Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/27/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Noch unter dem Eindruck der eben zu Ende gegange- nen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus eröffne ich die Sitzung. Bitte nehmen Sie Platz. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik Drucksache 18/10939 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes - Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen ({1}) Drucksache 18/10941 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich dagegen keiner . Dann ist dies so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesminister Dr . Thomas de Maizière das Wort . ({3}) Herr Minister, bitte sehr .

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit der Darstellung von ein paar Szenen; sie sind gleichermaßen schrecklich und skrupellos . 16 . Mai 2015, Berlin, S-Bahnhof Wuhletal: Eine Schülerin wird auf dem Heimweg grausam erdrosselt . 27 . Oktober 2016, Berlin, U-Bahnhof Hermannstraße: Einer jungen Frau wird völlig unvermittelt brutal in den Rücken getreten, sie stürzt die Treppe hinab . 24 . Dezember 2016, Heiligabend, Berlin, U-Bahnhof Schönleinstraße: Ein schlafender Obdachloser wird in Brand gesetzt . Die schockierenden Szenen sind tausendfach über die Bildschirme geflackert und wurden in den sozialen Netzwerken verbreitet . Sie haben bundesweit für Erschütterung gesorgt, für Wut und für Entsetzen . Die Ermittlung der mutmaßlichen Täter gelang nur deshalb, weil die Taten aufgezeichnet, dadurch Ermittlungsansätze vorhanden und der Verfolgungsdruck auf die Täter hoch waren . Die Szenen haben den Ruf nach einer größeren und erweiterten Videoüberwachung öffentlicher Räume weiter verstärkt . Nun lösen Debatten um Videomaßnahmen in Deutschland reflexhaft Gegenreaktionen aus. Kritiker zeichnen regelmäßig düstere Bilder, Bilder einer total kontrollierten, gleichgeschalteten und von Menschlichkeit befreiten Gesellschaft, ganz nach George Orwells Buch 1984. Mit dem Rechtsstaat, in dem wir leben, hat das überhaupt nichts zu tun; uns geht es um eine vernünftige Ausweitung der Videoüberwachung . ({0}) Die immer gleiche Rhetorik wird auch durch stetes Wiederholen nicht besser . Oft heißt es, Videoüberwachung verhindere keine Verbrechen, sie helfe bestenfalls bei der Aufklärung und sie erhöhe nur die gefühlte Sicherheit . Ich frage: Sind Aufklärung von Straftaten und die Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung keine verfolgenswerten Ziele? Genau diese Ziele verfolgen wir mit diesem Gesetzentwurf . Es käme niemand auf die Idee, auf DNA-Reihenuntersuchungen, auf den Abgleich von Autokennzeichen oder Fingerabdrücken zu verzichten, weil dadurch keine Straftaten verhindert werden . Mich überzeugt das jedenfalls nicht . Ich sage klar: Straftaten mithilfe dieser Instrumente aufzuklären, ist besser, als auf diese Instrumente zu verzichten und damit die Aufklärung zu erschweren oder sogar erfolglos beenden zu müssen . ({1}) Dann gibt es das Argument - das werden wir vielleicht wieder hören; ich habe es in der letzten Debatte schon einmal erwähnt -: Macht doch lieber mehr Polizeipräsenz statt Videoüberwachung . Als ob das eine das andere ausschlösse! Es ist schlicht lebensfremd, eine Polizeidichte zu fordern, die Kameras überflüssig macht. Ein solches Versprechen abzugeben, ist einfach unlauter . Richtig an diesem Argument ist: Das Personal der Sicherheitsbehörden muss wachsen . Im Bund haben wir dafür auch gesorgt, und das massiv . Sie kennen die Zahlen: rund 7 500 Stellen zusätzlich für die Bundespolizei und 1 300 Stellen für das Bundeskriminalamt . Das sind 20 Prozent bzw . beim Bundeskriminalamt über 25 Prozent mehr Personal innerhalb von fünf Jahren . Es wäre schön, wenn die Länder dem folgen würden . Wer das hier kritisiert, von dem erwarte ich das gleiche Engagement in den Bundesländern, um dort für entsprechende Haushaltsaufwüchse zu sorgen . Uns allen ist klar, dass Videotechnik kein Allheilmittel ist . Sie ist aber auch kein Dämon . Kameras leisten einen entscheidenden Beitrag zu mehr Sicherheit . Sie helfen, Straftäter zu identifizieren, festzunehmen und zu bestrafen . Sie verhindern auch Straftaten . Über die generalpräventive Wirkung von Videoüberwachung gibt es zahlreiche Studien, auch widersprüchliche Studien . Man muss kein Kriminologe sein, um zu wissen, dass Kameras nicht global gegen jede Form von Kriminalität helfen, vor allem dann nicht, wenn Täter im Affekt handeln oder es ihnen gerade auf eine breite Öffentlichkeit ankommt. Aber deliktsspezifisch differenziert verhindert Videoüberwachung auch Straftaten, und das wirksam . Ich freue mich, dass wir uns in der Koalition darüber einig sind und den Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Videoüberwachung heute in erster Lesung beraten. Die neuen Regelungen schaffen für diejenigen Erleichterung, die Sportstätten, Einkaufszentren und andere große öffentliche Einrichtungen oder Fahrzeuge des öffentlichen Personennahverkehrs betreiben. Ein Anlass für dieses Gesetz war der Amoklauf in München . Dort gab es eine Videoüberwachung bei McDonald’s . Wäre der Täter in ein Kaufhaus gegangen, hätte es auch dort eine Videoüberwachung gegeben . Nur weil er in ein Einkaufszentrum lief, gab es keine Videoüberwachung, und die Sicherheitsbehörden wussten über lange Zeit nicht, wo sich der Täter befand . Die Ungleichbehandlung von Kaufhäusern und Einkaufszentren hat sich mir nie erschlossen; wir beenden sie jetzt . ({2}) Meine Damen und Herren, Videomaßnahmen sind nicht isoliert zu betrachten . Intelligent mit Systemen zur Gesichtserkennung verknüpft, können sie in Zukunft auch ein effektives Fahndungsmittel sein. Wir arbeiten daran . Noch ist das Zukunftsmusik; aber es ist, glaube ich, etwas, was wichtig ist und hilft . Ich habe nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach und dem Amoklauf in München im August vergangenen Jahres eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, um die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen . Das, was wir jetzt vorschlagen, ist ein Teil dieser Maßnahmen . Dazu gehören auch neue Befugnisse für die Bundespolizei in Bezug auf den Einsatz von Body-Cams und die Nutzung von automatischen Kennzeichenlesesystemen, die mit dem zweiten Gesetz beschlossen werden sollen . Auch das ist eine große Hilfe bei der polizeilichen Arbeit . In vielen Ländern gibt es das bereits . Das wird und kann aber nicht flächendeckend erfolgen; darauf weist die Bundesdatenschutzbeauftragte heute hin . Das ist auch gar nicht beabsichtigt, sondern der Einsatz ist beabsichtigt, wenn er sinnvoll ist, wenn er nützlich ist, wenn er bei der Fahndung hilft, wenn er bei Kriminalitätslagebildern unterstützen kann, wie es bereits in sechs, sieben, acht Bundesländern geschieht, die zum Teil rot-grün regiert sind . Nicht mehr und nicht weniger als das, was die Landespolizeien an Befugnissen haben, soll auch der Bundespolizei zugestanden werden . Und das ist sinnvoll . ({3}) Besonders am Herzen liegt mir, dass wir nach einer Pilotphase jetzt auch den Bundespolizisten Body-Cams geben, also Kameras, die ihre Arbeit aufzeichnen . Das hat auch mit der zunehmenden Zahl von Angriffen auf Bundespolizisten in der letzten Zeit zu tun . Da sage ich noch einmal ganz klar: Wenn Repräsentanten unseres Staates persönlich angegriffen werden, nur weil sie Polizisten sind, dann werden auch wir als demokratische Gesellschaft, als Abgeordnete, als Minister, als gesamte Gesellschaft politisch angegriffen, und das verlangt eine klare Antwort . ({4}) Indem wir unsere Polizisten mit Body-Cams ausstatten, schrecken wir Gewalttäter von Exzessen ab oder dokumentieren diese wenigstens, um im Anschluss die Täter schnell zur Verantwortung ziehen zu können . Gleichzeitig kann auch die Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizisten besser bewiesen, entkräftet oder jedenfalls zum Gegenstand von Betrachtungen gemacht werden . Wenn wir das machen, ist das sozusagen ein passiver Schutz von Polizeibeamten . Wir werden sehr bald in diesem Bundestag auch darüber diskutieren - darüber besteht in der Koalition Einvernehmen -, dass wir die Strafandrohung bei Angriffen gegen Polizisten und Rettungskräfte verschärfen wollen, und zwar nicht nur bei Vollstreckungshandlungen, sondern auch bei Diensthandlungen . Das ist ein doppelter Schutz für die Polizisten. Angriffe gegen sie werden härter bestraft, und Body-Cams schützen davor, dass es überhaupt zu solchen Angriffen kommt. ({5}) Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass Sie diese Gesetzentwürfe schnell beraten. Ich hoffe auch, dass wir möglichst gemeinsam zu einer Verabschiedung kommen, und ich freue mich auf eine große Zustimmung . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Frank Tempel spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . ({0})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte mich als ehemaliger Polizeibeamter mit dem Vorschlag zur Ausrüstung von Bundespolizisten mit Body-Kameras beschäftigen . Laut Gesetz sollen diese ja zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei, zur Verfolgung von Straftaten, zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung und auf Verlangen von Betroffenen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen dienen . Sie machen da also zur Abwechslung mal in der Innenpolitik einen Vorschlag, der tatsächlich diskussionswürdig ist . Wir werden darüber diskutieren, ob die Body-Cam das leisten kann, was sie verspricht, und wir müssen sicherstellen, dass die Regelungen zur Einschränkung von Datenschutz und Bürgerrechten in verfassungskonformer Verhältnismäßigkeit stehen; das ist ja unsere Aufgabe . Wenn ich an meinen früheren Alltag als Polizeibeamter denke, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Body-Cam, wenn sie läuft, zum Beispiel die Hemmschwelle hebt, einen Polizeibeamten anzugreifen . Und das wäre ein Erfolg . Ich habe in den letzten Tagen in digitalen Medien viele Polizeibeamte gefragt, was sie selbst davon halten . Zu meiner Überraschung waren die Meinungen relativ kontrovers, Pro und Kontra waren gleichermaßen dabei . Auch Studien helfen uns nicht weiter; denn sie beziehen sich momentan auf sehr wenige Fälle und sagen uns erst einmal noch nicht viel . Ich schlage vor, wenn wir uns für eine Einführung entscheiden - und ich kann mir das durchaus vorstellen -, eine begleitende wissenschaftliche Evaluierung gleich mit zu beschließen . Vorher, meine Damen und Herren, müssen wir uns aber über die Ausgestaltung des Gesetzes unterhalten . Da fehlt einiges, worüber wir tatsächlich reden müssen . Nach Ihrem Vorschlag funktioniert das ja so: Der Polizeibeamte kündigt die Aufzeichnung, wenn er die Zeit dafür hat, an, und dann zeichnet die Body-Cam auf . Sie zeichnet also nicht permanent auf . Auf der einen Seite ist das richtig: Sie wollen verdeckte Aufzeichnungen vermeiden, an die das Bundesverfassungsgericht ja hohe Hürden geknüpft hat . Auf der anderen Seite kann der Beamte so natürlich willkürlich entscheiden, welche Situation und vor allen Dingen welchen Teil einer Situation er aufzeichnet und speichert . Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, dass das natürlich auch Besorgnis hervorruft . Oft werden wir nur einen Teil einer Situation auf Video haben, und das kann zu einer einseitigen Wertung führen . Wie sieht es mit der Hoffnung aus, polizeiliches Fehlverhalten aufklären zu können? Sie haben ja eine 30-tägige Aufbewahrungspflicht, unter anderem zur Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung rechtmäßigen polizeilichen Handelns, in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben . Kann es aber Aufzeichnungen über unrechtmäßiges Handeln überhaupt geben, wenn der Polizeibeamte individuell und ohne Regeln entscheiden kann, was aufgezeichnet wird und was nicht? Das ist eine schwierige Frage, die wir gerne mit Ihnen diskutieren wollen . Denn wir brauchen, denke ich, schon klare Regelungen, was und wann aufgezeichnet werden darf und muss . ({0}) Es gibt aber noch weitere offene Fragen und damit auch Hausaufgaben, Herr Minister, damit wir das beschließen können. Im Gesetzentwurf finden sich keine Regelungen zur Manipulationssicherheit relevanter Aufzeichnungen für eine richterliche Nutzbarkeit - ich erinnere nur an das Verfahren gegen den Pfarrer König in Dresden, wo die Polizei manipuliertes Videomaterial vorgelegt hat -: keine Datenschutzbestimmungen, keine Regelungen zu den Zugriffsrechten, keine Regelungen zu den Beschäftigtenrechten - auch das wird die Beamten interessieren -, keine Regelungen zu einer Kontrolle durch Datenschutzbeauftragte oder das Parlament . Da muss nachgearbeitet werden . Ich möchte aber noch einmal betonen: Ideen für mehr persönliche oder rechtliche Sicherheit steht die Linke sehr aufgeschlossen gegenüber . Wenn uns Polizeibeamte sagen, dass die Body-Cam mehr Sicherheit bringen könnte, nehmen wir das sehr ernst . Wenn uns aber Bürger sagen, dass sie glauben, dass kritische Aspekte zu wenig berücksichtigt wurden, dann nehmen wir auch das sehr ernst . Deswegen schlage ich ernsthaft vor, dass wir zu diesem Thema eine Expertenanhörung im Innenausschuss durchführen, um uns mit diesen offenen Fragen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf komplett vergessen haben, noch einmal zu beschäftigen, damit dieses Hilfsmittel, das ein Nützliches sein kann, tatsächlich beschlossen werden kann; denn ohne Regelungen geht es nicht . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Uli Grötsch spricht jetzt für die SPD . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, über den wir heute in erster Lesung debattieren, enthält im Wesentlichen drei Maßnahmen, die die Arbeit der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei effizienter machen sollen und auf die ich in meiner Rede im Wesentlichen eingehe . Erstens wollen wir, dass unsere Bundespolizisten mit Body-Cams ausgestattet werden . Damit erfüllen wir auch eine langjährige Forderung der GdP, der Gewerkschaft der Polizei . Wir haben gute Erfahrungen mit Pilotprojekten in den Ländern gemacht, die die deeskalierende und präventive Wirkung von Body-Cams belegt haben . Die offenen Aufzeichnungen mit mobiler Videotechnik, die beispielsweise an der Schulter getragen wird, dienen auch der Strafverfolgung, aber vor allem dem Schutz derjenigen, die etwa im bahnpolizeilichen Brennpunktbereich jeden Tag ihre Gesundheit und ihr Leben für unsere Sicherheit riskieren . Dass Body-Cams inzwischen notwendig sind, ist leider eine bittere und traurige Wahrheit . Die Kriminalstatistik zeigt, dass die Zahl der Angriffe auf Polizisten merklich zugenommen hat . Deshalb ist es sehr richtig und wichtig, dass wir im aktuellen Haushalt 5 Millionen Euro für eine breit angelegte Imagekampagne bereitgestellt haben . Wir haben nicht nur das Personal der Bundespolizei auf Rekordniveau aufgestockt, sondern auch Mittel für die erforderliche Ausrüstung zur Verfügung gestellt. Daher finde ich, dass wir, was den Schutz unserer Beamtinnen und Beamten angeht, den richtigen Weg eingeschlagen haben . Wir werden aber auch ein schärferes Vorgehen gegen Gewaltdelikte gegen Polizisten gesetzlich regeln . Die neue Regelung wird dann auch für Kräfte der Feuerwehr oder etwa der Rettungsdienste gelten, die tätlich angegriffen werden. All diese Maßnahmen senden ein klares Signal aus: Wer Polizisten, Rettungsärzte oder Feuerwehrleute angreift, der greift den Staat an . Das dulden wir nicht . Dagegen gehen wir mit der erforderlichen Härte vor . ({0}) Eine zweite wesentliche Maßnahme nach den Body-Cams ist die anlassbezogene automatische Kfz-Kennzeichenerfassung . Mit diesen mobilen Kameras darf die Bundespolizei Autokennzeichen scannen und mit den einschlägigen polizeilichen Datenbanken abgleichen . Zum einen liegt hierbei die Betonung auf anlassbezogen, also nicht flächendeckend, sondern bei bestimmten Gefahrensituationen, wie Gefahr für Leib oder Leben, Schutz der öffentlichen Sicherheit oder schwere Straftaten, die gegen die Sicherheit der Grenze gerichtet sind . Zum anderen werden die erhobenen Kennzeichen sofort und spurlos wieder gelöscht, wenn es sich nicht um einen Treffer handelt. Die Daten werden sogar gelöscht, wenn der Treffer im Fahndungsbestand nicht im Zusammenhang mit den bestimmten Gefahrensituationen steht, die wir in diesem Gesetz regeln . Ich denke, das ist ein maßvolles Mittel, um der Bundespolizei eine bessere Fahndung, auch und speziell im Grenzgebiet, und eine schnelle und effiziente Strafverfolgung zu ermöglichen . Eine solche Arbeitserleichterung ist für unsere Bundespolizisten, die bereits Millionen Überstunden durch die Migrationslage angehäuft haben, dringend notwendig . Ich meine, wenn wir bei vielen Gelegenheiten über die Stärkung der Schleierfahndung diskutieren, müssen wir das auch in einem Gesetz umsetzen, wenn wir Gelegenheit dazu haben . Das tun wir mit diesem Gesetz . Die dritte wesentliche Maßnahme eröffnet der Bundespolizei die Möglichkeit, wenn für die Aufgabenerfüllung erforderlich, in Einsatzleitstellen eingehende Telefonanrufe aufzuzeichnen . Das klingt eigentlich selbstverständlich . Nicht nur, wenn Bombendrohungen eingehen, sondern auch, wenn jemand etwa mit Selbstmord droht, muss die Bundespolizei in der Lage sein, noch mal reinzuhören, um alle Informationen aufzunehmen . Deshalb ist das eine überfällige und ganz sicher vernünftige Regelung . ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, diese Maßnahmen sind ein Teil eines umfassenderen Pakets an Gesetzen mit Augenmaß, die wir in der Koalition beschlossen haben, um die Sicherheit in diesem Land zu erhöhen . Weil das in unser aller Sinne ist und es sich hierbei um angemessene, milde Mittel handelt, bitte ich im folgenden Beratungsverfahren um konstruktive Mitarbeit aller Fraktionen . Vielen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In einem der beiden Gesetzentwürfe steht ja sogar im Titel, dass es um besondere Gefahrenlagen geht . Dabei denken wir natürlich alle an die furchtbaren Anschläge vom Breitscheidplatz oder von Würzburg und Ansbach und auch an den Amoklauf in München . Um eines vorweg zu sagen: Wir sind natürlich vereint in der Trauer um die Opfer, aber auch hinsichtlich der drängenden Frage, was wir besser machen können, um terroristische Anschläge oder andere schwere Verbrechen in Zukunft zu verhindern . Wir Grüne diskutieren mit Ihnen dabei alle Vorschläge, die in der Sache zielführend sind und die einen tatsächlichen Sicherheitsgewinn auf rechtsstaatlichen Grundlagen bringen . Und ja, da kann man auch über einen verbesserten polizeilichen Videoeinsatz nachdenken . Denn es kann einen ja auch nicht zufriedenstellen, dass die Videoaufnahmen zum Beispiel von der Fussilet-Moschee, die Amri kurz vor dem Anschlag zeigen, erst Wochen später ausgewertet wurden . Doch das, was Sie jetzt vorschlagen, meine Damen und Herren, ist Sicherheitspolitik ins Blaue hinein . Privatleute sollen mehr Kameras aufhängen und länger Bildmaterial speichern . Ist das Ihre Teilantwort wie Sie sagen - auf den Terrorismus? Wenn es so wäre, dann würde mich ein Teil Ihrer Antwort zugegebenermaßen sehr verunsichern . Denn private Stellen, die Videokameras betreiben, haben doch gar keine Möglichkeit, im Falle eines Falles einzugreifen oder irgendetwas zu verhindern . Das Einzige, was hier passiert, ist, dass Sie gewaltige Datenberge schaffen, von Flensburg bis Rosenheim, um im Fall eines Attentates ein paar mehr Bilder vom Tatort zu bekommen . Und am Ende dauert die Auswertung - wie im Fall Amri - womöglich wochenUli Grötsch lang . Ja wen wollen Sie mit diesem Placebo eigentlich beruhigen, meine Damen und Herren? ({0}) Das Gleiche gilt für die automatische Kennzeichenerfassung . Bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben kann doch die Kennzeichenfahndung an der Grenze nicht die Antwort auf die aktuelle Sicherheitslage sein . Kollege Grötsch, es geht dabei eben nicht um die Strafverfolgung, sondern es ist eine Maßnahme nach dem Bundespolizeigesetz . Also geht es um Gefahrenabwehr und eben nicht um Strafverfolgung . Deswegen fragt man sich natürlich, welches konkrete Szenario Sie da eigentlich im Kopf haben . Denn Anschläge wie der vom Breitscheidplatz können es ja nicht gewesen sein, weil solche Anschläge mit gestohlenen Fahrzeugen innerhalb von wenigen Stunden begangen werden, noch bevor irgendein Kennzeichen zur Fahndung ausgeschrieben werden kann, und nach einem solchen Anschlag fehlt es den Behörden sicher nicht an Daten, die ausgewertet werden können, aber es fehlt an Personal . Oder haben Sie auch nur eine Minute darüber nachgedacht, wie personalintensiv schon allein die Bearbeitung der vielen Fehltreffer ist? Sie sagen es ja selber, Herr Minister, dass einige Länder bereits über ein solches Fahndungsinstrument verfügen und dass die Bundespolizei jetzt im Grunde genommen nichts anderes tun soll . Wozu das führen wird, ist mir schon klar: Es wird doppelte Abgleiche geben, es wird dreifache Abgleiche geben . Da braucht man gar nicht bei den vielen Fehltreffern anzufangen, um zu erahnen, was es bedeutet, am Ende die doppelte und dreifache Arbeit zu bewältigen . Jedenfalls hat Ihr Vorschlag mit Terrorabwehr nicht das Geringste zu tun . Auch hier ist es wieder die pure Technikgläubigkeit ohne einen Funken mehr Sicherheit . ({1}) Da fällt Ihr Vorschlag zu den Body-Cams in diesem Gesetzespaket ja fast schon positiv auf . Jedenfalls gibt es gute Gründe für deren Einsatz, auch wenn man natürlich gespannt sein darf, ob die Body-Cams am Ende auch die Erwartungen, die an sie gerichtet sind, erfüllen werden . Aber Sie haben natürlich recht: Gewalt gegen Polizeibeamte ist ein sehr ernstes Thema . Und wenn es der Bundespolizei bei der Erfüllung ihrer rechtsstaatlichen Aufgaben hilft, dann ist die Einführung von Body-Cams sicher einen Versuch wert . Nur beim Datenschutz sollten Sie auf jeden Fall noch nacharbeiten, zum Beispiel, was die notwendige Verschlüsselung der Daten betrifft. Das gilt für die dienstrechtliche Seite genauso wie für die Rechte der Betroffenen. Es geht aber auch um die Frage, wo die Aufnahmen aufbewahrt werden und wer eigentlich darüber entscheidet, was weiterhin aufbewahrt wird, was noch benötigt wird oder was gelöscht werden kann . Das ist im Gesetzentwurf bisher leider noch nicht geregelt. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir wenigstens in diesem Bereich zu einer vernünftigen Lösung kommen werden . Vielen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan Mayer . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Beide Gesetzentwürfe, die wir heute in erster Lesung beraten, sind sachlich notwendig, sie sind sachlich erforderlich, sie sind aber allem voran maßvoll, sie sind verhältnismäßig, und sie erhalten die nachdrückliche Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion . Beide Gesetzentwürfe dienen aber nicht der Skandalisierung und der Empörung . Frau Kollegin Mihalic, wenn Sie davon sprechen, durch beide Gesetzentwürfe würde kein Funken mehr Sicherheit generiert und dass wir nur der Technikgläubigkeit nachhängen, dann trifft das einfach nicht den Kern. Ich gehe ja gar nicht so weit, zu sagen: Allein durch diese beiden Gesetze wird in Zukunft mit hundertprozentiger Sicherheit ein Terroranschlag in Deutschland verhindert . Ich bin aber der festen Überzeugung, dass beide Gesetzentwürfe, sowohl die Novellierung des Bundespolizeigesetzes als auch die maßvolle Erweiterung der Videoüberwachung, ein weiterer wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Sicherheit in Deutschland sind . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zunächst zur maßvollen Erweiterung der Videoüberwachung . Worum geht es denn ganz konkret? Es geht darum, dass wir § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes dahin gehend ändern, dass in Zukunft in privaten Einrichtungen, beispielsweise in Einkaufszentren, aber auch in Versammlungs-, Vergnügungs- und Sportstätten, unter erleichterten Bedingungen Videoüberwachung stattfinden kann, dass die Themen „Freiheit“, „Schutz des Lebens“ und „Schutz der Gesundheit“ von besonderem Interesse sind, wenn es darum geht, abzuwägen, ob im konkreten Einzelfall Videoüberwachung zulässig ist oder nicht . Das ist aus meiner Sicht vollkommen maßvoll und verhältnismäßig und entspricht überhaupt nicht dem, was teilweise seitens der Opposition daraus gemacht wird . ({0}) Es gibt aus meiner Sicht gute Gründe für die Videoüberwachung . Herr Minister de Maizière hat den Amoklauf in München angesprochen . Damals war über Stunden hinweg unklar, wo sich der Attentäter, der Amok läufer aufhält, es war damals auch die Rede davon, dass der Anschlag möglicherweise von mehreren Personen verübt wurde . Vor dem Hintergrund ist es schon ein Mehrwert an Sicherheit, wenn insbesondere in größeren Einkaufszentren, in Sportstätten und in Sportstadien Videoüberwachung stattfinden kann. Die Bevölkerung goutiert dies übrigens . 81 Prozent der Bundesbürger sind dafür, dass man die Videoüberwachung ausweitet . Natürlich ist Videoüberwachung kein Allheilmittel, und natürlich geht es auch darum, dass wir verstärkt auf mehr Polizeipräsenz setzen . Gerade der Bund hat in der laufenden Legislaturperiode so viel zur Stärkung der Sicherheitsbehörden getan wie noch nie zuvor . Allein im Zeitraum zwischen 2016 und 2020 wird die Zahl der Stellen bei der Bundespolizei um 7 500 erhöht, das entspricht 20 Prozent der Belegschaft . Beim Bundeskriminalamt wurde die Zahl der Stellen im gleichen Zeitraum sogar um 25 Prozent, also um ein Viertel, erhöht . Ich glaube, das kann sich wirklich sehen lassen . ({1}) Ich bin der festen Überzeugung: Eine moderate, maßvolle Ausweitung der Videoüberwachung, die bei weitem nicht der eines Überwachungsstaates entspricht, stärkt die Arbeit der Sicherheitsbehörden sowohl in der präventiven Arbeit, weil sie abschreckende Wirkung hat, als auch bei der Verfolgung von Straftaten, weil sie diese erleichtert . Ich glaube, uns allen sind die schrecklichen Bilder in guter Erinnerung - oder besser gesagt: in schlechter Erinnerung -, als eine Gruppe von Jugendlichen vor wenigen Wochen in einem U-Bahnhof hier in Berlin versucht hat, einen Obdachlosen anzuzünden . Die Jugendlichen haben sich dann sehr schnell „freiwillig“ in Anführungszeichen - gestellt, weil die vorhandenen Videoaufzeichnungen so gut waren, dass sie davon ausgehen mussten, dass sie sehr schnell überführt werden . Daran sieht man ganz konkret, dass Videoüberwachung auch zur Strafverfolgung einen sehr wertvollen Beitrag leisten kann . ({2}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir novellieren aber auch das Bundespolizeigesetz . Es geht insbesondere darum, Bundespolizisten besser zu schützen . Gestatten Sie mir auch hier ein klares Wort: Es läuft derzeit in manchen Medien - auch in einer Boulevardzeitung - eine Kampagne gegen Polizisten in Ausbildung, die sehr pauschal diskreditiert werden . Folgende Zahlen seien einmal dagegengestellt: Im Jahr 2015 sind 64 371 Polizisten Opfer von Straftaten geworden . 64 371! Im Jahr 2014 waren es 62 770 und im Jahr 2013 59 044 Polizisten . Das heißt, dass fast jeder dritte Polizist in Deutschland einmal im Jahr entweder bespuckt, beleidigt, diskriminiert, diskreditiert oder sogar körperlich angegriffen wird. Vor dem Hintergrund sind wir es aus meiner Sicht den Personen, die für uns den Kopf hinhalten, schuldig, sie besser zu schützen, sowohl was die persönliche Ausstattung als auch was Technik anbelangt . Das hat, Kollegin Mihalic, überhaupt nichts mit Technikgläubigkeit zu tun . Es gibt aufgrund der Entwicklung Gott sei Dank neue Möglichkeiten, und die mobile Videotechnik gehört dazu . ({3}) Die wird ja jetzt auch nicht vom Bund erfunden . Manche Länder haben die Body-Cams sehr erfolgreich eingesetzt, allen voran das Land Hessen . Ich bin auch dem hessischen Innenminister Peter Beuth sehr dankbar, dass er dieses Thema mit Nachdruck vorangebracht hat . ({4}) Vor dem Hintergrund sind wir nachdrücklich der Auffassung, dass auch die Ermöglichung des Tragens von Body-Cams für Bundespolizisten ein sinnvolles Mittel ist . ({5}) Es geht bei dem Gesetzentwurf auch darum, dass wir in Zukunft dahin gehend Klarheit schaffen, dass die Daten von Personen, deren Zurückweisung an der deutschen Außengrenze ermöglicht werden soll, über INPOL in das Schengener Informationssystem eingespeist werden können . Ebenso sind wir der Auffassung, dass die automatische Kennzeichenerfassung ein wichtiges Hilfsinstrument ist . Auch hier sei wieder klar gesagt: Das ist kein Allheilmittel . Von vielen Bundesländern - allen voran Bayern - ist dieses Mittel aber schon sehr erfolgreich eingesetzt worden. Es geht nicht um eine flächendeckende Erfassung der Pkws oder Lkws, die die deutsche Grenze überqueren, sondern um eine anlassbezogene Erfassung der Kfz-Kenneichen . Auch hier, weil das Stichwort „Datenschutz“ heute schon gefallen ist, sei gesagt: Es kommt nicht zur Speicherung Unbeteiligter und von Pkws, die keinen Treffer auslösen. Die werden nicht mal eine Sekunde lang gespeichert . Vielmehr kommt es nur dann zur Speicherung, wenn ein konkreter Treffer vorliegt . Ich glaube, dass das wirklich maßvoll und verhältnismäßig ist . Vor dem Hintergrund erfährt auch dies die nachdrückliche Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion . Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letzten Punkt zum Inhalt des Gesetzentwurfs möchte ich erwähnen, dass die Möglichkeit besteht, in Zukunft die in Einsatzzentralen eingehenden Anrufe zu speichern . Aus meiner Sicht ist das in der heutigen Zeit eine Selbstverständlichkeit, sodass die Möglichkeit besteht, sich solche Anrufe noch einmal anzuhören . Wie gesagt: Diese beiden Gesetzentwürfe sind ein Schritt nach vorn . Sie sind Bestandteil eines größeren Sicherheitspakets, das wir in den nächsten Wochen und Monaten - noch in der laufenden Legislaturperiode - im Deutschen Bundestag voranbringen werden . Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, wir nehmen Ihren Appell sehr ernst und werden das Gesetzgebungsverfahren in der gebotenen Qualität zügig und schnell durchführen . Wir werden, Herr Kollege Tempel, selbstverständlich auch eine Anhörung dazu durchführen . Auch das ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir auch die Expertise von außen hinzuziehen . Stephan Mayer ({6}) Ich bitte gerade angesichts der derzeitigen brisanten Sicherheitslage in unserem Land darum, dass wir uns alle darauf konzentrieren und das Gesetzgebungsverfahren diszipliniert, schnell und zügig vorantreiben . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Martina Renner spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Innenpolitikerin spreche ich nicht das erste Mal zur Videoüberwachung . Wir sollten es sachlich tun . Es geht hier nicht um den Einsatz der Technik zur Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten . Es geht darum, Videoüberwachung tatsächlich flächendeckend einzuführen und auch zu nutzen . Der grauenhafte Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz hat der Frage nach öffentlicher Sicherheit traurige Aktualität verliehen . Der vorgelegte Gesetzentwurf ist jedoch die falsche Antwort auf diese Frage . Er bedeutet ein Mehr an Überwachung, aber nicht ein Mehr an Sicherheit . Die Fraktion Die Linke wird daher den Gesetzentwurf ablehnen, weil er nichts besser, aber einiges schlechter machen wird . Was wird er nicht besser machen? Die Ausweitung der Überwachung öffentlicher Räume taugt nicht einmal als Placebo; denn anders als ein Placebo hilft Überwachung selbst dann nicht, wenn man daran glaubt . Schauen wir auf die beiden zentralen Versprechen, mit denen dieser Eingriff in Datenschutz und Bürgerrechte gerechtfertigt werden soll . Zum einen wird gesagt, Videoüberwachung erhöhe die Sicherheit der Bevölkerung . Das ist nachweislich falsch . Die flächendeckende Videoüberwachung in Großbritannien, wo ein Passant etwa 300-mal am Tag von Kameras erfasst wird, verhinderte nicht die Anschläge in London . Ein Rückgang der Kriminalität, insbesondere der Gewaltkriminalität, ist im Land der 4,5 Millionen Kameras nicht feststellbar, und die abschreckende Wirkung nimmt ab . Dies räumen inzwischen auch die Behörden in Großbritannien ein . Der Leiter von Scotland Yards Videoüberwachungsabteilung bilanzierte 2010 zur Kameraüberwachung, sie sei ein - Zitat - „völliges Fiasko“ . Dies gilt für die Strafverfolgung wie für die Prävention . Das in dem Gesetzentwurf formulierte Versprechen - Zitat -, „die Sicherheit der Bevölkerung präventiv zu erhöhen“, wird also nicht eingelöst . Das andere Versprechen lautet, dass die Ermittlungen effektiver werden. Ist die Linke eigentlich die Einzige, die sich an Amris hämische Geste nach der Tat erinnert, deren Erfassung durch eine Kamera am Bahnhof Zoo exakt gar nichts zur Ergreifung beitrug? Sind wir die Einzigen, die sich daran erinnern, dass die Aufnahmen der NSU-Terroristen von Kameras in Köln vor dem Nagelbombenanschlag eben nichts zur Effizienz der Ermittlungen beitrugen? ({0}) Auch dieses Versprechen ist leer . Das Gesetz wird also nichts besser machen . Doch was macht das Gesetz schlimmer? Videoüberwachung ist ein intensiver Eingriff. Sie beeinträchtigt alle, die den betroffenen Raum betreten . Sie dient dazu, belastende hoheitliche Maßnahmen vorzubereiten und das Verhalten der den Raum nutzenden Personen zu lenken .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wendt?

