Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung .
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte
ich nachträglich einigen Kolleginnen und Kollegen zu ihren Geburtstagen gratulieren . Der Kollege Rainer Hajek
hat gestern seinen 72 . Geburtstag gefeiert . Außerdem
haben seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin Jutta
Eckenbach und der Kollege Siegmund Ehrmann ihren
65 . und die Kollegin Barbara Woltmann ihren 60 . Geburtstag begangen .
({0})
Alle guten Wünsche des ganzen Hauses für das neue Lebensjahr!
Wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen .
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für die
Kollegin Katharina Dröge den Kollegen Matthias Gas
tel als Schriftführer zu wählen . Können Sie sich das
vorstellen?
({1})
- Aha, der Kollege weiß das offenbar noch gar nicht . Er
ist aber von der überwältigenden Zustimmung quer durch
das ganze Haus beeindruckt, hingerissen und offenkundig hinreichend überzeugt . Ich bedanke mich . Damit ist
der Kollege Gastel als neuer Schriftführer gewählt .
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver
fahren
({2})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn ({3}), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klare CO2Reduktionen im Flugverkehr
schaffen
Drucksache 18/9801
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungs
verordnung und zwei Durchführungsbe
schlüsse der Europäischen Kommission
über das Inverkehrbringen von Saatgut
zum Anbau der gentechnisch veränderten
Maislinien MON 810, 1507 und Bt11
({5})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränder
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/10976
ZP 3 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der So
zialkassenverfahren im Baugewerbe ({6})
Drucksache 18/10631
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({7})
Drucksache 18/11001
ZP 4 Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspart
nerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008
zwischen den CARIFORUMStaaten einer
seits und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
Drucksache 18/8297
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({8})
Drucksache 18/10950
ZP 5 Eidesleistung der Bundesministerin für Wirt
schaft und Energie
Dem einen oder anderen wird aufgefallen sein, dass
in diesem Zusammenhang morgen auch eine Vereidigung
stattfindet. Ich mache darauf aufmerksam, auch was die
Veränderungen dann im Ablauf der Tagesordnung be-
trifft .
Wie immer soll von der Frist für den Beginn der Bera-
tungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Die Tagesordnungspunkte 6 und 7 tauschen unter Bei-
behaltung der vorgesehenen Debattenzeiten ihre Plätze .
Der Tagesordnungspunkt 10 - hier geht es um eine Be-
schlussempfehlung zum Thema „gentechnisch veränderte
Maislinien“ - soll abgesetzt werden, stattdessen der Antrag
auf Drucksache 18/10976 bei unveränderter Debattenzeit
aufgerufen werden . Da geht es um das gleiche Thema .
Der Tagesordnungspunkt 13 wird abgesetzt . Die nach-
folgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktio-
nen rücken entsprechend vor .
Der Tagesordnungspunkt 17 - da geht es um den
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsaner-
kennungsrichtlinie - soll abgesetzt und stattdessen der
Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen-
verfahren im Baugewerbe auf den Drucksachen 18/10631
und 18/11001 mit einer Debattenzeit von 25 Minuten ab-
schließend beraten werden .
Schließlich soll der Tagesordnungspunkt 21 - hier
geht es um die Änderung des Sprengstoffgesetzes - nun-
mehr ohne Debatte zusammen mit dem Tagesordnungs-
punkt 34 aufgerufen werden .
Offenkundig gibt es dagegen keine Einwände . Dann
ist das so beschlossen, und wir verfahren so .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Wirtschaft und Energie
Für inklusives Wachstum in Deutschland und
Europa
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bundesre
gierung
Drucksache 18/10990
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresgutachten 2016/2017 des Sachverstän
digenrates zur Begutachtung der gesamtwirt
schaftlichen Entwicklung
Drucksache 18/10230
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer,
Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jahreswohlstandsbericht einführen
Drucksachen 18/7368, 18/7599
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen . - Auch das ist offensichtlich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren .
Bevor ich jetzt dem Bundeswirtschaftsminister das
Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung gebe, möchte ich Ihnen, Herr Minister, ganz persönlich, sicher aber
auch im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen unseren Respekt für die Entscheidung zum Ausdruck bringen,
die Sie getroffen haben .
({12})
Das kann Ihnen nicht ganz leichtgefallen sein . Weil diese
Entscheidung erwartungsgemäß auch einige Kritik und
Präsident Dr. Norbert Lammert
manche Häme nach sich gezogen hat, will ich Ihnen ausdrücklich zu der Souveränität gratulieren, mit der Sie sie
getroffen haben .
({13})
Sie haben das Wort .
({14})
Sehr geehrter Herr Präsident, ich gebe zu, dass mich
das eben berührt hat . Auf der anderen Seite sage ich Ihnen: Manchmal ist man irritiert, wie viele Leute klatschen, wenn man zurücktritt .
({0})
Auch eine gewisse Erlösung ist zu spüren - auf beiden
Seiten .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das ist in der Tat nicht meine letzte Rede hier,
aber meine letzte Rede im Amt des Bundeswirtschaftsministers vor dem Deutschen Bundestag . Ich will deswegen die Gelegenheit nutzen, Ihnen hier zu danken . Sie
waren intensiv und auch streitbar mit mir hier unterwegs .
Von Ihrer Seite, aber auch - das gebe ich zu - von meiner
Seite gab es viel Lust an Debatten .
Ich glaube, wir haben hier gezeigt, wie eine ordentliche parlamentarische Debattenkultur aussehen kann und das, obwohl die Mehrheit der Großen Koalition im
Hause doch relativ groß ist. Trotzdem finde ich, haben
wir der Opposition, vor allen Dingen der Linkspartei,
mal gezeigt, dass es inhaltlich gut ist, aber auch Spaß
machen kann, wie wir hier unterwegs sind .
({2})
Ich finde, auch bei schwierigen Debatten muss der Humor nicht völlig verloren gehen . Im zukünftigen Amt
darf ich nicht mehr so humorvoll sein, hat mir Herr
Steinmeier gesagt;
({3})
da muss ich diplomatischer werden . Dann müssen wir
uns einfach außerhalb des Hauses treffen .
({4})
- Herr Kauder, das war jetzt gar nicht als politische Drohung gemeint .
Ich habe das gerne gemacht und will das auch gerne
so fortsetzen. Ich finde zwar, die parlamentarische Debattenkultur wird weniger, als wir es uns wünschen, im
Fernsehen gezeigt und in der Öffentlichkeit wahrgenommen . Aber im Kern ist es das, was Demokratie ausmacht .
Nur in Rede und Gegenrede schärfen sich das Argument
und auch die Fähigkeit, das, was man will und ausdrücken will, besser und plausibler zu erklären .
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben im Deutschen
Bundestag und, wie ich glaube, auch in der Bundesregierung wirklich gute Weichenstellungen vorgenommen für
Wachstum, für Innovation, für Teilhabe und nicht zuletzt
dafür, dass die Energiewende nicht nur eine ökologische, sondern endlich auch eine ökonomische Erfolgsgeschichte wird .
Anlass unserer heutigen Debatte ist der Jahreswirtschaftsbericht . Dreimal habe ich Ihnen diesen Bericht
vorgelegt, und ich bin dankbar dafür, dass ich das Glück
hatte, in den vergangenen drei Jahren jedes Mal gute
Nachrichten vermelden zu dürfen, und dass ich das auch
heute wieder tun kann: über 43 Millionen Beschäftigte so viel wie noch nie -, eine Steigerung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und eine Abnahme
der prekären Beschäftigung, steigende Reallöhne, die
niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung
und im letzten Jahr die höchste Rentenerhöhung seit
20 Jahren .
Ich kenne ein paar meiner Vorgänger, die hätten deshalb jetzt eine flammende Rede darüber gehalten, ein
Feuerwerk abgeschossen, wie gut sie das alles hingekriegt haben . Wir alle miteinander wissen ja: Die Bundesregierung und, wie ich glaube, auch die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik mit dem Kollegen
Schäuble, aber auch mit allen anderen Kolleginnen und
Kollegen haben dazu beigetragen, diesen ökonomischen
Pfad zu erreichen . Aber im Kern ist das der Erfolg vieler,
vieler Millionen Menschen, die ziemlich hart arbeiten
in unserem Land, gute Ausbildungen haben, also kluger
Unternehmerinnen und Unternehmer, Forscher, Ingenieure, Techniker, Facharbeiter, Verkäuferinnen, all derer,
die das mit erarbeiten . Die sind sozusagen die Ursache
für diese gute wirtschaftliche Entwicklung . Und das ist
unser gemeinsamer Erfolg .
({6})
Ich gebe zu: Ein bisschen fällt es mir schwer, darüber
so zu jubilieren, wie das ja in Wahljahren bei solch einer wirklich durchaus exzellenten Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung normalerweise der Fall ist . Das aus
zwei Gründen:
Erstens, weil das - ich glaube, das ist das Wichtigste,
was uns klar sein muss - nicht zwangsläufig so bleibt,
Präsident Dr. Norbert Lammert
wir nicht einfach davon ausgehen können, dass sich das
fortsetzt . Die Unternehmerinnen und Unternehmer, mit
denen man spricht, sagen immer: Na ja, wenn wir den
Eindruck haben, alles läuft sowieso gut, dann beginnt die
Krise, weil man sich dann nicht richtig auf das einstellt,
was zu verändern ist, damit es uns in zehn Jahren noch
so gut geht .
Das Zweite ist natürlich auch: Wir wissen ganz genau,
dass nicht alle Menschen in Deutschland davon profitieren - Gott sei Dank endlich mehr, aber bei weitem nicht
alle .
Ich sage auch, dass ich natürlich Sorge habe mit Blick
auf das, was auf uns zukommt . Wir scheinen ja in einer
Lage zu sein, in der die Welt neu vermessen wird, unter
anderem auch deswegen, weil autoritäre Antworten auf
dem Vormarsch und die liberalen und sozialen Demokratien auf dem Rückmarsch sind . Die Europafeindlichkeit
hat ein gefährliches Ausmaß angenommen, soziale Verwerfungen in dem einen Teil der Europäischen Union,
Hochmut und nationale Stimmungsmache in dem anderen Teil sind eine riesige Gefahr auch für die wirtschaftliche Entwicklung - nicht nur, aber auch .
Die französischen Präsidentschaftswahlen in diesem
Frühjahr sind bittere Schicksalswahlen für Europa . Wenn
es den Europafeinden nach dem Brexit im letzten Jahr
ein weiteres Mal gelingt - etwa in den Niederlanden oder
in Frankreich -, Erfolge zu verzeichnen, dann droht uns
wirklich das Auseinanderfallen des sozusagen größten
Zivilisationsprojekts des 20 . Jahrhunderts, nämlich der
Europäischen Union . Das europaorientierte, das auf internationale Kooperation setzende Deutschland wäre isoliert und einsam, und nach Großbritannien und den USA
würden uns weitere Partner verloren gehen . Man kann
die Lage gar nicht dramatisch genug empfinden.
Unter dem antieuropäischen, dem nationalegoistischen Mantel ist die Demokratiefeindlichkeit zurückgekehrt, offene Feindschaft gegen Freiheit und gleiche
Bürgerrechte . Der Rechtsstaat wird angegriffen - nicht
nur international und an den Rändern, sondern auch
im Herzen Europas . Sogar in einer so wohlhabenden
und wirtschaftlich so aussichtsreichen Gesellschaft wie
Deutschland sind hasserfüllte Töne und, wie wir seit einigen Tagen wissen, auch der Ruf nach Geschichtsrevisionismus erneut möglich .
Bürgermeister treten zurück, weil sie ihre Familie vor
dem Hass schützen wollen . Wir merken, unser Land ist
nicht immun . Trotzdem - ich will das nicht kleinreden finde ich, dass man an einem solchen Tag auch sagen
kann: Unser Job ist es, sich an die 80, 85 Prozent der
Menschen in unserem Land zu wenden, die jeden Tag
arbeiten gehen, die abends ihren Kindern am Bett eine
Geschichte vorlesen, die am nächsten Tag Übungsleiter
im Sportverein sind, die zur Feuerwehr gehen, die sich
in Flüchtlingsinitiativen engagieren . Das sind die 85,
90 Prozent in unserem Land, die es so geschafft haben .
Sie repräsentieren Deutschland und nicht die 15 Prozent
Schreihälse in unserem Land .
({7})
Es geht um das Zusammenleben in unserem Land . Ich
finde übrigens, dass wir beim jetzt anlaufenden Wahlkampf für die Bundestagswahl auch dahin gehend ein
Zeichen setzen müssen . Wir sind hier politische Wettbewerber; aber wir sind keine politischen Feinde . Dennoch
kommen welche, die sich uns zum Feind gemacht haben .
({8})
Dass man im Wahlkampf in der Sache hart und klar vorgeht, ist natürlich richtig; Wahlkampf ist keine Klosterschule . Wahlkampf darf aber auch nicht im Ansatz so
persönlich, diffamierend und mit Lügen behaftet sein,
wie es in den Vereinigten Staaten der Fall gewesen ist .
Anstand und Respekt kann man sich im Wahlkampf auch
zollen, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist .
({9})
Ich finde, auch das gehört dazu.
Diese Unsicherheiten sind der Grund, warum ich den
Jahreswirtschaftsbericht unter das Leitmotiv der Teilhabe und der Idee der sozialen Marktwirtschaft gesetzt
habe; denn trotz der unbestreitbar guten Zahlen müssen
wir anerkennen, dass sich in unserem Land viele Menschen Sorgen machen: Sorgen um ihre Sicherheit, aber
natürlich auch um ihre persönliche, um ihre wirtschaftliche, um ihre soziale Zukunft . So beeindruckend die Zahlen hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit und
der Steigerung der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auch sind, gibt es natürlich auch andere Zahlen, die in diesen Zusammenhang
gehören: 7,5 Millionen Menschen verdienen weniger als
10 Euro . Das sind 1 600 Euro Bruttoverdienst .
Ich bin so eine Art Beute-Ossi . Ich war letztens in der
Verwandtschaft meiner Frau in Ostdeutschland unterwegs . Bei einer Familienfeier saß mir jemand gegenüber,
der im Schichtdienst in einem Aluminiumpresswerk arbeitet. Er bekommt 1 300 Euro netto. Ich finde, das ist ein
unanständiger Lohn .
({10})
18 Prozent der Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor .
({11})
- Nein, deswegen komme ich im Laufe meiner Rede
noch darauf zu sprechen, was wir gemacht haben, um das
zu bessern . Aber Sie müssen bis dahin warten .
({12})
Es gibt auch noch andere Entwicklungen, die einem
Sorge machen müssen, zum Beispiel, dass selbst Menschen mit Normaleinkommen in Großstädten Mieten
nicht mehr bezahlen können oder dass es - überlegen Sie
sich das einmal! - in 20 Prozent der Gemeinden in den
ländlichen Räumen Deutschlands weder eine Bushaltestelle noch eine Grundschule noch einen Arzt noch einen
Apotheker noch einen Supermarkt gibt .
Die Menschen fühlen sich zum Teil aus dem Blick der
Politik gefallen, und deswegen kommt es auch darauf an,
dass wir in dieser Zeit Verbindlichkeit und Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder fördern . Die OECD nennt
das „inklusives Wachstum“ . Ludwig Erhard hat es sich
vor 60 Jahren einfacher gemacht, indem er es ziemlich
klar in den Auftrag übersetzt hat: „Wohlstand für Alle“ .
Aber wir sind davon ein gutes Stück entfernt .
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legislaturperiode eine Menge auf den Weg gebracht, um diese
Entwicklung zurückzudrängen, und damit ist nicht nur
das Gesetz über den Mindestlohn gemeint . Der Mindestlohn ist ein schlechter Lohn . Eigentlich ist es schlimm,
dass wir dieses Gesetz brauchen . Wir haben auch in der
Bundesregierung dafür gesorgt, dass Tarifverträge mehr
Gewicht bekommen . Wir haben das Tarifeinheitsgesetz
auf den Weg gebracht . Wir haben jetzt im Zusammenhang mit der betrieblichen Altersversorgung den tariflichen Verabredungen wieder Vorteile verschafft . Wir haben dafür gesorgt, dass wir in Deutschland im Bereich
der Reallohnentwicklung vorankommen, und zwar auch
dadurch, dass wir Belastungen nicht gesteigert und sogar
zurückgenommen haben .
Wir haben des Weiteren ungeheuer in Bildung, in Kindertagesstätten, in Ganztagsschulen und in vieles andere
mehr investiert . Übrigens: Wir haben gerade den kleinen
Gemeinden geholfen, indem wir in dieser Legislaturperiode die Kommunen in Deutschland um insgesamt fast
80 Milliarden Euro entlastet haben . Nie in der Geschichte
der Republik gab es eine so kommunalfreundliche Politik wie in dieser Legislaturperiode, meine Damen und
Herren .
({13})
Wir haben den Abschluss von Werksverträgen erschwert sowie Leih- und Zeitarbeit eingeschränkt . Zugegebenermaßen geschah das nicht so, wie wir es als Sozialdemokraten eigentlich wollten; aber immerhin ist es
gelungen, das Ganze zurückzudrängen .
Wir haben eine Menge gemacht, um Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen . Ich wiederhole: Wir sind nicht weit genug, aber wir sind ein
gutes Stück vorangekommen . Dass mittlerweile auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos oder in der OECD über
inklusives Wachstum geredet wird und gesagt wird: „Ungleichheit ist schlecht für die Wirtschaft“, ist ein Paradigmenwechsel; denn noch vor ein paar Jahren ist das
Höchstmaß an Ungleichheit als einziger Leistungsantrieb
formuliert worden. Ich finde, wir sind wieder auf einem
besseren Weg . Wir sind noch nicht am Ende angekommen, aber es ist gut, dass es wieder in die Richtung geht,
Wohlstand für alle zu organisieren .
({14})
Auch in diesem Jahr wird es noch einmal einen Beschäftigungsaufbau um 320 000 Erwerbstätige geben .
Insgesamt stehen heute 1 Million Menschen mehr in
Lohn und Brot als beim Amtsantritt dieser Regierung 1 Million Menschen mehr haben Arbeit! Ich erinnere daran, dass wir 2005 auf dem Weg zu weit über 5 Millionen
Arbeitslosen waren . Daran sieht man, was wir hinter uns
gebracht haben - Vorgängerregierungen,
({15})
aber auch diese Regierung . - Michael, ich habe deinen
Zwischenruf freundlicherweise überhört; glaube nicht,
mir würde nichts dazu einfallen .
({16})
Das bedeutet auch: Die Arbeitslosigkeit lag im vergangenen Jahr mit 6,1 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit
der Wiedervereinigung .
Übrigens: Von der Einführung des Mindestlohns haben rund 4 Millionen Erwerbstätige profitiert. Gerade
viele Geringverdiener konnten aus prekären Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechseln.
Auch 2017 werden die Einkommen der privaten
Haushalte auf breiter Basis wieder deutlich wachsen .
Die verfügbaren Einkommen sind 2016 um knapp 3 Prozent gestiegen und werden auch 2017 in dem Rahmen
steigen . Wir haben einmal geschaut, wie viel mehr der
durchschnittliche Arbeitnehmer heute im Vergleich zum
Beginn der Legislaturperiode eigentlich jährlich in der
Tasche hat . Es sind zwischen 1 000 und 2 000 Euro . Ich
finde, auch das ist ein guter Maßstab dafür, dass wir eine
vernünftige und gute Politik gemacht haben .
({17})
Natürlich hat das auch Rückwirkungen, die gut für die
Konjunktur sind; denn Reallohnsteigerungen führen
dazu, dass die Binnennachfrage zunimmt . Die kräftige
Stärkung der Binnennachfrage macht Deutschland zum
Stabilitätsanker in einem sehr schwierigen Umfeld . Wir
sind stabil, aber wir geben auch unseren Nachbarn viel
Stabilität .
Meine Damen und Herren, Deutschland hat in dieser
Legislaturperiode wirtschaftlich wirklich gute Jahre erlebt . Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, gerade
angesichts der Herausforderungen des demografischen
Wandels und der Digitalisierung . Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir diesen Wohlstand in zehn Jahren auf
neue, zukunftsfeste Grundlagen stellen können .
Sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten, kann mit einem Begriff umschrieben werden: Investitionen . Deshalb hat diese Regierung die öffentlichen
Investitionen massiv ausgeweitet . Die Investitionen des
Bundes sind mit 36,1 Milliarden Euro stärker gestiegen
als jeder andere Ausgabenbereich des Bundeshaushaltes,
nämlich um weit mehr als ein Drittel . Es geht um neue
Straßen, Schienen, Verkehrswege, gelegentlich auch um
Flughäfen, digitale Infrastruktur und anderes mehr, Investitionen in Bildung, in Hochschulen .
Ich glaube, der Grund, warum Deutschland seit
200 Jahren als Industriegesellschaft so erfolgreich war,
ist - abgesehen davon, dass wir gute Leute haben, dass
wir pfiffige Unternehmer haben -, dass wir die beste Infrastruktur der Welt hatten . Da besteht heute Nachholbedarf . 34 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsstau an
deutschen Schulen, über 100 Milliarden Euro insgesamt,
sagt die KfW . Deswegen ist es richtig, dass wir den Investitionsanteil deutlich hochgefahren haben und auch
dafür gesorgt haben, dass die Kommunen wieder investieren können . Denn solche Investitionen sind es, die unser Land zukunftsfähig und innovationsfreudig machen .
Ich freue mich über den wirtschaftlichen Erfolg und
über die finanziellen Reserven, die dieser dem Bundeshaushalt und übrigens auch den Länderhaushalten bringt .
Übrigens sind die Beschlüsse, die wir jetzt fassen, nicht
nur die kommunalfreundlichsten, sondern auch die länderfreundlichsten seit 1948 .
({18})
- Ich habe ja, glaube ich, deutlich gemacht, dass ich das,
was wir da gemacht haben, für herausragend halte .
({19})
Aber die Länder sind eben auch diejenigen, die Polizisten
einstellen müssen, die Lehrerinnen und Lehrer einstellen müssen . Das ist natürlich erst einmal Voraussetzung;
denn nur dann werden wir mehr Sicherheit, mehr Bildung und anderes schaffen .
({20})
Ich bin aber unzufrieden über das, was hinsichtlich
der Verwendung solcher Überschüsse diskutiert wird;
das gebe ich zu . Wir haben darüber, wie Sie wissen, eine
Diskussion in der Bundesregierung . Ein Teil sagt: Lasst
uns die 6 Milliarden Euro nehmen und die Schulden oder
die Steuern senken . - Wir glauben, dass wir investieren
müssen .
({21})
Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf will ich sagen:
Meine Sorge ist, dass wir die Dinge zu alternativ sehen .
Es wird natürlich auch Entlastungen geben müssen, aber
nicht mit der Gießkanne und nicht für Millionäre,
({22})
aber für Familien und Alleinerziehende . Manchmal ist es
wichtiger, die Sozialabgaben zu senken, weil dann auch
Menschen mit sehr kleinen Einkommen etwas davon haben, die von den Steuerentlastungen nichts haben .
({23})
Wenn aber riesige Steuersenkungspakete - das sage
ich auch der anderen Seite des politischen Spektrums
in meiner Partei -, riesige konsumtive Sozialausgaben
versprochen werden, passiert doch nur eins: Beide muss
man nach der Wahl einsammeln . Und gebrochene Wahlversprechen sind kleine Verbrechen an der Demokratie .
Lassen Sie uns auch da - das ist mein Rat - Maß und Mitte behalten, aufpassen, dass man das Richtige tut . Man
sollte nicht glauben, Wähler könne man kaufen . Wahlerfolg erreichen wir nicht dadurch, dass wir gigantische
Versprechen machen, sondern dadurch, dass wir das, was
wir versprechen, hinterher auch einhalten können .
({24})
Meine Damen und Herren, wenn der Bund wie im
Jahr 2016 mit seinen Anleihen 1,2 Milliarden Euro Gewinn macht, weil die Schuldner Negativzinsen bezahlen, dann macht Schuldentilgung ökonomisch nur wenig
Sinn . Es macht allerdings auch keinen Sinn, den Sanierungsstau an Schulen von 34 Milliarden Euro auf 68 Milliarden Euro anwachsen zu lassen, um dann möglicherweise höhere Steuern erheben zu müssen .
({25})
Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden Investitionen Vorfahrt gewähren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Wirtschaft lebt jedoch nicht allein auf der Insel der Glückseligen . Keine andere Volkswirtschaft ist so eng mit der
Welt, besonders mit den europäischen Nachbarn, verbunden . Die Weltwirtschaft wird im nächsten Jahr wachsen,
aber die Unsicherheiten bleiben hoch . Ganz interessant
ist übrigens: Die Weltwirtschaft wächst, der Handel
nicht . - Das sind Hinweise auf Entwicklungen, die jedenfalls für Deutschland und Europa nicht gut sind . Die
deutschen Exporte werden eher moderat zunehmen, die
Importe dagegen werden der großen Binnennachfrage
wegen in diesem Jahr spürbar ansteigen . Der Leistungsbilanzüberschuss geht deshalb leicht zurück . Das wird
die Europäische Kommission freuen .
All das zeigt aber: Deutschland muss seine Bemühungen fortsetzen, die Binnendynamik bei Investitionen übrigens auch bei der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit - voranzubringen . Nur innovative Entwicklungen
in unserem Land sichern uns in diesem Umfeld wirtschaftlichen Erfolg . Ich erinnere mich: Ende letzten Jahres hat Kollege Riesenhuber - er sitzt ja hier im Plenum zum Schluss der Haushaltsdebatte eine glänzende Rede
zu diesem Thema gehalten . Vielleicht nehmen wir sie
mit in die Wahlkämpfe, Herr Kollege Riesenhuber, weil
sie zeigt, an welcher Stelle die Grundlagen für unseren
Wohlstand gelegt werden .
({26})
- Man merkt: Wenigstens ein paar haben zugehört, Herr
Riesenhuber .
Für uns ist klar: Der weltweit spürbare Hang zum
Protektionismus ist der gefährlichste Weg . Abschottung
macht alle ärmer . Das Kommando „Schotten dicht!“ ist
ja das Kommando eines Kapitäns auf einem sinkenden
Schiff . Ich bin Segler und kenne die Kommandos, die
man da setzen soll . Dieses Kommando ist jedenfalls keines, was Zuversicht verbreitet, sondern dieses muss man
auf einem Schiff machen, wenn es schon fast gesunken
ist . Deswegen: Das, was da aus Amerika kommt und was
wir auch aus anderen Ländern der Welt hören, ist sehr,
sehr gefährlich für die Weltwirtschaft und auch für uns .
({27})
Allerdings muss man nicht verzweifeln, vor allem nicht
ängstlich und unterwürfig sein; denn zurzeit gehen knapp
10 Prozent der deutschen Exporte in die USA, aber
60 Prozent gehen nach Europa .
Vor diesem Hintergrund ist es richtig gewesen, dem
europäisch-kanadischen Abkommen zuzustimmen . Ich
stelle mir vor: In einer Zeit, in der Donald Trump regiert,
indem er sozusagen Protektionismus verkündet, TPP
kündigt, hätte ausgerechnet ein aus Deutschland oder
aus Europa kommender Impuls, das CETA-Abkommen
scheitern zu lassen, Erfolg gehabt . Die Welt würde sich
jetzt über uns totlachen angesichts unserer Kritik an den
Vereinigten Staaten . Wir müssen fairen und freien Handel vorantreiben . Es darf nicht sein, dass wir sozusagen
in das gleiche Horn blasen, vielleicht aus anderen Gründen . Solche Handelsbeziehungen sind die Voraussetzung
für das wirtschaftliche und soziale Überleben unseres
Landes,
({28})
und Kanada ist ein europäischeres Land als manche Mitgliedstaaten der Europäischen Union .
({29})
Meine Damen und Herren, es gibt also eine Menge
zu tun . Die guten Zahlen, die wir jetzt für das vierte Jahr
der Legislaturperiode vorhersagen, dürfen uns erfreuen;
aber sie müssen uns vor allen Dingen dazu motivieren,
zu überlegen, was wir aus den Stärken unseres Landes
machen können . Und es ist ein verdammt starkes Land .
Deutschland ist kein Land der Schwäche; es hat mit den
Menschen, die hier leben, ungeheure Potenziale . Wir haben eine gute Ökonomie, aber auch einen sicheren Sozialstaat, den wir da, wo er nicht gut ist, ausbauen müssen .
Aber es gibt keinen Grund, hier alles in Grund und Boden zu reden - im Gegenteil!
({30})
Menschen Mut zu machen, das Land auch zu umarmen und zu sagen: „Tolles Land! Lasst uns dafür sorgen, dass es unseren Kindern und Enkelkindern auch gut
geht“, und dann im Wahlkampf über die Frage zu streiten, wie man dieses tolle Land so gut lässt, wie es ist, und
das, was nicht so gut ist, besser macht - das ist, finde ich,
eine gute Aufgabe für 2017 .
Lassen Sie uns nicht über jeden Stock derjenigen
springen, die nur eines im Blick haben: Sie wollen die
Uhr zurückdrehen - die meisten mindestens hinter Willy
Brandt und, wie wir wissen, ein paar auch hinter Konrad
Adenauer . Das ist nicht unser Weg; wir haben einen anderen Weg vor uns . Ich wünsche Ihnen, uns allen, aber
auch meiner Nachfolgerin im Amt viel Erfolg . Das waren
gute Jahre im Wirtschaftsministerium .
Vielen Dank .
({31})
Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Ernst für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Wirtschaftsminister, auch von mir
danke für die Zusammenarbeit . Leider habe ich nicht so
viel Redezeit, um das zu vertiefen . Deshalb möchte ich
nur eines sagen - und das meine ich so, wie ich es sage -:
Fade war es mit Ihnen nie .
({0})
Allein das ist ja parlamentarisch etwas wert .
Meine Damen und Herren, der Jahreswirtschaftsbericht hat den Titel „Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“ . Eigentlich war der Titel anders; er
hieß: „Für inklusives Wachstum und mehr soziale Teilhabe in Deutschland und Europa“ .
({1})
Offensichtlich ist die „soziale Teilhabe“ auf Intervention
des Finanzministers - so das Handelsblatt - gestrichen
worden . Genau das ist das Problem .
Nebenbei, Herr Wirtschaftsminister, habe ich genau
gemerkt, wer wo wann geklatscht hat . Beim Beispiel des
Schichtarbeiters, das ich vollkommen richtig finde, hat
sich bei Ihrem Koalitionspartner zum Teil keine Hand
gerührt .
({2})
Das ist das Problem: Soziale Teilhabe ist offensichtlich in
der Koalition umstritten . Deswegen sage ich Ihnen eines:
Falls die Sozialdemokraten die irre Idee haben sollten,
diese Koalition nach der Wahl fortzusetzen, dann wird
alles so bleiben, wie es ist, und das wäre das Schlimmste,
was diesem Land passieren kann .
({3})
Meine Damen und Herren, machen wir es genau: Das
Ziel, materielle Ungleichheit in Deutschland zu begrenzen und die Einkommensungleichheit zurückzuführen,
stand ursprünglich in Ihrem Bericht - es ist deutlich abgeschwächt worden. Bestenfalls im Vorwort finden sich
noch Hinweise darauf . Doch gerade die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung - ja, ich sage: Armut - in Deutschland ist ein zentrales Problem .
Meine Damen und Herren, Sie können zwar das Problem aus Ihrer Wahrnehmung streichen, aber Sie werden
es mit dem, was Sie tun, nicht aus der Realität verbannen .
Viele fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung
abgehängt - einiges ist angesprochen worden -, zum
Beispiel viele der 21 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor . Da reichen die geringen Anhebungen eben
nicht aus, um das Problem zu lösen . Viele Leiharbeiter
und befristet Beschäftigte fühlen sich abgehängt . Auch
hier reicht bei weitem nicht aus, was Sie auf den Weg gebracht haben . Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
wissen, dass die Rente keinesfalls mehr ausreicht für ein
einigermaßen vernünftiges Leben nach der Arbeit . Das,
was bisher auf den Weg gebracht wurde, ist absolut unzureichend, fast gleich null .
Meine Damen und Herren: In der Frankfurter Rundschau von heute heißt es - und das ist genau der Punkt,
der in Ihrer Rede, aber keinesfalls im Bericht der Bundesregierung zu finden ist -:
Die Ungleichheit in Deutschland wächst, das Armutsrisiko steigt - nicht nur für Arbeitslose, auch
für Rentner und Erwerbstätige . Und das trotz des
Booms am Arbeitsmarkt .
Das ist die Realität, aber die blenden Sie aus . Wenn es so
weitergeht, dann stärken Sie den rechten Rand . Deshalb
sage ich Ihnen: Tun Sie endlich etwas, statt die Realität
auszublenden!
({4})
Um das Problem noch einmal zu verdeutlichen: Inzwischen haben wir die Situation, dass eine Partei mit
eindeutig rechtspopulistischen bis faschistischen Teilen in Umfragen - zum Beispiel in Brandenburg - bei
20 Prozent liegt - und damit stärker ist als die SPD - und
inzwischen in zehn Landesparlamenten sitzt, Tendenz
steigend . Selbstverständlich freut es auch uns Linke,
dass wir ein ansehnliches Wirtschaftswachstum und hohe
Beschäftigung haben . Aber Sie wissen genauso gut wie
wir, dass Sie mit dem, was Sie bisher gemacht haben, die
sogenannten Abgehängten nicht wieder in das normale
demokratische Spektrum integrieren konnten .
Der Direktor des Weltwirtschaftsforums in Davos Herr Gabriel, Sie haben das Weltwirtschaftsforum angesprochen -, Richard Samans, sagte bei der Vorstellung
des Reports über inklusives Wachstum und Entwicklung - ich zitiere -:
Wirtschaftswachstum alleine reicht nicht . Die Steigerung der Wirtschaftsleistung muss inklusiv wirken …
Also allen Bürgern zugutekommen . Wenn das nicht
funktioniere - und jetzt kommt das Entscheidende -,
dann „kündigen die Verlierer den Konsens der Gesellschaft auf“ . Und genau das passiert bei uns . Wenn wir
glauben, nur durch Worte oder durch Ignoranz - wie das
bei Ihnen der Fall ist - das Problem lösen zu können und
nicht durch Taten, dann werden Sie mitverantwortlich für
die Rechtsentwicklung sein, die wir in unserem Lande
noch erleben werden . - Nebenbei bemerkt, weil ich Sie
gerade hier sitzen sehe, Herr Fuchs: Nachdem Sie bei der
Rede des Wirtschaftsministers so finster geblickt haben,
muss ich sagen: An einigen Stellen war sie richtig gut .
({5})
Meine Damen und Herren, ich möchte einen zweiten
Punkt ansprechen, den ich aufgrund meiner kurzen Redezeit allerdings nur kurz streifen kann . Auf Spiegel Online
gibt es eine lesenswerte Kolumne von Thomas Fricke .
Er schreibt:
In der Kritik steht, dass wir gemessen an der beeindruckenden Höhe unseres Exports viel zu wenig bei
anderen einkaufen . Die Bilanz zählt .
Das haben ich und andere Vertreter meiner Partei oft angesprochen . Fricke schreibt weiter:
Über Jahre haben unsere Großökonomen die Kritik
aus dem Ausland am deutschen Exportüberschuss
verspottet . Jetzt droht Amerikas neuer Präsident,
das Problem zu erledigen - ein deutsches Drama .
Er schreibt auch:
Da hilft auch der Halbstarkenspruch nur bedingt,
dass sich die anderen halt „anstrengen“ sollen, damit sie auch so „tolle“ Sachen exportieren . . .
Meine Damen und Herren, wir können das Problem
nicht lösen, indem wir es einfach ignorieren und sagen:
Es wird schon nicht so dicke kommen . - Wir brauchen
eine Änderung unserer wirtschaftspolitischen Strategie .
Das Problem besteht darin, dass wir bei weitem mehr
exportieren als importieren . Wenn wir mehr importieren
wollen, dann brauchen wir eine Steigerung der Nachfrage . Unsere Investitionen sind viel zu gering . 4 Prozent
ihrer Gewinne bringen die Unternehmen für zusätzliche
Investitionen nach Abschreibungen auf . 4 Prozent! Das
waren einmal 30 oder 40 Prozent . Wenn wir das Problem nicht erkennen und nicht durch mehr Nachfrage in
unserem Land entsprechend gegensteuern, dann werden
die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zunehmen,
und wir werden noch ein größeres Problem haben als mit
Trump .
Danke fürs Zuhören .
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Michael Fuchs das Wort .
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Lieber Herr Bundeswirtschaftsminister - noch Bundeswirtschaftsminister -, ja, eines stimmt: Deutschland ist
in einer exzellenten Verfassung wie seit vielen Jahren
nicht . Wir haben mittlerweile - Sie haben es eben völlig
zu Recht gesagt - 43,5 Millionen Erwerbstätige . Was Sie
nicht gesagt haben, aber sicherlich genauso sehen und
was mich am allermeisten an der Sache freut: Wir haben
de facto kaum noch Jugendarbeitslosigkeit . In meinem
Wahlkreis haben wir null Jugendarbeitslosigkeit bzw .
keine vermittelbaren Jugendlichen mehr . Das ist eigentlich der größte Erfolg . Denn was gibt es Schlimmeres für
junge Leute, als keine Perspektive zu haben, wenn sie
in das Berufsleben eintreten wollen? Auf diesen Erfolg
bin ich also besonders stolz, und darüber können wir uns
meiner Meinung nach besonders freuen .
({0})
Meine Damen und Herren, die Große Koalition war
mit Sicherheit keine Liebeshochzeit . Nein, sie war eine
Arbeitskoalition, und wir haben gemeinsam auch einiges
erreicht . Ich möchte mich an dieser Stelle ganz persönlich bei Ihnen, Herr Minister, für die faire Zusammenarbeit bedanken, auch wenn wir den einen oder anderen
Streit - vor allen Dingen in der Energiepolitik - ausgefochten haben; ich komme noch darauf zu sprechen . Ich
baue natürlich auch darauf, Frau Zypries, dass das in den
verbleibenden sieben, acht Monaten so weitergeht, und
freue mich auf diese gemeinsame Arbeit .
Meine Damen und Herren, die EU 28 bildet nach
den USA den zweitgrößten Binnenmarkt der Welt . Die
USA haben ein Bruttoinlandsprodukt von 18,6 Billionen
US-Dollar, die EU 28 haben eines von über 16,5 Billionen US-Dollar und ohne England - das müssen wir leider
zur Kenntnis nehmen - immer noch von über 14 Billionen US-Dollar . Das sind so starke Zahlen, dass wir keine
Angst haben müssen und uns auch keine Angst machen
lassen sollten . Das haben wir nicht nötig . Wir können
selbstbewusst sagen: Auch „Europe first“ kann uns weiterhelfen .
Wichtig ist jetzt, dass wir die europäischen Länder
näher zueinanderbringen, dass wir dafür sorgen, dass sie
nicht auseinanderdriften . Im Gegenteil: Wir brauchen
mehr Zusammenarbeit in Europa . Nur so werden wir die
in den nächsten Jahren sowohl vonseiten der Regierung
der Vereinigten Staaten als auch durch den Brexit auf uns
zukommenden Herausforderungen meistern können . Das
wird eine der zentralen Aufgaben der Politik in den kommenden Jahren sein .
Aber es ist natürlich auch so, dass Lieferketten intensiv verwoben sind . Ich will nur ein Beispiel nennen: Die
Firma BMW stellt in England den Mini her; jeder kennt
das Auto . Mehr als 50 Prozent der Teile, die in den Mini
eingebaut werden, kommen aus Deutschland . Das zeigt
sehr deutlich, wie die Lieferketten miteinander verwoben
sind und dass man sie auch nicht so schnell trennen kann .
Ich setze darauf, dass das auch sehr schnell Eingang in
die amerikanische Politik findet.
Meine Damen und Herren - Herr Minister, da bin ich
nicht ganz mit Ihnen einverstanden -, nicht alles, was wir
zurzeit haben, beruht auf Leistungen dieser Regierung
oder vorheriger Regierungen . Dazu hat auch eine Menge
sogenannter - wie man es in der Volkswirtschaft nennt exogener Faktoren, die Sie nicht erwähnt haben, beigetragen . Die Niedrigzinspolitik kommt den Unternehmen
zumindest bei Investitionen mit ziemlicher Sicherheit
sehr entgegen . Wir haben auch dank der niedrigen Energiepreise - für Öl, Gas etc . - erhebliche Vorteile . Das
sind Konjunkturprogramme, wie sie besser nicht sein
könnten . Wir haben einen Euro-Dollar-Wechselkurs, der
unserer Wirtschaft, die in den Dollar-Raum exportiert das sind immerhin 42 Prozent unserer Exporte -, erheblich hilft und zu Windfall Profits führt - sie sind aber
nicht garantiert -, die so sonst nicht anfielen. Das muss
man deutlich sagen .
Und last, but not least, Herr Kollege Ernst - ich gehe
normalerweise gar nicht mehr auf Sie ein -: Haben Sie
einmal nachgesehen, wie viel gerade das Binnenwachstum in Deutschland zurzeit zum marktwirtschaftlichen
Erfolg dieses Landes beiträgt? Mehr als zwei Drittel des
Wachstums kommen aus dem Binnenmarkt; er ist wesentlich stärker als in den Jahren zuvor . Das liegt daran,
dass die Löhne in den letzten Jahren erheblich gestiegen
sind, wesentlich stärker als in allen Jahren zuvor .
({1})
Auch das ist ein Erfolg von guten, vernünftig agierenden Unternehmen . Das sollten wir uns bitte auch nicht
schlechtreden lassen .
Meine Damen und Herren, ich will einen Punkt erwähnen, der mir Sorge bereitet: die Digitalisierung . Wir sind
in diesem Bereich ziemlich rückständig . Heute 50 Mbit
Downloadgeschwindigkeit im Jahre 2020 anzustreben,
ist bei weitem zu wenig . Den auf uns zukommenden Herausforderungen werden wir damit mit Sicherheit nicht
gerecht . Im Gegenteil: Wir müssten über Gigabit reden
und nicht über Megabit . Dass andere Länder das können
und tun, das ist ein Faktum . Jeder, der sich im ostasiatischen Bereich aufhält, der wird das sehr schnell feststellen .
({2})
Verehrter Herr Präsident, mit Verlaub, dass der Deutsche Bundestag noch kein WLAN hat, ist auch kein Zeichen allergrößter Modernität .
({3})
Ich war vor kurzem im Parlament von Singapur und
konnte feststellen, dass der WLAN-Empfang überall
wunderbar war . Aber nicht nur dort, selbst in Malaysia
und Thailand gibt es das, und das sind Länder, von denen
man nicht sagen kann, dass sie auf unserem Entwicklungsstand sind .
({4})
Wir müssen daran arbeiten, dass die digitale Versorgung
so schnell wie möglich besser wird und wir möglichst
auch in allen öffentlichen Bereichen WLAN haben . Das
sollte bald der Fall sein .
({5})
Herr Kollege Fuchs, darf ich vielleicht dennoch darauf
aufmerksam machen, dass gleichwohl viele Parlamente
in der Welt trotz glänzend funktionierenden WLANs mit
diesem Parlament sofort tauschen würden?
({0})
Auch da gebe ich Ihnen recht, Herr Präsident, wie
fast immer . Aber beim WLAN können wir noch ein ganz
klein bisschen nachholen . Im Europasaal haben wir das
ja immerhin schon geschafft .
Meine Damen und Herren, ein Bereich bereitet mir
wirklich Sorgen, und bei diesem Thema sind wir uns mit
dem Bundeswirtschaftsminister nicht einig: Es geht um
die Energiepolitik . Die Kostenentwicklung läuft mittlerweile völlig aus dem Ruder .
({0})
Mein geschätzter Kollege Kauder hat vor wenigen
Tagen zu mir gesagt, er würde mir den Hals umdrehen,
wenn das mit dieser Energiekostensteigerung so weitergehen würde, wie es jetzt ist . Da ich mir das ersparen
will, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass
dringender Handlungsbedarf besteht . Wir haben zwei
EEG-Reformen gemacht; die haben aber nicht einmal
annähernd zu einer Abschwächung bei den EEG-Kosten
geführt . Dieses Jahr geben wir 25 Milliarden Euro für
die EEG-Umlage aus . 25 Milliarden Euro! Und das ist
noch nicht einmal die ganze Wahrheit . Die Kosten für
die EEG-Umlage liegen zurzeit bei 6,88 Cent pro Kilowattstunde . Ich sage Ihnen voraus: Spätestens im Herbst
dieses Jahres wird das eine ganz andere Größenordnung
sein . Wir müssen ganz schnell reagieren .
Jetzt kommt der zweite Punkt . Die Bundesnetzagentur
hat vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass die Netzentgelte erheblich steigen werden . Wir werden bis 2024
rund 45 Milliarden Euro nur für die Netze ausgeben müssen . Das bleibt uns nicht erspart . Das ist notwendig . Das
bedeutet aber - das sind alles Zahlen der Bundesnetzagentur -, dass die Netzentgelte für die Haushaltskunden
um mindestens 25 Prozent steigen werden .
({1})
Das geht in Richtung von 10 Cent . Und jetzt kommt die
noch viel dramatischere Zahl: Für große Industriekunden
werden die Netzentgelte um 115 bis 130 Prozent steigen .
Ich bin froh, dass Sie das Thema Netzausgleich angesprochen haben . Wir müssen da weitermachen . Es wird
höchste Zeit, dass wir bei den Netzen ein Level-Playing-Field in Deutschland schaffen; denn es kann nicht
sein, dass in einigen Bundesländern deutlich höhere
Netzkosten zu zahlen sind als in anderen, weil wir dadurch eine Ungleichheit im Wettbewerb schaffen .
({2})
Mir bereitet das Thema Netze erhebliche Sorgen, weil es
für einen zusätzlichen Kostenschub sorgen wird .
Hinzu kommt - strafverschärfend, kann man sagen -,
dass die großen Übertragungsnetze, also die Nord-SüdNetze, laut Aussage der Bundesnetzagentur frühestens
2025 fertig sein werden . Was machen wir denn bis 2025?
Wir werden im Norden einen erheblichen Zuwachs beim
produzierten Strom haben, aus den Offshoreanlagen, aber
auch aus den Onshoreanlagen; den Verbrauch haben wir
aber vorrangig im Süden . Wenn wir den Transport nicht
hinbekommen, was passiert dann? Ganz simpel und einfach: Dann kommen die sogenannten Redispatch-Kosten
noch obendrauf . Ich kann hier ja Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums völlig unbefangen zitieren . Herr
Rid hat gesagt, dass wir im letzten Jahr Redispatch-Kosten von 1,1 Milliarden Euro hatten und wir dieses Jahr
Redispatch-Kosten von 2 Milliarden Euro und demnächst
von 4 Milliarden Euro haben werden . Meine Damen und
Herren, das wird alles auf die Netzkosten umgelegt werden müssen . Das geht alles in die Preise hinein .
({3})
Dann wird es irgendwann den Punkt geben, an dem
wir zu teuer werden und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erheblich leidet . Da dies der letzte Jahreswirtschaftsbericht ist, den ich hier mitdiskutieren darf,
möchte ich darauf hinweisen, dass wir erheblichen Nachholbedarf haben und intensiv daran arbeiten müssen .
Lieber Herr Gabriel, noch einmal herzlichen Dank
für die gute Zusammenarbeit, auch wenn ich nicht mit
allem einverstanden war; das habe ich gerade deutlich
gemacht . Es hat sich gelohnt, dass wir trotzdem so vernünftig miteinander umgegangen sind .
Liebe Frau Zypries, Deutschland braucht für die Zukunft eine an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierte Ordnungspolitik . Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam
daran arbeiten .
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Cem Özdemir für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lieber Sigmar Gabriel, zunächst möchte ich
Ihnen unseren Respekt für Ihre Entscheidung aussprechen, die sicherlich keine einfache war . Wir wünschen
Ihnen alles Gute im neuen Amt . Was die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf angeht - so habe ich mir sagen
lassen -, soll das nicht das allerleichteste Amt sein .
({0})
Aber wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei und sind
schon sehr gespannt auf die ersten Schilderungen, die wir
dann hoffentlich lesen können .
Wir wünschen auch der designierten Nachfolgerin,
Brigitte Zypries, alles Gute in dem neuen Amt . - Doch
zurück zur Gegenwart .
Sie sagen, der Wirtschaft gehe es gut, die Staatsfinanzen seien solide und das Beschäftigungsniveau sei hoch .
Ich glaube, es gibt niemanden hier im Hohen Haus, der
sich nicht darüber freut . Aber mit diesem Erfolg, mit diesen Daten haben Sie, Herr Gabriel und die Große Koalition, herzlich wenig zu tun,
({1})
sondern Ihr Erfolg beruht auf niedrigen Zinsen und billigem Öl . Man kann, glaube ich, sagen: Es geht diesem
Land gut - nicht wegen der Großen Koalition, sondern
trotz der Großen Koalition .
({2})
Es gibt einen anderen Politikbereich, bei dem Sie ein
bisschen so tun, als ob Sie gar nichts damit zu tun hätten; aber damit haben Sie sehr viel zu tun . Ich meine den
Zustand der Infrastruktur in unserem Lande . Sie haben
zu wenig investiert . Der Besitz der gesamten Bevölkerung verfällt . Die Bürger stehen im Stau . Sie warten auf
schnelles Internet . Europaweit nimmt der Populismus zu .
Doch was fällt dieser Großen Koalition ein? Die schwarze Null, die Sie anbeten und wie eine Monstranz vor sich
hertragen . Unsere Probleme werden nicht gelöst, wenn
man sich auf Leistungen früherer Regierungen und der
Bevölkerung ausruht und nicht in die Zukunft investiert .
({3})
Besonders absurd wird es, wenn Sie von den Sozialabgaben sprechen . Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht,
aber wir haben nicht vergessen, dass es diese Große Koalition war, die eine Rentenreform mit einem Umfang von
160 Milliarden Euro bis 2030 auf den Weg gebracht hat,
die weder sozial gerecht noch generationengerecht ist;
denn die Erwerbsgeminderten, die Hauptbetroffenen, haben Sie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD .
({4})
Sie finanzieren das über die Mitgliedsbeiträge der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler . Liebe Kollegen von
der CDU/CSU, so viel zum Thema Wirtschaftskompetenz .
Bei der Ost-West-Angleichung der Rente machen Sie
es wieder so . Anstatt die Sozialabgaben zu reduzieren
oder dafür zu sorgen, dass sie nicht steigen, machen Sie
das Gegenteil . Damit erweisen Sie dem Mittelstand einen
Bärendienst, Sie erweisen unserer Wirtschaft einen Bärendienst und auch den Arbeitnehmern und Arbeitgebern .
({5})
Eine Bitte habe ich noch: Bitte nehmen Sie das Wort
„Generationengerechtigkeit“ zumindest in dieser Legislaturperiode nicht mehr in den Mund . Denn damit haben
Sie so ziemlich gar nichts am Hut .
Zu den zwei entscheidenden Herausforderungen habe
ich in der Regierungserklärung, aber auch - das muss ich
sagen - in der Debatte, Herr Fuchs, wenig gehört .
Erstens . Wie stoppen wir den Klimawandel und erhalten dabei unsere industriellen Arbeitsplätze? Völlige
Fehlanzeige in der Rede des Bundeswirtschaftsministers .
({6})
Zweitens . Wie gehen wir mit der angespannten Lage
in der Welt und natürlich auch in Europa um? Dazu, dass
der Protektionismus auf dem Vormarsch ist, und auch zur
Abschottung hätte ich gern etwas gehört . Wie sind hier
Ihre Vorstellungen?
Es war die Bundesregierung, die das Klimaschutzabkommen in Paris unterzeichnet hat, aber hier in diesem
Haus tun Sie so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten .
Sie, Herr Gabriel, haben den Kohleausstieg an einem Tag
einfach vom Tisch gewischt . Gleichzeitig gibt es Länder
wie Kanada, die sich verpflichtet haben, bis 2030 aus der
Kohle auszusteigen . Sie sehen: Andere Industrieländer
können es anders machen .
({7})
Wir sollten uns Kanada zum Vorbild nehmen und ebenfalls zeigen, dass wir nach dem Atomausstieg in der Lage
sind, auch aus der Kohle auszusteigen .
({8})
Was ich hier gehört habe, ist klassische Retro-SPD-Industriepolitik; diese wird hier reaktiviert .
({9})
Die Ökologie haben Sie offensichtlich aufgegeben .
Ökologische Modernisierung wird als Bedrohung für
den Standort wahrgenommen . Das ist das Gegenteil all
dessen, was Sie in den letzten Jahren selber einmal gesagt haben, meine Damen, meine Herren . Das sollten die
Wählerinnen und Wähler genau wissen . Wem der Erhalt
der natürlichen Lebensgrundlagen wichtig ist, der weiß,
wen er nicht wählen kann, und der weiß bei der nächsten
Wahl sicherlich auch, wen er wählen kann, meine Damen
und Herren .
({10})
Herr Fuchs, quasi der murmeltierpolitische Sprecher
der Union, wiederholt in jeder Rede - wir haben eigentlich schon darauf gewartet, wann das Thema Energiepreise kommt -, dass natürlich die erneuerbaren Energien schuld an allem Übel dieser Welt sind . Ich will hier
einmal jemanden, der wohl über jeden grünen Verdacht
erhaben ist, zitieren zu Ihren Klagen, dass die Energiewende die Preise durch die Decke schießen lassen wird .
Ich zitiere Georg Müller, Chef der Mannheimer MVV,
immerhin sechstgrößter deutscher Energieversorger:
Der Anteil der Stromkosten am Bruttoinlandsprodukt liegt auf dem Niveau der 1990er-Jahre .
Ich meine, dem ist nicht viel hinzuzufügen . Statt wie Sie
die erneuerbaren Energien mit einem Ausbaudeckel zu
versehen, müssten wir eher im Gegenteil beim Ausbau
der erneuerbaren Energien einen Zahn zulegen;
({11})
denn darin liegt die Zukunft des Standortes Bundesrepublik Deutschland .
Dasselbe gilt für den Verkehrssektor . Wir müssen gerade im Interesse der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik
Deutschland so schnell wie möglich einen Zahn zulegen,
damit es mit emissionsfreien Fahrzeugen klappt . Was
aber tut diese Bundesregierung? Sie verabschiedet sich
von dem eigenen Ziel, 1 Million Fahrzeuge CO2-frei auf
die Straßen der Bundesrepublik Deutschland zu bringen .
Ich darf Sie an Folgendes erinnern: Jörg Hofmann, der
Chef der IG Metall, war kürzlich zu Gast bei uns und
hat gesagt: Es scheitert nicht an den Gewerkschaften, es
scheitert nicht an den Unternehmen, sondern der Wille
der Großen Koalition, der Wille der Politik, die notwendigen Vorgaben zu machen, anzupacken, damit wir auch
die Verkehrswende schaffen, fehlt eben .
({12})
Dann klappt es halt nicht, wenn man es nicht will; dann
bekommt man es auch nicht hin .
({13})
Die Gefahren für unsere Volkswirtschaft durch die
Wahl von Donald Trump - darauf wurde bereits hingewiesen - werden uns alle betreffen . Damit sind wir bei
einem zentralen Punkt für unsere Wirtschaft, nämlich bei
der Zukunft eines freien Handels und einer starken Europäischen Union . Ich glaube, hier sind sich alle einig, dass
wir freien Handel stärken müssen, dass wir Protektionismus verhindern müssen .
({14})
Das Gegenteil passiert jetzt, wenn man dem Glauben
schenken kann, was Präsident Trump angekündigt hat . Er
will die Finanzmärkte von der Kette lassen und die Realwirtschaft an die Kette legen . Umgekehrt wird ein Schuh
daraus . Also müssen zumindest wir in Europa unsere
Hausaufgaben machen; niemand wird das für uns tun .
Sowohl der Brexit als auch die Wahl von Trump müssen
uns eine Lehre sein . Wir brauchen ein starkes, wir brauchen ein offenes und vor allem ein geeintes Europa, und
das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit .
({15})
Es waren Politiker von beiden großen Volksparteien Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl -, die dieses Europa mit aufgebaut haben, und dieses Erbe steht jetzt in
Gefahr . Darum ist es wichtig, dass wir als die vielleicht
letzte Generation, die darüber entscheiden kann, welche
Richtung dieses Europa einschlägt, dieses Friedensprojekt Europa nicht nur sichern, sondern dahin führen, dass
es wieder eine Erfolgsgeschichte wird . Dafür brauchen
wir ein Deutschland, das seine Rolle in der Europäischen Union auch annimmt, das gemeinsam mit unserem
wichtigsten Partner Frankreich dafür sorgt, dass Europa
verteidigt wird und weiterentwickelt wird . Auch darüber
hätte ich gern etwas gehört . Das ist das, worauf unsere
Wirtschaft und unsere Arbeitgeber warten . Leider war
auch dies Fehlanzeige .
Herzlichen Dank .
({16})
Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Titel dieses Jahreswirtschaftsberichts ist „Für
inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“ . Ich
gebe zu, das ist ein etwas sperriger Titel . Das Fachwort
„inklusives Wachstum“ muss meines Erachtens übersetzt
werden, damit allen klar ist, was das bedeutet, was es
vor allen Dingen an wirtschaftspolitischem Paradigmenwechsel bedeutet . Denn heute diskutieren wir anders als
der wirtschaftsradikale Mainstream, dem auch jemand
wie Cem Özdemir zwischendurch einmal erlegen ist, als
er noch mit Oswald Metzger befreundet war .
({0})
An dieser Stelle haben wir heute eine andere Diskussion
auf der Welt .
Inklusives Wachstum beinhaltet das Bekenntnis, dass
wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit
keine Gegensätze sind, sondern wechselseitige Bedingung, meine Damen und Herren .
({1})
Das ist der Unterschied .
Denn damals, als Frau Merkel beispielsweise noch die
neue soziale Marktwirtschaft, den steuerpolitischen Bierdeckel und die Kopfpauschale gepredigt hat, war es tatsächlich so, dass es zwei fundamentale Irrtümer gab, die
Wirtschaftsradikale unter das Volk zu bringen versucht
haben . Den einen hat Sigmar Gabriel angesprochen, nämlich dass Ungleichheit Motor wirtschaftlicher Dynamik
sei . Wenn jetzt auf dem Weltwirtschaftsforum im Global Risks Report davon die Rede ist, das Ansteigen des
Anti-Establishment-Populismus deute darauf hin, dass
wirtschaftliches Wachstum allein nicht hilft, die Spaltung
von Gesellschaften zu überwinden, sondern dass - ich zitiere das Weltwirtschaftsforum in Davos - „eine Reform
der kapitalistischen Marktwirtschaft“ auf die Agenda gehört, dann ist das eine andere Debatte, und das ist auch
gut so, meine Damen und Herren . Wirtschaftlicher Erfolg
und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen .
({2})
Der zweite Irrtum wirtschaftsradikaler Vorstellungen
war in den unglaublich dummen Satz eines AmtsvorgänCem Özdemir
gers von Sigmar Gabriel, eines liberalen Wirtschaftsministers, gegossen, der einmal gesagt hat: „Wirtschaft wird
in der Wirtschaft gemacht .“ Richtig ist, dass in einer sozialen Marktwirtschaft im Wesentlichen Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen . Aber
klar ist auch, dass ohne einen starken und handlungsfähigen Staat und ohne eine aktive Wirtschaftspolitik wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit nicht zu
gewährleisten sind . Das, meine Damen und Herren, ist
etwas, was wir für uns in Anspruch nehmen .
Die in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik
SPD-geführte Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode dafür gesorgt, dass der Schalter umgelegt wurde . Unser Erfolg lässt sich auch in Zahlen messen . Die
gute wirtschaftliche Lage - darauf hat Sigmar Gabriel
hingewiesen - ist nicht allein ein politisches Verdienst .
Natürlich haben wir Sonderfaktoren, die genannt wurden, und natürlich ist sie das Verdienst von fleißigen
Menschen, die diesen Erfolg erarbeitet haben . Wir haben
die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren und die
höchste Zahl von Erwerbstätigen - in diesem Jahr sind es
43,5 Millionen Menschen und damit 1,5 Millionen mehr
als 2013 -, und es gibt eine ordentliche Entwicklung bei
den Löhnen . Das, meine Damen und Herren, ist auch
das Verdienst von Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel . Dafür danken wir ihm .
({3})
Er hat durch seine Arbeit dafür gesorgt, dass das Bundeswirtschaftsministerium in der Bundesregierung wieder eine aktive Rolle spielt . In den letzten Jahren war es
ja verkommen . Denn seine Amtsvorgänger, die nach dem
Motto „Wirtschaft wird von der Wirtschaft gemacht; der
Staat muss sich überall heraushalten“ gehandelt haben,
haben die Rolle einer aktiven Wirtschaftspolitik nicht
unterstützt . Dieser Turnaround lässt sich auch an den
Investitionsquoten des Bundeshaushalts ablesen . Die
Investitionen des Bundes sind seit Beginn dieser Legislaturperiode auf 36 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2017 gesteigert worden . Meine Damen und Herren,
wenn wir außerdem noch die Entlastung der Kommunen
berücksichtigen, deren Höhe Sigmar Gabriel vorhin beziffert hat - ihre Investitionen machen den größten Anteil
an den Investitionen der öffentlichen Hand aus -, kann
man zu Recht sagen: Auch bei den Investitionen haben
wir den Schalter umgelegt, weil unser Land wirtschaftlich nicht von der Substanz leben kann .
Zu den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, gehören
die Förderung des Ausbaus, der Sanierung und der Modernisierung von Schulen sowie Investitionen auch der
privaten Hand, die wir beispielsweise durch erleichterte
Abschreibungsmöglichkeiten - Stichwort: geringfügige
Wirtschaftsgüter - noch weiter unterstützen wollen . Das
ist die richtige Richtung, wenn es darum geht, gute Zeiten für Investitionen zu nutzen, damit die Wirtschaft auch
in schwierigen Zeiten brummt .
Herr Fuchs, bei aller Freundlichkeit: Ich finde, dass Sie
ein etwas kurzes Gedächtnis haben, wenn Sie hier über
die Energiepolitik reden . Die Steigerung der EEG-Umlage und der Netzkosten, die Sie beschrieben haben, ist das
Ergebnis des Chaos der schwarz-gelben Vorgängerregierung . Wir haben in dieser Legislaturperiode mit Sigmar
Gabriel versucht, hier aufzuräumen .
({4})
Wir hatten den Mut zu Reformen, den Sie unter
Schwarz-Gelb nie hatten . Wir haben Ausschreibungen
durchgesetzt, und wir haben die Voraussetzungen für
den Netzausbau, der jetzt stattfindet, geschaffen. Wenn
wir vier Jahre vorher mit unserer Arbeit hätten beginnen können - Sigmar Gabriel hatte in der Energiepolitik
eine Herkulesaufgabe zu bewältigen -, dann hätten wir
die Probleme, die Sie zu Recht beschrieben haben, heute
nicht .
({5})
Durch das Versagen und den fehlenden Mut von
Schwarz-Gelb wurde Chaos in die Energiewende gebracht, und zwar durch Ihre Zickzackpolitik und das
Verfehlen der drei wichtigsten Ziele der Energiewende . Wenn wir 2013 nicht angefangen hätten, Reformen
durchzuführen, dann wären alle drei Ziele der Energiewende - sicher, sauber und bezahlbar - verfehlt worden .
({6})
Dieser Bundeswirtschaftsminister hat Grund und Ordnung in die Energiewende gebracht, damit sie als Innovationsprojekt ein Erfolg für unsere Gesellschaft wird:
sozial, ökologisch und auch ökonomisch . Auch dafür
sind wir ihm dankbar, meine Damen und Herren .
({7})
Wir reden hier zu Recht über die Arbeit des Bundeswirtschaftsministers und über den wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes . In diesem Zusammenhang werden
und müssen wir auch über den Freihandel reden . Ich war
ja ganz erstaunt, Cem Özdemir, wie sehr Sie sich eben
zum freien Handel bekannt haben .
({8})
Letztes Jahr, als es um CETA ging, hatten wir Sie nicht
an unserer Seite, sondern da haben wir erlebt, dass Sie
sich sogar mit Populisten zusammengetan haben, die
nicht erkannt haben, dass wir sowohl freien als auch fairen Handel brauchen .
CETA ist durch die Arbeit dieses Wirtschaftsministers ein Abkommen geworden, das hohe Maßstäbe setzt,
Arbeitnehmerrechte sichert, den Weg hin zu anonymen
Schiedsgerichten beendet und Verbraucherschutz- und
ökologische Standards sichert . Wir haben ein gutes
Abkommen geschaffen, und in Zeiten des aufziehenden Protektionismus war dieses Verdienst von Sigmar
Gabriel zum Wohle der deutschen Exportwirtschaft, der
Arbeitsplätze und fairer Globalisierungsstandards eine
Riesenleistung, meine Damen und Herren . Das waren
nicht Sie, das war dieser Minister .
({9})
Wenn ich mir die Linkspartei, Herr Kollege Ernst, in
diesen Zeiten anhöre, fällt eines auf: Sie haben in der
Hubertus Heil ({10})
weltwirtschaftlichen Debatte ganz neue Verbündete, mit
denen Sie nie gerechnet haben .
({11})
Mauern rechtfertigen, Protektionismus predigen und die
NATO auflösen wollen - das haben wir bisher nur von
der Kommunistischen Plattform der Linkspartei gehört .
({12})
Das ist jetzt die Position von Donald Trump, und wir
werden erleben, dass das zum Schaden der Welt ist . Sie
als Linkspartei haben ja nicht die Möglichkeit, die Weltpolitik zu beeinflussen, aber Sie werden erleben, dass
Ihre Rezepte jetzt von Rechtspopulisten in der Weltwirtschaft ausprobiert werden .
({13})
Meine Damen und Herren, ich bin heilfroh, dass das
nicht die Politik dieser Bundesregierung ist . Wir werden
unsere europäischen Werte, unsere Vorstellungen von
Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit in
diesen schwierigen Zeiten gegenüber solchem rechtem
Populismus und Protektionismus behaupten müssen, und
dafür brauchen wir alle Kraft und nicht diese Rezepte der
Linkspartei oder die von Donald Trump .
({14})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Klaus Ernst?
Sehr gerne .
Herr Kollege Heil, ich habe gerade wirklich mit Erschrecken vernommen, wir hätten hier neue Verbündete:
den Trump . Ich gehe davon aus: Die Verbindung soll sein,
dass er jetzt die Handelsabkommen mit dem Pazifik raum
kündigt und wir gegen CETA sind . Dazu möchte ich eines eindeutig feststellen und bitte Sie, das wirklich zur
Kenntnis zu nehmen: Dieses In-einen-Topf-Werfen ist
wirklich unanständig, richtig unanständig .
({0})
Denn dass Veränderungen im CETA-Abkommen überhaupt möglich waren, das waren wir .
({1})
Das waren der Druck der Öffentlichkeit und der Druck
der Verbände .
Und herausgekommen ist: Nach wie vor besteht die
Sondergerichtsbarkeit für Unternehmen, nach wie vor
erfolgt eine Entmachtung der Demokratie durch den
CETA-Ausschuss, nach wie vor gibt es eine nicht akzeptable vorläufige Inkraftsetzung und einen Abbau von
Standards, der inzwischen allenthalben zur Kenntnis genommen wird . Das sind die Gründe, warum wir dieses
und andere Abkommen ablehnen .
Trump hat eine völlig andere Idee:
({2})
Trump will Protektionismus, und Freihandel ist der Gegensatz von Protektionismus . Wir wollen fairen Handel,
und wir unterscheiden uns gravierend von Trump . Mit
dem haben wir nichts am Hut, und ich möchte, dass dies
zur Kenntnis genommen wird .
({3})
Herr Kollege Ernst, ich habe darauf hingewiesen, dass
wir die Töne, eine Mauer zu rechtfertigen, Protektionismus zu predigen und gleichzeitig die NATO infrage zu
stellen, bisher von der Kommunistischen Plattform Ihrer
Partei gewohnt waren .
({0})
Donald Trump will jetzt eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen . Die Rechtfertigung für den Bau
einer Mauer habe ich bei Ihnen vor kurzem ebenfalls
noch einmal gehört, und zwar - ich darf, mit Verlaub,
Frau Wagenknecht vom 23 . März 2016 gegenüber der
TP-Presseagentur zitieren -:
Die Mauer
- sie meinte die Mauer durch Berlin stabilisierte den Status quo der europäischen Nachkriegsordnung und somit unter den damaligen Bedingungen den Weltfrieden .
({1})
Meine Damen und Herren, wer Mauern bauen will,
wer abschotten will, der ist auf dem falschen Weg .
({2})
Ich behaupte ja nicht, dass Sie sich mit denen gemein
machen wollen, aber Ihre Rezepte sind die dieses Herrn,
und es sind die falschen Rezepte . Deshalb werden wir
das bekämpfen .
({3})
Wir wollen eine offene Gesellschaft . Wir wollen fairere Regeln für die Globalisierung . Wir wollen keinen
Protektionismus . Hier wächst wirklich manchmal an
den Rändern zusammen, was zusammengehört . Aber ich
Hubertus Heil ({4})
sage Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich: Das ist nicht
der Kurs von Sozialdemokraten . Sigmar Gabriel war in
Kanada und hat mit Trudeau und Frau Freeland, der damaligen Handelsministerin, gesprochen . Ich war dabei .
({5})
Sie ist übrigens jetzt Außenministerin geworden; ab morgen deine Kollegin, Sigmar . Ich habe erlebt, wie er in
Europa dafür gekämpft hat, die Staats- und Regierungschefs und die Wirtschafts- und Handelsminister hinter
sich bzw . zu dieser Position zu bringen, die wir am Ende
durchgesetzt haben - ich sage es noch einmal -: keine
anonymen Schiedsgerichte,
({6})
hohe Arbeitnehmerstandards, faire Gestaltung der Globalisierung, offene und freie Märkte, aber auch im Interesse dieses Landes .
Klaus Ernst, dir sage ich es einmal sehr deutlich: Dir
persönlich glaube ich, dass du auch für internationalen
Handel bist . Du müsstest aber einmal mit größeren Teilen
deiner Partei, die Protektionismus predigen,
({7})
anständig darüber reden, dass sie zum Schaden von Arbeitsplätzen - zum Beispiel von IG-Metall-Kollegen, die
bei Volkswagen oder woanders arbeiten und auf Export
angewiesen sind - handeln . Das ist deren Existenzgrundlage . Diese Erkenntnis ist in der Linkspartei leider nicht
Allgemeingut . - Das meinte ich damit, und dabei bleibe
ich auch .
({8})
Auch ein Wort an die Grünen: Cem Özdemir, du hast
bisher ja nicht oft an den wirtschaftspolitischen Debatten
dieses Hauses oder der Ausschüsse teilgenommen,
({9})
weshalb du bestimmte Sachen - zum Beispiel in der Rentenpolitik - nicht mitbekommen hast . Du beklagst, dass
im Rentenpaket der Zugang zur Erwerbsminderungsrente nicht verbessert worden sei . Ich würde mir das Rentenpaket noch einmal angucken; genau das ist nämlich
passiert .
({10})
- Das ist an dieser Stelle passiert, und mit Andrea Nahles
wird das übrigens noch ausgebaut .
Ich will auch etwas zur Haltung sagen, die dieser Bundeswirtschaftsminister hatte, als es um das Schicksal von
zehntausend Arbeitsplätzen bei Tengelmann und Edeka
gegangen ist: Ich kann mich erinnern, dass die Grünen
hier auf der falschen Seite waren . Ich weiß nicht, ob sich
die Grünen anders verhalten hätten, wenn es eine Biokette gewesen wäre;
({11})
ich weiß nur eines: In dieser Situation war dem Bundeswirtschaftsminister das Schicksal von Verkäuferinnen
und Verkäufern, von Menschen, die hart arbeiten, nicht
egal . Das ist möglicherweise ein Unterschied zu der kalten Art, wie ihr manchmal Wirtschaftspolitik betreibt .
({12})
Ich bin stolz darauf, dass Sigmar Gabriel da gehandelt
hat .
({13})
Verdi hat uns damals geholfen . Wir haben dafür gesorgt, dass die Arbeitsplätze - und zwar tarifvertraglich
geschützt und ordentlich entlohnt - erhalten bleiben . Das
ist das Verdienst von Sigmar Gabriel . Er hatte den Mut,
sich mit all den Leuten anzulegen, die das kritisiert haben, und er hat richtig gehandelt; das wissen wir heute .
Auch dafür sind wir sehr dankbar .
({14})
Ich komme zum Schluss . Deutschland ist wirtschaftlich stark, aber wir müssen viel tun, damit es auch stark
bleibt . Deshalb bin ich mir sicher, dass die gute Arbeit,
die Sigmar Gabriel geleistet hat - zum Schutz auch der
industriellen Arbeitsplätze, zur Modernisierung dieses
Landes, für Investitionen, für soziale Gerechtigkeit und
wirtschaftlichen Erfolg -, durch seine Nachfolgerin,
Brigitte Zypries, fortgesetzt wird . Es wird hier keinen
Phasenriss geben .
({15})
Sie ist Staatssekretärin bei ihm und wird das sehr gut
machen, und ich bin auch sehr dankbar, dass ein junger
Kollege aus unserer Fraktion, der Kollege Dirk Wiese,
als Parlamentarischer Staatssekretär an ihrer Seite stehen
wird .
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie
macht sehr deutlich: Wir werden den Kurs in der Wirtschaftspolitik, den Sigmar Gabriel begonnen hat, im Interesse dieses Landes fortsetzen, weil wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit zusammengehören . Danke
an Sigmar Gabriel, dass er hier in der Wirtschaftspolitik
den Schalter in die richtige Richtung umgelegt hat!
Herzlichen Dank .
({16})
Hubertus Heil ({17})
Herzlichen Dank, lieber Kollege . - Das Wort hat jetzt
Andreas Lämmel von der Fraktion der CDU/CSU .
({0})
Frau Präsidentin! Ich darf Ihnen ganz herzlich zu Ihrer ersten Sitzungsleitung gratulieren und wünsche Ihnen
große Erfolge und dass Sie das Haus immer im Griff behalten - auch bei hitzigen Debatten .
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege .
Meine Damen und Herren! Es geht heute um den Jahreswirtschaftsbericht . Herr Kollege Heil, Ihre Rede war
ja eine Huldigungsrede für unseren Wirtschaftsminister .
Ich hatte es eigentlich nicht so verstanden, dass er das
Haus verlässt, sondern er wird weiterhin auf der Regierungsbank sitzen .
Herr Kollege Heil, eines muss ich Ihnen schon noch
einmal sagen, weil Sie das Thema Energiepolitik angesprochen haben, das ich jetzt aber nicht zum Mittelpunkt
meiner Rede machen will: Ich möchte Sie bitten, noch
einmal ein paar Jahre weiter als nur die letzten vier Jahre
zurückzudenken .
Der Kollege Gabriel war ja mal Umweltminister,
({0})
und während dieser Zeit sind zum Beispiel die Fundamente für die Probleme, die wir heute bewältigen, mit
gelegt worden . Dass der Herr Gabriel in seinem Amt als
Wirtschaftsminister zu neuen Erkenntnissen gekommen
ist und dass wir gemeinsam einige Dinge verrichten
konnten, halte ich für sehr positiv . Hier kann ich Sie auch
nur unterstützen .
({1})
Meine Damen und Herren, dass es Deutschland gut
geht, haben heute schon alle Redner beschrieben . Man
kann es aber eben nicht oft genug sagen, weil die Kollegen der Linken und der Grünen immer dazu neigen, die
Situation trotzdem schlechtzureden .
Acht Jahre Wirtschaftswachstum hintereinander! Es
muss mir einmal jemand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Zeiten zeigen, in denen wir acht
Jahre hintereinander kontinuierlich ein Wirtschaftswachstum hatten,
({2})
und die Projektion für 2017 sieht ein weiteres Wirtschaftswachstum voraus. Das finde ich sehr gut.
Für die gute Gesamtsituation ist nicht nur der gute Zustand der deutschen Wirtschaft verantwortlich, sondern
hinter der deutschen Wirtschaft stehen die Menschen;
auch das wurde heute schon gesagt . Das sind die Unternehmer, die Selbstständigen, die Handwerker, die Angehörigen der freien Berufe und natürlich die Arbeitnehmer, die alle gemeinsam diesen großen Erfolg für sich
verbuchen können . Ich glaube, wenn man diese Dinge
immer schlechtredet, macht man auch die Menschen
schlecht, die dahinterstehen .
Meine Damen und Herren, Herr Ernst fing ja wieder
mit dem Thema Handelsüberschüsse an . Das ist sein
Lieblingsthema, und die Linken können offensichtlich
überhaupt keine anderen Einlassungen zur Wirtschaftspolitik mehr machen . Deutschland ist eine Exportnation .
({3})
Ein wesentlicher Pfeiler des wirtschaftlichen Erfolges
sind die Exporte . Sie selbst wissen ganz genau, dass die
Handelsüberschüsse nicht nur deswegen entstehen, weil
Deutschland im Ausland zu wenig kauft, sondern das hat
auch viel mit den Ölpreisen zu tun . In den Jahren des
hohen Ölpreises gab es in der Leistungsbilanz große Defizite. Heute verzeichnen wir Überschüsse.
Deutsche Exporte sind auch für die Entwicklung vieler Nationen in der Welt sehr wichtig . Im Jahreswirtschaftsbericht steht, dass der Anteil von Exporten in die
mittel- und osteuropäischen Staaten überdurchschnittlich
gewachsen ist . Die mittel- und osteuropäischen Staaten
haben mittlerweile einen größeren Anteil am Exportvolumen Deutschlands als China . Es ist doch sehr positiv,
dass deutsche Exporte in vielen Teilen Europas einen
Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten, weil
es letztendlich - darauf hat der Kollege Fuchs hingewiesen - um die Verknüpfung der Lieferketten geht . Export
bedeutet ja nicht nur, Waren in Länder zu exportieren,
sondern er bedeutet auch, Teile und Leistungen für die
Zulieferung zu importieren .
Deutschland braucht den freien Handel . Herr Özdemir,
ich habe sehr darüber gestaunt, dass die Grünen jetzt
plötzlich zur Freihandelspartei werden .
({4})
Was ist denn das? Das ist ja etwas ganz Neues bei Ihnen .
Sie sind doch in der Allianz der Gegner von TTIP und
von allen anderen Abkommen gewesen .
({5})
Genauso wie die Linken: Sie haben es bis heute noch
nicht begriffen . Bei Herrn Özdemir scheint zumindest
ein Umdenken eingesetzt zu haben, was erst einmal ein
Fortschritt ist .
({6})
Wir werden unter den neuen globalen Gegebenheiten wesentlich mehr darum kämpfen müssen, den freien
Handel zu erhalten . Herr Ernst, Sie haben gesagt: Wir
brauchen keinen freien Handel, sondern fairen Handel . Erklären Sie mir den Unterschied . Das müssen Sie wirklich einmal machen .
({7})
Sie diskreditieren mit diesem Satz jede Art von freiem
Handel als nicht fairen Handel .
({8})
Das ist einfach Quatsch, das ist blanker Unfug . Freier
Handel ist im Prinzip genau das, was wir in Deutschland
wollen .
({9})
Trotzdem handelt Deutschland fair . Ihr Satz ist reine Polemik und entbehrt jeglicher Grundlage .
Wir brauchen das CETA-Abkommen . Auch das Bundesverfassungsgericht hat uns mit Blick auf dieses Abkommen recht gegeben . Ich weiß gar nicht, warum Sie
morgen noch einmal diese uralte Debatte darüber führen
wollen .
({10})
Aber gut, das ist Ihre Sache .
Wir brauchen aber auch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika . Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass jetzt wieder darüber diskutiert wird, dass man
diese Abkommen nicht schließen solle oder dass man sie
umschreiben müsse . Wir brauchen mit Afrika Nachfolgeabkommen, die WTO-gerecht sind . Deshalb kann ich
hier nur noch einmal dafür plädieren, diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika endlich zu ratifizieren, um sie in Kraft setzen zu können .
Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, die
Globalisierung zu gestalten, die Globalisierung weiterzuentwickeln, dann bietet sich dieses Jahr dafür eine hervorragende Chance . Deutschland hat die Präsidentschaft
der G 20: In Hamburg wird der G‑20‑Gipfel stattfinden.
Die deutsche G-20-Präsidentschaft hat sich das Ziel gesetzt, über die Chancen und Risiken der Globalisierung
einen neuen Diskussionsprozess anzustoßen. Das finde
ich sehr wichtig, gerade angesichts der aktuellen Politik
in den Vereinigten Staaten .
Im Jahreswirtschaftsbericht gibt es ein paar Punkte,
auf die ich kurz eingehen möchte: Es drohen Gefahren
für die weitere Entwicklung . Ein Beispiel ist das Thema Bankenregulierung . Banken sind ja der Hauptgegner
der Linken . Banken sind aber für die Entwicklung der
Wirtschaft wichtig . Vor allem der Mittelstand braucht ein
funktionierendes Bankensystem . Wir dürfen daher den
Bankensektor nicht überregulieren .
Wir müssen die Investitionsquote des Staates stärken .
Wir müssen gemeinsam mit den Unternehmen an einer
Stärkung der Investitionsquote arbeiten . Es ist sehr bedenklich, dass selbst die Mittel der Wirtschaftsförderung
nicht mehr ausgeschöpft werden, wenn es darum geht, in
Deutschland zu investieren .
Wir müssen vor allen Dingen - das ist für mich ein
wichtiger Punkt - den deutlichen Anstieg des Staatskonsums bremsen . Investitionen des Staates müssen aus
meiner Sicht gefördert werden . Aber der Staatskonsum
kann nicht der Gradmesser einer positiven Entwicklung
sein; denn konsumtive Ausgaben rentieren sich nicht
unbedingt, wie wir alle wissen . Wir müssen zudem die
Staatsquote im Blick behalten . Auch das ist in den letzten
Jahren mehr oder weniger gut gelungen .
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der mir besonders wichtig ist, weil es um das Einkommen der Menschen geht . Der Jahreswirtschaftsbericht weist aus, dass
die Schere zwischen Brutto- und Nettoeinkommen der
Menschen weiter auseinandergeht . Das heißt, die Bruttoeinkommen sind deutlich stärker gestiegen als die Nettoeinkommen . Hier sehe ich ein großes Problem; denn
höhere Bruttoeinkommen helfen den Menschen nicht,
wenn nicht mehr Geld in der Tasche bleibt, das sie für
sich verwenden können . Die Entwicklung ist insgesamt
aber erst einmal positiv .
Herr Gabriel, wir wünschen Ihnen in Ihrem neuen
Amt alles Gute . Das Thema Afrika habe ich jetzt nicht so
dezidiert angesprochen . Aber wir werden, wenn Sie Ihr
neues Amt angetreten haben, sicherlich noch viele Berührungspunkte haben .
Vielen Dank .
({11})
Das Wort hat jetzt Thomas Lutze, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass der Minister natürlich voll des Lobes über die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik ist, verwundert
nicht . Die Zahlen hören sich zuerst einmal gut an . Aber
er hat auch richtigerweise gesagt, dass Euphorie nicht
angebracht ist . Die Probleme Binnennachfrage und Exportüberschüsse wurden bereits von mehreren Rednern
angesprochen, allerdings unterschiedlich bewertet . Wir
sagen ganz deutlich: Wer seine eigene Wirtschaft so
einseitig auf den Export ausrichtet und die reine Wachstumslogik propagiert, kann ein böses Erwachen erleben,
nämlich dann, wenn sich die politische Großwetterlage
verändert . Genau das passiert gerade . Weil Deutschland
so abhängig vom Welthandel ist, müsste die Bundesregierung viel mehr dafür tun, ihn fairer und damit stabiler
zu gestalten .
({0})
Globaler Austausch von Waren und Dienstleistungen
muss fair, sozial gerecht und umweltpolitisch verantwortlich gestaltet werden .
({1})
Die riesigen Überschüsse im innereuropäischen Handel haben ganze Volkswirtschaften in Europa an den
Rand des Ruins geführt . Es gibt nämlich keine Überschüsse ohne entsprechende Defizite auf der anderen
Seite . Jahrzehntelang haben wir unseren Nachbarn mehr
verkauft, als sie uns verkauft haben . Damit zum Beispiel
die Länder Südeuropas unsere Produkte kaufen, leihen
wir ihnen auch noch das Geld, damit sie diese Produkte und Dienstleistungen bezahlen können . Was passiert,
wenn sie ihre Kredite und Zinsen nicht mehr zahlen
können? Dann diktieren wir ihnen unter unseren Bedingungen die Sanierung ihrer Haushalte . Die Folgen sind
dramatischer Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit in
vielen Ländern Südeuropas . Übrigens stand der zukünftige SPD-Boss Schulz in der ersten Reihe der Befürworter
einer solchen Politik .
({2})
Auch hierzulande haben viele Menschen und ganze Regionen Angst davor, von der aktuellen positiven
Wohlstandsentwicklung abgehängt zu werden . Die Zahl
der Langzeitarbeitslosen, die in der Statistik gar nicht
mehr auftauchen, steigt . 2016 war auch ein Rekordjahr
für Leiharbeit und befristete Beschäftigung . Die Quote
derer, die akut von Armut bedroht sind, steigt . Das ist
eine politische, eine wirtschaftliche und eine sozialpolitische Entwicklung, die dringend korrigiert werden muss .
({3})
Die Bundesrepublik muss aber endlich auch mehr
für den Schutz bestimmter Branchen unternehmen . Die
einheimische Stahlindustrie zum Beispiel konkurriert
unter verschärften Bedingungen mit der chinesischen
Stahlindustrie . Diese hat derzeit weit schwächere Umweltauflagen, und viele Produkte werden de facto vom
chinesischen Staat subventioniert . Wollen wir diesen
industriellen Kern in Deutschland in unserer Wirtschaft
erhalten, dann müssen wir handeln und dürfen nicht nur
über die Probleme reden .
Wenn ich von meiner Heimatstadt Saarbrücken aus
20 Kilometer nach Norden fahre, dann sehe ich Hütten,
Stahlwerke, Walzwerke, Maschinenbau- und Fahrzeugindustrie und viele Zulieferer . Hier arbeiten Zehntausende Menschen zu guten tariflichen Bedingungen. Fahre
ich aber 20 Kilometer von Saarbrücken aus nach Westen,
dann sehe ich im benachbarten Frankreich die verrosteten Überreste einer untergegangenen Epoche . Im Gegensatz zu Ostdeutschland war hier noch nicht einmal das
Geld vorhanden, um das Alte wenigstens wegzuräumen .
