind diejenigen, die täglich am Patienten arbeiten, und sie
haben meinen vollsten Respekt verdient .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Als nächste Rednerin hat Birgit Wöllert für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Das Gesetz zur Stärkung der Heilund Hilfsmittelversorgung ist entstanden, obwohl es
nicht im Koalitionsvertrag steht . Warum gibt es dieses
Gesetz? Weil es dringend überfällig und notwendig war!
({0})
Die Praxis hat regelrecht danach geschrien, hier etwas zu
verändern .
Durch die Ausschreibungspraxis sind Menschen mit
Hilfsmitteln versorgt worden, die sie oftmals - ich denke an die Inkontinenzmittel; zu Deutsch: Windeln - gar
nicht gebrauchen konnten; sie mussten dann selber passende Hilfsmittel kaufen . Es ist überfällig, dass damit
jetzt wenigstens in Ansätzen Schluss gemacht wird .
({1})
- Das war das Lob .
({2})
Es gibt in diesem Gesetzentwurf ein paar Dinge, die
durchaus in die richtige Richtung gehen .
({3})
Es ist schön, dass ich es mir ersparen kann, etwas zu den
einzelnen Berufsgruppen der Heilmittelerbringer zu sagen, weil das der Kollege Kühne schon sehr schön gemacht hat .
({4})
Ich sage noch einmal, was alles als Heilmittel gilt: Anwendung von Physiotherapie, Krankengymnastik, Massage, Logopädie bei Stimm- und Sprechstörungen - das
ist vor allem für Patienten wichtig, die einen Schlaganfall
hatten, aber auch für Kinder und Jugendliche, damit sich
Benachteiligungen nicht fortsetzen -, Ergotherapie für
alles, was die Motorik, die Sinnesorgane und die geistigen und psychischen Fähigkeiten betrifft - das sind besonders wichtige Therapien für Menschen im Alter, aber
auch für Kinder -, und, nicht zu vergessen, Podologie,
mit der oftmals die Volkskrankheit Diabetes am Fuß behandelt wird und eine Amputation verzögert oder sogar
verhindert werden kann . All das ist deshalb wichtig . Die
entsprechenden Heilmittel werden eingesetzt, damit eine
Krankheit abgemildert wird, eine Krankheit ausheilt oder
der Krankheitsfortschritt aufgehalten wird . Deswegen ist
das so wichtig .
Circa 330 000 Menschen arbeiten in diesen vier Heilmittelberufen, und zwar - da schließe ich mich den Vorrednern an - mit großer Kompetenz . Sie leisten eine hervorragende Arbeit . Das spiegelt sich überhaupt nicht in
ihrem Verdienst wider . Das muss nun endlich geändert
werden . Dafür ist es allerhöchste Zeit .
({5})
Das muss nicht nur deshalb geändert werden, weil die
Menschen das verdienen, sondern auch, um den in Zukunft dringend notwendigen Nachwuchs zu sichern . So
wird in diesen Berufen nämlich keiner mehr tätig sein
wollen . Deshalb ist der Wegfall der Grundlohnsummenbindung, erst einmal befristet auf drei Jahre, ein kleiner
Schritt . Er reicht aber lange nicht aus . Mutiger wäre es
gewesen, diese Regelung ohne Befristung festzuschreiben oder in den Verhandlungen darauf zu drängen, die
Ausgangsbasis zu erhöhen . Auch das kann ja der Gesetzgeber .
Die Kompetenzen müssen weiter ausgebaut werden .
Es gab bereits Modellversuche, etwa den, eine Therapie nach der Diagnose mit einer ärztlichen BlankoverDr. Roy Kühne
ordnung durchzuführen . Dafür bräuchte es keine neuen
Modellversuche . Neue Modellversuche brauchen wir dahin gehend, dass die Fachleute selber über die Therapie
entscheiden können, ohne die Patienten vorher zum Arzt
zu schicken . Das wäre ein moderner und innovativer Modellversuch .
Ich werde nicht weiter ausführen, was wir bei den
Heilmitteln noch brauchen, da ich auf meine Redezeit
achten muss . Ich komme jetzt zu den Hilfsmitteln . Da ist
es überfällig, dafür zu sorgen, dass die Einzelfallgenehmigung der Krankenkassen wegfällt . Sie wird so restriktiv gehandhabt, dass die Grundbedürfnisse der Menschen
oft gar nicht geachtet werden .
Lassen Sie mich die Antwort einer großen Krankenkasse auf den Widerspruch gegen die Ablehnung zur
Übernahme der Kosten für eine Brems- und Schiebehilfe
für einen Rollstuhl vorlesen, die zeigt, wie dringend notwendig Veränderungen sind: Das allgemeine Grundbedürfnis, selbstständig zu gehen, kann nicht darin verstanden werden, dass die Krankenkasse einen behinderten
Menschen durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in
die Lage versetzen muss, Wegstrecken jeder Art zurückzulegen, die ein nichtbehinderter Mensch bei normalem
Gehen zu Fuß bewältigen kann . - Das ist doch hanebüchen . Das hat doch mit Teilhabe nichts zu tun . Diese Regelung gehört dringend abgeschafft.
({6})
Ein Grundübel ist die unerträgliche Ausschreibungspraxis, die die Ursache aller Missstände ist . Diese muss
abgeschafft werden.
({7})
Da meine Redezeit tatsächlich fortgeschritten ist,
möchte ich ganz schnell eine Bemerkung zu der Beitragsbefreiung von Notärzten und Notärztinnen machen . Die
Befreiung damit zu begründen, dass ihre Tätigkeit dem
Allgemeinwohl diene, ist wirklich hanebüchen . Dann
müssten wir ja ganz viele Bereiche aus dem beitragspflichtigen Versicherungssystem herausnehmen. Was
machen wir denn mit den Feuerwehrleuten? Was machen
wir denn mit den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern? Auch sie sitzen in den Rettungswagen und dienen
dem Allgemeinwohl . Das geht doch gar nicht . Das ist ein
Armutszeugnis für Politik . Das Sozialversicherungssystem ist doch nicht dazu da, um einen Mangel innerhalb
der Versorgung in irgendeiner Weise zu beheben .
Wir werden uns bei der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf enthalten; denn das Gesetz schafft, wie gesagt, eine Basis, auf der man weiterarbeiten kann . Es ist
gut, dass Sie dieses Gesetz am Ende der Legislatur eingebracht haben . Vielleicht kann daraus in der nächsten
Wahlperiode etwas Richtiges und Vernünftiges werden .
({8})
Als nächster Redner hat Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich auf
Folgendes hinweisen: Ich erinnere mich nicht daran, dass
wir für ein Gesetz trotz der Einschränkungen am Ende
der Rede - so möchte ich es formulieren - so viel Lob
von Ihnen, von der Partei der Linken, bekommen haben .
({0})
Ich möchte es nicht versäumen, mich dafür ausdrücklich
zu bedanken . Ich nehme an, dass ich diesen Dank auch
im Namen der Unionskolleginnen und -kollegen ausspreche .
({1})
Vielen Dank für die Anerkennung unserer Arbeit .
Es geht heute um ein wichtiges Gesetz - das ist tatsächlich so -, weil sich bei den Hilfs- und Heilmitteln
eine Fehlentwicklung breitgemacht hatte, die der Kollege Kühne bereits dargestellt hat . Wir haben mittlerweile
in der Krebsbehandlung Medikamente, die zum Teil pro
Jahr 100 000 Euro kosten . Sie werden zum Teil erstattet - zu Recht -, auch wenn sie die Lebensqualität noch
nicht so gut beeinflussen können, wie wir das wünschen.
Dagegen wird bei Menschen, die bettlägerig sind und
gepflegt werden müssen oder die andere Hilfsmittel wie
etwa Windeln benötigen, zum Teil um Centbeträge gerungen . Das ist nicht würdig, und das ist eine Ungleichbehandlung, die wir jetzt stoppen wollen . Daher ist der
Ansatz sehr richtig . Er kommt in der Zeit und beseitigt
eine Ungleichbehandlung, die wir viel zu lange hingenommen haben .
({2})
Das ist auch eine Selbstkritik; das ist ganz klar . Wir
haben das aber jetzt geändert, und dieser Gesetzentwurf
kommt keine Minute zu früh .
Des Weiteren möchte ich auf den Risikostrukturausgleich eingehen . Unser deutsches Gesundheitssystem ist
weder eine Einheitskasse,
({3})
noch ist es ein System der Prämien, in dem jeder das bezahlt, was seinem Risiko entspricht, in dem also Alte und
Kranke mehr bezahlen . Das ist nur deshalb so, weil wir
einen Finanzausgleich zwischen den Kassen haben, der
die Morbidität der Versicherten berücksichtigt .
Dieser Risikostrukturausgleich ist das Kernstück unseres gesetzlichen Wettbewerbs . Das ist der dritte Weg .
Der Wettbewerb um Qualität und um gute Verträge funkBirgit Wöllert
tioniert nämlich nur dann, wenn die Krankenkassen nicht
bestraft werden, weil sie Ältere und Kranke versichert
haben . Daher ist der Risikostrukturausgleich das Kernstück unseres Wettbewerbs .
Dieser Risikostrukturausgleich ist in den letzten
Monaten in Verruf gekommen - zu Recht -, weil die
Krankenkassen etwas gemacht haben, was nicht geht .
Sie haben Ärzte dafür bezahlt, dass für die Versicherten ihrer Kasse Diagnosen aufgeschrieben wurden, die
den Patienten eine höhere Krankheitslast zuwiesen, als
es tatsächlich der Fall war . Das ist in zweierlei Hinsicht
unfair . Zum einen ist das ein Betrug zwischen den Krankenkassen, und zum Zweiten ist das auch noch brandgefährlich für die Versicherten . Denn der Versicherte, der
aus Abrechnungsgründen eine Krankheit diagnostiziert
bekommt, die er gar nicht hat, trägt diese Diagnose als
Patient mit und wird möglicherweise schon vom nächsten Arzt falsch behandelt .
So kommt es zu einer Inflation der Erkrankungen, zu
Betrug zwischen den Krankenkassen, zur Diskreditierung des Risikostrukturausgleichs und gleichzeitig zu
einer Gefährdung der Patienten . Das beseitigen wir, indem wir diese Verträge, die das möglich machen, strikt
verbieten .
({4})
Wir verbieten auch die Beratung der Krankenkassen
in dieser Art und Weise, sodass nicht nur das gesamte
System des Risikostrukturausgleichs gerettet wird, sondern damit auch die Krankheitsberücksichtigung beim
Finanz ausgleich der Kassen innerhalb des Risikostrukturausgleichs weiterhin möglich bleibt .
Ich sage an dieser Stelle ganz klar: Wir als SPD werden den weiteren Ausbau des Risikostrukturausgleiches
betreiben; denn es gibt nach wie vor Benachteiligungen
von Krankenkassen, die besonders viele Alte und Kranke
versichern . Das wollen wir nicht hinnehmen . Daher stellen wir auch langfristig die Beschränkungen der Krankheiten, die in diesem Ausgleich überhaupt berücksichtigt
werden, strittig . Dafür muss das System aber sauber sein
und darf nicht missbraucht werden . So viel zum komplizierten Bereich Risikostrukturausgleich .
Nur noch wenige Sätze - meine Redezeit läuft ab zu einem Punkt, den ich persönlich für sehr bedeutsam
halte . Wir schließen hier eine Lücke zwischen gesetzlich
und privat Versicherten, die sich in Form einer Zweiklassenmedizin aufgetan hat . Wenn ein Privatversicherter
eine sehr komplizierte Erkrankung hat, dann kann er sich
ambulant in der Uniklinik behandeln lassen, weil dies
von der privaten Krankenversicherung erstattet wird .
Für den gesetzlich Versicherten gab es für diese ambulante Versorgung auf Überweisung bisher nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, überhaupt von Spezialisten in
Augenschein genommen zu werden . Wenn dies gemacht
wurde, dann war es auch noch ein großes Verlustgeschäft
für die Unikliniken, die das gemacht haben .
Wir machen zweierlei: Zum einen stellen wir sicher,
dass gesetzlich Versicherte mit Überweisung in Unikliniken eine gemeinsame Untersuchung von Fachärzten
in spezialärztlicher Hinsicht bekommen können . Somit
wird ein Unterschied zur privaten Krankenversicherung
beseitigt . Zum Zweiten stellen wir auch klar, indem entsprechende Rahmenverträge bis zum 1 . Juli 2017 abgeschlossen werden müssen, dass die Hochschulen, die dies
machen, damit keine Verluste machen . Das ist eine wesentliche Lücke, die wir zwischen beiden Versicherungssystemen schließen . Das kann natürlich nur ein allererster kleiner Schritt in Richtung Bürgerversicherung sein,
für die wir natürlich stehen . Das will ich aber hier nicht
ausführen .
({5})
Es handelt sich insgesamt um ein Gesetz mit Augenmaß . Ich darf mich bei all jenen, die uns auf diesem langen Weg unterstützt haben, ganz herzlich bedanken .
Vielen Dank .
({6})
Als nächste Rednerin hat Maria Klein-Schmeink für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, Politik beginnt mit der Betrachtung der
Wirklichkeit . Das ist ein guter Ansatz .
({0})
Diesen Ansatz haben wir mit vier Anträgen zu unterstützen versucht . Beginnen wir mit dem Antrag zur besseren
Versorgung der Menschen mit Behinderungen aus dem
Jahr 2014 . Zentraler Baustein darin: die Verbesserung
der Heil- und Hilfsmittelversorgung .
({1})
Herr Sorge als Hauptredner hat damals infrage gestellt,
dass es überhaupt Handlungsbedarf gibt .
({2})
Ein weiterer Antrag zielte darauf, eine Untersuchung
durchzuführen, wie die Situation der Heilmittelversorger
insgesamt ist, und zwar sowohl bezüglich ihres Versorgungsanteils als auch der ökonomischen Situation und
der Ausbildungssituation .
({3})
Dieser Antrag wird hier heute abgelehnt .
({4})
Weiterer Punkt: Wir haben Ihnen einen Vorschlag
unterbreitet, wie man die Situation in der Heilmittelversorgung tatsächlich verbessern könnte, und zwar, indem
man nämlich nicht nur einen beschränkten Zugang zur
Blankoverordnung schafft, sondern das regelhaft ins Gesetzbuch übernimmt . Das werden Sie gleich ablehnen,
obwohl gut belegt ist, dass das der richtige Ansatz ist .
({5})
Sie haben es sogar genau so bestätigt .
Des Weiteren erwähne ich, dass wir mit der Direktverordnung weiter vorankommen müssen . Auch da haben
Sie sich nur zu einer kleinen, modellhaften Geschichte
durchringen können .
Schließlich haben Sie die Aufhebung der Grundlohnsummenbindung, also die Ursache der sehr schlechten Einkommenssituation in diesen Bereichen, nur befristet verändert .
All das zeigt doch: Bei der Betrachtung der Wirklichkeit haben wir noch viel Potenzial nach oben .
({6})
Wenn Sie immer so betonen, dass genau dieser Bereich für die Versorgung von vielen Patienten mit chronischer Erkrankung und Behinderung tatsächlich von ganz
großer Bedeutung ist - wir reden von insgesamt 17 Millionen Menschen, die mit Beeinträchtigungen zu kämpfen
haben -, dann müssen wir mit der Heilmittelversorgung
sehr viel mutiger umgehen, als wir es heute tun . Genau
das wird in der nächsten Wahlperiode ein großes Thema
sein .
({7})
Kommen wir zur Hilfsmittelversorgung - auch ein
sehr entscheidender Bereich für die Lebensqualität der
betroffenen Patientinnen und Patienten -: Welche Situation haben wir denn dort vorgefunden? Vor zehn Jahren haben Sie - vereint als erste Große Koalition - mehr
Wettbewerb im Gesundheitswesen geschaffen. Damit haben Sie die Grundlage dafür gelegt, dass bei der Versorgung mit Hilfsmitteln hauptsächlich bzw . ausschließlich
({8})
der Preis und nicht mehr die Lebensqualität der betroffenen Menschen eine Rolle spielt .
({9})
Das heilen Sie heute ein klein wenig, indem nämlich gesagt wird, dass das Kriterium Qualität zu 50 Prozent bei
der Ausschreibung eine Rolle spielt . Meinen Sie, dass
das der Quantensprung ist, den wir da brauchen? Wir haben da unsere Zweifel .
({10})
Wir werden jedenfalls nachprüfen, ob Hilfsmittel tatsächlich so zur Verfügung gestellt werden, dass sie erstens die nötige Qualität bringen und zweitens auch tatsächlich teilhabeorientiert gewährt werden; denn das ist
ja ein weiterer wichtiger Punkt .
({11})
Die Umsetzung einer ganz zentralen Forderung zur
Qualitätssicherung wäre gewesen, im Gesetz festzuhalten, dass regelmäßig Patientenbefragungen, Verbraucherbefragungen durchgeführt werden, die zeigen, ob
die Qualität der Ausschreibung stimmt oder nicht . Was
haben Sie gemacht? Sie schaffen eine Regelung, nach
der das erst einmal ins Benehmen des G-BA gestellt
wird . Wir werden sehen, was an dieser Stelle passiert .
Wir haben also auch für diesen Bereich keine Sofortlösung .
Ich sage es noch einmal: Bei der Betrachtung der
Wirklichkeit haben wir noch ganz viel Potenzial nach
oben .
({12})
Dann kommen wir zum Bereich des Risikostrukturausgleichs . Auch dazu haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, der Ihnen auf die Sprünge helfen sollte . Aber auch
da trauen Sie sich nicht, tatsächlich den entscheidenden
Punkt anzugehen, nämlich zuzusehen, dass wir ein Gutachten bekommen, das nicht nur die schon vorhandenen
Kriterien, die wir im Risikostrukturausgleich haben, verbessern und bewerten hilft, sondern auch äußere, neue
Faktoren einbezieht wie soziodemografische Faktoren also: wie ist eigentlich die Lebenslage in einer Region? und ein Regionalkennzeichen, das frühzeitig vorliegt,
damit wir Erkenntnisse haben und sofort entsprechende
Maßnahmen in der nächsten Legislaturperiode umsetzen
können . Auch das haben Sie mit diesem Gesetz nicht ermöglicht .
Wir können zwar sagen: Es sind Schritte in die richtige Richtung . Aber der Mut für entscheidende Schritte
hat an dieser Stelle gefehlt . Deshalb werden wir uns nur
enthalten können .
Zusätzlich muss man sagen: Sie haben mit der Ausnahmeregelung hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht von Notärzten einen entscheidenden und systemwirksamen Fehler gemacht, der uns wahrscheinlich in der
nächsten Legislaturperiode massiv beschäftigen wird .
({13})
Frau Wöllert hat es deutlich gemacht: Es kann doch nicht
sein, dass wir für Notärzte eine Extraregelung schaffen,
während Rettungsassistenten, Feuerwehrleute und alle
anderen nicht einbezogen werden . Hier wird der falsche
Weg gewählt . Das muss man ganz deutlich sagen .
({14})
Das wird ein Thema sein, dass uns wahrscheinlich in der
nächsten Legislaturperiode massiv beschäftigen wird .
In diesem Sinne: Wir haben noch viel Potenzial, die
Wirklichkeit unter dem Aspekt zu betrachten, wie eine
patientengerechte und -orientierte Versorgung ermöglicht werden kann .
Danke schön .
({15})
Als nächster Redner spricht Erich Irlstorfer für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden,
ist zusammen mit den zahlreichen Änderungsanträgen
sehr umfangreich . Es bezieht neben der Heil- und Hilfsmittelversorgung zahlreiche andere Teilbereiche ein und
löst Probleme . Der Gesetzentwurf verdient nach meiner
Auffassung die Zustimmung des ganzen Hauses.
({0})
Wie wir bemerkt haben, mussten auch die Rednerinnen
und Redner von der Opposition Kritikpunkte mit der
Lupe suchen .
({1})
Die jetzt gefundenen Regelungen sind ein erster Fingerzeig für den Weg, den wir künftig gemeinsam mit den
Heilmittelerbringern gehen wollen: mehr Verantwortung
und mehr Kompetenzen .
Die Einführung einer Blankoverordnung, auf deren
Basis die Ergotherapeutin oder der Physiotherapeut künftig selbst bestimmen können, welche Therapie sie oder er
wie häufig anwendet, war eine wichtige Forderung der
Heilmittelerbringer . Sie wird nun in jedem Bundesland
erprobt .
Einen Schwerpunkt des Koalitionsvertrages bildet
die Verbesserung der Qualität . Zum Thema „Qualität
der Hilfsmittel“ möchte ich sagen, dass wir von den betroffenen Patientinnen und Patienten in den vergangenen
Jahren von extrem vielen Ungereimtheiten gehört haben,
die sich im Laufe der Zeit immer weiter verschärft haben . Man könnte geradezu von einem Abwärtswettlauf
bei den Ausschreibungen sprechen; auch das gehört an
einem solchen Tag wie diesem gesagt .
({2})
Die unsägliche Qualität von Hilfsmitteln kenne ich auch
aus persönlicher Erfahrung mit meinen Eltern . Was hier
den Menschen teilweise zugemutet wurde - als Paradebeispiel wurden die Inkontinenzwindeln bereits erwähnt -, war für mich wirklich unsäglich . Hinzu kam,
dass Menschen, die finanziell ohnehin nicht auf Rosen
gebettet sind, aufgrund mangelnder Qualität zum Kauf
vorgeblich besserer Produkte nahezu genötigt wurden .
Diese Zustände waren nicht mehr hinnehmbar . Deshalb ist diese gesetzliche Neuregelung überfällig .
({3})
Selbst die Kostenträger, die natürlich immer auch ein
Auge auf die Preisgestaltung werfen müssen, haben hier
Zustimmung signalisiert . Wir werden also zukünftig
dem Aspekt der Qualität gegenüber dem Preis eine höhere Bedeutung zumessen . Eines aber ist in diesem Zusammenhang klar: Der Gesetzgeber - hier sind wir uns
wohl fraktionsübergreifend einig - wird scharf prüfen,
ob diese gesetzlichen Regelungen auch in der Praxis so
umgesetzt werden, wie wir das in diesem Gesetz heute
beschließen .
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus den Änderungsanträgen möchte ich an dieser Stelle die Regelungen zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die
Krankenversicherung der Rentner herausgreifen, weil
dieses Thema der CSU schon seit vielen Jahren ein wichtiges Anliegen ist und wir wirklich sehr froh sind, dieses
in dem heute zu verabschiedenden Gesetz eingebracht zu
haben .
Wir haben in Deutschland ein weitreichendes Gerechtigkeitsproblem bei der finanziellen Ausstattung von
Müttern im Rentenalter . Es ist für uns als Union nicht
akzeptabel, wenn Mütter am Ende eines sehr arbeitsreichen Lebens für Kinder und Familie mit einer Rente
auskommen müssen, die zum Leben nicht reicht . Unsere
Pläne zur Anrechnung der Kindererziehung auf die Rente, unabhängig vom Geburtsdatum des Kindes, kennen
Sie ja . Besonders gravierend wird dieses Problem aber
bei den Müttern, die beim privat versicherten Ehepartner
mitversichert waren,
({5})
während sie sich der Erziehung von Rentenbeitragszahlern, im Volksmund auch Kinder genannt, gewidmet
haben, etwa die Ehefrau eines Polizisten, die vielleicht
700 Euro Rente bekommt, davon als sogenannte freiwillig Versicherte aber 250 Euro an die Krankenkasse abzugeben hat .
Wir sind als Gesellschaft den Müttern zu Dank verpflichtet, und das darf sich nicht nur im Reden erschöpfen . Deshalb haben wir in dem heute zu verabschiedenden Gesetz geregelt, dass nunmehr drei Jahre für jedes
Kind auf die Vorversicherungszeit der Krankenversicherung der Rentner angerechnet werden . Wir geben damit
ein Signal der Wertschätzung, das auch bei heutigen und
zukünftigen Eltern ankommt .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin mir
sicher, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein wichtiger
und ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist, um
eine qualitativ bessere Versorgung zu erreichen . Deshalb
würde ich Sie bitten, sich nicht zu enthalten, sondern zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({6})
Als nächste Rednerin spricht Martina Stamm-Fibich
für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Besucherinnen und Besucher auf
der Tribüne! Seit knapp drei Jahren beschäftige ich mich
mit dem Thema Hilfsmittel . In diesem Zeitraum habe ich
einen Berg von Petitionen bearbeitet, viele Einzelschicksale begleitet, unzählige Gespräche und Verhandlungen
geführt . Mit jedem Tag wurde mir klarer, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht . Deshalb haben wir als
AG Gesundheit der SPD bereits im Juni 2015 ein Positionspapier zur Verbesserung der Hilfsmittelversorgung
veröffentlicht. Wir haben darin sieben konkrete Forderungen formuliert, die sich in dem vorliegenden Gesetzentwurf wiederfinden.
Wir stellen mit dem Gesetz die Weichen für eine patientengerechte, aber auch finanzierbare Versorgung mit
Hilfsmitteln. Mit dem Gesetz schaffen wir die Voraussetzungen, dass den Kassen ein harmonischer Dreiklang aus
Wirtschaftlichkeit, Qualität und Service gelingen kann .
Bisher war der gesetzlich geregelte Qualitätsaspekt der
Ausschreibungen eindeutig zu flexibel und zu weich gestaltet .
Ich freue mich sehr, dass es sich beim Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz um eine Initiative aus dem Parlament handelt . Und dass wir dieses Gesetz außerhalb
des Koalitionsvertrags heute beschließen, ist nur dank
der guten und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen
den Fraktionen und mit dem Patientenbeauftragten der
Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, möglich .
({0})
Ausschlaggebend war eine Petition beim Deutschen
Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung . Diese
Petition wies auf massive Missstände in der Versorgung
mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin .
Ein Großteil der Krankenkassen arbeitet bei der Versorgung mit Inkontinenzprodukten inzwischen mit Pauschalen . Diese Pauschalen reichen bei weitem nicht aus,
um Versicherte mit vernünftigen Produkten zu versorgen .
Das bestätigt auch eine Analyse des Bundesrechnungshofes . So kalkulieren die Rechnungsprüfer in einem Bericht
an den Haushaltsausschuss des Bundestages mit monatlichen Preisen von 31,50 Euro und 52,50 Euro . Das sind
Beträge, liebe Kolleginnen und Kollegen, die durch die
Pauschalen der Krankenkassen zum Teil drastisch unterschritten werden . Patienten berichten davon, dass sie nur
eine knapp bemessene Menge einfachster Produkte als
Sachleistung ihrer Krankenkasse angeboten bekommen
hätten . Die gewohnte Qualität und Menge sollten sie
künftig nur noch gegen eine private Aufzahlung erhalten
können .
Wegen solcher inakzeptablen Vorkommnisse haben
wir das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz auf den
Weg gebracht .
({1})
Das Gesetz regelt nun wichtige Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Hilfsmittelversorgung, und wir
schaffen Transparenz über die Aufzahlungen für die Patientinnen und Patienten; das ist richtig und wichtig so .
Besonders hervorzuheben ist, dass individuell angefertigte Hilfsmittel sowie Hilfsmittel mit einem sehr hohen
Dienstleistungsanteil künftig nicht mehr von den Krankenkassen ausgeschrieben werden dürfen . Menschen mit
einem künstlichen Darmausgang und andere Patienten,
die Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil benötigen, dürfen nicht durch Ausschreibungen mit ständig
wechselnden Produkten oder Leistungserbringern konfrontiert werden. Betroffene brauchen in hochsensiblen
Situationen vertrauensvolle und verlässliche Hilfe .
({2})
Durch eine Ausschreibung der Stomaversorgung sowie eine Ausschreibung zur ableitenden Inkontinenzversorgung waren die betroffenen Patientinnen und Patienten sowie die Selbsthilfeverbände stark beunruhigt . Wir
haben die Sorgen und Ängste ernst genommen und konnten erreichen, dass Ausschreibungen dieser Art künftig
nicht mehr zulässig sind .
({3})
Ausschreibungen für individuelle Hilfsmittel und Hilfsmittel mit hohem Dienstleistungsanteil werden mit dem
HHVG für unzweckmäßig erklärt, und die Formulierung
„in der Regel“ in § 127 SGB V wird gestrichen.
Für mich ist klar, dass die Situation der Betroffenen
besser werden muss . Wirtschaftlichkeit darf nicht der
einzige Maßstab sein . Wir brauchen in der Versorgung
mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für
die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten .
({4})
Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er
bei seiner Krankenkasse ordentlich versorgt wird . Krankenkassen dürfen nicht auf Kosten derjenigen sparen, die
sich aus Scham nicht wehren können . Deshalb ist das
Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz ein Meilenstein
in der Hilfsmittelversorgung .
({5})
Ich möchte kurz noch auf eine weitere Neuerung hinweisen; der Kollege Irlstorfer hat es auch schon getan .
Ursprung dafür, lieber Kollege Irlstorfer, war aber auch
der Inhalt einer Petition, die uns auf die Regelungen zur
KVdR hingewiesen haben . Ich bin da bei Ihnen: Wir dürfen den Menschen - in der Regel sind es Frauen - nicht
den Weg in die KVdR verwehren . Deswegen halte ich
es für so wichtig, darauf hinzuweisen: Die sogenannte
9/10-Regelung ist zwar in der Öffentlichkeit kaum bekannt, hat aber für die Betroffenen schwerwiegende Folgen, und zwar dann, wenn Vorversicherungszeiten fehlen
und sie als Rentnerinnen und Rentner nicht Mitglied der
KVdR werden können .
Ich finde, es ist richtig, was wir da tun. Wir erfüllen
damit auch einen wirklich lang gehegten Wunsch dieser
Frauen . Wir erkennen an, dass sie vor der Erziehungszeit
berufstätig waren und auch danach und dass sie sich in
ihrer Erziehungszeit nicht anders versichern konnten . Ich
denke, das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung .
Deshalb bitte ich Sie, liebe Opposition, zuzustimmen - so
wie gestern im Ausschuss angekündigt . Wir haben ja viele Gemeinsamkeiten . Ich glaube, dieser Gesetzentwurf
verdient es, dass wir ihm einvernehmlich zustimmen .
Herzlichen Dank .
({6})
Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht Tino
Sorge für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie
unterschiedlich Lob ausfallen kann, haben wir heute in
der Debatte wieder gesehen . Einerseits hat mich heute
Frau Wöllert - das muss ich ehrlich sagen - ein bisschen überrascht: Enthaltung ist ja, wie ich mal gelernt
habe, die höchste Form des Lobes der Opposition . Was
ich nicht verstanden habe, liebe Frau Kollegin KleinSchmeink, ist, warum Sie, wenn Sie schon sagen, dass
das ein Schritt in die richtige Richtung ist, andererseits
hier den Eindruck erweckt haben, als sei das ganze Gesetz schlecht .
({0})
Genau dieser Eindruck ist hier angekommen, und das finde ich schade .
Ich glaube, es hätte sich gerade im Rahmen der Beratung dieses Gesetzentwurfs gelohnt, auch einmal diejenigen, die aus Bereichen kommen, die sonst nicht so im
Vordergrund stehen - der Heil- und Hilfsmittelbereich,
das Gesundheitshandwerk, die Gesundheitsfachberufe -,
auch einmal zu würdigen; denn das sind diejenigen, die
neben den Krankenhäusern, die immer präsent sind, und
den Krankenkassen jeden Tag am Patienten eine Leistung
erbringen, die jeden Tag Gutes für die Patienten tun und
die entscheidend dazu beitragen, dass die Versorgung
qualitativ hochwertig erfolgt .
({1})
Von einigen wird hier so getan, als sei mit Blick auf
das Gesetz überhaupt nichts passiert . Mir ist vorgeworfen worden, ich hätte gesagt, es gebe überhaupt keinen
Handlungsbedarf . Ich habe genau das Gegenteil gesagt,
und ich werde Ihnen auch ein ganz konkretes Beispiel
nennen, Frau Kollegin - Stichwort: Beiträge Selbstständiger zur gesetzlichen Krankenversicherung . Bereits in
der letzten Debatte im September 2016 haben wir darüber gesprochen, dass es durchaus Probleme hinsichtlich
der Frage Beitragsbemessung gibt . Das haben wir als
Koalition jetzt geändert .
({2})
Wir haben eine neue Beitragsbemessung für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung und
schauen genau darauf, wie hoch die tatsächlichen Einkünfte im Kalenderjahr und bezüglich der Mindestbemessungsgrenzen sind . Diese praxisnahe Lösung für
Selbstständige ist eine bürokratiearme Möglichkeit und
ein klares Signal für die Stärkung von Gründermentalität, ein klares Signal für die vielen selbstständigen Leistungsträger in unserer Gesellschaft . Deshalb ist es ein
gutes Gesetz .
Nächster Punkt: Qualitätssicherung bei Gesundheitshandwerkern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen immer über den Mittelstand . Wir wissen, er ist das
Rückgrat der Gesellschaft . Dazu gehören die vielen Gesundheitshandwerker und der Gesundheitswirtschaftsbereich . Wir sprechen über 25 000 Augenoptiker, über
Hörgeräteakustiker, Orthopädieschuhtechniker, Zahntechniker . Das sind Innovationstreiber .
({3})
Es gibt mittlerweile 180 000 Mitarbeiter in diesem Bereich, die einen enormen Beitrag zu einer modernen, verlässlichen Versorgung leisten . Deshalb haben wir auch
die bisherige Ausschreibungspraxis aufgehoben . Wir
haben sie abgeschafft, weil wir der Meinung sind, dass
individuelle handwerkliche Leistungen nichts mit einer
pauschalen Ausschreibung zu tun haben .
({4})
Dadurch haben wir gerade im Bereich von orthopädischen Schuheinlagen einen ruinösen Preiswettbewerb
verhindert, und wir stärken damit auch die Attraktivität
dieser Berufe .
Das Beispiel Modellprojekte ist bereits angesprochen
worden . Mein Kollege Roy Kühne hat darauf hingewiesen, dass wir viele Berufsgruppen in diese Modellprojekte einbeziehen . Das ist zum Beispiel für Podologen sehr
wichtig, die sich dafür erst einmal nicht angeboten oder
aufgedrängt haben; aber wir sprechen hier über VolksMartina Stamm-Fibich
krankheiten, zum Beispiel über Diabetes . Wir haben
mittlerweile 9 Millionen Erkrankte in diesem Bereich;
die Dunkelziffer liegt bei zusätzlichen 2 Millionen. Deshalb ist es wichtig, dass wir, wenn wir diesen Diabetes-Tsunami in den nächsten Jahren verhindern wollen,
genau schauen, welche sinnvollen Kooperationen es dabei gibt . Daher ist dies auch eine sinnvolle Maßnahme
und Mittelverwendung im Gesundheitswesen .
Sehr geehrte Damen und Herren, die Stärkung der
Hochschulambulanzen ist ein weiteres Thema, das wir
im Rahmen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes angehen . Der Kollege Lauterbach hat bereits darauf
hingewiesen, dass es um eine bessere Versorgung geht .
Es geht um eine bessere Einbindung der Patienten sowie
um innovative Behandlungs- und Versorgungsansätze
und einen direkteren Zugang zu interdisziplinären Ansätzen . Das werden wir mit diesem Gesetz erreichen . Wir
sprechen immer über sektorübergreifende Ansätze . Dies
ist ein konkretes Beispiel, und insofern kann man sagen,
dass es ein guter Ansatz ist .
({5})
Letzter Punkt: Kodier-Beeinflussung. Dieses Thema
ist durch die Presse gegangen, und insofern ist es nur folgerichtig, dass wir dem hier einen Riegel vorschieben .
Das ist letztlich auch verständlich; denn stellen Sie sich
vor, jede Krankenkasse würde dies tun . Das kann man
mit folgender Situation vergleichen: Im Kino stehen auf
einmal die Leute in der ersten Reihe auf, und Sie sehen
nichts mehr . Was tun Sie? Sie stehen auch auf . - Nichts
anderes haben die Kassen getan . Das heißt, eine Kasse
hat damit angefangen, anders kodieren zu lassen . Die
nächste Kasse musste es mitmachen, damit sie im Wettbewerb keine Nachteile erleidet . Insofern ist dies ein klares Signal nach außen, dass wir sagen: Wer dieses System missbraucht, erfährt eine konsequente Reaktion des
Gesetzgebers . Dabei gibt es keine Tolerierung mehr . Das
haben wir umgesetzt .
({6})
Mit Blick auf die Uhr - ich könnte noch stundenlang
über dieses sehr gute Gesetz referieren - nur noch ein
Punkt: Mutterschutz . Wir haben gerade in diesem Bereich Unwuchten aus der Vergangenheit beseitigt, indem
wir beim Mutterschutz selbstständig tätigen Müttern die
Möglichkeit geben, mit gesetzlich versicherten Müttern
gleichziehen zu können .
Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen und den anderen Kolleginnen und
Kollegen hier im Hause . Ich betrachte ihre Enthaltung als
eine Form des Lobes .
({7})
Insofern ist das heute ein guter Tag, und vielleicht sind
Sie angesichts der Realität mit unserem Vorschlag einverstanden und stimmen dem Gesetzentwurf zu .
Herzlichen Dank .
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11205, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10186 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung der Opposition angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit den Stimmen
der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke .
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11207 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall .
Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt
worden .
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11208 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden .
Tagesordnungspunkt 6 b . Wir setzen die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/11205 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8399
mit dem Titel „Versorgung durch Heilmittelerbringer
stärken - Valide Datengrundlage zur Versorgung und
Einkommenssituation von Heilmittelerbringern schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen
worden mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition .
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10247 mit dem Titel „Versorgung
verbessern - Kompetenzen von Heilmittelerbringern ausbauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
auch diese Beschlussempfehlung angenommen worden
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition .
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/10252 mit dem Titel „Fairen Wettbewerb in der
solidarischen Krankenversicherung ermöglichen - Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches vorantreiben“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung
ebenfalls angenommen worden mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Tagesordnungspunkt 6 c. Hier empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/3155 mit dem Titel „Die
gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung menschenrechtskonform gestalten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthält sich jemand? - Damit ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls angenommen mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition .
Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Bekämpfung der Steuerumgehung und zur
Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ({0})
Drucksachen 18/11132, 18/11184
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dieses Tagesordnungspunktes 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch .
Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen.
Als erster Redner hat für die Bundesregierung der
Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister das
Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am 3 . April vergangenen Jahres gegen 20 Uhr wurden
die sogenannten Panama Papers veröffentlicht. Das war
der Ausgangspunkt für die Diskussion, die wir ab heute hier im Deutschen Bundestag führen . Es gab eine sofortige Reaktion des Bundesfinanzministers Wolfgang
Schäuble, indem er mit einem internationalen Maßnahmenpaket von zehn Punkten auf seine G-20-Kollegen
zugegangen ist, um gemeinsam mit anderen Ländern gegen Steuerumgehung vorzugehen . Gleichfalls haben wir
mit den Bundesländern ein nationales Maßnahmenpaket
diskutiert und in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe besprochen, was heute mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht
wird .
Worum geht es? Es geht darum, dass der eine oder
andere Steuerpflichtige mithilfe sogenannter Briefkastenfirmen versucht hat, steuerliche Tatbestände zu verheimlichen . Das heißt, es wurden Firmen gegründet, die
eigentlich keine wirtschaftlichen Aktivitäten hatten, im
Regelfall außerhalb des EU- bzw . EWR-Raumes . Diese Konstruktion war so verschachtelt, dass man keinen
Blick darauf hatte, wer der wirtschaftlich Berechtigte
hinter diesen Gesellschaften ist .
Es gab den einen oder anderen Vorschlag, solche Gesellschaften einfach zu verbieten . Dies ist aber nicht ganz
so trivial, weil es durchaus sein kann, dass man auch im
Drittland Gesellschaften gründet, die in irgendeiner Form
wirtschaftlich durchaus aktiv sein können . Deshalb richtet sich der Ansatz dieses Gesetzes nicht auf ein Verbot
solcher Gesellschaften, sondern darauf, wie man mehr
Transparenz im Kontext dieser Gesellschaften schafft.
In Zukunft wird erstens, wenn dieses Gesetz in Kraft
getreten ist, jeder Steuerpflichtige, der an einer solchen
Gesellschaft beteiligt ist, diese Beteiligung der Fiskalbehörde aktiv anzeigen müssen, wenn er einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss hat. Sollte er sich
dieser Anzeige eines solchen bestimmenden Einflusses
entziehen - es muss kein formaler Einfluss sein; es reicht,
wenn er sich ihn nicht zwingend formal auf anderem
Wege angeeignet hat -, dann kann er mit einem Bußgeld
von bis zu 25 000 Euro belegt werden .
Zweitens legen wir den Kreditinstituten auf, dass sie,
wenn sie Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen
Steuerpflichtigen und solchen Domizilgesellschaften in
Drittländern vermittelt haben, dies auch der hiesigen Fiskalbehörde anzeigen müssen . Unterlassen sie das, sind
sie haftbar für mögliche Steuerausfälle, die an dieser
Stelle entstehen . Neben den Steuerausfällen können auch
sie mit einem Bußgeld belegt werden, ebenfalls in Höhe
von 25 000 Euro . Der Ausgleich für den Steuerschaden
überschreitet die Höhe des Bußgeldes im Regelfall um
ein Vielfaches .
Wir sind dann drittens an den § 30a der Abgabenordnung herangegangen, das sogenannte steuerliche
Bankgeheimnis . An dieser Stelle geht es um die Frage:
Inwieweit gibt es ein Auskunftsverweigerungsrecht von
Finanzinstituten, wenn die Finanzbehörde nachfragt? Es
ist nach unserer Einschätzung bisher so, dass es ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht gibt . Wir sind allerdings
der Meinung, dass klargestellt werden muss, dass es so
ist und dass ein Finanzinstitut keineswegs einem Rechtsanwalt, einem Steuerberater, einem Wirtschaftsprüfer,
einem Arzt, einem Geistlichen oder einem Bundestagsabgeordneten gleichgestellt ist, sondern eher einem anderen Unternehmen . In dem Kontext wird es auch so sein:
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Wenn in Zukunft bei Betriebsprüfungen - etwa bei einer
Bank - steuerliche Sachverhalte zu einem Dritten auffällig werden, können diese verwendet werden .
Wir werden viertens sogenannte Sammelauskunftsersuchen möglich machen . Allerdings werden wir klarstellen, dass diese Möglichkeit nicht anlasslos, sondern nur
anlassbezogen von den Fiskalbehörden genutzt werden
kann . Ich glaube, auch hier sind wir mit Maß und mit
Blick auf das Ziel vorgegangen .
Wir werden das Kontenabrufverfahren für Besteuerungszwecke erweitern und damit die Möglichkeit
schaffen, zu erfahren, wer eigentlich der wirtschaftlich
Berechtigte hinter einem Konto oder Depot ist, insbesondere dann, wenn dieses Konto oder Depot in einem Drittland liegt . Und wir haben Hinterziehungen von Steuern
unter Nutzung von Drittstaat-Gesellschaften als besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung qualifiziert,
was bedeutet, dass die Verjährungsfristen in diesen Fällen
auf zehn Jahre angelegt sind . Wir werden auch die Zahlungsverjährungsfristen von fünf auf zehn Jahre erhöhen
und damit dafür sorgen, dass auf der einen Seite durch
die Transparenz, die wir schaffen, das Entdeckungsrisiko
steigt und auf der anderen Seite dann, wenn die Entdeckung stattgefunden hat, durch längere Verjährungsfristen auch die Möglichkeit besteht, den Steuerschaden zu
beheben und entsprechende Strafen zu verhängen .
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen,
wenn Sie diesen Gesetzentwurf mit Wohlwollen beraten
könnten. Wir haben versucht, die einzelnen Begrifflichkeiten maßvoll und zielgerichtet auszugestalten, und
glauben, dass der Gesetzentwurf ein Beitrag dazu ist,
die Steuerehrlichkeit und damit auch die Akzeptanz von
Steuerzahlungen in diesem Land zu heben .
Vielen Dank .
({0})
Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir im Kleinen unsere Steuererklärung
nicht machen oder Steuern hinterziehen, spricht man gemeinhin von „Trickserei“ oder „Beschiss“. Bei den Großen heißt es dann elegant „Steuerumgehung“.
Das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz, das wir
heute beraten, ist absolut notwendig . Sogenannte Briefkastenfirmen und Briefkastengesellschaften klingen vom
Namen her erst mal romantisch, aber sie haben vor allen
Dingen eine Funktion: Zahlungsströme und wirtschaftliche Aktivitäten zu verschleiern und damit vor allen Dingen die Steuer zu umgehen .
Das wurde der Allgemeinheit erst im Frühjahr 2016
so richtig bewusst, als die sogenannten Panama Papers
veröffentlicht wurden - ich will einfach mal die Dimension aufzeigen: es sind 11,5 Millionen Dokumente,
2,6 Terabyte Daten -, aus denen hervorgeht, dass Zahlungsströme und entsprechende wirtschaftliche Aktivitäten fast ungehindert verschleiert werden konnten . Dass
sich da schnellstens etwas ändern muss, sollte eigentlich
klar sein. Insofern finde ich es bedauerlich, dass die Bundesregierung fast ein Jahr verstreichen ließ, bis sie hier
aktiv wurde und jetzt erstmalig einen Gesetzentwurf in
den Bundestag einbringt, und das nur - das muss man an
dieser Stelle auch betonen -, weil der öffentliche Druck
enorm zunahm und so groß wurde .
Wenn man nun vorhat, zukünftig dunkle Geschäfte
ans Licht zu bringen, dann gibt es eigentlich ein einziges
Zauberwort - es heißt „Transparenz“. Ich verstehe nicht,
warum in Ihrem Gesetzentwurf nichts über die Einführung eines öffentlichen Transparenzregisters zu wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen bzw . Trusts zu
lesen ist . Denn wir haben ja gelernt: Durch illegale Finanzflüsse gehen gerade den Entwicklungsländern jährlich hohe dreistellige Milliardenbeträge in Euro verloren .
Hier könnte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen
und solch ein Transparenzregister einführen .
({0})
Denn das Problem ist ja vor allen Dingen, dass die Strippenzieher und Profiteure dieser Schattengeschäfte weiterhin im Geheimen bleiben und sich der strafrechtlichen
Verfolgung entziehen können . Genau das wollen wir
nicht . Hier ist es unserer Meinung nach notwendig, dass
man ein öffentliches Transparenzregister einführt.
({1})
Was ich mich ebenfalls frage, ist, warum in Ihrem Gesetzentwurf keine generelle gesetzliche Anzeigepflicht
für sämtliche Steuergestaltungen zu finden ist. Wenn Ihnen Prävention tatsächlich so wichtig ist, warum nutzen
Sie dann nicht hier die Gelegenheit, eine solche Anzeigepflicht ins Gesetz aufzunehmen?
Wir bewerten positiv - das möchte ich an dieser Stelle
natürlich nicht unterschlagen -, dass die Aufhebung des
steuerlichen Bankgeheimnisses und die Verlängerung der
Zahlungsverjährungsfrist vorgesehen sind . Es ist positiv
zu bewerten, dass hier der erste Stein gelegt wird . Auch
die Anhebung des Bußgeldrahmens für Steuerpflichtige
ist grundsätzlich richtig . Aber mal ganz ehrlich, meine
Damen und Herren: 25 000 Euro bzw . 50 000 Euro bei
Finanzinstituten, meinen Sie wirklich, dass diese Summen Milliardäre oder hyperreiche Finanzfirmen, die Milliardenbeträge verschleiern bzw . verschwinden lassen
wollen, erzittern lassen? Das Ding ist doch: Die bescheißen uns, die gesamte Gemeinschaft, um ihren Anteil an
der Finanzierung öffentlichen Gutes, von dem auch sie
profitieren. Das ist doch der Skandal an der Geschichte:
Sie kommen davon, und der kleine Mann muss ganz normal seine Steuern zahlen .
({2})
Ich muss ganz ehrlich sagen: Die Beteiligung an der
Gemeinschaft drückt sich darin aus, Steuern zu zahlen .
Wenn Sie verhindern wollen, dass hier betrogen bzw . beschissen wird - wir als Linke sagen das ganz klar -,
({3})
wenn Sie präventive Maßnahmen ergreifen wollen, dann
müssen Sie Bußgelder in einer ganz anderen Größenordnung ansetzen .
({4})
Besonders ärgert mich, dass ein Großteil der Informationspflichten, die Sie gerade dargestellt haben, Herr
Meister, nur in Bezug auf Staaten gilt, die nicht Mitglied
der EU bzw . der EFTA, der Europäischen Freihandelszone, sind, also sogenannte Drittstaaten . Die Schweiz und
Liechtenstein bleiben für die deutschen Finanzverwaltungen weiterhin im Dunkeln . Diese Staaten fehlen aber
in keiner Aufzählung der Schattenfinanzplätze. Wir als
Linke lehnen es ab, dass damit europäische Steueroasen
aus dem Schneider sind und ihnen auf diese Art und Weise quasi noch ein Wettbewerbsvorteil gewährt wird .
Der Bundesfinanzminister will sich mit diesem Gesetzentwurf hier als großer Aufklärer und Kämpfer gegen
Steuerumgehung gerieren . Der Ehrlichkeit halber muss
man an dieser Stelle aber sagen: Gerade unter seiner
Ägide sind mit sogenannten Cum/Cum-Geschäften richtig viele Milliarden Euro - 5 bis 6 Milliarden Euro pro
Jahr - verloren gegangen .
({5})
Jetzt wollen Sie mit dem Investmentsteuerreformgesetz
dem Ganzen Einhalt gebieten . Das wird sich aber erst
noch bewähren müssen .
Ich möchte sagen: Bevor auf andere Länder gezeigt
wird, sollten wir vor unserer eigenen Haustür kehren .
Die Wirtschaftswoche tituliert Deutschland als dreisteste
Steueroase .
({6})
Von der international eingeforderten Steuertransparenz
sind wir an einigen Stellen selber meilenweit entfernt .
Wir müssen noch den ganzen Weg gehen und nicht nur
zwei Schritte, ehe wirklich Steuergerechtigkeit hergestellt ist und die Steueroasen ausgetrocknet sind .
Vielen Dank .
({7})
Als nächster Redner spricht Lothar Binding für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Susanna Karawanskij
hat eine richtig gute Idee gehabt: ein Transparenzregister .
Weil die Idee so gut ist, wollen wir das auch machen . Wir
wollen das nur nicht heute und hier machen, sondern im
Rahmen der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie . Das
ist klug; denn der panamaische, namentlich nicht bekannte wirtschaftlich Berechtigte würde in einem deutschen
Transparenzregister gar nicht auftauchen . Das würde uns
hier also nicht helfen . Es ist zwar ein super Schwert, aber
man muss es da einsetzen, wo man kämpfen kann .
({0})
Heute geht es um die innerstaatlichen Maßnahmen . Die
internationalen Maßnahmen ergreifen wir mit anderen
Gesetzen . Mit BEPS haben wir begonnen, verschiedene
andere folgen .
Das Ziel des Gesetzes ist klar: Mitwirkungspflichten
und Anzeigepflichten erweitern, Ermittlungsbefugnisse
für unsere Behörden verbessern . Das sind die drei wichtigsten Dinge, die wir tun wollen . Diese Maßnahmen
sind innerstaatlich natürlich wichtig . Ich glaube, das ist
ein sehr großer Schritt, damit die Finanzbehörden besser
zugreifen können und bessere Informationen haben .
Natürlich wird das nicht für jeden angenehm sein .
Wenn wir die Mitwirkungspflichten erweitern, ergibt sich
daraus für Banken, Steuerberater und viele andere, die
sich auch um Briefkastenfirmen kümmern, die Pflicht,
etwas mehr bekannt zu geben als heute . Das könnte auch
unangenehm sein, weil das, was ab jetzt bekannt gegeben
werden muss, bisher aus offensichtlichen Gründen nicht
bekannt gegeben wurde . Insofern ist das eine neue Welt .
Panama hört sich ja ziemlich weit weg an . Wir haben
aber gerade in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass
aus der Kanzlei Mossack Fonseca zwei verhaftet wurden,
nämlich Jürgen Mossack - ein Deutscher übrigens; wir
denken ja immer, Panama ist wirklich weit weg - und
Ramón Fonseca . Sie wurden verhaftet, weil sie in dem
Lava-Jato-Skandal die Verschleierung von Schmiergeld
und Korruptionsgeld organisiert haben .