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Wendt, bitte .

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, vielen Dank für die Möglichkeit zur Zwischenfrage . - Sie sagten, dass die Videoüberwachung von Herrn Amri - er hat hämisch in die Kamera gegrinst - zu keinem Erfolg geführt hat . Hätte sie Ihrer Meinung nach aber zu einem Erfolg geführt, wenn wir eine Videoüberwachung mit Gesichtserkennung gehabt hätten und ein Foto von Herrn Amri in der Datenbank hinterlegt worden wäre? Dann hätte in dem Moment, in dem Herr Amri hämisch in die Kamera lachte, im Lagezentrum der Polizei ein Alarm losgehen können: Herr Amri hat eben in diese Kamera gelacht . - Das hätte doch zu einem Erfolg geführt, oder?

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir reden doch hier über die Nutzung von Aufnahmen durch Private . Sie wollen doch jetzt nicht ernsthaft der Überlegung das Wort reden, in Zukunft Kameras in Supermärkten technisch so zu konfigurieren, dass dort auch ein Gesichtserkennungsprogramm läuft . Haben Sie eine Vorstellung davon, welchen Missbrauch Sie damit ermöglichen würden? Wenn das möglich wäre, gäben wir ein komplettes Bewegungsbild an Dritte . ({0}) Herr Wendt, ich glaube, das ist ein vollkommen falscher Vorschlag und ein verfehlter Einwand . ({1}) Ich möchte zurückkommen auf das Zitat des Bundesverfassungsgerichts, das ich vorhin verlesen habe . Darin wird ganz klar ausgedrückt, wie intensiv der Eingriff ist und dass maßgebliche Verhaltungsänderungen mit einer Videoüberwachung einhergehen . Ich möchte darauf verweisen, dass in dem Gesetzentwurf eine einheitliche und klare Normierung von Löschungsfristen nicht vorgesehen ist . Auch das muss man meiner Meinung nach als Kritikpunkt erwähnen . Stephan Mayer ({2}) Um es noch einmal zusammenzufassen und im Klartext darzulegen: Wer beobachtet wird, ändert sein Verhalten . Jeder von uns kennt das: Wenn die Kamera hier angeht, laufen, sitzen und reden wir anders, als wenn wir unbeobachtet sind . Videoaufzeichnungen können in vielfältiger Weise missbraucht werden, nicht nur von Privaten und Firmen . Auch der Staat hat kein Recht, immer zu wissen, wo wir sind und was wir genau tun . Schon jetzt ist klar, dass die Benachrichtigungspflichten, die sich aus den Maßnahmen gegenüber den Betroffenen ergeben, nicht erfüllt werden können . Nein, das Gesetz wird nichts besser machen, und deshalb können wir ihm nicht zustimmen . Wir sehen es als eine Maßnahme, die gesellschaftlicher Verunsicherung begegnen soll, die wesentlich auch Ergebnis unsozialer Politik ist . Doch anders als in der Mathematik ergeben Minus und Minus hier kein Plus . Wir werden deshalb weiterhin für eine Politik streiten, die öffentliche und soziale Sicherheit als Einheit begreift . Vielen Dank . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Sebastian Hartmann spricht jetzt für die SPD . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wichtigste Nachricht vorab: Wir leben in einem der sichersten Staaten der Welt . ({0}) Dass das so bleibt und dass das Sicherheitsniveau jeden Tag weiter verbessert wird, ist unsere gemeinsame Verantwortung, und zwar aller Teile dieses Hauses, sowohl der Opposition, die schon versucht, Brücken zu bauen, um mit uns mitzugehen auf dem Weg der Verbesserung der inneren Sicherheit, als auch der die Regierung tragenden Fraktionen, die gemeinsam einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben, um die öffentliche Sicherheit in Deutschland noch weiter zu verbessern . Genau darum geht es . Das werden wir gemeinsam tun . Wir haben verschiedene Vorschläge gemacht; Kollege Grötsch ist schon darauf eingegangen . Was den Schwerpunkt der Videoüberwachung angeht: Wenn man das Gesetz daraufhin bewertet, sollte man sich den Text des Gesetzes dazu genau ansehen: Wir reden über 3 100 Kameras in bestimmten abgegrenzten Bereichen, und zwar immer dort, wo es eine Lücke in den Bestimmungen gibt, nämlich wo es um große, öffentlich zugängliche Räume geht, ({1}) die durch private Akteure betrieben werden, zum Beispiel ein Einkaufszentrum. Immer mehr Teile des öffentlichen Raums werden durch private Akteure betrieben, und es kann doch nicht sein, dass wir genau dort keine Videoüberwachung ermöglichen . Wir machen es nicht einfach so, dass, wenn das Sicherheitsgefühl subjektiv infrage steht, jeder das irgendwie machen kann, wie er will . Nein, wir geben klare Leitplanken vor, indem wir eine klare Vorgabe für eine Abwägung hinsichtlich der Schutzgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens ins Gesetz schreiben . Wir regeln, dass es nur in den Fällen, wo es notwendig und erforderlich ist, gemacht wird . Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt; ich sagte es . Die Statistiken, die genannt worden sind, bezogen sich vor allem auf Probleme des Schutzes von Polizistinnen und Polizisten; dieser muss verbessert werden . Andere Zahlen zeigen, dass es in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland wesentlich sicherer geworden ist . Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, ist um 17 Prozent niedriger als vor zehn Jahren . Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Banküberfall stattfindet, ist um drei Viertel zurückgegangen. Gleichzeitig ist Deutschland in einer paradoxen Lage: Denn wenn wir über das subjektive Sicherheitsgefühl sprechen, so merken wir, dass die Angst zugenommen hat, Angst, Opfer eines Verbrechens, von Gewalt oder Terrorismus zu werden . Verantwortungsvolle Politik muss darauf reagieren . Auf der einen Seite sieht man, dass es sicherer geworden ist, auf der anderen Seite muss man aber auch diesem subjektiven Sicherheitsgefühl begegnen und eine entsprechende Regelung auf den Weg bringen, damit die Menschen sich sicherer fühlen . Auch das subjektive Sicherheitsgefühl ist entscheidend; diese Ängste müssen wir ernst nehmen . Aber wir wollen dabei nicht, dass es uferlos wird . Wir wollen nicht anlasslos handeln . Vielmehr wollen wir in ganz konkreten Fällen besser werden . Durch die Technik haben wir verbesserte Möglichkeiten . Wenn jetzt seitens der Opposition gesagt wird: „Na ja, dann schafft man Hundertausende von Fotos, die sich niemand anschauen wird, und unklare Speicherfristen“, dann entgegne ich Ihnen, liebe Frau Kollegin: Wenn ein einziges Foto ausreicht, eine Tat aufzuklären, oder sogar dazu führt, dass ein Täter seine Vorbereitungshandlung im öffentlichen Raum, zum Beispiel in einem Einkaufszentrum, nicht so durchführen kann, wie er sich das vorgestellt hat, und wir ihn auf dem Weg zur Tat stoppen können, dann hat es sich gelohnt, das Gesetz an dieser Stelle klarer zu fassen und privaten Akteuren eine klare Vorgabe zu geben, was ihre Verantwortung ist, damit wir gemeinsam für mehr Sicherheit sorgen . Da können Sie uns begleiten . ({2}) Es handelt sich immer um eine Kombination . Herr Innenminister, ich gebe Ihnen völlig recht: Die Videoüberwachung ist nicht die Kernfrage der inneren Sicherheit . Es geht um eine Kombination von Maßnahmen . Wenn wir, Länder und Bund gemeinsam, über mehr Polizei reden, wenn wir über mehr Personal reden, das wir zukünftig mithilfe von Body-Cams besser schützen werden, wenn wir die Möglichkeiten der Digitalisierung und von mehr Videoüberwachung an bestimmten Punkten nutzen, dann führt diese Kombination zu einem handlungsfähigen starken Staat, der dafür sorgt, dass Deutschland ein sicheres Land bleibt . Dass dies die Leitlinie der Sozialdemokratie ist, kann man daran erkennen, dass wir eben nicht auf das Spiel hereinfallen, Freiheit gegen Sicherheit auszuspielen; denn Freiheit und Sicherheit gehören untrennbar zusammen . Das eine geht nicht ohne das andere . „Freiheit ist unmöglich, wenn sie nicht durch den Staat gesichert wird“, hat Karl Popper einmal formuliert . Das ist doch die Linie; man muss beides zusammen denken . Deswegen: Schauen Sie in den Gesetzentwurf, und lesen Sie, was da drinsteht . ({3}) Ich möchte es der Opposition einfach machen . Ich lese es Ihnen vor, damit Sie wissen, was in diesem Gesetzentwurf steht . ({4}) Es geht um den Einsatz der Videoüberwachung „in Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs und öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie Sport- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkplätzen“ . Genau darum geht es . Wenn man den Gesetzentwurf gelesen hat, weiß man es . Es handelt sich - so ungefähr in der Abschätzung - um 3 100 Kameras . Das Gute ist: Wenn man einen Eingriff in Grundrechte wie die informationelle Selbstbestimmung vornimmt, dann ist dies mit einem Verfallsdatum doppelter Art versehen . Ein solches Verfallsdatum ist der 25 . Mai 2018; denn dann wird durch europäisches Recht eine klare Regelung für ganz Europa getroffen. Europa ist schließlich der größte Raum von Freiheit, Recht und Rechtsstaatlichkeit, und Deutschland ist ein starker Teil davon . Hinzu kommt, dass wir eine Abschätzung vorgenommen haben, um wie viele Kameras es überhaupt geht; ich habe die Zahl genannt . Wir werden das evaluieren, damit wir auf unserem Weg, Deutschland zu einem der sichersten Staaten der Welt zu machen und dafür zu sorgen, dass dies so bleibt, beurteilen können, wie viel Erfolg wir bislang damit hatten . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren über dieses Thema heute auch im Lichte des Terroranschlags am Breitscheidplatz am 19 . Dezember letzten Jahres; zu beklagen waren 12 Tote, 50 Verletzte und viele Schwerverletzte . Aber wir diskutieren darüber nicht nur in diesem Lichte, sondern die Debatte über die Sicherheitsstruktur bzw . -architektur und über die Maßnahmen, die zulässig sind, hat bereits vorher stattgefunden . Sie wurde zum Beispiel geführt, als wir über Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und den NSU geredet haben . Außerdem haben wir uns mit verschiedenen Verfassungsgerichtsurteilen und mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt . Was mich betroffen macht, ist: Wir haben über so viele Gesetze geredet, am Ende sind wir doch wieder in Karlsruhe gelandet, und die Richter haben gesagt: Es hat keine hinreichende Abwägung der Rechte stattgefunden . - Oder wir enden in einer Situation, in der wir feststellen: Schon existierende Regelungen werden in der Praxis gar nicht angewandt . Es erschüttert mich, meine Damen und Herren, dass wir mit Verve ein Sicherheitsversprechen abgeben, ({0}) aber es gar nicht hinbekommen, im Alltag auf Bundesund Länderebene das zu tun, was wir tun könnten . Gerade der Fall Amri, der hier schon angesprochen wurde, zeigt ein Vollzugsdefizit. Maßnahmen, die möglich gewesen wären, wurden nicht angewandt, Material wurde nicht ausgewertet . Die Aufnahmen einer Kamera, die sie 24 Stunden, 7 Tage in der Woche macht, wurden nur wegen des Anschlags überhaupt ausgewertet . Wir diskutieren hier über ein neues Verhältnis von Sicherheit, Freiheit und Grundrechten wie dem auf informationelle Selbstbestimmung . Wir als Grüne wollen darüber wirklich ernsthaft diskutieren. Wir wollen die öffentliche Sicherheit verbessern . Aber wir werden genau hinsehen . Ich zitiere Herrn Lammert, der letzte Woche in der Gedenkstunde ganz klar gesagt hat: Sicherheit braucht Freiheit . - Gehen wir doch nicht los, geben ein Sicherheitsversprechen ab und blasen etwas auf! Denn nachher entsteht Verdruss, weil wir nur geredet haben und unsere Maßnahmen gar nicht für mehr Sicherheit gesorgt haben . ({1}) Der Deutsche Anwaltverein, aber auch der Deutsche Richterbund haben in ihren Stellungnahmen zu diesen Gesetzen schon festgestellt: Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken . - Der Deutsche Richterbund - auch seine Mitglieder haben ja einen Eid auf die Verfassung geleistet - hat gesagt, es würden überwiegend Personen überwacht, die selbst keinen Anlass zu einer Überwachung böten, und die Ausweitung des Einsatzes von Kameras im öffentlichen Raum führe zu einem diffusen Gefühl des permanenten Überwachtwerdens . Das ist etwas, was man beachten muss . Denken Sie daran: Das Bundesverfassungsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen sehr deutlich ausgeführt: Es gibt sehr, sehr hohe Anforderungen, wenn ereignislos und verdachtslos intensive und ungezielte Grundrechtseingriffe erfolgen. - Genau das ist es, worum es hier geht . Wollen Sie hier Vorschläge machen, mit denen Sie demnächst in Karlsruhe landen und scheitern? Das verbessert doch kein Sicherheitsgefühl! Schauen wir einmal genau hin: Mir ist in dieser Debatte aufgefallen, dass die Redner der CDU/CSU das Wort „Grundrechte“ kein einziges Mal genannt haben . Dort besteht Ihre rechtliche Schieflage. ({2}) Sie fragen, ob die Aufklärung von Straftaten und die Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls keine verfolgenswerten Ziele sind . Natürlich! Das sind doch Dinge, die uns auch beschäftigen . Aber schauen wir auf das, was Sie vorschlagen: Herr de Maizière hat vor etwa einer Stunde hier gefragt: Fingerabdrücke nehmen - ist das etwa falsch? - Nein, natürlich ist das nicht falsch . Aber hier geht es zum Beispiel nicht darum, dass von einer einzigen verdächtigen Person Fingerabdrücke genommen werden, sondern es geht um die anlasslose, verdachtslose, ungezielte Speicherung, meine Damen und Herren . ({3}) Wir kritisieren auch die Body-Cam überhaupt nicht . Sie kann situationsbezogen eingesetzt werden, und sie ist gut für den Schutz von Polizeibeamten . Das haben sie verdient . Sie ist auch gut für den Schutz des Bürgers gegen Übergriffe. Diskutieren wir es! Aber geben Sie doch zu das haben Sie nicht getan -, dass die von Ihnen benannte Bundesdatenschutzbeauftragte Frau Voßhoff bezüglich der Erfassung von Autokennzeichen gesagt hat, dass sie das so nicht will und sie nicht richtig ist . Das Bundesverfassungsgericht hat einzelne Regelungen der Länder dazu längst, 2008, als nicht verfassungsgemäß bezeichnet . Wir haben Verantwortung, aber diese soll sich nicht beziehen auf ein subjektives Gefühl, sondern auf wirklich hergestellte Sicherheit: mehr Sicherheit, aber auch mehr Schutz für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, keine falschen Versprechungen, sondern vielmehr Maßnahmen, die wirklich helfen und die Grundrechte wahren . Wie Herr Lammert hier sagte: Sicherheit braucht Freiheit . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Günter Baumann spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich verändert . Wir haben eine Zunahme terroristischer Bedrohung, und wir haben eine Zunahme an Kriminalität generell . Wir haben eine Zunahme an Wohnungseinbrüchen, Autodiebstählen und Rauschgiftdelikten . Wir kennen die Statistiken . Es beunruhigt uns alle . Wir haben in den letzten Jahren eine Reihe von Gesetzen in Kraft gesetzt, um die Sicherheit zu erhöhen, und merken: Es reicht nicht aus . Wenn wir vor Jahren in Deutschland noch dachten, Sicherheit sei besser geworden und wir könnten Polizei abbauen, so war das leider ein Trugschluss . Wir müssen heute gegensteuern . Frau Künast, „Sicherheit braucht Freiheit“, haben Sie hier zitiert . Aber Freiheit ohne Sicherheit ist überhaupt nicht möglich . ({0}) Ich denke - es wurde von mehreren Rednern auch gesagt -, wir als Staat haben die Pflicht, für unsere Bürger alles uns Mögliche zur Sicherheit zu leisten . Das verlangen und erwarten die Bürger von uns, und wir sind auch dafür gewählt worden, dies zu leisten . Jeder von uns hat auch im privaten Bereich umdenken müssen . Nachdem wir vor Jahren noch relativ sorglos waren, so haben wir auch zu Hause einiges verändert, seien es die Türen, die Fenster oder anderes . Wir haben also mehr für unsere eigene Sicherheit getan . Das müssen wir auch vom Staat verlangen . Wir stehen in der Verantwortung . Frau Mihalic, wir wollen mit dem Gesetz heute nicht beruhigen . Wir wollen einfach handeln; denn Nichtstun ist garantiert der falsche Weg . ({1}) Auch wenn bei jedem Gesetz die Möglichkeit besteht, dass etwas nicht hundertprozentig funktioniert: Nichts zu tun, ist überhaupt keine Lösung . Meine Damen und Herren, einzelne Punkte des Gesetzes sind bereits von mehreren Rednern erwähnt worden, deshalb nur kurz: Beim Videoüberwachungsverbesserungsgesetz geht es um öffentlich zugängliche Plätze; die Regelung für den privaten Raum ist bereits diskutiert worden . Das müssen wir einfach leisten . Frau Renner, die Abwägung zwischen Datenschutz und Sicherheit ist immer in der Diskussion, gar keine Frage . Aber wir haben ja gerade an Beispielen aus der letzten Zeit gemerkt, dass uns Videoaufnahmen geholfen haben . Wenn wir die U-Bahn-Station Schönleinstraße in Berlin sehen, wo Chaoten einen Obdachlosen angezündet haben, ({2}) so war es dort nur durch Videoüberwachung möglich, dass die Täter erkannt worden sind . ({3}) Wir können dankbar sein, dass dort Kameras installiert waren und schnell gehandelt werden konnte . Bei dem schrecklichen Anschlag am 19 . Dezember 2016 in Berlin hatten wir eben keine Aufnahme, weil die Berliner Polizei das relativ restriktiv sieht . ({4}) Am Ende haben wir Bürger gefragt, ob jemand Handyaufnahmen hat, um uns zu helfen . ({5}) Bei den Videoaufnahmen geht es also sowohl um die Identifizierung als auch um die Rekonstruktion einer Tat. Wenn wir die Möglichkeit haben, dann müssen wir sie einfach auch nutzen . Daneben ist bei Videokameras auch die Prävention entscheidend, da sich viele abschrecken lassen, wenn sie Kameras sehen und wissen: Hier wird überwacht; hier kann ich nicht das tun, was ich vielleicht vorhatte . ({6}) Zum Thema „Mobile Videotechnik/Body-Cams“: In Deutschland ist die Hemmschwelle von Chaoten total gesunken; das ist etwas ganz Schlimmes . Zum Teil haben sie überhaupt keine Hemmschwelle mehr . Steine auf Polizisten zu werfen, ist bei manchen Veranstaltungen schon fast normal . Wenn wir sehen, dass 2015 64 000 Straftaten registriert wurden, bei denen es um Angriffe gegen Polizisten ging - es gab alleine 7 Tötungsversuche gegen Polizisten -, wird klar, Frau Mihalic: Es ist unverantwortlich, wenn wir als Staat hier nicht handeln . Deswegen müssen wir die Möglichkeiten nutzen . ({7}) Im Freistaat Sachsen gab es vor kurzem das ganz schlimme Beispiel, dass bei dem Brand eines Asylbewerberheimes Feuerwehrleute angegriffen worden sind. Das muss man sich einmal vorstellen: Bürger sind ehrenamtlich bei der Feuerwehr tätig, opfern ihre Freizeit, sind für andere da und werden bei dem Einsatz an einem Gebäude, in dem sich Menschen befinden, von Chaoten angegriffen! Und wir als Staat sagen: Na ja, gut, okay; das ist halt so . - Nein, wir müssen hier alle Möglichkeiten nutzen, um Polizisten und Rettungskräfte zu schützen und ihnen zu helfen, weil das einfach nicht so sein kann . Ich sage aber auch: Das ist nur ein Baustein, den wir für Sicherheit brauchen . Das allein wird nicht alles regeln, aber alles zusammen, im Komplex, kann helfen . Die Polizei in Hessen hat einen entsprechenden Versuch gemacht. Die Zahl der Angriffe auf Polizisten ist um 38 Prozent zurückgegangen . Wenn das nicht zum Nachdenken Anlass gibt, dann kann man Ihnen einfach nicht mehr helfen . Kollege Tempel, bei den Body-Cams geht es um den Schutz der Polizei . Dass es Fehler geben kann, indem man die Kamera zu zeitig oder zu spät einschaltet oder in die falsche Richtung hält, ist klar - das kann alles passieren -, aber nichts zu tun, ist zu hundert Prozent falsch . ({8}) - Okay . Sie haben ja gesagt: Wir wollen darüber reden . Das ist schon mal ein Angebot . Ich denke, das ist schon ein Ansatz . Zum Thema Kennzeichenerfassung ist mir etwas Seltsames eingefallen . ({9}) - Nein . - Das Seltsame ist, dass ich vor etwa 15 Jahren auch an diesem Pult stand und dasselbe Thema schon einmal diskutiert habe . Damals, vor 15 Jahren, hatten wir eine rot-grüne Regierung . Ich bin damals beschimpft worden, dass wir das nicht brauchen, weil die Sicherheitslage gar nicht so schlimm ist . Der Datenschutz ging über alles . Dann haben wir das zu den Akten gelegt . Seitdem hat sich die Lage wesentlich verschärft, gerade in den Grenzregionen . Wer aus den Grenzregionen kommt, weiß, was sich dort abspielt: Crystal Meth, Autodiebstähle, hohe Kriminalität, organisierte Kriminalität . Dort müssen wir einfach die Möglichkeiten nutzen nicht generell, sondern anlassbezogen, bei bestimmten Situationen und in bestimmten Regionen . Dort müssen wir Videoaufnahmen anfertigen . Sie werden sofort gelöscht, wenn es keine Treffer gibt. Jedenfalls können sie absolut helfen, etwas aufzuklären . Die Aufzeichnung von Notrufen ist, denke ich, das Selbstverständlichste der ganzen Welt . Ein Notruf bei der Polizei muss aufgezeichnet werden . Man muss sich noch einmal anhören können, was genau gesagt wurde, und man muss nachrecherchieren können . Die Länder, in denen das schon lange gang und gäbe ist, würden über uns lachen, wenn wir das nicht erlauben würden . Deswegen können wir diesen Punkt ganz schnell abschließen . Meine Damen und Herren, die vorliegenden zwei Gesetzentwürfe helfen, die Sicherheit zu verbessern . Sie können sie nicht komplett garantieren, aber verbessern . Vor allen Dingen schützen diese Gesetzentwürfe unsere Polizei noch mehr, und dazu sind wir verpflichtet. Herzlichen Dank . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Matthias Schmidt für die SPD . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Prägnantes Merkmal unserer Arbeit ist das Abwägen - das Abwägen verschiedener Individualinteressen, um das Gemeinwohlinteresse herauszufiltern und sie zu einem Kompromiss zu bündeln . Sie, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen, sehen heute hierfür ein sehr gutes Beispiel: die verschiedenen Argumente für und gegen die Videoüberwachung und das Abwägen von uns Parlamentariern . Auslöser der Debatte sind drei furchtbare Anschläge im Juli letzten Jahres in Bayern: der Axtangriff in Würzburg, der Sprengstoffanschlag in Ansbach und der Amoklauf im Einkaufszentrum in München . Aber eine dramatische Steigerung hat diese Debatte am 19 . Dezember 2016 hier in Berlin mit dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz erfahren . Zeitgleich mit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz gab es zwei weitere abscheuliche Verbrechen in Berlin, die mittels Videotechnik relativ schnell aufgeklärt wurden . Der erste Vorfall: Ein Mann hatte auf dem U-Bahnhof Hermannstraße eine Frau getreten, die daraufhin die Treppe herunterstürzte und sich schwer verletzte . Der andere Vorfall ereignete sich auf dem U-Bahnhof Schönleinstraße, wo ein Obdachloser angezündet wurde . In diesem Zusammenhang hat mir ein Bürger, den ich sehr schätze, eine E-Mail geschrieben . Der Kernsatz lautete: Gegen Videoüberwachung kann doch wirklich niemand etwas haben . - In diesem Kernsatz war der verzweifelte Ruf nach einem Gegenargument enthalten . Er wollte nicht, dass es eine flächendeckende Videoüberwachung gibt, sondern wollte hören, dass wir dies sehr wohl abwägen . Ja, Sie erleben es auch in dieser Debatte: Wir Abgeordneten wägen die Argumente sehr intensiv ab . Selbstverständlich birgt jede Überwachung auch die Möglichkeit des Missbrauchs . Eine Lehrerin hat mir kürzlich erzählt: Sie hatte einen schweren Fahrradunfall . Der Klassiker, beim Rechtsabbiegen hat sie ein Lkw erwischt . Nach langem Krankenhausaufenthalt ist sie zum Glück gesundet . Jetzt aber geht die juristische Debatte los, ob sie an dem Unfall eine Teilschuld hat oder nicht . Der Vater einer ihrer Schüler ist Polizist . Er hat sie eines Morgens begrüßt mit der Aussage, er habe einmal in ihre Akte geschaut, das sei ja wirklich ein furchtbarer Vorgang . - Daran sieht man: Es gibt immer Missbrauchsmöglichkeiten . Wir müssen sehr gut aufpassen, dass sie nicht genutzt werden . Berlin - wir haben die Beispiele gehört - ist im Grunde gut aufgestellt . Die Vorfälle in der U-Bahn in Berlin wurden aufgeklärt; das ist positiv . Die Gesetzeslage ist nicht so schlecht, dass keine Aufklärung erfolgen konnte . Insgesamt gibt es in Berlin 15 000 Videokameras im öffentlichen Raum, die meisten davon im öffentlichen Personennahverkehr . Interessanterweise gibt es sie so gut wie gar nicht bei der S-Bahn . Dort gibt es zwar auf den Bahnsteigen ein paar Kameras; diese zielen aber eher auf die Türen, um Abfertiger einzusparen . In den Zügen der S-Bahn gibt es die Videoüberwachung noch gar nicht . Sie wird es mit der neuen Baureihe geben, die in vier Jahren eingeführt wird . Bei der U-Bahn hingegen gibt es die Videoüberwachung schon flächendeckend. Die Videokameras bei der U-Bahn führen mich zu einem weiteren Gedanken . Videotechnik ist - auch im übertragenen Sinne - nicht nur schwarz-weiß . Man kann nicht sagen: Mit Videotechnik ist es gut, ohne Videotechnik ist es schlecht . Ganz wichtige Fragen, die hier bisher kaum diskutiert wurden, sind: Wie gehen wir anschließend mit den Aufnahmen um? Wie ist es um die Eingriffs tiefe in die Grundrechte tatsächlich bestellt? Es macht einen großen Unterschied, ob die Bilder live in einem Kontrollzentrum von Polizisten oder elektronisch ausgewertet werden oder ob sie, wie in der U-Bahn üblich, 48 Stunden gespeichert werden, um sie nutzen zu können, wenn eine Straftat begangen worden ist . Die Bilder in der U-Bahn, die nur gespeichert werden, werden sofort in die Leitzentrale geschaltet, wenn ein Notrufknopf gedrückt wird . Sie sehen, es gibt sehr viele Schattierungen . Wir müssen sehr intensiv miteinander um eine Lösung ringen . Die Gesetze, die wir hier im Bundestag formulieren, müssen sich stets in der Realität bewähren . Trauriger Anlass sind hier die verübten Attentate . Mit den jetzt vorgelegten Gesetzentwürfen der Bundesregierung haben wir eine sehr gute Diskussionsgrundlage für unsere Ausschussberatungen . Ich wünsche uns allen eine saubere Abwägung im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse . Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Marian Wendt für die CDU/CSU das Wort . ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident ! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe gehen in die richtige Richtung . Das Gesetz zur Verbesserung von Videoaufzeichnungen konkretisiert und stellt klar, in welchen öffentlichen und halböffentlichen Bereichen videoüberwacht werden darf, nicht mehr und nicht weniger . Eine Rechtsklarstellung ist immer im Sinne eines Rechtsstaates . Das Gesetz zur Einführung von Body-Cams ist für mich ein wesentlicher Schritt hin zum weiteren Schutz unserer Polizistinnen und Polizisten . Neben der Zulassung von Kennzeichenlesegeräten und der Aufzeichnung in Dienststellen eingehender Anrufe komplettieren diese Gesetzentwürfe das Bündel der Maßnahmen, die die Polizei ergreifen kann, um ihrer Arbeit so effizient wie möglich nachzugehen . Wir, also Sie und ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben die Verantwortung und die Pflicht, den Polizisten das Material, das Rechtsinstrument und die Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um ihre Arbeit bestmöglich zu erfüllen . Dabei weiß ich um den Widerspruch in unserem Land in Bezug auf unsere Polizei . Tägliches Brot der Polizei ist der Schutz unseres Zusammenlebens, der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung . Das ist eine ehrenvolle und wichtige Aufgabe . Einerseits wird der Polizei mit besonders hohen Vertrauenswerten in Umfragen dafür gedankt. Andererseits sind Polizisten - das finde ich schlecht - viel zu oft Objekt von Pöbeleien, Beleidigungen, Gewalt und Hass, von Stein- und Flaschenwürfen, bis hin zu Angriffen mit Molotowcocktails. Das Lagebild „Gewalt gegen Polizisten“ des BundeskrimiMatthias Schmidt ({0}) nalamtes weist für das Jahr 2015 über 33 000 Gewalttaten gegenüber Polizisten aus. Das finde ich beschämend. ({1}) Vor allem finde ich es beschämend, weil ich davon überzeugt bin, dass wir Menschen, die uns dienen - nicht nur die Polizei, sondern beispielsweise auch die Feuerwehr und das THW -, doch mit Respekt begegnen müssen . Damit kommen wir zur Ausgangsfrage: Wieso brauchen wir eigentlich Body-Cams, wie im Gesetzentwurf vorgesehen? Weil es leider in Deutschland eine Unkultur des Hasses und der Gewalt gegen Sicherheitskräfte gibt . Die Tatsache, dass es eine solche Unkultur gibt, ist völlig inakzeptabel, unabhängig davon, ob die Gewalt von links oder von rechts kommt oder von vorgeblich unpolitischen Tätern . Es ist unsere Aufgabe, dieser Gewalt entgegenzuwirken . Dieses Problem lässt sich aber nicht allein mit Body-Cams lösen; denn hinter den Angriffen auf unsere Sicherheitskräfte stehen eine Unkultur und ein Hass, der viel tiefer geht . Die Gewalt gegen Polizisten beginnt nicht erst bei einem Steinwurf, sondern bereits bei Beleidigungen . Wo „Bullenschweine“- oder „All Cops Are Bastards“-Rufe gang und gäbe sind und entsprechende Plakate gezeigt werden, ist auch die körperliche Gewalt gegen Polizisten nicht fern . Aus Worten werden Taten; denn sie erzeugen ein Klima, in dem toleriert, ja sogar akzeptiert wird, dass das Gegenüber als Mensch weniger wert ist und Gewalt gegen ihn somit gerechtfertigt ist. Deswegen sind nach meiner Auffassung um die Unversehrtheit von Polizistinnen und Polizisten und allen anderen Einsatzkräften zu gewährleisten - auch Beleidigungen unter Strafe zu stellen . Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im vorigen Jahr zum Ruf „All Cops Are Bastards“ hat gezeigt: Es mangelt uns an einer gesetzlichen Grundlage, gegen solche auch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Beleidigungen vorzugehen . Es ist grundsätzlich möglich, solche Beleidigungen unter Strafe zu stellen . Darum müssen wir uns weiterhin kümmern . Die entsprechenden Straftatbestände werden ein weiterer Baustein zum Schutz unserer Polizistinnen und Polizisten sein . Dazu haben wir uns als sächsische Union einstimmig verpflichtet. Wir haben auch eine mögliche Änderung des Strafgesetzbuches mit einem neuen § 90c mit Unterstützung der Gewerkschaft der Polizei erarbeitet . Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist der Beginn dieses von mir skizzierten Kulturwandels und eines besseren Schutzes der Polizisten auf Bundesebene . Diejenigen, die uns schützen - wir müssen das wahrscheinlich auf die Feuerwehr, das THW und auch auf Politessen im Alltag ausweiten -, haben einen hohen Schutz verdient . Die hohen Vertrauenswerte für diese Sicherheitskräfte zeigen das auch . ({2}) Weil es eine kleine Minderheit in diesem Land gibt, die Gewalt gegen Sicherheitskräfte ausübt, ist dieses Gesetz nötig . Ich denke aber auch, dass Prävention in allen Bereichen notwendig ist . Wir dürfen unsere Anstrengungen nicht ruhen lassen . Ich freue mich auf die Gesetzesberatungen und hoffe, dass wir diese zügig und erfolgreich abschließen . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/10939 und 18/10941 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Andere Vorschläge liegen mir nicht vor und sind auch nicht erkennbar . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 5 auf: Eidesleistung der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Der Herr Bundespräsident hat mir soeben mitgeteilt, dass er am 27 . Januar - das ist heute - gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Dr . FrankWalter Steinmeier, und den Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Herrn Sigmar Gabriel, aus ihren Ämtern als Bundesminister entlassen und Herrn Sigmar Gabriel zum Bundesminister des Auswärtigen und Frau Brigitte Zypries zur Bundesministerin für Wirtschaft und Energie ernannt hat . Nach Artikel 64 Absatz 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Artikel 56 vorgesehenen Eid . Herr Gabriel hat diesen Eid als Minister in dieser Wahlperiode bereits geleistet und wird daher nicht erneut vereidigt . Frau Zypries, ich darf Sie zu mir bitten, um den im Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten . ({0})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Bundesministerin, Sie haben den im Grundgesetz vorgesehenen Eid geleistet . Ich gratuliere Ihnen herzlich zur Übernahme dieses Amtes und wünsche Ihnen für die Wahrnehmung der damit verbundenen Aufgaben viel Erfolg .