Viele Menschen in unserem Land haben Ängste, die
es ernst zu nehmen gilt . Die Rattenfänger auf der ganz
rechten Seite haben hier leichtes Spiel, wenn nichts oder
zu wenig passiert . Überall gingen industrielle Kerne
verloren, weil man tatenlos zugesehen hat, wie sich die
Märkte weltweit veränderten . Es ist die Aufgabe der Politik, einzugreifen, und zwar im Interesse der Beschäftigten und der kleinen und mittleren Unternehmen .
({4})
Dabei muss man auch den Mut haben, den Weg der reinen Lehre des Neoliberalismus und des Freihandels - es
gibt nämlich wirklich einen Unterschied, Herr Lämmel,
zwischen Freihandel und fairem Handel - zu verlassen .
Ansonsten sitzen dort drüben - nicht auf der Bank der
Bundesregierung, sondern ganz rechts - demnächst Typen, die hier keiner haben will . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, denken Sie wenigstens einmal darüber nach .
Vielen Dank . Glück auf!
({5})
Der nächste Redner: Bernd Westphal, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
letzte Jahreswirtschaftsbericht in dieser Legislaturperiode gibt Anlass, Bilanz zu ziehen, Bilanz über das, was erreicht worden ist . Diese Bilanz fällt sehr positiv aus . Die
Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt sind hier in der Debatte schon genannt worden . Das Wirtschaftswachstum
ist positiv, der Beschäftigungsaufwuchs ist positiv, wir
haben eine gute Entwicklung, was die Arbeitslosenquote
angeht, aber auch die Renten sowie die Löhne und Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind
gestiegen . Im Grunde ist das eine Jobmaschine, für die
die Politik des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel verantwortlich ist . Ganz herzlichen Dank für diese Bilanz .
({0})
Lieber Sigmar Gabriel, Sie haben in Ihrer Zeit als
Bundeswirtschaftsminister eine erfolgreiche Arbeit geleistet . Es gab wichtige Impulse für die Modernisierung
unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland, und Sie haben
vor allem im Bereich der Energiepolitik viel erreicht und
den Industriestandort Deutschland gesichert .
Nicht nur national, sondern vor allem auf internationaler Ebene sind viele Dinge nach vorne gebracht
worden . Beeindruckt haben mich zwei Punkte: auf der
einen Seite, dass Sie es geschafft haben, das, was die
Vorgängerregierungen energiepolitisch liegen gelassen
haben, europakompatibel zu gestalten . Die wettbewerbsrechtlichen Dinge, die wir regeln mussten, sind erfolgreich umgesetzt worden . Auf der anderen Seite möchte
ich daran erinnern, dass wir als Sozialdemokraten und
mit Ihrer Person beim Freihandelsabkommen CETA das wurde in der Debatte schon erwähnt - ein modernes
Freihandelsabkommen mit einer Menge von Instrumenten gestaltet haben, und zwar nicht nur mit 28 europäischen Mitgliedstaaten, sondern auch mit der kanadischen
Regierung . Das war wirklich internationale Politik auf
höchstem Niveau . Herzlichen Dank dafür .
({1})
Ich freue mich auch auf die weitere gute Zusammenarbeit mit Brigitte Zypries, die ab morgen im Amt ist .
Diese gute wirtschaftliche Situation hat natürlich vor
allem damit zu tun, dass wir fleißige, gut ausgebildete
und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
diesem Land haben, Unternehmerinnen und Unternehmer, die mutig investieren, die Ideen haben, die kreativ
ihren Job machen . Dafür gilt ihnen unser besonderer
Dank .
({2})
Auf drei Bereiche möchte ich besonders eingehen .
Wir dürfen uns natürlich nicht auf dem Erreichten ausruhen; das wäre ein Fehler . Deshalb geht es darum, die
Investitionen des Bundes zu erhöhen . Das ist in dieser
Legislaturperiode gelungen . Die Investitionen sind um
weit mehr als ein Drittel auf 36,1 Milliarden Euro angestiegen . Das ist eine gute Entwicklung . Jetzt liegt es an
der Wirtschaft, wieder Geld in die Hand zu nehmen und
zu investieren - und zwar in Deutschland zu investieren .
Wir brauchen nicht nur Ersatz-, sondern auch Erweiterungsinvestitionen . Die globale Situation zeigt deutlich,
dass es kein absolut sicheres Marktumfeld gibt und auch
noch nie gab . Deshalb brauchen wir eine Rückbesinnung
darauf, dass vor allem auch die Standortvorteile Deutschlands bei Investitionsentscheidungen mitberücksichtigt
werden .
Wir haben eine gute Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die
Mitbestimmung . Gute Arbeit, gute Sozialpartnerschaft
führen zu diesen Standortbedingungen . Die SPD steht
für technischen und gesellschaftlichen Fortschritt . Der
fällt nicht vom Himmel, sondern muss politisch gestaltet
werden . Dafür werden wir die Weichen stellen .
Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren das
bestimmende Thema auf der politischen Agenda sein .
({3})
- Ja, Brigitte Pothmer, sollte es jetzt sein, ist es ja auch
schon .
Die Haushaltsmittel für die Breitbandförderung sind
auf 4 Milliarden Euro bis 2020 aufgestockt worden . Das
ist ein wichtiger Schritt . Viele weitere Schritte werden
und müssen noch folgen . Unser Ziel muss sein: Glasfaser
in jedes Haus in Deutschland . Davon hängt die zukünftige Innovationskraft von Wirtschaft und Gesellschaft ab .
Ebenso wichtig ist die Ausweitung des Angebots von
Wagniskapital, um damit auch Start-up-Unternehmen
und neue Ideen zu unterstützen .
({4})
Digitalisierung, Innovation und Investitionen helfen uns, nachhaltiger zu werden . Die Energiewende ist
deshalb eines der zentralen Klimaschutzprojekte der
Bundesregierung . Wir haben in den letzten Jahren und
Monaten bereits einiges erreicht und die Energiepolitik
langfristig ausgerichtet . Trotzdem werden wir auch in Zukunft noch viel investieren müssen . Diese Investitionen
fördern jedoch nicht nur die Nachhaltigkeit in Deutschland, sondern sind auch ein riesiges Infrastrukturprojekt,
das Wertschöpfung vor Ort hier in Deutschland generell
schafft und ein erhebliches Potenzial für Exporte sichert .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns
derzeit in einer Position der Stärke . Diese Stärke sollten
wir bewusst nutzen . Sicherlich müssen Schulden getilgt
und abgebaut werden, aber wir müssen auch weiterhin
an die Zukunftsinvestitionen denken . Eine Straße wird
nicht besser, nur weil wir keine Schulden haben . Kinder
können nicht in moderne Schulen gehen, nur weil wir
keine Schulden haben . Auch eine Internetleitung überträgt nicht mehr an Leistung, nur weil wir keine Schulden
haben . Dafür sind Investitionen notwendig . Es ist eine
Sache, Zurückhaltung zu üben, wenn kein Geld da ist,
({5})
aber in der jetzigen Situation - bei niedrigen Zinsen und
Haushaltsüberschüssen - ist es wichtig,
({6})
genau diese Zukunftsfähigkeit zu sichern . Deshalb dürfen wir die Grundlagen für den Wohlstand von morgen,
Herr Grosse-Brömer, nicht aus den Augen verlieren und
müssen diese Zukunftsinvestitionen tätigen .
({7})
Das ist unsere jetzige Aufgabe .
Wir als SPD werden dafür die Weichen stellen, diese
Zukunftsinvestitionen einfordern und durchsetzen .
Herzlichen Dank fürs Zuhören . Herzliches Glückauf!
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächster hat Dieter
Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, auch ich möchte mich persönlich bedanken, und
zwar besonders dafür, dass Sie in diesem Parlament und
im Ausschuss immer zum Streiten bereit waren . Auch ich
bin jemand, der gern streitet, und das machen wir jetzt
hier in der Debatte noch ein letztes Mal . Denn das tut uns
allen und insbesondere dem Parlamentarismus gut .
({0})
Herr Heil, Sie haben ja zu Recht Frau Wagenknecht
angegriffen und gesagt, dass wir eine Politik des Mauerhochziehens beim Freihandel nicht gebrauchen können .
Die können wir wirklich nicht gebrauchen . Aber ich muss
Sie auch auf etwas hinweisen, das wir ebenso wenig gebrauchen können: Wir können in der Handelspolitik nicht
so weitermachen, dass wir NAFTA verteidigen, dass wir
nicht anerkennen, dass es Globalisierungsverlierer gibt .
Vielmehr müssen wir etwas dafür tun, dass der Handel
fair wird . Darum gehen die ganzen Debatten,
({1})
die Bündnis 90/Die Grünen um TTIP und CETA geführt
haben, und für den fairen Handel werden wir auch weiter
kämpfen . Der Handel muss frei sein, aber er muss auch
fair sein .
({2})
Herr Gabriel, ich habe Ihrer Rede sehr wohl zugehört .
Ich habe darin zwei Wörter vermisst: Ökologie und Erneuerbare . Sie kamen nicht vor .
({3})
Was ist denn die Fortschrittsaufgabe, die wir haben?
Ich zitiere Sie einmal aus 2006 - da waren Sie noch
Umweltminister -: Umwelttechnik als Leitindustrie, erneuerbare Energien als Exportschlager, die Entkopplung
von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als
industriepolitische Notwendigkeit und als Chance für die
deutsche Wirtschaft . - Das war der Ton, den Sie angeschlagen haben, auch wenn Ihre Politik der letzten Jahre
dem nicht entsprach .
Schauen wir einmal hin: Der Klimaschutzplan der
Bundesumweltministerin wurde zusammengekürzt . Das
Klimaziel 2020 werden wir verfehlen . Für den Kohleausstieg gibt es keinen verlässlichen Fahrplan . Erneuerbare Energien: Hier standen Sie immer auf der Seite der
Konzerne und nicht auf der Seite der Mittelständler, der
vielen Marktteilnehmer, die da etwas einbringen können .
({4})
Die Rohstoffeffizienz ist für Sie nicht mehr relevant.
Handelspolitik: Ja, Sie haben verhandelt; aber Sie haben
nie wirklich dafür gekämpft, dass wir einen fairen globalen Handel bekommen,
({5})
sondern Sie haben sich lediglich dem angeschlossen,
was von der EU und von der US-Seite kam . Sie wollen
ein Handelsabkommen durchdrücken, das uns am Ende
nicht hilft . Elektromobilität: Andere Länder weisen hier
die Richtung: China, Norwegen, Frankreich, Kalifornien .
Wir sind es nicht; wir schaffen es mit dieser Politik nicht,
die Automobilindustrie auf die Spur zu bringen .
({6})
Sie haben gestern im Ausschuss gesagt - was ich richtig finde -: Wir müssen die Welt neu vermessen; denn
mit Brexit und Trump verschiebt sich tektonisch etwas . Aber wir müssen auch die Wirtschaft neu vermessen und
einmal überlegen, wie wir sie messen . Dazu haben wir
Grüne etwas, wie ich finde, Kluges vorgelegt; wir wollen
nämlich von der totalen Fixierung auf das Bruttoinlandsprodukt wegkommen . Wir sagen - Kerstin Andreae hat
diesen Ansatz für unsere Fraktion federführend entwickelt -: Wir müssen den Wohlstand neu messen .
({7})
Wir brauchen einen Jahreswohlstandsbericht der Regierung .
Wir dürfen nicht nur darüber reden, ob die Kennzahlen
der Produktion steigen . Eine solche Steigerung ist zwar
gut, aber, ökologisch betrachtet, nicht das einzig Gute;
vielmehr müssen wir schauen, ob etwas nachhaltig ist,
ob es gut für unsere Bildung und für den Kampf gegen
die soziale Spaltung ist . Beantwortet werden müssen die
Fragen: Was passiert in unserem Land? Ist der Wohlstand
für alle da, oder ist er nur für wenige da? Darauf antwortet unser eigener Jahreswohlstandsbericht; zum zweiten
Mal legen wir ihn nun vor .
({8})
Wir glauben, dass wir in diese Richtung gehen müssen .
Wir glauben, dass sich die ganze Debatte über das Wirtschaften der Zukunft verändern muss; denn Wachstum
allein bedeutet eben nicht Wohlstand . Das müssten wir
gelernt haben .
Zum Abschluss noch ein Wort zur veränderten weltpolitischen Situation . Wir als Bundesrepublik Deutschland
können uns die Partner nicht aussuchen . Die USA sind
uns kulturell mit am nächsten . Das heißt, die Kontakte
müssen fortbestehen . Wir müssen mit den USA reden .
Wir sehen auch, dass es in den USA eine Zivilgesellschaft gibt, die groß ist, die die Mehrheit der Gesellschaft
ausmacht . Mit ihr gemeinsam müssen wir auf dem Feld
der Wirtschaftspolitik über die Erneuerbaren, über fairen
Handel reden . Das zu fördern, wäre auch eine Aufgabe
für eine Bundesregierung, ich hoffe, für eine, der wir in
der nächsten Legislaturperiode angehören; denn wir können das besser .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . Andreas
Lenz, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft steht nach wie vor gut da . Das geht natürlich auch aus dem Jahreswirtschaftsbericht mit dem Titel
„Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“
hervor . Das geht aber auch aus allen Beiträgen, die ich
heute gehört habe, hervor .
Auch die Berichte des Statistischen Bundesamtes sprechen eine eindeutige Sprache . So hieß es dort: „Deutsche
Wirtschaft in solider Verfassung“ im Jahr 2014, „Deutsche Wirtschaft im Jahr 2015 weiter im Aufschwung“
und 2016 „Deutsche Wirtschaft setzt Wachstumskurs
fort“ . - Dennoch sagt Herr Ernst, wir sollen eine neue
Wirtschaftspolitik betreiben und unsere Strategie ändern .
({0})
Ich glaube, wir müssen schauen, dass es so bleibt, wie es
ist, und wir dürfen die Kritik nicht in den Vordergrund
stellen .
So viele Probleme es auf anderen Gebieten auch
gibt: Die vergangenen Jahre können, rein wirtschaftlich
betrachtet, durchaus als goldene Jahre bezeichnet werden . Der wichtigste Wachstumsmotor war der Inlandskonsum . So stieg das verfügbare Einkommen 2016 um
2,8 Prozent . Erfreulich ist auch, dass das Wachstum im
Euro-Raum mit 1,7 Prozent in 2016 auch aufgrund der
expansiven EZB-Politik endlich spürbar anstieg . Auch
für 2017 rechnet die Bundesregierung mit einem positiven Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent . Im Jahreswirtschaftsbericht 2017 heißt es:
Der leichte Wachstumsrückgang ist nicht Ausdruck
einer sich eintrübenden wirtschaftlichen Perspektive, sondern lässt sich fast vollständig auf den Effekt
einer geringeren Anzahl von Arbeitstagen gegenüber 2016 zurückführen .
Jetzt muss ich schon einmal anfügen, dass der Freistaat Bayern mit 13 gesetzlichen Feiertagen mindestens
vier Feiertage mehr hat als das Land Berlin .
({1})
Trotzdem ist Bayern innerhalb Deutschlands die Wachstumslokomotive mit einem Wachstum von 12,3 Prozent
seit 2010 .
({2})
Stellen Sie sich einmal vor, Bayern würde auf einige
Feiertage verzichten . Dann wäre ja der Abstand zu den
anderen Ländern noch größer .
({3})
Aber keine Angst: Das machen wir natürlich nicht . Unsere Feiertage sind Teil unserer kulturellen und natürlich
auch unserer christlichen Identität .
({4})
In Deutschland arbeiten erstmals über 43,5 Millionen
Menschen, so viele wie noch nie in der Geschichte der
Bundesrepublik . Gleichzeitig waren so wenige Menschen
arbeitslos wie noch nie . Auf diese Entwicklung können
wir stolz sein, meine Damen und Herren . Wir legen das
vierte Jahr in Folge einen ausgeglichenen Haushalt vor .
Auch auf diese Entwicklung sollten wir stolz sein und
uns darüber freuen . Damit nimmt die Schuldenquote
weiter ab . Sie liegt momentan bei 68 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt . Es ist jedoch absehbar,
dass der demografische Wandel und andere Herausforderungen auf uns zukommen . Deshalb ist die Tilgung von
Schulden in der jetzigen Situation ein Gebot der Stunde,
damit der Staat bei zukünftigen Herausforderungen und
etwaigen Krisen jederzeit handlungsfähig bleibt . Wir
dürfen und müssen natürlich trotzdem über Steuerkonzepte, die gerade die Mittelschicht, aber auch Familien
entlasten, sprechen . Man gewinnt jedoch anhand der aktuell geführten Debatte eher den Eindruck, dass es nicht
um die Frage „Schuldentilgung oder Investitionen“ geht,
sondern darum, dass Sie von den Linken die Überschüsse
lieber konsumieren wollen .
Es wird ja vom Bund so viel investiert wie noch nie .
Wir erleben einen nie dagewesenen Investitionshochlauf .
Insgesamt wurden die Investitionen in dieser Legislatur
um ein Drittel auf über 36 Milliarden Euro erhöht . Davon entfallen 2017 13,7 Milliarden Euro auf die zentralen Treiber für Wachstum und Wohlstand eines auch
zukünftig erfolgreichen Investitionsstandortes, nämlich
die Verkehrsinfrastruktur und die digitale Infrastruktur .
Wir müssen Güter, Personen und Datenströme möglichst
schnell und sicher transportieren, um auch zukünftig erfolgreich zu sein . Mit insgesamt 4 Milliarden Euro bis
2020 wird der Breitbandausbau in unterversorgten Regionen unterstützt . Auch in den Kommunen steigen die
Investitionen: Über 50 Prozent der Investitionen werden
hier getätigt . Es gilt auch, zu betonen, dass die öffentlichen Investitionen insgesamt lediglich 10 Prozent der
gesamtwirtschaftlichen Investitionstätigkeit ausmachen .
Insofern ist es erfreulich, dass auch die privaten Investitionen anziehen . Es heißt so schön: Man kann die Pferde
zur Tränke führen, saufen müssen sie von alleine . - Sie
beginnen zu nippen, wenn nicht schon zu trinken, und
das ist ein sehr positives Signal .
Natürlich profitieren Deutschland und auch der Staatshaushalt von der Niedrigzinssituation . Jens Weidmann
meinte neulich, dadurch, dass die durch die Zinseinsparungen freigewordenen Mittel weitestgehend ausgegeben würden, sei der Haushalt sogar expansiv . Der Sachverständigenrat empfiehlt die schnellere Beendigung des
Anleihekaufprogramms der EZB, und zwar auch deshalb,
weil die Inflation mittlerweile anzieht. Wir brauchen die
Zinswende, aber wir brauchen sie so, dass dadurch nicht
neue Finanzkrisen entstehen können . Der Sachverständigenrat mahnt zu Recht die fehlenden strukturellen
Reformen innerhalb der Euro-Länder an . Die Zeit muss
natürlich jetzt genutzt werden . Gleichzeitig müssen wir
mehr denn je die europäischen Strukturen stärken . Wir
brauchen den Mut, auch hier langfristige Konzepte zu
entwickeln .
Angesichts der Flüchtlingskrise brauchen wir auch
weiterhin einen flexiblen, aufnahmefähigen Arbeitsmarkt . Gerade deshalb war es so wichtig, dass ein Integrationsgesetz mit den Inhalten Fordern und Fördern
in dieser Legislatur umgesetzt wurde . Sprache ist der
Schlüssel zur Integration . Oft sind wiederum Arbeit, inklusives Wachstum und Beschäftigung der Schlüssel für
die Sprache .
Sicherheit - gerade die innere Sicherheit - ist die
Voraussetzung für Stabilität, auch für wirtschaftliche
Stabilität . Unsicherheit ist Gift für die wirtschaftliche
Entwicklung . Deshalb müssen wir uns natürlich die Entwicklungen - Stichworte „Brexit“ und „US-Wahl“ - anschauen . Diese müssen uns umtreiben . Der Sachverständigenrat weist zu Recht auf die negativen Auswirkungen
von Renationalisierungstendenzen hin . Eines ist klar:
Protektionismus schadet letztlich allen, und GlobalisieDr. Andreas Lenz
rung nutzt nicht allen; nicht alle sind Globalisierungsgewinner . Darüber muss mehr gesprochen werden .
Deutschland hat sich zu einer ehrgeizigen Umsetzung
der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
der Vereinten Nationen verpflichtet. Die neue Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung setzt Maßstäbe .
Wir sind hier schon weiter, als die Grünen es propagieren .
Um in einer globalen Welt bestehen zu können, brauchen wir nach wie vor Ideen, Kreativität und Innovationen . Gerade die Verbesserungen hinsichtlich der Nutzung
von Wagniskapital und der Verrechnungsmöglichkeit
von Verlustvorträgen sind vielversprechend . Wir werden
uns natürlich auch weiterhin dafür einsetzen, Professor
Riesenhuber, dass die steuerliche Forschungsförderung
in Zukunft kein frommer Wunsch bleibt, sondern auch
Realität in Deutschland wird . Roman Herzog meinte zu
Recht: Die Fähigkeit zu Innovationen entscheidet über
unser Schicksal . Genau diese Zukunftsfähigkeit wollen
wir erhalten . Mit dem Jahreswirtschaftsbericht stellen
wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um diese
zu meistern .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Als Nächstes kommt die Rednerin
Frau Gabriele Katzmarek von der SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht zeigt: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat in den letzten drei
Jahren richtige Akzente für eine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gesetzt . Er hat dabei die Menschen
in diesem Land in den Mittelpunkt gestellt .
({0})
Der Grundsatz sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik - das wurde heute schon einmal erwähnt - heißt:
wirtschaftlicher Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft .
({1})
Das sind keine Gegensätze, meine Damen und Herren,
sondern sie bedingen sich gegenseitig; denn sie sind der
Garant für Wohlstand und für eine bessere Zukunft für
uns alle .
Soziale Sicherung, Teilhabe und gute Arbeit bei fairem Lohn sind zentrale Voraussetzungen für wirtschaftlichen Fortschritt, keine Hindernisse; denn Wirtschaftspolitik - auch das sagte Sigmar Gabriel - ist auch immer
Gesellschaftspolitik, meine Damen und Herren .
({2})
Der Jahreswirtschaftsbericht macht es deutlich: Die
wirtschaftliche Entwicklung ist bei den Menschen angekommen . Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist gestiegen,
der Trend zu immer mehr prekärer Beschäftigung ist gebremst . Das sind Themen, die heute schon angesprochen
worden sind, die ich nicht wiederholen will . Aber es
zeigt, dass gute Wirtschaftspolitik Positives für die Menschen bewirken kann . Dieser Erfolg - auch das wurde
heute schon angesprochen - reicht jedoch nicht aus . Wir
müssen weiter daran arbeiten; denn wir wissen: Wer stehen bleibt, fällt zurück .
Der deutschen Wirtschaft geht es gut . Dennoch nimmt
die Ungleichheit zu . Sozialer Aufstieg und gleiche Teilhabe für alle sind noch nicht realisiert . Uns muss es darum gehen, dass die Wirtschaft stabil bleibt, nicht um
ihrer selbst willen, sondern für die Menschen in diesem
Land .
({3})
Gute Wirtschaftspolitik hat viele Facetten, und dies
zeigt der Jahreswirtschaftsbericht . Investitionen, auch
des Staates, sind der Schlüssel dazu . Gute Wirtschaftspolitik investiert jetzt in Bildung . Investitionen in Bildung
fangen an bei den Schultoiletten, vor denen man sich
nicht ekeln muss, und bei dem dichten Dach
({4})
- eigentlich Selbstverständlichkeiten -,
({5})
sie gehen weiter bis zur Ausstattung der IT-Infrastruktur .
Sie haben vorhin schon einmal in Ihrem Zuruf gesagt:
Das ist Ländersache .
({6})
Ich glaube, wir haben uns darauf verständigt, dass es bei
dieser Frage nicht alleine reicht, wenn der Bund sagt: „Es
ist Ländersache“, sondern es ist unser aller Aufgabe, dort
zu handeln . Ich komme noch darauf zurück .
({7})
Es gibt einen Überschuss im Haushalt . Was spricht
dagegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen
Überschuss zu investieren?
Sehr geehrte Frau Katzmarek, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Sofort . Ich will nur zu Ende reden . Dann darf er gerne fragen . - Was spricht dagegen, diesen Überschuss zu
investieren? Oder glauben Sie, dass die Menschen in
diesem Land, was marode Schulen und Berufsschulen
angeht, mit der Antwort zufrieden sind, das sei Ländersache?
({0})
Das geht doch gar nicht .
({1})
- Natürlich nicht . - Jetzt dürfen Sie fragen .
({2})
Vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage, Frau
Kollegin Katzmarek . In der Tat interessiert es mich, dass
sich an den von Ihnen beschriebenen Zuständen etwas
ändert . Aber meine Frage ist: Könnte es sein, dass die
Länder angesichts ihrer finanziellen und steuerlichen Rekordeinnahmen selbst in der Lage sind, solche Missstände in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich zu beheben?
Würden Sie mir auch zustimmen, dass es möglicherweise gerade mit Blick auf die Wahlentscheidung bei Landtagswahlen und Bundestagswahlen für die Menschen
von Vorteil ist, wenn jeder sich um seinen Kompetenzund Zuständigkeitsbereich kümmert?
({0})
Dann kann man nämlich politisch entscheiden, welches
Land im Rahmen des Wettbewerbsföderalismus in der
Lage ist, erfolgreich die ihm übertragenen Aufgaben
zu erfüllen, und wer dabei permanent auf die Hilfe des
Bundes angewiesen ist, weil er möglicherweise vor Ort
falsche politische Entscheidungen trifft . Also macht es
sowohl unter demokratischen als auch unter steuer- und
finanzpolitischen Gesichtspunkten Sinn, dass die Länder
die Aufgaben in ihrer Zuständigkeit selbst erfüllen, anstatt permanent die Forderung zu erheben, dass alles in
die Zuständigkeit des Bundes fallen muss, der im Übrigen, was Verteidigungs- und Sozialausgaben betrifft,
auch über ganz wichtige Punkte selbst zu entscheiden
hat .
({1})
- Ich weiß, das war eine schwierige Frage .
Das ist keine schwierige Frage . ({0})
Selbstverständlich sind auch die Länder dafür verantwortlich; das ist doch keine Frage, das stellt doch auch
niemand in Abrede . Aber selbstverständlich tragen auch
wir Verantwortung für dieses Land und für die Menschen, die in diesem Land leben .
({1})
Wir müssen doch dort eingreifen und unterstützen, wo es
im Interesse der Menschen in diesem Land ist,
({2})
und können uns nicht hinsetzen - das will ich noch mal
sagen -,
({3})
die Augen zumachen und auf die Länder verweisen . So
geht es nicht . Genau deshalb ist es richtig, dass wir sagen: Wenn die Gelder vorhanden sind, müssen sie im Interesse der Menschen in diesem Land investiert werden .
({4})
Wir müssen Zukunft gestalten und dürfen uns nicht hinsetzen, uns in Formalitäten ergießen und die Zuständigkeit von den Ländern zum Bund und vom Bund zu den
Ländern schieben . Denn damit ist den Menschen nicht
geholfen,
({5})
und sie verlieren jeden Glauben, aber wirklich jeden
Glauben, an die Politik .
({6})
Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere Gruppierungen Zulauf erhalten . - So .
({7})
Ich glaube, das war die richtige Antwort auf Ihre Frage .
Hier zu investieren, ist im Interesse dieses Landes .
({8})
- Herr Grosse-Brömer, das ist doch Unsinn . Aber ich will
jetzt nicht mehr darauf eingehen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Antwort hat deutlich gemacht, dass es wichtig ist, nicht nur
die Antwort zu geben, dass wir sparen, sondern den Menschen auch die Antwort auf die Frage zu geben, wie wir
die Zukunft gestalten . Sigmar Gabriel hat da etwas vorgelegt, mit dem wir alle uns mal intensiver beschäftigen
sollten: Es geht um die Frage, wie wir die Zukunft für
die Menschen in diesem Land gestalten - für mehr Arbeit, mit Investitionen in die Zukunft . Denn dann brauchen wir uns über manch populistische Worte, die immer
wieder draußen fallen und mit denen Zukunftsängste geGabriele Katzmarek
schürt werden, keine Gedanken mehr zu machen . Deshalb fordere ich alle in diesem Haus auf: Lassen Sie uns
gemeinsam die Zukunft für die Menschen in unserem
Land gestalten .
Herzlichen Dank .
({9})
Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht jetzt
Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion zu uns .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung belegt eindeutig, dass die deutsche Wirtschaft weiter wächst . Erwartet wird ein durchschnittliches jährliches Wachstum
von 1,4 Prozent . Aber diese Dynamik kann an Stabilität
verlieren . Das liegt an den - wir haben es heute schon
angesprochen - zahlreichen existenziellen Entwicklungen in der nahen Zukunft . Ich will sie kurz in Stichworte
zusammenfassen: der Brexit, der Rechts- und auch der
Linkspopulismus in Europa, die neue Trump-Regierung,
das schwierige Verhältnis zu Russland und die damit verbundene Neuausrichtung der EU .
Wir müssen uns die einzelnen Branchen genauer anschauen; denn das Wirtschaftswachstum ist sehr unterschiedlich einzuschätzen . So ist die Auftragslage in der
Stahlindustrie besser als erwartet . Diese deutsche Kernbranche mit 87 000 Arbeitnehmern ist durch die Billigimporte aus China gefährdet . Die Große Koalition hat
hier im Bundestag zeitnah einen Antrag eingebracht, um
das entsprechend zu thematisieren .
Die Prognosen für die Automobilbranche sehen deutlich schlechter aus . Herr Cem Özdemir, ich habe Ihnen
gut zugehört . Sie wollen die Verbrennungsmotoren in
Deutschland verbieten . Wir als Union können da nur
ganz klar gegenhalten; das sage ich als Niedersachse
gerade mit Blick auf meine Region . Ihre Verbotspolitik
schadet den Zulieferindustrien . Ihre Politik führt zu mehr
Arbeitslosigkeit und zu weniger Ausbildung .
({0})
Das ist mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht zu machen .
({1})
Es ist heute viel über Protektionismus gesprochen
worden . Wir müssen nicht nur die Entwicklung in den
Vereinigten Staaten beobachten, wo womöglich Schutzzölle auf ausländische Waren erhoben werden, wir müssen auch die Entwicklung in den G-20-Staaten beobachten . Wir wissen, dass die G-20-Staaten Befürworter des
Freihandels sind . Nach Angaben der Welthandelsorganisation ist die Zahl der Handelshemmnisse in den vergangenen Jahren stark gestiegen . Seit der Finanzkrise
2008 wurden über 1 200 neue bürokratische Vorschriften
eingeführt . Das bestätigt auch das, was in der Debatte
über CETA und TTIP herausgekommen ist, nämlich dass
der Sinn für Welthandelspolitik in der Öffentlichkeit und
auch in Fachkreisen stetig abnimmt .
Gerade mit Blick auf das Abkommen mit Kanada will
ich sagen: Die Grünen und die Linken haben über Monate dagegengehalten .
({2})
Zu dieser Politik gegen den Freihandel sagen wir als Union ganz deutlich: Wir brauchen die offenen Märkte; denn
gerade diese Offenheit treibt die wirtschaftliche Dynamik an . Wir sind eine Exportnation . Aus dem Export
wird letztendlich unser Wohlstand generiert . Wir verdanken unseren Wohlstand einem offenen Welthandel .
Zugleich sind globale Marktentwicklungen unberechenbarer geworden - wir sehen das an den Bilanzen der
Firmen -: Von satten Gewinnen in einem Quartal bis zum
totalen Einbruch - alles ist in einer Jahresbilanz möglich .
Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir uns auf unseren
gemeinsamen EU-Binnenmarkt konzentrieren . In Zukunft wird das noch viel wichtiger; denn wir wissen, dass
der US-Markt weitaus schwerer zugänglich sein wird .
Wir brauchen auch eine offene und sozial ausgewogene Wirtschaftspolitik . Das ist ein Markenkern gerade
der Union . Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt, dass sich
die Ergebnisse sehen lassen können . Die Arbeitslosigkeit liegt bei 6,1 Prozent und damit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung . Wir haben eine
Rekordbeschäftigung: Die Zahl der Beschäftigten liegt
bei über 43 Millionen . Die Gehälter steigen, und der private Konsum zieht ebenfalls an . Die Start-up-Szene in
Deutschland ist gut gewachsen, und entgegen den Befürchtungen der Ökonomen hat der Mindestlohn nicht zu
mehr Arbeitslosigkeit geführt . Im Gegenteil: 4 Millionen
Arbeitnehmer profitieren vom gesetzlich geregelten Mindestlohn .
Wir müssen uns die Frage stellen:
({3})
- Nein, Herr Kollege, das habe ich immer so beantwortet . - Was brauchen wir jetzt, damit unsere Wirtschaft
auch in Zukunft gut aufgestellt ist? Wir brauchen eine
gute Kombination aus Investitions- und Industriepolitik
sowie Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik . Dazu gehören
vor allem eine moderne Infrastruktur und Fördermittel
für Innovationen, die direkt in den Unternehmen und vor
allem unbürokratisch ankommen .
Wir müssen fragen: Wie sieht der aktuelle Stand der
Digitalisierung unserer Wirtschaft aus? Deutschland ist
weiterhin Weltmarktführer bei der Fabrikausstattung Stichwort „Industrie 4 .0“ -, aber wir müssen im Zuge der
industriellen Standortpolitik weitere Maßnahmen ergreifen, um die Entwicklung zu stärken, damit wir weiterhin
vor den USA und vor China liegen . Wir brauchen also einen Wissens- und Technologievorsprung und müssen ihn
ausbauen . Die Unternehmen investieren zu wenig in IT
und TK . Wenn wir betrachten, was die öffentliche Hand
auf diesem Gebiet in Deutschland investiert, stellen wir
fest, dass es lediglich 14 Prozent sind, und da sage ich:
Das ist schlichtweg zu wenig . Deswegen müssen wir die
digitale Entwicklung in den Zukunftsbereichen vorantreiben . Ich will das an vier Punkten umschreiben:
Erstens zur digitalen Infrastruktur . Wir müssen den
Ausbau von Breitband und Mobilfunk beschleunigen .
Da muss es einfach schneller vorangehen . Wir sind auf
dem Weg in eine Gigabit-Gesellschaft und dürfen nicht
bei 50 Megabit stehen bleiben .
Zweitens . In der digitalen Bildung sind nicht nur
White boards und Tablets in den Schulen gefragt, sondern
vor allem Lehrer mit Know-how . Wir müssen auch auf
Quereinsteiger setzen . Die Wirtschaft braucht Zigtausende von Programmierern; wir brauchen also mehr Informatikstudiengänge . Wenn ich in mein Bundesland, Niedersachsen, schaue, stelle ich fest, dass dort jedes Jahr
lediglich 20 Quereinsteiger für den Informatikunterricht
ausgebildet werden, also eine sehr geringe Anzahl . Wir
brauchen ferner die digitale Berufsschule, um die Auszubildenden auch im IT‑Bereich fit zu machen.
Drittens müssen wir den digitalen Mittelstand ermutigen, innovative Geschäftsmodelle anzugehen . Hier ist
Potenzial bei Wertschöpfung und Effizienzsteigerung.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das BSI, kann als Dienstleister für den Mittelstand
auftreten, damit gerade im Bereich der Sicherheit bessere
Grundlagen gelegt werden können .
Viertens . An letzter Stelle - da steht sie tatsächlich nenne ich die digitale Verwaltung . Schon seit 20 Jahren
sprechen wir über E-Government . Wir haben es nicht
zuletzt auch bei der Flüchtlingskrise erlebt, dass es zu
wenig Vernetzung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gibt . Da müssen wir handeln . In der nächsten
Legislaturperiode muss das wesentlich stärker angegangen werden .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte fest: Die Rahmenbedingungen des Welthandels sind
komplizierter geworden . Wir müssen noch stärker und
kontinuierlich auf Märkte und Branchen eingehen und
sie intensiver beobachten, um auch neue Wirtschaftsräume zu erschließen .
Ergänzend und abschließend möchte ich sagen: Wir
brauchen einen digitalen Ruck in unserem Land . Nur auf
dem digitalen Fundament sichern wir Wohlstand, Standort und auch Wettbewerbsfähigkeit .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank, Kollege Knoerig . - Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 3 b und
3 c . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10990 und 18/10230 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 3 d . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Jahreswohlstandsbericht einführen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7599, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7368 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Damit erübrigt sich die Frage nach
Enthaltungen . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD,
dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf - ein langer Titel;
ich hoffe, ich kriege es hin -:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän
zung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts
im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für
die Stabilität des Finanzsystems und zur Än
derung der Umsetzung der Wohnimmobilien
kreditrichtlinie ({1})
Drucksache 18/10935
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
({3})
- War gut?
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort .
({4})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat am 21 . Dezember 2016
den Entwurf des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes beschlossen . Wir bringen den Entwurf heute in den
Bundestag ein .
Dieser Gesetzentwurf hat zwei Teile . Der eine Teil
befasst sich mit der rechtssicheren Gestaltung des Verbraucherschutzes beim Erwerb einer Wohnimmobilie
bzw . bei der Vergabe von Krediten zur Wohnimmobilienfinanzierung. Zu dem Teil wird gleich der Kollege Kelber
in die Inhalte des Gesetzentwurfs einführen . Der zweite
Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit vorsorglichen
Aufsichtsbefugnissen . Darüber diskutieren wir nun .
Wir wollen die Empfehlungen des Ausschusses für
Finanzstabilität umsetzen . Wir haben den Ausschuss für
Finanzstabilität als eine Konsequenz im Jahre 2012 eingerichtet, als wir die Ursachen der Finanzkrise analysiert
und festgestellt haben, dass es zwischen den verschiedenen Akteuren, die Aufsicht betreiben, einer noch besseren Abstimmung, einer noch besseren Vernetzung bedarf .
Dieser Ausschuss hat am 30 . Juni 2015 vorgeschlagen,
für eine bessere Finanzstabilität bei der Kreditvergabe
für Wohnimmobilien zu sorgen .
Wenn man sich diesen Sektor anschaut, stellt man fest,
dass es drei Entwicklungen gibt, die man im Blick haben
muss:
Die eine Entwicklung bezieht sich auf die Frage: Wie
entwickeln sich eigentlich die Preise für Wohnimmobilien im Lande? Wenn wir uns das anschauen, stellen wir
fest, dass wir im ersten Halbjahr 2016 einen Preisanstieg
um 5 Prozent hatten . Diese Entwicklung hat sich allerdings nicht mehr, wie bis 2014, auf die Ballungsräume
konzentriert . Wir haben vielmehr gesehen, dass die Wohnimmobilienpreise mittlerweile im ganzen Land steigen .
Ein Anstieg der Immobilienpreise ist für sich genommen allerdings noch kein Problem . Man muss eine zweite Entwicklung im Auge haben: Wie finden diese Finanzierungen statt? Wenn die Immobilien mit Eigenkapital
finanziert werden, ist das für die Finanzmarktstabilität relativ ungefährlich . Denn wenn jemand sein eigenes Geld
in den Kamin wirft, dann ist das sein eigenes Vergnügen .
Wenn er aber mit fremdem Kapital finanziert, muss man
die Auswirkungen möglicher Verluste auf diejenigen, die
die Kredite vergeben haben, im Blick haben . 2016 verzeichneten wir beim Volumen der Fremdfinanzierung,
also bei den Wohnimmobilienkrediten, ein Wachstum
von 3,7 Prozent in Deutschland . Wir hatten langfristig wenn man sich die letzten drei Jahrzehnte anschaut - ein
Wachstum von etwa 5 Prozent . Das heißt, das Tempo hat
sich reduziert . An dieser Stelle ist eine Beruhigung eingetreten .
Es gibt noch einen dritten Punkt: Nach welchen Maßstäben, nach welchen Standards vergeben die Banken
Wohnimmobilienkredite? Wenn wir uns das anschauen,
stellen wir fest - das sagen uns diejenigen, die näher an
den Banken sind, diejenigen, die dort Aufsicht führen -,
dass die Kreditvergabestandards im vergangenen Jahr im
Allgemeinen eher geschärft worden sind, als dass man
sie schleifen gelassen hätte .
Das ist zunächst einmal die Lagebeschreibung . Wenn
wir eine Gefahrenanalyse, eine Risikoanalyse machen,
müssen wir diese drei Entwicklungen im Blick haben .
Nur wenn wir in allen drei Bereichen gleichzeitig ein
Problem feststellen, also ein Ansteigen der Wohnimmobilienpreise, ein Ansteigen bei der Fremdfinanzierung
und ein Absinken der Mindeststandards bei der Vergabe
von Krediten, dann haben wir ein Problem .
Deshalb kann man die Frage stellen: Warum ergreifen
wir die Initiative? Warum wollen wir jetzt dieses Gesetz
beschließen? Der Grund ist folgender: Wenn bei Ihnen ein
Brand ausbricht und Sie auf den Feuermelder drücken,
hilft Ihnen das nur dann, wenn Sie vorher eine Feuerwehr
eingerichtet, das Personal ausgebildet und der Feuerwehr
die notwendige Ausrüstung gegeben haben . Ansonsten
ist das Drücken des Feuermelders relativ wirkungslos .
Entsprechend wollen wir vorgehen: Wir wollen jetzt die
nötigen Instrumente schaffen, die Werkzeuge schaffen,
um für den Fall, dass eine kritische Lage eintritt, gerüstet zu sein . Wir wollen diese Instrumente aktuell nicht
aktivieren und zum Einsatz bringen . Ich habe dargelegt,
dass wir dafür noch nicht die Notwendigkeit sehen . Wir
bitten allerdings die Bundesbank und die BaFin darum,
gemeinsam mit uns die drei Parameter, die ich geschildert habe, im Auge zu behalten und uns die Information
zu geben, wann es nach ihrer Einschätzung mit Blick auf
diese drei Parameter zu einer Gefahrenlage kommt, wann
es zu einer Blasenbildung mit Gefahren für die Finanzstabilität kommt . Dann würden wir in einem gemeinsamen Entscheid, über den wir auch den Bundestag informieren würden, zur Aktivierung dieses Werkzeugkastens
kommen . Das ist unsere Vorgehensweise an der Stelle .
Was sind die Mindeststandards, die wir im Blick haben? Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Darlehenshöhe und dem Wert der Immobilie . In den USA haben wir vor der Finanzkrise Finanzierungen jenseits von
100 Prozent gesehen . Ein solches Verhalten haben wir in
Deutschland nicht . Aber, ich glaube, hier einen Mindeststandard zu setzen, um bei denen, die solche Standards
nicht einhalten, für eine gewisse Besinnung zu sorgen,
ist kein Fehler .
Zum Zweiten . Wir haben momentan Zinssätze, die
sehr niedrig sind . Wenn man bei niedrigen Zinsen einen
Kreditvertrag mit 1 Prozent Tilgung abschließt, dann ist
das Volumen der Tilgung, das man über die Laufzeit gewinnt, relativ gering im Vergleich zu früheren Zeiten, in
denen die Zinsen höher waren . Da hat man, wenn man
mit 1 Prozent Tilgung angefangen hat, über die Laufzeit
natürlich einen höheren Tilgungsanteil erreicht . Deshalb
ist der zweite Punkt, dass wir einen Zeitraum für eine
Mindesttilgung des Kredits als Standard setzen wollen .
Der dritte Punkt betrifft das Verhältnis des Schuldendienstes zum Einkommen des Kreditnehmers . Auch
diese Frage ist plausibel . Kann der Mensch eigentlich
aus seinem eigenen Einkommen den Kredit, den er aufnimmt, bedienen? Es kann ja auch sein, dass er nicht nur
einen Kredit hat, sondern mehrere . Das heißt, wir wollen
uns auch die Gesamtleistungsfähigkeit, bezogen auf die
Gesamtverschuldung, und das Verhältnis von Gesamtverschuldung zum Einkommen anschauen .
Da wir hier allerdings nicht den einzelnen Kreditnehmer im Auge haben, da unser Interesse vielmehr der Finanzstabilität und damit der Stabilität der Bankinstitute
gilt - das andere Thema wird Kollege Kelber beleuchten,
nämlich den Schutz des einzelnen Kreditnehmers -, sagen
wir: Wir wollen Ausnahmen für Ausbau, Umbau und Sanierung schaffen . Wir wollen den sozialen Wohnungsbau
komplett ausnehmen und das Thema Anschlussfinanzierung aus diesen Betrachtungen herauslassen . Es geht uns
um die Stabilisierung von Banken . Wir wollen auch jeder
Bank ein gewisses Freikontingent an Kreditvolumen, für
das die Mindeststandards nicht gelten, zugestehen . Denn
wenn nur ein kleines Volumen an Krediten in Gefahr gerät, wird das nicht die Bank und damit das Finanzsystem in Gefahr bringen . Wir wollen ferner Bagatellkredite
außen vor lassen, das heißt, es soll eine Bagatellgrenze
geben; denn durch Kleinstkredite wird die Finanzmarktstabilität natürlich nicht in Gefahr geraten .
Diese Überlegungen haben wir auf den Weg gebracht .
Jetzt kann man sagen: Warum kommen die Deutschen
auf den Gedanken? Zum einen weil wir den Hinweis unserer Aufsichtsorgane haben, zum Zweiten weil uns die
Europäer, die sich mit Risiken im Finanzmarkt beschäftigen, darauf hingewiesen haben, dass es notwendig ist .
Auch der Internationale Währungsfonds hat uns darauf
hingewiesen, dass es notwendig ist, einen solchen Instrumentenkasten zu schaffen . Außerdem sind andere Länder
in Europa bereits in diesem Sinne tätig geworden . Deshalb würde es die Bundesregierung für nachlässig halten, wenn wir diesen Empfehlungen nicht nachkommen
würden . Aber das ist immer in dem Sinne gemeint: Wir
bereiten uns auf Risiken vor . Das heißt nicht, dass wir
Risiken, die noch nicht eingetreten sind, jetzt schon bekämpfen wollen .
Ich bitte Sie um eine konstruktive Beratung dieser
Überlegungen . Ich hoffe, Sie würdigen auch den zweiten
Teil, den Kollege Kelber nachher vorträgt .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Dr . Meister . - Nächster Redner: Dr . Axel
Troost für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben gehört: Es geht um die Verhinderung von Spekulationsblasen, von Immobilienblasen . „Immobilienblasen“ heißt: Es handelt sich um eine Spekulationsblase,
bei der es auf einem Teilbereich des Immobilienmarktes
zu sehr stark ansteigenden Preisen kommt . Irgendwann
ist diese Preisentwicklung zu Ende, sie bricht zusammen .
Das führt dann zu Unternehmenszusammenbrüchen und
Insolvenzen bis hin zu Bankenkrisen .
Grundsätzlich begrüßen wir den vorliegenden Gesetzentwurf, weil die Bundesregierung damit auf potenzielle
Risiken bei der Blasenbildung eingehen und reagieren
will und gesetzliche Eingriffsmöglichkeiten schaffen
möchte, um besser handlungsfähig zu sein . Das ist die
gute Nachricht .
Die schlechte lautet: Wir haben erhebliche Zweifel,
ob die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen zusätzlichen Eingriffsrechte reichen, um eine solche
Blase wirklich wirksam abwenden und vorausschauend
schon genug Druck ablassen zu können, damit die Blase
nicht platzt . Als eine Schwäche des Gesetzentwurfes sei
nur beispielhaft genannt, dass die Finanzierung gewerblicher Immobilien unberücksichtigt bleibt und dass auch
im Hinblick auf die mangelnde Datengrundlage keine
Initiative ergriffen wird . Das wäre für eine umfassendere
Prävention aber notwendig .
Wir stellen fest - das ist eben auch gesagt worden -,
dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen einem Bericht
des Ausschusses für Finanzstabilität folgt, der auf die
wachsenden Risiken hingewiesen hat . Dieser Ausschuss,
in dem das Bundesfinanzministerium zusammen mit der
Bundesbank und der BaFin die laufende Finanzmarktentwicklung untersucht, soll also jetzt beim Thema Immobilienfinanzierung tatsächlich seine Funktion erfüllen. Er
soll durch gemeinsame Analysen die zuständigen Institutionen frühzeitig und vor einer akuten Finanzkrise auf die
Gefahren aufmerksam machen .
Das hört sich irgendwie selbstverständlich an; aber die
Erfahrungen haben gezeigt, dass wir ähnliche Gremien
bereits zuvor hatten, dass sie aber in der Zeit vor und
nach der großen Finanzkrise 2007/2008 entweder nicht
vernünftig gearbeitet haben oder im Extremfall sogar gar
nicht erst einberufen worden sind . Das soll sich jetzt ändern .
Eigentlich sollte es auch wünschenswert sein, dass
wir jetzt wirkliche Maßnahmen ergreifen, was Finanzstabilität angeht . Man sieht, dass sich hier die Grundlagen
geändert haben, dass sich vieles verändert hat, und das
ist ja angesichts des vielen Lehrgeldes auch notwendig,
das wir, das die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in den letzten zehn Jahren gezahlt haben . Ich sage
nur die Stichworte: IKB, HRE, Commerzbank oder auch
WestLB .
Wir halten das Gesetz und seine Vorgeschichte insofern regulatorisch für einen Schritt in die richtige Richtung; aber die ergriffenen Maßnahmen sind unzureichend .
Gerade in der Euro-Zone kann die Geldpolitik das
Problem von isolierten Preisblasen in einzelnen Ländern
bzw . Branchen mithilfe ihres bisherigen Instrumentenkastens nicht lösen . Es ist daher grundsätzlich erst einmal richtig, dass das Gesetz zum Beispiel zusätzliche
Eigenkapitalanforderungen oder auch Obergrenzen bei
den Banken für die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten gezielt vorsehen und damit die Entwicklung bremsen
kann . Bislang bleibt die Bundesregierung allerdings die
Antwort schuldig, ab wann sie wirklich von einer Blase
am Immobilienmarkt ausgeht und wann sie diese Instrumente denn auch einsetzen will . Schlimmstenfalls passiert uns dann dasselbe wie bei der Terrorabwehr, dass
wir zwar bestehende Gesetze haben, diese aber nicht
wirksam nutzen .
Wir sind uns einig, dass in Deutschland die Gefahr
von Immobilienblasen im Wesentlichen in bestimmten
Ballungsräumen und insbesondere in Universitätsgroßstädten vorkommt . Es wird abzuwarten sein, ob die im
Gesetzentwurf enthaltenen Bremsen dann auch wirklich
so zielgenau wirken können . Neben den erweiterten Eingriffsbefugnissen der BaFin bedarf es aus unserer Sicht
je nach Region sehr unterschiedlicher fiskalisch‑administrativer Maßnahmenpakete, die auf drohende Blasen am
Immobilienmarkt vor Ort zugeschnitten sind .
({0})
So könnte man beispielsweise über Hebesätze bei der
Grunderwerbsteuer in verschiedenen Kommunen nachParl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
denken, zum Beispiel dann, wenn die Häuserpreise vor
Ort in den drei Jahren zuvor um mehr als 20 Prozent gestiegen sind . Formal müsste man dann aber natürlich das
Problem lösen, dass die Grunderwerbsteuer eine Ländersteuer ist und sie bisher überhaupt nicht auf Steuerungswirkungen ausgerichtet ist . Ich bin gespannt, wie wir in
den Anhörungen im Finanzausschuss diese Instrumentendebatte führen werden .
Bei allem Wohlwollen muss ich aber natürlich noch
einmal darauf hinweisen, dass sich Preisblasen auf Vermögensmärkten - da ist es egal, ob es um Wertpapiere,
um Edelmetalle, um Rohstoffe, um Immobilien oder
anderes geht - notwendigerweise immer wieder bilden
werden, solange die ungerechte und immer weiter zunehmende Ungleichheit der Vermögen und Einkommen
nicht korrigiert wird .
({1})
Die Reichen stecken ihre wachsenden Vermögen in einen kaum wachsenden Bestand an Vermögensgütern, und
dadurch werden Aktien oder Immobilien immer teurer;
aber es entstehen dadurch keine neuen Unternehmen und
keine neuen Wohnungen . Wer das ändern will, kommt
an einer ernsthaften Umverteilung von oben nach unten
nicht herum; denn damit hätten wir wieder mehr Geld bei
der Mehrheit der Bevölkerung, das dann für neue Wohnungen und neue Produkte ausgegeben werden kann .
({2})
Noch eine Bemerkung zur europäischen Wohnimmobilienkreditrichtlinie, auf die gleich eingegangen werden wird . Natürlich ist es sinnvoll, dass Banken daran
gehindert werden, unverantwortliche Kreditrisiken einzugehen . Es ist aber nicht Sinn der Sache, dass Banken
Menschen im Rentenalter kaum mehr Immobilienkredite
gewähren . Die ganze Finanzmarktregulierung muss darauf abzielen, den Banken verantwortungslose und von
Renditegier getriebene Risiken wie zum Beispiel windige Geschäfte mit komplexen Wertpapieren zu verbieten . Es bleibt aber natürlich sehr wohl Teil des seriösen
Bankgeschäftes, verantwortungsvolle Kreditrisiken in
ökonomisch sinnvollem Maße einzugehen und damit
Unternehmen und auch Privatpersonen überhaupt Investitionen oder auch Immobilienkäufe zu ermöglichen .
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch darauf hinweisen, dass mich die ersten drei Tage des neuen US-Präsidenten und seiner Mannschaft mit großem Schrecken
erfüllen, nicht nur, weil Mauern gebaut werden, weil
Fraueninstitutionen nicht mehr gefördert werden, weil
die Gesundheitsversorgung deutlich verschlechtert wird,
sondern auch, weil im Bereich der Finanzmarktstabilität
und -regulierung Rückschritte eingeleitet werden . Wenn
ich lese, dass die Bestimmungen zum Eigenhandel von
Banken jetzt wieder gelockert werden sollen, dann meine
ich: Das geht in genau die falsche Richtung und wird natürlich dazu führen, dass die Stabilität des Finanzsektors
weltweit wieder infrage gestellt wird . Deswegen kann
ich nur hoffen, dass sich sowohl wir, der Deutsche Bundestag, das Finanzministerium, die BaFin, als auch alle
anderen massiv dagegen wenden und massiv deutlich
machen werden, dass unsere gemeinsame Erkenntnis,
dass Stabilität notwendig ist, jetzt wirklich beibehalten
und nicht rückgängig gemacht wird .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank, Axel Troost . - Der nächste Redner: für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kelber .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, zur Wohnimmobilienkreditrichtlinie und ihrer Umsetzung in nationales Recht Stellung zu nehmen . Das deutsche Gesetz
zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie geht
auf die Erfahrungen der Finanzkrise zurück . Richtlinie
und Umsetzung sollen verhindern, dass sich unseriöse
Finanzierungspraktiken wiederholen, die unter anderem
in den USA und in Spanien zu Immobilienblasen geführt
haben . Als diese platzten, gingen keineswegs nur Banken
pleite, sondern vor allem verloren auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher ihre kreditfinanzierten und
selbstbewohnten Immobilien . Die neuen Regeln stärken
das Prinzip der verantwortungsvollen Kreditvergabe . Die
Kreditinstitute müssen also im Interesse ihrer Kunden
prüfen, ob Kreditnehmer die vertraglich vereinbarten
Raten zahlen können . Ich halte das für eine verbraucherpolitische Errungenschaft .
({0})
Jedoch zeigte sich bereits kurz nach Inkrafttreten, dass
die Umsetzung der EU-Richtlinie nicht nur Verbraucher
effektiv schützt, sondern auch einige Banken tief verunsichert hat . Da die Banken jetzt für eine ordnungsgemäße
Kreditprüfung haften,
({1})
hinterfragten sie ihre Kreditvergabeprozesse sehr gründlich,
({2})
zum Teil überzogen . Sie stellten dabei auch bewährte
Kreditvergabestandards infrage und verschärften diese
eigenständig weiter, was bei einigen Banken wiederum
zu weniger Kreditvergaben führte; andere haben ihr Kreditvergabevolumen sogar ausgedehnt .
({3})
Ich möchte ein Beispiel für etwas nennen, was weder
von der Richtlinie noch von der nationalen Gesetzgebung vorgesehen war . Wir wurden zum Beispiel gefragt,
ob die neuen Regeln verhindern sollten, dass ein Kredit
an jemanden vergeben wird, der diesen Kredit nicht inDr. Axel Troost
nerhalb seiner statistischen Lebenserwartung zurückzahlen kann . Das war weder von Richtlinie noch vom
Gesetz vorgegeben . Denn Erbschaftsteuer hin oder her:
Die Richtlinie sollte natürlich nicht Erben ein schuldenfreies Haus garantieren, sondern ermöglichen, Verträge
über die Nutzung abzuschließen . Wir haben im Hinblick
auf diese Kritik auf Schnellschüsse verzichtet, sondern
mit der deutschen Kreditwirtschaft und der Verbraucherschutzseite einen intensiven Dialog darüber geführt, wie
diese Unsicherheiten bei den Banken beseitigt werden
können . Wir wollen erreichen, dass Verbraucherinnen
und Verbrauchern uneingeschränkt Zugang zu Krediten,
die sie sich ohne das Risiko einer Überschuldung leisten
können, gewährt wird .
Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, in
dem wir Klarstellungen vornehmen wollen, die sowohl
europarechtlich zulässig sind als auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern dienen .
Drei Punkte:
Erstens . Wir wollen klarstellen, dass die Wertsteigerung durch Baumaßnahmen oder Renovierungen natürlich berücksichtigt werden darf .
({4})
- Das war von vornherein Intention, Herr Kollege
Michelbach . - Aber natürlich - wahrscheinlich liegt
die Richtlinie vor Ihnen - müssten Sie den Erwägungsgrund 55 der Richtlinie, dass sie nicht allein ausschlaggebend sein darf, auch in der nationalen Gesetzgebung
berücksichtigen .
({5})
Zweitens soll im Gesetz explizit geregelt werden,
dass, wie schon bisher, die Regelungen für Verbraucherdarlehensverträge nicht auf die sogenannten Immobilienverzehrkreditverträge anwendbar sind, also in dem Fall,
dass jemand einen Teil der Immobilie, in der er wohnt,
an die Bank übereignet . Das soll auch die Unsicherheit
der Rechtsabteilungen einiger Banken beenden und die
Kreditvergabe an ältere Menschen erleichtern .
Drittens . Wir bitten Sie um eine Ermächtigung für
eine gemeinsame Rechtsverordnung des Bundesfinanzministeriums und des Bundesministeriums der Justiz und
für Verbraucherschutz . Wir wollen in weiteren praktisch
relevanten Fällen eine Leitlinie für die ordnungsgemäße
Kreditvergabe an die Hand geben . Auch hierzu zwei Beispiele: Wir wollen deutlich machen, wie mit befristeten
Arbeitsverhältnissen und vorübergehenden Gehaltseinbußen durch Elternzeit umgegangen werden soll, da einige Banken nur die Negativannahmen verwendet haben .
Außerdem wollen wir insbesondere beim altersgerechten
Umbau, der den Wert von Immobilien erhöht, die Wertsteigerungen in angemessener Form berücksichtigen .
Wir meinen, dass damit - das will ich bewusst sagen die bei einigen Banken - also keineswegs durchgehend vorgekommene schlechtere Kreditvergabe an junge Familien sowie Seniorinnen und Senioren beendet wird und
es wieder einen gesicherten Zugang dieser Personenkreise zu Krediten gibt . Ich werbe für die vorgesehenen Klarstellungen und bitte Sie um Ihre Unterstützung für diesen
Gesetzentwurf .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Ulrich Kelber . - Nächster Redner:
Dr . Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielem von dem, was Sie, Herr Kelber, gerade
gesagt haben, können wir Grünen zustimmen . Ich frage
mich nur, wenn ich mir die Umsetzung dieser Richtlinie
anschaue: Warum greift man eigentlich nur den Bereich
auf, in dem es Unschärfen gibt und Fehler gemacht worden sind und über den sich die Banken beklagen, und
zwei wichtige Punkte, die für die Verbraucherinnen und
Verbraucher wichtig wären - ich nenne insbesondere
Koppelprodukte, also mit Restschuldversicherungen versehene Produkte -, greift man nicht auf? Das verstehen
wir nicht . Dort muss nachgesteuert werden . Meine Kollegin Nicole Maisch wird dazu später noch ausführlicher
sprechen . Ich werde mich auf den ersten Teil konzentrieren .
({0})
Das hört sich jetzt nach großem Konsens an . Der
Ausschuss für Finanzstabilität hat empfohlen, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen . Auch der Internationale
Währungsfonds und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken empfehlen dies; die Experten scheinen sich
alle einig zu sein .
Aber: So ist es ja nicht ganz . Vielmehr gab es einen
CSU-Parteitagsbeschluss, der sich explizit - auf die Initiative, wie ich lese, des Kollegen Michelbach - gegen
dieses Gesetz gewandt hat, und Kollege Zöllmer sagte
für die SPD im Handelsblatt Ende des Jahres: Wir können nicht auf der einen Seite Wohnungsbau fördern und
auf der anderen Seite die Kreditvergabe einschränken . So groß scheint die Einigung nicht zu sein .
Deswegen ist jetzt die Frage: Um was geht es hier
eigentlich? Es geht darum, dass man in der Finanzkrise
gemerkt hat: Selbst wenn man bei jeder einzelnen Bank
genau hinschaut, ob sie das alles korrekt macht und stabil
ist, sieht man nicht alles; denn möglicherweise basieren
die Immobiliensicherheiten, die die Bank bei sich kalkuliert, auf aufgeblasenen Werten, da man sich in einer Immobilienblase befinden kann. Deswegen reicht es nicht,
auf die einzelnen Institute zu schauen, sondern man muss
auch auf den Gesamtmarkt schauen, und wenn dieser in
die falsche Richtung geht, muss man rechtzeitig eingreifen . Auch das ist eine Aufgabe der Finanzaufsicht, nicht
nur der Blick auf die einzelnen Banken .
({1})
Dem stimmen wir ausdrücklich zu . Deswegen kann
ich die Kritik an dieser Stelle nicht richtig nachvollziehen . Ich komme mir schon ein bisschen komisch vor,
wenn ich den Entwurf des Bundesfinanzministeriums
gegen die Kritik aus den Koalitionsfraktionen verteidige .
({2})
Aber an dieser Stelle geht es um die Sache und nicht um
die parteipolitische Zugehörigkeit . Ich mache mir jedoch
Sorgen, dass die wichtigen Argumente, die früher - übrigens auch aus Ihrer Partei, Herr Michelbach - vorgetragen worden sind, nicht mehr gelten . Der frühere Staatssekretär Koschyk hat das hier 2012 in der Debatte zum
Gesetz zur Stärkung der Finanzaufsicht sehr deutlich gesagt: Die mikropotenzielle Aufsicht muss durch eine makropotenzielle Aufsicht ergänzt werden . Man kann sich
dann nicht dagegen wehren, wenn genau das umgesetzt
werden soll . Nehmen Sie die Lehren aus der Finanzkrise
im Jahr acht nach Lehman bitte immer noch ernst! Sonst
sind wir bald in der nächsten .
({3})
Es ist richtig, dass wir heute nicht generell sagen können, dass in Deutschland eine einzige große Immobilienblase besteht .
({4})
An verschiedenen Stellen gibt es aber gefährliche Entwicklungen, und deswegen ist es richtig, die notwendigen Instrumente vorzubereiten . Experten sagen uns - ich
beziehe mich hier auf den Chefvolkswirt des Bankhauses
Metzler -, dass es hierzulande bereits Finanzierungen
von 110 Prozent des Kaufpreises gibt . Das ist nicht seriös, und das sind genau die Fehlentwicklungen, die man
bei den Immobilienblasen in den anderen Ländern beobachtet hat . Wir sehen daneben, dass die Immobilienpreise
in wichtigen Teilen des deutschen Immobilienmarkts in
den letzten Jahren massiv schneller angestiegen sind als
die Einkommen . Auch das ist ein Indiz dafür, dass man
aufpassen muss .
Aber selbst wenn es nicht so wäre: Ein solch vorbereitendes Gesetz braucht man, damit die Finanzaufsicht
rechtzeitig eingreifen kann . Es ist auch richtig, das regional differenziert zu machen . Man darf aber diesem
Gesetz jetzt nicht Hürden in den Weg legen, bloß weil
die Banken sagen: Wir wollen keine Einschränkungen . Im Gegenteil ist es richtig, eine Kritik, die Axel Troost
genannt hat, aufzugreifen und auch die gewerblichen
Immobilienmärkte einzubeziehen . Zudem muss - auch
wenn man das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln
muss - die Datengrundlage
({5})
besser werden, damit man einen klaren Überblick erhält .
Es kann ja wohl nicht sein, dass sich die Finanzaufsicht
hier auf private Datenanbieter verlassen muss . Eine entsprechende Datengrundlage ist also notwendig .
Mein Appell an Sie: Hören Sie hier nicht auf die Banken, die uns schon wieder raten, alle Lehren aus der Finanzkrise zu vergessen, sondern sorgen Sie dafür, dass
die Erkenntnisse, die hier einmal fraktionsübergreifend
vorhanden waren - wir brauchen eine makroprudenzielle
Aufsicht, also eine Aufsicht quer über die Institute, für
den gesamten Markt, und die entsprechenden Instrumente -, jetzt auch im Gesetz verankert werden!
Danke schön .
({6})
Vielen Dank, Gerhard Schick . - Nächste Rednerin:
Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste! Im letzten Jahr erreichten viele von
uns Zuschriften von jungen Familien und Senioren . Der
Tenor war immer derselbe: Meine Bank hat mir den Kredit für den Kauf oder den Umbau meiner Immobilie verweigert .
Was ist passiert? Seit März 2016 gilt in Deutschland
eine neue EU-Richtlinie, die die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten verschärft . Die Richtlinie wurde in
der EU als Reaktion auf die spanische Immobilienkrise
beschlossen, die durch zahlreiche leichtfertig vergebene
Kredite verursacht wurde . Banken müssen seither ihre
Kreditnehmer vor Vertragsabschluss besser informieren .
Außerdem wurden undurchsichtige Kopplungsgeschäfte, bei denen ein Darlehen nur in Verbindung mit anderen Finanzprodukten ausgegeben wurde, eingeschränkt .
Diese Neuerungen waren gut und richtig, und sie dienten dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher .
Neben dem Wert der Immobilie müssen Banken künftig auch andere Faktoren, wie etwa das Einkommen des
Kreditnehmers oder die Verschuldungsquote, verstärkt
berücksichtigen .
Leider hat die zu weit gehende Umsetzung in deutsches Recht durch Bundesjustizminister Maas zur Folge
({0})
- das stimmt -, dass gerade Altersgruppen mit weniger
berechenbarem Einkommen zunehmend Schwierigkeiten
haben, einen Hauskredit zu bekommen . Herr Staatssekretär Kelber, wenn Sie sagen: „Das war ja alles so nicht
gemeint“, dann kann ich nur sagen: In einem Rechtsstaat
ist es eigentlich üblich, dass man das, was man meint, ins
Gesetz schreibt . Und ja, wir haben dem zugestimmt; wir
haben einen Fehler gemacht, und wir werden das korrigieren .
({1})
Wir behaupten ja nicht, dass die bisherige Regelung richtig ist . Dann brauchten wir das Gesetzgebungsverfahren
nicht .
({2})
Wir wollen, dass junge Familien und ältere Menschen
Kredite für den Umbau oder die Renovierung ihres Gebäudes bekommen, und wir wollen - das meint Herr
Staatssekretär Kelber offensichtlich auch -, dass das so
im Gesetz steht, um Rechtssicherheit für Banken und
Verbraucherinnen und Verbraucher herzustellen .
({3})
Wie Herr Dr . Schick sind auch wir noch nicht zufrieden mit diesem Gesetzentwurf . Wir glauben nämlich,
dass darin auch die Anschlussfinanzierungen geregelt
werden müssen . Es kann nicht sein, dass, sollte es zu einer Krise kommen, wir diese bei einer anstehenden Anschlussfinanzierung dadurch verschärfen, dass Veräußerungen notwendig sind . Auch hier haben wir erheblichen
Diskussionsbedarf . Dazu dient dieses Gesetzgebungsverfahren ja auch; wir stehen heute erst am Anfang .
({4})
Was ist der zweite Teil dieses Gesetzentwurfs, der Teil,
der dem Gesetz seinen Namen gibt? Der Ausschuss für
Finanzstabilität, dem auch Vertreter von BaFin und Bundesbank angehören, ist der Meinung, dass es hinsichtlich
der Aufsicht Handlungsbedarf gibt, falls es irgendwann rein theoretisch - zu einer Immobilienkrise kommt . Um
es deutlich zu sagen: Weder die Bundesbank noch die
BaFin sieht aktuell eine solche Krise . Beide empfehlen
aber, Instrumente einzuführen, bevor eine schwierige Situation wirklich akut wird . Herr Staatssekretär Meister
hat dies mit einem Feuermelder verglichen . Ich teile die
Auffassung, dass wir Instrumente haben müssen, bevor
eine Krise ausbricht . Wir müssen daher intensiv darüber
beraten, wie solche Instrumente aussehen können .
Die BaFin soll handlungsfähig gemacht werden und
dafür neue, zielgenaue Instrumente zur Bekämpfung
bzw . Bewältigung einer eventuellen Immobilienkrise bekommen . Die BaFin soll Kreditgebern bestimmte Mindeststandards für die Vergabe von Neukrediten für den
Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben
dürfen . Die genauen Festlegungen hierzu sollen aber in
einer umfangreichen Verordnung geregelt werden, die
noch in der Bearbeitung ist .
Herr Dr . Schick, ich wundere mich, dass Sie den Gesetzentwurf schon verteidigen, obwohl Sie noch gar nicht
wissen, was tatsächlich geregelt wird; denn die konkreten Details werden in einer sehr umfangreichen Verordnung dargelegt werden .
({5})
Wir haben darum gebeten - ich danke dem Staatssekretär, dass er dem zugestimmt hat -, dass wir noch im Gesetzgebungsverfahren erfahren, was in dieser Verordnung
steht; denn erst dann können wir tatsächlich die Auswirkungen auf Banken und Verbraucher beurteilen . Es ist
eine Milchmädchenrechnung, zu glauben, wir könnten
bei Banken immer weiter regulieren, ohne dass es für die
Verbraucher Auswirkungen hätte . Natürlich besteht die
Gefahr, dass Kredite für den Verbraucher teurer werden .
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns genau ansehen, was
in dieser Verordnung steht .
Aus meiner Sicht muss in dieser Verordnung geregelt
sein, was ein vernünftiger Kaufmann sowieso tun würde . Es sind nicht alle Banken der Meinung, dass diese
Gesetzgebung ihnen Schwierigkeiten bereiten wird . Ein
verantwortungsbewusster Banker würde auf eine Krise
reagieren . Wir müssen sicherstellen, dass sich alle Banker verantwortungsbewusst verhalten . Deshalb werden
wir am 6 . März in einer Anhörung mit den Betroffenen
die Verordnungsgegenstände diskutieren und dann feststellen, ob dieser Gesetzentwurf das leistet, was wir uns
erhoffen .
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Bereitstellung dieser Instrumente besser innerhalb Deutschlands regeln, als dies erneut der EU-Kommission zu
überlassen . Was passiert um uns herum? In 18 anderen
europäischen Staaten gibt es diese Aufsichtsinstrumente
schon . Wenn wir nicht handeln, besteht die Gefahr, dass
die EU-Kommission eine europäische Regelung vorschlägt, die - diese Erfahrung haben wir schon gemacht die Besonderheiten des deutschen Kreditmarktes und die
gute deutsche Kreditsituation nicht berücksichtigen wird .
Es wäre also besser, dies innerdeutsch zu regeln . Deshalb
begeben wir uns auf den Weg, diesen Gesetzentwurf zu
diskutieren .
Es ist ja nicht so, dass der BaFin keine Instrumente
zur Verfügung stehen, um in einer Krise einzugreifen .
Natürlich könnte die BaFin einer Bank bestimmte Eigenkapitalvorlagen auferlegen . Aber das hätte den Nachteil, dass davon alle Branchen betroffen wären, obwohl
mittelständische Produktionsunternehmen vielleicht gar
nicht in Schwierigkeiten sind . Ich glaube, wir sollten uns
sehr genau ansehen, ob wir für den Immobiliensektor
konkretere und spezifischere Instrumente brauchen. Ob
der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Weg ist, werden wir nach umfangreichen Beratungen entscheiden .
Wir werden uns nach der Anhörung dazu positionieren .
Herr Dr . Meister, wie immer können Sie sicher sein
und damit rechnen, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleiten . Das beginnen wir heute,
und wir werden es zu einem guten Abschluss führen .
Herzlichen Dank .
({6})
Danke, Frau Tillmann . - Herr Meister hat sich entschuldigt . Der Mann, der hier sitzt, ist nicht der verjüngte Herr Meister, sondern Herr Spahn . Aber er nimmt all
das mit, was Sie gesagt haben, und wird es an den Herrn
Staatssekretär weitergeben .
Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut
elf Monaten haben wir hier die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beschlossen, und schon jetzt
bessern Sie nach . Aber leider ist es so, dass das, was Sie
korrigieren, nicht etwa Ihr Eingriff in die Verbraucherrechte beim Widerruf von Verträgen ist oder in die unzureichenden Instrumente gegen Abzocke bei den Dispozinsen . Vielmehr machen Sie wieder relativ einseitig und
auf Zuruf Politik für einzelne Kreditinstitute, vor allem
für die Sparkassen .
Der Staatssekretär hat es ausgeführt: Die Heerscharen
verzweifelter Rentner und junger Familien, die keinen
Kredit mehr bekommen, was die empirische Grundlage
für diese Gesetzesänderung ist, waren zwar überall in den
Medien, aber in der Realität schwer zu finden. Kollegin
Tillmann, die Waschkörbe voller Zuschriften, die Sie in
diesem Zusammenhang bekommen haben, interessieren
mich sehr . Bei uns haben sich hauptsächlich die Sparkassen gemeldet .
({0})
- Ich habe überhaupt nichts gegen die Sparkassen . Melden Sie sich doch, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen
wollen!
Auch der Finanzmarktwächter der Verbraucherzentralen hat vor fünf Monaten aufgerufen: Leute, meldet
euch bei uns, wenn ihr Schwierigkeiten habt, Kredite zu
bekommen . - Ganze 16 Bundesbürger haben sich gemeldet . Am 8 . Dezember letzten Jahres hat mir der Parlamentarische Staatssekretär Herr Kelber auf meine Frage,
welches die Grundlagen für eine solche Gesetzesänderung sind und ob es wirklich Probleme bei der Kreditvergabe gibt, geantwortet:
Aussagekräftige und belastbare Zahlen über den behaupteten Rückgang der Kreditvergabe und die Ursächlichkeit des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie liegen nicht vor .
Man braucht aber keine empirische Grundlage, um
Politik zu machen . Es gibt sicherlich gute Gründe, die
Sparkassen noch besser gegen Falschberatung abzusichern . Wenn Sie aber schon Politik auf Zuruf machen,
dann sollten Sie auch auf den Zuruf der Verbraucherschützer hören .
({1})
Hier möchten wir Ihnen vor allem zwei Punkte besonders
ans Herz legen .
Das erste Thema ist die Vorfälligkeitsentschädigung .
Wie wir alle wissen, spielt das Leben nicht immer so,
wie man es sich denkt . Man nimmt einen Kredit auf,
und plötzlich gibt es einen Todesfall, oder es kommt
zur Scheidung . Dann muss man eventuell den Kredit
vorzeitig ablösen . Die Vorfälligkeitsentschädigungen in
Deutschland sind konkurrenzlos hoch .
({2})
Andere EU-Mitgliedstaaten wie Belgien und Frankreich
haben verbraucherfreundliche Regelungen geschaffen .
Wir sind der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, Transparenz bei den Berechnungen herzustellen und eine konkrete Obergrenze festzulegen .
({3})
- Ich habe das Mikro . Deshalb kann ich lauter schreien .
Wir sind zudem der Meinung, dass die Regelung für
gekoppelte Produkte noch strenger sein müsste . Gekoppelte Produkte sollten nur vertrieben werden, wenn es
einen objektiven Nutzen für die Verbraucherinnen und
Verbraucher gibt .
Last, but not least fordern wir Transparenzvorschriften für die Restschuldversicherungen . Das wäre echter
Verbraucherschutz und nicht nur Politik auf Zuruf einzelner Kreditinstitute .
Wir werden uns im anstehenden Gesetzgebungsverfahren sehr genau anschauen, ob die Neuregelung, die
Sie nun machen, nicht den Sinn der Richtlinie und des ursprünglichen Gesetzentwurfs, Menschen davor zu schützen, ihr Haus zu verlieren, weil sie sich mit einem Kredit
übernommen haben, verwässert .
({4})
Wir werden Sie daran erinnern, was in diesem Bereich
des Verbraucherschutzes noch alles zu tun ist .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Nicole Maisch . - Nächster Redner:
Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich werde mich bei meinen Ausführungen schwerpunktmäßig auf das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz beschränken . Wir haben gehört, worum es geht . Es geht um
den Problemkreis, durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen
das Entstehen von Immobilienblasen zukünftig zu verhindern . Ich betone: Dies ist eine gute und wichtige Zielsetzung zur Verbesserung der Finanzmarktstabilität . Wie
wir alle wissen, ging die Finanzmarktkrise 2007/2008 in
den USA im Wesentlichen vom Platzen einer Immobilienblase aus . In Deutschland sind nur Wertpapiere über
Immobilienkredite und Verbriefungen geplatzt, die an
deutsche Banken, insbesondere an Landesbanken, gegangen sind. In den USA gab es das geflügelte Wort:
Diese Schrottpapiere kannst du gut den deutschen Landesbanken andrehen; die sind dafür dankbar .
({0})
Eine Immobilienblase in Deutschland gab es nicht;
das muss man feststellen . Sie hat es auch in der Vergangenheit nicht gegeben; denn das deutsche Geschäftsmodell der Banken bei Immobilienkrediten ist völlig anders
als das Geschäftsmodell in den USA . Die amerikanischen Banken überwälzen ihre Risiken an die Institutionen Fanny Mae und Freddie Mac, die quasi staatlich
abgesichert sind . Das ist in Deutschland nicht der Fall .
Natürlich wäre ein Immobilienmarkt, der sich überhitzt,
für den Bankensektor ein großes Risiko . Daher war es
vernünftig, dass sich der Ausschuss für Finanzstabilität
im Jahre 2015 mit diesem Thema beschäftigt und einige
Vorschläge gemacht hat, aus denen hervorgeht, wie man
eine Überhitzung des Immobilienmarktes in Deutschland
verhindern kann .
Der Chefvolkswirt der EZB hat im letzten Monat in
einem Interview mit der Zeitung Die Zeit festgestellt:
… in Frankfurt sind Immobilienpreise innerhalb eines Jahres um 20 Prozent gestiegen … Richtig gefährlich ist ein solcher Boom … erst dann, wenn er
auf Pump finanziert wird. Die Vergabe von Baukrediten wächst aber nur sehr langsam .
Lieber Kollege Schick, das ist ein Punkt, den Sie in Ihren Ausführungen völlig vergessen haben . Wir haben
in Deutschland einen regional sehr unterschiedlichen
Immobilienmarkt: Wir haben einige Ballungszentren München, Hamburg, Berlin, Frankfurt -, in denen die
Immobilienpreise sehr deutlich steigen .
({1})
In anderen Bereichen haben wir aber fallende Immobilienpreise . Es gibt Regionen in Deutschland, in denen Sie
Ihr Haus gar nicht loswerden, weil dort keine Nachfrage
besteht. Sie finden dort keinen Käufer.
Eine vernünftige Regulierung der Baufinanzierung
müsste diese regionalen Aspekte berücksichtigen . Ich
glaube, dass wir das beim vorliegenden Gesetzentwurf
sorgfältig prüfen müssen . Meiner Ansicht nach werden
diese Aspekte im Gesetzentwurf zu wenig berücksichtigt .
({2})
Die Instrumente müssen dort ansetzen, wo der Schmerz
entsteht - sprich: eine Immobilienblase entsteht .
Eines der Hauptprobleme auf diesem Feld bleibt aber
die Diagnose, das heißt die Frage: Ist es wirklich eine
Blase, ja oder nein? Ich beschäftige mich seit vielen
Jahrzehnten mit der Ökonomie und habe festgestellt: Die
Ökonomen haben es in der Vergangenheit nicht ein einziges Mal geschafft, eine Blase richtig vorherzusehen . Das
ist ein großes Problem . Ein Teil der Ökonomen hat immer gesagt: „Dies ist eine völlig normale Marktentwicklung“, während ein anderer Teil der Ökonomen immer
gesagt hat: Das ist aber gefährlich . - Nur, was macht man
dann als Aufsicht?
Herr Zöllmer, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Gerhard Schick?
Nein, das erlaube ich nicht . Ich will das jetzt ausführen . - Nehmen wir das Beispiel Berlin: Die Stadt Berlin
wächst jedes Jahr um 50 000 Personen . Es ist natürlich
völlig logisch, dass deshalb die Nachfrage am Immobilienmarkt steigt, und es ist völlig logisch, dass dann auch
die Preise steigen .
({0})
Ist das jetzt eine Blase oder nicht? Das Problem, das ich
mit diesem Gesetzentwurf habe, besteht darin, dass der
Statistikteil einfach ausgeklammert worden ist. Dazu finden wir keine Regelungen; die wären aus meiner Sicht
aber auf jeden Fall notwendig .
({1})
Die Kollegin Tillmann hat eben darauf hingewiesen:
Wir werden uns sehr sorgfältig mit diesem Entwurf und
mit den Instrumenten, die darin vorgeschlagen sind, auseinandersetzen . Wir werden uns sehr sorgfältig fragen:
Was ist sinnvoll? Was hilft in Zukunft, eine Immobilienblase zu verhindern, und was nicht? Wir müssen auf der
anderen Seite aber auch im Blick behalten, dass wir den
Wohnungsbau fördern . In diesem Haus sind viele Fördermaßnahmen für den Wohnungsbau beschlossen worden .
Wir haben eben noch gehört, wie groß die Problematik
ist . Die Linkspartei hat steigende Mieten beklagt . Wir
wissen, dass das ein Problem ist .
({2})
Das heißt, wir dürfen diesen Bereich nicht regulatorisch
erdrosseln . Deutschland braucht auch in Zukunft stabile
Immobilienmärkte .
({3})
Deshalb ist es sinnvoll, sehr sorgfältig mit diesem Gesetzentwurf und mit den vorgeschlagenen Instrumenten
umzugehen und sie zu prüfen .
Darüber hinaus wollen wir als Parlament aber auch in
wesentliche Entscheidungen eingebunden werden . Das
sieht der Gesetzentwurf ebenfalls nicht vor . Wir wollen
Fehlentwicklungen verhindern, eine ordnungsgemäße
Kreditwürdigkeitsprüfung ohne Diskriminierung sicherstellen und überzogene Anforderungen auf das richtige
Maß zurückführen . Was wir nicht wollen, ist, den normalen Immobilienkleinkredit, um die Renovierung oder
den altersgerechten Umbau eines Hauses zu bezahlen,
unmöglich zu machen .
Wir werden diesen Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren sorgfältig prüfen . Es gilt nach wie vor
der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt das Parlament so,
wie es hineingekommen ist . Wir werden unsere Hausaufgaben machen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Manfred Zöllmer . - Nächster Redner:
Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf
des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes . Das Gesetz
besteht aus zwei Teilen; das haben wir bereits gehört . Im
ersten Teil geht es darum, Immobilienblasen zu vermeiden . Dazu ist bereits viel gesagt worden . Was die Position der CDU/CSU-Fraktion angeht, verweise ich auf das,
was meine Kollegin Antje Tillmann vorhin gesagt hat .
Ich werde mich hier auf den zweiten Teil konzentrieren . Dabei geht es um die nationale Umsetzung der
EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Hier wollen wir
die Rechtsunsicherheiten und Probleme beseitigen, die
im Zuge der Umsetzung Anfang 2016 entstanden sind .
Seit September letzten Jahres befasse ich mich als Berichterstatter der AG Finanzen mit diesem für die Kreditvergabe wichtigen Thema .
Frau Maisch hat gerade gesagt, die Grünen hätten nur
einige Anfragen dazu erreicht . Mich haben sehr viele Anfragen erreicht und, so glaube ich, viele Kolleginnen und
Kollegen im Hause ebenfalls . - Sogar Kollege Dr . Troost
von den Linken nickt . - Aber vielleicht trauen ja den Grünen nicht so viele zu, hier eine gute Lösung zu erzielen .
({0})
Sicherlich wurden auch viele von Ihnen in den Wahlkreisen auf die bestehenden Probleme angesprochen . Oft
ging es darum, dass Menschen Kredite versagt wurden,
oft mit Verweis auf die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Es ist richtig, dass wir als Gesetzgeber
eingreifen, dass wir Rechtssicherheit herstellen und das
Gesetz verbessern; denn hier besteht Nachbesserungsbedarf .
Zunächst aber ein Blick zurück: Im März letzten Jahres ist das Gesetz in Kraft getreten . Bereits kurz darauf
gab es jede Menge Kritik an der nationalen Umsetzung .
Was wurde kritisiert? Das deutsche Gesetz würde viel
weiter greifen, als es die europäischen Regelungen vorsehen . Dazu kommt Rechtsunsicherheit durch viele unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext; dazu gleich
mehr . Junge Familien und ältere Menschen hatten vielfach Probleme, einen Kredit für eine Wohnimmobilie zu
bekommen . Ich sage sehr deutlich: Wir als Union wollen,
dass gerade auch junge Familien und ältere Menschen
ein Eigenheim erwerben oder es altersgerecht umbauen
können .
({1})
Deshalb hätten wir uns auch gewünscht, dass Heiko Maas
als der zuständige Bundesminister hier schneller reagiert
hätte . Es sah eine Weile so aus, dass Senioren und Familien zu Verlierern dieser Regelung werden könnten .
({2})
Viele, auch CDU/CSU, haben nach Inkrafttreten des Gesetzes auf die Probleme hingewiesen . Jetzt geht es mit
der Lösung endlich voran .