Da sieht man, zu was solche Briefkastenfirmen alles
dienen können und wie klug es ist, dass wir uns darum
kümmern . Wir sehen auch, wie kurz der Weg ist . Denn
es ist ja erlaubt, dass ich mein Geld nach Panama bringe .
Aber der Weg von der Geldanlage dort und der legalen
Steuervermeidung über die illegale Steuergestaltung bis
hin zur Kriminalität scheint sehr kurz zu sein . Meine
These dazu ist: Weil das alles unter dem Schleier des
Unbekannten liegt, ist der Weg so kurz . Denn wenn das
eine nicht entdeckt wurde, dann geht man vielleicht einen Schritt weiter und noch einen Schritt und noch einen
Schritt, und im Nu ist man im Strudel der Kriminalität
gefangen . Deshalb ist es gut, was jetzt in Panama passiert, nachdem Freundschaften mit der Regierung offensichtlich nicht mehr ganz so gut funktionieren wie bisher .
Ich will noch einmal kurz erläutern, was eine Briefkastenfirma ist und woran wir sie erkennen. Es gibt ja
keine wirtschaftliche Aktivität . Es ist also ein Unternehmen ohne Geschäftszweck . Es ist nichts weiter als eine
angemeldete Rechtsform . Uns ärgert besonders, dass es
keine Arbeitnehmer gibt . Also den Zweck eines Unternehmens, dass man Leute beschäftigt und - das ist klar Susanna Karawanskij
Gewinne macht, gibt es nicht . Es gibt eine Art Pro-forma-Geschäftsführer . Er hat nur eine einzige Aufgabe im
Jahr: Er muss die Registergebühren überweisen . Dann
hat er sozusagen seine Geschäftstätigkeit für ein Jahr erledigt .
Jetzt das Wichtigste: Der wirtschaftlich Berechtigte ist nicht bekannt . Über wie viele Unternehmen reden wir? Durch die Panama Leaks, also sozusagen das
Loch im Datensack, haben wir jetzt Informationen über
215 000 unterschiedliche Unternehmen . Um die Dimension zu verdeutlichen: In Deutschland haben wir etwa
3,5 oder 3,6 Millionen Unternehmen . Die 215 000 sind
aber nicht nur deutsche Unternehmen; nicht, dass das
jetzt einer missversteht . Das zeigt aber die Dimension,
wie viele dieser Firmen es gibt .
Wie funktioniert das? Eine Privatperson oder ein Unternehmen, meist mit Vermögen, wendet sich an eine
Bank . Die Bank beauftragt einen Vermittler . Der Vermittler gründet eine fiktive Firma. Diese fiktive Firma hat
dann die Aufgabe, den Namen des Auftraggebers zu verschleiern . Das hat bisher sehr gut funktioniert . Wie komme ich an mein Geld, wenn ich das so gemacht habe?
Ganz einfach: Über eine Kreditkarte kann ich auf das
Geld, das auf solchen Konten liegt, zugreifen .
Was machen wir heute? Wir wollen die Wahrscheinlichkeit für die Entdeckung der Gründer von solchen
Briefkastenfirmen, die wir auch Domizilgesellschaften
nennen, erhöhen . Denn wir sagen: Wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit steigt, dann könnte die Wahrscheinlichkeit, dass jemand nicht kriminell wird, auch
steigen . Das ist unser großer Wunsch . Das heißt, wir
wollen eine hohe Präventionswirkung entfalten .
Dazu gehört als Erstes das wichtige Wort „Transparenz“, und zwar, wie gesagt, im doppelten Sinn, einmal
international und einmal national . Wir wollen auch, dass
die inländischen Steuerpflichtigen, die solche Firmen
beherrschen oder damit Geschäftsbeziehungen haben,
dies vermehrt anzeigen und der Steuerverwaltung einen
Hinweis geben, dass da etwas sein könnte . Dadurch soll
genauer hingeschaut werden . Das ist der erste wichtige
Schritt .
({1})
Dass die Umsetzung dieser Anzeigepflicht nicht ganz
leicht ist, ist klar . Denn wir sprechen auch von Beteiligungen: Wenn ich mich zum Beispiel an einem Fonds
beteilige, der sich seinerseits an einer Briefkastenfirma
beteiligt, die sich ihrerseits hinter einer GmbH in Andorra verbirgt, dann wird die Sache relativ schnell sehr kompliziert . Wir merken also, dass wir da sehr tief reinschauen müssen . Deshalb ist es so wichtig, dass die Exekutive,
dass unsere Beamten die Möglichkeit haben, da sehr viel
mehr zu tun .
Last, but not least müssen die Finanzinstitute sehr viel
mehr Informationen über Drittland-Gesellschaften geben . Das Wichtigste ist vielleicht: Sie sollen auch für die
Steuerausfälle haften, die entlang ihrer Gestaltungen entstehen . Das halte ich für eine ganz interessante Variante .
Wenn wir das durchsetzen und gescheit operationalisieren, dann, glaube ich, haben wir eine ganz schön sperrige
Situation besser im Griff, zumindest fiskalisch. Wir können dann zumindest unser Steuersubstrat sichern . Das ist
eines der wichtigsten Dinge, die wir heute tun wollen .
Jetzt steht hier „minus 19“. Deshalb sage ich schönen
Dank und alles Gute. Ich hoffe, dass wir mit dem Gesetz
durchkommen; denn es ist ein richtig gutes Gesetz .
({2})
Wenn es eine gute Erklärung ist, immer gerne . - Als
nächste Rednerin hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wäre das Wort „Briefkastenfirma“ auch ein guter
Vorschlag für das Unwort des Jahres 2016 gewesen .
({0})
Denn „Briefkastenfirma“ ist eigentlich ein zutiefst heuchlerischer Begriff. Ein Briefkasten auf Guernsey oder in
Panama, das klingt so harmlos. Aber über Briefkastenfirmen werden - meine Vorredner haben es auch schon in
der einen oder anderen Weise angesprochen - Milliarden
verschoben, mit Briefkastenfirmen werden Steuern hinterzogen, mit Briefkastenfirmen waschen die Mafia und
das organisierte Verbrechen ihre Gelder, mit Briefkastenfirmen verstecken Terrororganisationen und korrupte
Diktatoren ihre illegal erworbenen Vermögen .
Die Panama Papers haben uns eindrucksvoll das dramatische Ausmaß dieser Aktivitäten vor Augen geführt:
Eigentümer von Briefkastenfirmen in Panama leben auf
allen Kontinenten . Es waren über 130 000 Personen darunter Despoten, Spitzensportler, Unternehmer, Prominente, Waffenhändler, Oligarchen, Finanzjongleure -,
und das aus 170 Ländern . Und es waren auch Regierungschefs darunter, auch aus Europa: Regierungschefs wie
David Cameron sowie die ehemalige EU-Kommissarin
Neelie Kroes sind dabei . Und das ist absolut verheerend
für das Ansehen von Politik und Demokratie hier bei uns
in Europa . Deswegen müssen wir etwas dagegen tun .
({1})
Es spricht für Schäubles Mediengespür, dass er prompt
einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt hat . Herr Meister hat
es wiederholt .
({2})
- Das ist gut . In dem Gesetzentwurf, der unter anderem
daraus inzwischen geworden ist und der uns heute vorliegt, sind auch tatsächlich eine Reihe von Punkten dabei,
die wir gut finden und die wir auch mittragen werden.
({3})
Lothar Binding ({4})
Aber, meine Damen und Herren, es bleibt ein mehr
als schaler Beigeschmack bei diesem Gesetz . Denn - erstens - dem Finanzministerium waren Panama und das
Briefkastenfirmenwesen lange vor den Enthüllungen bekannt;
({5})
vielleicht nicht die ganzen Ausmaße, aber es war ihm bekannt . Also, wenn das so schnell ging, warum passierte
dann nicht früher etwas? Es hat ja offenbar etwas in der
Schublade gelegen . Wir haben entsprechende Anträge
seit langem gestellt . Sie hätten früher tätig werden sollen .
({6})
Zweitens . Deutschland wusste auch seit langem, dass
es sich bei Panama um eine Steueroase handelt . Warum
hat Deutschland, und zwar bis heute, Panama nicht auf
die schwarze oder graue Liste der unkooperativen Staaten gesetzt? Warum hat Deutschland bisher - anders als
beispielsweise Frankreich - kein einziges Land auf diese
Liste gesetzt? Verstehen wir nicht .
Es gibt weitere wichtige Aspekte, die fehlen . Zuvorderst: Warum gibt es immer noch keine Initiative
der Bundesregierung für einen effektiven Whistleblower-Schutz? Denn ohne Whistleblower hätten wir von
Panama Papers keine Ahnung, LuxLeaks gäbe es nicht,
SwissLeaks gäbe es nicht, wir wüssten auch immer noch
nichts über die tatsächlichen Ausmaße der systematischen Steuerbetrugsnetzwerkstrukturen . Dass wir das
jetzt wissen, ist sehr wichtig, und das sind ohne Zweifel
für die Allgemeinheit sehr, sehr wichtige Informationen .
Und davon brauchen wir eher mehr und nicht weniger .
Deswegen brauchen wir einen Schutz der Whistleblower,
die uns diese Informationen zur Verfügung stellen, meine
Damen und Herren .
({7})
Außerdem: Deutschland selbst ist eben auch kein Unschuldslamm . Das passiert nicht alles nur in Panama, und
es nicht nur so, dass Deutsche oder Menschen aus anderen Ländern Geld nach Panama verschieben, sondern
Deutschland ist international bekannt als Geldwäscheparadies, und Deutschland ist auch ein attraktiver Standort
für ausländische Steuerhinterzieher . Aber wo sind die
Initiativen dieser Bundesregierung, die wirklich etwas
am Geldwäsche-Eldorado ändern würden? Wir finden
nichts . Fehlanzeige .
Dabei gibt es Schätzungen aus dem Haus von Herrn
Schäuble selbst, wonach in Deutschland jährlich
100 Milliarden Euro an schmutzigem Geld vor allem im
Nichtfinanzsektor gewaschen werden, und davon wird
nur ein Bruchteil aufgedeckt . Das sind nicht unsere Zahlen, sondern das sind die Zahlen der Bundesregierung .
Das liegt übrigens unter anderem auch daran, dass für
die Kontrolle der Geldwäsche die Gewerbeaufsichtsämter, mancherorts sogar die Standesbeamten zuständig
sind . Was für ein aberwitziger Zustand, meine Damen
und Herren! Der muss dringend geändert werden .
({8}))
Auch die deutsche Steueroase lebt trotz dieses Gesetzes munter weiter . Wir haben es erfahren während
des Arabischen Frühlings . Da stellte sich heraus, dass
geflohene Diktatoren die gestohlenen Milliarden auf
deutschen Konten gesichert hatten und auch dafür keine
Steuern gezahlt haben, weil übrigens alle Steuerausländer in der Regel auf ihr Bankkonto in Deutschland keine
Steuern zahlen - keine im Sinne von wirklich null Euro!
Das könnten wir ändern . Warum erheben wir nicht bei
uns eine Quellensteuer für Kontoinhaber aus den Ländern, die nicht am automatischen Informationsaustausch
über Finanzkonten in Steuerfragen teilnehmen, von denen wir also nicht wissen, ob sie schon einmal Steuern
gezahlt haben?
Das alles müssten wir tun . Daran misst sich unsere
Glaubwürdigkeit im tatsächlichen Kampf gegen internationale Steuerhinterziehung . Es gibt weitere Punkte, die
ich ausführen könnte . Meine Zeit ist aber zu Ende . Deswegen erwähne ich sie jetzt nicht .
Wir sagen an dieser Stelle: Das Gesetz ist ein Schritt
in die richtige Richtung . Aber zum großen Schlag gegen die Steuerhinterziehung fehlt es am Kehren vor der
eigenen Haustüre, es fehlt an öffentlicher Transparenz,
und es fehlt an effektiven Strukturen und Personal zur
Umsetzung . Aber nur wenn wir das tun, ist Deutschland
glaubwürdig, und nur dann können wir in der EU und
international im Kampf gegen Steuerbetrug und Geldwäsche wirklich vorankommen .
({9})
Uwe Feiler hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribünen! Auch
heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der sich mit der
Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung
beschäftigt . Er fügt sich nahtlos in das Konzept unseres
Bundesfinanzministers zur Stärkung der Steuergerechtigkeit ein . Nach der Reform der strafbefreienden Selbstanzeige, der Einführung des internationalen Informationsaustauschs in Steuersachen, dem Gesetz zur Umsetzung
der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und dem Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen werden wir mit diesem Gesetz den kreativen Steuergestaltungsmöglichkeiten im Ausland einen
Riegel vorschieben . Dabei setzen wir zuallererst auf das
Mittel der Transparenz; das haben wir in den Vorreden
schon mehrmals gehört .
Genauso wie wir bei der strafbefreienden Selbstanzeige und durch den internationalen Informationsaustausch
das Entdeckungsrisiko dermaßen erhöht haben, dass sich
jeder dreimal überlegen sollte, ob er sich mit dem deutschen Fiskus auf diese Art und Weise anlegen will, bringen wir mit diesem Gesetz Licht ins Dunkel sogenannter
Domizilgesellschaften, wie Briefkastenfirmen höflich
umschrieben werden .
Wir als Union stehen zur Berufs-, Dienstleistungs- und
Eigentumsfreiheit . Selbstverständlich dürfen und können
sich deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger an ausländischen Gesellschaften beteiligen, diese übernehmen
oder auch internationale Geschäftsbeziehungen pflegen.
Dieser Unternehmergeist gehört zu den Stärken der deutschen Volkswirtschaft, von der wir alle profitieren. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, der Geschäftssinn endet aber
dort, wo die Energie vornehmlich darauf gerichtet ist,
dem deutschen Staat durch ein geschicktes und möglichst
kompliziertes Netzwerk an Auslandsgesellschaften seine
Steuern vorzuenthalten .
In den Gesetzentwurf sind die viel beachteten und international auf Zustimmung gestoßenen zehn Punkte von
Wolfgang Schäuble eingeflossen. Über deren Ausgestaltung werden wir im jetzt beginnenden parlamentarischen
Verfahren sicherlich zum Teil zu sprechen haben . Grundlage ist ein mehrstufiges Modell, das nicht ohne Grund
an die erste Stelle die Ausweitung der Mitwirkungs- und
Anzeigepflichten über den Erwerb von direkten und indirekten Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften setzt. Schlupflöcher durch Schachtelkonstruktionen
werden so geschlossen, da auch Geschäftsbeziehungen
zu Drittstaat-Gesellschaften offenzulegen sind. Anderenfalls setzt die Anlaufhemmung der Verjährung ein, und es
wird ein Bußgeld in Höhe von bis zu 25 000 Euro fällig .
Meine Damen und Herren, neben den Eigentümern
solcher Firmen nehmen wir aber auch die Finanzinstitute
in die Verantwortung, Finanzinstitute, die ihre Kunden
nicht selten bei derartigen Geschäftsmodellen beraten
haben . Auch für sie gilt eine Mitwirkungs- und Anzeigepflicht, wenn sie für in Deutschland Steuerpflichtige
Geschäftsbeziehungen mit Drittstaat-Gesellschaften herstellen oder vermitteln . Neben dem Bußgeld sollen sie
auch für die durch eine Pflichtverletzung entstandenen
Steuerausfälle haften; das halte ich, wie mein Vorredner
Lothar Binding schon angemerkt hat, für äußerst wichtig .
In genau diesen Zusammenhang ist auch die Abschaffung des steuerlichen Bankengeheimnisses einzuordnen, das in der Praxis aufgrund der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts ohnehin zwar ein Ermittlungshindernis darzustellen vermochte, aber keine Verschwiegenheitspflicht der Finanzinstitute nach sich zog.
Gleichwohl darf ich an dieser Stelle auch festhalten, dass
wir den Instituten durchaus eine Menge neuer Aufgaben
aufbürden, über die wir mit der Finanzwirtschaft natürlich auch diskutieren müssen . In der Gesamtabwägung
lassen sich die Pflichten aus meiner Sicht aber vertreten,
beispielsweise bei der Ausweitung des automatisierten
Kontenabrufverfahrens oder der Verlängerung der Aufbewahrungsfrist von Daten bei Auflösung von Konten
auf zehn Jahre . Ob auch für den kleinen Ratenkredit stets
die Erfassung des steuerlichen Identifikationsmerkmals
erforderlich ist, ist zumindest mir gegenüber noch begründungswürdig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Bürgerinnen
und Bürger werden sich fragen, ob sie selbst als Inhaber
eines Girokontos oder eines kleinen Depots überhaupt
von all diesen Vorschriften, die wir jetzt auf den Weg
bringen, betroffen sein werden. Das können wir sicher
ruhigen Gewissens in vielen Fällen verneinen .
Für uns ist es jedoch wichtig, dass gerade diese Menschen wissen, dass diejenigen, die versuchen, sich auf
Kosten der Steuerzahlergemeinschaft gesetzeswidrig einen Vorteil zu verschaffen, verfolgt und bestraft werden.
Es ist deshalb auch vollkommen folgerichtig, die Zahlungsverjährungsfrist bei Steuerhinterziehung auf zehn
Jahre zu verlängern und in besonders schweren Fällen
einer Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist für die
Strafverfolgung ebenfalls auf zehn Jahre auszuweiten .
Unser Finanzminister hat in Deutschland und in der
Welt zu Recht den Ruf erworben, für Steuergerechtigkeit
und Transparenz zu stehen . Er hat zeitnah einen guten
Gesetzentwurf vorgelegt, und ich freue mich auf die anstehenden Beratungen zu diesem Gesetz .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Als nächster Redner spricht Dr . Jens Zimmermann für
die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in der ersten Lesung den Entwurf des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes . Das gäbe viele Punkte
beim Scrabble, gleichzeitig wird mit dem Titel ziemlich
klar, um was es eigentlich geht, nämlich um die Bekämpfung von sogenannter Steuerumgehung . Ich würde
vielleicht auch von Steuerhinterziehung reden . Das ist
sowieso eine Sache, die mir aufgefallen ist: Häufig sind
wir, so glaube ich, was Sprache angeht, an diesen Punkten ein bisschen zu nachsichtig; denn eigentlich wissen
wir alle, worum es geht .
Ich will auch klar sagen, dass Briefkastenfirmen für
mich nichts Romantisches haben .
({0})
Wenn Sie auf die Wiese vor dem Reichstag gehen und
die Besucherinnen und Besucher fragen würden, was
sie eigentlich mit einer Briefkastenfirma assoziieren,
dann würden die Ihnen bestimmt nicht sagen: Ja, es gibt
besondere steuerliche Konstellationen, für die Sie eine
Vorratsgesellschaft brauchen, und um das und das zu
machen, brauchen Sie eine Briefkastenfirma. Deswegen
ist das etwas, was unserer Wirtschaft unglaublich nutzt . Nein, das würde Ihnen draußen auf der Wiese vor dem
Reichstag niemand sagen, sondern die Leute würden sagen: Ja, Briefkastenfirma, so etwas hätte ich auch gern;
denn wenn ich eine Briefkastenfirma habe, dann habe
ich hoffentlich viel Geld, das ich außer Landes schaffen
muss, damit ich darauf möglichst keine Steuern zahlen
muss . - Das ist doch das Problem, um das es geht und
über das wir schon seit geraumer Zeit diskutieren .
Ich begrüße ausdrücklich, was wir jetzt hier im Gesetzentwurf vorgelegt haben, nämlich dass wir dieser
relativ einfachen Konstellation, die, glaube ich, die Bürgerinnen und Bürger da draußen sehr genau verstehen,
einen stärkeren Riegel vorschieben können .
({1})
Es drängt sich eine ganz einfache Frage auf: Warum
verbieten wir das denn nicht einfach? Das ist doch die
Frage, die sich bei diesem Thema jeder stellt . Mir ist aber
klar: Wir können Panama nicht bitten, einfach zu verbieten, dass deutsche oder europäische Staatsbürger dort ein
Unternehmen anmelden können . Da müssen wir realistisch sein . Dafür sitzen wir hier: dass wir Maßnahmen
und Instrumente entwickeln, um die negativen Effekte zu
verhindern, die diese Briefkastenfirmen häufig mit sich
bringen . Ich glaube, durch den Gesetzentwurf haben wir
gute Instrumente vorliegen .
Wenn ich mir die Reden der Kolleginnen von der
Opposition anhöre, dann stelle ich fest: Ein Hauptkritikpunkt war, dass es nicht schnell genug ging . Schneller
geht immer - das ist akzeptiert . Der andere Punkt war,
wir könnten bei der Geldwäschebekämpfung noch mehr
machen . Auch da bin ich bei Ihnen . Aber Geldwäschebekämpfung steht heute nicht zur Debatte, sondern wir
wollen die Briefkastenfirmen besser regulieren.
({2})
Zum Thema Geldwäsche will ich dennoch zumindest
einen Satz sagen . Ich glaube, ich bin einer derjenigen,
der am stärksten darauf drängt, dass die Regelungen zur
Umsetzung der Vierten und Fünften EU-Geldwäscherichtlinie endlich durch das Kabinett kommen, damit wir
die hier beschließen können . Aber eines muss man sagen:
Man darf es auch nicht so darstellen, als würden die ganzen Beamtinnen und Beamten in Deutschland, die gegen
die Geldwäsche arbeiten, den ganzen Tag nur schlafen .
Ich glaube, das haben Sie auch nicht gemeint, Frau Kollegin .
({3})
Aber wenn wir uns jetzt anschauen, was wir zur Bekämpfung der Briefkastenfirmen und der Steuerhinterziehung durch Briefkastenfirmen machen, dann stellen
wir fest: Wir haben jetzt den richtigen Ansatz gewählt,
nämlich mehr Transparenz .
({4})
Das kommt im Übrigen mit der Umsetzung der Vierten
und Fünften EU-Geldwäscherichtlinie .
Wir müssen daneben auch Instrumente zur Verfügung haben, durch die Repressionen im Raum stehen . Es
sollen auch diejenigen, die Steuerhinterziehern helfen,
ihr Geld im Ausland unversteuert zu lassen, mit in die
Verantwortung genommen werden. Ich finde es deshalb
mehr als richtig, dass wir sagen: Wenn ein Kreditinstitut
dabei unterstützt, dann kann es am Ende auch zur Begleichung der Steuerausfälle herangezogen werden . Das ist
doch nicht mehr als recht und billig .
({5})
Wenn wir uns anschauen, was in den letzten Jahren
passiert ist, dann stellen wir fest: Deutsche Großbanken
sind vor allem im Ausland mit sehr hohen Beträgen zur
Rechenschaft gezogen worden . Wenn ich in Frankfurt
unterwegs bin, dann habe ich schon den Eindruck, dass
das Reaktionen nach sich gezogen hat, dass man dort
jetzt wesentlich sensibler ist und nicht mehr einfach jedes
Geschäft macht, das irgendwie geht, sondern dass man
sich schon sehr genau überlegt, ob das, was man macht,
eigentlich zulässig, rechtskonform und vielleicht auch
moralisch richtig ist, wobei ich mir bei dem letzten Punkt
immer noch nicht ganz sicher bin .
Insofern haben wir mit diesem Gesetzentwurf ein
wirksames Instrument, und ich hoffe, dass wir in den
jetzt anstehenden Beratungen an den ein, zwei Stellen,
an denen wir vielleicht noch Beratungsbedarf haben, zu
einem guten Ergebnis kommen und dass wir auch an den
anderen Baustellen, die es zweifelsohne gibt, in dieser
Legislaturperiode noch Ergebnisse erzielen werden .
Vielen Dank .
({6})
Als letzter Redner in der Aussprache hat Dr . Hans
Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Vergangenheit sorgte die Steuerumgehung in
Steueroasen wie Luxemburg, Liechtenstein, der Schweiz
und Panama, um nur einige aufzuzählen, für großes Aufsehen . Daher haben wir eine Vielzahl an nationalen Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Gewinnverkürzungen auf den Weg gebracht; das ist eine Tatsache . Ich
nenne zum Beispiel die Entscheidung für den automatischen Informationsaustausch . Das ist ein großer Erfolg,
der die Steueroasen Schweiz und Liechtenstein letzten
Endes trockengelegt hat . Das ist unser Erfolg .
({0})
Wir waren und sind also tätig, und mit unserem heutigen Gesetzentwurf werden wir eine weitere Möglichkeit
inländischer Steuerpflichtiger zur Steuerumgehung mittels Briefkastenfirmen in Steueroasen beseitigen.
({1})
Es gelten in Zukunft erweiterte Mitwirkungspflichten
der Steuerpflichtigen, neue Anzeigepflichten der Banken und zusätzliche Ermittlungsbefugnisse der Finanzverwaltung. Steuerschlupflöchern, Briefkastenfirmen,
Steueroasen und Steuerdelikten wird damit der Kampf
angesagt - nichts anderes! Der Bundesfinanzminister hat
geliefert; die CDU/CSU-Fraktion unterstützt diese Regulierungen .
Es geht uns nicht um Klassenkampf oder um eine Diffamierung von Kapitalanlagen im Ausland, es geht uns
um die Beteiligung an einer Firma im Ausland zum reinen Zwecke der Steuerverkürzung und der Geldwäsche .
Darum geht es: Wir wollen die Steueroasen trockenlegen und Missbrauch bekämpfen . Es darf natürlich nicht
sein, dass die Arbeitnehmer und der Mittelstand hier im
Land ordentlich ihre Steuern bezahlen, während andere
mit Briefkastenfirmen jonglieren, um sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen oder Geld aus illegalen Geschäften
zu waschen .
({2})
Wir haben in den vergangenen Jahren bereits die eine
oder andere Stellschraube richtig justiert, um jenen das
Handwerk zu legen, die sich ihrer Steuerpflicht hier zu
entziehen versuchen und vor allem - das ist besonders
schädlich - Wettbewerbsvorteile genießen wollen . Es
schadet einer ganzen Wirtschaftsstruktur, wenn sich einige nur Vorteile herausnehmen . Das schadet dem Gemeinwohl insgesamt und unserer Volkswirtschaft .
({3})
Es gibt hierfür Beispiele renommierter Konzerne, und
die muss man auch nennen dürfen: Starbucks, Amazon,
Apple, Ikea, Fiat und viele andere . Der Kampf gegen
diese großen Konzerne ist natürlich keine leichte Aufgabe . Aufklärung scheint vor allem dann nicht leicht zu
sein, wenn dies in Europa passiert, zum Beispiel in den
Niederlanden oder in Luxemburg . Dann ist der Aufklärungswille in Luxemburg oder auch in Brüssel offenbar
nicht unbegrenzt, vor allem wenn es offensichtlich um
das eigene Interesse geht . Dabei hilft es auch nicht, im
eigenen Land laut den Verteidiger des kleinen Mannes
zu spielen, wenn man vorher in Brüssel nicht durch Aufklärungswillen, sondern durch das genaue Gegenteil aufgefallen ist. Hier war man offensichtlich mehr Verklärer
als Aufklärer .
({4})
Frau Paus, ich will Ihnen sagen: Deutschland ist kein
Steuerhinterziehungsparadies .
({5})
Das ist für mich ein unverschämter Angriff auf unsere
gute Steuerverwaltung, meine Damen und Herren . Ihnen
von Links-Grün liegt anscheinend etwas daran, unser
Land in ein schlechtes Licht zu rücken, es schlechtzureden und bei den Menschen Populismus zu verbreiten .
Wir dagegen, meine Damen und Herren, wollen nicht
reden und die wirklichen Steueroasen decken . Wir wollen handeln; darum geht es . Wir wollen rechtswidrigem
Tun generell einen Riegel vorschieben, ohne dem freien
Kapitalverkehr zu schaden . Man muss deutlich sagen:
Die deutsche Wirtschaft, Deutschland als großer Exportstandort braucht natürlich den internationalen Kapitalverkehr . Deswegen kann man den Kapitalverkehr nicht
pauschal verurteilen, sondern man muss differenzieren.
Wir müssen dann einschreiten, wenn die Kapitalanlage
im Ausland hier zu keiner Wertschöpfung führt . Da gibt
es klare Unterschiede zwischen uns . Wir wollen diese
Dinge ganz differenziert und genau angehen.
({6})
Das werden wir auch tun .
In diesem Sinne darf ich Sie bitten, das Gesetz zu beraten und dann mit Blick auf das Trockenlegen von Steueroasen eine gute Entscheidung zu treffen.
Herzlichen Dank .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/11132 und 18/11184 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Damit ist
dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Monika Lazar, Volker Beck ({0}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine bundesweite Präventionsstrategie gegen
den gewaltbereiten Islamismus
Drucksache 18/10477
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem jetzt alle
Platz genommen haben, eröffne ich die Aussprache. Als
erste Rednerin hat Irene Mihalic von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Auch wenn die Aufklärung des Falls
Amri, also des größten islamistisch motivierten Terroranschlags in Deutschland, seitens der Bundesregierung immer noch verschleppt und verzögert wird, lässt sich eines
bereits deutlich absehen: Unsere Sicherheitsarchitektur
ist zur Bekämpfung der Gefahren von Radikalisierung
und Terrorismus nicht optimal aufgestellt . Doch anstatt
den tatsächlichen Mängeln irgendwie zu begegnen, daran
zu arbeiten, sie abzustellen, werden Pflaster und Placebos
gereicht, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Fußfessel,
Präventivhaft und eine sinnlose Einstufung von Staaten
als sichere Herkunftsländer sind dafür traurige Beispiele,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Sie versuchen damit, die vielen sicherheitspolitischen
Leerstellen dieser Bundesregierung zu kaschieren, mehr
aber auch nicht .
({1})
Eine dieser Leerstellen ist der Komplex Prävention
und Deradikalisierung . Genau dazu schreibt Ihnen der
renommierte Terrorismusforscher Peter Neumann ins
Stammbuch, der gegenüber der Presse sagt - ich zitiere -:
Wir haben in die Prävention und Deradikalisierung
noch immer viel zu wenig investiert . Das wird sich
möglicherweise rächen . Es ist ein wichtiges Instrument, das auch die Sicherheitsbehörden entlastet .
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, Peter Neumann hat recht . Das ist ein ziemliches Problem, vor allen
Dingen, wenn er auch recht behält . Schon vor fast zwei
Jahren hat er im Deutschlandfunk gesagt, es sei überraschend und verstörend, dass es in Deutschland immer
noch keine nationale Präventionsstrategie gebe .
({2})
Alles sei im Prinzip immer noch Kraut und Rüben .
Wie gesagt, dieser Befund ist inzwischen fast zwei
Jahre alt, und bis heute hat die Bundesregierung nichts
unternommen, um daran irgendetwas zu verändern .
({3})
- Ja, ich kann mir vorstellen, welcher Einwand gleich
kommt: Wir haben Bundesprogramme wie zum Beispiel
das Programm „Demokratie leben!“ finanziell aufgestockt; zum Teil auf unsere Initiative hin . - Aber Geld
alleine reicht nicht aus, wenn die Strategie drum herum
vollkommen fehlt .
({4})
Es gibt - das möchte ich ganz ausdrücklich betonen sehr, sehr viele gut funktionierende regionale und lokale
Ansätze und Initiativen aus der Zivilgesellschaft - viele
Gesellschaften und Vereine -, die sich im Bereich der
Radikalisierungsprävention engagieren und auch wissen,
wie man Radikalisierung rechtzeitig erkennen und bekämpfen kann . Das beginnt im Bereich von Schulen und
Familien und erstreckt sich bis hin in die unmittelbare
Nähe von Anschlagsplanungen . Ja, auch dann kann man
Menschen noch erreichen und versuchen, sie von ihren
Plänen abzubringen .
Es gibt aber auch sehr, sehr viele weiße Flecken in
der Präventionslandschaft . Aber die Bundesregierung
unternimmt keine Anstrengungen, all diese losen Fäden irgendwie zusammenzuführen, aufzunehmen und
gemeinsam mit den Ländern und der Zivilgesellschaft
auf Bundesebene zu bündeln, gemeinsame Standards zu
entwickeln, die Forschung voranzutreiben, die Arbeit zu
vernetzen und voneinander zu lernen .
Radikalisierung und Terrorismus - wir mussten es oft
schmerzhaft erleben - machen an Ländergrenzen nicht
halt . Deshalb brauchen wir endlich eine bundesweite
Präventionsstrategie, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union, scheint dieses Problembewusstsein auch bei Ihrem Bundesfachausschusses Innenpolitik angekommen
zu sein . Denn in einem Beschluss aus 2016 heißt es zwar etwas wolkig, aber immerhin -:
Wir halten vielfältige Strategien für notwendig, um
denjenigen zu helfen, die abzugleiten drohen oder
Unterstützung beim Ausstieg suchen . Die Ansätze hierfür müssen möglichst früh erfolgen und im
Querschnitt des persönlichen Umfelds verankert
sein . So spielen insbesondere Schulen und Vereine,
also Orte, an denen sich junge Menschen außerhalb
ihres familiären Umfelds aufhalten, das Internet und
soziale Netzwerke sowie Moscheegemeinden und
Islamverbände bei der Prävention eine bedeutende
Rolle . Auch müssen Radikalisierungen in Justizvollzugsanstalten durch eine geeignete Präventionsarbeit verhindert werden . Hierbei wollen wir die
Länder und Kommunen stärker unterstützen .
Der Bund soll also die Länder und Kommunen unterstützen . Das ist absolut richtig . Aber dann beantworten
Sie mir doch einmal die Frage: Warum haben Sie dann
unseren Haushaltsantrag im letzten Jahr, mit dem wir das
voranbringen wollten, abgelehnt? Wir müssen doch endlich etwas tun .
({6})
Wir Grünen schlagen deshalb die Einrichtung eines
Bundespräventionszentrums vor, in dem Bund, Länder,
Kommunen und Zivilgesellschaft dauerhaft und vor allen
Dingen systematisch an Früherkennung und Bekämpfung
von Radikalisierung arbeiten . Es gibt schon das Nationale Zentrum für Kriminalprävention . Es wäre durchaus
vorstellbar, das dort anzudocken . Dass von der Bundesregierung keine Initiative in diese Richtung kommt, ist
angesichts der Sicherheitslage grob fahrlässig .
Wir wollen zu diesem Antrag auch eine Expertenanhörung durchführen, um darüber zu diskutieren, wie man
das besser ausgestalten kann . Denn - in dieser Frage sind
wir uns hoffentlich einig - Prävention ist nun einmal ein
unerlässlicher sicherheitspolitischer Baustein, wenn wir
Terrorismus erfolgreich und nachhaltig bekämpfen wollen .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Marian
Wendt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Vorbeugen ist besser, als das
Nachsehen zu haben . Schön, dass auch der Opposition
dieser Grundsatz der inneren Sicherheit mittlerweile in
Fleisch und Blut übergegangen ist .
Wichtig ist bei der Vorbeugung vor allem der präventive Gedanke - das ist richtig -, aber auch ein repressiver
Ansatz,
({0})
der eine abschreckende Wirkung hat .
Ich möchte deswegen noch auf ein paar Punkte im
Bereich Repression eingehen, die wir, glaube ich, im Bereich innere Sicherheit ausbauen müssen, um uns noch
besser vor gewaltbereiten Islamisten zu schützen .
({1})
Dabei ist vor allem wichtig, zu prüfen: Wer kommt nach
Europa? Wer reist in Deutschland ein? Wir müssen klar
feststellen, dass die Hälfte - ungefähr jeder zweite Islamist, der in Deutschland lebt - einen ausländischen Pass
hat . Deswegen sind folgende Punkte für mich wichtig,
die auch dazu beitragen, uns vor gewaltbereiten Islamisten zu schützen:
Es geht um ein zentrales Ein- und Ausreisemanagement in der Europäischen Union und im Schengen-Raum .
Es geht um eine bundeseinheitliche Definition des Begriffs „islamistischer Gefährder“. Und wir müssen vor
allen Dingen die Nachrichtendienste weiter stärken und
besser ausstatten, damit sie die islamistischen Strukturen
im Inland, aber vor allen Dingen auch in Kooperation mit
unseren Partnern im Ausland entsprechend aufklären und
uns warnen können .
Wir beraten morgen in erster Lesung über die Einführung der Fußfessel für islamistische Gefährder; auch das
ist ein wichtiger Schritt, um den gewaltbereiten Islam zu
bekämpfen .
({2})
Dieser Aspekt fehlt in Ihrem Antrag leider komplett .
Aber ich darf auf den Gedanken, den Sie hier vorbringen, eingehen . Es geht neben den repressiven Maßnahmen, die nötig sind, natürlich auch um Prävention . Hier
verkennen Sie, Frau Mihalic, dass es bereits eine Präventionsstrategie der Bundesregierung im Bereich Extremismus gibt .
({3})
Dieser Bereich befasst sich vorwiegend mit dem Rechtsund dem religiösen Extremismus; das begrüße ich nicht
voll und ganz, Sie kennen meine Position zum Bereich
Linksextremismus . Aber das ist vielleicht ein Thema für
eine Debatte an einem anderen Tag .
({4})
Die Koalitionsfraktionen haben seit Sommer 2016 die
einheitliche Extremismusstrategie mit den Programmen
der Länder, der Kommunen und des Bundes gebündelt .
Denn es ist uns wichtig, dass wir die Ressourcen effizient
einsetzen - da sind wir ja bei Ihnen - und verhindern,
dass sich weitere gewaltbereite Extremisten entwickeln,
sich aus der Mitte unserer Gesellschaft etablieren . Deshalb begrüße ich auch ausdrücklich die Beschlüsse von
CDU/CSU und SPD vom 6 . Februar 2017 über ein nationales Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus . Ich empfehle diese Lektüre sehr herzlich; ich
kann sie Ihnen nachher gern geben .
({5})
Darin haben wir vier Bereiche bzw. Orte definiert, die
im Kampf gegen den Islamismus für uns von Bedeutung
sind und wo wir ansetzen müssen . Das sind zum einen
Kommunen und dort ansässige Bildungseinrichtungen,
Vereine, Verbände sowie muslimische Gemeinden . Das
sind zum Zweiten das Internet und die vielfältigen Plattformen, auf denen Radikalisierung stattfindet. Ein dritter
Aspekt sind der Strafvollzug und die Bewährungshilfe .
Ein vierter Aspekt ist die Integration durch Beruf und
Arbeit . Dieses Programm wird unter Federführung des
Innenministeriums und des Familienministeriums gesteuert, und das macht Ihren Antrag überflüssig wie einen Kropf .
({6})
Leider musste ich beim Lesen des Antrags feststellen,
dass es immer wieder in die gleiche Richtung geht:
({7})
Immer mehr Stellen im Sozialbereich, immer wieder
mehr Geld!
({8})
Meine Damen und Herren, am Geld liegt es nicht .
Wir geben als unionsgeführte Bundesregierung bereits
400 Millionen Euro pro Jahr für die allgemeine ExtreIrene Mihalic
mismusprävention aus . Von Geldmangel kann also überhaupt keine Rede sein .
({9})
Geld auf Probleme zu schmeißen, ist ohnehin nicht
alles . Gute Rahmenbedingungen sind meiner Meinung
nach der effektivere Weg. Das fängt mit einer guten Umgebung für die Integration an . Mit dem neuen Integrationsgesetz sollen bessere Bedingungen für die Integration
in unsere Gesellschaft geschaffen werden.
Die Menschen, die zu uns gekommen sind und hier
leben wollen, dürfen wir nicht von einem Alibiprogramm
ins nächste schieben; wer ein Bleiberecht hat, muss hier
auch konsequent integriert werden . Der schnellste Weg
der Integration ist nun einmal der durch Arbeit und nicht
durch Stuhlkreise mit einem Sozialpädagogen .
({10})
Deswegen ist der Punkt Integration bei der Bekämpfung des islamistischen Extremismus der wichtigste;
denn Integration ist die beste Prävention gegen den islamistischen Extremismus . Die bereits integrierten Muslime müssen meiner Meinung nach ganz deutlich Zeichen
gegen Islamisten setzen . Sie müssen sich sichtbar und
hörbar von Gewalt und Extremismus distanzieren, damit
sie nicht in Verruf kommen, den Terrorismus zu unterstützen . Das ist wichtig für die Einheit unserer Gesellschaft .
({11})
Weiße Salbe wie Ihren Antrag müssen wir nicht beschließen . Das Programm der Bundesregierung, gebündelt mit Maßnahmen der Länder und Kommunen und in
Verbindung mit dem in Vorbereitung befindlichen Papier,
ist der nächste richtige Schritt, um den gewaltbereiten Islamismus in Deutschland zu bekämpfen .
Vielen herzlichen Dank .
({12})
Herr Kollege Wendt, gestatten Sie zum Abschluss
Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin
Brantner?
Gerne .
({0})
- Es waren noch zehn Sekunden .
Danke, dass Sie die Frage zulassen . - Ich möchte die
Art und Weise, wie Sie gerade über die Präventionsarbeit vor Ort gesprochen haben, gerne zurückweisen . Sie
haben Sozialarbeit mit einem Stuhlkreis gleichgesetzt .
Dass Sie die Präventionsarbeit vor Ort, auf deren Funktionieren wir in essenziellem Maße angewiesen sind, als
Stuhlkreisarbeit abtun, ist unterirdisch für jemanden, der
die Sicherheit dieses Landes als Ziel hat .
({0})
Offensichtlich wissen Sie nicht, wovon Sie sprechen.
Sonst würden Sie nicht so reden . Meine Frage an Sie lautet: An wie vielen Orten waren Sie schon, an denen diese
Arbeit geleistet wird, und warum diskreditieren Sie diese
Arbeit so?
({1})
Ich antworte auf Ihre Frage ganz konkret: Ja, ich
selber habe solche Orte besucht . In meinem Wahlkreis
gibt es das Programm „Demokratie leben!“, für das
100 000 Euro im Landkreis zur Verfügung gestellt werden. Ich finde den angesprochenen Aspekt auch wichtig.
Aber in Ihrem Antrag fordern Sie lediglich, den entsprechenden Mittelansatz zu erhöhen . Wir möchten neben
der Sozialarbeit einen weiteren Weg gehen . Wir wollen
vor allen Dingen Integration durch Arbeit, um so den
Weg der Radikalisierung zu verschließen .
({0})
Das Wichtige ist, dass wir die Menschen, die hier leben
und vielleicht in der Gefahr sind, in extremistische Strömungen abzudriften,
({1})
in der normalen Alltagsumgebung auffangen und kennenlernen . Wir sollten nicht versuchen, parallele gesellschaftliche Strukturen zu schaffen. Aus meiner Sicht sind
die beste Umgebung für die Integration insbesondere im
ländlichen Raum der Arbeitsplatz, Sportvereine und örtliche Feuerwehren . Wie die Erfahrungen in den Bereichen Links- und Rechtsextremismus zeigen, kann man
dann den Problemen am besten Herr werden .
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Wendt, Ihr Beitrag hat mir gezeigt, wie wichtig der AnMarian Wendt
trag der Grünen ist und wie wichtig es auch ist, dass wir
wieder einmal über Prävention sprechen .
({0})
Ich habe selten erlebt, dass jemand überhaupt nicht
zwischen der Prävention, die verhindern soll, dass ein
Mensch Straftaten begeht, und der Strafverschärfung
bzw . Repression - diese wird erneut zum Thema gemacht - unterscheiden kann . Das sind zwei ganz verschiedene Bereiche . Dabei sollten wir bleiben . Wir werden über die Gesetzentwürfe, die Sie in den nächsten
Wochen einbringen werden, noch diskutieren . Ich bin der
Meinung, dass eine Präventionsstrategie ausgesprochen
wichtig für unser Land ist . Aber es gibt keine Präventionsstrategie. Diese haben Sie sträflich vernachlässigt.
Deswegen leisten die Grünen mit ihrem Antrag einen
wichtigen Beitrag .
({1})
Hunderte vor allem junge Männer in Deutschland sind
in den vermeintlich Heiligen Krieg zum Beispiel nach
Syrien gezogen . Dort begehen sie in der Tat schwerste
Verbrechen, vergewaltigen und morden . Einige verloren
ihr Leben als Kanonenfutter für den sogenannten „Islamischen Staat“. Andere kommen verroht und traumatisiert nach Deutschland zurück . Ich bin mir ziemlich sicher im Unterschied zum Kollegen Wendt: Viele dieser
jungen Menschen wären, hätte man sie rechtzeitig in
Präventionsprogramme integriert bzw . ihnen Hilfe angeboten, einen anderen Weg gegangen .
Ich glaube, Herr Kollege Wendt, auch durch Fußfesseln und Gefährderhaft wird man das nicht wesentlich
ändern . Deswegen ist es wichtig, dass Präventionsarbeit
die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrung ernst
nimmt und auf die Beseitigung sozialer Barrieren hinwirkt .
({2})
Wir als Linke haben uns seit langer Zeit für unabhängige Beratungsstellen zur Prävention eingesetzt . Einige
Projekte - das ist hier schon von der Kollegin Mihalic
gesagt worden - haben sehr vorbildliche Arbeit geleistet. Deren Arbeit muss aber durch dauerhafte finanzielle
Förderung ausgeweitet und verstetigt werden . Was aber
nicht angehen kann - das machen Sie zum Beispiel von
der Union jetzt -, ist, dass Projekte, in denen zuvor gegen
Rechtsextremismus gekämpft wurde bzw . in denen präventiv gegen Rechtsextremismus gearbeitet wurde, jetzt
kurzerhand für den Kampf gegen den gewaltbereiten Islamismus umgewidmet werden .
({3})
- Doch, das stimmt . - Leider geschieht das mancherorts,
und über die Projekte können wir gerne im Ausschuss
diskutieren, wenn wir den Antrag dort beraten .
({4})
Ich denke, darüber hinaus sollte eine Lehre sein - das
kennen wir auch von den Aussteigerprojekten in der Naziszene -, dass Sicherheitsbehörden, insbesondere der
Verfassungsschutz, auch hier außen vor bleiben sollten;
denn wir haben oft genug erlebt, dass gerade diese Behörden versuchen, in dieser Szene V-Leute zu rekrutieren, anstatt wirklich Vertrauen aufzubauen und zu helfen .
Ich denke, Angehörige und Freunde müssen die Gewissheit haben, dass ihre Informationen nicht beim Geheimdienst landen . Sie müssen das Vertrauen haben, dass sie
zu solchen Beratungsstellen gehen können .
Außerdem möchte ich noch ansprechen, dass es
sehr wichtig in der Präventionsarbeit ist, die Verbände der Muslime einzubeziehen . Es darf auf keinen Fall
der Eindruck entstehen, der notwendigen Bekämpfung
des gewaltbereiten Islamismus liege eine islamfeindliche Haltung zugrunde . Doch auch hier müssen wir genau hinschauen, keine Frage . Wir haben gerade gestern
Hausdurchsuchungen bei dem Islamverband DITIB erlebt . Auch hier sollten wir genau hinschauen . Diejenigen
Imame, die dort im Auftrag von Erdogan spionieren teilweise geschieht das -, können keine Partner für den
Kampf gegen den gewaltbereiten Islamismus sein .
Deswegen erheben wir als Linke ganz klar die Forderung nach Staatsferne der Beratungsstellen . Wir sagen
eindeutig: Das gilt nicht nur für die Verfassungsschutzbehörden, sondern auch für ausländische Regierungen .
Deswegen möchte ich einen kritischen Punkt im Antrag
der Grünen ansprechen . Sie haben in dem Antrag die Forderung, einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht einzuführen . Das halte ich für kontraproduktiv . Religionsunterricht sollte unserer Meinung nach
generell nicht an staatlichen Institutionen erfolgen . Das
gilt auch für den christlichen Religionsunterricht . Wir
wollen einen übergreifenden Religionsunterricht . Die
Konfessionen sollen nicht getrennt werden . Wir wollen,
dass es eine Toleranz gegenüber allen Glaubensbekenntnissen gibt .
({5})
Deswegen haben wir zum Beispiel das Brandenburger Modell „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“
favorisiert .
Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit?
Ja, ich komme sofort zum Schluss . - Wir sind uns
sicher alle einig: Prävention beruht zweifellos auch auf
einer guten Sozialpolitik .
({0})
Vor allen Dingen darf es nicht zur Ausgrenzung kommen,
wenn Menschen einen ausländischen Namen haben .
Auch das ist in unserer Gesellschaft immer noch sehr
präsent .
Ich danke Ihnen .
({1})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Uli Grötsch .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine bundesweite Präventionsstrategie - wer könnte etwas dagegen haben, gerade nach dem schrecklichen Terroranschlag in Berlin? Auch wenn ich Ihren Antrag heute
ablehnen werde,
({0})
habe ich eine gute Nachricht für Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen: Auf unsere Initiative hin
gibt es nämlich bereits seit dem 6 . Februar dieses Jahres
einen Beschluss der Parteivorsitzenden für ein nationales
Präventionsprogramm, den wir schnell und konkret mit
Leben füllen werden .
({1})
Ich sage Ihnen auch: Ich bin wirklich froh darüber,
dass das Thema Prävention jetzt endlich die öffentliche,
aber auch die politische Aufmerksamkeit hat, die es sich
schon lange verdient hat. Ich hoffe sehr, dass es diese
Aufmerksamkeit auch dann noch haben wird, wenn in
Deutschland nicht mehr beinahe jeden Tag Razzien gegen Islamisten stattfinden, wenn die Terrorgefahr nicht
mehr so hoch ist wie heute . Ich zähle darauf, dass Sie
auch dann noch einen Sinn dafür haben, wie wichtig die
Präventionsarbeit in unserem Land ist .
Mir ist auch wichtig, zu sagen, dass wir dabei nun
wirklich nicht bei null anfangen . Die Bundesregierung
hat bereits im Sommer 2016, also unabhängig von den
Anschlägen der letzten Monate, noch deutlich vor dem
Berliner Terroranschlag, ihre Strategie zur Extremismusprävention und Demokratieförderung vorgestellt . Im
Ministerium von Manuela Schwesig wurde das sehr gut
laufende Bundesprogramm „Demokratie leben!“ entwickelt, dessen Mittel wir auf über 100 Millionen Euro verdoppelt haben, und wir brauchen durchaus noch mehr;
das will ich ganz und gar nicht leugnen . Für uns ist „Demokratie leben!“ ein zentrales Handlungsfeld. Ja, natürlich ist es wichtig, „Demokratie leben!“ zu haben. Reden
Sie doch einmal mit all denjenigen, die Präventionsarbeit
in diesem Bereich machen. „Demokratie leben!“ ist das
zentrale Programm, aus dem die Projekte finanziert werden .
({2})
Im BAMF gibt es die Beratungsstelle Radikalisierung,
an die sich Angehörige niedrigschwellig telefonisch wenden können . Wir haben eine sehr aktive Bundeszentrale
für politische Bildung, die die von uns forcierte Mittelerhöhung optimal und zielgerichtet für ihre Bildungsarbeit
einsetzt .
Von zentraler Bedeutung ist es für mich, zu sagen: Im
November letzten Jahres ist nach einjähriger Vorbereitung das Präventionsnetzwerk gegen religiös begründeten Extremismus nach dem Vorbild der Bundesarbeitsgemeinschaft gegen Rechtsextremismus gestartet worden .
Hier werden sich künftig die bundesweit tätigen Träger
und NGOs austauschen, vernetzen, und hier werden sie
Qualitätsstandards für die Prävention entwickeln . Das
ist genau das, Kollegin Mihalic, was Sie eben gefordert
haben . Das haben wir schon . Das ist Ihnen vielleicht entgangen . Sie sind eingeladen, sich darüber zu informieren
und mitzuhelfen, diese Stelle künftig mit noch mehr Leben zu erfüllen und zu stärken .
({3})
Diese Bundesarbeitsgemeinschaft wird beraten und
begleitet von einem Beirat, in dem genau all die Player
vertreten sind, in dem die muslimischen Verbände vertreten sind; denn natürlich ist eine zentrale Frage in diesem Bereich, welche Rolle die muslimischen Verbände
spielen und wie wir sie in die Deradikalisierungsarbeit
einbinden können .
Ich bin durchaus froh, dass es in diesem Haus weitgehende Einigkeit gibt, dass die Prävention ein wichtiger
Aspekt unseres politischen Handelns ist . Zur Wahrheit
gehört aber auch, dass der Großteil aller Gefährder einen
deutschen Pass hat oder dass die Attentäter, die die Attentate in Deutschland begangen haben, sich hier radikalisiert hatten . Auch der Attentäter vom 19 . Dezember 2016
ist nicht als Terrorist nach Deutschland eingereist, sondern aus Tunesien als Kleinkrimineller ausgereist . Das
gehört zur Wahrheit dazu .