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Meine Damen und Herren, nach der in der Tagesordnung nicht vorgesehenen, aber absehbaren Gratulationscour an die neue Bundesministerin will ich doch die Gelegenheit nutzen, dem neuen Bundesminister des Auswärtigen, Sigmar Gabriel, auch für diese neue Aufgabe alle guten Wünsche des Hauses mit auf den Weg zu geben . ({0}) Dem Kollegen Frank-Walter Steinmeier möchte ich für seine Tätigkeit in der Bundesregierung herzlich danken . Er bleibt uns ja, wenn vielleicht auch nicht bis zum Ende der Legislaturperiode, so doch eine Weile als Mitglied dieses Hauses erhalten . Dann sehen wir einmal weiter . In diesem Sinne können wir diesen Tagesordnungspunkt abschließen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Europa- und Verfassungsrecht wahren - Vorläufige Anwendung von CETA verhindern Drucksache 18/10970 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Offenkundig können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Klaus Ernst für die antragstellende Fraktion das Wort . ({2})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal die besten Wünsche an die neue Wirtschaftsministerin, Frau Zypries . Alles Gute für Ihr neues Amt! Wir haben heute CETA erneut auf der Tagesordnung, weil dies die letzte Gelegenheit für eine Aussprache vor der Abstimmung über CETA im Europaparlament ist . Sie wollen, dass die Anwendung in Kraft tritt, bevor die Nationalstaaten entschieden haben . Das wollen wir mit unserem Antrag verhindern . Unsere inhaltlichen Vorbehalte gegen CETA - übrigens auch die Vorbehalte vieler Sozialdemokraten, vieler Kommunalpolitiker der Union, vieler Verbände, Gewerkschaften und weiter Teile der Öffentlichkeit - sind bisher keinesfalls ausgeräumt worden . Im Gegenteil: Sie kritisieren wie wir - ich sage es noch einmal: auch sehr viele Sozialdemokraten -, dass mit CETA Konzernsonderklagerechte zementiert werden, anstatt sie zwischen entwickelten Rechtsstaaten abzuschaffen, dass die Begriffe „faire und gerechte Behandlung“ und „indirekte Enteignung“ weiter im Vertrag stehen - obwohl den Sozialdemokraten etwas anderes versprochen wurde -, dass es eben keinen Sanktionsmechanismus bei Verstößen gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards gibt und dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht umfassend ausgenommen wurde . Sie kritisieren auch, wie es in einer Studie von Nettesheim heißt, dass - ich zitiere jetzt - „das ‚right to regulate’ … nur innerhalb der Liberalisierungsstrukturen von CETA wahrgenommen werden“ kann . Deshalb kann der Staat nicht mehr frei Regeln im Sinne des Allgemeinwohls setzen . Die sozialdemokratische Regierung der Wallonie, die tapfer Widerstand leistete, wurde - das wissen Sie alle massiv unter Druck gesetzt und von einem Mitglied der EU-Kommission als „Kommunisten“ diffamiert. Nur mit List und Tücke wurde der Widerstand auch der SPD-Mitglieder ausgebremst . ({0}) Den Widerstand gegen CETA dadurch brechen zu wollen - jetzt wird es wirklich geschmacklos -, dass man CETA-Gegner und damit auch Teile der eigenen Partei mit Trump in einen Topf wirft, wie es gestern hier geschehen ist, das ist eine ganz üble Entgleisung und bedarf eigentlich einer Entschuldigung . ({1}) Sie diffamieren Teile Ihrer eigenen Partei gleich mit, wenn Sie das durchgehen lassen . Ich weiß nicht, wie Sie das gegenüber denen rechtfertigen wollen, die im Europaparlament und in dessen Ausschüssen gegen CETA gestimmt haben . Sind die auch für Trump, oder wie? So einen Unfug wie die Äußerungen vom Genossen Heil gestern habe ich selten in diesem Parlament gehört . ({2}) Diese Rhetorik vergiftet die politische Debatte . Ihr einziger Sinn besteht darin, den politischen Gegner zu diffamieren und sich damit der inhaltlichen Argumentation zu entziehen . Das ist nicht in Ordnung . ({3}) Meine Damen und Herren, die Positionierung der Zivilgesellschaft, von Mitgliedern Ihrer Partei und vieler politischen Akteure ist kein Protektionismus à la Trump . Selbstverständlich sind wir für Handel, und selbstverständlich sind wir für fairen Handel; aber der sogenannte Freihandel im Rahmen von CETA ist eben kein fairer Handel . Wodurch zeichnet sich denn fairer Handel aus? Fairer Handel zeichnet sich dadurch aus, dass Regeln geschaffen werden, dass sich in der globalen Konkurrenz eben nicht der Billigste durchsetzt, sondern der mit hohen Sozial- und Umweltstandards . ({4}) Fairer Handel zeichnet sich dadurch aus, dass regionale Wirtschaftsstrukturen berücksichtigt werden, erhalten bleiben und nicht dem Profitstreben international tätiger Großunternehmen geopfert werden . ({5}) Fairer Handel zeichnet sich dadurch aus, dass alle Regionen der Welt eine reale Chance für ihre wirtschaftliche Entwicklung haben und eben nicht dazu gezwungen werden, ihre Märkte zu öffnen und ihre eigenen Wirtschaftsstrukturen damit zu zerstören . Ich weiß, Sie wissen das alles, und Sie wissen auch, dass CETA diesen Anforderungen nicht gerecht wird . Auch die Grundwertekommission der SPD findet - ich zitiere -, dass „eine Aussetzung des vorläufigen Inkrafttretens sachlich betrachtet erforderlich und ein Akt politischer Klugheit“ wäre . Es ist ganz und gar absurd, ein Abkommen in Teilen in Kraft zu setzen, solange, erstens, die Verfassungsmäßigkeit noch nicht endgültig geklärt ist, solange, zweitens, erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit den Verträgen der EU bestehen und solange, drittens, überhaupt nicht klar ist, wie man diese vorläufige Anwendung wieder beenden kann - und das ist nicht klar . ({6}) Nach Ansicht der EU-Kommission und des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments kann die vorläufige Anwendung nur durch Ratsbeschluss beendet werden . Der frühere Bundeswirtschaftsminister behauptete, dass ein EU-Mitglied die vorläufige Anwendung einseitig beenden kann . Wer hat nun recht? ({7}) - Aha . Es entscheidet aber nicht über das, was in der EU passiert . ({8}) Der frühere Bundeswirtschaftsminister hat etwas anderes behauptet, als die EU letztlich gesagt hat . Ich weiß ja, wie es ausgeht: Sie werden den Antrag ablehnen . Aber ich sage Ihnen: Der Widerstand gegen CETA wird weitergehen. Keinesfalls ist die Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten sicher . Selbst im Bundesrat ist eine Mehrheit für CETA offen. Deshalb sage ich Ihnen - das richtet sich an die Sozialdemokraten -: Hören Sie einmal auf Ihre Grundwertekommission! Sie ist sehr klug . Sie sagt: CETA so lange nicht endgültig in Kraft setzen, solange die offenen Fragen nicht geklärt sind. Es wäre schön, wenn sich die sozialdemokratische Fraktion auf das beziehen würde, was auch in ihrer Partei diskutiert wird . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält für die Bundesregierung die neue Bundeswirtschaftsministerin das Wort . - Bitte schön, Frau Zypries . ({0})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich ja fast bedanken für die Chance, wenige Minuten nach der Ernennung schon die erste Rede halten zu dürfen, und das an diesem Ort, den Frank-Walter Steinmeier gestern sinngemäß als den Ort der demokratischen Auseinandersetzung bezeichnet hat, also als einen Ort, wo Themen diskutiert werden, die die Gesellschaft beschäftigen, und wo wir vor allen Dingen über die Lösungen diskutieren, über die Gesetze, mit denen wir die Gesellschaft in unserem Sinne gerecht gestalten wollen . Natürlich machen wir das auch und gerne öfter zum selben Thema, so zum Beispiel bei CETA . Ich weiß nicht genau, der wievielte Antrag der Linken zu CETA das heute ist; sehen Sie es mir nach . ({0}) Ich weiß aber, dass das Bundesverfassungsgericht schon zweimal entschieden hat, dass alles, was wir mit CETA machen, im Sinne der Verfassung ist . ({1}) Zuletzt am 7 . Dezember letzten Jahres hat der Zweite Senat festgestellt, dass die Bundesregierung die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßnahmen über die Unterzeichnung und auch, Herr Ernst, über die vorläufige Anwendung von CETA korrekt umgesetzt hat. Das heißt: Was wir machen, ist von der Verfassung abgesegnet . Jetzt können Sie einwenden: Das ist ja alles nur ein Eilverfahren; die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus . ({2}) Diesem Urteil sehen wir gelassen entgegen, meine Damen und Herren. Wir sind der Auffassung, dass mit CETA die demokratischen Rechte nicht beschnitten werden . Vielmehr haben wir mit dem Abkommen jetzt endlich die Chance, einen modernen Investitionsschiedsgerichtshof zu schaffen und damit auch Maßstäbe für künftige Handelsverträge zu setzen . In Zeiten, in denen in Nordamerika Mauern gebaut werden und mit protektionistischen Schutzzöllen gedroht wird, ist es wichtiger denn je, dass wir Europäer uns einig sind: Wir stehen zusammen, und wir stehen gemeinsam für faire und für offene Handelsbeziehungen. ({3}) In einer globalisierten Welt kann der Bau von Mauern keine Antwort sein . ({4}) CETA bedeutet Fortschritt auf dem Weg zu einer sozialen und nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung . Deutschland steht für offene Märkte. Unsere Volkswirtschaft hängt fundamental von den internationalen Vernetzungen und von dem Marktzugang ab, den wir weltweit brauchen . Wer, wenn nicht wir, muss deshalb für fairen und freien Handel einstehen? ({5}) Sigmar Gabriel hat das getan, und ich denke, es gebührt ihm aller Dank dafür, dass er CETA mit neuen Ideen und auch mit großem Engagement zu dem fortschrittlichsten Handelsabkommen fortentwickelt hat, das wir je hatten . ({6}) Natürlich wäre es schön, Herr Ernst - das ist es ja, was Sie kritisieren -, wenn wir es schaffen könnten, dieses Handelsabkommen für die ganze Welt abzuschließen . ({7}) Leider aber ist die Welthandelsorganisation wenig bereit, Verhandlungen mit allen zu führen und zu Beschlüssen zu kommen . Das ist der Grund dafür, dass wir so viele bilaterale und multilaterale Handelsabkommen schließen müssen . Ich denke, CETA ist ein Handelsabkommen, das die richtigen Standards setzt, sowohl bei der Frage der Schiedsgerichte als auch in der Frage der Beibehaltung der Arbeitnehmerrechte und der Wahrung der kulturellen Vielfalt . Wir stellen mit diesem Abkommen sicher, dass wir Maßnahmen zur Gestaltung und zur Organisation der Daseinsvorsorge aufrechterhalten . Es ist klar, dass das „right to regulate“ nicht angetastet wird. Von daher finde ich, dass wir mit CETA ein gutes Abkommen haben; es ist ein wichtiges Signal gegen Protektionismus . Das Abkommen wurde in einem fairen, offenen Prozess von den Mitgliedstaaten unterzeichnet . Es wird jetzt in einem demokratischen Verfahren weiterbehandelt . Es wird von allen nationalen Parlamenten sowie vom Europäischen Parlament legitimiert und ratifiziert. Ein solches Abkommen gerade in diesen international politisch problematischen Zeiten so zu diskreditieren, halte ich nicht für richtig . ({8}) Ich bedanke mich deshalb bei all denen, die mit uns gemeinsam diesen Weg gehen und sagen: Jawohl, wir stehen zu CETA . CETA ist ein gutes Abkommen und wird den Handel zwischen Kanada und Europa verbessern . Wir wollen es als Blaupause für künftige Abkommen nehmen . Besten Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katharina Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Zypries, zunächst einmal auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernennung als Wirtschaftsministerin. Ich hoffe, dass wir weiterhin so intensive und kontroverse Debatten miteinander führen können wie mit Ihrem Vorgänger . ({0}) Jetzt zum Antrag der Linken . Aus meiner Sicht ist es sehr richtig und wichtig, dass wir heute noch einmal über das Handelsabkommen CETA diskutieren . Denn wenn das Europaparlament in der nächsten Sitzungswoche über das CETA-Abkommen entscheidet und, so wie es jetzt aussieht, dem Abkommen zustimmen wird, startet hier in Deutschland der Ratifizierungsprozess. Damit startet ein Prozess, in dem für uns als Parlament weiterhin viele Fragen offen sind, Fragen, die wir versucht haben in den letzten drei Jahren miteinander zu diskutieren, Fragen, auf die wir aber gerade von Ihnen als denjenigen, die CETA umsetzen wollen, keine Antworten bekommen haben, Fragen, mit denen sich jetzt das Bundesverfassungsgericht beschäftigen und die es im Mai oder Juni entscheiden wird . Dazu gehört zum Beispiel die Frage: Was passiert eigentlich, wenn dieses Abkommen abgeschlossen wird? Dann gibt es nämlich Gremien, die den Vertragstext fortentwickeln und verändern können, Gremien, von denen wir nicht wissen, welche Kompetenzen sie haben, Gremien, von denen wir nicht abschließend wissen, wie sie zusammengesetzt sind, Gremien, die aber gegebenenfalls über die Zukunft dieses Vertrages entscheiden können, ohne dass sichergestellt ist, dass Sie, dass wir als Parlament über dieses Abkommen noch mitentscheiden können, weder im Europaparlament noch hier im Deutschen Bundestag. Diese Frage ist offen. Diese Frage haben wir der Bundesregierung zigfach gestellt . Auf diese Frage haben wir bis heute keine Antwort bekommen . Genau das ist sinnbildlich für Ihren Umgang mit diesem Abkommen . Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir hier im Parlament dieses Abkommen immer wieder zum Thema machen . ({1}) Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, jetzt über die internationale Handelspolitik zu diskutieren, weil sich ja in den letzten Monaten ungeheuer viel in der internationalen Debatte verschoben hat . Auch damit müssen wir als Parlament uns beschäftigen . Die Wahl von Donald Trump hat zu einer Achsenverschiebung geführt . Seine Ankündigungen, auf Einfuhren ausländischer Unternehmen Strafzölle zu verhängen, eine nationalistische Wirtschaftspolitik durchzusetzen, nur noch auf bilaterale Abkommen zu setzen, das Brechen der WTO-Regeln in Kauf zu nehmen und gegebenenfalls auch gezielt eine Schwächung der Europäischen Union zu provozieren, sind Herausforderungen, die völlig neu sind . All das sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen und vor deren Hintergrund jetzt auch ein Innehalten und Nachdenken notwendig wäre . ({2}) Angesichts dieses Erstarkens des Nationalismus und angesichts dieser Herausforderungen, vor denen wir gerade stehen, fand ich es umso bedenklicher, wie wir die gestrige Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht hier im Parlament geführt haben . Ich fand es ebenso bedenklich, dass ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister und künftiger Außenminister nichts anderes zu dieser Debatte zu sagen hatte außer: Wir machen einfach so weiter wie bisher . Wir ziehen CETA durch . - Sie überlegen noch nicht einmal mehr, ob es einen Moment gibt, wo man analysieren und nachdenken muss . Die Antwort ist einfach nur: Ich habe recht, weil ich es immer schon so gemacht habe . - Und all diejenigen, die das nicht sehen, sind entweder auf der Seite von Donald Trump oder noch schlimmer - verstehen einfach nicht, was Sigmar Gabriel sich da Geniales gedacht hat . ({3}) Gerade diese Art ist jetzt nicht angemessen . Gerade jetzt wäre es wichtig, innezuhalten und zu schauen: Was ist da in den USA eigentlich passiert? ({4}) Wenn wir die Debatte in den USA beobachten, dann sehen wir, dass es da ein Zerrbild gibt zwischen einer unregulierten Globalisierung auf der einen Seite und Donald Trump auf der anderen Seite, der sagt: Wir machen die Grenzen dicht . Ich verspreche euch: Wenn ich die Grenzen schließe, dann bleiben die Jobs hier im Land, und dann werde ich diese Jobs sichern . - Genau diese Verkürzung, dieses Schwarz-Weiß-Bild, dieses Zerrbild ist es, was Probleme in der Gesellschaft provoziert . Genau dieses Zerrbild ist es, das die Rechten und Nationalisten erst stark macht . Deshalb ist es so wichtig, eine Debatte zu führen, die Alternativen aufzeigt, eine Debatte zu führen, die zeigt, wie eine faire Handelspolitik aussieht . Dazu hätten Sie hier die Chance, wenn Sie einmal nachdenken würden . Wenn Sie CETA zum Anlass nehmen würden, jetzt mit den Kanadiern, mit einer neuen kanadischen Regierung, die uns durchaus näher ist als ihre Vorgängerregierung, neu zu verhandeln, dann könnten Sie sagen: Wir Europäer zeigen der Welt jetzt, wie ein gutes Abkommen aussieht . - Das wäre Ihre Aufgabe . ({5}) Sie könnten als Antwort auf Donald Trump, der die fortschrittliche Finanzmarktregulierung der letzten Jahre zurückdrehen will, sagen: Wir setzen uns mit Kanada für gute Regeln auf den Finanzmärkten ein . - Das steht im Abkommen aber nicht drin . ({6}) Sie könnten als Antwort auf May, als Antwort auf Trump, die Steuerdumping wollen, sagen: Wir vereinbaren mit Kanada gute Regelungen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung . - Das steht im Abkommen aber nicht drin .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Ernst?