Wenn die Regelung in § 505b so toll ist - Herr Staatssekretär Kelber hat darauf gerade Bezug genommen und
von „Unsicherheit bei einigen Banken“ gesprochen; er
hat das so ein bisschen ins Lächerliche gezogen -, dann
frage ich Sie: Warum bessern wir denn dann nach?
({3})
Wenn man in den Gesetzestext schaut, kann man ja einmal überlegen, ob der so schlau ist . Zählen wir einmal die
unbestimmten Rechtsbegriffe! Hier wird davon geredet,
({4})
dass „auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und
angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben
sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umständen des Darlehensnehmers eingehend zu prüfen“ ist . Da
wird von „Angemessenheit“, von „Relevanz“, von „voraussichtlich“ geredet . All das sind unbestimmte Rechtsbegriffe . Man muss auch einmal selbstkritisch sein - das
hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht, Herr Kelber und sagen, dass eine Regelung nicht so gut gemacht worden ist .
({5})
Ich verweise auf die Kollegin Tillmann, die gesagt hat:
Das ist keine gute Regelung gewesen; da haben wir Fehler gemacht . - Das muss man aber auch offen zugeben .
Ich möchte auch die gute Zusammenarbeit mit den Finanzpolitikern unseres Koalitionspartners erwähnen, die
da sicherlich intern Überzeugungsarbeit geleistet haben .
Ebenso bedanken möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit beim Kollegen Dr . Heck aus der AG Recht .
Das alles dürfte dazu beigetragen haben, dass wir heute
die Nachbesserung in erster Lesung beraten und dann sicherlich bis März beschließen können .
({6})
Aber nun zu den wesentlichen Details des Gesetzentwurfs . Wir stellen klar, dass bei der Finanzierung für den
Bau oder die Renovierung des Eigenheims wieder maßgeblich auf den Wert der Immobilie abgestellt werden
darf . Damit korrigieren wir, dass diese Ausnahmeregelung der EU-Richtlinie bislang nicht ins deutsche Gesetz
Aufnahme gefunden hat . Wir wollen, dass Seniorinnen
und Senioren auch dann in ihrem Eigenheim wohnen
bleiben können, wenn sie einmal finanzielle Mittel brauchen, zum Beispiel für eine Renovierung oder für einen
barrierefreien Umbau . Es ist daher richtig, dass der Wert
der Immobilie bei der Kreditwürdigkeitsprüfung berücksichtigt wird, und zwar in starkem Maße . Das stellen wir
hiermit nun im BGB und im KWG klar .
({7})
Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir Leitlinien zur
Kreditwürdigkeitsprüfung bekommen . Dazu wird es
zeitnah eine gemeinsame Rechtsverordnung von Finanzministerium und Justizministerium geben . Die Leitlinien
sollen für weitere Rechtssicherheit sorgen . Es gibt dazu
noch offene Fragen; die werden wir im Verfahren klären .
Die beteiligten Ministerien haben zugesagt, dass wir den
Entwurf bis zur Anhörung vorliegen haben . Das ist wichtig, weil Gesetz und Verordnung eng ineinandergreifen
sollen .
Wir müssten noch einige andere Fragen klären, zum
Beispiel ob bei einer Anschlussfinanzierung - Kollegin
Tillmann hat es gerade angesprochen - wirklich eine erneute Kreditwürdigkeitsprüfung stattfinden muss oder
nur dann, wenn der Kreditbetrag deutlich erhöht wird .
Welchen gesetzgeberischen Spielraum wir hier haben,
werden wir EU-rechtlich noch beantwortet bekommen
müssen . Auch die Themen „Immobilienverzehrkredite“
und - Herr Dr . Schick hat es gerade angesprochen - „gekoppelte Produkte“ werden wir uns noch einmal im Detail ansehen .
Ich gehe mit Zuversicht, aber auch mit dem gebotenen kritischen Blick in die anstehenden parlamentarischen Beratungen . Am Ende der Beratungen muss eine
Lösung stehen, die für mehr Rechtssicherheit sorgt, die
aber gleichzeitig den Bogen hinsichtlich der Kreditwürdigkeitsprüfung nicht überspannt . Hier muss eine Lösung
her, die gerade jungen Familien den Weg in die eigenen
vier Wände erleichtert und älteren Menschen die Sanierung ihres Eigenheims ermöglicht . Dafür setzen wir,
CDU/CSU, uns ein .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank, Kollege Hauer . - Nächste Rednerin:
Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich will die Emotionen jetzt ein bisschen senken und daran erinnern,
worüber wir hier eigentlich reden . Der Grund, weshalb
die Wohnimmobilienkreditrichtlinie trotz ihres sperrigen
Namens eine solche Emotionalität erzeugt, ist der gleiche Grund, weshalb Menschen sich Immobilien kaufen:
Für die meisten Menschen ist der Kauf eines Hauses oder
einer Eigentumswohnung die schwerwiegendste finanzielle Entscheidung, die sie im Laufe ihres Lebens treffen,
und es ist eine Entscheidung, die die meisten von uns
ihr Leben lang begleitet . Das kann man, glaube ich, so
sagen .
Die Menschen treffen diese Entscheidung meistens das hoffen wir - wohlabgewogen, auch wenn die Gründe
durchaus emotionaler Natur sind: Man möchte ein schönes Umfeld für sich und seine Familie schaffen, in das einen niemand hereinredet . Man möchte lieber für sich als
für seinen Vermieter zahlen . Oder man sagt - dann wird
es ein bisschen rationaler -: In Zeiten niedriger Zinsen ist
es das Einzige, wo ich die Möglichkeit habe, mein Geld
vernünftig anzulegen . Außerdem sind die Zinsen gerade
so günstig, dass sich einige Leute eine Finanzierung leisten können, die das vorher nicht konnten .
({0})
- Genau . Darauf komme ich gleich . - Grundsätzlich sagen wir: Eine Immobilie ist eine gute Investition . Aber
wir wissen - Herr Kollege Schick hat es in seiner Rede
gesagt und mit seinem Zwischenruf bestätigt -: Angebot
und Nachfrage - das ist trivial - bedingen sich . Deswegen
gibt es in einigen Großstädten und auch in anderen Bereichen unseres Landes mittlerweile deutliche Preissteigerungen, die den Kauf einer Immobilie erschweren .
Viele Leute haben im Zuge dieses Booms das Gefühl:
Wenn sie jetzt keine Immobilie kaufen, dann vertun sie
eine Chance . Das kann durchaus dazu führen, dass Menschen ihre finanziellen Möglichkeiten optimistischer einschätzen, als sie es tun würden, wenn die Zinsen höher
wären, wenn es nicht so einen Boom gäbe . Außerdem
führt es dazu - das muss man dazusagen -, dass Banken
eher geneigt sind, Kredite für ihre Kundinnen und Kunden möglich zu machen . Für die Banken ist das eine gute
Möglichkeit, Kredite zu vergeben, womit sie Gewinne
erzielen; das machen sie ja nicht uneigennützig . Deswegen müssen wir da genau hinschauen .
Das Thema 110-Prozent-Finanzierung wurde schon
angesprochen . Aber es gibt auch andere Kreditkonstruktionen, bei denen wir sehr genau hinschauen müssen .
Deswegen ist es richtig, dass wir diese Richtlinie umgesetzt haben . Bisher konnte es dazu kommen, dass
auch die Deckung von Nebenkosten auf Pump finanziert
wurde oder dass parallel der Dispositionskredit erhöht
wurde . Es gibt durchaus Kredite - das ist gar nicht tricky, sondern normales Geschäft - mit einer Tilgung von
1 Prozent, und das bei den niedrigen Zinssätzen, obwohl
man weiß, dass die Menschen einen neuen Kredit mit angestiegenen Zinssätzen nicht werden bedienen können .
In diesen Fällen ist auch die Sicherheit durch den Wert
einer Immobilie nichts, was dem Kunden hilft; das hilft
nur der Bank . Die Bank hat die Sicherheit; aber der Kunde steht möglicherweise vor dem finanziellen Ruin. Deswegen, glaube ich, war es richtig, dass wir die Richtlinie
umgesetzt haben . Aber es ist auch richtig, dass man sich,
wenn man so etwas macht, noch einmal anschaut, welche
Auswirkungen das auf die Entwicklung hat .
Von Herrn Hauer kam die Kritik, warum man nicht zügiger reagiert habe . Ich persönlich muss sagen: Ich halte
nichts davon, dass wir uns jetzt hier gegenseitig zurufen,
wer wie viele Zuschriften bekommen hat und wer dementsprechend wie viele Waschkörbe bei sich im Büro hat .
({1})
- Na ja, andere aber . - Ich halte es vielmehr für verantwortliche Politik, dass wir von der Kreditwirtschaft, aber
auch von den Verbrauchern Informationen einholen .
({2})
- Wir haben alle zugestimmt . Es ist schön, dass Sie die
unbestimmten Rechtsbegriffe vorhin vorgelesen haben .
Aber wenn Sie jetzt so überzeugt sind, hätten wir diese ja
auch damals schon aufnehmen können .
({3})
- Der hat das Gesetz ja eingebracht .
Ich glaube, dass es richtig war, dass wir uns Zeit gelassen haben . Es nützt nichts, wenn wir jetzt Dinge verändern oder Regelungen noch einmal angreifen, die am
Ende niemandem etwas bringen, weil sie schlecht und
überhastet gemacht sind . Ich weise noch einmal darauf
hin, dass wir aufpassen müssen . Wir sollten hier wirklich sehr gründlich arbeiten, weil sich sonst durchaus der
Verdacht einschleicht, dass es Banken geben könnte, die
sagen: Wir haben jetzt eine gute Begründung, bestimmte
Kredite abzulehnen . - Zu einer verantwortlichen Finanzberatung gehört, dass man Leuten vielleicht auch einmal
sagt: Ich verstehe, dass du ein Haus haben möchtest, aber
diesen Kredit wirst du dir nicht leisten können . Schau, ob
du eine kleinere Immobilie findest oder ob du etwas anderes machst . Warte lieber eine Zeit . - Da sagen wir: Das
wollen wir mit diesen Regelungen sicherstellen . Insofern
halte ich das, was wir hier vorgeschlagen haben, für eine
gute Sache .
({4})
Was ich mir persönlich zusätzlich noch wünschen
würde - damit komme ich dann auch zum Schluss -,
wäre, dass wir in der Tat die Gelegenheit nutzen und uns
die Fragen - das ist insbesondere der Punkt - „Was macht
man eigentlich mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen?“, „Wie geht man mit solchen Ausnahmen um?“
noch einmal anschauen und auch einmal überlegen: Was
ist eigentlich mit einer Gruppe wie den Selbstständigen,
die es auch schon vor der Wohnimmobilienkreditrichtlinie schwer hatten, einen Kredit zu bekommen? Wie kann
man da möglicherweise Erleichterungen schaffen? Denn
natürlich wollen wir, dass jeder, der sich einen Kredit
leisten kann und der einen braucht, einen bekommt . Aber
wir wollen nicht, dass Leute einen Kredit bekommen,
die ihn sich nicht leisten können und bei denen dann am
Ende die Bank als Sicherheit das Haus hat, oder dass jemand seine Wohnung renoviert und dann am Ende für die
Bank renoviert hat .
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, wo wir
alle ganz genau hinschauen werden . Ich glaube, dann haben wir am Ende eine richtige Richtlinie gut angepasst
und weiter verbessert .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Sarah Ryglewski . - Der letzte Redner in
der Debatte: Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz wird
heute hier in die Diskussion eingebracht . Es beruht auf
der Empfehlung des Ausschusses für Finanzstabilität
vom Juni 2015 . Natürlich sind auch die Anmerkungen
des IWF und des Ausschusses für Finanzstabilität etwas,
mit dem man sich beschäftigen muss . Im Mittelpunkt
steht die Entwicklung an den Immobilienmärkten . Die
Frage ist: Werden wir zukünftig auf eine Blase zurollen oder nicht? Eines ist klar: Zurzeit haben wir keine
Überhitzung auf den Immobilienmärkten . Somit ist
das, was wir heute debattieren, letztendlich etwas, was
rein präventiv gemacht werden soll . In der Umsetzung,
im Ablauf sollen dann BaFin und Bundesbank dieses
im Einvernehmen feststellen . Sie sollen entsprechende
Maßnahmen ergreifen können, so zum Beispiel in der
Frage „Relation zwischen Kredit, Immobilienwert und
Mindestamortisation“ oder der Frage, wie viel zur Tilgung herangezogen werden muss, wobei es auch hier
entsprechend notwendig ist, dass der Einzelfall geprüft
wird . Jemand mit einem Einkommen von 1 000 Euro ist
sicherlich anders zu bewerten als jemand mit einem Einkommen von 5 000 Euro oder 10 000 Euro .
Neben diesen grundsätzlichen Fragen finde ich bei
diesem Gesetz spannend, dass wir einmal die Gelegenheit nutzen können, zu betrachten, wo wir heute stehen .
Wir haben jetzt zehn Jahre der europäischen, internationalen und nationalen Regulierung hinter uns . Zehn Jahre nachdem wir in der Folge der Subprime-Krise diese
Regulierungen angestoßen haben, sind wir mit einem
solchen Gesetz konfrontiert, in dem es sinngemäß heißt:
Trotz aller Regulierung werden wir zukünftig mit einer
entsprechenden Krise zu rechnen haben . Das ist jetzt erst
einmal nichts Aufregendes; denn jeder rechnet ja damit,
dass irgendwo eine Krise hochkommt .
Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen: Ich bin erstaunt gewesen, dass keiner der Vorredner darauf hingewiesen hat: Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist daran nicht ganz unschuldig .
({0})
Selbst die Mitglieder der Europäischen Zentralbank, aber
auch die BIZ sagen, dass momentan entsprechende Blasen entstehen .
Herr Radwan, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Lisa Paus?
({0})
Von mir aus auch von beiden .
Weil Sie so groß sind, Herr Radwan, haben Sie Herrn
Schick verdeckt .
Ich bin nicht groß, sondern breit .
Ihr breiter Rücken hat ihn verdeckt . - Gestatten Sie es
oder nicht?
Ja .
Gut . - Herr Schick .
Herr Radwan, wenn ich richtig informiert bin, hat die
CSU beschlossen:
Ein Ermächtigungsgesetz, das der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht . . . selbständige Eingriffsmöglichkeiten gibt, lehnen wir ab .
Gilt das in Bezug auf das heute vorliegende Gesetz?
Finden Sie es richtig, dass man dieses Gesetz macht?
Was heißt diese Position?
Sie können antworten .
Antworten muss ich auf diese Frage nicht . Herr Schick
hätte nur warten müssen, bis meine Rede zu Ende ist .
({0})
Nein, Ihre Redezeit wird doch angehalten .
Die Antwort ergibt sich aus meiner Rede, ganz einfach .
({0})
Was mache ich jetzt? Dann kriegen Sie ein paar Sekunden mehr Redezeit .
Noch einmal zum ersten Punkt, den ich erwähnt habe:
Wo stehen wir zehn Jahre nach der Regulierung? Das ist
mir ernst, weil wir jetzt damit konfrontiert sind, zu sagen,
dass Blasen entstehen . Ich habe auf die EZB hingewiesen . Sowohl bei der jetzigen Entwicklung als auch beim
Ausstieg werden wir mit Verwerfungen am Finanzmarkt
rechnen müssen . Darum ist es für mich ein Paradigmenwechsel, indem wir sagen: Zukünftig braucht die BaFin,
braucht die Finanzaufsicht gewisse Flexibilitäten . - Deshalb ist es zu wenig, den Immobilienbereich alleine anzuschauen . Herr Schick hat gesagt, man sollte es von privaten Immobilien auf Gewerbeimmobilien ausdehnen .
Meine Damen und Herren, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, wird es weitere Ausdehnungen geben, um
entsprechend präventiv darauf hinzuwirken . Von daher
haben wir ganz klare Bedingungen an ein solches Gesetz .
Die parlamentarischen Berichts‑ und Kontrollpflichten müssen gecheckt sein . Es darf keinen Freifahrtschein
geben .
({0})
Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen und mit
welchem Verfahren die BaFin und die Bundesbank handeln dürfen . Hier könnten wir nach Frankreich schauen . In
Frankreich gibt es einen Rat zur Lage des Finanzmarktes .
Bei uns würde das bedeuten, dass Experten von Bundesbank, von BaFin, von Bundestag - bei uns könnten auch
der Bundesrat, BMF und auch Marktteilnehmer berufen
werden - regelmäßig etwas zur Lage am Finanzmarkt
sagen . Gleichzeitig halte ich es für dringend notwendig,
dass wir die existierende Regulierung anschauen . Dieses
Gesetz zeigt uns, dass wir mit allen gesetzgeberischen
Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, weiß Gott
nicht alle Eventualitäten abdecken können . Wir haben
auch in manchen Bereichen zu viel gemacht . Darum ist
es parallel dazu notwendig, sich anzuschauen, wo wir
zu viel gemacht haben, was nicht zur Finanzstabilität
geführt hat, sondern Bürokratie erzeugt hat und somit
kundenunfreundlich und bankenunfreundlich ist . Wenn
etwas bankenunfreundlich ist, meine Damen und Herren,
dann kann es auch kundenunfreundlich sein .
Hier bin ich beim nächsten Gesetz, das wir entsprechend überprüfen - Kollege Hauer ist sehr intensiv darauf eingegangen -: die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Wir sind hier mit der Situation
konfrontiert, dass entsprechende Gesetze unklar sind und
dass aufgrund dessen, dass unklar ist, wie in einigen Jahren die Rechtsprechung sein wird, die Marktteilnehmer
bereits heute entsprechend reagieren . Das richte ich insbesondere an Minister Maas und seinen Staatssekretär,
die intensiv zuhören . Schauen wir uns im Bankenbereich
die Rechtsprechung bei den AGBs bezüglich der Zinsen
an . Nicht die armen schützenswerten Verbraucher, sondern hochfindige Juristen haben herausgebracht, wie ich
rückwirkend aus meinem Darlehensvertrag durch Kündigen herauskommen und die jetzt interessanten Zinsen
bekommen kann . Wir, der Gesetzgeber, müssen heute
konkret arbeiten, um nicht eine Verselbstständigung nach
fünf oder zehn Jahren durch die Rechtsprechung zuzulassen . Das ist der Anspruch an ein solches Gesetz .
({1})
Darum werden wir dieses Gesetz intensiv beraten .
Noch einmal: Wir sagen schlicht und ergreifend: Es darf
keinen Blankoscheck an die BaFin durch das Parlament
geben . Wir müssen die Regulierung entsprechend kontrollieren . Das erwarten wir durch die Expertise der Anhörung und durch eine kritische Beratung .
Besten Dank, meine Damen und Herren .
({2})
Vielen Dank, Kollege Radwan . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10935 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe
und höre keine anderen Vorschläge . Dann ist das so be-
schlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Renate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Zukunftsfähige Unternehmensverantwor
tung - Wirksame Sanktionen bei Rechtsver
stößen von Unternehmen
Drucksache 18/10038
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Zukunftsfähige Unternehmensverantwor
tung - Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten
im deutschen Recht verankern
Drucksache 18/10255
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Auch da höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Wenn Sie die Plätze getauscht oder eingenommen haben, kann ich die Aussprache eröffnen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Rednerin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es geht heute um die Verantwortung von
Unternehmen, um verbindliche Sorgfaltspflichten, um
soziale und ökologische Leitlinien für Wirtschaftsbetriebe. Es geht aber nicht nur darum, diese Pflichten zu normieren, sondern auch darum, wie damit umzugehen ist,
wenn Unternehmen sich nicht daran halten . Sowohl zur
Normierung internationaler Standards als auch zur Frage
der Sanktionen nach deutschem Recht haben wir heute
jeweils eine grüne Initiative aufgesetzt, die wir mit Ihnen debattieren wollen . Zu den internationalen Standards
wird mein Kollege Kekeritz anschließend sprechen .
Zunächst zur deutschen Rechtslage . Warum müssen
wir über Sanktionen sprechen? Viele deutsche Unternehmen bemühen sich heute bereits, gesetzestreu zu wirtschaften und Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten .
Umso wichtiger ist es aber, solche Unternehmen, die gegen die Rechtsordnung verstoßen, zur Verantwortung zu
ziehen . Denn diese Unternehmen verzerren den Wettbewerb und schaden den Unternehmen, die sich rechtstreu
verhalten .
({0})
Nur wenn Rechtsverstöße konsequent verfolgt und effektiv geahndet werden, können Sanktionen auch präventive
Wirkung entfalten .
Der VW-Skandal hat es uns noch einmal vor Augen
geführt: Unternehmen werden für Rechtsverstöße in anderen Ländern durchaus härter sanktioniert, als es bei uns
in Deutschland der Fall ist . In den USA läuft das vielfach
über einen Strafschadensersatz, der unserer Rechtsordnung fremd ist . Seit Jahren gibt es daher eine Diskussion um ein sogenanntes Unternehmensstrafrecht oder
Verbandsstrafrecht für Deutschland . Konkrete Entwürfe
konnten allerdings bislang nicht überzeugen .
Ich halte es auch für wenig aussichtsreich, die Normen unseres Strafgesetzbuches, das auf die individuelle
Schuld eines Menschen ausgerichtet ist, auf juristische
Personen zu übertragen . Im Gegenteil: Konzerne würden
als Beschuldigte in einem Strafverfahren Schutzrechte
wie das Schweigerecht und das Recht, sich nicht selbst
zu belasten, erhalten . Das kann nicht sein . Ein Schweigerecht für Wirtschaftsunternehmen darf es schon rein
denklogisch nicht geben . Dadurch würde man die Unternehmen nämlich von sämtlichen Aufklärungs- und
Mitwirkungspflichten entbinden, und Ermittlungsmaßnahmen würden dadurch erschwert .
Deswegen wollen wir Grüne einen anderen Weg gehen . Basis für eine wirksame und effektive Sanktionierung von Unternehmen soll weiterhin das Gesetz über
Ordnungswidrigkeiten sein, auch wenn der Name dieses
Gesetzes zu Unrecht suggeriert, dass hier nur Lappalien
erfasst wären . Das OWi-Gesetz hat nämlich den Vorteil,
dass der Staat nicht erst die individuelle Schuld einer
Person ermitteln muss, um Sanktionen zu verhängen; es
reicht, dass der Schaden nachweisbar aus dem Unternehmen heraus verursacht wurde .
Auf der anderen Seite haben die Vorschriften im
OWi-Gesetz etliche Schwachstellen, die dringend behoben werden müssen, um eine effektive Rechtsdurchsetzung sicherzustellen .
Da ist zum einen das Legalitätsprinzip, das im Strafrecht gilt und bedeutet, dass der Staat kein Ermessen hat,
sondern ermitteln muss, wenn er von einer Straftat erfährt. Diese Ermittlungspflicht muss künftig auch gegenüber juristischen Personen gelten .
({1})
Die Verfolgung von Rechtsverstößen durch Unternehmen muss für die Behörden verpflichtend sein und darf
nicht - anders als bislang im OWiG - in ihrem Ermessen
stehen .
Zum Zweiten muss die Möglichkeit geschaffen werden, Auslandstaten zu verfolgen, wenn diese durch ein in
Deutschland ansässiges Unternehmen begangen wurden .
Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht fehlt dieser internationale Bezug bislang .
Zum Dritten sind die im Strafrecht vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten für Unternehmen ungeeignet bzw . zu
eng . So scheidet eine Freiheitsstrafe für Konzerne schon
denklogisch aus . Den Sanktionskatalog wollen wir daher erweitern . Das kann etwa durch den Ausschluss von
der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, durch Verweise
oder Warnungen oder auch durch die Veröffentlichung
von Sanktionen geschehen .
Die Deckelung der finanziellen Sanktionen bei 10 Millionen Euro ist zu starr und niedrig . Die Sanktionen sollen sich künftig auch der Höhe nach an dem durch die
Tat erlangten unrechtmäßigen Gewinn orientieren . Ein
Beispiel: Rheinmetall hat im Jahr 2013 wegen Schmiergeldzahlungen einen unrechtmäßigen Gewinn in Höhe
von 36 Millionen Euro abführen müssen, aber dazu eine
Geldstrafe von nur 300 000 Euro gezahlt . Diese Schieflage zwischen Risiko und Gewinn ist geradezu eine Aufforderung, es darauf ankommen zu lassen, und das kann
nicht sein .
({2})
Bei der Berechnung des unrechtmäßig erlangten Gewinns soll künftig außerdem das Bruttoprinzip gelten,
das heißt, dass das Unternehmen keine Betriebsausgaben
in Abzug bringen darf, die zur Erlangung des unrechtmäßigen Gewinns aufgewandt wurden .
Sie sehen: Es gibt viel zu tun . Als Exportnation haben wir letztlich ein existenzielles Interesse daran, das
Vertrauen in deutsche Wirtschaftsunternehmen und deren
Rechtstreue zu stärken . Und nur zur Erinnerung: In Ihrem Koalitionsvertrag von 2013 steht:
Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeitenrecht aus .
Bislang haben wir dazu von Ihnen nichts gesehen und
nichts gehört . Jetzt können Sie immerhin unsere Vorschläge mit uns diskutieren . Ich freue mich darauf .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Katja Keul . - Nächster Redner: Dr . JanMarco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Unternehmen müssen sich an Regeln halten .
Recht und Gesetz sind für jedermann verbindlich, auch
für Unternehmen . Das ist selbstverständlich . Genauso
selbstverständlich ist es, dass Regelverstöße sanktioniert
werden müssen .
Eine Rechtsordnung, die die durch sie eingeräumten
Rechte und Pflichten nicht effektiv durchzusetzen vermag, entwertet sich selbst . Eine Rechtsordnung bedarf
daher eines effektiven Sanktionsinstrumentariums, um
ihre Akzeptanz gerade bei denjenigen aufrechtzuerhalten,
die sich rechtstreu verhalten . Deswegen ist die Verteidigung unserer Rechtsordnung - dem fühlt sich die Union
als Rechtsstaatspartei in besonderer Weise verpflichtet ganz in unserem Sinne, und das gilt in allen Bereichen
der Gesellschaft, auch im Bereich der Wirtschaft . Wir haben deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir
ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne
prüfen .
Ich will aber gar nicht verhehlen, dass ich persönlich hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zum Antrag
der Grünen - einem eigenen Unternehmensstrafrecht
skeptisch gegenüberstehe, und das aus sehr grundsätzlichen Erwägungen heraus . Es entspricht nämlich dem
Menschenbild nicht nur unseres Strafgesetzbuches, sondern vor allen Dingen auch dem Menschenbild unseres
Grundgesetzes, dass die Sanktionierung eines Verhaltens
als strafbare Handlung persönliche Verantwortung und
individuelle Schuld voraussetzt .
({0})
Das ist in § 17 unseres Strafgesetzbuches als grundlegendes strafrechtliches und auch verfassungsrechtliches
Prinzip manifestiert .
({1})
Ohne zweifelsfrei nachgewiesene individuelle Schuld
gibt es keine Strafbarkeit . Eine Verbandsstrafbarkeit erscheint mir mit diesem grundlegenden Prinzip nur sehr
schwer vereinbar zu sein .
Ich will mich aber gar nicht so sehr mit unserem Koalitionsvertrag aufhalten, sonst könnte man auch die Frage
aufwerfen: Was sind eigentlich multinationale Konzerne? Kann man das mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot hinreichend präzise regeln?
Wieso wäre es eigentlich gerechtfertigt, kleine Unternehmen gegenüber großen, nämlich multinationalen Konzernen, zu privilegieren? Sie sehen, meine Damen und
Herren, hier werden viele Zweifel aufgeworfen, Zweifel,
die auch das Bundesjustizministerium zu haben scheint,
das bis zum heutigen Tage prüft und prüft und prüft, aber
noch immer keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Aus
meiner Sicht kann das gerne auch so bleiben .
Kommen wir zum Antrag der Grünen, der alle Tatbestände zur Sanktionierung von Unternehmen in einem
Gesetz zusammenfassen und die Regelungen deutlich
verschärfen möchte . Was ist also der Grundgedanke dieses Antrags? Zum einen wird behauptet, es gebe einen
systematischen Rechtsbruch von Unternehmen .
({2})
Zum anderen wird in dem Antrag behauptet, dass es Defizite bei der Ahndung von Regelverstößen gibt. Beides
muss natürlich verifiziert werden, wenn der Antrag der
Grünen seine Berechtigung haben will .
Kommen wir zum systematischen Rechtsbruch, der
hier unterstellt wird . Ich muss schon sagen: Natürlich
gibt es schwarze Schafe in der deutschen Wirtschaft,
natürlich gibt es Unternehmen, die Rechtsverstöße begehen, und da muss man auch ganz klar handeln . Aber
hier von systematischem Rechtsbruch zu sprechen, das
geht an der Wirklichkeit vorbei . Damit nehmen Sie die
gesamte deutsche Wirtschaft und die vielen kleinen und
mittelständischen Unternehmen, die rechtschaffen sind,
die hart und innovativ arbeiten und auf diese Weise oft
auch Weltmarktführer geworden sind, in Haftung .
({3})
Deswegen sagen wir: Solche unberechtigten Vorwürfe
gehen zu weit . Wir wollen nicht alle Unternehmen in
Kollektivhaftung nehmen, sondern nur diejenigen, die
sich wirklich etwas zuschulden kommen lassen . Die
müssen wir dann entsprechend angehen, meine Damen
und Herren .
({4})
Sie sagen weiter, dass es Defizite bei der Ahndung
gibt . Wenn ich mir so anschaue, was unsere Rechtsordnung unseren Unternehmen so an Pflichtenkatalogen aufbürdet, dann kann ich eigentlich nicht erkennen, dass es
zu wenige Pflichten gibt. Ich kann auch nicht erkennen,
dass es zu wenige Sanktionstatbestände gibt . Denn wir
reden hier ja nicht nur über den Bereich des Straf- und
Ordnungswidrigkeitenrechts, sondern es gibt die vielen
spezialgesetzlichen Regelungen des besonderen Verwaltungsrechts, des Umweltrechts, des Handelsgesetzbuchs,
des Aktienrechts, des Marken- und Patentrechts, des
Kreditwesengesetzes, der Börsenaufsichtsgesetze, des
Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb, die kartellrechtlichen Normen des BGB . Die Liste ließe sich fast
unendlich fortsetzen .
Deswegen muss man einfach feststellen: Es gibt ausgefeilte Pflichtenkataloge, und es gibt die entsprechenden behördlichen Eingriffsbefugnisse, und diese werden
auch konsequent angewandt . Deswegen: Damit, Lücken
und Defizite in den Antrag zu schreiben, ohne sie zu belegen, machen Sie es sich ein bisschen zu einfach .
({5})
Sie bleiben, ohne hier eine fundierte Analyse vorzunehmen, dabei, dass das alles nicht effektiv sei und man
all die Regelungen, die die Sanktionierung von Unternehmen betreffen, in einem Gesetz bündeln müsste . Das
scheint auf den ersten Blick auch ein gewinnbringender
Gedanke zu sein . Man hat ein einziges Gesetz . Darin
kann der Unternehmer nachschlagen, welche gesetzlichen Pflichten ihn treffen und wie eine Sanktionierung
gegebenenfalls aussähe .
Ich bin grundsätzlich auch ein Freund umfassender
Kodifizierungen. Bereits seit der Einheit haben wir zum
Beispiel den gesetzgeberischen Auftrag, ein einheitliches
Arbeitsgesetzbuch zu schaffen . Wir haben in unserem
Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass wir ein Staatshaftungsrecht kodifizieren wollen. Aber da muss man dann
schon genau hinschauen . Bei der Zusammenfassung und
der Schaffung einer konsequenten, in sich kohärenten
Regelung steckt nämlich häufig der Teufel im Detail. Gerade im Bereich der Pflichtenkataloge von Unternehmen
sind es die spezifischen Pflichten, die einzuhalten sind,
und die sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld ja ganz
verschieden . Deswegen gibt es diese vielen Spezialgesetze, von denen ich gerade einige aufgezählt habe . Sie
verfolgen allesamt einen eigenen fachspezifischen Regelungszweck, haben eine eigene Ratio Legis . Sie haben
eine eigene auf Sinn und Zweck der Materie abgestimmte Systematik, und sie berücksichtigen die Besonderheiten der jeweiligen Märkte und Tätigkeitsfelder .
Sie von den Grünen aber sagen: Wir müssen all die
Sanktionen regeln, die sich in den verschiedenen Spezialgesetzen befinden, und sie in einem Gesetz zusammenführen . Aber - und das ist das Bemerkenswerte - die
Strukturen der besonderen spezialgesetzlichen Regelungen sollen ansonsten unberührt bleiben . Das bedeutet im
Kern: Wir haben die Sanktionsregelungen in dem einen
Gesetz, die jeweiligen Pflichten aber in einem anderen . Da muss man sich schon fragen: Wie soll das denn
funktionieren? Gehalt, Reichweite und Auslegung eines
Sanktionstatbestandes erschließen sich doch gerade mit
Blick auf diese fachspezifischen Regelungszusammenhänge, die Gesetzessystematik und die Ratio Legis der
jeweiligen Pflichtenkataloge. Wenn ich also den inneren
Zusammenhang, der zwischen Pflicht auf der einen Seite
und Sanktion auf der anderen Seite besteht, auseinanderreiße und in zwei verschiedenen Gesetzen regele, geht
der gesamte systematische und teleologische Zusammenhang verloren . Deswegen ist der Vorschlag, den Sie uns
hier präsentieren, gesetzessystematisch völlig verfehlt .
Er würde zu einer enormen Rechtsunsicherheit führen,
und deswegen können wir ihn nicht mittragen, meine Damen und Herren .
({6})
Dr. JanMarco Luczak
Schon der Ansatz des Antrags ist fragwürdig . Aber
schauen wir einmal auf die uns vorgeschlagenen konkreten Dinge . Zum Beispiel wird hier die Schaffung eines
öffentlichen Sanktionenregisters vorgeschlagen . Ich hatte
immer gedacht, seit der Peinlichen Halsgerichtsordnung
Kaiser Karl V . 1532 sei der Pranger abgeschafft worden,
und muss nun zur Kenntnis nehmen, die Grünen wollen
an dieser Stelle offensichtlich zurück ins Mittelalter .
({7})
Während das noch mit einem Schmunzeln hingenommen
werden könnte, so stellt man bei Betrachtung der anderen
dort vorgeschlagenen Maßnahmen - zum Beispiel der
Strukturmaßnahmen als Strafe - fest, dass dort gemeint
ist, dass man Unternehmen zerschlagen, sie unter staatliche Kuratel stellen und einen Staatskommissar einsetzen kann, und zwar nicht nur für einzelne Unternehmen,
sondern ganze Unternehmenszweige . Damit bewegt man
sich auf dem direkten Weg in eine staatlich beaufsichtigte
und gelenkte Volkswirtschaft . Das ist nun wirklich Sozialismus pur, und das können wir nicht mitmachen .
({8})
Da muss man sich auch einmal fragen: Wen träfe denn
eigentlich die Zerschlagung eines solchen Unternehmens? Die Leidtragenden wären tatsächlich die Arbeitnehmer und die Kunden des Unternehmens . Die haben
doch aber mit dem Fehlverhalten der aufsichtführenden
Personen eines Unternehmens überhaupt nichts zu tun .
Nein, mit diesen Vorschlägen treffen Sie wirklich die
Falschen, und das stünde auch wieder nicht im Einklang
mit einem materiell-rechtlich verstandenen Schuldprinzip .
({9})
Deswegen können wir das an dieser Stelle nicht mitmachen, meine Damen und Herren .
Richtig ist: Wir müssen uns das Ordnungswidrigkeitenrecht anschauen und können auch darüber nachdenken, ob es geschärft werden muss . Wir haben da in den
letzten Jahren auch einiges gemacht . Erst 2013 haben
wir die möglichen Strafen verzehnfacht, von 1 Million
auf 10 Millionen Euro . Das ist schon mal was . Aber natürlich muss man schauen, ob diese Sanktionen effektiv
sind . Man kann darüber nachdenken, sie noch weiter zu
verschärfen .
Was ich nicht verstehen kann, ist Ihre Kritik, es gäbe
keinen Verfolgungszwang im Ordnungswidrigkeitenrecht . Es ist zwar richtig, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht dem Opportunitätsprinzip folgt, aber man muss
sich das natürlich genau anschauen . Bei den Konstellationen, über die wir hier gerade reden, also bei großen
Schäden und einem schwerwiegenden Fehlverhalten, ist
es so, dass sich das Verfolgungsermessen der Behörden
regelmäßig auf null reduziert . Das heißt, das Opportunitätsprinzip weicht in der Sache einem Legalitätsprinzip .
Das heißt, die Behörden müssen einschreiten . Deswegen
gibt es an dieser Stelle aus unserer Sicht auch keinen
Handlungsbedarf .
Man kann sich aber Folgendes wirklich einmal anschauen: Momentan liegt die Zuständigkeit in aller Regel
bei den Amtsgerichten . Da wir von erheblichen Schäden
und komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen sprechen, kann man überlegen: Sind die Amtsgerichte damit
möglicherweise sachlich und personell überfordert? Man
kann darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, diese Zuständigkeit den Wirtschaftsstrafkammern bei den
Landgerichten zu übertragen . Es gibt viele Punkte, über
die man nachdenken kann, um die Sanktionsmechanismen effektiv zu machen .
Abschließen möchte ich mit einer Bemerkung: Sie
setzen sehr stark auf die Abschreckungswirkung von
Sanktionen . Sie schreiben, dass sie einen starken präventiven Effekt haben und zu rechtstreuem Verhalten führen sollen . Diese Argumentation wundert mich schon ein
bisschen; denn wenn wir sagen, wir wollen das Strafrecht
zum Beispiel im Bereich der Terrorismusbekämpfung
verschärfen, lehnen Sie diese Argumentation mit allergrößter Vehemenz ab .
({10})
Hier tun sich massive Widersprüche in Ihrer Argumentation auf . Aber man sagt ja: Einsicht ist der erste Schritt
zur Besserung . Wir werden Sie daran erinnern .
Heute jedenfalls werden wir Ihren Antrag ablehnen,
weil er im Ansatz verfehlt ist und viele Maßnahmen
vorgeschlagen werden, die die Falschen treffen würden,
die nicht zielführend sind . Deswegen können wir das so
nicht mittragen .
Danke .
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Nächster Redner: Niema
Movassat für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich
2009 in den Bundestag einzog, baute ThyssenKrupp in
der Bucht von Sepetiba, in Brasilien, gerade das größte
Stahlwerk Lateinamerikas . Damals berichtete ein brasilianischer Fischer hier im Bundestag, wie durch diesen
Bau die Lebensgrundlagen Tausender Fischerfamilien
zerstört wurden . Er selbst erhielt vom Wachschutz von
ThyssenKrupp sogar Morddrohungen, weil er den Konzern öffentlich kritisierte . Er wurde unter den Schutz
Dr. JanMarco Luczak
des staatlichen Menschenrechtsprogramms gestellt und
musste untertauchen . Das ist ein schockierendes Beispiel
dafür, wie ein deutsches Unternehmen im Ausland Menschenrechte mit Füßen trat . Die Politik hier in Deutschland muss alles tun, um solche Menschenrechtsverstöße
zu verhindern .
({0})
Acht Jahre sind seitdem vergangen . Das Stahlwerk
war ein wirtschaftliches Desaster für ThyssenKrupp .
Aber das Unternehmen hat sich davon weitgehend erholt .
Die Existenz der Fischer dort bleibt aber zerstört . Der
Fall hätte eigentlich Mahnung sein müssen . Aber auch
heute noch missachten deutsche Konzerne Menschenrechte im Ausland . Laut einer Studie der Uni Maastricht
belegen sie bei Menschenrechtsverstößen weltweit sogar
Rang fünf .
Obwohl der Bundestag gefühlt schon hundertmal über
das Thema Unternehmensverantwortung diskutiert hat,
ist praktisch nichts passiert. Ich finde, es ist ein Skandal,
dass diese Bundesregierung immer noch wegschaut bei
Menschenrechtsverstößen deutscher Konzerne .
({1})
Schon damals, 2009, war eigentlich klar, was passieren musste, nämlich die Festschreibung sozialer und ökologischer Mindeststandards, die verbindlich sind für die
Tätigkeit deutscher Unternehmen im Ausland . Die Debatte hat sich seitdem im Grundsatz nicht geändert . Die
Bundesregierung setzte und setzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Aber Menschenrechte und Mindeststandards gehören nicht dem Gutdünken
der Konzerne überlassen . Sie müssten gesetzlich festgeschrieben sein .
({2})
Der Irrsinn ist doch sonst, dass diejenigen Konzerne,
die sich freiwillig höhere Standards setzen, einen Wettbewerbsnachteil haben gegenüber denjenigen Konzernen,
die darauf pfeifen . Menschenrechtswidriges Handeln als
möglicher Wettbewerbsvorteil - das nimmt die Bundesregierung in Kauf. Ich finde das unerträglich.
({3})
Jetzt sagt die Bundesregierung natürlich, sie habe ja
was getan . Zum einen hat Entwicklungsminister Müller
nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei der über 1 100 Menschen starben, das
Textilbündnis ausgerufen . Zum anderen fand unter Leitung des Auswärtigen Amtes die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“
statt . Beide Initiativen enthalten viele schöne Absichtserklärungen, aber die ergriffenen Maßnahmen sind nur
Augenwischerei und bestehen aus vielen Feigenblättern .
Schauen wir uns einmal die Ergebnisse des Nationalen
Aktionsplans an . Schon 2011 hatten die Vereinten Nationen in ihren Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte gefordert, dass Unternehmen Menschenrechtsverstöße
in der gesamten Wertschöpfungskette ausschließen sollen . Die Mitgliedstaaten der UN, also auch Deutschland,
sollten nationale Aktionspläne erarbeiten . Drei Jahre lang
passierte in Deutschland erst einmal gar nichts . Erst 2014
fing man hierzulande an, einen Prozess zur Erstellung des
Aktionsplans zu starten; besonders eilig hatte man es also
nicht .
Es dauerte dann fast noch drei Jahre, bis wir ein Ergebnis hatten . Seit diesem Jahr haben wir zwar endlich einen
Aktionsplan, aber er ist leider kaum das Papier wert, auf
dem er steht . So heißt es darin, dass die Bundesregierung
erwartet, dass 50 Prozent der deutschen Unternehmen
mit über 500 Mitarbeitern bis 2020 menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten walten lassen - nur eine Erwartung,
keine Verpflichtung, keinerlei Sanktionsandrohung bei
Missachtung .
Richtig wäre, zu sagen: Ab sofort müssen alle deutschen Unternehmen, die im Ausland produzieren oder
produzieren lassen, sorgfältig prüfen, ob sie damit die
örtliche Umwelt ungebührend zerstören oder die ansässige Bevölkerung vertreiben . - Das ist doch nicht zu viel
verlangt .
({4})
Sie von der Bundesregierung wollen aber lieber bis
2020 abwarten, um zu schauen, ob Sie dann endlich etwas tun . Bis 2020 werden neun Jahre vergangen sein,
seit die UN ihre Leitlinien verabschiedet haben - neun
Jahre, in denen Unternehmen problemlos weitermachen
konnten bzw . können wie bisher . Sie von der Regierung
haben noch nicht einmal finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um 2020 überhaupt eine Prüfung vornehmen zu können, ob die Unternehmen Ihre Erwartungen
erfüllt haben . Ich gehe jede Wette ein: Selbst wenn die
Unternehmen Sie mit Ihren Erwartungen im Regen stehen lassen, werden Sie auch 2020 keine gesetzlichen
Verpflichtungen auf den Weg bringen. Haben Sie doch
einmal wenigstens das Rückgrat, und geben Sie zu, dass
Verpflichtungen für die Wirtschaft für Sie aus wirtschaftlichen Interessen offenbar nicht infrage kommen . Sie
von der Bundesregierung spielen gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern auf Zeit, und das ist eine Schande .
({5})
Und das Textilbündnis? Der Modeverband GermanFashion rühmte sich letztes Jahr damit, alle problematischen Punkte aus dem Bündnis rausverhandelt zu haben;
es gebe keine Verbindlichkeit mehr . Der Modeverband
empfahl seinen Mitgliedern, beizutreten; denn sie begäben sich damit unter den Schutzschirm der Bundesregierung, ohne etwas leisten zu müssen . Diese Aussage lässt
tief blicken . Das Textilbündnis ist völlig unambitioniert .
Es geht um Greenwashing, um gute öffentliche Wahrnehmung für die Textilkonzerne . Die deutschen Textilunternehmen, die Mitglied des Bündnisses geworden sind,
dürfen sich jetzt freiwillig individuelle Verbesserungen
aussuchen, die sie innerhalb von einem Jahr erreichen
wollen . Es gibt also keine festen Regeln für alle, sondern
jeder macht, was er will .
Unternehmen wie KiK und Primark sind maßgeblich verantwortlich für die Preisdrückerei in der TextilNiema Movassat
branche. Weil sie nicht bereit sind, auf etwas Profit zu
verzichten, schuften die Menschen unter sklavenartigen
Bedingungen .
({6})
Die KiK-Manager haben in den vergangenen Jahren zigfach bewiesen, dass ihnen die Situation in den Fabriken
völlig egal ist . Jetzt sollen sie freiwillig nur das verbessern, was sie wollen, und wenn sie dann vielleicht so
doof sind, ihre eigenen Ziele nicht einzuhalten, fliegen
sie als Höchststrafe aus dem Textilbündnis? Das ist doch
ein schlechter Witz . So wird nichts besser für die Näherinnen in Bangladesch . Das ist totale Augenwischerei,
was Sie hier betreiben .
({7})
Dass einem privatwirtschaftlich organisierten Konzern der Profit wichtiger ist als Menschenrechte, liegt am
kapitalistischen Wirtschaftssystem . Gerade deshalb ist
es originäre Aufgabe der Politik, hier regulierend einzugreifen . Statt aber ihrer Verantwortung nachzukommen,
ordnen SPD und Union die Durchsetzung von Menschenrechten lieber den Profitinteressen deutscher Unternehmen unter . Sie versuchen sogar, so zu tun, als ob
am Ende die Verbraucher die eigentlich Verantwortlichen
wären. Das ist ein besonders perfider Trick.
({8})
Denn mittlerweile gibt es Hunderte Siegel für alles Mögliche in Deutschland . Kein Mensch kann da durchblicken. Die Informationen sind zudem häufig nicht einmal
nachprüfbar . Sie könnten diesen Siegelwahnsinn mit einem Schlag beenden, indem Sie allgemeingültige Regeln
für alle Unternehmen und alle Produkte schaffen .
({9})
Also, wenn Sie es ernst meinen, könnten Sie sofort
handeln . Sie könnten ein Unternehmensstrafrecht einführen, Unternehmen verpflichten, ihre Lieferketten
transparent zu machen, und klare Sorgfaltspflichten für
Konzerne gesetzlich verankern . Wir sollten hier nicht
noch hundert Debatten zu diesem Thema führen; denn
Lösungen liegen vor, zum Beispiel in den Anträgen der
Grünen heute und dem Antrag von uns Linken aus 2015 .
Handeln Sie endlich! Sorgen Sie dafür, dass Unternehmen, die Menschenrechte verletzen, zur Rechenschaft
gezogen werden!
Danke schön .
({10})
Vielen Dank, Kollege Movassat . - Nächster Redner:
Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht zuletzt der
VW-Skandal hat uns deutlich vor Augen geführt, dass
wir in Deutschland schärfere Sanktionen benötigen, um
Unternehmen dazu zu bringen, sich gesetzestreu zu verhalten . Schon im Koalitionsvertrag haben wir deshalb
entsprechend geregelt, dass wir das Ordnungswidrigkeitenrecht ausbauen wollen und dass wir konkrete und
nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensbußen benötigen; denn offensichtlich reicht die heutige
Rechtslage, reicht das Sanktionsinstrumentarium nicht
aus . Wir können zwar die Täter bestrafen, die in Unternehmen tätig sind und strafbare Handlungen begehen;
aber wir können nicht gegen das Unternehmen selbst
vorgehen . Gerade der VW-Skandal hat uns gezeigt, dass
insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher auf einen solchen Schutz durch spürbare Geldsanktionen angewiesen sind, etwa in den USA, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({0})
In Deutschland diskutieren wir seit Jahrzehnten härtere Sanktionen . In anderen Ländern, etwa in der Schweiz
oder in Holland, gibt es sie bereits. Ich finde, dass wir,
auch wenn wir heute eine Unternehmenskriminalität haben, nicht alle Unternehmen unter einen Generalverdacht
stellen dürfen - auf keinen Fall, lieber Marco Luczak -;
aber dass es dort eben auch schwarze Schafe gibt, das
ist Realität . Deswegen muss die Antwort eines starken
Staates sein, hierfür Sanktionen gesetzlich zu regeln, die
für die Unternehmen spürbar sind, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({1})
Ich finde, es liegt gerade auch im Interesse der Unternehmen, dass sich Mitbewerber eben keinen illegalen
Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie eben durch
Gesetzesverstöße billiger produzieren können, indem sie
etwa Aufträge durch Korruption bekommen . Genau das
wollen wir verhindern . Genau das ist im Sinne der Wirtschaft und insbesondere des Mittelstandes: dass diejenigen, die betrügen, eben keinen Wettbewerbsvorteil haben
und sie dadurch keine Gewinne einfahren, sondern dass
der Ehrliche eben nicht der Dumme ist . Das gilt auch in
diesem Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Deswegen reicht der Bußgeldrahmen, wie wir ihn
heute im Ordnungswidrigkeitengesetz haben - dort gibt
es eine Höchstgrenze von 10 Millionen Euro -, nicht aus .
Das ist viel zu wenig, wenn wir uns anschauen, wie viele Millionen - ein Vielfaches von diesen 10 Millionen etwa bei dem prominenten Fall in München durch eine
kriminelle Handlung an Gewinn eingefahren wurden .
Deswegen müssen wir diesen Rahmen von 10 Millionen
Euro deutlich erhöhen .
({3})
Auch ich finde, wir müssen das Opportunitätsprinzip,
das wir im Ordnungswidrigkeitenrecht haben, einschränken; denn ansonsten haben wir das Risiko, dass von
Landgerichtsbezirk zu Landgerichtsbezirk unterschiedliche Sanktionen drohen .
({4})
Ich bin auch der Meinung, dass wir klare Regeln dafür finden müssen, dass die Geldbußen an der Ertragskraft eines Unternehmens orientiert sein müssen, sodass
kein Unternehmen einfach aus der Portokasse eine kleine
Geldbuße bezahlt und anschließend das illegale Handeln
fortgesetzt wird. Nein, auch hier, finde ich, müssen wir
eingreifen .
({5})
Ich würde noch weiter gehen . Ich meine, der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty
hat auch zu diesem Thema einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, einen interessanten Gesetzentwurf vorgelegt, übrigens ausformuliert, anders als die Grünen .
({6})
- Von euch haben wir einmal mehr nur ein Sammelsurium von Fragen .
Der Vorschlag von Kutschaty ist, kriminelle Unternehmen von öffentlichen Vergaben auszuschließen oder
für solche Unternehmen Subventionen auszuschließen .
Auch diese Sanktionen halte ich für sinnvoll, und genau
diesen Weg sollten wir gehen .
({7})
Zu dem Antrag der Grünen zu den Sanktionen: Daran
stört mich schon einmal, dass Sie keinen konkreten Vorschlag machen, wie Sie die Dinge im Gesetz formulieren
wollen . Vielmehr kommt einmal mehr ein langer Forderungskatalog mit recht unbestimmten Fragen, die im Übrigen teilweise unnötig sind, weil die Bundesregierung
schon Gesetzesvorschläge dazu vorbereitet hat .
({8})
Zum Beispiel ist es ja sinnvoll, wie Sie fordern, dass
wir eine Verbesserung bei der Einziehung von Vermögen, bei der Vermögensabschöpfung vornehmen . Genau
diesen Gesetzentwurf hat Justizminister Maas vorgelegt .
Es ist ein sehr guter Entwurf, und ich hoffe, dass die Unionskollegen diesen sinnvollen, diesen wichtigen Entwurf
nicht blockieren, sondern dass wir hier zu einer Regelung
kommen, sodass der Grundsatz gilt: Verbrechen darf sich
nicht lohnen . - Diesen Gesetzentwurf brauchen wir dringend .
({9})
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, fordern, dass eine Umgehung der Haftung durch
bestimmte Unternehmensstrukturierungen verhindert
werden muss, dann ist auch das richtig . Aber an diesem
Thema sind wir ebenfalls schon dran; darüber diskutieren
wir im Rahmen der GWB-Novelle .
Ein wichtiger Punkt - ich möchte ausdrücklich loben,
dass Sie diese SPD-Forderung in Ihren Antrag aufgenommen haben - ist der Schutz der Whistleblower .
({10})
Meine Fraktion hat schon in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt . Die Situation
ist ja so, dass Hinweisgeber ihr Wissen oft nur dann offenbaren, wenn sie keine gravierenden Nachteile für sich
befürchten müssen . Etwa im Lebensmittelbereich konnten dadurch Skandale aufgedeckt und abgestellt werden,
sodass Millionen von Verbrauchern nun besser geschützt
sind, weil sie keine giftigen oder verdorbenen Lebensmittel zu sich nehmen müssen . Wenn wir zum Schutz
der Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass Hinweisgeber ihr Wissen auch weiterhin offenbaren, dann
brauchen wir eine Regelung, die etwa verhindert, dass
Whistleblowern gekündigt werden kann .
({11})
Wir sind dazu bereit . Wir bedauern sehr, dass eine solche
Regelung von der Union verhindert wird . Das kann nicht
sein . Dies ist ein ganz wichtiges Handlungsfeld, auf dem
wir tätig werden müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({12})
- Es ist keine 24 Stunden her, dass wir einen Kanzlerkandidaten haben, und bei euch bricht schon Panik aus . Das
ist eine hochinteressante Entwicklung .
({13})
Wir haben noch acht Monate vor uns . Ich bin gespannt,
wie sich Stimmung und Blutdruck bei euch entwickeln .
Ich komme zum Schluss . Der Grünenantrag enthält
sehr viele Forderungen, die von uns - das gilt etwa für
die Vermögensabschöpfung - in gewohnt seriöser Manier schon umgesetzt werden .
({14})
Darüber hinaus sind einige Forderungen zu unbestimmt,
sodass ich sie nicht nachvollziehen kann . Deswegen:
Auch wenn einiges Richtiges drinsteht, werden wir Ihren
Antrag ablehnen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({15})
Vielen Dank, Kollege Dr . Fechner . - Nächster Panik-Redner: Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung“, was bedeutet das? Für mich
bedeutet es, dass sich Unternehmensmitglieder und die
Unternehmen für ihr Tun und Lassen freiwillig verantwortlich erklären und sich auch gemäß dieser Verantwortung verhalten . Für welche Handlungen und Folgen sich
ein Unternehmen verantwortlich erklärt und welches die
richtigen Grundsätze sind, leitet sich aus der Rechtsordnung, aus den gesellschaftlich definierten ethischen Prinzipien ab, beispielsweise faire Bezahlung, Schulung von
Mitarbeitern, Einhaltung von Normen und Standards,
Gleichberechtigung der Geschlechter oder meinetwegen
auch Richtlinien zum Schutz der Umwelt . Viele deutsche
Unternehmen halten sich in vorbildlicher Weise auch im
internationalen Kontext an diese Wertmaßstäbe . Jene, die
hier Defizite aufweisen, bringen wir durch bestehende
Gesetze oder durch neue Maßnahmen der Bundesregierung und der Legislative dazu, ihr Handeln zu überdenken und es anzupassen .
({0})
Meine Damen und Herren, ähnlich wie der Kollege
Luczak muss auch ich ein bisschen mit Bedauern feststellen, dass der vorliegende Antrag der Grünen zu den
Sanktionen in seinem Duktus zum wiederholten Male die
Geschäftspraktiken vieler deutscher Unternehmen mindestens hinterfragt . Ich bedaure dieses Misstrauen und
auch den möglicherweise enthaltenen Generalverdacht
gegenüber der deutschen Wirtschaft .
({1})
Als Entwicklungspolitiker weiß ich um die Bedeutung
der Wirtschaft gerade in diesem Bereich . Deshalb lege
ich meinen Fokus bei der Bewertung Ihrer Anträge auch
auf die Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit .
Mit ihrem Antrag zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten kritisieren die Grünen den Prozess bei der Ausarbeitung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und
Menschenrechte“, NAP, durch die Bundesregierung . Ja,
es ist richtig, dass die Ausgestaltung einige Zeit länger
in Anspruch genommen hat, als zunächst einmal angedacht und angekündigt war . Ich möchte aber an dieser
Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Bundesregierung den NAP kurz vor Weihnachten letzten Jahres
verabschiedet und damit die deutschen Unternehmen zu
fairen Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern verpflichtet hat.
({2})
Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Aussage; denn
es ist ein deutlicher, wichtiger und vorbildlicher Schritt
für die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch deutsche Unternehmen; das müssen wir festhalten .
Mit dem Aktionsplan setzen wir die UN-Leitlinien für
Wirtschaft und Menschenrechte in nationales Gesetz um .
Betroffen von der Regelung sind in Deutschland circa
6 000 Betriebe, die dazu verpflichtet werden, soziale und
ökologische Standards einzuhalten .
Meine Damen und Herren, in der letzten Woche haben
wir hier im Plenum das Thema „Faire Textilproduktion“
debattiert . Beispielhaft steht dieser Sektor für die Anstrengungen, die die Bundesregierung, federführend das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, für zukunftsfähige Unternehmensverantwortung unternimmt .
Kurz erwähnt sei hierzu das im Oktober 2014 gegründete Bündnis für nachhaltige Textilien, auch wenn die
Linken das beiseitewischen . Es ist ein wichtiges Bündnis . Es greift die zukunftsfähige Unternehmensverantwortung in einer vorbildlichen Weise auf und arbeitet
in der Praxis an der Verringerung von Missständen und
Benachteiligungen . Bereits 133 mittelständische Unternehmen und Großkonzerne aus der Textilindustrie und
dem Handel sind diesem Bündnis beigetreten und haben
in Deutschland eine Marktabdeckung von 55 Prozent erreicht - und das setzt Maßstäbe . Das ist ja nicht nur ein
kleiner Teil von 3 oder 4 Prozent, sondern weit über die
Hälfte .
({3})
Mit diesem Projekt kommen Verbraucher, Wirtschaft
und Politik auf freiwilliger Basis zueinander, ohne großen Verwaltungsaufwand zu verursachen . Die Zielsetzungen des Bündnisses, die soziale, ökologische und
ökonomische Nachhaltigkeit entlang der gesamten Textilkette kontinuierlich zu verbessern, tragen zudem zur
Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und der sogenannten SDGs bei . Im Kontext von
Globallieferketten sind das insbesondere die Ziele Nummer 8 „Menschenwürdige Arbeit und wirtschaftliches
Wachstum“, Nummer 12 „Nachhaltige Produktion und
nachhaltiger Konsum“ und Nummer 17 „Förderung von
Partnerschaften“ .
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt:
Das Textilbündnis kann international ein Vorbild für
andere Wirtschaftszweige sein, zum Beispiel für den
Rohstoffsektor oder auch für die Fischerei . Es kann beweisen, dass sich hohe Maßstäbe in der Unternehmensverantwortung auszahlen .
Eines muss ich noch einmal deutlich sagen: Nationale Alleingänge sind für uns der falsche Weg . Deshalb ist
die Koalition schon einen Schritt weiter . Bereits 2015 hat
sich Bundesentwicklungsminister Dr . Müller erfolgreich
dafür eingesetzt, dass die Durchsetzung weltweiter Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards auf der Tagesordnung des G-7-Gipfels in Elmau stand . Das war ein Novum . Diesen Weg setzen wir fort .
({4})
Das Entwicklungsministerium und das Ministerium
für Arbeit und Soziales setzen sich maßgeblich dafür ein,
die Arbeitsbedingungen in internationalen Lieferketten
zu verbessern, ein verantwortliches und transparentes
Management von Lieferketten zu fördern und Beschwerde- und Mediationsmechanismen zu stärken . Dazu haben
beide Häuser in dieser Legislaturperiode das Positionspapier „Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt und verabschiedet .
({5})
Meine Damen und Herren, Deutschland hat am 1 . Dezember 2016 die G-20-Präsidentschaft übernommen . Die
G 20 sind das zentrale Forum der internationalen Zusammenarbeit der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in Finanz- und Wirtschaftsfragen und vereinen
80 Prozent des globalen Handels auf sich . Die deutsche
Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte Welt
gestalten“ läuft bis zum 30 . November 2017 . Höhepunkt
wird das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs
in meiner Heimatstadt Hamburg am 7 . und 8 . Juli sein .
Was im Fokus steht - nachhaltige globale Lieferketten, ein Kernthema zukunftsfähiger Unternehmensverantwortung -, wird dabei im Rahmen der G-20-Staaten
weiter vorangebracht werden, und damit wird auch an
die G-7-Präsidentschaft angeknüpft - und alles unter
dem Vorsitz von Deutschland; das möchte ich noch einmal deutlich sagen . Damit kommt von uns sozusagen ein
starkes Signal für mehr Verantwortung in globalen Lieferketten .
Gemeinsam mit den G-20-Partnerländern sollen dazu
konkrete Schritte entwickelt und beschlossen werden .
Wichtige Bezugsrahmen dafür sind die Agenda 2030
für nachhaltige Entwicklung, die UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätze für
multinationale Unternehmen und die Abschlusserklärung
des G-7-Gipfels von Elmau; ich habe ihn schon erwähnt .
Meine Damen und Herren, wenn Sie eine Analyse der
Lage vornehmen, dann können Sie erkennen, dass es eine
Vielzahl von Initiativen und bestehenden Regelungen zur
Sanktion von Unternehmen gibt, wenn diese gegen Maßstäbe, Gesetze und Normen verstoßen . Das Vorhandene
nochmals mit einem Gesetz zu regeln, schafft lediglich
Doppelstrukturen und benachteiligt einseitig deutsche
Unternehmen im Wettbewerb, und genau das wollen wir
nicht .
Bevor ich zum Ende meiner Rede komme, möchte
ich es nicht versäumen, auf einen ganz wichtigen Punkt
in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen: Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung tragen vor
allen Dingen der Verbraucher und die Verbraucherin . In
vielen Bereichen des Lebens stellen wir eine kontinuierliche Veränderung des Verbraucherverhaltens fest . Damit
einher geht die Weiterentwicklung der Unternehmensverantwortung . Kein Textilhändler kann es sich leisten,
dass an der Kleidung, die er produziert, Blut klebt,
({6})
kein Stromanbieter in Deutschland wirbt mehr mit Atomstrom, und kein Autohersteller bringt mehr ein neues
Modell mit einem Spritverbrauch von über 15 Litern pro
100 Kilometer auf den Markt .
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie das veränderte Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher
die Verantwortung von Unternehmen mitgestaltet .
({7})
Wir dürfen uns jedoch nicht auf dem Erreichten ausruhen . Die Aufgabe der Politik ist es, weiter zu sensibilisieren und zu gestalten sowie das eine oder andere Gesetz in
diesem Zusammenhang zu verabschieden .
Mit einem tiefen Durchblick für den Verbraucher in
Bezug auf die Durchsetzung von internationalen, sozialen und Umweltstandards erreichen wir mehr als mit nationalen Gesetzgebungsprozessen, die deutsche Unternehmen benachteiligen und Arbeitsplätze kosten . Deshalb
dürfen wir es nicht unterlassen, die Verbraucherinnen
und Verbraucher ständig und stärker als in der Vergangenheit über die Sozialstandards zu informieren . Das
kommt auch den Entwicklungsländern in ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation zugute, und das müssen
wir gerade in diesen Zeiten sehen .
Danke sehr .
({8})
Vielen Dank, Jürgen Klimke . - Nächster Redner: Uwe
Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle kennen das: Kinderarbeit auf Kakaoplantagen,
Hungerlöhne in Textilfabriken, Rohstoffe, die bewaffnete Konflikte finanzieren, usw. usf. Das ist genau der Stoff,
mit dem Minister Müller seit Jahren seine Reden spickt
und in der Öffentlichkeit mächtig auftritt .
({0})
Nur zu lamentieren, verändert allerdings überhaupt
nichts .
({1})
Konkret unternimmt diese Bundesregierung seit Jahren
herzlich wenig, um die Arbeitsbedingungen in den globalen Lieferketten zu verbessern .
Der Nationale Aktionsplan hätte wirklich eine wunderbare Chance geboten, starke, positive Zeichen zu
setzen . Die Bundesregierung wollte diese Chance aber
nicht und setzte den NAP deshalb gezielt in den Sand .
Der Druck der Lobby - BDI, BDA, Kampeter usw . - war
wohl sehr groß .
Sie waren sogar dabei, den Nationalen Aktionsplan zu
einem Bittstellerbrief an die Wirtschaft umzuformulieren . Das konnte die Opposition gerade noch verhindern .
({2})
Sie hatten doch zu viel Angst vor der Öffentlichkeit .
({3})
Was wurde bei der großen Auftaktveranstaltung zum
NAP vor drei Jahren nicht alles versprochen! Fünf Ministerien haben versprochen, ein Konzept vorzulegen,
das Deutschland zum Vorreiter für nachhaltiges Wachstum macht . Heute blamieren Sie Deutschland mit diesem
NAP bis auf die Knochen .
Es geht doch auch ganz anders . Mit unserem Maßnahmenpaket zur zukunftsfähigen Unternehmensverantwortung zeigen wir deutlich auf, welche Schritte notwendig
und möglich sind, um den Menschenrechtsschutz in der
globalen Wirtschaft voranzutreiben . Für die globale Lieferkette brauchen wir verbindliche Regeln . Herr Klimke,
von Verbindlichkeit steht im NAP nichts . Einfach noch
einmal lesen, das hilft .
({4})
Hilfestellungen für Unternehmen - Transparenzregeln - Opfer von Unternehmenshandeln müssen Zugang
zu Rechtsmitteln bekommen . Menschliche Sorgfaltspflichten müssen im deutschen Recht verankert werden.
Wir brauchen natürlich auch ein geeignetes Sanktionsregime; Katja Keul hat davon gesprochen . Nichts, absolut
nichts davon ist im NAP tatsächlich zu finden.
Unternehmen müssen eine menschenrechtsbezogene Risikoanalyse durchführen . Sie müssen geeignete
Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverstößen ergreifen . Sie müssen Organisationspflichten, wie etwa Whistleblower‑Schutz oder Compliance-Strukturen, etablieren . Auch eine vernünftige
Dokumentation ist einfach selbstverständlich .
({5})
Kommt es dann in einem Unternehmen zu Menschenrechtsverletzungen oder werden einem Unternehmen
Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt, müssen
den Opfern zivilrechtliche Klagen vor deutschen Gerichten und damit einhergehend natürlich Schadensersatzforderungen ermöglicht werden . Das ist machbar . Davon ist
nichts unzumutbar .
({6})
Unsere Anträge enthalten flexible Vorschläge, die je
nach Unternehmensgröße und je nach Wirtschaftszweig
und ‑sektor angepasst werden können. Davon profitieren die deutschen Unternehmen; denn die Zeichen stehen global auf Verbindlichkeit . Mit Ihrer Verweigerung,
Verbindlichkeit einzuführen, schaden Sie dem Wettbewerb . Sie bestrafen fortschrittliche Unternehmen; denn
alle Unternehmen, die sich hohen Standards verpflichtet
fühlen, werden von Ihnen zu den Dummen des Systems
gemacht, weil immer noch der Wettlauf um den niedrigsten Standard gilt . Die Jagd nach dem Preisvorteil ist dann
das Leitmotiv des Handelns . Genau das zementiert dieser
NAP in unverantwortlicher Weise .
Es liegt ein ganz besonderes Versagen der gesamten
Regierung vor . Die inakzeptablen globalen Arbeitsverhältnisse - das muss uns doch bewusst sein - sind für
viele Menschen ein Migrationsgrund . Hinzu kommen
menschenrechtliche und ökologische Aspekte, die uns in
die Verantwortung nehmen . Aber die Regierung und die
Koalition verweigern sich dieser Verantwortung . Das ist
nichts anderes als kurzsichtige Politik .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank, Kollege Kekeritz . - Nächster Redner:
Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion .
({0})
Vier Minuten .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir hier über Unternehmensverantwortung und
menschenrechtliche Sorgfaltspflichten debattieren, dann
geht es auch immer um Arbeitnehmerrechte, soziale Sicherheit, Schutz vor Ausbeutung und im Grunde auch
um den Kampf um eine gerechtere Welt . Ich denke, das
waren auch die Forderungen der Arbeiterbewegung während der industriellen Revolution . Daraus ist unter anderem die Sozialdemokratie entstanden .
({0})
Unsere Sozialgesetzgebung, unsere Krankenversicherung, unsere Rentenversicherung, unsere Arbeitslosenversicherung, Tarifvertragsrecht, Betriebsverfassungsgesetz und vieles mehr stammen genau aus der Zeit der
Arbeiterbewegung . Auch die internationale Solidarität,
die man auf Demonstrationen immer so gerne hochleben
lässt, stammt aus dieser Zeit, und sie ist auch heute hochaktuell .
({1})
Natürlich haben Unternehmen eine besondere Verantwortung; vollkommen klar . Gerade in einer Welt, in
der alles immer mehr miteinander zusammenhängt und
in der Lieferketten global organisiert sind, kommt den
Unternehmen eine ganz besondere Verantwortung zu .
Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden .
Es kann auch nicht sein, dass hier bei uns wie selbstverständlich alle Rechte gelten und dort,
({2})
wo 80 oder 90 Prozent unserer Textilien herkommen, wo
80 oder 90 Prozent - die genaue Zahl weiß ich nicht unserer Handys produziert werden, wo unser Kaffee und
unser Kakao, die Rohstoffe und die Kohle herkommen,
etwa aus Kolumbien, nicht . Vor etwa 14 Tagen ist in Kolumbien ein Gewerkschafter ermordet worden, der um
sein Land gekämpft hat . Es kann nicht sein, dass Unternehmen hier sagen: Das eine hat mit dem anderen nichts
zu tun .
({3})
Ich bin da schon für eine klare Sprache und für mehr
Verbindlichkeit; denn ich weiß, dass uns das Prinzip der
Freiwilligkeit allein nicht vorangebracht hat . Wir haben
lange versucht, auf dieses Prinzip zu setzen . Die Folge
war - das wurde hier schon mehrfach erwähnt -: Die einen, die sich daran halten, tragen die Kosten, während
die anderen, die sich - mit Verlaub - einen Dreck um
Menschenrechte kümmern, den großen Reibach machen .
Ich finde, dass wir hier eine klare Sprache brauchen. Ich
sage aber auch: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den
zweiten Schritt vor dem ersten machen . Wir müssen die
Unternehmen mitnehmen,
({4})
wir müssen sie drängen, wir müssen sie fordern . Wir
müssen einen klaren Weg hin zu mehr Verbindlichkeit
beschreiten . Genau das macht der Nationale Aktionsplan .
Ich mache keinen Hehl daraus: Der Nationale Aktionsplan ist nicht die reine Lehre .
({5})
Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich mir wesentlich mehr und verbindlichere Regeln gewünscht hätte .
Ich sage aber auch: Wenn ich die Wahl habe zwischen
kleinen Schritten in die richtige Richtung und der Forderung nach der reinen Lehre, die dazu führt, dass man
untergeht und gar nichts erreicht, weil man keinen Kompromiss eingehen will, dann gehe ich lieber den Weg der
kleinen Schritte .
Ich finde auch - zum Schluss kommend -: Ihr Linken
stellt einen Ministerpräsidenten in Thüringen,
({6})
und ihr Grünen einen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg . Ihr habt einen Spitzenkandidaten, der
hier im Plenum bewiesen hat, dass er mit Herrn Kauder
sehr gut kann und etwas per Handschlag erreichen kann .
Ich würde mich freuen, wenn von Ihren Bundesländern
entsprechende Initiativen im Bundesrat eingebracht würden .
({7})
Dann werden wir sehen, ob sich der baden-württembergische Spitzenkandidat bei Herrn Kretschmann und bei
Herrn Strobl durchsetzt .
({8})
Wenn dann dabei das herauskommt, was in Baden-Württemberg passiert ist, nämlich dass die baden-württembergische Landesregierung wieder Studiengebühren
einführt, die insbesondere junge Menschen aus Entwicklungsländern treffen,
({9})
dann ist das kein Beitrag zu einer gerechteren Welt . Das
ist vielmehr ein Förderprogramm für Kinder korrupter
Eliten .
({10})
Herzlichen Dank .
({11})
Volker Ullrich ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirtschaftskriminalität verursacht volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe, zerstört das Vertrauen
in gutes Wirtschaften und erschüttert unsere Rechtsordnung . Rechtsbruch darf sich nicht lohnen . Unsere Rechtsordnung muss durch einen klaren Vollzug des geltenden
Rechts dafür Sorge tragen, dass niemand aus der Verletzung von Vorschriften einen Vorteil ziehen kann .
({0})
Der Antrag der Grünen zielt im Grunde genommen
auf Einführung einer Art Unternehmensstrafrecht, auch
wenn sie das so nicht bezeichnen .
({1})
Der zentrale Satz Ihrer Begründung mag dann aber schon
erstaunen:
Wegen der Möglichkeit, Verantwortung insbesondere in großen Unternehmen gezielt zu verschleiern
sowie dem Kräfteungleichgewicht zwischen häufig
überlasteten Staatsanwaltschaften und besonders
finanzstarken Beschuldigten, kommt es aber in
Deutschland selten zu individuellen Schuldfeststellungen gegenüber einzelnen Wirtschaftsakteuren .
Wenn es also - das ist meine erste Bemerkung - um
individuelle Schuldfeststellungen geht, dann ist die Frage
nach der Haftung von Unternehmen falsch; denn dann
geht es um die individuelle, ganz höchstpersönliche Vorwerfbarkeit .
({2})
Es ist auch keine Haltung, der Kriminalpolizei, den
Staatsanwaltschaften und Teilen der Justiz, die in oftmals
mühevoller Kleinarbeit Wirtschaftsstrafsachen aufarbeiten, in den Rücken zu fallen . Das tun Sie, indem Sie sagen, dass es nur selten zu Schuldfeststellungen kommt .
Ich glaube, das spiegelt die aktuelle Lage nicht wider .
({3})
Wenn Sie behaupten, dass Staatsanwaltschaften häufig überlastet sind, dann muss doch die zentrale Aufgabe
der Politik darin bestehen, diese Belastungen abzubauen und für mehr Kapazität bei den Strafverfolgungsbehörden zu sorgen . Zuständig dafür sind die Länder . Und
hier tragen die Grünen in 11 von 16 Landesregierungen
Verantwortung . Nehmen Sie also bitte den Bund nicht in
die Haftung für eigene Versäumnisse in den Ländern, in
denen Sie mitregieren .
({4})
Auch dogmatisch ist ein eigenes Unternehmensstrafrecht nicht zielführend, weil es das Schuldprinzip verletzt .
({5})
Schuld ist die von der Verfassung gebotene Voraussetzung für eigene, höchstpersönliche Vorwerfbarkeit .
Schuld kann nur ein einsichtsfähiger Täter sein, aber
nicht ein Personenverband oder ein Konstrukt .
Wenn Sie in letzter Konsequenz beispielsweise Strukturmaßnahmen für verurteilte Unternehmen fordern,
dann verursachen Sie auch eine Betroffenheit Dritter, die
möglicherweise nicht akzeptabel ist .
({6})
Wollen Sie, dass im Ergebnis der Fließbandarbeiter mit
dem Verlust seines Arbeitsplatzes für das Fehlverhalten
des Managements haftet? Wollen Sie, dass Kleinaktionäre mit dem Verlust ihrer Altersvorsorge bestraft werden,
weil der Vorstand strafbare Handlungen vollzieht, die der
Kleinaktionär nicht kontrollieren kann?
({7})
Eine solche Drittbetroffenheit ist unserer Rechtsordnung
fremd und muss ihr auch fremd bleiben .
({8})
Wenn Sie, wie es in Ihrem Vorschlag heißt, jetzt statt
des Opportunitätsprinzips das Legalitätsprinzip einführen wollen, dann müssen Sie auch deutlich machen, welche Konsequenzen das hat . Sie dürfen zunächst einmal
nicht so tun - es ist mir wichtig, das zu unterstreichen -,
dass das Opportunitätsprinzip Willkür bedeuten würde .
Wir haben in Deutschland eine Bindung der Verwaltung
an Recht und Gesetz . Diese Bindung an Recht und Gesetz muss die Verwaltung gleichmäßig durchführen . Deswegen ist das Opportunitätsprinzip bereits jetzt ein gutes
Mittel, Verfehlungen von Unternehmen zu verfolgen .
Aber das Legalitätsprinzip bedeutet, dass Sie strafrechtsähnliche Verfahren gegenüber Unternehmen einführen - mit dem Schweigerecht, mit der Unschuldsvermutung . Damit werden Sie im Endeffekt eine weniger
effektive Rechtsverfolgung haben und weniger Unternehmen zur Verantwortung ziehen, als wir das bisher
können . Ihr Vorschlag ist damit ein Rückschritt und kein
Fortschritt .
({9})
Man darf auch nicht vergessen - das haben Sie völlig
verschwiegen -, dass es bereits jetzt gerade im Bereich
des Kartellrechts ordentliche Geldbußen gibt, die den Unternehmen zu Recht wehtun . Beispielsweise Lkw-Kartell: Bußgelder über 1 Milliarde Euro; Libor-Kartell:
Bußgelder in Höhe von dreistelligen Millionenbeträgen .
({10})
Deutlich muss aber auch werden, dass wir das bestehende Recht konsequent anwenden und dort, wo es notwendig ist, es auch verschärfen . Ich lade Sie ein, mit uns
darüber zu diskutieren, möglicherweise die Wertgrenzen
im Ordnungswidrigkeitengesetz zu erhöhen .
({11})
Ich lade Sie ein, unseren Gesetzentwurf zum Thema
„strafrechtliche Vermögensabschöpfung“ mitzutragen .
Eines allerdings haben Sie heute nicht angesprochen das scheint ein Schlüssel bei der Frage der Verfolgung
von rechtswidrigem Handeln innerhalb von Unternehmen zu sein -: Wir brauchen ausreichende Kapazitäten
bei Polizei und Staatsanwaltschaften, damit sie solche
Machenschaften auch aufdecken und zur Anklage bringen können .
({12})
Wir brauchen ordentliche Ausstattungen bei der Polizei,
und zwar auch im Hinblick auf Kapazitäten .
({13})
Wir müssen Polizeibeamte, die wirtschaftskriminelle
Strukturen aufdecken, besser bezahlen und dafür sorgen,
dass Verfahren beschleunigt werden .
({14})
Wenn Sie eine stärkere Sanktionierung von Unternehmern wollen, müssen Sie auch dort, wo Sie Verantwortung tragen, den Apparat besser ausstatten, damit Rechtsverfolgung effektiv sein kann .
({15})
Meine Damen und Herren, es ist wenig geholfen - weder den Bürgern, die auf Rechtstreue von Unternehmen
setzen, noch einer bereits jetzt an den Grenzen der Belastbarkeit stehenden Justiz -, einen Paradigmenwechsel
im Strafrecht, wie Sie ihn wollen, herbeizuführen, der zu
einem langen Theorienstreit, aber nicht zu einer effektiven Rechtsdurchsetzung und zu einem Schutz für die
rechtstreuen Unternehmen führt . Deswegen werden wir
Ihren Antrag heute ablehnen .
Vielen Dank .
({16})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Als ich hier in den Plenarsaal
gekommen bin, wusste ich nicht so genau, ob ich mehr
Positives sagen kann oder ob ich mich mehr darüber ärgern soll, was hier abgeht und wie wir im Moment mit
dieser ganzen Situation umgehen . Im Moment muss ich
mich eigentlich mehr ärgern . Das geht an Ihre Adresse,
Herr Movassat, weil Sie überhaupt nicht zur Kenntnis
nehmen, dass das, was Sie fordern, nicht von heute auf
morgen umsetzbar ist, sondern dass man daran sehr intensiv und sehr massiv arbeiten muss und dafür Überzeugungsarbeit leisten muss .
({0})
- Wo Sie jetzt wieder dazwischenrufen, will ich Ihnen
einmal die Geschichte des NAP erzählen und die Geschichte der Ruggie-Prinzipien .
({1})
Sie wissen vielleicht - oder auch nicht -, dass Herr
Ruggie im Jahr 2005 von der damaligen UN-Menschenrechtskommission den Auftrag erhalten hat, die schon
vorhandenen Prinzipien Unternehmensethik, CSA, Global Compact usw . zu einem verbindlichen Instrument
weiterzuentwickeln . Darauf hat er sich eingelassen und
hat dann von 2005 bis 2011 diese Richtlinien über Wirtschaft und Menschenrechte erarbeitet und im Jahre 2011
dem Menschenrechtsrat vorgelegt .
Da kann ich Ihnen nur sagen: Das allein zeigt, dass die
Arbeit nicht einfach einmal so mit einem Handstrich hier
im Deutschen Bundestag erledigt werden kann nach dem
Motto: Wir machen das morgen alles einmal . - Nein, das
ist harte Arbeit, und daran haben viele gerade auch aus
diesem Parlament und aus der Bundesregierung, die im
Moment aktiv ist, gearbeitet . Und sie haben etwas umgesetzt .
({2})
Ich glaube, von Anfang bestand ein Missverständnis . Ich habe die ganzen Diskussionen zum Nationalen
Aktionsplan nun wirklich von Anfang an, von 2014 an,
als das losging, geführt . Da gibt es, Uwe Kekeritz - das
muss ich wirklich einmal sagen -, eine Geschichtsklitterung . Die möchte ich hier einmal darstellen . Im November 2016 war der NAP tot . Der NAP war tot .
({3})
All das, was da erarbeitet worden ist, was dort zu Papier
gebracht worden ist, bei dem vieles immer noch nicht so
war, wie wir es gern gehabt hätten, nämlich mit verbindlichen Regelungen und, und, und, ist durch Interventionen im Kabinett mehr oder weniger zerstört worden . Ich
will das hier aber gar nicht weiter ausführen .
Federführend beteiligt an dieser Aktion war das BMF .
Da ist von der Opposition jedoch nichts gekommen .
({4})
So viel dazu, dass, wie du gesagt hast, die Opposition
dafür gesorgt habe, dass dabei etwas herausgekommen
ist . Da haben unsere Leute verhandelt und dafür gesorgt,
({5})
dass es einen Nationalen Aktionsplan gibt, in dem viele Dinge stehen, die gut sind, die wir hier alle gemeinsam mittragen sollten . Da sage ich einmal einen ganz
herzlichen Dank an all die, die das im November noch
gemacht haben . Ganz besonders bedanke ich mich bei
Bärbel Kofler, der Menschenrechtsbeauftragten, die in
Person hingegangen ist, jedes Ressort überzeugt hat: Wir
brauchen einen Nationalen Aktionsplan, und zwar auch
deshalb, weil das ein Projekt, ein Menschenrechtsprojekt
dieser Bundesregierung ist, das ganz vorn gestanden hat .
Ich bin froh, dass es diesen NAP so gibt, wie es ihn
gibt . Ich hätte gern viel, viel mehr gehabt; aber das ist der
erste Schritt auf dem richtigen Weg . Deswegen müssen
wir da auch weitermachen .
({6})
Jetzt geht es ja noch weiter . Jetzt fordert ihr ja in eurem Antrag noch einmal die Verabschiedung eines Nationalen Aktionsplans . Da kann man natürlich schon jetzt
nicht mehr zustimmen - das ist ein bisschen Pech -, weil
wir den Nationalen Aktionsplan seit Dezember 2016 haben .
Ich kann auch nur noch einmal sagen: Da ist niemand
Bittsteller gegenüber Unternehmen . Welch ein Unsinn!
({7})
Wir haben zwei Jahre lang in der Gesellschaft hart mit all
denjenigen verhandelt, die dazu bereit waren . Euch habe
ich bei der ganzen Diskussion überhaupt nicht gesehen .
Alle parlamentarischen Veranstaltungen zum Nationalen
Aktionsplan haben ohne Beteiligung von Vertretern der
Linken stattgefunden . Das muss man hier, glaube ich,
auch einmal sagen .
({8})
Deshalb: Sich hier zu empören, ist, wie ich finde, ein
Skandal .
Zum Schluss: Der NAP ist nicht das Gelbe vom Ei .
Wir haben zu Anfang gesagt, wir brauchen so etwas wie
einen intelligenten Mix von Verbindlichkeiten und von
freiwilligen Maßnahmen .
({9})
Die Anzahl der verbindlichen Maßnahmen ist zu gering .
Wir haben die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten
als Verbindlichkeit für alle Unternehmen festgeschrieben, die eine entsprechende Größenordnung haben . Das
reicht nicht . Deshalb werden wir im Übrigen auch versuchen, Initiativen unter den G 20 zu starten, wo wir ja die
Präsidentschaft haben, damit an dieser Stelle eben mehr
passiert .
Dann will ich auch noch einmal sagen: Deutschland
ist eines von zwölf Ländern weltweit, die einen NAP haben. Ich finde, das sollte man auch einmal respektieren.
Da sind wir nämlich weltweit vorn .
Danke schön .