Ich sage ganz deutlich: Über das Wie, also darüber,
wie ein nationales Präventionsprogramm aussehen sollte,
darf und muss geredet werden . Es geht meiner Meinung
nach dabei etwa um Fragen wie: Welche Rolle spielen
die muslimischen Verbände? Wie gewährleisten wir, dass
alle Beteiligten das Programm auf Augenhöhe erarbeiten
usw .? Hierzu sind wir zu einem konstruktiven Austausch
gerne bereit . Jeder, der sich mit Präventionsarbeit beschäftigt, weiß, dass das ein sehr sensibler Bereich ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich
auch noch sagen: Wir brauchen endlich ein Demokratieförderungsgesetz, weil wir von kurzfristigen Projektförderungen wegkommen müssen - hin zu planbarer, langfristiger Präventionsarbeit .
({4})
Wenn es uns mit der Präventionsarbeit ernst ist, lassen Sie es uns unter Beweis stellen! Unterstützen Sie das
Demokratieförderungsgesetz, weil es der Garant und die
bundesgesetzliche Grundlage dafür ist, dass die Menschen, die in der Präventionsarbeit tätig sind, in Zukunft
auch längerfristig planen können . Präventionsarbeit ist
doch nichts, was innerhalb einiger Wochen oder in Form
eines Gesprächs geschieht . Präventionsarbeit ist etwas,
was lange dauert und dann umso intensiver und nachhaltiger wirkt .
Ich komme zum Ende mit einem letzten Aspekt . Bei
allem berechtigten Fokus auf den radikalen Salafismus das stelle ich überhaupt nicht infrage - in dieser Zeit:
Demokratiefeinde gibt es auch von rechts, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich würde mir wünschen, dass ein
nationales Präventionsprogramm einen ganzheitlichen
Ansatz verfolgt und all jene in den Blick nimmt, die den
Boden des Grundgesetzes verlassen haben .
Vielen Dank .
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Michael Frieser .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur für das Archiv und ohne den Kollegen Grötsch
in irgendeiner Art und Weise berichtigen zu wollen: Es
gibt auch Demokratiefeinde von links, die sollte man
({0})
- ergänzend - nicht ganz vergessen .
({1})
Eigentlich bin ich mit dem Antrag der Grünen hierhergekommen und dachte mir: Man sollte mit einem Lob
anfangen . Es hat zwar lange gedauert, und man merkt
richtig, dass sich die Grünen über Monate und Jahre gequält haben, bis sie etwas zum Thema Präventionsstrategie vorlegen .
({2})
- Hören Sie halt einmal ein wenig zu, vielleicht ist dann
ein gewisser Erkenntnisgewinn am Ende überraschenderweise auch noch gegeben .
Das Entscheidende ist: Vor zwei Jahren hätten wir einen solchen Antrag von den Grünen nicht gesehen .
({3})
Insofern könnte man einmal empathisch sagen: Wunderbar, auf geht’s! Wir freuen uns, auch wenn es die entscheidenden Programme - natürlich ohne die Zustimmung auf der linken Seite des Hauses - schon gibt . Aber
wir freuen uns über die Bereitschaft zur Beteiligung .
Wir haben es gehört und folgen dem pädagogischen
Prinzip der Wiederholung . Insofern ist auch dieser Antrag ganz gut, weil man alles, also nicht nur die Präventionsstrategie, die die Bundesregierung bereits hat, sondern auch die Programme noch einmal nennen kann . Der
entscheidende Ansatzpunkt bei den Themen „Zusammenhalt durch Teilhabe“, „Demokratie leben!“ usw. - ob
es die Bundeszentrale für politische Bildung ist oder ob
es die Programme des Innenministeriums sind - ist immer der, dass man die vorhandenen Strukturen aufgreift
und nicht glaubt, man müsse die Welt neu erfinden.
Selbstverständlich lesen wir dabei einen Satz, der lautet: Dabei muss man sich auf den unterschiedlichen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - auf Augenhöhe
begegnen . Aber wie abschätzig ist es, angesichts dessen,
was die Länder geleistet haben, von einem Flickenteppich zu sprechen? Kollege Wendt sagte es: Der Umfang
der Zusammenarbeit erstreckt sich auf über 400 Millionen Euro . Sie beginnt in der Frage der Deradikalisierung
ganz oben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und reicht bis hinunter in die einzelnen Kommunen .
Die Koordination gibt es schon längst .
({4})
Jetzt haben die Grünen auch gemerkt: Hopsala, jetzt
müssen wir aber tatsächlich einmal etwas tun, anders
funktioniert es nicht mehr, sonst macht man uns irgendwann auch im Wahlkampf einmal den Vorwurf, wir hätten da etwas versäumt .
({5})
Hier macht auch der Tonfall die Musik . Nur mit Arroganz kommt man an dieser Stelle nicht besonders weit .
({6})
Klar muss auch sein: Prävention hat ohne Repression überhaupt keinen Zweck . Dieser Rechtsstaat muss
deutlich machen, was er vom politisch ideologisierten,
gewaltbereiten Islamismus hält . Der Rechtsstaat muss
in den Fällen, in denen es mit der Beratung eben nicht
mehr funktioniert, eine klare Grenze setzen und deutlich machen: Bis hierher und nicht weiter . Nur dann
macht Prävention auch tatsächlich am Ende des Tages
einen Sinn .
({7})
Ich darf einmal daran erinnern, dass die Länder durchaus mit dem Bund zusammenarbeiten . Aus eigener Anschauung kann ich sagen, dass das bayerische Netzwerk
gegen Salafismus ein solches Beispiel ist, wo wir tatsächlich über alle Ressorts hinweg versuchen, das, was
bereits an Strategien vorhanden ist, zusammenzuführen .
Diesbezüglich kann man sagen: Da müssen sich die Demokraten einig sein . Das an dieser Stelle zu beschimpfen, halte ich für einen schlechten Weg .
Was ist notwendig? Notwendig ist, dass wir gerade
bei der Frage der Ideologisierung, der Radikalisierung
die Möglichkeit haben, zum Beispiel Menschen zu finden, die über das Internet auf Augenhöhe eine neue Geschichte erzählen, neue Narrative entwickeln, die diese
Demokratie darstellen, gerade auch, wenn sie muslimischen Glaubens sind . Es ist schwierig, auf einer Aufklärungsseite, auf der die schwarz-rot-goldene Flagge
prangt, zu sagen: An dieser Stelle bitten wir darum, sich
nicht zu radikalisieren .
Diese unterschiedlichsten Ansätze brauchen wir,
damit wir Erfolg haben bei der Deradikalisierung, damit wir Erfolg haben bei der Verhinderung von Straftaten und damit wir Orientierung geben können . Es
sind zugegebenermaßen meistens männliche Jugendliche zwischen 13, 14, 15 und 16 Jahren, die auf diesen Weg schlittern . Hier müssen wir ansetzen und auch
das Engagement der Bürger aufnehmen, um deutlich zu
machen: Hier sind Menschen, die wissen, wovon sie reden, die nicht als „der Staat“ kommen, sondern die auf
Plattformen eine andere Geschichte erzählen, um dem,
was im Netz passiert, was im Netz an Radikalisierung
stattfindet, etwas entgegenzustellen. Das sind die wahren Ansätze, die dieses Land und diese Regierung auch
schon längst verfolgt .
Vor diesem Hintergrund sage ich: Im Ergebnis bleibt
es bei dem, was ich genannt habe, nämlich Forschung
und Vernetzung gegen den Terror, gegen diese Propaganda, gegen diese Radikalisierung, gegen die Hassreden,
gegen Radikalisierung in Strafanstalten - auch dort ist
ein unglaubliches Potenzial vorhanden, dem man entgegentreten muss -, und gemeinsame Förderung unserer
Werte . Das alles sind Bausteine, die wir schon haben .
Wir wären sehr dankbar, wenn sich auch die Opposition
zu diesen Bausteinen bekennen würde . Ihres Antrages
dazu bedarf es nicht .
Vielen Dank .
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Was treibt Menschen dazu, islamistisch
motivierte Terroranschläge zu planen und zu begehen,
und was können wir dagegen tun? Diese Fragen treiben auch uns hier in Deutschland spätestens seit 9/11
um; denn einige der Täter - Mohammed Atta mit seinen
Hamburger Freunden - hatten einen Deutschlandbezug
und hatten sich hier weitgehend unbemerkt radikalisiert .
Keiner hatte hingeschaut . Die jetzige Bundesregierung
hat angesichts der weiter gestiegenen Gefahr von Terroranschlägen nicht nur Polizei und Geheimdienste zur
Gefahrenabwehr gestärkt und besser ausgestattet, sondern auch einen Schwerpunkt auf wirkungsvolle Präventions- und Deradikalisierungsarbeit gelegt . Im Rahmen
des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Familienministeriums, das schon öfter erwähnt wurde, haben
wir die Mittel für Projekte und Träger, die sich mit islamistisch begründetem Fundamentalismus befassen, in
den letzten Jahren vervielfacht .
({0})
Unsere zivilgesellschaftlichen Partner leisten vor Ort
hervorragende Arbeit, etwa das Violence Prevention Network in der Arbeit mit bereits straffällig gewordenen jungen Menschen oder HAYAT in der Angehörigenberatung .
({1})
Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen haben
ja auch selbst in ihrer Antragsbegründung diese Arbeit
gelobt, ebenso die breit gefächerten generalpräventiven
Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung . Wir
brauchen in unserer vielfältigen Gesellschaft kulturelle
Brückenbauer, die in Schulen, Sportvereinen und Jugendorganisationen unsere demokratischen Werte vermitteln .
({2})
Auch zielgruppenspezifische Präventionsangebote
sind wichtige und unverzichtbare Bausteine in der Arbeit
zur Stärkung unserer Demokratie . Mit dem vorliegenden
Antrag wecken Sie aber die meiner Meinung nach trügerische Hoffnung, eine zentrale Behörde, ein bundesweites Präventionszentrum könne das Problem des islamistisch motivierten Terrorismus lösen .
Bislang hat sich dieses Phänomen allen einfachen
Erklärungsversuchen widersetzt . Die Radikalisierungsgeschichten einzelner Täter sind sehr individuell . Es
gibt den traumatisierten afghanischen Flüchtling, wie in
Würzburg, den biodeutschen Konvertiten ohne klassisch
muslimischen Hintergrund . Zwei von drei Mitgliedern
der Sauerlandgruppe waren zum Beispiel Konvertiten,
aber auch etliche Dschihad-Freiwillige, die 2014 und
2015 nach Syrien gereist sind . Sie alle haben jeweils individuelle Frustrationserfahrungen, die sich nicht einfach
Bildungswegen oder Milieus zuordnen lassen . Oft ähneln
sie den Radikalisierungsgeschichten von Rechtsextremisten . Darum ist es meiner Meinung nach auch nicht
gut, den Blick zu stark auf mangelnde Integration und
Ausgrenzung zu verengen . Das spielt sicherlich eine Rolle, aber islamistisch motivierter Terrorismus ist ein weltMichael Frieser
weites Problem und besonders auch ein Problem vieler
Staaten in der islamischen Welt .
Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir
es uns nicht zu einfach machen . Ich halte es für sehr sinnvoll, die Erfahrungen der Praktiker und Praktikerinnen
in der Arbeit gegen Rechtsextremismus unbedingt auch
bei der Auseinandersetzung mit islamistisch motiviertem
Extremismus einzubeziehen . Die Muster sind oft sehr
ähnlich. Im Programm „Demokratie leben!“ geschieht
das schon mit regelmäßigen Netzwerktreffen und über
die wissenschaftliche Begleitung der Projekte . Ich plädiere darum dafür, kein neues bürokratisches Monster
zu schaffen, das mit verkopften Konzepten automatisch
natürlich auch Vorgaben macht, sondern dafür, einen praxisnahen Ansatz mit unseren bewährten Partnern aus der
Zivilgesellschaft zu wählen .
({3})
Jugendarbeit funktioniert nun mal nicht von oben
nach unten . Erfolgversprechender ist es, Initiativen und
Engagement von unten zu ermöglichen . Wir haben in
den beiden letzten Jahren die finanzielle Ausstattung der
Präventionsarbeit stärken können: über das Familienministerium genauso wie über das Innenministerium . Jetzt
sollte es unser Hauptanliegen sein, die finanzielle Ausstattung der Träger zu verstetigen, um unseren zivilgesellschaftlichen Partnern Sicherheit und Perspektive für
ihre Arbeit zu geben .
Warum ist das so wichtig? In meinem Wahlkreis
Augsburg hat die Bayerische Staatsregierung 2015 ein
Leuchtturmprojekt zur Prävention von religiös begründeter Radikalisierung mit dem Verein Ufuq gestartet . Aber
schon vor dem offiziellen Start kamen dem Projekt die
qualifizierten Mitarbeiter wieder abhanden, weil sie sich
angesichts sehr kurzfristiger Arbeitsverträge lieber Arbeitsplätze mit mehr Sicherheit und Perspektive gesucht
haben . Das sind keine guten Bedingungen für nachhaltige Jugendarbeit, auch wenn die Konzepte stimmen .
Ich werbe deshalb nachdrücklich dafür, dass wir mit
einem Demokratiefördergesetz Bildungs- und Jugendarbeit gegen alle Arten von Extremismus gesetzlich
verankern . Derzeit hängen alle Programme an zeitlich
begrenzten Fördergeldern . Mit einer gesetzlichen Grundlage erhält diese wichtige Arbeit die Planungssicherheit
und auch die Wertschätzung, die unsere zivilgesellschaftlichen Partner für qualitativ gutes Arbeiten brauchen .
Ich danke Ihnen .
({4})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Martin Patzelt für die CDU/CSU das Wort .
({0})
Danke schön . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Angst geht in Europa um, und die
Angst geht in unserem Lande um . Die Angst kriecht in
die Wohnzimmer . Die Angst packt unsere Kinder . Angesichts dieser so schwer fassbaren Angst und der noch
schwerer fassbaren konkreten Bedrohung, die uns überall erreichen kann - plötzlich, jeden von uns -, sollten
wir die Kräfte, die wir haben, bündeln - meine Vorredner
haben das schon gesagt - und die unterschiedlichen Aspekte beachten, die wir bei diesem außerordentlich hohen Anspruch auf Prävention gegen Extremismus, gegen
Terror, gegen Töten, gegen Bomben brauchen . Wir brauchen alle Kräfte dazu . Wir merken schon bei unserer Diskussion hier, wie schwer es ist, die eigenen Sichten und
Ansprüche an Darstellung und Originalität zurückzustellen und die Dinge stattdessen zusammenzutragen und zu
bündeln . Bei dem, was ich heute gehört habe, habe ich
doch so viele richtige und wichtige Aspekte entdeckt, bei
denen ich dachte: Könnten wir doch darüber miteinander
ein Gespräch führen, anstatt immer nur neue Konzepte zu
fordern und vorzulegen, neue Institutionen zu schaffen
und mehr Geld zu geben! Wenn wir glauben, dass wir das
Problem mit Geld allein bewältigen können, dann gehen
wir in die Irre; davon bin ich fest überzeugt .
Als Familienpolitiker nehme ich mir jetzt mal die
Freiheit und sage, dass die Prävention, die wir betreiben,
noch lange nicht zu Ende gedacht ist, wenn wir meinen:
Wir erreichen junge Menschen, die für Radikalisierungstendenzen anfällig sind, die verführt werden können, die
eine bestimmte Vita mitbringen, die sie dafür anfällig
macht . - Prävention sollte aus meiner Sicht sehr viel früher ansetzen . Denn was sind denn eigentlich die Verführungen, die junge Menschen in eine solche Entwicklung
bringen?
Ich habe mir die Biografien von jungen Leuten, die als
Salafisten in die Kriegsgebiete gegangen sind, von solchen, die sich hier zum Islam bekehrten, konvertierten wie es gesagt wurde -, ein bisschen näher angeschaut .
In meinem Wahlkreis ist die Ausstellung eines Künstlers
entstanden . Sie heißt - manche von Ihnen haben es vielleicht medial oder direkt mitbekommen -: „Die Wölfe
sind zurück?“ Sie wurde in Dresden, in Berlin gezeigt;
jetzt ist sie gerade in der ständigen Vertretung des Landes
Brandenburg hier in Berlin ausgestellt . Der Künstler hat
bei der Eröffnung seine politische Intention erläutert. Und
ich habe ihm gesagt: Die Wölfe waren ja alle mal keine
Wölfe . Diese sogenannten Wölfe sind von Menschen wie
uns ins Leben gerufen worden, von einem Mann gezeugt,
von einer Frau geboren worden . Sie gingen durch unsere
Kindertagesstätten, sie gingen durch unsere Schulen, sie
wurden begleitet von Sozialpädagogen, von Familienangehörigen, von Freundeskreisen . Wie kommt es denn
eigentlich, dass die Wölfe Wölfe wurden?
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf genau diese Problematik lenken und fragen: Wie kommt es denn eigentlich, dass Menschen eine Affinität zu Gewalt haben, zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen, zu Konflikten, dass
sie bereit sind, andere Menschen sogar zu töten, in den
Tod zu schicken - Menschen, mit denen sie überhaupt
keine Berührung hatten? Wie kommt es dazu, dass sie
so intolerant sind, dass sie die Meinung eines anderen
kaum ertragen können? Jetzt bin ich schon wieder ganz
in unserer Nähe: Wir haben es zu üben, tolerant zu sein .
Unsere Gene stammen aus einer Situation, in der wir im
Kampf gegeneinander gestanden haben, im Kampf ums
Überleben; wir hatten Feinde, und wir hatten Stammesgenossen, die uns zu Hilfe kamen, damit wir überleben
konnten . Und wir sind den schweren Weg der Emanzipation des Individuums gegangen, das sich in Freiheit mit
den anderen verbündet, auch denen, die anders denken
und anders fühlen .
Ich möchte das anhand dreier Gruppen beispielhaft
darstellen . Das soll gar nicht heißen, dass es nicht noch
viele andere Gründe gibt, und es richtet sich auch gar
nicht gegen die Vorschläge, die meine Vorredner hier gemacht haben . Wir müssen eine repressive Prävention betreiben, wir müssen Bildungsarbeit bei jungen Menschen
betreiben, und das, was ich hier sage, soll ergänzend sein .
Es gibt, wie gesagt, drei Gruppen . Was die eine Gruppe anbelangt, möchte ich zitieren, was uns Bildungsforscher und Individualforscher gesagt haben: Langzeituntersuchungen aus 1944, 1960, 1969, 1973 haben belegt,
wie eine andauernd fehlende oder versagende emotionale
Zuwendung durch eine unverwechselbare Bezugsperson
gegenüber einem Kind zu schweren, irreversiblen psychischen und physischen Folgeschäden führt, zu mangelnder Sozialfähigkeit und zu Verlust von Empathie .
Spätestens beim Wort „Empathie“ müsste es bei uns
klingeln . Wie kann ein Mensch ohne Empathie überhaupt verstehen, was sein Gegenüber will? Wie kann er
in seinem eigenen Inneren zu der Idee der Religionsfreiheit stehen? Wie kann er zu unserer Verfassung stehen,
wenn er keine Möglichkeit hat, sich in andere Menschen,
Gruppen und Gesellschaften überhaupt einzufühlen?
Die genannten Forschungsergebnisse wurden in unserer Zeit im Rahmen von Längsschnittstudien erneut
belegt . Darin wird hervorgehoben, dass jene Kinder,
die Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung, unangenehmes elterliches Verhalten aufgrund mütterlicher
Depression, Hilflosigkeit oder Abwesenheit erfahren haben, immer eine besonders große Bindungsunsicherheit
haben, dass ihre Sozialfähigkeit erheblich eingeschränkt
ist . Die Forscher folgern daraus, dass jene Kinder keine
Fähigkeit zur emotionalen Regulation entwickeln können . - Das alles ist forschungsmäßig belegt . Wer sich
dafür näher interessiert, dem kann ich die Quellen dazu
nennen; das ist hier nicht der Ort dafür .
Ich will bloß Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass
wir tatsächlich die Orte und die Gegebenheiten der Primärsozialisation in unserem Lande in den Blick nehmen
müssen und auch dafür Verantwortung tragen .
({0})
Die zweite Gruppe .
Herr Kollege Patzelt, Sie haben noch zwei wichtige
Gedanken angekündigt . Allerdings ist Ihre Redezeit bereits abgelaufen .
Was? Das kann nicht sein . - Darf ich noch zwei Gedanken anbringen?
Leider nicht mehr .
({0})
Ich mache das jetzt einmal so: Ich schicke Ihnen meine Rede .
({0})
Ich halte sie für wertvoll . So können Sie die beiden anderen Gedanken wenigstens nachlesen . Ich habe mich
verkalkuliert .
Den Grünen habe ich die Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention mitgebracht . Ich lade
Sie ein, mit uns zusammen Ihre Gedanken zu vervollständigen .
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Patzelt . Damit sind die
wichtigen Gedanken ausgetauscht .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der
Drucksache 18/10477 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch gibt es keinen . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD
Regionale Wirtschaftspolitik - Ein integriertes Fördersystem für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland schaffen
Drucksachen 18/10636, 18/11202
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
erhebt sich auch dagegen nicht . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Sabine Poschmann für die
SPD .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die konjunkturelle Lage ist erfreulich . Die
Wirtschaft befindet sich seit Jahren auf einem soliden
und stetigen Wachstumspfad . Das darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir nach wie vor bundesweit
gravierende Unterschiede haben . Die Trennlinie verläuft
dabei weniger zwischen Ost und West, sondern zwischen
wirtschaftlich starken und wirtschaftlich schwachen Regionen in ganz Deutschland . Das Gefälle ist teilweise erheblich . In den bundesweit zehn stärksten Arbeitsmarktregionen liegt der Bruttojahreslohn je Beschäftigten um
80 Prozent höher als in den zehn schwächsten Arbeitsmarktregionen . Die Arbeitslosenquote variierte 2016
bundesweit zwischen 1,4 Prozent und 15,4 Prozent .
Ein Gefälle zeichnet sich sogar innerhalb einzelner
Bundesländer ab: Der massive Strukturwandel in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen beispielsweise
führte dazu, dass die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet im
Januar bei 10,8 Prozent lag und im direkt angrenzenden
Münsterland bei 4,8 Prozent .
Meine Damen und Herren, wir müssen auch in Zukunft, also in der Förderperiode ab 2020, strukturschwache Räume stärken; denn Einkommen, Beschäftigung
und Wirtschaftskraft dürfen angesichts der Globalisierung und der demografischen Entwicklung nicht weiter
auseinanderdriften .
({0})
Die Bundesregierung hat hierzu erste Vorschläge erarbeitet .
Mit unserem heutigen Antrag unterstützen wir ein gesamtdeutsches Fördersystem, das wirtschaftlich schwache Regionen in Ost und West gleichermaßen berücksichtigt . Wir brauchen ein integriertes System, das alle Kräfte
sammelt und konzentriert, die geeignet sind, Wachstum
und Beschäftigung in strukturschwachen Räumen zu unterstützen . Bestehende Programme müssen dafür klug
miteinander verzahnt und künftig noch zielgerichteter
eingesetzt werden . Wir benötigen auch mehr Flexibilität,
um passgenau auf die Anforderungen in den jeweiligen
Regionen reagieren zu können . Der Anker des Fördersystems ist und bleibt die GRW . Sie ist eines der wertvollsten Instrumente, die wir haben . Dieses wollen wir nun
noch schärfer und zielgenauer auf die Innovationsförderung in kleinen und mittleren Unternehmen ausrichten .
Glauben Sie mir, es funktioniert . Meine Heimatstadt
Dortmund bietet bestes Anschauungsmaterial dafür . Innerhalb weniger Jahre ist es gelungen, eine 160 Fußballfelder große Stahlwerksbrache in einen Wissens- und Zukunftsstandort zu transferieren . Wir haben mithilfe der
GRW eine Infrastruktur aufgebaut, die vor allem jungen
Unternehmen aus der Mikro-, Nano- und Produktionstechnologie mehr Raum für Forschung und Entwicklung
bietet . Die Sogwirkung ist enorm . Es ist kein Zufall, dass
nun auch ein Netzbetreiber seine Unternehmenszentrale auf Phoenix-West hochzieht und ein weltweit tätiger
Pumpenhersteller nebenan einen Digitalcampus baut . Jeder öffentlich investierte Euro setzt private Investitionen
frei und erhält oder schafft neue Arbeitsplätze. Wir müssen daher an unserem Ziel festhalten: Gleichwertige Lebensverhältnisse trotz ungleicher Ausgangssituationen .
Herzlichen Dank .
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach eingehender wie auch kritischer Betrachtung der Vorlage begrüßt die Linke den von den
Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag zur regionalen
Wirtschaftspolitik .
({0})
Wir werden ihm zustimmen .
({1})
An dem sich im Deutschen Bundestag eingebürgerten
parlamentarischen Unbrauch, die Zustimmung oder Ablehnung einer Vorlage vom Antragsteller und nicht vom
Inhalt abhängig zu machen, beteiligen wir uns nicht .
({2})
Es wäre für unsere gemeinsame parlamentarische Arbeit
und für deren Wahrnehmung bei den Wählerinnen und
Wählern sehr hilfreich, wenn Anträge der Opposition zukünftig nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie von der
Opposition stammen .
({3})
Besonders an Ihrem Antrag begrüßen wir, dass die Koalitionsfraktionen nach Jahren voller Erfolgsmeldungen
aus dem Wirtschaftswachstumswunderland mit schwarzer Null zur Kenntnis nehmen, dass die wirtschaftliche
Entwicklung im Land höchst ungleich verläuft, und hier
sogar Handlungsbedarf sehen . Regionale Wirtschaftsförderung mit dem Ziel des Abbaus wirtschaftlicher Unterschiede findet unsere Unterstützung, sogar noch mehr,
wenn dafür die entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden .
({4})
Gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land
sind nicht nur Verfassungsauftrag, sie sind auch eine elementare Frage der Gerechtigkeit . Es ist schon schlimm
Vizepräsident Johannes Singhammer
genug, dass der Lebensweg eines Kindes in Deutschland
meist dadurch entschieden wird, in welches Elternhaus
es hineingeboren wird . Mindestens ebenso ungerecht ist
es, wenn es vom Wohnort abhängt, ob das Dach einer
Schule droht zusammenzubrechen oder die Schultoiletten nicht funktionieren .
Weil wir das Anliegen der Regierung teilen, möchten
wir einige Verbesserungsvorschläge machen, die vielleicht noch Berücksichtigung finden.
Eine regionale Wirtschaftspolitik muss von einer
grundsätzlichen sozialen und ökologischen Ausrichtung
der Wirtschaftspolitik begleitet werden . Das bedeutet unter anderem eine deutliche Steigerung der Binnennachfrage und das Zurückdrängen der Exportabhängigkeit
zugunsten regionaler Wirtschaftskreisläufe .
({5})
Von zentraler Bedeutung bei der Förderung der regionalen Wirtschaft ist für die Linke die Stärkung der Kommunen . Wenn wir den Kommunen in strukturschwachen
Regionen ihren finanziellen und wirtschaftlichen Handlungsspielraum zurückgeben, profitiert davon auch die
regionale Wirtschaft . Dazu machen wir Ihnen einige Vorschläge:
Erstens . Die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu
einer Gemeindewirtschaftsteuer, von der alle Einkommen erfasst werden . Diesen Vorschlag haben Sie zwar im
Jahr 2015 abgelehnt, aber, wie gesagt, zukünftig sollte
man nicht mehr alles ablehnen, was von der Opposition vorgeschlagen wird . Wäre das in der Vergangenheit
schon so gehandhabt worden, wären wir vielleicht heute
woanders . Zumindest ist die Idee keine ganz schlechte
gewesen .
Zweitens . Ändern Sie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, und erleichtern Sie den Kommunen die
wirtschaftliche Betätigung im Bereich der öffentlichen
Daseinsvorsorge .
({6})
Das sichert Arbeitsplätze vor Ort . Das erwirtschaftete
Geld kann vor Ort wieder investiert werden, anstatt dass
es in Konzernzentralen verschwindet. Davon profitiert
übrigens auch die private Wirtschaft vor Ort, da kommunale Unternehmen Aufträge naturgemäß eher an Unternehmen in der Region vergeben .
Last, but not least: Berücksichtigen Sie auch die Standortfaktoren stärker, die auf den ersten Blick erst einmal
nicht unbedingt etwas mit Wirtschaftsförderung zu tun
haben. Stichworte: Öffentlicher Nahverkehr oder Ärzte- und Apothekenmangel im ländlichen Raum . Dass es
im Jahr 2017 immer noch riesige weiße Flecken bei der
Bereitstellung von schnellem Internet gibt, ist ein derartiger wirtschaftlicher Standortnachteil, den Sie mit keiner
Wirtschaftsförderung der Welt ausgleichen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele unter Ihnen
sind oder waren aktive Kommunalpolitiker . Die Tatsache, dass immer mehr Kommunen nahezu handlungsunfähig sind, ist ein trauriger Fakt in unserem Land . Wenn
Sie sich dann mit Bürgermeistern, Dezernenten, Stadträten oder wem auch immer vor Ort unterhalten und denen etwas zum Thema regionale Wirtschaftsförderung
erzählen, wissen die oft nicht, ob sie weinen oder lachen
sollen .
Deshalb noch zwei Punkte, über die wir nachdenken
sollten .
Erstens: Müssen Förderprogramme fast immer über
die Länderebene laufen und können nicht den direkten
Weg finden?
Zweitens: Warum werden Mittel häufig einfach nicht
abgerufen? Wenn eine Kommune, die de facto zahlungsunfähig ist, bei einem Förderprogramm 20, 30 oder
50 Prozent Eigenanteil leisten muss, dann hat sich diese
Frage für die Kommune leider Gottes oft von selbst erledigt . Dann ist Schicht im Schacht . Das ist ein unhaltbarer
Zustand .
Vielen Dank . Glück auf!
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Jan Metzler .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
vorliegende Antrag der Koalition ist in der gestrigen Sitzung des Wirtschaftsausschusses einstimmig beschlossen
worden . Das zeigt, dass eine solide und gute Vorarbeit
geleistet worden ist . Ich möchte ausdrücklich meiner Berichterstatterkollegin, liebe Frau Wicklein, Danke sagen
für diese Vorarbeit, gleichzeitig aber auch für das gute,
konstruktive Miteinander im Unterausschuss insgesamt
über alle Parteigrenzen hinweg .
Der Antrag ist eine gute Gelegenheit für uns Parlamentarier, uns gemeinsam für die regionale Wirtschaftspolitik als Hebel zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse starkzumachen. Deshalb finden Sie in
diesem Antrag auch ein klares Bekenntnis zur Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“, dem, wie ich finde, wichtigsten nationalen Instrument zur regionalen Wirtschaftsförderung .
Gemeinschaftsaufgabe heißt, dass man es eben gemeinsam und nicht isoliert angeht .
Schon mehrfach haben wir hier über die Errungenschaften, die wir der GRW seit ihrer Einführung 1969
verdanken, debattiert, und wir sind uns einig, dass sie
ein echtes Erfolgsmodell ist . Das hat sich auch kürzlich wieder bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 2016 gezeigt, in dem wir auf einige sehr positive
Aspekte hinweisen konnten .
Dass die regionale Wirtschaftspolitik einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, ist unbestritten, aber vielen
gar nicht bewusst .
Was tut also die GRW? Gezielt fördert sie Unternehmen und die wirtschaftsnahe Infrastruktur in strukturschwachen Regionen . Dadurch werden sozialversiThomas Lutze
cherungspflichtige Arbeitsplätze erhalten oder eben neu
geschaffen, Einkommen generiert, indirekt mehr Konsum geweckt und so die Regionen aktiviert und wettbewerbsfähig gemacht .
Dazu steht der GRW jährlich ein Gesamtvolumen von
1,2 Milliarden Euro zur Verfügung . Das ist enorm, wie
ich finde.
Dass der regionalen Wirtschaftspolitik dabei in den
kommenden Jahren eine noch zentralere Rolle zukommen wird, ist genauso unbestritten, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wie die bisherigen Erfolge . Aber auch das
ist in vielerlei Aspekten noch nicht ausreichend im Fokus .
Darum haben wir genau das in den Mittelpunkt dieses Antrags gerückt: Wir brauchen eben genau dieses
integrierte Fördersystem für strukturschwache Regionen
nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern in Gesamtdeutschland . In den letzten 25 Jahren lag der Fokus
der GRW auf dem wirtschaftlichen Aufholprozess der
ostdeutschen Länder . Heute ist der - entgegen mancher
Behauptung - noch nicht abgeschlossen . Sehen Sie sich
dazu die entsprechenden Fakten an! Die sprechen für
sich . Zusätzlich fordert ein tiefgreifender Strukturwandel auch die altindustriellen und ländlichen Regionen in
Gesamtdeutschland heraus . Das geschieht also deutschlandweit . Denn oft haben genau diese Landkreise und
Regionen strukturelle Nachteile gegenüber wettbewerbsfähigen Ballungsräumen und Metropolregionen . Fehlende Arbeitsplätze infolge von Abwanderung und eine
angespannte Fachkräftesituation - das ist das, was man
vor Ort entsprechend merkt . Das ist auch das, was dann
an jeden Einzelnen von uns in der Sprechstunde in Form
von ganz konkreten Fragen und Forderungen an die Politik herangetragen wird .
Zusätzlich wird diese Entwicklung durch den demografischen Wandel und die zunehmende Globalisierung
getrieben . Dann wird die Globalisierung, obwohl sie global ablaufen mag, mit ihren Problemen sehr, sehr lokal .
Dafür braucht es Lösungen . Eine kann ein integriertes
Fördersystem für strukturschwache Regionen in ganz
Deutschland sein .
Wie stellen wir uns das nun vor? Die GRW soll in ihrer bisherigen Form erhalten bleiben, aber als Ausgangspunkt für ein gesamtdeutsches integriertes Fördermodell
dienen . Dabei sollen Synergien mit bestehenden Förderinstrumenten, beispielsweise aus Wirtschafts- und Forschungsministerium, geschaffen und inhaltliche Überschneidungen vermieden werden . Der Förderfokus muss
zum einen noch mehr auf kleine und mittelständische
Unternehmen, deren Innovationen und die dazugehörige Forschungsinfrastruktur gelegt werden . Zum anderen
muss auch die Gründungsförderung gestärkt werden . Es
sollte kein Naturgesetz sein, dass für ein Unternehmen,
das in einer vermeintlich strukturschwachen Region gegründet wird, in der es wunderbar und schön ist, erst ein
Umzug nach Hamburg und Berlin notwendig ist, um es
zum Erfolg zu führen . Ich glaube, auch in unseren wunderbaren ländlichen Regionen, die viele hier repräsentieren, sind jede Menge Potenziale zu heben .
Ein Gesamtkonzept kann mit Programmen der Städtebauförderung und der Stärkung der Daseinsvorsorge gerade im genannten ländlichen Raum abgerundet werden,
beispielsweise durch Investitionen in das Wohnumfeld
sozial benachteiligter Stadtteile oder auch in die Nahversorgung von Ortsgemeinden auf dem Land . Denn neben
dem Arbeitsplatzangebot sind ansprechende Lebensräume ausschlaggebend für die Attraktivität einzelner Regionen . Unser Ziel muss insgesamt sein, nachhaltig Investitionen und Wachstum in den Regionen Deutschlands zu
schaffen, die den Strukturwandel nicht aus eigener Kraft
bewältigen können .
({0})
Um dieses Konzept, das ab 2020 in Kraft treten soll,
auf solide Füße zu stellen, braucht es eine intensive Abstimmung . Das ist eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit
den Bundesländern das bisherige Fördersystem zu prüfen
und es an der einen oder anderen Stelle zu verbessern .
Ein zentrales Thema ist dabei sicherlich der teilweise
schleppende Mittelabruf . Dafür brauchen wir eine Lösung; denn das schönste Fördermodell hilft nichts, wenn
es vor Ort nicht ankommt . Deswegen schlagen wir in unserem Antrag vor, die Informationen zur Mittelförderung
je Bundesland zu bündeln und einen zentralen Ansprechpartner vor Ort bereitzuhalten .
Unter dem Strich steht und fällt unsere künftige Regionalpolitik aber mit dem beihilferechtlichen Spielraum,
den die Europäische Kommission jedem einzelnen Mitgliedsland einräumt . Das heißt, Deutschland darf nicht
endlos strukturschwache Regionen fördern . Zur Wahrheit gehört nämlich, dass wir im Vergleich zu anderen
europäischen Mitgliedstaaten volkswirtschaftlich gut
dastehen, also auch diejenigen Regionen, die im Bundesvergleich als strukturschwach gelten, im gesamteuropäischen Vergleich verhältnismäßig gut abschneiden . Der
Brexit könnte das sogar noch verstärken - auch das ist in
diesem Zusammenhang zu benennen -, weil er zu einer
Verringerung des durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts der EU führt und Deutschland damit im Vergleich
weiter aufwertet . Das künftige nationale Förderkonzept
muss also in eine gesamteuropäische Strategie und Betrachtung eingebunden sein .
Der Auftrag an die Bundesregierung ist von unserer
Seite aus somit klar formuliert . Wir fordern:
Erstens . Die Fördervoraussetzungen für die deutschen
Regionen müssen mit der EU ausverhandelt werden .
Zweitens . Dem Deutschen Bundestag ist ein mit den
Bundesländern abgestimmtes Konzept für ein integriertes System zur Förderung strukturschwacher Regionen
vorzulegen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte erlauben Sie
abschließend eine Bemerkung . Die Grundidee der europäischen und der deutschen Regionalpolitik ist doch,
keinen Mitgliedstaat und keine Region zurückzulassen .
Ich finde, wir können stolz sein, dass unsere Gemeinschaft von den Grundideen des Zusammenhalts und der
Zusammenarbeit geprägt ist . Bei allen Herausforderungen wissen wir, wozu Abschottung, Egoismen, aber auch
nationale Alleingänge führen . Dazu gibt es in unserer
europäischen Geschichte leider zu viele schmerzliche
Beispiele. Deshalb finde ich es bemerkenswert, wie die
Netzgemeinde gegenwärtig mit Ironie auf die eine oder
andere Tendenz reagiert, beispielsweise in einem niederländischen Video. An dieser Stelle sollte das „zuerst“
durch „gemeinsam“ ersetzt werden.
({1})
Das gilt für EU-Mitgliedstaaten genauso wie für unsere
Regionen in Deutschland . Genau dafür muss die Politik
den richtigen Rahmen setzen . Mit einem zukunftsfähigen
Fördersystem strukturschwacher Regionen können wir
dazu einen entscheidenden Beitrag leisten .
Ich danke abschließend erneut für die gute und konstruktive Zusammenarbeit und für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Als Nächster spricht der Kollege Markus Tressel,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Unterschiede zwischen
den Regionen in Deutschland nehmen nicht ab, sondern
weiter zu . Wenn wir uns die wirtschaftliche Produktivität
oder die Arbeitslosenquote anschauen, dann stellen wir
fest: Viele ländliche Räume, aber auch altindustrielle
Regionen sind gegenüber Ballungsräumen benachteiligt;
das hat der Kollege Metzler schon ausgeführt . Eine wirkungsvolle Regionalpolitik ist deshalb wichtiger denn
je . Das ist kein Nebenschauplatz, sondern eine zentrale
Frage für die Zukunft des Landes . Es geht um neue Perspektiven für die Menschen in Regionen, die manche als
abgehängt bezeichnen . Für sie braucht es gemeinsames
Engagement von EU-, Bundes- und auch von Länderseite . Deshalb ist die entscheidende Frage, wie die Regionalpolitik in Zukunft aussehen könnte .
Wir führen derzeit sehr gute Gespräche darüber, auch
im Unterausschuss; aber bisher hat die Bundesregierung
kein durchgängiges Konzept für die Zeit nach 2020 vorgelegt, wenn die ostspezifische Förderung ausläuft. Das
Eckpunktepapier, das vorliegt, reicht unseres Erachtens
nicht aus . Wir können deshalb Ihrem vorliegenden Antrag zustimmen. Wir verstehen ihn als Aufforderung der
Koalitionäre an die eigene Bundesregierung, endlich ein
Konzept für die zukünftige Förderpolitik vorzulegen .
({0})
Das fordern auch wir . Das muss endlich geschehen .
Wenn der Antrag dabei hilft, ist das sehr gut .
Viele Regionen treten trotz Fördermillionen auf der
Stelle . Der Förderdschungel ist in den letzten Jahren
nicht überschaubarer geworden . Das überfordert insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen seit
langem . Die Forderungen in Ihrem Antrag sind nicht
neu . Ich verstehe ja, dass so ein komplexes Vorhaben
wie die Weiterentwicklung der Förderpolitik Zeit und
Sorgfalt braucht; aber die Zeit läuft uns davon . Diese
Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu . Wenn der
Bundestag frühestens Anfang 2018 wieder über die
Förderpolitik diskutiert, steht die neue Förderperiode
unmittelbar vor der Tür. Unserer Auffassung nach wäre
etwas mehr Nachdruck gefragt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, nicht nur im Parlament, sondern auch bei der
Umsetzung nachher .
({1})
Wir alle wissen - die Kollegen haben das angesprochen -: Die Herausforderungen sind immens . Drei Megatrends beeinflussen die Entwicklung regionaler Wirtschaft und damit die Attraktivität ganzer Regionen . Da
ist zuallererst der demografische Wandel zu nennen. Er
verändert unsere Gesellschaft, aber besonders stark im
ländlichen Raum . Das heißt, wir brauchen sozial nachhaltige Ansätze in der Regionalentwicklung . Zweitens
gibt es einen großen Bedarf an Innovationen in unserer
Wissensgesellschaft . Wir brauchen mehr Forschung und
Entwicklung . Drittens besteht die Notwendigkeit, Ressourcen endlich effizient zu nutzen. Wir brauchen eine
ökologischere Wirtschaftsweise . Diese Herausforderungen muss künftige Förderpolitik berücksichtigen .
({2})
Die GRW soll dazu dienen, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen herzustellen . Für uns
heißt das: gleiche Startchancen für alle, auch unabhängig
von der Herkunftsregion . Wie ein Lebensweg verläuft,
darf doch nicht der geografische Zufall entscheiden; das
hat der Kollege Lutze schon gesagt . Daher brauchen wir
Chancengleichheit und Teilhabe an der Arbeitswelt, an
Bildung, an Gesellschaft, an Politik und nicht zuletzt
an der Digitalisierung . Dafür müssen wir gerade in den
ländlichen Räumen Jobs erhalten, aber genauso regionale
Infrastruktur stärken . Wir brauchen dafür - auch das ist
mehrfach angesprochen worden - einen integrierten Politikansatz . Genau hier muss die GRW weiterentwickelt
werden, um nach 2020 zukunftsfähig zu sein .
({3})
Ich glaube, wir sind uns im Kern einig: Das Ziel der
Förderung muss der Mittelstand sein . Das muss sich auch
im Mittelabfluss widerspiegeln. Im Moment ist das noch
ein bisschen anders: Der Mittelstand wirkt für die Region; er setzt auf regionale Belieferungs- und Vermarktungsstrukturen . Wir wollen nachhaltige Strukturen fördern und in Köpfe und Netzwerke investieren . Es gilt, die
Potenziale der ländlichen Räume zu erschließen .
Wir sagen: Die Energiewende muss durch eine Wirtschaftsförderung flankiert werden, weil zum Beispiel
die Lausitz Arbeitsplätze für die Zeit nach der Kohle
braucht . Die Wirtschaftsförderung muss aktiven Klimaschutz durch kurze Wege unterstützen und schließlich
durch eine bessere Verzahnung mit der GAK auch die
Agrarwende hin zur bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft begleiten . Hier kann die GRW einen großen Beitrag leisten .
Ihr Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist richtig: Die Antworten auf diese globalen Fragen liegen in
regionalen Lösungen . Hier liegt noch ein weiter Weg vor
uns .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Für die Bundesregierung hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch diese Debatte macht eindrucksvoll deutlich: Unser Ziel ist und bleibt die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland . Es gilt,
den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sichern und zu
festigen . Deshalb unterstützt der Bund die Länder beim
Strukturwandel .
Ja, es gibt eine ganze Reihe von besonderen Herausforderungen, vor denen wir stehen . Natürlich gehören
die demografische Entwicklung, das Auslaufen des Solidarpakts II und der zunehmende weltweite Wettbewerb
dazu . Vor diesem Hintergrund haben wir in dieser Legislaturperiode die Weichen für eine Strukturpolitik der
Zukunft gestellt .
Als Erstes hat der Bund - das ist sehr wichtig - die
Kommunen um 26 Milliarden Euro entlastet . Das ist gerade in strukturschwachen Regionen entscheidend, damit
die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können .
({0})
Hinzu kommt natürlich die Weiterentwicklung unserer
Bundesprogramme, allen voran der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
In der Tat: Die Veränderungen der beihilferechtlichen
Regelungen, die wir umsetzen mussten, haben dazu geführt, dass wir im letzten Jahr beim Mittelabfluss nicht
so gute Zahlen hatten; Herr Metzler hat das bereits angesprochen . Wir waren in den Vorjahren erfolgsverwöhnt;
damals hatten wir hohe Abrufzahlen . Deshalb haben
wir mit den Ländern ausgehandelt, wie wir hier neue
Schwerpunkte setzen können, hin zu noch mehr Infrastruktur-, Innovations- und Mittelstandsförderung . Das
ist mit Blick auf die strukturschwachen Regionen auch
ganz besonders wichtig .
Herr Tressel, ich sehe das ein bisschen anders als Sie .
Die Bundesregierung hat im Mai 2015 die Eckpunkte vorgelegt . Es handelt sich aber um eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe, sodass wir erst einmal den
großen Brocken der Bund-Länder-Finanzen miteinander
bewältigen mussten und jetzt in die Verhandlungen gehen . Sie alle werden sicherlich vor Ort mithelfen, dass
sich die Bundesländer konstruktiv an diesen Verhandlungen beteiligen . Wir haben hierfür gute Hinweise; die
Ministerpräsidenten in Ostdeutschland haben das nämlich auf der Ministerpräsidentenkonferenz begrüßt . Ich
gehe davon aus, dass wir damit die Weichen dafür stellen
können, dass wir nach 2020 ein umfassendes, integriertes
und eben innovationsorientiertes gesamtdeutsches Fördersystem in diesem Land haben werden .
({1})
„Gesamtdeutsch“ - das ist hier angesprochen worden - heißt ganz einfach, dass wir alle Regionen in Ost
und West nach gemeinsamen Regeln fördern . Wir praktizieren das auch schon zum großen Teil seit Sommer 2014
und haben damit gute Erfahrungen gemacht .
({2})
„Innovationsorientiert“ heißt, dass wir die Programme
der GRW durch Innovationsmaßnahmen ergänzen müssen . Auch das ist ganz zentral . Frau Poschmann hat das
angesprochen und anhand ihres Beispiels deutlich gemacht, wie wichtig es ist, für strukturschwache Regionen
moderne, innovative Lösungen zu finden.
„Integriert“ bedeutet, dass wir nicht mehr in Säulen
und Silos denken, sondern die Programme miteinander
verzahnen .
({3})
Ich will mich bei allen beteiligten Ressorts bedanken .
Als wir diese Eckpunkte entwickelt haben, haben alle
Ressorts ihre Programme daraufhin überprüft, ob sie zu
einem solch integrierten System beitragen können, etwa
aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung
oder aus dem Bereich Agrarstruktur und Küstenschutz .
Ich glaube, das ist ganz wichtig .
Meine Damen und Herren, ja, es gibt nach wie vor
strukturelle Unterschiede, auch zwischen Ost und West;
wir debattieren das ab und zu . Aber man muss auch sehen - das zeigt der Regionalpolitische Bericht 2016 der
GRW eben auch auf -, dass die wirtschaftliche Entwicklung immer differenzierter verläuft, bei uns in Ostdeutschland genauso wie in Westdeutschland . Die strukturschwachen Regionen in Ost und West brauchen kein
Gegeneinander .
({4})
Ich bin vielmehr fest davon überzeugt, dass wir ein festes Bündnis der strukturschwachen Regionen in Ost- und
Westdeutschland brauchen, damit die Menschen in allen
Regionen gleichwertige Lebensverhältnisse vorfinden
und gleiche Chancen haben . Genau darum geht es .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Für die CDU/CSU hat jetzt die Kollegin Astrid
Grotelüschen das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörer! Nachdem wir im letzten Jahr
einen Antrag zur GRW gestellt hatten, den wir nicht öffentlich, zumindest nicht hier im Plenum, debattieren
konnten, freue ich mich darüber, dass wir heute die Gelegenheit haben, uns zu diesem wichtigen Thema auszutauschen . Möglicherweise können wir diesen Antrag der
Regierungskoalition, obwohl Herr Tressel die Punkte ein
bisschen konträr angerissen hat, einstimmig verabschieden .
Regionale Wirtschaftsförderung ist wie das ERP-Vermögen bzw . die KfW regelmäßig Thema bei uns im
Unterausschuss . Auch ich darf mich herzlich dafür bedanken, bei Ihnen, Frau Staatssekretärin, aber auch bei
meinen Kollegen und Kolleginnen,
({0})
dass wir in diesem Ausschuss sehr gut zusammenarbeiten
und die Themen, die wir hier diskutieren, gut vorbereiten . Einerseits geht es um den Weg der Neuausrichtung
der GRW, andererseits aber auch um das ERP-Vermögen
und die positiven Veränderungen bei der KfW im Bereich
Wagniskapital und Risikobeteiligung . Das ist und bleibt
spannend . Ich bin froh, dass wir diese wichtigen Aufgaben begleiten können .
Regionale Wirtschaftspolitik ist mit Blick auf die umfangreiche Mitberatung ein ganz facettenreiches Thema .
Es betrifft die Bereiche Finanzen, Kommunales, Angelegenheiten der Europäischen Union, Verkehr, Digitales,
Haushalt, Umwelt, Ernährung, Landwirtschaft, all das,
was von den Kollegen bereits angeschnitten worden ist .
Es handelt sich um einen integrierten Ansatz . Wir müssen diesen Ansatz noch verstärken, wenn es um die regionale Wirtschaftsförderung geht .
In unserem Koalitionsantrag geht es um den Weg, den
wir einschlagen wollen . Oberstes Ziel der GRW ist es,
bestehende Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen nicht mehr - das wissen wir längst - nach Bundesländern, nach Ost und West zu unterteilen . Wir suchen
vielmehr einen Weg, gleichwertige Lebensverhältnisse
zu erreichen . Ein Aspekt muss dabei immer im Fokus
bleiben, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen oder neu anzusiedeln . Diesbezüglich ist übrigens die Wirksamkeit
der Unternehmensförderung, die über die GRW bereits
geleistet worden ist, in Zahlen belegbar: In der Regel
ist die Zahl der Arbeitsplätze nach einer Förderung um
3,3 Prozent gewachsen .
Gleichzeitig wird mit unserem Antrag klar, dass es
im Zuge sich wandelnder Strukturen darum geht, dieses
Ziel auch in Zukunft zu erreichen . Das geht natürlich nur,
wenn wir Antworten auf die sich verändernden Rahmenbedingungen finden und rechtzeitig vor einer neuen Förderperiode die richtigen Impulse setzen . Insofern kann
ich Herrn Tressels Argumentation nur zustimmen .
Ich betone: Wir brauchen unbedingt zeitgemäße Lösungen und angepasste Parameter zur Identifizierung
von möglichen Förderregionen . Mit Blick zum Beispiel
auf stark unterschiedliche durchschnittliche Arbeitslosenquoten - Frau Poschmann hat ein Beispiel aus ihrem
Wahlkreis genannt; die Arbeitslosenquote ist derzeit ein
stark zu gewichtender Faktor -, kombiniert zum Beispiel mit der Lebenssituation im ländlichen Raum, in
dem auch ich zu Hause bin, wird sehr schnell deutlich,
dass wir in Zukunft zusätzliche Kennziffern oder möglicherweise auch andere Gewichtungen oder gar beides in
Kombination benötigen werden .
Ich sehe mit Sorge, dass gerade Kommunen im ländlichen Raum wegen Abwanderung schrumpfen, sich teilweise mit Leerstand von Gebäuden und Ladenlokalen
oder auch mit dem Abbau von Infrastrukturen - ich nenne nur das Stichwort „Hausarztversorgung“ - auseinandersetzen müssen . Dieser Prozess ist in einigen Regionen
bereits in vollem Gange, und den müssen wir stoppen .