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja . Das ist übrigens meine erste Zwischenfrage in diesem Parlament überhaupt . Voll cool . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Es ist manchmal schwierig, bei Ihnen dazwischenzukommen .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollegin Dröge, das liegt daran, dass sich die anderen nicht trauen . Ich habe folgende Frage: Sie haben von neuen Aspekten gesprochen . Wir haben den Fakt: Donald Trump schottet sein Land ab . Das heißt, der Handel der Europäer mit den Amerikanern wird eher schwieriger werden . Gleichzeitig können die Amerikaner, die Dependancen in Kanada haben, den Vorteil des CETA-Abkommens nutzen . Durch die Abschottung der Amerikaner können die Europäer nicht gegenüber den Amerikanern die Vorteile, die immer erwähnt werden, nutzen . Stimmen Sie aus Ihrer Sicht zu, dass auch das allein schon ein Grund wäre, dass man die vorläufige Anwendung des Abkommens nicht macht und abwartet, was passiert? ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, wir sind uns in der Sache einig, dass wir die vorläufige Anwendung dieses Abkommens stoppen wollen, und zwar aus vielen inhaltlichen Gründen, die wir hier im Parlament miteinander diskutiert haben . Hinsichtlich der Frage des Verhältnisses zwischen den USA und Kanada stehen auch die kanadischen Kolleginnen und Kollegen vor vielen Fragen, vor vielen Herausforderungen, weil Trump auch angekündigt hat, dass er das Freihandelsabkommen NAFTA auf den Prüfstand stellen wird . Was das für die Kanadier bedeuKatharina Dröge tet, werden sie erst in den nächsten Wochen und Monaten sehen . Was das im Umkehrschluss für ein mögliches Abkommen mit der Europäischen Union und Kanada bedeutet, kann man jetzt nicht abschließend beurteilen . Deswegen müssen wir abwarten, müssen wir schauen, was passiert . Weil auch die Kanadier vor der Herausforderung stehen, dass NAFTA als Freihandelsabkommen - das hatte für sie durchaus Nachteile, aber natürlich auch wirtschaftliche Vorteile - gegebenenfalls zur Debatte steht, ist gerade jetzt ein wichtiger Zeitpunkt, um mit den Kanadiern noch einmal darüber zu sprechen, wie ein gutes Abkommen aussehen könnte . Gerade jetzt ist die Gelegenheit da, zu sagen: Wir machen einen Neustart bei den Gesprächen mit den Kanadiern und reden noch einmal darüber, ob wir es nicht schaffen, ein vorbildliches Abkommen mit guten Regeln und ohne Schiedsgerichte, die Sie implizit mit Ihrer Frage gemeint haben, zu verankern . Das wäre jetzt die Chance . Dass die Bundesregierung überhaupt nichts tut, dass sie einfach nur sagt: „Wir machen die Augen zu, wir ziehen CETA durch“, ist das Problem . Das müssen wir jetzt thematisieren . ({0}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur an Sie appellieren. Wir haben jetzt eine Verpflichtung, nachzudenken, innezuhalten, alle miteinander in eine vernünftige parlamentarische Debatte einzusteigen . Schuldzuweisungen und „Augen zu“ werden nicht funktionieren . Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an . Trauen Sie sich einfach, haben Sie Mut, lassen Sie davon ab, es durchzuzwingen . Ich weiß, dass Sie von der SPD Schwierigkeiten haben, dies mit der CDU/CSU durchzusetzen . Nur ist dort leider weniger Erkenntnis vorhanden als bei Ihnen . Deshalb appelliere ich an Sie, weil Sie schon jetzt Teile in Ihrer Fraktion haben, die im europäischen Handelsausschuss, aber auch hier im Parlament gesagt haben: Ihr erkennt wenigstens einen Teil unserer Kritik an . - Das ist bei der CDU/CSU deutlich schwieriger . Lassen Sie uns gemeinsam handeln und sagen: Wir wagen jetzt den Neustart . Leider hat Herr Gabriel - und auch Herr Heil - gestern gesagt, dass sich alle, die CETA kritisieren, auf die Seite von Trump stellen . Hören Sie damit auf und sagen Sie: Wir nutzen gemeinsam die Chance für eine faire Handelspolitik und beweisen den Menschen, dass es geht, dass Globalisierung Gewinner erzeugt, wenn sie fair ausgestaltet ist; gewinnen sollen alle Menschen in diesem Land, gewinnen soll sowohl die Umwelt als auch die Unternehmen . Das wäre eine Riesenchance und eine großartige Antwort auf den erstarkenden Nationalismus . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katharina Dröge . - Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem bewegenden Tag! - Nächster Redner: Andreas Lämmel für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen guten Tag, Frau Präsidentin! Frau Ministerin Zypries, herzlichen Glückwunsch zur Ernennung! Wir sind uns nicht fremd . Wir arbeiten schon viele Jahre mit Ihnen gut zusammen, als Sie noch als Staatssekretärin im Amt waren. Ich hoffe, wir werden noch die restlichen acht Monate eine fruchtbare Zeit für die deutsche Wirtschaftspolitik haben . Frau Dröge, gestern hat Ihr Spitzenkandidat, Herr Özdemir, sich als großer Kämpfer für Handelspolitik dargestellt . Heute haben Sie die Wendung nach hinten vollzogen . Im Prinzip sind Sie genau in das Muster gefallen, das Sie seit Monaten hier bieten . Sie müssen sich doch mal Ihre eigenen Argumente auf der Zunge zergehen lassen . Sie haben die Begründung dafür, dass wir CETA jetzt schnellstmöglich abschließen sollten, eigentlich selbst geliefert ({0}) Denn CETA, also das Abkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada, ist das modernste Handelsabkommen, das es weltweit gibt . Sie haben NAFTA, also das Abkommen zwischen Kanada, den USA und Mexiko, angesprochen . Es ist fast 30 Jahre alt . Inhaltlich liegt CETA meilenweit vor dem NAFTA-Abkommen . Alle Themen, die hier im Hause diskutiert worden sind, die draußen in der Zivilgesellschaft diskutiert worden sind, die auf den Großdemonstrationen eine Rolle spielten, die Sie von den Linken und den Grünen mit angeführt haben, sind im Prinzip verhandelt und im Abkommen berücksichtigt worden . Unser Wirtschaftsminister hat - ich glaube, misstrauisch beäugt von den europäischen Partnern, denn es ist ja kein deutsches, sondern ein europäisches Abkommen - noch viele Dinge durchsetzen können, was man vielleicht vor einem Dreivierteljahr überhaupt nicht erahnen konnte . Ich kann also Ihre Kritik überhaupt nicht verstehen - im Gegenteil . Sie sagen, wir brauchen ein modernes Abkommen . Wenn Sie das erreichen wollen, heißt das: Wir müssen das Abkommen jetzt in Kraft setzen . Es ist wichtig - vor allem hat es einen enorm hohen symbolischen Wert -, dass wir uns gerade in dieser Zeit, die Sie ja auch beschrieben haben, mit einem US-Präsidenten, der Handelsabkommen sozusagen mit einem Federstrich beendet und seine ganzen Partner ohne Zögern vor den Kopf stößt, ({1}) zu einem Handel zu fairen Konditionen bekennen - genau so, wie Sie es gesagt haben . Dafür bietet CETA die beste Basis . ({2}) Vor allen Dingen würde dies zeigen, dass Europa handlungsfähig ist, meine Damen und Herren . Ich will es mal so sagen: Sie sagen nie, dass die Diskussion in anderen europäischen Ländern ganz anders verläuft, ({3}) dass Deutschland sozusagen als Bremser im Bremserhäuschen sitzt, anstatt als Lokomotive vorneweg zu fahren . ({4}) Das ist doch das Problem . Man kann nur sagen: Das, was Sie jetzt hier machen, spielt all jenen Leuten in die Hände, die sowieso europafeindlich eingestellt sind, die gegen die Globalisierung sind . ({5}) - Genau . - Bei dem Spiel machen Sie mit . Frau Dröge, damit werden Sie letztendlich keinen Beitrag zur Entwicklung der Wirtschaftspolitik in Deutschland leisten . Man muss einmal sagen: Natürlich wäre es schön, wenn man das umsetzen könnte, was Herr Ernst immer verkündet: Wir brauchen weltweite Abkommen . - Aber jeder, der die Verhältnisse in der WTO kennt, weiß, dass dort schon seit Jahren kaum ein Millimeter Fortschritt zu erzielen ist, weil zum Beispiel Länder wie Indien immer auf der Bremse stehen und Russland auf der Bremse gestanden hat . Wenn man eben kein weltweites Abkommen in der Art und Weise, wie wir uns ein modernes Abkommen vorstellen, zustande bekommt, dann muss man eben versuchen, erst einmal über bilaterale Abkommen einen Schritt weiterzukommen . Ich habe es schon gestern vor dem Plenum gesagt: Es läuft im Moment der G-20-Prozess . Deutschland hat die Präsidentschaft in der G 20 . Ein Kernpunkt der G-20-Präsidentschaft ist die Diskussion über die Chancen und die Risiken der Globalisierung . Dieser Punkt passt genau ins Bild; denn man weiß ja überhaupt nicht, was Herrn Trump eigentlich bewegt oder was er vorhat: Will er sich sozusagen - wie er es im Moment macht völlig abschotten, Mauern bauen, Handelsabkommen beenden, will er sozusagen in seinem eigenen Saft weiter schmoren, und gelten eigentlich überhaupt keine Absprachen mehr, die in den letzten Jahrzehnten gemacht worden sind? Insofern ist dieser G-20-Prozess im Moment einer der wichtigsten Diskussionsprozesse, in dem sich die amerikanische Politik letztendlich zu klaren Aussagen bekennen muss: ({6}) Wollen wir weiterhin freien Handel in der Welt haben? Wollen wir Handelsschranken weiterhin abbauen? Wollen wir zu modernen Handelsabkommen kommen, damit der Wohlstandszuwachs in der Welt, der in den letzten Jahrzehnten mit der Globalisierung einherging, weiter voranschreiten kann? Das sind doch die grundsätzlichen Fragen . Ich kann festhalten: Die Gerichte in Deutschland haben erst einmal entschieden . Sie haben die Anträge der Linken, auch die Eilanträge, abgewiesen . Das heißt, der Weg ist jetzt erst einmal frei. Dann muss das Ratifizierungsgesetz eingebracht werden. Im Rahmen des Ratifizierungsprozesses haben wir noch so viele Stunden Zeit, über all diese Dinge zu diskutieren . Die Linken werden den 150 . Antrag schreiben, in dem immer das Gleiche steht . ({7}) - Es kam von Ihnen kein einziges neues Argument, Herr Ernst . Sie führen nur das weiter, was Sie hier schon seit fünf Jahren erzählen . In Ihrem Antrag steht immer nur: können, können, können, möglicherweise, können, können, können . Das ist im Prinzip also nur ein Können-können-können-Antrag, aber Sie können es eben nicht richtig; das ist das Problem . ({8}) Ich kann nur sagen: Die substanziellen Punkte, die wir in der politischen Diskussion über CETA besprochen haben, sind aufgenommen worden . Vieles ist in dem Abkommen untergebracht worden . Ich kann nur darauf verweisen: Im Ratifizierungsprozess können wir uns lange genug darüber unterhalten . Ich finde, Ihr heute vorgelegter Antrag war überflüssig . ({9}) Wir werden Ihrem Antrag natürlich nicht zustimmen können . Vielen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Andreas Lämmel . - Nächster Redner: Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion, Augsburg-Land . ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich darf der Ministerin zunächst ganz herzlich gratulieren . Ich freue mich auf die Zusammenarbeit . Sie haben schon erwähnt, dass wir zum x-ten Mal über einen Antrag zu CETA beraten . Heute versuchen die LinAndreas G. Lämmel ken - diesmal mit juristischer Argumentation -, das Abkommen in irgendeiner Weise zu bremsen, zu verhindern . Die im vorliegenden Antrag infragegestellte Konformität der vorläufigen Anwendung von CETA steht im Widerspruch zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Es ist erwähnt worden: Der Zweite Senat hat vor kurzem eindeutig festgestellt, dass die Bundesregierung die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßgaben vor der Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von CETA umgesetzt hat . Weder hat die Bundesregierung einer vorläufigen Anwendung von CETA in bestimmten Sachgebieten wie Investitionsschutz, Portfolioinvestitionen, Anerkennung von Berufsqualifikationen oder dem Arbeitsschutz zugestimmt, noch hegt das Bundesverfassungsgericht Zweifel an der Möglichkeit Deutschlands gemäß Artikel 30 des Vertrages, die vorläufige Anwendung von CETA einseitig zu beenden . Die Bundesregierung habe diese Erklärung in völkerrechtlich erheblicher Weise abgegeben und eindeutig notifiziert. - Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen . Das Freihandelsabkommen CETA hat in dieser Woche eine weitere wichtige Hürde genommen . Der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments stimmte mit großer Mehrheit für den Vertrag und hat damit den Weg zur Verabschiedung von CETA im Europäischen Parlament im kommenden Monat freigemacht . Das sind gute Nachrichten: gute Nachrichten für den freien Handel und gute Nachrichten für die wirtschaftliche Entwicklung . ({0}) Mit CETA liegt ein exzellentes Freihandelsabkommen auf dem Tisch . CETA wird bestehende Handelshemmnisse spürbar reduzieren, indem Zölle für Industriegüter umfassend abgebaut und der Marktzugang im Bereich der öffentlichen Beschaffung verbessert wird. Es bekräftigt soziale und ökologische Standards und schützt europäische und kanadische Eigenheiten und Errungenschaften . Es stellt sicher, dass wir Maßnahmen zur Gestaltung und Organisation der Daseinsvorsorge und zur Regulierung in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Soziales, Wasserversorgung, Kultur und Medien auch zukünftig in unverändertem Umfang ergreifen können . Und CETA wird anstelle der traditionellen Schiedsgerichte mit Schiedsrichtern erstmals die Einrichtung eines Investitionsgerichts vorsehen, dessen Richter von den CETA-Vertragsparteien ernannt werden . Das Verfahren ist transparent, und es gibt eine Berufungsinstanz . ({1}) All das zeigt: CETA setzt Maßstäbe dafür, wie internationaler Handel, wie Globalisierung nachhaltig und fair gestaltet werden können . Wir brauchen CETA aber auch, weil wir wissen, welch überragende Bedeutung offene Märkte und freier Handel gerade für uns in Deutschland haben . Gestern haben wir hier im Parlament über den Jahreswirtschaftsbericht und die herausragende Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt debattiert . Wir wissen: Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt am Export . Ohne den Zugang zu internationalen Märkten fiele das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland um gut 50 Prozent niedriger aus . Unsere Exportquote lag 2015 bei 46,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts . ({2}) Diese Zahlen zeigen: Der internationale Handel ist Grundlage unseres Wohlstandes . ({3}) Angesichts dessen muss es in unserem ureigenen Interesse liegen, erfolgreichen Außenhandel voranzutreiben . Mit ausgewogenen Freihandelsabkommen verbessern wir die Marktzugangsmöglichkeiten, schaffen Rechtssicherheit in den internationalen Handelsbeziehungen und ermöglichen es auch, die Gestaltung internationaler Handelsregeln zu prägen . Die Entwicklungen in der Welt deuten aktuell aber in eine andere, in eine besorgniserregende Richtung . Wir beobachten einen zunehmenden Rückzug ins Nationale . Freihandel gerät unter Druck . Was vor kurzem noch undenkbar schien: Sowohl in den USA als auch in Großbritannien sind anstelle von grenzüberschreitendem Handel und offenen Märkten Protektionismus und Abschottung auf dem Vormarsch, und das - wie wir feststellen, wenn wir die Berichterstattung in den letzten Tagen verfolgen - offensichtlich in atemberaubendem Tempo. Der Ausstieg der USA aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen hat zwei Dinge verdeutlicht: Erstens . Der neue US-Präsident macht Ernst, all das umzusetzen, was er im Wahlkampf angekündigt hat . Er ist fest entschlossen, sich auf das Nationale zurückzuziehen und den freihandelspolitischen Rückzug der USA anzutreten . Zweitens . China ist fest entschlossen, das dadurch entstehende Vakuum zu seinen Gunsten zu nutzen . Wie reagieren wir auf diese Situation? Wir müssen verdeutlichen, dass Protektionismus die falsche Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung ist . Er ist die scheinbar einfache Antwort auf Sorgen und Ängste derer, die fürchten, im weltweiten Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können . Protektionistische Maßnahmen etwa Strafzölle und die damit verbundene Verteuerung von Importen -, das klingt für viele offensichtlich verführerisch und mag kurzfristig vielleicht sogar Effekte erzielen . Mittel- bis langfristig wird die Wirtschaft, werden die Arbeitnehmer bis ins Mark getroffen. Gleiches gilt für die Aufkündigung von geplanten oder bestehenden Handels- und Investitionsabkommen . Es ist geradezu ein Paradoxon unserer Zeit, dass vor allem jene Menschen in den traditionellen Industriestaaten der USA einen Präsidenten ins Amt gewählt haben, dessen erste Amtshandlung massive Auswirkungen auf ihre soziale Sicherheit entfalten könnte und wahrscheinlich auch entfalten wird . Und selbstverständlich hätten Zölle auf Autos in Höhe von 35 Prozent auch beträchtliche Folgen für die hiesige Automobilindustrie, für unsere Wirtschaft insgesamt . Es ist der Weg in den Verlust von Arbeitsplätzen . Protektionismus kennt nur Verlierer . Protektionismus ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung . ({4}) Stattdessen müssen wir deutlich machen, dass wir Freihandel gestalten wollen und auch gestalten können . Der chinesische Präsident hat in Davos angedeutet, wie China auf den Rückzug der USA zu reagieren gedenkt . Die Ankündigung Australiens, sich nach dem Ende des transpazifischen Abkommens künftig möglicherweise China zuzuwenden, muss uns beschäftigen . Ein Freihandel nach chinesischen Vorstellungen, geprägt von Marktöffnung ohne Standards, ohne Regeln und ohne Schutzmechanismen, darf uns nicht kalt lassen . Deutlich wie nie zeigt sich: Wenn wir die Standards nicht setzen, dann setzen sie andere . Wir können dann zwar noch Handel treiben - aber zu den Bedingungen, die andere setzen . Darum brauchen wir Abkommen wie CETA . Mit kaum einem anderen Land haben wir solche Schnittmengen wie mit Kanada - vor allem auch an Werten und freiheitlichen Grundvorstellungen . Gestern hat wir müssen jetzt sagen: Ex-Wirtschaftsminister - Sigmar Gabriel im Parlament gesagt: Kanada ist europäischer als so manches Land in Europa . - Dem kann man sicher zustimmen . Wenn dieses Abkommen nicht gelingt, dann wohl keines mehr . Und ich bin der festen Überzeugung, dass CETA ein sehr gutes Abkommen, ein faires Abkommen ist, dass CETA als erfolgreiches Abkommen zukünftig Vorbild für weitere Abkommen sein muss und sein wird . Deutschland muss den freien und fairen Handel vorantreiben . Wir tun dies . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Hansjörg Durz . - Nächster Redner: Alexander Ulrich für die Linke . ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Veränderungen in der Rhetorik . Wer wie wir bis vor kurzem mit Hunderttausenden in Deutschland oder mit Millionen in Europa gegen CETA und TTIP demonstriert hat, wurde als antiamerikanisch hingestellt . ({0}) Jetzt sind wir auf der Seite des US-Präsidenten . ({1}) Ich bin mal gespannt, wann bei Ihnen, den regierungstragenden Fraktionen, dieser Widerspruch ankommt, dass es uns nicht um Personen geht, um Verträge mit Ländern, sondern um die Inhalte . Deshalb lehnen wir TTIP und CETA ab . Das hat mit fairem Handel überhaupt nichts zu tun . ({2}) Frau Wirtschaftsministerin, das war kein guter Start, als Sie hier zum Ausdruck gebracht haben - das haben auch Herr Lämmel und mein Vorredner gesagt -, wir würden hier zu oft über CETA diskutieren . Ich möchte festhalten: Über TTIP und CETA ist in diesem Parlament fast nur aufgrund unserer Anträge und aufgrund von Anträgen der Grünen geredet worden . Wenn es nach der Regierung gegangen wäre, hätten wir über dieses Thema im Parlament fast nie debattiert . Aber wir brauchen eine Debatte hier im Parlament, insbesondere vor so wichtigen Entscheidungen wie der über die vorläufige Anwendung. ({3}) Ich frage mich langsam: Was muss denn noch alles passieren, damit man endlich einmal politisch reagiert auf Ereignisse wie den Brexit oder die Trump-Wahl? Immer nach solchen Ereignissen werden Analysen erstellt - es gibt Globalisierungsverlierer; wir müssen die Menschen ernst nehmen; wir müssen die Menschen mitnehmen -, aber dann wird die Politik einfach so fortgesetzt . Was muss denn noch passieren, damit endlich klar wird: Dieser unfaire Handel ist mit ein Grund dafür, dass die Rechten stärker werden, er ist mit ein Grund dafür, dass sich Länder auf das Nationale zurückziehen? Wir hätten jetzt die Chance für einen Neustart mit CETA, um diesen rechten Rattenfängern endlich das Wasser abzugraben; aber dazu sind Sie nicht bereit . ({4}) Schade ist auch, dass wir die Debatte hier nicht mehr mit Sigmar Gabriel führen können . Es war immer schön, hier im Bundestag darüber zu diskutieren, wie der SPD-Parteivorsitzende mit seiner eigenen Partei Achterbahn gefahren ist . Wenn es einen Grund gibt, warum Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender gescheitert ist, dann den, dass er hier immer im Geist der Agenda 2010 weitergemacht hat, ({5}) auch bei solchen Freihandelsverträgen, während seine eigene Partei auf diesem Weg kaum mehr mitzunehmen war . Wenn er, wie er sagt, keine ausreichende Unterstützung durch seine Partei hatte, dann hing das auch damit zusammen, dass die SPD im Prinzip anders tickte als ihr Parteivorsitzender . Daran ist Sigmar Gabriel gescheitert . Aber auch jetzt merkt man nicht, dass die SPD endlich erkennt, dass sie ihre Politik verändern muss, um wieder bessere Umfragewerte zu bekommen . ({6}) Schauen wir uns jetzt einmal an, was im Einzelnen beschlossen worden ist . ({7}) Wir sind anders als meine Vorredner nicht der Auffassung, dass die Bundesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in ausreichendem Maße eingehalten hat . ({8}) Schauen wir uns die einzelnen Punkte an, zuerst den Investorenschutz . Beim Investorenschutz hat man zwar die Klagerechte herausgenommen, aber alles andere bleibt wie bisher . Auch die schwierigen Marktzugangsregeln bleiben wie bisher . Was haben Sie damit erreicht? Die Protokollerklärungen, die verabschiedet werden sollen, haben rechtlich überhaupt keine Verbindlichkeit . ({9}) Alles, was gesagt worden ist, um deutlich zu machen, man habe tatsächlich etwas erreicht im Sinne von Verbesserungen für die Arbeitnehmer oder im Sinne des Verbraucherschutzes, ist nur heiße Luft . Sie versuchen, mit Protokollerklärungen etwas rechtsverbindlich zu machen, was nicht rechtsverbindlich zu machen ist . ({10}) Deshalb bleibt der Druck gegen CETA und TTIP weiterhin aufrechterhalten . Wir werden diese Themen auch in den Bundestagswahlkampf tragen . Ich glaube nicht, dass Sie sich trauen, den Ratifizierungsprozess noch vor der Bundestagswahl abzuschließen, weil auch Sie wissen, dass es im Bundesrat keine Mehrheit dafür geben wird . Also wird das ein Thema im Bundestagswahlkampf . Wir müssen deutlich machen: CDU, CSU und SPD stehen für unfairen Handel, für eine Politik gegen Verbraucherschutz, für eine Politik gegen Umweltschutz, für eine Politik gegen Arbeitnehmerrechte; und wir Linke wollen fairen Handel, wollen diese Interessen berücksichtigt wissen . In diesem Sinne: Vielen Dank . Die Debatte geht weiter . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Ulrich . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Bernd Westphal . ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Glückwunsch an die neue Bundeswirtschaftsministerin . Viel Erfolg, viel Kraft und viel Glück in Ihrem neuen Amt! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufforderung, dass die Debatte hier weitergehen soll, ist völlig richtig; aber es kann ruhig etwas niveauvoller sein . ({0}) Neue Argumente, die wirklich schlagkräftig sind, und eine seriöse Auseinandersetzung habe ich vonseiten der Linksfraktion hier noch nicht erlebt . In dieser Woche haben wir hier in diesem Hause und auch im Wirtschaftsausschuss über den Jahreswirtschaftsbericht 2017 diskutiert . Im Zentrum dieser Debatte stand die Bedeutung, die Wichtigkeit des globalen Handels, den wir brauchen . Unsere exportorientierte Wirtschaft ist Voraussetzung dafür, dass wir Zugang zu Märkten haben . Sie sichert nicht nur die Zukunft unserer Wirtschaft, sondern auch den Wohlstand unseres Landes . Wenn man verfolgt, was die Regierungschefin May in Großbritannien zurzeit auf ihrer politischen Agenda hat, fällt auf, dass sie in erster Linie Gespräche darüber führt, wie sie den Zugang zu Märkten sichern kann; denn sie muss Freihandelsabkommen aushandeln, um die Perspektiven der britischen Wirtschaft abzusichern . Jetzt liegt hier dieser Antrag vor, um CETA zu verhindern; es ist nicht der erste Antrag zu diesem Thema . Das ist Ihr gutes Recht . Allerdings gehen Sie diesmal noch einen Schritt weiter . Sie formulieren, dass Sie CETA als europa- und verfassungsrechtlich problematisch einstufen . Dabei sind die Linken bereits mit Eilanträgen vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, mit denen sie die vorläufige Anwendung von CETA verhindern wollten . Ich war selbst bei den Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dabei und habe die Argumentation der Richter sehr genau verfolgt . Hören Sie endlich auf, das zu bekämpfen, was unserem Land nutzt! ({1}) Seit genau drei Jahren diskutieren wir hier an dieser Stelle über immer mehr Anträge mit immer weniger Argumenten . Sie zaubern immer wieder neue Argumente aus dem Hut, die von Gerichten widerlegt werden . Nun fordern Sie in Ihrem Antrag ein ausführliches Gutachten des Europäischen Gerichtshofs, bevor über die vorläufige Anwendung Fakten geschaffen werden. Warum wird diese Forderung nicht an Ihre Kollegen im Europaparlament gestellt? Warum muss sich der Deutsche Bundestag überhaupt mit dieser Fragestellung befassen, wenn erst einmal das Europaparlament zuständig ist? ({2}) - Die Ratifizierung kommt danach. Erst einmal muss das Europaparlament beschließen . - Das wäre der Platz für die Forderung nach solch einem Gutachten gewesen . Dort gibt es diese Forderung allerdings nicht . Ich will Sie fragen: Warum haben Sie sich nicht mit Ihren Kollegen im Europaparlament in einem Dialog über diese Dinge ausgetauscht? ({3}) Diese wurden bereits im November 2016 im Europaparlament mit satter Mehrheit abgelehnt . Jetzt beantragen Sie das Gleiche hier im Deutschen Bundestag . Keine wirklich originelle Idee! Ihre politische Ablehnung von CETA soll juristisch aufgewertet und mit angeblichen schwierigen europaund verfassungsrechtlichen Problemen in Verbindung gebracht werden . Man mag zu CETA stehen, wie man will, aber ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass die Legitimität europäischer Abkommen und Institutionen deshalb hinterfragt werden kann, weil gewisse Entscheidungen, zum Beispiel im Handelsbereich, nicht gefallen sind . Sie fordern die Bundesregierung auf, die Notifizierung an Kanada zur Inkraftsetzung der vorläufigen Anwendung von CETA zu verhindern . Damit sollen die vorläufige Anwendung und auch CETA insgesamt verhindert werden . Sie bezweifeln in Ihrem Antrag die Möglichkeit Deutschlands zur einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung; allerdings hat das Bundesverfassungsgericht genau das in seinem Beschluss am 7 . Dezember 2016 eindeutig festgestellt . ({4}) Ich denke, das sollten Sie berücksichtigen . Die Bundesregierung hat eine entsprechende Erklärung in völkerrechtlich erheblicher Weise abgegeben . Die Juristischen Dienste der Kommission und auch des Europäischen Parlaments gehen davon aus, dass das Investitionsschutzsystem, wie in CETA vorgeschlagen, EU-rechtskonform ist . Das ist also eine klare juristische Bewertung, die zu einem anderen Ergebnis kommt als dem, das Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen . ({5}) Das Bundesverfassungsgericht hat schon am 13 . Oktober 2016 CETA behandelt und klargestellt, dass die Bundesregierung CETA im Rat zustimmen und sich auch für die vorläufige Anwendung aussprechen kann. Es gilt also auch weiterhin: Eilanträge, die vor dem Bundesverfassungsgericht - zuletzt vor zwei Wochen - verhandelt wurden, blieben erfolglos . Die Antragsteller hatten erneut gegen die vorläufige Anwendung geklagt und hatten damit keinen Erfolg . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat am 22 . September 2016 - es gab auch eine namentliche Abstimmung dazu - über den CETA-Vertragstext debattiert . In der Plenardebatte wurde die Notwendigkeit von Handelsabkommen nochmals unterstrichen . Es wurde darauf hingewiesen, dass sie eine Bereicherung für die Weltwirtschaft sind und welche Bedeutung die Standards haben, die dort definiert wurden . Inzwischen haben sich vier Ausschüsse des Europaparlaments mit CETA befasst und darüber beraten . Die Zustimmung des Europaparlaments steht kurz bevor und ist Voraussetzung für die Ratifizierung. Am 15. Februar wird sich das Parlament damit beschäftigen . Wir als SPD haben uns immer für fortschrittliche und faire Handelsabkommen ausgesprochen . Gerade Sigmar Gabriel hat auf europäischer Ebene wie auch mit der kanadischen Seite mit Politik auf wirklich höchstem Niveau eine ganze Reihe von Verbesserungen in den ausgehandelten Text einbringen können . Wir haben immer gesagt, dass wir mit globalem Handel nicht nur freien Handel, sondern auch faire Bedingungen wollen . Genau diese sind hier verankert . Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Märkte sind wie Fallschirme: sie funktionieren nur, wenn sie offen sind.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen - die USA sind hier einige Male genannt worden - sind Sie mit Ihrem Antrag auf dem Holzweg . Deshalb werden wir ihn ablehnen . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bernd Westphal . - Die nächste Rednerin: Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne die Worte der neuen Wirtschaftsministerin Zypries, dass hier der Ort der Auseinandersetzung ist, aufgreifen . Wir sollten diese Diskussion in der Tat hier führen . Gerade angesichts der Wahl in den USA und weil Trump dort jetzt Protektionismus und Nationalismus vorantreibt, können wir sie viel weiter fassen und dürfen sie nicht auf CETA beschränken . ({0}) Insbesondere Sie von der SPD möchte ich bitten, sich noch einmal genau zu überlegen, was Sie im letzten Herbst auf Ihrem Parteikonvent beschlossen haben . Einer Ihrer Beschlüsse war: Das Europaparlament soll noch einmal ganz intensiv über diese Verträge diskutieren . - Das ist nicht passiert . Im Handelsausschuss haben die Grünen den Antrag gestellt, zu beschließen: Solange wir noch nicht einmal wissen, wie bzw . ob das Europaparlament überhaupt eingebunden wird, ob es also einen Platz im Joint Committee bekommt, in dem ganz wichtige Entscheidungen gefällt und die Annexe des Vertrages verändert werden können, sollten wir diesem Vertrag nicht zustimmen . ({1}) Es wäre richtig, jetzt innezuhalten und noch einmal über die Wirkungen dieser Handelsverträge nachzudenken . Es hat übrigens auch Sozialdemokraten gegeben, die CETA im Handelsausschuss nicht zugestimmt haben . Es gab bei Ihnen also ein gespaltenes Abstimmungsverhalten . Insofern möchte ich an Sie appellieren, innezuhalten und noch einmal nachzudenken . Denn in der Tat haben wir durch die Wahl von Trump auch die große Chance, der Welt gemeinsam mit Kanada zu zeigen, dass es anders geht als nationalistisch und mit Mauerbau und Protektionismus . ({2}) Trudeau hat den CETA-Vertrag doch gar nicht ausgehandelt; das war Harper . Trudeau und auch Freeland haben CETA vor der Wahl sogar kritisiert . Selbst Harper hat noch versucht, im Hinblick auf die Schiedsgerichte das Schlimmste zu verhindern, weil Kanada im Rahmen von NAFTA das Land ist, das am häufigsten verklagt wird. In rund 60 Prozent der Schiedsverfahren geht es um Umwelt- und Energiefragen . Kanada weiß, dass es negativ betroffen ist, und wollte das eigentlich vermeiden. Weil gerade die Grüne Woche stattfindet, sollten wir uns auch die Frage stellen: Was haben Handelsverträge überhaupt mit der Landwirtschaft, mit unserem Essen zu tun? Wir alle wissen: CETA wird dazu führen, dass der Druck auf die Schweinebauern hierzulande stark steigen wird; gleichzeitig wird der Milchmarkt in Kanada zerstört . Wollen wir das? Wollen wir, dass noch mehr bäuerliche Familienbetriebe in beiden Ländern aufgeben? Das wollen wir nicht . Deshalb müssen wir auch diese Wirkungen der Verträge im Blick haben . ({3}) Ich möchte sagen: Wir sollten nicht nur über CETA, sondern zum Beispiel auch über die Handelsverträge mit Afrika diskutieren . ({4}) Das, was da passiert, ist wirklich unsinnig: Der Landwirtschaftsminister sorgt dafür, dass ganz viel Fleisch und Milch billig nach Afrika exportiert werden, dort gehen die Märkte kaputt, und dann kommen die Menschen, weil sie in ihrem Land keine Perspektiven mehr haben, als Flüchtlinge zu uns . Das alles hängt zusammen, meine Damen und Herren . ({5}) Es ist unsinnig, dass das Landwirtschaftsministerium wahnsinnig viel Geld ausgibt und damit die Märkte in Afrika zerstört und dann das Entwicklungsministerium versucht, mit seinem Marshallplan ein wenig diese Fehler zu beseitigen . Machen Sie endlich eine vernünftige, ganzheitliche Politik, die all das berücksichtigt! Sie können nicht auf der einen Seite in New York die Sustainable Development Goals und in Paris den Klimavertrag unterzeichnen und auf der anderen Seite Handelsverträge abschließen, die dazu führen, dass wir die eingegangenen Verpflichtungen überhaupt nicht erfüllen können. Das funktioniert nicht, meine Damen und Herren . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bärbel Höhn . - Nächster Redner: Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Auch von mir - wenn sie noch da wäre, würde ich es ihr persönlich sagen - herzliche Glückwünsche an die neue Bundeswirtschaftsministerin! Es freut mich ganz besonders, dass wir mit ihr eine Juristin haben, die sich, wenn es um einen solch juristischen Text und ein solch juristisches Thema geht, auskennt . Sie hat ja eben schon die wesentlichen Punkte angesprochen . Wir beraten hier über Ihren Antrag „Ein“ - ich sage gleich: angeblich - „europa- und verfassungswidriges CETA-Abkommen verhindern“ . Ehrlich gesagt, der Antrag ist eine Dreistigkeit . ({0}) Denn Sie sind mit dem Versuch gescheitert, mit einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht die Zustimmung der Bundesregierung zur einstweiligen Inkraftsetzung dieses Abkommens zu verhindern . Sie sind nicht nur einmal gescheitert, Sie sind zweimal gescheitert; denn natürlich hat die Bundesregierung das war dann der zweite Antrag - die Maßgaben, die es vor einer Zustimmung von Bundeswirtschaftsminister Gabriel im Ministerrat für nötig gehalten hat, korrekt umgesetzt . Jetzt ziehen Sie einen der Punkte, mit denen Sie schon in Karlsruhe gescheitert sind, erneut aus der Tasche, weil der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments eine von der Auffassung der deutschen Bundesregierung abweichende Auffassung vertritt. Es geht um die Frage, ob die Bundesregierung in dem - erst einmal völlig unwahrscheinlichen - Fall, dass das Bundesverfassungsgericht das Abkommen endgültig als verfassungswidrig ansehen sollte, einseitig kündigen kann . Das sei, so der Juristische Dienst, nicht möglich . Lieber Kollege, es tut wirklich not, sich einmal anzusehen, was das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt hat . Genau damit - wir haben es ansatzweise schon mehrfach gehört - hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Entscheidung auseinandergesetzt und gesagt: Die Bundesregierung hat diese Erklärung durch die beiden Schreiben des Ständigen Vertreters … an den Generalsekretär des Rates sowie den Ständigen Vertreter Kanadas … in völkerrechtlich erheblicher Weise abgegeben und notifiziert. Etwaige Zweifel an der Bedeutung dieser Erklärung werden jedenfalls dadurch ausgeräumt, dass die Schreiben des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik DeutschBärbel Höhn land bei der Europäischen Union zur Erläuterung der darin erhaltenen Erklärung auf das Urteil des Senats - des Bundesverfassungsgerichts . . . verweisen, das hinsichtlich der Erforderlichkeit, die vorläufige Anwendung ... beenden zu können, eindeutig ist . So steht es in Randnummer 32 . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Dr . Hirte, erlauben Sie eine Frage?

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er redet die ganze Zeit . Jetzt möchte ich zu Ende reden . ({0}) Jetzt könnte man natürlich sagen: zwei Juristen, drei Meinungen . ({1}) Das stimmt hier nicht . Denn wenn tatsächlich der Fall eintreten sollte, dass das Abkommen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig qualifiziert würde, Deutschland einseitig kündigen würde, die EU das nicht bestätigen würde und dann auch noch der Europäische Gerichtshof die abweichende Auffassung der EU bestätigen würde, wäre die Lage nach unserem Verfassungsrecht völlig eindeutig; denn wir hätten es mit einem ausbrechenden Rechtsakt zu tun, der von uns nicht zu beachten wäre . Sie bauen hier einen Popanz auf, den es rechtlich nicht gibt, und das, finde ich, ist ein Unding. ({2}) Ich empfehle Ihnen - ich habe es Ihnen vorgelesen -: Sie sollten die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lesen - wir tun das -, statt hier Zirkusvorführungen zu machen . ({3}) Vor allen Dingen: Führen Sie die Menschen nicht in die Irre! Eine Zwischenbemerkung an die Kollegin Dröge: Sie fragen nach der Diskussion vor dem Bundesverfassungsgericht und sagen, es fehle die Rückbindung der Ausschüsse an unsere Parlamente . Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der mündlichen Verhandlung ausführlich - wir waren gemeinsam da - mit dieser Frage befasst und gesagt: Ja, Abkommen werden weiterentwickelt; denn Texte entwickeln sich weiter . Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat genau zu diesem Punkt gesagt: Auch wir als Richter sagen später etwas anderes, als man sich irgendwann einmal in der Historie dazu gedacht haben könnte . - Auch das ist Irreführung . ({4}) Der zweite Punkt - EUZBBG: Wir werden in den Ausschüssen bei allen Fragen beteiligt . Das ist schon jetzt so . Es besteht keinerlei Handlungsbedarf auf der Seite des nationalen Verfassungsrechts . Auch das ist schlicht falsch . ({5}) Dann kommen Sie mit der Frage: Warum wurde das nicht alles vorab mit dem EuGH geklärt? Klar, man kann viele Fragen mit den Gerichten klären . Der entscheidende Punkt ist aber: Was sich darin eigentlich offenbart, ist ein falsches Demokratieverständnis; denn die Gerichte kommen doch erst zum Zuge, wenn wir hier entschieden haben, und Sie haben eben schon gehört - Herr Westphal war es, glaube ich, der es sagte -, Sie hätten doch einen entsprechenden Antrag mit Ihren Freunden im Europäischen Parlament einbringen können . Das haben Sie nicht gemacht . Sie fördern mit solchen Anträgen das Demokratiedefizit, das Sie angeblich beseitigen wollen. Denn wir, die Deutschen, wollen mit Mehrheit Freihandel, weil wir davon leben, und wir haben über diese Frage x-mal - auch das haben wir mehrfach gehört - beraten und entschieden . Diese Mehrheitsentscheidung wollen Sie konterkarieren . Im Übrigen wollen Sie, dass der Europäische Gerichtshof angerufen wird . Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts akzeptieren Sie nicht . Würden Sie denn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs akzeptieren? Auch nicht! Ihnen geht es nicht um die Sache . ({6}) Ich kann nur sagen: Die Mehrheit der Bürger unseres Landes und die Mehrheit der Bürger der Europäischen Union möchten eine starke Europäische Union, eine starke, auf Wettbewerb und Freiheit gegründete Gemeinschaft . Das ist das, was Sie zerstören . ({7}) Deshalb bin ich, ehrlich gesagt, erschrocken, als ich gesehen habe - das muss man am Rande hier einführen -, dass dem englischen Parlament gestern ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, mit dem der britischen Regierung die Erlaubnis zur Stellung des EU-Austrittsantrages eingeräumt werden soll, der gerade einmal zwei Sätze umfasst. Wenn wir eine öffentliche Diskussion brauchen, stellt sich die Frage, ob eine solche Basis für das englische Parlament reicht. Wenn wir eine inhaltliche öffentliche Diskussion brauchen, dann ist es nicht die öffentliche Diskussion über Freihandel, sondern über die Kosten des Protektionismus . Das können Sie Ihren englischen Kollegen gerne zurufen . ({8}) Das Schlimme ist: Mit solchen Anträgen fördern Sie die Enttäuschung über die Politik und das Misstrauen . Wenn wir es nicht mit Kanada hinbekommen - Frau Höhn hat gerade selber gesagt: Kanada ist ein guter Partner für uns -: Mit wem sonst bekommen wir Freihandel hin? Vielleicht mit Nordkorea? Ist das Ihre Vorstellung? Lieber Herr Ernst, wir haben öfter über diese Frage diskutiert . ({9}) - Wir kommen weiter nach oben . Bei Ihnen ist es unterirdisch . Ich zitiere jetzt Sie vom 27 . Februar 2015 . Sie sagten: Ich möchte das Thema, bei dem ich vorhin war, noch einmal aufgreifen, weil das wirklich sehr wichtig ist . Entstehen in Deutschland und in Europa wirklich Riesenprobleme, wenn wir bei diesem Abkommen - gemeint war TTIP nicht dabei sind? Ich glaube das nicht . Wir werden weiter nach Amerika liefern, weil unsere Produkte dort auch dann verkauft werden, wenn die Standards bei uns höher sind, und wir werden weiterhin Produkte von anderen kaufen . . . Auf keinen Fall wird ein Arbeitsplatz in Deutschland gefährdet, wenn wir uns hier nicht beteiligen . Heute wissen wir: Genau das ist mit Ihrer Blockadepolitik gegenüber dem Abkommen in Gefahr . Wir hätten deshalb besser gestern als erst irgendwann in ferner Zukunft die entsprechenden Abkommen geschlossen . Dann hätten wir etwas für die freie Wirtschaft und die freie Welt getan . Das versuchen Sie zu verhindern . ({10}) Es ist naiv, zu glauben, dass wir von unseren Standards als gegeben ausgehen können und dass es nicht auch Regierungen in der Welt gibt, die über Rückentwicklungen nachdenken . Mit dieser Begründung Freihandel zu torpedieren, bringt alle diese Grundwerte, die uns einigen, in Gefahr . Daher liegt Armin Laschet gar nicht so verkehrt, wenn er sagt: Zehntausende linke und rechte TTIP-Gegner haben ihren Wunschpräsidenten . ({11}) Mit Ihrem Antrag machen Sie Werbung für den Protektionismus von Donald Trump . Wir machen das nicht mit . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Dr . Heribert Hirte . - Bevor Frau Tausend das Wort hat, hat der Kollege Ernst das Wort zu einer Kurzintervention .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Dr . Hirte, Sie haben gesagt, wir hätten ein Demokratiedefizit. Glauben Sie nicht, dass es deshalb ein Demokratiedefizit gibt und die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger fehlt, weil man von Anfang an versucht hat, solche Abkommen hinter dem Rücken der Menschen zu verabschieden? ({0}) Glauben Sie nicht, dass das Demokratiedefizit auch mit dem Eindruck zu tun hat, dass verhindert werden sollte, dass nationale Parlamente und die Bürger Europas überhaupt mitreden? Besteht das Demokratiedefizit darin, dass die von den Bürgern Europas gestartete Bürgerinitiative nicht angenommen wurde? Das alles sind Demokratiedefizite! Ist ein Demokratiedefizit vielleicht auch dadurch entstanden, dass es fast ausschließlich die Opposition war, die dieses Thema hier im Bundestag angesprochen hat, und dass man den Eindruck hatte, dass Sie sich jeweils darüber aufregen, dass sie das tut, weil Sie die Debatte gar nicht wollten? Könnte das vielleicht die Ursache eines Demokratiedefizits sein? ({1}) - Herr Dr . Hirte, ich bin noch nicht fertig . Sie haben erzählt, dass wir vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sind . Herr Dr . Hirte, ja, wir haben das nicht so hingekriegt, wie wir es wollten, aber die Bundesregierung hat Auflagen bekommen. Die erste Auflage - ich war dabei -, die erteilt worden ist, war, dass all die Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausgenommen werden müssen, die nicht „EU only“ sind . Das haben Sie überhaupt nicht gemacht . Die zweite Auflage, die erteilt wurde, war, dass geklärt wird - jetzt sind wir bei dem Punkt, den Sie angesprochen haben -, dass die Bundesrepublik durch eigene Entscheidung aussteigen kann . Es ist gut und schön, dass die Verfassungsrichter auf der Grundlage des nationalen Rechts, also der Verfassung, urteilen; das ist ihr Job . Aber die Europäer sehen dies ganz anders . Sie sagen: Es gibt europäische Verträge, in denen der Ausstieg bei solchen Fragen wie etwa die vorläufige Anwendung geklärt wird. Da sagen Sie: Das interessiert uns alles nicht . - In diesem Fall brauchen wir solche Verträge nicht zu schließen; denn Verträge müssen eingehalten werden . Sie werden sehen: Da werden wir noch ein Problem bekommen . Die dritte Auflage war, sicherzustellen - so die Verfassungsrichter -, dass die Entscheidungen der Ausschüsse auf EU-Ebene eine demokratische Rückkopplung an die nationalen Parlamente und an die demokratische Ebene haben. Offensichtlich sahen auch die Verfassungsrichter die Konstruktion so, dass das nicht gegeben ist . Das muss geklärt werden . Ich sage Ihnen: All das ist nicht geklärt . Warten Sie einmal ab, was in der endgültigen Entscheidung der Verfassungsrichter als Ergebnis herauskommt . Warten Sie vor allen Dingen ab, was auf EU-Ebene herauskommt. Warten Sie ab, ob alle Staaten ratifizieren. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Ernst . - Jetzt hat Herr Dr . Hirte die Möglichkeit einer Kurzinterventionsantwort .