({10})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10038 und 18/10255 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? - Das sieht danach
aus . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 33 a
bis 33 h sowie Zusatzpunkt 1:
33 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset
zes zur weiteren Verbesserung des Hoch
wasserschutzes und zur Vereinfachung
von Verfahren des Hochwasserschutzes
({0})
Drucksache 18/10879
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset
zes zur Änderung raumordnungsrechtli
cher Vorschriften
Drucksache 18/10883
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge
setzes zur Neuregelung des Rechts zur
Sicherstellung der Ernährung in einer
Versorgungskrise
Drucksache 18/10943
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
Drucksache 18/10944
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sabine Leidig, Halina Wawzyniak, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Entkriminalisierung des Fahrens ohne
Fahrschein - Polizei und Justiz entlasten
Drucksache 18/7374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Verordnung gegen Stress in der Arbeits
welt erlassen
Drucksache 18/10892
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Ausschuss für Gesundheit
g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Tätigkeit der Verkehrs in
frastrukturfinanzierungsgesellschaft im
Jahr 2015
Drucksache 18/9545
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({6})
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Antrags des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
Anpassungsvertrag ERPFörderrücklage
Einholung eines zustimmenden Beschlus
ses des Deutschen Bundestages gemäß § 6
Absatz 3 des ERPVerwaltungsgesetzes
Drucksache 18/10825
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Stephan Kühn ({7}),
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klare CO2Reduktionen im Flugverkehr
schaffen
Drucksache 18/9801
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Bei den Tagesordnungspunkten 34 a bis 34 j und dem
Tagesordnungspunkt 21 geht es um die Beschlussfas
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Das bedeutet nicht, dass dazu keine stattgefunden hat, sondern dass wir heute über diese Punkte nicht
debattieren . In den wenigen Fällen, wo es auch bei der
Einbringung keine Debatte gegeben hat, weise ich darauf
hin . Das hängt dann aber auch damit zusammen, dass es
dazu offenkundig nach Einschätzung sämtlicher Fraktionen im Hause keinen Bedarf nach einer weiterführenden
Debatte gab .
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 34 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der
Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes
Drucksache 18/10183
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9})
Drucksache 18/11007
Das ist ein Vorgang, den wir in erster Lesung hier
nicht debattiert haben, und wir debattieren ihn jetzt in
zweiter und dritter Lesung auch nicht; aber er wurde in
den Ausschüssen natürlich intensiv besprochen .
Mit diesem Gesetz werden nicht weniger als
464 Rechtsvorschriften des Bundes geändert mit dem
Ziel, durch Verzicht auf Anordnung der Schriftform elektronische Kommunikation mit der Verwaltung zu erleichtern, elektronische Verwaltungsdienste auszubauen und
Bürokratie abzubauen .
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11007, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10183
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Zustimmung des Hauses im Übrigen in zweiter Beratung
angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich ahne, da könnten wir ein
ähnliches Abstimmungsverhalten wie zuvor bekommen .
Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich,
sich vom Platz zu erheben . - Es erheben sich alle mit
Ausnahme der Mitglieder der Fraktion Die Linke . Ich
frage: Stimmt jemand dagegen? - Dachte ich mir doch:
Die Fraktion Die Linke stimmt, soweit anwesend, geschlossen dagegen . Wer möchte sich enthalten? - Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ener
giestatistikgesetzes ({10})
Drucksache 18/10350
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({11})
Drucksache 18/10999
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10999,
Präsident Dr. Norbert Lammert
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/10350 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf
mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben . Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke ist dieser Gesetzentwurf mit den
Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra
tes über die Unterzeichnung des Abkommens
zwischen der Europäischen Union und der
Regierung von Kanada über die Anwendung
ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Eu
ropäischen Union und zu dem Vorschlag für
einen Beschluss des Rates über den Abschluss
des Abkommens zwischen der Europäischen
Union und der Regierung von Kanada über
die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts
Drucksache 18/10808
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({12})
Drucksache 18/11002
Dieses Abkommen regelt die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragsparteien . Weiter gehende Spekulationen, was die Regelung
des Verhältnisses in Wirtschafts- und Handelsbeziehungen angeht, finden also jedenfalls nicht an dieser Stelle
ihre richtige Adresse . Durch das Gesetz sollen die innerstaatlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit
der deutsche Vertreter im Rat die Zustimmung zu den
Vorschlägen für die beiden Beschlüsse des Rates überhaupt erklären kann .
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11002, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf der Drucksache 18/10808 anzunehmen . Wer diesem
Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Das sind diesmal alle . Dagegen stimmt offenkundig niemand . - Enthaltungen sehe ich auch nicht .
Dann rufe ich die
dritte Beratung
und Schlussabstimmung auf . Ich bitte diejenigen, die
diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Das sind alle Anwesenden . Falls ich jemanden
übersehen habe bei Gegenstimmen oder Enthaltungen,
müsste er sich jetzt melden . - Das ist nicht der Fall . Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({13}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Umsetzung der Richtli
nie 2014/99/EU und zur Änderung und An
passung weiterer immissionsschutzrechtlicher
Verordnungen
Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr. 2.1,
18/10998
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10998, der Verordnung der
Bundesregierung zuzustimmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({14}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung der Chemikali
enKlimaschutzverordnung
Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr. 2.3,
18/10997
Auch hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10997,
der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/10837 zuzustimmen . Wer kann sich dieser Empfehlung anschließen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist die
Beschlussempfehlung angenommen .
Unter den Tagesordnungspunkten 34 f bis 34 j kommen wir zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Hier gibt es wie immer Sammelübersichten,
die wir insgesamt zur Abstimmung stellen .
Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 34 f auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 400 zu Petitionen
Drucksache 18/10885
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Alle dafür . Angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 401 zu Petitionen
Drucksache 18/10886
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist diese Sammelübersicht gegen den
gutgemeinten, aber nicht hinreichenden Widerstand der
Fraktion Die Linke angenommen .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 402 zu Petitionen
Drucksache 18/10887
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen keine . Diese Sammelübersicht ist wieder einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 403 zu Petitionen
Drucksache 18/10888
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gegen
die Fraktion Die Linke - Enthaltungen keine - ist diese
Sammelübersicht angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 404 zu Petitionen
Drucksache 18/10889
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Sammelübersicht
angenommen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgeset
zes
Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924
Nr. 1.18
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({20})
Drucksache 18/11005
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11005, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10455 und
18/10821 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Wer für den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung ist, den bitte ich, sich von seinem
Platz zu erheben . - Wenn jemand dagegen ist, hätte er
jetzt Gelegenheit dazu, sich zu erheben . - Das ist nicht
der Fall . Enthaltungen? - Gibt es auch nicht . Damit ist
dieser Gesetzentwurf angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({21}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung und Erweiterung der Beteili
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der Multidimensionalen Integrierten Stabi
lisierungsmission der Vereinten Nationen in
Mali ({22}) auf Grundlage der Re
solutionen 2100 ({23}), 2164 ({24}), 2227
({25}) und 2295 ({26}) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 25. April 2013,
25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni
Drucksachen 18/10819, 18/10967
- Bericht des Haushaltsausschusses ({27}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10988
Über die Beschlussempfehlung zu diesem Vorhaben
werden wir später namentlich abstimmen, und zwar
ziemlich genau in 38 Minuten, wenn sich alle an die Redezeiten halten, die nach den Vereinbarungen der Fraktionen für sie vorgesehen sind . - Widerspruch dagegen
kann ich nicht erkennen, also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Petra Ernstberger für die SPD-Fraktion .
({28})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie der Herr Präsident gerade erklärt
hat, stimmen wir heute über die Fortsetzung, aber auch
die Erweiterung der Beteiligung bewaffneter Streitkräfte
an der UN-Mission MINUSMA in der Republik Mali ab .
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, meine Anerkennung, aber auch meinen Dank an all unsere Streitkräfte,
die dort bisher Dienst getan haben, auszudrücken .
({0})
Der Konflikt in Mali ist alt, und er ist klassisch. Es
geht um die Verteilung von Ressourcen - Land, Wasser vor allem zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich
mit Viehzucht oder Ackerbau auseinandersetzen . Als
im Jahr 2012 der damalige Präsident Touré durch einen
Militärputsch gestürzt wurde, fiel das Land ins Chaos
und in eine permanente Sicherheitskrise . Gerade in den
Landesteilen im Norden herrscht ein eklatantes Defizit
an verlässlicher Staatlichkeit . Rebellengruppen und Milizengruppen fragmentieren immer mehr, rivalisieren untereinander und bekämpfen einander . Sie haben aber große Teile des Nordens unter Kontrolle . Deswegen stehen
dort täglich Konflikte auf der Tagesordnung.
Wellen von Gewalt überschwemmen das Land . Und
wer leidet? Wie immer die Zivilbevölkerung . Die Fortschritte in dem bereits existierenden Friedensprozess
Präsident Dr. Norbert Lammert
werden einfach zurückgeworfen . Aber noch alarmierender ist, dass die Rechtlosigkeit und die Gewalt nun auch
in Zentralmali angekommen sind . Ausläufer der Krise
haben bereits Nachbarstaaten wie Burkina Faso und Niger erreicht. Diese immer wieder aufflammenden Rebellenkonflikte, die terroristischen Anschläge und auch
die organisierte Kriminalität in Mali entwickeln sich zu
einem Krisenherd, der die ganze Sahelregion gefährden
kann .
Die malischen Sicherheitsstrukturen sind im Moment
noch relativ schwach . Sie können dieser Entwicklung
mit ihren Kapazitäten keinen Einhalt gebieten . Deswegen ist die Aufrechterhaltung des UN-Mandats und der
UN-Mission MINUSMA für die Stabilität dieser Region
absolut unerlässlich .
({1})
Auch wir Deutsche wollen mit unseren Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr unser bereits seit 2013 aktives Engagement in dieser Region fortsetzen . Wir wollen
nämlich Mali zu einer friedlichen Zukunft verhelfen .
MINUSMA hat dabei ein Ziel für absolut erklärt,
nämlich: Der von der internationalen Gemeinschaft unterstützte Stabilitätsprozess soll es der Republik Mali
möglichst bald ermöglichen, langfristig auf eigenen Beinen zu stehen . Der Friedensvertrag, den die malische
Regierung im Sommer 2015 mit den zwei wichtigsten
Rebellengruppen geschlossen hat, bietet dafür mit all
den Maßnahmen, die er beinhaltet, eine gute Basis . Leider, wie gesagt, geht es mit dem Vertrag jedoch nur sehr
schleppend voran . Aber er ist abgeschlossen .
Gerade die Kämpfe in der Tuareg-Hochburg Kidal
und um wichtige Schmugglerrouten im Norden des Landes haben die malische Bevölkerung allerdings überhaupt nicht zur Ruhe kommen lassen . Je länger die Umsetzung des Friedensvertrages dauert, desto mehr haben
Terroristen, kriminelle Banden und Rebellen in Mali und
der gesamten Sahelzone die Möglichkeit, sich auszubreiten . Das muss verhindert werden, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({2})
Politisch und zivil unterstützt Deutschland Mali bereits
seit etlichen Jahren mit einer Vielzahl an bilateralen Entwicklungsprojekten in dieser Region .
Die Verfassungsreform, die eine Dezentralisierung der
Regierungsstrukturen und eine Entwicklung aller Regionen Malis vorsieht, ist dringend nötig . Dabei steht den
Autoritäten in Mali unser Max-Planck-Institut als Unterstützung und als Berater zur Verfügung . Das Auswärtige
Amt unterstützt zudem das Ministerium für Versöhnung,
den Hohen Beauftragten für den Friedensprozess sowie
weitere malische Friedensinstitutionen .
In Projekte der humanitären Hilfe für Mali und seine
Nachbarländer hat die Bundesregierung im vergangenen
Jahr 26,5 Millionen Euro investiert . Man muss nämlich
bei den Wurzeln des Konfliktes ansetzen. Einige Beispiele: Ein Basketballplatz für Jugendliche, der von Dschihadisten zerstört worden war, wurde wieder aufgebaut, eine
Straße wurde gebaut, Brunnen wurden gebohrt . Dafür
möchte ich auch der GIZ ganz herzlich danken, die dort
hervorragende Arbeit leistet .
({3})
Aber all das können wir nicht ohne militärische Unterstützung leisten, mit der wir zum Schutz der Bevölkerung beitragen . Dazu brauchen wir auch die Aufstockung
unseres Mandates; denn wir haben inzwischen von den
Niederländern acht Hubschrauber übernommen, die dazu
dienen, die Protektion zu unterstützen . Für diese Hubschrauber brauchen wir mehr Soldatinnen und Soldaten .
Weil es in diesem Land ohne eine solche militärische
Flankierung keine friedliche Entwicklung geben kann,
werden wir heute dem Antrag zustimmen .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Niema
Movassat für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
entscheiden wir über die Fortführung und Erweiterung der
Bundeswehrbeteiligung an der UN-Mission MINUSMA
in Mali . Die Bundesregierung will die Zahl der Soldaten
auf 1 000 aufstocken . Die Mali-Mission wäre damit der
größte laufende Bundeswehreinsatz, selbst größer als der
Einsatz in Afghanistan .
({0})
Auch Transport- und Kampfhubschrauber sollen jetzt
zum Einsatz kommen . Die Linke wird dazu heute klar
Nein sagen .
({1})
Ich möchte Ihnen gerne fünf Gründe nennen, warum
wir das tun:
Erstens . Die Parallelen zum gescheiterten Afghanistan-Einsatz sind erschreckend . Laut dem Wehrbeauftragten ist der Einsatz in Mali sogar so gefährlich wie
seinerzeit der NATO-Kampfeinsatz gegen die Taliban .
So wie in Afghanistan haben Sie die Bundeswehr Stück
für Stück in eine offensive Kampfoperation geschickt .
In Mali fing es mit 20 deutschen Soldaten an, jetzt sind
wir bald bei 1 000 . Im Mandatstext ist nun vom „aktiven Schutz des Mandats … durch das Bekämpfen asymmetrischer Angriffe“ die Rede . Um es auf den Punkt zu
bringen: Das ermöglicht es, mit Kampfhubschraubern
aktiv Krieg zu führen . Ich frage mich: Was ist der nächste Schritt bei dieser Salamitaktik? Kampfflugzeuge? Sie
sind schon wieder dabei, sich kopf- und planlos in den
nächsten langwierigen Krieg zu verstricken . Dazu kann
man nur Nein sagen .
({2})
Zweitens . Der Einsatz ist teuer und bringt nichts . Vor
drei Jahren versprachen Sie uns, die Terrorgefahr in Mali
durch die Militärmission zu verringern . Leider haben Sie
einmal mehr außer Acht gelassen: Terror kann man mit
Krieg nicht besiegen . MINUSMA ist eine Mission voller
Konstruktionsfehler . Der UN-Untergeneralsekretär für
Blauhelmmissionen, Hervé Ladsous, erklärte kürzlich,
dass die politischen Grundfragen nicht geregelt sind .
Die Mission hat zwar die Unterstützung der dortigen
Regierung, aber nicht der Bevölkerung . Bei Friedensdemonstrationen im nordmalischen Gao stand auf Plakaten:
„Nieder mit MINUSMA“ . Den Unmut der Bevölkerung
bekommen die deutschen Soldaten zu spüren . Sie werden
immer mehr zur Zielscheibe . Denn für die Kombattanten
ist Deutschland Konfliktpartei. Auch deutsche Soldaten
zweifeln am Sinn des Einsatzes . Dem Magazin Loyal des
Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr
sagte ein Bundeswehrsoldat, der in Mali ist:
… meinen Verwandten daheim kann ich nicht erklären, warum ich in Mali bin und was wir hier erreichen wollen .
({3})
Das sollte all denjenigen, die heute zustimmen wollen,
zu denken geben .
({4})
Drittens. Sie flankieren Ihre Rohstoffpolitik zunehmend militärisch . Im Weißbuch der Bundeswehr steht
zum Thema Rohstoff- und Energiesicherheit, Deutschland müsse „flexibel Elemente seines außen‑ und sicherheitspolitischen Instrumentariums einsetzen, um Störungen oder Blockaden … zu beseitigen“ .
Anders gesagt: Sie wollen auch militärische Mittel zur
Sicherung des Rohstoffbedarfes einsetzen .
Der Link zu MINUSMA ist offensichtlich . So schrieb
die Wirtschaftswoche, die wahrlich kein linkes Blatt ist,
schon 2013:
Die einzigen bekannten und strategisch wichtigen
europäischen Interessen in der Region sind die
Uran- und Ölvorkommen in Mali und die französischen Uranminen im angrenzenden Niger .
Die Grenzen zwischen beiden Ländern existieren sowieso nur auf dem Papier . Frankreichs enormer Bedarf
an Uran wird zu einem Drittel aus dem Niger gedeckt .
Und Deutschland? Deutschland ist immer noch einer der
größten europäischen Atomstromproduzenten und erhält
sein Uran wiederum aus Frankreich . Es ist nicht schwer,
hier eins und eins zusammenzuzählen .
Seit Jahren bauen Sie die Bundeswehr um . Sie soll in
die Lage versetzt werden, offensive Kampfoperationen
in unwirtlichen, rohstoffreichen Gebieten zu führen . Mali
dient hier auch als Übungsfeld . Das lehnt die Linke ab .
({5})
Viertens . Ihr Umgang mit Mali ist voller Doppelstandards . Die EU und Deutschland machen Länder wie Mali
zu Erfüllungsgehilfen ihrer Abschottungspolitik gegen
Flüchtlinge . MINUSMA spielt hier auf zwei Arten eine
wichtige Rolle . Einerseits werden Menschen, die versuchen, über Mali nach Europa zu gelangen, häufig von
MINUSMA-Soldaten verhaftet und an die Gendarmerie
übergeben - sie landen dann erst einmal bis zu sechs
Monaten im Gefängnis -, und andererseits hilft die europäische Militärpräsenz, eine Drohkulisse gegenüber der
malischen Regierung aufzubauen .
({6})
Sie wollen sie zur Kooperation bei Abschiebungen und
Migrationskontrolle zwingen . Das hat die EU-Kommission recht unverblümt gesagt . Dabei ist Mali so unsicher,
dass die deutschen Soldaten dort die maximale Risikopauschale erhalten . Aber um Flüchtlinge dorthin abzuschieben, soll es sicher genug sein? Das ist einfach nur
zynisch .
({7})
Fünftens. Die Ursache für den Dauerkonflikt in Mali
packen Sie nicht an: die desaströse wirtschaftliche Lage .
Armut und Perspektivlosigkeit im Norden Malis sind die
Gründe dafür, dass sich junge Menschen den Separatisten
und Islamisten anschließen . Sie müssen die sozialen Ursachen des Terrors bekämpfen, statt immer mehr Soldaten in alle Welt zu schicken . Das wäre der richtige Weg .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({8})
Henning Otte hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
beschließen heute die Verlängerung und die Ausweitung
des MINUSMA-Mandates in Mali . Wir waren als Abordnung von Parlamentariern gemeinsam mit unserer Bundesverteidigungsministerin erst kürzlich in Mali, und wir
haben uns vor Ort selbst ein Bild davon gemacht, wie
groß die Herausforderungen sind, die auf unsere Soldatinnen und Soldaten zukommen . Es gibt Belastungen vor
Ort, aber auch für die Familien zu Hause . Das haben wir
sehr wohl im Blick . Deswegen ist es wichtig, deutlich
zu machen, warum der Einsatz in Mali für die Sicherheit
Deutschlands und Europas von besonderer Bedeutung
ist .
Ich möchte - schon allein aus Höflichkeit - kurz auf
meinen Vorredner eingehen . Man kann sich nur wundern:
Sie konstruieren hier eine Reihe von Argumenten . Sie
verunglimpfen damit den guten Ansatz der Leistungen
vor Ort, und Sie verkennen völlig die Verantwortung,
die wir Parlamentarier in Deutschland für die Sicherheit
unseres Landes, Europas und auch für die Sicherheit
Nordafrikas haben . Das war keine Parlamentsrede, das
war eine parteiideologische Rede . Man kann nur sagen:
Thema komplett verfehlt!
({0})
Wir haben in den letzten Jahren zunehmend erkannt,
dass wir unser Engagement verstärken und mehr Verantwortung übernehmen müssen, um die Konflikte dort
einzudämmen, wo sie entstehen; denn ansonsten spüren
wir die Auswirkungen dieser Konflikte auch hier bei uns:
in Form von Terror, aber auch in Form von Menschen,
die vor Terror fliehen. Deswegen sagen wir als CDU/
CSU-Fraktion und auch als Koalition: Dieser Einsatz ist
notwendig . Wir verlängern dieses Mandat .
Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüsselfunktion im Norden Afrikas für die gesamte Sahelregion - das ist schon angesprochen worden -, insbesondere
für die Nachbarstaaten Mauretanien, Burkina Faso und
Niger . Deswegen ist es wichtig, herauszustellen, dass der
Niger, aber auch Mali für Gesamtwestafrika als Transitland - über Libyen und das Mittelmeer - in Richtung
Europa bedeutsam sind . Deswegen ist es so wichtig, gemeinsam mit den Regierungen vor Ort den Terror von
Boko Haram, Tuareg-Rebellen oder islamistischen Milizen zu bekämpfen, meine Damen und Herren . Das ist
notwendig, und diese Verantwortung übernehmen wir .
({1})
Mit dieser Stabilisierungsmission MINUSMA als
Mandat der Vereinten Nationen, begleitet von der europäischen Ausbildungsmission EUTM, aber auch in Zusammenarbeit mit ECOWAS, der Wirtschaftsgemeinschaft
westafrikanischer Staaten, verfolgen wir gemeinsam das
Ziel, auch in Mali Stabilität und Sicherheit erreichen .
Dennoch sage ich: Die Lage ist weiterhin fragil; sie
bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit . Der Zusammenbruch von Mali hätte eine extrem negative Kettenreaktion mit unvorhersehbaren Folgen auch für Europa zur
Folge . Deshalb müssen wir erreichen, dass das Land dauerhaft stabilisiert wird, damit Migrationsbewegungen gar
nicht erst stattfinden und vor allem der Terror bekämpft
wird . Da ist der Einsatz der Bundeswehr, eingebunden in
die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung, ein
ganz wesentlicher Baustein . Der vom Entwicklungsminister initiierte Marshallplan mit Afrika ist ein weiterer
Baustein . Die Vernetzung all dieser Dinge soll dazu beitragen, dass wir Stabilität erreichen . Dafür übernehmen
wir als Koalition Verantwortung und stimmen dem Mandat heute zu .
({2})
Wir weiten den Einsatz aus . Bisher waren 600 Soldatinnen und Soldaten dort und haben Aufklärungsmissionen durchgeführt, um ein Lagebild zu gewinnen . Das
verlangt auch Leib und Seele viel ab . Wir erweitern jetzt
auf 1 000 Soldatinnen und Soldaten, um Hubschrauberkapazitäten zur Verfügung zu stellen . Die niederländischen Soldaten beenden ihren Auftrag jetzt vereinbarungsgemäß, und wir ersetzen sie . Wir sorgen für die
Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten, indem ein
gemischter Heeresfliegerverband unter der Leitung des
Transporthubschrauberregiments aus Faßberg und Niederstetten, aber auch ein Kampfhubschrauberanteil aus
Fritzlar eingesetzt werden . Damit wird verdeutlicht: Wir
wollen für die Lebensversicherung unserer Soldatinnen
und Soldaten das Maximale tun . Diese Herausforderung
nehmen wir an .
Ich freue mich, dass heute auch der Bürgermeister der
Gemeinde Faßberg, Frank Bröhl, aus Interesse für seine
Soldatinnen und Soldaten und Gemeindemitglieder auf
der Tribüne Platz genommen hat und auch der Generalarzt als Inspekteur des Sanitätswesens heute hier ist .
Meine Damen und Herren, das zeigt auch: Wir haben die
Unterstützung vonseiten der Kommunalpolitik und der
Streitkräfte, binden diese in unsere Verantwortung mit
ein und machen so deutlich: Wir unterstützen unsere Soldatinnen und Soldaten . Wir geben ihnen volle Rückendeckung . Wir helfen ihnen auch, wenn sie in Bedrängnis
sind . Deswegen ist es gut, dass die Koalition heute diese
Verantwortung gemeinsam für unsere Sicherheit übernimmt .
({3})
Der Einsatz ist herausfordernd, er ist auch gefährlich .
Das zeigen die Erfahrungen mit Anschlägen vor Ort; das
zeigt auch der Anschlag vom 18 . Januar . Aber auch die
klimatischen Bedingungen und das unbekannte Terrain,
aber vor allem die Raumsituation im Lager sind Herausforderungen . Deswegen ist es gut, dass es einen Auslandsverwendungszuschlag in der höchsten Stufe, der
Stufe 6, gibt . Das ist Ausdruck von Verantwortung, und
ich bin insbesondere unserer Bundesverteidigungsministerin für die klare Haltung in dieser Angelegenheit auch aus Fürsorge für unsere Soldatinnen und Soldaten dankbar .
({4})
Meine Damen und Herren, wir bauen auf den in internationalen Einsätzen gesammelten Erfahrungen auf und
fordern daher eine klare Ablöseregelung für unseren intensiven Hubschraubereinsatz . Wir sagen aber auch: Wir
müssen die Belastungen im Heimat- und Grundbetrieb
möglichst minimieren; denn wir müssen voraussichtlich mehr für die Sicherheit unseres Landes und Europas
sowie für ein stabiles Europa tun, indem wir auch Konfliktsituationen dort eindämmen, wo sie entstehen.
Wir haben die dafür notwendigen finanziellen, materiellen und auch personellen Trendwenden eingeleitet . Der
Verteidigungshaushalt wird erhöht, um die Mittel dafür
zu haben, dass wir uns auch zukünftig so erfolgreich für
Frieden, für Freiheit und für Sicherheit einsetzen können .
Dazu sind wir zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger verpflichtet, aber auch aufgrund unserer Verantwortung für Nordafrika . Deswegen stimmen wir als CDU/
CSU-Fraktion diesem Mandat heute aus voller Überzeugung zu .
Herzlichen Dank .
({5})
Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann
ihn nicht mehr hören und lesen, diesen Vergleich zwischen Mali und Afghanistan. Ich finde ihn ignorant, ich
finde ihn populistisch und auch falsch.
({0})
Bei allem Verständnis dafür, dass man in der politischen
Debatte auch mal zuspitzen muss: Man kann doch nicht
eine Friedensmission der Vereinten Nationen unter ziviler
Leitung mit starken zivilen und polizeilichen Elementen,
deren Auftrag es ist, die Umsetzung eines Friedensabkommens zu überwachen und einen Versöhnungsprozess
zu begleiten, mit dem Label „Krieg“ versehen, sie als
Konfliktpartei bezeichnen und mit einer NATO‑Mission
in Afghanistan vergleichen, die in ihrer schärfsten Phase
Terroristen bekämpft hat .
({1})
Es wäre ja wünschenswert, dass es in Afghanistan auch
ein Friedensabkommen gibt, das man überwachen könnte; aber in Mali gibt es das, und das ist doch ein zentraler
Unterschied .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht, dass Sie mich
falsch verstehen: Ich will nichts schönreden . Die Lage
in Mali ist alles andere als gut und rosig . Das zeigen die
hohe Zahl von Todesopfern und die vielen grausamen
Anschläge, die dort von extremistischen Gruppierungen
verübt werden, die gerade diesen Friedensprozess torpedieren und zerstören wollen .
Aber auch die malische Regierung, ihr nahestehende
Milizen und die Rebellengruppen aus dem Norden spielen immer wieder auf Zeit . Sie suchen den eigenen Vorteil und versuchen, sich ein Stück weit aus diesem Friedensabkommen herauszubewegen . Das kennen wir doch
auch aus anderen Konflikten. Am Verhandlungstisch bekennen sich alle Konfliktparteien natürlich immer zu den
Vereinbarungen; aber wenn es konkret wird, versuchen
sie, auszuweichen . Da leistet die Bundeswehr mit ihren
Aufklärungsfähigkeiten einen unheimlich wichtigen Beitrag, indem sie genau überprüft: Wer hat wann welchen
Verstoß gegen dieses Friedensabkommen begangen? Das
ist wirklich ganz zentral, damit diese Mission Erfolg haben kann .
({2})
Mit dem neuen Mandat, das wir heute hier beraten,
werden zusätzlich Hubschrauber bereitgestellt . Das ist
notwendig geworden, weil die Niederländer diese Fähigkeiten aus der Mission abziehen . Es geht darum, dass die
Konvois, die ja immer wieder Ziel von Angriffen werden, geschützt werden . Es geht aber auch darum, Verwundete transportieren und retten zu können . Ich bin mir
sicher, dass hier parteiübergreifend kein Abgeordneter
einem Einsatz zustimmen würde, bei dem die Rettungskette für die Soldatinnen und Soldaten nicht gesichert ist .
Auch von daher ist es richtig, dass Deutschland sich bereit erklärt hat, diese Mission in Zukunft mit dieser sehr
kritischen Fähigkeit zu unterstützen .
({3})
Ich würde mir wünschen - das ist auch angesichts
der dramatischen Materiallage bei den deutschen Hubschraubern wichtig -, dass auch andere westliche Nationen qualifiziertes Personal und mehr Hochwertfähigkeiten zur Verfügung stellten, damit die Friedensmissionen
der Vereinten Nationen ihre Aufträge in vielen Krisengebieten dieser Welt wirklich erfüllen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so falsch ich diesen
simplen Vergleich mit Afghanistan finde, so wichtig und
richtig ist es doch, Lehren aus den Fehlern zu ziehen, die
man in Afghanistan gemacht hat, und diese Fehler in anderen Einsätzen nicht zu wiederholen . Ich will auf zwei
Beispiele eingehen:
Ich glaube, das Beispiel Afghanistan hat gezeigt, wie
wichtig es ist, auf den politischen Prozess zu achten und
in diesen unheimlich viel zu investieren . Am Ende kann
man Konflikte eben nicht mit Militär, nicht mit Soldatinnen und Soldaten lösen . Dazu bedarf es einer besseren
Abstimmung der vielen Akteure in Mali, und es braucht
auch mehr Druck, um alle Konfliktparteien in die Pflicht
zu nehmen, damit sie sich an dieses Friedensabkommen
halten . Ich wundere mich schon ein bisschen über die
Bundesregierung, die auf einmal große Kraft entfalten
und Druck ausüben kann, wenn es um Fragen von Migration und Rücknahmeabkommen geht, aber leise auftritt,
wenn es beispielsweise darum geht, Korruptionsbekämpfung oder die Umsetzung des Friedensprozesses einzufordern .
({4})
Man kann Fluchtursachen auch nicht mit den härtesten
Rücknahmeabkommen bekämpfen, sondern nur, indem
man alles tut, um bestimmte Voraussetzungen für Sicherheit, Stabilität und Frieden in der Konfliktregion herzustellen .
Eine Lehre aus Afghanistan ist für mich Folgendes:
Es gibt nie eine Erfolgsgarantie für einen Einsatz . Deshalb beraten wir ja auch Jahr für Jahr über die Mandate .
Das darf auch nicht zu einem reinen Selbstzweck werden, sondern wir müssen Jahr für Jahr immer wieder prüfen: Wie sieht denn die Lage aus? Wie groß ist denn die
Chance? Gibt es noch ein Zeitfenster für eine politische
Lösung? Denn am Ende des Tages können wir die Akteure vor Ort nicht dazu zwingen, einen Friedensprozess
durchzuführen . Wir können sie dabei nur unterstützen
und in die Pflicht nehmen.
Ich glaube, es gibt noch eine Chance in Mali . Es gibt
noch einen Hoffnungsschimmer . Ohne die Friedensmission der Vereinten Nationen würde es dieses Friedensabkommen wahrscheinlich überhaupt nicht geben . Es gäbe
niemanden, der die Konfliktparteien in die Pflicht nimmt.
Das Zeitfenster für einen Versöhnungsprozess, für eine
politische Lösung wäre viel kleiner . Deshalb werden wir
Grüne dieser Mission heute mit großer Mehrheit zustimmen .
({5})
Als nächste Rednerin spricht Elisabeth Motschmann
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mich beschäftigt im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Mali heute ein einziger Punkt . Es geht
mir um einen vermeintlichen Widerspruch, um eine
Forderung auf der einen Seite und einen Vorwurf auf
der anderen Seite . Die Forderung lautet: Fluchtursachen
müssen endlich konsequent bekämpft werden . So titelte
auch heute wieder der Weser-Kurier. Der Vorwurf lautet:
Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Fluchtursachen
verfolgt ihr egoistische Ziele . Es geht euch eigentlich nur
darum - das hat auch Herr Movassat wieder gesagt -,
Abschottungspolitik zu betreiben, Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Europa, nach Deutschland zu kommen,
oder Rohstoffe zu sichern . - Dieser Widerspruch zieht
sich durch viele Diskussionen . Der Vorwurf lautet, dass
wir nicht den Mensch in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen .
Meine Rede befasst sich daher mit der Frage: Steht der
Mensch im Mittelpunkt oder unser Egoismus? Ich sage
ganz klar: Es geht natürlich um den Menschen . Es geht
um die Menschen in Mali . Sie sollen in ihrer Heimat eine
Zukunft haben . Sie sollen Überlebenschancen haben . Sie
sollen Sicherheit haben und vor Terrorismus geschützt
werden . Für sie sollen natürlich auch die Menschenrechte gelten, die für uns so selbstverständlich sind .
Genau deshalb brauchen wir die Mission MINUSMA .
Sie ist wichtig für Mali . Dies möchte ich an drei Punkten - es sind keine kleinen Punkte, aber ich muss mich
kurzfassen - darlegen . Durch den vernetzten Einsatz ziviler und militärischer Kräfte kann der Hunger bekämpft
werden, können Krankheiten bekämpft werden und können Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sichergestellt und gewährleistet werden . All das ist nur möglich,
wenn es Sicherheit gibt, wenn es Schutz vor Terroristen
gibt .
Zur Bekämpfung von Hunger . 180 000 malische Kinder leiden unter Mangelernährung . Nur 77 Prozent der
Bevölkerung haben regelmäßig Zugang zu Trinkwasser .
Deutschland sorgt mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft,
Trinkwasserversorgung und Abwasser für eine Verbesserung dieser Situation .
({0})
Die „Aktion gegen den Hunger“ der Deutschen Welthungerhilfe half 2014 über 800 000 Menschen . Dies ist und
war ohne die Schaffung von Sicherheit und Ordnung,
ohne den Einsatz unserer Truppen bzw . der Truppen der
Vereinten Nationen nicht möglich .
({1})
Auch die Bekämpfung von Krankheiten wäre nicht
möglich, wenn es keine Sicherheit gäbe . Die Lebenserwartung in Mali liegt bei 58 Jahren . Besonders wichtig ist
der Kampf gegen Malaria . Ärzte ohne Grenzen gelang es
2015, 190 000 Kindern Antimalariamedikamente zu verabreichen . All das wäre nicht möglich, Herr Movassat,
wenn wir das täten, was Sie möchten . Sie denken, Sie
seien schlauer als die 16 Nationen, die sich an diesem
Einsatz beteiligen .
Auch örtliche Krankenhäuser müssen natürlich unterstützt werden, Impfungen müssen durchgeführt werden .
Dabei muss es einen Schutz vor Gewaltausbrüchen geben . Deswegen ist der Einsatz der Hubschrauber auch so
wichtig; denn nur so kann man im Notfall Verletzte ausfliegen und Hilfskonvois begleiten.
Außerdem brauchen wir gerade in einem solchen
Land - das ist das Gute an diesem vernetzten Einsatz Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit . Da beteiligt
sich Deutschland an einem Kommunalentwicklungsfonds und stellt den Bau von Schulen und Infrastruktur sicher . All das könnte nicht gemacht werden, Herr
Movassat, wenn es nach Ihnen ginge . Ich möchte einmal wissen, worin eigentlich Ihre Alternativen zu diesem
Bundeswehreinsatz liegen .
Das Kinderhilfswerk Dritte Welt hat seit 1995 immerhin 20 Schulen gebaut . Noch besuchen 60 Prozent der
schulpflichtigen Kinder keine Grundschule. Der Bau von
Schulen ist also wichtig, und wenn wir es nicht tun, dann
besteht die große Gefahr der weiteren Radikalisierung .
Wir wissen, wie diese voranschreitet . Es ist ja schon beschrieben worden, wie sich der Terror in diesem Land
zurzeit darstellt .
Ich will schließen - die Präsidentin macht mich auf
die Redezeit aufmerksam - mit einem Zitat von UN-Generalsekretär Guterres, der nach dem dramatischen Anschlag in Gao, bei dem es über 70 Tote gab, Folgendes
sagte:
Nach dieser verabscheuungswürdigen Tat sind wir
noch entschlossener, die malische Bevölkerung, die
Regierung und die Unterzeichner der nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen bei ihrem Einsatz für
Frieden, ihrem Kampf gegen den Terrorismus und
dem Friedensabkommen zu unterstützen .
Deshalb halten wir fest: Ohne Sicherheit keine Strukturen, ohne Strukturen keine Schulen, ohne Schulen keine Bildung, und ohne Bildung haben Terrorismus und
Islamismus weiterhin ein leichtes Spiel . Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, und deshalb brauchen
wir die Mission . Wir sollten die Soldaten nicht verunsichern, sondern ihnen an dieser Stelle danken, dass sie
bereit sind, in diesen gefährlichen Einsatz zu gehen .
Vielen Dank .
({2})
Dirk Vöpel hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir entscheiden gleich nicht nur darüber, ob
wir die deutsche Beteiligung an der MINUSMA-Friedensmission der Vereinten Nationen um ein weiteres
Jahr verlängern . Wir entscheiden auch darüber, ob wir
das Mandat der Bundeswehr in Mali zum zweiten Mal
in Folge substanziell erweitern, in quantitativer, aber vor
allem in qualitativer Hinsicht . Mit der Aufstockung der
Personalobergrenze von 650 auf 1 000 Soldatinnen und
Soldaten, der Übernahme der Rettungskette von unseren
niederländischen Freunden sowie der Verlegung von vier
Kampfhubschraubern wird dies dann der aktuell bedeutendste Auslandseinsatz der Bundeswehr sein .
Derzeit kommen viele schlechte Nachrichten aus
Mali . Wir erleben in den letzten Monaten ein Wiederaufflammen des Terrors, auch im vermeintlich sicheren
Süden und in der Mitte Malis . Seit Januar 2016 zählt
die Gesellschaft für bedrohte Völker 411 Terroropfer,
darunter 209 Zivilisten . Seit Juli letzten Jahres wurden
16 MINUSMA-Angehörige getötet und 57 verletzt . Ende
November kam es am Flughafen von Gao bereits zu einer Autoexplosion, bei der glücklicherweise niemand zu
Schaden kam . Zum bisher blutigsten Höhepunkt kam es
in der letzten Woche, als ein Selbstmordanschlag auf ein
malisches Militärcamp in Gao mindestens 77 Tote und
115 Verletzte forderte .
Standen bisher vor allem Soldaten der malischen Armee, UNO-Blauhelme oder französische Soldaten der
Operation Barkhane im Fadenkreuz der Terroristen, zielte der Anschlag in Gao direkt auf eine der Säulen des
Friedensvertrages von 2015 . In dem Abkommen wurde
die Aufstellung neuer Truppenverbände zur gemeinsamen Durchführung von Patrouillen im Norden Malis
vereinbart . Diese sogenannten MOC-Bataillone sollen
zu je einem Drittel aus Soldaten der malischen Armee,
Angehörigen regierungsnaher Milizen und ehemaliger
Tuareg-Rebellen gebildet werden .
Ziel ist nicht nur eine wirksamere Bekämpfung der
Terroristen in ihren Hochburgen im Norden Malis durch
ortskundige Kämpfer . Durch die miteinander geteilte
Ausbildungs- und Einsatzerfahrung soll zwischen den
bisher verfeindeten Gruppen Vertrauen entstehen . Langfristig sollen diese Bataillone in die regulären malischen
Streitkräfte überführt werden . Lange Zeit wurde die Aufstellung dieser Verbände insbesondere von den Tuareg
boykottiert . Erst gegen Ende des letzten Jahres konnten
sich die Exrebellen endlich dazu durchringen, die gemeinsamen Patrouillen aufzunehmen .
Der schreckliche Autobombenanschlag der letzten
Woche richtete sich exakt gegen das Militärlager und die
Angehörigen des ersten neuen Bataillons, das jetzt mit
dem Einsatz beginnen sollte . Ziel, Zeitpunkt und Ort des
Angriffes waren mit großer Präzision und vermutlich
auch Insiderwissen gewählt . Er galt einem noch wenig
belastbaren Tragpfeiler des Friedensabkommens, erfolgte nur wenige Tage nach dem Frankreich-Afrika-Gipfel
in Bamako und wurde in der malischen Stadt mit der
stärksten Militärpräsenz verübt .
Die Dschihadisten haben Schlagkraft demonstriert .
Aber sie haben mit dem gleichen Blut zu Protokoll gegeben, dass sie die neuen gemeinsamen Patrouillen für eine
reale Bedrohung halten . Die internationale Gemeinschaft
muss deshalb darauf drängen, dass dieses Projekt jetzt
noch entschlossener weiterverfolgt wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr beteiligt sich in Mali erstmals in so großem Umfang an einer landgestützten UNO-Friedensmission . Mit dem Einsatz der Aufklärungssysteme LUNA und Heron 1 sowie
der befristeten Übernahme der luftgestützten Rettungskette stellt Deutschland Hochwertfähigkeiten zur Verfügung, auf die eine Mission wie MINUSMA elementar
angewiesen ist .
({0})
Das personelle Rückgrat der UN-Friedensmissionen
bilden nach wie vor die vielen Blauhelmsoldaten aus
Entwicklungsländern wie beispielsweise Bangladesch .
Diese verfügen aber nicht über die für solche Einsätze
erforderlichen Hochtechnologiekomponenten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine starke
UNO will, der muss auch seinen Beitrag leisten . Wir
werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen .
Vielen Dank .
({1})
Als letzter Redner in dieser Debatte spricht
Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig, ihre
Gespräche einzustellen und dem Kollegen zuzuhören .
({1})
Das ist auch ein Gebot der Fairness, des Umgangs untereinander . - Herr Brandl, Sie haben das Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich will Ihnen vier Gründe nennen, warum wir diesem
Mandat gleich zustimmen sollten .
Der erste Grund ist: Mali liegt mitten in dem Pulverfass Sahelzone . Die Sahelzone erstreckt sich durch
ganz Afrika, vom Senegal im Westen bis hinüber nach
Äthiopien im Osten . Keines dieser Länder ist bisher
Ausgangspunkt für Migration . Aber in fast allen dieser
Länder schwelen interne Konflikte, sei es aufgrund von
Separatistenbewegungen oder durch den in den letzten
Jahren verstärkten islamischen Terrorismus . Wir haben
ein hohes sicherheitspolitisches Interesse, diese Region
zu stabilisieren . Ich will es bildlich ausdrücken: Wenn
uns der Sahel zerbröselt, dann bricht ganz Nordafrika
weg, und dann gibt es kein Halten mehr .
Der zweite Grund: Mali ist Schwerpunktland deutschen Engagements in Afrika . Wenn wir in einem Land
einen Beitrag zur Stabilisierung des Sahel leisten können, dann ist es in Mali .
Das MINUSMA-Mandat, über das wir heute abstimmen, ist ja nur ein Baustein . Wir sind engagiert bei
EUTM Mali, der EU-Ausbildungsmission . Wir stellen
zum Beispiel bei der Polizeimission der EU, EUCAP Sahel Mali, den Leiter . Wir sind seit vielen Jahren in der
Entwicklungszusammenarbeit engagiert, in der zivilen
Krisenprävention und bei humanitärer Hilfe . Durch diese
Schwerpunktsetzung und durch die langjährige Erfahrung haben wir Ansprechpartner und Einfluss in diesem
Land . Die Bundeskanzlerin war erst vor wenigen Monaten zu Gesprächen in Mali, und mit unserer Beteiligung
an MINUSMA stärken wir den Einfluss in diesem Land.
Der dritte Grund: MINUSMA ist eine Mission der
Vereinten Nationen . Wir haben in diesem Saal oft darüber gesprochen, dass wir uns stärker bei VN-Friedensmissionen engagieren müssen . Wir sind ja spitze darin,
Ansprüche zu formulieren . Wir sind auf Platz 4 bei den
Beitragszahlern, aber immer noch auf Platz 46 bei den
Truppenstellern der VN-Missionen .
Mit der Erweiterung des Mandats, die wir heute beschließen, leisten wir einen echten Hochwertbeitrag, den
außer uns kaum ein anderes Land in dieser Form leisten
kann . Wir stellen Hubschrauber zur Sicherstellung der
Rettungskette, und wir liefern Aufklärung, ohne die es
überhaupt nicht möglich wäre, in einem Land wie Mali,
das dreimal so groß ist wie Deutschland, überhaupt
nachzuvollziehen, welche Konfliktpartei sich gerade an
welche Vereinbarung des Friedensabkommens hält oder
nicht . Deshalb ist dieser Beitrag wichtig . Wir stärken damit die Mission, aber wir stärken auch die Rolle der VN
in der Region .
Der vierte Grund: MINUSMA schafft Sicherheit in
Mali . Ohne MINUSMA wären die malische Regierung
und die malischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage,
ihre Bevölkerung und die Hilfsorganisationen vor terroristischen Angriffen zu schützen . Es gibt immer noch
verschiedene islamisch-terroristische Gruppen, die versuchen, den Friedensprozess zu unterlaufen und die Bevölkerung durch Terroranschläge einzuschüchtern .
Auch mit MINUSMA bleibt die Lage in Mali gefährlich . Aber ohne den Stabilitätsanker MINUSMA würde
das Land vollkommen ins Chaos abgleiten . Auch für
Mali gilt: Ohne Sicherheit kein Frieden, und ohne Sicherheit keine Entwicklung . Das Bittere ist: Mali war in
Afrika vor wenigen Jahren noch ein Musterbeispiel für
Demokratie . Wir mussten im Herbst 2011, als von Libyen her die bewaffneten Tuareg-Truppen in das Land
einfielen, mitansehen, wie die Regierung von Mali nicht
in der Lage war, ihr Land und ihr Volk zu schützen, als
es darauf ankam .
Ich erinnere mich an viele Sondersitzungen, die wir
damals hier hatten, auch im Verteidigungsausschuss, und
wir mussten mitansehen, wie schnell es in Afrika gehen
kann, dass ein Land, das eigentlich auf einem guten Weg
war, plötzlich in die Instabilität abgleitet . Wir mussten
auch mitansehen, wie schnell ein Konflikt von einem
Land - in diesem Fall war es Libyen - auf ein anderes
Land übergreifen kann .
Damit bin ich wieder bei meinem ersten Punkt: das
Pulverfass Sahelzone . Ein Funke kann in dieser Region
einen Flächenbrand auslösen . Um das zu verhindern,
sind wir in Mali und bei MINUSMA aktiv . Ich bitte um
Zustimmung zu dem Mandat .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Ende dieser Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite-
rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs-
mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10967, den Antrag der Bundesregie-
rung auf Drucksache 18/10819 anzunehmen . Wir stim-
men nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab,
und ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen . - Sind
alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung .
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall .
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie jetzt
bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen . - Ich darf Sie
bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen .
({0})
- Nun habe ich zum ersten Mal zur Glocke gegriffen, und
ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen .
({1})
Ich weiß, dass wir jetzt nicht nur eine wichtige Debat-
te, sondern auch eine wichtige Rede von Außenminister
Dr . Frank-Walter Steinmeier vor uns haben, der für die
1) Ergebnis Seite 21523 C
Bundesregierung zu Tagesordnungspunkt 6 sprechen
wird .
({2})
Lieber Außenminister, bevor Sie mit Ihrer Rede beginnen können, muss ich noch einige Formalitäten erledigen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({3}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsun
terstützung der Sicherheitskräfte der Re
gierung der Region KurdistanIrak und der
irakischen Streitkräfte
Drucksachen 18/10820, 18/10968
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10989
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung haben wir
uns darauf verständigt, 38 Minuten für die Aussprache
vorzusehen . - Das ist jetzt auch so beschlossen, weil es
keinen Widerspruch gibt .
Damit eröffne ich die Aussprache . - Herr Außenminister, Sie haben das Wort .
({5})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ob Sie es glauben oder nicht: Vor ziemlich genau drei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag zum ersten Mal über die außenpolitischen Leitlinien der Großen Koalition gesprochen . Ich habe mir
meine eigene Rede von damals herausgeholt und bin fast
etwas beschämt über die Einschätzungen, die ich wiedergegeben habe . Ich habe damals gesagt, wir müssten
mit gewissen Beunruhigungen rechnen . Deshalb könnte
man voraussehen, dass die Verantwortung für unser Land
steigt .
Schauen wir uns die Ereignisse der darauf folgenden
Wochen und Monate an, die alle nacheinander einsetzten:
Da waren die Unruhen auf dem Maidan, die zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim führten . Da war die
Ebolakrise . Da war die neue Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen . Da
war der erste Aufmarsch der IS-Kämpfer, die sich daranmachten, sich den ganzen Nordirak untertan zu machen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das ist nicht in
den letzten drei Jahren passiert, sondern das waren die
Ereignisse der ersten sechs Monate . Deshalb war der
Aufruf zur Übernahme von mehr Verantwortung für
Deutschland, den ich damals gemacht habe, keine Trockenübung, sondern das waren Aufgaben, denen wir uns
in den ersten Wochen und Monaten dieser Legislaturperiode unmittelbar stellen mussten . Diese Verantwortungsbereitschaft ist vom ersten Tag an getestet worden .
Was ich sagen will: Dieses Parlament hat, wie das
heute leider in vielen Teilen der Erde in Mode kommt,
eben nicht erklärt: abschotten, dichtmachen . Lasst die
Welt mit ihren Nöten einfach draußen . - Vielmehr haben
Sie alle Ihre Verantwortung ernst genommen . Sie haben
danach gehandelt . Dafür will ich mich ganz herzlich bedanken .
({0})
Das Mandat und das Engagement im Irak, über das
wir reden, steht geradezu beispielhaft für das, was ich
meine: für die gewachsene Verantwortung deutscher Außenpolitik . Ich will gerne hinzusetzen: Diese Verantwortung haben wir nicht einfältig als einseitig verstanden .
Wir haben immer gewusst: Das kann auch militärische
Optionen beinhalten . Wir haben uns aber nicht auf militärische Optionen verengt, sondern einen umfassenden
politischen Ansatz versucht . Wir haben gewusst, dass es
mit den Mördern des IS nichts zu verhandeln gibt und
dass wir deshalb diejenigen unterstützen müssen, die sich
dem IS im Norden des Irak entgegenstellen .
Wir haben auch gewusst: Wenn man den Irak in dieser
schwierigen Lage wirklich festigen will, um dem Terror
den Nährboden zu entziehen, dann braucht es viel, viel
mehr . Dann braucht es humanitäre Hilfe . Dann braucht
es aktive politische Arbeit mit der Zentralregierung . Ein
Blick auf die zurückliegenden Jahre zeigt: Der Irak ist
ein Beispiel für gewachsene Verantwortung . Aber er ist
auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Instrumentenkasten der Außenpolitik in diesen Jahren entwickelt und
kontinuierlich erweitert hat, gerade unter dem Stichwort
der Stabilisierung .
Wir haben 47 Millionen Euro eingesetzt, mit denen
wir heute Schulen und Krankenhäuser wieder instand
setzen sowie Strom- und Wasserleitungen wieder funktionsfähig machen . Viele Menschen, die vom IS aus ihrer Heimat vertrieben wurden, haben wir inzwischen mit
dieser Hilfe zurückgebracht, zum Beispiel nach Tikrit,
Ramadi und Falludscha . Das ist Außenpolitik aus einem
Guss . So stelle ich mir das vor .
({1})
Nun gibt es, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und
Kollegen, hartnäckige Gerüchte, dass dies meine letzte
Rede im Deutschen Bundestag sein könnte .
({2})
Ich fürchte, dass das keine Fake News sind; das haben
wir ernst zu nehmen . Deshalb erlauben Sie mir einen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Blick zurück auf die letzten drei Jahre . Ich werde dabei
meine Redezeit nur um wenige Stunden überziehen .
({3})
Im Ernst und in aller Kürze: Ja, wir haben in diesen
Jahren in der Tat mehr Verantwortung gewagt . Ich bin
mir sehr bewusst: Dieses Wagnis wäre nicht geglückt
ohne den Deutschen Bundestag und das nicht, weil die
Kollegin Barnett und die Kollegen Karl, Leutert und
Lindner am Geldhahn sitzen . Ich meine etwas sehr viel
Grundsätzlicheres . Mehr Verantwortung, mehr Engagement in der Welt kann nicht von oben verordnet werden,
sondern das kann sich nur im Selbstverständnis dieser
Gesellschaft herausbilden . Wenn sich die Rolle unseres Landes in der Welt wandelt - das tut sie ja -, dann
muss die gesamte Gesellschaft darüber diskutieren . Das
sage ich nicht als Mitglied der Regierung, sondern als
Abgeordneter des Deutschen Bundestages: Ich bin stolz
darauf, dass der Bundestag diese Debatte angeführt hat,
dass wir diese Debatte uns selbst und der deutschen Öffentlichkeit - wenn ich das so sagen darf - zugemutet
haben .
Erstens . Wir haben diskutiert und gestritten über den
Weg der Diplomatie gerade im Umgang mit schwierigen
Regierungen und bei wachsenden Spannungen . Russland
und die Türkei sind hier als Stichworte zu nennen .
Zweitens . Wir haben diskutiert über den Ausbau von
Mitteln und Möglichkeiten unserer Außenpolitik . Ich
danke für die Ausstattung des Auswärtigen Amtes, die in
den letzten drei Jahren erheblich gewachsen ist . Wir haben diskutiert über die Instrumente der Außenpolitik . Ich
erinnere an die Leitlinien „Zivile Krisenprävention“ - ein
Herzensprojekt vieler Kolleginnen und Kollegen hier im
Bundestag -, an die Wiederbelebung der Rüstungskontrolle in Europa oder an die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die noch immer unterschätzte dritte Säule
der Außenpolitik . Ich bin dem Unterausschuss sowie
namentlich Ulla Schmidt, Claudia Roth und Peter Gauweiler und vielen anderen dankbar, dass nicht nur die Bedeutung erkannt worden ist, sondern dass sie uns auch
mit Möglichkeiten ausgestattet haben . Herzlichen Dank
dafür!
({4})
Natürlich haben wir besonders intensiv und ausführlich über Mandate diskutiert, genauso wie heute . Nirgendwo streiten wir in der Außenpolitik vermutlich so
lange und so heftig wie gerade bei den Mandaten . Aber
ich will auch einmal sagen: Dass wir in Deutschland
um jeden Einsatz militärischer Mittel ringen, ist doch
vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte nun
wirklich nichts Schlechtes . Sosehr ich mir eine aktive,
selbstbewusste deutsche Außenpolitik wünsche: Wir wären sicherlich kein besseres Land, wenn uns die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und
Polizisten sowie Helferinnen und Helfern in Krisenregionen dieser Welt in jedem Fall leicht von der Hand ginge .
Deshalb sind diese Debatten in diesem Hause so wichtig .
({5})
Krisen und Konflikte, Welt aus den Fugen, das alles
haben Sie in den letzten drei Jahren so häufig von mir
gehört, dass es viele schon mitsprechen können . Aber
2016/2017 ist etwas ganz anderes . Die größten politischen Erschütterungen kamen nicht mehr aus der Ferne,
sondern - ich gebe zu: etwas verkürzt - mehr und mehr
aus dem Inneren unserer Gesellschaft: der Paukenschlag
des Brexit, die Wahl von Donald Trump in den USA und
die jetzt anstehenden Wahlen in den Niederlanden und
Frankreich . Dort entscheidet sich die Richtung Europas,
die Richtung der internationalen Zusammenarbeit und
deshalb auch - davon bin ich überzeugt - die Handlungsfähigkeit unserer Außenpolitik .
Ich weiß auch noch nicht, was diese Entwicklung
im Einzelnen mit sich bringen wird . Nur eines weiß
ich: Wenn die Grenze zwischen innen und außen verschwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht
auch der Parlamentarismus weggespült wird . Im Gegenteil: Ich glaube - ich weiß -, Sie, die Parlamentarier,
müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern von innen und außen sein und müssen es bleiben .
Sie müssen hier im Bundestag über deutsches Engagement in der ganzen Welt entscheiden und gleichzeitig das ist die Herausforderung - dann auch noch zu Hause
im Wahlkreis den Menschen erklären, was eigentlich in
Russland, in der Türkei oder in Syrien los ist . Ich weiß:
Jeder und jede hier trägt die Verantwortung, die Lage der
Welt zu erklären, ohne zu vereinfachen, Außenpolitik zu
vermitteln, ohne in Schwarz-Weiß-Urteile zu verfallen .
Das ist eine schwierige, aber, wie ich finde, auch eine
verdammt noble Aufgabe, die wir da haben .
({6})
Weil Ihre Aufgabe in Zukunft eher noch wichtiger
werden wird, will ich zum Schluss zwei Wünsche loswerden . Erstens, kurz gesagt: Reisen Sie weiter! Außenpolitik, wie ich immer sage, lässt sich eben nicht von der
Sofaecke aus machen . Das gilt für Abgeordnete genauso
wie für Außenminister . Ich habe mir sagen lassen: Mehr
als 2 000 Reisen ins Ausland haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Legislaturperiode unternommen . Das überbietet mein Meilenkonto bei weitem . Das
ist gut so. Will sagen: Pflegen Sie die Gesprächskanäle
bilateral und in den internationalen Parlamentarierforen
von OSZE, Europarat, NATO und mit dem Patenschaftsprogramm, gerade auch dort, wo Demokratie und Parlamentarier bedroht sind .
Mein zweiter Wunsch betrifft die Zukunft . Wenn wir
gewachsene internationale Verantwortung nicht abschütteln können und hoffentlich auch nicht wollen, dann
brauchen wir eben international aufgestellten Parlamentariernachwuchs . Darum will ich auch jeden von Ihnen
bitten: Werben Sie bei der nachwachsenden Generation
für internationales Engagement . Ermutigen Sie die jungen Leute, über den Tellerrand der deutschen Grenzen,
wo immer es geht, hinauszuschauen, und sagen Sie ihnen,
dass die Zeit im Ausland keine verlorene Zeit ist, dass sie
dadurch eher vorankommen und nicht zurückgeworfen
werden . Es ist wichtig, dass wir junge, nachwachsende
Abgeordnete haben, die sich in der Welt ein bisschen
Bundesminister Dr. FrankWalter Steinmeier
auskennen und wissen, wie die Welt auf uns schaut . Wir
brauchen diesen Nachwuchs in der Außenpolitik . Davon
bin ich fest überzeugt .
({7})
Vielleicht darf ich mit einer ganz persönlichen Bemerkung abschließen . Ich verlasse dieses Parlament zwar als
Mitglied der Regierung, aber mein erster Platz hier - daran wird sich der eine oder andere erinnern - war in den
Reihen der Opposition . Es ist auch kein Geheimnis: Als
ich 2009 in den Bundestag gewählt wurde, hatte ich es,
lieber Thomas, gar nicht so sehr auf deinen Stuhl abgesehen, sondern eher auf den hier vorne auf der Regierungsbank .
({8})
Die Möglichkeit hat sich nicht ergeben . Ich erinnere mich aber auch an einen großen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, der gesagt hat: „Opposition ist
Mist .“ - Nun ist das in der SPD so: Man darf dem Vorsitzenden nicht widersprechen, aber man darf den Satz
interpretieren .
({9})
Wenn die Opposition Mist ist, dann ist sie gleichzeitig
Dünger für die Demokratie . Das ist gut so . Ich hoffe, das
bleibt respektiert in diesem Hause .
({10})
Willy Brandt - das war schon nach seinen Kanzlerjahren - hat einmal als Alterspräsident hier im Deutschen
Bundestag gesprochen und gesagt:
Alle Mitglieder dieses Hauses nehmen gleichermaßen wichtige Aufgaben wahr, ob sie nun die
Regierung stellen oder diese kritisch begleiten, ob
sie Macht verwalten oder diese kontrollieren … Parlamentarische Verantwortung für unseren Staat obliegt der einen Seite wie der anderen; sie ist keiner
Seite Vorrecht .
Was Willy Brandt vor 34 Jahren gesagt hat, müssen
wir heute, so denke ich, auch auf die Außenpolitik beziehen . Die parlamentarische Demokratie steht weltweit unter Druck, wird vielerorts infrage gestellt . In viel zu vielen Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer
und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und
selbsternannte starke Männer haben die Verachtung von
demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprinzip erhoben .
Gleichzeitig ist im Netz ein Raum für anonyme und
enthemmte Kommunikation entstanden, in dem immer
neue Erregungswellen mehr Klicks erzeugen als Fakten
oder Argumente, in dem Sprache jedes Maß verloren hat
und die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen zusehends schwindet .
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen jetzt
den Raum der Demokratie und die Kultur der Demokratie verteidigen im Innern unserer Gesellschaft wie nach
außen . Wenn ich irgend kann, werde ich aus möglichen
neuen Ämtern heraus an dieser Verteidigung gern mittun .
Aber beginnen kann das nirgendwo sonst als hier an diesem stolzen Pult . Deshalb bitte ich Sie: Nutzen Sie dieses
Pult . Ich jedenfalls werde es vermissen .
Vielen Dank .
({11})
Sehr geehrter Herr Außenminister, bleiben Sie noch
einen Moment hier . - Sehr geehrter Herr Außenminister!
Ich möchte Ihnen auch im Namen meiner Kolleginnen
und Kollegen für das danken, was Sie als Außenminister
in einer außenpolitisch äußerst schwierigen Zeit geleistet
haben . Ihnen war immer anzumerken, es war immer zu
spüren, dass Sie sich mit großem Engagement, mit Herz,
aber auch mit Ihrem Intellekt darum bemüht haben, politische Lösungen für Konflikte zu finden und nicht den
einfachen Lösungen nachzurennen .
Sie haben sich mit diesem unermüdlichen Einsatz für
eine verantwortungsvolle Außenpolitik und mit Ihrer hohen Glaubwürdigkeit nicht nur Wertschätzung bei vielen
Menschen in unserem eigenen Land und auch bei unseren Partnern in vielen anderen Ländern erworben, Sie
haben mit Ihrem unermüdlichen Einsatz und Ihrer hohen
Glaubwürdigkeit auch hohe Verdienste für unser Land
und für uns erworben .
Lieber Herr Außenminister, dies war Ihre letzte
Rede als Außenminister im Deutschen Bundestag . Ich
freue mich sehr auf ein Wiedersehen am 12 . Februar und dann werden wir ja sehen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute für Ihre Zukunft und für Ihre künftigen Aufgaben .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Entschuldigen Sie, dass wir hier den Ablauf noch für einige Minuten stören .
Lieber Frank-Walter, neben Blumen und dem Dank
für den „Dünger der Demokratie“ in Bezug auf die Opposition haben wir dir als deine Partei und deine Fraktion etwas zum Abschied mitgebracht . Wir wissen, dass
du nicht nur den Abgebildeten sehr schätzt - es ist ein
Porträt von Willy Brandt, das zum 100 . Geburtstag entstanden ist -, sondern vor allen Dingen auch den KünstBundesminister Dr. FrankWalter Steinmeier
ler, der es gemacht hat . Wir wissen, dass du ein großer
Freund von Armin Müller-Stahl bist . Von ihm ist dieses
Bild . Es ist ein kleines Geschenk deiner Fraktion und
deiner Partei für großartige Arbeit in ganz unterschiedlichen Ämtern und ganz sicher auch ein schönes Präsent
für ein noch viel wichtigeres Amt . Alles Gute und vielen Dank!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt müssen wir zur
Normalität zurückkehren .
Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb
nis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zur Fortsetzung von MINUSMA bekannt:
Abgegeben wurden 556 Stimmen . Mit Ja haben gestimmt
498 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt
55 Kolleginnen und Kollegen, und es gab 3 Enthaltungen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen
worden .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon
ja: 498
nein: 55
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({1})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({2})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({3})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({4})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Carsten Müller ({5})
Stefan Müller ({6})
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({7})
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({8})
Gabriele Schmidt ({9})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({10})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho‑Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Volker Beck ({31})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({32})
Christian Kühn ({33})
Renate Künast
Markus Kurth
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({34})
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Fraktionslos
Erika Steinbach
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Waltraud Wolff ({35})
DIE LINKE
Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({36})
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
({37})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
SPD
René Röspel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Corinna Rüffer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({38}) aufgeführt.
Als nächste Rednerin in der Debatte hat jetzt Christine
Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort .
({39})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Steinmeier, Sie haben die Frage der Verantwortung in das
Zentrum Ihrer letzten Rede als Außenminister gestellt .
Der Bundeswehreinsatz im Irak, über den wir heute hier
diskutieren, steht für uns eigentlich beispielhaft für die
falsche Ausrichtung und auch die falsche Interpretation
der Verantwortung der Bundesregierung in der Welt . Dabei rede ich explizit nicht über die Anstrengung der humanitären Hilfe beispielsweise für Flüchtlinge im Nordirak, wo viel mehr zu tun ist und wo übrigens auch die
Flüchtlinge geschützt werden müssen; sie dürfen nicht
wieder in den Nordirak abgeschoben werden . Vielmehr
geht es darum, heute, hier und jetzt über die Fortführung
des Bundeswehreinsatzes zu diskutieren . Die Bundeswehr soll nämlich weiterhin die Peschmerga, also die
Milizen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak,
militärisch ausbilden . Zur Begründung behauptete Verteidigungsministerin von der Leyen in der ersten Beratung des Antrags, die Peschmerga hätten „als Erste den
IS gestoppt“ .
Das ist nicht wahr . Als der IS im Sommer 2014 die
Minderheit der Jesiden angriff und ins nordirakische
Sindschar‑Gebirge trieb, flohen die Peschmerga, ohne einen einzigen Schuss abzugeben, und es war die kurdische
PKK, die den Jesiden einen Korridor freikämpfte .
({0})
Doch die PKK gilt in Deutschland als terroristisch .
Die Peschmerga hingegen, welche die Jesiden im Stich
ließen, werden von Deutschland mit Waffen und Ausbildung unterstützt .
({1})
Um den Bundeswehreinsatz im Irak zu rechtfertigen,
leugnet die Bundesregierung diese nachweislichen Fakten .
({2})
Es gibt aber auch Kurden im Nordirak, die das sagen, so wie der Journalist Wedat Hussein Ali . Er wagte
es, Präsident Barsani und die kurdische Regionalregierung zu kritisieren . Die Folge: Wedat Hussein Ali wurde
mehrfach von Barsanis Leuten verhört und bedroht . Im
August letzten Jahres wurde seine Leiche mit Folterspuren aufgefunden . Human Rights Watch spricht von
Dutzenden Journalisten, die von Kräften der kurdischen
Regionalregierung schikaniert, inhaftiert oder getötet
worden sind . Wir sagen: Ein solches Regime darf nicht
unterstützt werden .
({3})
Seit 2014 hat die Bundesregierung mehr als 30 Transportflugzeuge mit Rüstungsgütern und Waffen in den
Irak geschickt . Die Peschmerga erhielten unter anderem 4 000 Sturmgewehre und über 18 Millionen Schuss
Munition . Ich frage die Bundesregierung: Können Sie
ausschließen, dass die kurdische Regionalregierung mit
diesen Waffen nicht auch gegen ihre Gegner im Innern
vorgeht? Nein, Sie können es nicht . Und ich frage Sie:
Wie können Sie denn dann diese Waffen liefern?
({4})
Die Peschmerga sind im Übrigen keine reguläre Armee . Es sind die Parteimilizen Barsanis und Talabanis .
Diese beiden Clanführer haben Irakisch-Kurdistan untereinander aufgeteilt . Barsanis Clan hat den Krieg gegen
den IS zum Vorwand genommen, sich die Großstadt Kirkuk einzuverleiben . Dabei kam es zu ethnisch motivierten Vertreibungen . Amnesty International berichtete im
vergangenen Herbst, dass rund 450 Familien aus Kirkuk
und Umgebung von Peschmerga vertrieben worden sind .
Ihr einziges Verbrechen: Sie sind Araber . Ihre Häuser
wurden von Bulldozern plattgewalzt . Man muss wissen:
Im Irak kämpfen kurdische, sunnitische und schiitische
Eliten um Macht, Öl und Territorien . Wenn man in einem
solchen Konflikt Partei ergreift, trägt das nur zur weiteren
ethnischen Spaltung des Iraks bei . Auch deshalb lehnt die
Linke diesen Auslandseinsatz entschieden ab .
({5})
Denn genau diese ethnische Spaltung hat doch den
IS erst stark gemacht . Das von den US-Invasoren eingesetzte schiitisch dominierte Regime in Bagdad hat über
Jahre Sunniten verfolgt . Das konnte der IS dann ausnutzen . Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert . Auch
heute müssen sunnitische Männer um ihr Leben fürchten,
wenn sie in die Hand der irakischen Armee fallen . Erst
letzte Woche sind wieder Videos öffentlich geworden,
die zeigen, wie Soldaten der irakischen Armee wehrlose Gefangene foltern und kaltblütig hinrichten . Die UN
fordert Aufklärung, und die Bundesregierung darf dazu
nicht schweigen .
({6})
Herr Steinmeier, Sie haben zu Beginn der Mosul-Offensive vor drei Monaten gesagt - ich zitiere -:
Wenn nach der Befreiung der Stadt die Geißel des
IS nur durch einen Machtkampf zwischen Kurden,
Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist jedenfalls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen .
Da haben Sie, Herr Steinmeier, recht gehabt . Das
Problem ist nur: Dieser Machtkampf zwischen den korrupten kurdischen, schiitischen und sunnitischen Eliten
ist doch längst am Laufen, und er wird durch den Bundeswehreinsatz im Irak weiter unterstützt . Deshalb muss
dieser Einsatz umgehend beendet werden . Das wäre eine
verantwortliche Entscheidung .
({7})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Als nächster Redner spricht Jürgen Hardt für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu Beginn meiner Rede möchte ich als außenpolitischer
Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Bundesaußenminister für seine Arbeit und für die gute Zusammenarbeit danken, die wir mit ihm gehabt haben . Wir
wünschen Ihnen für mögliche zukünftige Ämter alles
Gute und werden darauf setzen, dass Sie in Ihrem neuen
Amt die Außenpolitik nicht aus dem Auge verlieren . Das
ist uns wichtig . An einer Stelle Ihrer Rede musste ich ein
bisschen schmunzeln . Als Sie von dem lohnenden Dünger der Opposition für die Demokratie geredet haben,
klang es fast so, als würden Sie Ihrer Fraktion ein wenig
Mut zusprechen vor zukünftigen Zeiten .
({0})
Aber ich glaube, so war das nicht gedacht .
Sie haben als Außenminister die Rolle Deutschlands
in der internationalen Politik gestärkt . Sie haben das, was
Sie und die Bundesverteidigungsministerin sowie der
Bundespräsident vor zwei Jahren in München angekündigt haben, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, mit Leben gefüllt . Sie haben das
auch ein Stück weit vorgelebt und in vielen Situationen,
in denen deutscher Rat und deutsche Hilfe gefragt waren - oft auch hinter verschlossenen Türen und am Telefon -, im Interesse Deutschlands und Europas gehandelt .
Dafür danke ich Ihnen .
({1})
Sie übergeben Ihrem Nachfolger ein wohlbestelltes
Haus, allerdings auch insgesamt sechs Großbaustellen
der Außenpolitik, wo wir Konflikte und Krisen mit jeder
Menge Gewerke zu bewältigen haben: von Afghanistan
bis in den Maghreb hinein, den Konflikt mit Russland
um die Ukraine, die Situation in Afrika - wir haben gerade das Mali-Mandat verabschiedet -, die Situation im
Südchinesischen Meer, die Situation der Europäischen
Union und natürlich auch die offenen Fragen im Zusammenhang mit unserem Verhältnis zu Amerika . Das ist ein
Riesenberg Arbeit . Ich bin sicher, dass der Amtsnachfolger einen dicken Stapel von zweiseitigen Dossiers zu
all diesen einzelnen Gewerken bekommt, in die er sich
einarbeitet .
Dem zukünftigen Außenminister wünsche ich alles
Gute im Amt . Er ist ein erfahrener Politiker, der mit allen
Wassern gewaschen ist, der mit Säbel und Florett umgehen kann . Die diplomatischen Fähigkeiten sind uns
bisher eher verborgen geblieben, aber ich bin absolut sicher, dass Sie auch in diesem Felde reüssieren . An einem
Punkt glaube ich allerdings, dass Sie Ihre Vorstellung
korrigieren müssen: Das Dasein eines deutschen Bundesaußenministers ist, glaube ich, schon ein Nomadendasein
zwischen Flugzeug, Hotelzimmer und stickigen Konferenzsälen . Ich wünsche Ihnen trotzdem, dass Sie - auch
wenn der Außenminister viel unterwegs ist - noch Zeit
für Ihre Familie finden, wie Sie sich das wünschen. Alles
Gute im neuen Amt!
Jetzt zum Mandat . Wir haben hier bereits einmal ausführlich darüber diskutiert . Der Deutsche Bundestag hat
entschieden, diesen schwierigen Weg zu gehen . Er hat
sich bewährt; denn wir haben tatsächlich einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des IS im Norden des Iraks
leisten können mit unseren Partnern, den Peschmerga .
Es gibt eine Frage, die die Kolleginnen und Kollegen
meiner Fraktion beschäftigt . Auch in diesem Jahr hat die
Bundesregierung das Mandat wieder mit Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes begründet . Wir glauben, dass
dies eine tragfähige Begründung ist . Wir glauben, dass
die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit des Einsatzes nicht
infrage steht . Bei der Frage, auf welchen Artikel des
Grundgesetzes man sich bezieht, geht es um die nationale
Rechtsgrundlage innerhalb Deutschlands .
({2})
Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz ist meines Erachtens
ausreichend für die Begründung des Mandates . Es wäre
aber, glaube ich, souveräner, wenn wir auch überlegen
würden, ob wir ein solches Mandat durchaus auch auf
Artikel 87a des Grundgesetzes stützen könnten . Das ist
eine mindestens ebenso verlässliche Rechtsgrundlage
für einen solchen Bundeswehreinsatz . Das ist in meiner
Fraktion zur Sprache gekommen .
({3})
Wenn wir die Situation im Norden des Irak sehen, so
stellen wir fest, dass die Peschmerga einen guten, einen
wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des IS leisten . Wir
müssen nach der Phase der konkreten Unterstützung der
kurdischen Truppen mit Ausrüstung und Ausbildungsunterstützung - bisher waren es rund 12 000 Sicherheitskräfte - die Frage stellen, wie es mittelfristig und langfristig in dieser Region weitergehen soll. Deswegen finde
ich die Überlegungen der Bundesregierung dazu gut,
wie auch zukünftig die sonstigen irakischen Streitkräfte
in stärkerem Umfang mit in diesen Prozess einbezogen
werden können .
Eines Tages muss der Zeitpunkt kommen, an dem die
Region so weit befriedet ist, dass der Irak die Sicherheit
im Land gewährleisten kann . Das geht natürlich nur,
wenn die Struktur erhalten bleibt und wenn die Einheit
des Landes durch eine Regierung gewährleistet wird, die
sich für eine inklusive Regierung, für eine angemessene Berücksichtigung ethnischer und religiöser Gruppen
im Land, speziell auch der Kurden, in vollem Umfang
einsetzt . Wir sagen immer, wenn wir mit der irakischen
Regierung sprechen, dass sie eine inklusive Regierungsführung betreiben muss, weil sie sonst so scheitert wie
vor wenigen Jahren; die gegenwärtig angespannte Entwicklung in der Region ist die Folge dieses Scheiterns .
In diesem Sinne wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag zur Fortsetzung des Mandats mit der
Obergrenze von 150 Soldatinnen und Soldaten unterstützen . Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten, die in
diesem Einsatz sind, dass sie wohlbehalten nach Hause
kommen und das nötige Soldatenglück haben, dass ihnen
nichts passiert, damit wir diesen Einsatz so fortführen
können .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Agnieszka
Brugger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Außenminister Steinmeier, Sie haben als
Deutschlands Chefdiplomat den außenpolitischen Kurs
der Bundesregierung in vermehrt schwierigen und stürmischen Zeiten geprägt . Sie haben das mit klarem Kompass, mit einer Balance aus Besonnenheit, Sorge und
Entschlossenheit getan . Dafür möchte ich Ihnen im Namen meiner ganzen Fraktion ebenso wie für die sehr gute
Zusammenarbeit und auch die faire politische Auseinandersetzung danken, auch wenn wir nicht immer einer
Meinung waren .
({0})
Im Namen der Grünen wünsche ich Ihnen auch, ohne
irgendetwas vorwegnehmen zu wollen, jenes Fingerspitzengefühl, jenen Mut und weiterhin die Gabe, die
richtigen Worte zur richtigen Zeit zu finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten die
Mandate zu den Bundeswehreinsätzen auch immer in
den Ausschüssen . Vor zwei Tagen hat ein Kollege im
Verteidigungsausschuss gesagt: Wer diesem Mandat
nicht zustimmt, muss auch formulieren, was die Alternative ist. - Ich finde, der Kollege aus der Koalition hat mit
dieser Aussage völlig recht .
Wenn ich mir noch einmal unsere Reden bei den letzten Beratungen dieses Mandats anschaue, stelle ich fest,
dass wir immer eine klare Alternative formuliert haben,
nämlich zwei sehr klare Bedingungen, unter denen dieses
Mandat für uns zustimmungsfähig wäre . Es gibt nämlich
zwei sehr große Probleme mit diesem Mandat, das wir
im Kern für richtig halten . Es ist den Kräften der Peschmerga gelungen, einige Gebiete zu befreien und andere
vor der Terrorherrschaft des sogenannten „Islamischen
Staates“ zu beschützen .
Eines der beiden gewichtigen Probleme ist die rechtliche Konstruktion . Hier wäre es hanebüchen, auf den
anderen Grundgesetzartikel zurückzugreifen . Es wäre
besser, sich noch einmal mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes zu beschäftigen, das sehr
genau dargestellt hat, unter welchen Bedingungen die
Bundeswehr im Ausland eingesetzt werden kann . Das
Urteil von 1994 sagt: „im Rahmen eines Systems … kollektiver Sicherheit“, also im Rahmen der Europäischen
Union, der NATO, der Vereinten Nationen oder beispielsweise der OSZE . Das ist hier explizit nicht der Fall .
Die Ausbildungsunterstützung für die Peschmerga leistet
die Bundeswehr im Rahmen einer Koalition der Willigen, und das ist kein System kollektiver Sicherheit . Wir
können Sie nur wie jedes Jahr auffordern, diesen Fehler
endlich zu korrigieren
({1})
Das zweite Problem, das wir mit diesem Mandat und
mit der Politik, die die Bundesregierung an dieser Stelle macht, haben, ist Folgendes: Wenn man ausbildet und
dann sogar noch so viele Waffen und so viel Ausrüstung
geliefert hat, dann hat man schon auch eine Verantwortung, sehr genau hinzuschauen, was anschließend damit
passiert . Denn es steht natürlich immer die Gefahr im
Raum, dass die vermittelten Fähigkeiten und das gelieferte Gerät missbraucht werden . Auch das ist etwas,
wozu wir Sie, seit es dieses Mandat gibt, immer wieder
befragt haben .
Wir haben die Bundesregierung gefragt: Wie reagieren Sie denn eigentlich auf die Berichte der Menschenrechtsorganisationen, dass Peschmerga-Kämpfer nach
der Befreiung bestimmter Gebiete Dörfer und Häuser
arabischstämmiger Menschen zerstört haben? Was tun
Sie eigentlich dagegen - das ist wirklich schon absehbar -, dass die Spannungen innerhalb der Peschmerga,
zwischen PUK und KDP, immer größer werden? Wie gehen Sie mit der Regionalregierung um, die wirklich keine
demokratische Legitimation mehr hat, oder wie mit den
Hinweisen darauf, dass Zivilgesellschaft und Journalisten unterdrückt und eingeschränkt werden?
Ich finde schon: Wenn man ausbildet, wenn man Waffen liefert, dann hat man erst recht eine Verantwortung,
hier ganz genau hinzuschauen und auch zu handeln .
({2})
Denn am Ende des Tages ist natürlich auch die beste Ausbildungsunterstützung nichts wert, wenn ein konsequenter, umsichtiger Beitrag zur Entwicklung des politischen
Umfelds fehlt, in dem die Sicherheitskräfte dann agieren
sollen .
Man muss doch schon feststellen: Auf die Waffenlieferungen haben Sie sich sehr schnell geeinigt; aber es
wäre immer noch so viel mehr möglich, wenn es darum
geht, einen ganzheitlichen, engagierten Beitrag zu einer
friedlichen Zukunft des Iraks zu leisten . Deutschland hat
hier eine hervorgehobene Position: Wir sind Kovorsitzende der AG Stabilisierung, also der Gruppe der Staaten, die sich mit der Frage beschäftigt, wie es eigentlich
in den befreiten Gebieten weitergeht . Auch hier fragen
wir immer wieder nach: Was tut die Bundesregierung
denn konkret?
Es ist ein guter Beitrag, wenn Sie ankündigen, sich
schnell darum zu kümmern, dass die Stromversorgung
und die Wasserversorgung in Mosul wieder funktionieren, sobald die Stadt - worauf wir alle hoffen - befreit
ist . Aber so wichtig diese Infrastrukturprojekte sind - sie
ersetzen doch nicht den politischen Beitrag, der darin
bestehen muss, hier alle Akteure in die Pflicht zu nehmen und darauf hinzuwirken, dass sie endlich politische
Macht teilen, dass die wirtschaftlichen Gewinne fair aufgeteilt werden und dass alle Gruppen sich versöhnen und
wieder friedlich zusammenleben können . Da können wir
Sie einfach nur auffordern: Tun Sie hier mehr! Es wäre
mehr möglich .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir sind
hier nicht einfach dagegen; wir machen sehr konkrete
Vorschläge . Als Sie gerade in Ihrer Rede, Herr Außenminister Steinmeier, noch mal gesagt haben, wie wichtig
die Debatten hier im Parlament sind, haben Sie, glaube
ich, viele von uns Abgeordneten mit dieser Aussage berührt. Aber ich finde, wenn ihr die Debatten in diesem
Parlament wichtig sind, dann sollte die Bundesregierung
konstruktive Hinweise aus der Opposition hören und aufnehmen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Wilfried
Lorenz für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Deutschland
hilft mit der Bundeswehr bei der Ausbildung von Streitkräften im Irak, weil wir - erstens - darum gebeten werden, weil wir - zweitens - damit den Aufforderungen des
UN-Sicherheitsrates folgen, die irakische Regierung im
Kampf gegen den IS zu unterstützen, und weil - drittens - nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit den
Kräften vor Ort der IS noch stärker zurückgedrängt und
geschwächt werden kann . So funktioniert kollektive Sicherheit, und so funktioniert der Schutz von Menschenrechten durch gegenseitige Hilfe .
Meine Damen und Herren, der IS musste territoriale
Verluste im Irak und in Syrien hinnehmen, und er wurde
auch wesentlich geschwächt . Gemeinsam mit der internationalen Koalition gelang es kurdischen und irakischen
Kräften, den IS in wenige Kerngebiete zurückzudrängen .
Selbst Mosul ist zur Hälfte befreit . Und trotzdem ist der
IS unverändert eine große Bedrohung für Frieden und
Sicherheit weltweit . Diese Bedrohung betrifft auch uns
Deutsche ganz konkret; das zeigte zuletzt der furchtbare
Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt hier in Berlin . Der
Schulterschluss europäischer Staaten, in die der IS nun
verstärkt Angst und Schrecken tragen will, ist noch enger geworden; denn der Terror zielt auf Europa, genauer
gesagt: auf das Herz unseres Kontinents . Deswegen kann
man sagen: Unsere Sicherheit wird auch im Irak verteidigt .
Noch vor zweieinhalb Jahren erreichten uns Meldungen über großflächige Landgewinne und schreckliche
Gräueltaten dieser Terrorbande . Die Menschen vor Ort
konnten sich nicht aus eigener Kraft gegen immer näher rückendes Morden schützen . Aramäer, Chaldäer,
Christen, Jesiden und unterschiedliche Kurdengruppen
flüchteten in das einzige noch sichere Gebiet: die Region
Kurdistan/Irak . Deswegen war und ist es richtig, zu deren
Schutz und als Hilfe zur Selbsthilfe zunächst militärische
Ausrüstungshilfe zu leisten und dann die multinationale
Ausbildungsunterstützung für das Militär fortzusetzen .
({0})
Waffen in ein Krisengebiet zu schicken, war in diesem
Fall eine berechtigte Abkehr von der bisherigen Doktrin .
Gegen massive Gewalt mit militärischen Mitteln helfen
eben nur militärische Mittel . Niemand würde auf die Idee
kommen, akute Cholera mit Kamillentee zu bekämpfen .
Das deutsche Hilfsangebot wurde gut angenommen .
Circa 12 000 Sicherheitskräfte haben wir gemeinsam mit
internationalen Partnern im Irak und in Deutschland ausgebildet . Gleichzeitig bleiben die militärischen Unterstützungsmaßnahmen auch künftig eingebettet in einen
breiten politischen Ansatz und in ein vernetztes Vorgehen . Uns geht es nicht nur darum, die kurdischen Peschmerga militärisch auszubilden, damit sie den IS noch
weiter zurückdrängen und das Land von diesen Gruppen
befreien können, es geht auch um zivile Hilfe für Flüchtlinge und um den Aufbau von Infrastruktur . Militärisches
Material und Ausbildung sowie zivile Hilfe werden auch
weiterhin eng mit Bagdad abgestimmt .
Meine Damen und Herren, der IS führt Krieg gegen die
Schwächsten, gegen Frauen und Kinder, gegen Menschlichkeit, gegen Freiheit und Recht und gegen die Werte
der westlichen Welt . Und wie er das mit dem Mittel der
Propaganda im Internet versucht, erfasst keine herkömmliche Definition von Krieg in Gänze. Wir brauchen daher
herkömmliche militärische Mittel, um Schlimmeres zu
verhindern .
Aber der IS hat nicht nur im Irak eine Spur der Verwüstung hinterlassen, sondern auch in den Menschen
selbst . Denken Sie an tief traumatisierte Menschen, die
monatelang in Städten eingeschlossen waren, denken Sie
an die Städte, die dem Erdboden gleichgemacht wurden .
Umso wichtiger ist ein nachhaltiger Fähigkeitsaufbau,
wie ihn die Bundeswehr für Kurden und Iraker leistet .
Daher wird die Ausbildung stets modulmäßig der jeweiligen Situation angepasst . Am Anfang war es angesichts
der hohen Verluste der Peschmerga notwendig, erste Hilfe zu leisten; heute steht nach gefechtsmäßiger Ausbildung das Entschärfen von Minen und Sprengstofffallen
im Vordergrund . Damit wird die Grundlage gelegt, dass
Häuser, Wohnungen und Infrastruktur den Menschen
wieder zur Verfügung gestellt werden können .