Wir brauchen also ein deutlich verbessertes Fördersystem . Die GRW kann das nicht alleine leisten . Das ist,
glaube ich, unbestritten . Das heißt, wir brauchen erstens
eine Anpassung der Gelder für die Wirtschaftsförderung
an diese neuen Herausforderungen, damit sie letztendlich
vor Ort ankommen und dort zielgenau helfen können .
Zweitens muss ein verstärktes Augenmerk auf dem
verbesserten Mittelabfluss in den Ländern liegen; auch
dieser Punkt ist bereits angesprochen worden . Es ist sehr
wichtig, dass alle Bundesländer rechtzeitig in die Gänge kommen, damit die Gelder abgerufen werden können
und nicht wie in der jetzigen Förderperiode verspätet zur
Verfügung stehen .
Drittens - ich werde nicht müde, dieses Thema anzusprechen - geht es auch um eine einfache und unbürokratische Antragstellung . Die Geschäftsführer meiner
drei Wirtschaftsfördergesellschaften, die seit Jahren die
GRW-Mittel begleiten, stöhnen jedes Jahr - wie ich finde, berechtigterweise; ich habe mir die Anträge auch angeschaut - ob der Kompliziertheit und auch der Anzahl
der Formulare .
Die Höhe der Kofinanzierung und auch die Koordination - das sind beides Länderaufgaben - stehen ebenso in
der Kritik . Hier gibt es im Sinne der kleinen und mittleren Unternehmen sicherlich noch viel zu verbessern . Aus
meiner Sicht sind da die Wirtschaftsfördergesellschaften
und vielleicht auch andere zentrale Ansprechpartner oder
auch die sogenannten Single Points of Contact, die auch
in unseren Antrag Eingang gefunden haben, eine wichtige Unterstützung . So können Anfragen am besten gebündelt und Informationsunterschiede zwischen den Kommunen, Landkreisen oder größeren Einheiten verringert
und damit das Förderspektrum bedürfnisgerecht und unbürokratisch an die kleinen und mittleren Unternehmen
angepasst werden .
Zusammenfassend möchte ich sagen: Dreh- und Angelpunkt bleibt nach wie vor - das macht der Antrag sehr
deutlich - das klare Bekenntnis zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
Sie ist seit 1969 das zentrale Instrument . Allein von 1995
bis 2014 wurden Fördermittel in Höhe von fast 41 Milliarden Euro bewilligt . Aus meiner Sicht ist die GRW
schlicht und ergreifend das einzige wirtschaftspolitische
Instrument, mit dem Bund und Länder gemeinsam den
Abbau der regionalen Disparitäten gezielt fördern können . Deshalb sollte dieser strategische Ansatz der GRW
auch in einer neuen Förderperiode ausdrücklich beibehalten werden .
({1})
Meine Damen und Herren, die Disparitäten - das wurde schon angesprochen - sind nach wie vor sichtbar oder
entwickeln sich auch neu . Deshalb war es auch in der
Vergangenheit ein wichtiger Schritt, dass wir die ungefähr 600 Millionen Euro an Fördergeldern seit drei Jahren konkret für die regionale Strukturförderung nutzen .
Aus meinem Flächenwahlkreis mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von fast 200 Kilometern weiß ich, dass die
GRW-Förderung ganz klar ein Schlüsselinstrument zum
Abbau ebendieser Unterschiede und zur Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit ist .
Bei einer Weiterentwicklung der GRW geht es daher um direkte Investitionen, um eine wirtschaftsnahe
Infrastruktur und um Maßnahmen zur Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit, und zwar nicht nur auf neue Arbeitsplätze bezogen, sondern insbesondere auch auf die
Stabilisierung bereits bestehender Arbeitsplätze . Das
heißt natürlich, dass wir noch mehr Raum für Innovationen brauchen und gezielt eine verstärkte Mittelstandsförderung angehen müssen . Gerade im ländlichen Raum ist
die GRW damit auch aktive Demografiepolitik, wie ich
es einmal nennen will . Prognosen gehen davon aus - das
wissen wir alle -, dass unsere Bevölkerung ab 2020 weiter stark schrumpfen wird . Deshalb ist neben dem Thema
Arbeitsplatzbeschaffung und deren Erhalt auch das wichtige Thema der Digitalisierung bei weiteren Fördermaßnahmen in den Vordergrund zu stellen .
Ich komme zum Schluss . Es geht insgesamt darum,
übergeordnete gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen
und wichtige Wachstumsimpulse zu setzen . An den genannten Beispielen wird klar: Regionale Disparitäten
führen nicht nur wirtschaftspolitisch zu Ungleichgewichten, sondern stehen der gesellschaftlichen Stabilität entgegen . Dies gilt es aus Sicht der Union zu verhindern .
Wir haben ein Instrument dazu in den Händen und werden unseren Beitrag zur Weiterentwicklung der GRW in
den kommenden Jahren leisten .
Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit
bedanken .
({2})
Zum Abschluss dieser Antragsberatung hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen
zunächst mitteilen zu dürfen, dass alle Fraktionen im Unterausschuss Kommunalpolitik dem Antrag zugestimmt
haben - das ist das erste Erfreuliche -, aber sich auch alle
kommunalen Spitzenverbände sehr aufgeschlossen und
positiv zu diesem Antrag geäußert haben . Ein paar ihrer
Anregungen will ich zur Sprache bringen .
Die Notwendigkeit der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen ist unbestritten, und zwar - das ist so
gesagt worden - dort, wo es nötig ist, das heißt also nach
Bedürftigkeit und nicht nach Himmelsrichtungen . Diese
Debatte kennen wir alle, haben sie im Grunde genommen
hinter uns . Die Konsequenz daraus ist ein gesamtstaatliches Fördersystem, weil es um Chancengleichheit in
anderen Teilregionen des Landes, von Städten und ländlichen Regionen, geht . Das ist also vernünftig .
Zweiter Punkt . Ebenfalls positiv hervorgehoben wurde, dass auf neue Herausforderungen reagiert worden ist .
Ich kann es mir ersparen, das im Einzelnen darzulegen;
Demografie, Digitalisierung, Globalisierung, Stadt-Umland-Wanderungen - all das ist angesprochen worden . In
Zukunft wird es jedenfalls kein sektorales, sondern ein
integriertes Fördersystem geben; Frau Gleicke hat darauf
hingewiesen . Auch das ist ein großer Fortschritt .
Im Antrag werden auch die positiven Wirkungen der
Gemeinschaftsaufgaben, insbesondere der GRW, thematisiert . Das ist gut und richtig so . Unternehmensorientierte, wachstums- und innovationsorientierte Regionalförderung bleibt richtig . Trotzdem ist, meine ich, mit den
Ländern über die Frage zu diskutieren, wie möglicherweise eine selbsttragende, eine endogene Entwicklung
unterstützt, wie regionale Beteiligung daran organisiert
werden kann und wie man möglicherweise bis hin zu
Regionalbudgets auch die Kräfte in der Region so mobilisieren kann, dass sie im Übrigen auch Bürokratie einsparen und Potenziale in einer Weise zur Geltung bringen, wie das in der Vergangenheit vielleicht noch nicht
gelungen ist .
({0})
Ich will an dieser Stelle sagen: Der Erfolg integrierter Förderpolitik setzt eine auskömmliche finanzielle
Grundausstattung der Kommunen voraus - gerade von
finanzschwachen Kommunen, ungeachtet der Frage, ob
sie Komplementärmittel bereitstellen müssen oder nicht .
Wir haben da Richtiges gemacht: erstens bei der Entlastung von Sozialausgaben, zweitens bei der Stärkung von
Investitionen . Aber wir haben noch zu wenig getan - darüber müssen wir weiter diskutieren -, wenn es darum
geht, wie es zu einer besseren strukturellen Beteiligung
an der Steuerverteilung in der Bundesrepublik Deutschland kommen kann . Damit meine ich nicht unbedingt
„mehr“, sondern die Frage, ob beispielsweise die kommunale Umsatzsteuer nur wirtschaftskraftbezogen sein
kann oder möglicherweise auch auf der Grundlage von
Sozialindikatoren wie Arbeitslosigkeit oder Langzeitarbeitslosigkeit. Das würde manchen Konflikt auf der kommunalen Ebene entschärfen - davon bin ich fest überzeugt - und eine gerechtere Verteilungswirkung unter
dem Gesichtspunkt der Ausgleichsziele haben .
({1})
Dazu gehört auch, dass wir die grundlegenden Finanzierungsquellen nicht infrage stellen, weder die Gewerbesteuer noch die Grundsteuer . Ich appelliere dringend an
die Kolleginnen und Kollegen der CSU, das nicht zu tun,
weil das ein Spiel mit dem Feuer wäre .
Regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik kann nur
erfolgreich sein, wenn sie von einer nachhaltigen Finanzpolitik auf der kommunalen Ebene begleitet wird . Es ist
erforderlich, die Ursachen struktureller Unterfinanzierung zu beseitigen und die Potenziale zu heben . Deswegen unterstützen wir diesen Antrag .
Danke schön .
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Regionale
Wirtschaftspolitik - Ein integriertes Fördersystem für
strukturschwache Regionen in ganz Deutschland schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11202, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10636
anzunehmen . Wer für diese Beschlussempfehlung
stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dann stelle ich fest, dass
diese Beschlussempfehlung - mit der größtmöglichen
Zustimmungsfähigkeit - von allen Fraktionen angenommen worden ist .
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr . Alexander
S . Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Für eine neue Ostpolitik Deutschlands
Drucksache 18/11167
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
erhebt sich dagegen keiner . Dann stelle ich fest, dass das
somit beschlossen ist .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke von der Fraktion
Die Linke das Wort .
({2})
Schönen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Fraktion Die Linke und auch ich selber sind grundsätzlich davon überzeugt, dass wir eine
sehr gründliche Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik brauchen . Wie immer, wenn es personelle Veränderungen gegeben hat, kann man inhaltlich einmal darüber nachdenken, ob alles beim Alten bleiben soll . Ein
Weiter-so in der deutschen Außenpolitik ist für uns völlig inakzeptabel und führt in die Irre . Im Zentrum einer
Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik muss auch
eine neue Politik gegenüber Russland stehen; das kann
gar nicht oft genug gesagt werden . Man muss sich hier
entscheiden, ob Russland für unser Land ein strategischer Partner ist oder ob Russland mittlerweile zu einem
Gegner oder Feind gemacht werden darf . Letzteres halte
ich für eine Katastrophe . Wir wollen, dass Russland für
Deutschland ein strategischer Partner ist und ein strategischer Partner bleibt . Das ist die Grundaussage unseres
Antrags .
({0})
Wir wollen, dass man sich darauf einigt, dass alle
bestehenden Differenzen - darüber kann man nicht hinwegschauen - auf friedliche Art und Weise miteinander
gelöst werden .
({1})
Der friedliche Umgang auch und gerade bei Differenzen
war die Grundlage der sozialdemokratischen Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr . Wir haben uns erlaubt, den Titel unseres Antrags bei der SPD
auszuleihen . Nun ist das Problem, dass wir deutsche
Ostpolitik betreiben, während die Sozialdemokraten das
mittlerweile immer weniger tun . Ich bin dafür, dass wir
uns hier einigen - obwohl ich nicht daran glaube, dass
das eintreten wird -: Alle Differenzen innerhalb und außerhalb Europas müssen auf friedliche Art und Weise gelöst werden . Das Getöse, wie wir es auf dem NATO-Gipfel erlebt haben, soll endlich aufhören .
({2})
Das Geld für Rüstung hinauszuschmeißen, ist doch keine
sinnvolle Zukunftspolitik, sondern das Gegenteil .
({3})
- Ich verstehe schon . Ich habe doch ein schönes Angebot
gemacht . Sie hätten auch Ja sagen können .
Ich bin dafür, darüber nachzudenken, wie der gemeinsame Raum von Wladiwostok bis Lissabon - das wird
auch oft von sozialdemokratischen Kollegen angeführt inhaltlich gefüllt werden kann . Was soll denn in diesem
gemeinsamen Raum passieren? Was ist die Grundlage
dafür? In einem solchen gemeinsamen Raum müssen die
Grundlagen Abrüstung - wenn es sein muss, auch einseitige Abrüstung -, Handel statt Krieg gegeneinander,
Gleichberechtigung und Sicherheit sein .
({4})
Wenn man ernsthaft über die Zukunft nachdenkt, dann
könnte ich mir vorstellen, dass die im Aufbau befindliche
eurasische Union und die Europäische Union in diesem
gemeinsamen Raum nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten .
Es ist doch Irrsinn, dass man heute noch immer von
einem Blockdenken ausgeht und sich manche Staaten
als Bollwerk gegenüber Russland und nicht als Brücke
zu Russland verstehen . Wir wollen diesen gemeinsamen
Raum, politisch, sozial, wirtschaftlich, und wir möchten,
dass dieser gemeinsame Raum inhaltlich gefüllt wird .
Wenn man das will und insofern zur Entspannungspolitik zurückkehrt, dann muss man die Sanktionen beenden . Das Ende der Sanktionen ist die zentrale Maßnahme, um das Verhältnis zu Russland zu verbessern .
({5})
Ohne ein Ende der Sanktionen wird das nicht eintreten,
es wird nicht möglich sein . Ich denke, wenn man über
diesen gemeinsamen Raum der Politik nachdenkt, sollte man auch darüber nachdenken, dass man die NATOOsterweiterung zurücknimmt und in einem ersten Schritt
mindestens zu dem Zustand zurückkehrt, den man bei der
Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags gehabt hat .
Ohne eine Rücknahme der NATO-Osterweiterung wird
keine konstruktive Zusammenarbeit möglich sein .
Ich bin dafür, dass man darüber nachdenkt - hier haben wir natürlich Differenzen, und es ist wichtig, diese
auszutragen -, die Truppenstationierung an der russischen Westgrenze zu beenden und die Truppen endlich
zurückzunehmen .
({6})
Der Trick mit dem rotierenden System hat doch keinen
Bestand . Ich möchte gerne, dass man in dem Kontext der
Rücknahme der Sanktionen auch überlegt, wie man miteinander solche Probleme wie in der Ukraine vernünftig
löst . Es ist sehr gut, dass man sagt: Wir bleiben bei Minsk
II . - Das wiederhole ich hier . Wir haben Minsk II immer
verteidigt . Das tun nicht alle hier im Hause .
({7})
Dann muss man einen Weg finden, wie man die unterschiedlichen Auffassungen, die sich hier entgegenstehen,
miteinander aussöhnen kann . Ich bin dafür, dass man
nicht nur stereotyp wiederholt: „Minsk II muss greifen“,
sondern eine zeitliche Abfolge der einzelnen Punkte zustande bringt .
({8})
Wissen Sie, zu behaupten, die Russen seien an allem
schuld, ist nun wirklich dummes Zeug . Uns wurde im
Auswärtigen Ausschuss eine Vorführung des Präsidenten
des BND und des Präsidenten des Verfassungsschutzes
geboten . Diese hatte den Tenor: Nichts Genaues weiß
man nicht, aber an allem sind die Russen schuld . - Dieser
Unsinn muss doch endlich aufhören .
({9})
Wir müssen zu einem vernünftigen Verhältnis mit
Russland kommen, sodass man auch über solche Probleme reden kann .
({10})
- Jetzt seid ihr plötzlich sehr begeistert von Trump .
Trump und Krim . - Die Krim-Frage wird man lösen können .
({11})
Könnt ihr euch noch an eure eigene Politik erinnern? Es
gab immer eine unterschiedliche Auffassung, wie man
mit der DDR umgeht . Aber trotzdem hat man miteinander verhandelt und keine Vorbedingungen gestellt . Wer
glaubt, dass sich Russland erst einmal von der Krim zurückziehen muss, der versteht nichts von Realpolitik . Das
ist schlichtweg Unsinn, der bewegt sich im Wolkenkuckucksheim .
({12})
So verhandelt man nicht . Das kann man von Willy Brandt
und Egon Bahr lernen .
Schönen Dank, der Präsident leuchtet hier . Der Präsident leuchtet immer .
({13})
In diesem Fall ist es die Anzeige für Ihre Redezeit .
({0})
Mittels der Anzeige leuchtet der Präsident . Ich komme
dann zum Schluss .
Mir geht es darum, dass wir in den Ausschüssen sehr
gründlich über eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik reden . Die ist dringend notwendig . Dazu
haben wir Ihnen Vorschläge unterbreitet . Vielleicht erkennen sozialdemokratische Kollegen das eine oder das
andere aus ihrer eigenen Geschichte wieder .
Herzlichen Dank .
({0})
Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Dr . Christoph
Bergner das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Gehrcke, ich muss Sie um Verständnis bitten: Meine Redezeit reicht nicht aus, um die absurden Behauptungen,
grotesken Schlussfolgerungen und anachronistischen
Narrative, die Ihren Antrag durchziehen, im Einzelnen
zu widerlegen . Ich will mich deshalb auf eine Diskussion
Ihres Anliegens beschränken . Warum Sie diesem AnlieWolfgang Gehrcke
gen das Schlagwort „neue Ostpolitik“ geben, ist mir nicht
ganz klar geworden; denn es geht um das Verhältnis zu
Russland . Ihr Anliegen ist, darauf hinzuweisen, dass das
Verhältnis zu Russland bedauerlich schlecht ist . - Das ist
wahr . Sie möchten, dass sich das bessert . Darüber würde
ich gern mit Ihnen ins Gespräch kommen .
Ich will zunächst einmal dem Eindruck entgegenwirken, den Sie ein bisschen subtil verbreiten . Sie tun so,
als ob es hier im Deutschen Bundestag oder in der Bundesregierung irgendjemand Konfliktsüchtiges gäbe, der
den Konflikt mit Russland wünscht. Wir alle bedauern,
dass es diesen Konflikt gibt. Ich kenne kein Mitglied des
Deutschen Bundestages, das nicht eigentlich enge und
partnerschaftliche Beziehungen Deutschlands zu Russland für besser hält, und ich kenne auch kein Mitglied
der Bundesregierung, das das nicht für besser hält . Also
bauen wir doch jetzt keine falschen Konflikte auf. Wir
können glücklicherweise auch davon ausgehen, dass die
menschlichen Beziehungen und die zivilgesellschaftlichen Beziehungen, so wir sie denn ausleben dürfen von
russischer Seite her, gut sind, dass sie jedenfalls kaum
von Aversionen und schon gar nicht von Hass bestimmt
sind .
Ich denke, in diese Aufzählung gehört auch, dass es an
gutem Willen vonseiten Deutschlands, der EU und auch
der NATO nicht gefehlt hat, partnerschaftliche Beziehungen zu Russland aufzubauen . Die EU hat in den letzten
zweieinhalb Jahrzehnten Partnerschafts- und Kooperationsabkommen geschlossen . Wir haben gemeinsame
Regierungskonsultationen mit Russland durchgeführt .
Es gab gemeinsame Gipfel . Es gab die NATO-Russland-Grundakte . Es hat von westlicher Seite wahrlich
nicht an der grundsätzlichen Bereitschaft und dem guten Willen gefehlt, ein partnerschaftliches Verhältnis zu
Russland aufzubauen . Aber spätestens mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der hybriden
Kriegsführung in der Ostukraine sind alle diese politischen Partnerschaftsbemühungen der EU und Deutschlands konterkariert worden . Das ist doch die Ausgangslage, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen .
({0})
Wer so manche verächtliche Äußerung russischer
Führer über das europäische Gemeinschaftsprojekt hört,
der muss einfach zur Kenntnis nehmen: Es gibt gegenwärtig bedauerlicherweise keine Anzeichen dafür, dass
von russischer Seite die Idee des europäischen Hauses
mit einer freiheitlichen Grundordnung weiter verfolgt
wird . Die russische Führung baut eine eurasische Kaserne, in der auf möglichst allen Fluren der Befehlston des
Kremls zu hören sein soll . Dies ist die Realität, von der
wir auszugehen haben .
Meine Damen und Herren, was ich an Ihrer Rede kritisieren muss, Herr Gehrcke, ist vor allem: Wer einen
Konflikt ausräumen will, der muss seine Ursachen kennen . Das ist das, was mich eigentlich umtreibt: Wo ist der
Geist der Charta von Paris, der am Anfang der ganzen
Entwicklung gestanden hat? In dieser Charta heißt es:
Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen .
({1})
Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig
auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden .
Sie haben keine Erklärung dafür geliefert, warum
Russland sich auf diese Charta, an diese Maxime und
an dieses Leitbild nicht mehr gebunden fühlt, Herrn
Gehrcke .
({2})
- Es scheint Ihnen egal zu sein, oder aber die Schlussfolgerungen gefallen Ihnen nicht .
Herr Gehrcke, Sie haben in Ihren Ausführungen zu
Recht darauf verwiesen, dass wir bei unserem europäischen Projekt geschichtliche Traumata aufarbeiten müssen . Sie haben den Zweiten Weltkrieg genannt; das ist
richtig . Sie haben aber nichts über die Zeit der Blockkonfrontation, nichts über die Zeit der unterdrückten
Souveränität mittel- und osteuropäischer Staaten gesagt,
und Sie haben das Phänomen des Totalitarismus völlig
ausgelassen .
({3})
Das heißt, wenn wir unser europäisches Projekt als ein
geschichtliches Aufarbeitungsprojekt betrachten, dann
kann das Thema der Aufarbeitung des Totalitarismus
nicht ausgeklammert werden, sondern es muss eine zentrale Rolle einnehmen . So heißt es ja auch in der Charta
von Paris aus dem Jahre 1990 - ich darf zitieren -:
Wir verpflichten uns, die Demokratie als die einzige
Regierungsform unserer Nationen aufzubauen, zu
festigen und zu stärken .
Vergleichen Sie dieses Leitbild mit der heutigen Situation in Russland . Damit ist doch der eigentliche Konfliktstoff beschrieben, der zu den auch aus meiner Sicht
bedauerlichen Konflikten führt, in denen wir uns befinden .
Nun kann man ja sagen, Russland solle machen, was
es will . Aber damit ist es ja nicht erschöpft . Wenn ein anderer postsowjetischer Staat, wie die Ukraine, nachdem
er ebenfalls eine totalitäre Phase durchlebt hat, nun den
ernsthaften Versuch macht, das Leitbild der Charta von
Paris zu realisieren und den europäischen Weg zu gehen,
dann betrachtet Russland diese Entscheidung als eine Bedrohung seines totalitären Gesellschaftsmodells, weil es
die Beispielwirkung einer erfolgreichen Ukraine fürchtet . Dies war die Grundlage für Annexion und hybride
Kriegsführung gegen die Ukraine .
Herr Gehrcke, wenn wir von dieser Analyse ausgehen, dann ist die Situation nicht ganz so einfach, wie
Sie sie darzustellen versuchen, so ungefähr: Wir sollten
doch möglichst alle lieb miteinander sein . - Nein, wir
haben festzustellen, dass hier Werte auf dem Spiel stehen, die für uns überlebenswichtig sind, und wir haben
zur Kenntnis zu nehmen, dass sich souveräne Völker,
die früher einmal Teil der Sowjetunion waren, für Werte
entschieden haben und wir ihnen die Möglichkeit geben
müssen, sie in Freiheit zu realisieren .
Herr Kollege Bergner, der Kollege Gehrcke hat vorhin
in seiner Rede bemerkt, dass das Display blinkt . Darf ich
Sie darauf aufmerksam machen, dass das bei Ihnen ebenso der Fall ist?
Ja, okay, gut . - Sie haben zu Recht auf die Debatte im
Ausschuss verwiesen . Ich möchte nur sagen: Der Antrag
bringt uns bedauerlicherweise in der Suche nach einem
Dialog mit Russland überhaupt nicht weiter . Er zeichnet
ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit und ist insofern eine
schlechte Grundlage für das, was wir möglicherweise
alle gemeinsam wollen .
({0})
Danke schön .
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marieluise Beck,
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal
das Erbe von Willy Brandt und Egon Bahr gegen den
illegitimen Erbanspruch der Linken würde verteidigen
müssen .
({0})
Die Ostpolitik von Brandt und Bahr mit dem Leitsatz „Wandel durch Annäherung“ fiel in eine Zeit, als
die Oder-Neiße-Grenze von der Bundesrepublik noch
nicht anerkannt war . Sie ging davon aus, dass, wenn sich
Deutschland wandle und die Oder-Neiße-Grenze anerkenne, auch im sowjetischen Osten und im Warschauer
Pakt Freiheitsräume entstehen könnten - Freiheitsräume für Menschen, deren Länder in Jalta zum Vorhof der
Sowjetunion erklärt worden waren, und zwar im Sinne
einer unerhörten kolonialen Aufteilungspolitik zwischen
Stalin, Roosevelt und Churchill .
Zu Zeiten von Willy Brandt ging es darum, Wege von
der Unfreiheit in die Freiheit zu ebnen . Die westlichen
Verfechter der Entspannungspolitik bestanden gegen den
Widerstand der UdSSR darauf, dass die Verpflichtung
der Menschenrechte in die Schlussakte von Helsinki aufgenommen wurde, und tatsächlich öffnete diese Bereitschaft zum Wandel im Westen Spielräume für friedensstiftende Aktivitäten im Osten .
({1})
Dieser Prozess führte letztlich zu den Vereinbarungen,
die wir heute als europäische Friedensordnung bezeichnen . Dies allerdings ist mit der Annexion der Krim und
dem Krieg im Donbass von der Führung der Russischen
Föderation infrage gestellt worden . Können Sie mir erklären, Herr Gehrcke, was für einen Wandel Sie jetzt auf
westlicher Seite vorschlagen?
({2})
Sollen wir über den Kopf der Ukraine hinweg die Abtrennung der Krim und die faktische Abtrennung des
Donbass anerkennen
({3})
und damit einen hinterhältigen Vertrag zulasten Dritter
abschließen? Der schändliche Hitler-Stalin-Pakt ist bei
uns fast in Vergessenheit geraten, aber bei unseren östlichen Nachbarn ist die Erinnerung an ihn noch sehr lebendig .
Es steht uns in Deutschland nie und nimmer zu, zwischen Berlin und Moskau wieder einmal eine Einigung
auf Kosten der Zwischenländer zu treffen. Ich empfehle
der Linkspartei, die für Deutschland beschämenden historischen Schriften von Timothy Snyder zu lesen, zum
Beispiel Bloodlands. Während die Revolutionen von
1989 Freiheit brachten, drängt die russische Führung die
errungenen Freiheiten etwa seit der Jahrtausendwende
im Innern immer stärker zurück . Außenpolitisch verbündet sich Russland inzwischen mit den Nationalisten von
UKIP, Le Pen, der AfD, Jobbik und anderen rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräften innerhalb der Europäischen Union . Der unberechenbare Trump - in meinem Manuskript steht „gilt“; vielleicht muss man jetzt,
nach dem Schicksal von Herrn Flynn, so sagen - galt in
Moskau als Hoffnungsträger.
Die Entspannungspolitiker der ersten Stunde wussten,
wer ihre Partner waren . Sie unternahmen keinen Versuch,
diese schönzureden . Hans Koschnick zum Beispiel erklärte dem polnischen Parteichef Gierek unumwunden,
dass er in dessen Weltbild ein Menschewik sei . Er wisse, welches Schicksal seine Genossen unter kommunistischer Herrschaft erlitten hätten . Auch wir sollten uns
von Illusionen über die russische Politik verabschieden
und uns darüber klar werden: Putins Russland hat den
Weg des Wandels, der Demokratisierung und der Modernisierung verlassen . Russland hat das Grundprinzip der
Entspannungspolitik, den Verzicht auf militärische Gewalt, verletzt und unsere Sicherheitsordnung gebrochen .
Breschnew wollte die Grenzen in Europa vertraglich sichern . Putin hat sie mit Gewalt verschoben . Das ist ein
zentraler Unterschied . Niemand würde bestreiten, dass
der Dialog mit Russland unabdingbar ist . Das bezieht
selbstverständlich Kompromisse ein . Aber die dürfen
niemals zulasten Dritter eingegangen werden .
({4})
Das verbietet unsere historische Verantwortung gegenüber den Ländern zwischen Deutschland und Russland; denn diese historische Verantwortung gilt genauso
wie unsere Verantwortung gegenüber Russland . Auch
Willy Brandts Ostpolitik galt allen Nachbarn; aber sie
war nicht teilbar .
Schönen Dank .
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Franz Thönnes für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das
Wort „Ostpolitik“ ist untrennbar mit dem Namen von
Willy Brandt verbunden . Aber nicht jeder Versuch, eine
Kopie anzufertigen, gelingt . Eine der lateinischen Inschriften auf dem weltbekannten Lübecker Holstentor, in
der Geburtsstadt Willy Brandts, lautet: „Concordia domi,
foris pax“ - „Eintracht drinnen, draußen Friede“. Dies
und seine politischen Maximen des Gewaltverzichts,
des Dialogs, des Kompromisses sowie eine Politik eingebettet in die NATO-Philosophie aus dem Bericht des
einstigen belgischen Außenministers Harmel, wonach
Sicherheit als die Summe von Verteidigung und Entspannung begriffen wurde, leiteten ihn und Egon Bahr bei der
Entwicklung ihrer Ostpolitik . Letzterer stärkte diese mit
dem Satz: Amerika ist unverzichtbar, Russland ist unverrückbar . Damit war klar: Zusammenarbeit mit den USA
und nachhaltige Sicherheit für Europa gibt es nicht ohne
und schon gar nicht gegen Russland .
({0})
Die Ostpolitik nach diesen Leitlinien hat über die
Kanzlerschaften von Helmut Schmidt und Helmut Kohl
letzten Endes zur deutschen Einheit beigetragen . Da diese Prinzipien auch heute noch richtig sind, gilt es nicht,
eine neue Ostpolitik zu entwickeln und damit so zu tun,
als sei die bisherige alt, sondern es gilt, auf diesen Prinzipien eine für die heutigen Bedingungen zeitgemäße Ostpolitik zu formulieren .
({1})
Die ehemalige Geopolitik besteht nicht mehr . Damals
standen sich zwei Systeme gegenüber . Zwei Großmächte
standen sich gegenüber . Bipolarität ist mittlerweile zur
Multipolarität geworden . Die Systemkonkurrenz hat
sich aufgelöst . Wir leben nicht mehr in einer Welt mit
zwei Blöcken . Sie ist komplexer geworden . Die heutigen
Konkurrenzen bestehen vielmehr zwischen Staaten mit
demokratischen, autokratischen und totalitären Systemen
sowie zwischen internationaler Kooperation und nationalistischer Abschottung .
Deutschland und Europa waren damals geteilt . Diese
Spaltung konnte glücklicherweise überwunden werden .
Zahlreiche mittel- und osteuropäische Staaten, darunter
die baltischen Länder, sind inzwischen Mitglied der EU
und der NATO geworden, haben von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht . Für diese Länder ist
dieser Schritt untrennbar mit dem Streben nach Freiheit,
nach Demokratie, nach Wohlstand und nach Sicherheit
verbunden .
Aus der Sowjetunion wurde das heutige Russland . Es
hat mit der Pariser Charta von 1990 die in der Grundakte
von Helsinki enthaltenen Prinzipien übernommen, denkt
aber weiterhin in Einflusssphären. Die seit den 90er-Jahren bestehende europäische Friedensordnung wurde
2012 durch die von Russland vorgenommene Annexion
der Krim sowie durch sein Vorgehen in der Ostukraine
bewusst verletzt .
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Lage und
der aktuell noch nicht ganz klar erkennbaren Positionierung Washingtons nach der Präsidentschaftswahl bedeutet der Satz im Lübecker Holstentor auch heute nichts
anderes als: Wer draußen Frieden sichern will, der muss
im Innern dafür sorgen und muss sich darum kümmern,
dass EU und NATO zusammenstehen, dass Union und
Bündnis innere Eintracht zeigen,
({2})
dass alle dabei sind, wenn es darum geht, europäische
Außen- und Sicherheitspolitik zu praktizieren, und dass
auch heute den neuen Mitgliedsländern die gleiche Sicherheit gegeben werden muss, wie sie uns über 40 Jahre
widerfahren ist .
Ebenso gilt dabei, dass wir nicht der Versuchung unterliegen dürfen, uns in einem neuen Kalten Krieg einzurichten, in dem zwar die Fronten geklärt werden, der
politische Dialog jedoch durch die Logik des Militärischen überlagert wird . Eine allein auf den Nationalstaat
reduzierte Außenpolitik schwächt die Eigeninteressen
und wird nicht zur gemeinsamen Sicherheit führen . Zeitgemäße Ostpolitik heißt, heute für uns eine europäische
Ostpolitik zu entwickeln; denn nur sie kann wirklich zu
einer europäischen Friedenspolitik führen .
({3})
Für Deutschland bedeutet dies, sich orientiert an seinen Interessen in den Bündnissen für deren Stärkung und
eine kluge Politik einzusetzen . Die bewährten Instrumente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik haben damit
weiter ihre grundlegende Bedeutung: Fähigkeit zu Kompromiss und Konsens, Kooperation statt Konfrontation,
Dialog und eine auf Werten basierte Politik, die auch die
Interessen anderer Staaten berücksichtigt .
Kluge Ostpolitik heißt ebenso, Russland wieder dazu
zu gewinnen, zu einem kooperativen Politikansatz zurückzukommen . Wichtig wären gerade jetzt wahrnehmbare Töne aus Russland, die deutlich machen, dass man
auf ein Europa des Miteinanders und nicht auf ein Europa des Gegeneinanders setzt .
Marieluise Beck ({4})
Im europäischen Haus gilt es, orientiert an den Hausordnungen aus Helsinki und Paris, wieder den Hausfrieden herzustellen . Zuallererst geht es darum, Minsk
umzusetzen . Damit würde der Weg zu einer friedlichen
europäischen Hausgemeinschaft geebnet, in der anerkannt wird, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken
inzwischen selbstständige Subjekte des Völkerrechts
sind . Hierzu ist ein gemeinsamer Sicherheitsdialog mit
Russland und seinen Nachbarn notwendig . Es sind auch
unsere Nachbarn . Es geht darum, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur zu entwickeln, zu der Egon Bahr im
Januar 2015 sagte:
Da darf kein Staat durch den Rost fallen . Jeder Staat
muss die gleiche Sicherheit haben .
Nur so kann - vielleicht unter dem Dach der OSZE ein Mechanismus gefunden werden, der sowohl Bedrohungs- wie Aggressionsbefürchtungen vermindert . Dazu
gehört auch die Einhaltung bestehender Abrüstungszusagen . Dazu gehört auch die Diskussion über neue Abrüstung, Transparenz und Kontrolle .
Der Grundtenor des Antrages der Linken ist leider
sehr national ausgerichtet . Er fordert einen Alleingang
durch den Austritt aus der NATO . Er wird eher zu Unsicherheit führen: in Europa und für uns . Er wird keine
neue Sicherheit bringen. Er kann nur Ablehnung finden.
So passt am Ende ein Satz Willy Brandts, den er im
September 1968 in einem Interview mit dem Spiegel
kurz nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer
Paktes in die Tschechoslowakei sagte:
Es kommt nicht darauf an, möglichst starke Worte
zu gebrauchen . Und es kommt nicht darauf an, herauszufordern . Es kommt nicht darauf an, Gemütsbewegungen zu befriedigen . Es kommt darauf an,
eigene Interessen zu wahren und das, was man will,
einzubetten in Interessen, die möglichst viele andere
auch haben .
({5})
Also: Ostpolitik europäisch denken, wertebasiert, realistisch und multipolar, Bündnisse zusammenhalten, so
viel Sicherheit wie notwendig und so viel Kooperation
und Dialog wie möglich .
({6})
Der Kollege Karl-Georg Wellmann spricht jetzt für
die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als mir
Christoph Bergner gestern erstmalig den Text des Antrags zeigte, dachte ich erst an einen Karnevalsscherz .
Aber nach Ihrer Rede muss man ja davon ausgehen, dass
das ernst gemeint ist .
({0})
Herr Gehrcke, Sie sind doch sonst ganz vernünftig .
({1})
Wie konnte denn passieren, dass Sie so einen Antrag formulieren? Das müssen Sie uns mal erklären . Das geht
so nicht . Er liest sich wie ein Besinnungsaufsatz der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft . Das ist
DKP-Lyrik aus der Mottenkiste - unterste Schublade . Ich
weiß, Sie waren mal stellvertretender Bundesvorsitzender der DKP . Aber diese frühkindliche Prägung müssen
Sie mal irgendwann überwinden . Das geht nicht . Wir
sind 30 Jahre weiter, wir sind im 21 . Jahrhundert, Herr
Kollege .
Der Antrag ist wirklich voll von verrutschten Bildern
und falschen historischen Ansagen . Sie sprechen von der
Konferenz von Helsinki 1973, von den Vorbedingungen
einer „friedlichen Koexistenz in Europa, deren Ergebnisse noch heute spürbar sind“. Das wüssten wir. Es war
die Sowjetunion, die in Helsinki zur Bedingung gemacht
hat, dass Grenzen unverletzlich sind . Breschnew hätte
ohne die Bedingung unverletzlicher Grenzen nie unterschrieben . Und Russland hat dieses Prinzip jetzt verletzt,
niemand anders .
Das Nächste ist - das muss man wirklich zweimal lesen -:
Der Grundkonsens deutscher Politik, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, ist
seitdem vielfach gebrochen worden .
({2})
Das heißt also aus Ihrer Sicht: Von deutschem Boden ist
vielfach Krieg ausgegangen .
({3})
Das ist doch völlig irre . In welcher Realität leben Sie
denn? Aber wir kennen das ja schon von Ihnen, von
Frau Dağdelen und anderen. Das ist so eine Art Zwangsvorstellung von einem militaristischen Deutschland, in
dem eine Art Waffen-SS schon wieder die Panzermotoren warmlaufen lässt . Das ist russische Propaganda,
Kisseljow - auch wirklich unterste Schublade .
Und dann sagen Sie:
Nach der Auflösung des Warschauer Paktes erwarteten viele Menschen in allen Teilen Europas einen
Abbau der Strukturen der NATO …
({4})
Das Erste, was die Länder wollten, die unter kommunistischer Zwangsherrschaft gestanden hatten und die
Freiheit erhielten, war, Mitglied der NATO zu werden bevor sie in die EU kamen -, um Sicherheit vor Russland
zu bekommen . Das Gegenteil von dem, was Sie hier sagen, ist also richtig .
Sie schreiben auch:
Von beiden Seiten in Europa … ist eine Rückkehr
zum Völkerrecht … dringend geboten .
Sie scheinen also offenbar die Vorstellung zu haben,
dass der Westen militärisch über die Ukraine hergefallen
ist . Auch da leben Sie in einer völlig falschen Realität .
({5})
In diesem Zusammenhang muss ich mich jetzt mal an
die Freunde von der SPD wenden . Ich habe nämlich einen gewissen Verdacht . Ihr habt ja im letzten Jahr eine
sehr merkwürdige Sitzung mit der Linkspartei gehabt, so
eine Art spiritistische Sitzung mit Geisterbeschwörung .
({6})
Ein paar Grüne, die dabei waren, sind auch erwischt worden .
({7}):
„Erwischt worden“?)
- Der Toni ist gesehen worden .
({8})
Man weiß ja, dass bestimmte Kräfte der Linkspartei
gegen eine Beteiligung an einer Regierung mit der SPD
sind . Frau Wagenknecht will das, oder, genauer gesagt,
das Ehepaar aus dem Saargebiet . Ich habe den Eindruck,
dass Sie mit Ihrem Antrag eine rot-rot-grüne Koalition
sabotieren wollen .
({9})
Herr Gehrcke, das ist gefährliches Terrain . Die alten
SED-Kader in Ihrer Partei wollen endlich an die Macht .
Also passen Sie auf, dass Sie in Ihrer Partei nicht in die
Minderheit geraten .
({10})
Sie landen am Ende noch vor der Arbeiter- und Bauerninspektion Ihrer Partei . Da müssen Sie aufpassen .
Liebe Sozialdemokraten, irgendwann kommt dieser
Antrag ans Licht . Wir sind ja weitgehend unter uns; aber
irgendwann liest das ein Journalist . Und Sie haben immer
noch die wahnhafte Vorstellung, Sie könnten Mehrheiten
jenseits der CDU/CSU bilden .
({11})
Also: Mit der AfD werden Sie nicht zusammengehen
wollen . Mit der FDP ist es ganz schwierig . Es erinnert
mich immer an Goethes Faust:
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten …
({12})
Martin Schulz hat mehrfach davon gesprochen, Ihr
Herr Parteivorsitzender heute in der FAZ: Mehrheit jenseits der Union . - Schauen Sie mal genau in den Antrag .
Sie können es schwarz auf weiß lesen: Auflösung der
NATO, Rückzug Deutschlands aus den militärischen
Strukturen der NATO . ({13})
Das steht hier drin .
({14})
- Herr Kollege, einer Partei, die derart lebensgefährlichen Unsinn verzapft, darf man nicht zur Macht verhelfen . Das ist klar .
({15})
Wenn Sie das nicht ganz schnell klarstellen, werden Sie
für weite Teile der Bevölkerung nicht mehr wählbar sein .
Machen Sie lieber Folgendes: Loben Sie die großartigen
Leistungen dieser Großen Koalition, und bekommen Sie
Ihre Lust am Untergang möglichst schnell in den Griff.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({16})
Der Kollege Dr . Fritz Felgentreu spricht jetzt für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
die Emotionen jetzt so hochgekocht sind, vielleicht mal
wieder zurück zum Thema .
({0})
Das Verhältnis Deutschlands und der EU zu Russland ist
kompliziert, aber die Beratung darüber ist heute eigentlich ganz einfach .
Lieber Kollege Gehrcke, wir brauchen keine neue
Ostpolitik . Die alte tut es auch, zeitgemäß formuliert,
wie Franz Thönnes es eben getan hat . Wir haben mit dieser alten Ostpolitik niemals aufgehört . Dass beide Seiten
heute trotzdem wieder streiten, hat mit ein paar Grundsatzentscheidungen zu tun, die in Moskau getroffen worden sind .
({1})
Aber bevor ich das erläutere, darf ich vielleicht noch
einmal ins Gedächtnis rufen, worum es bei der Ostpolitik eigentlich geht, seitdem Willy Brandt, Egon Bahr und
auch Walter Scheel vor jetzt bald 50 Jahren damit angefangen haben . Die Ostpolitik hat aus meiner Sicht zwei
Pfeiler: Der eine ist der Wandel durch Annäherung . Seine
Instrumente sind der Dialog, das Abstecken von Feldern,
auf denen gemeinsame Lösungen möglich sind, Vertrauensbildung, der Abschluss von Verträgen und das größtmögliche Ausmaß an Handel und Wandel, um wirtschaftliche, wissenschaftliche und menschliche Beziehungen
zur Grundlage des Miteinanders zu machen . Daneben
tritt ein zweiter Pfeiler, der genauso unverzichtbar ist,
um das Dach der Ostpolitik zu tragen . Das ist die Westbindung Deutschlands, also die felsenfeste und nicht hinterfragbare Verankerung in der Gemeinschaft der Länder
und Bündnisse, die sich durch die organische Verbindung
von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszeichnen .
Meine Damen und Herren, es ist, glaube ich, kein Zufall, dass dieser zweite Pfeiler der Ostpolitik in dem Antrag der Linken mit keinem Wort auftaucht . Die Linke ist
in großen Teilen nach wie vor eine politische Kraft, die
sich mit der Westbindung nicht identifiziert.
({2})
Eine andere, am anderen Ende des politischen Spektrums, schickt sich an, nach den Wahlen im September
rechts von der Union ihren Keil in dieses Haus zu treiben .
Für uns ist die Akzeptanz der Westbindung die Kompassnadel, nach der sich die politischen Kräfte ausrichten, die
aus dem Zweiten Weltkrieg den Schluss gezogen haben,
nie wieder strategisch einen deutschen Sonderweg einzuschlagen, der uns in Opposition zu den USA, zu Großbritannien und zu Frankreich bringen muss .
({3})
Lieber Herr Gehrcke, was ist das von Ihnen propagierte kollektive Sicherheitssystem überhaupt? Letztlich ist
dieses kollektive Sicherheitssystem nichts anderes als ein
schönes Wort für einen solchen Sonderweg . Er führt unser Land erst in die Irre und dann in Gefahr .
({4})
Die deutsche Ostpolitik hat unglaubliche Erfolge gezeitigt . Sie war nicht die einzige, aber eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass wir am Ende des Kalten
Krieges die Wiedervereinigung Europas in Frieden und
Freiheit erleben durften .
Wenn wir heute, mehr als 25 Jahre nach diesem historischen Durchbruch, dennoch wieder Streit mit Russland
haben, dann liegt das unter anderem daran, dass es unter
den Eliten des russischen Staates immer einflussreiche
Netzwerke gegeben hat, die das Ende des Sowjetimperiums als Niederlage auffassen, deren Folgen revidiert
werden müssen . Es wäre ganz falsch, aus dieser Tatsache
die These abzuleiten, dass die Ostpolitik auf dem Fundament der Westbindung gescheitert sei und durch eine
nebulöse neue Ostpolitik unter Auflösung des Westens
ersetzt werden müsse . Den Krieg in der Ukraine müssen
wir auch vor dem Hintergrund dieser auf russischer Seite
weitverbreiteten Mentalität verstehen. Aber „verstehen“
heißt eben nicht „Akzeptanz“.
An Grundsätzen wie dem Selbstbestimmungsrecht
der Staaten und der Hoheit des Völkerrechts und internationalen Verträgen müssen wir mit Zähnen und Klauen
festhalten, wenn wir überhaupt eine Chance darauf haben
wollen, dass es mit dem Wandel durch Annäherung auch
in Russland selbst weitergehen kann . Die Sanktionen,
die die Linke kritisiert, sind ein angemessener Ausdruck
dieser Haltung . Sie antworten konsequent auf die politischen und auf die ganz konkreten Grenzüberschreitungen, die wir erleben mussten . Aber sie machen zugleich
deutlich, dass wir den Streit mit Moskau nicht als einen
Normalzustand betrachten und dass wir Russland wiedergewinnen wollen . Wir wollen Russland dafür wiedergewinnen, dass es als verlässlicher Partner zur Sicherheit
Europas und der ganzen Welt beiträgt .
Ähnliches gilt für die dauerhafte Präsenz dreier
NATO- Bataillone im Baltikum . Sie untermauern und demonstrieren die Bündnissolidarität in einer für die betroffenen Länder bedrohlichen Lage . Gleichzeitig sind sie,
wie wir alle wissen, überhaupt nicht in der Lage, Russland zu bedrohen . Damit dienen sie einer Ostpolitik auf
dem Fundament der Westbindung, wie Deutschland sie
seit Jahrzehnten beharrlich verfolgt . Es gibt überhaupt
keinen Grund, davon abzurücken .
Eine neue Ostpolitik, wie die Linke sie sich vorstellt,
kann zur Sicherheit Deutschlands und Europas nichts
Gutes beitragen . Über einzelne gute Ideen, die der Antrag der Linken gleichwohl enthält - ich denke zum Beispiel an Ihre Vorschläge zum Schüler- und Studentenaustausch -, werden wir in den Ausschüssen konstruktiv
diskutieren .
({5})
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Bernd Fabritius, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
deutsche Außenpolitik dieser Legislaturperiode legt
einen Schwerpunkt auf die Länder in der näheren und
weiteren östlichen Nachbarschaft Deutschlands . Gründe
dieser Fokussierung sind die traditionell guten BeziehunDr. Fritz Felgentreu
gen Deutschlands zu diesen Ländern, aber auch eine leider notwendige Krisendiplomatie . Die Beziehungen zu
und Gespräche mit Russland stellten entsprechend einen
weiteren Schwerpunkt dar . Inhaltlich ging es zumeist um
Sanktionspolitik oder Konflikte, an denen Russland in
verschiedenen Formen beteiligt ist .
Wir stehen in unseren Beziehungen zu den vielen
unterschiedlichen Ländern Osteuropas und zu Russland
vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen . Wenn
eine neue Ostpolitik formuliert werden soll, dann müssen Vielfalt und Unterschiede vorhandener Potenziale
dieser riesigen Region, um die es geht, darin Niederschlag finden. Diese Vielfalt, Herr Gehrcke, vermisse
ich im vorliegenden Antrag der Linken vollständig . Geschrieben steht „Ostpolitik“, gemeint ist einzig und allein „Russlandpolitik“. Das gipfelt in dem Satz: „Eine
große Mehrheit . . . in unserem Land wünscht eine Politik
der friedlichen Koexistenz und guten Nachbarschaft mit
Russland.“ Es scheint, als würden unsere direkten und
mittelbaren Nachbarn, etwa Polen oder das Baltikum,
und deren Sorgen und Nöte in Ihren Vorstellungen überhaupt nicht existieren .
Diese Mentalität, Herr Gehrcke, ist es, die in vielen
osteuropäischen Staaten Misstrauen gegen eine Ostpolitik Ihrer Vorstellung schürt . Zu oft wurde bereits über
die betreffenden Länder hinweg und deren Schicksal entschieden; der Hitler-Stalin-Pakt ist angesprochen worden .
Zentrale Elemente maßgeschneiderter Ostpolitiken das ist das, was wir eigentlich brauchen; Herr Kollege
Thönnes, Sie haben Multipolarität zu Recht angesprochen - müssten freier Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, eine mit der NATO und den europäischen
Partnern abgestimmte Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Förderung politischer Stabilität durch
Rechtsstaatlichkeit und Stärkung der Demokratie sein .
Die wirtschaftliche Komponente, meine Damen und
Herren, decken wir unter anderem über die EU durch
vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen im
Rahmen geschlossener Assoziierungsabkommen ab . Für
Länder ohne solche Abkommen müssen ähnliche Formate noch entwickelt werden .
Die ersten wichtigen Schritte im Rahmen einer den
veränderten Bedingungen angepassten Sicherheits- und
Verteidigungspolitik stellen mit Sicherheit die Truppenverlegungen im Rahmen der jüngsten NATO-Mission dar . Diese Maßnahmen sind nach der Intervention
Russlands in der Ostukraine und der Annexion der Krim
schlicht notwendig . Dass Sie, Herr Gehrcke, in Ihrem
Antrag fordern - Zitat -, „dem Narrativ einer russischen
Aggression ... entgegenzutreten“, ist, mit Verlaub, postfaktisch und deswegen abzulehnen .
({0})
Besondere Schwerpunkte einer durchdachten Ostpolitik müssen der Schutz von Grundrechten und die Förderung der Rechtsstaatlichkeit sein . Der KSZE-Schlussakte
von Helsinki ist klar zu entnehmen: Keine Menschenrechte ohne Sicherheit, aber auch keine Sicherheit ohne Menschenrechte . Im Interesse der Stabilität Europas müssen
wir deshalb entschieden jeder Verletzung gemeinsamer
Werte entgegentreten . Russland, Herr Gehrcke, kultiviert
das Recht des Stärkeren . Wir müssen diesem die Stärke
des Rechts entgegensetzen .
({1})
Weltweit erleben wir derzeit Versuche, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung durch Verfassungsänderungen, Dekrete oder Gesetze auf eine Weise zu schwächen,
in welcher die Demokratie in den jeweiligen Ländern
ernsthaft in Gefahr gebracht wird . Dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf Osteuropa; doch kommt dieser
Region eine Schlüsselrolle für die Stabilität Europas und
damit Deutschlands zu .
In der Ukraine geht die Korruptionsbekämpfung nur
quälend langsam voran . Antikorruptionsgesetze, die teilweise seit Jahren umgesetzt werden sollten, werden verschleppt .
In Rumänien konnte nur durch den beherzten und
friedlichen Protest der Bevölkerung gegen die eigene
Regierung eine Regelung vorerst verhindert werden, die
es wegen Korruption verurteilten Politikern der eigenen
Partei ermöglicht hätte, hohe Regierungsämter zu übernehmen . Das Problem ist noch nicht gebannt .
In Polen hat die faktische Lähmung des Verfassungsgerichts die Venedig-Kommission des Europarats zu der
alarmierenden Stellungnahme veranlasst, es werde derzeit offenbar sichergestellt, dass das Verfassungsgericht
im Einklang mit der derzeitigen politischen Mehrheit
agiere .