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ernst, Sie wiederholen nur all die Punkte, die Sie eben schon genannt haben . In der Frage der einseitigen Kündigungsmöglichkeit habe ich genau erklärt, was das Bundesverfassungsgericht dazu ausgeführt hat . ({0}) Für uns ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes maßgeblich . Wenn Sie sich ein bisschen mit dieser Rechtsfrage beschäftigen würden - die Bundeswirtschaftsministerin ist jetzt leider nicht mehr da, sonst würde sie es Ihnen erklären -, dann wüssten Sie: Die Frage der Reichweite der Integration ist vom Bundesverfassungsgericht entschieden, nicht vom Europäischen Gerichtshof . Insofern ist das maßgeblich, was in Karlsruhe entschieden wird . ({1}) Das, was Sie verbreiten, ist schlicht falsch . ({2}) Stichwort „Demokratiedefizit“. Es ist falsch, dass bei diesen Verhandlungen irgendetwas verheimlicht wurde . Gehen Sie einmal auf die Homepage der Europäischen Kommission. Dort finden Sie alle Entwürfe und alle Abkommen sowie alle Stellungnahmen . Genauso war es auch bei CETA und bei TTIP . ({3}) - Jetzt rede ich! - Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Niemand hat sich dafür interessiert . Nicht einmal der Deutsche Gewerkschaftsbund oder der Europäische Gewerkschaftsbund haben sich dafür interessiert . Erst als sie gemerkt haben, dass sie mit Amerika - das ist auch mit Blick darauf zu sehen, dass CETA als Blaupause dient ein Feindbild haben, das ihnen in den Kram passt, haben sie angefangen, herumzuwühlen und in dieser Richtung weiter vorzugehen . ({4}) Noch ein Wort zum Stichwort „Demokratiedefizit“. An all diesen Abkommen sind die Parlamente beteiligt . Das ist auch nicht anders als bei Koalitionsvereinbarungen . Ich kann nur sagen - da schaue ich die Kollegin Dröge an -: Wir haben in Köln eine Koalitionsvereinbarung geschlossen; die Koalition läuft übrigens gut . Diese Vereinbarung wurde zwischen den Führungen genauso vereinbart, wie ein Abkommen zwischen Regierungen vereinbart wird . Die einen Vereinbarungen werden nachher den Parteitagen und die anderen den Parlamenten vorgelegt . Suggerieren Sie den Bürgern nicht, es gäbe ein Demokratiedefizit! Wir haben kein Demokratiedefizit. Alles, was wir wollen - deshalb sitzen wir hier zusammen -, geben wir nach oben an die Regierung weiter . Gerade zum Thema Schiedsverfahren habe ich Vorschläge gemacht, und das Wirtschaftsministerium hat sie aufgegriffen . Das ist die jetzige Entscheidungsgrundlage . Reden Sie den Menschen nichts ein, was unwahr ist! Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank . Das ist lebendiges Parlament . - Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Claudia Tausend für die SPD-Fraktion . ({0})

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Manchmal hilft es, darauf zu schauen, woher man kommt, um zu wissen, wohin man will . - Ich möchte Sie einladen, diesen Weg für die nächsten fünf Minuten konzentriert mit mir zu gehen . Lassen Sie mich einen Blick zurück auf die Anfangszeit dieser Diskussion werfen, nämlich auf den Winter 2013/2014 . Damals wurden die beiden transatlantischen Handelsabkommen TTIP und CETA erstmals in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Auch hier im Deutschen Bundestag haben wir uns seitdem mit den Abkommen intensiv und kritisch auseinandergesetzt . Es ist richtig: Es gab auf jeden Fall ein beklagenswertes Demokratie- und Transparenzdefizit. Verhandlungen wurden in der europäischen Handelspolitik bisher hinter verschlossenen Türen geführt . Auch wir als Abgeordnete waren ungenügend eingebunden . Es gab private Schiedsgerichte, bei denen internationale Anwälte, die sonst für Großkonzerne arbeiten, über Milliardenentschädigungen von Unternehmen entscheiden sollten . Es gab schwammige Formulierungen, die nicht sicherstellten, dass Sozial-, Umwelt- oder Arbeitnehmerstandards ausreichend geschützt sind . Es gab Klauseln, die es hätten ermöglichen können, Bereiche der Daseinsvorsorge zu privatisieren . Es gab also sehr wohl Dinge, mit denen wir uns intensiv auseinandersetzen mussten . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Grünen, keine Partei hat sich so intensiv mit beiden Abkommen - zunächst mit TTIP, das im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, aber später auch mit CETA - auseinandergesetzt wie die bundesdeutsche Sozialdemokratie . ({0}) Ich glaube, wir waren die einzige Partei, die zwei Themenparteitage - bei uns werden sie „Parteikonvente“ genannt - veranstaltet hat und sich gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften, aber auch mit der neuen kanadischen sozialliberalen Regierung und Cecilia Malmström intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat . Wir haben vieles durchgesetzt . ({1}) Frau Kollegin Höhn, ich hätte eine Synopse ({2}) unserer Parteikonventbeschlüsse und der Umsetzungen vonseiten der Europapolitiker im Angebot . Gerne könnte ich das eine oder andere zitieren, wenn Sie eine Nachfrage haben . ({3}) Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Vergleichen Sie ernsthaft die Situation 2013 mit der 2017! Wir haben jetzt ein CETA, das zum ersten Mal mit den privaten Schiedsgerichten bricht . ISDS gibt es so nicht mehr . Stattdessen werden wir einen multilateralen Handelsgerichtshof schaffen - mit ordentlichen Richtern, Berufungsinstanz und transparenten Verhandlungen . ({4}) Das ist ein außerordentlicher Erfolg unseres mittlerweile ehemaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel, ({5}) der sich zusammen mit den sozialdemokratischen Amtskollegen und der Zivilgesellschaft gegen alle Widerstände durchgesetzt hat . Wir haben durchgesetzt, dass die Daseinsvorsorge umfassend geschützt ist . Wir können Unternehmen der öffentlichen Hand und Dienstleistungen ohne Einschränkungen wieder rekommunalisieren . Kanada hat zugesagt, die letzte der acht ILO-Kernarbeitsnormen - sieben sind bereits ratifiziert - demnächst zu ratifizieren. Das sind große Erfolge . ({6}) Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das anzuerkennen . Es sind unsere Erfolge, die Erfolge der Zivilgesellschaft, der Nichtregierungsorganisationen, der Verbände und der Gewerkschaften . Aber schlussendlich sind es auch Ihre Erfolge . Sie haben oft den Finger in die Wunde gelegt . Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt und sehr viele Kritikpunkte aufgegriffen. Wir haben jetzt ein sehr gutes Abkommen und übrigens ein Modell für weitere Handelsabkommen . Cecilia Malmström hat zugesagt, künftig alle Verhandlungsmandate für Handelsabkommen sofort zu veröffentlichen, sofort in die nationalen Parlamente einzubringen und alle Dokumente ins Netz einzustellen . Das ist ein großer Erfolg . Ich bitte Sie, das anzuerkennen . ({7}) Wir haben daran gearbeitet, der Globalisierung faire Regeln zu geben und die internationale Handelspolitik weiterzuentwickeln . Die handelspolitische Weltordnung war - ich blicke noch einmal auf den Winter 2013/14 zurück - stabil . Wir hätten das Endergebnis vielleicht ablehnen müssen, wenn wir diesen guten Weg nicht hätten gehen können . Aber heute - das ist mehrfach angeklungen - hat sich die bisher als sicher erachtete Grundordnung des Welthandels eklatant verändert . Wir haben es mit einem amerikanischen Präsidenten zu tun, der China einen Handelskrieg androht und der Unternehmer mit Strafzöllen belegen will, wenn sie nicht in den USA produzieren wollen . Selbst deutsche Unternehmen wie BMW sind nicht ausgenommen . Donald Trump hat angekündigt, aus der WTO auszutreten . Damit müssen wir uns auseinandersetzen . Das wäre das Ende des freien Welthandels . Das wäre die Rückkehr zum Protektionismus und zum Recht des Stärkeren . Das kann doch niemand von uns wirklich wollen . ({8}) Gerade deshalb muss Europa jetzt in diesen Zeiten handlungsfähig sein . CETA kann ein Impuls für das Welthandelssystem sein; es kann ein Vorbild sein . Es bietet mittel- und langfristig die Möglichkeit für weitere faire Handelsabkommen, die auch den Partnerstaaten nutzen . Zum Antrag der Linken . Wir müssen uns jetzt entscheiden, Herr Kollege Ernst: Wollen wir das protektionistische Modell Trump zulassen? Wollen wir der Handelsmacht China die Führung überlassen, oder wollen wir die Globalisierung mit europäischen Werten prägen? In Ihrem Antrag geht es um pure Verzögerung . Wir wissen: Ein Rechtsgutachten des Europäischen Gerichtshofs, wie von Ihnen gefordert, würde zwei, drei Jahre in Anspruch nehmen . So lange wären die parlamentarischen Verhandlungen gestoppt . Der Juristische Dienst - das kam ja auch im Beitrag von Ihnen vor - hat die Zusatzabkommen noch einmal geprüft und hat festgestellt, dass sie sowohl integraler Bestandteil von CETA als auch juristisch verbindlich sind .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin .

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Insofern ist es, glaube ich, in der Tat nicht nötig, ein weiteres Rechtsgutachten einzufordern . ({0}) Ich komme zum Schluss .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, bitte .

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen wir bitte die politische Verantwortung in den Parlamenten! Schieben wir sie nicht auf den EuGH ab! Schieben wir sie nicht auf Gutachten ab! Und lassen Sie uns in diesen Zeiten für eine fortschrittliche Handelspolitik streiten! Ich danke fürs Zuhören . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10970 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Damit sind Sie einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich bitte, bevor wir zum neuen Tagesordnungspunkt kommen, die Plätze, falls nötig, zu wechseln, damit wir schleunigst weiterkommen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt Drucksache 18/10942 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Ich bitte, die Plätze einzunehmen . Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch dazu gibt es keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin in dieser Debatte ist die Ministerin Dr . Barbara Hendricks .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Städte erleben seit Jahren eine Renaissance, weil das Leben in den Städten und Ballungsräumen für viele und aus ganz unterschiedlichen Gründen immer attraktiver geworden ist . Wie bei den meisten Veränderungen haben wir es dabei mit Chancen, aber auch mit Herausforderungen oder gar Problemen zu tun . Deshalb ist die Politik aufgerufen, ein gutes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen und den sozialen Zusammenhalt in den Kommunen und Quartieren zu stärken . An erster Stelle steht eine so von uns vor einigen Jahren nicht erwartete Binnenwanderung unserer Bürgerinnen und Bürger . Es folgt der Zuzug von Menschen aus Europa, und hinzugekommen sind die zu uns Geflüchteten, die vor Ort integriert werden wollen und müssen . Weil die Bundesregierung diese Herausforderungen ernst nimmt, hat sie im November den entsprechenden Gesetzentwurf zum Maßnahmenpaket „Neues Zusammenleben in der Stadt“ beschlossen . Ein wesentlicher Baustein ist die Novelle des Bauplanungsrechts, die wir heute in erster Lesung beraten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der neuen Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ wollen wir den Kommunen ein Instrument an die Hand geben, mit dem sie insbesondere in innerstädtischen Gebieten eine nutzungsgemischte Stadt mit kurzen Wegen verwirklichen können . Mir geht es dabei ganz ausdrücklich darum, den Kommunen neue Spielräume zu verschaffen, und nicht etwa darum, ihnen etwas vorzuschreiben . Die Kommunen sollen die neuen Instrumente nutzen können, nicht nutzen müssen . Unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Stadträte und die Magistrate können verantwortungsvolle Entscheidungen für ihre Kommunen sehr wohl selbst treffen. Sie brauchen dafür aber natürlich auch die geeigneten Instrumente, den passenden Rahmen . Urbane Gebiete sollen dem Wohnen dienen und gleichzeitig Gewerbebetriebe ermöglichen sowie soziale, kulturelle und andere Einrichtungen stärken . Damit lehnen wir uns bewusst an die „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ an . Eine Stadt der kurzen Wege verringert den Verkehr und kann gleichzeitig für mehr Lebendigkeit und Vielfalt im öffentlichen Raum sorgen . ({0}) Wir wollen eine flexiblere Nutzungsmischung. Sie muss daher in Abgrenzung zum Mischgebiet ausdrücklich nicht gleichgewichtig sein . Notwendige Lärmschutzregeln sollen kleinere Gewerbebetriebe nicht verdrängen . Deshalb wollen wir in einem parallelen Verfahren auch die TA Lärm ändern . Die Immissionsrichtwerte für urbane Gebiete sollen die Mischgebietswerte um 3 Dezibel übersteigen dürfen . Über die konkrete Ausgestaltung werden wir natürlich im Gespräch bleiben . Ich glaube, dass dieser Wert für einen angemessenen Interessenausgleich sorgt und vor allem auch die nötige Flexibilität für das gewünschte Nebeneinander von Wohnen, Leben und Arbeiten ermöglicht . Begleitend wollen wir aber hinsichtlich dieser höheren Lärmaußenwerte im Gesetz ausdrücklich festhalten, dass die Kommunen die Möglichkeit haben, passive Schallschutzmaßnahmen festzusetzen und damit die Auswirkungen für die Bewohner zu reduzieren . ({1}) Dann könnte zum Beispiel das „Hamburger Fenster“ zum Einsatz kommen, oder es könnte Investoren vorgegeben werden, einen begrünten Lärmschutzwall zu errichten . An die Länder gerichtet betone ich hier nochmals, dass es um Möglichkeiten für Kommunen geht, mit denen diese verantwortlich umgehen können und werden . Bund und Länder sollten den Kommunen diesen zusätzlichen Spielraum nicht verweigern . ({2}) Wir können unseren Kommunen schon etwas zutrauen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, in urbanen Gebieten soll auch von vornherein eine höhere Dichte möglich sein . Auf gleicher Fläche kann somit mehr Raum für Wohnungen entstehen . Denn bei allen Diskussionen über Details sollten wir das große Ziel nicht aus den Augen verlieren: Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, ({3}) und es gibt viele Menschen, die dringend darauf angewiesen sind, dass wir dafür eben auch die richtigen Rahmenbedingungen setzen . ({4}) Es geht aber bei weitem nicht nur um einen erhöhten Immissionsrichtwert . So erfordert zum Beispiel die geänderte Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein neues Verfahren, wenn Bauleitpläne aufgestellt werden . Ein weiteres Thema dieses Gesetzentwurfs sind Ferienwohnungen . Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald hat die Frage aufgeworfen, ob Ferienwohnungen in klassischen Baugebieten überhaupt zulässig sind . Dies hat vor allem in touristischen Regionen die Kommunen und die privaten Ferienwohnungsbetreiber verunsichert . Hier wollen wir durch Klarstellung die nötige Rechtssicherheit herstellen und zugleich den Kommunen mehr planerische Möglichkeiten geben . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetzgebungsvorhaben ist in den vergangenen Monaten bereits sehr intensiv diskutiert worden . Ich möchte Sie daher um Ihre Unterstützung bitten. Die Kommunen und die Betroffenen warten durchaus auf dieses Gesetz . Herzlichen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Barbara Hendricks . - Nächste Rednerin: Caren Lay für die Linke . ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ferienwohnungen an der Nord- und Ostseeküste ermöglichen vielen Familien mit kleinem, mit mittlerem Einkommen einen preiswerten Urlaub für die schönsten Wochen im Jahr . Und für viele Einheimische ist der Tourismus ein willkommener Zuverdienst, manchmal sogar die Lebensgrundlage . Leider haben diverse Gerichtsurteile dafür gesorgt, dass nun quasi Tausende Ferienwohnungen an der Küste in die Rechtsunsicherheit, zum Teil in die Illegalität gedrängt wurden . Viele Menschen fürchten um ihre Einkünfte . Deswegen sagen auch wir Linken: Wir brauchen Rechtssicherheit für die betroffenen Ferienwohnungen . ({0}) Wir wissen aber zugleich, dass es auch Missbrauch mit Ferienwohnungen gibt . An den Küsten haben wir beispielsweise oft das Problem, dass Zweitwohnungen, die nur wenige Wochen im Jahr genutzt werden, dafür sorgen, dass die auch dort zum Teil angespannten Wohnungsmärkte weiter belastet werden . Viele Menschen, die dort in der Gastronomie arbeiten, ein kleines Einkommen haben, finden in den Küstenorten gar keine Wohnungen mehr . Wir haben das Problem mit langweiligen sogenannten Rollladensiedlungen, die Städte und Dörfer veröden lassen, und wir erleben vor allen Dingen in den Großstädten, dass es massive Probleme mit dem enormen Missbrauch von Wohnungen als Ferienwohnungen gibt, was die Wohnungsmärkte weiter anspannt . Deswegen finden wir es richtig, dass die Kommunen eine Handhabe haben, dies zu regulieren; denn sie können am besten entscheiden, ob es sinnvoll ist, Ferienwohnungen zuzulassen, oder ob einfach ein Missbrauch vorliegt . Meine Damen und Herren, wir begrüßen auch einen weiteren wichtigen Punkt, nämlich dass die Planungsverfahren beschleunigt werden und gleichzeitig die Umweltverträglichkeitsprüfungen gestärkt werden . Auch das findet unsere Unterstützung. Jetzt zum zentralen Punkt des Vorhabens, zu den sogenannten urbanen Gebieten . Wir wollen - ich denke, wir sind uns darin sicherlich einig - lebendige Städte mit kurzen Wegen, in denen Wohnen, Arbeiten, Erholung, Gastronomie und Kultur sowie kleine Handwerksbetriebe nebeneinander ihren Platz haben können . Das entspricht heute für viele dem Idealbild . Wir wollen nicht mehr Städte, wo das Wohnen an einem Ort stattfindet und das Arbeiten, verbunden mit langen Wegen, an anderer Stätte, wo es nachts langweilig ist und wo man die Bürgersteige hochklappen kann . Die beliebten Gründerzeitviertel in den Großstädten garantieren beispielsweise genau dieses Leben . Sie sind deswegen so beliebt und für viele das Idealbild . Heute könnten sie so gar nicht mehr genehmigt werden, weil das Baurecht es gar nicht mehr zulässt . Deswegen ist es richtig, für diese Art von lebendigen Wohnvierteln eine Gesetzesgrundlage zu schaffen. ({1}) Ich denke, angesichts der Mietenexplosion in den Großstädten ist es unausweichlich, dass wir Brachflächen bebauen, dass wir sie dichter als bisher bebauen, dass wir Bahngelände bebauen . Von daher ist es richtig, entsprechende innerstädtische Flächen zu aktivieren und dichter und auch höher bauen zu können . Diskutiert werden urbane Gebiete aber vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem Thema Lärm . Ich bin froh, dass für bestehende Wohn- und Mischgebiete die derzeitigen Regeln weitergelten werden . Es muss also niemand, der jetzt in einem ruhigen Wohngebiet wohnt, befürchten, dass es bei ihm lauter wird; das ist gut so . Ich finde gleichzeitig: Wer in die Nähe von bestehendem Kleingewerbe, von bestehenden Bars, Klubs und DisBundesministerin Dr. Barbara Hendricks kotheken zieht, der muss auch bereit sein, eine höhere Lärmbelastung zu akzeptieren . Er wird andererseits ja mit einem lebendigen Stadtteil belohnt . Deswegen sagen auch wir: Ja, wir brauchen einen Bestandsschutz für bestehende Bars, für bestehendes Kleingewerbe, für bestehende Klubs und Diskotheken . Die Frage ist aber aus meiner Sicht, wie wir die Lärmkonflikte, die es hier geben wird, lösen. Da hat die Regierung, finde ich, in ihrem Entwurf auf das falsche Pferd gesetzt . Sie sagen zwar „man könnte“, „man müsste“ und „alles toll“, aber im Gesetzentwurf steht bisher etwas anderes; dort steht, man wolle die Lärmschutzgrenzen pauschal nach oben setzen. Ich finde, da setzen Sie auf das falsche Pferd . Es gibt viele technische Möglichkeiten . Es gibt zum Beispiel das sogenannte Hamburger Fenster . Es gibt die Möglichkeit, in den Bebauungsplänen entsprechende Vorschriften zu machen . ({2}) Das wäre im Interesse der Mieterinnen und Mieter und letztlich auch im Interesse des bestehenden Gewerbes, weil es die Lärmkonflikte minimieren würde. Ich glaube, darüber werden wir im weiteren Verfahren noch sprechen müssen. So, wie es jetzt im Gesetzentwurf steht, finde ich es falsch . Ebenso falsch und kontraproduktiv ist der letzte Punkt; er wird dazu führen, dass wir als Linke dem so nicht zustimmen können . Auf den letzten Metern hat nämlich eine Regelung in den Gesetzentwurf Eingang gefunden, die es ermöglichen würde, dass die Außenbereiche von Städten und Dörfern im Eilverfahren bebaut werden . ({3}) Das hat die CSU ja nachträglich durchgesetzt . Das Ziel dieser Novelle, nämlich die Innenstadtentwicklung zu stärken, wird durch diesen Paragrafen völlig konterkariert . Wir müssen die weitere Zersiedlung und den weiteren Flächenfraß verhindern . ({4}) Frau Hendricks, Sie haben sich selber mit den Worten zitieren lassen, dass dies im Widerspruch zu allen umweltpolitischen Bemühungen steht . Sie haben gesagt, Sie könnten es in keiner Weise akzeptieren . Sie haben dann auch Ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass diese Änderung, auf den letzten Metern von der CSU durchgesetzt, keine Mehrheit finden wird. Das finden wir auch. Diese Änderung lehnen wir ab . Wir werden dazu auch einen Änderungsantrag einbringen . Dann, meine Damen und Herren, wird es auch an Ihnen liegen, ob der Wunsch von Frau Hendricks hier eine Mehrheit finden wird. Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Lay . - Nächster Redner: Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Städte in Deutschland sind im Kommen . Sie sind Wachstumstreiber, Zukunftslabore und für viele Menschen auch echte Sehnsuchtsorte . Bei allen Herausforderungen, die dadurch entstehen, freue ich mich als überzeugter Stadtmensch sehr über die neue Urbanität in unserem Land . Klar ist aber zugleich, dass mit der Renaissance der Städte neue Herausforderungen einhergehen . Das Wachstum der Städte müssen wir gestalten . Deshalb ist es gut, dass wir auch im Städtebaurecht neue Antworten suchen, neue Antworten geben . Eine zentrale Herausforderung ist in der Tat die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum . Es darf nicht sein, dass die Menschen in Stadtvierteln nach Einkommen getrennt leben . Das zerstört Vielfalt, das zerstört Kreativität, und es spaltet letztlich die Gesellschaft . ({0}) Wir wollen in unseren Städten keine Pariser Verhältnisse, sondern wir wollen die gesunde Durchmischung in unseren Städten erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Um zu verhindern, dass Menschen aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden, müssen wir der steigenden Wohnraumnachfrage auch ein steigendes Angebot an Wohnungen entgegensetzen . Von der linken Seite war wieder das Schlagwort „Mietpreisbremse“ zu hören . Ich sage Ihnen eines: Eine Mietpreisbremse schafft keine einzige neue Wohnung im bezahlbaren Bereich, meine Damen und Herren . ({2}) Das müssen auch Sie endlich einmal verstehen . Wenn wir mehr bezahlbaren Wohnraum sichern wollen, dann gibt es nur eine Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bauen, Bauen und noch einmal Bauen! ({3}) Das ist die einzige und richtige Maßnahme . Ja, wir müssen bauen: für Familien, für ältere Menschen, für Singles, für Gutverdiener, aber eben auch für Geringverdiener. Jeder soll die Wohnung finden, die seinen Ansprüchen und seinen Bedürfnissen genügt, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Wegner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung?

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut .

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Sie haben als Rezept für bezahlbares Wohnen die Losung „Bauen, Bauen, Bauen!“ ausgegeben . Deswegen möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass nach aktuellen Studien in den 20 größten Städten in Deutschland nur circa 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen überhaupt im bezahlbaren Bereich liegen? „Bezahlbar“ ist nach dem Durchschnittsverdienst definiert; wir reden dabei gar nicht über arme Menschen bzw . über Sozialwohnungen . Also: Ist Ihnen bekannt, dass nur circa 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen für Durchschnittsverdiener bezahlbar sind? Und können Sie angesichts dieser Tatsache Ihre These, dass Bauen, Bauen, Bauen die einzige Lösung für bezahlbares Wohnen ist, noch irgendwie aufrechterhalten?