Meine Damen und Herren, es ist für mich unbegreiflich, wie angesichts dieses Leids die Notwendigkeit des
Anti-IS-Einsatzes im Irak bezweifelt werden kann, ohne
auch nur eine einzige Alternative vorzuschlagen .
({1})
Sollen wir die Menschen dem IS überlassen? Nein .
Deutschland leistet mit diesem Einsatz einen zentralen
Beitrag für die Menschen im Irak, für die Menschen in
Europa und für die Menschen in Deutschland . Daher
werden wir dem vorliegenden Antrag zustimmen .
({2})
Als Nächste hat die Kollegin Julia Obermeier, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Buchholz, ich frage mich schon, was Sie
und Ihre Fraktion den Tausenden Mädchen und Frauen
wie der Jesidin Nadia Murad sagen wollen, die der IS
verschleppt, verkauft und vergewaltigt hat, nachdem ihre
Mutter und ihre sechs Brüder getötet wurden .
({0})
Das Schicksal von Nadia Murad - sie hat uns hier
im Bundestag in kleiner Gruppe davon berichtet - steht
beispielhaft für das Leid von Tausenden und führt uns
deutlich vor Augen: Wir dürfen die Menschen, die dem
Grauen des IS ausgeliefert sind, nicht alleine lassen, und
das tun wir auch nicht .
({1})
Deutschland hat - und diese Entscheidung haben wir
uns im Deutschen Bundestag nicht leicht gemacht - vor
zweieinhalb Jahren beschlossen, Waffen in ein Krisengebiet, in den Nordirak, zu liefern . Und wir haben beschlossen, dass wir diejenigen, die wir ausrüsten, auch
ausbilden . 12 000 Mann haben wir bisher ausgebildet,
hauptsächlich Peschmerga, aber auch Jesiden, Turkmenen und Kakai . Diese Kräfte waren maßgeblich daran
beteiligt, den Vormarsch des IS im Irak zu stoppen und
Gebiete zurückzuerobern .
({2})
Unser Beitrag ist zwar ein kleiner, aber ein wichtiger .
Und wir haben uns bewusst gegen eine rein EU- oder
NATO-geführte Mission entschieden, um einerseits den
Eindruck eines Kampfes des Westens gegen den Islam
zu vermeiden und andererseits viele andere Partner - wie
Jordanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen
Emirate - mit ins Boot zu holen .
Natürlich sehen wir auch die kritischen Punkte des
Einsatzes . Aber: Bei den Waffenverlusten der Peschmerga handelt es sich um Einzelfälle . Es liegt hier kein Missbrauch unserer Unterstützung im großen Stil vor . Die Peschmerga-Führung bemüht sich sehr um die Aufklärung
dieser Einzelfälle . Wir haben von Anfang an Vorsorge
getroffen, indem wir eine Vorratshaltung verhindert und
immer nur so viele Waffen und Munition abgegeben haben, wie auch gebraucht werden .
Ja, ich gebe Ihnen recht: Es gibt nie eine hundertprozentige Garantie, dass nicht Einzelne ihre Ausbildung
oder ihre Ausrüstung zu einem späteren Zeitpunkt entgegen unserem Ansinnen einsetzen .
Frau Kollegin Obermeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Buchholz?
Nein, ich möchte gern weiter vortragen .
({0})
Aber garantiert ist, dass wir durch ein Die-Hände-inden-Schoß-Legen und Nichtstun die Frauen und Kinder
schutzlos den Schlächtern des IS überlassen hätten . In
dieser Abwägung zwischen möglichen Risiken zu einem
späteren Zeitpunkt und der Möglichkeit, der Notwendigkeit, ja, ich finde, der Pflicht, Menschenleben zu retten,
komme ich eben zu einem anderen Schluss als Sie von
der Opposition . Dieser Einsatz ist richtig .
({1})
Und auch hier verfolgen wir einen vernetzten Ansatz .
Unsere Politik ist klar ausgerichtet: Wir unterstützen die
Kurden im Kampf gegen den IS, aber wir leisten keinen
Beitrag zu deren Abspaltungstendenzen . Es wird eine der
Aufgaben des neuen deutschen Außenministers sein, sich
dafür einzusetzen, dass der Irak eins bleibt, also ein inklusiver Staat bleibt, und dass seine politische Führung
von der Bevölkerung legitimiert ist . Denn eines zeichnet sich ab: Je mehr es gelingt, den IS zurückzudrängen, umso deutlicher treten auch die innenpolitischen
Schwächen der irakischen Zentralregierung wieder in
den Vordergrund . Hier liegt auch einer der Schwerpunkte
unserer Entwicklungszusammenarbeit: Wir stärken die
staatlichen Strukturen im Irak, wir unterstützen die Binnenflüchtlinge und über das „Cash for Work“‑Programm
auch diejenigen, die in die befreiten, aber zerstörten Gebiete zurückkehren und dort Wiederaufbau betreiben .
Wir lassen die Menschen im Irak nicht allein, weder diplomatisch noch entwicklungspolitisch oder militärisch .
Deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für die Mandatsverlängerung .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Die Kollegin Buchholz hat um das
Wort für eine Kurzintervention gebeten . Bitte, Frau
Buchholz .
Sehr geehrte Kollegin Obermeier, lassen Sie mich
zwei Fragen stellen:
Wie stehen Sie zu dem historischen Fakt, dass es nicht
die Peschmerga waren, sondern die PKK, die die Jesiden
im Sindschar-Gebirge befreit hat? Sie können die Behauptung, wir würden unverantwortlich mit dem Leid
der Jesiden umgehen, überhaupt nicht aufrechterhalten,
weil Sie es sind, die weiter die Kriminalisierung der PKK
betreiben
({0})
und zulassen, dass Erdogan damit weitermacht . - Das ist
der erste Punkt .
Ich finde es sehr merkwürdig, dass Sie sich damit zufriedengeben, dass Waffen, die Sie geliefert haben, offensichtlich nur in Einzelfällen nicht mehr auffindbar sind
und man nicht weiß, wo sie gelandet sind . Was sagen Sie
denn dazu, dass die Peschmerga Teil der Repression im
Nordirak sind? Wir haben von Fällen gehört, in denen
Journalisten drangsaliert und ermordet wurden . Wir wissen aber auch, dass beispielsweise Demonstrationen von
den Peschmerga mit Repressionen überzogen werden .
Wie passt das mit einer ethischen Außenpolitik zusammen, der Sie hier scheinbar immer das Wort reden?
({1})
Frau Kollegin Obermeier .
Was für mich zählt, ist die Befreiung der Jesiden vom
IS . Hierbei leistet unsere Unterstützung der Peschmerga und leisten die Peschmerga einen wichtigen Beitrag .
Diese Unterstützung wollen wir nicht einstellen, sondern
fortsetzen .
({0})
Vielen Dank . - Die Aussprache ist damit beendet .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräf-
te der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der ira-
kischen Streitkräfte. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10968, den
Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10820
anzunehmen . Wir stimmen nun über die Beschlussemp-
fehlung namentlich ab .
Mir liegen hierzu zwei persönliche Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Ich bitte jetzt, die Plätze an den Urnen zu besetzen . -
Nach meinem Eindruck sind alle Plätze an den Urnen
besetzt . Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung .
1) Anlage 2
Gibt es noch ein Mitglied dieses Hauses, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat?
({0})
- Es gibt viele Urnen, an denen es keinen Andrang gibt .
Würden auch diese mehr genutzt, würde alles etwas
schneller passieren . - Ich sehe jetzt niemanden mehr, der
noch nicht abgestimmt hat .
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben .2)
Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen und die Verabschiedung des Außenministers außerhalb des Plenarsaals vorzunehmen . Herr Außenminister, die Abschiedszeremonie sollte vor den Türen stattfinden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom
Drucksachen 18/3050, 18/3749
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre hier
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Florian Post, SPD-Fraktion .
({2})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Es stimmt, dass eine ungleiche Belastung
der einzelnen Bundesländer bei den Kosten der Energie-
wende gegeben ist . Gerade durch den schnellen Ausbau
der erneuerbaren Energien in den neuen Bundesländern
ist hier der Netzausbaubedarf stark gestiegen . Zugleich
werden diese Kosten in ländlich geprägten Regionen auf
vergleichsweise wenige Verbraucher umgelegt . Dies hat
zu deutlichen Steigerungen der Netzentgelte vor allem in
der Regelzone von 50Hertz geführt . Auch Bayern hatte
in TenneTs Regelzone überdurchschnittliche Erhöhun-
gen der Netzentgelte zu verkraften .
Ich möchte kurz aus dem Koalitionsvertrag zitieren:
Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf
eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der
Netzinfrastruktur überprüfen .
Die Frage dieser bundesweiten Neuverteilung der Be-
lastungen ist sicherlich keine Frage, die man allein mit
Blick auf den Kompass beantworten kann . Bei den Netz-
entgelten geht es auch um Anreize für die Betreiber, um
technische Weiterentwicklungen für die neuen Heraus-
2) Ergebnis Seite 21533 C
forderungen der Energiewende und darum, inwieweit
wir Leistungskomponenten für diese Weiterentwicklung
brauchen . Auch das wird im Koalitionsvertrag adressiert. Man muss aufpassen, dass man Anreize für Effizienzmaßnahmen gibt und gleichzeitig eine ungerechte
Kostenverteilung vermeidet . Natürlich muss man immer
berücksichtigen, dass die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist .
Wir haben in dieser Wahlperiode bereits viele Maßnahmen ergriffen, um dieses Gerechtigkeitsproblem bei
der Verteilung der Stromkosten zu bewältigen . Wir haben
eine bundesweite Wälzung der Kosten, die bei der Anbindung der Offshorewindparks entstehen, eingeführt . Auch
die Kosten für den Bau der benötigten Gleichstromübertragungsleitungen, um die Netzengpässe schrittweise
zu beseitigen, werden bundesweit umgelegt werden .
Ebenso wird die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
deutschlandweit gewälzt . Mit der Einrichtung von Netzausbaugebieten verhindern wir zudem weitere regionale
Kostensteigerungen für die Redispatch-Maßnahmen . Darüber hinaus sorgen wir mit der Novellierung des EEG
für mehr Berechenbarkeit und Kostenkontrolle beim
Ausbau weiterer erneuerbarer Energien . Aber wir dürfen
das alles nicht in einem Hauruckverfahren umsetzen .
Mit dem Entwurf für das Gesetz zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur gehen wir nun eine weitere Baustelle an, die der vermiedenen Netznutzungsentgelte . Würden wir diese aber erst einfrieren und dann
schrittweise abschmelzen, würden wir hier weder mehr
Transparenz noch mehr Gerechtigkeit herstellen . Das ursprüngliche Ziel dieser Regelung war ja gerade, dass wir
dezentrale Erzeugungsanlagen durch die Auszahlung der
vermiedenen Netzentgelte dafür belohnen wollten, dass
sie durch eine lastnahe Erzeugung und dezentrale Einspeisung die Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze einsparen . Dieses Ziel wird zum Teil nicht mehr
erreicht . Aber auch hier heißt es für uns: Lieber gewissenhaft zu arbeiten, als schnell Fehler zu machen .
Inwieweit eine Abschmelzung der vermiedenen Netznutzungsentgelte gerade bei nicht volatiler Versorgung
sinnvoll ist, müssen wir im parlamentarischen Verfahren
hier noch dringend klären . Die vermiedenen Netzentgelte tragen bei vielen Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in ähnlich hohem Maße zur Kostendeckung
wie die KWK-Förderung selbst bei, die wir hier ja erst
vor kurzem gemeinsam beschlossen haben .
Wenn die Wirtschaftlichkeit dieser klimaschonenden
Technologie durch das NEMoG nun wieder gefährdet
werden würde, könnten wir das wirklich niemandem vermitteln, insbesondere nicht den vor allem in Ostdeutschland ansässigen betroffenen Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen . Gerade deshalb glaube ich, dass
die Beteiligung der Länder und eine gründliche parlamentarische Prüfung dieses Gesetzesvorhabens von besonderer Bedeutung sind .
Eine umfassende Neugestaltung der Netzentgelteund Umlagesystematik ist geboten . Eine Umverteilung
mit der Gießkanne kann aber sicherlich nicht die Lösung
sein . Ein gewissenhaft ausgestaltetes NEMoG ist ein
wichtiger Schritt für eine gerechte Verteilung der Lasten
in Deutschland; eine blinde Wälzung wäre es hingegen
nicht .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({0})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion Die
Linke ist der Kollege Roland Claus .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Stromkundinnen und Stromkunden! Bereits im November des Jahres 2014 hat meine Fraktion diesen Antrag gestellt, und er ist leider nicht veraltet; so viel zum Thema
„Hauruckverfahren“ . Also an Zeit zu gründlichen Entscheidungen hat es nicht gemangelt . Wir haben auch abgewartet, weil wir ein wenig auf die Lernfähigkeit dieser
Koalition gebaut haben . Aber das war offenkundig ein
Fehler .
Gegenstand unseres Antrages ist, dass wir es mit starken regionalen Ungerechtigkeiten bei den Gebühren für
Stromnetze zu tun haben, und natürlich haben wir mit
dem Antrag angestrebt, diese Ungerechtigkeiten zu überwinden . Fakt ist aber nach wie vor: Der Osten subventioniert Strom in West- und in Süddeutschland . Das wollen
wir so nicht weiter haben, meine Damen und Herren .
({0})
Ich war Anfang dieses Jahres mit anderen Bundestagskollegen am Chemiestandort in Leuna . Wir wollten die
Möglichkeiten ausloten, künftig Batterien ohne Metalle
herzustellen . Wir sind dann auch gut ins Gespräch gekommen; aber zunächst mussten wir uns von der chemischen Industrie Sätze arger Enttäuschung und Forderungen anhören, die angesprochenen Ungerechtigkeiten in
diesem Gesetz zu beseitigen und gerechte Nutzungsentgelte zu schaffen .
Es gab aus dem Bundeswirtschaftsministerium mit
dem Gesetz zur Modernisierung der Netzentgelte das
Versprechen, eine Vereinheitlichung vorzunehmen . Bundesminister Gabriel war nach einer intensiven Debatte im
Haushaltsausschuss selbst in Leuna . Dieses Versprechen,
diese Zusage, wurde nun nicht eingehalten . Da muss es
Sie nicht wundern, meine Damen und Herren, dass der
Landesverband Nordost der chemischen Industrie hier
eine Lex Nordrhein-Westfalen vermutet, nämlich eine
Besserstellung wegen der Landtagswahl .
Im Antrag der Linken sind die Probleme uneinheitlicher Netzkosten anhand von Beispielen belegt . Wir haben es mit Mehrkosten von bis zu 100 Prozent zu tun, sowohl bei privaten Verbrauchern vor allem im ländlichen
Raum, aber natürlich vor allem bei der energieintensiven
Industrie . So werden die Bundesländer mit hohem Anteil
an erneuerbaren Energien nun mit den gleichen Instrumenten, mit denen sie einmal gefördert wurden, bestraft .
Das ist ein Treppenwitz der Wirtschaftsgeschichte - aber
ein schlechter Treppenwitz, müssen wir Ihnen sagen .
({1})
Bundesminister Gabriel hat heute Morgen bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts den Satz gesagt,
wir hätten es mit einer gelungenen Energiewende zu tun .
Die Stromrechnung vieler Verbraucher und die Energiekostenanteile in der Industrie sprechen eine deutlich andere Sprache .
({2})
Nun erfahren Sie zu Recht Widerspruch, vor allem
aus den ostdeutschen Ländern . Ministerpräsident Tillich
aus Sachsen wendet sich im Namen aller seiner Ministerpräsidentenkolleginnen und -kollegen an den Bundeswirtschaftsminister . Das Land Thüringen kündigt eine
Bundesratsinitiative an . Sie werden dieses Thema heute also nicht los . Die Umweltministerin von Thüringen
sagt wörtlich: „Diesen Wortbruch wollen wir nicht hinnehmen .“ Da muss ich sagen: So etwas kann das Wirtschaftsministerium doch nicht einfach aussitzen, meine
Damen und Herren . Ministerpräsident Tillich aus Sachsen schreibt der Bundesregierung:
Angesichts weiterer struktureller Nachteile der ostdeutschen Länder ist dies nicht hinnehmbar .
Bekanntlich wird von der Unionsfraktion in diesem
Hause alles, aber auch alles, was von der Linken vorgeschlagen wird, abgelehnt, und zwar nur deshalb, weil es
von der Linken kommt .
({3})
Das, meine Damen und Herren, ist angesichts der Tatsache, dass Ihr Kollege Michael Fuchs heute Morgen selbst
über Probleme im Energiesektor geklagt hat, wirklich
eine Politik von gestern . Das ist so von gestern und so
daneben, dass ich das im Osten inzwischen keinem mehr
erklären kann . Die Wählerinnen und Wähler glauben mir
gar nicht, dass Sie so von gestern sind. Ich finde ja, die
Union ist klüger, als sie bei Abstimmungen hier demonstriert . Heute hätten Sie die Möglichkeit, das ein einziges
Mal zu zeigen .
({4})
Deshalb meine Aufforderung an die Union: Heute Hände
hoch, wenn es um die Abstimmung über den Antrag der
Linken geht!
({5})
Vielen Dank . - Ich möchte Ihnen, bevor ich den
Kollegen Bareiß aufrufe, noch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na
mentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene
Stimmen 557 . Mit Ja haben gestimmt 444, mit Nein haben gestimmt 67, Enthaltungen gab es 46 . Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 557;
davon
ja: 444
nein: 67
enthalten: 46
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({1})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({2})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({3})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({4})
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({5})
Stefan Müller ({6})
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({7})
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({8})
Gabriele Schmidt ({9})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({10})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho‑Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Dr . Thomas Gambke
Tom Koenigs
Fraktionslos
Erika Steinbach
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
René Röspel
Dr . Nina Scheer
Swen Schulz ({30})
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff ({31})
DIE LINKE
Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({32})
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
({33})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Irene Mihalic
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({34})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Maria Klein-Schmeink
Stephan Kühn ({35})
Christian Kühn ({36})
Renate Künast
Markus Kurth
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({37})
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({38}) aufgeführt.
Jetzt hat der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . - Bitte schön .
({39})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Claus hat noch gesagt: Liebe Stromkundinnen und
liebe Stromkunden! Auch ich möchte das in aller Offenheit so sagen . - Lieber Herr Claus, unsere Hände gehen
immer hoch, wenn es darum geht, die Energiewende bezahlbar zu gestalten . Leider haben wir von Ihnen in den
letzten Jahren nichts dazu gesehen . Wir haben in zwei
großen EEG-Novellen versucht, die Kosten für die erneuerbaren Energien in den Griff zu bekommen . Wir
haben auch versucht, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben . Lieber Oliver Krischer, auch von
euch haben wir da wenig gesehen .
({0})
Wir haben versucht, die Kosten in den Griff zu bekommen, indem wir gesagt haben: Wir müssen den Netzausbau gemeinsam mit dem Ausbau der erneuerbaren
Energien in den Griff bekommen und beides zusammenführen . Wir haben auch gesagt: Wir wollen den Ausstieg
aus dem EEG, hin zu einem Wettbewerbsmodell, hin zu
Ausschreibungen . - Auch da kam von Ihnen null Komma
null . Wir haben in vielen, vielen Einzelschritten versucht,
die Energiewende bezahlbar zu gestalten . Von Ihnen kam
da nichts . Da haben Sie einiges versäumt .
Ich glaube, das, was Sie heute vorgelegt haben, ist etwas Rückwärtsgewandtes . Wissen Sie: Es geht nicht darum, dass wir hier Kostenverteilungsdebatten führen . Es
geht darum, dass wir versuchen, die Energiewende Stück
für Stück bezahlbarer, sicherer und umweltfreundlicher
zu gestalten . Wir sollten aber keine Verteilungsdebatten
führen, um dahin zu kommen, dass alle das Gleiche zahlen müssen . Das führt in die falsche Richtung . Ich glaube, wir müssen die Energiewende effizient gestalten.
Zu diesem Zweck haben wir vieles gemacht, und
wir werden in dieser Legislaturperiode auch noch einiges tun, meine Damen und Herren . Denn wir glauben,
wenn wir das nicht tun, wenn wir die Energiewende also
nicht bezahlbar gestalten, dann werden wir Arbeitsplätze verlieren, dann werden wir auch die Zustimmung der
Menschen zu diesem ganz, ganz großen Projekt verlieren, und dann werden wir es nicht schaffen, dass andere
Länder mitziehen und uns folgen . Das ist ja das, was wir
gemeinsam erreichen wollen: dass die Energiewende ein
Exportschlager wird und andere Länder in Europa, aber
auch außerhalb Europas mit uns mitziehen .
Ich glaube, wir brauchen eine ehrliche Debatte . Ich
sage ganz offen, dass es auch in unserer Fraktion, genauso wie in allen anderen Fraktionen, durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt . Vor diesem Hintergrund
möchte ich ein paar wenige Punkte, die meine beiden
Vorredner angesprochen haben, aufgreifen .
Ich glaube, die Energiewende ist im Kern ein lokales,
regionales Projekt . Sie wird vor Ort gestaltet . Wir haben
diese Idee in viele Gesetzgebungsinitiativen eingebracht .
Wenn man die Energiewende vor Ort gestaltet, dann
werden dort Chancen und Gewinne entstehen, aber auch
Herausforderungen und Kosten; das muss man ebenfalls
sehen . Das müssen wir zusammenbringen; denn nur so
wird die Energiewende ein stimmiges Konzept .
Lieber Herr Claus, dann muss man auch sagen, dass
nicht nur der Osten den Westen bezahlt, sondern dass
auch der Osten enorm von der Energiewende profitiert.
Dies anzusprechen, gehört ebenfalls zur Ehrlichkeit in
der Debatte . Wenn man sich den großen EEG-Topf anschaut: So profitiert derzeit allein Brandenburg jährlich
mit 850 Millionen Euro davon . Ihr Heimatland, lieber
Herr Claus, Sachsen-Anhalt, holt knapp 500 Millionen
Euro aus dem EEG-Topf . Das heißt, jeder Bürger Ihres
Landes profitiert von dem EEG‑Topf mit 230 Euro pro
Kopf .
({1})
Nordrhein-Westfalen - ich möchte mich nicht für dieses Land allein zum Anwalt machen - bezahlt die Veranstaltung mit jährlich 100 Millionen Euro . Auch das
müssen wir sehen . Ferner gibt es regional sehr unterschiedliche Sichtweisen . Es entstehen neue Arbeitsplätze
in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, an der
Küste,
({2})
auf der anderen Seite fallen aber auch Arbeitsplätze in
den Braunkohle- und Steinkohlerevieren weg . Auch dies
ist uns allen bekannt . Deshalb entstehen Ungleichheiten
vor Ort nicht nur im Bereich der Netzentgelte, wo wir
durchaus sehen, dass wir dort etwas tun müssen, sondern
auch in anderen Bereichen, Ungleichheiten, die wir sehen müssen, wenn wir das Gesamtbild betrachten wollen .
Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Die Energiewende ist ein lokales Projekt . Wir müssen die lokalen
Gegebenheiten berücksichtigen . Wir brauchen Potenzial
vor Ort . Wir können nur dort Windräder bauen, wo auch
tatsächlich Wind bläst, und wir können nur dort Anlagen
zur Solarenergiegewinnung aufbauen, wo die Sonne am
meisten scheint . Es gibt also nicht nur im Bereich der
erneuerbaren Energien Ungerechtigkeiten, sondern auch
in anderen Bereichen . Auch das gehört zur Wahrheit und
sollte zur Kenntnis genommen werden .
Wir brauchen in den nächsten Jahren enorme Investitionen im Bereich des Netzausbaues . Übertragungsnetze
müssen gebaut werden . Wir werden bis 2025 allein für
Übertragungsnetze 50 Milliarden Euro investieren müssen . Diese Summe ergibt sich dadurch, dass wir einen
Teil der Netze modernisieren müssen, aber auch dadurch,
dass die Energiewende uns neue Herausforderungen
stellt . Ein Großteil der Windenergie vom Norden muss in
den nächsten Jahren verstärkt in den Süden transportiert
werden .
Herr Kollege Bareiß, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der Kollege Claus würde Ihnen gern eine Frage stellen .
Gestatten Sie das?
Aber gerne . Ich freue mich darauf .
Bitte schön, Herr Kollege Claus .
Herr Kollege Bareiß, ich gehe einmal davon aus, dass
Ihnen auch der Brief des Ministerpräsidenten Tillich vorliegt . Er ist ja offenbar so etwas wie Ihr Parteifreund, jedenfalls sind Sie nach meiner Kenntnis beide in der CDU .
Wollen Sie damit sagen, dass die Argumente, die der
Ministerpräsident hier vorträgt und die vielen unserer Argumente ähneln und zum Teil wortgleich sind, für Sie
gegenstandslos und nicht verhandlungsfähig sind?
Herr Claus, ich habe in meiner bisherigen Rede dargestellt, dass die Energiewende viele Teilbereiche hat,
die gesehen werden müssen, und dass es in vielen Teilbereichen Ungleichheiten gibt, aber auch Chancen und
Risiken .
Ich habe auch gesagt, dass der Osten - Sachsen-Anhalt und Brandenburg, ich habe es klar beschrieben - in
vielen Bereichen von der Energiewende profitiert. Ich
habe aber auch nicht bestritten, dass es andere Bereiche
gibt, wie die Netzentgelte, in denen der Osten noch nachlegen muss, in denen man mehr tun muss und in denen es
Ausbaukosten gibt . Diese Kosten werden derzeit auf diese Bundesländer gewälzt . Es ist in Teilbereichen richtig,
was Sie gesagt haben . Aber daraus zu folgern, dass wir
alles sozialisieren müssen, das ist nicht richtig .
Ich denke, wir müssen fein differenzieren . Wenn Sie
noch etwas gewartet hätten, bis ich weitergesprochen
hätte, dann hätte ich Ihnen auch erklärt, dass wir die Kosten für Teile der Übertragungsnetze auch heute schon
bundeseinheitlich wälzen . Maßnahmen, die aus der Energiewende auf uns zukommen, beispielsweise die dreispurige Stromautobahn vom Norden in den Süden, werden
bundeseinheitlich gewälzt . Auch die Offshoreanbindung,
die im Norden geschieht, in der Ostsee und in der Nordsee, wird bundeseinheitlich gewälzt, lieber Herr Claus .
Ebenfalls werden andere Maßnahmen, beispielsweise
die Erdverkabelung in Niedersachsen, die dafür wichtig
ist, dass wir auch dort Akzeptanz für die erneuerbaren
Energien und den Netzausbau finden, bundeseinheitlich
gewälzt .
Das heißt, jeder hat ein Stück weit diese Kosten zu tragen . Es ist also richtig, dass wir die Kosten für gesamtstaatliche Aufgaben bundeseinheitlich wälzen . Ob dies
aber für jede Modernisierung der Übertragungsnetze gelten soll, da setze ich noch ein Fragezeichen; das sage ich
ganz offen .
Wir müssen auch darüber diskutieren, welche Konsequenzen das auf die Strompreise jedes Einzelnen in
Zukunft haben wird . Es wird speziell für die Industrie
Auswirkungen haben . Auch das müssen wir offen sagen;
das gehört zur Ehrlichkeit dazu . Die Netzentgelte für das
Übertragungsnetz machen bei Privathaushalten nur einen
Anteil von 3 bis 4 Prozent des Gesamtstrompreises aus,
aber bis zu 100 Prozent bei den sehr großen Industrieunternehmen, die am Anfang der Wertschöpfungskette
stehen . Die Unternehmen, die beispielsweise Aluminium
produzieren, haben teilweise 100 Prozent der Entgelte
für das Übertragungsnetz zu tragen . Sie würden ganz
besonders stark von bundeseinheitlichen Wälzungen in
Mitleidenschaft gezogen werden . Das würde eine enorme Gefahr für unseren Industriestandort Deutschland bedeuten . Ich glaube, auch das müssen wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen .
Das Projekt, das Sie angestoßen haben und das wir
auch diskutieren werden, darf nicht dazu führen, dass wir
Arbeitsplätze in Gesamtdeutschland verlieren . Das wäre,
glaube ich, der falsche Weg in Bezug auf die Energiewende .
({0})
- Ich glaube, das hat durchaus ein paar Klatscher verdient .
({1})
Sie haben die Verteilnetze angesprochen, die ebenfalls wichtig sind . 98 Prozent unserer Netze im Niederspannungsbereich sind Verteilnetze . 90 Prozent aller
EEG-Anlagen werden an die Verteilnetze vor Ort angeschlossen . Hier sieht man ganz konkret, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energie auf der einen Seite und dem notwendigen
Ausbau der Netzinfrastruktur auf der anderen Seite gibt .
In diesem Bereich sehe ich - im Gegensatz zu den Linken - bundeseinheitliche Wälzungen nicht als notwendig
an .
In Ihrem Antrag haben Sie Düsseldorf und das Havelland verglichen . Das Havelland hat 600 Windräder . Dort
ist in den letzten Jahren Wertschöpfung entstanden, was
zu Arbeitsplätzen geführt hat . Daran sieht man, dass auch
eine Region von solchen Projekten profitiert und entsprechend höhere Netzkosten tragen muss .
Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten Jahren leider erleben, dass die Netzkosten weiter
steigen werden . Wir werden weiter investieren müssen,
damit der Netzausbau gelingt . Deshalb brauchen wir eine
sinnvolle Verteilung der Netzausbaukosten . Das ist unserer Fraktion sehr wichtig . Deshalb werden wir uns mit
diesen Themen in den nächsten Wochen beschäftigen .
Mit dem NEMoG, dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, werden wir das Thema „vermiedene Netzentgelte“
angehen . Auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag . Dadurch werden wir 57 Millionen Euro umschichten, und
auch die neuen Bundesländer werden mit 200 Millionen
Euro ganz konkret davon profitieren können.
Meine Damen und Herren, mit Verteilungsdebatten
werden wir die Energiewende nicht zum Gelingen bringen . Wir brauchen Debatten zu den Themen Energiesicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit . Ich
glaube, dass wir hier in den letzten vier Jahren sehr viel
gemacht haben und dass wir mit dem NEMoG in den
nächsten Monaten den entscheidenden Baustein setzen
werden .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
der Kollege Oliver Krischer das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Worum geht es eigentlich? Netzentgelte machen ungefähr 25 Prozent unseres Strompreises aus . Damit wird
das gesamte Stromnetz finanziert. Hier unterteilt man
zwischen dem Übertragungsnetz - das sind die großen
Masten - und dem Verteilnetz, bei dem die Kabel in den
Straßen unserer Städte liegen .
({0})
Dieses Thema ist wichtig, weil die Netzentgelte dringend
reformbedürftig sind .
({1})
Heute wird nämlich einfach über die Kilowattstunde bezahlt, egal ob das Netz belastet oder unbelastet ist . Die
meisten privaten Verbraucher zahlen einfach einen Kilowattstundenpreis . Viele Industriekunden zahlen gar
nichts, und manche - das wissen wir alle - belasten sogar
das Netz, verhalten sich netzschädlich und bekommen
dann noch Anreize . Das alles gehört dringend reformiert .
Das hat die Bundesregierung auch erkannt . Wenn man
im Grünbuch und im Weißbuch nachliest, dann sieht
man, dass das alles drinsteht . Leider sind wir jetzt am
Ende der Legislaturperiode . Sigmar Gabriel verabschiedet sich aus dem Amt, und eine Lösung dieses Reformbedarfs ist nicht erkennbar . Ich sage ehrlich: Das ist im
Rahmen der Umsetzung der Energiewende ein Fall, bei
dem diese Bundesregierung versagt hat . Das muss man
an dieser Stelle ganz klipp und klar sagen .
({2})
Man hebt sich dies für spätere Zeiten auf .
Eben wurde schon das NEMoG erwähnt . Das ist aber
nur der Torso eines Gesetzes . Es mag einmal in der Überlegung gewesen sein, dass dieser Entwurf einen Reformansatz für die Netzentgelte liefern sollte . Jetzt steht da
nur noch, dass die vermiedenen Netzentgelte langsam
abgeschmolzen werden sollen . Das ist ein kleiner Baustein dieses ganzen Themas . Man beantwortet damit noch
nicht einmal die Frage, wie man die Kraft-Wärme-Kopplung, die man ausbauen will und deshalb fördert, die aber
unter den vorgesehenen Regelungen leiden würde, erhalten will . Diese Frage wird nicht beantwortet . Das ist ein
Armutszeugnis für die Bundesregierung .
({3})
Sigmar Gabriel hinterlässt uns hier Trümmer der Energiewende; das kann man an dieser Stelle nicht anders
sagen .
Genauso wird nach wie vor nicht angegangen, Transparenz bei den Netzentgelten zu schaffen . Es kann doch
nicht sein, dass wir in Deutschland Monopolbetriebe haben und uns öffentlich nicht bekannt ist, was dort wie viel
kostet . Ich kann mir meinen Netzbetreiber nicht aussuchen und muss zahlen . Dann erwarte ich aber schon, dass
hier umfassende Transparenz hergestellt wird . Das ist
im Energiewirtschaftsgesetz verankert, wird aber nicht
umgesetzt . Das müsste mit klaren Regelungen hinterlegt
werden .
({4})
Damit komme ich zu dem Antrag der Linken . Das ist
natürlich auch eine Frage der Regionalität . Ich hatte es
bisher, Herr Bareiß, in diesem Haus als Konsens wahrgenommen, dass die Netzentgelte für das Übertragungsnetz
bundeseinheitlich gewälzt werden sollen . Das ist auch
sinnvoll . Man kann doch niemandem erklären, dass die
Menschen für eine große Stromleitung vor ihrer Haustür
zahlen sollen, auch wenn der Strom in ein ganz anderes
Netzgebiet geführt wird .
({5})
Das finde ich nicht in Ordnung. Deshalb sollte eine entsprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen werden . Das war so angekündigt, und in ersten Entwürfen,
die wir in der Straßenbahn gefunden haben, stand das
auch drin . Warum diese Regelung herausgefallen ist,
verstehe ich nicht . Da drückt sich die Große Koalition
offensichtlich wieder einmal vor einer schwierigen Entscheidung . Man hätte hier Führung zeigen und eine klare
Linie verfolgen können .
({6})
Herr Claus, was die Linkspartei in ihrem Antrag
schreibt, auch wenn er schon zwei Jahre alt ist, macht die
Sache nicht besser. Daraus einen Ost‑West‑Konflikt zu
machen, finde ich, ehrlich gesagt, skurril.
({7})
- Doch . Ich habe hier die Rede von Herrn Claus gehört .
({8})
Das Problem besteht nicht nur zwischen Ost und West .
Das ist in Deutschland viel komplizierter . Schauen Sie
nach Bayern und nach Schleswig-Holstein! Da gibt es
eine ganze Menge Unterschiede .
({9})
Was ich falsch finde - und da bleibt Ihr Antrag leider
unklar -, ist Ihre Argumentation in Bezug auf die Verteilnetzbetreiber . Ich hatte es bisher immer so wahrgenommen, dass die Linke, wie wir auch, dafür kämpft, dass
Kommunen ihre Verteilnetze selber betreiben können,
dass die Netze also in der Verantwortung der Kommunen
bleiben . Wenn Sie aber anfangen, die Gebühren für die
Verteilnetze - ich rede nicht von den Übertragungsnetzen - bundesweit zu wälzen, dann entsteht dadurch nicht
nur ein bürokratisches Monstrum . Damit geben Sie zudem den Anhängern einer neoliberalen Regelung, die die
Rolle der Stadtwerke mit Blick auf die Verteilnetze gerne
beschränken wollen - dazu gehört auch Herr Homann
von der Bundesnetzagentur -, die passenden Argumente
an die Hand . Deshalb sage ich nur: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Da passen Ihre Argumente nicht zusammen .
Bei den Übertragungsnetzbetreibern brauchen wir
eine bundeseinheitliche Wälzung, aber bei den Verteilnetzbetreibern sehe ich diese Notwendigkeit nicht . Ich
will dezentrale, möglichst kommunale Stadtwerke, die
die die Netze vor Ort effizient betreiben und die Gebühren am besten gestalten . Das muss unser gemeinsames
Ziel im Sinne der Energiewende sein .
Danke schön .
({10})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Thomas Jurk,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linken
kommt relativ schlicht daher . Es wird begehrt, nur einen einzigen Satz zu beschließen . Ich stelle fest: Dieser
Antrag ist sicher gut gemeint, geht aber sowohl an der
Struktur der Netze als auch an der aktuellen politischen
Debatte vorbei .
Kollege Krischer, ich habe mir einmal die Debatte
vom 14 . November 2014 angeschaut . Da sind Sie von
dem früheren energiepolitischen Sprecher Dirk Becker
gelobt worden . Deswegen brauche ich das an dieser Stelle nicht zu machen . Sie liegen ausnahmsweise einmal
völlig richtig . Das Bashing gegen Sigmar Gabriel will
ich hier nicht kommentieren .
Es macht aber keinen Sinn, alle Netzebenen in einen
Topf zu werfen; denn das hieße gleichsam, das Kind
mit dem Bade auszuschütten . Es geht neben den vermiedenen Netzentgelten aktuell um die Übertragungsnetzentgelte der vier großen Übertragungsnetzbetreiber
Amprion, TransnetBW, TenneT und 50Hertz . Wir stellen
fest, dass die Preisunterschiede in den jeweiligen Netzgebieten erheblich sind . Je nachdem, ob man bei einem
günstigen Übertragungsnetzbetreiber zu Hause ist oder
bei einem teureren, bekennt man sich - bis auf wenige
Ausnahmen - für oder gegen eine bundesweite Wälzung
der Netzentgelte .
Es ist wirklich kein Ost-West-Thema; einige Redner
haben bereits darauf hingewiesen . Denn bei bundesweit gleichen Übertragungsnetzentgelten würden die
Verbraucher in zwölf Bundesländern profitieren. In vier
Ländern würden die Übertragungsnetzentgelte steigen .
So ist es nicht verwunderlich, dass in Ländern mit zukünftig höheren Netzkosten bei einer bundesweiten Wälzung der größte Widerstand zu verzeichnen ist . Auch die
CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag verlangt vom
Kanzleramt den Stopp entsprechender Neuregelungen,
sieht man doch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen
Industrie bedroht . Aktuell erreicht die Bundeskanzlerin
Post von 87 Unternehmen, Verbänden und Kammern
aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Hannover und den
ostdeutschen Bundesländern . Lassen Sie mich kurz aus
diesem aktuellen Brief - er wurde bereits veröffentlicht Oliver Krischer
zitieren . Unter dem Stichwort „Ungerecht und nicht zukunftsfähig“ heißt es:
Erneuerbare Energien werden vor allem in dünnbesiedelten und eher ländlich geprägten Regionen erzeugt . Die Kosten für die Netzintegration verteilen
sich dort also auf wenige Verbraucher . Gleichzeitig
produzieren diese Regionen einen Überschuss an
günstigem Strom, von dem alle Kunden in Deutschland profitieren. Es ist daher nicht nachvollziehbar,
weshalb gerade diese Regionen überproportional
hohe Netzentgelte zahlen müssen .
Weiter heißt es unter dem Stichwort „Volkswirtschaftlich
widersinnig“:
Das teils deutlich auseinanderliegende Übertragungsnetzentgelt benachteiligt bestehende Gewerbe- und Industriestandorte, setzt Fehlanreize für die
Neuansiedlung von Industrie und Gewerbe in den
betroffenen Regionen und zieht damit erhebliche
volkswirtschaftliche Nachteile nach sich .
Recht so .
Ich finde es bemerkenswert, dass sich Michael Fuchs
von der CDU/CSU-Fraktion heute Morgen in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht für bundeseinheitliche Übertragungsnetzentgelte ausgesprochen hat . Beim
Kollegen Bareiß habe ich nicht ganz erkennen können,
was er davon hält . Er hat ein bisschen um den heißen
Brei herumgeredet . Aber ich gestatte mir einen Hinweis
zu den Profiteuren des EEG‑Topfes: Man muss immer
genau schauen, wer Eigentümer der Anlagen ist, die aus
dem EEG‑Topf finanziert werden. Das müssen nicht
unbedingt Leute aus Brandenburg oder Sachsen-Anhalt
sein .
({0})
Lieber Kollege Krischer, das kann ich Ihnen jetzt nicht
ersparen; denn ich lese auch, was Ihre Parteifreunde in
meinem Heimatbundesland Sachsen von sich geben . Ich
rate Ihnen, Ihre Kollegen ein bisschen aufzuschlauen .
Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Sächsischen Landtag hat übrigens gesagt, er sei gegen eine
bundesweite Wälzung, und beruft sich dabei auf das Gutachten von Amprion .
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Bundeseinheitliche Übertragungsnetzentgelte sind für mich kein Akt der
Solidarität . Vielmehr sind sie ein Gebot der Gerechtigkeit .
({1})
Gerecht ist, wenn deutschlandweit alle Verbraucher in
gleichem Maße an der Finanzierung der Übertragungsnetze beteiligt werden . Bei der Anbindung von Offshorewindanlagen und Erdkabeln gibt es eine bundesweite
Wälzung längst; das wurde in der Debatte bereits angesprochen . Bei Redispatch-Kosten und Einspeisemanagement wäre das meines Erachtens auch gerechtfertigt .
Ich habe die Hoffnung, dass es uns gelingt, noch in
dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages
eine bundesweite Wälzung der Übertragungsnetzentgelte
zu beschließen .
({2})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr . Andreas Lenz, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man Herrn Jurk zugehört hat, könnte man fast glauben,
dass die CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen über
Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel - diese will noch
dazu Herr Krischer in der U-Bahn gefunden haben - entscheiden kann . Ich glaube das nicht . Letztlich kommen
die Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel .
Wir beraten heute einmal mehr über den Antrag der
Fraktion Die Linke über bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom . Wir hatten im Koalitionsvertrag festgelegt,
dass wir das System der Netzentgelte überprüfen werden,
insbesondere ob es den Anforderungen der Energiewende noch gerecht wird, und zwar vor allem im Hinblick
auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der
Netzinfrastruktur .
Es gibt in Deutschland vier große Übertragungsnetzbetreiber. Dies hat historische und keine sachspezifischen
Gründe . Jeder Betreiber hat eine eigene Regelzone und
damit auch ein eigenes Netzentgelt . Die meisten Kosten
verbleiben im jeweiligen Netzgebiet, also auch die Kosten für Regelenergie, für die Redispatch-Maßnahmen,
die Kosten für das Einspeisemanagement und eben auch
die Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze . Die
Übertragungsnetzentgelte werden damit immer mehr
durch Umstände bestimmt, die der einzelne Übertragungsnetzbetreiber nicht beeinflussen kann.
Der Ausbau der Höchstspannungsnetze ist bekanntermaßen für den Transport der Windenergie von Nord
nach Süd und des Photovoltaikstroms von Süd nach Nord
wichtig . Die Kostenaufteilung nach Netzgebieten führt
dazu, dass die Übertragungsnetzentgelte je nach dem
jeweiligen Netzgebiet unterschiedlich stark ansteigen .
Bereits heute gibt es erhebliche regionale Unterschiede .
Wenn man das Kalenderjahr 2017 anschaut, dann sieht
man, dass allein in diesem Jahr die Übertragungsnetzgebühr der TenneT um circa 80 Prozent gestiegen ist, bei
Amprion im Vergleich dazu um lediglich 10 Prozent .
Nun ist klar, dass der Netzausbau - darin sind wir uns,
glaube ich, einig - für die Energiewende absolut notwendig ist . Die Energiewende wiederum - so heißt es auf
jeden Fall immer - ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Auch deshalb sollten die Kosten des Netzausbaus,
die der Energiewende geschuldet sind, von der Gesamtheit getragen werden .
({0})
Ich vergleiche das gerne mit dem System der Bundesautobahnen . Es würde niemand darauf kommen, die
Autobahn, die beispielsweise durch die Oberpfalz oder
durch das schöne Mecklenburg-Vorpommern führt, der
jeweiligen Region in Rechnung zu stellen, die damit
durchschnitten wird . Auch die Bundesnetzagentur sieht
eine Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte als
Chance für eine Angleichung des Netzentgeltniveaus und
hält diese aufgrund der gemeinschaftlichen Aufgabe der
Übertragungsnetzbetreiber auch für gerechtfertigt .
Natürlich brauchen wir Übergangsfristen, und natürlich müssen wir auch unterschiedliche Investitionen aus
der Vergangenheit berücksichtigen . Aber wenn wir nichts
machen - da dürfen wir uns nichts vormachen -, dann
wird der Abstand bei den Netzkosten zwischen den Netzzonen noch größer werden . Es geht hier nicht um einen
Markt zwischen den Übertragungsnetzbetreibern; den
gibt es nämlich nicht, allein schon aus Definitionsgründen . Es geht darum, einheitliche Marktvoraussetzungen
für den Mittelstand und Unternehmen, die sich am Markt
bewegen und im Wettbewerb zueinander stehen, zu
schaffen . Das sind wir als Regelsetzer dem Wettbewerb
schuldig .
Anders ist es - das wurde schon angesprochen - im
Bereich der Verteilnetze, also dem Netzbereich der Niederspannung . Ich will hier noch einmal den Vergleich zu
den Straßen ziehen . Auch der Kollege Krischer hat angesprochen, dass es im Bereich der Gemeinde- und Kreisstraßen ebenso widersinnig wäre, wenn wir den Kommunen die Verantwortung entzögen und diese auf die höhere
Ebene verlagerten . So ist es auch bei den Verteilnetzen .
Unter anderem müsste sonst ein Ausgleich unter den
rund 900 Verteilnetzbetreibern organisiert werden . Es
würde ein massiver bürokratischer Aufwand entstehen . Es gibt eine Zwischenfrage .
Sie gestatten die Zwischenfrage, entnehme ich daraus .
Ja .
Bitte schön, Herr Kollege Freese .
Schönen Dank, Herr Lenz, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten .
Ich habe mit Interesse zugehört und einen Vorschlag
erkennen können, der eine andere Finanzierung der Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vorsieht .
Die Finanzierung ist, denke ich, dann wahrscheinlich
über den Haushalt zu regeln . Spannend für uns ist, weil
wir das ansatzweise bei uns diskutieren, die Frage: Ist
das Diskussionsstand innerhalb der CDU/CSU-Fraktion,
und haben Sie hierzu eine geschlossene Meinung, oder
ist es Ihre persönliche Meinung, die Sie gerade vorgetragen haben?
Es freut mich natürlich immer, wenn mir zugehört
wird .
({0})
Die andere Frage ist, ob das, was ich sage, auch verstanden wird .
({1})
Ich habe gesagt, dass die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und deswegen die Kosten
der Energiewende - hier spreche ich über die Kosten der
Übertragungsnetze - nicht auf einer Region lasten bleiben dürfen .
Jetzt gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie man hier
zu einer Wälzung, also zu einer Angleichung, kommen
könnte . Meine Intention ist, dass man das nicht haushalterisch löst, sondern im System der Übertragungsnetzentgelte bleibt, aber bundesweit zu einer Angleichung
kommt . Hier muss man schauen, dass die Investitionen,
die bei den einzelnen Übertragungsnetzbetreibern in der
Vergangenheit geleistet wurden, in solch einem Mechanismus mit berücksichtigt werden .
({2})
Wie gesagt: Anders ist die Sache bei den Verteilnetzen .
Deswegen brauchen wir hier auch andere Lösungen .
Es wurde auch seitens der Bundesnetzagentur in einer
Stellungnahme verkündet, dass sie bei den Verteilnetzen
nichts von einheitlichen Netzentgelten hält .
Ich will noch kurz auf die vermiedenen Netzentgelte
zu sprechen kommen . Es ist es ja so, dass die Annahme,
der Zubau von dezentralen Anlagen im Zusammenhang
mit erneuerbaren Energien würde den Bedarf an Netzausbau verringern und so in zunehmendem Maße Infrastrukturkosten vermeiden, sich nicht bestätigt hat . Im
Gegenteil: Teilweise bedingt er sogar einen zusätzlichen
Netzausbau . Ich bin der Meinung, dass man hier trennen muss zwischen den stark volatilen Erneuerbaren wie
Wind und Photovoltaik und den tatsächlich netzdienlichen Erneuerbaren, aber auch anderen Energiequellen,
die den Bedarf an Netzausbau entsprechend entlasten .
Die Linke will alle Netzentgelte bundesweit vereinheitlichen . Wenn Sie so tun, als ob für den Osten der Republik nichts getan würde, dann ist das der eigentliche
Treppenwitz, der hier verkündet wurde . Man muss bei
der Frage der Netzentgelte sicherlich genauer hinschauen und zwischen Verteilnetzen und Übertragungsnetzen
unterscheiden .
Wir werden uns mit der Frage der Netzentgelte weiter
intensiv befassen und eine Lösung finden. Entscheidend
ist, einen Rahmen zu schaffen, der den notwendigen
Netzausbau voranbringt und die Kosten der Energiewende gerechter verteilt . Der Thematik nehmen wir uns an,
Ihren Antrag lehnen wir ab .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3749, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/3050 abzulehnen . Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfrak-
tionen . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Linke . Wer
enthält sich? - Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({0}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Zweite Verordnung zur Änderung der Sport
anlagenlärmschutzverordnung
Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr. 2,
18/11006
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar,
Dr . Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Dreizehntes Ge
setzes zur Änderung des BundesImmissions
schutzgesetzes
Drucksache 18/10859
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Drucksache 18/11006
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Monika Lazar, Christian Kühn ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sport und Alltag verbinden - Lärmschutzre
geln für Sportanlagen den heutigen Anforde
rungen anpassen
Drucksachen 18/4329, 18/11006
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . - Ich eröffne die
Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die
Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks .
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es zieht die Menschen in die Städte; wir erleben seit einigen Jahren einen starken und ungebremsten Trend . Wir
brauchen deswegen in unseren Städten neue Wohnungen - viele neue Wohnungen, wie wir alle wissen . Wir reden in der Wohnungspolitik über bezahlbaren Wohnraum
und Neubau, über Nachverdichtung und Aufstockung,
das Schließen von Baulücken und das Erschließen von
Baulandreserven . Es ist außerdem richtig, dass wir über
Menge, also über Quantität, reden . Aber wir dürfen dabei
die Qualität des Lebens in unseren Städten nicht aus den
Augen verlieren . Das Leben in den Städten muss lebenswert bleiben . Dazu gehört beispielsweise auch der Sportplatz um die Ecke . Deswegen muss der Breiten- und
Freizeitsport seinen wichtigen Platz in unseren Städten
und Gemeinden behalten .
({0})
In der Praxis erleben wir allerdings wegen der fortschreitenden Verdichtung der Ballungsräume auch eine
Zunahme von Nachbarschaftskonflikten, nicht zuletzt
mit dem Sport . Sportanlagen werden zunehmend in der
Nutzung eingeschränkt oder sogar in die Außenbereiche
verdrängt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wollen
wir entgegentreten; denn Sportangebote gehören in die
Mitte unserer Gesellschaft, auch in den Ballungsräumen .
({1})
Deshalb liegt Ihnen heute die Novelle zur Sportanlagenlärmschutzverordnung - ein schwieriges Wort - zur
Beratung vor . Ziel der Novelle ist es, eine intensivere
Nutzung von Sportanlagen zu ermöglichen und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen .
In ihrer aktuellen Fassung ist die Sportanlagenlärmschutzverordnung mehr als 25 Jahre alt . Sie stammt aus
dem Jahr 1991 . Natürlich hat sich die Welt seitdem verändert . Es ist Zeit für einige gezielte Anpassungen . So
wollen wir die Emissionsrichtwerte für die abendlichen
Ruhezeiten sowie für die Ruhezeiten an Sonn- und Feiertagen von 13 bis 15 Uhr um 5 Dezibel erhöhen und damit auf das Niveau der übrigen Zeiten bringen . Praktisch
heißt das: Mit dieser Änderung wird der Zeitraum zur
Nutzung von Sportanlagen in den Ruhezeiten um etwa
das Dreifache verlängert .
Darüber hinaus wollen wir mit der Verordnung den
Sportbetrieb auf älteren Anlagen, die bereits vor dem
Jahr 1991 genutzt wurden, rechtlich besser absichern .
Vor allem Modernisierungsmaßnahmen, mit denen eine
Sportanlage an den Stand der Technik angepasst wird,
zum Beispiel durch den Einbau von Kunstrasen auf
Ascheplätzen, sollen die weitere Nutzung nicht infrage stellen . Es hat wirklich niemand verstanden: Ältere
Sportanlagen, die schon vor 1991 errichtet wurden, noch
in Betrieb waren und modernisiert wurden, verlieren
nach geltendem Recht - das ist bis heute so - ihre Zulassung . Das ist so etwas von widersinnig . Das korrigieren
wir jetzt, wie sich das gehört .
({2})
Alle Sachverständigen, die zur Novelle zur Sportanlagenlärmschutzverordnung gehört worden sind, haben
diese beiden Änderungen als deutlichen Beitrag zur Förderung des Sports und zu einer intensiveren Nutzung
der Sportanlagen gelobt . Selbstverständlich hätte es aus
Sicht des Sports noch mehr Lockerungen beim Lärmschutz geben können . Aber es gilt eben auch, die Balance
zu wahren .
Mit den jetzt vorgeschlagenen Änderungen garantiert
die Sportanlagenlärmschutzverordnung weiterhin einen
wirksamen Lärmschutz für die Nachbarn von Sportanlagen . Die Verordnung gleicht zwischen den widerstreitenden Interessen des Sports einerseits und dem Ruhebedürfnis der Nachbarschaft andererseits aus . Sie orientiert
sich an unseren veränderten Lebensgewohnheiten und
trägt dazu bei, dass unsere Städte lebendig und lebenswert bleiben .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Birgit Menz, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Wir alle wollen, dass Kinder und
Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll gestalten, wie man so
schön sagt, dass sie sich mehr bewegen, mehr Sport treiben, dass sie in Sportvereinen zusammenkommen . Dafür
brauchen Kinder und Jugendliche Räume und Flächen,
die für sie leicht zugänglich, also nah am Wohnort, sind,
und sie brauchen die Freiheit, sich auf diesen Flächen zu
bewegen, ohne dabei die Angst zu haben, zu laut zu sein .
Die nun vorliegende Verordnung hat einen großen
Mangel: Die existierenden Regelungen zur Privilegierung von Kinderlärm werden nicht auf die Sportanlagen
ausgeweitet . Wie der Gesetzgeber 2011 richtig feststellte, ist Kinderlärm keine umweltschädliche Einwirkung .
Dieser Grundsatz muss auch für Geräusche von Kindern
und Jugendlichen gelten, die auf Sportanlagen aktiv sind .
Für die Linke ist das Kinderprivileg ein wichtiges
Signal an die Kinder und Jugendlichen, ihnen Raum
zu lassen, und zwar nicht irgendwo am Rande unserer
Städte und Dörfer, sondern mitten unter uns . Kinder und
Jugendliche müssen sich willkommen fühlen . Wenn aber
die Gesellschaft fürchtet, dass das die Lebensqualität beeinträchtigt, dass der Wert von Immobilien dadurch gemindert wird oder die Vermietbarkeit sinkt, dann setzt sie
die falschen Prioritäten . Weil sportliche Aktivitäten in aller Regel mit Geräuschen verbunden sind, muss in dichtbewohnten Gebieten natürlich ein angemessener Kompromiss zwischen den Interessen der Sporttreibenden
und denen der Anwohner und Anwohnerinnen gefunden
werden . Allerdings sollten wir dabei unterscheiden zwischen Geräuschen, die von spielenden und sportaktiven
Kindern und Jugendlichen ausgehen, und den Immissionen, die durch Gewerbe- und Verkehrslärm entstehen .
Dass die Ausübung von Freizeit- und Breitensport durch
Grenzwerte erschwert werden kann, die noch unter den
Grenzwerten des Verkehrslärms liegen, ist schlicht nicht
nachvollziehbar .
Wenn es also darum geht, die Menschen vor allem
auch in den immer dichter werdenden Ballungsräumen
vor den ernstzunehmenden Gefahren zu starker Lärmbelastung zu schützen, dann sollte mit Blick auf die Gesamtemission zum Beispiel beim Verkehrslärm nachgebessert werden, und zwar sowohl im Sinne der Gesundheit
als auch der Umwelt . Überlegenswert wäre, den im Rahmen von Sportveranstaltungen entstehenden An- und
Abfahrtslärm nicht unter die Sportanlagenlärmschutzverordnung fallen zu lassen, sondern als Verkehrslärm zu
behandeln . Denn wie in der Anhörung deutlich wurde,
führt gerade dieser An‑ und Abfahrtsverkehr häufig zu
Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern.
Auch wenn die vorhin genannten Überlegungen
bisher nicht berücksichtigt wurden, ist es gut, dass die
Sportanlagenlärmschutzverordnung nun modernisiert
wird . Wir haben das schon in der letzten Legislaturperiode gefordert und sehen, dass die Bundesregierung im
Grundsatz hier auch gute Vorschläge macht . Vor allem
die Absenkung des Lärmschutzes während der Ruhezeiten am Abend sowie an Sonn- und Feiertagen um 5 Dezibel ist eine sinnvolle Maßnahme, um das Zeitfenster für
den Freizeit- und Breitensport auszuweiten . Sportstätten
können damit vor allem dann genutzt werden, wenn die
Menschen auch die Zeit dazu haben: am Abend und an
den Wochenenden .
Auch die Festlegung der Immissionswerte für urbane
Gebiete auf 63 Dezibel am Tag und 48 Dezibel in der
Nacht halten wir für geeignet, um im städtischen Raum
einen sinnvollen und fairen Interessenausgleich zu erreichen . Aber neben der Privilegierung von Kinderlärm auf
Sportanlagen fehlt die Erweiterung des sogenannten Altanlagenbonus auf Anlagen mit Stand 2017 . Damit würde
man dann auch der Infrastrukturentwicklung in den ostdeutschen Bundesländern gerecht werden .
Schließlich sollte ein Irrelevanzkriterium in die Verordnung aufgenommen werden, damit Konflikte bei
geringfügigen Überschreitungen einfacher gehandhabt
werden können .
Mit diesen Ergänzungen würden wir eine wirkungsvolle und rechtssichere Grundlage schaffen, um die
Sportmöglichkeiten, insbesondere für Kinder und Jugendliche, zu verbessern und ein gutes Zusammenleben zu fördern . Leider konnte sich der Ausschuss nicht
auf diese wichtigen Ergänzungen einigen, sodass meine
Fraktion sich enthalten wird .
Danke .
({0})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Karsten Möring .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Menz, Sie machen hier eine Scheindiskussion auf, wenn Sie das Thema Kinderlärmprivilegierung
hochziehen .
({0})
Die Diskussion bei der Sachverständigenanhörung am
Montag hat doch ganz klar gezeigt, dass alle Beteiligten,
von den Sportverbänden einerseits bis zu den Vertretern
von Haus & Grund andererseits, letztlich gesagt haben:
Wir haben eine gute Vorlage . - Der eine möchte ein bisschen mehr hiervon, der andere möchte ein bisschen weniger davon . Das ist der normale Interessengegensatz, aber
das Endergebnis war: Wir liegen da völlig richtig .
Warum ist das eine Scheindiskussion, die Sie aufmachen, wenn Sie Kinderlärm thematisieren? Wir wissen
genau - auch das ist am Montag thematisiert worden -,
dass die Unterscheidung von Kinderlärm und Nichtkinderlärm auf Sportplätzen de facto nicht möglich ist . Ich
habe den Vertreter des Städte- und Gemeindebundes
oder den Vertreter des Deutschen Städtetages - ich weiß
nicht mehr genau, wer es war - extra gefragt, ob er sich
vorstellen kann, dass das umsetzbar ist . Er hat gesagt:
Das ist das große Problem, aber ein Rezept hat er nicht . Was haben wir stattdessen gemacht? Wir haben etwas
gemacht, was darüber hinausgeht, was Kinderlärmprivilegierung erreichen würde . Durch die Veränderung der
Werte für die Ruhezeiten haben wir nicht nur die Möglichkeiten für den Sport von Kindern erweitert, sondern
wir haben gleichzeitig die Möglichkeiten für den Sport
von Erwachsenen und Jugendlichen erweitert . Das können Sie doch nicht als Mangel betrachten . Das ist ein
wichtiger Erfolg .
Bei den anderen Punkten, die Sie nennen, ist es genauso . Wenn Sie darauf rekurrieren, dass man den Grenzwert
für Verkehrslärm senken müsste, der höher ist als der für
Lärm von Sportanlagen, dann möchte ich Sie auch fragen: Wie? Wir können natürlich den Verkehr stilllegen
oder Lärmschutzmauern ohne Ende in der Stadt aufbauen . Sie wissen doch genau, warum wir diese Grenzwerte
haben und warum wir beim Sport nicht dieselben Grenzwerte haben . Welche Folgen hätte das? Dann würden wir
die Lärmbelastung insgesamt deutlich erhöhen . Das alles
macht keinen Sinn .
Deswegen sage ich noch einmal: Wir haben eine sehr
gute Vorlage, die ausgeglichen ist und die zur Befriedung
der Situation führen wird . Sie wird auch dazu führen,
dass wir die begrenzten Kapazitäten an Sportmöglichkeiten in der Stadt besser nutzen können . Man kann den
Kommunen vielleicht den Vorwurf machen, dass sie in
der Vergangenheit im Rahmen heranrückender Bebauung nicht sorgfältig genug darauf geachtet haben, ausreichende Abstände zwischen der Sportanlage und der
Bebauung herbeizuführen . Das reparieren wir ein Stück
weit . Die Sensibilität ist heute deutlich größer geworden .
Was haben wir gemacht? Wir haben durch die Anhebung der Werte in den abendlichen Ruhezeiten und am
Sonntag auf die Tageswerte - das hat Frau Ministerin
Hendricks schon ausgeführt - eine Verdreifachung der
Nutzungszeit in der Ruhezeit geschaffen . 5 dB mehr
heißt physikalisch eine Verdreifachung des Schalldrucks .
Das ist für Menschen wahrnehmbar, aber keine fundamentale Erhöhung . Man muss sich einmal eine Verdreifachung der Nutzungszeit praktisch vorstellen . Um
20 Uhr endet der ursprüngliche Grenzwert . Danach kann
man natürlich Sport machen . Weil wir den Mittlungspegel über einen langen Zeitraum haben, führt das dazu,
dass man vielleicht noch bis 20 .30 Uhr Sport machen
kann und über 50, 55 oder 60 dB liegt, je nachdem, in
welcher Region man sich befindet. Aber dann ist Schluss.
Wenn wir jetzt die Ruhezeit zwischen 20 und 22 Uhr auf
den Tageswert nehmen, dann bedeutet das, dass der Pegel
in dieser Zeit ermittelt werden muss und nicht verrechnet werden darf mit Ruhezeiten zwischen morgens 8 Uhr
und mittags 12 Uhr, wo die Sportanlagen allerhöchstens von Schulen genutzt werden . Es muss in diesem
Zweistundenrythmus sein . Das heißt in der Praxis, dass
man Sport mit einem höheren Lärmanteil vielleicht bis
21 Uhr, 21 .30 Uhr betreiben kann . Dann sagen Sie mir,
dass das die Kernzeit ist, in der die Kinder Sport machen .
Also das geht in meinen Kopf nicht hinein .
({1})
Noch einmal: Wir alle haben eine gute Lösung gefunden . Ich muss eines ganz klar betonen: Bei den Lärmgrenzwerten, die wir zugrunde gelegt haben, haben wir
Grenzwerte, die eindeutig unter jeglicher Schwelle von
gesundheitlicher Beeinträchtigung liegen . Das sei ganz
klar gesagt . Dass es für Anwohner lästig ist, vor allen
Dingen, wenn sie 20 Meter entfernt wohnen, ist verständlich . Es trifft 10 oder 20 Leute . Aber die Nutzung betrifft Hunderte . Wenn wir davon ausgehen, dass der Sport
nicht nur eine soziale, sondern auch eine gesundheitliche
Funktion hat, dann ist die Abwägung klar und die zusätzliche Belastung ist gering, vertretbar und richtig . Sie trifft
niemanden übermäßig .
({2})
Stichwort „Altanlagenbonus“ . Wir haben in der Vergangenheit häufig Auseinandersetzungen gehabt, wenn
Modernisierungen genehmigt wurden und Anwohnerbeschwerden kamen, dass jetzt mehr Sport gemacht
wird - im Vergleich zu vorher, nicht über die Grenzwerte hinaus . Sportämter sind sehr schnell zu den Vereinen
hingegangen, um Auseinandersetzungen oder gar juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden, und haben
den Vereinen gesagt: Okay, es tut uns leid, aber ihr müsst
eure Betriebszeiten einschränken . Ihr habt zwar einen
schönen Platz, aber ihr könnt ihn nicht mehr so intensiv
nutzen wie früher . - Im Einzelfall haben sie von Vereinen sogar Aufnahmesperren verlangt, weil die Mitglieder nicht mehr ausreichend Zeit für die Sportausübung
haben .
All das hat dazu geführt, dass wir Konflikte hatten, die
wir mit dieser Sportanlagenlärmschutzverordnung deutlich verkleinern werden . Wir werden sie deutlich verkleinern, indem wir Rechtsklarheit schaffen . Es gibt einen
Katalog, der an diese Verordnung angehängt ist, und er
ist sehr vernünftig . Er gibt nämlich den entscheidenden
Stellen, sprich: den Sportämtern, aber letztlich auch den
Ämtern, die für Wohnungsbau oder Ähnliches zuständig
sind, ein Kriterium an die Hand, wann sie davon ausgehen können, dass der Betrieb der Anlage unbeeinträchtigt
weitergeführt werden kann . Diese Liste ist in der Sache
vernünftig. Sie definiert ganz einfach, was geht und was
nicht geht .
Sie haben eben in Ihrem Beitrag gesagt, man sollte
vielleicht den Lärm des an- und abfahrenden Verkehrs
aus der Berechnung herausnehmen, um noch mehr Möglichkeiten zu schaffen . Dann frage ich: Ist das der Kern
der Sportausübung auf Sportanlagen? Wir machen das
doch gerade, damit wir eine wohnortnahe Versorgung
im Sport beibehalten können und nicht genötigt werden,
die Sportanlagen an den Stadtrand oder vor die Tore der
Stadt zu verlegen; wir wollen sie in Wohnortnähe behalten . Wenn es schon wohnortnah ist und wenn es schon
um Sport geht, dann ist die Frage, ob man da unbedingt
mit einem Auto, mit einem lauten Knatterton hinfahren
muss oder ob man nicht auch Jogging, was man sonst
noch mal extra macht, bei solch einer Gelegenheit machen kann oder sich aufs Fahrrad schwingen kann,
({3})
um diesen vermeidbaren Lärm mit Rücksicht auf Nachbarn tatsächlich zu unterlassen .
({4})
Das wäre meiner Ansicht nach ein Beitrag zum Ausgleich von Konflikten, die natürlich immer wieder mal
auftreten können .
Alles in allem - die Würdigung -: Es hat lange gedauert, über ein Jahr . Wir haben die urbanen Gebiete
einbezogen - sie mussten erst im Baugesetzbuch untergebracht werden . Wir sorgen jetzt für eine Spreizung
zwischen 45 dB in Kurgebieten bis hin zu 65 dB
in Gewerbegebieten und damit für eine hohe Differenzierung abhängig von der umgebenden Nutzung . Wir haben
mit dem Altanlagenbonus eine klare Aussage getroffen .
Sie sagen, wir brauchten eine bessere rechtliche Absicherung für Anlagen, die bis 2017 genehmigt worden
sind . Wir haben den Altanlagenbonus an eine Genehmigung vor 1991 gebunden, weil dies eine rechtliche Notwendigkeit war . Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine
Genehmigungsbehörde sagt: Das gilt dann aber nur für
die Anlagen, die vor 1991 genehmigt wurden, und wenn
eine Anlage, die 1994 oder 2005 gebaut wurde, jetzt einen Kunstrasenplatz bekommt, dann müssen wir ein neues Genehmigungsverfahren durchführen und die Lärmgrenzwerte neu berechnen . - Das ist absurd, und ist auch
weltfremd . Diese Verfahren werden dann analog angewandt . Wenn Sie sagen, die Regelung müsse für bis 2017
genehmigte Anlagen gelten, dann sage ich: Lassen wir
das doch offen . Wer weiß, wie sich das weiterentwickelt!
Wir müssen ja nicht ständig daran herumschrauben . Die
Regelung ist meiner Ansicht nach absolut eindeutig .
Ich sage noch einmal: Wir haben eine rundum abgewogene Verordnung, einen Interessenausgleich zwischen
den Anliegern und den Sporttreibenden . Es gibt aus meiner Sicht Gesetze oder Regelungen, die in der Großen
Koalition schwieriger zustande gekommen
({5})
und eher die Interessen der einen oder der anderen erfüllt
haben . Bei dieser Verordnung sage ich guten Gewissens:
Es ist absolut das Beste, was möglich war . Deswegen
bitte ich um Zustimmung . Ich freue mich, dass Sie sich
wenigstens enthalten und nicht dagegen stimmen . Ein
bisschen mehr Zustimmung,
({6})
ein bisschen mehr Freude und mehr Unterstützung des
Sports würde ich mir schon wünschen .
({7})
Also gehen Sie noch mal in sich . Sie haben noch ein paar
Reden lang Zeit, darüber nachzudenken .
({8})
Ich danke Ihnen .
({9})
Peter Meiwald hat jetzt die Chance, dazu für Bündnis 90/Die Grünen Stellung zu nehmen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin! Liebes Publikum! Ja, es gibt
Sportler, die mit dem Maserati, mit dem Ferrari, mit dem
Lamborghini zum Sport fahren . Wir nennen sie dann unsere Stars . Wir wollen eigentlich, dass das den Kindern
erspart bleibt . Wir wollen in der Tat, dass die Kinder zu
Fuß oder mit dem Fahrrad wohnortnah zum Sport gehen
können . Deswegen ist es gut, dass wir heute hier über die
Sportanlagenlärmschutzverordnung sprechen . - Kollege
Möring, wenn das eine leichte Übung war, dann fragt
man sich, warum es zwei Jahre gedauert hat, bis Sie sich
geeinigt haben .
({0})
Aber wir kennen andere Prozesse innerhalb der Koalition, die in der Tat noch länger gedauert haben .
Die Sportanlagenlärmschutzverordnung - das ist
schon gesagt worden - entstand Anfang der 90er-Jahre .
Und in der Tat: Die Lebenswirklichkeit hat sich seitdem
verändert . Wir Grüne haben dazu 2015 einen Antrag eingebracht . Wir haben heute hier etwas vorliegen, was einen ganzen Teil davon aufnimmt . Deswegen werden wir
es ähnlich wie die Linken machen: Auch wir werden uns
dem nicht entgegenstellen .
({1})
Grundsätzlich begrüßen wir die Beschlussempfehlung; denn es geht in die richtige Richtung . Wir wollen,
dass Vereins- und Breitensport auch in Zukunft innerhalb
unserer Städte rechtssicher möglich ist . Dafür gibt es
soziale und auch gesundheitliche Gründe . Auch die Integration spielt eine Rolle . Gerade Kinder und Jugendliche, die unsere Sprache vielleicht noch nicht so perfekt
beherrschen, haben über den Sport gute Möglichkeiten,
die Sprache zu lernen .
Die neue Verordnung greift zwei wesentliche Punkte
aus unserem Antrag auf . Das betrifft zum einen den Wegfall der Ruhezeiten am Mittag, an Sonn- und Feiertagen
und in den Abendstunden mit Ausnahme von Kurgebieten, Krankenhäusern und Pflegeanstalten. Das ist richtig,
das halten wir für eine vernünftige Lösung . Zum anderen
wird der Altanlagenbonus durch einen Positivkatalog unterstützt . Auch das halten wir für vernünftig . Das wurde
gut umgesetzt . Aber einige Punkte fehlen; Frau Menz hat
darauf hingewiesen . Wenn alles so unproblematisch ist,
Kollege Möring, erschließt es sich uns nicht, warum man
die Bestandsschutzregelung an den Stichtag 1991 gebunden hat . Man hätte den Tag des Inkrafttretens des Gesetzes nehmen können .
({2})
Zum Thema Irrelevanzkriterium . Im Immissionsrecht,
zum Beispiel in der TA Lärm, ist es entsprechend verankert . Es spricht überhaupt nichts dagegen, das Irrelevanzkriterium analog in die Sportanlagenlärmschutzverordnung einzubauen . Dazu hatten wir Änderungsanträge
in den Ausschuss eingebracht, die leider keine Mehrheit
gefunden haben . Wenn unser Änderungsantrag mit aufgenommen worden wäre, hätten wir uns überhaupt nicht
mehr schwergetan, der Vorlage heute zuzustimmen . Ich
hätte gerne zugestimmt, weil das wirklich ein Thema ist,
das uns Grünen ein großes Anliegen ist .
Dass es im urbanen Gebiet noch höhere Lärmschutzgrenzwerte geben soll, das halten wir für nicht so schlau,
weil das einen anderen Bereich betrifft, den wir im Baugesetzbuch regeln wollen . Auch dazu haben wir einen
Änderungsantrag eingebracht . Wir sind der Meinung:
Lebensnahe, passive Lärmschutzmaßnahmen, über die
wir unter anderem in der Anhörung diskutiert haben, hätten eine gute Lösung gebracht . Trotzdem: „Salvo“ ist aus
dem Lateinischen und bedeutet „unbeschadet“ . In diesem
Sinne können wir die Verordnung unbeschadet passieren
lassen . Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt für die Menschen, auch wenn es noch nicht das ist, was wir Grüne
uns im Sinne des Sports gewünscht hätten .
Ich muss auf einen Punkt zurückkommen, den Sie
angesprochen haben: den Kinderlärm . In der Tat kann
man sagen: Vieles ist jetzt geregelt, vieles ist durch die
Ausweitung der Zeiten verbessert worden . Aber es gibt
eigentlich keinen Grund - und vor allen Dingen keinen
nachvollziehbaren Grund -, warum Sportanlagen explizit nicht vom Kinderlärmprivileg profitieren sollen. Wir
haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht,
nicht zu der Verordnung, sondern als Ergänzung zum
Bundes-Immissionsschutzgesetz . Es wäre nur darum gegangen, nach „Kinderspielplätzen“ ein Komma und das
Wort „Sportanlagen“ einzufügen . Da hätte sich niemand
einen Zacken aus der Krone gebrochen, wir hätten das
sauber regeln können . Es wäre einfach eine Klarstellung
gewesen . In der Anhörung wurde ja auch gefragt: Wie
machen wir das mit der Abgrenzung? Was ist Kinderlärm
auf Sportanlagen und was nicht? Es gibt gerade in den
Sportvereinen ganz klare Regelungen: Bis zur C-Jugend,
also bis 14 Jahre, ist es Kinderlärm, und wenn die C-Jugend trainiert, ist C-Jugend-Zeit .
({3})
- Ja, natürlich geht es nach Jahrgang . Aber das ist Haarspalterei, wenn man hinterher sagt: Wir gucken mal, vielleicht ist ein Kind schon einen Monat älter . - Das hätte
man aus meiner Sicht rechtssicher regeln können .
({4})
Und das ist ja nicht nur unser Anliegen gewesen, sondern sowohl der Olympische Sportbund als auch der
Landessportbund Berlin und der Deutsche Städtetag haben unsere Forderung in der Anhörung unterstützt . Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass wir sie auf den Weg
bringen . Aber es ist noch ein bisschen Zeit . Das Baugesetzbuch wird aufgemacht . Vielleicht kriegen wir es in
einem nächsten Schritt hin, dass wir uns auf eine entsprechende Regelung einigen . Ich würde mich darüber
freuen .
Ich freue mich insgesamt, dass wir zumindest ein
Stück weit vorankommen . Wir wollen, dass die Kinder
in unseren Städten weiterhin Sport treiben können und
nicht von ihren Eltern mit großen Autos auf die grüne
Wiese gefahren werden müssen .
Herzlichen Dank .
({5})
Bitte schön . - Jetzt hat Ulli Nissen für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Unsere Städte sind attraktiv . Immer mehr
Menschen zieht es in die sogenannten Schwarmstädte
und in die Ballungsräume; denn dort gibt es medizinische
Versorgung, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle
Vielfalt, Freizeit- und Sportangebote, und alles zentral
und nah . Die Wege sind kurz, das Angebot ist groß und
vielfältig . Die Menschen wollen urbanes Leben .
Wenn viele Menschen miteinander leben, kommt es
immer wieder zu Konflikten und zu AuseinandersetPeter Meiwald
zungen . Die Nachverdichtung in den Städten führt auch
dazu, dass man enger und näher miteinander lebt . Lärm
ist einer der Konflikte, die es im städtischen Leben gibt.
Schon Schiller sagte:
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn
es dem bösen Nachbarn nicht gefällt .
Das kennen leider auch viele Sportvereine . Sie haben das Problem, wegen Klagen von Anwohnern den
Spielbetrieb einschränken zu müssen . Deshalb können
Sportvereine zum Teil auch keine neuen Mitglieder
mehr aufnehmen . Oft können Meisterschaftsspiele am
Wochenende nicht in der Mittagszeit ausgetragen werden . Trainiert werden kann wochentags oftmals nur bis
20 Uhr . Urbanes Leben sieht anders aus . Es geht um ein
friedliches Miteinander . Es geht um unser Zusammenleben, um lebenswerte Städte, in denen wir leben, arbeiten,
Sport treiben, Kultur genießen und auch ausgehen können .
Wie wichtig Sport und Bewegung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ist, wissen wir alle . Ein gutes, vielfältiges Angebot auch und gerade zentral, in den Städten,
ist wichtig . Dafür brauchen wir Sportvereine, und diese
müssen gut aufgestellt sein und unkompliziert arbeiten
können .
Auch bei der Integration leisten die Sportvereine eine
großartige Arbeit . Beim gemeinsamen Sporttreiben begegnen sich Menschen, lernen einander kennen, werden
auch zu Freunden . Überall leisten Sportvereine also auch
einen großen Beitrag zur Integration; wir alle haben sicherlich Beispiele dafür aus unseren Wahlkreisen . Ich
möchte der Frankfurter SG Bornheim Grün-Weiss mit
Harald Seehausen an der Spitze stellvertretend für alle
Sportvereine - ich denke, auch für Ihre - für die gute
Arbeit danken .
({0})
Ich bin sehr froh, dass wir mit der Zweiten Verordnung
zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung ich bleibe später bei SALVO, das spricht sich besser nun eine einfache, pragmatische und nachvollziehbare
Regelung gefunden haben, um den Konflikt zwischen
dem Sport und dem Ruhebedürfnis der Menschen zu lösen . Wir haben damit einen guten und fairen Interessenausgleich und Rechtssicherheit für beide Seiten .
Bei der Anhörung zur SALVO herrschten durchaus
konträre Vorstellungen . Sie reichten von der Ablehnung
der Erhöhung der Lärmgrenzwerte bis zur Verschiebung
des Beginns der Nachtruhe auf 23 Uhr . Hier sage ich
ganz deutlich: Urbanität ist lebendig und nicht still, aber
selbst in der Stadt muss mal Nachtruhe gelten . Ich setze mich in Frankfurt für ein Nachtflugverbot von 22 bis
6 Uhr ein, da kann ich beim Sport nicht sagen: 23 Uhr ist
auch okay . - Auch das Kinderlärmprivileg war ein wichtiges Thema - dies wird aber in § 22 BImSchG, also im
Gesetz, geregelt .
Wir beschließen heute die SALVO, mit der wir die
Lage der Sportvereine deutlich verbessern . Wir haben
die Ruhezeiten verbessert . Mittags und in den Randzeiten unter der Woche haben wir die Lärmgrenzwerte um
5 dB erhöht; das ist eine ganze Menge . Mit dieser Regelung können Sportvereine am Wochenende auch mittags spielen, und abends darf unter der Woche bis 22 Uhr
trainiert werden . Das ist also eine deutliche Ausweitung .
Die Rechtssicherheit bei den Sportanlagen, was den
Altanlagenbonus betrifft, ist erwähnt worden . Das betrifft Dinge, die man vorher nicht machen konnte, zum
Beispiel die Erweiterung der Sanitär- und Umkleidebereiche . Das geht jetzt . Ein neuer Kunstrasenplatz oder
eine Flutlichtanlage können jetzt errichtet werden, ohne
dass der Altanlagenbonus fällt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich bitte auch die
Grünen darum -: Denkt noch einmal darüber nach! Wir
haben hier für die Sportvereine eine ganz deutliche Verbesserung erreicht . Über § 22 BImSchG können wir später gern noch einmal reden,
({1})
aber überlegt euch, ob ihr nicht zustimmen wollt . Ich fände es toll .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt darf der Kollege Johannes
Steiniger für die CDU/CSU das Wort ergreifen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn ich
Besuchergruppen, beispielsweise Schulklassen, hier im
Hohen Hause begrüße und berichte, womit wir uns im
Sportausschuss unter anderem auseinandersetzen, dann
fällt auch immer ein Begriff - und der lautet „Sportanlagenlärmschutzverordnung“ -, der dann wegen seiner
Sperrigkeit durchaus zu Heiterkeit führt . Am Anfang der
Diskussion herrscht manchmal der Eindruck: Eigentlich
ist das ganz weit weg; das hat mit mir gar nichts zu tun . Dann erkläre ich, was das ist und dass da das Verhältnis
zwischen den Anwohnern auf der einen und den Sportvereinen auf der anderen Seite geregelt wird . Und auf
einmal stellt sich in der Diskussion mit den Besuchern,
beispielsweise den Schülerinnen und Schülern, heraus,
dass jeder aus seinem Dorf oder seiner Stadt konkrete
Beispiele von Streitigkeiten zwischen Vereinen und Anwohnern kennt . Deshalb, meine ich, geht es bei dieser
Sportanlagenlärmschutzverordnung um die 90 000 Vereine vor unserer eigenen Haustür .
Ich bin sehr froh, dass wir als Große Koalition diese
Reform heute nach einem nicht ganz einfachen Abstimmungsprozess sowohl mit der Bundesregierung als auch
im Bundestag beschließen werden . Meine sehr geehrten
Damen und Herren, wir haben richtig etwas für den Sport
und die Vereine in Deutschland erreicht .
({0})
Natürlich gibt es bei diesem Thema klassischerweise einen Interessenskonflikt. Wir haben auf der einen
Seite die individuellen Interessen und Bedürfnisse von
Anwohnerinnen und Anwohnern - sie wollen auch in
der Nähe eines Sportplatzes gut wohnen - und auf der
anderen Seite die allgemeinen Interessen der Sportlerinnen und Sportler in den vielen Vereinen, die den Trainings- und Spielbetrieb irgendwie organisieren müssen .
Zwischen diesen Interessen muss gut abgewogen werden . Bei uns im Ausschuss und auch hier - wir haben
es gerade wieder gehört - loben wir ganz oft die Rolle
des Sports, weil er wahnsinnig viel leistet, weil er unsere Gesellschaft zusammenhält, weil er für Integration
sorgt und für Fair Play und Zusammenhalt steht, und wir
loben zu Recht die positiven Aspekte des Breitensports:
Gesundheit, Prävention und vieles andere . Eines ist klar:
Jeder, der den Fußballplatz der Couch vorzieht, und jeder, der lieber in der Gemeinschaft mit echten Menschen
aktiv Sport treibt, statt passiv vor dem Smartphone zu
sitzen, der ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft . Daher
muss umso mehr gelten: Leute, die Sport machen wollen,
brauchen geeignete Möglichkeiten dafür .
({1})
Deshalb ist unsere Abwägung in Richtung Gemeinwohl für die Vereine und für den Sport - so wichtig . Wir können sagen: Heute ist ein guter Tag für Sportdeutschland .
Wir schaffen - das wurde von den Vorrednern schon
erwähnt - vor allen Dingen Rechtssicherheit bei der
Frage älterer Sportanlagen; aber wir erweitern auch die
Nutzungsmöglichkeiten für den Sport selbst . Mit der
Verordnung bekommen die Vereine und ihre Sportstätten Rechtssicherheit und -klarheit darüber, dass es nach
einer Sanierung oder Modernisierung von älteren Anlagen eben nicht zu größeren Lärmschutzauflagen kommt.
Bisher gab es auf diesem Feld immer wieder Anlass für
Klagen . Wir kennen einige Beispiele aus Hamburg, wo
es nach einer Umwandlung vom Hartplatz zum Kunstrasenplatz zu Konflikten kam. Wir haben jetzt diesen Kriterienkatalog . Er ist angelehnt an das, was aus Nordrhein-Westfalen kommt . Man sieht: Es kommt auch mal
was Gutes aus Nordrhein-Westfalen .
({2})
Das ist ganz gut . Das kann ich als Nachbar aus Rheinland-Pfalz durchaus sagen . - Der viel zitierte Kunstrasenplatz oder der Einbau einer neuen Flutlichtanlage stellen hiernach kein Problem mehr dar .
Wir erweitern auch den Zeitraum, während dessen die
Sportanlagen in den Ruhezeiten genutzt werden können,
deutlich. Ich sage Ihnen aus tiefstem Herzen: Ich finde es
schön, dass wir hier gegen den politischen Mainstream
handeln, der eigentlich sagt: Immer leiser, leiser, leiser .
Beim Sport haben wir einmal gegen diesen Mainstream
gehandelt . Das gefällt mir sehr gut, weil das den Vereinen
vor Ort sehr hilft, ihren Spielbetrieb, der vor allen Dingen am Wochenende, insbesondere sonntags stattfindet,
zu organisieren .
({3})
Jetzt will ich noch auf das Thema Kinderlärm eingehen, weil es auf den ersten Blick logisch erscheint, zu
fragen: Warum macht ihr das an dieser Stelle nicht? Dazu
zwei Punkte - jetzt erzähle ich Ihnen etwas aus der Praxis
des Dorffußballvereins SV Rot-Weiss-Seebach in Bad
Dürkheim -:
Erstens . Wir haben nur einen Platz, aber zwölf Jugendmannschaften . Es ist schwierig, das Ganze so zu
organisieren, dass nachmittags die Kleinen spielen und
abends die Älteren . Wir haben ganz oft die Situation,
dass wir gar nicht anders können, als auf der einen Seite die F-Jugend, also die Kleinen, und auf der anderen
Seite die Größeren spielen zu lassen . Es stellt sich die
Frage, die uns in der Anhörung nicht beantwortet werden
konnte, und zwar von keinem der Sachverständigen: Wie
wollen Sie dies in der Praxis auseinanderziehen? Das ist
aus meiner Sicht eines der klaren Probleme .
Zweitens . Herr Meiwald, Sie haben die Jahrgänge
angesprochen, die Gruppen bis zum 14 . Lebensjahr . So
einfach ist das eben nicht . Im Fußball zum Beispiel ist es
nicht so, dass die C-Jugend bis zum 14 . Lebensjahr geht,
sondern die C-Jugend bilden die Jahrgänge 2002 und
2003 . Daraus folgt in der Praxis das Problem, dass Sie
im Jahr 2017 auch 15-Jährige dabei haben . Sie merken
also: Wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt,
ist das, was auf den ersten Blick logisch erscheint, in der
Praxis sehr schwer durchzusetzen . Deswegen machen
wir das nicht .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Sport
muss dort sein, wo die Menschen leben und arbeiten . Ich
finde, dass ein wohnortnahes Sportangebot sozusagen
Daseinsvorsorge ist . Anwohnerschutz darf nicht bedeuten, dass Sport nur noch außerhalb der Stadttore möglich ist . Wir wollen, dass Sport auch innerstädtisch, auch
abends und auch am Wochenende stattfinden kann. Dieser Entwurf hilft dabei sehr .
Bei allem inhaltlichen Lob, das ich hier ausgesprochen
habe, möchte ich aber auch sagen: Es ist jetzt höchste
Zeit in diesem Hohen Haus . Wir haben lange diskutiert .
Ich erinnere mich an eine Sportausschusssitzung im Januar 2015, in der der Staatssekretär uns schon angekündigt hatte, dass die Weiterentwicklung der SALVO zügig
kommt . Das hat jetzt etwas gedauert . Umso wichtiger ist
es, dass wir sie heute auf den Weg bringen . Danach geht
sie durch den Bundesrat und kann im Sommer in Kraft
treten . Das ist, glaube ich, ein gutes Signal .
Herzlichen Dank fürs Zuhören .
({4})
Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Steiniger, hier steht eine von 53 richtig guten Leuten aus Nordrhein-Westfalen; Sie haben ja gerade Nordrhein-Westfalen angesprochen . Hier sind wir!
({0})
Man kann vielleicht sagen: Was lange währt, wird
endlich gut . Herr Steiniger, Sie haben es gerade angesprochen: Es ist ja nicht erst in dieser Legislaturperiode
dafür gesorgt worden, dass diese SALVO jetzt endlich
ans Netz geht . Ich möchte darauf hinweisen: Ich glaube, seit neun Jahren sind wir zugange und versuchen, die
SALVO zu verändern . Ich bin unserer Ministerin Barbara
Hendricks und allen, die daran beteiligt waren, wirklich
unfassbar dankbar dafür, dass sie es hinbekommen haben, dass wir diese SALVO heute verabschieden können .
Ich glaube, dass wir mit dieser SALVO, also der Sportanlagenlärmschutzverordnung - das ist schon ein Zungenbrecher -, einen deutlichen Fortschritt für den Sport
und auch für die Vereine erzielt haben . Ich glaube, dass
diese SALVO - ich werde jetzt immer die Abkürzung
benutzen; denn sonst reicht meine Redezeit von drei Minuten nicht - ein gutes Miteinander von Anwohnern und
Sport ermöglicht .
({1})
- Sportanlagenlärmschutzverordnung .
Die Ausübung von Sport gehört zum guten Zusammenleben einfach dazu . Mit dieser Verordnung - wir
haben es heute schon in der einen oder anderen Rede gehört - schaffen wir Klarheit, zum Beispiel bei der Randbebauung; das ist heute noch gar nicht erwähnt worden .
So können die Abstände zwischen Sportanlagen und heranrückender Wohnbebauung fast halbiert werden . Das
finde ich großartig. Das gilt auch für die Dezibelerhöhung; das ist gar keine Frage . Wir haben uns vorher gar
nicht vorstellen können, dass wir das hinbekommen . Wir
haben auch den Altanlagenbonus - dieser gilt für Sportanlagen, die vor 1991 gebaut wurden - konkretisiert . Das
alles ist gut .
Eines wünsche ich mir: Die Kinderlärmprivilegierung
wurde heute schon mehrfach erwähnt. Ich finde schon
allein das Wort „Kinderlärm“ schrecklich . Kinder machen Lärm, Kinder schreien, Kinder brüllen, Erwachsene
auch; das ist gar keine Frage . Ich würde mir wünschen,
dass wir gar keine Regelungen mehr schaffen müssten,
um Kinderlärm zu verhindern . Es wäre schön, wenn man
zum Beispiel nicht mehr klagen könnte, wenn Kinder
in Sportanlagen Lärm machen . Im Bundes-Immissionsschutzgesetz - Ulrike hat gerade vom BImSchG gesprochen; auch ich will es einmal kurz ansprechen - in § 22
steht leider, dass Sportanlagen genau davon ausgenommen sind .
({2})
Daher sollte man Kinderlärm privilegieren oder festlegen, dass Kinderlärm unschädlich ist . Deswegen glaube
ich auch, dass wir vielleicht beim BImSchG - wir haben
in dieser Großen Koalition ja noch eine ganze Menge
vor; also bis September arbeiten wir voll durch ({3})
schauen sollten, ob wir nicht, wie du es so schön gesagt
hast, noch ein bisschen nachbessern können . Denn ich
glaube, dass Kinderlärm etwas ist, das wir alle akzeptieren müssen . Dann wäre es auch egal, ob ein Anwohner
klagt oder nicht . Das kann doch wirklich nicht sein . Wir
wollen doch nicht unseren Ruf als kinderunfreundliches
Land weiter stärken . Wir müssen zusehen, dass wir ein
bisschen darauf schauen, wie wichtig es ist, was Kinder
machen .
Deswegen bleibe ich dabei: Die heutige Verabschiedung der SALVO-Änderung bedeutet einen Fortschritt
für den Sport . Wenn wir beim Bundes-Immissionsschutzgesetz im Hinblick auf Kinder noch ein bisschen
nachsteuern, dann kann ich nur sagen: Kinderlärm ist
Zukunftsmusik .
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag .
({4})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9 a . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu
der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der
Sportanlagenlärmschutzverordnung . Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11006, der Verordnung auf Drucksache 18/10483 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Das dürfte
nach dem Verlauf der Diskussion niemand sein . - Wer
enthält sich? - Das ist die Opposition . Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung der Opposition angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes . Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11006, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10859
abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen .
({0})
- Dem Gesetzentwurf . - Das sind Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Wer stimmt dagegen? - Das sind die
CDU/CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? - Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
abgelehnt, und nach unserer Geschäftsordnung entfällt
die weitere Beratung .
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Sport und Alltag verbinden - Lärmschutzregeln
für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11006,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4329 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition . Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Opposition . Wer enthält
sich? - Niemand . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchfüh
rungsverordnung und zwei Durchfüh
rungsbeschlüsse der Europäischen Kom
mission über das Inverkehrbringen von
Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän
derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11
({1})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch ver
änderten Maislinien MON 810, 1507
und Bt11 für den Anbau in der EU
Drucksache 18/10976
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre
dazu keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Bitte nehmen Sie Ihre Plätze zügig ein und führen Sie
die Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiter .
Nunmehr eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat
Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Vor sage und schreibe 19 Jahren wurde
zum letzten Mal in Europa ein Genmais zugelassen, und
morgen könnte es wieder so weit sein . Da werden im zuständigen Fachausschuss in Brüssel die EU-Staaten hinter verschlossenen Türen über gleich drei Genmaislinien
abstimmen. Ich finde, das ist der richtige Zeitpunkt, den
Menschen in Deutschland klar und deutlich zu zeigen,
wo wir in Sachen Gentechnik stehen, und zwar hier und
heute bei der Abstimmung über unseren Antrag .
({0})
Aber nein, offensichtlich wollen Sie den Wählerinnen
und Wählern Ihre wahre Haltung aber dann doch nicht
ganz so deutlich zeigen . Warum eigentlich nicht? Gerade
die Union äußert sich doch in den letzten Wochen klar,
dass sie auf Gentechnik steht - im Plenum, im Ausschuss
oder letzte Woche bei der Anhörung zum Gentechnikgesetz . Aber im Gegensatz zu Ihnen will die große Mehrheit der Menschen da draußen keine Gentech‑Pflanzen
auf unseren Äckern haben .
({1})
Bei der Anhörung in der letzten Woche mussten wir
uns von Ihren Sachverständigen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, wieder die kruden Versprechungen der Gentechniklobby anhören, die schon seit 20 Jahren nicht eingelöst werden und die schon seit 20 Jahren
eben kein Teil der Lösung des Welternährungsproblems
sind, sondern ein Teil des Problems .
({2})
Aber das ist Ihnen ganz offensichtlich egal, solange Sie
der Gentechnikindustrie einen Gefallen tun können .
Denn die freut sich nämlich . Sie freut sich, weil ihr
perfider Plan jetzt eins zu eins aufzugehen droht: dass
die Mitgliedstaaten, wenn sie den Anbau national bei
sich verbieten dürfen, keinen Widerstand mehr bei der
EU-weiten Zulassung leisten . Aber das ist Politik nach
dem Sankt-Florians-Prinzip: Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an . Hauptsache nicht bei
mir! - Aber Sie haben ganz vergessen, dass das Feuer
dann übergreift .
({3})
In zwei unserer unmittelbaren Nachbarländer ist der
Gentechnikanbau erlaubt . Wir alle wissen: Pollen und
Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen eben nicht
an Staatsgrenzen halt und bergen das Risiko der Kontamination für Landwirtinnen und Landwirte, für Lebensmittelunternehmen und den Handel in Deutschland . Mit
der Gentechnikfreiheit wäre es dann schnell nicht mehr
weit her . Das müssen wir - auch im Interesse der Lebensmittelwirtschaft hier in Deutschland - verhindern .
({4})
Aber da tut Minister Schmidt ja sowieso das eine und
redet vom anderen . Dazu passt auch, dass der Bundesminister den Wählerinnen und Wählern auf der einen Seite erzählt, dass er sich für ein Anbauverbot in Deutschland einsetzt, auf der anderen Seite aber gleichzeitig auf
EU-Ebene die Zulassungen einfach durchwinkt, um den
Schwarzen Peter und die Verantwortung dafür danach
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
nach Brüssel abzuschieben . Ich erinnere noch einmal an
diesen schönen Post des BMEL:
({5})
„Kommt nicht auf den Acker . Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland.“ - Ja, warum
denn eigentlich? Weil man es in Brüssel zulässt . Das ist
nicht nur Postfaktizismus, sondern auch unehrlich und
unredlich .
Aber eines kann auch nicht durchgehen, liebe SPD .
Barbara Hendricks brüstet sich auf Twitter, auf Facebook
und in der Berliner Morgenpost mit ihrer Ablehnung der
Zulassung im Kabinett . Sie weiß doch ganz genau, dass
dies lediglich zur Enthaltung Deutschlands in Brüssel
führt . Warum also verhindert gerade die SPD zum wiederholten Mal eine Sofortabstimmung in dieser Sache
hier im Plenum, nachdem sie bereits mehrfach verhindert
hat, dass dieser Sachverhalt und unser Antrag dazu im
federführenden Ausschuss auf die Tagesordnung gesetzt
und beraten werden, geschweige denn, dass darüber abgestimmt wird?
({6})
Wer bisher noch nicht wusste, was scheinheilig ist, der
kann es heute lernen .
({7})
Um eines vorwegzunehmen, was gleich sicher wieder in der einen oder anderen Rede vonseiten der Union erwähnt wird: Erzählen Sie uns doch nicht, es drohe
aufgrund der mit den Konzernen schon ausgekungelten
Anbauausnahmen ja gar keine Gefahr, und man dürfe
den Staaten, die Genmais wollen, doch nichts vorschreiben . - Doch! Das müssen wir sogar tun, und zwar aus
den gerade genannten Gründen: um unsere eigene Gentechnikfreiheit zu schützen . Es ist ja nicht so, dass keinerlei Bedenken gegen diese Pflanzen bestehen. Das
Europaparlament hat die Kommission aufgefordert, in
allen drei Fällen gegen diese Zulassung zu votieren, und
hat das auch begründet: mit Gefahren der Auskreuzung,
mit Gefahren der Kontamination von Nicht-Gentechnik‑Pflanzen und ‑Produkten, weil die Abstände als zu
gering eingeschätzt werden, und mit nicht untersuchten
Risiken für den Menschen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, verkaufen Sie die
Menschen da draußen nicht für dumm! Nehmen Sie ihre
Bedenken gegen die Gentechnik ernst, so wie Sie es ihnen versprochen haben! Dazu gehört auch, dass wir ein
funktionierendes Gesetz für rechtsverbindliche, rechtssichere und bundesweite, nationale Anbauverbote auf den
Weg bringen . Dafür ist es erforderlich, heute, hier und
jetzt die Bundesregierung aufzufordern, morgen in Brüssel mit Nein zu stimmen, also hier und heute unserem
Antrag zuzustimmen .
Danke schön .
({8})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Kees de
Vries, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren, auch auf den Tribünen! Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen . Wir werden heute
wieder einmal auf Antrag der Grünen unsere Zeit vergeuden - mit diesem vollkommen überflüssigen Antrag.
({0})
Wenn man alle Emotionen, Gerüchte, Mutmaßungen
und Unterstellungen weglässt, bleiben in dieser Sache
ein paar Fakten:
Erstens . Wir im Deutschen Bundestag sind für das
verantwortlich, was auf dem deutschen Hoheitsgebiet
passiert .
Zweitens . Es gibt in diesem Zusammenhang drei Anträge, einen Antrag zur Erneuerung der Anbauzulassung
und zwei neue Anträge für Maislinien auf der EU-Ebene .
Drittens . Unser Minister hat sehr wohl sofort reagiert
und beantragt, das deutsche Gebiet von diesem Antrag
auszunehmen - was auch gestattet worden ist .
Viertens . Der Anbau dieser Maissorten in Deutschland
wird einfach nicht stattfinden.
({1})
Worüber reden wir eigentlich? Oder wollen wir tatsächlich auf EU-Ebene wieder neu diskutieren?
({2})
Das steht uns nicht zu . Wir haben das ausführlich in
den demokratischen Gesetzen behandelt, sowohl hier in
Deutschland als auch in der EU . Wir sind beide Male zu
der Schlussfolgerung gekommen, dass die Opt-out-Regelung das Beste ist . Ich gebe zu: Das ist nicht ganz in
meinem Sinne . Wie ich heute gelernt habe: Das ist auch
nicht ganz in deinem oder eurem Sinne . - Aber das ist
nun einmal Demokratie . Damit müssen wir leben - du
und ich .
({3})
Wenn wir diese Diskussion neu starten wollen, müsste
man zum Beispiel mal wieder über diese drei Maislinien
diskutieren . Jetzt geht es um Bt-Mais, das heißt, er ist so
gezüchtet, dass das Schädlingsinsekt, das den Mais anHarald Ebner
piekst, stirbt - und, ja, auch die nicht schädlichen Insekten, die anpieksen, sterben . Das wollen wir nicht .
({4})
Die Alternative aber ist, dass wir den Landwirt zwingen, mit Insektiziden alles, was auf diesem Acker lebt,
kaputtzumachen . Ich frage mich, ob das sinnvoll ist, aber
das steht hier nicht zur Debatte .
Das nämlich hat die EFSA siebenmal, glaube ich, untersucht und siebenmal festgestellt: Diese Pflanzen sind
nicht umwelt-, tier- oder menschenschädlicher als die anderen . Das sind wissenschaftlich unterlegte Fakten .
({5})
Aber damit wollen Sie sich überhaupt nicht auseinandersetzen . Nein .
({6})
Ich bin der Meinung, dieser unsägliche Antrag wird
nur gestellt, um wieder einmal unberechtigte Ängste bei
den Menschen zu schüren . Dafür bin ich nicht zu haben .
Deshalb beantrage ich Ablehnung .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Eva BullingSchröter, Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am letzten Wochenende gab es die große Demo von
10 000 Menschen hier in Berlin unter dem Motto „Wir
haben es satt!“ .
({0})
Was haben die Menschen gesagt? Sie wollen eine Beendigung des Tierleids, sie wollen keine Gentechnik und
keinen Genfraß - und zwar mit einer Mehrheit in Europa, in Deutschland und in Bayern . Leider ist Landwirtschaftsminister Schmidt jetzt nicht da, wahrscheinlich ist
er auf der Grünen Woche, aber er sollte auch einmal auf
seine Wählerinnen und Wähler hören .
({1})
Ab und zu ist er ja sehr zögerlich,
({2})
und so, wie ich die CSU in Bayern kenne, ist diese nicht
immer so zögerlich und zimperlich gegenüber der EU .
Aber in diesen Fragen, so sagt man auf Bayerisch, ziehen
Sie den Schwanz ein .
({3})
Beim Europäischen Patentamt gibt es inzwischen
Bierpatente . Gerste aus konventioneller Züchtung wird
hier patentiert . Ich würde gern einmal wissen, was die
CSU dazu sagt . Dazu gibt es keine Position .
Jetzt wurde ein Gentechnikgesetz versprochen . Der
Bundesrat hat dazu Stellung bezogen und einen Vorschlag gemacht, die Grundlage der Opt-out-Regelung .
Sechs Ministerien sollen Einvernehmen erzielen . - Als
wenn sich sechs Ministerien einmal einigen könnten!
({4})
In 45 Tagen funktioniert das nicht . Alle Sachverständigen haben gesagt: Es ist so nicht umsetzbar, es gibt viele
Gefahren .
Jetzt frage ich mich - und viele unserer Wählerinnen
und Wähler, und zwar alle, fragen auch -: Warum wird
das nicht umgesetzt? Warum diskutiert ihr das? Warum
diskutiert ihr das immer wieder, und warum kommt
nichts heraus? Und ich kenne viele Diskussionen .
Dann gibt es eine Antwort darauf, die heißt: Lobby . Das verstehen die Leute, überall . Es sind natürlich
die Konzerne, die hier Einfluss nehmen. Ich nenne sie
einmal: DuPont, Dow Chemical, Bayer und Monsanto,
ChemChina und Syngenta . Die lassen natürlich auch Studien erstellen, die Sie dann immer zitieren . Wir zitieren
dann die Studien von den Umweltverbänden .
Aus sechs Konzernen werden drei, und deren politischer Einfluss steigt; denn wenn es nur noch drei große
Konzerne sind, dann steigt der Einfluss natürlich. Das sehen wir ja auch heute wieder, nämlich bei der Entscheidung, nicht abstimmen zu wollen . Das ist die Entscheidung der Konzerne .
Drei Konzerne werden mehr als 60 Prozent des Marktes für kommerzielles Saatgut und Agrochemikalien beherrschen, das heißt, fast alle gentechnisch veränderten
Pflanzen auf diesem Planeten werden von diesen Konzernen hergestellt . Diese drei haben auch die meisten
Anmeldungen für das Eigentum an Pflanzen beim Europäischen Patentamt vorgenommen .
Einer dieser neuen Giganten ist Bayer-Monsanto, der
größte Agrokonzern der Welt . Ein Drittel des kommerziellen Saatguts und ein Viertel der Pestizide auf dem globalen Markt werden dann von diesem großen Konzern
hergestellt .
Ich nenne nur das Stichwort „Glyphosat“; wir haben
darüber diskutiert . Die Mehrheit der Menschen in diesem
Land lehnen Glyphosat ab; sie wollen es nicht . Trotzdem
wird es bei der EU wieder genehmigt, und Deutschland
hat dort auch mit Ja gestimmt .
Bayer kauft Monsanto für 66 Milliarden Dollar,
ChemChina bezahlt für Syngenta 43 Milliarden Dollar .
Sie sind den Aktionären rechenschaftspflichtig. Die UnKees de Vries
ternehmen haben Kredite für diese Käufe aufgenommen,
das heißt, sie müssen Gewinne machen . Sie müssen das
Geld jetzt wieder hereinbringen .
Das Potenzial der globalen Agrarmärkte steigt natürlich, wenn entsprechende Beschlüsse gefasst werden .
Bayer schätzt, dass der Umsatz bei Saatgut und Pestiziden von 85 Milliarden Dollar in 2015 auf 120 Milliarden
Dollar in zehn Jahren steigen wird . Dafür müssen die Gesetze natürlich entsprechend verändert werden .
Das Ziel dieser großen Agrokonzerne ist, Produkte zu
beeinflussen und Preise sowie Qualitäten zu diktieren,
unter dem Motto: „Wer die Saat hat, hat das Sagen“ - und
das global . Das ist hier das Interesse .
Zwei Sätze noch an die Kollegen der CDU/CSU: Der
Präsident des Bauernverbandes, der Ihnen ja sicher näher
steht als uns, den Linken,
({5})
sagt: Wir fordern Sicherheit für ganz Deutschland; wir
wollen keinen Flickerlteppich . - Inzwischen fordert
auch der Bauernverband ein Verbot der Agrogentechnik .
Sie sollten sich wenigstens an die halten, wenn Sie sich
schon nicht an uns halten .
({6})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute
Vogt .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegin Eva Bulling-Schröter, ich
kann Ihnen sagen: Wir werden die Ergebnisse der Anhörung sehr ernst nehmen . Das ist auch der Grund, warum
der Gesetzentwurf in dieser Woche noch nicht vorliegt
und auch in der nächsten Sitzungswoche noch nicht vorliegen wird . Ich kann Sie aber beruhigen: Die Koalitionsfraktionen haben heute schon über den Gesetzentwurf
verhandelt; wir sind also mittendrin .
({0})
Wenn Sie hier behilflich und auch bereit sind, mit einzelnen Kolleginnen und Kollegen der Union noch weitere
Gespräche zu führen, dann sind wir durchaus dankbar .
({1})
Ich möchte zum vorliegenden Antrag noch etwas sagen, Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Sie haben in
Ihrem Antrag selbst beschrieben, warum er überflüssig
ist - ich zitiere -:
Schon zwei Drittel der Mitgliedsstaaten, darunter
Deutschland, haben von der Möglichkeit Gebrauch
gemacht, von den antragstellenden Unternehmen
die Herausnahme des eigenen Territoriums aus der
beantragten Anbauzulassung zu erbitten .
Insofern haben Sie selbst beschrieben: Für Deutschland
ist das überhaupt kein Thema mehr . - Deshalb braucht
es auch im Deutschen Bundestag kein Thema zu dieser
Stunde zu sein .
({2})
Ich möchte Ihnen daneben gerne auch die Haltung
der SPD-Fraktion noch einmal in Erinnerung rufen, die
Sie ganz genau kennen . Ich darf auch hier zitieren, und
zwar aus einem Pressebericht von heute, in dem die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks zitiert wird:
Es wäre inkonsequent, wenn wir auf europäischer
Ebene für eine Zulassung stimmen würden . Das
Bundesumweltministerium wird daher in der Ressortabstimmung gegen eine Zulassung votieren .
({3})
Damit ist gewährleistet, dass Deutschland dem Ganzen
keine Zustimmung erteilt .
({4})
Zu Ihrem Ansinnen, hier darüber abzustimmen, muss
ich Ihnen sagen, Herr Kollege Ebner: Sie sind jetzt in der
zweiten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag .
({5})
Sie wissen, wie das Prozedere ist . Nach Abschluss eines
Koalitionsvertrages gilt: Wenn die Mitglieder der Regierung unterschiedlicher Meinung sind, dann gibt es am
Ende bei den Abstimmungen eine Enthaltung .
({6})
Insofern hat Ihr Antrag weder etwas in der Sache beizutragen, noch dient er irgendeiner Klärung . Das Einzige,
was Sie versuchen, ist, hier auf ganz billige Art und Weise einen Vorführeffekt zu erreichen .
({7})
Wir haben hier in diesem Bundestag schon das dritte
Mal den wortgleichen Antrag zur Beratung vorliegen .
({8})
Eva BullingSchröter
Ich sage Ihnen eins: Wir haben das letzte Mal, als wir
diesen Antrag hier diskutiert haben, über den Film Und
täglich grüßt das Murmeltier geredet .
({9})
Ich kann Ihnen, Herr Ebner, wirklich nur empfehlen:
Nehmen Sie sich einmal die Zeit, und schauen Sie sich
diesen Film noch einmal an .
({10})
In diesem Film erlebt die Hauptfigur Tag für Tag das
Gleiche,
({11})
so wie wir hier von Woche zu Woche den gleichen Antrag erleben . Aber am Ende gibt es ein Happy End . Warum? Weil die Hauptfigur etwas dazulernt und weil sie
sich und die anderen verändert .
({12})
Sie haben nur die Drucksachennummer verändert, aber
inhaltlich kein Jota . Da ist nichts, was nach vorne weist .
({13})
Lassen Sie also diese taktischen Anträge . Machen Sie
mal Sachpolitik, und bringen Sie mal wieder einen neuen
Gedanken ins Plenum ein .
({14})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU spricht jetzt die
Kollegin Rita Stockhofe .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will heute nicht das Murmeltier bemühen . Zum wievielten Male
reden wir hier über ein und denselben Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
({0})
Wir stimmen darüber ab .
({1})
Weil Sie von den Grünen gerne ein anderes Ergebnis hätten, schreiben Sie das Gleiche noch einmal auf, obwohl
Sie wissen, dass Sie die Abstimmung wieder nicht gewinnen werden .
({2})
Der Wähler hat 2013 entschieden, dass Sie in der Opposition sind, und das ist auch gut so .
Herr Ebner, kurz ein Wort an Sie . Sie haben vorhin
eine Rede gehalten . Wir haben alle zugehört . Keiner hat
dazwischengerufen . Wir haben eine super Disziplin gehabt . Es wäre schön, wenn auch Sie sich daran halten
könnten . Dann könnten die Zuhörer auch mich einmal
hören .
({3})
Frau Kollegin Stockhofe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch?
Ja, sehr gerne .
Bitte schön .
Frau Stockhofe, Sie haben zu uns gesagt: Sie wissen,
dass Sie die Abstimmung nicht gewinnen . - Kann ich
daraus schließen, dass wir hier gleich über den Antrag
abstimmen?
Nein, das können Sie nicht .
({0})
- Das ist Ihr Problem .
({1})
Sie schreiben in Ihren Anträgen zum Thema Gentechnik permanent, dass ein Großteil der Bevölkerung gegen
Gentechnik ist . Diese Aussage ist das Ergebnis einer Umfrage von einem oder mehreren Ihrer Lobbyistenvereine .
Wenn eine solch einseitige Darstellung nach außen getragen wird, wie das hier der Fall ist, darf man sich nicht
wundern, dass die Umfragen so ausfallen, wie sie es tun .
Sämtliche fachlichen Veröffentlichungen europäischer
Behörden werden ignoriert - und das, obwohl hier die
strengsten Zulassungsverfahren weltweit gelten .
Auf der Grünen Woche, die zufällig gerade stattfindet,
({2})
hat sich vor ein paar Jahren jemand hingestellt, hat in
jeder Hand eine Möhre hochgehalten und die Besucher
gefragt, ob sie lieber die Möhre mit oder die Möhre ohne
Gene kaufen möchten . Sie können sich denken, welche
Antwort gekommen ist: Die Besucher wollten lieber die
Möhre ohne Gene kaufen . - Wir alle wissen hoffentlich,
dass es keine Möhre ohne Gene gibt . Aber Sie haben es
durch Ihre Art und Weise der Darstellung geschafft, dass
die Menschen schon allein dann, wenn sie den Begriff
„Gen“ hören, glauben, dass sie vergiftet werden .
({3})
Natürlich haben die Besucher gedacht, dass es um Gentechnik geht . Aber das ist gar nicht gefragt worden .
Sie, die Fraktion der Grünen, profitieren von Ihren
Lobbyistenvereinen, die ein Thema besetzen, bei dem
sie sich möglichst hohe Spendeneinnahmen versprechen .
Schließlich leben sie von diesen Spenden - und das auch
nicht so schlecht . Jetzt haben Sie das Glück, diese Spendensammler hinter sich zu haben . Aber die Frage ist doch
eigentlich: Was wollen Sie überhaupt? Wollen Sie sich
wirklich inhaltlich mit Themen auseinandersetzen?
({4})
- Herr Ebner, wir sind schon wieder an dem Punkt, an
dem Sie mich nicht ausreden lassen .
({5})
Oder reicht es Ihnen, Personen aus dem Parlament oder
der Regierung zu beleidigen? Das gehört ja zu Ihrem
Standardrepertoire . Wann fangen Sie endlich an, sich inhaltlich mit Themen zu befassen und wissenschaftliche
Ergebnisse anzuerkennen?
Nun zu den Demonstrationen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, genannt haben . Es gab
auch eine Demonstration unter dem Motto „Wir machen
euch satt“ . Da müssen wir wissen, was Ihnen wichtiger
ist: jemanden satt zu machen oder jemanden ständig zu
kritisieren .
({6})
Bei der öffentlichen Anhörung am letzten Montag
wurde bestätigt, dass weltweit kein nachweisbarer Schadensfall durch Gentechnik existiert,
({7})
weder beim Menschen noch beim Tier noch bei der Umwelt . In Ihrem Antrag sprechen Sie immer von Erkenntnissen der Wissenschaft . Anerkennen tun Sie diese aber
nur an, wenn es Ihnen passt .
({8})
Das erleben wir häufig, wenn das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, zurate gezogen wird . Wenn die
Ergebnisse nicht in Ihr Weltbild passen, gibt es massive
Kritik .
({9})
Wenn es passt, wird es mindestens hundertmal zitiert .
Zum Glück gab es die Partei der Grünen noch nicht,
als die Bahn, das Auto oder das Flugzeug erfunden wurde .
({10})
Nicht, dass Sie sie nicht nutzen würden! Aber Ihre grundsätzliche Fortschrittsfeindlichkeit hätte diese Erfindungen schon verhindert .
({11})
Deutsche Forscher flüchten vor Ihrer Politik ins Ausland.
Später können wir dann deren erfolgreiche Produkte aus
dem Ausland einkaufen . Ein altes, mittlerweile fast jedem bekanntes Beispiel ist das Insulin .
({12})
Bei uns in Deutschland sind in der Vergangenheit Versuchsfelder zerstört worden . Diese Zerstörungen werden
genauso wie Einbrüche in Ställe als Heldentaten gefeiert .
Länder wie China, Spanien und Kanada schöpfen alle
Möglichkeiten der Forschung aus und überholen uns mit
größter Geschwindigkeit .
Ich würde mich freuen, wenn wir endlich einmal auf
der Grundlage von wissenschaftlichen und fachlichen
Erkenntnissen debattieren könnten . Aber dann müssten
Sie Ihr letztes Thema aus der Hand geben, mit dem Sie
Menschen Angst machen können . Sie und Ihre Lobbyfreunde aus den einschlägigen Vereinen arbeiten mit der
Unsicherheit und den Ängsten der Menschen, indem Sie
in jeder Darstellung möglichst viele negativ besetzte
Worte verwenden: Pestizide - „Pest“ war schon immer
negativ besetzt - statt Pflanzenschutzmittel,
({13})
Agroindustrie statt vor- und nachgelagerter Bereich der
Landwirtschaft oder Massentierhaltung . Dieser Begriff
wurde nie von irgendjemandem definiert.
({14})
Dann werden gerne Begriffe wie Industrie - da denkt jeder nur an rauchende Schlote - oder Konzerne - damit
verbindet man, dass die doch nur Geld verdienen wollen - verwendet . Dabei geht fast jeder von uns morgens
aus dem Haus und seiner Arbeit nach, um Geld zu verdienen . All diese Begriffe verwenden Sie, um negative
Bilder in die Köpfe der Bevölkerung zu bekommen .
Wir hingegen wissen, dass in Deutschland mit die
gesündesten Lebensmittel weltweit erzeugt werden und
dass wir zu jeder Jahreszeit alles kaufen können . Warum helfen Sie uns nicht, dem Verbraucher möglichst
schmackhafte, gerne auch saisonale und regionale Produkte anzubieten, indem wir die Bauern vor Ort unterstützen sowie ihre tolle Arbeit anerkennen und honorieren?
({15})
Sind Sie Ihren Lobbyisten so sehr verpflichtet, dass
Sie immer wieder Halbwahrheiten und Ängste verbreiten
und Politiker persönlich verunglimpfen müssen?
({16})
Ich habe in meiner Erziehung Respekt vor anderen Menschen gelernt, vor allen denjenigen gegenüber, die ihn
verdient haben . Für mich gehören zu diesen Menschen
unsere Bauern, die uns täglich mit hochwertigen, leckeren und unter immer größeren Herausforderungen hergestellten Lebensmitteln versorgen . Ich würde mich freuen, wenn Sie, die Grünen, diese Leistung endlich auch
anerkennen würden und aufhören würden, Generalverdächtigungen auszusprechen . Erst dann können wir eine
gute Politik für unsere Verbraucher und Bauern machen .
Geben Sie endlich Ihr Dasein als Lobbyistenpartei auf,
({17})
und widmen Sie sich den anstehenden Themen sachlich!
Akzeptieren Sie wissenschaftliche Erkenntnisse, und hören Sie auf, Menschen persönlich anzugreifen! Denn das
gehört sich nicht .
Vielen Dank .
({18})
Vielen Dank . - Jetzt hat Elvira Drobinski-Weiß für die
SPD-Fraktion das Wort . Bitte schön .
({0})
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der
Tribüne! Auf ein Neues! Wir reden wieder einmal über
die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorten in Brüssel . Die SPD-Bundestagsfraktion und auch
das SPD-geführte Bundesumweltministerium sind gegen eine solche Zulassung; denn wir wollen ebenso wie
80 Prozent der Bevölkerung, dass die Äcker in unserem
Land gentechnikfrei bleiben .
({0})
Eine konsequente Politik für ebendiese gentechnikfreien
Äcker würde auch eine klare Ablehnung der Zulassung
in Brüssel einschließen . Leider kann sich unser Koalitionspartner dazu offenbar immer noch nicht durchringen .
Deshalb können wir auch Ihrem Antrag, sehr verehrter
Herr Kollege Ebner, leider nicht zustimmen .
({1})
Ich würde hier gerne etwas ganz anderes sagen, aber
es ist leider nach wie vor so: Wenn das von dem CSU-Minister Schmidt geführte Landwirtschaftsministerium die
Zulassung - noch einmal: im Gegensatz zum Umweltministerium - will, dann gibt es eben wieder ein Patt . Dann
enthält sich Deutschland wieder .
Deshalb wird der Genmais, um den es hier geht, Herr
Kollege Ebner, trotzdem nicht im nächsten Jahr auf deutschen Äckern angebaut werden; denn schon 2015 hat
die Bundesregierung die betreffenden Saatgutkonzerne
aufgefordert, Deutschland von ihren Zulassungsanträgen
auszunehmen . Es bleibt also dabei: In Deutschland können gentechnisch veränderte Pflanzen nicht kommerziell
angebaut werden .
({2})
Das ändert nichts an der Haltung der SPD zum Umgang mit Zulassungsanträgen in Brüssel .
({3})
Wir sind für die Ablehnung . Das ändert auch nichts daran, dass wir nach wie vor versuchen, unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen, dass Deutschland sich
aus Prinzip nicht länger enthalten darf, sondern gegen die
Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen stimmen sollte .
({4})
- Klar, wir arbeiten daran, Herr Kollege .
Ich bezweifle, dass Sie den Prozess beschleunigen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, indem
Sie hier immer denselben Antrag stellen . Die Kollegin
Ute Vogt hat ja dazu hier bereits sehr eindeutig etwas gesagt . Aber bitte, so lange Sie das tun, so lange sage ich
Ihnen: Wir wollen gentechnikfreie Äcker . Wir sind gegen
die Zulassung .
({5})
Aber - vielleicht haben Sie es auch schon zur Kenntnis
genommen - wir regieren nicht allein .
Noch wichtiger als die ganze Debatte um Zulassungen von gentechnischen Pflanzen auf der EU‑Ebene finde
ich, dass wir ein vernünftiges nationales Gesetz zu entsprechenden nationalen Anbauverboten hinbekommen .
Frau Vogt hat es vorhin schon gesagt: Wir arbeiten mit
Hochdruck daran, und wir werden uns dabei - das kann
ich Ihnen versprechen - auf keine schlechten Kompromisse einlassen .
Vielen Dank .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Debatte .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10976 .
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die
Abstimmung über ihren Antrag in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung . Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur
Geschäftsordnung gewünscht wird .
Damit erhält jetzt Steffi Lemke als erste Rednerin das
Wort zur Geschäftsordnung .
Danke, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich denke, in
der Debatte ist klar geworden: Es geht darum, dass auf
europäischer Ebene morgen eine Abstimmung über die
Neuzulassung von drei gentechnisch veränderten Maissorten der Konzerne Monsanto und Syngenta ansteht,
also morgen über eine europäische Zulassung entschieden wird . Deshalb sind all Ihre Argumente, mit denen Sie
darauf verweisen, dass der Anbau danach möglicherweise in Deutschland ausgeschlossen bleibt,
({0})
richtig, gehen aber an der Tatsache vorbei, dass morgen
abgestimmt wird, und damit an der Zielrichtung unseres
Antrages, mit dem wir nämlich auf die europäische Ebene abzielen .
({1})
Wir leben in einem europäischen Binnenmarkt . Wir
haben gemeinsame Verbraucherschutzstandards, Gesundheitsschutzstandards . Ich gehe davon aus, dass
alle hier im Haus auch wollen, dass das so bleibt . Wir
müssen von daher ein Interesse daran haben, die europäische Ebene ernst zu nehmen und zu stärken . Deshalb
betrachtet meine Fraktion es als Aufgabe dieses nationalen Parlamentes, der nationalen Regierung für ihr Stimmverhalten auf der europäischen Ebene ein klares Votum
mitzugeben .
({2})
Denn wir sind hier nicht Exekutive . Wir sind das Parlament . Es tut mir leid, dass ich die Kollegen sowohl in
der SPD als auch in der CDU daran erinnern muss . Sie
haben hier noch einmal in aller epischen Breite dargestellt, welche Probleme die Bundesregierung mit dieser
Abstimmung hat. Das ist ihr gutes Recht, und ich finde
es gut, dass die SPD ihre inhaltliche Position - Nein zu
diesen Zulassungen - noch einmal klargemacht hat und
dass die CDU klargemacht hat, dass sie der Auffassung
ist: Ja zu diesen Zulassungen .
({3})
- Sie sind gegen die Zulassung? Dann müsste Herr
Schmidt ja in Brüssel mit Nein stimmen .
({4})
Ich gehe davon aus, dass Sie dafür den Beweis anzutreten
bereit sind, und deshalb wird das Murmeltier hier dann
vermutlich noch einmal grüßen .
Unser bisheriger Kenntnisstand ist, dass sich die Bundesregierung nicht einigen konnte, dass das Umweltministerium gegen die Zulassung ist und das Landwirtschaftsministerium dafür . Das würde dazu führen, dass
sich die Bundesregierung in Brüssel enthält und damit
faktisch eine Jastimme in den Brüsseler Prozess einbringt, weil nur eine Neinstimme verhindern kann, dass
diese Zulassung stattfindet.
({5})
Deshalb ist es Aufgabe der Opposition, diesen Prozess
hier im Parlament transparent zu machen, deutlich zu
machen, worum es geht .
Liebe Ute Vogt, du hast auf den Murmeltierfilm verwiesen . Ich habe einen Vorschlag, wie wir den ewig gleichen Ablauf durchbrechen können: Ihr beschneidet nicht
weiter die Rechte der Opposition auf das Stellen von Anträgen und das Beantragen von Abstimmungen über die
Anträge der Opposition .
({6})
Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren, was du
im zweiten Teil des Murmeltierfilms hier im Parlament
ausgeführt hast - also Zitat Ute Vogt in der letzten Geschäftsordnungsdebatte zum Gegenstand -:
Ich sage Ihnen: Sie haben doch jedes Recht der Welt,
Presseerklärungen noch und nöcher zu machen .
({7})
- Danke für die Belehrung; wussten wir schon . Da brauchen Sie doch nicht jedes Mal unsere Zeit
hier in Anspruch zu nehmen mit Plenardebatten zu
Dingen, bei denen im Grunde klar ist, dass wir diese
Debatte letzte Woche geführt haben und dass wir sie
in Kürze wieder führen werden .
({8})
Ich sage Ihnen: Sie von der Großen Koalition haben
genug Abgeordnete, um Ihre Position deutlich zu machen . Wir als Opposition haben die Aufgabe, die RegieElvira DrobinskiWeiß
rung zu kontrollieren und Machtbegrenzung vorzunehmen . Deshalb sind wir hier .
({9})
Wenn Sie damit weiter lustige Spielchen analog zum
Murmeltierfilm treiben wollen, dann werden wir schwierige Zeiten vor uns haben .
({10})
Es ist nicht nur Aufgabe der Opposition, Pressemitteilungen zu schreiben, sondern sie hat auch das Recht, Anträge einzubringen .
({11})
Und es ist das Recht und es ist die verdammte Pflicht der
Opposition, im Parlament nicht nur Debatten zu führen,
sondern auch Entscheidungen herbeizuführen . Nichts
weiter klagen wir ein .
({12})
In der Tat müssen wir mit Ihnen das dritte Mal innerhalb von drei Monaten eine Geschäftsordnungsdebatte
darüber führen, ob unser Antrag hier vor einer relevanten
Entscheidung in Brüssel zur Abstimmung gestellt werden kann, in der Ihre, die von Ihnen getragene Bundesregierung keine klare Position einnimmt, damit klar wird,
dass das Parlament mehrheitlich - wenn Ihre Aussagen
von der SPD stimmen - eine andere Position dazu hat
und die Regierung an dieser Stelle dann das Votum des
Parlaments ignorieren würde . Das ist unsere Aufgabe,
und die sollten Sie nicht ins Lächerliche und auch nicht
sonst irgendwohin ziehen .
Danke .
({13})
Als nächste Rednerin hat Ute Vogt das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegin Lemke, weil Sie am Anfang
sagten: „Dann wird es möglicherweise keinen Anbau
geben“, möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Es wird
keinen Anbau dieser infragestehenden Maissorten geben,
weil das Opt-out ganz eindeutig schon im Jahr 2015 erklärt worden ist .
({0})
Dabei bleibt es auch .
({1})
Ich sage das nur, damit das feststeht .
Ich glaube, es gibt auch keinen Grund, sich jetzt so zu
echauffieren oder gar so schlechtgelaunt durch die Gegend zu ziehen .
({2})
Denn natürlich hat die Opposition - Sie haben es ja erfreulicherweise auch zitiert - immer das Recht, Anträge
zu stellen . Sie haben den Antrag ja, wie von mir vorhergesagt, ein drittes Mal gestellt, und dieses Recht will Ihnen auch niemand nehmen .
({3})
Aber wir haben doch auch das Recht, unsere Meinung zu
sagen, nämlich dass wir den Antrag für überflüssig halten
({4})
und dass wir es nicht notwendig finden, über ihn heute
abzustimmen .
({5})
Ich habe es Ihnen schon begründet: Es gibt keine inhaltliche Begründung dafür; vielmehr geschieht das deswegen, weil Ihr Antrag rein taktisch motiviert ist .
({6})
Jetzt erkläre ich es Ihnen noch einmal, auch wenn
Sie an vielen Landesregierungen beteiligt sind und man
glauben könnte, Sie wüssten das Ganze schon: Eine Regierungskoalition wird von mehreren Parteien getragen .
Diese Parteien schließen einen Koalitionsvertrag . Schauen Sie ihn sich einmal an: Ihn unterschreiben nicht Mitglieder der Bundesregierung, sondern führende Vertreter dieser Parteien . Hier gibt es zwei Fraktionen, hinter
denen unterschiedliche Parteien stehen, die einfach eine
unterschiedliche Meinung haben .
({7})
Unser Koalitionsvertrag legt in solchen Fällen ganz eindeutig eine Enthaltung fest .
Wenn Sie Ihren Antrag jetzt hier zur Abstimmung
stellen, dann hat das nur den Zweck, SPD-Kolleginnen
und -Kollegen, die alle inhaltlich der Meinung sind, dass
man in Brüssel für ein Nein votieren muss, wie es die
Bundesministerin ja auch macht, vorzuführen, weil sie
sich nach dem Koalitionsvertrag schlichtweg enthalten
müssen . Diese billige Nummer, hier immer wieder zu
versuchen, Kolleginnen und Kollegen vorzuführen, statt
in der Sache zu streiten, wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen . Deshalb werden wir nicht zulassen, dass über
Ihren Antrag sofort abgestimmt wird .
({8})
Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Worum geht es eigentlich? Morgen soll über die EU-Zulassung gentechnischer Pflanzen abgestimmt werden - in
einer nichtöffentlichen Sitzung von Ministerialbeamten
im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel . Ich wiederhole: Die Sitzung ist
nichtöffentlich . Es geht um drei Maislinien: MON 810
von Monsanto, MON 1507 von Dow/DuPont und um
Bt 11 von Syngenta .
({0})
Was passiert hier? Bakterielles Insektengift wird durch
diese Pflanzen produziert. Dass dadurch natürlich nicht
nur die schädlichen Insekten kaputtgehen, sondern auch
die anderen, das ist selbstverständlich .
Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es dazu keine Beschlüsse des Rates der EU in öffentlichen Sitzungen, sondern es gibt nur Beschlüsse von Ministerialbeamten in
nichtöffentlichen Sitzungen .
({1})
Schon am 6 . Oktober 2016 hat das Europäische Parlament in drei Entschließungen dieses abgelehnt und die
Kommission aufgefordert, die Vorschläge zurückzuziehen .
({2})
- Ich rede zur Tagesordnung: Ich erkläre, warum wir, die
Linke, den Antrag der Grünen unterstützen . Wir halten
ihn für sinnvoll .
({3})
Deshalb fordern auch wir, direkt über den Antrag der
Grünen abzustimmen .
Ich bin ganz erstaunt, wie sich die Kolleginnen und
Kollegen, auch die von der SPD, hier echauffieren. Ich
bin schon fast 20 Jahre im Bundestag und muss Ihnen
sagen: Auch als Sie in der Opposition waren, haben Sie
Anträge dreimal gestellt . Damals haben sich die anderen
aufgeregt .
({4})
Mich wundert das schon ein bisschen .
Natürlich sagen Sie: Wir können dem nicht zustimmen, weil wir im Koalitionsvertrag Verpflichtungen eingegangen sind usw . Aber fragen Sie doch die Menschen
auf der Besuchertribüne: Auch die wollen, dass es um
die Sache geht . - Leider darf ich die Menschen auf der
Besuchertribüne nicht fragen: Wer ist gegen die Gentechnik? Wer ist dafür, dass die Bundesregierung morgen auf
EU-Ebene gegen die Gentechnologie stimmt? - Leider
dürfen die Menschen auf der Besuchertribüne nicht abstimmen . Wenn sie es machten, bekämen sie Ärger; aber
wir können es ja einmal probieren .
Insofern bin ich der Meinung, Sie sollten über Ihren
Schatten springen, und wir sollten direkt über den Antrag
der Grünen abstimmen .
({5})
Wir brauchen nämlich Parlamentarismus, wie ihn sich
die Menschen draußen wünschen . Sie fragen: Warum
stimmen die einen so und die anderen so, wenn sie doch
einer Meinung sind? Keiner kann das mehr erklären .
Noch etwas zu dem unsäglichen Lobbyismusvorwurf;
es hat mich besonders verärgert,
({6})
dass er gegenüber Ökoverbänden, dem Naturschutzbund
Deutschland usw . geäußert wurde .
({7})
Natürlich stehen auch wir hinter den Bäuerinnen und
Bauern, und natürlich wissen wir, dass sie uns satt machen; das ist doch überhaupt keine Frage . Im Gegenteil:
Wir wollen die Bauern vor den großen Konzernen und
Ihrer unsäglichen Politik schützen, damit sie überleben
können
({8})
und nicht auch so fertiggemacht werden wie die Bauern
in Indien, die sich dann umbringen .
Es bestünde also heute die Möglichkeit, zu sagen: Wir
wollen gemeinsam etwas erreichen . Die Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler will das . Aus diesem Grund
stimmen auch wir für diesen Antrag .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zur Abstimmung . Nach ständiger Übung stimmen wir zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab .
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10976 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
({0})
- die Präsidentin hat das Wort - und zur Beratung an
den Ausschuss für Gesundheit, an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union . Wer stimmt für die
beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dieser Antrag angenommen und
die Überweisung beschlossen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition . Es
gab keine Enthaltungen . Damit, liebe Kolleginnen und
Kollegen, stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/10976 in der Sache nicht ab .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun
deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016
({1})
Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924
Nr. 1.16
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rehberg von der CDU/CSU-Fraktion als erstem Redner
das Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Welch ein Luxus! Welch ein Luxus, eine Debatte zu
führen, in der es, weil wir Zinsminderausgaben haben,
darum geht, nach einer Grundgesetzänderung und der
Verabschiedung der entsprechenden Begleitgesetze ein
Kommunalinvestitionsprogramm in Höhe von 3,5 Milliarden Euro auflegen zu können. Normalerweise hätten wir diesen Punkt im Rahmen des großen Pakets der
Bund-Länder-Finanzen behandelt . Allerdings gibt es
§ 95 unserer Geschäftsordnung, in dem es sinngemäß
heißt: Wenn der Bundesrat Stellung zum Nachtragshaushalt genommen hat - er hat im Dezember Stellung
genommen -, müssen sich der Haushaltsausschuss und
dann der Deutsche Bundestag damit befassen . - Diese
Debatte ist auch deswegen eine Luxusdebatte, weil in
der Zwischenzeit der Überschuss des Jahres 2016 publik
wurde: 6,2 Milliarden Euro .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich im Jahr 2009
Mitglied des Haushaltsausschusses wurde, war die Sachlage folgende: 300 Milliarden Euro Haushaltsvolumen,
86 Milliarden Euro Neuverschuldung im Soll . Wir sind
im Jahr 2010 mit 44 Milliarden Euro ausgekommen . Der
Haushalt des Jahres 2014 war der erste Haushalt, bei dem
wir keine neuen Schulden mehr gemacht und - ohne Debatte - 2,5 Milliarden Euro getilgt haben . Die Koalition
hat im Rahmen der Änderung des Haushaltsgesetzes zum
Beispiel beschlossen, dass wir das über einen Bundesbankgewinn von 2,5 Milliarden Euro hinausgehende Volumen zur Schuldentilgung verwenden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte ist auch
deswegen eine Luxusdebatte, weil wir in diesem Jahrzehnt bewiesen haben, dass in Deutschland trotz einer
soliden Haushaltspolitik und der mit 52 Prozent höchsten
Sozialquote in der deutschen Geschichte die Investitionen hochgefahren werden können . Das ist eine Erfolgsgeschichte seit 2010 .
Wenn man sich die Zahlen ansieht und fragt, wie sich
die Steuern verteilen, dann stellt man fest, dass die Steuerzuwächse in den letzten sieben Jahren beim Bund am
geringsten sind; sie betragen nämlich nur 35 Prozent,
37 Prozent sind es bei den Ländern und 44 Prozent bei
den Gemeinden . Insbesondere dadurch, dass der Bund
in den letzten Jahren massiv Umsatzsteuerpunkte an die
Länder und Kommunen abgegeben hat, ist diese Entwicklung zustande gekommen .
Sigmar Gabriel hat heute Morgen gesagt, wir hätten
die Länder und Kommunen in dieser Legislaturperiode
um 80 Milliarden Euro entlastet . Nach unserer Rechnung
sind es sogar 95 Milliarden Euro .
Ich widerspreche ihm aber an einer ganz entscheidenden Stelle . Es gibt ein altes Sprichwort: Sorge in guten
Zeiten, dann hast du in der Not . - Und wir haben gute
Zeiten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu sagen, dass
die Tilgung von Schulden bei niedrigen Zinsen ökonomisch nicht sinnvoll ist, dem widerspreche ich ganz entschieden . Was will man denn machen, wenn die Zinsen
viel höher sind? Das ist doch die Frage .
({0})
Lieber Kollege Gabriel, der Bundesrechnungshof, der
Sachverständigenrat, beide sagen klipp und klar: Jetzt ist
die Zeit zum Tilgen von Schulden .
({1})
Übrigens gibt es genug Vorbilder: Nordrhein-Westfalen
tilgt Schulden . Rheinland-Pfalz tilgt Schulden . Schleswig-Holstein tilgt Schulden . Im Koalitionsvertrag meines Heimatlandes steht: Bei Haushaltsüberschüssen sollen drei Viertel davon für die Schuldentilgung eingesetzt
werden und ein Viertel davon investiert werden .
Ich sage noch einmal: Es ist eine Luxusdebatte, die
wir hier miteinander führen . Es gibt da unterschiedliche
Standpunkte in der Koalition . Das ist auch ganz legitim;
denn bei der ersten Lesung dieses Nachtragshaushaltes
war ein Überschuss in dieser Höhe nicht abzusehen .
Ich will noch einen Hinweis geben, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Wir tragen auch Dinge im Umfang eines
zweistelligen Milliardenbetrags vor uns her, die in den
nächsten Jahren ausfinanziert werden müssen: Kommunalinvestitionsprogramm 3,5 Milliarden Euro, 164 Millionen Euro abgeflossen; einen Milliardenbetrag im
Verkehrsbereich, weil wir die Dinge nicht schnell genug
umsetzen können; Kitaprogramme . Ich könnte das weiter
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
fortführen . Das muss in den nächsten Jahren aus dem Gesamtetat finanziert werden
({2})
und nicht nur der Haushaltsausgleich im Jahr 2018 im
Umfang von rund 10 Milliarden Euro . Deswegen ist es
gut und richtig, sich an dieser Stelle noch ein bisschen
Zeit zu nehmen . Deswegen haben die Koalitionsfraktionen gemeinsam beantragt, diesen Gesetzentwurf wieder in den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen . Wir
werden das dann dementsprechend behandeln .
Ich will noch eines klar sagen, damit es keine Legendenbildung gibt . Die 3,5 Milliarden Euro können erst
dann fließen, wenn die Grundgesetzänderung vollzogen
worden ist, die Begleitgesetze dazu erlassen worden sind
und die Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung getroffen worden ist . Ich bitte, nicht eine Debatte darüber aufkommen zu lassen, dass es bei den 3,5 Milliarden Euro
deswegen, weil sie noch nicht abschließend beschlossen
worden sind, eine Verzögerung gibt . Dieses ist mitnichten so .
Herzlichen Dank .
({3})
Roland Claus spricht als Redner für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Rehberg hatte gerade mit der Peinlichkeit zu tun, dass die
Koalition ihre Hausaufgaben nicht erledigt hat und hat
sich deshalb weg vom Thema „Nachtragshaushalt 2016“
auf die historische Bestimmung der Leistungen der CDU/
CSU von 2009 bis 2017 geflüchtet. Das können wir ihm
nicht durchgehen lassen .
({0})
Die vorliegende Tagesordnung hat uns ja eine konkrete
Aufgabe zugewiesen .
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang . Der Bundeshaushalt 2016 ist beendet. Das Bundesfinanzministerium
berechnet gerade, wie die Abflüsse waren. Es wird uns
wieder etwas Fantastisches präsentiert werden . Und wir
reden hier über einen Nachtragshaushalt, eine Veränderung eines Haushaltsjahres, das quasi schon abgeschlossen ist . Das kann doch nur deshalb sein, weil uns ungewöhnliche Umstände dazu zwingen . Der erste ist: Der
Bundesfinanzminister sitzt auf zu viel Geld. Der zweite
ist: 16 Länderregierungschefs haben mit der Kanzlerin
am 14 . Oktober einen sogenannten Beschluss zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefasst .
Um es ganz klar zu sagen: Den Kern dieses Nachtragshaushaltes machen Schulsanierungen in finanzschwachen Kommunen aus . Zu diesen Schulsanierungen
sagen wir ganz eindeutig Ja und werden diesem Teil des
Gesetzes auch zustimmen .
({1})
Für meinen Landkreis in der Saale-Unstrut-Region
sind das exakt 10 Millionen Euro . Es ist eine echte Hilfe,
die wir dort erwarten . Wir müssen aufpassen, dass die
Länder nicht tricksen, aber das gehört ja auch zu unserem
Job . Deshalb - ich sage es nochmals - haben Sie hierzu
unsere Zustimmung .
Wir könnten es hier heute auch abschließend miteinander festhalten .
({2})
Das wäre ein Signal an finanzschwache Kommunen: Der
Bund hilft bei Investitionen .
({3})
Man könnte sich auf die Dimension der Mittel einstellen,
die da bald kommen . Das zu beschließen, wäre heute unsere Aufgabe gewesen . Wir haben schon im Ausschuss
gesagt: Dieses Verhalten der Großen Koalition grenzt an
Arbeitsverweigerung .
({4})
Nun ist nochmals das Argument vorgetragen worden,
dass die Investitionen ohnehin erst nach einer Grundgesetzänderung fließen können, und wegen des unsäglichen
Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bildungspolitik ist das ja auch noch zutreffend und kann
nicht geleugnet werden . Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, auch große politische Fehler sind heilbar - genau an dieser Stätte, nämlich hier im Deutschen Bundestag, sind sie heilbar .
({5})
Nun sind hier nicht näher benannte, aber uns ja nicht
verborgen gebliebene Differenzen zwischen CDU/CSU
und SPD hinsichtlich der Verwendung der Überschüsse
des Jahres 2016 aufgetreten . Die Große Koalition braucht
Bedenkzeit . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, es gibt im Parlament auch so etwas
wie eine Bedenkenträgerhaftung .
({6})
Insofern sagen wir: Wenn Sie vorhaben, den Nachtragshaushalt jetzt erneut in den Ausschuss zurückzuüberweisen, dann müssen Sie das mit Ihren Mehrheiten machen;
die Opposition wird nicht dafür stimmen . Und nicht vergessen: Ihr seid in einer Bedenkenträgerhaftung .
({7})
Als nächster Redner spricht Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Roland,
({0})
wir haben es dir ja schon im Haushaltsausschuss erklärt .
Deswegen hat mich gewundert, dass du die Frage noch
mal aufgeworfen hast . Ich bin aber gerne bereit, es noch
mal zu erklären, insbesondere, weil das, was der Kollege
Rehberg, den ich ja eigentlich sehr schätze, dazu gesagt
hat, nicht angekommen zu sein scheint .
({1})
Eckhardt, vielleicht musst du da intensiver pädagogisch
tätig werden . Es sieht ganz so aus, als bliebe mir nichts
anderes übrig, als es auch noch mal zu erklären .
Die 3,5 Milliarden Euro für Bildungsinvestitionen
werden kommen .
({2})
Dafür stehen SPD und CDU/CSU . Das ist wichtig, das
haben wir versprochen, das wollen wir, das wird so sein .
Das haben wir im Haushaltsausschuss erklärt, der Kollege Rehberg hat es erklärt . Herr Kollege Claus hat gesagt,
er hat es nicht verstanden . Ich habe es jetzt noch mal erklärt .
Wir wissen also, dass das Geld kommen wird . Es wird
auch keine Sekunde Verzögerung geben; denn das Geld
kann sowieso erst dann fließen, wenn das Paket zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beraten
und beschlossen ist, die Grundgesetzänderung inklusive .
Und wir alle wissen, dass das noch ein bisschen dauern
wird . Ob der Bundesrat uns mit dem, was wir hier beschließen, durchkommen lässt, weiß auch noch keiner .
Wenn wir dann noch mal eine Runde drehen müssen,
dann ist das so - aber das Geld wird kommen . Deswegen
kann man da ganz entspannt sein . Durch die Debatte hier
und heute verzögert sich gar nichts . Man kann als Opposition versuchen, es anders darzustellen . Wir haben es
jetzt einfach noch mal erklärt, damit es allen Beteiligten
klar ist .
SPD und CDU/CSU haben 3,5 Milliarden Euro zusätzlich für die Bildungsinfrastruktur finanzschwacher
Kommunen beschlossen . So etwas tun wir nicht zum
ersten Mal;
({3})
wir haben schon häufig etwas für Kommunen und für
Länder beschlossen . Der Kollege Rehberg lässt keine
Gelegenheit aus, um das zu bejubeln, zu erklären und zu
verdeutlichen . Dafür sind ihm Länder und Kommunen
auch dankbar . Wir alle wissen, dass in den letzten Jahren
nicht nur Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro
beschlossen worden sind, wie wir es einmal im Koalitionsvertrag festgelegt hatten, sondern dass die Bereitstellung von deutlich mehr Geld beschlossen wurde - für
den sozialen Wohnungsbau und für viele andere Dinge .
Ich glaube, das kann sich sehen lassen .
Wenn der Opposition als einziger Kritikpunkt einfällt, dass wir nicht hier und heute die Bereitstellung von
3,5 Milliarden Euro beschließen, was gar nicht geht, weil
wir sie erst nach den Grundgesetzänderungen im Paket
beschließen können, dann ist es nicht besonders viel, was
kritisiert wird . Dann müssen wir sehr gut gearbeitet haben, dann muss diese Große Koalition Großes vollbracht
haben - das haben wir in den letzten vier Jahren . Insofern
fällt uns diese Debatte relativ leicht .
So, nun haben wir uns heute versammelt, weil es - der
Kollege Claus hat es angesprochen - Differenzen in dieser Koalition gibt . Lieber Roland, dort SPD, dort CDU
und CSU, alles eigenständige Parteien .
({4})
CDU und CSU machen nicht alles, was wir wollen, weil
sie eigenständige Parteien sind . Deswegen gibt es Differenzen . Das ist gut so . Ich bin Mitglied der deutschen
Sozialdemokratie, ich bin nicht Mitglied der CDU oder
CSU,
({5})
und ich bin auch nicht Mitglied einer Partei, die sich Große Koalition nennt . Ich schätze den Kollegen Rehberg
sehr, bin aber froh, dass er in der CDU ist;
({6})
denn in der SPD würde er nicht glücklich werden . Deswegen, finde ich, ist er dort bei der CDU gut aufgehoben.
Dass wir Differenzen haben, ist nicht nur logisch und
folgerichtig, man kann das sogar wählen . Das haben
auch viele Menschen in unserem Land getan . Dass wir
uns einigen müssen, ist genauso logisch . Das nennt sich
Demokratie . Gelebte Demokratie besteht darin, dass man
sich einigt .
({7})
Jetzt haben wir hier ein echtes Luxusproblem . Das Luxusproblem besteht darin, dass wir am Ende aller Tage
12,3 Milliarden Euro übrig haben, und man kann sich
jetzt überlegen, was man mit diesen 12,3 Milliarden Euro
macht . Und dass man sich darüber unterhält, halte ich für
vollkommen in Ordnung .
Die 12,3 Milliarden Euro kann man auf der einen Seite
nutzen - so will es die CDU/CSU; zumindest zu einem
großen Teil -, um Schulden zurückzuzahlen . Wir Haushälter finden Schulden zurückzahlen eigentlich ganz sympathisch . Auf der anderen Seite kann man aber auch Geld
investieren . Die CDU/CSU erklärt uns immer wieder, wir
müssen die Investitionsquote in unserem Land steigern,
wenn ich mich recht erinnere; ich kann aus der einen oder
anderen Rede zitieren . Die CDU/CSU sagt immer, wir
müssen mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren .
Ich könnte jetzt aus den Reden vieler Ministerinnen und
Minister von unionsgeführten Ministerien zitieren, in denen sie geäußert haben, wo sie Geld investieren würden .
Dass der Kollege Spahn so übellaunig dreinschaut, liegt
daran, dass er als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium das Geld ohnehin ungerne ausgibt .
({8})
Aber er hat nun einmal ein paar andere Kolleginnen und
Kollegen da vorne sitzen, insbesondere die von der Union, die das Geld gerne ausgeben würden .
Wir als SPD haben gesagt: Wir machen in dieser Legislaturperiode keine neuen Schulden . Das hat auch geklappt . Das liegt daran, dass wir Sozialdemokraten mit
der CDU/CSU regieren .
({9})
Als Sie mit der FDP regiert haben, haben Sie dreistellige Milliardensummen an Schulden gemacht . Also man
merkt: Geht es um Geld, fragt man die SPD .
({10})
In diesem Fall ist es so: Wir Sozialdemokraten haben die
Schuldenbremse mit der CDU/CSU in der letzten Großen
Koalition durchgesetzt, dann hat die Union vier Jahre geschwächelt,
({11})
aber dann kamen wieder wir .
({12})
Seitdem wurden keine neuen Schulden gemacht . Dafür
ist uns die Union dankbar, jedenfalls die Haushälter der
Union; denn diese Unterstützung hatten sie bei der FDP
nicht .
Jetzt ist es so, dass wir uns vorstellen können, dass ein
großer Teil dieser 12,3 Milliarden Euro für Investitionen
ausgegeben wird . Ich glaube, das ist eine gute Sache . Wir
glauben, dass man gemeinsam mit den Kommunen und
den Ländern dafür sorgen sollte, dass die Schulen vor
Ort saniert werden . Wir sollten uns um Universitäten, um
Turnhallen und um Internetanschlüsse kümmern .
({13})
Ich glaube, dass unser Land wirtschaftlich erfolgreicher ist, dass die Menschen in unserem Land glücklicher
sind, dass es sozial gerechter wäre, wenn
({14})
wir uns um die Infrastruktur in unserem Land kümmern .
Ich kann nicht glauben, dass die CDU/CSU das anders
sieht, dass sie weniger Geld für Investitionen in das
Handwerk, in Schulen und Universitäten ausgeben will .
Dass wir uns in dieser Großen Koalition die Freiheit
nehmen, über dieses Thema zu diskutieren, halte ich nicht
für falsch, sondern es kann zu einem Erkenntnisgewinn
bei uns Sozialdemokraten kommen, es kann aber auch zu
einem Erkenntnisgewinn bei CDU/CSU kommen .
({15})
Zeit verlieren wir auch nicht, weil wir erst einmal Grundgesetzänderungen beschließen müssen . Und deswegen
ist es gut, dass wir hier streiten .
({16})
In einer Demokratie gehört das zum Wesenskern . Ich persönlich glaube: Universitäten, Schulen und Kindergärten
sind der Aufregung - auch bei der Opposition - und aller
Mühen wert .
Vielen Dank .
({17})
Sven-Christian Kindler hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Rehberg und Kollege Kahrs haben
haarscharf am Thema vorbeigeredet .
({0})
Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, um
was es eigentlich geht . Die Große Koalition berät in zweiter Lesung einen Nachtragshaushalt . Die Debatte wird
nicht abschließend sein und der Nachtragshaushalt wird
an den Ausschuss zurücküberwiesen . Die Große Koalition kann sich über einen zentralen haushaltspolitischen
Aspekt - es geht darum, zu klären, wie man einen Überschuss verwendet - nicht einigen . Man hat sich wochenlang gestritten und ist noch immer zu keinem Ergebnis
gekommen. Ich finde, man muss sich die ganze Tragweite dieses Vorgangs einmal vorstellen . In dieser zentralen
haushaltspolitischen Frage ist die Koalition nicht mehr
handlungsfähig . Ich nenne das Arbeitsverweigerung und
peinlich, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Man muss sich auch noch einmal klarmachen: Es ist ja
eine sehr erfreuliche Situation, dass es einen Überschuss
gibt . Aber was macht diese Große Koalition eigentlich
in den nächsten Wochen und Monaten? Gewählt wird
erst im September . Bis dahin ist diese Bundesregierung
im Amt . Was macht die Regierung eigentlich, wenn es
schwierige Zeiten gibt? Gerade in diesen unsicheren,
schwierigen Zeiten muss man doch Handlungsfähigkeit
zeigen, muss man zeigen, dass man regieren will, dass
man irgendwie zu Entscheidungen kommt . Das macht
die Große Koalition nicht . Ich sage Ihnen: Das ist Arbeitsverweigerung, und das muss aufhören, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
enthält eine klare Regelung dazu . § 95 der Geschäftsordnung regelt, dass die Beratung eines Nachtragshaushalts
aufgesetzt wird . Nachtragshaushalte dürfen eben nicht
wochenlang verzögert, sondern müssen zügig beraten
werden .
Und es ist richtig: Das Geld für die Schulsanierung
wird nicht sofort abfließen, weil davon andere Regelungen abhängig sind .
({3})
Aber die Frage ist doch: Welches Signal senden wir jetzt,
sendet der Deutsche Bundestag, sendet die Große Koalition, senden CDU/CSU und SPD an die Kommunen, an
die Städte in diesem Land aus? Es gibt viele Probleme
vor Ort . Die Kommunen und Städte leben nicht im Luxus . Da fällt den Schulen der Putz von der Decke, da wird
zu wenig Geld für schnelles Internet im ländlichen Raum
ausgegeben . Wir haben viel zu wenig Geld vom Bund für
die Energiewende, für den Klimaschutz . All diese Probleme gibt es in den Kommunen ebenso wie zu wenige
bezahlbare Wohnungen . Die Kommunen brauchen Verlässlichkeit, brauchen Planbarkeit, brauchen das klare Signal vom Bund, dass man jetzt in ihre Zukunft investiert,
dass man Investitionen und den Nachtragshaushalt nicht
noch weiter verzögert .
({4})
Es ist auch richtig: Wir haben Abflussprobleme, weil
wir zu wenig Planungskapazitäten beim Bund, in den
Ländern und Kommunen haben . Wir haben zu wenig
Planerinnen und Planer, wir haben zu wenig Bauingenieurinnen und Bauingenieure . Aber woran liegt das?
Das liegt eben daran, dass diese Bundesregierung keine
langfristige Investitionsstrategie hat, dass sie immer eine
Zickzackinvestitionspolitik - nach Kassenlage - macht .
Wenn in den vergangenen Jahren mehr Geld da war, wurden neue Investitionsprogramme aufgelegt, aber insgesamt wurde das Investitionsniveau nicht wesentlich erhöht . Im Gegenteil: Im Finanzplan bis 2020 fällt es auf
9 Prozent ab . In Anbetracht dieser Lage haben Länder und
Kommunen keine Verlässlichkeit und stellen keine neuen
Mitarbeiter ein, weil sie nicht wissen, ob vom Bund auch
dauerhaft Geld kommt . Genau dieses Signal der Verzögerung setzen Sie mit dem Nachtragshaushalt wieder . Sie
lassen Kommunen und Städte bei den Investitionen im
Regen stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Wir haben vorgeschlagen, wie man das ändern kann .
Man muss den Kommunen und Ländern für die nächste Legislaturperiode und für die Zeit bis 2025 deutlich
machen, dass wir einen dauerhaften und langfristigen Investitionsplan vom Bund für die sozialökologische Modernisierung Deutschlands wollen .
Wir haben zwei Vorschläge unterbreitet . Der eine ist:
Wir müssen dafür sorgen, dass unser öffentliches Vermögen nicht weiter schmilzt . Das wollen wir dadurch erreichen, dass im Haushalt endlich ehrlich bilanziert wird,
was an Vermögen da ist . Und wir wollen, dass Vermögensverlust verhindert wird, indem die Abschreibungen
durch Neuinvestitionen ausgeglichen werden . Dafür setzen wir uns ein .
({6})
Zweitens sagen wir: Uns ist es auch sympathisch,
Schulden abzubauen . Aber in einer Situation, wo wir ein
so großes Investitionsdefizit und einen Vermögensverlust
haben, wollen wir auch versteckte Schulden abbauen .
Wir wollen in die Zukunft investieren . Deswegen sagen
wir: Wir wollen einen Zukunftsfonds, der den Überschuss langfristig sichert, um in die Zukunft zu investieren: in Klimaschutz, in gute Bildung, in bezahlbare
Wohnungen . Das muss jetzt genutzt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, und dafür müssen wir heute den
Nachtragshaushalt abschließen und endlich Planbarkeit,
Verlässlichkeit für die Kommunen und Städte in diesem
Land schaffen .
Vielen Dank .
({7})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Alois Rainer
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wer hätte zu Beginn dieser Legislaturperiode
gedacht, dass wir jetzt - fast an ihrem Ende - dastehen
und über einen Nachtragshaushalt sprechen, einen Nachtragshaushalt im positiven Sinne . Ich kenne das Problem
nur zu gut, dass man aus Nachtragshaushalten hätte investieren müssen, aber das Geld nicht zur Verfügung
stand .
({0})
Wir sind in der glücklichen Lage, in der luxuriösen Lage,
darüber sprechen zu können, wie wir das Geld verwenden, das im letzten Jahr erwirtschaftet worden ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
Beginn Folgendes sagen: Auch wenn man nicht will, dass
zu viel Zeit ins Land geht, sondern schnell vorankommen möchte, muss es erlaubt sein, über die Verteilung
von 6,2 Milliarden Euro eine Woche, zwei Wochen oder
auch drei Wochen länger zu diskutieren . Es geht nämlich
um richtig viel Geld .
({1})
Wir stecken jetzt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich in
den Kommunalinvestitionsförderungsfonds . Wir hatten
ja bereits 3,5 Milliarden Euro in diesen Fonds gesteckt,
SvenChristian Kindler
und jetzt kommen 3,5 Milliarden Euro hinzu, was sinnvoll ist; das ist unstrittig und heute schon gesagt worden .
Man muss aber auch ganz klar sagen: Zuständig für eine
angemessene Finanzausstattung der Kommunen sind die
Länder . Wir nehmen diese zusätzliche Aufgabe an und
investieren nicht nur 3,5 Milliarden Euro, sondern insgesamt 7 Milliarden Euro . Ich freue mich darüber und
hoffe, dass viele Kommunen dieses Angebot annehmen
und die zweiten 3,5 Milliarden Euro schneller abgerufen
werden als die ersten 3,5 Milliarden Euro; denn der Mittelabfluss verläuft ja stockend.
Wenn man über Investitionen in den Straßenverkehr oder andere Bereiche spricht, sollte man auch daran denken, dass wir in manchen Bereichen momentan
zu viel Geld zur Verfügung stellen, so viel, dass es gar
nicht abfließen kann. Deshalb ist es meines Erachtens
richtig, notwendig und generationengerecht, zumindest
einen großen Teil des Geldes, das in der Rücklage steckt,
für die Tilgung zu verwenden oder als zweckgebundene Rücklage zu deklarieren, um zu einem späteren Zeitpunkt - es läuft ja nicht immer so gut wie jetzt - daraus
Geld entnehmen zu können .
Mein Favorit ist aber ganz klar - das sage ich ehrlich die Schuldentilgung;
({2})
denn wir werden nicht in jedem Jahr in einer so guten Situation sein wie in diesem Jahr . Darüber lässt sich tunlich
und trefflich streiten. Es ist ja auch okay, in einer Großen
Koalition, generell in einer Koalition unterschiedlicher
Meinung zu sein . Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, es ist auch okay, wenn auch Sie eine andere Meinung haben .
({3})
Das ist gelebter Parlamentarismus .
In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussionen,
auf diese Luxusdiskussionen, die wir im Ausschuss führen werden, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen
Abend .
Danke schön .
({4})
Damit schließe ich die Aussprache .
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben
beantragt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 auf den Drucksachen 18/10500 und 18/10807 zur weiteren Beratung
an den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen . Wer
stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden . Damit
wird der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuss zurücküberwiesen .
Somit hat sich die von der Fraktion Die Linke beantragte Teilung der Frage erledigt . Auch über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir heute nicht ab .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den
Terror“ -Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pa
kistan
Drucksachen 18/7991, 18/10364
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in dieser Aussprache hat Inge Höger für die Fraktion Die Linke
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von
Ihnen als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnete Krieg ist
gescheitert . Er hat viele Menschen das Leben gekostet
und den Terror nicht besiegt, sondern nach Europa geholt .
({0})
Am letzten Sonntag starben in Mosul im Irak 14 Menschen, darunter sieben Kinder und vier Frauen . Verantwortlich für den Tod dieser Zivilistinnen und Zivilisten
sind die Bomben der Anti-IS-Koalition . Die Toten stehen
beispielhaft für die unzähligen und ungezählten Toten,
die den Kriegen der USA und der NATO zum Opfer fielen und fallen . Bomben bringen keinen Frieden .
({1})
Seit 2001 ist die Bundeswehr an dem sogenannten
Krieg gegen den Terror in Afghanistan beteiligt . Auch
nach 15 Jahren ist kein Ende dieses Krieges in Sicht .
Der Krieg gegen den Terror wurde ständig ausgeweitet:
auf den Irak, Mali und Syrien . Alle diese Kriege haben
viel Zerstörung, Leid, Verzweiflung und Wut verursacht.
Da fällt es ideologischen Brandstifterinnen und Brandstiftern nicht schwer, Unterstützer zu rekrutieren . Die
USA waren 2003 in den Irak einmarschiert, um Saddam
Hussein zu stürzen . Das Entstehen des IS ist eine direkte
Folge des Irakkrieges . Beenden Sie alle Auslandseinsätze
der Bundeswehr!
({2})
Wir haben die Bundesregierung nach den Ergebnissen
von 15 Jahren Krieg gegen den Terror gefragt . Wir wollAlois Rainer
ten wissen, was sie über die zivilen Opfer der brutalen
westlichen Interventionen in Afghanistan, im Irak und
in Pakistan weiß . Die Antwort zeigt ein erschreckendes
Maß an Unkenntnis über die Folgen ihrer Auslandseinsätze . In den Antworten gibt es keinen Angriffskrieg und
keinen Regime Change im Irak . Es gibt keine Bombardements in Afghanistan und keinen Drohnenkrieg in Pakistan . Über die wahren geostrategischen Ziele der Kriege, den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten, wird
sowieso nichts gesagt . Die Bundesregierung weiß nichts
über indirekte Kriegsfolgen, nichts über zerstörte zivile
Infrastruktur und wenig über zivile Opfer . Wer so wenig
weiß, der will nichts wissen .
({3})
Die kritische Ärzteorganisation IPPNW hat sich der
Aufgabe angenommen, vor der die Regierung sich gedrückt hat . IPPNW hat in einer Studie systematisch und
wissenschaftlich fundiert untersucht, wie viele Menschen
direkt und indirekt an den Folgen des Krieges gegen den
Terror gestorben sind . Vertreter der IPPNW sitzen oben
auf der Zuschauertribüne und verfolgen unsere Debatte .
({4})
Sie kamen für die ersten zehn Jahre in vorsichtigen Abschätzungen auf eine Größenordnung von insgesamt
etwa 1,3 Millionen Todesopfern .
Das kann niemand mehr rückgängig machen; aber
die Verantwortung gegenüber den Überlebenden kann
Deutschland übernehmen . Dazu gehört ein sofortiger
Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und in den
Irak .
({5})
Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland . Das Auswärtige Amt warnt dringend vor Reisen nach Afghanistan . Im November hat ein Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif stattgefunden . Anfang
Januar kamen erneut 50 Menschen bei Anschlägen in
Kabul ums Leben . Bei Spiegel Online kann man schnell
eine Liste der Anschläge und Opferzahlen des letzten
Jahres finden. Derweil kostet der Kampf um Mosul viele
Todesopfer, und niemand schaut hin oder berichtet darüber .
({6})
Im Zusammenhang mit Mosul wird nur über den Fortschritt der Eroberung berichtet, nicht über das Schicksal
der Menschen . Auch wenn weit über 100 000 Menschen
flüchteten, sind immer noch bis zu 1,5 Millionen in der
Stadt . Die Lage der Eingeschlossenen ist katastrophal,
und die Zahl der zivilen Opfer durch die Bomben der
Koalition und die Angriffe der irakischen Bodentruppen
ist hoch .
Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung eine Bilanz über die Konsequenzen der deutschen Beteiligung
am verfehlten Antiterrorkrieg zieht .
({7})
Richten Sie eine unabhängige Untersuchungskommission ein, stoppen Sie die Unterstützung des Drohnenkriegs,
schließen Sie Ramstein, holen Sie die Bundeswehr aus
Afghanistan, dem Irak, der Türkei und Mali zurück!
({8})
Roderich Kiesewetter hat als nächster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren und interessierte
Zuschauer! Zunächst möchte ich ein Riesenkompliment
angesichts dieser Aktuellen Stunde aussprechen - ich
merke, auf der linken Seite wird es ganz still -:
({0})
natürlich nicht der Linkspartei, sondern der Bundesregierung . Ich habe selten eine Große Anfrage erlebt, die
mit einer solchen Akribie - es sind auf über 260 Seiten
Antworten auf über 100 Fragen - äußerst sorgfältig bearbeitet wurde . Dafür ein Riesenkompliment!
({1})
Ich will das auch ausführen .
Was uns heute hier präsentiert wurde, liebe Kollegin Höger, war ein verzerrender Ausschnitt aus diesen
260 Seiten, und das Bedauerliche ist, dass Sie den Eindruck vermitteln, dass wir hier - wie soll ich sagen? Kriege unterstützen . Dabei geht es um etwas völlig anderes .
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Seit wann werden denn bei Aktuellen Stunden Zwischenfragen zugelassen?
({0})
- Dann, Frau Höger, können Sie Ihre Frage stellen . Vielleicht ist es auch für Sie interessant, was ich gleich sage .
Vielen Dank, Herr Kiesewetter . - Sie haben gesagt, die
Bundesregierung hätte akribisch die Folgen ihrer Kriege
untersucht . Was halten Sie denn von der Antwort auf die
Frage nach zivilen Opfern, wenn da Folgendes steht?
Die Bundesregierung führt keine eigenen quantitativen Studien und Statistiken zu Opfern in Ländern,
in denen die Bundeswehr militärisch beteiligt ist .
Die Bundesregierung hat aber auch nicht versucht,
wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag zu geben
oder dies anderweitig abzufragen . So geht das in der Studie immer weiter: zu Irak und Afghanistan - keine eigenen Erkenntnisse zu indirekten Opfern der Kriegsfolgen .
Es werden also keine Opfer gezählt, keine zerstörten
Häuser gezählt, keine zerstörte Infrastruktur dokumentiert . Nichts darüber ist in der Antwort zu dieser Großen
Anfrage enthalten .
Ich denke, Frau Kollegin Höger, dass Ihr Ansatz irreführend ist . Es sind nicht die Kriege der Bundesregierung,
sondern es sind internationale Einsätze, die die Bundesregierung zum Teil nicht zu verantworten hat; wir sind
uns, so glaube ich, alle einig, dass der Krieg im Irak 2003
völkerrechtswidrig war . Es geht jetzt darum, dass die
Bundesrepublik Deutschland Verantwortung übernimmt
und sich in dieser Region sehr stark beim Wiederaufbau
engagiert, aber auch bei der humanitären Hilfe .
Ganz intensiv - das hat mich sehr beeindruckt; schauen Sie sich die Antworten auf die Fragen im Umfeld
der Frage 40 und der Frage 100 an - kümmert sich die
Bundesregierung um die Unterstützung traumatisierter
Frauen und traumatisierter Kinder, und dies auch in Pakistan . Allein in Pakistan werden für rund 20 Projekte der
Bundesregierung 177 Millionen Euro ausgegeben, die
wir hier bewilligt haben, um das humanitäre Leid gerade
von Frauen und Kindern, den schwächsten Opfern eines
Krieges, zu lindern . Zudem sind in Pakistan wahrlich
keine deutschen Soldaten im Einsatz .
Gleiches gilt für den übergreifenden humanitären Ansatz der Bundesregierung in Afghanistan, wo intensiv in
Schulen, in Krankenhäuser, in Infrastruktur investiert
wird. Ich will Ihnen nicht auflisten, wie es im Jahr 2000
in Afghanistan aussah und was mit viel militärischer Absicherung und noch mehr Unterstützung in der Entwicklungszusammenarbeit dort erreicht wurde .
Ich will Ihnen aber eines verdeutlichen: Gerade im
Irak hat das Wirken der Bundesregierung dazu beigetragen, dass die Peschmerga unterstützt werden . Sie haben
im Norden des Irak über 1,8 Millionen Flüchtlinge, Männer und insbesondere Frauen und Kinder, aufgenommen .
Dieser humanitäre Schutz, der nicht hätte gewährleistet
werden können, wenn die Peschmerga dort nicht geholfen hätten und wenn sie nicht militärisch unterstützt worden wären, um den IS zu bekämpfen, ist eine wesentliche
Leistung, ein Beitrag, den die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Partnern übernommen hat .
({0})
Deswegen führt Ihr Ansatz in die Irre . - Herzlichen
Dank, Frau Höger, für Ihre Frage .
Ein weiterer Punkt führt auf die Ebene, wohin wir die
Diskussion führen sollten . Die 260 Seiten zeigen sehr
deutlich, wie der übergreifende Ansatz einer neuen Sicherheitspolitik Deutschlands funktioniert . Auch wir
haben ja gelernt . Auch die Bundesrepublik Deutschland
ist nicht mit dem ganzheitlichen Ansatz, den Minister
Jung seinerzeit entwickelt hat, auf die Welt gekommen,
sondern die Bundesrepublik Deutschland hat seit dem
Jahr 2014 mehr Verantwortung in Partnerschaft in der
Region übernommen .
Ich will das deutlich machen:
Erstes Beispiel . Das Minsker Abkommen war eine
europäische Leistung der Bundeskanzlerin und des Außenministers zusammen mit Frankreich, und zwar gegen
den Willen des US-Senats und des US-Kongresses, die
eine Bewaffnung der Ukraine wollten . Das wollten wir
nicht . Wir haben sehr deutlich gemacht, dass es darum
geht, auf keinen Fall mit einer Militarisierung zu antworten, sondern mit einer zivilgesellschaftlichen Stärkung
der Ukraine und mit Verhandlungen, die letztlich zum
Minsker Abkommen geführt haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
Ein zweites Beispiel . Es war die Bundesrepublik
Deutschland mit unserem Außenminister, den wir heute verabschiedet haben, die einen großen Beitrag dazu
geleistet hat, dass das Iran-Abkommen rechtzeitig genug abgeschlossen wurde, damit es nicht zu präventiven
Maßnahmen von Mächten in der Region kommt . Sie hat
dafür gesorgt, dass der Iran eingelenkt und sich zumindest für die nächsten zwölf Jahre einem Kontrollregime
unterzogen hat . Dass wir es hätten besser machen können
oder dass es hätte anders kommen können, wissen auch
wir . Aber wir haben das Bestmögliche daraus gemacht .
Ein drittes Beispiel für dieses übergreifende Engagement ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in
Genf intensiv für Verhandlungen mit Syrien eingesetzt
hat . Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass
Saudi-Arabien und der Iran gemeinsam mit Russland und
vielen anderen an einem Tisch saßen .