Meine Damen und Herren, dass die Bundeskanzlerin
dies bei ihrem Besuch in Warschau vergangene Woche so
deutlich kritisiert hat, war genau richtig . Es war die erforderliche Unterstützung der Polen in ihrem Kampf für demokratische Werte, den diese seit Jahrhunderten führen .
Bereits 1791 verabschiedete der Sejm die erste freiheitliche Verfassung Europas . In den 80er-Jahren stritt die
Solidarnosc für mehr Beteiligungsrechte und erkämpfte
freie Wahlen . Die Bundeskanzlerin hat die Polen daran
erinnert, was Polen und was Europa stark gemacht hat:
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine freie Zivilgesellschaft .
In Grundzügen wurde diese Vorstellung nach der politischen Wende sogar in Russland geteilt . Perestroika und
Glasnost beruhten darauf . Dass es dort zu einem erneuten
Wertewandel zum Negativen hin gekommen ist, der auf
Abgrenzung statt auf Zusammenarbeit basiert, macht gerade eine neue, entschiedene Ostpolitik notwendig .
In einem einzigen Punkt würde ich Ihrem Antrag zustimmen . Herr Gehrcke, ich habe lange gesucht, bis ich
etwas gefunden habe, dem man zustimmen kann .
({2})
Sie fordern - das wurde bereits erwähnt; Sie fordern es
leider halblaut und nur im letzten Satz; ich zitiere - eine
Verstärkung der Studienförderung und des Studierendenaustausches . Damit, allein damit haben Sie recht . Solche
Projekte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
dienen der Völkerverständigung und sollten darum in
eine ausgewogene Ostpolitik nachhaltig einfließen.
Danke .
({3})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla-
ge auf Drucksache 18/11167 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Ich sehe, dass
Sie damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes
und anderer Vorschriften
Drucksache 18/7557
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Drucksache 18/11171
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Kirsten
Tackmann, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Wasserqualität für die Zukunft sichern Düngerecht novellieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Peter Meiwald, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neues Düngerecht endlich beschließen
Drucksachen 18/1332, 18/9044, 18/11171
Jetzt sind die Umweltpolitikerinnen und -politiker gefordert .
({2})
- Die Landwirtschaftspolitiker .
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Interfraktionell wurde vereinbart, dass die Aussprache
38 Minuten dauern soll . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die
Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr . Maria Flachsbarth .
Bitte schön .
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den vergangenen Sitzungswochen hat der Deutsche
Bundestag häufig zentrale Themen aus dem Bereich der
Landwirtschaft, der Ernährung und der ländlichen Räume debattiert . Mich freut, dass damit diese für unser
Land und unsere Gesellschaft so wichtigen Themen in
die Mitte der parlamentarischen Aufmerksamkeit gerückt
wurden . Denn genau dahin, in die Mitte, gehört auch die
Landwirtschaft selbst - in die Mitte der Gesellschaft .
Wir verdanken der deutschen Landwirtschaft viel .
Noch nie in unserer Geschichte hatten wir so gesunde, so
sichere und so vielfältige Lebensmittel wie heute .
({0})
Das leisten in erster Linie unsere Bäuerinnen und Bauern . Unsere Bauernfamilien haben deshalb unsere Unterstützung und unsere Wertschätzung verdient .
Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen
wir: Die deutsche Landwirtschaft kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sie von einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz getragen ist . Zu einer gesellschaftlich
akzeptierten landwirtschaftlichen Nutztierhaltung leistet
die Einigung beim Düngepaket, über das wir heute sprechen, einen wesentlichen Beitrag .
({1})
Wir müssen unser Grundwasser vor übermäßigen
Nitrateinträgen schützen und die Ammoniakemissionen
aus der Landwirtschaft reduzieren . Aber wir müssen
unseren Landwirten auch die Möglichkeit geben, ihre
Pflanzen bedarfsgerecht mit Nährstoffen zu versorgen.
({2})
Ich freue mich deshalb, dass uns mit der neuen Düngeverordnung ein ausgewogener Ausgleich zwischen den
Umweltinteressen, Frau Höhn,
({3})
und einer praxistauglichen Lösung für unsere Bauern gelungen ist . Das Düngegesetz, das wir heute beraten, bildet
die gesetzliche Grundlage für die Düngeverordnung und
damit auch für die Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie in
Deutschland . Damit ist ein Paket geschnürt, das der bäuerlichen Landwirtschaft ein ökonomisch tragfähiges und
zugleich ressourcenschonendes Wirtschaften ermöglicht .
Gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium und den
Ländern haben wir uns darauf verständigt, die Steuerung
und Überwachung von Nährstoffströmen deutlich zu verbessern. Hier schafft der Bund die gesetzlichen Vorgaben; bei der Kontrolle sind aber die Länder gefordert .
Mit der Düngegesetzgebung haben wir eine stärkere
Regionalisierung und damit standortangepasste Differenzierung des Düngerechts vereinbart . Es sieht beispielsweise zusätzliche Vorgaben für Gebiete mit kritischen
Nitratwerten vor, aber eben auch Entlastungen für unproblematische Gebiete . In der Novelle der Düngeverordnung vorgesehene Maßnahmen sind unter anderem
die bundeseinheitliche Regelung der Düngebedarfsermittlung für Stickstoff auf Acker- und Grünland, die
Verlängerung der Zeiträume, in denen keine Düngemittel
ausgebracht werden dürfen, sowie die Ausweitung der
Abstände für die Stickstoff- und Phosphatdüngung in der
Nähe von Gewässern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle der
Düngeverordnung zielt darauf ab, den Stickstoff effizienter zu verwerten und die Emissionen von Ammoniak bei
der Düngung zu reduzieren . Zudem wird das Verfahren
zur Ermittlung des Stickstoffdüngebedarfs der Pflanzen
weiterentwickelt, konkretisiert und bundesweit vereinheitlicht . Der ermittelte Düngebedarf darf in der Regel
nicht überschritten werden . Damit die landwirtschaftlichen Betriebe die notwendigen Vorgaben aber leichter
umsetzen können, werden wir neue Techniken fördern,
zum Beispiel die bodennahe Ausbringung von Gülle . Ich
denke, das ist ausgesprochen sinnvoll .
Mit der Einigung beim Düngepaket setzen wir auch
das Bekenntnis aus dem Koalitionsvertrag um, eine flächengebundene landwirtschaftliche Nutztierhaltung in
Deutschland anzustreben .
Sehr herzlich danke ich allen beteiligten Kolleginnen
und Kollegen, insbesondere aus den Koalitionsfraktionen
und aus den Ländern, für wirklich konstruktive Beiträge .
Es hat lange gedauert, aber jetzt ist es endlich gut . Ich bin
zuversichtlich, dass wir die Beratungen im Bundesrat voraussichtlich im März dieses Jahres abschließen können .
Lieber Kollege Priesmeier, es waren tatsächlich nicht
immer ganz einfache Verhandlungen .
({4})
Aber es hat sich gezeigt, dass nur im konstruktiven Miteinander und in einem fairen Dialog sinnvolle Lösungen
erreicht werden können . Daran sollten wir für den Rest
der Legislaturperiode gemeinsam festhalten . Wir drücken uns nicht vor schwierigen Themen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern wir steuern mit Augenmaß
nach und gehen die Akzeptanzprobleme der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung damit wirkungsvoll an . Die
Menschen erwarten von uns, dass wir liefern, und mit
dem Düngepaket haben wir geliefert . Ich bitte Sie daher,
dem von Bundesminister Christian Schmidt vorgelegten
Düngegesetz zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Dr . Kirsten Tackmann,
Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Zu viel Dünger auf den Feldern und zu viel
Nitrate in den Gewässern und im Grundwasser - das hat
unterdessen wohl jeder schon mal gehört . Das beunruhigt
oder alarmiert immer mehr Menschen. Ich finde, das passiert zu Recht und nicht nur in den besonders betroffenen
Regionen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens .
Um dieses Problem der Überdüngung zu lösen, muss
das Düngerecht endlich novelliert und geändert werden .
Aber weil Deutschland seine Hausaufgaben eben nicht
gemacht hat, sitzt uns mittlerweile auch die EU mit Klagen und einem Vertragsverletzungsverfahren im Nacken .
Angesichts dieses Handlungsdrucks finde ich, dass diese
jahrelangen, endlosen Debatten in der Koalition unverantwortlich sind .
({0})
Mindestens zweimal wurde dieses Gesetz zu Weihnachten versprochen; die Bescherung blieb aus . Mehrfach wurden endgültige Einigungen öffentlich verkündet
und wieder zurückgezogen . Mehrfach stand das Gesetz
auf der Tagesordnung des Bundestages, wurde dann aber
wieder abgesetzt . Unterdessen ist vielen in der Landwirtschaft eigentlich nur noch wichtig, dass entschieden
wird, und nicht mehr, was . - Wenn das Ihr großer Plan
war, ist zumindest der aufgegangen . Wenn die Strategie verfolgt wurde: „Wer nicht überzeugen kann, sollte
wenigstens Verwirrung stiften!“, waren Sie auch damit
zeitweise erfolgreich . Aber vertrauensbildende Politik ist
das leider nicht .
({1})
Dabei geht es hier um ein ganz wichtiges Spannungsfeld . Bisher steht nämlich auf der einen Seite der Schutz
des öffentlichen Guts Wasser und der Naturressource
Boden vor zu hohen Nährstoffeinträgen. Auf der anderen
Seite steht die Ertragssicherung als Grundlage der Lebensmittelversorgung, zu der Düngung gebraucht wird .
Dabei geht es auch um landwirtschaftliche Einkommen;
es ist also auch eine soziale Frage .
({2})
Eine vernünftige Lösung muss endlich dieses Gegeneinander von Schützen und Nutzen beenden . Beides muss
eng miteinander verknüpft werden . Dieses neue Denken
wird dringend gebraucht, ist aber leider nur partiell erkennbar .
Deshalb ist aus Sicht der Linken mit der heutigen Beschlussfassung die Kuh eben noch nicht vom Eis . Ich bin
mir nicht sicher, ob die Kompromisse von Union und
SPD in Brüssel und vor der Realität standhalten, zum
einen, weil zum Beispiel schwammige und vage Formulierungen im Gesetz zu viel Platz für Ausweichmanöver
in der Umsetzung lassen . Viele Betriebe müssen zum
Beispiel erst 2023 überhaupt etwas ändern . Zum anderen
müssen das Düngegesetz und die Düngeverordnung gemeinsam betrachtet werden . Die Verordnung wurde aber
erst gestern im Bundeskabinett beschlossen . Dem Ausschuss liegt sie nicht vor,
({3})
und selbst auf der Homepage des Ministeriums war sie
heute Vormittag noch nicht zu finden.
({4})
Vielleicht wissen die Umweltverbände ein bisschen
mehr . Jedenfalls sehen sie wie wir das Gesetz als ersten Schritt in die richtige Richtung . Aber auch sie bezweifeln, dass die Vorgaben der EU erfüllt werden, und
befürchten nach wie vor Strafzahlungen in Milliardenhöhe wegen weiter zu hoher Nitratbelastung besonders
im Grundwasser . Wenn Brüssel diese Kompromisse der
Koalition wieder kassiert, dann wäre es ein Desaster, und
zwar nicht nur für die Koalition, sondern leider und vor
allem für die Landwirtschaft; denn die braucht endlich
Planungssicherheit .
({5})
Trotz dieser Zweifel wird die Linke heute dieses Düngegesetz nicht ablehnen . Ich sage Ihnen auch, warum:
vor allem, weil immerhin ein Paradigmenwechsel gelungen ist und auch im Gesetz verankert wurde, wie es Professor Taube von der Uni Kiel in der Ausschussanhörung
formulierte . Ziel dieses Gesetzes ist nämlich nicht mehr
nur der maximale Ernteertrag,
({6})
sondern die Sicherung der Ernteerträge ist jetzt mit dem
Schutz der Gewässer und des Grundwassers eng verknüpft . Das ist richtig und überfällig .
({7})
Das dient übrigens auch der Sicherung der Ernten in der
Zukunft; denn gesunde Gewässer und Böden sind doch
die besten Verbündeten der Landwirtschaft .
({8})
Im letzten Moment wurde sogar der Zweck des Gesetzes noch verstärkt. Nun sollen Nährstoffverluste in die
Umwelt nicht nur verringert werden, wie es ursprünglich
im Entwurf der Bundesregierung zu lesen war, sondern
vermieden werden .
Auch bei der Hoftorbilanz hat sich Gott sei Dank die
SPD durchgesetzt . Bei richtiger Ausgestaltung ist das
durchaus ein wichtiges Instrument für die Betriebe, um
Überdüngung zu vermeiden . Dass das jetzt im Gesetz
nach dem Willen der Union „Stoffstrombilanz“ heißen
muss,
({9})
ändert hoffentlich an dieser Tatsache nichts.
Längst überfällig ist auch, dass die Gärreste in die
Düngemittelbilanz einbezogen werden . Auch dass die
Behörden nun koordinierter handeln können, halten wir
für vollkommen richtig und wichtig .
Aber zwei dringende strukturelle Ursachen des Problems werden bisher überhaupt noch nicht angegangen,
zum einen die hohen oder zu hohen regionalen Tierdichten und zum anderen die Megaställe, die es leider in einigen Regionen schon gibt . Als Linke wollen wir, dass die
Tierbestände fest an regional verfügbare Flächen gebunden und angepasst werden .
({10})
Nur dann geht es nämlich um Düngung mit und nicht um
Entsorgung von Gülle, und daran werden wir festhalten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank . - Für die SPD spricht jetzt Dr . Wilhelm
Priesmeier .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich beginne meine Rede heute natürlich
nicht mit einer Bauernregel, sondern mit der Feststellung, dass heute ein guter Tag für die Umwelt ist und
wir im Hinblick auf die Landwirtschaft mit dem ganzen
Paket, das in den letzten Wochen und Monaten immer
zur Diskussion stand - von der Düngeverordnung über
das Düngegesetz bis zu der Anlagenverordnung -, einen
entscheidenden Schritt auch in Richtung Nachhaltigkeit
gehen .
Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben schon im Dezember 2012 in einem Antrag eine ganze Reihe von Forderungen gestellt . Diese Forderungen setzen wir mit dem
heutigen Tage um . Das heißt, wir versprechen nicht nur,
sondern die SPD liefert auch .
Auf dem Weg dahin hatten wir natürlich eine ganze
Reihe von Widerständen zu überwinden . Die Einsicht bei
vielen politischen Akteuren und auch bei den Betroffenen
des Berufsstandes war nicht immer in dem Maße ausgeprägt, wie ich das erwartet habe . Ich erinnere mich an
eine Pressekonferenz aus dem Januar 2015 . Da wurden
noch Dinge wie „längere Sperrfristen“, „strengere Vorgaben für Phosphatdüngung“ und „Hoftorbilanz“ seitens
des Bauernverbandes als inakzeptabel oder nicht notwendig abgelehnt .
Mittlerweile ist ein Sinneswandel eingetreten - ich
befürworte das -, sodass wir heute, glaube ich, auch im
Sinne der Zukunft unserer Betriebe - auch unserer Veredelungsbetriebe - zur Verabschiedung eines Gesetzes
kommen, das sich nachhaltig auf die deutsche Landwirtschaft auswirken wird .
Der Handlungsdruck war enorm, auch vor dem Hintergrund der Verletzung der Nitratrichtlinie und der im
Oktober eingegangenen Klage . Das macht deutlich, dass
man letztendlich auch vor diesem Hintergrund angefangen hat, sich aufeinander zuzubewegen . Ich war dazu
immer bereit . Manchmal ist der Weg zum Ziel aber eben
ein bisschen schwierig und mühselig . Ich habe darum gekämpft, und im Endeffekt ist es auch gelungen, glaube
ich, wesentliche Bestandteile zur Verbesserung umzusetzen .
Das zentrale Problem ist hier eben schon angesprochen worden, nämlich natürlich die Entkoppelung der
Veredelungswirtschaft von der Fläche . Das kann man
nicht dauerhaft hinnehmen . 2,4 Großvieheinheiten sind
etwa die Größe, bis zu der das noch funktioniert . Ab da
funktioniert es eben nicht mehr, und es entstehen zusätzliche Kosten für die Betriebe und für den Sektor .
({0})
Wenn man das, was nicht mehr auf die Fläche passt,
trotzdem auf der Fläche entsorgt, dann entstehen zusätzliche Kosten für die Allgemeinheit und unter Umständen
auch Belastungen für zukünftige Generationen durch eine
Verunreinigung von Trinkwasser . Ich glaube, mit den jetzigen Vorgaben machen wir dem ein Ende und sorgen
dafür, dass nachhaltig eine entsprechende Verbesserung
der Gewässergüte der Grundwasserkörper erreicht wird .
Unser politisches Ziel als SPD ist es, die Tierhaltung
wieder an die Fläche zu binden . Das haben wir auch in
den Koalitionsvertrag geschrieben .
({1})
Das ist umweltverträglich und letztendlich auch nachhaltig und wirtschaftlich . Daran wird auch kein Weg vorbeiführen .
In der Vergangenheit gab es die Schwierigkeit, dass
man die wissenschaftlichen Grundlagen zum Düngerecht, die seitens der uns beratenden Wissenschaft vorgetragen worden sind, nicht immer entsprechend registrieren wollte . Ich glaube, dass wir jetzt auch mit der
Umstellung des Systems auf ein Bruttobilanzierungssystem jeden dazu bringen, dass er sich ehrlich macht,
sodass sich keiner mehr einen schlanken Fuß macht und
mit Faustzahlen rechnet .
Es ist noch nicht alles umgesetzt, was wir zu gegenwärtigen haben . Kernelement dessen, was wir verhandelt
haben, ist die sogenannte Stoffstrombilanz oder Hoftorbilanz - wie immer man das auch bezeichnen mag . Mir
ist es an sich egal, wie man das bezeichnet; Hauptsache,
das System sowie die Bilanzierung funktionieren, und
Hauptsache, wir haben ein System, das hinterher auch
vollzugsfähig ist!
({2})
Das bisherige Düngerecht ist zwar ganz nett, aber in gar
keiner Weise vollzugsfähig . Bußgeldbescheide enden
häufig vor den Verwaltungsgerichten und haben keinen
Rechtsbestand, weil die Beweislage nicht eindeutig ist .
Ich nehme an, dass wir mit der jetzt vorgesehenen Regelung, auf vorhandene Daten zuzugreifen - das war ein
hartes Stück Arbeit in den Verhandlungen, die Regelung
umzusetzen, dass die Kontrollbehörden die infragekommenden Betriebe risikoorientiert kontrollieren können -,
eine neue Möglichkeit der Umsetzung bekommen, sodass wir letztendlich auch da auf der sicheren Seite sind .
Damit gewährleisten wir für die Länder den Vollzug und
ermöglichen es ihnen auch, den Vollzug darzustellen .
Wir orientieren uns - das ist schon erwähnt worden nicht mehr unbedingt an dem maximal möglichen Flächenertrag, sondern es muss zwischen Ertrag auf der einen Seite und freiwerdenden Emissionen auf der anderen
Seite abgewogen werden . Beides muss in etwa gleichberechtigt berücksichtigt werden . Das ist ein qualitativer
Fortschritt und an sich alternativlos .
Wir schließen das Schlupfloch mit den Biogasanlagen
in bestimmten Veredlungsregionen . Das wird nachhaltige
Folgen haben; denn das war häufig die Ursache dafür,
dass es zu qualitativen Verschlechterungen gekommen
ist .
Die Länder werden verpflichtet, in den zusätzlich belasteten Gebieten besondere Maßnahmen zu ergreifen .
Das können sie nicht nur tun, sondern sie werden dazu
verpflichtet. Darauf sollte man hinweisen.
Ich glaube - das ist auch eine ganz wesentliche Erkenntnis, die ich in dem gesamten Verhandlungsprozess
gewonnen habe -, hinterher finden sich doch alle zusammen . Aus diesem Grund darf ich allen recht herzlich danken, vor allen Dingen dem Kollegen Holzenkamp, den
beiden beteiligten Ministerien, und zwar dem Umweltministerium und dem Landwirtschaftsministerium . Auch
dem grünen Agrarminister aus Niedersachsen möchte ich
danken,
({3})
der durch seine intensiven Verhandlungen mit der Bayerischen Staatskanzlei bzw . dem Bayerischen Staatsminister dazu beigetragen hat, schlussendlich einen Kompromiss zu finden.
({4})
Manche Vereinbarungen in dem Kompromiss erschließen sich mir allerdings nicht so ganz .
Ich nenne hier zum einen die Möglichkeit von Futterbaubetrieben, 25 Prozent ihres Grundfutters als Verluste
im Nährstoffvergleich pauschal abzuziehen.
Ein anderer Punkt ist die Tatsache, dass es in Bayern
und auch in anderen Bundesländern noch möglich ist, die
Gülle bis spätestens vier Stunden nach der Ausbringung
einzuarbeiten . Wer Ammoniak einsparen will, der muss
das zügig tun . Der größte Teil des Ammoniaks wird nach
ein oder zwei Stunden, manchmal auch nach drei oder
vier Stunden nach dem Ausbringen freigesetzt . Das hängt
von den Wetterbedingungen ab . Da ist vielleicht noch einiges nachzubessern .
Auch im Bereich der Phosphatbegrenzung hätte man
ambitionierter vorgehen können . Im Hinblick auf die
Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ist damit sicherlich noch nicht das Ende erreicht .
Vor diesem Hintergrund gehe ich davon aus, dass die
Düngegesetzgebung die Kolleginnen und Kollegen des
Deutschen Bundestages auch in der nächsten Legislatur - mich nicht mehr, ich werde dann dem Bundestag
nicht mehr angehören - beschäftigen wird .
({5})
Nicht vergessen werden darf natürlich der Dank an
den Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, der in den Verhandlungen immer verlässlich war,
was Informationen und Hintergründe betrifft. Ihn darf ich
als großen sozialdemokratischen Agrarminister auf der
Länderebene natürlich nicht vergessen .
({6})
Vielen Dank fürs Zuhören .
({7})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Friedrich Ostendorff.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wer hätte das gedacht? Wir Grünen jedenfalls
nicht . Sie legen uns heute doch noch ein neues Düngegesetz vor .
({0})
Zwar von der EU gemahnt, aber seit 2011 von Ihnen nur
zähes Taktieren, Verschieben, Nichtstun,
({1})
statt endlich die Güllefluten von unserem Grundwasser
fernzuhalten . Das Abblocken aller vernunftbasierten Argumente, stattdessen das kategorische Nein aus Bayern
und das vom Bauernverband Geforderte umsetzen ({2})
das ist leider die Politik von Herrn Minister Schmidt,
Frau Marlene Mortler .
({3})
Es ist unfassbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
die notwendigen Verschärfungen so lange verzögert wurden, bis endlich die EU tätig wurde und die Klage auf
den Weg brachte . Übrigens: Mit den möglichen Strafzahlungen von 830 000 Euro Steuergeld pro Tag - sie
sind ja nicht undenkbar; denn wir wissen nicht, was die
EU jetzt macht - ließen sich täglich 70 Betriebe mit
2 000 Schweinen mit Abgasreinigungsanlagen ausrüsten .
Es ließen sich auch - das fänden wir Grüne noch besser täglich zwei Außenklimaställe für 500 Schweine bauen,
statt das Steuergeld wegen politischer Untätigkeit aus
dem Fenster zu werfen, wie Sie es tun .
({4})
Das wären sinnvolle Investitionen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den Umbau
der Tierhaltung werden Bäuerinnen und Bauern und Gesellschaft endlich wieder zusammengeführt . Nehmen Sie
von der CDU/CSU doch endlich wahr, dass Politik heute
verbindende Impulse geben muss, statt die Spaltung der
Gesellschaft weiter voranzutreiben!
({5})
- Hören Sie zu! - Das zeigt doch auch - und das lernen
wir jetzt gerade - die unsägliche Bauernregel-Plakataktion von Ministerin Hendricks: Dialogorientierte statt
spaltende Politik ist heute angesagt . Das ist zeitgemäß .
Die Klage der EU ist berechtigt, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Es muss sich in Deutschland endlich etwas ändern . Die EU wies immer wieder darauf hin, dass
Deutschland die Verseuchung des Grundwassers mit
viel zu hohen Nitratmengen beenden muss . Sie und Ihr
Minister haben aber sechs Jahre untätig ins Land gehen
lassen, um jetzt endlich doch noch im März eine mit den
Ländern abgestimmte Düngeverordnung vorzulegen .
Das Gesamtpaket aus Düngegesetz und -verordnung
ist aber aus grüner Sicht trotzdem kein goldener Wurf .
({6})
Warum? An zu knapp bemessener Zeit kann es doch
wohl nicht gelegen haben . Nein, es liegt daran, dass Sie
sich wieder einmal in den Fallstricken der agrarindustriellen Tierhaltung total verheddert haben .
Übrigens kam von Ihnen auch noch auf den Tisch dabei kann niemand begreifen, dass das überhaupt ein
Diskussionspunkt ist -, dass die gesellschaftlich gewünschte Weidehaltung, aber auch die Strohhaltung
von Tieren, sprich Festmistwirtschaft, die sowieso viel
aufwendiger und überhaupt kein Problem ist, zu Verursachern gemacht werden sollte . Wenigstens das ist verhindert worden .
({7})
Es begreift aber auch niemand in dieser Gesellschaft,
warum das Verschmutzen des Gemeingutes Wasser und
Boden mit Nitrat und Phosphat durch Güllefluten nicht
endlich beendet wird .
({8})
Den heute vorliegenden, unzureichenden Kompromissvorschlag haben wir allein Landwirtschaftsminister
Meyer aus Niedersachsen und vielen anderen Landesagrarministern, aber vor allen Dingen auch dem Kollegen
Dr . Wilhelm Priesmeier zu verdanken .
({9})
Dafür müssen wir heute einfach einmal Dank sagen . Bis
zuletzt wurde immer wieder versucht, den mühselig ausgehandelten Kompromiss mit Kanonenbootpolitik Ihrerseits kaputtzumachen .
({10})
Es ging Ihnen von CDU/CSU ausschließlich um Verursacherschutz . Es ging Ihnen nicht um Wasserschutz .
Wasserschutz war mit Ihnen nicht zu machen . Das ist die
bittere Realität .
Wir Grünen lehnen diesen unzureichenden Kompromiss ab. Eine Stoffstrombilanz erst über 2,5 Großvieheinheiten pro Hektar bis 2023 - jetzt wird es leider
sehr fachlich; das sind zweieinhalb Kühe - betrifft nur
6,7 Prozent der tierhaltenden Betriebe . Das reicht nicht
aus, um die Nitratbelastung im Grundwasser ausreichend
zu minimieren .
({11})
Wir brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stoffstrombilanz für alle Betriebe über der Bagatellgrenze von
50 GV - also umgerechnet 50 Kühe - und 20 Hektar Fläche .
Ob dieser unzureichende Kompromiss vor dem kritischen Auge Europas Bestand haben wird, ist sehr zweifelhaft . Eines ist aber allemal klar: Es gibt überhaupt keine Akzeptanz mehr dafür, dass die Steuerzahler weiter
für die Reparatur des Wassers und der Böden bezahlen
müssen .
({12})
Die viel zu hohen Phosphateinträge, die Wasserrahmenrichtlinie und die NEC-Richtlinie - dafür gibt es nach wie
vor keine Lösung . Wir sind in der Nitratfrage ganz am
Anfang . Wir haben noch lange nicht das Ende erreicht .
Hier gilt es nach wie vor, den Druck aufrechtzuerhalten
und nachzuarbeiten .
Herr Kollege Ostendorff.
Ich bin sofort fertig . - Minister Schmidt wird uns allen
als Ankündigungsminister in Erinnerung bleiben . Doch
ganz abgesehen davon: Alleine für das Versagen bei der
Düngegesetzgebung gehört er abgewählt .
({0})
Der ländliche Raum darf nicht weiter vor die Hunde gehen, meine Damen und Herren!
({1})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Waldemar Westermayer das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute die Novellierung des Düngegesetzes, und ich kann sagen: Wieder einmal schlecht gebrüllt, Herr Friedrich Ostendorff!
Zuerst redet man von politischen Verbindungen, und
dann spaltet man wieder die ganze Diskussion .
Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass Wirtschaftsdünger kein Abfall ist, sondern eine wertvolle
Nährstoffquelle für die Pflanzen darstellt.
({0})
Zielvorgabe für die Neuregelung des Düngerechts in
Deutschland war aus meiner Sicht deshalb, dass sowohl
die bedarfsgerechte Pflanzenernährung als auch der
Schutz der Gewässer gewährleistet werden . Der vorliegende Gesetzentwurf wird dieser Zielvorgabe gerecht .
Durch eine noch bessere, gezieltere Nutzung von Wirtschaftsdünger können wir höhere Erträge bei verringertem Verbrauch von Mineraldünger erreichen . Für die
Ernährung einer immer größer werdenden Weltbevölkerung sind diese Effizienzsteigerungen besonders wichtig.
Aber auch der Schutz von Boden, Gewässern und Klima liegt im originären Interesse von uns allen . Deshalb
haben wir in Deutschland im Wasser- und Bodenrecht bereits ein hohes Regelungs- und Schutzniveau . Trotzdem
ist für uns klar, dass wir den vorhandenen Überschreitungen der Nitratgrenzwerte bei einem Teil der Messstellen
entgegenwirken müssen . Um diese Einträge ins Grundwasser zu vermeiden, müssen wir die Vorschriften über
die Düngung anpassen . Gerade in Gebieten mit belasteten Wasserkörpern hat die Reduzierung des Eintrags von
Nitrat eine hohe Priorität . Dieser Problematik stellen wir
uns und stiften keine Verwirrung, Frau Dr . Tackmann;
denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die
Anforderungen an die Düngung in Deutschland erheblich verschärft .
Die neuen Regeln für die Ausbringung von Wirtschaftsdünger, die verkürzten Ausbringungszeiten und
damit verbundene Anforderungen an mehr Lagerraum
und die verringerten Ausbringungsmengen verlangen
von unseren Betrieben ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Durch Dokumentationspflichten, Verlängerung
der Sperrfristen und weitere Auflagen in Problemgebieten erhöhen wir darüber hinaus die regulatorischen Belastungen für Landwirte .
Es ist aber auch sicher - auch das gilt es klar auszusprechen -, dass die weiter gehenden Anforderungen im
Düngerecht auch die Produktionskosten in der deutschen
Landwirtschaft und damit letztlich die Kosten unserer
Lebensmittel erhöhen werden . Außerdem wird sich der
Strukturwandel in der Landwirtschaft weiter verschärfen; denn die neuen Vorgaben bei der AusbringungsFriedrich Ostendorff
technik stellen insbesondere die kleinen Betriebe vor
große Herausforderungen . Vor diesem Hintergrund ist
es wichtig, dass wir dadurch, dass die unterschiedlichen
Bodenbeschaffenheiten, Topografien und Klimata in den
Regionen berücksichtigt werden, eine hinreichend flexible Anwendung in der Praxis ermöglichen .
Zusammengefasst haben wir mit dem nun vorliegenden Paket aus Düngegesetz, Düngeverordnung und Anlagenverordnung praktikable Lösungen, die es ermöglichen, die Fruchtbarkeit unserer Böden zu erhalten, und
es gleichzeitig erlauben, eine ausreichende Nährstoffversorgung für unsere Pflanzen mit Wirtschaftsdünger zu
gewährleisten .
Wir entwickeln die gute fachliche Praxis, die wir haben, weiter und erfüllen die europäischen Anforderungen
aus der Nitratrichtlinie . Mit der Novellierung gewährleisten wir darüber hinaus die Wirksamkeit des nationalen
Aktionsprogramms im Bereich Düngerecht . Aus meiner Sicht haben wir einen gut austarierten Kompromiss
erarbeitet, der für die Düngung in Deutschland künftig
ein solides Fundament garantiert und das Grundwasser
schützt .
Ich möchte abschließend noch deutlich machen, dass
wir bei allen berechtigten Diskussionen in der Sache
nicht den Fehler machen sollten, die Landwirtschaft primär als Problemverursacher zu sehen .
({1})
Richtig ist vielmehr, dass uns die rund 375 000 landwirtschaftlichen Betriebe im Land mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen und zum Erhalt der Kulturlandschaft
beitragen . Diese 375 000 Betriebe versorgen 82 Millionen Menschen in Deutschland . Vor diesem Hintergrund
bin ich der festen Überzeugung, dass unsere Bauern in
Deutschland nicht Teil des Problems, sondern Teil der
Lösung sind .
Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Rainer Spiering,
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Aus besonderem Anlass freue ich mich, dass Lara, Anna und
Christoph hier sind .
Ich möchte erst einmal zu dem Begriff „Stoffstrombilanz“ gratulieren. Das ist ein wertfreier Begriff, ein neutraler Begriff und ist ein vernünftiger Begriff, weil wir
damit auch aus der teilweise emotional sehr aufgeladenen Diskussion herauskommen .
Lassen Sie mich über den Umweltbericht des Landkreises Osnabrück 2016 sprechen . In diesem Umweltbericht wird beschrieben, dass sich das Grundwasser im
Landkreis Osnabrück aufgrund erhöhter Nitratbelastungen zu 50 bis 60 Prozent in einem chemisch schlechten
Zustand befindet. Das würde ich als keine sonderlich
gute Nachricht bezeichnen . Aber nun kommen die Behördenbemerkungen dazu . Die Landwirtschaftskammer
sagt: Stickstoffbedarf vorhanden. - Das Landesamt für
Bergbau sagt: Stickstoffüberschuss. - Die Wasserschutzbehörde sagt: deutlicher Stickstoffüberschuss. - Wie
kann es sein, dass drei Landesbehörden zu unterschiedlichen Bewertungen kommen? Ich halte das im Grundsatz
für falsch . Hier sollten wir versuchen, mit einer Stimme
zu sprechen .
Die Forderung meines kommunalen Verbandes - in
Absprache mit kommunalen Spitzenverbänden - lautet:
Einführung einer umfassenden Nährstoffbilanz - wir nennen das jetzt vernünftigerweise eine Stoffstrombilanz -,
Absenkung der Stickstoffbedarfswerte und Streichung
von Ausnahmeregelungen, Einführung von Vorgaben
zu Lagerkapazitäten für Wirtschaftsdünger, Präzisierung
von Ausbringungsbeschränkungen, Einfügung von Vorgaben zu Sanktionsmöglichkeiten . - Das schreibt ein
Landkreis, der zu den größten tierhaltenden Landkreisen der Republik gehört und sehr genau weiß, wovon er
spricht . Vielleicht hätten wir vorher darauf hören sollen .
Ich glaube, dass wir heute den richtigen Weg mit der
Stoffstrombilanz gehen. Aber mein Landkreis sagt auch:
Es wäre gut, wenn wir eine Rechtsgrundlage für den Datenzugriff schaffen würden. Es dürfte Sie nicht sonderlich
überraschen, dass ich auch das gut finde. Sehr gut finde
ich in dem vorliegenden Papier die magische Zahl 2023 .
Das ist das, was mich zu großem Optimismus anregt .
({0})
- Na ja, eine gute Sache braucht gelegentlich viel Zeit
und eine gute Vorbereitung; darauf komme ich noch zu
sprechen .
({1})
Mir hat unlängst jemand in einer Diskussion gesagt das ist vielleicht auch die Antwort darauf, warum wir tätig werden -: Man muss es vom Ende her denken . - Das
gilt für uns alle, insbesondere für diejenigen, die bäuerliche Betriebe haben . Das Ende ist der Konsument . Entweder hat der Konsument Vertrauen, oder der Konsument
hat kein Vertrauen . Zurzeit beten wir gelegentlich das
Vertrauen gesund, aber es ist nicht da . Deswegen sollten
wir uns ehrlich machen . Der zukünftige Präsident dieses
Landes hat gesagt: Wir sollten Mut haben, zur Sache etwas zu sagen .
Wahr sind unsere Grundwasserbeschreibungen . Wahr
ist auch, dass unsere Datenlage zu gering ist . Wahr ist
auch, dass wir die Möglichkeit haben, die entsprechenden Daten zu erfassen . Wir haben mit der Verabschiedung des letzten Haushalts 10 Millionen Euro für eine
neue IT-Plattform bereitgestellt . Ihr Aufbau gestaltet sich
sehr gut . Aber das wird nur funktionieren, wenn alle willens sind, ehrlich ihre Daten dort einzugeben .
Wenn wir ehrliche und souveräne Daten haben, dann
können wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern sagen, was in den Ställen Sache ist, was bei unseren Böden
Sache ist und was bei unseren Nährstoffbilanzen Sache
ist . Wir haben aufgrund dieser Daten sowie dank einer
hervorragenden deutschen Landmaschinentechnologie
und einer sich prächtig entwickelnden deutschen IT in
diesem Bereich die Möglichkeit, präziser auf den Äckern
zu werden, besser auf den Äckern zu werden, tiergerechter zu werden
({2})
und den Landwirt bei der Arbeit - hin zum Tier, weg von
den organisatorischen Fragen - zu entlasten . Wenn wir
das gut machen und allen Betroffenen helfen, können wir
uns einen Mordspapierwust ersparen und alles über IT
machen, in großem Vertrauen darauf, dass wir in diesem
Rahmen vernünftige Datenschutzregelungen erarbeiten .
Wir haben zudem die Möglichkeit - das möchte ich
abschließend sagen -, alle geobasierten Daten einzubringen, alle wissenschaftlich basierten Daten einzubringen,
alle Nährstoffdaten einzubringen und alle Katasterdaten - wichtig für alle Spieler - einzubringen . So kann der
Schlepper problemlos über den ihm zugehörigen Acker
fahren .
All das geht nur in der Verbindung von Staat und Wirtschaft, und zwar im gegenseitigen Vertrauen . Mit Wirtschaft sind nicht die Landmaschinenhersteller gemeint,
sondern die bäuerliche Landwirtschaft . Wenn sich die
bäuerliche Landwirtschaft entscheidet, allen Betroffenen
die Hand zu geben und sich im besten Sinne des Wortes
ehrlich zu machen, dann hat die konventionelle Landwirtschaft in Deutschland - da bin ich mir sicher - eine
gute Zukunft .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Franz-Josef
Holzenkamp die Gelegenheit, das Thema abzuschließen .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher!
Einige Äußerungen in dieser Debatte verleiten mich zu
folgender Einstiegsbemerkung: Man muss die Bauern in
Deutschland nicht mögen . Man kann sie auch kritisieren,
man kann mit ihnen streiten. Aber ich finde, sie haben
Anstand und Respekt für das verdient, was sie 365 Tage
im Jahr für unsere Gesellschaft tun .
({0})
Das ist das eine . Dann möchte ich eine zweite Bemerkung machen: Ja - da sind wir uns alle einig -, die
Landwirtschaft in Deutschland befindet sich in einem
Veränderungsprozess . Ich erhebe stellvertretend für uns
als Union den Anspruch, dass wir uns mit an die Spitze
des Veränderungsprozesses stellen . - Sie können dazu
sagen, was Sie wollen, aber verdeutlichen Sie bitte auch
Ihre Rolle dabei . Ich habe nämlich den Eindruck - darin
besteht der Unterschied zwischen uns -, dass wir als Union die Einzigen sind, die das mit den Landwirten machen
wollen - leider, meine Damen und Herren .
({1})
Wir reden aber über das Düngepaket; und dieses
Düngepaket hat das Ziel, auch für uns, Belastungen für
Wasser und Umwelt zu minimieren und zu reduzieren,
sich gleichzeitig aber auch mit der Frage zu beschäftigen, wie Pflanzen ausreichend ernährt werden können. In
Dänemark gab es zum Beispiel vor Jahren keinen Qualitätsweizen mehr; den musste man importieren . Solche
Fehler dürfen wir in Deutschland nicht machen . Deshalb
ist es schon gut, meine Damen und Herren, wenn man in
der Sache streitet .
Dieses Gesetzespaket ist ein sehr komplexes Gesetzespaket . Dieses Paket hat Auswirkungen auf die Struktur in der Landwirtschaft: Behälterbau, Investitionen,
Ausbringungstechnik . Dadurch wird der Strukturwandel
weiter forciert - und das in der Regel bei kleineren Betrieben . Es gehört zum Ehrlichmachen und zur Wahrheit
dazu, zu sagen, was dabei nicht unser Ziel ist . Deshalb
haben wir uns in diese Diskussion immer wieder fachlich
eingebracht .
({2})
Ich glaube, wir haben eine gute Paketlösung mit dem
Düngegesetz und der Düngeverordnung hinbekommen .
Wir haben das Gesamtpaket in allen Einzelheiten über
einen langen Zeitraum diskutiert und beraten, und wir
haben, Wilhelm Priesmeier, manchmal auch gestritten .
Aber wir haben es zu einem Ergebnis gebracht . Es hätte
schneller sein können - das kann es immer sein -, aber
wir haben das Ergebnis .
Das Düngegesetz stärkt zukünftig den Vollzug durch
die Kontrollbehörden . Das ist in meinen Augen ein ganz
zentraler Punkt, weil wir hier wirklich Nachholbedarf haben, beispielsweise bei den Möglichkeiten zum Abgleich
mit Daten aus anderen Rechtsbereichen . Auch das ist
unter Datenschutzgesichtspunkten alles andere als eine
Selbstverständlichkeit. Ich denke an den Zugriff auf Datenbanken, die Tierhaltung in Verbindung mit Flächen
erfassen, womit eine sehr schnelle Plausibilitätskontrolle durchgeführt und ganz gezielt vor Ort geprüft werden
kann .
Sie, Frau Höhn, fragten, was eigentlich bis 2023 passiere . Das passiert ab sofort . Die Biogasgärreste sind sofort dabei . Die waren vorher leider draußen . Hier gab es
Nachholbedarf . Auch da sind wir uns einig .
({3})
Zu dieser sogenannten Stoffstrombilanz, also der neuen Bilanzierungsmethode, die alle Emissionen erfassen
soll: Wie die genau aussieht, wissen wir alle noch nicht .
Jeder redet darüber, aber keiner weiß, wie das im Detail
wirklich gehandelt wird . Wilhelm Priesmeier, der pauschal sagte, 2,5 Großvieheinheiten seien als Maßstab zu
viel, entgegne ich: Wir waren letzten Sommer auf einem
Betrieb mitten in einem Wasserschutzgebiet . Es war ein
Futterbau- und Milchviehbetrieb . Bei etwa 2,5 GV konnte der nur mit Raufutter seine Tiere vernünftig ernähren .
Auch das muss man wissen . Wenn Sie willkürlich mit
Zahlen agieren, dann müssen diese Zahlen belastbar sein;
und das sind sie bei Ihrer Argumentation nicht .
({4})
Das Düngegesetz ist, wie wir wissen, Grundlage für
die Verordnung . Hier kommt eine ganze Reihe von Verschärfungen auf die Landwirte zu . Es wurde darauf hingewiesen, dass es darüber hinaus die Ermächtigung für
die Bundesländer gibt, da, wo wirklich rote Gebiete sind,
wo Grundwasserkörper mit Nitrat oder Phosphat belastet
sind, zusätzliche Maßnahmen auf den Weg zu bringen .
Wir haben uns bemüht, nicht nur die Interessen einer Klientel zu sehen, sondern das Ganze: Wasser als Lebensgut . Aber genauso gilt es, die Interessen der Landwirte
zu berücksichtigen .
Wir halten den Kompromiss für tragbar . Dass Handlungsbedarf bestand, darüber herrscht absolut Einigkeit .
Wir haben bei Kleinstbetrieben Ausnahmen gemacht .
Wir haben für etwas Flexibilität bei den Sperrfristen in
besonderen Regionen gesorgt, wo die Befahrbarkeit letztendlich schwierig ist . Wir haben für Übergangsfristen bei
der Ausbringungstechnik gesorgt, damit die Bauern die
Chance haben, den Veränderungsprozess zu gestalten,
und wir als Politiker Maßnahmen der Unterstützung auf
den Weg bringen können .
Wenn wir Phosphatdünger von heute auf morgen verändern wollten - der Phosphateintrag ist ja mehrfach
kritisiert worden -, dann müssten wir der Hälfte der
Betriebe sagen: Ihr müsst aufhören . - Wollen wir nicht
gemeinsam vernünftige Zukunftslösungen erarbeiten?
Insofern lautet mein Appell an uns alle, dass wir die
Stoffstrombilanz, die wir noch angehen müssen und deshalb noch nicht kennen, vernünftig, praktikabel und auch
fachgerecht umsetzen . Hier kommt wirklich eine große
Verantwortung auf uns zu, dies vernünftig zu machen
und diese Bilanz nicht für Struktur- oder gar Klientelpolitik zu missbrauchen .
Abschließend noch ein Gedanke. Friedrich Ostendorff,
du hast vorhin gesagt: Wir wollen verbinden . - Das ist
genau die richtige Ansage . Dafür bin ich dankbar . Verbinden, das sollten wir wirklich miteinander tun . Du hast die
Themen „Festmist“, „Kompost“ und „Erleichterungen
für Weidehaltungen“ angesprochen. Wir haben die damit
verbundene Politik mitgetragen - aus Überzeugung, weil
wir dies wollten . Das war ein Entgegenkommen insbesondere gegenüber den Ökobetrieben . Ich bitte einfach
die Politiker, deren Augenmerk insbesondere dieser Klientel gilt, zukünftig bitte auch das Ganze in den Blick zu
nehmen; denn das sind wir letztendlich unseren Bauern
schuldig .
Herr Kollege, Sie hatten „abschließend“ gesagt.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin .
Ich sehe: Wir haben eine große Verpflichtung gegenüber der Landwirtschaft in Deutschland, wenn wir sie
flächendeckend erhalten wollen. Wir haben etwas Gutes,
etwas Tragbares auf den Weg gebracht . Ich bitte Sie alle
um Zustimmung .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Das war auch die letzte Rede zu diesem Tagesordnungspunkt .
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Düngegesetzes und anderer Vorschriften .
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11171, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7557 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Das ist die Koalition . Wer ist dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen . Wer enthält sich? - Das
ist die Fraktion Die Linke . Der Gesetzentwurf ist damit
mit den Stimmen der Koalition angenommen .
Wir kommen jetzt zum gymnastischen Teil, nämlich
zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
zuvor angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/11206 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das sind die Grünen . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Koalition . Wer enthält sich? - Die
Fraktion Die Linke . Damit ist der Entschließungsantrag
abgelehnt .
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
auf Drucksache 18/11171 fort. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1332 mit dem Titel „Wasserqualität für die Zukunft sichern - Düngerecht novellieren“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9044 mit dem Titel „Neues Düngerecht endlich
beschließen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zusatzpunkt 5 auf:
12 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia
Verlinden, Christian Kühn ({0}), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht voranbringen - Aktionsplan Faire
Wärme starten
Drucksache 18/10979
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Christian Kühn
({2}), Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung
Erneuerbarer Energien im Wärmebereich
({3})
Drucksache 18/6885
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({4})
Drucksache 18/8438
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, dass
Sie damit einverstanden sind . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Julia
Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Über die Hälfte des Energieverbrauchs in Deutschland entfällt auf die Wärmeversorgung . Das heißt, Klimaschutz kann ohne den Umbau
unserer Energieversorgung im Wärmesektor nicht funktionieren . Aber es passiert viel zu wenig, und ich glaube,
wir sind uns in der Analyse einig: Die Modernisierung
von Gebäuden kommt nur schleppend voran . Der Anteil
der erneuerbaren Energien im Wärmesektor stagniert seit
Jahren auf niedrigem Niveau . Und was tun Sie als Große
Koalition? Sie tun nichts . Sie warten ab . Unverantwortlich finde ich das.
({0})
Gestern wollte die Regierung eigentlich das Gebäudeenergiegesetz im Kabinett beschließen . Wohlgemerkt:
Darüber reden wir seit dem Beginn der Legislaturperiode .
Doch die Kollegen Fuchs und Pfeiffer von der Union, die
sich heute noch nicht einmal trauen, hier zu erscheinen,
sondern Frau Gundelach, die andere Unterzeichnerin dieses Briefes, hier allein sitzen lassen, tun gemeinsam mit
ihren Gefolgsleuten alles, um selbst diese minimale Bewegung im Gebäudebereich noch zu stoppen . In einem
hanebüchenen Brief an das Kanzleramt haben sie die eigene Regierung aufgefordert, die Vorgaben aus Brüssel
für einen Niedrigstenergiegebäudestandard komplett zu
unterlaufen . Das ist fortschrittsfeindlich, und es ist einfach nur peinlich .
({1})
Was Sie hier treiben, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, das ist nicht nur das Gegenteil von Klimaschutz, sondern es ist auch das Gegenteil von Verbraucherschutz;
({2})
denn ohne Energieeinsparungen und ohne erneuerbare
Energien stehen den Mieterinnen und Mietern spätestens beim nächsten Ölpreisanstieg saftige Heizkostenrechnungen ins Haus . Das sollten Sie den Menschen da
draußen ehrlicherweise sagen, wenn Sie hinter den Kulissen versuchen, jeden Fortschritt im Wärmebereich zu
verhindern .
({3})
Diese Regierung und diese Große Koalition sind nicht
in der Lage, noch irgendetwas Zukunftsweisendes für
den Wärmemarkt auf den Weg zu bringen . Wir Grünen
zeigen, wie es geht . Mit unserem Aktionsplan Faire Wärme senken wir den Wärmebedarf deutlich, und wir stellen auf erneuerbare Energien um . Wir zeigen auch, wie
das sozialverträglich und bezahlbar funktioniert .
Der Umbau der Wärmeversorgung kann nur vor Ort
gelingen, gemeinsam mit den Kommunen, gemeinsam
mit den Menschen . Deshalb wollen wir insbesondere
Städte und Gemeinden dabei unterstützen . Mit einem eigenen Bundesprogramm in Höhe von 2 Milliarden Euro
jährlich wollen wir die Sanierung ganzer Viertel fördern .
Damit ermöglichen wir die warmmietenneutrale Sanierung für Menschen mit wenig Einkommen . Außerdem
wollen wir gezielt die kommunale Wärmeplanung unterstützen . Damit stärken wir die Kommunen und machen
sie zum zentralen Akteur bei der Energiewende .
({4})
Ich nenne Ihnen exemplarisch zwei weitere Kernpunkte aus unserem Maßnahmenkatalog:
Erstens . Wir wollen die faire Wärmeversorgung . Dafür stellen wir nicht nur das genannte SanierungsproVizepräsidentin Ulla Schmidt
gramm für Quartiere auf, sondern wir schützen die Mieterinnen und Mieter auch besser als die Große Koalition;
denn im Gegensatz zu Ihnen haben wir eine echte Mietpreisbremse und ein Klimawohngeld für Haushalte mit
kleinem Einkommen im Programm . Außerdem verhelfen
wir Mieterstrom zum Durchbruch und fördern genossenschaftlich betriebene Wärmenetze .
({5})
Zweitens . Wir bauen konsequent die erneuerbare Wärme aus . Dafür wollen wir anteilig die Erneuerbaren im
Gebäudebestand verbindlich machen, wenn die Heizung
sowieso ausgetauscht wird . Wir stimmen ja gleich auch
über unseren grünen Gesetzentwurf dazu ab . Wir werden
die Wärmenetze für erneuerbare Energien öffnen, ebenso
für die Einspeisung von Abwärme . Subventionen für Ölund Gasheizungen werden wir sofort stoppen . Es ist doch
absurd, dass diese Bundesregierung auch nach dem Pariser Klimaschutzabkommen noch neue Öl- und Gasheizungen mit Millionenbeträgen staatlich subventioniert .
Ja, der Umbau unserer Wärmeversorgung ist anspruchsvoll, aber er lohnt sich gleich mehrfach; denn Investitionen in eine moderne Wärmeversorgung sind gut
fürs Klima . Sie machen uns unabhängiger von Öl- und
Gasimporten, und sie wirken als Konjunkturprogramm
für die Wirtschaft, vor allem für das Handwerk . Doch die
Große Koalition will lieber weiter abwarten und hoffen,
dass sie die Klimaschutzziele im Gebäudebereich einfach so wie von Zauberhand erreicht . Das ist mutlos . Wir
Grüne jedoch wollen es endlich anpacken .
({6})
Vielen Dank . - Als Nächste hat jetzt Frau Dr . Herlind
Gundelach die Gelegenheit, für die CDU/CSU-Fraktion
zu antworten
({0})
und die Männer zu vertreten .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Verlinden,
Sie haben recht: In der Zielsetzung sind wir uns absolut
einig . Aber ich glaube, was den Weg angeht, sind wir uns
überhaupt nicht einig . Da haben wir einfach andere Vorstellungen als die,
({0})
die Sie in der Regel vertreten und die ja auch in Ihrem
Antrag ganz klar zum Ausdruck kommen .
Wir brauchen wirklich eine schnellere, eine nachhaltige und vor allen Dingen auch eine sozial gerechte Wärmewende;
({1})
denn ohne eine Wärmewende gibt es auch keine Energiewende . Ich denke, da sind wir uns auch einig . Und hier
steckt wirklich Musik drin - oder anders ausgedrückt:
großes Potenzial .
Ich setze mich schon seit vielen Jahren für eine nachhaltige Wohnungs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik ein, die gleichermaßen soziale, wirtschaftliche und
ökologische Aspekte betrachtet . Dazu muss man das
gesamte Quartier betrachten . Man muss alle Potenziale,
wie zum Beispiel diejenigen der KWK, bestmöglich ausnutzen, und man muss auch über die einzelnen Sektoren
hinausdenken . Wenn wir zum Beispiel Stadtviertel ganz
gezielt aufwerten, kann eine räumliche Annäherung von
Leben und Arbeit, was wir gerade streckenweise in Hamburg versuchen, gefördert werden, wodurch wiederum
CO2-Emissionen im Verkehrsbereich reduziert werden .
Deswegen ist die Wärmewende eine Aufgabe, die viele
Bereiche unseres Miteinanders betrifft.
({2})
Ich denke daher, dass wir in Bezug auf die Wärmewende Wohnungs- und Wohnkonzepte im Allgemeinen
diskutieren sollten . Sie greifen da in Ihrem Antrag auch
einiges auf, zu dem ich gleich noch Stellung nehmen
werde .
Mehrgenerationenprojekte sind meines Erachtens von
größter Bedeutung für unsere alternde Gesellschaft . Ich
bin Schirmherrin eines solchen Projekts in Hamburg, und
es macht mir immer wieder Freude . Ich befürworte außerdem mehr und bezahlbaren Wohnungsbau für Alleinstehende, Studenten und Menschen, die geringfügig zu
viel verdienen, um eine Sozialwohnung zu bekommen .
Das ist gerade in Großstädten ein Riesenpotenzial; denn
diese Menschen geraten bei der Wohnungssuche leider
viel zu häufig ins Abseits.
Ich denke auch, dass wir die selbst nutzenden Eigentümer von Wohnraum unterstützen sollten und dass wir
zum Beispiel in diesem Kontext über verminderte Grunderwerbsteuern für Familien nachdenken sollten, auch
wenn das zugegebenermaßen Ländersache ist; aber man
kann ja mal Anregungen geben . Wohnraum für alle und damit meine ich in der Tat alle Einkommensschichten - muss wirklich erschwinglich sein . Das steht aber
bekanntermaßen in einem äußerst schwierigen Spannungsverhältnis - da kommen wir zu Ihrem Problem zu zahlreichen Vorgaben und Regelungen in unserer Klima- und Baupolitik . Denn immer höhere Anforderungen,
zum Beispiel an die Effizienz, treiben die Baukosten im
Neubau sowie bei Sanierungen im Gebäudebestand deutlich in die Höhe .
({3})
Bevor diesbezüglich Missverständnisse aufkommen:
Selbstverständlich steigen die Baukosten immer,
({4})
auch ohne unsere verschärften Anforderungen .
({5})
Aber alleine die Verschärfungen der EnEV hatten 2016
eine Preissteigerung von 9 Prozent zur Folge, und die
Preissteigerungen, die den letzten Jahren sozusagen
durch die energetisch bedingten Lasten entstanden sind,
summieren sich auf immerhin 18 Prozent . Das ist also ein
nicht unerheblicher Faktor .
Ich beschäftige mich, wie gesagt, schon lange mit
Wohnungsbau und klimapolitischen Aspekten unseres
gesellschaftlichen Lebens, sei es hier im Bundestag oder
früher auf Landesebene . Eines habe ich dabei gelernt:
Ein Mehr an Klimaschutz sozialverträglich auszugestalten, ist eine sehr knifflige Angelegenheit. Hier gibt es
eben keine Patentlösungen . Entscheidungen im Wohnund Baubereich haben eine immense Tragweite . Man
bedenke nur, dass Gebäude meist fast 100 Jahre Bestand
haben, manche sogar darüber hinaus . Daher können Fehlentscheidungen auch noch sehr lange verhängnisvolle
Nachwirkungen mit sich bringen .
Genau deswegen habe ich mit Ihrem Antrag ein Problem . An vielen Stellen ist er zu einfach gestrickt und
realitätsfern .
({6})
- Wir diskutieren heute Ihren Antrag .
({7})
In Deutschland haben wir zu drei Vierteln Heizungsanlagen, die auf Öl oder Gas basieren . Ich stimme Ihnen zu,
dass wir diesen Anteil reduzieren müssen . Aber das muss
sozialverträglich geschehen . Sie sagen, Sie wollen das .
Aber das kann ich beim besten Willen in Ihrem Antrag
nicht erkennen .
({8})
Sie kommen immer wieder mit Verboten und Zwang, mit
übersteigerten Anforderungen an die Bürgerinnen und
Bürger und mit unrealistischen Annahmen .
({9})
Zwang ist übrigens auch das Leitmotiv für Ihren Gesetzentwurf zur Förderung Erneuerbarer Energien im
Wärmebereich .
({10})
- Das war aber trotzdem eine Fehlentscheidung, auch
wenn es eine CDU-Ministerin gemacht hat . Das habe ich
immer gesagt . - Diesen Gesetzentwurf debattieren wir
heute als Zusatzpunkt in zweiter und dritter Lesung . Diesen werden wir ablehnen .
Nun zurück zu Ihrem Antrag . In ihm fordern Sie beispielsweise, dass wir die Mittel für die energetische Sanierung von 3,5 Milliarden Euro auf 7 Milliarden Euro
verdoppeln . Fakt ist aber, dass die Gelder, die aktuell zur
Verfügung stehen, gar nicht vollständig abgerufen werden . Was soll dann mehr Geld bringen? Viel hilft nicht
immer viel .
({11})
Es ist eine inhaltsleere Forderung, außer Sie möchten das
Geld zukünftig verschenken .
Wirklich problematisch finde ich manche Unterpunkte
zur sozial gerechten Modernisierung . So wollen Sie, dass
wir Vermieter von Wohnungen dazu bringen, dass sie
ihre Wohnungen energetisch sanieren . Das kann ich noch
unterstützen . Sie fordern aber, dass die Kosten nur noch
bedingt auf den Mieter umgelegt werden dürfen . Das
mag in den Ohren eines Mieters erst einmal gut klingen .
Aber warum sollte ein Vermieter diese Sanierung durchführen? Wie soll er sich diese leisten können?
Was Sie bei Ihrem Antrag vermutlich bewusst verschweigen: Die anteilig größte Gruppe am Wohnungsmarkt sind private Vermieter und nicht irgendwelche
Immobilienhaie . Die gibt es zwar auch bei uns, vor allen
Dingen in Großstädten, aber das ist nicht die Regel in
Deutschland . Wie sollen die privaten Vermieter, die zu
über 40 Prozent Rentner sind - das darf man auch nicht
außer Acht lassen -, eine solche Sanierung stemmen,
ohne die Kosten dafür anteilig auf die Mieter umlegen
zu können? Sie spielen bei Ihren Forderungen mit den
Bildern von Immobilienspekulanten, die ihre Mieter auf
die Straße setzen, damit sie Luxussanierungen durchführen können . Das ist aber nicht die Realität, und deswegen
ist es unfair .
Ebenso führen Sie aus, dass Menschen in Grundsicherung einen Steuerbonus für die energetische Sanierung
ihrer Eigentumswohnung bekommen sollen . Das ist doch
an der Realität schlicht vorbei . Erstens gibt es bei diesen
Menschen in der Regel kein Eigentum, zweitens zahlen
sie kaum Steuern, und drittens bekommen sie aufgrund
ihrer Einkommenssituation in der Regel gar keine Kredite . Das heißt, dieses Instrument kann überhaupt nicht
greifen .
({12})
Zu guter Letzt werfen Sie der Industrie und dem Gewerbe vor, dass diese die Energieeffizienzpotenziale, die
sich ihnen bieten, nicht ausreichend nutzen . Auch das ist
schlichtweg so nicht richtig . Ein Unternehmen reduziert
schon aus Eigennutz seine Kosten . Außerdem können
Unternehmen Ausgaben für besseren Klimaschutz und
mehr Energieeffizienz sogar noch steuerlich geltend machen . Sie haben also eine doppelte Rendite . Schauen Sie
sich in diesem Kontext einmal unsere Supermärkte an .
Die investieren in regelmäßigen Abständen in effiziente
Kühltheken, eine bessere Dämmung oder andere Maßnahmen . Damit sparen sie Kosten . Allerdings sollten wir
dann als Verbraucher die Kühlregale auch wieder zügig
schließen und sie nicht offen stehen lassen, sonst funktioniert das Ganze nämlich nicht .
Wenn wir die Wärmewende sinnvoll und sozial gerecht angehen wollen, dann müssen wir nachhaltig agieren, das heißt, soziale, wirtschaftliche und ökologische
Aspekte gleichermaßen in den Blick nehmen . Außerdem
haben die bisherigen Ergebnisse gezeigt, dass wir einen breiten Mix an Ideen, Instrumenten, Vorgaben und
Förderprogrammen brauchen sowie eine noch verbesserungsfähige Abstimmung von Wohn-, Verkehrs- und
Energiepolitik .
({13})
- Wir haben in dem Bereich eine ganze Menge gemacht .
({14})
- Das stimmt so natürlich nicht . Bei der Sanierung im
Gebäudebestand wäre es mir aber auch lieber, wenn wir
weiter wären .
({15})
Aber ich kann die Menschen nicht dazu zwingen . Ich biete Fördermaßnahmen und viele Hilfestellungen an . Die
müssen aber auch abgerufen werden .
({16})
Jetzt hat Frau Dr . Gundelach das Wort .
Wir müssen - das ist für mich ganz wichtig - die
Bürgerinnen und Bürger sinnvoll miteinbeziehen . Wir
müssen es ihnen leichter machen, Teil der Wärme- und
Energiewende zu werden . Wie der Antrag der Grünen
richtig herausstellt, stehen unsere Bürgerinnen und Bürger, wenn sie energetisch sanieren wollen, noch zu oft
vor einem Förderdschungel . Er ist zwar in den letzten
Jahren schon ein bisschen durchlässiger geworden, einige Antragsarten wurden vereinfacht, aber hier ist aus
meiner Sicht noch viel Musik drin . Darüber sind wir auch
mit der KfW und anderen Einrichtungen im permanenten
Gespräch, um zu einer besseren Inanspruchnahme der
Angebote zu kommen, die der Staat macht .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Jetzt hat für die Linke Eva BullingSchröter das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie werden wohl in 10 oder 20 Jahren die Häuser, in
denen wir wohnen, beheizt werden? Viele Leute beziehen ja heute schon 100 Prozent Ökostrom, und das ist
gut. Aber beim Heizen befinden wir uns noch tief im
fossilen Zeitalter . Der Staat fördert sogar Ölheizungen
und zementiert damit weitere 30 Jahre fossile Technik .
Das ist untragbar . Ganz anders in Dänemark: Dort ist der
Einbau von Öl- und Gasheizungen seit 2016 verboten .
Das bräuchten wir eigentlich auch . Eine aktuelle Studie
sagt uns: Wir brauchen 5 bis 6 Millionen Wärmepumpen
bis zum Jahr 2030; vermutlich werden wir aber nur eine
Zahl von 2 Millionen erreichen . Hier müssen die Weichen eben heute gestellt werden .
({0})
Ein Riesenproblem ist, dass Mieterinnen und Mieter
die energetische Sanierung fürchten, weil sie in Städten
oft genug missbraucht wird, um Altmieter zu vertreiben .
Wir müssen daher unbedingt die soziale Gerechtigkeit im
Blick behalten .
({1})
Deshalb begrüße ich den Antrag der Grünen, einen Aktionsplan Faire Wärme zu beschließen und sich über klimafreundliche Lösungen und deren soziale Umsetzung
gleichermaßen Gedanken zu machen .
({2})
Der Pariser Klimavertrag und die dramatische Klimasituation erfordern rasches Handeln . Wenn wir heute
nicht mehr tun, wird es irgendwann zu spät sein . Dann
erreichen wir unumkehrbare Kipppunkte . Das müssen
auch die Kollegen Fuchs, Pfeiffer und Bareiß begreifen,
die so gern Briefe ans Bundeskanzleramt schreiben, um
sich über die Energiewende zu beschweren . Ihnen geht
es eben nicht um bezahlbares Wohnen; sie wollen Klimapolitik ausbremsen und fügen damit den Menschen
einen folgenschweren Schaden zu, und das halte ich für
verantwortungslos .
({3})
Richtig ist hingegen, dass wir für den ökologischen
Umbau unserer Energieversorgung eine soziale Abfederung brauchen - aber nicht, indem wir die Energiewende
auf später verschieben, wie von der Union gewollt . Alles,
was im Antrag der Grünen an Einzelmaßnahmen genannt
wird, ist richtig: warmmietenneutrales Sanieren, Klimawohngeld, niedrigschwellige Energieberatung und bessere Ausbildung, gebäudeindividuelle Sanierungsfahrpläne, Quartierslösungen . Das alles ist richtig und wurde
so ähnlich von uns, der linken Fraktion, bei den letzten
Haushaltsberatungen schon einmal vorgeschlagen .
Ich möchte aber noch weitergehen: Mitten in einer
riesigen Umbauaufgabe, die eine ganze Industrie und
jeden einzelnen Bürger betrifft, müssen wir viel stärker
die öffentliche Hand in die Pflicht nehmen. Denn: Wer
wird sich noch an Herrn Schäubles lächerliche schwarze
Null erinnern, wenn die Klimakatastrophe immer mehr
Extremwetterereignisse und immer größere Schäden und
Fluchtbewegungen auslöst? Wenn wir nichts unternehmen, wird es so sein .
Daher sage ich: Wir müssen den gemeinnützigen
Wohnungsbau vorantreiben,
({4})
egal ob in öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand,
und zwar ein gemeinnütziges, klimaschonendes Bauen
und Wohnen. Bei öffentlichen Gebäuden im Bestand
muss schneller mehr passieren; da ist ja fast noch gar
nichts passiert . Den Kommunen muss viel stärker unter
die Arme gegriffen werden. Und: Warum erhält genossenschaftliches Wohnen, das nicht profitorientiert ist,
nicht zusätzliche Förderung für energetische Sanierung?
Das wäre es doch!
({5})
Warum sind weitere ordnungsrechtliche Vorgaben im
Wärmebereich so verpönt - wir haben es ja wieder gehört -, obwohl sie doch in anderen Ländern erfolgreich
sind?
Ich sage Ihnen, Frau Gundelach: „Sozial gerecht“
heißt dann „sozial und ökologisch“, und das wollen wir
für alle Menschen erreichen . Ich sehe, Sie wollen das
nicht . Natürlich muss man älteren Vermietern, die weniger Geld haben, entsprechende Unterstützung bieten .
Geld ist da - man müsste es nur anders ausgeben . Das
wäre sinnvoll, auch mit Blick auf viele Arbeitsplätze
usw . Ich brauche da nicht weiter zu argumentieren . Es
wäre viel sinnvoller als andere Dinge .
({6})
Vielen Dank . - Jetzt hat für die SPD-Fraktion Dr . Nina
Scheer das Wort .
({0})
Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Das letzte Stichwort meiner Vorrednerin
lautete: Es ist viel Geld da; wir können sehr viel Geld
ausgeben . - Ja, das ist in der Tat richtig . Aber man muss
erkennen, dass man mit dem verfügbaren Geld bisher
nicht die richtigen Lenkungswirkungen erzielt hat . Insofern müssen wir immer berücksichtigen - das wurde
schon angesprochen -, dass verschiedene Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen, um die Wärmewende
voranzubringen .
In der Tat handelt es sich um einen Riesenbereich; die
Zahlen wurden genannt . Um die Energiewende hinzubekommen, müssen wir - das schwankt - mindestens ein
Drittel, wenn nicht gar die Hälfte aller Bemühungen im
Gebäudesektor erbringen . Wenn man vom Gebäudesektor spricht, dann klingt das recht einfach; es geht aber um
ein Bündel von Maßnahmen, die sinnvoll zusammengeführt werden müssen, damit sie greifen .
Frau Verlinden, Sie haben in Ihrer Rede eingangs betont, dass wir nichts getan hätten . Das möchte ich entschieden zurückweisen .
({0})
Es ist eine Vielzahl von Programmen aufgelegt worden .
2014 haben wir begonnen mit dem NAPE, dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz, und dem Aktionsprogramm Klimaschutz. In 2015 folgte die Energieeffizienzstrategie .
({1})
Mit dem Marktanreizprogramm ist in der Tat sehr viel
Anreizwirkung geschaffen worden. Man sieht aber auch,
dass Mittel teilweise nicht abgerufen werden .
Wir hatten uns erhofft, über die steuerliche Absetzbarkeit etwas hinzubekommen;
({2})
aber nur das Diskutieren darüber hat natürlich nicht geholfen . Ich hätte es begrüßt, wenn das ein Baustein geworden wäre . Aber ich hatte immer die Befürchtung, dass
das eintritt, was letztlich auch eingetreten ist: Man konnte sich nicht einigen, die Entscheidung blieb aus, obwohl
alle darauf gewartet hatten, und man hat ein kostbares
Jahr verspielt. Ich finde, das darf nicht wieder passieren.
Deswegen wage ich nicht mehr, die steuerliche Absetzbarkeit als ein Element hier in den Raum zu stellen .
Man muss aber auch schauen, was noch in der Pipeline steckt . Der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes
ist angesprochen worden . Er stand in dieser Woche in
der Tat auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung . Es
ist dann heruntergenommen worden . Aber daraus zu
schließen, dass dieses Projekt nicht kommt, finde ich
nicht so ganz fair . Es ist noch Zeit, den Gesetzentwurf
zu verabschieden . Wenn man weiß, wie weit der Prozess
fortgeschritten ist, kann man die Hoffnung haben, dass
die Maßnahmen noch umgesetzt werden . Wir haben ein
parlamentarisches Verfahren vor uns, in dem wir das erreichen können .
Im Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes sind einige
Dinge enthalten, die sich mit Ihrem Antrag decken .
({3})
Insofern wünsche ich mir, dass wir bald in das parlamentarische Verfahren eintreten . Wie bei allen Gesetzentwürfen können wir auch bei diesem Gesetzentwurf
im parlamentarischen Verfahren noch Veränderungen
vornehmen . Ich könnte mir vorstellen, dass man ein paar
Veränderungen noch hinbekommt, die mit Blick auf die
Wärmewende eine größere Anreizwirkung entfalten .
Frau Kollegin Scheer, wenn Sie jetzt einmal eine Pause machen und Luft holen würden, könnte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kühn von
Bündnis 90/Die Grünen zulassen .
Okay .
Bitte schön, Herr Kollege Kühn .
Danke, Frau Kollegin Scheer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Ich begebe mich sogar auf die Seite der
SPD-Fraktion, weil bei uns kein Mikro ist .
Ihnen ist bekannt - das wurde vorhin erwähnt -, dass
Frau Gundelach und einige weitere Kollegen einen Brief
an das Kanzleramt geschrieben haben, in dem sie sich
heftig gegen das Gebäudeenergiegesetz gewendet haben,
das in struktureller Hinsicht ein zentraler Baustein der
Wärmewende in Deutschland ist . Der Brief ist weithin
bekannt . Ich frage Sie: Wie bewerten Sie den Inhalt dieses Briefes, und wie wollen Sie und Ihre Fraktion damit
umgehen, dass Mitglieder der anderen Koalitionsfraktion
einen Brief an das Kanzleramt schreiben in der Absicht,
das Gebäudeenergiegesetz in dieser Legislaturperiode zu
versenken?
Ich möchte zu bestimmten Briefen keine Stellung
nehmen . Ich erwarte von unserem Koalitionspartner,
dass er verantwortlich mit unseren gemeinsam gesetzten Zielen umgeht . Im parlamentarischen Verfahren wird
sich zeigen, ob das so ist . Das werden wir vonseiten der
SPD-Fraktion auf jeden Fall einfordern . Ich erwarte, dass
wir da konstruktiv zusammenarbeiten . Ein Schriftverkehr im Vorfeld ist für mich nicht Gegenstand dessen,
was wir hier zu leisten haben .
({0})
Gestatten Sie auch noch eine Frage der Kollegin
Verlinden?
Ja .
Bitte schön, Frau Kollegin .
Vielen Dank, Frau Scheer, dass Sie die Frage zulassen . - Sie haben gesagt, es sei in dieser Legislaturperiode
noch Zeit, das Gebäudeenergiegesetz zu verabschieden .
Zuerst muss aber das Kabinett über den Entwurf befinden - Sie könnten den Gesetzentwurf natürlich auch als
Fraktion einbringen -, bevor es in den parlamentarischen
Prozess eingespeist wird . Wie schätzen Sie die Chance
ein, dass in der nächsten Woche oder im nächsten Monat der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes im Kabinett
beraten wird? Haben Sie einen Zeitplan? Wann, glauben
Sie, wird der Entwurf definitiv im Kabinett beraten und
dann hier im Bundestag eingebracht?
Es tut mir leid; das alles sind so Glaskugelfragen, die
hier gestellt werden .
({0})
- Ja, was heißt verhandeln? - Ein parlamentarisches Verfahren folgt einem Kabinettsbeschluss . Es ist noch Zeit
für das Kabinett; auch ich habe es durchgerechnet, weil
ich Interesse daran habe, dass wir das Gesetz durchbekommen . Wenn das Kabinett nicht dazu kommen sollte,
dann muss man nach einem Plan B suchen . Aber ich weiß
nicht, warum ich mir jetzt einen Plan B überlegen soll,
was wiederum Skepsis zum Ausdruck brächte . Dazu besteht so lange kein Anlass, solange es noch eine andere
Möglichkeit gibt . Klärungsbedarfe gab es auch schon bei
anderen Gesetzesvorhaben bzw . im Vorfeld von Gesetzesvorhaben . Insofern bin ich optimistisch, dass wir das
hinbekommen .
({1})
Ein Punkt, auf den ich noch gerne eingehen wollte, ist
die Synergie zwischen dem Stromsektor und dem Wärme- und dem Mobilitätssektor, weil ich denke, dass in
dem Bereich sehr viel Musik drin ist . Genau darin liegt
auch die Komplexität für den Gebäudesektor . Wir müssen uns zunehmend darauf gefasst machen und darauf
vorbereiten, dass diese Sektoren sinnvoll miteinander
zu verknüpfen sind . Insofern müssen wir uns auch klarmachen, dass im Bereich der Wärmewende ein sehr viel
größeres Maß an erneuerbaren Energien erforderlich sein
wird, als wir es bisher veranschlagt haben . Auch da wird,
denke ich, eine große Aufgabe liegen . Wir müssen den
Anteil der erneuerbaren Energien steigern .
Ich möchte, weil meine Redezeit davonrennt, nur
noch auf zwei Bereiche eingehen, mit denen man das
voranbringen kann . Über den Ausbau der erneuerbaren
Energien im Bereich des Mieterstroms wird bei uns viel
diskutiert . Wir haben an und für sich die Grundlage dafür, dass jetzt auch von ministerieller Seite etwas dazu
vorgelegt wird . Falls das nicht geschieht, dann haben
wir als Gesetzgeber die Möglichkeit, hier etwas zu tun .
Durch die Experimentierklausel kann man im Kontext
der Sektorenkopplung eine Möglichkeit schaffen, über
den Ausbau der erneuerbaren Energien etwas für den Gebäudeenergiebereich abzuzweigen und die Energiewende als Wärmewende fortzusetzen .
Die Zusammenführung - das ist die letzte Bemerkung
meinerseits - dieser Sektoren wird, denke ich, unsere
größte Aufgabe sein . Man muss die verschiedenen Vorhaben, die schon angegangen wurden, kombiniert mit denen, die noch kommen werden, wahrscheinlich über die
Legislaturperiode hinaus zusammendenken . So können
wir die Ziele erreichen, die wir uns gesteckt haben .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt hat als letzter Redner in dieser
Debatte der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion, das
Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte ich durchaus zugeben, dass ich mich gefreut habe, den Antrag zu lesen . Ich
finde, dass er viel Richtiges enthält und vieles, worüber
man sicherlich auch diskutieren muss . Aber er enthält
einen ganz zentralen richtigen Satz . Dort steht nämlich,
dass „der Umbau der Stromversorgung bereits ein gutes
Stück vorangekommen ist“. Wir haben in einem anderen
Zusammenhang öfter einmal darüber gestritten. Ich finde, diesen lobenswerten Satz darf man an dieser Stelle
ruhig einmal erwähnen .
Es ist schön, dass wir uns heute, mitten in der Heizperiode, darüber unterhalten, wie Deutschland seine Klimaziele im Wärmebereich erreichen kann . Wir alle wissen,
dass die Energiewende im Wärmebereich - ich glaube,
das kann ich auch für die SPD-Fraktion sagen - viel zu
langsam voranschreitet, viel langsamer jedenfalls als in
der Stromerzeugung, wo wir schon heute mindestens ein
Drittel des Stroms - die Zahlen variieren je nachdem,
wer rechnet - aus erneuerbaren Energien erzeugen .
Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, haben Sie ein sehr umfangreiches Programm vorgelegt . Ich glaube, dass es gut ist, am Ende
dieser ersten Beratung und auch darüber hinaus miteinander darüber zu diskutieren, die Vorschläge genauer zu
betrachten und zu schauen, was davon wirklich umzusetzen ist . Keine Frage: Wir stehen vor Herausforderungen
bei der Sektorenkopplung, also den Strommarkt mit dem
Wärmemarkt und dem Mobilitätsmarkt zu verbinden .
Wir stehen auch vor Herausforderungen beim Netzausbau . Ich sage an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich:
Auch beim Nichtnetzausbau stehen wir vor Herausforderungen, nämlich bei der Suche nach Netzausbaualternativen .
In Ihrem Papier werden viele Maßnahmen vorgeschlagen . Diese sind aus meiner Sicht auch nicht undurchdacht . Aber in Ostfriesland würde man sagen: Mallör
sitt up een lütjen Stee. Ich finde es nicht richtig, dass Sie
sagen, dass die Bundesregierung gar nichts gemacht hat .
Denn speziell das BMWi und BMUB haben zum Beispiel den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz, die
Energieeffizienzstrategie Gebäude, den Klimaschutzplan
und das Grünbuch zur Energieeffizienz vorgelegt. Das
alles liegt schon auf dem Tisch .
({0})
Herr Kollege, jetzt hat sich die Frau Kollegin Verlinden
gemeldet und fragt Sie, ob sie eine Zwischenfrage stellen
darf .
Mit dem größten Vergnügen, Frau Präsidentin .
Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Saathoff. Sie haben jetzt mehrere
hübsche Broschüren genannt, die die Bundesregierung
vorgelegt hat . Aber damit ist noch keine einzige Tonne
CO2 eingespart, damit ist keine einzige Kilowattstunde
eingespart, damit ist keine einzige Kilowattstunde durch
erneuerbare Energie produziert worden im Vergleich zu
den Heizungen mit fossilen Brennstoffen.
Wenn Sie sich einmal die Zahlen des Monitoringberichts und die Analyse der Expertenkommission anschauen, dann müssen Sie doch feststellen - ich denke einmal,
das sagen die Zahlen ganz eindeutig; da müssen Sie mir
beipflichten -, dass Sie noch sehr weit davon entfernt
sind, das Ziel, den Wärmebedarf in Gebäuden bis zum
Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, zu erreichen . Sie
werden dieses Ziel nicht schaffen, auch wenn Sie noch
fünf hübsche Broschüren produzieren und drucken lassen . Es geht ja darum, was die Bundesregierung und hier
das Parlament konkret an Maßnahmen beschließen, die
dann auch wirken, und nicht darum, dass man nur tolle
Ziele benennt und die dann schön formuliert .
Ja, liebe Kollegin Verlinden, es geht gar nicht darum, Broschüren zu drucken . Aber wenn Sie ein Haus
bauen wollen, brauchen Sie ein vernünftiges Fundament .
Es geht nicht darum, dass es Broschüren gibt, sondern
die Frage ist, wie sie erarbeitet worden sind und was sozusagen das Fundament für die weitere Gesetzgebung
ausmacht . Die Herausforderung, jetzt die Sektoren miteinander zu verbinden, ist so groß, dass es keinen Sinn
macht, sofort ein Gesetz auf den Markt zu schmeißen,
das dann anschließend vielleicht noch einmal infrage gestellt werden muss, weil es die falschen Anreize schafft.
({0})
Ich halte es für absolut richtig, dass wir unsere Arbeit vernünftig machen . Dafür muss man sich auch Zeit
nehmen . Aber ich glaube auch, dass Sie bei Ihrer Einschätzung, dass wir unsere Ziele bis 2020 nicht erreichen
werden, von einer Fehlannahme ausgehen . Ich bin noch
fest davon überzeugt, dass wir diese Ziele erreichen . Ich
will jedenfalls mit all meiner Kraft dazu beitragen, dass
das auch klappt .
({1})
Sie wollen als Opposition natürlich eine Schippe
drauflegen. Das kann ich wohl verstehen. Sie schlagen
Förderungen vor, die mehrere Milliarden Euro betragen - nach dem Motto „Viel hilft viel“.
Es gibt ein paar Dinge, die gut sind . KWK mit erneuerbarer Energie zu verbinden, darüber können wir reden .
Aber Sie schlagen zum Beispiel lokale Wärmenetze vor .
Aber bei neuen Gebäuden stellt sich schon die Frage, ob
sich lokale Wärmenetze dann noch lohnen, wenn die Gebäude tatsächlich einen so geringen Wärmebedarf haben .
Ich glaube, auch über die Frage Wärmespeicher kann
man diskutieren, darüber, wo sie sich lohnen und in welchem Maßstab sie sich lohnen . Das ist etwas, was wir
sicherlich auch noch miteinander diskutieren werden .
Ich will an dieser Stelle auch noch einmal sagen, dass
der Quartiersansatz nicht von Ihnen erfunden worden ist,
sondern wir haben ihn bei der KWK-Förderung schon
umgesetzt. Ich hoffe, dass es uns gelingt, den Quartiersansatz im Smart-Meter-Strombereich auch tatsächlich
hinzubekommen .
({2})
Keine Frage: Bei der Frage der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung sind wir nicht vorangekommen . Das ist nicht schön . Das ist ein Makel . Damit wären
wir heute sicherlich schon einen Schritt weiter . Wir haben nur das Marktanreizprogramm . Ich hätte mich auch
im Sinne der Handwerkerinnen und Handwerker gefreut,
wenn es eine steuerliche Förderung gegeben hätte .
({3})
Aber darüber können wir ja bei Gelegenheit noch einmal
miteinander diskutieren .
Das Gebäudeenergiegesetz ist sozusagen unter dem
Vorwand der Unwirtschaftlichkeit zunächst einmal aus
dem parlamentarischen Verfahren genommen worden,
aber ich glaube, dass wir als Parlament Manns und Frau
genug sind, dafür zu sorgen, dass das in dieser Legislaturperiode nicht endgültig beendet ist . Kollegin Dr . Scheer
hat darauf hingewiesen .
Ich finde, dieser Antrag hat gute Ansätze. Daher freue
ich mich auf gute Beratungen im Ausschuss und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . Dazu bekommen Sie auch Gelegenheit .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10979 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist so
beschlossen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung
des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im
Wärmebereich . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8438, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6885 abzulehnen .
({0})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Das sind die Grünen und
die Fraktion Die Linke . Wer stimmt dagegen? - Das sind
die Koalitionsfraktionen . Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt . Nach unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung .
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016
({1})
Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924
Nr. 1.16
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
Drucksache 18/11170
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Volkmar
Klein für die CDU/CSU-Fraktion .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Oft hilft zur Einordnung der aktuellen Situation ja ein Blick zurück . Vor gut drei Jahren, im Frühjahr 2014, hat das ganze Land über eine Zahl diskutiert:
23 Milliarden Euro . Im Koalitionsvertrag war vereinbart,
zusätzliche Ausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro
über die gesamte Legislaturperiode tragen zu können .
Die Opposition, gestärkt durch viele angeblich sehr gut
informierte Kommentatoren, hatte schon das Ende der
Stabilitätspolitik vorausgesagt und prophezeit, dass es
viele Nachtragshaushalte geben werde, und zwar nach
dem alten Verständnis . In der Vergangenheit bedeutete
ein Nachtragshaushalt nämlich meistens Problembewältigung und Krisenaufarbeitung . Aber genau das ist jetzt
nicht der Fall . Tatsächlich geht es bei unserem jetzigen
Nachtragshaushaltsplan um die Frage, wie mit größeren
Spielräumen umzugehen ist .
Seit 2014 haben wir einen ausgeglichenen Haushalt,
und das, ohne den Betrag von 23 Milliarden Euro gekürzt
zu haben . Ganz im Gegenteil: In der Zwischenzeit gab es
sogar sehr viel mehr zusätzliche Ausgaben, beispielsweise für die Entwicklungszusammenarbeit - dabei geht es
um Chancen für Menschen; auch das ist ein Teil unserer
internationalen Verantwortung - oder für die Entlastung
von Kommunen . Ich nenne als Stichworte die Kosten
der Unterkunft, die Flüchtlingskosten und die Grundsicherung im Alter . Insofern können die Menschen noch
viel mehr von der wirklich guten Wirtschaftsentwicklung profitieren. Das betrifft im Übrigen auch die kommunalen Einnahmen . Das heißt, die guten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik
Deutschland kommen inzwischen allen zugute .
Unser Nachtragshaushalt von heute hat mit Krisenbewältigung überhaupt nichts zu tun .
({0})
Bereits im ursprünglichen Haushalt war ein Betrag von
31,5 Milliarden Euro für Investitionen vorgesehen . Die
Botschaft, die von dem heute anstehenden Beschluss
ausgeht, lautet: Wir stärken die Investitionen weiter, und
das im doppelten Sinne .
Erstens - das ist vielleicht etwas technisch bzw . an
den Zahlen erkennbar; aber auch das ist wichtig - werden 3,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Kommunalinvestitionsförderungsfonds, also für die kommunale
Bildungsinfrastruktur, bereitgestellt, wodurch finanzschwache Kommunen gestärkt werden sollen . Dabei ist
wichtig: Dies ist eine Notwendigkeit, um die sich zwar
der Bund kümmert, die aber eigentlich nicht in der Zuständigkeit des Bundes liegt . Ich glaube, das muss immer
wieder betont werden .
Vor allen Dingen aber ist klar: Der Bund hilft, entscheidet aber nicht darüber, welche Kommunen finanzschwach sind . Das bleibt weiterhin Sache der einzelnen
Länder . Insofern würde ich vorschlagen - man hört ja
auch in der eigenen Region die Beschwerde, noch mehr
Geld wäre noch besser -, sich, wenn es bei der Zuteilung
Probleme gibt, bitte an die jeweiligen Länder zu wenden .
Aber über diese technische Frage - 3,5 Milliarden
Euro an zusätzlichen Investitionen - hinaus ist, so glaube
ich, ein Signal, welches von unserem Nachtragshaushalt
ausgeht, ein noch viel wichtigeres: Solide Finanzen sind
mehr als eine Zahl . Solide Finanzen sind ein Signal für
Zukunftsvertrauen und die Grundlage dafür, dass auch
in Zukunft Investitionen auch im privaten Bereich getätigt werden; ohne Vertrauen keine Investitionen . Wir
sichern mit diesem Nachtragshaushalt die weitere gute
wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes; denn die
müssen wir erhalten, wenn wir stark bleiben wollen . Die
müssen wir sichern . Deswegen ist es auch richtig, dass
zusätzliche Überschüsse erst einmal in die Rücklage fließen . Man weiß nicht, wie die weitere Entwicklung sein
wird . Dazu wird gleich Alois Karl noch einiges sagen .
Unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag muss
aber doch vor allen Dingen sein, dafür zu sorgen, dass
Deutschland stark bleibt, dass Deutschland auch in Zukunft seine Verantwortung nicht nur für die eigenen Bürger, sondern darüber hinaus weltweit wahrnehmen kann .
Das, was wir heute als Nachtragshaushalt beschließen, ist
ein ganz, ganz wichtiger, positiver Beitrag dazu . Deswegen bitte ich das ganze Haus um Zustimmung .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion Die
Linke ist Roland Claus .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Kern
geht es mit diesem Nachtragshaushaltsgesetz um Schulsanierungen . Da sind wir gern dabei und stimmen zu .
({0})
Dennoch entbehrt der Vorgang nicht einer gewissen
Peinlichkeit,
({1})
weil wir zum dritten Mal im Plenum die Debatte über
einen Nachtragshaushalt zum Haushalt des Jahres 2016
führen müssen, der bekanntlich längst abgeschlossen ist .
Ich empfehle Ihnen einen Blick in die Drucksache . Der
Artikel 3 des heutigen Gesetzentwurfes enthält den richtungsweisenden Satz: „Dieses Gesetz tritt mit Wirkung
vom 1. Januar 2016 in Kraft.“
({2})
Zum dritten Mal müssen wir deshalb beraten, weil
Union und SPD sich nicht einigen konnten, was sie mit
den Haushaltsüberschüssen nun machen wollten . Die
Bundeskasse von Bundesfinanzminister Schäuble war
sozusagen zeitweilig wegen Überfüllung geschlossen .
Das erinnert ein bisschen an die Geschichte von Buridans Esel . Ich denke, Sie kennen die Geschichte . Buridans Esel stand zwischen zwei großen Haufen aus saftigem Heu und ist schließlich dennoch verhungert, weil er
sich nicht entscheiden konnte, welchen er zuerst fressen
sollte .
({3})
So ähnlich hat sich die Koalition verhalten . Die SPD
wollte mehr Investitionen, die Union wollte Schuldentilgung . Die Einigung ist nun: Sie machen gar nichts, es
geht in die Rücklage .
Trotzdem muss man dabei einen gewissen Verhandlungserfolg der SPD anerkennen, der nämlich darin besteht: Von der SPD wissen wir bekanntlich alle, dass sie
sich bis zur Wahl immer nicht wirklich entscheidet, mit
wem sie denn regieren möchte .
({4})
Da sind natürlich knapp 20 Milliarden Euro in einer
Rücklage beim Bund ganz gut gebucht . Ich sage Ihnen:
Falls Sie uns im Blick haben, ist diese Vorsorge auch
wirklich angebracht, meine Damen und Herren .
({5})
Wir haben bereits mehrfach betont: Die Mittel für
Schulsanierungen sind gut angelegtes Geld . Deshalb
bleibt es auch bei der Zustimmung . Wir sagen ganz klar:
besser die Mittel für Bildung als für Aufrüstung ausgeben! Deshalb ist es eine gute Entscheidung .
({6})
Nun weiß auch ich, dass für den schlechten Zustand
vieler Schulen nicht allein der Bund und vielleicht nicht
einmal zuerst der Bund verantwortlich ist . Aber eines
muss ich an die Adresse der Union auch sagen: Unschuldig an der Situation vieler klammer, finanzschwacher
Kommunen ist der Bund aber auch nicht .
({7})
Deshalb sollte sich die Koalition auch nicht wie ein Gönner aufspielen, wenn diese Mittel jetzt investiert werden .
Der Investitionsbedarf ist bekanntlich zehnmal höher als
die Mittel, die wir heute beschließen werden .
Ich will Sie noch einmal daran erinnern: Die Linke hat
getrennte Abstimmung über die Artikel dieses Gesetzes
beantragt . Wir werden dem Artikel 1, in dem es um die
Schulsanierung geht, gern zustimmen, werden aber nicht
mit der Zustimmung zu den Artikeln 2 und 3 nachträglich einem schlechten Haushalt insgesamt unseren Segen
erteilen .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Swen
Schulz das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribünen!
({0})
Der Kollege Volkmar Klein hat es angedeutet, und mir
ging es auch so: Wenn ich früher das Wort „Nachtragshaushalt“ gehört habe, dann habe ich an eine Krise und
an Schulden gedacht . So war das in früheren Zeiten ja
auch immer .
Das ist jetzt aber vorbei . Wir haben wieder einen
Nachtragshaushalt, der nicht das Stopfen von Löchern
mit neuen Schulden vorsieht, sondern zusätzliche Investitionen aus Überschüssen . Das ist wirklich eine starke
Leistung dieser Koalition .
({1})
Wir haben heute Morgen ja bereits über das große
Paket der Gesetzentwürfe zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen diskutiert . Bei allen Kontroversen zu den
verschiedenen Punkten hat auch die Opposition richtigerweise festgestellt: Es ist richtig, zusätzliche Mittel für
Bildungsinvestitionen in finanzschwachen Kommunen
bereitzustellen .
({2})
Ich bin auf dem Feld der Bildung besonders stark
engagiert seit ich im Deutschen Bundestag bin, und ich
war schon immer ein Kritiker des Kooperationsverbotes
von Bund und Ländern . Darum freue ich mich wirklich
sehr, dass das wenigstens ein Stück weit gelockert wird
und damit mehr Engagement des Bundes für die Bildung
möglich ist .
({3})
Die Bildung - darin sind wir uns doch sicherlich alle
einig - ist sehr wichtig für die Menschen, für die Gesellschaft und für unsere Zukunft . Wir müssen hier alle
Kräfte zusammennehmen und an einem Strang ziehen .
Das wird jetzt leichter .
Dazu gehört dann aber auch - das sage ich ebenso
klar -, dass wir hier keine Blankoschecks verteilen . Die
Länder können mit dem Geld nicht machen, was sie wollen . Dieses Geld des Bundes muss dann auch wirklich für
die Bildung ausgegeben werden, und wir müssen darauf
achten, dass das korrekt läuft .
({4})
Wir Sozialdemokraten sagen freimütig, dass wir uns
bei aller Freude über das Erreichte durchaus hätten mehr
vorstellen können. Das betrifft zum einen das Kooperationsverbot, das wir auch ganz abschaffen würden, zum
anderen betrifft das auch das Geld; denn es gibt ja einen
zusätzlichen Haushaltsüberschuss in Höhe von 6,2 Milliarden Euro . Wir haben vorgeschlagen, dieses Geld für
weitere Investitionen zu nutzen .
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und die
CDU/CSU wollten das jedoch nicht . Sie wollten mit dem
Geld lieber Schulden tilgen . Wir konnten uns auch nach
langen Diskussionen nicht einigen,
({5})
sodass das Geld nach geltender Rechtslage in die Rücklage für Flüchtlinge fließt.
So weit, so schade; denn das Geld wird an den Schulen dringend gebraucht . Die baulichen Investitionen sind
in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen . 34 Milliarden Euro fehlen . Ich zitiere die KfW:
Den Trend steigender Investitionsrückstände zu
brechen ist notwendig, um das Bildungssystem zukunftsfit zu machen und das Bildungsniveau langfristig zu steigern . . .
Anders formuliert: Jeder weiß, dass in einer Schule ohne
funktionierende Heizung, ohne ordentliche Sporthalle
und ohne moderne Ausstattung nicht gut gelernt werden
kann .
Es gäbe auch jede Menge anderer Investitionsziele,
etwa bezahlbare Wohnungen, moderne kommunale Infrastruktur, schnelles Internet usw . Ökonomen wie der
DIW-Chef Fratzscher beklagen den öffentlichen Investitionsstau der letzten Jahre, der dringend aufgeholt werden muss . Auch die OECD fordert uns zu stärkeren Investitionen gerade im Bildungsbereich auf .
Die Bertelsmann-Stiftung hat jüngst in einer Studie
dargelegt, dass die öffentliche Hand in Deutschland zu
wenig investiert. Mehr öffentliche Investitionen würden sich demnach rechnen und auszahlen . Die Stiftung
schreibt:
Durch die geringe öffentliche Investitionstätigkeit
bleibt Deutschland hinter seinen wirtschaftlichen
Möglichkeiten zurück und setzt den Wohlstand
kommender Generationen aufs Spiel .
Deutlicher geht es doch nicht!
Die Union orientiert sich aber am Leitbild der vielzitierten schwäbischen Hausfrau .
({6})
- Nur mit der Ruhe! - Nichts gegen die schwäbische
Hausfrau an sich, aber der Staat ist eben kein Familienhaushalt .
({7})
Mir als gebürtigem Hamburger sei gestattet, zu sagen:
Was wir mehr brauchen, ist der Geist des hanseatischen
Kaufmannes, der vorausschauend investiert und auf
Wachstumskurs fährt .
({8})
Wir haben im Grundsatz gar nichts gegen das Zurückzahlen von Schulden . Aber das können wir doch erst machen, wenn die Schulen in Ordnung und wenn genügend
Wohnungen vorhanden sind, wenn also die Infrastruktur stimmt . Dafür interessieren sich doch die Menschen,
nicht dafür, ob der Schuldenstand 0,4 Prozent höher oder
niedriger ist .
Dass wir, meine sehr verehrten Damen und Herren,
diese Differenzen in der Koalition offen aussprechen und
hier debattieren, finde ich übrigens gut; denn so werden
bei allen gemeinsamen Erfolgen in der Koalition auch
die Unterschiede in der Herangehensweise an die Themen deutlich . Das hilft der Demokratie, und das hilft den
Bürgern bei der Wahlentscheidung .
({9})
Jetzt wird argumentiert, dass der Bund schon sehr
viel macht und die Mittel gar nicht recht abfließen. Ich
habe da einen Vorschlag . Die Bundesbildungsministerin
Wanka hat unlängst einen Digitalpakt für Schulen ins
Spiel gebracht . Der Bund will in den nächsten Jahren
massiv in die digitale Ausstattung an Schulen investieren .
Jährlich 1 Milliarde Euro an Bundesmitteln soll fließen.
Darüber gab es eine breite Berichterstattung . Allein: Frau
Wanka hat dafür keinen einzigen Euro . Sie verschiebt die
Finanzierungsfrage auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl .
({10})
Das ist - mit Verlaub - eher fragwürdig .
Wir könnten aber sofort mit einer ganz schnellen und
einfachen Entscheidung die Mittel für den Digitalpakt
aus dem Überschuss zur Verfügung stellen . Das wäre
doch einmal eine kraftvolle Entscheidung vor der Bundestagswahl .
({11})
Aber die Union lässt sich nicht überzeugen . So bleiben
die Mittel zweckgebunden in der Reserve für Flüchtlinge . Dort bleiben sie dann auch, bis der nächste Deutsche
Bundestag und die nächste Bundesregierung nach den
Wahlen anders entscheiden und das Geld sinnvoll einsetzen werden . Ich bin sicher, dass Bundeskanzler Martin
Schulz das ordentlich regeln wird .
({12})
Herzlichen Dank .
({13})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
Dr . Tobias Lindner das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schulz, ich will mich nicht zu dem äußern, wovon
Sie nachts träumen .
({0})
Aber wenn Sie über schwäbische Hausmänner und Hamburger Kauffrauen sprechen, dann will ich dazu folgendes
Zitat bemühen: Was lange währt, wird endlich gut . - Leider gilt das für das vorliegende Nachtragshaushaltsgesetz
keineswegs . Hier muss man eher sagen: Was zu lange
Swen Schulz ({1})
währt, das bleibt am Ende mutlos, liebe Kolleginnen und
Kollegen . - So ist es auch mit diesem Nachtragshaushalt .
({2})
Sie haben in der letzten Sitzungswoche ein in der Geschichte unseres Landes beispielloses Schauspiel aufgeführt . Als dieser Haushalt nach der Geschäftsordnung
beraten werden musste, haben Sie gezeigt, dass Sie sich
über die Verwendung des Überschusses in Höhe von
6,2 Milliarden Euro, den es im Haushalt glücklicherweise gibt, nicht einigen können . Sie haben diesen Nachtragshaushalt in Geiselhaft genommen, weil Sie über die
Frage gestritten haben: Wofür geben wir das Geld jetzt
aus? Die einen wollten Schulden tilgen . Andere wollten
investieren . Dazu muss ich sagen: Da rennen Sie bei den
Grünen offene Türen ein. Wieder andere - da gucke ich
die CSU an - wollten mit einem Einmaleffekt die Steuern
senken . Sie haben diesen Überschuss quasi schon dreimal ausgegeben .
Jetzt könnte man auf die Idee kommen: Nach dem
Nachdenken kommt etwas besonders Kreatives . Aber
nein, Fehlanzeige! Dieses Nachtragshaushaltsgesetz
bleibt, wie es ist .
Auch wir freuen uns darüber, dass 3,5 Milliarden Euro
für kommunale Investitionen bereitgestellt werden; das
ist richtig .
({3})
- Erst müssen wir das Grundgesetz ändern . Herr Kollege
Kalb, da bin ich bei Ihnen . Aber das löst ein anderes Problem nicht . Wir müssen uns einmal anschauen, wie dieser Überschuss von 6,2 Milliarden Euro entstanden ist .
So kommen 1,8 Milliarden Euro aus Investitionsmitteln,
die im letzten Jahr bereitstanden, aber nicht abgeflossen
sind .
Wir von Bündnis 90/Die Grünen sagen ganz deutlich:
Was für Investitionen bereitstand, das muss man in der
Zukunft wieder für Investitionen verwenden . Wer das
nicht tut, der versündigt sich an der Zukunft, meine sehr
geehrten Damen und Herren .
({4})
Deshalb haben wir Grüne einen Vorschlag gemacht;
denn wir wissen, dass es mit dem Mittelabfluss manchmal schwierig ist . Nicht jede Kommune hat bis zum Morgen des übernächsten Tages den Bauplan für eine Schulsanierung in der Schublade liegen . Man sollte vielleicht
auch manchmal überlegen, was prioritär ist . Können wir
die Mittel im Bereich Bildung gebrauchen? Wie sieht es
bei der Breitbandversorgung aus? Wie können wir die
Mittel vernünftig anlegen? Wie können wir das Dezemberfieber verhindern?
Deswegen wundert es mich, ehrlich gesagt, Herr Kollege Schulz, warum die SPD, wenn Sie Vorschläge machen, für was alles man diese Mittel verwenden könnte - ich bin durchaus bereit, mit Ihnen über die Ideen von
Frau Wanka zu diskutieren -, im Haushaltsausschuss gegen unseren grünen Antrag für einen Zukunftsfonds gestimmt hat, in den wir die Mittel überjährig und zweckgebunden eingestellt hätten .
({5})
Sie hätten zustimmen sollen . Dann könnten Sie jetzt Ihre
Träume verwirklichen, zumindest den von Ihrem Bildungsprogramm .
({6})
Ich will einen letzten Punkt nennen . Wir haben auch
deswegen den Überschuss im Haushalt, weil es unserem
Land wirtschaftlich, was die Wachstumszahlen betrifft,
ganz gut geht .
({7})
Deshalb sollten wir dafür Sorge tragen, dass dem auch
weiterhin so ist . Aber dann dürfen wir doch nicht unsere öffentliche Infrastruktur verfallen lassen, meine sehr
geehrten Damen und Herren, sondern dann müssen wir
dafür Sorge tragen, dass wir durch Investitionen das öffentliche Vermögen erhalten und modernisieren .
Das alles tun Sie mit dem Überschuss nicht . Sie sind
an dieser Stelle mutlos geblieben . Mit unserem Vorschlag
hätten Sie eine Menge tun können . Deshalb können wir
diesem Nachtragshaushalt heute nicht unsere Zustimmung geben .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Jetzt hat Alois Karl für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen des Deutschen Bundestages! Wenn wir uns
jetzt abschließend mit dem Entwurf des Gesetzes über
die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan 2016 befassen, freue ich mich, dass ich zum Bundeshaushalt 2016 offensichtlich der letzte Redner bin.
({0})
Nach meiner Rede wird darüber abgestimmt, und es ist
sehr wichtig, dass man das jetzt in eine gute Bahn bringt .
Es ist eigentlich ein gewöhnliches Thema . Wir sparen
bei den Zinsausgaben 3,5 Milliarden Euro . Mit diesen
3,5 Milliarden Euro, die wir weniger ausgeben, fördern
wir die kommunalen Investitionen . Das wird von allen
begrüßt; das können wir fast abhaken .
Aber das Thema ist doch nicht ganz so gewöhnlich;
es ist angesichts der Überschüsse beim Haushaltsabschluss 2016 eher ungewöhnlich . Es ist schon angesprochen worden: 6,2 Milliarden Euro; das ist nicht wenig .
Das ist ein tolles, erfreuliches und ungewöhnliches Ergebnis . Eigentlich müsste man mehr jubeln . Aber die
Freude ist Ihnen nicht ins Gesicht geschrieben gewesen,
Herr Claus, und anderen auch nicht .
Ich möchte mich ausdrücklich und mit großem Respekt, lieber Herr Staatssekretär, an den Bundesminister
Schäuble wenden, der in einer geradezu grandiosen Art
und Weise das Geld bei uns zusammenhält . Bitte richten
Sie ihm das aus! Das ist in den letzten beiden Jahren ein
ganz großer Akt gewesen . Ich bedanke mich persönlich
und auch im Namen meiner Fraktion für diese hervorragende Arbeit .
({1})
Meine Damen und Herren, die heutige Situation ist
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geradezu einmalig . Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu
gestern, dass wir eine Rücklage von 19 Milliarden Euro
schaffen, über die die nächste Bundesregierung befinden
kann .
Wenn ich Sie reden höre, Herr Claus, dann muss ich
sagen: Ich bete fast jeden Tag darum, dass Sie niemals
die Gelegenheit bekommen, über dieses Geld zu verfügen und Zugriff auf diese Rücklagen zu nehmen, die wir
geschaffen haben.
({2})
Wir hatten in den 50er-Jahren schon einmal eine ähnliche Situation. Fritz Schäffer hieß damals der Bundesfinanzminister - er kam von der CSU -, der in den Jahren 1953 bis 1957 Rücklagen geschaffen hat, aber damals
wegen des Aufbaus der Bundeswehr . Es waren 8 Milliarden D-Mark . Das entspricht nach heutigem Geldwert in
etwa den 19 Milliarden Euro, die wir jetzt als Rücklagen
im letzten und diesem Jahr eingestellt haben .
({3})
- Der Juliusturm ist manchen noch bekannt . Wir sind
weit davon entfernt, aber wir sind auf gutem Wege zu
einer konsolidierten und soliden Haushaltswirtschaft .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe Minister Schäuble angesprochen . Wir wären nicht in dieser
glücklichen Situation, lieber Herr Schulz, wenn wir in
den Haushaltsberatungen diesen ausgabewütigen Plänen
der Grünen und der Linken nachgegeben hätten .
({4})
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, Herr Lindner, wären
es 53 Milliarden statt 17 Milliarden Euro Mehrausgaben
gewesen: alles nicht gedeckt und unsolide .
Die Haushalte sind bei uns in den besten Händen und
so, meine ich, sollten wir das auch halten . Schulz und
Schulz bzw . Doppel-Schulz sollten wir nicht auf unsere
Fahnen schreiben .
({5})
Meine Damen und Herren, so wie die Situation heute
ist, war sie natürlich nicht immer . 2009, als Schäuble das
Finanzministerium übernahm, hatte Ihr Finanzminister
Steinbrück gerade einen Haushalt mit 86 Milliarden Euro
neuen Schulden für das Jahr 2010 vorgelegt .
({6})
Schäuble hat diese Summe nicht aufnehmen müssen, er
hat in den nächsten Jahren konsolidiert und den Haushalt
saniert: bis zum Jahr 2014 0 Euro neue Schulden, 2015
0 Euro neue Schulden, 2016 0 Euro neue Schulden und
2017 ebenfalls keine .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Leistungen werden wir natürlich zu gegebener Zeit unter die
Leute bringen können . Es ist mir durchaus bewusst, dass
wir für die Solidität und Stabilität unserer Finanz- und
Haushaltspolitik stehen . Dafür haben wir, glaube ich,
eine hervorragende Arbeit gemacht . Meine Damen und
Herren, wir haben in diesen Jahren unserer jungen Generation - den Kindern und Enkeln - keine neuen Hypotheken aufgebürdet . Wir haben sie nicht mit Belastungen
für die nächsten Jahre ausgestattet . Wir führen fast eine
Luxusdebatte - der Ausdruck ist vorhin gefallen . Und
wir meinen, dass es - nachdem Franz Josef Strauß 1969
das letzte Mal einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen
konnte, wir aber seit 1970 bis einschließlich 2013, also
43 Jahre lang, jedes Jahr neue Schulden aufgetürmt haben - an der Zeit ist, dem Volk zu zeigen, dass man mit
den Schulden auch anders umgehen kann, als sie bloß
anzuhäufen . Wir setzen das Signal, dass man sie auch abbauen kann . Wann, wenn nicht jetzt, wo wir Überschüsse
in den Haushalten haben, sollten wir denn Schulden abbauen? Jetzt ist die Zeit gekommen . Leider ist das mit
Ihnen, Herr Schulz, und der SPD-Fraktion nicht möglich
gewesen .
({7})
Das ist kein Ruhmesblatt für die deutschen Sozialdemokraten und ihre Finanz- und Haushaltswirtschaft .
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir könnten
sagen: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein . - Das ist
angesichts der großen Bundesschuld wohl durchaus richtig, aber es muss ein Signal geben, dass wir Schulden abbauen wollen, wenn wir entsprechend ausgestattet sind .
Ich möchte nicht Kassandra-Rufe ausstoßen .
Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Karl .
Aber es ist in der Tat so, Frau Präsidentin, dass wir in
den nächsten Jahren auch mit höheren Zinsbelastungen
rechnen müssen . Dann wird ein Schuldenabbau ganz,
ganz schwierig sein .
Wir werden unserer Tugend der Sparsamkeit auch
weiterhin Rechnung tragen . Wir stimmen dem Antrag zu,
in die Rücklagen zu gehen .
Wir stimmen auch dem Antrag zu, die Kommunen
weiterhin mit einem Fonds von 3,5 Milliarden Euro auszustatten . Wir wünschen den Kommunen mit diesem
Geld alles Gute, wünschen, dass sie auch wirklich in
die Bildung investieren . Ich bin sicher, dass wir in der
nächsten Legislaturperiode - hoffentlich auch dann mit
Wolfgang Schäuble - mit dem Geld vernünftig umgehen
werden .
Vielen herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die
Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan
für das Haushaltsjahr 2016 . Der Haushaltsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11170, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/10500 und 18/10807 anzunehmen .
Wie der Kollege Claus in seiner Rede angekündigt
hat, hat die Fraktion Die Linke beantragt, über den Gesetzentwurf getrennt abzustimmen, und zwar zum einen
über den Artikel 1 und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen .
Ich rufe zunächst Artikel 1 auf . Ich bitte diejenigen,
die Artikel 1 des Gesetzentwurfs zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Artikel 1 ist einstimmig angenommen .
Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs
auf . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Alle übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind damit
in zweiter Beratung bei Zustimmung der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD, Ablehnung der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/11008 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die Fraktion der Grünen . Wer ist dagegen? - Das sind CDU/CSU und SPD . Wer
enthält sich? - Das ist die Fraktion Die Linke . Damit ist
der Entschließungsantrag abgelehnt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Heike Hänsel, Niema Movassat,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Fluchtursachen bekämpfen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia
Roth ({1}), Omid Nouripour, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen
Drucksachen 18/7039, 18/7046, 18/7446
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Ute
Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!
Es ist immer spannend, über Anträge, die vor über einem
Jahr gestellt wurden, hier im Plenum auf Basis der Beschlussempfehlung zu diskutieren,
({0})
weil sich einerseits manches als nach wie vor aktuell erweist - da haben Sie recht - und weil sich andererseits
bestimmte Dinge verändert haben und der Fokus auf anderen Dingen liegt als noch vor über einem Jahr . Als Beispiel dafür, was nach wie vor aktuell ist, dienen in beiden
Anträgen, über die wir heute diskutieren, die globalen
Aspekte von Flucht, Vertreibung und Migration . Daran
wird sich so schnell auch nichts verändern, weil hier
langfristige Entwicklungen - wie es im Erläuterungsteil
der beiden Anträge dargestellt wird; darüber sind wir uns
alle im Großen und Ganzen einig - eine entscheidende
Rolle spielen .
Da, wo es um kurzfristige Entwicklungen ging, zum
Beispiel um die Frage, wie viel wir für humanitäre Hilfe
ausgeben müssen, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge,
die sich auf den Weg nach Europa machen, dramatisch
erhöht, hat sich im Vergleich zu der Situation vor über
einem Jahr einiges verändert . Einige Herausforderungen, auf die in den Anträgen hingewiesen wird, haben
wir inzwischen bewältigt . Dabei bestand manchmal die
Notwendigkeit, die CDU/CSU-Kollegen zu überzeugen;
das ist uns gelungen . Wir haben die Mittel für humanitäre
Hilfe drastisch aufgestockt, und zwar über den Betrag hinaus, der in den beiden Anträgen gefordert wird, nämlich
auf 1,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr . Es ist uns
zudem dank der Zuarbeit der Haushälter gelungen, diesen hohen Betrag für humanitäre Hilfe in diesem Jahr zu
verstetigen . Dementsprechend haben wir die Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen, die Menschen, die direkt von Krieg und Bürgerkrieg betroffen
sind, in Nachbarländer geflohen sind und in Flüchtlingslagern leben, humanitäre Hilfe leisten, deutlich verstärkt .
UNHCR und World Food Programme bekommen nun
deutlich mehr Geld aus dem Bundeshaushalt als noch
vor zwei Jahren .
({1})
Entwicklungen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung
noch nicht sichtbar waren, gab es im Bereich der internationalen Diskussion über humanitäre Hilfe und Flüchtlinge . Im letzten Jahr haben zwei Gipfel stattgefunden, an
denen sich Deutschland intensiv beteiligt hat . Der eine
war der World Humanitarian Summit in Istanbul . Der andere war ein Gipfel zur Flüchtlingshilfe in New York im
Herbst letzten Jahres . Man kann, glaube ich, mit gutem
Gewissen sagen, dass sich die deutsche Bundesregierung
und ganz besonders das Auswärtige Amt als federführendes Ministerium intensiv beteiligt haben . In Istanbul war
die Kanzlerin eine der wenigen Regierungschefs, die dort
teilgenommen haben. Auch das finde ich gut und richtig.
Das ist eine Konsequenz aus den Diskussionen, die wir
hier im Plenum immer wieder geführt haben .
({2})
Es stellt sich die Frage, wie wir mit den längerfristigen
Entwicklungen umgehen . Einige der großen Entwicklungen sind in Ihren Anträgen genannt, die auch und gerade
Afrika betreffen, obwohl ein Großteil der Flüchtlinge, die
in den letzten Jahren Europa erreicht haben, gar nicht aus
Afrika kommt, auch wenn die Bilder von den Seelenverkäufern, die in Afrika starten, und die Zahlen über die
ertrunkenen Flüchtlinge uns allen zu schaffen machen.
Ein Großteil der Flüchtlinge kam aus den Bürgerkriegsregionen des Nahen Ostens, und ein Teil kam vom
Balkan . Das heißt, da ist humanitäre Hilfe in den Nachbarländern Syriens und des Irak gefragt . Inzwischen ist
die Frage viel aktueller, wie wir die Flüchtlinge, die jetzt
für mehrere Jahre hier bleiben werden, vielleicht sogar
auf Dauer, in unsere Gesellschaft integrieren, wie wir sie
unterstützen, wie sie Ausbildungsplätze bekommen, wie
ihre Ausbildung, wenn sie schon ausgebildet sind, anerkannt wird, wie diejenigen, die ihre Schule noch im Heimatland abgeschlossen haben, hier in die Universitäten
kommen usw . Das heißt, wir diskutieren inzwischen über
andere Themen .
Aber in Bezug auf Afrika diskutieren wir immer noch
dasselbe . Ich möchte einen Punkt ansprechen, der auch
aufgrund der Debatte, die wir seit zwei Jahren über
Flucht und Migration führen, jetzt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwähnt wird, nämlich die
Frage, wie eigentlich innerhalb Afrikas nicht nur mit der
Afrikanischen Union und den Regierungen diskutiert
wird, sondern auch mit denen, die gezwungenermaßen
oder weil sie keine Lebensperspektive in ihrem eigenen
Land sehen, ihr Heimatland verlassen .
Das ist einer der Punkte, den ich Ihnen und euch noch
mitgeben möchte . Wir müssen in der Diskussion darauf
dringen, dass nicht nur über Flüchtlinge und Migranten
geredet wird, nicht nur von außen Vorschläge gemacht
werden, wie mit ihnen umgegangen werden kann oder
soll, sondern auch gemeinsam mit der Europäischen
Union und gemeinsam mit der Afrikanischen Union eine
Debatte darüber begonnen wird, was eigentlich die Wünsche, die Erwartungen und die Hoffnungen der Menschen sind, die sich auf direkter Flucht vor Krieg und
politischer Verfolgung oder auf der Suche nach besseren
Lebensperspektiven befinden.
Danke schön .
({3})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Heike Hänsel,
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Angesichts der großen Anzahl von Kriegen
weltweit, angesichts von Krisen, Millionen von Kriegsflüchtlingen, Terroranschlägen und erstarkten rechten
Bewegungen weltweit fangen viele Reden hier im Bundestag mit dem Satz an: Die Welt ist aus den Fugen geraten .
Aber dies hört sich, finde ich, sehr schicksalhaft an.
Dabei gibt es doch für Kriege und Krisen und für Terrorgefahr konkrete Verantwortliche . So kritisiert das Friedensgutachten 2016 - ich zitiere -:
Wer über Fluchtursachen redet, darf über das Debakel der westlichen Militärinterventionen nicht
schweigen .
({0})
Genau diese Politik des Westens im Irak, in Libyen, in
Syrien und in Afghanistan hat Millionen Kriegsflüchtlinge produziert . Genau deshalb muss diese Kriegspolitik,
an der sich die Bundesregierung beteiligt, beendet werden .
({1})
Durch Ihre Rüstungsexportpolitik - bisher war dafür SPD-Minister Gabriel federführend - wurde natürlich noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen . Überall
auf der Welt wird mit deutschen Waffen gemordet und
werden Menschen zur Flucht gezwungen . Auch deshalb
kann man diesen Satz nicht oft genug wiederholen: Wer
Fluchtursachen bekämpfen will, muss die Rüstungsexporte stoppen .
({2})
Am Samstag findet die jährliche Münchner Sicherheitskonferenz statt . Auch dort geht es nur um militärische Strategien, um Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung
und auch um Drohszenarien gegen Russland . Frau von
der Leyen will jetzt militärische Großverbände in Europa
aufstellen . Ja, was denn noch? Hier wird mit dem Feuer gespielt, und hier werden Milliarden Steuergelder für
die Rüstungsindustrie verbraten . Genau dieses Geld fehlt
natürlich im Kampf gegen Armut, für humanitäre Hilfe
in den Flüchtlingslagern und für eine gute Sozialpolitik
auch hier in Deutschland .
({3})
Deshalb setzen wir uns für ein Ende dieses unsäglichen
Kriegsgeheuls ein . Kein Geld für Hochrüstung und deutsche Großmachtpolitik! Wir fordern alle dazu auf: Kommen Sie zu der Demonstration am Samstag in München .
({4})
Seit wir die großen Fluchtbewegungen erleben, sprechen alle immer von der Bekämpfung von Fluchtursachen . Aber wenn man sich genau anschaut, was passiert,
stellt man fest: Es werden nur Fluchtrouten und Fluchtmöglichkeiten bekämpft . Flüchtlinge werden interniert .
Grenzen und Zäune werden hochgezogen. Deshalb finde
ich es verlogen, immer auf Trump und die USA zu zeigen; die EU ist hier keinen Deut besser .
Wir sehen auch, dass über Rücknahmeabkommen,
etwa mit der Türkei, Afghanistan und Libyen, eine menschenverachtende Flüchtlingspolitik betrieben wird . Die
Ursachen bleiben aber dieselben . Genau deshalb bringen
wir hier einen Antrag ein, mit dem wir fordern, endlich
an die strukturellen Ursachen von Flucht heranzugehen .
({5})
Die Kriegspolitik habe ich angesprochen . Ein anderer großer Bereich ist die Handelspolitik . Sie ist unsäglich . Auch hier fehlt von Entwicklungsminister Müller
die Ankündigung, endlich einmal an die existierenden
Freihandelsstrukturen heranzugehen. Die EU finanziert
auf der einen Seite mit Steuergeldern zum Beispiel Molkereien in afrikanischen Ländern . Auf der anderen Seite
gibt es überhaupt nicht genügend heimische Milch vor
Ort, weil das Milchpulver aus der EU hochsubventioniert
nach Afrika exportiert wird . So wird den Kleinbauern das
Leben schwergemacht . Hier werden Steuergelder verbraten, und gleichzeitig wird mit einer Freihandelspolitik die
Existenz von Millionen Menschen zerstört . Genau deswegen drängen wir darauf, dass die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den afrikanischen Ländern endlich
gestoppt werden, dass es hier ein Moratorium gibt . Sonst
kann man sich alle möglichen Entwicklungspläne für
die afrikanischen Länder sparen . Hier wird das, was auf
der einen Seite über Entwicklungsgelder finanziert wird,
durch die Freihandelspolitik wieder eingerissen .
({6})
Mein letzter Gedanke, Frau Präsidentin . Der Freihandel wird jetzt von einigen plötzlich wieder als eine tolle
Sache gesehen, weil Trump gegen Freihandel ist . Das ist
natürlich totaler Blödsinn .
({7})
Auch Cem Özdemir findet CETA jetzt plötzlich positiv,
weil Trump gegen Freihandel ist .
({8})
Ich kann nur sagen: Freihandel, CETA, TTIP, TiSA usw .
bleiben schädlich - Trump hin oder her . Wir müssen endlich eine gerechte Handelspolitik entwickeln .
Danke .
({9})
Vielen Dank . - Jetzt hat Jürgen Klimke für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wenn man gerade gehört hat,
was Heike Hänsel hier vorgetragen hat, dann sagt man
sich: Meine Güte,
({0})
der Antrag ist anderthalb Jahre alt, und gelernt haben die
Linken immer noch nichts . - Wenn man sich den Antrag
der Linken oder auch den der Grünen anschaut, dann gewinnt man den Eindruck: Deutschland ist ein Land, das
gemeinsam mit den USA die Hauptverantwortung für
weltweite Fluchtbewegungen trägt .
({1})
Was ist das für ein Unsinn? Es wird so getan, als seien
sowohl der islamistische Terrorismus als auch der Zerfall
Syriens Effekte des Handelns des Westens. Dies betont
vor allem auch der Antrag der Linken . Diese Fraktion
kritisiert die deutsche Außenpolitik als eine Politik - ich
zitiere -, „die auf völkerrechtswidrige Regime-Changes ...“, also auf den Sturz von Regierungen, „setzt“.
({2})
Meine Güte, liebe Heike Hänsel, seit Angela Merkel
Bundeskanzlerin ist, hat sich Deutschland weder im Irak
noch in Libyen noch in der Ukraine noch in Syrien oder
in anderen Konfliktregionen für den Sturz von Regierungen eingesetzt, wohl aber für das Ende von Kriegen, und
zwar mit humanitärer Hilfe und erheblichen Mitteln Hunderten von Millionen Euro - der Entwicklungszusammenarbeit .
({3})
Das müssen wir doch festhalten .
Deutschland müht sich mit großem Einsatz, multilaterale Organisationen, wie zum Beispiel die Vereinten
Nationen oder die OECD, zu unterstützen, zu stärken
und handlungsfähiger zu machen . Deutschland kämpft
weiterhin für das Zustandekommen internationaler Abkommen, auch zur Verminderung des CO2-Ausstoßes .
Deutschland ist Vorreiter beim Klimaschutz und bei den
erneuerbaren Energien .
({4})
Warum ist im Antrag der Grünen nur die Rede von
Deutschlands Verantwortung für den Klimawandel?
({5})
Das ist die gleiche Frage wie die zum Antrag der Linken . Mich stört dieses verzerrte Deutschlandbild, dieses
Getue, als ob hier eine widersinnige, unverantwortliche
Politik betrieben würde .
({6})
Allein der Titel des Antrages der Grünen, liebe
Claudia Roth, „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“, verdreht die Tatsachen
({7})
angesichts fast 1 Million Menschen, die hier in Deutschland in kurzer Zeit aufgenommen worden sind . Das muss
doch auch gesehen werden .
({8})
Ist es eine Bekämpfung von Flüchtlingen, wenn wir
1 Million aufnehmen? Wenn ich dann bei den Grünen
lese, dass wir legale Fluchtwege
({9})
und Migrationsmöglichkeiten schaffen und das System
der Arbeitsmigration neu gestalten sollen, dann wird mir
bange; denn die Grünen gestalten dieses System ja schon
lange mit . Sie gestalten es mit, indem sie in den Ländern,
in denen sie mitregieren, durchsetzen, dass Wirtschaftsmigranten nicht abgeschoben werden und sichere Herkunftsländer als nicht sicher benannt werden .
({10})
Die Grünen sorgen leider mit ihrer Politik dafür, dass die
Bereitschaft der Menschen in unserem Land, Flüchtlingen eine Zuflucht zu gewähren, eher abnimmt. Das ist
doch die Konsequenz .
({11})
Gestatten Sie mir noch einige Sätze als Entwicklungspolitiker; denn gerade das Entwicklungsministerium
macht sich mit erheblichen Mitteln bei der Bekämpfung
der Fluchtursachen stark . So werden die Nachbarländer
Syriens, zum Beispiel der Libanon, durch das BMZ und
das Auswärtige Amt unterstützt . Mehr als 500 Millionen Euro fließen zum Beispiel in den Libanon, um die
Menschen dort zu versorgen; das müssen wir ebenfalls
festhalten .
Aber unsere Entwicklungszusammenarbeit will nicht
nur Not lindern, sondern auch den Menschen vor Ort
eine Perspektive geben . Dies geschieht unter anderem
durch das Programm „Cash for Work“ des BMZ. Bis
Ende 2016 konnten allein durch dieses Programm fast
60 000 Jobs geschaffen werden. Etwa 270 000 Menschen
haben damit durch ihre Familien eine gesicherte Perspektive . Wir sind dabei, die Mittel für dieses Programm 2017
von 200 Millionen auf 300 Millionen Euro aufzustocken .
In diesem Zusammenhang darf ich dem BMZ ein sehr
herzliches Dankeschön für diese Initiative sagen .
Deutschland wird seiner Verantwortung gerecht; das
wird dadurch deutlich . Wir setzen uns für die Bekämpfung von Fluchtursachen ein .
({12})
In diesem Zusammenhang sind wir auch der Überzeugung, dass Freihandel allen Beteiligten nützen kann . Die
Linke fordert in ihrem Antrag eine Abkehr von diesem
Weg . Freihandel ist für sie neoliberal; auch TTIP wird in
diesem Zusammenhang erwähnt . Na ja!
({13})
Die Linke agiert hierbei also auf der gleichen Ebene wie
Herr Trump, das nennt man Ironie der Geschichte .
({14})
Erlauben Sie mir, noch einmal deutlich zu machen: Wir
brauchen in Zukunft eine gute Entwicklungszusammenarbeit, eine Stärkung der internationalen Institutionen
und der Konfliktprävention, aber beispielsweise auch die
Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und nicht zuletzt die Stärkung der guten Regierungsführungen in den
Entwicklungsländern . Das spielt leider in den Anträgen
von den Linken und den Grünen überhaupt keine Rolle .
Meine Damen und Herren, wichtig ist: Das, was ich
hier vorgetragen habe, versteht der Bürger . Das, was Sie
wollen, versteht der Bürger nicht .
({15})
Das ist das Entscheidende, und darüber wird er auch entsprechend entscheiden .
Danke sehr .
({16})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen hat nun
die Kollegin Claudia Roth das Wort .
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich habe einen Plan“, das sagte
Angela Merkel im Oktober 2015, als immer mehr Menschen in Not sich auf den Weg nach Europa machten und
bei uns in Deutschland aufgenommen wurden . Angela
Merkels Plan sollte das beenden: mit einem deutlichen
Ausbau des Grenzschutzes, vor allem in Richtung Türkei, und mit der Bekämpfung der Fluchtursachen . Angela
Merkels Politik sollte also auf zwei Beinen stehen, einem
repressiven, das die Grenzen für Geflüchtete immer unüberwindbarer machen sollte, und einem vernünftigen,
um zu verhindern, dass immer mehr Menschen gezwungen sind, überhaupt ihre Heimat zu verlassen . Heute, fast
eineinhalb Jahre später, stellen wir jedoch fest: In der Realität hinkt dieser Plan ganz gewaltig .
({0})
Die repressiven Maßnahmen wirken . Die Grenzen auf
der Balkanroute sind inzwischen schier unüberwindbar,
und auch mit dem Türkei-Deal werden Flüchtlinge davon abgehalten, die Europäische Union zu erreichen . Es
ist doch Realität, dass so die Menschen in Serbien oder
in Griechenland stranden, wo sie fast ungeschützt dem
Winter ausgesetzt sind, wo sie frieren und erfrieren .
Gleichzeitig werden Auffanglager in Nordafrika geplant,
wird die Entwicklungszusammenarbeit mit Abschottung
und Rückübernahme konditioniert in Staaten wie dem
Niger, die zu den Ärmsten der Armen gehören, wo laut
UN 1,2 Millionen Kinder unterernährt sind . So wird
immer weiter an einer Mauer um Europa gebaut, einer
Mauer, die für die Geflüchteten real und brutal ist, die
wir in Europa aber nicht sehen oder nicht sehen wollen
und nicht sehen müssen . Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit diesen Maßnahmen, mit den nach
Orwell-Sprech klingenden Migrationspartnerschaften
oder mit einer militärischen Ertüchtigung von Grenzschutzeinheiten, durch Deals mit Despoten oder mit der
militärischen Schlepperbekämpfung im Mittelmeer, wird
es doch keinen einzigen Flüchtling weniger geben auf
dieser Welt . Aber darum geht es doch bei der Bekämpfung von Fluchtursachen .
({1})
Damit werden die Symptome bekämpft, aber eben
nicht die Ursachen selbst . Natürlich, liebe Ute FinckhKrämer, ist es gut und richtig - dafür sind wir doch
auch -, dass die humanitäre Hilfe stark erhöht wurde und
erhöht wird, um das schlimmste Leid vor Ort zu mindern .
Aber bei der tatsächlichen Bekämpfung von Fluchtursachen verschließt die Bundesregierung ihre Augen vor
der eigenen Verantwortung . Gegen die strukturellen Ursachen, dass Menschen durch Armut, durch Krieg und
Terror, durch Umweltkatastrophen, zunehmend durch
die Klimakrise, durch politische Verfolgung dazu gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen, wird viel zu
wenig getan .
({2})
Wir haben in unserem Antrag versucht, zu zeigen, wie
es gehen könnte, etwa mit einer reformierten EU-Landwirtschaftspolitik, die nicht zuerst auf Export setzt und
so nicht die Nahrungsmittelmärkte in den armen Ländern
kaputt macht, oder mit dem Ende der Überfischung der
Meere vor den Küsten Westafrikas durch EU-Fangflotten
oder mit einer fairen EU-Handelspolitik, die anders als
bei den EPAs auch die Ausbildung einer eigenständigen,
einer afrikanischen Industrie, einer regionalen Landwirtschaft fördert,
({3})
und, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, natürlich
und ganz besonders auch mit dem Stopp von Rüstungsexporten in Krisengebiete oder an Regime wie Saudi-Arabien, mit denen wir die Kriege und gewaltsamen
Konflikte anfüttern, anstatt sie zu beenden.
({4})
Diese Maßnahmen wären vernünftig . Sie wären ein
wirklich ernstgemeinter und echter Plan für weniger
Flucht auf dieser Welt, ein Plan, der sich tatsächlich
um die Fluchtursachen kümmerte, statt Flüchtlinge abzuwehren, ein Plan, der sich um eine Welt bemühte, die
lebenswert ist für alle .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Tobias Zech .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt bin
ich etwas verwundert und frage mich, ob ich im falschen
Land lebe oder meine Vorredner .
({0})
Ich glaube, wir alle in diesem Hause, die wir hier sitzen auch die Regierung -, müssen uns nicht verstecken, wenn
es darum geht, was wir die letzten Monate auf die Beine
gestellt haben im Bereich „Bekämpfung von Fluchtursachen“ - überhaupt nicht.
({1})
Wir können auch einmal Danke sagen für die Geschwindigkeit des Bundeskanzleramtes, - Staatsminister Roth
ist anwesend - für die Geschwindigkeit des Auswärtigen
Amtes und - Staatssekretär Fuchtel ist anwesend - für
die Geschwindigkeit des BMZ, aber vor allem auch den
Beamten dieser Ministerien und den Botschaften vor Ort,
die ohne bürokratische Hemmnisse miteinander für die
Menschen arbeiten, um die es in dieser Debatte geht, diejenigen nämlich, die aus Syrien geflohen sind und jetzt in
Jordanien, in der Türkei oder im Libanon versuchen, ihr
Leben zu verbessern . Denen kann man Danke sagen . Auf
diese Ergebnisse - Frau Roth, Sie haben es ja mehrfach
vor Ort gesehen - können wir stolz sein .
({2})
Somit zu sagen, wir hätten in dieser Regierung nichts
hinbekommen, hat mit der Realität nichts zu tun .
({3})
- Herr Movassat möchte etwas sagen .
({4})
Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .
Ja .
Haben Sie sie bestellt? - Bitte schön, Herr Movassat .
Herr Kollege Zech, danke, dass Sie die Frage zulassen . - Ihr engagiertes Plädoyer, dass die Bundesregierung so viel gegen Fluchtursachen tun würde, ruft mich
auf den Plan . Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die
relativ wenig mit der Bekämpfung von Fluchtursachen
zu tun haben . Das sind Abkommen mit Ländern wie
dem Sudan, Äthiopien, Eritrea etc ., wo es um sogenanntes Migrationsmanagement geht . Aber im Wesentlichen
geht es bei diesen Maßnahmen darum - hier ist vor allem
die EU am Ball -, Polizisten auszubilden, auszurüsten .
Solche Maßnahmen finden statt. Mit Ägypten, einer Militärdiktatur, ist ebenfalls ein solches Abkommen in der
Pipeline . Mich würde interessieren: Was haben solche
Maßnahmen, bei denen die Bundesregierung mit Diktaturen zusammenarbeitet, um Migranten und Flüchtlinge
zu stoppen, mit der Bekämpfung von Fluchtursachen zu
tun?
({0})
Herr Movassat, vielen Dank für diese Frage . - Ich
beantworte sie mit einem anderen Beispiel . Ich beziehe
mich auf die Waffenlieferungen an die Peschmerga-Kurden, gegen die Sie auch gestimmt haben .
({0})
- Doch, doch . - Bei der Frage „Was hat Sicherheit, was
hat die Ausbildung vor Ort mit Flucht zu tun?“, bei der
Frage „Unterstütze ich ein Volk wie die Kurden im Nordirak, um sich gegen einen Feind, die Islamisten des IS,
zu verteidigen?“ sage ich: Ja, natürlich unterstützen wir
die . Wenn Sie sagen, denen dürfen wir nur Lebensmittel,
Medikamente und Sanitärausrüstung liefern: Dann sind
sie satt, sauber und gesund, bevor sie vom IS erschossen
werden . Ich sage: Natürlich arbeiten wir mit Sicherheitspolitik . Natürlich hat es etwas mit der Bekämpfung von
Fluchtursachen zu tun, einem Volk auch die Möglichkeit
zu geben, sich zu verteidigen .
({1})
Insoweit sind wir tatsächlich auf einem anderen Weg .
Aber ich war bei einem anderen Punkt . Gerade habe
ich die Regierung gelobt . Aber wir sind nicht nur mit
der Regierung vor Ort, sondern auch mit Organisationen: Die großen NGOs sind vor Ort: das Rote Kreuz,
der Rote Halbmond, aber auch kleine Organisationen .
Wir haben in Bayern eine ganz kleine NGO - die heißt
Orienthelfer -, die seit Jahren im Libanon, in der Türkei,
in Jordanien hervorragend arbeitet . Sie erhält auch Unterstützung durch das Bundesverteidigungsministerium .
Der Staatssekretär hat mit ausgemusterten Feldküchen,
mit denen man für 1 000 Menschen pro Tag kochen kann,
geholfen . Es ist ein kleiner Verein, und was er tut, das
verdient unseren Respekt .
({2})
In der letzten Woche haben wir in Barelias in der Bekaa-Ebene ein Handwerkerhaus eingeweiht, das direkt an
der Grenze zu Syrien jungen Flüchtlingen Handwerksausbildungen ermöglicht, finanziert vom Bildungswerk
der bayerischen Wirtschaft und von der Bayerischen
Staatskanzlei . Das funktioniert alles vor Ort . Wir stellen allein vom BMZ 2017 3,5 Milliarden Euro für die
drei großen Maßnahmen bereit: Minderung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern, Unterstützung von
Flüchtlingen im Aufnahmeland und Unterstützung von
Aufnahmegemeinden . Die Hauptaufgabe - egal ob die
Flüchtlinge in der Türkei sind, in Gaziantep, in Nizip
oder Kilis, ob sie im Libanon sind, in Tripoli, oder ob sie
in Jordanien sind - übernehmen die Kommunen . Auch
diese unterstützen wir . Somit ist Deutschland mittlerweile der zweitgrößte bilaterale Geber für diese Regionen .
Auch darauf können wir stolz sein . Auch das hat die
Bundesregierung hinbekommen . Somit werden wir unserer Verantwortung nicht nur gerecht, sondern wir werden dieser Verantwortung mehr als gerecht . Wir dienen
auch als Vorbild, wenn ich mir einmal die Regierung in
Frankreich ansehe, die 63 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt hat, oder die in Italien mit 43 Millionen Euro - im
Gegensatz zu unseren 1,2 Milliarden Euro .
({3})
Wir leisten also finanzielle Unterstützung vor Ort.
Kollegin Roth hat es vorhin angesprochen, Sie auch,
Frau Hänsel: Was machen wir denn? Wir verteilen das
Geld ja nicht mit der Gießkanne, sondern machen Projekte, die eine Perspektive schaffen. „Cash for Work“ hat der
Kollege Klimke schon angesprochen . Wir versuchen, die
Infrastruktur auszubauen, aber nicht für jemanden, sondern mit jemandem, auch mit der heimischen Wirtschaft .
Auch Freihandel ist, wenn er fair ist, ein richtiges Instrument, und auch dafür kämpfen wir .
({4})
Natürlich müssen wir auch die Fluchtursachen bekämpfen,
({5})
die sich durch Kriege in einer Region ergeben, in der
wir Frieden brauchen, die sich durch Erschütterungen
in der Sicherheitslandschaft ergeben, aber auch durch
Menschenhandel, durch verbrecherische Organisationen,
die es geschafft haben, dass im Jahr 2016 auf dieser Welt
mehr Geld mit Menschenhandel als mit Drogenhandel
verdient worden ist . Wir haben es also auch mit organisierter Kriminalität zu tun . Schleppern - auch das gehört zur Bekämpfung von Fluchtursachen - muss man
das Handwerk legen . Insofern ist die Unterstützung für
Frontex, die Unterstützung der Grenzsicherung ein wichtiger Schritt, damit Schlepper kein Geld damit verdienen,
dass sie das Leben von Menschen gefährden, die sie aufs
Meer hinausschicken .
({6})
Für mich ist wichtig: Wir können uns nicht hinsetzen
und zufrieden sein - es gibt in all diesen Regionen noch
viel zu tun . Ich glaube aber, wir sind mit dem, was wir
bis jetzt gemacht haben, auf einem richtigen Weg . Noch
einmal danke an alle, die beteiligt waren! Ich hoffe, dass
wir diese Debatte nicht mehr allzu oft führen müssen,
sondern sich die Situation vor Ort zum Besseren wendet .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank, Tobias Zech . - Schönen Abend von mir!
Ich habe einen kleinen Rollenwechsel vorgenommen .
({0})
- Haben Sie das gar nicht mitbekommen?
({1})
- Schade!
({2})
- Ich höre Ihnen doch zu - immer .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 18/7446. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7039 mit dem
Titel „Fluchtursachen bekämpfen“. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, Gegenstimmen kommen von den
Linken .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7046 mit dem Titel „Fluchtursachen
statt Flüchtlinge bekämpfen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen, und die Linke hat sich enthalten .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 d auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen
Krisenprävention
Drucksache 18/11134
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine aktive zivile Friedenspolitik
Drucksache 18/11166
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Franziska Brantner, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken - Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen
Drucksache 18/11174
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„Group of Friends“ für Konfliktprävention
im Rahmen der Vereinten Nationen
Drucksache 18/11175
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({7})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache üppige 25 Minuten vorgesehen .
({8})
Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort jetzt er steht schon bereit - Staatsminister Michael Roth .
({9})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Wir hatten ja eben
eine engagierte Debatte, und ich darf jetzt Sie alle einladen, sich einem Gesetzentwurf zu widmen, der mir ganz
besonders am Herzen liegt . Wenn es nach mir ginge, Frau
Präsidentin - aber ich bin ja nur Diener des Parlaments -,
würde ich sehr lange und intensiv mit Ihnen über dieses Thema sprechen wollen . Denn in diesen Zeiten der
Krisen und Konflikte ist unser Land außen- und sicherheitspolitisch so sehr gefordert wie nie zuvor. Das betrifft
eben nicht nur Parlamentarierinnen und Parlamentarier,
nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern vor allem
auch viele zivile Expertinnen und Experten . Sie helfen
Tag für Tag dabei, neue Konflikte zu verhindern, Krisen
zu entschärfen und die Folgen von Krieg und Hass zu
lindern .
Um genau diese Menschen geht es in der heutigen
Debatte . Mit dem sogenannten Sekundierungsgesetz ich gebe zu: ein ziemlich technisch klingender Name schaffen wir die gesetzliche Grundlage dafür, dass unsere
zivilen Expertinnen und Experten ihre Aufgaben künftig
noch besser erfüllen können .
Der vorliegende Gesetzesentwurf mag komplex sein
und recht nüchtern daherkommen . Wir wollen mit ihm
jedoch Menschen ganz konkret ihren Arbeitsalltag erleichtern . Genau darum geht es .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die globalen Bedingungen für unser Handeln haben es in sich: Die Welt wird
instabiler . Die internationale Ordnung ist im Umbruch .
Darauf müssen wir reagieren und international mehr
Verantwortung übernehmen . Wie gut, dass sich in den
vergangenen Jahren in weiten Teilen von Politik und Gesellschaft ein breiter Konsens entwickelt hat, diese neue
Rolle entschlossen anzunehmen . Der Wille ist da, jetzt
braucht es aber auch Gestaltungskraft . Dazu müssen wir
aus unseren Erfahrungen lernen und noch besser werden .
Aktuell werden unter Federführung meines Hauses
die neuen Leitlinien der Bundesregierung für Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung
erarbeitet . Diese Leitlinien wollen wir im Frühjahr im
Kabinett verabschieden . Sie haben das Ziel, das Krisenengagement in einer gemeinsamen Strategie zusammenzuführen; denn Krisen und Konflikte überwindet man
nicht im Alleingang . Unser Krisenengagement muss immer Teil einer Politik sein, die in multilaterale Bemühungen um Frieden und Sicherheit eingebettet ist .
Unser Zentrum für Internationale Friedenseinsätze
spielt dabei eine zentrale Rolle . Ich weiß nicht, ob sich jemand von Ihnen daran erinnert: Als Ende der 1990er-Jahre hochqualifiziertes Zivilpersonal für eine Friedensmission der OSZE im Kosovo gesucht wurde, musste das
Auswärtige Amt quasi aus dem Nichts geeignete Expertinnen und Experten rekrutieren . Zu dieser Zeit gab es
schlicht keine zentrale Anlaufstelle, wie wir sie heute mit
dem ZIF hier in Berlin haben . Die Gründung des ZIF im
Jahr 2002 unter der rot-grünen Bundesregierung war der
Startschuss für die Professionalisierung der deutschen
Personalpolitik für internationale Friedenseinsätze . Mit
seinem integrierten Ansatz der Rekrutierung, Ausbildung
und Betreuung von Zivilpersonal unter einem Dach dient
das ZIF inzwischen weltweit als Vorbild .
Jedes Jahr rekrutiert das ZIF mehr als 160 Expertinnen und Experten für internationale Friedensmissionen
und mehr als 300 Wahlbeobachter . Ihre Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Schatz . Sie helfen dabei,
Krisen zu entschärfen oder, noch besser, Konflikte gar
nicht erst entstehen zu lassen. Sie überwachen Waffenstillstände und Wahlen. Sie schaffen tragfähige Strukturen bei Justiz und Sicherheit . Um es ganz konkret zu
machen: Unsere zivilen Expertinnen und Experten helfen
beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit im Kosovo, bei der
Demobilisierung der FARC-Guerilla in Kolumbien, und
sie stärken die Sicherheitskräfte in Mali, die gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität kämpfen . Ohne sie
wäre es nicht möglich, ausgehandelte Friedensabkommen umzusetzen, wie beispielsweise im Kongo oder der
Ukraine .
({1})
Sie unterstützen aber auch die Verwaltung der Missionen
oder arbeiten im Sekretariat der OSZE in Wien oder bei
der EU in Brüssel .
Gerade in Krisengebieten wie in der Ostukraine oder
in Afghanistan arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen
unter schwierigsten Bedingungen . Oft können sie sich
wegen der angespannten Sicherheitslage nicht frei bewegen, oder sie wohnen in geschützten Gemeinschaftsunterkünften oder gar Militärstützpunkten, und sie sind
häufig für lange Zeit von ihren Familien und Freunden
getrennt . Auch deshalb wissen wir, was wir an den vielen
Expertinnen und Experten haben, die für uns und mit uns
weltweit im Einsatz sind . Ihre herausragende Arbeit ist
zu einem Markenzeichen deutscher Außenpolitik geworden - und darauf bin ich auch ein bisschen stolz, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Wir wollen unsere Anerkennung aber nicht nur mit
freundlichen Worten ausdrücken . Wir wollen unsere zivilen Expertinnen und Experten auch in der Praxis noch
besser unterstützen und schützen . Wir wollen sie für ihre
Arbeit angemessen bezahlen und sicherstellen, dass sie
rechtlich und sozial ordentlich abgesichert sind . Dafür
soll die Neufassung des Sekundierungsgesetzes sorgen .
Es ist ein Meilenstein in der rechtlichen und sozialen
Absicherung des Zivilpersonals . Es wird uns erlauben,
den Expertinnen und Experten für ihre wichtige Tätigkeit erstmals nicht nur Aufwandsentschädigungen, sondern wirkliche Gehälter auf der Grundlage von regulären
Arbeitsverträgen zu zahlen . Sie werden auch belastbare
Kranken- und Sozialversicherungen haben . Wir sorgen
Vizepräsidentin Claudia Roth
auch dafür, dass unsere Sekundierten in ihren schwierigen und oftmals sehr gefährlichen Missionen bestmöglich abgesichert sind .
In Zukunft soll das ZIF mit seiner hervorragenden
Expertise Arbeitgeber und zentraler Ansprechpartner für
Sekundierungen sein . So stellen wir eine bestmögliche
Vorbereitung und Betreuung unseres Zivilpersonals in
allen Phasen der Entsendung sicher . Mit der Erfahrung
des ZIF in der internationalen Personalpolitik stellen wir
auch sicher, dass wir zielgenau die Personen ansprechen
können, die am besten für jede einzelne Aufgabe geeignet sind . Denn wir brauchen die besten Frauen und Männer . Gerade weil wir die internationale Ordnung mitgestalten wollen, brauchen wir Menschen, die Expertinnen
und Experten auf ihrem Gebiet sind, die jeweilige Region
kennen und bereit sind, auch Führungspositionen in den
Missionen zu übernehmen . Dafür bietet das neue Sekundierungsgesetz eine ganz hervorragende Grundlage .
Erfahrene Kolleginnen und Kollegen von Ihnen wissen: Das Auswärtige Amt bringt selten Gesetze auf den
Weg . Dieses ist ein besonders wichtiges und liegt mir als
Aufsichtsratsvorsitzender des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze ganz besonders am Herzen . Ich bitte
Sie um gute Beratungen und um Ihre Unterstützung .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Michael Roth . - Nächste Rednerin:
Kathrin Vogler für die Linke .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Linke
begrüßt den Einsatz von qualifizierten Fachkräften im
Rahmen der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung ausdrücklich . Gerade weil wir Militäreinsätze
ablehnen, setzen wir auf friedliche Mittel bei der Vorbeugung und Überwindung von Gewalt . Diese Mittel sind
schonender, sie sind wirksamer, sie sind nachhaltiger,
und sie kosten außerdem noch sehr viel weniger Geld .
Zivile Fachkräfte wie Juristen, Psychologen, Technikerinnen und Techniker oder Verwaltungsspezialistinnen und Verwaltungsspezialisten helfen zum Beispiel
der OSZE, Waffenstillstände zu überwachen. Sie helfen
bei Wahlbeobachtungen, oder sie bauen im Auftrag der
Vereinten Nationen in einem vom Krieg zerstörten Land
wie Sierra Leone ein gerechtes Gerichtswesen und eine
transparente Verwaltung auf . Dafür verdienen sie unser
aller Respekt und Dank .
({0})
Bisher gab es bei der Entsendung solcher Fachkräfte immer Probleme mit der sozialen Absicherung . Diese
Probleme löst die Bundesregierung mit der Reform des
Sekundierungsgesetzes . Das war unserer Ansicht nach
wirklich überfällig .
Aber - ich wäre keine Oppositionsrednerin, wenn jetzt
nicht noch ein Aber käme ({1})
ein großer Schritt hin zu einer wirklich zivilen, friedlichen und dem Friedensauftrag des Grundgesetzes verpflichteten Außenpolitik ist das tatsächlich nicht. Deswegen haben wir hier heute einen Antrag vorgelegt, in dem
wir die Bundesregierung zu einer aktiven zivilen Friedenspolitik auffordern.
Seit Mitte des letzten Jahres - Herr Staatsminister, Sie
haben es angesprochen - arbeitet die Bundesregierung
nun an Leitlinien für ihr Krisenhandeln . Das, was sich da
bisher abzeichnet, lässt bei mir und meiner Fraktion die
Alarmglocken schrillen . So hat sich etwa Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Diskussionsplattform
PeaceLab ganz eindeutig geäußert - ich zitiere -:
Umfassende Vernetzung
- so schreibt sie da im Sinne des Weißbuchs erlaubt keinen Antagonismus mehr von „zivil“ und „militärisch“.
Was meint die Ministerin denn damit? Sie tut so, als wären Schießen und Verhandeln eigentlich dasselbe, nur
zwei Seiten einer Medaille . Damit können wir wirklich
nicht einverstanden sein .
({2})
Auch wenn das jetzt nach Plagiat klingt, Frau Präsidentin: Mich erinnert das tatsächlich an das Neusprech
aus Orwells Roman 1984.
({3})
Zivil und militärisch sind nun einmal Gegensätze . Wenn
dem widersprochen wird, zeigt das doch nur, welche
Umwertung der Werte hier vorgenommen werden soll .
Damit sind wir nicht einverstanden .
({4})
Entsprechend achtet das Verteidigungsministerium
nun in der Debatte um die Leitlinien ganz sorgsam darauf, dass das Adjektiv „zivil“ möglichst gar nicht mehr
vorkommt . Denn der konsequente Ausbau ziviler, also
nichtmilitärischer, Instrumente der Friedensförderung
und der Konfliktbearbeitung muss ja kollidieren mit dem
Plan, den die Bundesregierung gleichzeitig betreibt, nämlich bis 2030 130 Milliarden Euro mehr für Rüstung und
Militär auszugeben und für den zivilen Friedensdienst
keinen einzigen Cent mehr; so war es im letzten Haushalt . Die Gesamtausgaben für die zivile Krisenprävention sind sogar verringert worden - und das, obwohl Herr
Steinmeier als Außenminister immer betont hat, deutsche
Außenpolitik sei und bleibe Friedenspolitik . Das waren
ja seine Worte . In der Praxis sieht es aber ganz anders
aus: Milliarden für Militäreinsätze, Milliarden für die
Aufrüstung und für Friedensprojekte ein paar Peanuts .
Jetzt hätte Steinmeiers Nachfolger, der Herr Gabriel,
die Chance, da etwas anders zu machen . Er hat sich ja
nun in den letzten Jahren eher einen echten Namen als
Förderer des internationalen Waffenhandels gemacht,
aber als Außenminister ist er jetzt in einer anderen Rolle . Wir fordern ihn ganz gezielt auf, dass er diese andere
Rolle auch ausfüllt .
Wir haben die Situation, dass Deutschland fast in die
ganze Welt Waffen liefert und an jeden Kriegsschauplatz:
in die Türkei, nach Saudi-Arabien, nach Indien und nach
Pakistan. Das ganz Perfide ist: In fast allen diesen Ländern gleichzeitig werden Projekte der zivilen Konfliktbearbeitung betrieben .
Was machen Sie da? Sie verhöhnen die Opfer und
diejenigen, die sich darum bemühen, dass eben Frieden
wird, dass Feinde wieder zu Nachbarn werden und dass
Konflikte ohne Gewalt ausgetragen werden. Deswegen
wollen wir eine breite gesellschaftliche Debatte um ein
Leitbild „Frieden“ und um eine aktive Friedenspolitik,
die ausschließlich auf ziviles und gewaltfreies Handeln
setzt . Da hätten Sie jetzt die Möglichkeit, es besser zu
machen, etwas zu verändern . Ich rufe Ihnen zu: Nutzen
Sie die Chance! Schmieden Sie Schwerter zu Pflugscharen!
({5})
Vielen Dank, Kathrin Vogler . - Nächster Redner:
Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich muss sich Außenpolitik weiterentwickeln, natürlich muss sich Krisenprävention weiterentwickeln allein schon deshalb, weil sich die Ausprägungen der
Krisen verändern . Wenn wir uns die vergangenen Monate und Jahre anschauen, dann sehen wir, dass wir es mit
einer Gleichzeitigkeit von Krisen und mit überlappenden
Krisen zu tun haben und dass Krisen in aller Welt sich
auch in der Innenpolitik in Deutschland manifestieren ob das Migrationsbewegungen sind, ob das Terrorexport
ist oder was auch immer .
Wenn ich mir die Rahmenbedingungen anschaue,
dann muss ich sagen: Sie werden nicht einfacher . Beispielsweise ziehen sich die USA stärker auf sich zurück,
möchten als Ordnungsfaktor in relevanten Regionen der
Erde keine Rolle mehr spielen, und sie weisen darauf hin,
dass wir Europäer zukünftig mehr eigene Sicherheitsverantwortung werden tragen müssen .
Wir sehen ferner Russland, für das es offensichtlich
keine Rolle mehr spielt, die Vereinbarungen der Charta von Paris auch tatsächlich wirksam werden zu lassen .
Schließlich haben wir eine Europäische Union, die in den
nächsten zwei Jahren mehr mit sich selbst beschäftigt
sein wird, insbesondere mit dem Austritt des Vereinigten
Königreichs aus der gemeinsamen Union .
Das sind die Rahmenbedingungen, die, glaube ich,
schon Anlass geben, eine Bestandsaufnahme zu machen
und auch zu überlegen, wie wir Krisenpräventionspolitik
in der Zukunft vernünftig weiterentwickeln können . Aus
meiner Sicht sind drei Grundpfeiler ohne Frage gegeben:
erstens der Vorrang des Zivilen; zweitens: Niemals allein, immer multilateral .
({0})
Und zum Dritten, liebe Frau Vogler - das will ich Ihnen
an der Stelle gern sagen -, brauchen wir auch den gesamten Instrumentenkasten der Außenpolitik . Das bedeutet
Diplomatie, das bedeutet Entwicklungszusammenarbeit,
das bedeutet Krisenprävention, das bedeutet aber dort,
wo es notwendig ist, auch den Einsatz militärischer Mittel im Sinne eines umfassenden Sicherheits- und Verteidigungsansatzes .
({1})
Das ist es - so glaube ich -, was uns an dieser Stelle
unterscheidet .
({2})
Sie haben in Ihrer Rede, liebe Frau Vogler, ein echtes
Zerrbild der Wirklichkeit gezeichnet .
({3})
Wir haben am 12 . Mai 2004 den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ durch die Bundesregierung implementiert bekommen . Was ist in den vergangenen 13 Jahren
passiert? Wir haben eine mehr als Verzehnfachung der
Mittel für zivile Krisenprävention erlebt; wir haben heute
die Abteilung Krisenprävention im Auswärtigen Amt, die
über ein Budget von 1,7 Milliarden Euro verfügt .
Was heißt denn das? Das heißt doch nichts anderes,
als dass die zivile Krisenprävention in der deutschen Außenpolitik in den vergangenen 13 Jahren unheimlich an
Bedeutung gewonnen hat . Wir sehen, dass wir einen umfassenden Ansatz brauchen, wenn wir die richtigen Antworten auf die Krisen in der Welt geben möchten; nichts
anderes bedeutet das . Das stellen Sie mit Ihrem Antrag
in Abrede .
In den letzten 13 Jahren ist noch mehr passiert . Auch
institutionell ist die zivile Krisenprävention auf ganz
neue Füße gestellt worden, ob durch das Zentrum für
Internationale Friedenseinsätze, durch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik oder auch durch andere Einrichtungen . Jetzt geht es darum, langfristige Leitlinien zu
definieren, um Krisenprävention für die Zukunft richtig
aufzustellen . Dabei wird es sicherlich darauf ankommen,
Ressorteigeninteressen besser zu überwinden als in der
Vergangenheit . Es muss uns gelingen, besser zu evaluieren, wie die eingesetzten Mittel tatsächlich wirken . Es
kommt auch darauf an, dass wir nicht nur ein Topgeber
bei der UN und anderen internationalen Organisationen
sind, wenn es ums Geld geht, sondern dass wir auch,
wenn es um Polizeikräfte und zivile Experten geht, mit
Man- und Womanpower an der Front tätig werden .
Ich glaube, dass wir mit der Novellierung des Gesetzes, das wir heute beraten, einen gewaltigen Schritt in
die Zukunft tun, weil es uns damit gelingen wird, mehr
als nur 160 zivile Krisenexperten in den Einsatz zu entsenden . Das ist ein echter Beitrag zur Krisenprävention,
zur Fluchtursachenbekämpfung und dazu, den Menschen
in ihren Herkunftsländern ganz persönliche Lebensperspektiven zu geben . Ich glaube, es ist richtig, diejenigen,
die wir entsenden, zu unterstützen und sie mit sozialversicherungsrechtlicher Absicherung auszustatten, was die
Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung
angeht . Wir sollten auch profane Dinge wie Reisekosten
vernünftig regeln, damit wir diejenigen, die für uns im
Auslandseinsatz sind, tatsächlich unterstützen können .
Lassen Sie mich einen letzten Gedanken sagen . Ich
bin davon überzeugt, dass wir mehr Verantwortung in
der Welt übernehmen müssen . Das bedeutet auch, dass
wir unsere Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten
innerhalb der NATO in Richtung des 2-Prozent-Ziels
ausbauen müssen. Ich möchte aber ergänzen: Ich finde,
der Vorschlag, den der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger, Ende letzten Jahres gemacht
hat, ein 3-Prozent-Ziel ins Auge zu fassen, das neben Sicherheit und Verteidigung auch Krisenprävention, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit entsprechend
abbildet,
({4})
ist der richtige Ansatz, um der Probleme in der Welt Herr
zu werden .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Thorsten Frei . - Nächste Rednerin:
Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Der Anlass dieser Debatte zur zivilen Krisenprävention ist das Sekundierungsgesetz . Der Anlass ist ein
guter . Umso bedauerlicher ist, dass dieses Thema jetzt in
„üppigen“ 25 Minuten und zu so später Zeit abgehandelt
wird .
({0})
Es geht um Friedensmacher und deren Arbeitsbedingungen . Es geht um Rechtsanwälte, Ingenieure, Experten
für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, um
die Manpower und Womanpower, wie Herr Frei gerade
gesagt hat. Sie sind häufig in schwierigen Situationen
und leisten Enormes . Bis jetzt waren sie im Hinblick auf
Krankheiten und Unfälle nicht gut abgesichert, und sie
hatten häufig keine wirklich guten sozialversicherungsrechtlichen Absicherungen. Es gab das geflügelte Wort,
dass sie im Endeffekt Scheinselbstständige im Auftrag
Deutschlands sind . De facto waren sie es; denn sie waren
für Deutschland unterwegs, hatten aber keinen Arbeitsvertrag .
Das wird jetzt endlich geändert . Zwei Jahre hat man
dafür gebraucht . Das ist etwas lange, aber gut: Immerhin,
jetzt kommt es . Aber, Herr Roth, das macht zivile Krisenprävention noch nicht zu einem Markenzeichen .
({1})
Das reicht nicht, um den Herausforderungen, denen wir
heute in unserer Nachbarschaft und weltweit begegnen,
gerecht zu werden .
Wir von Grünen und Linken hatten mit Spannung auf
den Antrag von CDU/CSU und SPD gewartet, um zu hören, wie Sie zu diesem Markenzeichen kommen wollen .
Leider warten wir immer noch vergeblich. Wir finden es
wirklich bedauerlich, dass wir nicht darüber diskutieren
können und das Parlament keinen Input in diesem Leitlinienprozess gibt .
({2})
- Wir geben ihn . Genau!
({3})
Die Linken und wir haben trotzdem gesagt: Wir geben
unsere Anregungen mit auf den Weg . Ich möchte gerne
ein paar davon nennen .
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich klare Zielvorgaben zu setzen, also nicht in Allgemeinplätzen bei
dem Leitlinienprozess zu verharren, sondern sich zum
Beispiel vorzunehmen, bis 2025 mindestens viermal so
viele Polizisten wie aktuell in Einsätze der Vereinten
Nationen zu entsenden . Heute sind wir mit jeweils circa 30 deutschen Polizistinnen und Polizisten von rund
13 000 bis 14 000 bei einer blamabel niedrigen Zahl .
Sich konkrete Zielvorgaben zu setzen und in den Bereichen Mediation, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheitssektorreform sowie Versöhnungs- und Aufarbeitungsarbeit
Schwerpunkte zu setzen und zu sagen, wo man konkret
hinkommen möchte - das ist unsere Erwartung an die
Leitlinien, die von Ihnen kommen .
({4})
Für uns ist ganz klar, dass das alles nur zu erreichen ist,
wenn die Zivilgesellschaften - nicht nur unsere, sondern
auch diejenigen, die man als Englischsprachiger oft nicht
gleich wahrnimmt - kooperieren .
({5})
Manchmal traut man sich fast nicht mehr, es zu sagen,
aber wir wissen, dass die unterschiedlichen Ministerien
besser koordiniert werden müssen und dass es endlich zu
einer wirklichen Friedenspolitik kommen muss, bei der
alle Ministerien auf den Auftrag unseres Grundgesetzes,
dem Frieden der Welt zu dienen, ausgerichtet sind und
das auch umsetzen . Wir Grüne machen einen Vorschlag
für einen nationalen Friedens- und Nachhaltigkeitsrat,
der genau die Aufgabe hat, zu überprüfen, ob alle Ministerien ihren Beitrag dazu leisten . Das wäre ein Vorschlag,
den wir gern in Ihren Leitlinien wiederfinden würden.
Wir hoffen, dass wir es endlich schaffen, diesem Auftrag
des Grundgesetzes gerecht zu werden .
({6})
Ich möchte einen ganz konkreten Punkt erwähnen,
weil wir alle dieser Tage immer wieder sagen, in Zeiten von Trump und Co . würden die Vereinten Nationen
so viel schwächer und hätten vielleicht keine Bedeutung
mehr: Warum richtet Deutschland nicht endlich im Rahmen der Vereinten Nationen eine Freundesgruppe Zivile
Krisenprävention ein, eine Friends-of-Group?
({7})
Es gibt so viele Gruppen in diesem Bereich, aber keine
zu einer der primären Aufgaben der Vereinten Nationen .
Liebe Bundesregierung, gehen Sie voran! Setzen Sie ein
Zeichen gegen Trump! Sagen Sie: Wir machen jetzt bei
den Vereinten Nationen die Gruppe auf, die auf Multilateralismus, auf Friedensmacher und auf zivile Krisenprävention setzt! Das könnten Sie machen . Der neue Außenminister könnte damit einen Meilenstein setzen . Das
wäre doch ein echtes Zeichen gegen Trump statt nur zu
reden .
({8})
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Ja, ich komme zum Schluss. - Häufig hören wir vor
Ort: Ihr könnt doch weltweit ohnehin nichts ausrichten;
das ist viel zu schwierig . - Heute Abend können wir
belegen: Doch, es gibt sie, die Friedensmacher, die für
Deutschland unterwegs sind . Wir müssen sie stärken und
darauf hinwirken, dass es mehr werden . In Zukunft sind
sie wenigstens sozialversichert . Das ist eindeutig gut . Ich
hoffe, dass wir uns hier versprechen können, noch in dieser Legislaturperiode eine längere Debatte zur Kernzeit
zu diesem wichtigen Thema zu führen . Die Bürgerinnen
und Bürger würden sich freuen, zu hören, was wir alles
tun und noch vorhaben .
Ich danke Ihnen .
({0})
Vielen Dank, Franziska Brantner . - Der letzte Redner
in dieser Debatte: Michael Vietz für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Es klingt mittlerweile viel zu vertraut, wenn wir feststellen, dass die Welt
immer mehr und immer schneller aus den Fugen gerät,
dass wir mit den wachsenden und sich verändernden Herausforderungen mithalten müssen, dass Gewissheiten
der internationalen Ordnung weniger gewiss werden .
Die Notwendigkeit, dass wir uns vielfältig engagieren,
nimmt zu - vor, während und im Nachgang von Krisen
und Konflikten. Wenn wir nicht bei der Bewältigung vor
Ort helfen, stehen sie irgendwann vor unserer Haustür .
Zivile Krisenprävention ist ein wichtiger Teil unserer
Politik, auch wenn diese nicht so im Blick der Öffentlichkeit und offenkundig auch nicht im Blick der Planer der
Plenartagesordnung steht wie andere außenpolitische Instrumente, die dann notwendig werden, wenn Prävention
scheitert, wenn Krisen nicht eingedämmt werden, wenn
die Bewältigung teurer und aufwendiger wird - mit allem
Risiko für Leib und Leben derer, die dann zum Einsatz
kommen .
Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ von 2004
wird nun als Grundlagendokument neu überarbeitet . Die
darauf aufbauenden Leitlinien zum Krisenengagement
befinden sich in der Bundesregierung zur Abstimmung.
Gemeinsam mit dem Weißbuch ist dies ein wichtiger Bestandteil unserer auswärtigen Politik .
Unsere Außen- und Sicherheitspolitik ist vorausschauend, werteorientiert, interessengeleitet und umfassend,
da sie auch die Entwicklungshilfe und andere Bereiche
mit umfasst . Wir stärken unser Engagement für Prävention sowie für die Bewältigung und Nachsorge von Krisen
und Konflikten, um langfristig Stabilität und Frieden zu
fördern. Konkret schaffen wir das nur mit Menschen, die
sich vor Ort mit hohem Einsatz einbringen, Experten auf
unterschiedlichen Fachgebieten, die gemeinsam mit den
Konfliktparteien nach Lösungen suchen. Die hierfür notwendigen Kenntnisse sind so vielschichtig wie die Konflikte und Krisen selbst.
Das heute in die Beratung eingebrachte Sekundierungsgesetz ist hier ein wichtiger Baustein . Wir gehen
auf die neuen Notwendigkeiten ein; wir berücksichtigen
bisherige Erfahrungen und rüsten uns für die Zukunft .
Zurzeit steht die soziale Absicherung unserer sekundierten Experten in keinem Verhältnis zu den Ansprüchen, die wir und die internationale Gemeinschaft an
deren professionellen Einsatz stellen . So wurde an vielen
Stellen bislang lediglich eine Aufwandsentschädigung
gezahlt, während in anderen Bereichen längst den Realitäten mit regulären Arbeitsverträgen Rechnung getragen
wird . Wenn wir einen professionellen, umfassenden und
zielgerichteten Einsatz von Fachkräften wollen und noch
mehr Fachkräfte für diesen Einsatz gewinnen wollen,
müssen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen liefern .
Erbrachte Leistungen müssen bezahlt und abgesichert
werden . Vor allem wird Rechtssicherheit für alle Vertragspartner geschaffen. Für die möglichen Vertragstypen
gelten künftig die gleichen Vorschriften in Bezug auf die
Risikoabsicherung bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, bei sonstigen Haftungsrisiken sowie der Altersvorsorge . Diese Anpassung ist überfällig .
Ebenso wichtig ist die Aufwertung des Zentrums für
Internationale Friedenseinsätze - kurz: ZIF - unter Steuerung des Auswärtigen Amts . Hier werden geeignete Experten für die komplexen Aufgabenbereiche ausgewählt,
vorbereitet und für die entsprechenden Missionen dem
Auswärtigen Amt vorgeschlagen . Arbeitgeber und steuernde Kraft bleibt am Ende das ZIF .
Unsere zivilen Experten leisten im Rahmen unseres
vernetzten Ansatzes einen substanziellen Beitrag im Krisenmanagement, sei es beim Aufbau und bei der Ausbildung der Polizei in Mali, bei der Überwachung des
Minsk-Abkommens in der Ukraine, durch die Begleitung
der Justizreform im Kosovo durch Rechtsexperten und
durch die Unterstützung der Demobilisierung der Kriegsparteien in Kolumbien - um nur einige wenige Beispiele
zu nennen .
Weltweit sind unsere Fachkräfte in unterschiedlichen
Krisengebieten im Einsatz . Sie tragen dazu bei, ziviles
Krisenmanagement als wichtiges Element deutscher Außenpolitik umzusetzen . Ich danke daher ausdrücklich allen, die für unser Land weltweit ihren Beitrag für Frieden
und Stabilität leisten .
Diesem Dank und dieser Anerkennung müssen Taten folgen. Mit der Neufassung des Gesetzes schaffen
wir eine bessere rechtliche Absicherung, mit den neuen
Leitlinien zum Krisenmanagement einen ergänzenden
strategischen Rahmen . Lassen Sie uns beides zügig zum
Abschluss bringen .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Michael Vietz . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11134, 18/11166, 18/11174 und
18/11175 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Attraktivitätsverlust stoppen - BAföG noch
2017 erhöhen
Drucksache 18/11178
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre viel,
aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Haben Sie wie
ich am vergangenen Samstag den Spiegel gelesen? Da
stand - Zitat -:
Die Studentenzahlen steigen, doch der Anteil der
BAföG-Empfänger sinkt …
Das ist eine alarmierende Meldung . Das BAföG ist das
Finanzierungsinstrument für Bildungsaufstieg . Das müssen wir hegen und pflegen.
({0})
Wir Grüne beantragen im Bundestag daher hier und heute, das BAföG noch in dieser Wahlperiode, also noch
vor der Bundestagswahl, zu erhöhen und zu verbessern .
Studierende sollen sich ihrem Studium widmen können,
anstatt ständig zwischen Hörsaal und Nebenjobs zu pendeln . Das BAföG muss zum Leben reichen .
({1})
Die Rednerinnen und Redner der Koalition werden
gleich natürlich sagen: Wir haben das BAföG doch erst
im letzten Jahr erhöht . - Ja, das war nach sechs Nullrunden auch bitter nötig .
({2})
Das Problem ist: Ihre Erhöhung hält nicht mit der Preisund Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland Schritt .
({3})
Daher ist das BAföG 2017 weniger wert als 2010 .
({4})
Wir wollen die schleichende Schrumpfkur und den Attraktivitätsverlust beim BAföG endlich stoppen .
Eigentlich hätten wir in diesen Tagen den BAföG-Bericht der Bundesregierung diskutiert . Drei Jahre sind seit
der Vorlage des letzten Berichtes vergangen . In der gestrigen Fragestunde erfuhr ich vom BMBF: Vor September
wird das nichts mehr mit der Veröffentlichung. Vielleicht
wird es noch irgendwann etwas in diesem Jahr .
({5})
Diese Verzögerungstaktik ist ein schlechtes Omen für
eine transparente BAföG-Politik, erst recht für zügige
Reformen . So geht das nicht, liebe Koalitionäre!
({6})
Zum Glück sind Gewerkschaften und Jugendverbände
in die Bresche gesprungen und haben einen Alternativen
BAföG-Bericht vorgelegt . Für diese Arbeit herzlichen
Dank!
({7})
Der Alternativbericht offenbart schonungslos die
schlechte Lage und Lücken beim BAföG . Bedarfssätze
und Freibeträge sind zu niedrig . Die Wohnkostenpauschale reicht hinten und vorne nicht . Es dauert zu lange, bis das BAföG auf geänderte Lebensrealitäten von
Studierenden reagiert . Aus diesen Befunden wollen wir
schnell die notwendigen Konsequenzen ziehen .
({8})
Was wollen wir konkret? Die Fördersätze müssen
um 6 Prozent steigen . Dann können Studierende bis zu
780 Euro erhalten . Die Einkommensfreibeträge wollen
wir um mindestens 3 Euro - Entschuldigung! -, um
3 Prozent erhöhen .
({9})
- Nein, wir machen es nicht so, wie Sie es mit Ihrer komischen Kindergelderhöhung gemacht haben . Mit den
paar Euro mehr haben Sie sich so was von blamiert .
({10})
Die Einkommensfreibeträge müssen um 3 Prozent erhöht werden, damit der Kreis derjenigen, die überhaupt
BAföG-berechtigt sind, erweitert wird .
Angesichts explodierender Mieten in den Universitätsstädten und studentischer Wohnungsnot wollen wir,
dass die tatsächlichen Wohnkosten erstattet werden, und
zwar regional gestaffelt; denn Wohnen ist in Chemnitz
oder Köln unterschiedlich teuer .
({11})
- Ja, es ist wirklich schwer . - Wir freuen uns über jeden
Studierenden an jedem Studierendenort in dieser Republik .
({12})
Aber man muss doch zur Kenntnis nehmen, wie sich die
Mietpreise entwickelt haben . Dass Sie sozial so blind
sind, spricht ganz klar gegen die Union .
({13})
Wahrscheinlich ist das bei den Geflüchteten genauso;
sie sollen aus unserer Sicht nämlich schneller BAföG bekommen .
({14})
Wir wollen für ausgewählte Gruppen die Teilzeitförderung ermöglichen . Außerdem soll das BAföG mit einer
bundesweit einheitlichen und funktionstüchtigen Software endlich problemlos online beantragt werden können .
({15})
Unser BAföG-Maßnahmenbündel wäre ein echter Gewinn für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende,
die sich dann voll auf ihre Bildung konzentrieren könnten . Es wäre auch ein Gewinn für unser Land; denn unser
Wohlstand beruht auf Bildung und Qualifizierung.
Das BAföG hat in seiner 45-jährigen Geschichte vielen jungen Menschen aus einkommensarmen Elternhäusern das Studium ermöglicht . Damit das auch in Zukunft
so bleibt, muss das BAföG regelmäßig und automatisch
erhöht werden .
({16})
Jetzt, wo wir als Bund zu 100 Prozent für das BAföG
zuständig sind, lässt sich ein solcher automatischer Anpassungsmechanismus noch einfacher im Gesetzesblatt
verankern und damit willkürliches Regierungshandeln
beim BAföG beenden . Das BAföG muss erhöht werden,
und zwar regelmäßig .
Jetzt sind Sie von der Union und der SPD an der Reihe .
Sie müssen Farbe bekennen, ob Sie für mehr Bildungsgerechtigkeit sind und sich gleich als BAföG-Parteien feiern oder ob Sie durch Nichtstun in den nächsten Monaten
dafür sorgen, dass das Schrumpfen beim BAföG schon
zum nächsten Semester wieder losgeht .
({17})
Unser Forderungskatalog ist klar: Wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit .
({18})
Vielen Dank, Kollege Kai Gehring . - Nächster Redner: Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz herzlichen Glückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, zu dieser gelungenen, ja beinahe schon perKai Gehring
fekten Kopie des Antrags der Linken zum gleichen Thema .
({0})
Doch während die Linken vor vier Monaten noch eine
aus ihrer Sicht notwendige Anpassung an die Lebenswirklichkeit forderten, wollen die Grünen nun den angeblichen Attraktivitätsverlust des BAföG stoppen . Mit
Ihren Anträgen liefern Sie, die Grünen und die Linken,
den Beweis dafür, dass auch Sie offensichtlich im postfaktischen Zeitalter angekommen sind; denn mit der Realität hat das überhaupt nichts zu tun, lieber Kollege Kai
Gehring .
({1})
Wir lassen uns die BAföG-Reform nicht von Ihnen kleinreden .
Während man den Linken noch zugutehalten
kann, dass Sie es damals nicht besser wussten und die
BAföG-Reform wahrscheinlich an Ihnen vorbeigegangen ist, liebe Kollegin Gohlke, können Sie sich nach
unserer lebhaften Debatte am 20 . Oktober nun wirklich
nicht auf Unkenntnis berufen. Sie waren offensichtlich
körperlich anwesend - auch du, lieber Kai; aber zugehört
hast du nicht, als wir damals diskutiert haben . Jetzt legen
Sie einen Antrag vor, der überhaupt nichts Neues enthält,
sondern nur von allem ein wenig mehr .
({2})
Anscheinend wollen Sie den Linken in nichts nachstehen . Sie lassen jegliches Maß vermissen .
({3})
Das ist ein Überbietungswettbewerb sondergleichen . So
geht es nicht, Kollege Mutlu .
({4})
An dieser Stelle ein kleiner Hinweis, was das Ganze haushalterisch bedeuten würde: Allein die von Ihnen geforderte Erhöhung der BAföG-Sätze um weitere
6 Prozent und der Freibeträge um 3 Prozent würde im
Bundeshaushalt zu jährlichen Mehrausgaben von etwa
435 Millionen Euro führen . Sagen Sie mir bitte, wo Sie
im Einzelplan 30 die Mittel kürzen wollen, um einen solchen Auswuchs zu finanzieren!
({5})
Meine Damen und Herren, was fällt uns zu dem vorliegenden Antrag ein? Die Antragsteller haben es vermieden, in ihrer Forderung direkt auf den zufälligerweise
dieser Tage veröffentlichten Alternativen BAföG-Bericht
einzugehen . Aber die Parallelen zwischen den beiden
Werken sind verblüffend. Es ist auch beachtlich ehrlich,
wenn die Verfasser des Alternativen BAföG-Berichtes
ihrerseits in ihrem Vorwort schreiben, dass dieser zu
einer Debatte über Stand und Perspektiven der Ausbildungsförderung im Jahr der Bundestagswahl beitragen
möchte . In jedem Fall darf man wohl sagen, dass uns hier
ein Gemeinschaftswerk der GEW-Jugend und einiger
Oppositionspolitiker vorliegt, die mittels diverser Abgeordnetenanfragen zum Gelingen dieses Alternativen
BAföG-Berichtes beigetragen haben .
({6})
Mehr Lobenswertes, Kollege Gehring, kann ich allerdings zu dem vorliegenden Antrag und auch zu diesem
GEW-Bericht nicht sagen .
({7})
Das Fatale, liebe Kollegen von den Grünen, ist: Dieser
Antrag - das haben Sie gerade noch einmal gesagt - berücksichtigt die aktuelle Reform überhaupt nicht .
({8})
Im Gegenteil: Sie bezeichnen die Reform, die wir gerade
gemeinsam gestemmt haben, als Schrumpfkur und bewegen sich - den Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen ganz offensichtlich in einer Parallelwelt.
({9})
Was Sie nicht verstanden haben oder jedenfalls ausblenden - das ist schon erstaunlich -: Wenn erst zum
Wintersemester 2016/2017 die Freibeträge und Bedarfssätze gestiegen sind, dann kann man nicht - das müssen Sie uns erklären - mit statistischen Daten aus dem
Jahr 2015 beweisen, dass diese Erhöhung keine ausreichenden positiven Wirkungen entfaltet hat .
({10})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung?
Nein .
({0})
- Nein, Kollege Gehring . - Der gleiche Denkfehler liegt
dem Alternativen BAföG-Bericht zugrunde . Um es in die
Sprache der Gewerkschaften zu übersetzen: Sie können
nicht eine Tariferhöhung zum 1 . Juni eines Jahres abschließen und dann bereits am 1 . März in den Geldbeutel
schauen und feststellen, dass die Erhöhung noch gar keine Wirkung hatte . Das müssen Sie mir einmal erklären .
({1})
Es ist - das möchte ich ganz deutlich sagen - vielleicht
jahreszeitgemäß, aber unredlich, mit einer solchen Argumentation in die Öffentlichkeit zu gehen und die Menschen zum Narren halten zu wollen, meine Damen und
Herren .
({2})
Über einen weiteren Punkt bin ich wirklich ärgerlich,
lieber Kai Gehring . Sie loben im Begrüßungsteil Ihres
Antrags, dass die durch die Übernahme der BAföG-Ausgaben durch den Bund bei den Ländern freigewordenen
Mittel - immerhin 1,17 Milliarden Euro jährlich - für
Bildung und Wissenschaft ausgegeben werden . Sie verschweigen jedoch, dass es leider einige Länder gibt, die
diese Mittel eben nicht zusätzlich in diesem Bereich investiert haben, sondern zur Kofinanzierung des Hochschulpaktes verwenden .
({3})
Ich sage nur: Nordrhein-Westfalen . Dort werden immerhin jährlich 200 Millionen Euro dafür verwendet; zu
lesen in der taz vom 17 . Oktober 2016 . Dass Sie diese
Zweckentfremdung der freigewordenen Mittel in Ihrem
Antrag nicht kritisieren, sondern ausblenden, spricht
Bände .
({4})
Es zeigt sich gerade in Nordrhein-Westfalen, wie viel
Rot-Grün Bildung wert ist .
({5})
Damit werden Ihre Reden hier im Haus, lieber Kai
Gehring, zu hohlen Phrasen; das muss man auch einmal
ganz deutlich sagen .
({6})
Noch ein Wort zu Ihrer Behauptung, das BAföG sei
unattraktiv,
({7})
und deshalb würden junge Menschen nicht studieren .
Angesichts wirklich hoher Studierendenquoten, Studierendenzahlen in Rekordhöhe behaupte ich hier einfach
das Gegenteil, und das werden Sie nicht widerlegen
können . Was wir mit dem BAföG alles gemacht haben,
möchte ich jetzt gar nicht aufzählen .
Das können Sie auch nicht mehr aufzählen; denn Sie
sind schon über der Zeit .
Darüber sind wir uns hier ja, glaube ich, einig .
Also: Warten wir den BAföG-Bericht ab - er wird
im Sommer veröffentlicht werden -, und dann schauen
wir, was drinsteht . Dann nehmen wir gegebenenfalls eine
Neubewertung vor und schauen, wo man eventuell anpassen muss . Aber ich bin mir sehr sicher, dass dieser
BAföG-Bericht sehr erfreulich sein wird .
({0})
Deshalb: Wir lassen uns nicht von Gefühlen, sondern von
Fakten leiten, und das würde ich auch Ihnen raten, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
Danke sehr .
({1})
Vielen Dank, Dr . Kaufmann . - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Gehring .
({0})
Es ist ja schön, dass Sie für sich eine Parallelwelt und
irgendwie Narrenfreiheit in Anspruch nehmen . Aber Sie
haben ja dazu aufgefordert, weitere Fakten zu bringen .
Ich möchte Sie, Herr Kaufmann, noch einmal darauf hinweisen, dass es durchaus eine Vereinbarung seitens des Bundes mit den Ländern gegeben hat, dass die
BAföG-Entlastungsmittel für Schulen und Hochschulen
und für den Bildungsbereich allgemein zur Verfügung
gestellt werden sollen. Das ist richtig; wir finden es auch
sinnvoll . Jetzt haben Sie gerade zum x-ten Mal den Ländern - und einzelnen besonders - vorgeworfen, dies nicht
getan zu haben .
({0})
- Aber dann müssen Sie jetzt einmal zur Kenntnis
nehmen, dass Ihre eigene Bundesregierung in regierungsamtlichen Dokumenten des Bundesfinanzministeriums schreibt - das ist übrigens Bundestagsdrucksache 18/8973 -:
Die Auswertung der vorliegenden Daten stützt die
Annahme, dass die frei gewordenen Mittel den Bildungs- und Wissenschaftshaushalten der Länder zugutekommen .
({1})
Das sagt das Bundesfinanzministerium. Das heißt,
Herr Schäuble hat das geprüft und ist der Überzeugung,
dass die Länder die Mittel verantwortlich eingesetzt haben . Deshalb frage ich Sie: Ist das jetzt ein Riesenpopanz, den die Koalition oder die Union hier einmal mehr
aufbaut,
({2})
oder lügt die Bundesregierung? Eine Seite von beiden
muss ja hier Unrecht haben .
Der zweite Punkt .
({3})
Das ist eine Kurzintervention, und die dauert drei Minuten . Der Kollege Kaufmann hat selbstverständlich die
Möglichkeit, drei Minuten zu antworten . Schauen Sie
bitte in die Geschäftsordnung . - Bitte, Herr Gehring .
Herzlichen Dank und danke, dass Sie die Zeit gestoppt
haben .
Es sind immer die Gleichen, die glauben, dass ich das
zulassen würde .
({0})
Ich möchte noch einmal sehr deutlich machen, dass
durch sechs Nullrunden und dadurch, dass seit 2010
bis zum Wintersemester 2016/2017 das BAföG nicht
erhöht worden ist, über 130 000 junge Menschen aus
dem BAföG-Bezug rausgeflogen oder nicht reingekommen sind . Ihre BAföG-Reform vom letzten Jahr hat das
knapp kompensiert . Zum nächsten Semester wird sich
das durch die gestiegene Preisentwicklung wieder verändern . Insofern wäre es jetzt, in dieser Legislatur, höchste
Eisenbahn - wie Sie schon selber in neuen Papieren für
Ihren Wahlkampf schreiben -, sich an der Preis- und Einkommensentwicklung zu orientieren . Ihre Reform war
so schwach und schlecht, dass Sie jetzt die nächste hinterherschieben müssen, damit es keinen Verlust bei den
aktuellen Studierendengenerationen gibt . Machen Sie es
doch einfach! Das ist faktisch; Sie sind postfaktisch .
({0})
Dr . Kaufmann, Sie haben das Wort .
Herr Kollege Gehring, es wird kritisiert, dass im Antrag Ihrer Fraktion auf Zahlen Bezug genommen wird,
die Sie noch gar nicht kennen können, weil die Auswirkungen der letzten BAföG-Reform noch unbekannt sind .
Sie argumentieren mit alten Zahlen; dagegen richtet sich
die Kritik . Im Übrigen haben wir die Fördersätze und
die Freibeträge um jeweils 7 Prozent erhöht . Sie wissen
genau, was wir noch alles gemacht haben . Warten wir
erst einmal die Auswirkungen ab, und dann können Sie
schauen, ob Ihre Kritik zutrifft. Wir sind der Auffassung,
dass der Bericht sehr gut ausfallen wird, auch im Sinne
der Studierenden . Das ist der erste Punkt .
Der zweite Punkt ist: Sie haben das Bundesfinanzministerium und den Bundesfinanzminister zitiert. Ich
möchte gar nicht weiter kommentieren, was „zugutekommen“ bedeutet. Fakt ist jedenfalls, dass wir alle Länder
abgefragt haben . Wir können Ihnen gerne die Briefe und
die Antworten der Länder zur Verfügung stellen . Dort
und in allen Stellungnahmen des Haushaltsausschusses
wird deutlich, dass die Mittel in einigen Ländern nicht im
Sinne der Vereinbarung verwendet wurden .
({0})
Ich habe gerade einen Artikel aus der taz zitiert, in dem
das Verhalten der nordrhein-westfälischen Landesregierung explizit untersucht wurde . Dabei wurde klar, dass
die Finanzierung des Hochschulpaktes mit 200 Millionen Euro nicht der Vereinbarung entspricht . Das zählt für
uns . Das werden wir weiterhin kritisieren . Sie können behaupten, was Sie wollen, aber davon gehen wir nicht ab .
Danke .
({1})
Vielen Dank, Dr . Kaufmann . - Nächste Rednerin:
Nicole Gohlke für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Offenbar scheinen es Union und SPD wirklich nicht für
nötig zu halten, sich noch einmal aus eigenem Antrieb
mit dem BAföG zu beschäftigen . Da braucht es in der
Tat erst Anträge der Linken und nun der Grünen, damit
sich der Bundestag überhaupt noch einmal mit diesem
Thema befasst .
({0})
Dass die Regierung dann auch noch darauf verzichtet,
den BAföG-Bericht rechtzeitig zu erstellen, wahrscheinlich um zu vermeiden, dass es für sie unangenehm wird,
ist wirklich der Gipfel . Deswegen ein großes Dankeschön an die DGB-Jugend, die dafür gesorgt hat, dass es
den Alternativen BAföG-Bericht gibt; mit diesem können wir hier wenigstens arbeiten . Vielen Dank!
({1})
Die Probleme liegen auf der Hand . Das BAföG wird
seinem ursprünglichen Anspruch, ein verlässliches Instrument in der Studienfinanzierung zu sein und vor allem für sozialen Ausgleich zu sorgen, nicht mehr gerecht .
Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass diese Bundesregierung - genauso wie schon ihre Vorgängerinnen das BAföG hat einfach verkümmern lassen . Das ist nicht
nur traurig im Hinblick auf die große politische Idee, die
hinter dem BAföG steht . Vielmehr bedroht das auch die
Perspektiven vieler junger Menschen . Deswegen gehört
dieser Zustand schnellstens beendet .
({2})
Wir haben einen Zustand, in dem das BAföG viele
junge Menschen gar nicht mehr erreicht . Im letzten Jahr
wurden gerade noch 15 Prozent der Studierenden mit
dem BAföG gefördert . Wir haben einen Zustand, in dem
das BAföG nicht ausreicht, um Studierenden ihr Studium und ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Wir haben
einen Zustand, in dem die Wohnkostenpauschale nicht
annähernd die Kosten für ein WG-Zimmer deckt . Das ist
die Situation . Diese muss sich dringend verändern .
({3})
Verändern müssen sich vor allem die strukturellen
Probleme, die das BAföG mit sich herumschleppt, weil
es seit Jahren nicht anständig reformiert wird . Warum ist
es zum Beispiel nicht möglich, das BAföG mit einer automatischen Anpassung an die Preisentwicklung zu versehen, um den Studierenden jahrelange Hängepartien um
BAföG-Erhöhungen zu ersparen? Oder warum werden
nicht endlich die Altersgrenzen abgeschafft, die schon
lange nichts mehr mit heutigen Bildungsbiografien zu tun
haben und einfach nur als ein weiterer Ausschluss von
studierwilligen Menschen wirken?
({4})
Warum müssen junge, studierfähige Geflüchtete 15 Monate warten, bis sie BAföG beziehen können, anstatt ihnen schnell und unbürokratisch einen Start ins neue Leben zu ermöglichen?
({5})
Diese ganzen Punkte sind seit Jahren in der Diskussion . Sie wurden jetzt durch den Alternativen BAföG-Bericht erneut bestätigt. Mir ist unbegreiflich, warum es so
schwierig ist, dies anzugehen .
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das alles
nicht zu sehen oder nicht zu verändern, ist, ehrlich gesagt, nicht sehr sozialdemokratisch . Ich sage Ihnen eines:
Wenn Sie wirklich etwas für die Bildungsgerechtigkeit in
diesem Land tun wollen - das will Ihr Kanzlerkandidat,
und das besagt auch das gerade von Ihnen veröffentlichte
Wissenschaftspapier -, dann entdecken Sie das BAföG
bitte nicht nur wieder im Wahlkampf . Das ist einfach unglaubwürdig .
({6})
Seit 1998 - das sind fast 19 Jahre - regiert die SPD mit
Ausnahme einer Unterbrechung von vier Jahren . Dann
möchte man doch erwarten können, dass die Bildungsgerechtigkeit nicht nur postuliert, sondern irgendwann auch
umgesetzt wird .
({7})
Wenn Sie das mit Ihrem aktuellen Koalitionspartner
nicht hinbekommen - das glaube ich gerne -, dann nutzen Sie die bestehenden Mehrheiten mit Linken und Grünen und stimmen Sie den Anträgen der Opposition zu .
({8})
Mit uns kommen mehr Menschen aus finanziell
schwachen Familien an die Hochschulen, mit uns gibt es
ein BAföG, von dem man leben und studieren kann . Ich
finde, das sollte es Ihnen wert sein. Lassen Sie uns eine
26 . BAföG-Novelle jetzt gemeinsam angehen .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Nicole Gohlke . - Nächster Redner:
Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
das so eilig und Ihnen so ernst ist, dann muss ich aber
auch die Frage stellen, warum die Linke und die Grünen hier nur allgemeine Anträge und keinen Gesetzentwurf vorlegen . So kompliziert wäre es nicht, hier eine
BAföG-Erhöhung zu beantragen .
({0})
Ich will es Ihnen sagen: weil Sie wissen, dass das in 2017
nicht realistisch ist, und weil die letzte Erhöhung noch
nicht einmal ein halbes Jahr zurückliegt .
Ich will Ihnen auch sagen: Die 25 . Novelle war ein
großer Erfolg . Das schlägt sich bei denen nieder, die
BAföG bekommen, und das schlägt sich im Bundeshaushalt nieder, in dem wir 2 Milliarden Euro jährlich inklusive der Übernahme des Länderanteils dafür aufwenden .
Das ist nicht wenig, das ist viel, und das ist ein großer
Schwerpunkt dieser Regierungsarbeit in den letzten vier
Jahren .
({1})
Herr Gehring, ich möchte Ihnen ausdrücklich in der
Frage der Übernahme des Länderanteils und der Frage,
wie die Länder damit umgehen, beipflichten. Ich meine,
wir können doch nicht die Mitteilungen ignorieren, die
uns die Bundesregierung macht . Das ist bei den Ländern
angekommen .
({2})
Ich will Ihnen, Herr Kaufmann, das am Beispiel von
Nordrhein-Westfalen erläutern .
Der Anteil des Landes Nordrhein-Westfalen an der
BAföG-Entlastung beträgt zwischen 280 Millionen und
290 Millionen Euro . Das ist viel, und es ist gut, dass wir
das gemacht haben . Die Landesregierung ist dafür auch
dankbar .
({3})
Ich will Ihnen aber auch sagen: Seit 2010, seit wir von
der schwarz-gelben Regierung die Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen wieder übernommen haben,
({4})
ist der Wissenschaftsetat um über 40 Prozent, um 3 Milliarden Euro, angehoben worden . Das sind die realen Größenverhältnisse .
({5})
Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir diese
Phantomdebatte beenden . Aber wahrscheinlich werden
wir das hier noch das eine oder andere Mal hören .
Ich glaube, die 26 . Novelle wird kommen . Zentrale
Herausforderungen werden sich abzeichnen . Ich bin sicher, dass der nächste BAföG-Bericht das zum Ausdruck
bringen wird .
({6})
Ich will nur kurz einige Punkte nennen . Ich glaube,
dass es wichtig ist, dass wir uns beim nächsten Mal vornehmen, mehr Menschen in das BAföG einzubeziehen .
Die Freibetragserhöhungen sind angesprochen worden .
Sie sind eine Möglichkeit, auch mittlere Einkommen zu
erreichen . Wir wollen, dass das BAföG stärker für Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen und
in den nicht dualen Ausbildungsgängen geöffnet wird.
Ich glaube, dass das notwendig und wichtig ist .
({7})
Angesprochen worden ist auch, dass wir das BAföG
strukturell weiterentwickeln und wir veränderte Bildungsbiografien berücksichtigen wollen. Teilzeitstudium
und Studium mit Familie ist einer dieser Punkte . Aber
ich glaube, wir müssen auch ernsthaft über die Altersgrenzen in einer Zeit nachdenken, in der es um das lebensbegleitende Lernen und um die Kultur der zweiten
Chance geht .
({8})
Da würden wir uns als SPD vorstellen, die Altersgrenzen
anzuheben oder abzuschaffen.
({9})
Dritter Punkt . Ich glaube, Wohnen für Studierende
wirksam zu unterstützen, ist richtig .
({10})
Die Mietkostenpauschale ist vielleicht einer dieser Ansatzpunkte . Ich glaube aber, es ist dringend notwendig,
dass wir gerade für Studierende mit BAföG Wohnraum
in öffentlich geförderten Wohnheimen bereitstellen. Das
ist ein wichtiger Punkt .
({11})
Die Vorschläge dazu seitens des DSW und der SPD liegen auf dem Tisch . Wir wollen gerne 600 Millionen Euro
dafür mobilisieren . Das wird sicherlich Gegenstand der
Diskussion in nächster Zeit sein .
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen . Ich
glaube, wichtig ist auch, dass wir die Zusammenhänge
sehen. Die Förderung durch BAföG und die Studienfinanzierung gehören aus meiner Sicht zusammen . Ich
höre alarmierende Signale . Wenn der Vorsitzende der
CDU in Nordrhein-Westfalen, Herr Laschet, in der Rheinischen Post am 5 . Dezember 2016 laut darüber nachdenkt, neue Formen von Studiengebühren einzuführen,
nachgelagerte Studiengebühren - der ist verdächtig; er
hat schon einmal welche eingeführt -,
({12})
und wenn wir in Baden-Württemberg die Einführung
von Studiengebühren für internationale Studierende seOliver Kaczmarek
hen, dann müssen wir die Sirenen, dann müssen wir die
Warnsignale hören .
({13})
Wir müssen den unbeholfenen und vielleicht manchmal
etwas verklemmten Versuchen, das Thema Studiengebühren wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen,
konsequent entgegentreten .
({14})
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss . - Da ist für
mich klare Haltung angesagt . Da bin ich auf die nächsten Anträge gespannt . Wir sagen Ja zum BAföG, Ja zur
Chancengleichheit durch BAföG, aber auch konsequent
Nein zu Studiengebühren .
Vielen Dank .
({15})
Vielen Dank, Oliver Kaczmarek . - Nächste Rednerin:
Katrin Albsteiger für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir haben schon gehört: Bereits im letzten Jahr wurde ein Antrag von den Linken
vorgelegt . Darin wurde mehr oder weniger genau das
Gleiche gefordert, was die Grünen jetzt fordern .
({0})
Wir haben diesen Antrag vor kurzem abgelehnt . Ich
fürchte, dem von den Grünen droht das Gleiche .
({1})
Warum? Schon seit 45 Jahren ist das BAföG eine Erfolgsgeschichte .
({2})
Das BAföG ist ein systemrelevanter Teil unserer Bildungsgesellschaft und eine tragende Säule unseres Bildungssystems und darüber hinaus auch ein sozialpolitisches Instrument, das Millionen von Menschen die
Möglichkeit gegeben hat, ein Studium aufzunehmen .
({3})
Genau deswegen - es stimmt so, wie Sie es in Ihrem
Antrag schreiben - ist das BAföG auch das Bildungsgerechtigkeitsgesetz Nummer eins, und darauf können wir
alle gemeinsam stolz sein .
({4})
Was allerdings nicht so gut gewählt ist, das ist der Titel des Antrags . Da steht nämlich: „Attraktivitätsverlust
stoppen“. Ganz ehrlich, wenn man sich den Antrag anschaut und wenn man sich im Gegenzug anschaut, was
im BAföG steckt, dann muss man schon sagen: Für die
jungen Menschen, wahrscheinlich auch für die, die heute
hier sind, ist das BAföG ein hochattraktives Instrument
und eine hochattraktive Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen .
({5})
Von daher ist dieser Titel bewusst irreführend und auch
typisch grün-pessimistisch .
({6})
In der 25 . BAföG-Novelle der Bundesregierung, die
wir in dieser Legislaturperiode gemeinsam beschlossen
haben, ist einiges an Verbesserungen, die heute auch angesprochen worden sind, durchaus durchgeführt worden:
Die Freibeträge wurden erhöht . Die Bedarfssätze wurden
erhöht . Der BAföG-Höchstsatz von jemandem, der nicht
zu Hause wohnt, beträgt 735 Euro monatlich . Wenn das
nichts ist, dann weiß ich es auch nicht .
({7})
Selbst die Verfasser des Antrags von der Grünenfraktion müssen in ihrem Antrag zugeben, dass die
25 . BAföG-Novelle durchaus Verbesserungen im Bildungsbereich gebracht hat . Ich muss sagen, dieses Lob
nehmen wir gern zur Kenntnis . Es ist an dieser Stelle sehr
begrüßenswert, dass die Opposition die Leistungen der
Regierung und der Regierungsfraktionen anerkennt .
({8})
- So ist es .
({9})
Es geht immer darum, mehr und mehr und mehr zu
fordern; das kennen wir schon, wenn es um diese Themen geht .
({10})
Jetzt kommt hinzu, dass wir mit der BAföG-Novelle
nicht nur die Beiträge erhöht haben, sondern auch einen
ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, dass
die Länder entlastet werden . Auch das haben wir schon
gehört . Diese Länderentlastung beträgt über 1 Milliarde
Euro .
({11})
- Pro Jahr . - Das ist ein ganz gehöriger Batzen Geld .
Wenn die Grünen auch die Freibeträge und alles Mögliche erhöhen wollen, dann müssen wir an dieser Stelle
doch konstatieren: Natürlich wollen auch wir die Freibeträge erhöhen, wenn das Geld dafür da ist .
({12})
Aber das alles muss unter einem Finanzierungsvorbehalt
stehen; es muss letzten Endes finanzierbar sein.
({13})
Schauen wir uns einmal an, was wir allein beim Bildungshaushalt gemacht haben: Er ist 2017 um 7 Prozent
gestiegen, doppelt so stark wie der Gesamthaushalt .
Wenn man nur betrachtet, um wie viel wir die Mittel für
das BAföG erhöht haben, dann sieht man: Im Vergleich
zum Jahr 2014, also bevor wir die Sätze übernommen haben, die die Länder zahlen mussten, haben wir insgesamt
1,5 Milliarden Euro für das BAföG ausgegeben .
({14})
Wir haben heute dem Bildungshaushalt 2017 zwei
Drittel dieses Geldes hinzugefügt .
({15})
Wenn ein Haushaltsposten innerhalb einer Legislaturperiode um zwei Drittel steigt, dann ist das ein enormer
Batzen .
({16})
Ein Haushalt muss eine solche Erhöhung an dieser Stelle
erst einmal vertragen können .
Zu guter Letzt . In ihrem Antrag bemängeln die Grünen: „ . . . nur 23 von 100 Kindern, deren Eltern nicht studiert haben“, schaffen es an die Hochschulen.
({17})
Darüber müssen wir ernsthaft reden . Das entlarvt an
dieser Stelle nämlich wieder einmal eine typisch linke
Denke . Wer sagt denn eigentlich, dass das Studieren immer besser ist als eine berufliche Ausbildung?
({18})
Wir nämlich nicht . Man trichtert wieder einmal bei jeder
Gelegenheit, auch in diesem Antrag, Kindern, Jugendlichen und Eltern ein, dass nur diejenigen Bildungsaufsteiger sind, die es tatsächlich an die Universität schaffen.
Ich glaube, das ist gesellschaftspolitisch wirklich unklug
und sogar moralisch verwerflich.
({19})
Frau Albsteiger .
Ich glaube, dass jeder ein Bildungsaufsteiger ist, der
es schafft, in unserer Gesellschaft seinen Bildungsweg zu
gehen, den Bildungsweg zu gehen, der zu ihm passt .
({0})
Wenn wir mit dem BAföG und dem Meister-BAföG unseren Teil dazu beitragen können, dann tun wir das sehr
gerne .
Er kann gerne eine Kurzintervention machen .
Herzlichen Dank .
({0})
Nein, kann er nicht . Das muss er erst einmal beantragen .
({0})
Vielen Dank, Frau Albsteiger . - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Martin Rabanus für die SPD das Wort .
({1})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich
bin sehr dankbar für diesen Antrag . Er ist zwar reichlich
unambitioniert und auch ein Copy-and-Paste-Produkt,
aber er hat hier noch einmal zu einer ambitionierten
Diskussion geführt sowie zu der Gelegenheit, an dieser
Stelle zu rekapitulieren: Was hat die Koalition eigentlich
gemacht?
Das ist sehr deutlich geworden, was den Bereich Studierenden- und Schüler-BAföG betrifft. Was nicht deutlich geworden ist und von dem Antrag nicht angesprochen wird - was ich sehr schade finde -, ist der Teil der
beruflichen Bildung, um den wir uns ebenfalls gekümmert haben, um das Meister-BAföG .
({0})
Ich finde es schade, vielleicht auch bezeichnend, dass es
im Antrag der Grünen keine Rolle spielt . Aber gerade
wenn wir wissen, dass wir neben den Studierenden den
großen Bereich der beruflichen Bildung stärken wollen,
dann ist das etwas, was ebenfalls in diese Debatte gehört .
Wir haben dazu eine Novelle vorgelegt, die sich, denke
ich, sehen lassen kann . 2015 haben wir einen Zuschussbetrag von 181,5 Millionen Euro für das Meister-BAföG
vorgesehen, der tatsächlich auch abgeflossen ist, und für
2017 ist im Soll ein Betrag von 264,5 Millionen Euro
etatisiert . Das ist eine Steigerung um 80 Millionen Euro .
Das ist sehr, sehr viel und eine tolle Leistung dieser Koalition .
({1})
Wir haben in breiter Front die Leistungen aus dem
Meister-BAföG, das jetzt ein Aufstiegs-BAföG ist, erhöht und verbessert . Wir lesen im Bildungsbericht 2016,
dass damit nun mit gleichwertigen Förderbedingungen
für berufliche Aufsteigerinnen und Aufsteiger, wie dies
das BAföG für Studierende bietet, zu rechnen sei .
Das muss ich leider ein wenig relativieren; denn wir
haben in diesem Bereich zwar viel hinbekommen, aber
noch nicht alles, was wünschenswert ist, und richtig
gleichwertig mit dem BAföG für Studierende ist es noch
nicht . Dies allerdings muss das Ziel einer echten Gleichwertigkeit der akademischen und der beruflichen Bildung bleiben, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({2})
Das bedeutet dann auch, dass wir, wenn wir von kostenfreier Bildung sprechen, auch das Ziel nicht aus den
Augen verlieren dürfen, die Meisterkurse kostenfrei zu
bekommen oder sie mit einem hundertprozentigen Zuschussanteil zu versehen, so wie wir bei den Lebenshaltungskosten - wie bei den Studierenden - auf 50 Prozent
Zuschussanteil gekommen sind . Das ist etwas, was wir
uns zweifellos auch für die kommende Wahlperiode vornehmen können .
Wir haben im Bereich BAföG für Studierende sowie
Schülerinnen und Schüler und auch im beruflichen Bereich viel erreicht; aber weitere Novellen werden kommen, da wir eines ganz sicher fortsetzen: das BAföG
ausbauen und die zentrale Säule der Berufsausbildungsförderung weiter stärken .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Martin Rabanus . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11178 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Da Sie damit einverstanden sind, ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit
bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung
und nach dem Anfechtungsgesetz
Drucksache 18/7054
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/11199
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Oder
wollen Sie sprechen?
({1})
- Gut . Ich sehe, Sie sind damit einverstanden, sie zu Pro-
tokoll zu geben .1)
Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11199,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7054 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/
Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Sie wissen, was kommt: Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold ({3}), Sigrid Hupach,
Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zu-
gänglichkeit des deutschen Filmerbes gewähr-
leisten
Drucksachen 18/8888, 18/11115
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Scha-
de, während der Berlinale hätten wir darüber auch mal
reden können .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/11115, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/8888 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU,
SPD, dagegen war die Linke, enthalten hat sich Bünd-
nis 90/Die Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union zur Arbeitsmigration
1) Anlage 2
2) Anlage 3
Drucksachen 18/11136, 18/11182
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksachen 18/11136 und 18/11182 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in einer Versorgungskrise
Drucksachen 18/10943, 18/11141
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({5})
Drucksache 18/11203
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11203, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10943 und 18/11141 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt
um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung
Drucksache 18/10606
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({6})
1) Anlage 4
2) Anlage 5
Drucksache 18/10901
Die Reden sollen wieder zu Protokoll gegeben wer-
den . - Sie sind einverstanden .3)
Dann kommen wir gleich zur Abstimmung . Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10901,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10606 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke,
enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Sie wissen, was jetzt kommt:
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten
und Lebenspartnern in Angelegenheiten der
Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten
Drucksache 18/10485
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({7})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Sie sind damit einverstanden, sonst würden
Sie sich melden .4)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/10485 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Keine
anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17 . Februar 2017, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen, guten, besinnlichen Restabend . Gute
Nacht!