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Lay, das ist ja genau der Punkt . Wenn es so ist, wie Sie es beschreiben, dann hilft eine Mietpreisbremse auch nicht; ({0}) denn dann bleibt es ja bloß bei den 10 Prozent . Deswegen sage ich noch einmal: Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen, um auch bezahlbaren Wohnraum sicherzustellen, und die beste Maßnahme ist in der Tat: Bauen, Bauen, Bauen . Wir brauchen ein Mehr an Angebot . Es muss überhaupt erst einmal ein Angebot an bezahlbaren Wohnungen für die Menschen geben . Deshalb muss der Staat alles daransetzen, dass Wohnungsbaugesellschaften, aber auch private Firmen bauen können, um dieses Angebot zu vergrößern . Das ist die Antwort, die wir geben müssen, und zwar in einem Maßnahmenpaket . Es gibt keine Antwort, die für sich allein stehen kann . Wir setzen bei der Bauplanungsrechtsnovelle an, und wir schaffen in der Tat den neuen Baugebietstypus „Urbanes Gebiet“ . So ermöglichen wir eine höhere Bebauungsdichte und damit den Bau zusätzlicher Wohnungen in den urbanen Zentren . Das „Urbane Gebiet“ wird zudem die funktionale Durchmischung in unseren Städten stärken . Wir fördern ganz bewusst das Nebeneinander von Arbeiten, Wohnen und Wohlfühlen . Dabei lassen wir uns von der Erkenntnis leiten, dass gemischte Quartiere eine Stadt der kurzen Wege ermöglichen und letztlich der Garant für Lebensqualität, für Wohnzufriedenheit, für Standortbindung und für Identitätsbildung sind . Meine Damen und Herren, es ist richtig und wichtig, über das „Urbane Gebiet“ die Innenentwicklung zu stärken . Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir oftmals auch an die Grenzen von Verdichtung stoßen und Widerstand angestammter Bewohner erleben . Nach allen Schätzungen benötigen wir in Deutschland jährlich mindestens 350 000 neue Wohnungen . Wir werden diese große Zahl von neuen Wohnungen nicht allein durch Geschossaufstockungen und das Schließen von Baulücken im Innenbereich liefern können . Wir dürfen unsere Städte allerdings nicht so verdichten, dass man irgendwann den Himmel nicht mehr sieht . Auch in zentralen Lagen brauchen wir Freiräume, Grünflächen und Parkanlagen. Unsere Städte müssen auch in Zukunft mehr als nur Steine und Beton sein . Uns als Union war es deshalb sehr wichtig, dass der notwendige Wohnungsneubau auf zwei Säulen ruht . Die erste Säule ist die Nachverdichtung in den Zentren . Dazu kommt aber noch eine zweite Säule, nämlich das beschleunigte Planungsverfahren im siedlungsnahen Außenbereich . Der erleichterte Wohnungsbau am Ortsrand wird die Innenstädte entlasten und vielen Bürgern die Chance auf eine bezahlbare Wohnung eröffnen. Gerade weil ich weiß, dass es im Ministerium hier zunächst Bedenken gab, danke ich für die Bewegung in diesem Punkt . Die Regelung, die wir gefunden haben, gilt für Gebiete kleiner als 10 000 Quadratmeter und ist bis 2019 befristet . Ich denke, das ist eine sehr maßvolle Regelung, die wir gefunden haben, und dazu ein fairer Kompromiss insbesondere im Sinne der Menschen, die davon profitieren werden . ({1}) Meine Damen und Herren, auch für die Bauplanungsrechtsnovelle gilt: Kein Gesetzentwurf ist so gut, dass er nicht im parlamentarischen Verfahren weiter verbessert werden könnte . Dazu wird sicher auch die Anhörung beitragen, die wir im Ausschuss durchführen werden . Wir sollten bei der Städtebaurechtsnovelle an die gute Tradition anknüpfen, Änderungen des Baurechts in einem breiten Konsens aller Fraktionen zu beschließen . Hierzu lade ich auch ausdrücklich die Opposition ein . ({2}) Einen Punkt möchte ich zudem ansprechen, der mir besonders wichtig ist und der im Regierungsentwurf noch keine Berücksichtigung gefunden hat: das Dauerwohnen in Erholungsgebieten . Derzeit haben die Kommunen keine Möglichkeit, dort dauerhaftes Wohnen zu genehmigen, obwohl die Lebensrealität vielerorts anders aussieht . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik beginnt mit dem Betrachten der Lebenswirklichkeit . Ich kenne die prekäre Situation der Betroffenen aus eigener Anschauung . In meinem Wahlkreis in Berlin-Spandau befindet sich die Wohnsiedlung Hakenfelde. Die Bewohner dieser Wohnsiedlung leben in ständiger Furcht, aus ihren Häusern vertrieben zu werden . Ähnliche Wochenendsiedlungen gibt es im ganzen Bundesgebiet . Viele entstanden bereits in den 20er-Jahren, schon damals mit eingestreuter Dauerwohnnutzung . Wir sollten die Bauplanungsrechtsnovelle nutzen, um die rechtliche Situation der seit Jahrzehnten gelebten Praxis anzugleichen . Es ist höchste Zeit, den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Siedlungen endlich die Rechtssicherheit zu geben, die sie verdienen . ({3}) Meine Damen und Herren, die deutschen Städte sind attraktiv und ziehen viele Menschen an . Dieses Wachstum wollen, dieses Wachstum werden wir gestalten . Die Städtebaurechtsnovelle ist ein weiterer Baustein für eine lebenswerte Zukunft in unseren Städten und Gemeinden . Deshalb freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss, hoffe, mich dann letztlich auch über ein gutes Ergebnis für die Menschen in unseren Städten freuen zu können . Ihnen allen wünsche ich ein schönes Wochenende . Herzlichen Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kai Wegner, auch für das schöne Wochenende . - Nächster Redner: Chris Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 1959 ist ein Buch des Autors Hans Reichow erschienen . Es hatte den Titel Die autogerechte Stadt. Dieses Buch hat in der Stadtentwicklung große Wirkung entfaltet und hat dazu geführt, dass unsere Städte heute sind, wie sie sind: Sie sind nämlich fürs Auto gebaut und nicht für die Menschen . ({0}) Ich bin froh, dass wir uns mit der heutigen BauGB-Novelle von dieser Idee der autogerechten Stadt ein Stück weit verabschieden und endlich Städte für Menschen bauen, das menschliche Maß in den Mittelpunkt nehmen und eben nicht das Maß des Autoverkehrs, ({1}) Städte, in denen Leben, Arbeiten, Freizeit auf engem Raum möglich sind . Die Stadt der kurzen Wege ist eine grüne Idee, die wir in vielfältigen Anträgen in den letzten 30 Jahren in Kommunalparlamenten, Landesparlamenten und hier im Bundestag eingebracht haben . Insofern ist es auch ein Erfolg der grünen Partei, dass wir diese BauGB-Novelle heute im Deutschen Bundestag beraten und auf den Weg bringen . Für uns ist Urbanisierung ein wichtiges und zentrales Thema. Es geht darum, Bauflächen im Innenbereich zu erschließen . Innen- vor Außenentwicklung ist ganz zentral . Ich glaube, die Zukunft der Stadt zu sichern, kann nur dann gelingen, wenn wir uns wirklich in Urbanität und Innenentwicklung diesem Idealbild von Stadt annähern . Sie schreiben in der Einleitung zu diesem Gesetz ja Dinge wie „soziale Gerechtigkeit und Teilhabe“, „lebendiges, tolerantes und kreatives Miteinander“, „Nachhaltigkeit“, „saubere Umwelt“ und „intaktes Klima“ . Das sind schöne Worte . Es handelt sich sicher um eine gute Gesetzesvorlage . Wir unterstützen auch das urbane Gebiet . Aber Ihre Gesetzesnovelle, Frau Hendricks, hat einfach zwei Pferdefüße . Auf diese möchte und muss ich hier bei der ersten Lesung eingehen . Der erste Punkt ist: Sie versprechen eine flächensparende Siedlungsentwicklung . Das ermöglicht das urbane Gebiet. Ich muss ja, um Grünflächen in der Stadt zu halten, höher und dichter bauen, wenn ich Druck im Innenbereich habe. Ich finde, diesbezüglich ist dieses Gesetz ein gutes Gesetz . Aber dass Sie sich dann aus dem Bauministerium in München einen Paragrafen ins Gesetz diktieren lassen, sozusagen eine BauGB-Novelle mit einer Ausnahme für Bayern - wieder einmal -, ist, finde ich, umweltpolitisch und städtebaulich vollkommen falsch . ({2}) Der § 13b, den Sie in das Baugesetzbuch hineinschreiben wollen, sorgt doch dafür, dass Bürgerbeteiligung ausgehebelt wird - im Jahr 2017 -, Umweltprüfung ausgehebelt wird und Ausgleichsmaßnahmen beim Naturschutz ausgehebelt werden . Wir reden über Biodiversität, wollen aber keine Ausgleichsmaßnahmen machen . ({3}) Ich glaube, das passt nicht zusammen . Wir Grüne werden den § 13b nicht mitragen . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, § 13b gilt nicht nur in Gebieten mit Wohnraummangel, sondern er gilt in ganz Deutschland, also auch in Gebieten, in denen die Bevölkerungsentwicklung rückläufig ist. ({5}) Das hat mit Flächensparen nichts zu tun . Ich glaube, die CSU hat die Dorfkerne und die Kleinstädte längst aufgegeben . Das ist nämlich das Signal des § 13b, das Sie von der CSU senden . ({6}) Frau Hendricks, ich kann nicht verstehen, dass Sie solch einen Paragrafen in den Gesetzentwurf aufgenommen haben . Sie sind doch die Ministerin, die für Flächensparen zuständig ist, und sind trotzdem beim Flächensparen auf einem Auge blind . Ich glaube, Sie nähern sich da vom Niveau her dem Verkehrsminister Dobrindt mit seinem Bundesverkehrswegeplan an . Der zweite Pferdefuß ist die Gesundheit und der Lärmschutz in der Stadt . 3 dB sind eben kein angemessener Interessenausgleich . Das kann ich überhaupt nicht erkennen . ({7}) 3 Dezibel mehr bedeuten doppelten Schallschlag . Das ist gesundheitsgefährdender Lärm . Ich kann nicht erkennen, dass man so gesunde und lebenswerte Städte bauen kann . Das hat nichts mit ungestörtem Schlaf zu tun und auch nichts mit ungestörter Kommunikation in der eigenen Wohnung . Vielmehr heißt das dann: Das Fenster muss geschlossen bleiben . - Ich glaube, das ist heutzutage keine adäquate Lösung mehr . ({8}) Die Länder Hamburg und Bremen haben mehr technischen Lärmschutz gefordert . Den werden auch wir Grüne bei dieser Baugesetzbuchnovelle einfordern . Das ist nämlich, wie ich glaube, eine adäquate Lösung, wie wir Lärmschutz auf der einen Seite und gute Stadtentwicklung und Innenentwicklung auf der anderen Seite kombinieren und voranbringen können . Frau Hendricks, Sie selbst haben ja in Ihrer Rede vom „Hamburger Fenster“ gesprochen . Bis jetzt hieß es immer: Das geht alles nicht . Das ist umweltrechtlich gar nicht möglich . - Wenn Sie selbst es hier ansprechen, dann hätten Sie es mit dieser Gesetzesnovelle auf den Weg bringen können und den technischen Lärmschutz endlich rechtlich absichern können . ({9}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Verfahren sagen . Auch Sie, Frau Hendricks, haben ja gesagt: Die Menschen haben schon sehr lange gewartet, bis diese Gesetzesnovelle kam . Jetzt solle sie doch sehr zügig durch das Parlament gehen . Für mich stellt es sich so dar: In der Abenddämmerung der Großen Koalition bringen Sie ein Gesetz auf den Weg, was Sie selbst über Jahre blockiert haben . Es liegt demnach nicht am Parlament oder der Opposition, sondern daran, dass Sie als Große Koalition die Gesetzesnovelle nicht zustande gebracht haben . Sie hätte schon im Sommer letzten Jahres kommen sollen . Sie liegt jetzt vor, und wir müssen sie jetzt in einem sehr schnellen Verfahren beraten . Wir wollen ein vernünftiges Verfahren, damit die Standards des Baugesetzbuches so weiterentwickelt werden, dass es am Ende zu einer guten Stadtentwicklung kommt . Wir stehen zu der Gebietskategorie „Urbanes Gebiet“ . Wir werden dazu Änderungsvorschläge, auch für das Verfahren, einbringen . Wenn Sie bereit sind, unsere Änderungsvorschläge gemeinsam zu debattieren und vielleicht den einen oder anderen zu übernehmen, werden wir auch gemeinsam vorankommen . Wir Grüne sind überzeugt: Die Stadt ist für die Menschen da und nicht für den Lärm oder den Verkehr . Danke schön . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Chris Kühn . - Nächste Rednerin: Claudia Tausend für die SPD-Fraktion . ({0})

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, Herr Kollege Kühn, dass wir heute in erster Lesung über die Änderung wichtiger Bereiche des Baugesetzbuches beraten können . Mitte letzten Jahres - hier gebe ich Ihnen völlig recht - war durchaus nicht sicher, dass wir in dieser Legislaturperiode noch zu einem guten gemeinsamen Ergebnis kommen würden . Dabei warten gerade unsere Städte - Frau Ministerin hat darauf hingewiesen - händeringend darauf, dass das Bauen auch im innerstädtischen Bereich erleichtert wird, um den nötigen Wohnraum zügig herstellen zu können . Wir als Bundesgesetzgeber haben zwei Stellschrauben, die wir bewegen können, um den Städten zu helfen . Wir können einerseits finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, und wir können andererseits die Mobilisierung von Bauland erleichtern . Wir haben vonseiten des Bundes den Kommunen bereits mit einer Verdreifachung der Mittel für die Förderung des sozialen Wohnraums maßgeblich geholfen . Wir haben gesehen: Erste Erfolge sind greifbar . Die Anzahl der Baugenehmigungen ist in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres auf 340 000 angestiegen . Das ist ein Plus von 23 Prozent . Ich glaube, das ist ein erster schöner Erfolg . Heute geht es in einem zweiten Schritt darum, die Rahmenbedingungen für den Bau von Wohnungen zu verbessern und die Mobilisierung des knappen Baulands zu erleichtern . Es wurde mehrfach angesprochen: Eine maßgebliche Rolle spielt dabei das „Urbane Gebiet“, eine neue Gebietskategorie, die wir in der Baunutzungsverordnung einführen wollen . Das „Urbane Gebiet“ soll die Gebietskategorien „Mischgebiet“ und „Allgemeines Wohngebiet“, die ja noch auf der Idee einer möglichst weit gehenden Trennung der Nutzungen fußen und einer Stadt der kurzen Wege oftmals entgegenstehen, ergänzen und durch eine flexiblere Handhabung hinsichtlich Wohnen und Gewerbe Nutzungsvielfalt und Durchmischung in den Quartieren sicherstellen, um so die schon mehrfach angesprochene Urbanität des Wohnens herzustellen . ({0}) Um es jetzt ein bisschen verständlicher zu machen, schließe ich an die Ausführungen der Kollegin Lay an . Umfragen zeigen, dass mindestens jeder zweite Deutsche gerne in München leben würde ({1}) zumindest behaupten wir Münchener das, und die Zuzugsraten deuten auch darauf hin . Aber, Kolleginnen und Kollegen, mit München gemeint sind Schwabing und die Maxvorstadt, die Isarvorstadt, die Ludwigsvorstadt und natürlich Haidhausen . Das sind die ganz dicht bebauten Gründerzeitquartiere mit einem vielfältigen und bunten Angebot an Gaststätten, kulturellen Nutzungen und Kleingewerbe direkt vor der Haustür . So kann man natürlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr bauen; denn dieser Städtebau ist noch der Charta von Athen gefolgt . Christian Kühn ({2}) Um nicht missverstanden zu werden: Wir wollen jetzt weder zurück in die Gründerzeit - denn die damaligen Ansprüche an Belichtung, Besonnung und Belüftung von Wohnraum und an Grün- und Freiräume im Wohnumfeld würden wahrscheinlich jedem Stadtplaner den Schweiß auf die Stirn treiben -, noch wollen wir Neubaugebiete künftig nur noch als urbane Gebiete bauen . Die Menschen haben unterschiedliche Ansprüche an ihr Wohnund Lebensumfeld, und um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wollen wir Angebote schaffen. Als Bundesgesetzgeber wollen wir nun den Kommunen die Möglichkeit geben, dort höher und dichter zu bauen, wo es Sinn macht, zum Beispiel - das wurde auch schon angesprochen - auf gewerblichen Brachen oder in Umstrukturierungsgebieten mit einer Gemengelage, die dann stärker in Richtung Wohnen entwickelt werden könnten ({3}) und zwar, Kolleginnen und Kollegen, in Richtung bezahlbares Wohnen . Denn mit der Einführung der urbanen Gebiete schaffen wir neues Baurecht und können dann über städtebauliche Verträge auch sicherstellen, dass nicht nur teurer Wohnraum - wie oft bei Nachverdichtungsvorhaben nach § 34 Baugesetzbuch der Fall - entsteht, sondern auch sozial orientierter Wohnraum . ({4}) Kolleginnen und Kollegen, das ist für uns zentral; denn für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist Wohnen kein Luxusgut, sondern ein Grundrecht . Das urbane Gebiet - auch darauf wurde hingewiesen - hat eine ökologische Komponente und leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz . Es ermöglicht ressourcenschonendes und flächensparendes Bauen, wirkt der Zersiedelung von Landschaften und dem um sich greifenden Flächenverbrauch entgegen . Wir wollen auch künftig, Kolleginnen und Kollegen, der Innenentwicklung der Städte gegenüber der Bebauung des Außenbereichs Priorität einräumen. In diesem Sinne hoffe ich, dass vonseiten der Kommunen bei der Baulandmobilisierung vorrangig die Chance des urbanen Gebiets genutzt wird . Wir gehen aber auch den Weg mit, einen neuen § 13b Baugesetzbuch zu schaffen, der ein beschleunigtes Bauleitplanverfahren auch für den Außenbereich vorsieht, aber nur dort, wo sich die Bauvorhaben an zusammenhängende Ortsteile anschließen, und auch das nur befristet bis zum 31. Dezember 2019. Ich hoffe und erwarte, dass die Kommunen dieses Instrument sorgfältig und behutsam und nur zur Arrondierung von Siedlungsrändern nutzen werden . Ich kenne den § 13a, der 2007 eingeführt wurde, aus der Praxis . Zumindest in meiner Heimatstadt München wurde von diesem Instrument in untergeordnetem Maße Gebrauch gemacht . Ich glaube, zum Thema Lärmschutzmöglichkeiten ist von den Kolleginnen und Kollegen alles gesagt worden . Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder gehen wir mit den Lärmemissionswerten um 3 Dezibel hoch, oder wir schaffen alternativ mit einer Neuinterpretation der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm die Möglichkeit, in Bebauungsplänen einen passiven Schallschutz vorzusehen . Ich würde mir aber auch eine Regelung in § 34 Baugesetzbuch wünschen . Ich komme zum Schluss, Kolleginnen und Kollegen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir den Kommunen wesentliche Instrumente zur Mobilisierung von Bauland an die Hand und leisten damit einen weiteren Beitrag nicht nur zur Schaffung von mehr Wohnraum, sondern vor allem auch zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum . Ich bedanke mich . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Tausend . - Nächste Rednerin: Dr . Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Billig Wohnen geht nur weit ab vom Schuss“, „Die Mieten werden immer teurer“, „Wohnen müssen alle“ - das sind nur einige Schlagzeilen aus den letzten Wochen und Monaten zum Thema „Wohnen und Bauen“ . Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Ballungsgebieten ist eine der drängendsten Herausforderungen, vor der wir stehen . Immer mehr Menschen zieht es in die Städte, und dadurch wird der Wohnraum dort immer knapper und auch immer teurer . Diese Wohnungsknappheit wird in den Städten zunehmend zum Problem . Wir haben in dieser Wahlperiode schon vieles auf den Weg gebracht, um genau dem entgegenzuwirken; denn es muss doch auch der Krankenschwester oder dem Polizisten möglich sein, bezahlbaren Wohnraum in den Stadtzentren zu finden. Mietpreisbremse, Wohngeldreform und die deutliche Erhöhung der Mittel für die soziale Wohnraumförderung von 500 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro jährlich - das sind alles wichtige Instrumente . Diese Gelder - das betone ich jedes Mal aufs Neue müssen von den Ländern zielgenau für die soziale Wohnraumförderung eingesetzt werden . ({0}) - Bayern macht das sehr vorbildlich, ganz genau . Wir gehen mit gutem Beispiel voran . Das beste Instrument - das betone ich auch noch einmal - für mehr bezahlbaren Wohnraum, Frau Lay, ist und bleibt: Bauen, bauen, bauen . Es gibt bekanntlich auch den Sickerungseffekt. Wer eine teure Wohnung mietet, macht eine günstigere Wohnung frei . ({1}) - Dazu gibt es Studien . Wir haben darüber auch schon auf vielen Podiumsdiskussionen gesprochen . Wer eine teurere Wohnung mietet, macht eine andere Wohnung frei . Das ist Fakt . - An genau dieser Stelle setzen wir mit der Novelle an . Der derzeitige rechtliche Rahmen ermöglicht das Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe, aber den Bau zusätzlicher Wohnungen in urbanen Zentren nur eingeschränkt . Mit der neuen Baugebietskategorie „Urbanes Gebiet“ wollen wir das ändern . Wir wollen das Bauplanungsrecht und das Immissionsschutzrecht flexibilisieren, das heißt: mehr Innenverdichtung, es kann dichter und höher gebaut werden . Und dadurch ermöglichen wir eine Nutzungsmischung von Wohnen und Gewerbe, auch von Kultur- und Sporteinrichtungen . Das, meine Damen und Herren, ist genau der richtige Schritt . Aber ich sage auch - Herr Kühn, hören Sie mir bitte zu -: Allein durch die Innenentwicklung werden wir es nicht schaffen, den Bedarf an Wohnraum zu decken; denn wir brauchen 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen pro Jahr . Einige Städte - München ist dafür ein gutes Beispiel - platzen schon jetzt schier aus allen Nähten . Auch in Berlin wird die Situation - ich habe mich gestern erst mit einem Berliner darüber unterhalten - auf dem Wohnungsmarkt immer schwieriger . Für mehr neuen und vor allem bezahlbaren Wohnraum benötigen wir mehr Bauland . ({2}) Fehlendes Bauland ist ein wesentlicher Preistreiber beim Wohnen und Bauen . Das hat übrigens auch - Sie haben gerade nach Studien gefragt - die Baukostensenkungskommission ganz deutlich herausgearbeitet: Fehlendes Bauland ist ein Preistreiber . - Deshalb haben wir uns als Union - als CDU und CSU - uns für ein Signal am Ortsrand starkgemacht . Wir haben schließlich einen Kompromiss gefunden . Kommunen sollen künftig im beschleunigten Verfahren Bebauungspläne für den Ortsrand aufstellen können, allerdings unter strengen Voraussetzungen: nur auf drei Jahre befristet, in engen Grenzen, und der Vorrang der Innenentwicklung als Grundsatz der Bauleitplanung bleibt selbstverständlich bestehen . Es ist so, wie Frau Tausend gerade gesagt hat: Es liegt in der Hand der Kommunen, verantwortungsvoll mit diesem Instrument umzugehen . Sie bekommen dieses Instrument, um auf die aktuelle Situation an den Wohnungsmärkten zu reagieren, ohne dass wir strukturelle Veränderungen im Baurecht vornehmen . Das beschleunigte Verfahren kommt gerade den Gemeinden zugute, die mit der Nachverdichtung und der Innenentwicklung an ihre Grenzen stoßen . Herr Kühn, wir machen im Bereich der Ortskernrevitalisierung sehr viel mit LEADER-Mitteln, auch in meinem Heimatlandkreis - Besucher aus meiner Heimat sitzen oben auf der Tribüne; die können das bezeugen -, aber es gibt dennoch Gemeinden, die da an ihre Grenzen stoßen . Diesen Gemeinden möchten wir dieses Instrument an die Hand geben; ({3}) denn neben dem freien Wohnungsbau kann auch der soziale Wohnungsbau davon profitieren, wenn dieses Instrument besteht . Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage, um die Herausforderungen, vor die uns der Wohnraummangel stellt, an der Wurzel zu packen . An einer Stelle wünschen wir eine Ergänzung . Denn nach der aktuellen Rechtslage können Gemeinden keinen Bebauungsplan aufstellen, der dauerhaftes Wohnen in Erholungsgebieten ermöglicht; das wurde bereits angesprochen . Hier möchten wir eine Verbesserung erreichen . Gerade in stadtnahen Erholungsgebieten ist es nämlich Realität, dass dort auch gewohnt wird . Im Zuge dieser Baurechtsreform sollten wir versuchen, diese unklare Situation der gelebten Realität anzupassen . Ich freue mich auf die weiteren - auch parteiübergreifenden, fraktionsübergreifenden - Diskussionen im anstehenden Gesetzgebungsverfahren, die dazu führen werden, dass wir am Ende ein gutes Gesetz bekommen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber . - Der letzte Redner in dieser Debatte: Volkmar Vogel für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal daran erinnern: Wir bringen heute das Gesetz zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt ein . Die Diskussion, die eben stattgefunden hat, zeigt mir, dass wir da auf einem guten Weg sind und sicherlich eine gemeinsame Position finden werden. Wir setzen damit eine EU-Richtlinie um, aber unter dem Strich kann man sagen: Wir ändern in dieser Legislaturperiode auch das Baugesetzbuch, insbesondere das Planungsrecht . Frau Ministerin, unabgesprochen habe ich auf meinem Spickzettel auch vermerkt, dass es wichtig ist, dass wir schnell zu einem Ergebnis kommen . Deswegen vielen Dank auch an Ihr Haus, dass wir mit der Einbringung nicht im Verzug sind . Es kommt jetzt darauf an, dass sich der Bundesrat schnell - am 10 . Februar - damit beschäftigt, dass wir unsere Anhörung konstruktiv durchführen und noch im März hier zu einem Ergebnis kommen . Die Menschen und die Kommunen warten aus mehreren Gründen darauf . Die Kommunen warten darauf, damit Rechtsklarheit bei der Anpassung im Bereich Ferienwohnungen herrscht . Klar ist, wir wollen nicht die sogenannten Rollladensiedlungen, sondern wollen Wohnen möglich machen . Aber wir brauchen auch Rechtsklarheit für die Bestände . Das ist für diejenigen wichtig, die in diesem Bereich tätig sind . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Wohnungssituation ist vor allem in den Ballungsräumen und in den sogenannten Schwarmstädten schwierig . Wir müssen hier zwei Strategien fahren, eine kurzfristige und eine, die langfristig wirken kann . Was die kurzfristige Strategie angeht, ist es richtig, dass wir unter bestimmten Voraussetzungen auch ein vereinfachtes Planungsrecht zulassen und dies - das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen - zeitlich begrenzen . ({0}) Wir sollten die Zeit aber auch nutzen, langfristig wirkende Instrumente auf den Weg zu bringen . Dazu gehört meiner Meinung nach insbesondere - wir hatten Mittwoch ein Expertengespräch dazu -, dass es möglich ist, in den Kommunen - auch mit Unterstützung des Bundes und der Länder - Brachflächen zu erschließen - ob Brachflächen der Bahn oder Militärkonversionsflächen sei dahingestellt -, um auf diese Art und Weise zusätzliches Bauland zu schaffen. Denn wie sollen wir ansonsten jungen Familien erklären, die aus ihrer Mietwohnung herauswollen und sich Wohneigentum bilden wollen - sei es durch ein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung -, dass wir dem durch die ungenügende Bereitstellung von Bauland - noch dazu zu überhöhten Preisen - einen Riegel vorschieben? Deswegen ist es auch wichtig - das ist zwar nicht unser Thema -, dass wir bei der Wohnimmobilienkreditrichtlinie eine Änderung auf den Weg gebracht haben . Auch das wird uns sehr dabei helfen . Aber das Kernstück, wenn es um das bessere Leben in der Stadt geht, ist das urbane Gebiet . Ich kann mich daran erinnern, wie wir vor drei Jahren in unserer Fraktion darangingen, die Baunutzungsverordnung zu ändern . Da war die Diskussion noch eine ganz andere . Aber ich denke, wir haben es gut auf den Weg gebracht, dass die urbanen Gebiete hier eingeführt werden . Dadurch können wir zum einen Abstandsflächen verändern, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, und zum anderen auch dafür sorgen, dass unsere Städte lebenswerter und attraktiver werden . Ich will hier ausdrücklich sagen: Es geht nicht darum denn auch die Diskussion hatte ich -, Wohnen in Gewerbegebieten zuzulassen. Damit würde man neue Konflikte verursachen . Es geht darum, Wohnen und Arbeiten zu verbinden; denn die Arbeitswelt hat sich verändert . Sie ist nicht mehr mit derjenigen von vor 50 Jahren zu vergleichen - so alt ist die jetzige Baunutzungsverordnung . Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das nicht unsere Aufgabe ist, bitte ich doch darum, dass wir sehr sorgfältig vorgehen, wenn es um Veränderungen von Verwaltungsvorschriften geht . Ich meine hier insbesondere die TA Luft und die TA Lärm, die die Grundlage für das Verwaltungshandeln bilden . Bei diesem Thema dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern müssen sehr sorgfältig vorgehen . Lassen Sie mich noch ein Wort zum ländlichen Raum sagen . Mir ist sehr daran gelegen, dass wir bei dem, was wir jetzt für die Städte auf den Weg gebracht haben Stichwort „urbanes Gebiet“ -, auch an die kleinen Städte und an die Dörfer denken . Die kleinen Städte und Dörfer haben sich gewandelt . Die Industrieentwicklung der letzten 70 Jahre hat dazu geführt, dass sie oftmals nur noch Schlafdörfer sind . Aber Dörfer waren eigentlich etwas anderes . Dörfer waren eigentlich, im übertragenen Sinne, Gewerbegebiete, wo Landwirtschaft, wo Handwerk, wo Mittelständler, wo kleine Betriebe auf engem Raum des dörflichen Lebens zusammengearbeitet haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass so etwas in Zukunft wieder besser möglich sein muss . Ich glaube, das urbane Gebiet, das wir jetzt für Ballungszentrum und große Städte auf den Weg gebracht haben, ist ein gutes Beispiel . Das sollten wir auch in den Dörfern anwenden, damit der Schmied wieder im Ort arbeiten kann . Die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld für einen Schmied und einen Schlosser haben sich enorm gewandelt, genauso wie für einen Tischler oder einen Bäcker . Manch ein Bäcker möchte seine Bäckerei vielleicht aus praktischen Erwägungen heraus erweitern, weil zwei, drei Asylsuchende da sind, die gute Falafel backen . Das würde zu einem größeren Angebot führen, und die Asylsuchenden würden integriert und könnten hier arbeiten . Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz sagen: Wir wollen das Baugesetz erneut novellieren; das haben wir in der vergangenen Legislatur auch getan . Ein wesentlicher Punkt, der damals eine Rolle gespielt hat, ist die Privilegierung landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich . Ich bitte darum, dass wir da sehr sorgfältig vorgehen und, wenn es um den Bau neuer Ställe geht, die landwirtschaftlichen Betriebe im Außenbereich von rein gewerblichen Ansiedlungen unterscheiden, weil ein Landwirt, dessen Familie den Hof vielleicht schon seit Generationen betreibt und die vor Ort notwendige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, zu unterscheiden ist von jemandem, der als Fremder kommt, um eine gewerbliche Tätigkeit auszuüben . Deswegen sollten wir zwischen denen unterscheiden, die da sind, und denen, die dazukommen . Die, die da sind, sollten wir nicht verteufeln .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Vogel .

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sollten aber dafür sorgen, dass die schwarzen Schafe, die die Regelungen in irgendeiner Art und Weise ausnutzen, zur Rechenschaft gezogen werden . Vielen Dank . ({0}) Volkmar Vogel ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Vogel . Manchmal ist ein Satz sehr lang . ({0}) - Ich kann Ihnen selbstverständlich stundenlang zuhören, vor allem, wenn ein Satz eine Stunde dauert . Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10942 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken Drucksachen 18/10632, 18/10973 Interfraktionell wurden 38 Minuten für die Aussprache vorgesehen . - Alle sind einverstanden . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion . ({2})