({1})
Dass das sehr zäh ist und wir uns mehr Verantwortung
für Europa wünschen, ist doch klar . Aber unser Vorgehen
zeigt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht
isolieren und sich - sei es auch nur in Ansätzen - nicht zu
militärischen Alleingängen oder Sonderwegen verleiten
lässt . Es zeichnet sich auch ab, dass durch die Verantwortung, die wir in den letzten Jahren erlernen mussten,
drei wichtige Eckpfeiler unserer Außenpolitik im militärischen Bereich fest verankert sind:
Erstens . Wir handeln nie alleine . Deutschland unternimmt keine Alleingänge, es sei denn, es geht um den
Schutz deutscher Staatsbürger, die wir evakuieren müssen .
Zweitens . Wir handeln immer auf rechtlich einwandfreier Grundlage . Darüber können wir debattieren, darüber tauschen wir uns intensiv aus, und da kann man
unterschiedlicher Auffassung sein . Aber das Leitziel,
möglichst auf Grundlage eines Mandats des VN-Sicherheitsrates, zumindest aber im Einklang mit Artikel 24
Absatz 2 des Grundgesetzes vorzugehen - künftig möglicherweise auch im Einklang mit Artikel 87 des Grundgesetzes -, ist für uns bindend .
Drittens - das ist eine Lehre aus unserer Geschichte,
die uns sehr nachdenklich stimmen sollte -: Wir wollen
Militär nur dann einsetzen, wenn es der Gewährleistung
von Sicherheit dient und wenn das militärische Handeln
in ein übergreifendes sicherheitspolitisches Konzept eingebettet ist . Deswegen haben wir uns nicht unmittelbar
am Libyen‑Konflikt und seinerzeit, unter einer anderen
Konstellation, auch nicht direkt im Irak beteiligt .
Es muss künftig darauf ankommen, dass die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union
Verantwortung in Partnerschaft übernimmt . Wir dürfen
nicht isoliert werden und müssen alles tun, damit Europa
gegenüber der neuen Trump-Administration in den USA
gemeinsam agiert, und zwar deshalb, damit die USA erkennen: Nur ein gemeinsames transatlantisches Handeln,
ein Handeln auf einer Wertegrundlage bzw . einer regelbasierten Grundlage wird den Frieden in der Welt erhalten, nicht aber Deals .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Ich will klarstellen, dass wir hier keine Aktuelle Stunde durchführen .
({0})
Wir debattieren eine Große Anfrage, lieber Kollege
Kiesewetter . Zudem liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke zu dieser Großen Anfrage vor . Natürlich ist es jedem freigestellt, bei einer solchen Debatte
auch eine Zwischenfrage zu stellen .
Jetzt hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Herzlichen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Krieg gegen den Terror haben
wir verloren . Die Symptome dafür sind offensichtlich:
der Aufstieg von ISIS, der globale Dschihadismus, die
Radikalisierung im Inland wie im Ausland . Wir haben
diesen Krieg auch verloren, weil wir eine grundlegende
Verschiebung unserer politischen Werte und der Mittel in
Kauf genommen haben: Aufweichung des Völkerrechts
und der Rechtsstaatlichkeit, illegale Tötungen, so viel
Überwachung wie noch nie .
Wir haben diesen Krieg verloren, aber den Kampf gegen den Dschihadismus und den Terrorismus müssen wir
natürlich fortsetzen . Das Entscheidende dabei ist, dass
wir begreifen, dass wir diesen Kampf in erster Linie mit
anderen Mitteln führen müssen, als dies in den letzten
16 Jahren geschehen ist .
({0})
Ja, dazu gehören alle Mittel des Rechtsstaates, und ja,
dazu kann im Extremfall auch der Einsatz des Militärs
gehören, wenn auf andere Art und Weise keine Rahmenbedingungen für politische Lösungen geschaffen werden
können .
Ich bin sehr dankbar, dass wir heute die Möglichkeit
haben, über die Bilanz des Krieges gegen den Terror zu
sprechen . Weniger dankbar bin ich für den Antrag, den
Sie gestellt haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen
der Linken, weil er uns substanziell nicht weiterbringt .
Es ist richtig, zu benennen, dass es einen verheerenden
Krieg im Irak gegeben hat, dass es in Afghanistan eine
falsche Strategie gegeben hat; aber alle Probleme in Pakistan, im Irak und in Afghanistan auf den Krieg gegen
den Terror zu schieben, ist doch, mit Verlaub, ein wenig
hanebüchen .
({1})
Wir müssen viel grundsätzlicher ansetzen . Wir müssen
hinterfragen, was das Reden vom Krieg, vom dauernden
Ausnahmezustand eigentlich bedeutet und was es mit uns
macht . Es ist mittlerweile Standardrhetorik in den USA,
in Frankreich, England und leider auch beim Innenminister des Saarlandes, vom „Krieg gegen den Terror“ zu
sprechen .
({2})
Aber wer so denkt, treibt einen Keil in unsere Gesellschaft, das sieht man an den Trumps, Le Pens und Gaulands dieser Tage .
Meine Damen und Herren, unsere Werte, die wir zu Recht - im Kampf gegen den Terror verteidigen und
verteidigen müssen, und zwar so dringend wie noch nie,
verbieten es, Menschen wegen ihrer Ethnie oder ihrer
Religion zu diffamieren oder zu benachteiligen . Deshalb
muss ganz klar gesagt werden: Ein Krieg gegen den Islam und gegen Muslime ist ein Krieg gegen unsere eigenen Werte .
({3})
Wir können den Kampf gegen den Terror nur gewinnen, wenn wir ihn mit unseren Werten führen und nicht
gegen sie . Abu Ghuraib oder Guantánamo müssen uns
eine Mahnung sein . Diese schlimmen Fälle des Werteverfalls des Westens waren immer wieder ein Einfallstor für extremistische Demagogen . Deshalb ist es umso
wichtiger, dass wir keinen Graben zwischen Religionen
ziehen . Wir brauchen den Schulterschluss zwischen Demokratinnen und Demokraten . Der Graben verläuft zwischen der Demokratie und ihren Freunden auf der einen
Seite und ihren Feinden auf der anderen Seite .
({4})
Daher stellt sich schon die Frage, was die Bundesregierung eigentlich aus den Fehlern der letzten 16 Jahre
gelernt hat. Warum befinden wir uns eigentlich noch in
einem Ausnahmezustand? Warum ist der NATO-Bündnisfall, der wegen 9/11 ausgerufen worden ist, immer
noch nicht beendet? Warum gehen Sie nicht konsequent
gegen destabilisierende, autoritäre Partner vor, die ihre
Gesellschaften spalten und radikalisieren? Warum beRoderich Kiesewetter
kommt Saudi-Arabien Waffen für einen Krieg im Jemen,
von dem nur die al‑Qaida profitiert? Warum solidarisiert
sich die Bundesregierung mit einem Diktator namens
el-Sisi, der nicht nur Tausende Oppositionelle in den
Kerker wirft, sondern der auch den politischen Islam in
seinem Land systematisch radikalisiert? Warum beehrt
die Bundesregierung einen solchen Mann mit einem
Staatsbesuch und mit Lobesworten?
Wir müssen den Kampf gegen den Terror entschlossen führen . Wir können diesen Kampf auch gewinnen .
Aber das ist - das müssen wir zugeben - nicht immer
bequem . Es gibt einen harten Weg zu gehen . Nicht alle
Maßnahmen, die man ergreift, sind erfreulich, aber es
muss immer rechtsstaatlich sein und auf der Wertegrundlage unserer Demokratie geschehen . Um das hinzubekommen, muss man endlich aus den Fehlern der letzten
Jahre lernen .
({5})
Als nächster Redner spricht Nils Annen von der
SPD-Fraktion .
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten stehen für einen starken, wehrhaften
Staat . Ich denke, es gibt einen Zusammenhang mit dem
Thema, das wir heute diskutieren .
Die letzten zwei Jahre haben uns zum Teil sehr
schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir auch auf unserem Kontinent, in unserem eigenen Land vom Terrorismus bedroht sind . Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und
natürlich der schreckliche Anschlag in Berlin haben das
gezeigt . Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus geht es deshalb natürlich auch um unsere eigene Sicherheit .
Aber ich glaube, durch die ausführliche Antwort der
Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage ist auch deutlich geworden: Die einseitige Ausrichtung auf militärische Instrumente war ein Fehler . Und es war ein gravierender Fehler von George W . Bush, dem ehemaligen
amerikanischen Präsidenten, dass er eine Politik vertreten hat, die unsere eigenen westlichen Werte zum Teil
infrage gestellt hat . Die Stichworte „Guantánamo“ und
„Abu Ghuraib“ sind genannt worden .
Das will ich auch hier noch einmal unterstreichen, zu
einer Stunde, in der in Washington vom neuen amerikanischen Präsidenten Trump darüber gesprochen wird,
wieder Folter, zum Beispiel Waterboarding, einzusetzen .
({0})
Wenn das der Weg ist, dann wird dieser Kampf gegen
den internationalen Terrorismus, den wir gemeinsam
auf einer gemeinsamen Wertegrundlage führen müssen,
nicht erfolgreich sein können . Deswegen sind wir über
diese Entwicklung mehr als besorgt .
({1})
Die Themen, die in der Großen Anfrage angesprochen
werden, beziehen sich auf eine Reihe von Ländern . Deswegen will ich hier den Irak noch einmal hervorheben .
Man muss daran erinnern, dass es damals, 2003, die
richtige Entscheidung von Gerhard Schröder war, sich
gegen diesen Krieg auszusprechen, und zwar nicht nur
gegen den massiven Widerstand aus Washington, sondern auch hier in Deutschland - daran darf ich erinnern vonseiten der geschätzten Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion .
({2})
Wir müssen die Ursachen für die Entstehung von Terrorismus noch stärker in den Mittelpunkt rücken . Ungerechtigkeiten, Ungleichheit, Diskriminierung, Gewalterfahrungen: Das ist ein idealer Nährboden . Umgekehrt
heißt das aber: Nur in einer inklusiven Gesellschaft, in
der es Partizipationsmöglichkeiten und ökonomische
Chancen gibt, sind die Risiken für eine Radikalisierung
geringer .
Deswegen glaube ich auch, dass es, wenn wir heute
über den Irak sprechen, wichtig ist, darauf hinzuweisen,
dass wir natürlich alle versucht haben, aus Fehlern, die
gemacht worden sind, zu lernen . Deshalb ist es so wichtig, dass wir in diesem Parlament Mittel bereitgestellt haben, um beispielsweise die vom IS befreiten Gebiete im
Irak und hoffentlich bald auch in Syrien schnell mit der
notwendigen Infrastruktur, mit einer guten Gesundheitsversorgung und mit schnellen Hilfen für die Bevölkerung
versorgen zu können, damit auch dort diese Fehler nicht
noch einmal gemacht werden .
Es geht also um die Prävention von Konflikten und einen politischen Dialog . Aber auch die Dialogbereitschaft
von Konfliktakteuren muss unterstützt werden. Das alles ist richtig . Trotzdem - das gehört zur Ehrlichkeit der
Debatte - wird es auch in Zukunft immer wieder Situationen geben, in denen neben polizeilichen und zivilen
Maßnahmen eben auch militärische Gewalt notwendig
ist, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen .
Deswegen glaube ich, dass der Weg, sich zu einem
inklusiven Ansatz zu bekennen und einen breiten Instrumentenkasten bereitzuhalten, der richtige ist . Ich glaube
auch, dass das aus den Antworten, die die Regierung hier
gegeben hat, hervorgeht .
Ein weiteres Beispiel - wir haben das gerade diskutiert - ist der Einsatz in Mali . Es wird gesagt, dort würde
Afghanistan quasi wiederholt . Das Gegenteil ist der Fall .
Der politische Prozess und die Unterstützung bei der Einhaltung eines abgeschlossenen Friedensvertrages stehen
im Mittelpunkt unserer Bemühungen . Gleichzeitig wissen wir, dass es Gegner, ja, Feinde dieses Friedensvertrages gibt, die mit militärischer Gewalt versuchen, diesen
Friedensschluss, diesen Versöhnungsprozess in diesem
Land, zu unterminieren .
Deswegen machen wir beides: Wir beteiligen uns an
dem politischen Dialog und unterstützen ihn dort, wo
wir das können, mit den Instrumenten, die wir seit der
rot-grünen Bundesregierung geschaffen haben, aber wir
sind eben auch dabei, wenn auf der Grundlage eines
Mandates der Vereinten Nationen eine Militärmission
notwendig ist .
Wir tun das in der Überzeugung, die, glaube ich, in den
letzten Jahrzehnten in unserem Land gewachsen und von
Bundesregierungen aller Couleur getragen worden ist,
nämlich dass wir diesen Weg mit Partnern und nicht alleine gehen . Gerade in der tiefen Krise des europäischen
Integrationsprojektes und während der Verunsicherung
durch die Wahl von Donald Trump und die unklaren Aussagen zur amerikanischen Bündnisverpflichtung können
sich unsere Partner darauf verlassen, dass wir diesen Weg
gemeinsam gehen . - Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen .
Eine Rede zu dieser Großen Anfrage wäre wahrscheinlich nicht vollständig, ohne auch etwas zu Afghanistan zu sagen . Das ist wahrscheinlich das Land, mit
dem wir uns hier am meisten auseinandergesetzt haben .
Dafür gibt es gute Gründe . Mir bleibt jetzt nicht die Zeit,
eine umfassende Bilanz zu ziehen . Aber in der Zusammenfassung fällt natürlich die Bilanz des internationalen
Afghanistan-Einsatzes ernüchternd aus .
({3})
Das ist gar keine Frage . Es verbleiben große Probleme .
Meine Damen und Herren, wir verschweigen aber
auch nicht die Rückschläge, die es gegeben hat . Wir verschweigen nicht die verbleibenden Probleme . Meine Bitte, gerichtet an die Linksfraktion, ist: Verschweigen Sie
auch nicht die Fortschritte, die wir erreicht haben .
({4})
Ich meine die Fortschritte gerade für die Menschen in
diesem Land, die in den großen Städten wieder die Möglichkeit haben, ein einigermaßen verlässliches Leben zu
führen und ihre Kinder in die Schulen zu schicken; Städte, in denen es wieder Universitäten und ökonomische
Bewegungen gibt; Städte, die Perspektiven bieten, die
wir unterstützen müssen .
Es bliebe noch viel zu sagen . Es sind in der Tat viele
auch für unsere Arbeit wichtige Hinweise und Erkenntnisse in der Antwort auf diese Große Anfrage zu finden.
Trotzdem will ich Ihnen zum Schluss eines sagen . Ich
habe mir zum Beispiel die Frage 90 sehr genau angesehen . Da fragen Sie die Bundesregierung:
Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung
aktuell die zehn häufigsten Todesursachen der Bevölkerung in Pakistan . . .?
Abgesehen davon, dass Sie die Bundesregierung ein
bisschen mit Wikipedia verwechseln, ist es für uns natürlich eine unerlässliche Erkenntnis, jetzt zu wissen,
dass die häufigsten Todesursachen in Pakistan Herzinfarkte, Schlaganfälle, Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen und Raucherlungen sind . Wahrscheinlich
sind Sie doch ein bisschen enttäuscht darüber, dass die
häufigste Todesursache in Pakistan nichts mit amerikanischen Drohnenangriffen zu tun hat .
({5})
So viel zur Seriosität Ihrer Fragen .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({6})
Bevor der Kollege Beyer das Wort erhält, hat Wolfgang
Gehrcke das Wort zu einer Kurzintervention .
Lieber Niels Annen, ich habe hier im Bundestag
14 Jahre darauf gewartet, dass endlich ein Mitglied aus
einer der Regierungsfraktionen sagt: Unsere Regierung hat schwere Fehler gemacht . - Ich habe darauf bei
Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot und Rot-Grün gewartet .
Wenn man nicht die Courage hat, auszusprechen, dass
schwere Fehler gemacht wurden, die zusammen 1,3 Millionen Menschen in diesen vier Ländern das Leben gekostet haben, wenn man nicht die Courage hat, zu sagen:
„Wir haben Schuld auf uns geladen“, wird es schwerfallen, Schuld abzutragen .
Ich erwarte von dieser Regierung, dass sie sagt: Wir
haben Schuld auf uns geladen . Wir haben eine falsche
Politik gemacht . Wir haben die Chancen, die in den Entwicklungsprozessen lagen, nicht genutzt . - Ich wäre der
Letzte, der nicht die Fortschritte in Afghanistan, im Einzelnen und im Großen, benennt und lobt, wenn es auf
das Lob ankommt. Ich finde, das wäre ein Weg, auf dem
man sich treffen könnte: Wir reden über das, was es an
Fortschritten gibt .
({0})
Ich habe schon früher in Debatten mit dem Kollegen
Kiesewetter immer gesagt: Natürlich muss eine Industrialisierung des Landes erfolgen . Schroffer gesagt: Die
Einführung des Kapitalismus bringt ein Stück weit Befreiung mit sich, weil er in solchen Ländern andere Produktionsbedingungen schafft . Das ist klar . Das können
Sie auch bei Marx lesen . Aber Sie lesen Marx ja nicht
einmal .
({1})
Über all das können wir reden . Dazu gehört aber auch,
dass Sie sagen, dass die Konzeption von der Verteidigung
unserer Sicherheit in Afghanistan eine grundfalsche war
und dass man eine grundfalsche Politik betrieben hat .
Das wollen wir hören .
Wir wollen einen politischen Wechsel . Sie wissen
doch ganz genau, dass die Probleme in Afghanistan ohne
eine Kooperation mit China überhaupt nicht zu lösen
sind . Diese Politik wäre notwendig . Man muss mit der
Schanghai-Organisation zusammenarbeiten . Es wäre
doch einmal etwas Neues, wenn unser Land in der UNO
mit anderen Vorstößen käme und eine Veränderung der
Politik mitbetreiben würde .
({2})
Uns geht es nicht darum, Sie dazu zu bringen, zu sagen:
Wir haben nur Fehler gemacht . - Das können Sie machen, das können Sie aber auch lassen . Aber ich möchte
eine ehrliche Auflistung.
Nebenbei will ich Herrn Kiesewetter noch sagen:
Wenn man der Regierung das abfordert, was ihre Pflicht
ist - es ist die Pflicht der Regierung, Fragen der Abgeordneten zu beantworten -: Wieso soll ich mich für etwas
bedanken, was zur Aufgabe der Bundesregierung gehört?
So devot können Abgeordnete doch nicht sein, dass sie
sich ausdrücklich bedanken, wenn die Regierung einmal
ihrer Pflicht nachkommt. Ich will eine Debatte führen
und die Politik verändern . Ich möchte, dass der Krieg gegen den Terror aufhört; denn das alles schlägt auf unser
Land zurück .
({3})
Herr Annen, Sie haben das Wort zur Erwiderung .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Geschätzter Kollege Gehrcke, ich muss als ehemaliger Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und
Jungsozialisten Ihre Unterstellung, ich hätte Marx nicht
gelesen, zurückweisen .
({0})
Ich will Ihnen gerne noch ein paar andere Dinge zu
Ihrer Kurzintervention sagen . Ich weiß nicht, ob die vermeintlich moralisch einwandfreie Position, die Sie dort
einnehmen, und Ihre Erwartung, dass wir uns entschuldigen, der Situation gerecht werden . Ich weise jetzt Sie
und Ihre Fraktion auch nicht darauf hin, dass ich, seit ich
Abgeordneter dieses Parlaments bin und die politischen
Debatten dieses Parlaments verfolge, von Ihnen noch nie
die Frage - auch nicht an die Bundesregierung - gehört
habe, wie viele Opfer denn der internationale Terrorismus - die Taliban, al-Qaida und verbündete Gruppierungen - zu verantworten haben . Sie blenden diesen Aspekt
vollkommen aus .
({1})
Ich kann für meine Fraktion und - soweit ich das in
den Jahren, in denen ich in diesem Haus mitarbeiten und
meinen Wahlkreis vertreten darf, verfolgen konnte - für
die anderen Fraktionen sagen: Es gab über kein anderes
Land und keinen anderen Einsatz so viele selbstkritische
Debatten im Deutschen Bundestag wie über Afghanistan .
Ich glaube nicht, dass sich ein Parlament aus den anderen
Ländern, die sich an der ehemaligen ISAF-Mission beteiligt haben und heute Mitglied der Resolute-Support-Koalition sind, so selbstkritisch damit auseinandergesetzt hat .
Kollege Gehrcke, Ihnen wird aufgefallen sein, dass
sich der politische Ansatz über die Jahre verändert hat .
Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich bezogen
auf den Einsatz in Mali aufgezeigt habe, welche Lehren
wir aus Afghanistan gezogen haben . Ich glaube, die Debatten, die Sie führen wollen, führen uns nicht weiter .
Im Interesse der - hoffentlich von uns gemeinsam - beklagten Opfer von Anschlägen terroristischer Organisationen sollten wir kontrovers über die richtigen Instrumente und die richtige Mischung sprechen . Wir sollten
uns aber nicht von einem hohen moralischen Podest aus
gegenseitig Ratschläge geben . Das ist der Situation nicht
angemessen .
({2})
Da der Kollege Kiesewetter direkt angesprochen wurde, hat er die Möglichkeit, zu reagieren .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege
Gehrcke, Sie haben mich zweimal angesprochen . Ich
möchte nur sehr kurz deutlich machen: Erstens . Es ist
außergewöhnlich, dass die Fragen aus dem Parlament so
umfassend beantwortet werden . Das verdient Anerkennung;
({0})
denn bei der Beantwortung Ihrer Fragen sind Dutzende
Beamte, Offiziere und Fachleute eingebunden, die ihre
Arbeitszeit auch darauf verwenden müssen, die Vorgaben in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland
umzusetzen . Was wir hier erfahren, ist außergewöhnlich
gut .
({1})
Zweitens . Das gesamte Thema der Evaluierung wird
von der EU und den Vereinten Nationen umfassend behandelt . Wenn Sie die entsprechenden Datenbanken nutzen, können Sie sich Ihre Fragen zum Teil selber beantworten .
Drittens . Sie tragen Eulen nach Athen, wenn Sie eine
Evaluierung fordern; denn diese gibt es längst .
({2})
Bei meinem letzten Punkt geht es um etwas anderes .
Die jetzigen Kurzinterventionen zeigen nicht nur, dass
wir lebhaft debattieren, sondern auch, dass es absolut
notwendig ist, neben den normalen Debatten über einzelne Mandate hin und wieder einmal über die Ebene
darüber, nämlich über die Strategie der Bundesrepublik
Deutschland,
({3})
die Einbindung in internationale Organisationen sowie
den Sinn und Zweck verschiedener Einsätze, zu debattieren . Vielleicht haben wir in nächster Zeit die Chance, das
wieder aufzugreifen .
Herzlichen Dank .
({4})
Jetzt, Herr Beyer, haben Sie das Wort als letzter Redner in dieser Aussprache .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben die
lebhafte Debatte verfolgt . Heute Morgen haben wir uns
im Zusammenhang mit den namentlichen Abstimmungen mit einer ähnlichen Thematik auseinandergesetzt .
Deswegen sind schon viele Argumente ausgetauscht
worden . Ich habe mich einmal näher mit dem Entschließungsantrag der Linken befasst . Man kann ihn so zusammenfassen: Wegducken und Wegschauen . Es scheint das
Motto der Linken zu sein, keine Verantwortung - dieses
Stichwort fiel heute schon sehr häufig in der Debatte - zu
übernehmen und zudem Verbündete, Freunde und Nachbarn einfach im Stich zu lassen . So ist politische Verantwortung nicht umzusetzen .
({0})
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei der Linken
der Glaube vorherrscht, dass das, was man ignoriert, einem auch nicht gefährlich werden kann . Mit der Realität
hat das freilich gar nichts zu tun . Der Angriff des Terrorismus richtet sich auf das westliche Wertefundament, er
zielt ab auf die Freiheit, auf die Demokratie und überhaupt gegen die ganze Lebensart, wie wir sie hochhalten
und wie wir leben wollen . Dagegen richtet sich der Hass
der Terroristen .
Die Forderung im Entschließungsantrag mutet geradezu naiv an . Ich zitiere: „… die demokratischen und
friedlichen zivilen Kräfte in Afghanistan zu stärken, insbesondere Frauenorganisationen …“ .
Haben Sie sich ernsthaft einmal mit dem Frauenbild der
Taliban auseinandergesetzt?
({1})
Glauben Sie ernsthaft, wenn wir nur wegsehen, wird es
dort den Frauen irgendwie besser gehen, werden ihnen
mehr Rechte eingeräumt werden oder werden irgendwelchen Nichtregierungsorganisationen mehr Möglichkeiten gegeben, das Leben der Bevölkerung zu verbessern?
Die Terroristen und die Schergen der Taliban und des IS
brauchen das Leid und die Armut der Menschen . Dieses
bildet ihr Fundament, um ihren Hass zu schüren .
({2})
Terroristen wollen keine Bildung, sie wollen keinen
Wohlstand und keine Demokratie .
Lassen wir ihnen Freiräume und freie Hand, dann ergeht es den Frauen und den Kindern, der Bevölkerung
insgesamt in diesen Ländern, in denen wir uns engagieren, deutlich schlechter . Unser Engagement - ich schließe
ausdrücklich auch militärisches Engagement ein - muss
aufrechterhalten bleiben . Wir dürfen den Terroristen keine Freiräume lassen; denn wo diese entstehen, erhöht
sich die Gefahr von perfekt orchestrierten Anschlägen
auch hier bei uns im Lande .
Bei alledem wissen wir natürlich auch, dass es eine
absolute Sicherheit nicht geben kann . Aber es liegt in
unserer Verantwortung - ich benutze dieses Wort erneut
sehr bewusst - als Politiker, es den Terroristen möglichst
schwer zu machen, ihr perfides Handwerk zu vollziehen.
Das erfordert Maßnahmen im Innern und auch bei unserem außenpolitischen Engagement .
Richtig ist auch, soweit und sobald es irgendwie möglich ist, die Verantwortung für die eigene Sicherheit in
die Hände der Länder selbst zu legen, in denen wir uns
engagieren . Wir und unsere Verbündeten sind keine Besatzungsmächte in diesen Ländern . Dort, wo es nötig ist,
unterstützen wir allerdings .
({3})
Die Feststellungen der Linken lesen sich - ich sage
das ohne großen Humor - wie ein Liebesbrief an Diktatoren .
({4})
Unter Saddam Hussein sah offenbar alles besser aus, in
Syrien unter Assad war offenbar für Sie früher alles besser und sicherer, als es heute ist .
({5})
Fragen Sie doch einmal die Kurden im Norden des Irak!
Jahrzehnte litten sie unter Repressionen, wurden ihre
Dörfer mit Giftgas bombardiert, und Tausende Menschen
mussten sterben .
Auch ich habe den Nordirak besucht . Klar, auch ich
muss feststellen, dass wir zumindest von unseren Idealvorstellungen weit entfernt sind; aber wer will denn
ernsthaft behaupten, dass es dort unter Saddam Hussein
besser gewesen wäre? Es ist eine sehr zynische Ansicht,
die Sie dort vertreten .
Jetzt kommt auch noch die Forderung, unsere erfolgreichen Hilfen für die Kurden einzustellen . Das ist falsch .
Ausbildung und Waffen, die wir geliefert haben, um sich
im Irak und in Syrien gegen den menschenverachtenden
Terrorismus des IS zur Wehr zu setzen, werden - ich sage
bewusst: leider - wohl auch noch in Zukunft erforderlich
bleiben .
({6})
Jetzt höre ich schon den Einwand, lauthals rufend das war schon im Ausschuss so gewesen -: Die Kurden
brauchen doch unsere Unterstützung gar nicht oder gar
nicht mehr . - Dazu sage ich ganz klar: Wer jetzt die falschen Schlüsse zieht, nicht weiter zu unterstützen, der
handelt kurzsichtig und damit gefährlich für die Stabilität der Region und die Sicherheit der Menschen, die dort
leben .
({7})
Richten wir schließlich den Blick nach Syrien . Ohne
den Bundesgenossen der Linken im Kreml und dessen
Schutz für einen Diktator und Massenmörder mit Namen
Assad könnten wir uns schon viel mehr einer Lösung angenähert haben .
({8})
Wir verlieren dort täglich die Unterstützung gemäßigter
Kräfte, die angesichts ihrer aussichtslosen Lage in die
Radikalität des IS abdriften .
Auch Ägypten könnte ich noch beleuchten, weil dazu
etwas in der Debatte von den Rednern vor mir gesagt
wurde . Angesichts der fehlenden Redezeit muss ich das
jetzt ausklammern . Mir ist wichtig, zum Schluss noch zu
sagen, dass es mit der Union keine Flucht aus der Verantwortung geben wird, auch kein Wegducken und kein
Wegschauen .
Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden
und auch auf internationaler Ebene mit den Partnern für
eine Politik stehen, die den Terrorismus nicht so lange
ignoriert, bis er auf die Füße fällt, sondern ihn aufhält,
bekämpft und schließlich auch bezwingt .
Herzlichen Dank .
({9})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/10977 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das
ist nicht der Fall . Dann ist der Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
abgelehnt worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset
zes zur Novellierung von Finanzmarktvor
schriften auf Grund europäischer Rechtsakte
({0})
Drucksache 18/10936
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich kann die Aussprache eröffnen, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben .
Als erster Redner in der Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Meister das Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz setzt vier
europäische Rechtsakte in nationales Recht um . Wir
haben im Nachgang zur Finanzkrise versucht, Transparenz und Integrität in die Finanzmärkte zu bekommen
und den Anlegerschutz zu stärken . Dazu haben wir in
dieser Wahlperiode bereits das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz im vergangenen Jahr verabschiedet . Dort
hatten wir uns dem Thema „Bekämpfung des Marktmissbrauchs bei der Aufsicht über Zentralverwahrer“ und den
EU-einheitlichen Produktinformationsblättern zugewendet und in nationales Recht umgesetzt .
Hier geht es um vier europäische Rechtsakte . Das
ist zum einen die MiFID II, zum anderen die MiFIR;
dann haben wir das Thema Wertpapierfinanzierungsgeschäfte und dazu eine Verordnung, und wir haben
die Benchmark-Verordnung . Diese vier europäischen
Rechtsakte werden wir jetzt mit diesem Gesetz in nationales Recht umsetzen .
Zunächst einmal zu den Themen „Markets in Financial Instruments Directive“ und „Markets in Financial
Instruments Regulation“ . Das sind MiFID und MiFIR .
An dieser Stelle soll die Regulierung von Wertpapierdienstleistungen und des Börsenhandels vorgenommen
werden .
Es heißt deshalb MiFID II, weil wir seit 2004 MiFID I
hatten, und seit 2004 ist sehr viel geschehen . Deshalb ist
es, glaube ich, richtig, die Grundlage für die Beaufsichtigung des Wertpapierhandels und des Anlegerschutzes im
Wertpapierbereich entsprechend anzupassen .
Im Nachgang der Finanzkrise wurden umfangreiche
Modernisierungen und Überarbeitungen bei den EU-Vorgaben erforderlich, um auf neu entstandene Gefahren
bzw . deren Wahrnehmung mit mehr Sicherheit und Integrität der Finanzmärkte zu reagieren und neue Handelsformen und Handelsplätze angemessen in die Regulierung einzubeziehen .
Diese Regelungen haben wir zum Teil bereits heute
schon in nationalem Recht, weil wir uns entschlossen
hatten, als nationaler Gesetzgeber voranzugehen und
nicht auf europäische Regulierungen zu warten . Ich sprePeter Beyer
che an dieser Stelle insbesondere einmal die Regelungen
zum Thema Hochfrequenzhandel an, bei dem wir versucht haben, Gefahren auf nationaler Ebene zu bannen,
als die Diskussion in Europa darüber noch gelaufen ist .
Dasselbe gilt für das Thema Honoraranlageberatungsgesetz . Auch hier sind wir als nationaler Gesetzgeber vorangegangen und haben damit, glaube ich, auch die europäische Debatte ein Stück weit geprägt .
Wir wollen jetzt den Anlegerschutz durch Verhaltensund Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, insbesondere durch Transparenz- und
Informationspflichten gegenüber den Kunden, stärken.
Des Weiteren sollen höhere Anforderungen an Handelsplattformen, die Schaffung einer neuen Erlaubnispflicht für bisher nicht überwachte organisierte Handelssysteme sowie grundsätzlich die Pflicht, den Handel von
Aktien auf regulierten Plätzen zu betreiben, auf den Weg
gebracht werden . Ich hoffe, dass wir damit Aufsichtslücken bei der Regulierung von Handelsplätzen schließen
können .
An den Handelsplätzen selbst schaffen wir mehr
Transparenz durch die Ausdehnung von Pflichten zur
Veröffentlichung betroffener Finanzinstrumente und
durch die Regulierung von Datenbereitstellungsdiensten .
Wir werden Positionslimits und Positionskontrollen an
Warenderivatemärkten einführen, um exzessiven Handelsaktivitäten entgegenwirken zu können . Wir werden
außerdem Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der
Aufsicht erweitern sowie Sanktionsmöglichkeiten bei
Verstößen vereinheitlichen und verschärfen .
Der dritte Rechtsakt bezieht sich auf die Transparenz
von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und die Weiterverwendung von Sicherheiten . Dort werden wir die
Vorgaben des Finanzstabilitätsrats zur Reduzierung von
Risiken aus sogenannten Wertpapierfinanzierungsgeschäften umsetzen .
Meine Damen und Herren, der vierte Bereich ist die
Benchmark-Verordnung . Da geht es um die Frage: Wie
gehen wir mit Erstellern von Benchmarks um? Wir haben gesehen, dass auch dort in der Vergangenheit die eine
oder andere Manipulation stattgefunden hat . Deshalb
versuchen wir, durch eine einheitliche Regelung dafür zu
sorgen, dass die Zulieferung von Daten bei den Erstellern
und den Transporteuren besser beaufsichtigt und bei Manipulationen auch sanktioniert werden kann .
Wir hoffen, dass wir durch diesen Gesetzentwurf einen weiteren wesentlichen Schritt zur Modernisierung
des deutschen Kapitalmarkts im Zusammenspiel mit den
jeweiligen europäischen Rechtsakten vollziehen und den
Anlegerschutz in diesem Sinne stärken können . Ich würde mich über eine wohlwollende Beratung hier im Hause
sehr freuen .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Susanna
Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Vor knapp zehn Jahren
schwappte die Finanzkrise nach Europa über . Nachdem
die Finanzmärkte über Jahre hinweg dereguliert worden
waren, musste damals, glaube ich, auch der Letzte verstehen, dass das ein fataler Fehler war .
Der Entwurf des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes, den wir heute debattieren, ist eine der Spätfolgen der damals begonnenen Reparaturmaßnahmen .
Er betrifft mehrere Aspekte des Finanzmarktes: von
Handels plattformen über den berüchtigten Hochfrequenzhandel bis hin zum Anlegerschutz . Man könnte
meinen, dass angesichts dessen, dass schon ein Jahrzehnt
seit besagter Finanzkrise vergangen ist, dieses Gesetz eigentlich nur noch ein i-Tüpfelchen auf dem Pfad der Gesetze ist, um demokratisch kontrollierte und transparente
Finanzmärkte zu schaffen . Doch davon kann leider keine
Rede sein . Die Lage auf den Finanzmärkten ist immer
noch angespannt, und wir sind leider immer noch weit
davon entfernt, von einer flächendeckenden mittelfristigen Stabilität sprechen zu können .
Ich möchte mich jetzt auf drei Aspekte konzentrieren,
die mit diesem Gesetz zu tun haben . Ich will ein paar Defizite hervorheben, die teilweise schon in den zugrundeliegenden EU-Gesetzgebungen verankert sind, aber die
auch den fehlenden Willen der Bundesregierung, über
die Vorgaben von Brüssel hinauszugehen, aufzeigen .
Ich fange beim Hochfrequenzhandel an . Das ist der
Handel, bei dem Computer im Bruchteil des Bruchteils
einer Sekunde Wertpapiere kaufen und wieder verkaufen können . Das ist kein Einzelfall; dann könnte man ja
sagen: Das macht man ein- oder zweimal . - Nein, das
ist nicht so . Vielmehr nimmt der Hochfrequenzhandel in
einigen Marktsegmenten bis zu 40 Prozent des Handelsvolumens ein . Dieser Handel steht immer wieder in der
Kritik, weil er zu Kurskapriolen bis hin zu spektakulären
Börsencrashs führen kann und bestimmte Formen dafür
genutzt werden, um Börsengeschäfte zu manipulieren .
Da wir keinen gesellschaftlichen Nutzen darin sehen, Finanzgeschäfte im Bruchteil einer Sekunde abzuschließen
und dabei gleichzeitig sehr hohe Risiken in Kauf zu nehmen, plädieren wir schlicht und ergreifend dafür, diesen
Handel vollständig zu unterbinden .
({0})
Wir halten die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Verschärfungen für ungenügend .
Ein zweiter Schwerpunkt, auf den ich eingehen möchte, ist der Anlegerschutz. Anleger tappen häufig in die
Falle, teure und auch überflüssige Produkte zu kaufen.
Diese Produkte, die zum Teil gar nicht ihrer Risikobereitschaft entsprechen, bekommen sie aufgeschwatzt, oder
sie werden schlicht und ergreifend schlecht beraten . Sie
erleiden dann Verluste mit vermeintlich sicheren AnlaParl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
gen . Wir Linke haben dazu letzten Freitag das umfassende Konzept eines Finanz-TÜVs hier in den Bundestag
eingebracht, der vor allen Dingen auf präventiven Verbraucherschutz abzielt . Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher ist schlecht . Auch wenn man
das Bild des mündigen Verbrauchers, das gerne hier in
den Debatten bemüht wird, heranzieht, muss man doch
feststellen, dass die Stiftung Warentest zu dem Schluss
kommt, dass 95 Prozent der Vertragsangebote nicht im
besten Kundeninteresse sind . Ein zweiter Test zeigt, wie
schlecht Anlegerinnen und Anleger beraten werden . Genau deswegen, genau aus diesen Gründen muss mehr
passieren als eine schlichte Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer Richtlinien, die nun dieses Gesetz notwendig
machen . Wir wollen die provisionsgestützte Beratung
überwinden, indem das System unabhängiger Finanzberater und vor allen Dingen die Honorarberatung ausgebaut und fest verankert werden . Mit der provisionsgestützten Beratung - das wissen Sie - nehmen Sie immer
wieder Interessenkonflikte und damit zusammenhängende Fehlberatung in Kauf .
Noch etwas zum Abschluss: Der Gesetzentwurf umfasst auch Positionslimits, die ein wichtiges Tool zur
Begrenzung der Spekulation mit Nahrungsmitteln und
Rohstoffen sind . Ich habe die Befürchtung, dass die geplanten Beschränkungen deutlich hinter dem eigentlich
notwendigen Maß zurückbleiben . Das hängt zum Teil
auch von der europäischen Ebene ab; das weiß ich . Da
ist vieles in der Mache . Aber es hängt auch davon ab, wie
wir das national verankern . In diesem Fall ist die BaFin
für uns zuständig . Ich denke, wir als Parlament tragen
eine Mitverantwortung, dass Nahrungsmittel nicht für
die exzessive Spekulation an Warenterminbörsen genutzt
werden . Vielmehr gehören Nahrungsmittel dorthin, wofür sie produziert worden sind: auf den Teller der Menschen .
({1})
Im Großen und im Kleinen: Der Gesetzentwurf ist
nicht ausgereift, ganz besonders, was den Schutz von
Kleinanlegern betrifft . Auch bei diesem Gesetz wünsche
ich mir, dass es anders aus dem Bundestag herauskommt,
als es hineingekommen ist . Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen und hoffe, dass es besser wird .
Vielen Dank .
({2})
Als nächster Redner hat Christian Petry von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man hört ja sehr oft, dass Regelungen, die auf
europäischer Ebene erlassen werden, zu kompliziert
sind, zu aufwendig sind, nicht transparent genug sind,
dass das ganze Verfahren zu träge ist und dass die 27 Regierungschefs sich nicht einig werden können, sich selbst
blockieren . Was die Finanzpolitik angeht, hört man oft,
dass die Regelungen nicht bei den Menschen unten ankommen, sondern anderen zugutekommen . Dieses Mammutgesetz mit fast 300 Seiten, das wir heute mit allem,
was noch dazugehört, in erster Lesung hier in das parlamentarische Verfahren einbringen, hat das Potenzial, diese Kritik zu widerlegen . Denn der vorliegende Entwurf
des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes überträgt
vier sehr weitreichende europäische Rechtsakte in deutsches Recht; das ist von Herrn Dr . Meister schon genannt
worden . Dabei wird die Transparenz von Wertpapiergeschäften erhöht, indem wir einem Sektor, der noch nicht
entsprechend reguliert war - dem der Schattenbanken
und anderen -, ein umfassenderes Regularium geben .
({0})
Daneben wird die Benchmark-Verordnung in nationales Recht umgesetzt . Indizes, die bei den Finanzinstrumenten als Referenzwert genutzt werden, müssen künftig
überall in Europa den gleichen Regelungen unterliegen .
Diese neugeschaffenen Anforderungen - die Betrugsskandale, beispielweise um den Libor und den Euribor,
sind ja bekannt - sollen verhindern, dass weiter betrügerisches Handeln in diesem Bereich vorkommen kann .
Dadurch schnellten letztlich auch die Kreditzinsen von
Verbrauchern in die Höhe . Zukünftig werden Absprachen und die direkte Manipulation dieser Zinssätze in
allen Staaten der Europäischen Union einheitlich scharf
geahndet . Zudem überarbeiten wir mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf die europäische Finanzmarktrichtlinie,
MiFID genannt . Sie ist ein Kernstück im europäischen
Finanzsektor . Mit der Umsetzung der MiFID-II-Richtlinie werden deshalb künftig Aktien, Derivate und Fonds
sowie die Vermittlung dieser Finanzprodukte einheitlichen, strengen Regeln unterworfen, und die Transparenz
für den Kunden wird erhöht .
({1})
Im Einzelnen bedeutet dies: Der individuelle Zielmarkt eines Finanzproduktes muss eindeutig benannt
werden; denn nicht jedes Finanzprodukt ist per se für
jeden Kunden geeignet . Die Geeignetheit - das ist ein
zentraler Punkt - des Finanzproduktes muss vor Geschäftsabschluss mit dem Kunden festgehalten werden .
Über die Ausgestaltung dieser Geeignetheit werden wir
im anstehenden parlamentarischen Verfahren diskutieren . Das ist ein schwieriges Feld .
({2})
- Und es soll standardisiert sein . Die Frage, wie man es
standardisiert, ist hoch umstritten . Hier werden wir uns
aber mit Sicherheit im Verfahren einigen können .
Zudem werden wir mit dem Gesetz strenger zwischen
provisions- und honorarbasierter Anlageberatung unterscheiden . Auf diesen Punkt wird meine Kollegin Sarah
Ryglewski im Anschluss eingehen .
Das schädliche Spekulieren auf Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten werden wir mit dem Gesetz ebenfalls eindämmen und den Hochfrequenzhandel längst
überfälligen Risikokontrollen überall in Europa unterwerfen . Frau Karawanskij, ich kann dem sehr viel abgewinnen . Hochfrequenzhandel in der jetzt möglichen
Form hat überhaupt keinen sittlichen Nährwert, hat auch
nichts mit volkswirtschaftlichem Mehrwert zu tun . Es ist
eine Methode, um Geld zu verdienen . Das ist per se nicht
verwerflich, aber es hat Auswirkungen, die eine ernsthafte Hinterfragung dieses Marktes notwendig machen .
({3})
All diese Regulierungen sind nur ein Bruchteil des
Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes . Sie zeigen
eindeutig: Die Europäische Union funktioniert .
Mit dem Gesetz werden wir die Situation der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern . Damit widerlegen wir die zuvor genannten Kritikpunkte; denn Europa
funktioniert und liefert Gesetze, die die Finanzmärkte
im Sinne der Verbraucher sicherer und transparenter machen . In diesem Sinne freue ich mich auf die umfangreichen Beratungen, die jetzt anstehen .
Eines noch am Schluss, Herr Dr . Meister - wir haben
das schon mehrfach gesagt -: Gesetze müssen nicht unbedingt für jeden lesbar sein, aber wenigstens ihre Begründungen sollten so formuliert werden, dass man sie
halbwegs verstehen kann . Das als kleiner Hinweis . Wir
werden es in den Beratungen vielleicht noch schaffen,
dass hier noch etwas mehr Transparenz in der Sprache
herrscht . Wir sind auf einem guten Weg; denn das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz, das zu Recht als
Grundgesetz des Wertpapierhandels bezeichnet wird,
wird eine spannende Sache .
In diesem Sinne: Glück auf!
({4})
Der nächste Redner, Dr . Gerhard Schick, ist noch im
Untersuchungsausschuss und gibt daher im Einverneh-
men mit allen Fraktionen seine Rede zu Protokoll .1)
Deshalb rufe ich jetzt Matthias Hauer von der CDU/
CSU auf .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Juli des letzten Jahres ist das Erste Finanz-
marktnovellierungsgesetz in Kraft getreten .
Heute beraten wir in erster Lesung das Zweite Finanz-
marktnovellierungsgesetz . Wir verankern damit weitere
europäische Rechtsakte im deutschen Recht . Herr Staats-
sekretär Dr . Meister hat das vorhin im Detail sehr gut
dargestellt .
Worum geht es? Es geht um die Stabilisierung der
Märkte, es geht darum, die Anfälligkeit für neue Finanz-
krisen zu reduzieren, und es geht darum, den Anleger-
schutz zu erhöhen . Die Bundesregierung, aber auch der
1) Anlage 3
Deutsche Bundestag, hat in den vergangenen Jahren viel
dazu beigetragen, diesen Weg zu gehen . Den Weg setzen
wir nun fort .
Der Gesetzentwurf zielt vor allem darauf ab, den Anlegerschutz weiter zu erhöhen und auch die Integrität und
Transparenz der Finanzmärkte zu verbessern . Zentrales
Element ist die Verankerung der Finanzmarktrichtlinie
MiFID II und der dazugehörigen Finanzmarktverordnung MiFIR im nationalen Recht . MiFID II und MiFIR
enthalten umfassende Vorschriften . Gerade haben wir
schon einige gehört . Insgesamt bilden sie in vielen Bereichen das regulatorische Rahmenwerk für die gesamte
EU . Dabei stehen im Vordergrund: Anlegerschutz, regulierte Märkte, Informationspflichten und eine Stärkung
der Aufsichtsbefugnisse .
Zur Umsetzung der europäischen Vorgaben sind auf
nationaler Ebene zahlreiche Anpassungen nötig: im
Wertpapierhandelsgesetz, im Kreditwesengesetz, im
Börsengesetz, im Kapitalanlagegesetzbuch und im Versicherungsaufsichtsgesetz .
Positiv erwähnen möchte ich vor allem, dass es sich
bei dem Gesetzentwurf weitgehend um eine Eins-zueins-Umsetzung der europäischen Vorgaben handelt . Das
stellt sicher, dass in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten ein einheitlicher Rechtsrahmen gilt .
Eine der wichtigsten Änderungen, die das Gesetzespaket für Anleger und Anlageberater gleichermaßen mit
sich bringt, ist die Abschaffung des Beratungsprotokolls . Das bisherige Beratungsprotokoll sorgte seit seiner
Einführung 2010 vor allem für großen bürokratischen
Aufwand bei allen Beteiligten . Streit und auch Rechtsunsicherheit zwischen Anlegern auf der einen Seite und
Anlageberatern auf der anderen Seite reduzierte es nicht .
Es ist daher gut, dass das bisherige Beratungsprotokoll
nun ausgedient hat .
Ersetzt wird das Beratungsprotokoll durch die sogenannte Geeignetheitserklärung . Darin hat der Anlageberater künftig schriftlich zu erklären, aus welchen Gründen er dem Kunden ein Finanzprodukt empfohlen hat .
Bisher musste bürokratisch protokolliert werden - künftig muss der Berater also nachweisen, warum das empfohlene Produkt für den Verbraucher geeignet ist . Die
anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir
nutzen, um die Details zur Geeignetheitserklärung genau
unter die Lupe zu nehmen . Wir werden uns auch ansehen, welchen Gestaltungsspielraum uns die europäischen
Vorgaben lassen, und werden natürlich auch die Erfahrungen, die wir mit dem Beratungsprotokoll gemacht haben, einfließen lassen.
Ein weiterer Punkt, den wir auch in den Beratungen
aufgreifen sollten, ist das Thema „Produktinformationsblätter für Aktien und einfache Anleihen“ . Die derzeit
bestehende Regelung ist für alle Beteiligten unbefriedigend . Auf der einen Seite führt sie zu hohen Kosten und
zu viel Bürokratie bei den Banken . Das hat zur Folge,
dass Beratung in diesem Bereich kaum noch stattfindet.
Auf der anderen Seite ist auch der Informationsgehalt der
Produktinformationsblätter für Verbraucher derzeit sehr
überschaubar . Wir brauchen Produktinformationsblätter,
die für Verbraucherinnen und Verbraucher besser verChristian Petry
ständlich sind - vor allem auch sprachlich . Die bessere
Verständlichkeit und einen höheren Informationsgehalt
wollen wir zum Beispiel durch stärkere Standardisierung
erreichen, aber auch dadurch, dass wir bei der Formulierung der Texte zum Beispiel die Gesellschaft für deutsche Sprache miteinbeziehen .
({0})
Mehr Beratung zu Aktien und verständlichere Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher - das
stärkt auch unsere Aktienkultur, und da haben wir in
Deutschland noch einiges an Nachholbedarf . Wir in der
Koalition haben uns in den vergangenen Monaten bei
zwei Workshops genau zu diesem Thema - Produktinformationsblätter für Aktien und einfache Anleihen - mit
Fachleuten zusammengesetzt . Wir sind da in der Koalition in guten Gesprächen . Ziel ist es, eine Lösung zu
finden, die sowohl die Kreditwirtschaft von unnötiger
Bürokratie entlastet als auch einen echten Mehrwert für
Anlegerinnen und Anleger bietet und somit die Aktienkultur stärkt . Wir werden diese und weitere Punkte, die
an uns herangetragen werden, in den weiteren Beratungen kritisch hinterfragen und in der Anhörung im Finanzausschuss erörtern .
Gerade in Zeiten, in denen anderswo nationale Alleingänge offensichtlich wieder in Mode kommen, ist es mir
zum Ende der Rede ein besonderes Anliegen, zu betonen:
Wir brauchen mehr Zusammenarbeit in Europa, auch im
Finanzbereich . Die europäische Harmonisierung macht
die Finanzmärkte transparenter und robuster gegen Krisen und stärkt den Anlegerschutz . Diesen Weg werden
wir als CDU/CSU weitergehen .
Vielen Dank .
({1})
Sarah Ryglewski hat als nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Gäste, die sich heute auch diesem etwas
sperrigeren Thema annähern! Es ist schon viel zu diesem
Gesetz gesagt worden . Weil ich nicht so viel Redezeit
habe, will ich mich auf einen Aspekt beschränken .
Dass wir letzte Woche über den Antrag zum Finanz-TÜV gesprochen haben und die vielen Gesetze zu
diesem Thema, die wir beraten haben, machen deutlich,
wie sehr wir uns dieses Themas annehmen . Ein Kern der
Diskussionen, die wir hier geführt haben, war, dass wir
insbesondere den Kleinanleger und den Verbraucher in
den Mittelpunkt stellen . Frau Karawanskij, den Begriff
„mündiger Verbraucher“ werfen viele Leute immer gern
in den Raum; aber mittlerweile ist der gängige Begriff,
der auch von den meisten hier im Raum benutzt wird, der
des „verletzlichen Verbrauchers“ . Das heißt nicht, dass
er unmündig ist, sondern, dass man schauen muss, wo er
möglicherweise anfällig dafür ist, in irgendwelche Fallen gelockt zu werden oder Schaden zu erleiden . Das ist
genau das, worauf wir uns aus Verbrauchersicht auch bei
diesem Gesetz konzentrieren müssen .
Wir wollen - das stellte sich auch in der Debatte in der
letzten Woche heraus -, dass Anlegerinnen und Anleger
das Produkt bekommen, das zu ihnen passt . Wir waren
uns letzte Woche zwar nicht in allem einig, aber in einem
Punkt waren wir uns sehr einig: Von zentraler Bedeutung
ist dabei eine gute Beratung . Insofern will ich mich darauf beschränken .
Ich glaube, wir müssen sicherstellen, dass bei der
Geeignetheitserklärung nicht die Fehler und Probleme
auftreten, die beim Beratungsprotokoll aufgetreten sind .
In den Beratungsprotokollen stand nämlich teilweise
drin: Dem Anleger wurde das Produkt empfohlen, weil
es für ihn geeignet ist . - Das ist eine Tautologie und so
nichtssagend, dass es gar nichts bringt . Deswegen ist
es wichtig, dass wir die Kriterien durch entsprechende Standardisierung - Kollege Binding hat eben einen
entsprechenden Zuruf gemacht - klar definieren, sodass
man sagen wirklich kann: Die Anforderungen sind erfüllt
worden . Damit schaffen wir Rechtssicherheit - über ein
ähnliches Thema haben wir heute Morgen diskutiert -,
und zwar für beide Seiten, dass ein vernünftiges Produkt
empfohlen wird . Das gibt den Menschen auch das sichere
Gefühl, dass ihnen nichts, wie man im Norden bei uns so
schön sagt, „angeschnackt“ wurde .
Ein anderes Thema ist die Honorarberatung; Kollege
Petry hat es angesprochen . Es geht zum einen darum, für
Transparenz zu sorgen, damit alle wissen, was auf sie zukommt, wenn sie eine provisionsbasierte Beratung in Anspruch nehmen . Es ist ja mitnichten so, dass sie kostenlos
ist - hoffentlich ist sie nicht umsonst -; denn der Kunde
erhält ja auch etwas im Gegenzug . Das muss klar sein,
sonst hat die Honorarberatung keine Chance .
Der Begriff „Honorarberatung“ an sich ist übrigens
schon ein Problem - hier geht es um sprachliche Begrifflichkeiten -; denn es wird unterstellt, dass die Beratung
etwas kostet, andere aber nicht .
({0})
Deswegen setzen wir uns stark dafür ein, dass wir die
Beratung genau so benennen: Es handelt sich um eine
unabhängige Honorar-Anlageberatung .
({1})
Uns geht es darum, dass die Menschen am Ende das
bekommen, was sie haben wollen, dass sie das Gefühl
haben, sie können ruhigen Gewissens eine Beratung
in einem Bereich in Anspruch nehmen, in dem sie sich
nicht auskennen, dass sie gut beraten werden und dass
sie mit einem Produkt nach Hause gehen, das sie brauchen . Genau das wollen wir . Ich glaube, wenn man sich
darauf konzentriert - es wurde bereits an einigen Stellen
Einigkeit signalisiert -, dann haben wir tatsächlich nicht
nur einen guten Gesetzentwurf besser gemacht, sondern
wir haben auch noch etwas für den Bereich Verbraucherschutz getan .
Vielen Dank .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10936 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian
Kühn ({1}), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen
Drucksachen 18/7547, 18/11000
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat
Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich morgens von meinem Wahlkreis hierher
fahre, laufe ich durch zwei Bahnhöfe . Es ist mir in den
letzten kalten Tagen immer so gegangen, dass ich an mindestens einer schlafenden Person, an einem Obdachlosen
vorbeigelaufen bin, und mir macht das ein mulmiges Gefühl . Ich muss sagen: Ich schäme mich auch ein bisschen,
dass so etwas in einem so reichen Land wie Deutschland
möglich ist . Deswegen danke ich den Grünen, dass sie
das Thema auf die Tagesordnung setzen und damit unter anderem auf die mindestens 39 000 Menschen, die in
Deutschland ganz ohne Obdach sind, also auf der Straße
leben - so zumindest die Zahlen der BAG Wohnungslosenhilfe aus 2014 -, aufmerksam machen .
Wenn wir über Wohnungslosigkeit sprechen, dann
sprechen wir nicht nur über diese 39 000 Menschen, sondern wir reden über 335 000 Menschen - wahrscheinlich
sind es mehr -, die keine eigene Wohnung haben, das
heißt, in Notunterkünften oder in Sammelunterkünften
leben, sich von Couch zu Couch retten, in billigen Hotels
leben oder, wenn wir es weiter fassen, beispielsweise von
Zwangsräumung bedroht sind . Es ist also ein sehr komplexer Begriff, über den wir sprechen . Gleichzeitig stellen wir fest: Für den gesamten Bereich sind die Länder
zuständig. Die Kommunen sind in der Pflicht, für diese
Menschen etwas zu tun . Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Menschen Obdach haben .
Sie von den Grünen schlagen vor, per Gesetz festzulegen, dass eine bundesweite Statistik erstellt wird . Ich
stimme Ihnen insofern zu, als wir dringend mehr über
das Phänomen Wohnungslosigkeit in Deutschland wissen müssen . Allerdings überzeugt mich das Vorgehen
der Bundesregierung mehr . Es ist sehr plausibel, in einem Bereich, wo die Länder zuständig sind, zunächst
eine Machbarkeitsstudie über dieses komplexe Thema in
Auftrag zu geben, zu eruieren, wie man die Wohnungslosigkeit einheitlich schätzen kann; denn wir können ja
nicht zählen, vielmehr muss man schätzen . Man muss
jedoch mit den Ländern im Vorfeld darüber ins Gespräch
zu kommen, wir müssen das einheitlich tun, die Länder
müssen mitgenommen werden, und wir müssen dafür
sorgen, dass wir gute Statistiken über Wohnungslosigkeit bekommen . Ich danke der Bundesregierung für die
Initiative, die auch deutlich macht, wie wichtig ihr das
Thema ist .
({0})
Die Bundesregierung erfasst die Wohnungslosigkeit
nicht nur statistisch, sondern tut eine ganze Menge dagegen . Das ist auch geboten; denn wir haben es einerseits
mit Migrationsbewegungen zu tun, die sicherlich auch
dazu beitragen, dass wir einen Anstieg der Wohnungslosigkeit in Deutschland sehen . Anderseits haben aber vor
allen Dingen das Phänomen der Wohnungsverknappung
sowie die Zunahme der Bevölkerung in den Städten und
der mangelnde soziale Wohnungsbau in den letzten Jahrzehnten
({1})
dazu geführt, dass wir alle miteinander spüren, dass hier
ein größeres Problem auf uns zukommt . Deswegen ist
es so richtig und so gut, dass diese Bundesregierung den
sozialen Wohnungsbau endlich wieder auf die Agenda
gesetzt hat, obwohl das Ländersache ist .
Wir geben 2017 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus . In der ersten Lesung, die wir im
Januar des vergangenen Jahres zu diesem Antrag hatten,
war es noch 1 Milliarde Euro . Insgesamt haben sich die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdreifacht . Das
ist der richtige Schritt, und wir müssen auf diesem Weg
weitergehen; denn sozialer Wohnungsbau verhindert
Wohnungslosigkeit .
({2})
Darum geht es: Wohnungslosigkeit zu verhindern . Es
geht um Prävention .
Wir haben auch an anderen Stellen etwas getan; ich
mache es einmal an zwei Beispielen fest - ich könnte
weitere bringen -: Wir haben etwas für die junge Frau
getan, die ich in der letzten Legislaturperiode kennengelernt habe, die gerade ihre Ausbildung begonnen hatte,
eine sehr niedrige Ausbildungsvergütung bekam und aus
dem SGB‑II‑Bezug fiel. Sie war, als ich sie kennenlernte,
„von Couch zu Couch“ bei Freunden untergekommen .
Mit dem SGB-II-Änderungsgesetz - es ist ja vielfach
kritisiert worden, und viele Maßnahmen sind nicht wahrgenommen worden - haben wir diese Lücke weitgehend
geschlossen . Man kann nun, wenn man eine Ausbildung
aufnimmt, durchaus weiter ergänzend im SGB-II-Bezug
bleiben .
({3})
Auch damit verhindern wir Wohnungslosigkeit .
Ich erinnere mich noch gut an die Medienberichte
über Obdachlose rings um die großen Fleischfabriken
unseres Landes, wo Werkvertragsarbeitnehmer aus dem
Ausland der Willkür, der Ausbeutung durch die Arbeitgeber ausgesetzt waren und zum Teil auch einfach vor
die Tür gesetzt wurden und in den Wäldern rings um die
Fabrik lebten, also ohne Obdach waren .
Wir haben in dieser Regierung den Mindestlohn eingeführt - auch in der genannten Branche, die nur mit
Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht hat und Werkverträge und Leiharbeit reguliert . Aber ich sage
auch: Im Bereich der Fleischindustrie ist bei weitem
nicht alles gut . Was wir von den Gewerkschaftsvertretern
hören, ist, dass der Mindestlohn dort unterlaufen wird
und weiterhin Werkvertragsunternehmen ihr Schindluder
treiben und Menschen ausbeuten . Deswegen sage ich:
Wir haben einen richtigen Schritt getan, werden dort aber
weiter hingucken und dafür sorgen, dass Ausbeutung in
Deutschland nicht stattfindet.
({4})
Vieles mehr wäre zu nennen . Wir haben das Wohngeld
reformiert . Wir können mit dem Europäischen Hilfsfonds
für die am stärksten benachteiligten Personen - EHAP in Deutschland etwas für von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen tun .
Die Bundesregierung hat das Thema Wohnungslosigkeit zum Schwerpunkt des gerade vorgelegten Berichts
über die Lage der Menschen mit Beeinträchtigungen gemacht . Es ist klar - auch wenn dieses Thema nicht in der
breiten Öffentlichkeit diskutiert wird -: Die Bundesregierung hat es im Blick . Aber wir müssen besser werden .
Ein Beispiel: Wir haben 120 Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlust, die nach SGB II und
SGB XII finanziert werden. Sie sind aber extrem ungleich verteilt und extrem unterschiedlich aufgestellt . Ich
denke, es lohnt sich, auch von der Bundesebene aus darauf zu achten, dass wir in dem Bereich noch besser werden . Darüber und über andere Aspekte müssen wir sprechen . Ich unterstütze ausdrücklich die Bundesregierung
in ihrem Ansatz, zu einer besseren Statistik zu kommen .
Ich stelle fest - das sage ich an die Adresse der Antragstellerin -: Auch wenn wir den Antrag heute ablehnen, sind wir alle hier im Haus uns einig - hoffentlich -,
dass es unser Ziel ist, dass alle Menschen ebenso wie wir
abends in eine Wohnung kommen, die Tür zumachen und
sagen können: Meine Wohnung, hier fühle ich mich sicher, hier fühle ich mich aufgehoben . - Dieses Ziel ist
noch längst nicht erreicht, aber es lohnt sich, dafür zu
streiten .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die
Kollegin Sabine Zimmermann das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es geht uns gut, sagt die Kanzlerin. Die offizielle Zahl der Erwerbslosen ist laut Statistik so niedrig wie
lange nicht, die Wirtschaft brummt, der Laden läuft - das
sagen Sie ja immer . Herr Schiewerling vor allen Dingen
sagt immer: Es geht uns gut . Ich wollte Sie schon immer
mal fragen, Herr Schiewerling: Wen meinen Sie, wenn
Sie sagen: „Es geht uns gut“? Wer ist mit „uns“ gemeint,
wenn doch die Armut breiter Bevölkerungsschichten immer mehr zunimmt?
Die steigende Zahl wohnungsloser Menschen dokumentiert das Versagen der Bundesregierung bei der Armutsbekämpfung .
({0})
Die Kinderarmut nimmt zu, die Altersarmut nimmt zu,
und, ja, auch unter Erwerbstätigen nimmt die Zahl der
Armen zu . Der Mindestlohn schützt einfach nicht vor Armut, weil er zu niedrig ist .
({1})
Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist in den letzten
Jahren deutlich angestiegen, von 248 000 im Jahr 2010
auf 335 000 in 2014 . Darunter waren 29 000 Kinder, Tendenz steigend .
Für die Bundesregierung existiert das Problem Wohnungslosigkeit offiziell nicht, da sie keine Zahlen erhebt,
frei nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich
nicht heiß“ . Die eben genannten Angaben haben wir
von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe . Zudem kann man der Antwort auf meine Frage entnehmen - ich zitiere -, dass Wohnungslosigkeit vielfach
nicht in fehlendem Wohnraum begründet sei, sondern
in der Regel soziale und psychische Ursachen habe und
einhergehe mit familiären Schwierigkeiten, Suchtproblemen oder Krankheiten. Ich finde, das schlägt dem Fass
den Boden aus; denn das bedient die Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen, nach dem Motto „Selbst
schuld!“, und das kann einfach nicht sein .
({2})
In der Mehrzahl der Fälle ist die Kombination aus
immer weniger bezahlbaren Wohnungen und einer verfestigten und steigenden Einkommensarmut breiter Bevölkerungsschichten der Grund . Das ist der Unterschied
zwischen uns beiden, Kollegin Kolbe . Ich sage, dass die
Löhne mit daran schuld sind, weil sie so niedrig sind,
dass sich einige Menschen keine Wohnung leisten können . Die Menschen haben immer weniger Geld in der Tasche, und das ist Folge Ihrer Politik in den letzten Jahren .
({3})
Zu Jahresanfang habe ich die Bundesregierung gefragt, welche Kenntnisse ihr zu erfrorenen wohnungslosen Menschen zur Verfügung stehen . - Keine Kenntnisse .
Sie weiß natürlich von nichts . Die Bundesarbeitsgemeinschaft hat auch hierzu eine Dokumentation erstellt: Seit
1991 sind mindestens 289 wohnungslose Menschen in
Deutschland an Unterkühlung verstorben . „Sie erfroren
im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hauseingängen, in Abrisshäusern, in scheinbar sicheren Gartenlauben und in sonstigen Unterständen“, so die BAG W .
Gestern hat die BAG W den ersten Kältetod im Jahr 2017
bestätigt: ein 53-jähriger wohnungsloser Mann im Landkreis Gießen . Zehn weitere Fälle werden im Moment geprüft . Es ist ein Skandal, dass in Deutschland Menschen
erfrieren!
({4})
Auch wenn die Bundesregierung formal nicht zuständig
ist, entlässt sie dies nicht aus der Verantwortung, Kältetote in Deutschland zu verhindern .
Die Wohnungslosigkeit muss endlich bekämpft werden, und wir müssen endlich eine Statistik etablieren .
Deshalb unterstützen wir den Antrag der Grünen .
({5})
Der Bund kann sich hier nicht einfach wegducken . Wir
brauchen mehr sozialen Wohnungsbau, eine Stärkung
der Wohnungslosenhilfe, und - damit komme ich zum
Schluss - wir brauchen mehr gute und existenzsichernde
Arbeit, wir brauchen einen Mindestlohn von mindestens
12 Euro,
({6})
wir brauchen armutsfeste Renten und soziale Sicherungssysteme, die vor Armut schützen .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Jetzt hat Christel Voßbeck-Kayser für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ja, wir haben heute Abend die Gelegenheit,
über ein wichtiges sozialpolitisches Thema zu diskutieren, nämlich über die Wohnungslosigkeit . Auch für uns
als CDU/CSU-Fraktion ist es ein zentrales Anliegen,
dass allen Menschen in unserem Land Wohnraum zur
Verfügung steht . Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie
fordern, dass eine bundesweite Statistik eingeführt werden soll, um auf der Basis der erhobenen Daten Wohnungslosigkeit wirkungsvoll entgegenzuwirken . Das ist
Ihre zweite Vorlage in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema .
({0})
2015 haben Sie eine Kleine Anfrage dazu gestellt .
Das Bundesstatistikmodell ist ja schon seit Jahrzehnten in der politischen Diskussion . Aber wir wissen - das
haben auch die Vorredner gesagt -: Die Zuständigkeit
sowohl für die Betreuung und Unterbringung von Wohnungslosen als auch für die Wohnraumförderung und
damit den sozialen Wohnungsbau liegt bei den Ländern .
Dies wurde 2006 im Rahmen der Föderalismusreform
einvernehmlich zwischen Bund und Ländern vereinbart .
Das hatte auch einen Grund: Wir haben in den Regionen
in Deutschland sehr unterschiedliche Wohnraumbedarfe .
Zurzeit fehlt es in den Städten, gerade in den Großstädten, an Wohnraum, während im ländlichen Raum viele
Wohnungen leer stehen .
Der Bund entzieht sich hier ja auch nicht der Verantwortung, sondern wir unterstützen die Länder jährlich
mit bislang 520 Millionen Euro . Dies ist jetzt auf über
1 Milliarde Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau
aufgestockt worden . Wir sind uns einig: Das ist richtig,
und das ist auch gut .
({1})
Wenn wir über das Thema Wohnungslosigkeit reden,
dann vermischen wir manchmal - das habe ich gerade
bei meinen Vorrednern gehört - Wohnungslosigkeit und
Obdachlosigkeit . Unter „Wohnungslosen“ verstehen wir
Menschen, die ohne einen Mietvertrag sind . Das können
Menschen sein, die in einer Notunterkunft sind . Das können Menschen sein, die in einer Heimeinrichtung oder
in Frauenhäusern sind . Ja, es sind auch Menschen, die
vorübergehend bei Freunden und Bekannten unterkommen . Bei Obdachlosigkeit sprechen wir über ein weites
eigenes Feld und auch über eine ganz besondere Personengruppe, die einen anderen Hilfebedarf hat .
({2})
Deshalb, denke ich, ist es richtig - da sind wir ganz bei
Ihnen, liebe Kollegen von den Grünen; da sind wir einer
Meinung -, dass wir eine solide Datenbasis brauchen .
({3})
Wie kommen wir zu diesen soliden Daten? Ein Statistikmodell steht ja grundsätzlich vor der Frage der Vergleichbarkeit und der regionalen Anwendbarkeit . Sie
geben mir sicher recht, wenn ich sage, dass diese Daten
am besten vor Ort, dort, wo sich die Menschen aufhalten,
erhoben und ausgewertet werden sollen . Deshalb ist die
Schlussfolgerung des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales in dem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht
richtig, nämlich zu sagen: Wir brauchen erst einmal Länderstatistiken . Die Länder müssen mit einheitlichen PaSabine Zimmermann ({4})
rametern die Daten erheben . Diese werten wir dann aus,
um hinsichtlich des Themas Wohnungslosigkeit Schlüsse
ziehen zu können .
Es gibt kaum Bundesländer, die solch eine Länderstatistik erheben . Mein Bundesland, Nordrhein-Westfalen,
führt eine solche Statistik, aber auch dort werden lediglich zwei Gruppen erfasst, nämlich zum einen die Personen, die, wie ich eben ausgeführt habe, in Einrichtungen
untergebracht sind, und zum anderen Personen, die Kontakt zu Fachberatungsstellen der Wohnungslosenhilfe
hatten . Da nur wenige Bundesländer eine solche Statistik
haben, finde ich es gut, dass das Bundesarbeitsministerium jetzt ein Gespräch zwischen Bund und Ländern initiieren, anstoßen will, in dem einheitliche Parameter in
allen Bundesländern vereinbart werden sollen .
Ich glaube, dass wir, wenn wir diese soliden Daten
haben, zielgenaue Maßnahmen für die von Wohnungslosigkeit betroffenen Personengruppen in Deutschland
beschließen und auf den Weg bringen können .
Deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute ab .
({5})
Danke schön . - Jetzt hat Christian Kühn, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kaum 150 Meter von hier, am
Spree ufer, befindet sich ein Camp von Menschen, die obdachlos sind . Sie haben da ihre Bücher hingebracht, ihre
Zeltplanen, ihre Schlafsäcke, und sie kampieren dort,
bei minus 3 Grad in der letzten Nacht . Wir haben den
kältesten Januar seit 2010, und ich meine, wir müssen
heute von hier, vom Deutschen Bundestag, doch das Signal aussenden, dass uns dieser Widerspruch - hier das
Parlament und dort die Obdachlosen, kaum 150 Meter
entfernt - nicht egal ist .
({0})
Einige Vorredner haben es ja gesagt: Seit 2010 sind
die Zahlen der Menschen, die obdachlos sind, die von
Wohnungslosigkeit bedroht oder wohnungslos sind,
deutlich gestiegen. Das wissen wir nicht aufgrund offizieller Zahlen, sondern das wissen wir, weil die BAG Wohnungslosenhilfe hierzu die Statistik erhebt, und diese
Statistik ist zu erheben. Es braucht endlich eine offizielle
Statistik, damit wir hier gemeinsam handeln können und
damit auch die Bundesländer handeln können . Deswegen
müssen wir endlich eine Wohnungslosenstatistik auf den
Weg bringen . Es geht; die BAG macht es .
({1})
Die Dramatik nimmt ja zu . Sie nimmt nicht nur bei
Männern zu, sondern sie nimmt bei Frauen zu, ebenso
bei Jugendlichen . Das hat etwas damit zu tun, dass bei
uns Wohnraum knapper wird, dass Menschen hinaussaniert werden, dass Menschen von Räumung bedroht sind,
dass wir zu wenig in den sozialen Wohnungsbau investieren . Pro Jahr beträgt das Minus an Sozialwohnungen
weiterhin 60 000, trotz großer Anstrengungen . Das kann
uns doch einfach nicht kaltlassen . Dass wir als Deutscher
Bundestag es in dieser Legislaturperiode nicht auf die
Reihe bekommen haben, die Erstellung einer Statistik zu
beschließen, halte ich für ein Drama .
({2})
Was heißt denn Obdachlosigkeit? Obdachlosigkeit
heißt doch, dass ein Mensch keinen Schutzraum hat, dass
er keine Privatsphäre hat, dass er keinen Rückzugsraum
hat, dass er eben kein Zuhause hat, wo er hingehen kann .
Obdachlosigkeit bedeutet, dass Menschen auf Parkbänken schlafen, in U-Bahnhöfen, in S-Bahnhöfen, dass sie
vom Flaschensammeln leben und die Missachtung der
Gesellschaft erfahren . Wir haben in diesem und im letzten Jahr Mordanschläge auf Menschen, die in Obdachlosigkeit leben, erleben müssen . Das ist ein Skandal, und
deswegen müssen wir zeigen: Uns geht dieses Problem
etwas an . Deswegen müssen wir Daten erheben, um dann
auch handeln zu können .
({3})
Es freut mich ja sehr, dass jetzt eine Machbarkeitsstudie auf den Weg gebracht worden ist . Es gab auch schon
einmal eine Machbarkeitsstudie; nur ist daraus kein Handeln entstanden . Es freut mich ebenso sehr, dass auch die
Union dieses Problem erkennt . Aber ich sage Ihnen eines: Eine Machbarkeitsstudie reicht nicht aus . Wir müssen die Zahlen erheben, damit wir handeln können, damit
wir Notfallprogramme auf den Weg bringen und damit
wir endlich auch die Länder unter Druck setzen können,
sodass die Länder eine Statistik erheben . Hierfür muss
der Bund die Parameter vorgeben .
({4})
Beim Thema Wohnen ist es ja immer das Schwarze-Peter-Spiel: Die Länder sind dafür zuständig, der Bund ist
dafür nicht zuständig, also sind wir hier als Bund fein
raus. Ich kann das nicht ertragen, und ich empfinde es so,
dass auch die Kolleginnen, die hier gesprochen haben, es
nicht ertragen können . Frau Kolbe hat es ja gesagt: Die
Bundesregierung hat einiges auf den Weg gebracht, nur
leider keine Statistik .
({5})
Wenn man etwas in diesem Themenfeld macht, dann
kann man auch eine Statistik auf den Weg bringen .
Frau Voßbeck-Kayser sprach davon, dass die Mittel
für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt wurden . Auch
wenn wir nicht dafür zuständig sind, haben wir die Mittel
dennoch aufgestockt; also können wir auch eine Statistik
Christel VoßbeckKayser
machen . - Die Logik der Großen Koalition leuchtet mir
an dieser Stelle überhaupt nicht ein .
({6})
Auf Ihre Frage, die Sie gerade zu Baden-Württemberg eingeworfen haben, Frau Kolbe: Baden-Württemberg wird auch eine Wohnungslosenstatistik auf den Weg
bringen, und das haben wir Grünen bei den Koalitionsverhandlungen eingebracht . Ich bin sehr froh darüber,
dass der Koalitionspartner Union dies mit auf den Weg
bringt und dass damit auch aus den Bundesländern Druck
kommt . Aber auch hier in diesem Parlament brauchen
wir endlich einen Beschluss für eine Statistik, damit wir
endlich handeln können .
Wir beraten dies jetzt seit einem Jahr, und es ist ja
nicht so, dass wir einen zweiten Antrag eingebracht hätten . Vielmehr haben wir Ihnen ein Jahr Zeit gelassen, damit Sie richtig handeln und damit diese Bundesregierung
etwas auf den Weg bringt . Ich kann nur erkennen, dass es
Lippenbekenntnisse gibt, aber kein Handeln . Das halte
ich für einen Skandal . Wir Grünen werden weiter dranbleiben und bei dieser Frage nicht lockerlassen; denn wir
dürfen die Menschen in der Kälte nicht alleinlassen .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Dr . Martin Pätzold ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es ist ein hochemotionales, sensibles Thema, über das wir heute hier im Deutschen Bundestag diskutieren . Es ist auch ein sehr aktuelles Thema, weil wir
in den politischen Debatten immer wieder darüber diskutieren: Was tun wir für die Einheimischen, die obdachlos
sind, und was tun wir für diejenigen, die neu in unser
Land gekommen sind?
Dieses Thema berührt einen selbst, wenn man immer
wieder Erfahrungen gesammelt hat und in Einrichtungen
war, wo Menschen sind, die keine eigene Wohnung mehr
haben, die obdachlos sind . Wenn man diese Einrichtungen besucht und mit denen, die direkt betroffen sind, ins
Gespräch kommt, dann sieht man, dass es einfache politische Antworten für ihre Problemstellungen nicht gibt .
Wir haben die Zahlen gehört: 335 000 Menschen in
Deutschland haben keine eigene Wohnung; 39 000 von
ihnen gelten als obdachlos . Die Zahl derer, die keine eigene Wohnung haben, steigt bis 2018 wahrscheinlich bis
auf 500 000 . Auch die Zahl derer, die dann obdachlos
sein werden, wird wahrscheinlich steigen . Das macht
betroffen; das will ich an dieser Stelle für die CDU/
CSU-Fraktion ganz deutlich sagen .
Ich habe in den letzten Jahren die Kältehilfe bei mir
am Bahnhofsplatz besucht, ich war bei der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten in Berlin, und ich habe
eine Einrichtung von MUT besucht, dem Träger, der sich
um Obdachlose und deren Zahnhygiene kümmert . Wenn
man sieht, wie viele Träger in diesem Bereich tätig sind,
auch hier in Berlin, dann können wir auf der einen Seite
stolz auf das sein, was geleistet wird . Auf der anderen
Seite müssen wir aber feststellen, dass sich dieses Thema
nicht dafür eignet, parteipolitische Kontroversen auszutragen oder es zu nutzen, um es mit anderen Debatten zu
vermischen .
Herr Birkwald, Sie und mich verbindet, dass wir beide
in der Senatsverwaltung für Soziales in Berlin gearbeitet haben, sogar in sehr ähnlicher Funktion; wir waren
beide in Leitungsfunktionen . Gerade dieses Thema war
in Berlin nie Gegenstand einer parteipolitischen Diskussion, sondern es ging immer darum, den Betroffenen zu
helfen . Den Betroffenen hilft man eben nicht, indem man
hier vorne große Reden hält, sondern indem man sich
ganz individuell ihrer Probleme annimmt .
({0})
Wenn wir uns mit den Betroffenen unterhalten - das
wissen auch Sie, Herr Birkwald, aus Ihren eigenen Erfahrungen; viele Kollegen über alle Fraktionsgrenzen hinweg waren ja in solchen Einrichtungen -, stellen wir fest:
Es handelt sich oft um individuelle Probleme, um unterschiedliche Lebenslagen, um Situationen, in denen eins
zum anderen gekommen ist, was dazu geführt hat, dass
sie den Weg aus den Augen verloren haben und der eine
oder andere in der Konsequenz seine eigene Wohnung
verloren hat . Das hat etwas mit Trennung, Scheidung,
Schicksalsschlägen und vielen anderen Ereignissen zu
tun, mit Ereignissen jedenfalls, mit denen man persönlich
nur schwer umgehen kann .
Jetzt müssen wir uns fragen, wie wir diesen Menschen, ohne das parteipolitisch zu transportieren, wirklich vernünftig helfen können . Ich will ganz offen sagen:
Ich hege durchaus Sympathie dafür, eine bundesweite
Statistik einzuführen .
({1})
Ich habe aber auch die Argumente zur Kenntnis genommen, die vom Bundesministerium vorgetragen wurden
und mit denen deutlich gemacht worden ist, warum jetzt
die Schritte in Richtung auf die Machbarkeitsstudie eingeleitet werden .
({2})
Es gibt Probleme, weil diese Personen nicht so leicht zu
erfassen sind, da sie sehr mobil sind und oft von Ort zu
Ort ziehen . Es sind Personen mit anderen Lebenswegen,
die auch unterschiedliche persönliche Wege gehen .
Den vorliegenden Antrag lehnen wir heute ab . Wir haben das Ziel, in diesem Bereich, auch was die Statistik
Christian Kühn ({3})
betrifft, durch die Länder voranzukommen. Ich finde es
aber gut und wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag
das Zeichen setzen, dass wir uns intensiv um diejenigen
kümmern, die in Deutschland eine Wohnung suchen .
Dazu gehört zum Teil der soziale Wohnungsbau - das ist
richtig -, aber eben nicht nur, sondern wir müssen uns
den Themen der Menschen individuell nähern und ihnen
so helfen . Das wollen wir als CDU/CSU-Fraktion in Zukunft weiterhin tun .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen - Bundesweite
Statistik einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11000,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/7547 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der So
zialkassenverfahren im Baugewerbe ({0})
Drucksache 18/10631
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
Drucksache 18/11001
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Bernd Rützel, SPD-Fraktion .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen!
Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sozialkassen haben eine sehr lange Tradition . Ihre
Ursprünge finden sich in der Weimarer Republik, und
kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ab,
dass für die typischen Anforderungen der Bauwirtschaft
dringend eine Lösung gefunden werden musste . Diese
typischen Anforderungen waren: kurze Beschäftigungszeiten, regelmäßige Ausfälle in den Wintermonaten; es
fehlt eine feste Produktionsstätte, und die körperliche
Belastung auf dem Bau ist sehr hoch .
Schnell waren sich die Tarifvertragsparteien nach dem
Zweiten Weltkrieg einig, dass sie entsprechende Regelungen in Eigenregie festlegen wollten . Die Verhandlungen zwischen den zuständigen Arbeitgeberverbänden
und der Interessenvertretung der Beschäftigten führten
zur Gründung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse sowie der Zusatzversorgungskasse .
Diese Einrichtungen bringen den Beschäftigten im
Bauhauptgewerbe seit Jahrzehnten verlässliche Leistungen bei Urlaub oder Berufsbildung und gewähren besondere Versorgungsleistungen, zum Beispiel die Rentenbeihilfe . Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung
von Altersarmut geleistet; denn Bauarbeiter erhalten
nicht selten eine staatliche Rente, die nur knapp über der
Grundsicherung liegt .
({0})
Der Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung ist infolge häufiger Arbeitgeberwechsel erschwert. Die Zusatzversorgungskasse schafft einen Ausgleich für diese
Nachteile, sie legt noch einmal etwas obendrauf .
({1})
Eine andere Besonderheit der Baubranche sind die Arbeitsausfälle im Winter . Damit Bauarbeiter in Schlechtwetterzeiten nicht ohne jeden Schutz dastehen, organisiert die Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft für die
Agentur für Arbeit den Beitragseinzug im Rahmen der
Winterbauförderung .
Im Urlaubskassenverfahren werden Urlaubsansprüche
der Bauarbeitnehmer gesichert . Das Baugewerbe ist von
unterjähriger Beschäftigung und sehr häufigem Arbeitgeberwechsel geprägt . Wie soll denn ein Urlaubsanspruch
organisiert werden, wenn ein Beschäftigter häufige Arbeitsplatzwechsel hat? Bei welchem Arbeitgeber nimmt
er seinen Urlaub, und wer zahlt für die Urlaubszeit den
Lohn eines Bauarbeitnehmers aus? Dafür ist das Urlaubskassenverfahren da, das die Beschäftigten unterstützt, und die Erholung ist gerade bei den körperlich
herausfordernden Tätigkeiten im Bauhauptgewerbe von
sehr großer Bedeutung .
Die Sozialkassenverfahren sichern außerdem eine
qualitativ hochwertige überbetriebliche Berufsausbildung, und auch dank überbetrieblicher Ausbildungszentren, die die jungen Menschen besuchen können, erhalten
die Auszubildenden notwendige grundlegende Qualifikationen auf einem sehr hohen und einheitlichen Niveau .
Davon profitieren wir direkt. Wenn wir uns umschauen, dass Bauwerke auf modernstem Stand entstehen, dann sehen wir ein: Dahinter steht unheimlich viel
Fachwissen und Know-how der Menschen, die so etwas
schaffen . Darüber bin ich sehr froh .
Diese Leistungen sind sehr wichtige soziale Errungenschaften, die es schon seit Jahrzehnten gibt, und wir sind
heute hier, weil es darum geht, diese Errungenschaften
zu sichern . Sie müssen für alle Betriebe im Bauhauptgewerbe gelten, auch und gerade für die tarifungebundenen . Der Schutz dieser Beschäftigten ist genauso wichtig .
Dank der Allgemeinverbindlicherklärung, die wir noch
einmal gestärkt haben, profitieren bis zu 700 000 Bauarbeitnehmer, 35 000 Auszubildende und 370 000 Rentner,
insgesamt also über 1 Million Menschen, von den Leistungen der Sozialkassen .
Auch das Bundesarbeitsgericht, dessen Urteil der Auslöser dafür ist, dass wir heute hier stehen, stellt in seinen
jüngsten Urteilen das öffentliche Interesse an den Sozialkassenverfahren nicht in Abrede . Deswegen können und
wollen wir es nicht zulassen, dass diesem sehr wichtigen Instrument, auf dessen Grundlage Deutschland gut
aufgebaut wurde, aus formalen Gründen nachträglich der
Boden entzogen wird . In unserer Anhörung am Montag
ist ganz deutlich bestätigt worden, dass das nicht nur verfassungsrechtlich in Ordnung, sondern geradezu geboten
ist . Ich nenne hier nur unseren Sachverständigen Professor Preis, der ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber eine
Schutzpflicht hat, dass die wichtigen Ansprüche der von
mir angesprochenen Urlaubskassen, der Altersversorgung und der Ausbildungsfinanzierung geschützt werden
müssen .
Mit dem Gesetz treten wir den Bedenken des Bundesarbeitsgerichtes rechtssicher und belastbar entgegen . Die
Sozialkassenverfahren erhalten damit wieder eine gute
Basis, ein gutes Fundament . Damit schaffen wir eine
größtmögliche demokratische Legitimation . Ich möchte
allen, die an diesem Verfahren beteiligt waren, in der Regierungskoalition genauso wie in der Opposition - das
war ein einstimmiges Ergebnis -, ganz herzlich für diesen schnellen, aber auch sehr fundierten Weg danken .
Die Bauarbeiter im Bauhauptgewerbe - ich wiederhole es, weil es wichtig und richtig ist - leisten eine
wichtige und hervorragende Arbeit . Die sehr intensive
Anhörung am Montag hat das bestätigt . Wir wollen, dass
diese Menschen fair bezahlt, fair behandelt und fair abgesichert werden . Dafür legen wir heute einen Grundstein .
Wir wollen wieder Ordnung herstellen, damit sich die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe auch in Zukunft auf uns verlassen können, wie
sie es in den letzten Jahrzehnten getan haben . Das sind
wir ihnen schuldig . Wir lassen hier niemanden im Regen
stehen .
Vielen herzlichen Dank für diesen Weg .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Matthias W .
Birkwald, Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! 825 000 Beschäftigte und 370 000 Rentner und
Rentnerinnen in der Bauwirtschaft sollen weiterhin zuverlässig ihre Zusatzrenten von den Sozialkassen Bau
erhalten; denn - und das sage ich hier als rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion - die Zusatzrente der
SOKA-BAU gewährt den Bauleuten seit fast 60 Jahren
eine zu 100 Prozent von den Arbeitgebern finanzierte
Betriebsrente . Das ist gut, und das soll auch so bleiben .
({0})
Die SOKA-BAU übernimmt für 35 000 Auszubildende
die Ausbildungskosten und sichert die Urlaubsansprüche
der gewerblich tätigen Kolleginnen und Kollegen . Im Interesse der Beschäftigten sollten wir alle diese gute Arbeit weiter unterstützen .
({1})
Damit die Kollegen auf dem Bau wieder ruhig schlafen können und damit dieser hohe und vorbildliche soziale Standard im Baugewerbe auch in den nächsten
60 Jahren erhalten bleiben kann, müssen wir den heute
vorgelegten Gesetzentwurf schnell verabschieden . Warum? Seit dem Gerichtsurteil des Bundesarbeitsgerichts
vom 21 . September 2016 drohte der SOKA-BAU die Insolvenz .
Was war passiert? Einzelne Betriebe hatten für sich selbst
festgestellt, dass sie überwiegend Arbeiten erledigten, die
nicht dem Bauhauptgewerbe zuzuordnen seien . Darum
haben sie dann keine Beiträge mehr an die SOKA-BAU
entrichtet und gerichtlich prüfen lassen, ob sie der Allgemeinverbindlichkeit unterliegen . Das Bundesarbeitsgericht hat dann völlig überraschend entschieden, dass
die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2006 bis
2011 nicht rechtens zustande gekommen sind . Darauf
beruht aber die ganze Konstruktion der SOKA-BAU .
Durch die Allgemeinverbindlichkeit erlangen die Tarifverträge auch für tarifungebundene Beschäftigte und Unternehmen der Baubranche Wirkung . Das Gericht hatte
dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales handwerkliche Fehler vorgeworfen; daran kommen wir in der
Rückschau nicht vorbei . Das haben auch Sachverständige in der Anhörung bestätigt . Deshalb, meine Damen und
Herren, gilt: Wir müssen handeln, und zwar jetzt .
({2})
Aber es gibt noch ein Problem . Die Bauleute haben
während der Verfahrensdauer Leistungen der Urlaubskasse und natürlich auch Zusatzrentenleistungen erhalten .
Uns allen ist inzwischen klar geworden, dass die bereits
eingegangenen und noch möglichen Rückforderungen an
die SOKA-BAU und die Altersversorgungskassen das
gesamte über 65 Jahre gewachsene Sozialkassenverfahren des Baugewerbes zum Einsturz bringen könnten . Das
will niemand; selbst die Klägerinnen und Kläger nicht,
wie ich denke . Sie sehen vor allem ihren eigenen kleinen
Betrieb . Wenn wir gleich das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz verabschieden, dann werden die sozialen
Leistungen für die Baubeschäftigten gerettet . Aber die
Kleinbetriebe, die sich nicht als Betrieb des Bauhauptgewerbes gesehen haben und jetzt Beiträge nachzahlen
müssen, werden mit diesem Gesetz nicht gerettet .
Meine Damen und Herren, wir erklären heute die in
den Anlagen des Gesetzes aufgeführten Tarifverträge
rückwirkend für allgemeinverbindlich . Als Gesetzgeber
gestalten wir also in diesem Fall nicht . Wir loten auch
nicht aus, was möglich wäre . Demzufolge schauen wir
uns auch nicht einzelne Betroffene an . Nach dem Inkrafttreten des Sozialkassenverfahrensicherungsgesetzes müssen dann aber alle kleinen und mittelständischen
Unternehmen, die schon vor dem BAG-Urteil beitragspflichtig waren, Beiträge an die SOKA‑BAU entrichten,
selbst dann, wenn sie zuvor geklagt hatten . Darum appelliere ich an die handelnden Akteurinnen und Akteure der
SOKA‑BAU höflich, aber sehr deutlich: Lösen Sie das
Geflecht aus Beitragsrückständen und Beitragsforderungen mit viel Augenmaß auf! Es ist niemandem gedient,
wenn Beitragsrückstände mit Brachialgewalt geltend gemacht werden und damit Betriebe in den Ruin getrieben
werden; denn dann stünden bald viele Beschäftigte auf
der Straße . Das gilt es zu verhindern .
({3})
Mit der Verbändevereinbarung vom 19 . Januar 2017
ist der Weg zu einem verantwortungsbewussten Handeln
geebnet worden . Jetzt kommt es darauf an, ihn gemeinsam zu beschreiten . Dem schließen wir uns an . Die Linke
stimmt dem Gesetzentwurf zu .
Ich danke Ihnen .
({4})
- Da darf auch mal die CDU klatschen .
({5})
Vielen Dank . - Karl Schiewerling ist jetzt der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist offenkundig, dass es
hier und heute im Hohen Haus bei diesem Gesetzentwurf nicht um einen Gegensatz zwischen Regierung und
Opposition geht . Es geht um ein Gesetz, das in dieser
Form ein Novum ist . Zum ersten Mal heilen wir per
Gesetz Tarifverträge, die als allgemeinverbindlich anerkannt worden sind, deren Allgemeinverbindlichkeit
aber durch höchstrichterliche Rechtsprechung durch das
Bundesarbeitsgericht am 21 . September 2016 als nicht
ordnungsgemäß in seinem Ablauf und in seinen formalen
Bestimmungen angesehen wurde . Das ist mehr als ungewöhnlich . Es bestand die nicht geringe Gefahr, dass der
Gesetzgeber im Nachhinein nicht nur in dieses Verfahren
eingreift, sondern auch in die Inhalte dieser Tarifverträge . Wir haben ihr widerstanden . Wir haben nicht bewertet und werten auch nicht, was die Tarifvertragsparteien
in ihren Tarifverträgen ausgehandelt haben .
({0})
Dass ein Bundesarbeitsgericht zu dem Urteil kommt,
dass es Formfehler gegeben hat und die Regelungen
rückwirkend nicht gelten, ist für uns eine Herausforderung . Es geht darum - das wurde vorhin schon von
meinen Vorrednern benannt -, die Menschen, die über
die Sozialkassen Bau ihre Alterssicherung, ihre berufliche Ausbildung und ihre Urlaubsrückstellungen abgesichert haben, jetzt nicht ins Bodenlose fallen zu lassen .
Nachdem das Gericht so entschieden hat, haben sich die
Forderungen der Firmen an die Sozialkassen gehäuft .
Deswegen droht die Gefahr der Überschuldung . Ob sie
wirklich vor der Tür steht, können wir als Gesetzgeber
nicht beurteilen . Wir sind schließlich keine Wirtschaftsprüfer, die in die Bücher schauen können . Wir haben uns
lediglich angehört, was uns die Tarifpartner vorgetragen
haben . Es geht nun darum, die Grundlagen zu sichern .
Mir liegt allerdings sehr daran, deutlich zu machen,
dass sich die CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage mehr
als schwergetan hat . Bei diesem Gesetz geht es nicht so
sehr um Formfehler, sondern um die in den letzten Jahren
entstandenen - um es vorsichtig zu sagen - erheblichen
atmosphärischen Störungen zwischen den Sozialkassen
Bau und den durch die Sozialkassen Bau tangierten . Über
viele Jahre gab es zwar Gespräche zwischen den betreffenden Parteien, aber die Atmosphäre war sehr kühl .
Aufgrund dieser Entwicklung haben sich im Verfahren
bestimmte Dinge entladen . Ich halte es für richtig und
gut, dass es uns als Unionsfraktion gelungen ist, die unterschiedlichen Partner an den Tisch zu bringen, sodass
sich das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe
endlich darauf verständig haben, wie sie in Zukunft die
Dinge regeln können . Wohlgemerkt: Nicht der Gesetzgeber hat gesagt, was herauskommen soll . Vielmehr haben
die Partner selbst verhandelt und entschieden, was herauskommen soll . Ich bin dankbar, dass dies möglich war .
Ich halte das für richtig .
({1})
Ich kann mich dem Kollegen Birkwald nur anschließen, der die Sorge geäußert hat, dass nun die Betriebe,
die rückwirkend zahlen müssen, vor großen Problemen
stehen . Deswegen freue ich mich sehr, dass der Ausschuss für Arbeit und Soziales gestern mit großer Mehrheit eine Ausschusserklärung abgegeben hat, die eindeutig die Forderung an die Sozialkassen Bau enthält - dazu
hat sich die SOKA‑BAU selbst verpflichtet -, diejenigen
Betriebe, die geklagt haben, nicht auf der Grundlage des
heute verabschiedeten Gesetzes rückwirkend zur Zahlung von Beiträgen zu zwingen, sondern sie von den
Forderungen freizustellen . Ich halte das für richtig . Ich
rate den Sozialkassen Bau, dieses Verfahren zügig anzugehen . Wir haben das in unserer Erklärung entsprechend
deutlich gemacht .
({2})
Wir haben noch etwas anderes deutlich gemacht und
unterstrichen . Niemand soll sich jetzt einbilden, dass die
Verwerfungen und die atmosphärischen Störungen, die
sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, durch das
Gesetz, dessen Entwurf wir heute verabschieden, automatisch beendet sind . Es ist nun Aufgabe der Sozialkassen, der Idee, die zu ihrer Gründung geführt hat, die wir
begrüßen und die in der deutschen Tariflandschaft eine
Einmaligkeit darstellt - das hat der Kollege Rützel sauber dargelegt -, durch ein anderes, gesellschaftlich verantwortliches und partnerschaftlich sinnvolles und gutes
Handeln - und zwar in Zusammenarbeit mit denjenigen,
die davon betroffen sind - zu neuer Blüte zu verhelfen
und für eine bessere Akzeptanz zu sorgen; das ist unser
Ziel . Mit solchen Selbsthilfen wollen wir die Akzeptanz
erhöhen . Mit dem Gesetz leisten wir dies .
Ich danke Ihnen .
({3})
Vielen Dank . - Als Nächste spricht die Kollegin Beate
Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz ist dringend notwendig; denn sonst wären
die Sozialkassen in der Bauwirtschaft existenziell gefährdet . Die Beschäftigten und die Betriebe vertrauen darauf,
dass die SOKA-BAU weiter existiert . Dabei geht es um
so wichtige Leistungen - es wurde schon angesprochen wie Zusatzrenten, Ausbildung und Urlaubsansprüche .
Vor diesem Hintergrund beschließen wir heute über den
Gesetzentwurf nach einem kurzen, aber aufgrund der öffentlichen Anhörung auch transparenten Verfahren . Wir
beschließen es einstimmig, und das ist wichtig .
({0})
Gerade im Baugewerbe brauchen die Beschäftigten
besondere Unterstützung . Wo sonst verhageln Unwetter
ganze Arbeitstage? Wo sonst sorgen Wintereinbrüche für
Baustopps und vorübergehende Arbeitsausfälle? Kaum
eine andere Branche ist so vom Wechsel und von saisonalen Schwankungen geprägt . Die Beschäftigten der
Bauwirtschaft brauchen die SOKA-BAU . Aus diesem
Grund unterstützen wir Grüne bei diesem Gesetzentwurf
das schnelle Handeln der Bundesregierung .
({1})
Solche gemeinsamen Einrichtungen funktionieren nur
mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, die
für alle gelten, also auch für die nicht tarifgebundenen
Betriebe . Das war in der Vergangenheit eine Selbstverständlichkeit . Das Bundesarbeitsgericht hat nun aber
entschieden, dass die Tarifverträge rückwirkend nicht
mehr als allgemeinverbindlich gelten . Das sorgt jetzt für
erhebliche Rückzahlungsforderungen und Turbulenzen,
und das bringt die SOKA-BAU massiv in Bedrängnis .
Deswegen ist eine schnelle Lösung unbedingt erforderlich .
({2})
Die Gründe für das Urteil sind rein formaler Natur;
das wurde schon kurz angesprochen . Die Richter beziehen sich zum einen auf das damals noch gültige Quorum
von 50 Prozent . Zum anderen bemängeln sie, dass die
damaligen Bundesminister sich nicht persönlich um die
Allgemeinverbindlicherklärung gekümmert haben . Das
öffentliche Interesse - und das ist wichtig - an den für
allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen wurde
aber nicht infrage gestellt; es wurde vielmehr bestätigt .
Deshalb war die Bundesregierung in der Pflicht, zu handeln .
({3})
Die Regelungen der Tarifverträge werden jetzt rückwirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich angeordnet . Materiell bleibt alles beim Alten . Das Gesetz übernimmt den
Anwendungsbereich der Tarifverträge . Es wird formal
eine Rechtsgrundlage für das Sozialkassenverfahren geschaffen . Das unterstützen wir .
Während der Beratung - das wurde schon angesprochen - gab es auch lautstarke Kritik am Sozialkassenverfahren . Dabei ging es um Inhalte, Fristen und Abgrenzungen, also um die materielle Ausgestaltung . Hier
muss neu verhandelt, nachverhandelt werden . Es wäre
gut, wenn der alte Streit endlich begraben würde . Dafür
gibt es die Vereinbarung, die schon genannt wurde . Aber
schlussendlich ist das nicht Sache der Politik, sondern
Sache der Sozialpartner .
Für uns war bei der ganzen Debatte entscheidend,
dass das Sicherungsgesetz verfassungskonform ausgestaltet ist . Deshalb wollten wir auch eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss . Dort waren alle Rechtswissenschaftler einhellig der Meinung: Das Gesetz verstößt
nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben . - Niemand - wir haben extra nachgefragt - konnte uns eine
andere gesetzliche Alternative aufzeigen .
Vor diesem Hintergrund werden auch wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen; denn von der SOKA-BAU
profitieren einfach extrem viele Beschäftigte - die Zahlen wurden genannt - und viele Betriebe . Vor allem profitieren mehr als 35 000 junge Menschen von der überbetrieblichen Ausbildung . Der Erhalt der gemeinsamen
Einrichtungen im Baugewerbe ist also politisch geboten .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Ich betone ganz zu Anfang: Die SOKA-BAU
als solche ist das Ergebnis gelebter Tarifpartnerschaft .
Wünschenswert wäre, wenn alle Branchen Derartiges,
natürlich zugeschnitten auf ihre jeweiligen Bedürfnisse,
regeln würden . Dann hätten wir als Gesetzgeber manche
Dinge nicht zu regeln . Auf die Regelungsinhalte haben
der Kollege Rützel und einige andere Redner schon hingewiesen . Darauf darf ich verweisen .
Der gesamte Prozess hat allerdings gezeigt, dass es in
diesem Bereich noch viele Aufgaben zu erledigen und
auch zu verteilen gibt . Wenn vorgetragen wird, dass es
sich hier um rein formale Probleme handelt, die das Bundesarbeitsgericht in seinen Beschlüssen vom 21 . September 2016 aufgeführt hat, dann stimmt das nicht ganz . Es
ist natürlich interessant, zu wissen, was im Urteil steht,
aber was nicht im Urteil steht, ist genauso interessant .
Mit diesem Gesetz wird zum Beispiel auch die Tariffähigkeit der Tarifpartner der Baubranche geregelt, die
vom Bundesarbeitsgericht in der mündlichen Verhandlung infrage gestellt worden ist . Hier ist mein Appell an
die Tarifpartner, dass die entsprechenden Aufgaben satzungsmäßig sofort und unverzüglich geregelt werden,
damit die Zuständigkeiten geklärt sind .
Darüber hinaus hat das Verfahren auch gezeigt, dass
wir in der Branchenabgrenzung zwischen Bauhaupt- und
Baunebengewerbe erhebliche Schwierigkeiten haben .
Hier liegt der eigentliche Knackpunkt dieser Angelegenheit .
({0})
Die bisherigen Regelungen scheinen nicht zufriedenstellend zu sein, insbesondere für das Baunebengewerbe .
Hier sei zum Beispiel die große Einschränkungsklausel genannt . Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
konnte nun eine Verbändevereinbarung zwischen dem
Bauhaupt- und dem Baunebengewerbe erreicht werden .
Da hier schon darauf eingegangen wurde, nur in kurzen
Stichpunkten: Beweislast bei der SOKA-BAU, Einrichtung einer Schlichtungsstelle und Einschränkung des
Geltungsbereichs seitens der Bautarifverträge und der
Tarifpartner vor dem Hintergrund der Kriterien Mitgliedschaft und Fachlichkeit .
In der Ausschusserklärung ist ausdrücklich erwähnt,
dass vonseiten der SOKA-BAU erwartet wird, dass die
jeweiligen Beschwerdeführer vor dem Bundesarbeitsgericht von ihren Forderungen, die ihnen gegenüber geltend gemacht werden, freigestellt werden . Es lohnt sich,
an dieser Stelle die Ausschusserklärung zu lesen . Der
Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass er von der Baubranche erwartet, dass die Regelungen zügig angegangen
und zeitnah umgesetzt werden .
Meiner Ansicht nach sind weitere Regelungen auf
den Prüfstand zu stellen, zum Beispiel Rückforderungen über vier Jahre oder auch Rückforderungen mit einer 12-prozentigen Verzinsung . Das sind Dinge, die die
Unternehmen existenziell bedrohen, wenn sie von der
SOKA-BAU in Anspruch genommen werden . Darüber
hinaus - es ist erwähnt worden - sollte die SOKA-BAU
den Umgang mit den Betrieben prüfen, der zu erheblicher Kritik geführt hat .
Die Baubranche muss sich auch noch einmal über den
Leistungskatalog der SOKA-BAU Gedanken machen,
insbesondere über die festgesetzten Voraussetzungen . Es
ist doch so: Wenn ich im Rahmen der Diskussionen dieses Thema angesprochen habe, wurde mir immer gesagt,
man solle nicht in Tarifverträge eingreifen . Allerdings
haben hier die Tarifpartner den Wunsch an den Gesetzgeber gerichtet, gesetzgeberisch tätig zu werden, um die
SOKA-BAU zu retten . Dann muss es dem Gesetzgeber
doch erlaubt sein, hier entsprechende inhaltliche Anmerkungen zu machen .
Die Verfassungsmäßigkeit ist angesprochen worden .
Es ist richtig, dass im Rahmen der öffentlichen Anhörung
im Ausschuss keine Bedenken geäußert worden sind . Allerdings gibt es in der Literatur eine breite Meinung, die
das anders sieht .
Abschließend möchte ich auf einen Umstand hinweisen . Es geht um Kritik an den Richtern des Bundesarbeitsgerichts, die des Öfteren geäußert worden ist,
insbesondere auch von den Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung - ich darf zitieren -,
({1})
„hier sei ein noch nicht ganz fertiger junger Prädikatsjurist am Werke gewesen, der aber die Folgen seiner
Entscheidung nicht richtig eingeschätzt hat“ . Derartige
abfällige Bemerkungen über Bundesrichter lasse ich so
nicht stehen . Ich betone für meine Fraktion ausdrücklich,
dass sie unser Vertrauen genießen und auch unsere Wertschätzung .
({2})
Die Ursache dieser Angelegenheit liegt nicht bei den
BAG-Richtern, sondern bei den handelnden Akteuren .
Auf diese kommt nun viel Arbeit zu . Der Gesetzgeber
geht in Vorleistung . Ich erwarte, dass diese Aufgaben
bewusst angegangen und im Sinne der Vernunft und des
Rechtsfriedens aller bewältigt werden .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Ausspra-
che .
Auch wenn alle Fraktionen zugesichert haben, zuzu-
stimmen, müssen wir formal abstimmen über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Sicherung der Sozialkassenver-
fahren im Baugewerbe .
Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11001,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 18/10631 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Drei Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion . Wer enthält sich? Eine Enthaltung von Herrn Oellers . Trotzdem ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen worden .
({0})
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Opposition bei Gegenstimmen
aus der CDU/CSU-Fraktion und einer Enthaltung aus der
CDU/CSU-Fraktion angenommen .
({1})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Sabine Zimmermann ({3}), Herbert
Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Patientenberatung unabhängig und gemein
nützig ausgestalten
Drucksachen 18/7042, 18/9979
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Hierzu höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen . - Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Reiner
Meier, CDU/CSU-Fraktion .
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen heute die erste Debatte zu Patientenrechten in
diesem Jahr, und sie betrifft wieder einmal die Unabhän-
gige Patientenberatung . Das ist in mehrfacher Hinsicht
bemerkenswert . Zunächst einmal beeindruckt das Alter
der Vorlage, die unverändert aus dem vorletzten Jahr
datiert . Des Weiteren haben wir die UPD und ihre Neu-
vergabe im Ausschuss und im Plenum zwischenzeitlich
so oft behandelt, dass eigentlich alles darüber gesagt ist,
insbesondere weil Ihr Antrag auch keine wirklich neuen
1) Anlage 4
Gedanken formuliert . Schließlich wird im Antrag bereits
eine Neuausrichtung der UPD gefordert, noch bevor der
Träger seine Arbeit aufgenommen hatte . Diese Fähigkeit
zur Hellseherei finde ich bemerkenswert.
Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern,
dass es die Regierungskoalition war, die im Jahr 2014
die Laufzeit der UPD von bisher fünf auf sieben Jahre
verlängert hat . Gleichzeitig wurde die Finanzausstattung
von 5 Millionen auf 9 Millionen Euro fast verdoppelt .
({0})
Wir haben das Angebot der UPD nicht nur deutlich ausgeweitet, sondern haben auch ganz entscheidende Schritte unternommen, es zu verstetigen . Das ändert aber nichts
an meiner festen Überzeugung, dass die Ausschreibung
auch bei einer dauerhaft gesicherten Finanzierung das
richtige Instrument zur Weiterentwicklung der UPD ist
und auch bleibt .
Ein gesunder Wettbewerb bringt Innovationen und einen Anreiz, immer wieder besser als der Status quo zu
sein . Dieses Potenzial sollten wir den Patienten nicht
vorenthalten . Aus demselben Grund kann ich auch Ihrem Vorschlag wenig abgewinnen, die UPD dauerhaft an
die Organisationen nach § 140f SGB V zu vergeben . Es
stellt sich nämlich schon ganz grundsätzlich die Frage,
ob die Unabhängige Patientenberatung - dabei handelt
es sich um einen öffentlichen Auftrag - überhaupt ohne
Ausschreibung vergeben werden dürfte . In jedem Fall ist
es ein ganz fragwürdiges Vorgehen, wenn man eine Ausschreibung abschaffen will, nur weil einem das Ergebnis
nicht passt .
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz
auf den Patientenbeauftragten eingehen . Wenn man sich
Sinn und Zweck des Amtes vor Augen führt, muss jedem
klar werden, dass es nur in der Bundesregierung richtig
verortet ist . Es gilt nämlich auch hier der Grundsatz der
Gewaltenteilung . Ein Patientenbeauftragter des Bundestages dürfte keine Kompetenzen haben, die über jene
des Bundestages hinausgehen . Auch mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wäre ein solcher
Patientenbeauftragter in keiner Weise vergleichbar . Das
Amt des Wehrbeauftragten folgt aus der besonderen verfassungs- und dienstrechtlichen Stellung unserer Soldatinnen und Soldaten . Das lässt sich ganz offensichtlich
nicht auf unser Gesundheitswesen übertragen . Und ein
rein symbolisches Organ des Bundestages zu schaffen,
das erscheint mir deshalb, mit Verlaub, völlig überflüssig.
Ich hoffe im Übrigen, dass der aktuelle Patientenbeauftragte mit seinem unermüdlichen Einsatz für die
Patienten in unserem Land Ihren Antrag inzwischen entbehrlich gemacht hat . Gestatten Sie mir an dieser Stelle, unserem Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann,
der ein leidenschaftlicher Anwalt des Patientenrechtes in
unserem Land ist, den gebührenden Dank zukommen zu
lassen .
({2})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
mit der UPD eine gute und effektive Institution, die vielen Bürgern in unserem Land tagtäglich wertvolle Unterstützung und Orientierung gibt . Ich bin überzeugt, dass
die Strukturen der UPD schon heute dazu beitragen, dass
sie sich stetig weiterentwickelt und stetig besser wird .
Für Ihre Forderungen sehe ich deshalb aktuell keine
Grundlage . Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag
heute ablehnen .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Für die Linke spricht jetzt Kathrin
Vogler .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hunderte von
Patientinnen und Patienten haben in den letzten Jahren
allein bei mir im Büro angerufen, weil sie Hilfe suchten
im Umgang mit Krankenkassen, mit Krankenhäusern,
mit Ärztinnen und Ärzten . Ich glaube, alle Kolleginnen
und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss kennen
das . Da war es ein richtiger Lichtblick, als vor sechs Jahren endlich die UPD, die Unabhängige Patientenberatung
Deutschland, mit über 20 Beratungsstellen und einer telefonischen Hotline vom Projektversuch zur Regelleistung
wurde - kostenfrei zugänglich für jede und jeden . Herr
Kollege Meier, es ist ja bekannt, dass gerade wir Linke
generell kritisch eingestellt sind gegenüber der Tendenz,
alles im Gesundheitswesen, womit man irgendwie Profit
machen könnte, zu privatisieren .
({0})
Dass allerdings auch noch die Patientenberatung privatisiert werden könnte, das haben wir uns nicht vorstellen können, selbst in unseren schlimmsten Albträumen
nicht .
({1})
Und doch ist es geschehen: Die Krankenkassen, die über
die Vergabe der UPD entscheiden, haben mit Zustimmung des Patientenbeauftragten der Bundesregierung,
Karl-Josef Laumann von der CDU, vor einem Jahr entschieden, die UPD an einen privaten Callcenterbetreiber
zu vergeben . Ich halte das nach wie vor für einen der
größten gesundheitspolitischen Skandale dieser Wahlperiode .
({2})
Seit einem Jahr arbeitet diese neue UPD-Gesellschaft .
Der WDR hat kürzlich untersucht, was die Ratsuchenden
dort erwartet . Das ist einigermaßen ernüchternd . Tatsächlich ist die Hotline gut erreichbar . Aber das ist ja wohl
das Mindeste, was man erwarten kann, wenn man die
Zuwendungen fast verdoppelt und das Ganze an einen
Callcenterbetreiber vergibt .
({3})
Zudem werden nicht mehr Ratsuchende erreicht. Effizient werden die 9 Millionen Euro aus der GKV offenbar
nicht genutzt .
Die Zahl der lokalen Beratungsstellen wurde ebenfalls
erhöht . Das haben wir immer gefordert . Doch diese sind
nur stundenweise besetzt . Sie haben oft nicht einmal ein
eigenes Türschild . Und auf einen Termin muss man auch
einmal zwei Wochen warten .
({4})
Das Schlimmste ist: Die Beratungsqualität hat schwer
gelitten, weil der neue Anbieter nicht über die erfahrenen
Beraterinnen und Berater der alten UPD, die von Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen getragen
wurden, verfügt . So wurden den Ratsuchenden teilweise
am Telefon andere Auskünfte erteilt als in der persönlichen Beratung oder per E-Mail . Die Beraterinnen und
Berater wussten häufig auch nichts über lokale weiterführende Hilfe- und Beratungsangebote . Das ist ja kein
Wunder, wenn Sie heute in Münster, morgen in Bielefeld
und übermorgen in Dortmund arbeiten müssen . Das ist
ein grundsätzliches Problem des Ausschreibungsverfahrens auf Zeit . Bei jedem Anbieterwechsel gehen wichtige
Kompetenzen verloren . Vor allem kann man die Vernetzung vor Ort nicht ohne Weiteres schnell wieder aufbauen .
Die Linke sagt: Patientenberatung darf nicht zum
Renditeobjekt werden, sondern muss ausschließlich dem
Wohl der Patientinnen und der Patienten und dem Gemeinwohl dienen .
({5})
Das können die gemeinnützigen Organisationen, die für
die Vertretung von Patienteninteressen anerkannt sind,
am besten .
({6})
Und deshalb fordern wir, die Unabhängige Patientenberatung dauerhaft von diesen Organisationen durchführen
zu lassen, die schon von ihrer eigenen Motivation her
viel näher an den Interessen der Patienten sind .
({7})
Jetzt zur Finanzierung . Das Sozialgesetzbuch V regelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die UPD finanzieren müssen . Die Privatversicherungen können sich
freiwillig beteiligen . Es sind aber auch Privatversicherte
oder Nichtversicherte, die bei der UPD Rat suchen . Deswegen ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Die
Linke hält es für angebracht, dass wir das aus Steuermitteln finanzieren.
({8})
Damit müssen wir übrigens nicht bis 2023 warten,
bloß weil die Sanvartis-UPD den Zuschlag für sieben
Jahre erhalten hat . Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss haben wir gehört, dass der Vertrag bei einer
neuen Rechtslage automatisch ausläuft und kein finanzieller Schaden für die Krankenkassen entsteht . Deswegen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie ruhig über
Ihren Schatten springen und unserem Antrag zustimmen .
({9})
Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Helga KühnMengel für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf
der Besuchertribüne! Wir beraten ein wichtiges Thema,
auch wenn es nur einen kleinen zeitlichen Rahmen erhält . Aber hier geht es um einen Aspekt der Versorgung,
nämlich den Patienten und die Patientin im Gesundheitssystem besser zu informieren . Wir haben immer gesagt ich habe es hier immer wieder für meine Fraktion gesagt
und will es wiederholen -: Die gut informierten Patienten
und Patientinnen bewegen sich nicht nur selbstbewusster
im System, sondern auch ökonomischer. Alle profitieren
davon, wenn man Wissen verstärkt .
Im Jahre 2000 - Frau Präsidentin, Sie wissen das noch wurde die Unabhängige Patientenberatung Deutschland
beschlossen und in das Gesetz aufgenommen; zunächst
als Modellprojekt, weil man sich noch nicht richtig vorstellen konnte, wie es funktionieren sollte . Es gab damals
vieles von dem, was wir heute haben, noch nicht . Es gab
kein IQWiG, ein Institut, das mehr Transparenz in die
Versorgung bringen sollte, bezogen auf Arzneimittel . Es
gab kein IQTIG, eine Institution, die Transparenz in die
Krankenhausabläufe bringen sollte . Es gab noch keine
strukturierten Behandlungsprogramme, die definierten,
was zu einer guten Versorgung gehört . Es gab übrigens
auch noch keinen Patientenbeauftragen . Vieles andere,
was in der Folgezeit in Sachen Qualität entwickelt worden ist, war auf dem Weg, aber noch nicht beschlossen .
Es gab aber ein Gesundheitssystem, das sich als ein
System mit Über- und Unter- und Fehlversorgung darstellte . Es gab sehr viel Undurchsichtiges, wenig Koordination und Kooperation . Stark ausgeprägte Sektoren gibt
es heute noch, und an den Sektorengrenzen gehen immer
Informationen für die Patienten und auch Geld verloren .
All das hat dazu geführt, dass gesagt wurde: Wir brauchen so etwas wie eine unabhängige Patientenberatung .
Zunächst war es, wie gesagt, ein Modellprojekt .
({0})
- Ja, das verdient einen Applaus .
Ich habe mich in einigen Ländern in Europa ein wenig
umgesehen und festgestellt: Etwas, was mit der Patientenberatung, die wir hier hatten, vergleichbar ist, gibt es
nicht . Es gibt so etwas in Ansätzen in skandinavischen
Ländern, auch in den Beneluxstaaten . Vergleichbares
hatte England im Rahmen des National Health Service .
Dort hat man aber irgendwann stattdessen ein Callcenter
eingesetzt, und seitdem ist keiner mehr damit glücklich .
Unsere UPD hat sich aber gut entwickelt . Am Anfang
hatte sie übrigens auch noch keine beeindruckende Qualität, aber sie wurde mit wirklich viel Engagement stetig
verbessert . Das war schon ein sehr gutes Angebot für die
Nutzer und Nutzerinnen des Systems .
({1})
- Frau Mattheis, Sie sind heute fast alleine damit, aber
Sie überzeugen mich sehr mit Ihrem Beifall .
({2})
Der Kollege von der CDU/CSU hat es deutlich gemacht: Nach und nach wurde das System immer weiter
ausgebaut: Erhöhung der Zahl der Beratungsstellen auf
31, der Mittel von 5 auf 9 Millionen Euro; im Jahre 2011
wurde das Angebot zur Regelleistung . All das waren
wichtige Schritte - ebenso die Verlängerung der Förderdauer; denn wir wollten eine Verstetigung erreichen,
({3})
damit die Mitarbeiter wussten, dass sie bleiben und ihre
Kompetenz weiterentwickeln konnten .
Ich sage ganz offen - es ist ja auch gegen Ende einer
Legislatur durchaus sinnvoll, dass man mal sagt, ob alles
richtig war -: Ich hätte nicht gedacht, dass ein solcher
Anbieter mit der Patientenberatung beauftragt würde .
Wir alle haben sozusagen im Common Sense gedacht,
der Auftrag könne ja nur weiter an den bisherigen Anbieter gehen .
({4})
- Ich will jetzt gar nicht streng sein . Ich sage nur, was
viele gedacht haben, nämlich dass die Patientenberatung
bei denen verbleibt, die den Qualitätsaufbau, die Qualitätssicherung und auch die Evaluation wirklich immer
weiter verstärkt haben .
Jetzt war ein Auditor beim neuen Träger . Natürlich
waren durchaus einige Punkte festzustellen: Die Erreichbarkeit wurde verbessert, nicht räumlich, sondern telefonisch, aber alle Zahlen, die vorgegeben worden sind,
wurden noch nicht erreicht - das muss man sehen . Aber
das Allerwichtigste - das sage ich auch im Namen meiner Fraktion - ist und bleibt die Unabhängigkeit der Patientenberatung .
({5})
Deswegen sollte in der nächsten Legislatur doch noch
einmal darüber nachgedacht werden, wie dieses Angebot
ausgestaltet werden kann . Auch die Experten und Expertinnen haben das bei der Anhörung deutlich gemacht und
eine Neuordnung gefordert . Wir von der SPD sagen: Das
muss Bestandteil neuer Verhandlungen sein .
({6})
Darüber muss man diskutieren . Das ist jetzt keine große
Kritik, sondern ein Hinweis auf eine Notwendigkeit .
Ihrem Antrag können wir nicht zustimmen . Man kann
nicht alles Mögliche infrage stellen und mal eben eine Finanzierung der Patientenberatung mit Steuermitteln und
die Einrichtung des Amts des Patientenbeauftragten des
Deutschen Bundestages fordern . Das muss man mit Ruhe
machen . Man muss sehen, was sich bewährt hat und was
nicht . Und ich sage es noch einmal: Dass eine solche
Stelle Patienten und Patientinnen berät, ist gut . Die Unabhängigkeit müssen wir als noch höheres Gut ansehen .
({7})
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink .
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die Unabhängige Patientenberatung sprechen,
({0})
und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch häufiger
darüber sprechen müssen . Gleichzeitig muss man aber
auch sagen: Die Ziele, die im vorliegenden Antrag der
Linken niedergelegt sind - die Verstetigung der Unabhängigen Patientenberatung, die Trägerschaft durch die
von uns gesetzlich bestimmten Patientenverbände, die im
SGB V als die Patientenverbände festgelegt sind, die in
den Gremien der Selbstverwaltung vertreten sind, die Sicherung der Unabhängigkeit und die Stärkung des Amtes
des Patientenbeauftragten oder der Patientenbeauftragten
der Bundesregierung -, sind in sich sinnvolle Ansätze,
die sicherstellen, dass wir das, was wir hier alle immer
so schnell betonen, nämlich den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, strukturell und durch konkrete Maßnahmen auch tatsächlich unterlegen .
({1})
In dieser Wahlperiode gibt es in diesem Bereich allerdings erhebliche Mängel .
Wir haben 2011 einen wichtigen Schritt gemacht und
aus der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland
ein Regelangebot gemacht . Wir haben gesagt: Zu den
Aufgaben unserer Krankenversicherung gehört es, dafür
zu sorgen, dass die Patienten eine wirkungsvolle Struktur
vorfinden, innerhalb der sie ihre Beteiligungsrechte auch
ausüben können,
({2})
wo Informationen für sie bereitgestellt werden, wo sie
sozusagen Anwälte finden, die sie empathisch und unabhängig in ihrem Sinn beraten und unterstützen . Das,
meine Damen und Herren, war nach 15 Jahren eigentlich
der Stand der Dinge, auf den wir uns fraktionsübergreifend geeinigt hatten . Eigentlich! Es gab einen Patientenbeauftragten, der sich wirklich als Anwalt der Patienten
verstanden hat und das Konzept genau umgesetzt hat .
Dafür hatte er immer meinen höchsten Respekt und meine höchste Anerkennung; das muss ich ganz klar für die
letzte Wahlperiode sagen .
({3})
Dann haben wir, nachdem unendlich oft evaluiert,
ausgewertet und geprüft worden ist, gesagt: Ja, wir müssen etwas dafür tun, dass die Beratungsstellen auch in die
Fläche kommen, damit wir mehr Anlaufstellen haben .
Wir haben gesagt: Wir müssen das große Manko, das
wir haben - wir konnten den tatsächlichen Bedarf nicht
decken -, beheben . Diesen Schritt haben Sie als Große
Koalition sogar getan . Aber was haben Sie gleichzeitig
gemacht? Sie erhöhen die Mittel von 5 Millionen auf
7 Millionen Euro
({4})
- auf 9 Millionen -, aber schließen gleichzeitig einen
Vertrag mit längerer Laufzeit mit einem privaten Callcenter . Was hat das eigentlich zu bedeuten? Man hat echten Kahlschlag an einer ganz wichtigen Struktur begangen, und das muss man Ihnen wirklich vorwerfen .
({5})
Schauen wir uns die gesamten Bewertungen, die es
gibt, an . Wir haben mehrere Anfragen, auch Kleine Anfragen, gestellt . Es wurde deutlich: Die Versprechen, die
der private Anbieter im Ausschreibungsverfahren getätigt hat, sind nicht halbwegs erfüllt worden .
({6})
Im Ausschreibungsverfahren war die Rede von
200 000 Beratungskontakten . Man hat noch nicht einmal
das geschafft, was bis dahin die alte UPD mit weniger
Mitteln und mit weniger Menschen geschafft hatte .
({7})
Sie haben vertraglich festgelegt, dass der neuen UPD ein
Übergangszeitraum von einem halben Jahr eingeräumt
wird, um die Vertragspflichten zu erfüllen. Aber nach einem halben Jahr war noch nicht einmal ein Bruchteil der
Vertragsverpflichtungen erfüllt.
({8})
Helga KühnMengel
Deshalb muss man wirklich von einem Kahlschlag an einer sehr sinnvollen Struktur reden . Man muss den Finger
in die Wunde legen und sagen: So kann es nicht weitergehen .
({9})
Ich habe die GKV und den Patientenbeauftragten angeschrieben und gefragt: Was macht ihr eigentlich? Uns
liegen Zahlen vor, die belegen, dass die Ausschreibungszusagen nicht eingehalten worden sind . Dann wird gesagt: Bin ich nicht zuständig . - Der eine sagt: Ich bin
nicht zuständig . - Der andere sagt ebenfalls, er ist nicht
zuständig . So kann man nicht mit dem Geld der Versichertengemeinschaft umgehen . So darf das nicht weitergehen . Von daher werden wir weiter nachbohren: Werden
die Zusagen erfüllt, die da vertraglich gegeben worden
sind? Werden wir wirklich ein Beratungsangebot im Sinne der Patienten haben?
Wir müssen heute leider sagen: Es hat eine Entwicklung eingesetzt, in deren Ergebnis wir ein Callcenter mit
mehr oder weniger abstrakten Gesundheitsinformationen
haben .
Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss .
Aber der Einzelne mit seinem konkreten Behandlungs- und Fragebedarf, seinem Bedarf an psychosozialer Beratung, an rechtlicher Beratung bleibt auf der Strecke . So darf das nicht weitergehen .
({0})
Jetzt hat der Kollege Dr . Georg Kippels, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bei der Vorbereitung der Rede entstand bei mir zunächst
ein bisschen der Eindruck, dass man in erster Linie nur
seinen Unmut darüber äußern wollte, dass aus rein ideologischen Gründen - und auch noch mit einem erheblichen Zeitverzug - einfach nur ein neuer Beteiligter im
Gesundheitswesen kritisiert wird . Bei nochmaliger Betrachtung bin ich dann allerdings zu der positiven Einschätzung gelangt, dass der Antrag mir und uns heute in
der Debatte die Gelegenheit gibt, einmal die Vorzüge und
die Funktionstauglichkeit der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland zu bewerben und auch den Zuhörerinnen und Zuhörern da oben auf der Besuchertribüne
näherzubringen .
({0})
Insofern herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken .
({1})
Aber ich kann Ihnen nicht so ganz ersparen, auch einige
Punkte in dem Antrag zu kritisieren .
({2})
Wenn da die Rede davon ist, dass eine Entziehung der
Aufgabenstellung passiert, dass eine Zerschlagung von
Strukturen vorgenommen wird, so sind dies alles Szenarien der Entrechtung der Patienten .
Es ist nun sicherlich nicht weiter verwunderlich, dass
Sie mit Strukturen wie einem Wettbewerb und Ausschreibungen grundsätzlich Probleme haben und die eine oder
andere gesellschaftsrechtliche Struktur, beispielsweise
die gemeinnützige GmbH, wie auch vom Kollegen Meier
mehrfach erwähnt, in Ihrem Vorstellungskatalog bedauerlicherweise nicht regelmäßig vorkommt .
({3})
Fakt ist zunächst, dass die Prüfung des Vergabeverfahrens durch die zuständige Vergabekammer in einem ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahren zu keinerlei
Beanstandung geführt hat . Sowohl das Verfahren selbst
als auch das Ergebnis sind völlig diskriminierungsfrei
gelaufen bzw . erzielt worden .
({4})
Bezeichnend ist allerdings, dass die alte UPD es nicht
geschafft hat, sich an diesem Verfahren rechtswirksam
zu beteiligen. Insofern finde ich es außerordentlich unangebracht, dass - in gewisser Weise in vorauseilendem
Gehorsam - die Funktionstauglichkeit, die Leistungsfähigkeit und eben auch die Qualität der neuen UPD schon
in Zweifel gezogen werden .
({5})
Bemerkenswert ist immerhin, dass die alte UPD über einen Zeitraum von insgesamt neun Jahren die Möglichkeit
hatte, tätig zu sein, während wir jetzt schon nach knapp
zwölf Monaten das abschließende vernichtende Urteil
hören, dass die neue UPD den neuen Aufgabenstellungen
nicht gerecht wird .
Herr Kollege Kippels, darf ich Sie einmal unterbrechen? - Die Kollegin Klein-Schmeink möchte Ihnen
gern eine Frage stellen .
Bitte sehr .
Bitte schön .
Maria KleinSchmeink
Herr Kippels, Sie sprachen davon, dass die neue UPD
vorauseilend kritisch hinterfragt und sozusagen verdammt werde . Davon kann nicht die Rede sein, wenn
wir ganz klar Fragen stellen wie: Was hat die alte UPD
gemacht, und was hat die neue UPD in ihrem Angebot
versprochen?
Ich habe der Bundesregierung Fragen übersandt und
um Auskunft gebeten . Wenn ich dann sehe, dass die Beratungszahlen der alten UPD, die erheblich weniger Mittel zur Verfügung hatte, nach einem halben Jahr höher
waren als die der neuen UPD, aber so gut wie keine persönliche Beratung vor Ort anzutreffen war, sondern im
Wesentlichen Telefonberatung stattfand, dann muss ich
deutlich sagen, dass die Zahlen, mit denen das Angebot
gearbeitet hat - und die ja auch den Zuschlag erwirkt haben -, in keinster Weise erfüllt sind . Angesichts dessen
kann man nicht von einer Vorabverurteilung reden . Wir
haben uns lediglich den gesetzlich und vertraglich gesicherten Zeitraum angeschaut und feststellen müssen: Es
gibt erhebliche Differenzen zwischen dem, was zugesagt
war, und dem, was eingelöst worden ist .
Außerdem wissen wir nicht, wie viele Mittel überhaupt für Personal bereitgestellt werden . Auch das können wir nicht erfahren . Das ist eine Blackbox .
({0})
Da kann man nicht von einer Vorverurteilung reden,
sondern man muss sagen: Die Zahlen, die uns vorliegen,
zeigen ganz deutlich, dass der Vertrag nicht erfüllt wird .
({1})
Frau Kollegin Klein-Schmeink, meine Ausführungen
bezogen sich explizit auf die Formulierungen im Antrag
der Kolleginnen und Kollegen der Linken, und der ist
nun einmal datiert auf November 2015 .
({0})
Die UPD hat ihre Tätigkeit am 1 . Januar 2016 aufgenommen . Wir haben inzwischen, auch auf Ihre Nachfrage
hin - die Frage als solche ist ja durchaus legitim und berechtigt -, einige Zwischenwerte bekommen .
Wir werden - dazu werde ich gleich noch ein paar
Bemerkungen machen - über die Kontrollinstrumente
sicherlich Erfahrungen sammeln . Wir werden auch Auswertungen erhalten, die hier im Hause zweifelsohne zu
debattieren sein werden . Ich glaube, wir dürfen sicher
sein, dass Staatssekretär Laumann im Rahmen seiner
mitwirkenden Kontrollmöglichkeit ein waches Auge darauf haben wird, dass das, was in der Ausschreibung niedergelegt worden ist, zeitnah erfüllt wird .
({1})
Ich fahre fort und bleibe beim Thema Kontrollinstrumente . In der neuen Konstruktion haben wir immerhin
einen wissenschaftlichen Beirat, der im Zusammenwirken von Patientenbeauftragtem, Patientenvertretern, dem
GKV-Spitzenverband und unabhängigen Wissenschaftlern sowie Vertretern von Interessensverbänden die Kontrollfunktion ausübt .
({2})
Ich denke, dass auf diese Art und Weise nicht nur den
inhaltlichen Ansprüchen, sondern auch den öffentlichen
Interessen Rechnung getragen wird . Die Forderung nach
Transparenz ist damit erfüllt . Die Funktion des Auditors
wird jetzt wahrgenommen von der Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung, gsub, einem renommierten
Unternehmen der sozialen Unternehmensberatung . Aus
unserer Sicht werden deshalb Unabhängigkeit, Neutralität und Transparenz nicht nur gewahrt, sondern sie wurden gegenüber der vorherigen Situation auch deutlich
gestärkt .
Ich komme an dieser Stelle, wie einleitend angekündigt, zum Werbeblock für die UPD . Ich denke, das schuldet man dieser Institution nicht nur, sondern sie hat das
erkennbar auch verdient . Schon beim ersten Blick auf die
ausführliche Webseite wird klar, dass dort vorbeugend,
vorsorgend eine Vielzahl von aktuellen Informationen
niedergelegt ist, und zwar in verschieden Infoblöcken zu
aktuellen Themenfeldern, sodass sich so manche konkrete Anfrage vielleicht durch einen Blick auf die Internetseite erübrigt .
Ein leichter und guter Zugang zu den Angeboten war
unser Anspruch . Sämtliche modernen Medien werden
bedient . Neuerdings gibt es auch eine eigens entwickelte
App . Die gute Erreichbarkeit war ein maßgeblicher Faktor . Wir sind sehr wohl der Meinung, dass die zusätzlichen Beratungsstellen, die längeren Öffnungszeiten und
die bessere telefonische Erreichbarkeit zeigen, dass die
Optimierungsversuche erfolgreich waren . Insgesamt ist
inzwischen eine Erreichbarkeit von 90 Prozent gegeben .
({3})
Man muss jetzt durchschnittlich 1,5-mal anrufen, um
beim Anbieter zu landen; das waren vorher 2,8 Anrufe .
Auch sprachliche Barrieren konnten durch die Einrichtung von Auskunftsmöglichkeiten in russischer und arabischer Sprache verringert werden,
({4})
im Übrigen durch einen Beitrag der PKV . Professionalität ist auch gegeben .
Ich bin der Meinung, dass wir mit diesem neuen Format, das sich natürlich bewähren muss, den Weg in die
richtige Richtung eingeschlagen haben . Das war eine
richtige und wichtige Entscheidung . Wir sind an dieser
Stelle gehalten, für diese Institution insgesamt zu werben . Wir sollten sie empfehlen, und wir sollten sie vor
allen Dingen natürlich intensiv in Anspruch nehmen .
Deshalb richte ich meinen Dank an die Kolleginnen
und Kollegen der Linken für die Möglichkeit der Bewerbung . Aber dem Antrag, meine sehr verehrten Damen
und Herren Kollegen, können wir beim besten Willen
nicht zustimmen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Wir sind damit am Ende der Ausspra-
che angelangt .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Patientenberatung unabhän-
gig und gemeinnützig ausgestalten“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/9979, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7042 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der
Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in
der gesetzlichen Krankenversicherung sowie
zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht
({0})
Drucksachen 18/10605, 18/10817, 18/10924
Nr. 1.17
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1})
Drucksache 18/11009
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({3}),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Patientenvertretung in der Gesundheits
versorgung stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Harald
Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula
Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versi
cherten sorgsam umgehen - Mehr Transpa
renz und bessere Aufsicht über die Selbst
verwaltung im Gesundheitswesen
Drucksachen 18/10630, 18/8394, 18/11009
Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen die Reden zu
Protokoll gegeben werden . - Ich sehe hier keinen Wider-
spruch . Dann ist so beschlossen .1)
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstver-
waltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen
Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie
geführten Aufsicht . Der Ausschuss für Gesundheit emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11009, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/10605 und 18/10817 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Das ist die Koalition . Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das sind die Op-
position und ein Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis ist der Gesetzentwurf in dritter
Lesung angenommen .
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa-
che 18/11009 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10630 mit dem
Titel „Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung
stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/8394 mit dem Titel „Mit Beitrags-
geldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen -
Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbst-
verwaltung im Gesundheitswesen“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit
({4}) zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
1) Anlage 5
Zimmermann ({5}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute Ausbildung - Gute Arbeit - Gute Pflege
Drucksachen 18/7414, 18/11003
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Integrative Pflegeausbildung - Pflegeberuf
aufwerten, Fachkenntnisse erhalten
Drucksachen 18/7880, 18/11004
Interfraktionell wurde vereinbart, 25 Minuten für die
Aussprache vorzusehen . - Ich höre keinen Widerspruch .
Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion .
({7})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit den Titeln „Gute Ausbildung - Gute
Arbeit - Gute Pflege“ und „Integrative Pflegeausbildung - Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“
enthalten inhaltlich viele Punkte, die Dr . Nüßlein, Erwin
Rüddel und ich in unserem Kompromissvorschlag erarbeitet haben . Deshalb sehen wir keine Notwendigkeit,
diesen beiden Anträgen hier zuzustimmen .
Uns eint die Überzeugung, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass in die Pflegeausbildung investiert
werden muss, dass sie zukunftsfest gemacht werden
muss, und hier sind wir übereinstimmend unterwegs . Ich
bin überrascht, wie massiv und nahezu nicht fähig, einen
Kompromiss einzugehen, sich Befürworter und Gegner
der Generalistik hier gegenüberstehen .
({0})
Aus meiner Sicht würden wir mit diesem Kompromiss
sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der Generalistik eine Perspektive aufzeigen .
({1})
Ich darf den entsprechenden Passus aus dem Koalitionsvertrag hier noch einmal verlesen, weil er einigen, die
ihn mit verhandelt haben, offenbar nicht mehr geläufig
ist - ich zitiere -:
Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem
wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches
Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbildung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung
für die Alten‑, Kranken‑ und Kinderkrankenpflege
etablieren .
So steht es hier im Koalitionsvertrag .
Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass
meine Fraktion und auch ich eine sinnvolle generalistische Einbindung der Elemente in die neue Pflegeausbildung durchaus befürworten. Viele pflegebedürftige Menschen, die in unseren Altersheimen und Einrichtungen
wohnen, sind multimorbid mit Krankheitsbildern, die
spezifische Pflege benötigen. Umgekehrt haben Menschen, die ins Krankenhaus kommen, oftmals einen speziellen altenpflegerischen Unterstützungsbedarf. Es ist
also durchaus angebracht und wünschenswert, dass sich
die verschiedenen Fachzweige hier auch gegenseitig befruchten .
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir
weiterhin die klassischen Spezialisierungen brauchen .
({2})
Deshalb gibt es hier, meine sehr geehrten Damen und
Herren, unseren Vorschlag dieses Modells „zwei plus
eins“: zwei Jahre gemeinsame generalistische Ausbildung und ein Jahr Spezialisierung . Wenn dann diese
Spezialisierung vollzogen ist, kann man zusätzlich einen
weiteren Abschluss mit einem weiteren halben Jahr Ausbildung noch dazu wählen .
Wir wollen auch die Möglichkeit schaffen, leichter
zwischen den Berufen zu wechseln . Zudem plädieren
wir dringend für eine Abschaffung des Schulgeldes . Außerdem sind wir für die Angleichung der Gehälter in der
Altenpflege an die Gehälter in anderen Pflegebereichen.
({3})
Hierfür haben wir bereits die Rahmenbedingungen im
PSG I und III miteinander geschaffen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, glauben Sie
mir aber auch Folgendes, das wir nicht unter den Tisch
kehren dürfen: Die Beschäftigten der Kinderkrankenpflege, aber auch die deutschen Kinderärzte sind vehement
gegen die generalistische Ausbildung . Sie befürchten,
dass die Kompetenzen und Fähigkeiten der Auszubildenden, die einmal für die Versorgung von Säuglingen und
insbesondere von Frühchen zuständig sein werden, und
die Qualität der Ausbildung massiv leiden werden .
Eine Petition an den Deutschen Bundestag, die fordert, dass die Kinderkrankenpflege als eigenständiger
Beruf erhalten bleibt, wurde von 134 000 Menschen unterzeichnet . In einer repräsentativen Umfrage sprachen
sich 90 Prozent der Betroffenen für einen Erhalt ihres
Berufes aus. Auch große Teile der Altenpflege sind gegen eine generalistische Ausbildung . Es sind bei weitem
nicht nur die Leitungen und Pflegeeinrichtungen, die sich
zu 80 Prozent gegen sie ausgesprochen haben .
Meine Bitte und Aufforderung geht hier vor allem an
die SPD und ihre Ministerin Frau Schwesig, die sicherlich für den Bereich der Altenpflege mitverantwortlich
ist:
({4})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Versuchen Sie nicht, die Pflegeszene zu täuschen, vor
allem die Altenpflege. Wer unter dem Deckmantel von
beruflicher Durchlässigkeit, Qualitätssicherung und
verbesserter Bezahlung am liebsten durch die Hintertür
einen dualen Ausbildungsberuf akademisieren will, handelt fahrlässig, meine sehr geehrten Damen und Herren .
({5})
Ich möchte Ihnen auch klar sagen: Wir brauchen jeden
Auszubildenden hier an den Pflegebetten, egal welchen
Schultyps .
({6})
Deshalb ist es notwendig, dass wir heute, aber auch in
Zukunft nicht ausgrenzen, sondern verbinden . Wir werden auch die Schülerinnen und Schüler aus der Mittelund Hauptschule benötigen .
({7})
Der Vorschlag Ihrer Kollegin Müller ist zukunftsweisend . Wir werden ihn prüfen . Wir hoffen, dass wir schnell
zu einer guten Lösung kommen .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Kathrin Vogler,
Fraktion Die Linke .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Präsidentin!
Über eine Million Pflegekräfte … leiden in Ihrem
Land, das Sie regieren .
Das sage nicht ich, sondern das schreibt die Krankenschwester Jana Langer in einem erschütternden Brandbrief an die Kanzlerin . Sie fühlt sich nämlich im Stich
gelassen von dieser Koalition, die es einfach versemmelt,
endlich die Qualität der Pflegeausbildung anzuheben.
Alle Sachargumente haben wir ja schon längst ausgetauscht . Aber die Ausbildungsreform liegt wie Blei in Ihren Schubladen . Sie steckt fest, weil sich Union und SPD
kabbeln - das konnten wir gerade wieder beobachten und zwei Ministerien sich nicht einig werden .
({0})
Genau deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht .
Wir wollen Sie auffordern: Binden Sie den Sack endlich
zu, damit nicht noch eine Wahlperiode ohne Ausbildungsreform in der Pflege vergeht.
({1})
Es geht doch hier nicht darum, ob Hermann Gröhe oder
Manuela Schwesig als Sieger innerhalb der Koalition
vom Platz gehen, sondern es geht um die Pflegekräfte.
({2})
Könnten wir uns darauf verständigen, dass Frau
Vogler das Wort hat? Nachher darf die SPD darauf antworten . - Danke .
Zumindest überwiegend das Wort, danke . - Wenn Sie
sich nämlich weiter blockieren, dann verlieren alle . Gewinnen sollen aber doch eigentlich die Auszubildenden,
die zukünftigen Pflegekräfte in der Altenpflege und im
Krankenhaus, und diejenigen, um die sie sich 24 Stunden
am Tag sieben Tage die Woche mit Herz und Hand, mit
Seele und Verstand kümmern. Die Pflegekräfte wollen
stolz auf ihren Beruf sein, sie wollen gern zur Arbeit gehen, sie wollen gut verdienen, und sie wollen qualifiziert
und menschenwürdig pflegen, mit Zeit für Zuwendung.
Wir brauchen doch viele hochmotivierte, gute Pflegekräfte .
({0})
Viel zu viele kehren ihrem Beruf nach wenigen Jahren
den Rücken . Eine Verbesserung der Ausbildung ist ein
wichtiger Baustein, um die Pflege aufzuwerten, worüber
wir ja immer wieder reden . Es liegt jetzt an Ihnen, die
Pflegeausbildung endlich besser zu machen. Doch was
machen Sie stattdessen? Sie mauern und mauscheln .
({1})
Die Große Koalition ist in dieser Frage handlungsunfähig, weil sie sich anfangs auf die Generalistik versteift
hat und jetzt nicht mehr weiß, wie sie davon wegkommen
soll . Dabei hat die Opposition, also wir und die Grünen,
Ihnen gute Vorschläge gemacht, wie es richtig gut werden kann .
({2})
Die Linke setzt auf eine integrative Ausbildung, die
die fachlichen Besonderheiten von Kranken- und Gesundheitspflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege
ernst nimmt und erhält, bei der die Auszubildenden aber
trotzdem so viel zusammen lernen, dass sie zwischen
den einzelnen Berufen wechseln können . Das macht den
Beruf attraktiver und bringt höhere Pflegequalität für die
Menschen: zu Hause, im Heim und im Krankenhaus .
({3})
Wir wollen auch mehr Praxis in der Ausbildung, durch
mehr Zeit und qualifizierte Anleiterinnen und Anleiter.
So können unserer Ansicht nach auch weiter junge Leute mit Hauptschulabschluss erfolgreich Pflegefachkraft
werden. Aus den Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern
müssen endlich echte Auszubildende werden - mit allem,
was dazu gehört: mit betrieblicher Mitbestimmung und
Arbeitsschutz und vor allem mit Ausbildungsvergütung
und ohne Schulgeld .
({4})
Mit Abschluss der Ausbildung muss jede Fachkraft direkt
am Menschen, wie es so schön heißt, berufsfähig sein .
Nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss und
vielen Diskussionen mit Betroffenen hat sich auch in der
Koalition einiges in die richtige Richtung bewegt, zum
Beispiel beim Kollegen Rüddel von der CDU, der sich
inzwischen auch eine integrierte Ausbildung vorstellen
kann, wie wir sie vorgeschlagen haben .
({5})
- Ja, da kann man auch einmal klatschen . Es ist nämlich
überhaupt nicht ehrenrührig, wenn Regierungsfraktionen
kluge Ideen aus der Opposition aufgreifen und umsetzen .
Es ist aber unerträglich, wenn sie die Pflegekräfte und
die Ausbildungsstätten weiter hängen lassen und nichts
liefern .
({6})
Denken Sie daran: Ohne das Pflegeberufegesetz verschärfen sich andere Probleme . Das Schulgeld bleibt, die
Umlagefinanzierung wird nicht vereinheitlicht, und die
Pflege wird nicht gestärkt. Wir brauchen jetzt eine integrierte, praxisnahe, qualifizierte Pflegeausbildung. Gute
Pflege braucht gute Ausbildung. Das muss drin sein.
({7})
Vielen Dank . - Jetzt hat Bettina Müller von der
SPD-Fraktion die Gelegenheit, zu antworten .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, die Stimmung, die aufgekommen ist, wieder etwas
zu beruhigen . Ich bin weder mit dem, was Herr Irlstorfer
vorgetragen hat, einverstanden, noch kann ich der Frau
Kollegin Vogler folgen . Aber ich bin absolut der Meinung, dass wir schon vor dem Hintergrund eines riesigen
Zeitdrucks ganz schnell zu einer Konsenslösung in diesem Bereich kommen müssen; denn allen Fraktionen davon gehe ich aus - liegt die Pflege am Herzen.
({0})
Wir haben in diesem Bereich in dieser Legislaturperiode mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III vieles geschafft . Wir haben wesentliche Leistungs- und Qualitätsverbesserungen auf den Weg gebracht; aber die Qualität
der Versorgung wird auch maßgeblich von der Qualität
der Ausbildung bestimmt . Daher wäre die Reform der
Pflegeberufe natürlich der krönende, aber auch zwingend
nötige Abschluss einer erfolgreichen Pflegepolitik.
({1})
Es freut mich - um einmal etwas Positives zu sagen -,
dass die beiden Oppositionsfraktionen dies ebenso sehen .
({2})
Beide Anträge stellen zu Recht erheblichen Reformbedarf
fest, analysieren die Situation auch korrekt, benennen
die Herausforderungen: zu wenige Fachkräfte, schlechte
Bezahlung, bescheidene Berufsperspektiven, kaum Aufstiegsmöglichkeiten und teilweise noch Schulgeldpflicht;
ein sehr wichtiges Thema . Weder Alten- noch Krankenpflege sind für die demografischen Veränderungsprozesse ausreichend gewappnet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Kranken‑ und Altenpflege wachsen zwar praktisch
immer mehr ineinander, aber in der Ausbildung geht man
weiter getrennte Wege .
Wir haben alle gemeinsam die Probleme erkannt, aber
die Opposition setzt hier leider, wie ich sagen muss, Herr
Irlstorfer, auf die falschen Lösungen .
({3})
Der sogenannte integrierte Ansatz, die integrierte Ausbildung mit weiterhin getrennten Abschlüssen, löst viele
Probleme nicht. Die Altenpflegeausbildung hätte zum
Beispiel weiterhin keine EU-Anerkennung, unabhängig
davon, dass wir das in dieser Wahlperiode gar nicht mehr
gebacken bekommen würden, weil wir einen völlig neuen Finanzierungshintergrund ausverhandeln müssen . Sie
wissen, dass die Länder mit der Generalistik an diesem
Punkt einverstanden sind - ebenfalls ein ganz wichtiges
Thema, bei dem wir weit gekommen sind und zu dem wir
kein völlig neues Konzept auf den Tisch legen können .
Linke und Grüne waren ja schon einmal wesentlich
weiter; das will ich einmal in Erinnerung bringen . Beide
Fraktionen haben 2003 die Zusammenlegung der Ausbildung in der Kranken‑ und der Kinderkrankenpflege
mitgetragen .
({4})
Ihre Fachpolitiker haben damals die Reform als Schritt
hin zur Generalistik - das kann man in den Reden noch
nachlesen - bezeichnet und die spätere Einbeziehung der
Altenpflege ausdrücklich gefordert und begrüßt.
({5})
Das Altenpflegegesetz von 2001 war ein Projekt der
damals rot-grünen Bundesregierung .
({6})
Es wurde von der ersten grünen Bundesgesundheitsministerin auf den Weg gebracht . Leider haben sich die
Grünen und die Linken dann wieder aus diesem gemeinsamen Prozess ausgeklinkt . Schade; denn angesichts der
wirklichen geforderten Kraftakte, die wir hier in den
nächsten Jahren leisten müssen, wäre natürlich eine breit
getragene Reform besonders wichtig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben; denn mit dem Gesetzentwurf sind wir doch in vielen Punkten auf Kritiker
zugegangen, fast über die Grenze dessen hinaus, was ich
für mich persönlich für vertretbar halte .
({7})
Dieser Gesetzentwurf ist doch nicht mehr die reine generalistische Lehre . Er ist ja bereits eine Mischform aus
integrierter Ausbildung und generalistischem Ansatz; das
müssen Sie ja zugestehen . Wir sind dabei gar nicht so
weit auseinander .
Oft sind es nur sprachliche Feinheiten . So entspricht
etwa der Vertiefungseinsatz in einem der drei wählbaren Schwerpunkte weitgehend der Spezialisierung des
integrierten Modells, und diese Schwerpunkte werden
dann auch mindestens 50 Prozent der praktischen Ausbildungszeit einnehmen .
({8})
Damit ist man den Betrieben doch schon bewusst sehr
weit entgegengekommen,
({9})
und der Kompromiss, die Annäherung an das integrierte
Modell, ist doch schon längst da .
Ich denke, der Gesetzentwurf ist auch für die Grünen
und die Linken zustimmungsfähig . Hier gilt nämlich
auch das Struck’sche Gesetz, das hier immer wieder bemüht wird . Vielleicht ist eine Annäherung ja nicht völlig
ausgeschlossen .
({10})
Wir dürfen - das will ich hier auch noch einmal sagen - nicht denjenigen Kräften nachgeben, die eine Reform der Pflegeberufe aus ganz anderen Gründen komplett verhindern wollen, und die Opposition sollte sich
hier auch nicht vor den falschen Karren spannen lassen .
({11})
Der Arbeitgeberverband für die private Pflegewirtschaft
mit Rainer Brüderle an der Spitze gemeinsam mit Linken
und Grünen: Das wäre eine Allianz! Sie müssen zugeben:
Das wäre eine verkehrte Welt .
({12})
Frau Müller, das war jetzt ein schönes Schlusswort .
({0})
Lassen Sie uns daher in der verbleibenden Zeit gemeinsame Lösungen suchen . Der Entwurf der Koalition
für die Reform der Pflegeberufe ist, denke ich, eine gute
Grundlage .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Kordula SchulzAsche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gute
Pflege ist ein Menschenrecht. Wir alle sind uns einig,
dass der demografische Wandel und die Zunahme der
Zahl älterer pflegebedürftiger Menschen auf der einen
Seite und die Konkurrenz mit anderen Berufen, die junge
Menschen ergreifen können, auf der anderen Seite einen
dringenden Handlungsbedarf verursachen .
Wir brauchen - und ich glaube, darum geht es im Moment - gute Rahmenbedingungen . Die Attraktivität des
Pflegeberufs ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir brauchen eine Aufwertung des Pflegeberufs. Das beginnt natürlich bei der Ausbildung und geht weiter bei der Fortund Weiterbildung . Hier gibt es einen Handlungsbedarf,
und hier muss auch gehandelt werden .
({0})
Es gibt auch eine große Einigkeit - das ist schon mehrfach gesagt worden -, dass eine Reform der Ausbildung
notwendig ist . Nach der Vorlage der Großen Koalition im
letzten Jahr war klar, dass es mit Blick auf die Generalistik große Bedenken insbesondere in der Altenpflege und
der Kinderkrankenpflege gibt. Ich glaube, dass wir gut
daran getan haben, noch einmal nachzudenken und diese
Bedenken ernst zu nehmen, und wir sind jetzt dabei, über
neue Kompromisse nachzudenken .
Es gibt den von Frau Müller ausgelösten Vorschlag,
den auch unsere pflegepolitische Sprecherin, Elisabeth
Scharfenberg, in einem Brief gemacht hat: zunächst
einmal die existierenden Ausbildungsgänge fortlaufen
zu lassen, die Generalistik einzuführen und beides über
einen Zeitraum von zehn Jahren zu begleiten und auszuwerten .
Ich möchte mich hier auch noch einmal ausdrücklich
bei dem Kollegen Irlstorfer bedanken, der mit seinem
Kompromissvorschlag, den er hier gerade vorgestellt hat,
({1})
genau in die Richtung geht, die wir auch vorschlagen,
nämlich in Richtung einer integrierten Ausbildung: ein
zweijähriger gemeinsamer Ausbildungsgang - weil es
natürlich große Überschneidungen zwischen den einzelnen Berufen gibt - und darauf folgend eine einjährige
oder eineinhalbjährige Ausbildung mit einer beruflichen
Spezialisierung in den Bereichen Kinderkrankenpflege,
Altenpflege oder Krankenpflege.
Wenn wir diese drei Modelle zehn Jahre lang nebeneinander laufen lassen, haben wir die Möglichkeit, zu
sagen, wo nachgebessert werden muss und ob es möglich ist, diese Bereiche zusammenzuführen . Das, meine
Damen und Herren, muss jetzt passieren .
Ich fordere auch Sie in der Großen Koalition auf, dass
wir die angesprochenen drei Schritte jetzt endlich gemeinsam gehen und die Beibehaltung des Jetzigen, die
Generalistik und die integrierte Ausbildung gleichzeitig
überprüfen . Das fördert die Attraktivität des Berufs und
macht die Zukunftsfestigkeit aus, und das sollten wir
jetzt auch tun .
({2})
Unabhängig davon gibt es drei Punkte, die sofort und
unabhängig von dieser gesetzlichen Lösung notwendig
sind, nämlich die Verankerung der hochschulischen Pflegeausbildung, die Ausbildungsumlage in den Ländern,
die Finanzierung, und außerdem - über diesen dritten
Punkt sollten wir uns alle einig sein - müssen wir sofort
dafür sorgen, dass das Schulgeld im Bereich der Altenpflege abgeschafft wird.
({3})
Es kann doch nicht sein, dass wir dringendst nach Altenpflegerinnen und Altenpflegern suchen, während in
einigen Bundesländern noch Schulgeld bezahlt werden
muss . Das muss unabhängig gelöst werden, und zwar
jetzt .
({4})
Meine Damen und Herren, gute Pflege braucht gute
Bedingungen und gute Pflegende. Lassen Sie uns schauen, dass wir hier in diesem Hause gemeinsam jetzt endlich zu Potte kommen und die verschiedenen Kompromisse zusammenführen . Ich glaube, ich habe dargestellt,
dass es möglich ist, alle vorhandenen Ansätze gleichzeitig zu fahren .
Ich weiß nicht, ob Sie es schon gemerkt haben, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie stehen im
Moment mit Ihrer Kritik alleine da .
({5})
Von daher denke ich, dass wir versuchen sollten, auch
Sie, Frau Rawert, aus dieser Blockadesituation auf vernünftige Art und Weise herauszukommen .
({6})
Wir müssen jetzt endlich die verschiedenen Ansätze
durchdeklinieren und in einen Gesetzentwurf bringen .
Das ist die Aufgabe, die wir alle haben, um für gute Pflege zu sorgen .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Erwin Rüddel,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge enthalten
Vorschläge, die ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe und die sicherlich im weiteren Meinungsbildungsprozess hier im Haus eine wichtige Rolle spielen
werden. Es wäre gut, wenn wir zu einer Reform der Pflegeausbildung kommen würden, zu einer Lösung, die hier
im Hause auf weitgehende Zustimmung treffen würde .
Aus meiner Sicht geht es zentral um den richtigen
Weg, um zwei Ziele zusammenzubringen: bessere Bezahlung in der Pflege und mehr Pflegefachkräfte. Beides
würde den Beruf attraktiver machen .
({0})
Mit den Pflegestärkungsgesetzen I und III haben wir bereits die Grundlage dafür geschaffen, dass in der Altenpflege Tariflohn zum Standard werden kann.
({1})
Deshalb wehre ich mich mit Entschiedenheit gegen den
Vorwurf, den Skeptikern in Sachen Generalistik gehe es
darum, die Löhne in der Pflege zu drücken. Das Gegenteil ist der Fall . Wie unsinnig der Vorwurf ist, zeigt sich
im Übrigen daran, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber
in seltener Eintracht zu den Kritikern der dreijährigen generalistischen Ausbildung gehören .
Kordula SchulzAsche
Meine Damen und Herren, es könnte sein, dass es für
eine Reform in dieser Legislaturperiode schon zu spät ist,
({2})
zumal es mit einem Gesetz nicht getan ist; denn wir brauchen zusätzlich ausreichend Zeit, um die Verordnung zu
den Ausbildungsinhalten sorgfältig zu prüfen . Das ist unverzichtbar . Gleichwohl begrüße ich ausdrücklich, dass
in den letzten Wochen endlich Bewegung in die Sache
gekommen ist .
({3})
Ich hätte mir diese Bewegung allerdings wesentlich früher gewünscht .
Zu verantworten haben die aktuellen Probleme indes
diejenigen, welche die bereits vor etlichen Monaten vorgebrachten Bedenken offenbar nicht ernst genommen
haben .
({4})
Die Skeptiker in Sachen Generalistik haben schon vor
vielen Monaten zielführende und kreative Kompromissvorschläge gemacht . Aber all diese Vorschläge wurden
von den Verfechtern der dreijährigen generalistischen
Ausbildung oft schroff abgelehnt . Deren Modell hat sich
allerdings bisher in der Praxis in keiner Weise bewährt .
({5})
Genau das ist der Kern des Problems . Viele Praktiker haben unverändert die Sorge, dass die Besonderheiten der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege zu
kurz kommen . Deshalb hat zum Beispiel GKV-Vorstand
Gernot Kiefer vorgeschlagen, eine Zeit lang mehrere
Ausbildungswege zuzulassen . Frau Müller hat einen ähnlichen Vorschlag gemacht .
Herr Kollege, ich darf Sie einmal unterbrechen . Die
Frau Kollegin Baehrens würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen .
({0})
Ja, gern .
Bitte schön .
Herr Abgeordneter Rüddel, herzlichen Dank dafür,
dass ich eine Zwischenfrage stellen darf . - Ist Ihnen in
Erinnerung, dass der Gesetzentwurf, der im Mai des vergangenen Jahres von einem CDU-Gesundheitsminister
und einer SPD-Familienministerin vorgelegt worden
ist, auf den Eckpunkten basiert, die in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgrund von jahrelanger Vorarbeit
von Praktikern erarbeitet worden sind und in der sich
die Bundesländer gemeinsam mit diesen beiden Ministerien auf ein gemeinsames Konzept verständigt haben?
Sie haben sich auch deshalb untereinander verständigt,
weil die Altenpflegeausbildung in der Verantwortung der
Länder liegt . Das heißt, die Länder müssen einem solchen Gesetz zustimmen . Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit
den Interventionen, die Sie seit Monaten vornehmen, ein
Gesetzgebungsvorhaben aufhalten, das in enger Kooperation zwischen den 16 Bundesländern und zwei Bundesministerien entwickelt worden ist?
({0})
Ich glaube, Frau Kollegin, wir hier sind der Gesetzgeber und verantwortlich dafür, wie die Ausbildungsreform
umgesetzt wird .
({0})
Einem ehemaligen Vorsitzenden Ihrer Fraktion wird ja
die Aussage zugeschrieben, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es in den Bundestag hineingekommen ist .
({1})
Ich denke, wir versuchen, diesen Gesetzentwurf weiter
zu optimieren, weil wir zwei Ziele erreichen wollen . Das
erste Ziel ist eine gute Bezahlung . Das zweite Ziel ist,
nach der Reform mehr Menschen für den Pflegeberuf zu
gewinnen als zuvor .
Das Gesetz sollte aber zum Beispiel nicht dazu führen, dass Hauptschüler in diesem Beruf keinen Abschluss
mehr machen können .
({2})
Wir reden immer darüber, dass in 40 Modellversuchen
eine generalistische Ausbildung erprobt wurde .
({3})
Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf entspricht keinem
dieser 40 Modellversuche . Alle diese 40 Modellversuche
hatten Auswahlverfahren als Basis - so wurden etwa
Schüler in einem Assessment-Center ausgesucht - oder
sahen eine längere Ausbildungszeit von dreieinhalb Jahren vor . Nur 24 Schüler in diesen 40 Modellversuchen
hatten einen Hauptschulhintergrund . Deshalb sollten wir
uns Gedanken machen, wie wir zu einer guten Lösung
kommen .
({4})
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg und werden
eine Lösung finden,
({5})
wenn die Familienministerin akzeptiert, dass das Parlament seine Ideen in Gesetzentwürfe einbringen kann .
({6})
Das Selbstbewusstsein sollten wir hier im Parlament haben und nach außen tragen . Wir sind von den Bürgern
gewählt worden, um ordentliche Gesetze zu machen . Es
kann nicht sein, dass uns verboten wird, Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf einzubringen . Ich denke, Sie
sollten noch einmal mit Ihrer Ministerin reden .
({7})
Dann werden wir in den nächsten Wochen sicherlich einen sehr vernünftigen Kompromiss finden.
Ich habe zusammen mit Kollegen auf jeden Fall schon
vor vielen Monaten Vorschläge zur integrierten Ausbildung gemacht,
({8})
die vorsehen, dass grundsätzlich zwei Jahre lang generalistisch ausgebildet wird und dass dann im dritten Jahr
spezialisiertes Lernen im Vordergrund steht . Mittlerweile
sind verschiedene Vorschläge gemacht worden . Ich bin
der Meinung, dass wir den verschiedenen Wegen Zeit geben sollten, sich zu bewähren . Anschließend können wir
entscheiden, welcher Weg der richtige ist .
Ich plädiere für einen evolutionären Wandel, nicht für
eine Revolution . Ich glaube, wir brauchen die Fachlichkeit und müssen dafür sorgen, dass die Identitäten der
drei Pflegeberufe erhalten bleiben. Man muss sich da
wiederfinden.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel . Ich plädiere jetzt
dafür, dass der letzte Satz gesprochen wird .
Dann werde ich das tun . - Wichtig ist mir: Wer heute
einen Abschluss in einem der drei Pflegeberufe schafft,
muss das mindestens auch in dem neuen System schaffen,
({0})
sonst werden wir die Herausforderungen, vor die uns die
Pflege in den nächsten Jahren stellt, nicht bewältigen.
({1})
Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Petra Crone für
die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Danke schön . - Frau Präsidentin! Meine Herren und
Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wissen Sie,
was ich mir wünsche? Ich glaube, da stimme ich mit vielen überein: Ich wünsche mir beim Thema Pflegeberufereform ein Ende der Ungewissheit .
({0})
Wir müssen im Interesse der betroffenen Pflegeschulen
und Betriebe, aber vor allem im Interesse der Auszubildenden in der Pflege endlich Klarheit schaffen.
Die Ausbildung muss attraktiver werden, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Wir brauchen Bewerber und Bewerberinnen . Die
SPD-Bundestagsfraktion will unbedingt die Attraktivitätssteigerung . An diesem Grundsatz halten wir ganz fest .
({2})
Darin unterscheiden wir uns ja gar nicht so sehr, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen .
({3})
Die vielen in der Pflege beschäftigten Frauen verdienen eine Aufwertung ihrer Arbeit .
({4})
Schluss mit dem Schulgeld! Wir brauchen endlich eine
einheitliche Vergütung, eine faire und höhere Bezahlung,
besonders in der Altenpflege.
({5})
Aber das geht nur mit einem einheitlichen Abschluss, mit
der Generalistik .
({6})
Alte Menschen kommen ins Krankenhaus, kranke
Menschen leben in Senioreneinrichtungen . Sie erwarten
dort zu Recht eine gute Versorgung . Aus diesem Grund
setze ich mich seit vielen Jahren für den Zusammenschluss der drei existierenden Ausbildungen zu einem
neuen, umfassenden und zukunftsfesten Beruf ein .
({7})
Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Familienministerin Manuela Schwesig haben dazu gemeinsam
einvernehmlich ein Gesetz vorgelegt . Alle 16 Bundesländer sind einbezogen worden und haben zugestimmt .
({8})
Im März 2016, fast vor einem Jahr, war hier im Parlament die erste Lesung . Es hat eine öffentliche Anhörung
gegeben, in der es ganz viel Zuspruch der Experten und
Expertinnen gegeben hat .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer heute der letzten Rede von Frank-Walter Steinmeier als Außenminister
mit offenen Ohren und auch mit Verstand gelauscht hat,
konnte hören, wie wichtig es ist, unsere parlamentarischen Rechte wahrzunehmen .
({10})
Aber, liebe Kollegen der Union, jetzt muss ich das mal
ganz deutlich sagen: Es hat zu dem Entwurf eines Pflegeberufereformgesetzes auf Ihr Betreiben hin in diesem
letzten Jahr nicht ein einziges Berichterstattergespräch
stattgefunden .
({11})
Und bis heute wurden uns direkt keine Vorschläge gemacht; auch das muss ich sagen .
(Zuruf des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU]
- Herr Irlstorfer, das stimmt nicht . Es sind keine Vorschläge gemacht worden .
({12})
Herr Rüddel, das muss ich Ihnen sagen: Wer in dieser
Situation in der Presse behauptet, Ministerin Manuela
Schwesig würde den parlamentarischen Prozess aufhalten, scheint nichts von parlamentarischen Abläufen zu
verstehen .
({13})
Trotzdem hoffe ich sehr - ich habe nur drei Minuten
Redezeit -, dass wir bald die Gelegenheit haben, dieses
Gesetz zu verabschieden, ein Gesetz, das sich große Teile
der Verbände und viele Pflegerinnen und Pfleger wünschen . Glauben Sie mir, ich habe mit vielen in Einrichtungen und in Schulen gesprochen . Lassen Sie uns das
gemeinsam machen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um mit den Worten von Frank-Walter Steinmeier zu
sprechen: Die Kollegen und Kolleginnen der Opposition
können sich ja als Dünger in die Gesetzgebung einbringen .
Ich danke fürs Zuhören .
({14})
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Gute Ausbildung - Gute Arbeit - Gute
Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11003, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7414 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen .
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Integrative Pflegeausbildung - Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11004, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/7880 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die
Koalition . Wer stimmt dagegen? - Das sind Bündnis 90/
Die Grünen . Wer enthält sich? - Das sind die Linken . Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Ich bitte Sie, jetzt noch eine kurze Zeit hierzubleiben .
Wir haben noch einige Abstimmungen vorzunehmen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge
setzes zu den Vorschlägen der Europäischen
Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüs
se des Rates zur Festlegung von Standpunk
ten der Union in den Stabilitäts und Assozi
ationsräten EU - Republik Albanien sowie
EU - Republik Serbien im Hinblick auf die
Beteiligung der Republik Albanien sowie der
Republik Serbien als Beobachter an den Ar
beiten der Agentur der Europäischen Union
für Grundrechte und die entsprechenden Mo
dalitäten im Rahmen der Verordnung ({0})
Nr. 168/2007 des Rates
Drucksache 18/9990
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({1})
Drucksache 18/10966
Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben wer-
den . - Ich sehe, Sie sind einverstanden .1)
Damit kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union emp-
1) Anlage 6
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10966, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9990 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Einstimmig angenommen .
Dann kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Angleichung der Entschädigungsleistungen
für NSOpfer
Drucksache 18/10969
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({2})
Innenausschuss ({3})
Finanzausschuss
Federführung strittig
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10969 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Hierbei ist die
Federführung jedoch strittig . Die Fraktionen der CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Haushalts-
ausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung
beim Innenausschuss .
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, Federführung beim
Innenausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? - Das sind die Linken und die Grünen . Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Koalition . Wer enthält
sich? - Keiner . Der Überweisungsvorschlag ist damit ab-
gelehnt .
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD . Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvor-
schlag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Biodiversität schützen - Taxonomische For
schung ausbauen
Drucksache 18/10971
1) Anlage 7
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10971 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Pharmazeutische Forschung gegen Infektions
krankheiten stärken - Nationale Wirkstoff
offensive starten
Drucksache 18/10972
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10972 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist so
beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das
Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer
straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/10937
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({6})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
2) Anlage 8
3) Anlage 9
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind,
dass die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Das ist
der Fall .1)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Interfraktionell
wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/10937 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än
derung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des
Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Rege
lung der Arbeitszeit von selbständigen Kraft
fahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und
des Gesetzes über die Errichtung eines Kraft
fahrtBundesamtes
Drucksache 18/10882
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Sie sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10882 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo
dernisierung der epidemiologischen Überwa
chung übertragbarer Krankheiten
Drucksache 18/10938
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Auch hier sehe ich keinen Widerspruch .3)
1) Anlage 10
2) Anlage 11
3) Anlage 12
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/10938 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keine
anderweitigen Vorschläge . Dann ist so beschlossen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspart
nerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008
zwischen den CARIFORUMStaaten einer
seits und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
Drucksache 18/8297
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9})
Drucksache 18/10950
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . - Ich sehe,
Sie sind einverstanden .4)
Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10950, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/8297 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich bedanke mich bei Ihnen .
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27 . Januar 2017, ein . Da
um 9 Uhr hier im Plenarsaal die Sonderveranstaltung aus
Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus stattfindet, zu der ich Sie alle sehr herzlich einlade, beginnt die Plenarsitzung erst um 10 .30 Uhr .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen
angenehmen Abend . Danke schön und auf Wiedersehen!