Dr. Claudia Lücking-Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Alle sprechen gerade von Afrika . Doch welches Bild haben Sie eigentlich vor Ihrem geistigen Auge, wenn der Name dieses Kontinents fällt? Seien wir ehrlich: Nach wie vor tragen wir hier in Deutschland nur allzu häufig ein sehr einseitiges Bild von Afrika mit uns herum. Dabei täuscht schon der Begriff als solcher eine Einheitlichkeit vor, die es so gar nicht gibt . So viele Sprachen, Religionen, Kulturen und Nationen, so viele verschiedene Wirklichkeiten werden hier zusammengefasst . Eigentlich müsste man sagen, wir brauchten nicht ein Bild, sondern eine ganze Bildergalerie vor unserem geistigen Auge . Aber in unserer Wahrnehmung überwiegen die Krisenmeldungen aus Afrika im Vergleich zu den guten Botschaften . Oft wird Henning Mankell zitiert: Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientieren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben . Leider stimmt das allzu häufig - bisher jedenfalls. Ich bin überzeugt, dass unsere Afrika-Politik in Zukunft ganz andere Bilder liefern kann und wir einen anderen Ansatz verfolgen werden . Anfang dieser Woche hat Entwicklungsminister Müller sein Konzept vorgestellt, das er „Marshallplan mit Afrika“ nennt . Das ist wichtig: nicht „für Afrika“ . Sein Ziel ist es, Afrika als Chancenkontinent zu begreifen und partnerschaftlich die Entwicklung Afrikas zu Wohlstand und Frieden voranzutreiben . ({0}) Dafür müssen wir eine andere Brille aufsetzen, und zwar in allen Politikbereichen . In unserem Antrag fangen wir heute damit an . Hier schauen wir auf den Kontinent aus der Perspektive von Wissenschaftskooperationen mit Partnern in Subsahara-Afrika . Zugegeben, manch einer reagiert dann erstaunt und sagt: Wenn wir an Spitzenforschung oder erstklassige Hochschulausbildung denken, fällt uns nicht als Erstes diese Weltregion ein . Lassen Sie uns heute versuchen, an einem anderen Bild von Afrika weiterzuzeichnen . Als Bildungspolitikerin sehe ich Folgendes quasi als Grundierung unseres Bildes: Das größte Potenzial Afrikas ist seine junge Generation . Schon heute ist die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung jünger als 18 Jahre . Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung des Kontinents wahrscheinlich auf über 2 Milliarden Menschen verdoppeln . Wenn eines klar ist, dann das: Alle diese jungen Menschen brauchen gute Bildung als Voraussetzung, um dieses Potenzial wirklich entfalten zu können . Das Hochschul- und Wissenschaftssystem spielt dabei eine entscheidende Rolle - für eine gute Lehrerbildung als Voraussetzung für gute Schulen, für den Hochschullehrernachwuchs, für Studienangebote, die arbeitsmarktorientiert ausbilden, für Forschung, die neue Lösungen für die wirtschaftliche, aber auch die gesellschaftliche Entwicklung ermöglicht . Außerdem könnten Hochschulen auch qualifizierte Beratung für Politik und Verwaltung anbieten . Wir schlagen deshalb eine ganze Serie von Maßnahmen in unserem Antrag vor . Nur einige will ich nennen . Erstens . Künftig wollen wir zum Beispiel afrikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die durchaus in großer Zahl überall in der Welt arbeiten, als sogenannte Flying Faculties für kurzzeitige Lehraufträge an Hochschulen in ihren Heimatländern gewinnen, um damit die Qualität der Lehre dort langsam, aber stetig zu verbessern . ({1}) Zweitens . Bereits jetzt vergeben wir viele Stipendien . Rund 1 000 Stipendien für die qualitätsvolle Ausbildung von Hochschullehrern vor Ort sollen hinzukommen . Wir fordern drittens noch mehr Mittel für Rückkehrstipendien . Menschen mit all ihren Talenten und all ihrem Wissen sind mobil . Sie ziehen durch die Welt, gerade die Hochqualifizierten. Davon profitieren alle am Austausch beteiligten Seiten . Das ist die Idee der Brain Circulation . Viertens wollen wir gerade die Süd-Süd-Kooperation stärken . Die afrikanischen Wissenschaftssysteme sollten sich viel stärker untereinander vernetzen . Einen guten Ausgangspunkt dafür sehen wir im African-German Network of Excellence in Science, Kurzform AGNES . Es bringt etablierte Nachwuchsforscherinnen und -forscher aus Subsahara-Afrika bereits jetzt zusammen . Als Forschungspolitikerin entdecke ich auf meinem Bild von Afrika täglich viele spannende Einzelheiten . Ich bin beeindruckt von Innovationen, die in Afrika erdacht wurden, zum Beispiel eine Erfindung aus Kenia: M-Pesa . Dies bedeutet auf Suaheli mobiles Geld . Per SMS können afrikanische Mobilfunkkunden - ein Handy besitzen zum Glück die meisten - Geld überweisen, auch wenn sie kein eigenes Bankkonto haben . Das war die Ursprungsidee . Mittlerweile ist das Handy zum gängigen Zahlungsmittel geworden . Man kann per Handy im Supermarkt zahlen, seine Stromrechnung begleichen und sogar günstige Kleinkredite bei Banken anfragen . Ein anderes Beispiel, eine Idee, die zurzeit in Ruanda von einem Start-up-Unternehmen erprobt wird: Um Medikamente und Blutkonserven trotz mangelnder Infrastruktur dort hinzubringen, wo sie gebraucht werden, verschickt man sie nicht per Transport auf der Straße, sondern gleich mit Drohnen . Auch über solche technologischen Sprünge sollten wir reden, wenn wir von Afrika sprechen . Sie gehören zu einem vollständigen Bild von Afrika dazu . Unser Ziel ist deshalb, mit unserem Antrag auch dafür zu sorgen, dass die Bundesregierung die europäische Forschungspolitik in Zukunft noch besser mit der afrikanischen verknüpft und verzahnt . ({2}) Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam und nur als Partner bewältigen können, als Partner aus dem globalen Norden und Süden mit unterschiedlichen Herangehensweisen . Denn wieder einmal gilt: Spitzenforschung lebt vom Austausch der Ideen, von unterschiedlichen Blickwinkeln, von Differenzerfahrung. Ob es um die Ernährungssicherung oder die Behandlung global bedrohlicher Krankheiten geht, wir benötigen Innovationen, die wir nur gemeinsam entwickeln können . Es gibt zum Glück zu zentralen Forschungsthemen schon eine Reihe von erfolgreichen Kooperationen zwischen deutschen Institutionen und Partnern aus Subsahara, zum Beispiel die sogenannten Klimakompetenzzentren im westlichen und südlichen Afrika . Dort wird geforscht, damit es auch in Zeiten des Klimawandels noch Ernten geben kann und die Artenvielfalt nicht weiter reduziert wird . Aber das Besondere an diesen Kompetenzzentren ist - der Name sagt es schon -, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft gleich an die ansässigen Bauern und die lokale Verwaltung weitergegeben werden . Dort entsteht also Expertise bei afrikanischen Forschern, die von der Gesellschaft vor Ort gleich in neue Kompetenzen umgesetzt werden kann und konkret angewandt wird . Wir wollen die Klimaforschung - so ist es in unserem Antrag formuliert - in Zukunft dringend um die Forschung zum Katastrophen- und Risikomanagement ergänzen . Auch hier sollen die gewonnenen Erkenntnisse so aufbereitet werden, dass sie angewandt werden können . Wir wollen darum auch die Hochschulkooperationen zwischen Deutschland und Subsahara-Afrika weiter fördern, konkret das Projekt der deutsch-afrikanischen Fachhochschulen . Auch hier kann man sagen, dass sich solche Partnerschaften als ein erfolgreiches Instrument, um gemeinsame Problemlösungen zu erarbeiten, bewährt haben . Zum Schluss ein kühner Blick in die Zukunft . Stellen wir uns vor, der nächste Einstein kommt zum Beispiel aus dem Senegal . Es gibt nämlich schon eine ganze Reihe von Initiativen, die die mathematische Forschung in Subsahara-Afrika stärken wollen . ({3}) - Gut ausgewählt, nicht? Genau . - Wir fördern den Aufbau neuer Lehrstühle für Mathematik . ({4}) - Das wäre doch etwas für dich, Karamba . Wer weiß? Karamba ist hier, aber vielleicht studiert oder forscht der nächste Einstein ja schon an einer der neuen mathematischen Fakultäten dort . Das wäre doch durchaus realistisch . Ein afrikanischer Einstein - damit würde unseren Bildern von Afrika jedenfalls eine kräftige neue Farbe hinzugefügt werden . Ich bitte Sie jedenfalls um die Unterstützung unseres Antrags, damit wir die Bildergalerie Afrikas gemeinsam erweitern . Danke schön . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . - Nächste Rednerin: Christine Buchholz für die Linke . ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition möchte die Wissenschaftskooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern in Subsahara-Afrika vertiefen . Dadurch sollen Chancen genutzt und „entscheidende Hebel“ in Bewegung gesetzt werden, um dort Wachstum, Wohlstand und sozialen Frieden zu schaffen und damit den Fluchtursachen zu begegnen . ({0}) So heißt es im vorliegenden Antrag von Union und SPD . Keine Frage: Selbstverständlich unterstützt die Linke internationale Wissenschaftskooperationen, insbesondere mit den armen und ärmsten Ländern der Welt . ({1}) Denn viele von ihnen sehen sich gegenwärtig kaum in der Lage, gute Forschung und Lehre aus eigener Kraft zu entwickeln und zu betreiben . Wir sollten uns schon damit beschäftigen, welche Gründe das hat . Es sind die Spätfolgen des Kolonialismus und eine jahrzehntelange Politik der Unterentwicklung, die auch von Europa und Deutschland betrieben wurde . Es liegt daran, dass wirtschaftliche Interessen, auch die der deutschen Politik, primär die Politik gegenüber Afrika bestimmen und dass die Eliten in den verschiedenen Ländern - nicht nur in denen Subsahara-Afrikas - vorrangig ihre eigenen Interessen und nicht die der breiten Bevölkerung im Sinn haben . ({2}) Zweifellos kann Wissenschaftskooperation dazu beitragen, gesellschaftlichen Fortschritt in diesen Ländern zu erreichen . Die Bundesregierung sieht jedoch darin zentrale Hebel für gesellschaftlichen Fortschritt, und davon kann doch wirklich nicht die Rede sein . ({3}) Es gibt viel zentralere Hebel, die Sie gar nicht erst anfassen . Nehmen wir beispielsweise ein 17 Jahre altes Versprechen der Bundesrepublik: 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes soll für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen . Das ist schon nicht besonders viel. 2015 betrugen die deutschen öffentlichen Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit gerade einmal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes . Damit ist die Bundesregierung - wie in jedem Jahr zuvor - ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen. Um die jeweiligen Anstrengungen einmal ins Verhältnis zu setzen: Für den Bundeswehreinsatz in Mali wurden die Ausgaben von 35 Millionen Euro im letzten Jahr auf 163 Millionen Euro in diesem Jahr angehoben, also innerhalb eines Jahres um mehr als 100 Millionen Euro . Das zeigt doch die falschen Prioritäten Ihrer Afrika-Politik! ({4}) Schauen wir noch einmal in den Bildungsbereich . Ich denke, ein zentrales Thema ist die Grundschulbildung, und die höchste Rate von Analphabeten finden wir in dieser Region . Jetzt sollen die Mittel für den Fonds der Globalen Bildungspartnerschaft 2018 von 7 auf 9 Millionen Euro steigen . ({5}) Jedoch wären 100 Millionen Euro nötig, um zumindest die selbstgesteckten Ziele zu erreichen . Angesichts dessen ist das doch mehr als erbärmlich . ({6}) Sie deuten in Ihrem Antrag an, dass Hochschulbildung vor Armut schützen würde . Seien Sie doch ehrlich: Nachhaltigen Schutz vor Armutslöhnen beispielsweise bieten vor allem starke und durchsetzungsfähige Gewerkschaften und Bewegungen . ({7}) Wie sonst könnten den inländischen und vor allem den ausländischen Unternehmen höhere Löhne abgerungen werden? Aber das kollidiert natürlich dann mit den Interessen von europäischen und deutschen Unternehmen, die dort billig produzieren lassen wollen . ({8}) - Nun regen Sie sich nicht auf! Das ist die bittere Wahrheit . ({9}) In Kenia führen übrigens dieser Tage Tausende Ärzte an öffentlichen Kliniken einen erbitterten Streik für die Umsetzung ihres Tarifvertrages . Diesen hat die Regierung in den letzten Jahren immer wieder gebrochen . ({10}) Dies zeigt deutlich: Die fehlende Hochschulbildung ist eben nicht das zentrale Hemmnis im Gesundheitssystem oder der Hauptgrund für schlechte Löhne, sondern dahinter stehen ganz andere Interessen . Ein weiteres Beispiel: Der guten Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten steht nicht die unterentwickelte Wissenschaft im Wege . Nein, es sind die Patentrechte der Pharmaindustrie, mit denen sich die europäischen Unternehmen überteuerte Preise und satte Gewinne sichern können . Dort könnten Sie doch auch einmal aktiv werden! ({11}) Das Wichtigste, Frieden für die Menschen in Afrika, wird nicht vorrangig durch Bildung und Wissenschaft erreicht . Viele der blutigsten Diktatoren Afrikas haben selbst studiert - übrigens viele von ihnen auch in Europa -, aber Afrika wurde allein dadurch nicht friedlicher und freier; denn Frieden und Entwicklung kann es nur geben, wenn die gesamte Bevölkerung endlich von dem massiven Reichtum ihres Kontinents profitiert. ({12}) Das setzt einen Bruch mit der bisherigen Afrika-Politik der Bundesregierung voraus, die auf wirtschaftliche Interessen, eine Sicherheitsstrategie und Flüchtlingsabwehr setzt . Sie sprachen davon, dass der nächste Einstein aus Afrika kommen könnte . - Ja, davon bin ich auch überzeugt . ({13}) Aber wir müssen uns einem Problem stellen: Der nächste Einstein, wenn er denn aus Afrika kommt und sich auf den Weg nach Norden macht, hat eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, im Mittelmeer zu ertrinken . ({14}) Deshalb müssen wir hier über Heuchelei sprechen, Heuchelei Ihrer Politik . Wir wissen um die Bedeutung von Hochschulen und Forschung für die Entwicklung und unterstützen dies auch, aber wir wollen hier nicht der Heuchelei das Wort reden, die Ihre Afrika-Politik dominiert . ({15}) Sie sollten vorsichtig sein, sich hier als Vorkämpfer für Wachstum, Wohlstand und sozialen Frieden in Afrika darzustellen; denn das steht Ihnen wirklich nicht zu . Vielen Dank, meine Damen und Herren . ({16})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion erhält nun Dr . Daniela De Ridder das Wort . ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Name Steinmeier, so sagte der noch amtierende Bundespräsident Joachim Gauck heute, steht für Unermüdlichkeit, dafür, weiter zu verhandeln, zu vermitteln und zu überzeugen . Dem neuen Außenminister Sigmar Gabriel wünschte er für die schwierigen Zeiten und Herausforderungen mit Blick auf die Europäische Union und die transatlantischen Partnerschaften, die es zu verteidigen gilt, viel Glück und gutes Gelingen . Die SPD-Fraktion und ich schließen uns diesen guten Wünschen unumwunden an . ({0}) - Sie dürfen gerne mit einstimmen . Allen drei Herren und auch der neuen Wirtschaftsministerin, Brigitte Zypries, wünsche ich für ihre Zukunft viel Erfolg, und ich gratuliere herzlich . Bevor Sie sich räuspern: Gleich heute Morgen habe ich die Gelegenheit genutzt, dem neuen Außenminister Sigmar Gabriel die Außenwissenschaftspolitik und damit auch den unterschätzten afrikanischen Kontinent ans Herz zu legen . Wir werden das in den kommenden Wochen sicherlich noch deutlich vertiefen können . Frank-Walter Steinmeier hat gestern in seiner Abschiedsrede - viele von Ihnen waren ja dabei - noch einmal sehr deutlich gesagt, wie wichtig die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist und wie sehr die Wissenschaftspolitik unterschätzt wird . Ich bin ihm sehr dankbar dafür; denn genau in diesem Kontext bewegt sich ja der heutige Antrag zu Wissenschaftskooperationen mit Partnern in Subsahara-Afrika . „Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngong-Berge .“ ({1}) So beginnt der Roman von Tania Blixen mit dem Titel Jenseits von Afrika, den viele von Ihnen hoffentlich gelesen haben . ({2}) Tania Blixen beginnt mit einer Beschreibung der Landschaft, und der erste Absatz endet mit folgendem Satz: „Alles in dieser Natur strebte nach Größe, Freiheit und hohem Adel .“ Liebe Claudia Lücking-Michel, ich bin dir sehr dankbar für diesen Antrag, den wir gemeinsam entwickeln konnten . Ich will gerne zugeben, dass genau dieser Roman lange Zeit mein Afrika-Bild mitgeprägt hat . ({3}) Möglicherweise habe ich dabei aber in der Tat übersehen, wie scharf und hart das koloniale Erbe noch heute die Strukturen in Afrika und damit auch in Subsahara beeinflusst. Wir haben heute die Gelegenheit, vieles von dem zu korrigieren, Frau Buchholz, was Sie kritisiert haben vielleicht auch nicht immer ganz zu Unrecht . Ja, es geht aus gutem Grund darum, Partnerschaften zwischen Deutschland und Subsahara-Afrika zu verstärken, und zwar auf Augenhöhe . Wir wollen nämlich einen Brain-Drain vermeiden und Brain-Gain unterstützen und fördern . ({4}) Wissenschaftsförderung ist eine eminente Aufgabe im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen uns und den afrikanischen Ländern im Subsahara-Raum; denn es gilt, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern: den Klimawandel, die Bekämpfung von Hunger und die Bekämpfung von Krankheiten, die es in Afrika René Röspel wird nie müde, dies zu sagen - ohne den Kolonialismus möglicherweise nie gegeben hätte . Auch hier haben wir eine deutsche Verantwortung . Es gilt in der Tat, Zukunftsperspektiven für die afrikanische Bevölkerung aufzuzeigen und, ja, durch die Bildungs- und Wissenschaftspolitik auch Fluchtursachen zu bekämpfen; ({5}) denn Bildung ist eine ganz wesentliche Voraussetzung, um am Arbeitsmarkt partizipieren und den Fachkräftebedarf, den Subsahara-Afrika zweifellos hat, befriedigen zu können . Bildung ist auch eine Voraussetzung für Autonomie und Perspektiven auf dem unterschätzten Kontinent Afrika, und schließlich geht es darum, mit Bildung auch Empowerment zu betreiben - eine ganz zentrale AufgaChristine Buchholz be, die wir heute hier mit diesem Vorhaben unterstützen wollen . Ja, mir ist es auch wichtig, dass wir die transnationalen Bildungskooperationen noch einmal deutlich verstärken, und zwar durch Bildungsketten von Anfang an . Ein ganz zentrales Element dabei - das haben wir in unserem Antrag sehr deutlich gemacht - ist die Bildung von Lehrerinnen und Lehrern, die ja die Schülerinnen und Schüler qualifizieren können müssen, damit sie überhaupt die Chance haben, an Bildung zu partizipieren und um später auch Karriere zu machen . ({6}) Es gilt, die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer weiter zu qualifizieren und unser Know-how anzubieten, nicht überzustülpen . Wir müssen bei der Stärkung des Hochschulmanagements also möglicherweise auch beratend tätig werden . Weiterhin ist es mit Sicherheit förderlich und konstruktiv, die Politikfelder stärker interdisziplinär zu vernetzen . Es ist egal, ob das die Wissenschafts- und Bildungspolitik ist, ob wir als Hochschulpolitikerinnen und -politiker gefordert sind oder ob es - ich erwähnte deshalb die neue Ministerin und den neuen Minister - gilt, die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik und die Außenpolitik zusammenzudenken . Der Antrag, den wir entwickelt haben, ist nicht ohne das Zutun des Auswärtigen Amtes, des BMBF oder des BMZ entstanden . ({7}) Deshalb bin ich an dieser Stelle dankbar, dass es uns in der Großen Koalition gelungen ist, diesen Antrag konstruktiv und produktiv voranzutreiben . Deshalb vielen Dank an die entsprechenden Ministerien . ({8}) Es ist unbedingt notwendig, längerfristige Fördermöglichkeiten voranzutreiben . Deshalb sind Stipendienprogramme wichtig, die wir weiterführen und ausbauen wollen, aber nicht ohne unsere Partner . Hier nenne ich den Deutschen Akademischen Austauschdienst oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die wir finanziell unterstützen und die wiederum das Geld, das wir ihnen zukommen lassen, gut investieren werden . Ja, wir brauchen Forschungsnetzwerke, um den Austausch, immer auch mit Blick auf die regionalen und lokalen Arbeitsmärkte, zu befördern . Eine Idee, die wir mit Intensität verfolgen und von der ich überzeugt bin, dass sie sich umsetzen lässt, ist die Errichtung einer Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kenia . Die Blaupause dafür ist die German Jordanian University in Jordanien, die mit Sicherheit den Wissenstransfer - auf gut Neudeutsch: Third Mission unterstützen wird . ({9}) Es bedarf einer Stärkung der Studierenden und der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, damit in der Tat so etwas wie Brain-Gain gelingt . Meine beiden Söhne - damit will ich enden - haben mir - einen lieben Gruß an Till und Jonas -, als ich die Legislaturperiode begann, mit auf den Weg gegeben: Es ist nicht deine Schuld - Sie kennen möglicherweise das Zitat -, dass die Welt ist, wie sie ist . Es wär aber deine Schuld, wenn sie so bleibt . - Heute, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, haben wir die Chance, ein Versprechen einzulösen . Vielen lieben Dank . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Kai Gehring .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beratungsgegenstand dieser Debatte ist ein Wohlfühlantrag der Koalitionsfraktionen zur Wissenschaftskooperation mit Subsahara-Afrika nach dem Strickmuster: Fördere Gutes und rede darüber . ({0}) In der Tat, der Antrag ist eine beeindruckende Leistungsschau über die Aktivitäten deutscher Wissenschaftsorganisationen in Afrika . Ihnen gebührt unser Dank . ({1}) Weniger beeindruckend ist, dass die Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD nur wenige eigene Ideen eingeflochten haben, wie sie die Wissenschaftskooperation in Zukunft stärken wollen . ({2}) Gar enttäuschend sind die Lücken in Ihrem Antrag . Dabei stürzt sich das halbe Bundeskabinett auf das Thema Afrika: Entwicklungsminister Müller hat seit wenigen Tagen eine Skizze für einen Marshallplan für Afrika, Forschungsministerin Wanka ihre eigene Afrika-Strategie und Innenminister de Maizière seine Flüchtlingsabschreckungsagenda . ({3}) Anstelle dieses konfusen Durcheinanders erwarten wir von der Ministerin und den Ministern und von den einzelnen Bundesministerien den Willen und die Fähigkeit zur Kooperation, zu echter und funktionierender interministerieller Zusammenarbeit . Wir brauchen keine Egotrips einzelner Kabinettsmitglieder, sondern eine wirklich konsistente Afrika-Strategie, die Partnerschaft auf Augenhöhe und auf Herzenshöhe bringt . ({4}) Wissenschaft, Forschung und Innovation leisten wichtige Beiträge zur nachhaltigen gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Entwicklung der Länder Afrikas . Ob Wohlstand, Chancen des Einzelnen, Frieden, Stabilität, Good Governance: Bildung und Wissenschaft sind Hebel und Schlüssel für die nachhaltigen Entwicklungsziele, die SDGs der Vereinten Nationen . Dafür muss aber die Basis stimmen, also die Grundbildung . ({5}) In vielen Ländern Afrikas gibt es hier Fortschritte . Immerhin acht von zehn Kindern aus Ländern Subsahara-Afrikas besuchten 2015 eine Grundschule . Im Jahre 2000 waren es nur 60 Prozent . Das Entwicklungsziel liegt aber weiterhin bei 100 Prozent: Alle Kinder sollen zur Schule gehen und hinterher tatsächlich lesen, schreiben und rechnen können . Das muss unser gemeinsames Ziel sein . ({6}) Dieses Bekenntnis fehlt in Ihrem Antrag, und das ist schlecht . ({7}) Was mich weiter stört, sind die blinden Flecken . Das Bildungs- und Forschungsministerium ist in 39 von 54 Ländern Afrikas aktiv . Da geht noch etwas . Das gegenseitige Interesse an Kooperation ist hoch und wächst weiter . Die Stärken zu stärken und sich gleichzeitig blinden Flecken zuzuwenden, das schließt sich doch nicht aus . Warum Sie ausgerechnet die Maghreb-Staaten komplett ausklammern, bleibt Ihr Geheimnis . ({8}) Gerade Bildung und Forschung könnten die Länder Nordafrikas zu sicheren Staaten entwickeln und der jungen Generation Perspektiven und damit Bleibegründe verschaffen. ({9}) - So lange ist die Legislaturperiode nicht mehr . ({10}) - Schauen wir einmal . Wir sind gespannt . Etwas mehr als die Hälfte der Afrikanerinnen und Afrikaner, die im Ausland leben, will wieder in ihre Heimatländer zurückkehren, wenn denn die Bedingungen stimmen . Das sollten wir unterstützen; denn es muss gehen um Nord-Süd- und Süd-Süd-Austausch, um zirkuläre Migration und Brain Circulation . Es darf nicht um Braindrain und Abwerbung gehen . ({11}) Aber wie sind die Bedingungen? Dazu eine kleine Geschichte . Mouhamed Moustapha Fall forscht im Senegal an einem deutschen Forschungslehrstuhl, gefördert von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung . Er sammelt Daten zu Fischfang und Fischvorkommen und will ein mathematisch präzises Modell entwickeln, das prognostiziert, wie viele Fische die Fischer vor Ort fangen können, ohne den Beständen zu schaden . Das ist ein durchaus tolles Projekt. Wenn allerdings die EU-Fangflotten das Meer quasi leerfischen, beißt sich die Katze in den Schwanz . Ich will sagen: Mit Wissenschaft alleine lösen wir die Entwicklungsprobleme vor Ort nicht . Es braucht eine ressort- und themenübergreifende Afrika-Strategie, idealerweise noch mit den europäischen Partnern zusammen . ({12}) In der nächsten Woche findet der EU-Gipfel in Valletta statt . Es wäre das falsche Signal, dort einseitig die Abwehr von Flüchtlingen zu verabreden . Fluchtursachen in Afrika zu bekämpfen, das ist der richtige Ansatz . Das muss aber heißen, gemeinsame strukturelle Reformen zu verabreden in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft, Fischerei, Klimaschutz, Abrüstung und nicht zuletzt in Bildung und Wissenschaft . ({13}) In Afrika keimt immer mehr Hoffnung, bis hin zur Aufbruchstimmung . Deutschland muss aus meiner Sicht alles dafür tun, dass daraus eine wirklich robuste Entwicklung zum Wohle aller Menschen auf dem afrikanischen Kontinent wird . Da könnte Deutschland Antreiber sein, statt hinterherzuhecheln . Vielen Dank . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächster hat der Kollege Dr . Thomas Feist, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist der Moment gekommen, wo man aufhören muss, die Menschen aus dem Fluss zu ziehen. Man muss flussaufwärts gehen, um zu schauen, warum sie hineingefallen sind . ({0}) - Sie alle - außer dem Kollegen Mutlu, der schaut, als ob er das noch nie gehört hätte - kennen dieses Zitat . ({1}) Der Friedensnobelpreisträger Bischof Desmond Tutu hat das im Jahr 1984 gesagt; damals war noch Heinz Riesenhuber Forschungsminister . Das zeigt, dass die Unterstützung und Hilfe für Afrika kein Thema ist, das schnell hochkocht und zu dem man dann einen Antrag einbringt . Vielmehr verfolgen wir dieses Thema kontinuierlich seit vielen Jahren und Jahrzehnten . ({2}) - Es ist schön, dass der Kollege Mutlu wieder aufgewacht ist und an der Debatte teilnehmen kann . ({3}) Wenn wir etwas für Afrika tun, dann ist das gut und wichtig . Aber es ist genauso wichtig, dass wir die guten Initiativen aus den verschiedenen Ministerien noch stärker als bisher zusammenführen . Denn es ist völlig klar: Wenn sich das Forschungsministerium, das Auswärtige Amt, das Entwicklungshilfeministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Innenministerium und andere Ministerien mit Afrika befassen, dann ist das gut . Aber es macht die administrative Arbeit nicht leichter . Deswegen ist es wichtig, dass wir als CDU/CSU gemeinsam mit der SPD einen Antrag vorgelegt haben, aus dem hervorgeht, wie wir die Hochschulkooperation speziell in diesem Teil Afrikas, der für uns besonders wichtig ist, stärken wollen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ich brauche das eigentlich gar nicht zu fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gehring? Bitte schön, Herr Gehring .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben sich gerade - wie es bereits in dem Antrag steht - für eine stärkere interministerielle Zusammenarbeit ausgesprochen . Diese Woche Mittwoch haben wir im Ausschuss Ihren Antrag beraten . Zeitgleich hat der Entwicklungsminister ohne Absprache mit irgendeinem anderen Haus seinen Marshallplan für Afrika, den ich eher als Skizze sehe, vorgestellt . Wenn man sich diesen Plan einmal durchliest, stellt man fest, dass Bildung und insbesondere Wissenschaft und Forschung weitestgehend fehlen . Wie beurteilen Sie ein solches Verhalten, während gleichzeitig der Koalitionsantrag beraten wird? Wie wollen Sie das jetzt in den verbliebenen Wochen dieser Legislatur noch ändern? Wie wird der Marshallplan konkret durch die Wissenschaftspolitik angereichert? ({0})

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich fühle mich dabei hervorragend . Wenn auch Sie eine Zwischenfrage haben, können Sie diese anmelden . Ansonsten würde ich gerne vorwiegend auf den Kollegen Gehring eingehen . Ich war am Mittwoch bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, deswegen konnte ich an der Sitzung des Ausschusses nicht teilnehmen und kann die Situation nicht beurteilen . Außerdem würde ich von hier aus das Verhalten von Ministern, deren Geschäftsbereich wir heute nur am Rande streifen, nicht beurteilen . ({0}) Ich finde es wichtig, dass wir nicht auf Regierungshandeln warten, sondern als selbstbewusste Parlamentarier sagen: Wir legen zu diesem Thema einen Antrag vor und stellen Wissenschaftskooperation, Bildung, die Vernetzung und die Forderung, dass das geschieht, in den Mittelpunkt . ({1}) Ich finde es nicht schlimm, dass wir das machen. Ich finde es im Gegenteil gut . Wenn Sie auf das Handeln der Regierung erst warten wollen, bevor Sie etwas tun, ist das Ihr Problem . ({2}) Ich finde es wichtig, dass wir in diesem Bereich vor allen Dingen auch auf die Wissenschaftsorganisationen eingehen, die die Arbeit vor Ort leisten - allen voran der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung . Es ist ja so, dass diese Organisationen von verschiedenen Ministerien gefördert werden: vom Auswärtigen Amt, vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und natürlich auch von unserem Bundesministerium für Bildung und Forschung . Die Arbeit, die vor Ort geleistet wird, stellt sich aber so dar, dass die Initiativen und die Projekte aus einem Guss sind . Deswegen fordern wir in unserem Antrag, dass dieses Prinzip der Kohärenz weiter und konsequent durchgesetzt wird, weil wir nur dann nachhaltig - das müsste uns allen ein wichtiges Anliegen sein - etwas mit und für Afrika tun können . Als Berufsbildungspolitiker ist es mir natürlich nicht ganz unwichtig, dass dieses Thema im Antrag auch erwähnt wird, weil Forschung ohne eine gute Forschungsinfrastruktur nur die halbe Miete ist . Natürlich müssen wir jungen Leuten über die Wissenschaft hinaus eine Chance geben . Wenn ich mir die ganzen Debatten vergegenwärtige, die wir zu wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal an den Hochschulen in Deutschland geführt haben, stelle ich fest, dass es wichtig ist, auch diese Personengruppe, die dafür sorgt, dass Forschung in Afrika überhaupt gelingen kann, im Blick zu haben . Insofern finde ich es wichtig, dass wir nicht nur auf die Wissenschaftskooperation in Afrika abzielen, sondern uns auch in einer bilateralen Vereinbarung beispielsweise mit Südafrika dafür einsetzen, ein Kompetenzzentrum für die berufliche Ausbildung dort zu errichten. Das muss ineinandergreifen . Natürlich haben wir alle gemeinsam die Aufgabe, zu schauen, was vor Ort konkret passiert . Neben dem Antrag, den ich für wichtig und richtig halte, ist es mir aber genauso ein persönliches Anliegen, dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln . Ich unterstütze beispielsweise seit zehn Jahren eine Schule in Accra in Ghana . Es handelt sich um eine Schule in den Slums mit dem Namen „Hope for Life“ . Dort wird den jungen Menschen eine Chance gegeben, die sonst keine Chance hätten . Ich habe für jemanden, der in dieser Schule groß geworden ist, eine Patenschaft übernommen . Er kann dort jetzt auch studieren . Das wäre mein Appell kurz vor diesem Wochenende an Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Nicht nur reden, sondern auch handeln . Da kann jeder von uns mithelfen . Vielen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Martin Rabanus, SPD-Fraktion, das Wort .

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte noch ein paar zusammenfassende Worte von mir. Ich finde es erst einmal gut und einen Wert an sich, dass wir heute diese Debatte über Afrika führen - am Beginn des Afrika-Jahres der Bundesregierung . Es steht im Laufe des Jahres vieles im Zeichen dieses Kontinents, unter anderem auch im Rahmen der G-20-Präsidentschaft . Deswegen ist es gut, dass wir heute diese Diskussion führen und dass wir sie heute auch über die Wissenschaftskooperation mit Afrika führen, die natürlich nur ein kleiner Teil ist . Ich will jetzt gar nicht den Versuch unternehmen, die 24 Punkte, die wir in diesem Antrag sozusagen anerkennen, würdigen, zu rekapitulieren . Wir haben ja gehört, dass selbst die Opposition sagt, dieser Teil des Antrags sei ausgesprochen gelungen und beeindruckend . Ich will mich ausdrücklich dem Dank anschließen, den der Kollege Gehring ausgesprochen hat, nämlich dem Dank an unsere Mittlerorganisationen, auch an die Stiftungen, die für uns in fast allen Staaten des afrikanischen Kontinents tätig sind . Nicht in allen, aber in fast allen Staaten sind wir vertreten . Da sind viele Menschen, die sich unter nicht immer einfachen Bedingungen einsetzen, die sich engagieren. Ich finde, im Rahmen einer solchen Debatte kann man da den Dank nicht laut genug sagen . ({0}) Als Zweites möchte ich sagen, dass Europa und Deutschland eine besondere Verantwortung für Afrika haben, eine, die in der Vergangenheit auch aus meiner Sicht nicht hinreichend wahrgenommen worden ist . Ich finde es deswegen ausdrücklich gut, dass sich die unterschiedlichen Teile der Bundesregierung nun auch stärker auf den Weg machen, sich damit auseinanderzusetzen . Beide Kontinente, Europa und Afrika, sind Nachbarn . Ich will einmal daran erinnern, dass uns an einigen Stellen nur wenige Kilometer geografisch trennen. Wir sind aber nicht nur Nachbarn, sondern wir sind historisch miteinander verbunden . Die Kolonialzeit ist angesprochen worden, eine Zeit von Unterdrückung, Bevormundung, Erniedrigung, von Ausbeutung . All das prägt auch das Zusammenleben und die Geschichte, die Europa und Afrika verbinden . Daran jetzt anzuknüpfen und zu sagen, dieses Afrika, das sich auf den Weg gemacht hat, dieses Afrika, das sich erkennbar zusammenrauft, das Strukturen bildet - ich nenne einmal das Stichwort „Afrikanische Union“, die sozusagen immer stärker Fahrt aufnimmt -, dieses Afrika, das sich gemeinsame Entwicklungsziele gesetzt hat unter anderem in der Agenda 2063 -, Entwicklungsziele wie Demokratie, Frieden, Nachhaltigkeit, dieses Afrika, das wächst - im Jahr 2050 wird Afrika 20 Prozent der Weltbevölkerung stellen, wenn unsere Prognosen zutreffend sind -, dieses Afrika, das ein junger Kontinent ist das Durchschnittsalter der afrikanischen Bevölkerung beträgt 18 Jahre -, dieses Afrika zu unterstützen, dieses Afrika stark zu machen, das ist die Aufgabe, vor der wir stehen . Die Koalition zeigt mit dem Antrag, dass bereits vieles passiert ist, dass wir uns auch vieles vorgenommen haben und dass wir konsequent weitergehen wollen - in diesem Jahr, aber auch darüber hinaus -, um Bewusstsein für den Kontinent zu schaffen. Deswegen ist es gut, dass wir am Beginn des Afrika-Jahres der Bundesregierung hier heute diese Debatte führen . Denn es ist wichtig, dass wir mehr Bewusstsein für diesen Kontinent schaffen und dass wir dafür sorgen, dass er einen festen Platz in unserem Kopf, aber auch in unserem Herzen hat . Herzlichen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10973, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10632 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten ({0}) Drucksache 18/10965 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich über die Schließung von Gesetzeslücken spreche, möchte ich klarstellen, dass wir uns alle einig sind in der Trauer und dem Entsetzen über das Verbrechen vom Breitscheidplatz . Neben der Aufarbeitung der Fehlerketten, die zu diesem furchtbaren Ereignis geführt haben, muss es vor allem darum gehen, den Opfern nicht nur unser Mitgefühl, sondern auch jede erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen . Ich begrüße es deswegen ausdrücklich, dass die Bundesregierung einen Weg gefunden hat, in diesem speziellen Fall über eine Härtefallregelung Opferentschädigung zu gewähren, obwohl das Gesetz dies eigentlich nicht vorsieht . Dafür auch von unserer Seite unseren ganz herzlichen Dank . ({0}) Diese Härtefallregelung im Einzelfall hilft allerdings nicht über die Gesetzeslücke hinweg, wenn es generell um die Opfer von Straftaten geht, in denen der Täter ein Kraftfahrzeug zum Schaden eines anderen einsetzt; denn in § 1 Absatz 11 des Opferentschädigungsgesetzes steht: Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht worden sind . Das heißt, alle Gewalttaten mittels eines Kfz sind damit ausgenommen, egal ob Körperverletzung, Mord oder Totschlag . Denken Sie nur an die illegalen Autorennen . Da wollen Sie ja demnächst sogar einen neuen Straftatbestand schaffen, um eine härtere Bestrafung zu ermöglichen. Wie Sie wissen, halte ich selbst nicht allzu viel von symbolhaften Strafverschärfungen . Für die Opfer könnten wir allerdings tatsächlich eine wirksame und wichtige Gesetzesänderung vornehmen . Dem Opfer hilft nämlich eine härtere Bestrafung am Ende wenig . Im Gegenteil: Wird der Täter nicht nur wegen grober Fahrlässigkeit, sondern auch wegen Vorsatzes verurteilt, ist die Kfz-Haftpflichtversicherung in jedem Fall raus aus der Haftung . Das ist für die Verletzten im Zweifelsfall eine Katastrophe, weil die Haftpflichtversicherung den umfassendsten Schadensersatz bietet und nun komplett ausfällt . An dem Haftungsausschluss an sich wollen und können wir nichts ändern; denn der Versichertengemeinschaft kann sicher nicht zugemutet werden, für die Folgen von Verbrechen zu haften. Eine Haftpflichtversicherung soll bei fehlerhaftem Gebrauch eines Pkw aufkommen, aber sicher nicht bei vorsätzlichem Missbrauch . Verbrechen sind eben nicht versicherbar . Dann sollten die Geschädigten aber wenigstens so behandelt werden wie andere Verbrechensopfer auch, ({1}) und die haben, gerade wenn sie schwer verletzt und dauerhaft geschädigt sind, Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz . Es ist doch nicht einzusehen, warum ich, wenn ich mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen worden bin, bessergestellt werden soll, als wenn ich vorsätzlich von einem Auto überfahren worden bin . Wenn es richtig ist, dass die Haftpflichtversicherer für solche Schäden nicht aufkommen müssen, dann muss es auf der anderen Seite richtig sein, dass es Entschädigungen für die Opfer solcher Straftaten nach dem Opferentschädigungsgesetz gibt . Deshalb muss die Ausnahmevorschrift in § 1 Absatz 11 des Opferentschädigungsgesetzes, wonach dieses Gesetz immer dann nicht zur Anwendung kommt, wenn die Straftat mittels eines Pkw erfolgt ist, gestrichen werden . ({2}) Diese Gesetzeslücke wird auch nicht durch den freiwilligen Fonds des Vereins Verkehrsopferhilfe geschlossen, den die Haftpflichtversicherer für die Fälle eingerichtet haben, in denen sie aus Rechtsgründen nicht einzustehen haben; denn aus diesem Fonds werden zum einen keine Renten gezahlt, sondern es werden Mittel zum Ausgleich anderer Schäden wie Sachschäden oder Schmerzensgelder bereitgestellt, die wiederum nicht von der Opferentschädigung erfasst sind, und zum anderen ist der Schadensersatz aus dem Fonds auf 7,5 Millionen Euro pro Ereignis gedeckelt . Das kann bei mehreren Schwerverletzten schnell nicht mehr ausreichen . Die Leistungen, die das Opferentschädigungsgesetz bietet, können dagegen lebenslang gelten und sind in der Höhe nicht gedeckelt . Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Ansprüche muss der Verkehrsopferhilfefonds von der Streichung der Ausnahmevorschrift im Opferentschädigungsgesetz unberührt bleiben . Das heißt, wenn jemand künftig durch eine Vorsatztat mittels eines Pkw schwer verletzt und dauerhaft geschädigt wird, sollte er nach wie vor Sachschaden- und Schmerzensgeld von der VerkehrsopferhilVizepräsidentin Ulla Schmidt fe bekommen und trotzdem eine Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten . ({3}) Das wäre auch angemessen und ist noch längst nicht so viel, wie die Kfz-Haftpflichtversicherung im Falle eines fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls zahlen würde . Weil gerade von Schmerzensgeld die Rede ist: Seit Monaten kündigen Sie den Gesetzentwurf an, mit dem endlich auch ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene eingeführt werden soll . Zwischenzeitlich hatte schon ein Referentenentwurf seine Runden gedreht, und was ich darin gelesen habe, war doch eigentlich gar nicht schlecht . Einigen Sie sich doch endlich, damit auch dieses Vorhaben auf den Weg gebracht werden kann! ({4}) Ich befürchte schon länger, dass Sie das trotz ständiger Beteuerungen in dieser Legislaturperiode leider nicht mehr hinbekommen . Lassen Sie uns also wenigstens über die Opferentschädigung bei Straftaten reden . Vielleicht kriegen wir da ja noch etwas hin . Weil Sie bei unseren Anträgen - gerade wenn Ihnen keine inhaltlichen Gegenargumente mehr einfallen - immer bemängeln, dass es keine Gesetzentwürfe seien, haben wir Ihnen in diesem Fall sogar einen mundgerechten Gesetzentwurf geliefert, dem Sie nur noch zustimmen müssen . ({5}) Für Verbesserungsvorschläge sind wir immer offen. Wichtig wäre am Ende, dass wir zu einem Ergebnis zugunsten der Geschädigten kommen . In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen . Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Jutta Eckenbach . ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in einer Plenardebatte über die Opfer des Breitscheidplatzes zu sprechen, ist zum Teil unfassbar; das fällt am heutigen Tage nicht leicht . Die vergangenen Wochen waren von den Eindrücken des Terroranschlags geprägt . Wir trauern sehr, und unsere Gedanken sind bei den Opfern, Verletzten und Hinterbliebenen . ({0}) Dazu zähle ich auch Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn, die allesamt mit den Eindrücken und dem Verlust umgehen müssen . Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist global, unberechenbar und trifft Bürgerinnen und Bürger, Besucher und somit uns alle, egal ob es Anschläge in Frankreich, Istanbul, Brüssel oder Berlin sind . Die Täter meinen unsere Lebensweise, unsere Werte, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat, auf den wir wirklich sehr stolz sein können . Die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates ist gerade jetzt gefordert, mehr als je zuvor . Wir müssen uns denjenigen entgegenstellen, die unseren Lebensstil mit Terror zerstören wollen und unsere von Werten getragene Gemeinschaft spalten wollen . Wir müssen uns aber auch denjenigen entgegenstellen, die aus Terror Profit schlagen wollen und in angeblicher Verteidigung des Abendlandes ebenfalls eine Abkehr vom Rechtsstaat und von unserer Demokratie in Kauf nehmen, wenn nicht sogar beabsichtigen . Meine Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen bei allen Diskussionen über Folgen von Terrorakten, über die Täter und über die Wehrhaftigkeit jedoch nicht die konkreten Opfer aus den Augen verlieren: unsere Mitbürger und diejenigen, die als Gäste mit Neugier und Erwartungen unser Land besucht haben und gestorben sind oder verletzt wurden . Bundestagspräsident Norbert Lammert hat dafür in der vergangenen Woche in diesem Hohen Hause die richtigen Worte gefunden . Selbstverständlich ist es unsere Pflicht, den Verletzten, den Hinterbliebenen und auch den traumatisierten Augenzeugen jegliche notwendige Hilfe zukommen zu lassen . Wir als staatliche Gemeinschaft werden dieser Verantwortung gerecht . Meine Damen und Herren, der heute eingebrachte Gesetzentwurf macht die Entschädigungen der Opfer zum Thema . Die Bundesregierung hat klargestellt, dass die verletzten Opfer, die Hinterbliebenen, auch die Hinterbliebenen des Lkw-Fahrers Lukasz Urban, nun die erforderlichen Leistungen je nach Fall erhalten . Sie erhalten Leistungen, zum Beispiel Schmerzensgeld aus dem Entschädigungsfonds über die Verkehrsopferhilfe . Hier werden die Ansprüche gegen den Kfz-Halter oder -Eigentümer nun dem Entschädigungsfonds gegenüber geltend gemacht . Sie erhalten Leistungen als Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten aus den Haushaltsmitteln des Bundestages, die vom Bundesamt für Justiz verwaltet werden, und - darum geht es heute vor allen Dingen - sie erhalten Leistungen nach dem Opferentschädigungsrecht im Wege des Härteausgleichs . Sie erhalten den gesamten Umfang des Leistungsspektrums, unter anderem einkommensunabhängige monatliche Grundrenten, einkommensabhängige monatliche Rentenleistungen zum Ausgleich wirtschaftlicher und beruflicher Nachteile und weitere Leistungen. Die Opfer und die Hinterbliebenen erhalten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, obwohl im Opferentschädigungsgesetz in § 1 Schäden aufgrund tätlicher Angriffe durch ein Kfz ausgeschlossen werden. Das OEG greift trotz Kfz-Ausschluss, da die Tat in ihrer GesamtKatja Keul heit betrachtet werden muss . Dazu gehören eben auch die Beschaffung des Lkws und der Mord am Fahrer. Hier beginnt ja bereits die Gewalttat, in deren weiterer Folge die vielen Opfer zu beklagen sind . Den Kfz-Ausschluss jetzt zurückzunehmen, macht in Kenntnis der Härtefallleistungen, die nach dem OEG möglich sind, momentan keinen Sinn . Wo etwas verbessert werden kann, werden wir es tun . Wo zu wenig finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden, werden wir diese aufstocken . Sie gaukeln - Entschuldigung - auch zu diesem ernsten Thema mit Ihrem doch sehr mageren Gesetzentwurf vor, es gebe einfache Lösungen . Darüber bin ich etwas enttäuscht; denn das wird der Würde der Menschen an dieser Stelle nun wirklich nicht gerecht . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Opferentschädigung ist ein sehr komplexes Feld; das steht doch ganz außer Frage . ({2}) Wer sich etwas ausführlicher mit Opferentschädigung befasst hat, weiß, wie schwierig diese Thematik ist . Es gibt sehr viele und sehr unterschiedliche Opfergruppen: Opfer von Gewalttaten, von Stalking, psychischer Gewalt, staatlich angeordneter medizinischer Straftaten in der DDR, aber auch traumatisierte Eltern von ermordeten Kindern und viele andere mehr . Fest steht, dass sich viele Menschen vom derzeitigen Opferentschädigungsrecht nicht hinreichend beachtet sehen . Wir haben dazu oft ausführliche Gespräche geführt, auch ich als Berichterstatterin für die CDU/CSU-Fraktion . Wir werden uns das soziale Entschädigungsrecht insgesamt ansehen müssen . ({3}) Dieser Prozess dauert länger als gedacht, aber es wird uns gelingen . Ziel muss es sein, den Opfern zu helfen . Diesen Anspruch lege ich auch an, wenn es um die Opfer von Terror in unserem Land geht . Es geht um schnelle, möglichst unbürokratische und ausreichende Hilfe . Es ist mir außerordentlich wichtig, eines noch zu erwähnen: Die Hilfe sollte aus einer Hand oder wie aus einer Hand sein . Wir können nur erahnen, in welchem Ausnahmezustand sich diese Menschen befinden. Wenn wir deren Situation etwas näher an uns heranlassen und uns konkrete Behördengänge oder den Versicherungsschriftverkehr vorstellen, wird unser Auftrag in diesem Hause sehr deutlich . Ich plädiere daher dafür, dass wir im aktuellen Fall das Hilfesystem wirken lassen . Ich bin der Überzeugung, dass die momentane Hilfe ausreichend ist und dass sie auch wirklich vollumfänglich den Entschädigungsgedanken widerspiegelt . Aber wir sollten auch das ist ja geschehen - mit Überbrückungsmechanismen und Aufstockungen Verbesserungen herbeiführen und dann alles in Ruhe analysieren . ({4}) In einem weiteren Schritt muss es eine umfassende Reform der Opferentschädigung geben . Ich sage ganz offen: Wenn sich bei der Analyse der aktuellen Fälle Handlungsbedarf herausstellen sollte, werden wir auch darüber reden . Gegebenenfalls muss dann das OEG um diese Sachverhalte erweitert werden oder an anderer Stelle eine Klärung erfolgen . Ich glaube, dass wir neben den Diskussionen über sicherheitspolitische Maßnahmen, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und die Anwendung bestehender Gesetze - es ist mir wichtig, das noch einmal zu erwähnen - auch darüber nachdenken sollten, wie wir den Opfern sehr unbürokratisch und sehr schnell die entsprechende Hilfe angedeihen lassen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sehen, dass Terroristen sich immer perfidere Methoden aneignen, um Terroranschläge zu begehen . Erst im letzten Jahr sind 80 Menschen im französischen Nizza ums Leben gekommen, weil ein Lkw in eine Menschenmenge steuerte . Am 19 . Dezember 2016 riss Anis Amri mit einem entführten Lkw 11 Menschen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz in den Tod und verletzte 50 Menschen zum Teil schwer . Übrigens hat es in den letzten Tagen einen ähnlichen Anschlag in Jerusalem gegeben . Dies zeigt - hier widerspreche ich der Kollegin Eckenbach ganz klar -, dass wir eine neue Entwicklung haben . Daher müssen unsere Gesetze auch entsprechend angepasst werden . ({0}) Wir geben den Grünen mit ihrem vorliegenden Gesetzentwurf recht . ({1}) Meine Damen und Herren, wir reden über eine Änderung des Opferentschädigungsgesetzes, das Geschädigte von Gewalttaten und Verbrechen in Deutschland finanziell entschädigen soll. Das Problem ist: Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, nämlich aus dem Kriegsopferentschädigungsgesetz der Weimarer Republik, kommt dieses Gesetz ausdrücklich nicht zum Tragen, wenn ein Schaden durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde . In diesem Fall - derzeit können Ersatzansprüche für Schäden durch Kraftfahrzeuge gegenüber einem Entschädigungsfonds geltend gemacht werden Jutta Eckenbach werden nur 7,5 Millionen Euro pro Ereignis gezahlt, unabhängig von der Zahl der Opfer . Man kann sich einmal durchrechnen, was das heißt . Zudem muss es den Menschen als unsäglich zynisch erscheinen, wenn sie Opfer von Anschlägen werden, die Terroristen und Amokläufer absichtlich mit einem Fahrzeug herbeigeführt haben, und entschädigungstechnisch zu Opfern von Verkehrsunfällen erklärt werden . Das geht gar nicht . ({2}) Der Gesetzentwurf ist deswegen richtig . Er wird, wenn wir ihn verabschieden würden, eine Schutzlücke schließen . Deswegen stimmt die Linke diesem Gesetzentwurf zu . ({3}) Meine Damen und Herren, im Falle des Anschlages auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz hat sich die Bundesregierung auf eine Härtefallregelung verständigt, allerdings - das muss man hier auch einmal sagen - erst, nachdem die Anwälte der Opfer mit einer Entschädigungsklage in dreistelliger Millionenhöhe gedroht haben . Erst danach hat man sich bewegt . Ich will aber hier, wie auch meine anderen Kollegen, deutlich sagen: Wir begrüßen es ausdrücklich, dass es hier zu einer Extra-Regelung gekommen ist . Doch Opferentschädigung ist nur die eine Seite, die materielle Seite . Wir wissen, dass der Schmerz für die Angehörigen, aber auch für die Verletzten mit Geld allein nicht aufgewogen werden kann . Deswegen muss auch an dieser Stelle gesagt werden: Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn es eine wirkliche Aufklärung gibt . Hier appelliere ich an das Haus . Zurzeit wird die Aufklärung eher blockiert . Der Anschlag war vor einem Monat . Die Aufklärungsarbeiten werden immer mehr in das geheime Parlamentarische Kontrollgremium verlegt . Es werden Sonderkommissionen und Sonderbeauftragte eingesetzt . Es muss aber auch für die Opfer die Aufklärung stattfinden. Es müssen Fragen beantwortet werden: Warum wurde nie versucht, Amri aufgrund seiner zahlreichen Straftaten zu inhaftieren? Ist die Hand über ihn gehalten worden? Haben Geheimdienste ihn laufen lassen? Ist er Lockvogel gewesen? Auch das wird zur Gerechtigkeit beitragen und gehört zu diesem Thema . ({4}) Wir sind fest davon überzeugt: Eine rückhaltlose Offenlegung von Fehlern macht es auch möglich, dass wir daraus lernen und möglicherweise weitere Anschläge verhindern . Ich danke Ihnen . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Waltraud Wolff das Wort. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fassungslos habe ich am 19 . Dezember auf die Bilder vom Breitscheidplatz geschaut . Fassungslos und geschockt bin ich eigentlich noch heute, wie wir alle . Aus kalter Berechnung wurden wahllos Menschen getötet, verletzt, mit dem alleinigen Ziel, tiefe Angst zu schüren und zu schaffen. Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass das nicht gelungen ist . Das haben die Berliner, das hat die Bevölkerung gezeigt . Das ist sehr, sehr gut . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Schmerz der Angehörigen und der Opfer kann ich nur erahnen . Ebenso kann ich nur erahnen, welche Folgen die Verletzungen und die traumatischen Erlebnisse für die Überlebenden in der Zukunft haben werden . Umso wichtiger ist es, den Opfern und Angehörigen unser Mitgefühl zu zeigen und sie zu unterstützen, wo wir nur können . Sie müssen nach dieser Tat weiterleben, und es ist unsere Aufgabe, ihnen so zu helfen, wie wir es können . Frau Jelpke, Sie haben hier vom gerichtlichen Einklagen von Entschädigungen gesprochen . Mir ist so etwas nicht bekannt . Das müssten Sie dann schon unterlegen . ({1}) Es geht hier, meine Damen und Herren, natürlich um körperliche und seelische Folgen, die die Menschen davongetragen haben - aber nicht nur . Oft brechen bei Opfern oder Angehörigen Einkommen weg . Es ist für mich überhaupt keine Frage, dass wir diese Menschen nicht alleinlassen . Das hat Andrea Nahles sofort nach dem Anschlag deutlich gemacht, und das war gut und richtig . ({2}) Direkt nach dem Anschlag hat das Land Berlin den Verletzten und den Angehörigen der Opfer seine Traumaambulanzen zur Verfügung gestellt . Das war ein ganz wichtiger Schritt . Letzte Woche, meine Damen und Herren, wurde nun die weitere Entschädigung vereinbart . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verletzten und Hinterbliebenen dieses Anschlages erhalten das ganze Spektrum der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz . Dafür wird der Härteausgleich genutzt . Die Hinterbliebenen und Verletzten erhalten Leistungen aus dem Entschädigungsfonds, der von der Verkehrsopferhilfe e . V . verwaltet wird, und sie erhalten auch Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten . Ich persönlich bin sehr froh, dass die Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie der Justiz und für Verbraucherschutz gemeinsam mit dem Land Berlin zügig eine ganz umfassende Lösung gefunden haben . Im konkreten Fall diskutieren wir natürlich, ob und wie so ein Anschlag hätte verhindert werden können . Aber die traurige Gewissheit ist: Wir können nicht alle Gewalttaten, wir können nicht alle Anschläge verhindern . Wir können auch nicht den Schmerz und die körperlichen und seelischen Folgen lindern . Aber wir können mit unserem Opferentschädigungsrecht helfen, die gesundheitlichen und auch die finanziellen Folgen einer Gewalttat zumindest zu schmälern . ({3}) - Ich komme noch darauf . Meine Damen und Herren, ich will keine Schelte verteilen; aber wenige Tage nach dem Anschlag wurde in den Medien die Frage, ob und welche Entschädigungen möglich sind, breit diskutiert . Viele haben auch berichtet, eine Entschädigung sei überhaupt nicht möglich . Was für eine Verunsicherung für die Opfer und die Hinterbliebenen! Meine Damen und Herren, richtig ist, dass zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, dass der Härteausgleich genutzt werden kann . Aber: Dass der Entschädigungsfonds der Verkehrsopferhilfe greift, war bereits am nächsten Tag klar . Ich will einfach die Frage in den Raum stellen: Wäre hier nicht mehr Sorgfalt angebracht gewesen? War es wirklich notwendig, Opfer zu verunsichern? ({4}) Es ist unser gemeinsames Anliegen, dass die Betroffenen alle notwendige Hilfe bekommen . ({5}) - Zu euch . ({6}) Sie bekommen - und das ist jetzt auch klar - alle Leistungen, die zur Verfügung stehen . Der Härteausgleich ist da ein richtig guter Weg . Die Grünen schlagen heute in ihrem Gesetzentwurf vor, ({7}) in der Zukunft einen anderen Weg zu gehen . Sie wollen die Ausnahme für Kraftfahrzeuge aus dem Opferentschädigungsgesetz streichen . Die Abgrenzung zwischen der Entschädigung über den Fonds der Verkehrsopferhilfe und der Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz würde dadurch schwieriger . Darüber hinaus befürchten Sie - so habe ich das interpretiert -, dass es Streit zwischen den Trägern über die Zuständigkeit geben könnte . Der Härteausgleich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dagegen bietet die Möglichkeit, unvorhergesehene Fälle abzudecken, und die Verwaltung ist ermächtigt festzulegen, dass das Opferentschädigungsrecht greift . Das hat nach dem Anschlag auch gut funktioniert . Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Anschlägen wird oft mehr über die Täter als über die Opfer geredet . Oft nimmt man die Toten mehr wahr als die Überlebenden . Umso wichtiger ist es, dass unser Opferentschädigungsrecht gut funktioniert . Die Teile, die wir zusammengefügt haben, funktionieren richtig gut . ({8}) Es ist ein wichtiges Zeichen unserer Gesellschaft an die Überlebenden: Wir nehmen euch wahr . Wir können euer Leid zwar nicht stillen, aber wir wollen helfen, wo wir können . Herzlichen Dank . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Dr . Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion .

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2016 ging in Deutschland mit einem schrecklichen Ereignis zu Ende . Es waren schwere Tage, in denen ich wie Millionen Menschen in Deutschland entsetzt, erschüttert und tief traurig war aufgrund der grausamen und letztlich unbegreiflichen Tat auf dem Breitscheidplatz in Berlin . Im Hinblick auf die Bedrohung durch Menschen, die sich voller Hass gegen unsere Gemeinschaft stellen und unser friedliches Zusammenleben gefährden oder zerstören wollen, ist ein vereintes Vorgehen notwendig . Gemeinsam haben wir die Kraft, uns für ein freies und offenes Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen, einzusetzen . Auch gut einen Monat nach dem Anschlag sind meine Gedanken weiterhin bei den zwölf Toten, den vielen Verletzten, ihren Familien, Angehörigen und Freunden . Angesichts der Katastrophe auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ist es unsere Pflicht, über eine angemessene Entschädigung zu diskutieren . Dies nicht zu tun, hieße, unserer politischen Verantwortung gegenüber denjenigen, die Trauer und Leid erfahren haben, nicht gerecht zu werden . Aus diesem Grund sage ich ganz deutlich: Für die Opfer von Gewalttaten, auch wie im Fall vom vergangenen Dezember, müssen wir uneinWaltraud Wolff ({0}) geschränkte Hilfe leisten und eine schnelle, direkte und unbürokratische Entschädigung sicherstellen . Ich bin erleichtert, dass dies im Anschluss an den Berliner Anschlag auf der Grundlage des geltenden Gesetzes durch die Anwendung des Härteausgleichs nach § 1 Absatz 12 Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit § 89 Bundesversorgungsgesetz aktuell schon geschieht . Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie die Berliner Senatsverwaltung und das Landesamt für Gesundheit und Soziales haben sich bereits auf eine Lösung zur Entschädigung der Opfer verständigt . Die Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags erhalten nach dieser Lösung Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz im Wege des Härteausgleichs, Leistungen aus dem Entschädigungsfonds, der von der Verkehrsopferhilfe verwaltet wird, und Leistungen als Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten, welche vom Bundesamt für Justiz verwaltet werden . Mir ist besonders wichtig, zu erwähnen, dass die Entschädigung aus dem Opferentschädigungsgesetz im Umfang des gesamten Leistungsspektrums erbracht werden soll . Ergebnis dessen ist, dass alle Opfer des Berliner Anschlags auf der Grundlage der heutigen Rechtslage wichtige Leistungen erhalten . Das sind wir den Menschen auch schuldig . ({1}) - An der Stelle wäre es schön, wenn Sie zuhören würden, anstatt dazwischenzureden; denn es ist wirklich ein ernsthaftes Thema . Dass wir hier reden, ist kein Selbstzweck, sondern wir debattieren hier, um Menschen helfen zu können . - Danke schön . ({2}) Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf soll die Ausnahme von der Anwendbarkeit des Opferentschädigungsgesetzes bei Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von einem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht werden, aufgehoben werden . Die rechtssichere Versorgung und Entschädigung aller Opfer soll sichergestellt werden - sicherlich ein hehrer Vorsatz . Aber wir müssen uns die Frage stellen, ob eine Änderung der gesetzlichen Regelungen tatsächlich angebracht ist, und dies mit äußerster Vorsicht angehen; meine Vorrednerin hat das eingehend dargelegt . Inhaltlich teile ich den Anspruch, der diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt, aus tiefstem Herzen . Als Gesetzgeber müssen wir allerdings auch sorgfältig prüfen, ob die Sachlage tatsächlich nach einer Gesetzesänderung ruft . Aktionistische Schnellschüsse sollten bei einer so wichtigen Angelegenheit unbedingt vermieden werden . ({3}) Ich möchte zudem anmerken, dass der von den Grünen eingebrachte Gesetzentwurf aus meiner Sicht den Opfern nicht ganz gerecht wird und einer Überarbeitung bedarf . Insgesamt begrüße ich die Debatte aber und stelle zufrieden fest, dass auch die Grünen einer hilfreichen Lösung aufgeschlossen gegenüberstehen . Ich bin überzeugt, dass wir als staatliche Gemeinschaft eine gesteigerte Verantwortung gegenüber denen tragen, die Opfer eines Terroranschlags geworden sind . Daher ermuntere ich alle Parteien, bei der weiteren Diskussion nicht gegeneinander, sondern miteinander zu agieren, um die bestmögliche Entschädigung aller Opfer sicherzustellen . Ich hoffe auf eine sachliche Debatte in der weiterführenden parlamentarischen Behandlung ({4}) mit dem Ziel einer optimalen Hilfe für alle Opfer, ihre Angehörigen und Anverwandten . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner für die heutige Debatte ist der Kollege Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist dieser Tagesordnungspunkt heute, nach einer spannenden Sitzungswoche, als letzter Tagesordnungspunkt fast an die falsche Stelle gesetzt; denn die Entschädigung der Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz, die Würdigung der Leistungen für die Menschen, die dort schweres Leid erlitten haben, hätten einen prominenteren Platz verdient . ({0}) Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, würden uns - das sind vielleicht Vorurteile unserer Nachbarn - gerne von Szenarien treiben lassen, so sagt man, Ungewissheit in Bahnen zu lenken, fast so, als ob wir dem Schicksal ein Schnippchen schlagen wollten . Wohl gerade deshalb hat uns der Anschlag am Breitscheidplatz ganz besonders - ich sage: ins Mark - getroffen. Nein, nicht weil ein Teil der Opferentschädigung im Pflichtversicherungsgesetz geregelt ist - vielmehr, weil uns allen auf einmal bewusst wurde, dass Terror, dass Tod, Entsetzen, Hilflosigkeit eben nicht durch Gesetze und Vorschriften, sondern nur durch unsere Solidarität, unsere Empathie, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuwendung gemildert werden können . ({1}) Ich jedenfalls glaube - ich habe dies in meinem Freundeskreis so erfahren -: An erster Stelle steht die Sorge um die Unversehrtheit derjenigen, die wir lieben, die wir kennen, die uns nahe sind . Dann ist es das Entsetzen über den Tod, den Verlust, der Schmerz darüber, Kind, Frau, Mann, Partnerin, Partner, Tante, Onkel, Nachbarn verloren zu haben - unwiederbringlich, endgültig, für immer . Und in dieser Situation denkt niemand an Entschädigung, Haftungssummen oder Abwicklung . In diesen Stunden braucht man jemanden, der auffängt, Halt gibt, tröstet. Dass die Berlinerinnen und Berliner, dass die Menschen dieses Landes dies taten, war großartig, und dafür mein persönlicher herzlicher Dank . ({2}) Doch es folgt die Zeit danach . Ich bin den Grünen ausdrücklich dankbar dafür, die Frage der Opferentschädigung auch hier im Hohen Hause des Deutschen Bundestages zu stellen, gerade weil in der Sensationspresse sofort spekuliert wurde, Opfer und Angehörige gingen leer aus, das Opferentschädigungsgesetz greife nicht, weil das Attentat unter anderem mit einem Kraftfahrzeug begangen wurde . Mittlerweile sind wir alle schlauer . Unsere Minister Heiko Maas und Andrea Nahles brachten Licht ins Dunkel; denn bereits nach geltendem Recht erhalten Verletzte und Hinterbliebene des Anschlags Entschädigungsleistungen, und zwar auch ohne Gesetzesänderungen . Es stimmt zwar, dass das Opferentschädigungsgesetz laut § 1 Absatz 11 Taten mit einem Kfz ausschließt; da das Attentat jedoch als Gesamtgeschehen zu betrachten ist, das mit dem tödlichen Schuss auf den Lkw-Fahrer beginnt, liegt ein weiterer Teilakt vor, den der Täter, der sich das Fahrzeug mit dem Ziel beschafft hat, es als Tatwaffe zu missbrauchen, begangen hat, sodass auch die Opfer am Breitscheidplatz unter das Gesetz fallen . Dies hört sich fürchterlich juristisch an, ist aber nun einmal Realität . Dazu kommen noch die Leistungen aus dem besagten Kfz-Entschädigungsfonds der Versicherer sowie Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten . Das klingt vielleicht hölzern, das klingt vielleicht zu juristisch, das gibt uns aber ganz konkrete Mittel an die Hand, mit der Situation umzugehen und das zu tun, wofür wir da sind: zu helfen - den Opfern, den Angehörigen, den traumatisierten Menschen und sogar den auf den ersten Blick unverletzten Besuchern des Weihnachtsmarkts am 19 . Dezember 2016 . Den allen ist es vermutlich egal, welcher rechtliche Rahmen hilft; Hauptsache, er hilft . ({3}) Ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen, es ist sogar zweitrangig, wie viel Geld fließt; Hauptsache, es fließt schnell und unkompliziert. Ich sage das, weil ich als Berichterstatter im Verteidigungsausschuss oft mit traumatisierten Soldatinnen und Soldaten zu tun habe und weiß, dass manche der von Posttraumatischen Belastungsstörungen Betroffenen nicht die finanzielle Entschädigung wollen, nicht die schnelle Hilfe, sondern sofort das offene Ohr, Verständnis und Rechtssicherheit. Wir brauchen unkomplizierte Verfahren, Behörden, die mit dem richtigen Fingerspitzengefühl handeln, die finanziellen Mittel, aber auch die Unterstützung aus der Gesellschaft heraus . Ich nenne beispielsweise den Weißen Ring, in dem sich viele Bürgerinnen und Bürger engagieren . Diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft brauchen wir nach solchen Anschlägen in Deutschland, den brauchen wir zur Abwicklung, zur Milderung der Folgen und zur Opferentschädigung, und zwar über den Tag hinaus; denn Solidarität wiegt mehr als jede abgeschlossene Versicherung, mehr als jedes Opferentschädigungsgesetz . Sie kann nämlich die Gräben zuschütten, die Ungewissheiten beseitigen und die Ängste besiegen . Nur sie kann dem Terror mutig ins Angesicht blicken und Bollwerk sein für unser Leben, so wie wir es leben, in Freiheit . ({4}) Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes Wochenende und eine gute sitzungsfreie Woche . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/10965 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall . Dann ist so beschlossen . Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15 . Februar 2017, 13 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .