Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/20/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kollegen Hans-Joachim Schabedoth zu seinem heutigen 65 . Geburtstag herzlich gratulieren . ({0}) Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr! Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 21: Vereinbarte Debatte zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017 Die Debatte soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung 60 Minuten dauern. - Das ist offensichtlich einvernehmlich . Also können wir so verfahren . Ich  eröffne  die Aussprache  und  erteile  das Wort  zunächst der Kollegin Katarina Barley für die SPD-Fraktion . ({1})

Dr. Katarina Barley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Das vorliegende Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2017 ist Anlass für unsere heutige Debatte . Aber die Fragen, die uns beschäftigen, gehen weit darüber hinaus . Es geht im Moment um nichts weniger als um die Frage, wohin sich Europa entwickeln wird, wohin sich die Europäische Union entwickeln wird . Wir haben ja ein Jahr der Zäsuren hinter uns, ein Jahr mit Brexit-Referendum, ein Jahr mit Wahlkampf und Wahl in den USA; und Donald Trump wird heute als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt werden . All das wird die Architektur der Welt und die Architektur innerhalb der Europäischen Union verändern . Genauso wie für viele von Ihnen bedeutete für mich die Idee der Europäischen Union, zusammenzuwachsen und einander besser zu verstehen, indem man zusammenarbeitet und sich austauscht . Es ist schon bestürzend, zu sehen, dass die bisherigen Entwicklungen umkehrbar sind . Wir sind mit zwei Entwicklungen konfrontiert, die mich und, wie ich vermute, die meisten hier im Saal sehr besorgt machen . Die eine Entwicklung ist, dass sich Menschen von Europa, von der Idee der Europäischen Union abwenden, weil sie sich nicht mehr erreicht fühlen, sich nicht verstanden fühlen, weil sie sich nicht als Ziel europäischer Politik fühlen . Ich nenne als Beispiel eine Begegnung bei einer Wanderung in Bayern . Ein selbstständiger Metzger, der das Geschäft in fünfter Generation fortführt, sagte mir: Es ist schon wieder eine neue Regelung aus Brüssel gekommen . Ich muss schon wieder neue Hygienevorschriften beachten und müsste bauliche Veränderungen vornehmen, wenn ich meinen Betrieb an die nachfolgende Generation übergeben will . Das lohnt sich nicht mehr . Irgendwann werden wir dichtmachen müssen . - Das ist nur eine kleine Begebenheit . Es gibt viele davon, bei denen die Menschen das Gefühl haben: Europa wird zu sehr von der Logik der Märkte her gedacht, aus der Logik der Wirtschaft gedacht und eben zu wenig aus der Logik von Menschen . Die zweite sehr besorgniserregende Entwicklung ist die der wachsenden nationalen Egoismen . Das ist keine ganz neue Entwicklung . Das hatten wir schon bei Maggie Thatcher . Insofern ist es wahrscheinlich auch kein Zufall, dass nun Großbritannien das Land ist, welches die Grundsatzfrage gestellt hat . Die Idee aber, dass man nicht gemeinsam zu etwas beiträgt, sondern sich das größte Stück herausbrechen will, haben wir schon lange . Was wir jetzt aber zusätzlich sehen - zusätzlich zu Unterbietungswettbewerben, die wir leider immer noch haben in Form von Steuerdumping und auch Dumping bei Sozialstandards -, ist noch etwas Weiteres: Es kommt jetzt ein neuer Nationalismus, ein neuer Egoismus mit einer ganz anderen Qualität und einer ganz anderen Zielrichtung dazu . Deswegen ist es so wichtig, dass sich diejenigen, welche die EU nach wie vor als ein Projekt der Zukunft, als ein Projekt der Versöhnung, als ein Projekt des gemeinsamen Wohlstandes ansehen, jetzt ernsthaft überlegen, wie sich diese EU in Zukunft aufstellen soll . Ich glaube, dass wir nach diesem Jahr der Zäsuren einen neuen Aufschlag brauchen . Die EU ist ein Projekt, das von Menschen gemacht wird . Deswegen haben wir es auch in der Hand, Europa zu verändern . Und das müssen wir tun . Wir müssen die Rechtspopulisten bekämpfen, die eine 180-Grad-Wende hin zu einem neuen säbelrasselnden, autoritären Nationalismus wollen . Das hat mit einem freiheitlichen Europa in einem aufgeklärten Kontinent überhaupt nichts mehr zu tun . Damit begänne eine Zeit des Nationalismus, des Protektionismus und der autoritären Regime . Das kann wirklich keiner wollen . Man blicke einmal auf Polen und Ungarn und schaue sich an, wem es da zuerst an den Kragen geht: der unabhängigen Justiz, der freien Presse, der kritischen Kultur, den Rechten der Frauen . Es sind immer die Gleichen, die darunter zu leiden haben . Das kann wirklich kein Mensch wollen, der an einem freiheitlichen Europa interessiert ist . ({0}) Aber wir können und müssen Europa besser machen . Das heißt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vor allen Dingen, Europa sozialer zu machen . Deswegen bin ich froh, dass die Europäische Kommission eine europäische Säule einziehen will . Das darf aber keine reine Worthülse bleiben . Wir fordern das schon lange; denn das bietet die Chance, wirklich ein Europa der Bürger aufzubauen . Das heißt soziale Sicherungsstandards, faire Mindestlöhne, das heißt ein Ende von Steuerflucht und Steuerdumping.  Das heißt auch ein Europa der Jugend; denn wir sehen doch, dass wir vor allen Dingen in Südeuropa eine ganze Generation für die europäische Idee verlieren . Die Idee des Juncker-Plans, Investitionen zu stärken, ist der richtige Ansatz . Aber Investitionen alleine werden uns nicht helfen, wenn sie nicht in Beschäftigung münden, vor allen Dingen in Beschäftigung von jungen Menschen; denn sie sind unsere Zukunft im Kampf für ein geeintes Europa . Europa ist das, was wir daraus machen . Wir haben es in der Hand . Unsere Generation wird sich später daran messen lassen müssen, was wir aus dieser europäischen Idee gemacht haben . Wir wollen einen neuen Aufbruch in Europa für eine gute und eine gemeinsame Zukunft . Vielen Dank . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union ist in einem desolaten Zustand . Leider - das muss ich sagen - haben die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister daran einen großen Anteil. ({0}) Auch Vizekanzler und Minister Gabriel ist insofern mitschuldig, als er als Vizekanzler zu all dem geschwiegen hat und sich als Wirtschaftsminister nicht eingemischt hat . ({1}) Deutschland spielt eine führende Rolle in der Europäischen Union . Und es gibt zwei Wege, wie man diese Rolle ausfüllen kann . Der erste Weg ist: Man baut den Süden Europas und damit auch die Europäische Union auf . Der zweite Weg ist: Man baut den Süden Europas und damit auch die Europäische Union ab . Leider hat sich die Bundesregierung für den zweiten Weg entschieden . Das ist verhängnisvoll . Sie reden von Wettbewerbsfähigkeit, von wettbewerbsfähiger Demokratie . Die soziale Frage, die ökologische Nachhaltigkeit, die Solidarität - all das spielt nicht die geringste Rolle; es interessiert Sie einfach nicht . ({2}) Permanent wird vom Süden Europas gefordert: Runter mit den Löhnen, runter mit den Renten, runter mit den Sozialleistungen! Das sind aber Länder, die im Unterschied zu Deutschland nicht vom Export, sondern von der Binnenwirtschaft leben . Wenn Sie permanent die Kaufkraft reduzieren - ich bin noch gar nicht bei der sozialen Frage -, dann bringt das mit sich, dass die Binnenwirtschaft geschwächt wird . Das heißt, dass die Steuereinnahmen zurückgehen, und das bedeutet, dass die Schulden niemals zurückgezahlt werden können . ({3}) Was wir gebraucht hätten, wäre ein Marshallplan für den Süden gewesen . Den haben Sie abgelehnt . Aber Deutschland - nicht die DDR, aber die Bundesrepublik - bekam nach dem schlimmsten Krieg, nach den schlimmsten Verbrechen nach 1945 einen Marshallplan, der beim Aufbau geholfen hat . Nicht nur das: Acht Jahre nach diesen entsetzlichen Verbrechen tagte eine Schuldenkonferenz in London: 1953 . Auf ihr wurden Deutschland fast alle Schulden erlassen . Vergleichen Sie das einmal mit der Art und Weise, wie Sie den Süden Europas behandeln . ({4}) Ich behaupte, wir brauchen jetzt, 64 Jahre nach 1953, wieder eine Schuldenkonferenz, nicht nur für Griechenland, sondern für die gesamte Euro-Zone . ({5}) Bestimmte Schulden müssen einfach gestrichen werden . Ich darf Sie an die Bibel erinnern, an das Alte Testament, an die Verse 8 bis 55 im 3 . Buch Mose, Kapitel 25 - lesen Sie das einmal -: ({6}) Da steht etwas von einem Schuldenerlass alle sieben Jahre, aber zumindest nach 50 Jahren im sogenannten Jubeljahr. - Ich finde, die Christdemokratinnen und Christdemokraten könnten sich doch wenigstens einmal nach der Bibel richten . Das wird höchste Zeit . ({7}) Wenn man den Banken sagt: „Alle 64 Jahre gibt es einen Schuldenerlass“, dann gewöhnen sie sich auch daran . Sie müssen es nur wissen . Ich glaube, dass das der richtige Weg wäre . Die EU ist unsolidarisch . Ich nenne ein Beispiel: Deutschland hat die Solidarität mit Griechenland aufgekündigt . Das war deshalb so verhängnisvoll, weil sich alle anderen Regierungen gesagt haben: Ach, so werden wir behandelt, wenn es uns schlechtgeht . - Ich erinnere daran, dass die italienische Regierung, als sehr viele Flüchtlinge nach Italien kamen, um EU-Flüchtlingsquoten bat . Was sagte die Bundesregierung? Wir haben das Abkommen von Dublin . Das kommt gar nicht infrage . Das ist eure Angelegenheit . Etwa zehn Monate später kamen sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland, und plötzlich wollte die Bundesregierung EU-Flüchtlingsquoten . Ich habe selten in solch wonnige Gesichter von Staats- und Regierungschefs gesehen, die uns allen den mittleren Finger gezeigt haben . Da war mir klar: Die Solidarität in der EU ist kaputt . Und das geht nicht . ({8}) Wissen Sie, was der Höhepunkt war? Als jetzt in Griechenland etwas Geld übrig blieb, hat man entschieden, dieses Geld den Ärmsten zur Verfügung zu stellen . Frau Merkel  und  Herr  Schäuble  haben  ein Affentheater  gemacht und gedroht, dass alle weiteren Hilfen für Griechenland gestrichen werden . Sie müssen sich einmal überlegen, wie das bei den Leuten in Europa ankommt, wenn man eine solch kleine Geste derart beschimpft . Ich muss noch etwas sagen: Die EU ist unsozial . Der Süden hat in den letzten Jahren nichts anderes als Sozialabbau kennengelernt, und auch in Deutschland haben wir den größten Niedriglohnsektor in Europa und millionenfache prekäre Beschäftigung . Die EU ist auch ökologisch nicht nachhaltig . Ich sage immer: unzureichende Ziele und unzureichende Realisierung von Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel . Die EU ist intransparent . Die TTIP-Verhandlungen wurden als Geheimverhandlungen geführt . Ich beurteile die Tatsache, dass Trump heute Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird, natürlich äußerst kritisch . Aber Sie wissen: Negative Entwicklungen haben immer auch ein positives Körnchen . Es könnte ja sein, dass er TTIP fallen lässt, und das wäre dann im Interesse der Europäerinnen und Europäer . ({9}) Die EU ist undemokratisch . Ich werde Ihnen auch sagen, warum die EU undemokratisch ist: weil sie einen Regierungsföderalismus begründet hat . Man interessiert sich diesbezüglich weder für das nationale Parlament noch für das Europäische Parlament . ({10}) Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Weil Erdogan die Türkei von einer Demokratie zu einer Despotie und zu einer Diktatur entwickelt, hat das Europäische Parlament beschlossen, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen . Was sagt die Kanzlerin? Nein, wir verhandeln weiter . Vielleicht machen wir kein neues Kapitel . - Es interessiert sie einfach nicht . Das bekommen doch die Europäerinnen und Europäer mit und vertrauen deshalb der Struktur nicht mehr . Außerdem ist alles wirr . Stichwort „Europarecht“ Sie haben es erwähnt -: Jeder Bürgermeister stützt sich auf das Europarecht . In der einen Hälfte der Fälle zu Recht, in der anderen Hälfte ist der Zusammenhang frei erfunden . So geht es nicht weiter . Die Leute verlieren jede Übersicht . Nun will die EU auch noch militärisch werden . Ich sage Ihnen klipp und klar - auf den Ersatz nationaler Streitkräfte könnten wir uns verständigen; aber das kann man ja vergessen; das alles kommt hinzu -: Wir sind strikt dagegen, dass die Europäische Union invasionsfähig wird . ({11}) Aber nachdem ich das alles gesagt habe, muss ich Ihnen begründen, weshalb ich einen Neustart will und die EU retten will . ({12}) - Es ist ja scheinbar ein Widerspruch: Erst mache ich die EU fertig, und dann kommt das Gegenteil . Aber ich bin eben ein Dialektiker . Das kennen Sie nicht . Erster Grund: die Jugend . Die Jugend ist europäisch aufgewachsen . Die meisten Jugendlichen sprechen ganz gut Englisch . Die haben mal hier, mal dort gearbeitet, sie haben mal hier, mal dort studiert etc . Stellen Sie sich doch mal vor, es gäbe wieder die alten Nationalstaaten mit Grenzbäumen . Dann bestünde irgendwann wieder die Notwendigkeit, einen Pass zu haben . Gibt es irgendwo einen Konflikt, dann wird eine Visumspflicht eingeführt . Stellen Sie sich mal vor: Zwei Monate bevor Sie nach Paris fliegen wollen, müssen Sie erst einmal ein ViDr. Gregor Gysi sum in der französischen Botschaft beantragen! Das ist für uns Alte ja kaum vorstellbar, aber für die Jungen eine blanke Katastrophe . Das ist der erste Grund, weshalb das nicht geht . ({13}) Zweiter Grund . Die weltpolitische Relevanz der Nationalstaaten können Sie vergessen . Was glauben Sie, welche Rolle Luxemburg im Nahostkonflikt spielt? Nur als  EU sind wir ein Faktor . Dritter Grund . Ökonomisch haben wir als Nationalstaaten im Verhältnis zu China und den USA nichts zu bestellen . Nur als EU sind wir ein Faktor . Vierter Grund . Die deutsche Nationenbildung kam, weil wir schlechte Revolutionäre sind - ich erinnere an 1848 -, ja erst 1871 . Zu spät! Da war die koloniale Aufteilung der Welt abgeschlossen, was wir heute begrüßen können; denn wir müssen uns nicht ganz so oft entschuldigen wie andere . Wir bekamen nur einen kleinen Teil Afrikas . Die Herrschenden fühlten sich jedoch zu kurz gekommen. Sie hatten nicht den Zugang zu Rohstoffen,  konnten die Leute nicht so ausbeuten wie andere . Deshalb gab es immer wieder diesen deutschen Sonderweg, den Versuch der Neuordnung der Welt . Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg - gescheitert . Eine Schlussfolgerung bestand darin, Deutschland international zu verankern . Ich will nicht zurück zum alten deutschen Nationalstaat . ({14}) Es gibt wieder Rechte, die davon träumen, die Einflusssphären zu erweitern . Genau diesen deutschen Sonderweg möchte ich für immer ausschließen . Auch deshalb will ich die Verankerung in der Europäischen Union . ({15}) Der fünfte und letzte Grund ist ganz einfach: Es gab noch nie zwischen zwei Mitgliedsländern der Europäischen Union einen Krieg, während vorher die ganze europäische Geschichte durch Kriege zwischen diesen Staaten gekennzeichnet war . Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen zum Schluss: Wenn Sie nicht ernsthaft für eine solidarische, sozial gerechte, demokratische, transparente, unbürokratische und unmilitärische Europäische Union streiten, wird die Rechtsentwicklung, die wir in den USA, in Polen, in Ungarn, in Finnland, in Dänemark, in Frankreich und in Deutschland erleben, zunehmen . Wenn wir sie hier in Deutschland wirksam bekämpfen, dann können wir sie auch in Europa bekämpfen . ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Groden-Kranich das Wort . ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, die Linke zitiert immer dann Bibelverse, wenn es opportun ist . ({0}) Wenn wir auf kommunaler Ebene christliche Kitas oder Schulen unterstützen, dann ducken Sie sich ganz schnell weg . ({1}) Das dominierende Thema meiner ersten vier Jahre im Deutschen Bundestag und im EU-Ausschuss war die Krisenbewältigung . Die erste Sondersitzung meiner Mandatszeit thematisierte die dramatische Situation in der Ukraine . Es folgten zahllose Unterrichtungen zur Lage in Griechenland . Und unser Kontinent sah sich mit der größten Flüchtlingswelle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs konfrontiert . Als wäre das noch nicht genug, beschäftigen wir uns künftig zusätzlich mit den Fragen, welche der Brexit für uns aufwirft . Auch bei Gesprächen in Brüssel dominierten bislang Krisenbewältigung und Schadensbegrenzung . Europa täte es gut, wenn wir uns deutlich häufiger mit unseren Erfolgen und der Schönheit  unseres gemeinsamen europäischen Projekts beschäftigen würden . ({2}) Leider wird das Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das Jahr 2017 diesem Anspruch nicht wirklich gerecht . Überschrieben ist es mit „Für ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“, und genau das sind die Bereiche, in denen Europa zu alter Stärke zurückfinden  muss . Anfang dieser Woche wählten die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament Antonio Tajani zu ihrem neuen Präsidenten . Mit ihm haben sich die Abgeordneten abermals für einen überzeugten und leidenschaftlichen Europäer entschieden . ({3}) In diesen Tagen von aufziehendem US-amerikanischen Protektionismus und nationalstaatlicher Verklärung sind diese Charaktereigenschaften in unserer europäischen Wertegemeinschaft sehr gefragt . Denn dies ist die Europäische Union für mich: eine Wertegemeinschaft . ({4}) Man  kann  es  nicht  häufig  genug  betonen: Wir  sind  mehr als ein Binnenmarkt von über 500 Millionen Menschen . Uns verbinden das christlich-abendländische Erbe, unsere gemeinsame Vergangenheit und eben auch unsere gemeinsame Zukunft . ({5}) Selbst wenn Europa nicht mehr wäre als ein Friedensprojekt, würde es sich mehr als lohnen, dafür zu kämpfen . 70 Jahre Frieden sind eine beispielslose Erfolgsgeschichte . ({6}) Die Europäische Union ist aber - und das ist meine feste Überzeugung - auch unsere einzige Chance, in einer globalisierten Welt bestehen zu können . Daher ist der Grundsatz der Kommission genau richtig: Europa muss klein sein in den kleinen Dingen, aber groß, wenn es um die wirklichen Herausforderungen unserer Zeit geht . Als nationaler Gesetzgeber muss auch dieses Hohe Haus seiner Verantwortung gerecht werden . Wir müssen Subsidiarität nicht nur einfordern, sondern auch leben . Immer wieder müssen wir kritisch fragen: Was können wir national regeln? Was muss Europa regeln? Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern müssen wir uns fit machen  für die Herausforderungen unserer Zeit und  der Zukunft . Die Welt um uns herum ändert sich in rasender Geschwindigkeit - und wir sind gut beraten, uns diesen Änderungen frühzeitig zu stellen . Auch im Jahr 2017 werden wir mit der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise zu kämpfen haben . Richtigerweise haben wir uns europaweit darauf verständigt, den Teufelskreis zwischen Bankenkrise, Bankenrettung und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen . Durch das sogenannte Bail-in müssen zunächst Eigner und Gläubiger einer in Notlage geratenen Bank aktiv werden, um diese zu stabilisieren . Erst in einem weiteren Schritt kommt ein dezidiert von der Bankenwelt finanzierter Abwicklungsfonds zum Zuge . Diese Aufteilung ist essenziell wichtig, um alle europäischen Steuerzahler vor Risiken in ungeahnter Höhe zu schützen . Doch was passiert aktuell? Die EU-Kommission hat im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung der italienischen Regierung erlaubt, das in Schieflage geratene drittgrößte Finanzinstitut des  Landes durch staatliche Hilfen zu stützen - und dies angesichts einer Staatsschuldenquote von 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung! Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei solchen Entscheidungen der EU-Kommission dürfen wir uns nicht wundern, wenn Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen in die europäische Politik verlieren . Die EU-Kommission muss ihre Rolle als Hüterin der Verträge wieder deutlich ernster nehmen . ({7}) Nichts Geringeres steht auf dem Spiel als unsere Glaubwürdigkeit . Wenn sich die europäischen Gesetzgeber auf Regeln verständigen, dann muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese auch umgesetzt und Verstöße sanktioniert werden . Dies gilt auch für Griechenland . Wir dürfen eben nicht tolerieren, dass nationale Alleingänge - wie jüngst in der Rentenpolitik des Landes - ohne Folgen bleiben und stillschweigend hingenommen werden . Wer Entscheidungen trifft, muss mit  den Konsequenzen  leben. Der Hinweis  auf die eingeschränkte Souveränität eines Staates greift hier übrigens nicht; denn dieser Staat hat sich mit dem Beitritt zum Euro und zur EU auch zu deren Regeln bekannt . Wer Fremdkapital in nicht unbeträchtlicher Höhe aufnimmt, sich der Bonität anderer Staaten bedient und regelmäßig  an  seine  eigenen  Verpflichtungen  erinnert  werden muss, tritt diese Solidarität mit Füßen . Kommt die EU-Kommission mit ihrer geteilten Rolle als politische Kommission und als Hüterin der Verträge nicht zurecht, dann müssen wir die Konsequenzen ziehen und Kompetenzen notfalls neu ordnen . Im Bereich der Bankenunion haben wir mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde starke unabhängige Institutionen, auch wenn wir so manches Anleihekaufprogramm so nicht unterstützen würden . Eine der größten Herausforderungen bleibt aber die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit . Hier muss Europa stärker werden und mit aller Kraft Zukunft gestalten . Wir müssen Europas Jugend den Glauben an das europäische Projekt zurückgeben; denn wenn die nachfolgenden Generationen nicht mehr an einen geeinten Kontinent glauben, dann sind alle unsere heutigen Anstrengungen vergebens . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU-Kommission wählte für ihr Arbeitsprogramm den Titel „Für ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“; ich habe es bereits erwähnt . Gerade im Bereich des Schutzes und der Verteidigung haben wir in den letzten Monaten viel erreicht . Der neue europäische Grenz- und Küstenschutz hat seine Arbeit bereits aufgenommen . Er hat mehr Kompetenzen und ist besser für den Schutz der EU-Außengrenzen ausgestattet als die bisherige Agentur Frontex . Die EU hat damit gezeigt, dass sie handlungsfähig ist und bestehende Probleme aktiv angeht, wenn sie diese erkannt hat - auch wenn es uns oft nicht schnell genug gehen kann . Was mich bei der Lektüre des Arbeitsprogramms sehr erstaunt und auch enttäuscht hat, war, dass der Brexit lediglich mit einem Satz in der Einleitung kurz erwähnt wurde . Auch wenn der Antrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags noch nicht eingereicht ist, so müssen wir doch diese historische Zäsur zur Kenntnis nehmen; die Rede von Theresa May haben wir ja alle gehört . Nun müssen wir uns auch vorbereiten . Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir das Vereinigte Königreich zwar nicht als Partner verlieren, wir die Zusammenarbeit aber auf eine völlig neue Grundlage stellen müssen . Und mehr noch: Wir müssen erkennen, welche massiven Auswirkungen der Brexit auf die Menschen Europas hat . Wir können und werden unsere Werte und Prinzipien nicht opfern . Aber wir sind es nicht zuletzt unseren Kindern schuldig, weiter für ein geeintes und kooperatives Europa zu werben und zu arbeiten . Europäische Kommission, Rat und Europäisches Parlament haben sich für das Jahr 2017 viel vorgenommen . Ich bin sehr froh darüber, dass EVP und Liberale eine Vereinbarung zur Umsetzung einer Reformagenda beschlossen haben . Lippenbekenntnisse bringen uns nicht weiter . Europas Bürger wollen Taten sehen . Nur wenn alle europäischen Gesetzgeber an einem Strang - und in die gleiche Richtung - ziehen, können wir die aktuellen Herausforderungen bewältigen . Lassen Sie uns unseren Teil dazu beitragen, dieses Arbeitsprogramm zu einer Erfolgsgeschichte zu machen . Für uns Mitglieder des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ist es inzwischen zur Routine geworden, uns alljährlich und immer wieder mit dem Arbeitsprogramm zu befassen . Ich werbe nachdrücklich dafür, dass auch unsere Kolleginnen und Kollegen in den anderen Fachausschüssen diese Chance ergreifen . Die jährliche Programmplanung gibt uns die Gelegenheit, mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und mit den Instrumenten, die uns auf nationaler und auf EU-Ebene zur Verfügung stehen, gegensteuern zu können . Lassen Sie uns gemeinsam auch im anstehenden Jahr mit Leidenschaft, Freude und Zuversicht weiter am europäischen Haus im globalen Dorf bauen . Ich bin sicher: Europa wird es uns danken . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Annalena Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben direkt nach dem Brexit eine Debatte hier im Deutschen Bundestag geführt, die mich sehr positiv gestimmt hat . Da wurde sehr selbstkritisch von allen Rednerinnen und Rednern gesagt, dass wir an uns arbeiten müssen, dass wir aufhören müssen, mit dem Finger auf andere Länder und andere Menschen zu zeigen, dass wir uns vielmehr fragen müssen: Was tun wir eigentlich für Europa? . ({0}) Da wurde sehr deutlich gesagt: Wir müssen mit dieser Kosten-Nutzen-Debatte aufhören, damit, zu sagen: Der ist schuld. - Deswegen bin ich echt richtig getroffen von  dem, was heute hier passiert ist . Alle nehmen das Wort „Brexit“ in den Mund, aber dann kommt wieder der alte Reflex. Herr Gysi, bei Ihrer  Rede habe ich mich ehrlich gefragt, ob Sie Ihre Karten verwechselt haben . Ihre „Blaming and shaming“-Argumente schienen mir eher aus dem Jahr 2015 zu sein; vielleicht haben Sie sich damals zuletzt wirklich mit Europa beschäftigt . Das ist die eine Sache . ({1}) Die andere Sache ist: Auch von Ihnen, Frau GrodenKranich, kam wieder der Vorwurf: Diese Griechen! Herr Kauder dagegen hatte in der Debatte über den Brexit in jedem zweiten Satz genau das Richtige gesagt; ich musste aufpassen, dass ich nicht ständig klatsche . Er sagte zum Beispiel: Wenn es nicht gelingt, Europa in den Herzen der Menschen zu verankern, dann wird es in Zukunft sehr schwer für Europa, die gute Geschichte zu erzählen … Frau Barley, Sie haben in Ihrer Rede das Beispiel von einem Metzger erwähnt, dem Sie bei einer Wanderung in den Bergen begegnet sind und der Ihnen gesagt hat: Europa macht alles kaputt . Ich habe mich da gefragt: Warum antworten Sie dann nicht: „Oh ja, Sie haben recht . Ich als SPD-Generalsekretärin werde alles dafür tun, dass Deutschland das ändert“? Denn Deutschland ist Europa; Europa ist nicht nur irgendwo in Brüssel . ({2}) Leider hat  sich offensichtlich  auch der Finanzminister nicht die Worte des Fraktionsvorsitzenden Kauder zu Herzen genommen; denn man könnte doch gerade jetzt eine wirklich gute Geschichte erzählen . Man könnte erzählen, wie wichtig es ist, dass Menschen Freunde haben, Freunde, die einem in der Not helfen und einem, wenn man aus der schlimmsten Situation herausgekommen ist, sagen: Ich bin stolz auf dich . Das hast du gut gemacht . In dieser Situation - deswegen, Herr Gysi, kann ich Ihren Griechenland-Vergleich wirklich nicht verstehen befinden wir uns gerade.  ({3}) Griechenland hat die Reformen so umgesetzt, dass es jetzt zu den Schuldenerleichterungsmaßnahmen kommt, die immer versprochen wurden und die wir alle eingefordert haben . Ein Schuldenschnitt wäre besser, ja, aber es gibt doch eine positive Entwicklung . Anstatt dass auch Sie das hochhalten und sagen: „Griechenland hat richtig was getan; daran können wir uns ein Beispiel nehmen“, ({4}) wird auch vonseiten der Union jetzt wieder gesagt: Oh, die Griechen müssen jetzt aber ihre Aufgaben erfüllen . Warum sagen wir nicht: „Solidarität zahlt sich aus . Solidarität in Europa zahlt sich aus - für die Griechen, für Deutschland, für Europa“? Wir könnten damit gleichzeitig der Partei, die leider aufgrund der Euro-Krise großgeworden ist, den Spiegel vorhalten; ({5}) denn Europa ist nicht den Bach runtergegangen, weil wir den Griechen geholfen haben . Nein! Diese Geschichte könnte Herr Schäuble erzählen und sagen: Hier ist mein Interview: Solidarität zahlt sich aus . In Zahlen: Für Deutschland zahlt sich die Solidarität mit 722 Millionen Euro aus . - Das ist nämlich das Geld, das Sie in den Bundeshaushalt aufgrund der EZB-Ankäufe und der guten Zinspolitik eingestellt haben . Dieses Geld ist nach Deutschland zurückgekommen und steht seit 2015 und 2016 im Haushalt . Aber das verschweigen Sie einfach . Warum sorgen Sie nicht für die Schlagzeile in der Bild-Zeitung: „Das haben wir Deutschen aus der GrieUrsula Groden-Kranich chenland-Solidarität für uns bekommen“? Stattdessen liest man in der Welt ein Interview von Herrn Schäuble, in dem er wieder sagt: Oh, wir müssen aufpassen; die Verpflichtungen müssen eingehalten werden, sonst droht  auf Dauer die Dekonstruktion des Euro . - Ist das Ihre positive Geschichte von Europa, die Sie erzählen wollen, sehr verehrte Damen und Herren? ({6}) Es gibt viele Bereiche, über die wir positive Geschichten erzählen können, auch im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission . Ich habe jetzt nicht mehr so viel Zeit und möchte deswegen nur zwei Stichpunkte nennen . Wir sehen doch in Frankreich an Macron, dass es Power gibt, wenn man positiv in die Zukunft schaut . ({7}) Ich teile nicht alles, was er fordert . Aber wenn die USA jetzt von der großen Bühne verschwinden, auch bei der Klimapolitik zum Beispiel, warum sagt dann allein China: „Wir treten für die ökologische Transformation ein“? Das müsste im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission stehen . Als Letztes: Sie reden immer vom Friedensprojekt Europa . Herr Gysi, wenn Ihnen wirklich das Friedensprojekt Europa am Herzen liegt, dann sollten Sie nicht selber ein Säbelrasseln inszenieren, sondern sagen: Wir haben die einmalige Chance, in Europa in diesem Jahr das Friedensprojekt wieder zum Leben zu erwecken, nämlich in Zypern . Denn das Wertvollste, was Europa geschaffen hat, ist  der Frieden . Daran sollten wir auch für Zypern arbeiten . Wir haben hier eine einmalige Chance . Herzlichen Dank . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste ist, dass wir heute das Arbeitsprogramm der EU-Kommission hier im Deutschen Bundestag diskutieren; denn damit zeigen wir: Wir sind ein Teil dieses Europa . Europa ist nicht irgendetwas Fernes in Brüssel, sondern es gehört zu uns . Wir wollen dies gemeinsam mit der Kommission, mit dem Europäischen Parlament und mit dem Rat als Deutsche zum Erfolg bringen . ({0}) Zu meinen Vorrednerinnen und Vorrednern nur zwei Bemerkungen . Frau Groden-Kranich, Sie haben den neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments, den früheren Pressesprecher von Silvio Berlusconi, gelobt . Der Maßstab ist Martin Schulz . Wir werden genau schauen, was in den nächsten Jahren passiert, ob das Europäische Parlament eine Stimme, ein Gesicht und eine Macht auch nach außen hat, um gemeinsame Interessen zu vertreten, damit Europa auch zur Geltung kommt, oder ob der neue Präsident nur ein Zeremonienmeister wird . ({1}) Herr Kollege Gysi, Sie haben eine Reihe von Dingen angesprochen, deren Melodie in etwa so klang: Die EU ist unsolidarisch, die EU ist dieses oder ist jenes . - Wir können über all das diskutieren . Aber wie Sie es intoniert haben, war falsch . Die EU, das sind wir . Die EU, das sind eben nicht nur die 28 Mitgliedstaaten, das sind auch die Fraktionen im Europäischen Parlament, das sind auch wir hier im Bundestag . Wir werden in diesem Jahr eine andere Diskussion führen müssen . Wir dürfen bei nationalen Problemen, die zu lösen wir nicht in der Lage sind - wir könnten hier sehr, sehr lange über die Türkei reden -, nicht mehr sagen: „Oh, die EU-Kommission ist schuld“ oder: „Macht ihr mal dort“, weil wir uns selbst unserer Verantwortung nicht stellen . Die Bürgerinnen und Bürger akzeptieren Europa dann nicht . Sie stehen nicht zu diesem gemeinsamen Europa, wenn wir hier so tun: Unser Land macht alles richtig, und wenn etwas schiefgeht, ist Brüssel schuld . - Das führt zu Europaverdrossenheit . Es sollte Anspruch jeder Partei, jeder Fraktion, egal ob Regierung oder Opposition, in diesem Parlament sein, das eben nicht zu machen . Wir dürfen die Verantwortung, die wir gemeinsam wahrnehmen müssen, nicht irgendwo anders hinschieben . ({2}) Es geht heute nur noch zum Teil um die Frage: Haben wir mehr eine christdemokratische oder mehr eine linksorientierte, eine grüne, liberale oder - das wäre am besten - sozialdemokratische Politik? Darum geht es auch . Es geht aber heute in Europa vor allem um die Existenz . Wir müssen uns, wenn es um die Existenz geht, unserer Verantwortung bewusst werden . Tucholsky hat vor über 80 Jahren geschrieben: Da liegt Europa . Wie sieht es aus? Wie ein bunt angestrichnes Irrenhaus . . . . Die Neuzeit tanzt als Mittelalter . Die Nation ist das achte Sakrament -! Gott segne diesen Kontinent . Wir wissen, was in den 30er-Jahren passiert ist . Wir sind heute in einer Situation, in der Nationalismus nicht mehr nur irgendeine Meinung ist, ein Irrtum, der auf einen Irrweg führt, aber der in einem Irrsinn endet . Vielmehr geht es um die Existenz dessen, was wir alle uns in unterschiedlichen Parteien und Fraktionen gemeinsam versprochen haben, nämlich dass das wichtigste nationale Interesse die europäische Einheit ist . Wir sind heute in der Gefahr, statt in Vielfalt geeint in Einfalt geteilt zu werden . Deshalb wird es wichtig sein, was wir dagegenhalten und wie wir es dagegenhalten . Es gibt keinen Grund, sich für irgendeine Entscheidung in Europa zu entschuldigen, die demokratisch legitimiert durch das Parlament und den Rat und vorbereitet von der Kommission war und am besten noch verfassungsrechtlich in 28 Mitgliedstaaten abgesegnet war . Es gibt viele Gründe für Kritik . Man kann Frau Mogherini kritisieren; dies aber eher weniger . Man kann auch den Kollegen Oettinger kritisieren; ich lobe ihn manchmal . Aber es muss immer deutlich werden, dass es um Politik geht, dass es nicht um die Gemeinschaftsidee, dass es nicht um Institutionen geht . Heute erleben wir einen Versuch von rechts, Europa zu zerstören . Es heißt: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht . - Der Internationale der Nationalisten, die sich am Wochenende leider hier in Deutschland zusammenfinden wollen, müssen wir etwas Starkes entgegensetzen . Zum Beispiel haben alle Christdemokraten, alle Grünen, alle Linken und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowieso in diesem Parlament gesagt: Wir sind gegen den Brexit . Wir sind gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit . - Das muss auch in dieser Woche deutlich in Richtung dieser Konferenz gesagt werden . Es geht nicht mehr in erster Linie um Parteipolitik, sondern es geht um unsere gemeinsame Existenz in Europa; denn sie steht auf dem Spiel . Dieser Anforderung müssen wir auch gemeinsam gerecht werden, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Nationalismus ist nicht einfach nur irgendetwas Schlimmes, das passieren kann . Nationalismus ist der Triebsatz, den wir jeden Tag erleben . Er wird von Fremdenfeindlichkeit gespeist, trägt den Hass in die Herzen und zerstört die christlich, islamisch, jüdisch, kulturell geprägte Nächstenliebe . Dem müssen wir uns entgegenstellen . Wir müssen es auch in einer anderen Weise machen . Es ist nicht irgendeine andere Haltung . Das hat Herr Höcke gezeigt . Hier geht es um ein Verbrechen . Am Ende des Nationalismus steht nicht irgendeine Politik in Europa, sondern Krieg . Diese Dimension müssen wir deutlich machen . Wir werden den Frieden nur erhalten, wenn wir es bei uns tun und wenn wir gemeinsam für das stehen, was unsere Verfassung uns auch aufgegeben hat . Wir wollen als Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen . So soll es sein . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wolfgang Strengmann-Kuhn hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat steht in diesem Jahr für die Europäische Union viel auf dem Spiel. Wir befinden uns  jetzt seit gut acht  Jahren in der stärksten Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 20er-/30er-Jahren . Es gibt leider auch starke Parallelen . Es gab vor dieser Krise starke Parallelen: einen Anstieg der Schulden - übrigens nicht nur der Staatsschulden;  deswegen  befinden  wir  uns  auch  nicht  in  einer  Staatsschuldenkrise, es ist eine Finanzkrise - und einen parallelen Anstieg der Vermögensungleichheit und der Ungleichheit insgesamt . Ende der 20er-Jahre kam es dann zur Finanzkrise . Ähnlich war es im Jahr 2008, ausgelöst durch Lehman Brothers . Auch danach bestehen leider politisch Parallelen . Seinerzeit gab es einen starken Rechtsruck in Europa . Jetzt ist leider in vielen Ländern wieder ein starker Rechtsruck zu beobachten, mittlerweile auch in Deutschland - noch nicht so bedrohlich wie in den 30er-Jahren, aber trotzdem zumindest besorgniserregend . Es gab damals in den USA eine Ausnahme von dieser Entwicklung . Durch den New Deal von Präsident Roosevelt ist es dort gelungen, diesen Rechtsruck zu vermeiden . Einen solchen New Deal, am besten einen grünen New Deal, bräuchten wir jetzt auch in der Europäischen Union . ({0}) Es gab damals ein massives Investitionsprogramm mit  öffentlichen  Investitionen.  Das  brauchen  wir  jetzt  auch in der Europäischen Union . Wir brauchen eine Abkehr von der Austeritätspolitik . Wir brauchen Investitionen da, wo sie notwendig sind - in den Krisenländern, aber auch bei grenzüberschreitenden Dingen wie zum Beispiel Energie netzen . Es darf nicht nur darum gehen: „Was habe ich eingezahlt, und was bekomme ich wieder zurück?“, sondern wir müssen die Investitionen dahin leiten, wo sie wirklich gebraucht werden . ({1}) Bei der Finanzmarktregulierung - das war die zweite Säule - ist auch noch viel zu tun . Es gab vor acht Jahren das Versprechen: „Too big to fail“ muss vermieden werden . - In Italien müssen jetzt schon wieder Banken gerettet werden . Und was ist eigentlich, wenn die Deutsche Bank ins Wanken gerät? Auch bei der Finanzmarktregulierung ist noch viel zu tun . ({2}) Die dritte Säule, die damals eine große Rolle gespielt hat, ist mir besonders wichtig, nämlich die Sozialsäule des New Deals . Damals erfolgten in den USA ein Aufbau von sozialen Sicherungssystemen und gleichzeitig eine Politik der Umverteilung . Dazu findet sich jetzt im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ein wichtiger Punkt . Man muss ihn ein bisschen suchen, weil er unter der Überschrift Axel Schäfer ({3}) „Eine vertiefte und fairere Wirtschafts- und Währungsunion“ steht . Dabei handelt es sich um den Aufbau einer europäischen Säule sozialer Rechte . Das ist vorhin schon angesprochen worden . Ich glaube, es ist ein ganz zentraler Punkt, dass wir in der Europäischen Union dafür sorgen, dass die Menschen soziale Rechte bekommen, zum Beispiel gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort, Zugang zu Bildung, Zugang zum Gesundheitssystem, eine angemessene Rente und eine Grundsicherung in allen europäischen Ländern . ({4}) Diese Punkte sind unbedingt notwendig . Sie müssen jetzt auf die Agenda . Hier muss die Bundesregierung die Europäische Kommission unterstützen . ({5}) Noch ein Hinweis an die Linke: Die Europäische Union ist nicht das Problem, sondern die Europäische Union ist die Lösung der Probleme, die wir haben . ({6}) Gerade bei der sozialen Seite ist es die Europäische Union gewesen, die seit Beginn dieses Jahrhunderts, was die Armutsbekämpfung angeht, aber auch in anderen sozialen Fragen treibende Kraft war und die Mitgliedstaaten vor sich hergetrieben hat . Es sind im Wesentlichen die Mitgliedstaaten, die gebremst haben, nicht die Europäische Union - bei der Sozialpolitik . Bei der Krisenpolitik stimme ich Ihnen zu . Da gab es eine soziale Schieflage, die beendet werden muss. Aber wenn es um  Armutsbekämpfung und ähnliche Fragen ging, etwa um den Aufbau einer sozialen Säule, dann ist die Europäische Union führend gewesen . Die Länder dürfen nicht mehr bremsen . Auch die Bundesregierung, die in den letzten Jahren viel gebremst hat, muss da endlich mitgehen und die soziale Säule in der Europäischen Union weiter mit aufbauen . ({7}) Es darf nicht dabei bleiben, nur die sozialen Rechte in den Mitgliedstaaten zu stärken, sondern wir müssen auch dahin kommen, übergreifende soziale Sicherungssysteme zu schaffen, damit es Umverteilung gibt: nicht  von den reichen Ländern zu den armen Ländern, sondern von den reichen Menschen zu den armen Menschen, von den Reichen zu den Armen . ({8}) Wir brauchen eine Diskussion über eine europäische Basisarbeitslosenversicherung und über andere Maßnahmen, die dazu beitragen, dass wir auch in der Europäischen Union mehr Umverteilung und mehr soziale Sicherung hinbekommen . Wir brauchen einen Green New Deal in Europa . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Uwe Feiler hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Uwe Feiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Tribünen, insbesondere aus Oberhavel, Havelland, Potsdam-Mittelmark und Potsdam! Ich freue mich, dass Sie an der heutigen Europadebatte hier teilnehmen . ({0}) - Alle anderen natürlich auch . Meine Damen und Herren, eine Kommission, die sich auf die wichtigen Dinge konzentriert, eine Kommission, die sich darauf konzentriert, die Dinge besser zu machen, das sind die zwei Leitprinzipien, unter die die Europäische Kommission ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2017 stellt . Sie benennt dabei Prioritäten ihrer künftigen Arbeit und listet parallel auf, welche Rechtsvorschriften einer Evaluierung und Überprüfung unterzogen werden sollten . Die Kommission bekräftigt im Arbeitsprogramm ihren Standpunkt, dass die Schwerpunktlegung beim Europäischen Semester auf drei Feldern liegen muss: Investitionen, gesunde Staatsfinanzen und Strukturreformen.  Das kann ich nur unterstreichen . Wir brauchen eine zukunftsorientierte, weitsichtige Politik . ({1}) Strukturreformen bringen mehr Wettbewerbsfähigkeit . Gesunde Staatsfinanzen sind eine unabdingbare Voraussetzung für Wachstum und Stabilität; sie sorgen dafür, dass unsere Kinder nicht unsere Schulden bezahlen müssen . Investitionen bringen dabei den Fortschritt und sichern den Wohlstand . Die Kommission will ihren Vorschlag zur Überprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens mit dem Europäischen Parlament und dem Rat erörtern . Sie strebt einen überarbeiteten, stärker an den Prioritäten der Union ausgerichteten Haushalt an, mit dem wir rascher auf unvorhergesehene Umstände reagieren können, der einfachere Regeln für Finanzhilfeempfänger bereithält und stärker ergebnisorientiert funktioniert . Die Europäische Union muss - das ist mir wichtig - besser auf Veränderungen mit einer finanziell unterfütterten Politik reagieren können . ({2}) Wir benötigen eine europäische Politik, die ein Gesamtkonzept darstellt . Der Haushalt muss eng mit den Prioritäten der europäischen Politik verbunden sein . Wir müssen diese Prioritäten benennen und dann auch nachDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn haltig umsetzen . Deswegen ist der Ansatz der Kommission, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und dabei die Umsetzung sowie die Wirkung der beschlossenen Maßnahmen zu überprüfen, sehr wichtig . Dabei muss der Fokus - das sage ich hier im Plenum nicht zum ersten Mal - auf Politikfelder gerichtet werden, die die gesamteuropäischen Interessen vertreten . Meine Damen und Herren, eine Diskussion über falsche und richtige Prioritäten im EU-Haushalt ist für mich unabdingbar . Notwendig ist dabei, dass man die Ergebnisse endlich in die Tat umsetzt . Die Lösung des Problems ist nach wie vor, den Schwerpunkt auf Ausgaben mit einem europäischen Mehrwert zu legen . Gemeinsame Grenzsicherung, Bekämpfung des globalen Terrorismus, Informationsaustausch, grenzüberschreitende Transportinfrastruktur, Energie- und digitale Netze, europäische Forschung und Entwicklung - da muss das Geld hin . Davon profitieren dann alle Mitgliedstaaten. ({3}) Auch wenn die rechtzeitige Entwicklung der Wertschätzung für gesunde Ernährung ganz sicher wichtig ist, ist es zweifelhaft, ob die millionenschweren Obstin-die-Schule-Programme  aus  EU-Geldern  finanziert  werden müssen oder ob die Mitgliedstaaten hier nicht eigenständig tätig werden sollten . Ein weiteres Problem sind beispielsweise verfehlte Infrastrukturprojekte: vom Fahrradweg ins Niemandsland bis hin zur sinnlos verlaufenden Autobahn . Es werden EU-Gelder zum Teil gesetzeswidrig ausgezahlt und aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes dann nicht zurückgefordert . Stichwort „Better Spending“, Beachtung des Subsidiaritätsprinzips sowie  laufende Kontrolle der Effizienz  und der Wirksamkeit der EU-Mittel bis hin zum Finanzierungsstopp für ihre Wirkung verfehlende Projekte das sind die entscheidenden Grundsätze, die bei der europäischen Ausgabenpolitik beachtet werden müssen . ({4}) - Nein, danke . - Das Subsidiaritätsprinzip muss stärker auf die EU-Ausgaben angewandt werden, um dadurch auch den europäischen Mehrwert der EU-Ausgaben zu erreichen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Uwe Feiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein . Lassen Sie mich erst einmal fertig werden . Auch die Effizienz und die Wirksamkeit der EU-Mittel  sollten - am besten laufend - überprüft werden . Ein Finanzierungsstopp für die ihre Wirkung verfehlenden Projekte könnte dann die letzte Konsequenz sein . Die Kommission will einen umfassenden Vorschlag für die Zeit nach 2020 in Bezug auf die Eigenmittel vorlegen . Sehr positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass die Kommission diesen Vorschlag mit den Ergebnissen der Initiative für einen ergebnisorientierten EU-Haushalt verbinden möchte . Die im Jahr 2015 gestartete EU-Initiative, die dafür sorgen soll, dass die EU-Mittel sinnvoll zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werden und dass alle Projekte, die die Union fördert, einen klar erkennbaren Nutzen haben und ihr Geld wert sind, ist ein nützliches Instrument . Der Eigenmittelvorschlag soll laut dem Arbeitsprogramm auch mit der Abwägung der künftigen Herausforderungen und Bedürfnisse der Union nach 2020 im Lichte der Erfahrungen mit der bisherigen Ausgabenpolitik und ihren Instrumenten verbunden werden . Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag . Wir  sollten  die  Quellen  der  Haushaltsfinanzierung  reformieren; keine Frage . Hier wird der Bericht der sogenannten Monti-Gruppe eine gute Grundlage für die anstehenden Verhandlungen bieten . Ich würde aber noch einen Schritt weitergehen und sagen: Die Diskussion über Einnahmen muss nicht nur im Lichte der Erfahrungen mit der bisherigen Ausgabenpolitik verbunden, sondern auch zwingend grundsätzlich zusammen mit der Diskussion über Ausgaben geführt werden . ({0}) Was wir brauchen, ist zum Beispiel eine haushaltspolitische Gesamtstrategie für den Umgang mit Krisen, damit wir nicht immer neue Ad-hoc-Instrumente benötigen . Ein Ausdruck der Gesamtstrategie wäre ebenfalls, wenn die EU-Mittel so weit wie möglich mit der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen verbunden  wären.  Die  länderspezifischen  Empfehlungen  sollten  meiner Ansicht nach ausschlaggebend für die Auswahl der aus den Kohäsionsmitteln finanzierten Projekte sein.  ({1}) Projekte, die für den konkreten Mitgliedstaat Sinn machen, die ihn voranbringen, die seine Strukturreformen umsetzen, verdienen die europäische Unterstützung und stellen einen sogenannten Marshallplan, wie er von Herrn Gysi gefordert wurde, dar . Es gibt ihn eigentlich schon . ({2}) Die Kommission will den Binnenmarkt vertiefen und gerechter gestalten . Dazu sollen die Binnenmarktstrategie, die Weltraumstrategie für Europa sowie der Aktionsplan für eine Kapitalmarktstrategie umgesetzt werden . Auch auf die Vorschläge für eine faire Unternehmensbesteuerung und für die Bekämpfung des Steuerbetruges geht die Kommission ein, was ich für essenziell halte . Die Kommission betont, dass ein solider steuerrechtlicher Rahmen für grenzüberschreitend tätige Unternehmen einfach und effizient sein muss, aber auch gewährleisten  soll, dass diese Unternehmen einen fairen, tatsächlichen Steuerbeitrag dort zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften . ({3}) Erlauben Sie mir zum Schluss ein kurzes Plädoyer . Das Motto des diesjährigen Programmes der Europäischen Kommission lautet: „Für ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“ . Auch wenn das Motto sicherlich im Hinblick auf die neuen Herausforderungen gewählt wurde, die auf die Massenmigration und auf die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus zurückzuführen sind, möchte ich eines anmerken: Sich derart großen Herausforderungen im Alleingang stellen zu wollen, wozu die Populisten europaweit aufrufen, ist irrsinnig . ({4}) Der Europäischen Union, dem Zusammenschluss von 28, leider wohl bald nur noch 27 Staaten, dem gemeinsamen Dialog, der Zusammenarbeit in politischer und in wirtschaftlicher Hinsicht haben wir es zu verdanken, dass wir das große Glück haben, seit Jahrzehnten in Frieden zu leben sowie unseren Wohlstand sichern und ausbauen zu können . Diese Aussage mag zwar banal klingen, kann jedoch meiner Ansicht nach aktuell nicht oft genug wiederholt werden . ({5}) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion . ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa macht sich im Moment der Krise unter dem Eindruck des wachsenden Nationalismus in den Mitgliedstaaten und des weltweiten Populismus kleiner,  als es  tatsächlich  ist, wie  ich finde. Wir  nutzen die Potenziale, die in diesem demokratischen Gemeinwesen Europa stecken, nicht hinreichend aus . Wir Proeuropäer machen nicht hinreichend deutlich, wofür wir stehen: für Menschenrechte, für Rechtsstaat und für Demokratie . Wir müssen keine Angst vor den Populisten dieser Welt haben . Wir sollten uns mal die wirtschaftlichen Ergebnisse in Russland oder in der Türkei anschauen . Diese Volkswirtschaften sind hochgradig gefährdet . Über die Euro-Zone haben wir gerade in dieser und in der letzten Woche gehört, dass wir die wirtschaftliche Stabilisierung erreicht haben, im Übrigen mit der europäischen Hilfe für Griechenland . ({0}) Herr Gysi, Sie als Meister der Halbwahrheiten können natürlich nicht zu richtigen Schlussfolgerungen kommen, wenn Sie eine falsche ökonomische Analyse vornehmen . Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir Griechenland überhaupt nicht geholfen . ({1}) Wir haben Griechenland aber massiv geholfen . Wir werden Griechenland auch weiter helfen, weil wir das europäische Projekt zusammenhalten wollen . Sie als Linkspartei haben keine vernünftigen Antworten auf die europäische Situation . ({2}) Sie verstricken sich ebenso in Widersprüche wie die Rechtspopulisten mit ihrem unverantwortlichen Reden und Handeln, meine Damen und Herren . Sie sind in dieser Hinsicht nicht wesentlich besser . ({3}) Schauen Sie sich einmal einige Reden Ihrer Fraktionskollegin Wagenknecht an, und analysieren Sie diese . Also, was tun? Es sind doch nicht die Europäische Kommission und die Europäische Union, die das Handeln gegen Steuerdumping in Europa verhindern . Es sind die Mitgliedstaaten - die Niederlande an erster Stelle, Belgien, Luxemburg, Malta, Irland -, die ein wirksameres und erfolgreicheres Handeln der Europäischen Union gegen Steuerdumping verhindern . Es sind Orban, Kaczynski und Co ., die verhindern, dass wir in der Flüchtlingsfrage erfolgreicher zusammenarbeiten . Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren . ({4}) Wir müssen hier in diesem Parlament schon aussprechen, was ist, und dürfen nicht unsere ideologischen Versatzstücke vortragen . ({5}) Die Bürgerinnen und Bürger verlangen ein Ende des Steuerdumpings der multinationalen Konzerne . Das verlangen sie von uns . Wenn wir nicht liefern, tauchen solche Figuren wie Trump auf, der heute amerikanischer Präsident wird . ({6}) Die Bürgerinnen und Bürger erwarten dann von ihm, dass er handelt: von einem Mann - das muss man über den zukünftigen amerikanischen Präsidenten sagen -, der ein bekennender Spezialist im Umgehen der Steuerpflicht ist  und der mit seiner Praxis in den letzten Jahrzehnten bewiesen hat, dass er nichts vom Gemeinwesen versteht, sondern nur etwas von der Ausbeutung von Menschen, um es einmal deutlich zu sagen . Das ist die Realität, mit der wir uns jetzt natürlich auseinandersetzen müssen . Es sind die weißen Arbeiter, die ihn gewählt haben und eine Veränderung ihrer Lebenssituation erwarten . ({7}) - Ich will mit dem Beispiel deutlich machen: Wenn die weißen Arbeiter in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern von den Populisten dieser Welt, ob Rechts- oder Linkspopulisten, realitätstaugliche Antworten zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erwarten, dann werden sie nach aller geschichtlichen Erfahrung angeschmiert . Davor müssen wir die Menschen bewahren . ({8}) Es führt doch auch nicht weiter, dass Frau Theresa May in ihrer Verlegenheit, eine vernünftige Antwort auf die Brexit-Entscheidung  ihres  Landes  zu  finden,  damit  droht, vor unseren Toren ein weiteres Steuerparadies entstehen zu lassen . Wir haben bereits Jersey, Guernsey und andere vor der Haustür . Damit würden die Handlungsund Finanzierungsmöglichkeiten, die wir benötigen, verringert, um Investitionen und damit auch Arbeitsplätze für diejenigen zu schaffen, die sich abgehängt fühlen. Im Übrigen muss natürlich auch Deutschland seinen Beitrag zur notwendigen Stabilisierung der Euro-Zone und Europas leisten und noch mehr investieren . Wir haben mit dem Investitionsprogramm einen ersten Schritt gemacht . Die Laufzeit dieses Programms wird bis 2020 verlängert . Abschließend sage ich: Je unsicherer und gefährlicher die Welt wird, desto mehr muss die Europäische Union ihr Gewicht auf der internationalen Bühne zur Geltung bringen . Angesichts unserer Wirtschaftskraft und unserer demokratischen Substanz haben wir allen Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch gegenüber denjenigen selbstbewusst aufzutreten, die öffentlich vor Kraft kaum  laufen können und hinter deren Fassade es sehr hohl ist . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Iris Eberl für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Iris Eberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission trägt den Titel „Für ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“ . Die Sicherheit der Bürger ist die Existenzberechtigung eines jeden Staates . Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus macht die Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen zu einem Kernanliegen in unserem Staat - in allen Unionsstaaten . Gut, dass sich die Kommission mit diesem Kernproblem befassen wird . Im Arbeitsprogramm ist zu lesen: Europa ist an einem kritischen Punkt angelangt . - Richtig! Das Brexit-Votum muss für uns ein Weckruf sein . Die Europäische Union ist keine Zwangsvereinigung; Ausscheiden ist im Vertrag vorgesehen . Wenn unsere Antwort an Großbritannien einer Abstrafung gleichkommt, beweisen wir, dass der Respekt vor dem Wählerwillen in der Union verloren gegangen ist . Das wäre Wasser auf die Mühlen der Miesmacher der Union . Das darf nicht sein . Wir brauchen einen fairen Deal mit Großbritannien . Die Kommission beschreibt auch Probleme und Bedrohungen der Bürger und erklärt: Wir haben zugehört, und wir haben verstanden . - Sie verspricht, eine Kommission zu werden, die sich darauf konzentriert, die Dinge besser zu machen . Das klingt gut, beweist Selbstkritik und Einsicht . Aber warum, meine Damen und Herren, hat die Kommission bisher nicht ihr Bestes gegeben, obwohl sie weiß, dass sie für eine halbe Milliarde Menschen die Verantwortung trägt? Als Premierminister von Luxemburg beschrieb Juncker 1999 die Strategie zur Integration wie folgt: Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten . . . ab, was passiert . Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt . Mit dieser undurchsichtigen Methode soll nun Schluss sein . Deshalb will die Kommission - so steht es im Papier - in Zukunft ihr Tun den Bürgern besser erklären . Aber das Problem der europakritischen Bürger ist weniger die Undurchsichtigkeit des Verfahrens, sondern es sind die Inhalte . 2017 sind Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland . Größte Vorsicht ist geboten, wenn die Union nicht in ihrem Bestand gefährdet werden soll . Trotzdem konzentriert sich das Arbeitsprogramm der Kommission weiterhin auf jene zehn politischen Prioritäten, die Juncker bereits zu Beginn seiner Amtszeit als Kommissionspräsident formuliert hatte . Das bedeutet „weiter so“, befürchte ich . Die Europäische Union existiert aber nicht zum Selbstzweck . Sie hat eine dienende Funktion gegenüber den Mitgliedstaaten . Allen Ländern gleichermaßen gerecht zu werden, ist eine sehr schwierige Aufgabe; denn was dem einen Staat nützt, kann für den anderen sehr nachteilig sein . Für Deutschland benenne ich an dieser Stelle das konjunkturelle Ankurbeln Junckers und die Nullzinspolitik der EZB als Negativbeispiele . Vielleicht nutzen sie anderen Ländern - vielleicht -; Deutschland schadet beides . Das Ankurbeln überhitzt unsere Konjunktur . Außerdem ist es von gestern. Staatliche Eingriffe in die  Wirtschaft verzerren den Wettbewerb; sie sind daher für Marktwirtschaften schädlich . ({0}) Zu viel echte Marktwirtschaft kann man der EU nicht unbedingt vorwerfen, Frau Dr . Barley . Die Nullzinspolitik hat sich, salopp formuliert, als Slim-Fast-Programm für die Altersvorsorge unserer Bevölkerung entpuppt und das Vertrauen der Menschen in die Union tief erschüttert . Dieses Vertrauen muss sie zurückgewinnen . Aber stattdessen kam letzte Woche die nächste fragwürdige Einmischung in nationales Recht . Hohes Qualitätsniveau, Patientenschutz, Verbraucherschutz ({1}) identifiziert  die Kommission  als mögliche Wachstumsbremsen . Die Verhältnismäßigkeit von Berufsregeln soll überprüft werden. Überflüssige nationale Qualifikationen  zur Berufsausübung sollen verhindert werden, um Wirtschaftswachstum ohne Barrieren anzukurbeln . Damit wird die Ökonomie zum einzigen Maßstab für nationales Berufsrecht und dem Pfusch wohl Tür und Tor geöffnet.  Meine Damen und Herren, wir brauchen eine schlanke und flexible Europäische Union, die sich auf ihre Kernaufgaben konzentriert, keinen Superstaat, der sich in alle Belange der Mitgliedstaaten einmischt . Subsidiarität und Solidarität müssten eiserne Grundprinzipien werden . Solidarität darf keine Einbahnstraße sein . Wer sie einfordert, muss auch gemeinsame Lasten tragen; siehe Verteilung der Flüchtlinge . ({2}) Solidarität ist auch keine Hängematte . Bei unsolider Haushaltspolitik in manchen Unionsstaaten muss verlangt werden, dass dort die Eigenverantwortung greift . Jeder Staat muss seine nationale Einlagensicherung schaffen.  Eine  Vergemeinschaftung  von  Schulden  und  Risiken lehnt die CSU kategorisch ab . Verantwortung und Haftung dürfen weder bei der Staatsverschuldung noch im Bankensystem auseinanderfallen . Wir brauchen ein geordnetes Verfahren zur Restrukturierung der Staatsschulden und eine Regelung zum Ausscheiden aus dem Euro - zur Not, leider . Solidarität verlangt ebenfalls die Einhaltung geschlossener Verträge, egal ob es um die Verschuldung, die Regeln des Schengen-Vertrages oder des Dublin-Abkommens geht . Solidarität bedeutet Rechtstreue ohne Ausnahme von ohnehin flexiblen Regeln . Aber was sind nun die markanten Kernaufgaben der Union? Die Migrationskrise, der islamistische Terrorismus in Europa, Kriege in Syrien und der Ukraine sowie die Situation in vielen anderen Krisengebieten verlangen gemeinsame Anstrengungen . Die Gewährleistung unserer Sicherheit ist eine Kernaufgabe der Union . Hier brauchen wir die Europäische Union, und hier liegt auch ihr Mehrwert für die Bevölkerung . Warum wurde Eurodac nur sporadisch angewandt? Warum wird SIS nicht konsequent umgesetzt? Beide Systeme sind gut . Beide würden funktionieren, aber nur, wenn alle Länder mitmachen . Nun will die Kommission wieder handeln . Sie will ETIAS einführen, sie will ECRIS ausweiten, und die Kommission will rasch Verbesserungen und Erfolge erreichen . Sehr gut! - Weitere Kernaufgaben sind die faire Lastenverteilung zwischen den Staaten, der gemeinsame Grenzschutz, die Union als starker europäischer Pfeiler der NATO und vieles mehr, wie Kollege Feiler bereits ausgeführt hat . Ich will mit dem vielbeschworenen Kernthema „Bekämpfung der Fluchtursachen“ schließen . Wenn sich nichts ändert, werden sich bald 18 Millionen Afrikaner auf den Weg nach Europa machen . ({3}) Und viel zu viele werden den Weg wieder nicht überleben . Deshalb brauchen wir eine europäisch-afrikanische Partnerschaft . Die Kommission will bis zum EU-Afrika-Gipfel Ende 2017 ein Konzept mit Prioritäten für die Beziehungen der Union zu Afrika erarbeiten . Die Industrie sieht Afrika als kommenden Kontinent . Minister Müller hat seinen Marshallplan für Afrika vorgestellt . Helfen wir den afrikanischen Ländern, echte Handelspartner für Europa zu werden . Europa steht ungebrochen für den Traum eines Lebens in Frieden, Freiheit und Wohlstand . Setzen wir diesen Traum nicht aufs Spiel . Stehen wir zu unserer Europäischen Union der Bürger . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali ({0}) auf Grundlage der Resolutionen 2100 ({1}), 2164 ({2}), 2227 ({3}) und 2295 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni 2016 Drucksache 18/10819 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Für die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt sollen nach einer interfraktionellen Vereinbarung 38 Minuten Redezeit  zur  Verfügung  stehen.  -  Das  ist  offenkundig  unstreitig . Also können wir so verfahren . Ich  eröffne  die Aussprache  und  erteile  das Wort  der  Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen . ({6})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit Bestürzung haben wir am Mittwoch von dem Anschlag auf den Militärstützpunkt der malischen Gefechtsverbände erfahren . Wir trauern mit den Hinterbliebenen der mindestens 70 Toten, und wir wünschen den über 100 Verwundeten baldige Genesung . Meine Damen und Herren, dieser niederträchtige Anschlag richtete sich gezielt gegen eines der Herzstücke des Friedensvertrages, der in Mali umgesetzt werden soll . Diejenigen, die vor kurzem mit auf der Einsatzreise auch in Mali gewesen sind, wissen, dass es sehr schwierig war, die Zusammensetzung gemischter Patrouillen auf den Weg zu bringen, denen sowohl Kräfte der malischen Regierung als auch Kräfte der Rebellen angehören, die bereit waren, die Waffen niederzulegen. Es  ist  sehr  schwierig gewesen, beide Seiten davon zu überzeugen . Sie haben das  jetzt geschafft und  sind bald gemeinsam  auf Patrouillen unterwegs . Insofern zeigt dieser Anschlag auf das Lager einer dieser gemischten Patrouillen, dass es nach wie vor Terroristen gibt, die gezielt den Friedensvertrag torpedieren und damit Mali in die Instabilität bringen wollen . Umso wichtiger ist es, dass die Weltgemeinschaft an der Seite Malis steht und dort konsequent hilft . ({0}) Wir bitten Sie heute um Unterstützung für einen der anspruchsvollsten Einsätze, den die Bundeswehr hat . Es ist einer der gefährlichsten VN-Einsätze, wenn nicht der gefährlichste überhaupt . Es ist der zentrale Einsatz auf unserem Nachbarkontinent Afrika . Denn Mali ist ein Schlüsselland in der Sahelzone, ein Schlüsselland, das Stabilität herstellen kann oder Fragilität hervorbringt . Dort verläuft die Route für Migration, aber auch die Route für Schleuser und Schlepper, die Menschen vom Süden in den Norden bringen, sowie für Drogen- und Waffenschmuggel und andere Formen der organisierten  Kriminalität . Die Menschen dort brauchen Schutz - sie brauchen Schutz vor Terror, sie brauchen Schutz vor Kriminalität -, aber sie brauchen natürlich auch Alternativen . Sie brauchen sicheren Zugang zu Wasser, sie brauchen Straßen, Jobs, sie brauchen Perspektiven . Das Durchschnittsalter in Mali beträgt 16 Jahre, und diese jungen Menschen möchten wissen, wo ihre Zukunft liegt . Es ist deshalb richtig, dass sich Deutschland dort sehr vielschichtig engagiert . Mir ist es im Zusammenhang mit dem MINUSMA-Mandat wichtig, deutlich zu machen, dass unser Engagement in Mali eigentlich ein Paradebeispiel für den vernetzten Ansatz ist . Ganz konkret: Das Auswärtige Amt kümmert sich mit Rat und Tat um den Friedensprozess, um die Beratung der malischen Regierung, ist um Aussöhnung bemüht . Wir engagieren uns in Mali entwicklungspolitisch . Ich bin dem BMZ sehr dankbar, dass es dort vielfältig engagiert ist - beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen, bei landwirtschaftlichen Projekten, beim Errichten der Wasserversorgung . Die Projekte sind eng koordiniert . Wir haben dankenswerterweise seit Dezember einen zivilen Berater in Gao . Wir engagieren uns in Mali vielfältig, nicht nur im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Versöhnungsprozess, sondern auch im Hinblick auf Stabilität . Das Innenministerium hilft bei der Ausbildung der Polizei . Wie Sie wissen, engagiert sich die Bundeswehr im Rahmen der europäischen Trainingsmission bei der Ausbildung der lokalen Truppen . Zwei Drittel der malischen Gefechtsverbände haben wir ausgebildet . Mali  profitiert  auch  von  Mitteln  aus  dem  Ertüchtigungsfonds - im letzten Jahr waren es 7,5 Millionen Euro, in diesem Jahr sind 15 Millionen Euro geplant . Um nur einige Themen zu nennen: Es geht hierbei um die Ertüchtigung des Flugplatzes in Gao, die so wichtig ist wir haben es bei der letzten Einsatzreise dort gesehen -, und um Investitionen in den Garnisonsstandort Kati . Es geht aber eben auch um 16 Ambulanzfahrzeuge für die malischen Gefechtsverbände, die wir ausgebildet haben, damit auch dort mit dem Aufbau einer Rettungskette begonnen werden kann . Wir beteiligen uns auch an der Mission der Vereinten Nationen, MINUSMA, um die es heute geht . Man sieht bei dieser Friedensmission, bei der über 15 000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind - es ist eine große Mission -: Sie steht und fällt mit der Frage, wie diese Soldatinnen und Soldaten ausgestattet und ausgerüstet sind und mit technischen Fähigkeiten unterstützt werden . Die Vereinten Nationen können nur so gut sein, wie die Mitgliedstaaten sie ausrüsten . Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unseren Kapazitäten dort in Mali sind . Das gilt besonders für die Aufklärung . Wir haben, wie Sie wissen, mit der Luna angefangen; wir sind jetzt mit der Heron da . Die Heron bedeutet einen Riesenschritt vorwärts, wenn es darum geht, die Aufklärung in diesem gewaltig großen nördlichen Gebiet - die benötigte Reichweite liegt zwischen 200 und 900 Kilometern - sicherzustellen . Ich möchte an dieser Stelle sagen: Seit die Heron da ist - seit November -, hat sie über 520 Flugstunden absolviert, und es gab keine einzige Störung . Es läuft alles, wie es sollte . Ich glaube, gerade weil es so gut läuft, wird darüber nicht berichtet . Es wird meistens nur dann über etwas berichtet, wenn die Dinge schiefgehen . Ich möchte an dieser Stelle schlicht und einfach denjenigen, die diese Heron in Gang gesetzt haben und betreiben, dafür danken, dass das alles dort so unkompliziert läuft . ({1}) Das war der Teil des Mandates, den wir kennen und für den wir um Verlängerung bitten . Der zweite Teil des Mandates betrifft den Schutz. Sie alle wissen, dass die Niederländer in den letzten drei Jahren die Rettungskette gestellt haben . Sie hatten für zwei Jahre geplant, fanden aber niemanden, der sie ablöst, sodass sie inzwischen schon drei Jahre dort sind . Die Vereinten Nationen suchen nun eine Nation, die in der Lage ist, diese Hochwertfähigkeiten zur Verfügung zu stellen, nämlich MedEvacs und Kampfhubschrauber, die schützen können . Wir haben auf Bitten der Vereinten Nationen gesagt, dass wir diese Aufgabe gerne übernehmen wollen, weil sie für das Mandat unverzichtbar ist aber auch nur vorübergehend . Das heißt, wir werden dort vier MedEvac-NH90-Hubschrauber stationieren und vier Tiger nach Mali entsenden . Die Tiger können wegen der guten Sensoren zur Aufklärung, aber eben auch zum Schutz der eigenen Kräfte und der MINUSMA sowie zur Nothilfe eingesetzt werden . Wir wollen unseren Beitrag leisten; denn die Erfahrung zeigt: Wir können uns nicht beschweren, dass VN-Missionen nicht funktionieren, wenn wir nicht bereit sind, auch unseren Beitrag zu leisten . Deshalb erfolgt auch eine Erhöhung der Obergrenze von 650 auf 1 000 Soldatinnen und Soldaten . Das ist aufgrund des Einsatzes der acht Hubschrauber notwendig . Wir haben dem VN-Generalsekretär aber angezeigt, dass wir darum bitten, dass er bereits jetzt für Nachfolgekräfte sorgt, da wir in eineinhalb Jahren abgelöst werden wollen . Wir halten es für richtig, dass wir bei diesen Hochwertfähigkeiten, die nur wenige Nationen aufbieten können, zu einem geregelten Rotationssystem kommen, sodass es für die einzelnen Nationen leichter ist, für einen überschaubaren Zeitraum dort hinzugehen, da sie wissen, dass eine andere Nation, die ebenfalls in der Lage ist, das zu leisten, sie danach ablöst . Es gibt einen weiteren Punkt, der mir bei diesem Mandat wichtig ist und den ich noch kurz erwähnen möchte . Es geht um die Vergütung des Personals . Unser Personal arbeitet in diesem schwierigen und fordernden Einsatz unermüdlich . Das bedarf meines Erachtens einer besonderen Würdigung . Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, dass wir in der Lage sind, die Vergütung dementsprechend anzupassen . Wir bereiten das im Augenblick vor . Sie wissen, dass wir das mit dem Innenministerium und dem Außenministerium abstimmen müssen . Ich bin aber sehr guter Dinge, dass wir für Mali künftig die Stufe 6 und nicht wie bisher die Stufe 5 des AVZ erreichen und die Vergütung entsprechend erhöhen können . Ich glaube, das ist angemessen für die Soldatinnen und Soldaten in Mali . ({2}) In diesem Sinne bitte ich um die Verlängerung des Mandates . Danke schön . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Christine Buchholz erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke . ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will die Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Mission MINUSMA in Mali von 650 auf 1 000 Soldaten erhöhen . Damit wird der Einsatz in Mali der größte deutsche Militäreinsatz . ({0}) Aber nicht nur das: Erstmalig werden auf der Grundlage dieses Mandats deutsche Kampfhubschrauber in den Norden Malis verlegt . ({1}) Mit diesem Mandat verstrickt die Bundesregierung die Bundeswehr potenziell in einen Krieg mit den Aufständischen im gefährlichen Norden Malis . Das erinnert mich verdammt an die frühe Phase des Afghanistan-Kriegs . Die Regierung will die Bundeswehr in der Sahelzone zu einer militärischen Größe machen, die wie Frankreich in der Lage  ist,  in dieser  rohstoffreichen Region Krieg zu  führen . Die Linke wird diesem Mandat selbstverständlich nicht zustimmen . ({2}) Auf dem Papier soll MINUSMA den Frieden sichern . Erst  vorgestern  wurden  in  Gao  bei  einem Angriff  von  Aufständischen über 70 Soldaten der neuen gemeinsamen Einheiten der malischen Armee getötet . ({3}): Von wem denn?) Das ist schrecklich, und unser Mitgefühl gilt den Angehörigen . Es ist aber auch wichtig, zu sehen: Das Camp, in dem sich die Bundeswehr aufhält, ist keine 2 Kilometer davon entfernt . Unmittelbar vor dem Bundeswehrcamp sprengte sich am 29 . November ein Selbstmordattentäter in die Luft . Glücklicherweise wurde niemand ernsthaft verletzt . Den Frieden, den MINUSMA sichern soll, gibt es nicht . Weil das so ist, droht die Mission selbst zur Konfliktpartei zu werden. Das muss hier ehrlich gesagt  werden . ({4}) Vier Rettungs- und vier Kampfhubschrauber der Bundeswehr sollen nach Mali verlegt werden, nach Gao . Frau von der Leyen spricht vor allem von den Rettungshubschraubern. Das kommt  in der Öffentlichkeit natürlich besser an . Aber ich sage: Wieder einmal wollen Sie der Bevölkerung Sand in die Augen streuen . Das machen wir nicht mit . ({5}) Mit der Fähigkeit, Rettungsaktionen durchzuführen, vergrößert sich der Aktionsradius der Bundeswehr und damit auch das Risiko, selbst Zielscheibe von Angriffen  zu werden . Genau das bestätigte mir ein Soldat im persönlichen Gespräch, als ich im Dezember letzten Jahres für meine Fraktion die Ministerin nach Mali begleitete . Im Mandatstext selbst ist neuerdings vom „aktiven Schutz des Mandats durch das Bekämpfen asymmetrischer Angriffe“ die Rede. Das heißt, dass die Kampfhubschrauber zur Bekämpfung militärischer Ziele eingesetzt werden können . Aus Afghanistan wissen wir, wie die Bundeswehr  Stück  für  Stück  in  eine  offensive Kampfoperation hineingeführt wurde . Frau von der Leyen, mit der jetzigen Aufstockung sorgen Sie möglicherweise für eine Eskalation des Konflikts. Auf jeden Fall setzen Sie  die Bundeswehrsoldaten einem erhöhten Risiko aus . Beides halten wir für verantwortungslos . ({6}) Es gibt eine weitere Ähnlichkeit zu Afghanistan . MINUSMA hat in Mali die Unterstützung der Regierung, aber nicht der Bevölkerung . Ich habe in Mali die Rede des Gouverneurs von Gao gehört . Der Eindruck entstand, die gesamte Bevölkerung Gaos stehe hinter MINUSMA . Was er nicht erwähnte, war: In Gao gab es vor einem halben Jahr wütende Demonstrationen, weil sich viele junge Menschen bei der Umsetzung des Friedensabkommens benachteiligt sehen . Die malische Armee hat Demonstranten auf offener Straße erschossen. Das ist leider kein  Einzelfall . Die deutschen Soldaten bewegen sich in Gao als Fremde, abgeschottet von der Bevölkerung . Je unsicherer die Lage wird, desto mehr wird sich das deutsche Kontingent einigeln . Das Magazin des Reservistenverbandes Loyal berichtete jüngst, wie eine deutsche Patrouille in Gao nicht nur mit der extremen Hitze, sondern auch mit unterkühlten Reaktionen der Bevölkerung zu kämpfen hat . Sogar ein Stein flog auf das geschützte und bewaffnete  Transportfahrzeug der Bundeswehr . Auf die Frage nach dem Sinn des Einsatzes zitierte das Blatt den Patrouillenführer: „Aber meinen Verwandten daheim kann ich nicht erklären, warum ich in Mali bin und was wir hier erreichen wollen .“ Die Lage in Mali ist so unsicher, dass die Bundeswehr nun auch Kampfhubschrauber vor Ort stationieren soll . Doch gleichzeitig erklärt die EU mit deutscher Unterstützung Mali als sicher genug, um dem Land ein Rückführungsabkommen für Flüchtlinge aufzuzwingen . Wenn es um die Rechtfertigung des Militäreinsatzes geht, dann führen Sie das Leid der Malier an . Doch wenn Malier in Europa Asyl beantragen, dann schieben Sie diese wieder in die Unsicherheit ab . Das ist heuchlerisch und zynisch . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Rainer Arnold das Wort . ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Krise in der Welt ist eine eigene Herausforderung . Aber auf Mali zu schauen, lohnt sich schon aus grundsätzlichen Erwägungen . In Mali zeigt sich ein Stück weit exemplarisch, wie die Verantwortung unseres Landes in der Welt in Zukunft eher aussehen könnte . Das Erste, was wir aufgrund der Situation in Mali feststellen können, ist: Die Welt darf nicht einfach zuschauen - das hat sie auch nicht gemacht -, wie ein Land, das von seiner Lage her für uns sicherheitspolitisch extrem wichtig ist, zerfällt und Staatlichkeit zerbröselt . Man sieht aber auch, dass es meistens zu spät ist, bis die Staatengemeinschaft reagiert . Hätte Frankreich nicht auf einen Einsatz gedrungen, hätten Aufständische nicht nur die Mitte und den Norden des Landes unter Kontrolle gehabt, sondern wären auch auf die wichtige Hauptstadt Bamako zumarschiert, dann gäbe es einen weiteren zerfallenden Staat, ein weiteres Somalia . Es gilt Lehren aus Mali zu ziehen . Die These von Frau Buchholz, der Einsatz in Mali werde dem in Afghanistan zunehmend ähnlicher, ist einfach falsch und an den Haaren herbeigezogen . ({0}) Die Vorgehensweise in Mali beruht auf den Lehren, die wir aus Afghanistan gezogen haben . In Bezug auf Afghanistan hat man geglaubt, man könne mit 130 000 Soldaten in ein fremdes Land gehen, um dort Staatsaufbau auch militärisch unterstützt - zu betreiben . Es hat in der Tat nicht funktioniert, von außen kommend Staatlichkeit mit Militär herzustellen . In Mali läuft es anders . Dort will man die örtliche Sicherheitsstruktur so stärken, dass das Land eben selbst mit seinen Problemen umgehen kann . Deshalb wird es in Zukunft in die Richtung gehen, mehr Ausbildungs- und Ausstattungsmissionen in die Welt hinauszuschicken . Das sind Lehren, die gezogen wurden . Deshalb sollten Sie nicht derartige Vergleiche ziehen . Eine weitere Lehre ist: Die örtliche Politik muss stärker in die Pflicht genommen werden. Wir dürfen in Bezug auf die Akteure in Mali und in anderen Ländern nicht zulassen, dass sich diese in gleichem Maße, wie es internationales Engagement gibt, auf ebendieses Engagement verlassen . Das heißt, wir müssen dort schon deutliche Signale senden und überprüfbare Schritte einfordern, damit die betroffenen Länder in der Lage sind, ihre Geschicke  in die eigene Hand zu nehmen. Was Mali anbetrifft, müssen wir dafür sorgen, dass die Reformen, die in diesem Land notwendig sind - insbesondere im Bereich der Dezentralisierung -, von der eigenen Regierung angegangen werden . Wir müssen in diesem Bereich schieben und drängen . Auch dies ist eine Lehre . ({1}) Niemand glaubt - das gilt auch für Mali -, dass man mit Militär allein die Probleme beheben und die Strukturen verändern kann . Es geht immer um den vernetzten Ansatz . Deutschland engagiert sich in Mali in ganz besonderer Weise beim zivilen Aufbau und auch im Bereich Beratung der Regierung . Das geschieht, damit endlich besser regiert werden kann . Und nicht zuletzt: Weil Militär allein die Probleme nicht überwinden kann, brauchen solche Gesellschaften - auch das zeigt Mali - eben auch Versöhnungsprozesse . Es war richtig und gut, dass die Nachbarstaaten ihrer Verantwortung in Mali ein Stück weit gerecht geworden sind und mitgeholfen haben, dass der Friedensvertrag in Algerien ausverhandelt werden konnte . Auch dies zeigt, in welche Richtung es in Bezug auf solche Staaten zukünftig gehen muss . Die Soldaten und die acht Hubschrauber, die wir jetzt dorthin schicken, sind ja in erster Linie dort, um mitzuhelfen, dass der ausgehandelte Friedensvertrag implementiert wird . Sie haben nicht den Auftrag, dort mit militärischer Gewalt Sicherheit herzustellen . Dafür sind es übrigens auch viel zu wenige . Man kann nicht mit 12 000 UN-Soldaten und Polizisten ein Gebiet unter Kontrolle bringen, das dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik . Es geht also darum - das ist ganz klar -, dort, wo es notwendig ist, Menschen zu schützen und nicht wegzuschauen . In erster Linie geht es darum, dafür zu sorgen, dass der schwierige Weg hin zum Frieden möglich ist und der Friedensvertrag eingehalten wird . Mali zeigt exemplarisch auch die schwierigen und tragischen Seiten der zukünftigen Einsätze . Denn wir merken, dass es sich nicht nur um einen Akteur als Gegner handelt . Vielmehr gibt es in solchen Staaten meist eine Verbindung zwischen fundamental-islamistischen Terroristen, schnöden kriminellen Banden und Verfechtern ethnischer Interessen . Dabei handelt es sich um temporäre Verbindungen . Das macht die Aufgabe dort so schwierig . Wir sind - die Frau Ministerin hat es angesprochen gerade auch in dieser Stunde in Gedanken bei all den Soldaten und Zivilbeschäftigten der Vereinten Nationen, die dort vor zwei Tagen bei diesem fürchterlichen und grausamen Anschlag ums Leben gekommen sind . Das stecken wir nicht einfach so weg . Wenn ausgerechnet die Menschen, die man zum ersten Mal - weil sie in der Vergangenheit Feinde waren - in einer Kaserne zusammengeführt hat, damit sie gemeinsam den Frieden in Mali erreichen, Opfer von Anschlägen werden, geht uns das schon sehr nahe . Und das Camp der Deutschen ist nicht weit vom Anschlagsort - 1,3 Kilometer - entfernt . Frau Ministerin, ich sage es deutlich: Es ist extrem wichtig - das ist Ihre allerwichtigste Aufgabe -, dafür zu sorgen, dass der Einsatz der Soldaten aufgrund der damit verbundenen Risiken und Gefahren entsprechend gewürdigt wird . Das muss beim AVZ, also beim Auslandsverwendungszuschlag, sichtbar werden . Es darf nicht Monate dauern, bis an dieser Stelle eine Verbesserung erreicht wird, sondern es müsste eigentlich schon gestern geschehen sein . ({2}) Mali zeigt natürlich auch die Schwächen unserer eigenen Streitkräfte . Die Finanzierung der Bundeswehr ist mit diesem zusätzlichen Engagement in vielen Bereichen noch mehr „auf Kante genäht“ . Es fehlen nun einmal Aufklärer, die Luftbilder der Drohnen auswerten können . Wir haben einen Mangel im medizinischen Bereich und auf vielen anderen Gebieten . Deshalb ist es richtig, dass dort ein Helikoptereinsatz auf Zeit zugesagt wurde . Wir Sozialdemokraten wünschen uns schon lange, dass wir und die westlichen Industriestaaten insgesamt mehr Verantwortung bei den 17 UN-Friedensmissionen übernehmen . Verantwortungsübernahme dort kann aber nicht bedeuten: Man geht dort erst einmal hinein und bleibt dann zehn Jahre dort . Dies kann die Bundeswehr nicht wirklich leisten, weil wir insbesondere in Osteuropa  eine  ganze Reihe  ähnlich wichtiger Verpflichtungen  haben . Insofern ist dieser Weg von vornherein gut . Wir statuieren ein Exempel und sagen: Wir führen diesen Einsatz für ein Jahr durch, und dann müssen andere leistungsfähige Staaten ihn ergänzen . Das sollten wir in anderen Bereichen ähnlich handhaben .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann könnten wir den Vereinten Nationen noch mehr helfen, als wir es im Augenblick tun . Dieser Einsatz ist also richtig und notwendig . Die Linken haben keine Antwort auf die Frage, was dort zu geschehen hat .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin fertig, Herr Präsident . - Die Linken würden dieses Land den Terroristen und den Kriminellen einfach überlassen und wegschauen . Dies ist doch keine verantwortungsvolle Politik . Wir handeln anders . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frithjof Schmidt hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hat den Einsatz der Vereinten Nationen und der Europäischen Union von Anfang an unterstützt . Frau Buchholz, die entscheidende Frage ist, ob man der Meinung ist, dass es richtig ist, dass die UNO dort ist, oder ob man sagt, sie sollte sich dort lieber heraushalten . Wir sind der Meinung, es war richtig und notwendig . Man muss noch einmal kurz daran erinnern: 2012 stand Mali kurz vor dem Zusammenbruch . Die islamistischen Kämpfer rückten direkt auf die Hauptstadt Bamako vor . Es drohte eine humanitäre Katastrophe . Nur durch das schnelle Eingreifen Frankreichs konnte diese schlimme Entwicklung gestoppt werden . Ich sage, es war richtig, das zu unterstützen, und es war richtig, dass die UNO dann mit MINUSMA die Verantwortung im Land übernommen hat, dass die UNO auch gesagt hat: Wir sind für die Bewältigung dieser Krise zuständig . Die Frage, die Sie politisch beantworten müssen, ist, ob Sie das  falsch finden. Falls  ja,  entspricht  das  Ihrer  bisheriRainer Arnold gen Logik . Aber wenn Sie sagen: „Es ist richtig, dass die UNO die Verantwortung für die Bewältigung dieser Krise übernimmt“, dann müssen Sie auch sagen, welchen Beitrag wir leisten und wie wir unterstützen wollen . ({0}) Ich finde, diese Frage müssen Sie politisch beantworten.  Vor allem ist es der UNO zu verdanken, dass es einen politischen Friedensprozess gibt und dass 2015 ein Friedensabkommen zwischen der malischen Regierung und den verschiedenen Tuareg-Gruppen zustande gekommen ist . Der verheerende Selbstmordanschlag in Gao mit zig Toten zeigt deutlich, wie sehr der Friedensprozess gerade ins Stocken geraten ist . Da gibt es nichts schönzureden . Das Ganze unterstreicht dramatisch, was die Vereinten Nationen seit mindestens zwei Jahren immer wieder sagen: Der Einsatz in Mali gehört zu den gefährlichsten der  UNO  überhaupt.  Immer  wieder  flammen  Kämpfe  zwischen der Zentralregierung und den Rebellengruppen auf, und immer wieder geraten dabei Blauhelme zwischen die Fronten . Uns liegen die Zahlen vor - sie sind erschreckend -: 106 UN-Soldaten haben in den letzten drei Jahren bei diesem Einsatz ihr Leben verloren, und in diesem Gebiet sind über 170 000 Menschen auf der Flucht . Die UN-Basis am Flughafen Gao ist zentral für die Stabilisierung der Sicherheitslage im Norden von Mali, und sie ist auch wichtig für die Versorgung und den Schutz vieler Menschen in der Region . Deswegen sagen wir: Es ist richtig, dass die Bundeswehr den Einsatz in Gao seit einem Jahr mit über 500 Soldatinnen und Soldaten im Bereich der Aufklärung und der Absicherung des Flughafens und der UN-Konvois unterstützt hat . Ich empfehle meiner Fraktion, die Erweiterung dieses Einsatzes im neuen Mandat zu unterstützen . Es geht um die Evakuierung von verletzten Blauhelmen durch vier medizinisch entsprechend ausgerüstete Hubschrauber . Man muss sagen: Wenn man der Meinung ist, der UN-Einsatz sei richtig, dann ist die Aufrechterhaltung der Rettungskette für die Blauhelme im Einsatz humanitär absolut notwendig und richtig . Da kann es kein Vertun geben . ({1}) Auch die Absicherung von UN-Konvois aus der Luft mit vier Kampfhubschraubern ist sinnvoll und notwendig . Wenn dort Luftfracht auf die Konvois umgeladen wird, dann müssen sie abgesichert werden . Das wurde gerade auch in einem Bericht an den UN-Sicherheitsrat wieder festgestellt . Den Vereinten Nationen fehlt es an solchen Hubschraubern . Ohne sie könnte man den Einsatz im Norden Malis nicht weiterführen . Das wäre fatal . Denn politisch ist klar: Wenn der Blauhelmeinsatz im Norden scheitert, dann steht auch der malische Friedensprozess auf der Kippe . Die Folgen für die gesamte Sahelregion und Westafrika wären nicht absehbar . Deswegen unterstützen auch wir den Einsatz . Allerdings erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie Klartext spricht, was die möglichen Materialprobleme angeht, vor allen Dingen im Bereich der für diesen Einsatz vorgesehenen Hubschrauber . Man hört, der Einsatz der Hubschrauber sei auf Mitte 2018 begrenzt, weil die Durchhaltefähigkeit des Einsatzes höchstens bis dahin zu gewährleisten sei . Herr Arnold, Sie haben das ja gerade als Tugend dargestellt und gesagt: Wir haben einen Plan . - Frau von der Leyen hat gesagt: Das ist ein politisches Konzept . - Man hört, dass es erhebliche Probleme gibt . Es kommen auch Fragen nach der Einsatzfähigkeit der Kampfhubschrauber auf . Ich sage: Unsere Soldatinnen und Soldaten, aber auch wir Abgeordneten erwarten von der Bundesregierung ganz klare Aussagen über mögliche Risiken . Die Sicherheit der Hubschrauber darf nicht infrage stehen. Ich hoffe, dass Sie das eindeutig klären können . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der militärische Einsatz der Vereinten Nationen kann humanitäre Hilfe absichern und Hilfestellung für die politische Lösung der Konflikte in Mali leisten. Der stockende Friedensprozess  gehört ins Zentrum der internationalen Bemühungen . Ich glaube, es muss mehr getan werden . Wir sehen, dass dieser Prozess gerade in einer ganz kritischen Phase ist . Wenn dieser Einsatz nicht gelingt, dann werden wir mit Sicherheit ganz große Probleme bekommen . Deswegen erwarten wir von der Bundesregierung und der Europäischen Union ein intensives politisches Engagement . Das muss angemessen adressiert werden . Ich glaube, da gibt es noch Luft nach oben . Dafür haben Sie jedenfalls unsere Unterstützung . Danke für die Aufmerksamkeit . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung und Erweiterung des MINUSMA-Mandats . Ich freue mich, dass diese Debatte zeigt, dass die verantwortungsvollen Kräfte dieses Hauses mit großer Geschlossenheit hinter diesem Einsatz stehen . ({0}) Deutschland hat Mali nicht umsonst ins Zentrum seiner Bemühungen um Frieden im westlichen Afrika gerückt . Wir haben durch zahlreiche Besuche von Ministern, aber auch der Bundeskanzlerin unterstrichen, wie sehr uns daran liegt, dass in diesen Ländern eine positive demokratische und stabilisierende Entwicklung voranDr. Frithjof Schmidt geht und dass insbesondere in Mali der Friedensprozess zu einem guten Ergebnis führt . Denn der innere Frieden eines Landes ist natürlich Voraussetzung, dass man sich gegen äußere Feinde bzw . Gegner wirksam schützen kann . Wer die geografische Lage Malis betrachtet, sieht auf  den ersten Blick, dass Mali für den gesamten westafrikanischen Raum ein enorm wichtiges Land ist . Wir haben die Weiten der Sahara mit nahezu unkontrollierbaren Transportwegen  für Waffen-  und Menschenschmuggel.  Wir haben im westlichen Afrika eine ganze Reihe von Staaten, die positive Erfolge zeitigen mit Blick auf die Demokratisierung . Islamistische Kräfte könnten aber natürlich jede Instabilität und jedes Wanken sofort nutzen, um diese Staaten zu destabilisieren . Wie fragil manchmal die demokratische Entwicklung ist, sehen wir in Gambia . Wir haben in Gambia die Situation, dass ein Präsident sein Amt nicht verlassen will . Es gibt einen demokratisch gewählten neuen Präsidenten - von beiden Präsidentschaftskandidaten ist die Wahl ja als richtig anerkannt worden -, während der alte Präsident nicht weichen will . Ich kann hier nur appellieren, dass Präsident Yahya Jammeh das Amt an den neuen legitimen Präsidenten Barrow übergibt . Das zeigt, wie wichtig es ist, dass die Region stabil bleibt und dass wir verhindern, dass der Islamismus in dieser Region Fuß fasst . Der Einsatz in Mali ist ein gefährlicher Einsatz . Wir haben bei jeder Bundestagsdebatte hier vorgetragen, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten wirklich gut schützen müssen und dass wir uns auch nichts vormachen dürfen . Wir haben gesehen, dass die Zahl der Anschläge in den letzten Jahren weiter zugenommen hat . Das Problem hat sich vor allem Richtung Süden entwickelt, weil genau dort die Wege sind, auf denen der Terrorismus in andere Regionen Westafrikas vorzudringen versucht . Deswegen ist es eine gute Entscheidung der Bundesregierung, dass wir dort voraussichtlich ab März Hubschrauberunterstützung haben . Ich sage ganz konkret an die Adresse der Linken, die das kritisiert hat: Sie wären doch die Ersten, die hier Theater machen würden - vermutlich in diesem Punkt zu Recht -, wenn wir darauf verzichten würden, unsere Soldaten durch die MedEvac-Hubschrauber zu unterstützen und durch die Kampfhubschrauber wiederum diese möglichen Lufteinsätze zu begleiten . Deswegen ist es eine gute Maßnahme der Vorsorge für uns und für alle anderen UN-Kräfte in der Region, dass wir die Hubschrauber dorthin verlegen . ({1}) Wir hatten diese Einsatzkombination bereits zum Ende des ISAF-Einsatzes in Afghanistan . Dort gab es Fragezeichen, ob es klappen könnte . Es gab viele Gerüchte über den neuen Transporthubschrauber und den neuen Kampfhubschrauber . Diese Hubschrauber haben im Afghanistan-Einsatz gezeigt, dass sie auch in dieser Kombination die Aufgabe wahrnehmen können . Deswegen ist es gut, dass wir das jetzt auch in Mali machen . Ich finde es eine richtige Entscheidung der Bundesregierung, dass die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auch entsprechend besser bezahlt werden . Ich glaube, dass wir den Angehörigen und den Soldaten selbst sagen müssen, dass sie unsere gesamte Unterstützung haben und wir alles, was wir tun können, auch leisten, damit alle aus diesem Einsatz wieder wohlbehalten nach Hause kommen können . Es wird der gegenwärtig größte und vielleicht auch gefährlichste Bundeswehreinsatz sein . Ich wünsche allen Soldaten Glück, dass sie wieder heil nach Hause kommen . Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dieses Mandat unterstützen . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jürgen Coße . ({0})

Jürgen Coße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004639, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um die Fortsetzung und die Erweiterung einer Blauhelmmission in Mali . Die Stabilisierungsmission ist zurzeit die gefährlichste UN-Mission, die es gibt . Allein im vergangenen Jahr töteten bewaffnete Gruppen  29 Blauhelmsoldaten und verwundeten über 90 . Ein Selbstmordattentäter riss vorgestern über 70 malische Soldaten in den Tod und verletzte über 100 . Ja, auch deutsche Soldaten sind bereits in Mali angegriffen worden . Wir sind uns der Tragweite unserer Entscheidung bewusst und wir treffen diese Entscheidung nicht leichtfertig. Ich finde das Wort „Heuchelei“ in dieser Hinsicht  unangemessen . ({0}) Was ist denn die Alternative? Was passiert, wenn die Blauhelme nicht Zivilisten schützen? Haben wir das nicht in Ruanda beobachten können? Diejenigen, die entschieden gegen diesen Einsatz sind, frage ich: Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie selbst im Norden Malis leben müssten? Würden Sie gern unter dem Joch von Islamisten und kriminellen Banden leben? Die Menschen in Mali wollen dies auf jeden Fall nicht . ({1}) 90 Prozent sehen Sicherheit als oberste Priorität für ihr Land . Wir dürfen dieses Land jetzt nicht im Stich lassen . ({2}) Das tut die internationale Gemeinschaft auch nicht . Insgesamt sind 13 456 Soldaten, Polizisten und Zivilisten in dieser Mission im Einsatz . Afrikanische Staaten, Bangladesch, Indien und Pakistan stellen bei dieser Friedensmission - wie so oft - die meisten Truppen . Es stimmt aber auch, dass Deutschland deutlich mehr Personal nach Mali geschickt hat als bei jeder anderen UN-Friedensmission . Der deutsche Beitrag wird mit eiJürgen Hardt ner Höchstgrenze von 1 000 Soldaten beträchtlich sein . Unsere Männer und Frauen in Uniform leisten dort jetzt schon gute Arbeit, und das werden sie auch in Zukunft tun . Das sollten wir hier deutlich sagen, unterstützen und ihnen dafür unseren Dank aussprechen . ({3}) Aber warum engagiert sich die Bundesrepublik in Mali? Ich sehe zwei Gründe, weshalb die Stabilisierung wichtig für uns und für Europa ist . Erstens . Die Terrorismusbekämpfung . Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass es sehr gefährlich ist, wenn Terrororganisationen unbehelligt ein Territorium kontrollieren; denn dann fällt es ihnen wesentlich leichter, Kämpfer auszubilden und Anschläge zu verüben . Das haben wir zuletzt bei den Anschlägen von Paris im Jahr 2015 gesehen . Die Attentäter konnten deshalb so professionell vorgehen, weil viele von ihnen in Syrien und im Jemen ausgebildet worden waren . Die Lehre ist also klar: Wir dürfen dort, wo wir es können, keine Terrorcamps zulassen . Zweitens . Mali ist ein Schlüsselland der Migration . Durch Mali und das Nachbarland Niger laufen die wichtigsten Flüchtlingsrouten zur libyschen Mittelmeerküste . Wenn es uns gelingen würde, Mali zu stabilisieren, würden weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken . Denn es gilt nach wie vor: Ohne Frieden gibt es keine Sicherheit . Sicherheit ist die Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Entwicklung . Ohne wirtschaftliche Entwicklung haben die Menschen vor Ort keine Perspektive . Perspektivlosigkeit ist der Hauptgrund für Flucht . Und ohne MINUSMA gäbe es zurzeit überhaupt keine Perspektive für Mali . ({4}) Meine Fraktion, die SPD, unterstützt den Antrag der Bundesregierung, auch in der nächsten Woche . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke hat noch nie einem Einsatz zugestimmt . Wer heute der Kollegin Buchholz zugehört hat, hat gemerkt, wie sie sich, wie jedes Mal in diesen Debatten, abmüht, irgendwelche Argumente zu finden, die gegen eine Zustimmung zu einem solchen Mandat sprechen könnten . ({0}) Das ist durchaus legitim, aber ich finde, Sie könnten sich  zumindest eine Minute oder eine halbe Minute - und das hat Frau Buchholz nicht getan - die Mühe machen, Alternativen aufzuzeigen, wie wir dem islamischen Terror in diesem Land, wie wir dem Bürgerkrieg und dem Staatszerfall begegnen können, um dem Land auf die Beine zu helfen . ({1}) Sie haben nicht eine Sekunde darauf verwendet . ({2}) Das zeigt, dass Sie rein dogmatisch unterwegs sind . Sie sind nicht regierungsfähig, Sie sind nicht verantwortungsbewusst . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Tagen viel über die Äußerungen des künftigen US-Präsidenten gesprochen . Gerade was die NATO angeht, scheint vieles noch recht unausgegoren und widersprüchlich . Aber in einem Punkt hat er natürlich recht: Die USA schultern bisher überproportional die Lasten im Bereich der gemeinsamen Verteidigung . Es ist daher, meine ich, das gute Recht, von Europa und Deutschland mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu fordern . Das ist auch in unserem ureigenen Interesse . Eine stärkere Orientierung an dem 2-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben kann helfen, das europäische Gewicht innerhalb der NATO und die strategische Autonomie Europas zu stärken . Wir Europäer sollten mit großem Engagement das Ziel verfolgen, gemeinsam verteidigungsfähig zu sein . So verstehe ich und so versteht die CSU den Gedanken einer europäischen Armee . Wir müssen unsere Strukturen reformieren, und wir müssen die bilateralen und die multilateralen Kooperationen ausbauen . Ziel ist eine stärkere Koordination und Zusammenarbeit unserer Streitkräfte mit denen anderer europäischer Partner . Hier passiert aktuell mehr als früher, aber noch nicht genug . Mehr Eigenverantwortung bedeutet aber auch den Auftrag an uns Europäer, dort selbstständig aktiv zu werden und zu sein, wo unsere Interessen besonders betroffen sind und wo wir unsere Stärken sinnvoll einsetzen können, und das ist vor allem Afrika . Dort kann Europa mit einem vernetzten Ansatz aus militärischen und zivilen Komponenten helfen, Krisen zu bewältigen, deren Folgen die Europäer unmittelbar betreffen.  Die Einsätze in Afrika waren bislang, was Personalstärke und Anzahl angeht, eher überschaubar für Deutschland . Erst jetzt, wenn wir die Personalstärke bei der UN-Mission in Mali auf Tausend erhöhen - hinzu kommen noch 300 Mann für die Ausbildungsmission EUTM Mali -, wird die Herausforderung für unsere Bundeswehr deutlich, die mit solch einer globalen Verantwortungsübernahme einhergeht . Die Gewährleistung der Rettungskette ist eine Schlüsselkomponente bei solchen Einsätzen . Wenn wir die enge Verflechtung mit anderen europäischen Nationen im Verteidigungsbereich vorantreiben wollen, müssen wir auch bereit sein, Partnern im Einsatz zu helfen, sie abzulösen, wenn beschränkte Durchhaltefähigkeiten das erfordern . Es  ist daher gut, dass wir den Staffelstab von den Holländern übernehmen . Es ist aber auch unbedingt erforderlich, dass andere später bereit sind, wiederum von uns den Stab zu übernehmen . Der  Einsatz  in Mali  zeigt  einmal mehr,  dass  die  finanzielle und materielle Ausstattung der Bundeswehr noch deutlich verbesserungsfähig ist, auch wenn die Verteidigungsministerin schon große Fortschritte erreichen konnte . Nationale und globale Sicherheit haben ihren Preis . Europa und Deutschland müssen also mehr Verantwortung übernehmen, nicht nur für die eigene, sondern auch für die globale Sicherheit und das globale Wohlergehen, insbesondere in Afrika . Die Unterstützung von Krisenstaaten wie Mali ist deshalb unerlässlich . Nur wenn Menschen in der Heimat wieder eine Perspektive sehen, können wir auch die globale Migration besser in den Griff bekommen.  Aber Verantwortung müssen schließlich auch die Länder tragen, die wir unterstützen . Unser Ziel muss es daher stets sein, schnell zur Eigenverantwortung der betreffenden Länder zurückzukehren, zur Verantwortung für die eigene Sicherheit wie auch für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft insgesamt . Wie schwer das in der Praxis ist, zeigt der Einsatz in Afghanistan . Der ohnehin schleppende Friedensprozess in Mali ist  aber  nicht  nur  aufgrund der  häufigen  terroristischen  Anschläge bedroht, er droht derzeit auch aufgrund von Apathie und Desinteresse aufseiten der malischen Regierung zu scheitern . Unsere Hilfe müssen wir daher mit deutlich mehr Druck auf die Regierung verbinden, beim Friedensprozess voranzukommen und Reformen umzusetzen . Wir sollten überprüfbare Ziele vereinbaren, deren Einhaltung honorieren, deren Nichteinhaltung dann aber auch sanktionieren . Wir tun den Maliern aber auch keinen Gefallen, wenn wir sie in eine Dauerabhängigkeit geraten lassen . Freiheit und Eigenverantwortung sind auch in der Sicherheitspolitik richtige Leitmaximen für Europa und für Deutschland, aber auch für Mali . In diesem Sinne gestalten wir unseren Einsatz in Mali . Eine wichtige Säule dabei ist der Einsatz unserer Bundeswehr dort . Ich bedanke mich an dieser Stelle bei unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz . Herzlichen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/10819 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden soll . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksache 18/10820 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen sind . - Auch hier höre ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich  eröffne  die Aussprache.  Das Wort  für  die  Bundesregierung hat Bundesministerin Dr . Ursula von der Leyen . ({1})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her - ich glaube, wir alle hier im Hohen Hause erinnern uns noch daran -, als wir zum ersten Mal das grauenhafte, aber foudroyante Vorgehen des sogenannten „Islamischen Staates“ im Irak beobachten konnten, nämlich als damals Mosul durch den IS eingenommen worden ist . Sie werden sich daran erinnern, dass damals die Goldreserven der  Bank  geplündert  worden  sind,  dass Waffen  in  die  Hände der Terroristen gefallen sind . Es gab einen foudroyanten Siegeszug des IS damals . Er stand bis 10 Kilometer vor den Toren Bagdads . Wir haben es uns vor zweieinhalb Jahren nicht leicht gemacht bei der Entscheidung, denjenigen, die dort unter dem Morden und Wüten des IS leiden, Hilfe zu leisten . Wir haben uns zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entschieden, Waffen in ein  Krisengebiet zu schicken . Ich glaube heute, diese Entscheidung war richtig . ({0}) Es war richtig, die Kurden, das heißt die Peschmerga, auszurüsten und dies mit Ausbildung, ganz eng begleitet, zu kombinieren . Die Peschmerga haben viel Mut bewiesen . Sie haben als Erste den IS gestoppt, sie haben ihn empfindlich zurückgeschlagen, und sie haben Territorium zurückgewonnen . Viel wichtiger ist aber, dass wir von Anfang an, so wie wir es eben bei dem anderen Mandat auch besprochen haben, vernetzt vorgegangen sind . Von Anfang an haben wir die Kurden, die über 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben, dabei unterstützt, humanitäre Hilfe zu leisten . Vielen Dank an das BMZ, das bis heute intensiv mit den Kurden zusammenarbeitet, um dort humanitäre Hilfe zu leisten und die Flüchtlinge zu schützen und zu unterstützen . Wir haben von Anfang an auf Diplomatie gesetzt, und das Auswärtige Amt hat mit der irakischen Zentralregierung zusammengearbeitet, damit der Prozess inklusiv bleibt, das heißt, dass Sunniten, Schiiten, Kurden und die anderen Gruppen in den Kampf gegen die Terroristen, die das Land zerstören wollen, einbezogen sind . Andere Länder waren bereit, in der großen Koalition gegen den Terror auch die irakischen Zentraltruppen auszurüsten und auszubilden . Es hat sich gezeigt, dass wir in diesem Fall vieles nicht alles - richtig gemacht haben . Denn bei der Rückeroberung des Gebietes, sei es Tikrit, sei es Ramadi, ist von Anfang an so vorgegangen worden, dass am Tag der Befreiung dieser Städte die Vereinten Nationen sofort reingegangen sind und Hilfe für die Menschen geleistet haben . Dabei ging es um die Versorgung mit Wasser und Elektrizität, um Erste Hilfe und den Wiederaufbau von Häusern . Dadurch sollten die Menschen merken, dass es einen Unterschied macht, ob der IS in der Stadt ist und sie dominiert oder ob sie befreit sind . Dieses Mandat umfasst die Ausbildung von kurdischen Peschmerga . 150 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind daran beteiligt . Wir sind gemeinsam mit anderen Nationen dort . Im letzten Monat, im Dezember, hat Deutschland die Führung von Italien rotationsmäßig zum dritten Mal übernommen . Drei Punkte im Rahmen dieses Mandates, um dessen Verlängerung wir heute bitten, möchte ich erwähnen . Zunächst einmal: 12 000 Streitkräfte sind inzwischen ausgebildet worden . Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass die Peschmerga bereit sind, auch hier das Prinzip der Inklusion ernst zu nehmen . Inzwischen sind, soweit sie ihre Heimat verteidigen wollen, auch Christen, Jesiden, Kakai und Turkmenen ausgebildet worden, um nur einige zu nennen . Zweiter Punkt: Materiallieferung und Ausbildung müssen Hand in Hand gehen . Ich will nur zwei Beispiele nennen . Am Anfang ging es um basale Fähigkeiten, um die Grundausbildung bis hin zur richtigen Anwendung von Erster Hilfe, damit diejenigen an der Front, die verletzt sind, dort nicht verbluten . Material, das geliefert wurde, umfasst zum Beispiel ein Lagerhaus für Medikamente und Verbandsmaterial, das wir kürzlich an die Kurden übergeben konnten . Beim dritten Punkt - den wir modulmäßig anpassen, je nachdem, wie der Verlauf des Konfliktes und der  kriegerischen Auseinandersetzung mit dem IS durch die Peschmerga ist - liegt der Schwerpunkt inzwischen natürlich auf der Minenentschärfung, auf Counter-IED . Das Gebiet, das zurückerobert wird, ist minenverseucht . Das ist eine der entscheidenden Aufgaben bei der Rückeroberung von Gebieten . Auch das Thema Häuserkampf spielt eine wichtige Rolle; hierfür haben wir entsprechende Trainingsareale ausgebaut . Heute, zweieinhalb Jahre später, geht es wieder um Mosul, aber diesmal mit umgekehrten Vorzeichen . Es gelingt der irakischen Zentralregierung inzwischen gemeinsam mit den Kurden und in einer engen Absprache mit der Koalition gegen den Terror, Schritt für Schritt die letzte Bastion des IS im Irak zurückzuerobern, nämlich Mosul . Noch lange ist nicht entschieden, wie das zu einem guten Ende gebracht wird, obwohl Fortschritte erreicht wurden . Auch hier ist neben der militärischen Ausrüstung und dem militärischen Rat, den die Peschmerga und die Zentralstreitkräfte brauchen, wichtig, dass von Anfang an darauf geachtet wird, dass ethnische Konflikte  im Keim erstickt werden, und dass von Anfang an darauf geachtet wird, dass die Versorgung der Flüchtlinge nahtlos funktioniert . 125 000 Menschen sind inzwischen aus Mosul geflohen, aber etwa 1,5 Millionen Zivilisten sind  nach wie vor in Mosul eingeschlossen . Ein weiterer Punkt ist mir wichtig . Es ist entscheidend, nach einem Sieg über den IS - diesen werden wir hoffentlich erreichen -, was das Territorium im Irak angeht, das heißt nach dem physischen Verschwinden des sogenannten äußeren Feindes, Sorge zu tragen, dass die inneren Konflikte nicht aufbrechen, sondern dass der Irak  weiter den Weg der Inklusion geht . In diesem Sinne bitte ich um Verlängerung des Mandates . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Linke hat jetzt das Wort Jan van Aken . ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wollen 150 Soldatinnen und Soldaten in den Nordirak schicken, um kurdische Peschmerga auszubilden . Es gibt viele gute Gründe gegen dieses Mandat . Ich habe Ihnen heute fünf mitgebracht . Erstens . Sie bilden dort die Miliz einer politischen Partei aus . Nur um das einmal klarzustellen: Wir reden nicht über die reguläre Armee des Irak oder des Nordirak . Die sogenannten Peschmerga sind Milizen von politischen Parteien . Es gibt im Osten die Peschmerga, die zur PUK-Partei gehören . Es gibt die Peschmerga, die zur Partei des Präsidenten Barzani gehören . Im Nordirak gibt es noch eine dritte große Partei, nämlich die Gorran-Bewegung . Sie hat keine Milizen - und dann Pech gehabt;  denn ohne Waffengewalt  gibt  es  im  Norden des Irak überhaupt keine demokratische Teilhabe . Sie wird am Betreten des Parlaments gehindert . In dieser Situation sind Sie im Nordirak selbst dann, wenn Sie Wahlen gewinnen; wenn Sie keine Peschmerga haben, haben Sie verloren . Ich halte die Ausbildung von Parteimilizen durch die Bundeswehr für eine derart schlechte Idee, dass wir auch deswegen dieses Mandat ablehnen werden . ({0}) - Herr Otte, wenn Sie jetzt „Märchenstunde“ rufen, dann kann ich nur sagen: Sie haben vom Nordirak überhaupt keine Ahnung . Das wundert mich auch gar nicht . Sie haben natürlich nicht mit Regimegegnern gesprochen . ({1}) Sie waren nicht an der Front und haben nicht mit Peschmerga geredet . Wer die ganze Zeit immer nur Klinken bei der Waffenindustrie putzt, hat für solche richtige Arbeit  keine Zeit . Das ist wirklich Ihr Problem . ({2}) Zweitens . Sie unterstützen mit diesem Mandat einen illegitimen Präsidenten . Präsident Massud Barzani hat seine Amtszeit ja schon zwei Jahre überschritten . Was hat er gemacht? Er ist einfach weiter im Amt geblieben . ({3}) Mithilfe seiner Peschmerga hat er das Regionalparlament daran gehindert, überhaupt zusammenzutreten . Es gibt keine demokratische Kraft mehr, die ihn entfernen könnte . ({4}) Gewählte Abgeordnete des Regionalparlaments werden von Barzanis Peschmerga daran gehindert, überhaupt nur die Hauptstadt Erbil zu betreten, geschweige denn das Parlament . Diese Peschmerga wollen Sie jetzt auch noch ausbilden, um diese undemokratischen Praktiken zu unterstützen? Ich verstehe Sie da einfach nicht . Auch deswegen lehnen wir dieses Mandat ab . ({5}) Drittens . Mit diesem Mandat - Frau von der Leyen, da komme ich genau auf Ihren letzten Punkt zu sprechen treiben Sie die Spaltung des Irak immer weiter voran . ({6}) Wir waren uns doch eigentlich alle in dem einen Ziel einig, dass der Irak auf gar keinen Fall noch weiter in einzelne Regionen zerfallen darf und dass wir eine inklusive, ausgewogene Regierung in Bagdad brauchen, in der alle drei Bevölkerungsgruppen - die Sunniten, die Schiiten und die Kurden - gleichberechtigt vertreten sind . Denn wenn wir das nicht haben, wird der sogenannte „Islamische Staat“ immer stärker . Schließlich hat er den Nährboden, auf dem er stark geworden ist, in den sunnitischen Gebieten . Deswegen muss es doch unser Ziel sein, die Spaltung des Irak zu verhindern . ({7}) Jetzt machen Sie mit der Ausbildung der Peschmerga genau das Gegenteil . Sie unterstützen die einzige große Kraft im Irak, die die Spaltung will, nämlich die Kurden im Nordirak . Ihr Partner, Präsident Barzani, sagt doch immer wieder - zuletzt im November 2016 -, dass er eine Volksabstimmung über die Bildung eines eigenen Nationalstaates durchführen lassen will . Dabei unterstützen Sie ihn militärisch . Politisch unterstützen Sie ihn mit dem Bundeswehrmandat . Sie geben ihm aber auch die militärischen Mittel an die Hand, um diese Abspaltung, diese Bildung eines eigenen Nationalstaates, wirklich durchzuführen . Ich halte das für absoluten Wahnsinn . Auch deswegen lehnen wir dieses Mandat ab . ({8}) Viertens . Sie unterstützen massive Menschenrechtsverletzungen . Können Sie eigentlich wirklich ausschließen - Frau von der Leyen, Ihre Antwort auf diese Frage interessiert mich sehr -, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga nicht bei der Verhaftung von Regimegegnern, bei der Schließung von Menschenrechtsorganisationen oder bei der Ermordung von Journalisten eingesetzt werden? Sie kennen doch auch den Fall des jungen Journalisten Wedad Hussein Ali, der im letzten Sommer von Barzanis Sicherheitskräften erst schikaniert und dann bedroht wurde und am 13 . August 2016 umgebracht worden ist . Frau von der Leyen, wissen Sie sicher, dass da kein von Ihnen ausgebildeter Peschmerga mit beteiligt war? ({9}) Ich finde, dass allein dieser Fall ein Grund ist, dieses  Mandat abzulehnen . ({10}) Fünftens . Sie unterstützen - um das auch noch einmal ganz deutlich zu sagen - mit dieser Ausbildung verfassungswidrige Aktionen von Präsident Barzani . Die Peschmerga haben sich die Stadt Kirkuk in Verletzung der irakischen Verfassung einfach unter den Nagel gerissen. Natürlich ist dadurch der Konflikt mit Bagdad eskaliert; denn in Kirkuk gibt es sehr viel Öl . Wir reden über Milliarden von Dollar . Die Peschmerga haben sich das ausdrücklich gegen die irakische Verfassung einverleibt und sagen, es sei jetzt kurdisches Gebiet . Genau das unterstützen Sie mit Ihrem Bundeswehrmandat - die Spaltung des Irak . ({11}) Manchmal verstehe ich überhaupt nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht . ({12}) Sie wollen ein Regime militärisch unterstützen, das den Irak spalten will, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, dass die irakische Verfassung mit Füßen tritt und das von einem illegitimen Präsidenten geführt wird . ({13}) Manchmal verstehe ich wirklich gar nicht, wie Sie sich zu solchen Mandaten hinreißen lassen können . Ich finde, Sie sollten es ablehnen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte - weder  in den Nordirak noch in den Irak und von mir aus auch nicht in die Türkei . Ich danke Ihnen . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort für die Bundesregierung hat jetzt Herr Staatsminister Michael Roth . Bitte schön . ({0})

Not found (Gast)

Guten Tag, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Diplomat wäre, Herr van Aken - ich bin es nicht -, würde ich sagen: Ihre Rede war ein wenig unterkomplex . ({0}) Da ich aber Politiker bin, muss ich sagen: Ihre Rede war unterirdisch, ({1}) weil Sie den Eindruck erweckt hat, dass der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung bislang nicht gerecht geworden ist . ({2}) Ich kann mich an keine Debatte erinnern - diese liegt ja nun schon einige Zeit zurück -, die derart emotional und auch derart kritisch und verantwortungsbewusst geführt wurde . Wir waren uns doch in allen Fraktionen darüber einig, dass dies ein ganz besonderer und in unserer Geschichte bislang einzigartiger Fall ist und wir selbstverständlich um die dramatischen Risiken wissen . Ich kann nicht nur für meine Fraktion, sondern sicherlich auch für viele, viele andere Kolleginnen und Kollegen auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verantwortung und ihrer eigenen Expertise - sagen: Wir haben es uns nicht leicht gemacht . Herr van Aken, Sie haben eine zentrale Frage nicht beantwortet: Was wäre denn passiert, wenn wir nicht so entschieden hätten? ({3}) Wo ist denn Ihre Strategie im Umgang mit den Schlächtern und Barbaren der Terrororganisation „Islamischer Staat“? ({4}) „Tut doch endlich etwas!“ - das war der Ruf, der uns allen immer noch in den Ohren liegt . ({5}) Ich hörte ihn in den Medien, in Bürgergesprächen und zugegebenermaßen auch bei mir zu Hause am Familientisch . Die Bilder, die sich mir und vielen anderen ins Gedächtnis eingeprägt, eingebrannt haben, haben auch bei uns in Deutschland zu großer Emotionalität geführt . ({6}) Wir haben uns zu einer Sondersitzung zusammengefunden - nicht nur, weil es so sein muss, sondern auch, weil es wichtig war -, um diese Entscheidung sehr offen  zu treffen. Ich befinde mich nicht in der kritischen Auseinandersetzung mit Ihnen, weil Sie Argumente dagegen vorgetragen haben; teilweise kennen wir sie ja . Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, dass Sie keine Alternativen aufzeigen ({7}) und sich hier in kollektive Verantwortungslosigkeit begeben . Eine solche kollektive Verantwortungslosigkeit mag für eine Oppositionspartei wie die Linke möglich sein . Aber sie kann nicht für Parteien und erst recht nicht für eine Regierung in Betracht kommen, die Verantwortung für ein Land und Verantwortung für den internationalen Frieden übernommen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({8}) Es gab damals zwei Optionen, die wir debattiert haben. Die erste Option war, Waffen und militärische Ausrüstung an die kurdischen Peschmerga zu liefern . Viele von uns haben damals mit ihrem Gewissen gerungen: Ist es das wert? Können wir das verantworten? Die zweite Option war, sich auf rein humanitäre Unterstützung zu beschränken und damit das weitere Erstarken einer menschenverachtenden Terrormiliz und das Versinken einer ganzen Region in Blut und Chaos zu riskieren . Einige Monate später, fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, haben wir hier im Bundestag beschlossen, zusätzlich zur militärischen Ausbildung auch deutsche Soldatinnen und Soldaten in den Nordirak zu entsenden, um die Sicherheitskräfte auszubilden . Ich erinnere mich gut: Auch das waren keine einfachen Debatten und schon gar keine einfachen Entscheidungen . Aber da kann ich mich nur der Kollegin Frau von der Leyen und weiteren Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, aber auch aus der Mitte der Grünenfraktion anschließen: Wir haben damals richtig entschieden; denn der Vormarsch des „Islamischen Staates“ konnte vorerst gestoppt werden . Die Terrororganisation hat etwa die Hälfte der von ihr kontrollierten Gebiete im Irak verloren . Vor allem im Norden des Irak ist es den kurdischen Sicherheitskräften und den Regierungstruppen mit Unterstützung der internationalen Allianz gelungen, den IS in die Defensive zu drängen . Das bestätigt doch unseren Kurs . Der Ansatz, die irakischen Sicherheitskräfte durch Ausbildung und Ausrüstung zum Kampf gegen den IS zu befähigen, ist wirksam . Auch dank unserer Unterstützung konnten viele Menschen von der Schreckensherrschaft der Terrormiliz befreit und unzählige Menschenleben gerettet werden, und Zehntausende Vertriebene konnten in ihre Heimat zurückkehren . Das war es wert - trotz der Risiken, die ich überhaupt nicht vernachlässigen möchte . Den Bitten der irakischen Regierung und den wiederholten Aufrufen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sind wir damals gefolgt . Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben wir seit Februar 2015 12 000 Sicherheitskräfte ausgebildet . Frau Ministerin von der Leyen sprach schon davon: Es geht dabei um einen sogenannten inklusiven Ansatz . Er war uns von Anfang an wichtig . Denn es ging nicht nur um militärische Ausrüstung und um Ausbildung, sondern es geht um viel mehr . Wir haben dafür auch Anerkennung und Dank unserer kurdischen und zentralirakischen Partner erfahren . Klar ist aber auch: Wir werden noch einen langen Atem brauchen, bis im Irak dauerhaft wieder Stabilität und Frieden einkehren . Wir rechnen auch nicht mit einer raschen Befreiung Mosuls; darüber ist schon gesprochen worden . Im Großraum Mosul sind derzeit über 162 000 Menschen auf der Flucht vor den Gefechten . Noch ist es möglich, die humanitäre Versorgung dieser Menschen zu garantieren . Auch konnten bislang rund 20 000 Menschen wieder in Teile des südlichen Mosuls und die Vororte zurückkehren, weil die Sicherheitslage dies ermöglicht hat . Die militärische Komponente ist nur das eine . Aber sie ist der erste und wichtigste Schritt . Wichtig ist nun aber auch, die befreiten Gebiete dauerhaft zu stabilisieren, damit die vielen Binnenvertriebenen wieder in ihre Heimat zurückkehren und ein normales Leben führen können . Trotz schwieriger Bedingungen ist dies beispielsweise in Ramadi und Falludscha auf einem guten Wege . Deshalb arbeiten wir nicht nur an dieser militärischen Komponente, sondern wir arbeiten auch daran, dass die Menschen eine wirtschaftliche und eine soziale Perspektive in ihrer Heimat haben . Nur wenn es uns gelingt, den Menschen im Irak eine sichere Bleibeperspektive in ihrer Heimat zu eröffnen, wird auch die Zahl derer abnehmen, die einen  sehr gefahrvollen Weg auf sich nehmen, um ein Leben in Frieden und in Sicherheit zu finden.  Angesichts der gewaltigen Zerstörungen ist dieser Bedarf in allen befreiten Gebieten immens . Es geht dabei um die Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gesundheitseinrichtungen . In  der  öffentlichen  Debatte  kommt  mir  die  Gefahr  für die Bevölkerung etwas zu kurz, die von Mienen und Sprengfallen ausgeht . Auch hierbei sind wir konkret aktiv . Wir haben im Jahr 2016 die Stabilisierung mit 41 Millionen Euro unterstützt . Wir werden das in diesem Jahr unvermindert fortsetzen . Wir wollen die staatlichen Strukturen in den vom IS befreiten Gebieten stärken . Wir wollen vor allem aber auch zur Versöhnung beitragen . Das ist dieser inklusive Ansatz, von dem die Kolleginnen und Kollegen schon gesprochen haben, Herr van Aken . Denn sie ist die Voraussetzung für den Frieden . Beispielhaft nenne ich unser Engagement in der Arbeitsgruppe Stabilisierung der internationalen Koalition gegen den IS, in der wir gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den Kovorsitz übernommen haben . Dann möchte ich für die humanitäre Hilfe werben; denn ich weiß, dass es ohne Ihre Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht ginge . Denn Sie stellen uns die Finanzmittel im Haushalt zur Verfügung . Wir haben im Jahr 2016 rund 119 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Der Irak bleibt auch in diesem Jahr der Schwerpunkt der humanitären Hilfe der Bundesregierung . Wir haben auf der Washingtoner Geberkonferenz im Juli vergangenen Jahres für dieses Jahr noch einmal 60 Millionen Euro zugesagt . Das ist die Voraussetzung dafür, humanitäre Hilfe zu leisten und die Menschen mit Wasser sowie mit Nahrungsmitteln zu versorgen . Es gibt noch zwei weitere Schwerpunkte, bei denen Deutschland besondere Verantwortung übernommen hat . Wenn ich von „Deutschland“ rede, meine ich natürlich unsere Hilfsorganisationen . Das sind die medizinische Versorgung und die psychosoziale Betreuung der Opfer von Krieg und Vertreibung . Nur wenn die tiefen Wunden der Traumatisierung heilen, können wir verhindern, dass eine ganze Generation den Teufelskreis aus Hass und Gewalt endlos wiederholt . Es ist so unendlich wichtig, was dort viele Expertinnen und Experten täglich leisten . Ich bin froh, dass wir dazu einen Beitrag zu leisten vermögen . Die eigentliche zivile Stabilisierungsarbeit kann aber erst beginnen, wenn die Sicherheitslage dies zulässt . Da bin ich wieder bei der militärischen Komponente, die wir nicht außer Acht lassen dürfen . Deshalb ist der umfassende und vernetzte Ansatz sehr wichtig: die Unterstützung bei der Ausbildung und unser Engagement in den Bereichen Stabilisierung, Wiederaufbau, humanitäre Hilfe, langfristige Entwicklungszusammenarbeit und natürlich auch Diplomatie . Das alles greift ineinander . Da kann man nicht, wie Sie das seit Jahren beharrlich tun, eine wesentliche, aber nicht die einzige Komponente, einfach so herausnehmen . Alles gehört zusammen . Die Bundesregierung lässt sich von folgender Überzeugung leiten: Letztendlich - da sind wir vermutlich wieder einer Meinung, Herr van Aken - kann es nur eine politische Lösung der Krisen im Nahen und Mittleren Osten geben . Daher unterstützen wir die Initiativen, die von der irakischen Regierung unter Ministerpräsident al-Abadi ausgehen und die dazu beitragen, dass alle politisch Verantwortlichen am Prozess teilhaben . Denn: Je stärker der irakische Staat ist, desto mehr schwächt das Daesh . Gerade deshalb tragen wir in dieser Region Verantwortung . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie dieses Mandat so konstruktiv und generös begleiten . Mein besonderer Dank und Respekt gilt aber auch den Soldatinnen und Soldaten, die in den vergangenen zwei Jahren die Ausbildung in der Region Kurdistan-Nordirak oftmals unter ganz schwierigen Bedingungen aufgebaut und damit einen erfolgreichen Beitrag Deutschlands im internationalen Kampf gegen den IS geleistet haben . Ich danke ganz besonders den Expertinnen und Experten der Hilfsorganisationen, die eine humanitär beachtliche Arbeit für uns alle und für die internationale Gemeinschaft leisten . Deshalb bitte ich Sie aus voller Überzeugung um Ihre Unterstützung, dieses Mandat um ein weiteres Jahr zu verlängern . Die Menschen in der Region erwarten von uns, dass wir sie nicht im Stich lassen, sondern sie in ihrem Kampf um Menschenwürde und Freiheit weiterhin unterstützen . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Omid Nouripour .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir brauchen in der Auseinandersetzung mit ISIS Partner . Die autonome Region Nordirak ist einer der wichtigsten Partner, die wir haben . Nicht nur dort, sondern im gesamten Irak leiden Menschen unter der Barbarei von ISIS: Sunnitinnen und Sunniten, Schiitinnen und Schiiten, Jesidinnen und Jesiden sowie die Kurdinnen und Kurden . Gerade die Menschen im Nordirak übernehmen in einer Art und Weise Verantwortung, vor der man einfach nur den Hut ziehen muss, sowohl in der Auseinandersetzung mit ISIS als auch in der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen . Eine Ausbildung in der vorgesehenen Form kann Sinn machen . Schließlich bilden wir die Jesidinnen und Jesiden darin aus, sich selbst zu verteidigen . Im Übrigen berichten diese uns, dass sie diese Ausbildung auch deswegen bräuchten, weil sie sich manchmal gegen die Peschmerga verteidigen müssten . Die Mission finden wir an und für sich nicht  falsch.  Aber wir als Grüne werden ihr nicht zustimmen können, weil sich die Bundesregierung beispielsweise weigert, eine verfassungsgemäße Grundlage vorzulegen . Das ist eindeutig . ({0}) - Nein, das ist keine Flucht . Wir wissen, was uns Karlsruhe ins Stammbuch geschrieben hat: Man braucht für Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes ein System kollektiver Sicherheit . Dieses System liegt hier nicht vor; das haben wir letztes Jahr schon gesagt . Sie haben sich nicht darum bemüht, ein solches herzustellen . Deshalb können wir dem Mandat nicht zustimmen . ({1}) Zurzeit gibt es die Auseinandersetzung um Mosul . Ja, man muss großen Respekt vor dem haben, was dort an Mut, Disziplin, an Einsatz und an Opferbereitschaft von allen irakischen Streitkräften gezeigt wird; nicht von den Milizen, aber von Peschmerga auf der einen Seite und von der irakischen Armee auf der anderen Seite . Die Probleme sind sichtbar: Was passiert am Tag nach der Befreiung? Was passiert, wenn die letzte große Stadt von ISIS befreit worden ist? Was passiert mit den Dörfern, aus denen die Sunniten nach Berichten von Amnesty International und Human Rights Watch von Peschmerga vertrieben wurden und die zerstört worden sind, möglicherweise mit deutschen Waffen? Was ist mit den vielen  Problemen in Kurdistan, die immer deutlicher werden? Ich habe mir meine Rede in der Debatte im letzten Jahr angeschaut, und ich fürchte, ich könnte vieles Wort für Wort wiederholen . Das werde ich nicht machen . Aber es ist weiterhin so, dass - es ist gerade gesagt worden die Regierung in Erbil keine Legitimität hat . Es ist weiterhin so, dass eine große Fraktion, der Gorran, aus dem Parlament ausgeschlossen ist . Es ist weiterhin so, dass die Spaltung zwischen KDP und PUK voranschreitet, so stark wie schon lange nicht mehr und so sichtbar und zementiert wie noch nie, auch physisch in Form von Grenzen . Es gibt mittlerweile eine feste Grenzziehung zwischen den Regionen Sulaymaniyah und Erbil . Die Bundesregierung ist einer der größten Geber in der autonomen Region Nordirak, und sie sagt zu all diesen Dingen einfach gar nichts . Ich frage mich die ganze Zeit: Warum nicht? Nach den Reden der Mitglieder der Bundesregierung, die ich gerade gehört habe, weiß ich es: Sie stecken immer noch im August 2014 fest und haben das, was in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist, anscheinend überhaupt nicht mitbekommen . ({2}) Es tut mir leid: Das ist keine verantwortungsvolle Politik . ({3}) Zu den Waffenlieferungen. Es ist gerade gesagt worden: Sie haben es sich nicht zu leicht gemacht . - Ich teile das; das ist richtig . Ich habe das damals beobachtet und weiß: Niemand in diesem Hohen Hause hat es sich zu leicht gemacht . Aber gerade weil die Debatte damals so kontrovers und emotional war, hat man doch als Bundesregierung, die die Waffen geliefert hat - auch bei uns  gab es Menschen, die das richtig gefunden haben -, eine Verantwortung, sich darum zu kümmern, was mit diesen Waffen passiert. ({4}) Es  gibt  wachsende  interne  Konflikte  innerhalb  der  Peschmerga . Es gibt Skandale, die hier aufschlagen, um den Verkauf der Waffen. Es gibt keine Transparenz in der  KDP-Administration . Es gibt mittlerweile ein massives Überschwappen der Auseinandersetzungen zwischen Erdogan und der PKK . Und im November lieferte die Bundesregierung Tausende von Gewehren und Millionen von Schüssen . Ich habe die Bundesregierung vorgestern gefragt, was denn eigentlich mit der Endverbleibskontrolle ist . Die Antwort - in meinen Worten - lautete: Wir wissen es nicht; wir wollen es aber auch nicht so genau wissen . Das ist in einer so fragilen Region ausgesprochen fahrlässig und verantwortungslos . Sie können nicht angesichts der Risiken einfach den Kopf in den Sand stecken . Die Risiken gab es schon damals; wir haben sie abgewogen und kamen diesbezüglich zu verschiedenen Ergebnissen . Ich gebe zu, dass man auch zu Ihren Ergebnissen hätte kommen können; aber das entlässt Sie nicht aus der Verantwortung, sich heute darum zu kümmern und sehr klar und laut zu fragen, wo diese Waffen gelandet sind . Das tun Sie nicht . Das ist aus meiner Sicht beschämend und hat mit der guten Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten vor Ort machen, nichts zu tun . Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Gründlichkeit, mit der dort ausgebildet wird . Dann wäre es für uns auch wieder möglich, darüber zu sprechen, wie wir einem solchen Mandat zustimmen können . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Dr . Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns ist der Irak ein Schlüsselstaat in der Region, und wir müssen alles tun, um diesen Staat zu stabilisieren . Wir müssen den Kampf gegen den IS fortsetzen . Das ist die wesentliche Begründung für dieses Mandat gewesen . Der Kampf gegen den IS ist erfolgreich gewesen . Ich will durchaus konzedieren, dass manches, was der Kollege von Aken an kritischen Punkten genannt hat - Kollege Nouripour hat das unterstrichen -, natürlich von uns gesehen werden muss . Nur: An die Player, an diejenigen, die staatliche Gewalt im Irak besitzen, können wir nicht westeuropäische Maßstäbe anlegen . Das muss man einfach konzedieren . Man muss eine Güterabwägung  treffen  in  einer  ganz  konkreten  Situation.  Es gab eine politisch-ethisch schwierige Abwägung, bevor wir den Einsatz beschlossen haben . Aber wenn Sie, Herr Kollege von Aken, heute sagen, wir hätten mit diesem Einsatz massive Menschenrechtsverletzungen unterstützt, dann verkehren Sie die Sache ins Gegenteil . Wir haben einen kleinen, angemessenen, aber auch notwendigen Beitrag dazu geleistet, dass die massiven Menschenrechtsverletzungen durch den sogenannten „Islamischen Staat“ gestoppt werden konnten . ({0}) Das war der wesentliche Grund für diesen Einsatz, und den muss man sicherlich auch weiterhin unterstreichen . Im Irak gibt es nach wie vor staatliche Kräfte - das sind die positiven Kräfte, die wir unterstützen -, die mit einem inklusiven Ansatz versuchen, den Staat aufrechtzuerhalten, indem Sunniten und Schiiten - Mehrheit Schiiten, Minderheit Sunniten - versuchen, möglichst miteinander auszukommen und übrigens auch die Kurden zu integrieren . Das ist Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, in Syrien so wahnsinnig wichtig . Ein Zwischenruf in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses war da sehr bezeichnend . Als es nämlich um die Unterstützung der irakischen Kurden ging, gab es den Zwischenruf: Das sind die falschen Kurden . - Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann sich in dieser Situation halt nicht immer die richtigen Kurden aussuchen . Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist, übrigens auch bei den Gesprächen in Astana, die Kurden in Syrien zu integrieren . Ich bin aber auch der Überzeugung, dass es notwendig ist, die Kurden im Irak zu integrieren, auf sie einzuwirken . Die Möglichkeit dazu haben Sie am Ende aber nur, wenn Sie kooperieren, wenn Sie den Kurden auch eine gewisse Unterstützung geben . Sie müssen diesen Kurden aber auch sagen - darin stimmen wir wahrscheinlich sogar überein -: Das ist kein Mittel zum Zweck, um sich selbstständig zu machen, um diesen Staat Irak zu zerstören . Wir werden mit kleinen Ministaaten, die an sich alle wirtschaftlich und politisch in dieser Region nicht lebensfähig wären, keine bessere Politik haben . Deswegen ist es Ziel unserer Politik, dafür zu sorgen, dass der Irak ein Staat bleibt, ein inklusiver Staat bleibt, auch mit einer kurdischen Vertretung in diesem Staat . Das ist die Politik der Bundesregierung . An dieser Stelle muss ich etwas zum Vorwurf des Kollegen Nouripour sagen . Die Bundesregierung, auch Vertreter der Koalitionsfraktionen sagen immer wieder in allen Gesprächen, die sie mit den Kurden führen, die sie mit Vertretern aller politischen Fraktionen führen, die es dort gibt - Sie haben sie aufgezeigt -: Unsere Politik ist ganz klar; wir unterstützen die Kurden an dieser Stelle, aber wir erwarten, dass sie Teil des irakischen Staates bleiben, und wir leisten keinen Beitrag zu Abspaltungstendenzen . - Das ist klar unsere Position und die Position der Bundesregierung . ({1}) Wie geht es weiter? In der jetzigen Situation muss man die Frage beantworten: Beendet man jetzt die Unterstützung, oder setzt man sie fort? Natürlich gibt es an dem, was in Kurdistan politisch passiert, manches zu kritisieren . Natürlich braucht der Präsident eine neue demokratische Legitimität; das kann man überhaupt nicht bestreiten . Selbstverständlich ist das unser Ansatz . Entscheidend aber ist Mosul - die Frau Bundesministerin hat darauf hingewiesen -, wo der sogenannte „Islamische Staat“ von dem sogenannten Kalifen Baghdadi ausgerufen worden ist . Mosul ist nicht nur wegen der Hunderttausenden Menschen, vielleicht Millionen Menschen, die dort leben, von großer Bedeutung, sondern eben auch, weil die Stadt eine große symbolische Bedeutung für den sogenannten „Islamischen Staat“ hat . Deswegen müssen wir auf dem weiteren Weg konsequent bleiben und weiterhin auch unsere militärische Unterstützung liefern . Das ist nur ein Segment unserer Politik zur Stabilisierung des Irak, aber ein unverzichtbares Element . Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, dass diese Ausbildungsmission fortgesetzt wird . Herzlichen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Einsatz beenden würden, wäre das Fazit dieses Mandats positiv . Das Einsatzkontingent in Erbil hat in den vergangenen zwei Jahren sehr erfolgreich kurdische und irakische Kämpfer ausgebildet . Der maßgebliche Auftrag des Deutschen Bundestages, die Bekämpfung der Miliz, deren menschenverachtende Gewaltakte bis nach Deutschland reichen, wird im Irak wirksam ausgeführt . Die Terroristenorganisation IS konnte  aus  weitflächigen  Rückzugsräumen  vertrieben  werden . Die Peschmerga haben an nur einem Tag die vereinbarten Haltepunkte vor Mosul eingenommen . Seitdem verteidigen sie diese Linie . Insgesamt genießt die Bundesrepublik als Partner Erbils sowie Bagdads großes Vertrauen, das insbesondere durch die zuverlässige Zusammenarbeit mit der Bundeswehr entstehen konnte . Ist daher nicht jetzt oder spätestens nach der Einnahme Mosuls der richtige Zeitpunkt, an dem wir erfolgreich diese Mission abschließen können - ein durchweg positives Ergebnis und dann Strich drunter? Hinter jeder Konfliktlinie steckt eine weitere mögliche Auseinandersetzung: die Beziehungen zwischen Erbil und Bagdad, die innerkurdischen Dispute, die Rolle der schiitischen Volksmobilisierung und die destabilisierenden Einflüsse  externer Partner, daneben die über 2 Millionen Binnenflüchtlinge,  die  zusätzlich  zur  Wirtschafts-  und  Haushaltskrise vor allem Kurdistan und Irak zu schaffen machen . Noch herrscht durch die IS-Bedrohung der Geist der Einheit; aber was passiert am Tag danach? Mir zeigen gerade diese Unsicherheiten, dass die Verlängerung des Mandats unerlässlich ist . Die Bundeswehr wird auch über die Zerschlagung des IS hinaus als Stabilisierungsfaktor in der Region notwendig sein . Der Irak ist aufgrund seiner geostrategischen Position sowie als Akteur im Kampf gegen den IS ein Schlüsselland . Gerade weil wir in der Region als verlässlicher Partner wahrgenommen werden, ist unsere Präsenz vor Ort weiterhin entscheidend . Wir müssen aber auch das Gleichgewicht zwischen Erbil und Bagdad im Blick haben . Die Entscheidungen, irakische Streitkräfte vermehrt in die Ausbildung einzubinden sowie im Rahmen der NATO einen Militärberater nach Bagdad zu senden, sind in diesem Kontext wichtige Signale . Unser Engagement muss auch dazu dienen, die Zusammenarbeit zwischen irakischer Zentralregierung und kurdischer Regionalregierung zu verbessern . Herr van Aken, wir können uns eben die Akteure vor Ort nicht aussuchen . Wir müssen die Situation, in der wir dort sind, nutzen, unseren Einfluss geltend machen, um  natürlich für entsprechend positive, auch demokratische, Entwicklungen zu sorgen . Aber ich würde mir manchmal wünschen, dass Sie Ihren Maßstab von Demokratie beispielsweise auch bei der Russischen Föderation anlegen . ({0}) - Sie und vor allem Ihre Partei . Auch bei den humanitären Fragen sollten wir unseren Blick entsprechend schärfen . Es ist eine Illusion, zu glauben, dass sich Konflikte auf das Land und den Kontinent  begrenzen . Uns sollte bewusst sein, dass die Stabilität des Iraks ganz maßgeblich im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands liegt . Wir haben im Falle Syriens gemerkt,  wie  massiv  die  Folgen  auch  Europa  treffen  können . Sollte es uns nicht gelingen, den Irak weiter zu stabilisieren, können aus den mehr als 2 Millionen Binnenflüchtlingen auch schnell viele Millionen Flüchtlinge  werden, die nach Europa aufbrechen . Nicht nur aus humanitärer Verantwortung, sondern auch aus eigenem Interesse müssen wir uns bei der Konfliktbewältigung weiter  engagieren. Mein Dank  gilt  an  dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten, die direkt an der Ausbildung beteiligt sind, militärische Hilfslieferungen oder Bauprojekte begleiten und damit ihren Beitrag zum Erfolg dieses Einsatzes leisten . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 18/10820 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Dr . Axel Troost, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zulassungspflicht für Finanzprodukte schaffen - Finanz-TÜV einführen Drucksache 18/9709 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist auch dies so beschlossen . Ich bitte Sie, jetzt die Plätze zügig einzunehmen . Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat für die  Fraktion Die Linke Susanna Karawanskij . ({1})

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Eine Frage: Würden Sie mit ihren Kindern oder Enkeln auf den Rummel gehen und Riesenrad fahren, wenn Sie wüssten, dass das Gerüst nicht zugelassen ist oder es nicht den Sicherheitsvorschriften entspricht? Oder würden Sie eine Kopfschmerztablette einnehmen, wenn Sie nicht wüssten, dass das Medikament auch zugelassen ist? ({0}) - Genau, würden Sie nicht . Ich würde es auch nicht machen . Aber die Eltern, die Mütter, die für ihre Kinder etwas Geld anlegen wollen, und die baldigen Ruheständler, die Geld für die ruhigeren Tage zurücklegen wollen, sind am Finanzmarkt auf sich selber gestellt . ({1}) Denn da gilt: Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt . Fast jede Bank kann ein noch so komplexes Produkt auf den Markt bringen und verkaufen . So wird der Finanzmarkt tagtäglich mit einer wirklich unüberschaubaren Anzahl von Finanzprodukten überschwemmt, und das Ganze wird damit immer unbeherrschbarer . Die fortwährende Finanzkrise, mit der wir es zu tun haben, hat sich unter anderem gerade auch wegen der komplexen Finanzinstrumente und ihrer völlig falsch eingeschätzten Werthaltigkeit über den Globus ausgebreitet . Die Verbraucherinnen und Verbraucher können keinen Durchblick behalten und tappen dann schnell in die Falle . Sie kaufen ein Produkt, das ihren Risikoneigungen überhaupt nicht entspricht . Auch der Gang zu einem Finanzberater schafft nicht wirklich Abhilfe; denn er kann  auch nur sehr schwer einschätzen, mit welchem Risiko die Geldanlagen tatsächlich behaftet sind . Außerdem berät er meistens auch mit Blick auf eine zu erwartende Provision und damit eben nicht immer hundertprozentig verbrauchergerecht . Nach unterschiedlichen Schätzungen verlieren die Bundesbürger jährlich bis zu 98 Milliarden Euro wegen - meist auf der Erwartung von Provision basierender - Falschberatung bei Abschluss von Kapitalanlagen . Bei Prokon - ich denke, der Skandal dürfte Ihnen noch in Erinnerung sein - haben die 75 000 Anlegerinnen und Anleger durch angeblich sichere Genussrechte bislang etwa 1,4 Milliarden Euro verloren . Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland besitzen ungefähr 90 Millionen Lebensversicherungsverträge, und die Anbieter von Lebensversicherungen haben einen Kapitalanlagebestand von gut 885 Milliarden Euro . Ist es angesichts solcher Zahlen nicht völlig absurd, dass niemand prüft, ob die Anleihe, das Derivat oder das Zertifikat den Verbraucherinnen und Verbrauchern,  den  Rentenversicherungen, den Lebensversicherungen oder sogar der Volkswirtschaft gefährlich werden kann? ({2}) - Ja, in der Vergangenheit wurden Instrumente geschaffen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen . ({3}) Die Finanzaufsicht prüft vorab aber lediglich formal, ob die Prospekte für ein neues Produkt vollständig und damit kohärent sind . ({4}) Sie prüft nicht inhaltlich . Somit kommt tatsächlich gefährlicher Finanzschrott auf den Markt . Es gibt die Möglichkeit der sogenannten Produktintervention, und es gibt die Marktwächter Finanzen . Sie werden aber höchstens im Nachhinein tätig, ({5}) was bedeutet, dass sie sich erst dann inhaltlich mit einem Finanzprodukt auseinandersetzen, nachdem das Produkt auf den Markt gekommen ist und schon entsprechende Schäden bei den Anlegern angerichtet hat . Das ist für uns nicht ausreichend . Wir als Linke fordern eine Verfahrensumkehr und einen Finanz-TÜV . ({6}) Im Gegensatz zum derzeitigen Zustand wollen wir nämlich, dass zukünftig jedes Finanzprodukt ausdrücklich durch qualifizierte Fachleute  zugelassen wird, bevor  es  auf den Markt kommt . Beim Finanz-TÜV geht es um eine präventive Regulierung nach dem Vorsorgeprinzip, damit die Märkte nicht  weiter  mit  Finanzschrott  geflutet  werden  können  und die Finanzbranche nicht weiter sehr kreativ bestehende Regulierungen umgehen kann, wodurch vor allen Dingen ungeeignete Produkte in die Hände von Kleinanlegern kommen . ({7}) Durch die ausdrückliche Erstzulassung von Finanzinstrumenten, Finanzmarktakteuren und -praktiken sollen die Märkte entsprechend entschlackt und systemische Risiken minimiert werden . ({8}) Zudem sollen entsprechend transparente, einfache, kostengünstige, risikobeherrschbare Finanzprodukte auf den Markt kommen und gleichzeitig schädliche Geldanlagen herausgefiltert  werden,  damit Anlagepleiten  vermieden  werden können . Klar ist, dass ein solcher Finanz-TÜV auf europäischer Ebene - am besten bei der ESMA - etabliert werden sollte, weil es überhaupt nichts nützt, wenn ein Finanzprodukt in Deutschland verboten ist, in Belgien aber zugelassen wird . ({9}) Um es an dieser Stelle aber ganz deutlich zu sagen: Wir wollen kein Verbot von Kapitalanlagen jenseits des Sparbuchs . Das ist nicht unser Anliegen . Wer zocken will, soll das gerne auch weiterhin tun können . Aktien und andere riskante Produkte sollen auch weiterhin in die Hände von Kleinanlegern gelangen können, solange sie transparent und seriös sind . Eine Zulassung durch den Finanz-TÜV soll eben nicht wie ein Unbedenklichkeitssiegel wirken, das zum Beispiel sagt, dass dadurch Verluste ausgeschlossen sind . Sie verklagen ja auch nicht einen Fönhersteller, weil ihre Haare nicht schnell genug trocken werden, oder einen Autohersteller, weil Sie mit dem Fahrzeug zu schnell gefahren sind . ({10}) Zum Abschluss möchte ich noch etwas zur Finanzierung des Finanz-TÜVs sagen . Die Prüfung durch ausreichend qualifiziertes Personal kostet  zwangsläufig Geld.  Mit zunehmender Komplexität eines Produkts wird die Prüfung immer mehr kosten; das ist klar . Wir haben dabei folgenden grundlegenden Gedanken: Die Herausgeber der Finanzinstrumente zahlen für die Prüfung entsprechend dem Prüfaufwand . Ich denke, dass allein dadurch die  Finanzprodukte  zwangsläufig  ein  bisschen  vereinfacht werden . ({11}) Der vorliegende Antrag greift unsere Kernforderungen zum Finanz-TÜV auf . Ich kann Ihnen nur wärmstens empfehlen, innerhalb der parlamentarischen Beratungen auch unser umfassendes Konzeptpapier dazu durchzulesen . Vielen Menschen, die für das Alter vorsorgen wollen, können Sie durch die Annahme unseres Vorschlags Enttäuschungen ersparen . Gerade in einem Wahljahr wie diesem sollte es in Ihrem Interesse liegen, die Menschen ins Zentrum zu rücken und nicht die Finanzmarktlobby . Vielen Dank . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Frank Steffel,  CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Karawanskij, Sie haben Ihre Rede begonnen - Sie haben das charmant vorgetragen - mit dem Hinweis auf Medikamente . Das klingt für die Zuhörer sicherlich überzeugend, ({0}) sodass sie sich fragen: Warum machen wir es nicht so einfach? - Sie sollten aber fairerweise darauf hinweisen, dass es bei Medikamenten erstens einen Beipackzettel gibt und zweitens die Nebenwirkungen angegeben sind . Nur weil ein Medikament mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit möglicherweise Nebenwirkungen hat, wird es nicht verboten . Wenn wir alle Medikamente verbieten würden, die Nebenwirkungen haben könnten, dann gäbe es in Deutschland keine Medikamente . ({1}) - Melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage . Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung . Ansonsten sollten Sie mich meine Argumente genauso vortragen lassen, wie ich es bei Ihnen getan habe . Wenn Sie das bei Finanzprodukten ähnlich machen wollen, dann gilt das Gleiche . Sie können natürlich sagen: Wir verbieten alle Finanzprodukte, die Nebenwirkungen haben . - Aber, meine Damen und Herren Zuhörer, Sie müssen wissen, dass das dann nicht nur hochspekulative, von uns allen als dubios und unseriös eingeschätzte Produkte  betrifft,  sondern  auch  den  Ökobauernhof  um  die Ecke, das Sozialprojekt, das Kulturprojekt und den Sportverein, der ein paar Tausend Euro für das neue Vereinsheim sammelt . Das alles müssten wir - weil es Risiken birgt und Nebenwirkungen hat - ebenfalls verbieten . ({2}) Sie erwecken des Weiteren den Eindruck - das ist schon erstaunlich -, dass diese Bundesregierung und auch ihre Vorgängerin seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise nicht unendlich viel für die Stabilisierung der Finanzmärkte und insbesondere für den Anlegerschutz getan hätten . Ich gebe Ihnen trotzdem recht - ich sage das sehr klar -: Natürlich ist dieser Markt hoch dynamisch . Wir alle müssen aufpassen und schnell genug sein, wenn es um Regulierung, Nachjustierung und den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Geld anlegen wollen, geht; denn die Finanzindustrie ist außergewöhnlich kreativ . Wir alle arbeiten ständig mit Hochdruck und versuchen, rechtzeitig wirksame Regelungen zu  finden,  nachzujustieren  und  übrigens  aufzuklären,  aufzuklären, aufzuklären . Der Deutsche Bundestag hat aus diesem Grunde gerade im Finanzbereich so viele Gesetze beschlossen wie nur selten zuvor zu einem anderen Thema in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland . ({3}) Wir haben seit 2007 Gesetzeslücken geschlossen . Wir haben mit unglaublichem Aufwand die Transparenz der Vermögensanlagen erhöht . Wir haben zur Stabilisierung der Finanzmärkte und zum Schutz der Anleger sehr viel getan . Wir haben 40 Maßnahmen zur dauerhaften Stabilisierung der Finanzmärkte auf nationaler und insbesondere auf europäischer Ebene ergriffen; es gibt diverse  Gesetze . Wir haben die Bankenunion beschlossen . Damit gibt es eine europäische Aufsicht . Denn wir haben in der Krise lernen müssen: Es nutzt uns gar nichts, wenn wir Deutsche das perfekt machen . Wenn Lehman Brothers in Amerika Probleme bekommt, dann wackelt auch der deutsche Finanzsektor, mit allen Konsequenzen für den deutschen Anleger . Wir haben die europäische EinSusanna Karawanskij lagensicherung und den europäischen Bankenabwicklungsmechanismus auf den Weg gebracht . Wir haben die Bankenaufsicht für alle Banken Europas bei der EZB angesiedelt . Übrigens sagen uns alle, die damit zu tun haben, dass das hervorragend klappt . ({4}) Viele von uns hatten die Sorge, dass das nicht vernünftig funktionieren wird . Nein, selbst die Bundesbank sagt uns, dass es mindestens so gut klappt wie bei uns in Deutschland . Wir sollten das heute einmal erwähnen und stolz darauf sein, was der Deutsche Bundestag gerade in diesem Bereich beschlossen hat . ({5}) Ich möchte Sie an das Kleinanlegerschutzgesetz erinnern . Wir haben vor wenigen Monaten ein Kleinanlegerschutzgesetz beschlossen . Wir haben hier den Verbraucherschutz zu einem weiteren Aufsichtsziel unserer BaFin erklärt . Wir haben den Vertrieb problematischer Produkte dramatisch beschränkt . Wir verbieten irreführende Werbung; denn das war ein Teil der Probleme: Man hat den Menschen Sicherheit - bei hoher Rendite - versprochen . Das kann es natürlich nicht geben . Wenn Sie 15 Prozent Zinsen erwarten, dann haben Sie ein hohes Risiko . Das ist das kleine Einmaleins der Marktwirtschaft . Jemand wird 15 Prozent nur zahlen, weil er für 3 Prozent niemanden findet. Damit ist das Risiko naturgemäß höher als bei 3 oder 4 Prozent . Wir ermöglichen der BaFin, bereits zu Beginn einer Vermarktung eine Beschränkung oder ein Verbot auszusprechen . Das heißt, die BaFin kann genau das, was Sie fordern . Sie kann verhindern, dass problematische Produkte in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt erst auf den Markt kommen . Wir haben den Vertrieb eingeschränkt und gesagt: Bestimmte Produkte dürfen nur an Menschen vertrieben werden, die von dem Produkt auch etwas verstehen . ({6}) Übrigens, meine Damen und Herren, dieser Satz gilt immer - ich sage das gerade und besonders gerne hier im Deutschen Bundestag, wenn  hoffentlich  ein  paar Menschen zuschauen und zuhören -: Kaufe kein Produkt, das du nicht verstehst . Das ist der Hinweis an jeden Menschen, der Geld anlegen möchte: Kaufe nur Produkte, die du verstehst . - Wenn das geschähe, hätten wir übrigens einen Großteil der Probleme schon gelöst . ({7}) Das Kleinanlegerschutzgesetz hat darüber hinaus eine Mindestlaufzeit eingeführt, weil kurze Laufzeiten ein großes Problem waren . Es hat ein Kündigungsrecht eingeräumt . Heute kann man, wenn man ein Finanzprodukt kauft, wie bei anderen Produkten auch innerhalb einer gewissen Frist sagen: Ich habe mich geirrt, ich habe mich schlaumachen lassen, ich trete vom Kaufvertrag zurück . - Das war früher nicht so . Das, was für viele andere Produkte galt, galt für Finanzprodukte nicht . - Auch diese Verbesserungen hat diese Koalition eingeführt . Wir haben bei der Erarbeitung dieses Gesetzes - die Kolleginnen und Kollegen, die wie ich damit befasst waren, werden das bestätigen können - gelernt, wie heterogen auch der kleine Finanzmarkt ist . Ich habe zwischen der ersten und zweiten Lesung über 60 Zuschriften von kleinen Unternehmen, Sozialprojekten, Kulturprojekten und Bürgerinitiativen bekommen, die gesagt haben: Wir sammeln Geld ein, aber wir führen nichts Böses im Schilde . Achtet darauf, dass ihr unsere Arbeit nicht durch gesetzliche Regelungen unmöglich macht . Wir haben deshalb in der Beratung hier im Bundestag das Gesetz an vielen Stellen nachjustiert und gesagt: Wir wollen, dass auch ein Sozialprojekt 50 000 Euro einsammeln kann . Und wir wollen, dass es im Rahmen eines Wohnprojekts Mieterinnen und Mietern ermöglicht wird, ein Haus etwa zu kaufen . Natürlich gibt es da ein Risiko . Es gibt bei jeder Finanzanlage ein Risiko . Immer gibt es ein Risiko, wenn man Geld hat, das man irgendwo hinpackt, um damit Geld zu verdienen . Das ist ein Naturgesetz der Marktwirtschaft . Und darüber müssen wir aufklären . Im Übrigen gibt es nicht gute und schlechte Finanzprodukte, wie Sie versuchen, das den Menschen einzureden . ({8}) - Nein, das Finanzprodukt, Herr Schick, richtet sich natürlich am Ziel und am Anlegerkreis aus . Wenn Sie für sich entscheiden, von Ihrem üppigen Einkommen hier im Deutschen Bundestag 1 000 Euro in ein hochriskantes Geschäft zu stecken, weil Sie die Hoffnung haben, dass  aus den 1 000 Euro 100 000 Euro werden, dann ist das Ihre freie Entscheidung . Wenn ein anderer - weil er bescheidener ist als Sie - entscheidet, die 1 000 Euro in ein vermeintlich ganz sicheres Produkt zu packen, wo er nur 0,2 Prozent Zinsen bekommt, dann ist das seine ganz persönliche Entscheidung . Und diese Entscheidung soll auch jeder Deutsche treffen können. Das wollen wir! Er  muss nur wissen, wofür er sich entscheidet . ({9}) Er muss wissen, welches Produkt er kauft . Deswegen haben wir gesagt: Es muss eine klare Aufklärung, große Warnhinweise und eine Einschränkung der Vertriebswege geben . Und die Werbung darf nicht mehr irreführen . Das gibt es in vielen anderen Bereichen des Lebens übrigens auch, nur, im Finanzbereich sind die Auswirkungen besonders elementar . Deswegen hat der Staat eingegriffen . Wir werden - ich will das abschließend noch erwähnen - weitere Gesetze beschließen . Wir machen gerade das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz . Hier werden wir natürlich wieder hingucken, wo wir nachjustieren und an welchen Stellen wir den Entwicklungen folgen müssen, die der Markt in den letzten Monaten oder Jahren genommen hat . Meine Damen und Herren, Ihre Forderung nach einem Finanz-TÜV hört sich super an . Und ich sage noch einmal: Sie haben das lustig vorgetragen . Kompliment an Ihren Redenschreiber! - Sie haben den Menschen das Gefühl gegeben, man kann bei Finanzprodukten zwischen guten und schlechten bzw . sicheren und unsicheren unterscheiden . Meine Damen und Herren, so einfach ist die Welt nicht . Es wird immer unterschiedliche Finanzprodukte geben . Selbst die vermeintlich sichere Aktie der Deutschen Bank hat gerade in diesem Jahr bewiesen, dass es Risiken gibt . Und keiner weiß, wo der Kurs morgen steht . Denn wenn wir das wüssten, dann säßen wir alle nicht hier, sondern würden unser Geld entsprechend anlegen und ab morgen unser Leben in der Sonne verbringen . Insofern werden wir damit leben müssen, dass es Unsicherheiten gibt . Ein TÜV gaukelt Sicherheit vor, die es nicht gibt . Man kann Produkte nicht unterscheiden, indem man rote und grüne Ampeln einführt . Ich komme zurück zu den Medikamenten . Sie können Medikamente nicht verbieten, nur weil eines von tausend möglicherweise Nebenwirkungen hatte, die wir alle nicht wollen . Dies gilt auch für Finanzprodukte . ({10}) Wir wollen Aufklärung und Sicherheit für die Verbraucher . Wir wollen, dass sich die Menschen bewusst für etwas entscheiden können . Deswegen werden wir weiter regulieren, aber nicht populistisch und einfach . So, wie Sie mit Ihrem sozialistischen Weltbild sich die Welt vorstellen, ist sie nicht . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das hat jetzt die Frau Karawanskij dazu bewegt, eine Kurzintervention zu beantragen . Bitte schön, Frau Kollegin .

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Steffel, erst einmal vielen Dank dafür, dass Sie  meinen Mitarbeitern zutrauen, eine Rede zu schreiben, aber nicht mir . Das mache ich immer noch selber! ({0}) Zum anderen danke ich Ihnen dafür, dass Sie meine Rede amüsant fanden . Ich denke angesichts des Amüsements durch meine Rede: Sie hätten besser zuhören sollen . Ich habe in meiner Rede und im Übrigen auch in unserem Antrag - das lässt mich vermuten, dass Sie ihn doch nicht gelesen haben - nicht davon gesprochen, dass wir Finanzprodukte verbieten wollen; das ist überhaupt nicht unser Anliegen . Unser Anliegen ist es, eine Zulassung für Finanzprodukte mit einem Finanz-TÜV zu etablieren . Das kommt keinem Verbot gleich; denn verboten werden kann etwas erst, wenn es überhaupt existent ist . Vielmehr geht es darum, dass es vorher zugelassen wird . Sie haben es ja eben selber gesagt - ich habe es in meiner Rede auch gewürdigt; das finden wir auch gut -,  dass für den Kleinanlegerschutz in dieser Legislaturperiode schon viel gemacht worden ist . Wenn Sie sagen, dass bereits so viele Regulierungen auf den Weg gebracht worden sind, dann müssten Sie doch gar kein Problem damit haben, wenn wir jetzt sagten: Wir sollten dieses Hase-und-Igel-Spiel beenden . Wir sollten nicht immer weiteren Novellierungsgesetzen - wenn ich es richtig sehe, haben wir das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode auf dem Tisch hinterherlaufen . Wir sollten dem Ganzen den Garaus machen und einfach grundsätzlich festlegen - in anderen Gesetzen tun wir es bereits -, dass Kleinanlegerinnen und Kleinanleger dadurch geschützt werden, dass sie nur das tatsächlich in die Finger bekommen, womit sie auch umgehen können . Dafür sind natürlich gesunder Menschenverstand und Informationsblätter, die den Produkten quasi als Beipackzettel beigefügt sind, notwendig . Insofern brauchen Sie doch gar kein Problem mit dem von uns geforderten Finanz-TÜV zu haben . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Steffel.

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Karawanskij, ich fand nicht Ihre Rede, sondern einige Beispiele Ihrer Rede amüsant . Was die Zulassung angeht, ist es ganz einfach: Eine Zulassung von Produkten beinhaltet logischerweise die Nichtzulassung von anderen Produkten, und die Nichtzulassung von anderen Produkten bedeutet de facto das Verbot dieser anderen Produkte . Deswegen sage ich völlig zu Recht: Sie wollen mit Ihrem Antrag Produkte verbieten . Übrigens, Regelungen dafür gibt es . Wir sagen: Das ist nicht die Lösung; lasst uns vielmehr aufklären . Lasst uns schauen, dass wir einfach allen Menschen die Möglichkeit geben, sich frei zu entscheiden und dabei keinen Fehler zu machen . - Ich habe dazu das Nötige gesagt . Es ist Freitagmittag. Ich hoffe, dass Sie am Wochenende darüber nachdenken und Montagmorgen schlauer zurückkommen . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Jetzt hat der Kollege Dr . Gerhard Schick, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort . - Bitte schön .

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auseinandersetzung hat gerade schon gezeigt, dass die Frage, wie viele Regeln es eigentlich braucht, wie viele Vorgaben der Staat machen soll, immer heiß umstritten war . Wenn man sich anschaut, wie sich die CDU/ CSU-Fraktion über Jahre hinweg gegen Verbote bei offensichtlich schlechten, nämlich intransparenten Finanzprodukten, die für die Kunden eindeutig gefährlich sind, gewehrt hat, dann merkt man: Es waren genau dieselben Argumente, die Sie heute vorgetragen haben, Herr Steffel. Sie haben heute zugegeben, dass Produktverbote  manchmal schon notwendig sind . Daher sage ich Ihnen: Wägen Sie Ihre Argumente noch einmal sehr gut . Es gibt nämlich sehr wohl schlechte Finanzprodukte . ({0}) Es gibt zu viele schlechte Finanzprodukte, nämlich solche, bei denen das, was das Finanzprodukt eigentlich ausmacht, verschleiert wird, ohne dass der Kunde das nachvollziehen kann . Von dieser Art Produkte gibt es Hunderttausende in Deutschland . Damit sind wir bei einem Zustand, den man einfach einmal sehen muss. Herr Steffel, Sie haben gesagt: Wir  müssen aufpassen, dass wir schnell genug sind . - Leider ist der Staat unter dieser Bundesregierung nicht schnell genug.  Seit  2008  hat  die Menge  der  Zertifikate,  die  in  Deutschland zirkulieren, zugenommen . ({1}) Die Lebensversicherungen sind an vielen Stellen immer noch intransparent, und die Auszahlungen für die Kunden sind nicht nachvollziehbar . Deswegen muss man sagen: Diese Regierung ist gegenüber dem Finanzmarkt nicht schnell genug . ({2}) Was leistet jetzt ein Finanz-TÜV, wie er im Antrag vorgeschlagen wird? Erst einmal möchte ich sagen: Im Vergleich zu dem, was in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen wurde, gibt es eine entscheidende Verbesserung: Sie setzen jetzt nämlich auf die europäische Ebene, weil wir einen europäischen Finanzbinnenmarkt haben - das haben Sie erkannt -, und deswegen wird eine solche Zulassung europäisch verankert sein müssen . Die Frage, inwieweit der Staat für das haftet, was er zugelassen hat, ist jetzt beantwortet - wunderbar . Es gibt trotzdem entscheidende Schwächen, und die muss man sehen . Mein erstes Beispiel für diese Schwäche betrifft jetzt  nicht den Verbraucherbereich, sondern Derivate wie zum Beispiel Kreditausfallversicherungen, die berühmten Credit Default Swaps . Was solche Absicherungsgeschäfte zwischen einzelnen Unternehmen und Banken betrifft, so sind das erst einmal Produkte, bei denen eine  Behörde sagen würde: Das können wir zulassen . - Möglicherweise können in einem Einzelfall zwischen Unternehmen, die genau wissen, was sie machen, bestimmte Absicherungen Sinn machen . Wenn das aber zum Massengeschäft wird und plötzlich ein Riesenmarkt daraus entsteht, dann wird das in einer Immobilienkrise eine massiv gefährliche Geschichte . So gibt es verschiedene Produkte, die in ihren Ursprüngen gar nicht mal völlig verkehrt waren, als sie in Einzelfällen genutzt wurden, die aber in ihrer Gesamtwirkung für den Markt fatal werden können . Wenn Sie jetzt denken: „Wenn man diese Produkte am Anfang einmal prüft, dann ist alles gut“, dann springen Sie eindeutig zu kurz . Vielmehr braucht es auch eine Kontrolle: Welche Entwicklungen gibt es am Markt? Insofern ist diese makroökonomische Sicht, also die gesamtwirtschaftliche Sicht, die Frage „Was passiert am Finanzmarkt?“ und gegebenenfalls ein nachträgliches Eingreifen, um Produkte aus dem Verkehr zu ziehen, die eine gefährliche Wirkung haben, so wichtig . Das übersehen Sie . Es braucht nicht nur einen Zulassungs- und Kontrollprozess am Anfang, es braucht ihn auch, während die Produkte laufen, und das fehlt . ({3}) Das Zweite, was mich nicht überzeugt, ist: Es gibt ja bereits Kontrollen am Anfang, zum Beispiel die Prospektpflicht.  In  der  Tat  sehen  wir  auch  da  Nachsteuerungsbedarf . Bisher ist das immer noch zu formal, und es wird zu wenig darauf geschaut, ob sich die Inhalte widersprechen, ob es Hinweise auf Interessenkonflikte gibt.  Viele Finanzprodukte sind als Produkt erst einmal okay . Nehmen  wir  den  Bereich  der  Immobilienfinanzierung:  Wenn derjenige, der ein solches Produkt anbietet, mit dem Bauträger, dem Vermieter und anderen am Projekt Beteiligten unter einer Decke steckt, sodass die Rendite, die normalerweise dem Anleger zugutekommen müsste, unter den anderen aufgeteilt wird, dann steckt das Problem nicht allein im Produkt, sondern in dem, was insgesamt passiert . In diesem Fall darf man nicht nur auf die Produktzulassung schauen, um beim Vergleich mit den Arzneimitteln zu bleiben, sondern man braucht, wenn so etwas auf den Markt kommt, auch eine Kontrolle, dass es  hier  keine  Interessenkonflikte  gibt  und  der Anleger  nachher nicht leer ausgeht, bis hin zu betrügerischen Geschäftsmodellen . Ich glaube, da greift der Vergleich mit den Arzneimitteln an dieser Stelle zu kurz . ({4}) Wenn man schon den Vergleich mit Arzneimitteln bemüht, dann muss man sagen: Auch im Finanzbereich gibt es einen Beratungsprozess . Viele Produkte sind für manche Kunden grundsätzlich in Ordnung, erreichen aber auch die völlig falschen Kunden . An der Stelle muss man die Frage der Zulassung zusammendenken mit dem ganzen Beratungsprozess . Hier ist Kritik daran zu üben, wie es heute in Deutschland läuft . Wir haben das Provisionsunwesen immer noch nicht überwunden, obwohl wir schon seit acht Jahren, seit Ausbruch der Finanzmarktkrise, hier intensiv darüber diskutieren . Es gibt immer noch Leute, die es schützen wollen - in Brüssel und in Deutschland.  Dazu  gehören  leider  das  Bundesfinanzministerium und insbesondere die CDU/CSU-Fraktion . Auch da müsste dringend etwas getan werden . Wir müssen also die Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen und vorher und nachher eingreifen . Dann kann man den Zustand überwinden, dass es immer noch zu viele schlechte Produkte für die Anleger gibt . Danke . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat für die SPD-Fraktion Sarah Ryglewski das Wort . ({0})

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger auf der Tribüne! Finanz-TÜV - Kompliment an die Linken - ist ein toller Begriff. Wir alle können uns etwas unter TÜV vorstellen.  Wenn wir uns in ein TÜV-geprüftes Auto setzen, dann wissen wir, dass es sicher ist, dann haben wir Vertrauen . Was könnte man denn grundsätzlich dagegen sagen, eine solche Prüfung, die wir in Deutschland immerhin schon seit mehr als 100 Jahren mit Verlässlichkeit und Sicherheit verbinden, auch für Finanzprodukte einzuführen? Ich sage es Ihnen: Bei genauerer Betrachtung -, das kam ja schon in den vorherigen Redebeiträgen zur Sprache ist es nämlich so, dass dieses Sicherheitsversprechen nicht viel mehr bietet als diesen griffigen Namen. Das, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, ist leider nur eine Scheinlösung, die viel verspricht, den Anlegerinnen und Anlegern aber nur eine gefährliche Scheinsicherheit bietet . Wirkliche Verbesserungen erreichen wir nur, indem wir die Transparenz für Anlegerinnen und Anleger erhöhen, vor allem aber eine gute Beratung sicherstellen, weil nicht jedes Finanzprodukt für jeden geeignet ist, und indem wir weiterhin für eine effektive Aufsicht  sorgen . ({0}) Sie  hingegen  fordern  eine  Zulassungspflicht  für  Finanzprodukte und führen als Begründung an, dass es diese auch für Medikamente und technische Produkte gebe . Leider muss ich Ihnen sagen: Pillen und Policen sind sich in etwa so ähnlich wie Äpfel und Birnen . Der Vergleich zwischen der Zulassung von Medikamenten und der Zulassung von Finanzprodukten hinkt einfach . Bei einer Pille kann ich ganz konkret bestimmte Folgen absehen; ich kann sie an Probanden testen . Bei einem Finanzprodukt muss ich mich auf eine Prognose beschränken . Ich weiß nicht, wie viel Erfolg ein Unternehmen hat, ich weiß nicht, ob es Zukunft hat, und ich weiß auch nicht - das hat Herr Kollege Dr . Schick dargestellt -, ob sich möglicherweise Produkte, die für einen einzelnen Verbraucher geeignet sind, in der Summe zu einem Problem aufbauen . Deswegen ist das eine Scheinsicherheit . Finanzmärkte und Risiko sind eben untrennbar miteinander verbunden . Hinzu kommt, dass wir Leute möglicherweise mit Produkten locken, die für sie gar nicht geeignet sind, weil der Stempel „sicher“ darauf ist: staatlich geprüft . Der TÜV hat es geprüft; das kennen wir vom Auto . Das kann man also machen . - Das wollen wir nicht . Es wird argumentiert, man könne die Haftung des Staates dafür ausschließen . Das kann man juristisch möglicherweise machen; das will ich nicht ausschließen . Trotzdem ist es so, dass, wenn wir den Finanz-TÜV einrichten und es ein Problem gibt, das nicht der Kontrolle der Einrichtung unterliegt, alle mit dem Finger auf diese Einrichtung zeigen werden . Ihr Vertrauen wäre dann untergraben, und wir wären keinen Schritt weiter . Etwas  anderes,  was  ich  sehr  kritisch  finde,  ist,  wie  Sie mit den Etiketten „Verbraucherrelevanz“, „Verbraucherfreundlichkeit“ und „Verbraucherschutz“ umgehen . Ich frage mich: Was ist denn eine verbraucherfreundliche Geldanlage? Ist ein Sparbrief mit mageren 0,1 Prozent Zinsen verbraucherfreundlich? Ist ein kompliziertes Zertifikat,  das mir  aktuell  5 Prozent Rendite verspricht  und bei dem mir ein geringes Risiko zugesichert wird, verbraucherfreundlich? Was ist mit einem Nachrangdarlehen für ein junges ökologisches Unternehmen? Ist das verbraucherfreundlich? Ob ein Produkt geeignet ist, das kommt auf den Verbraucher an und darauf, was er möchte . ({1}) Ich würde nicht jedem empfehlen, in Crowdfunding zu investieren . Aber wenn jemand sagt: „Ich habe in meiner Nachbarschaft jemanden, der ein innovatives Produkt entwickelt hat, das ich unterstützen möchte“, dann würde ich sagen: Das Risiko ist möglicherweise relativ hoch; aber wenn du Interesse an dem Produkt hast und Geld übrig hast, dann investiere . Für uns heißt verbraucherfreundliche Kapitalanlage: Jeder bekommt das Produkt, das zu ihm passt . ({2}) Dafür braucht man in erster Linie eine gute Beratung . Wir sollten Anlegerinnen und Anleger nicht in falscher Sicherheit wiegen, noch sollten wir für sie entscheiden, wie sie ihr Geld investieren sollen . In der Realität - das stört mich generell an Ihren Anträgen - gibt es nicht die eine große Lösung, mit der alle Risiken von den Kapitalmärkten verschwinden und jeder Anleger sein Geld ohne Risiko, dafür aber mit hohen Renditen anlegen kann . In der Praxis führt nur das Nebeneinander und Miteinander verschiedener Maßnahmen zu einem verbesserten Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern . Daran arbeiten wir in dieser Koalition in Deutschland und in Europa . Unsere Ziele sind deswegen Transparenz,  eine  effektive Aufsicht  der  Finanzmärkte  und vor allem - das habe ich vorhin schon gesagt - eine gute Beratung, damit jeder das Produkt bekommt, das zu ihm passt . Mit dieser Koalition ist hier einiges passiert; Herr Kollege  Steffel  hat  das  schon  ausgeführt. Wir  haben  viele  Produkte, die bisher nur unzureichend reguliert werden, aus dem Zwielicht des Grauen Kapitalmarkts geholt . Wir stellen sicher, dass sie nicht mehr auf Kleinanlegerinnen und Kleinanleger losgelassen werden, indem wir gesagt haben: Diese Produkte sind für diesen Anlegerkreis nicht geeignet . - So können Anlegerinnen und Anleger besser einschätzen, welche Chancen und Risiken sich hinter Produkten wie Nachrangdarlehen oder Crowdinvestments verbergen . Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen zudem laufend über auftretende Problem informiert werden . Auch hier haben wir etwas getan . Das Thema Risikoklassen habe ich schon angesprochen; dadurch wird es leichter, sich im Dschungel der Finanzprodukte zurechtzufinden.  Das  Thema  „Kosten  von  Produkten“ werden wir weiter angehen . Wir haben die Aufsicht, die Eingriffsmöglichkeiten der BaFin weiter verbessert; das  muss ich nicht weiter ausführen . Es ist ja nicht so, dass das ein stumpfes Schwert ist . Sie macht von ihren Möglichkeiten Gebrauch . So ist die BaFin beispielsweise bei Bonitätsanleihen  und  Differenzkontrakten  schon  tätig  geworden . Wir werden weiter beobachten, was passiert . Ich möchte zum Schluss noch auf das Thema Beratung eingehen . Ich bin mit dem Kollegen Dr . Schick völlig einer Meinung: Wir müssen dafür sorgen, dass die Beratung weiter verbessert wird . Für mich heißt das ganz klar, dass wir das Thema Honorarberatung bzw . unabhängige Beratung - das ist eigentlich der richtige Begriff;  Honorar beratung unterstellt ja immer, dass das andere umsonst ist - weiter voranbringen müssen . Ich würde mich freuen, wenn bei den Kolleginnen und Kollegen von der Union noch ein bisschen mehr Offenheit und Bereitschaft vorhanden wären, hier weiterzukommen . Als ersten Schritt sollten wir im FiMaNoG festlegen, dass die Kosten und die Interessenlage bei provisionsbasierter Beratung  offengelegt werden,  damit  eine Vergleichbarkeit gewährleistet werden kann . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich Ihr Versprechen einhalten, zum Schluss zu kommen .

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Genau . - Deswegen mein Appell: Wir debattieren in der nächsten Woche hier im Plenum über das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz . In den Beratungen sollten wir das Thema dann angehen . Finanzmarktnovellierungsgesetz klingt vielleicht nicht so sexy wie Finanz-TÜV, ist aber wahrscheinlich deutlich wirksamer . Vielen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat Dr . Volker Ullrich, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken, einen Finanz-TÜV einzuführen, zielt darauf ab, dass Finanzprodukte zukünftig nur noch auf den Markt kommen dürfen, wenn sie vorher zugelassen wurden . Der Hintergrund dieser Regelung ist in der Tat ein Ärgernis . In den vergangenen Jahren gab es gerade im Bereich des sogenannten Grauen Kapitalmarkts Vorkommnisse, die uns als Gesetzgeber nicht zufriedenstellen können: Schiffsfonds mit hohen Verlusten,  Schrottimmobilien, die viele Kleinanleger in die Pleite getrieben haben, Abschlüsse von Verträgen, bei denen lediglich das Provisionsinteresse im Vordergrund stand und nicht das Interesse des Anlegers, und auch betrügerische Fonds, deren Vorgehen im Augenblick strafrechtlich aufgearbeitet wird . So ärgerlich diese Vorkommnisse auch waren, so ärgerlich ist es auch, dass Sie in Ihrem Antrag nicht deutlich machen, dass die Große Koalition auf diesen Missstand bereits geantwortet hat . Es sind viele Gesetze erlassen worden, mit denen wir auf diese Missstände reagiert haben, zum Beispiel das Kleinanlegerschutzgesetz mit einer strikteren Prospekthaftung und mehr Befugnissen für die BaFin . Es gibt seit vielen Jahren in Deutschland ein Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz,  mit  dem  gerade die Produkte der Altersvorsorge unter eine ganz besonders strenge Prüfung gestellt werden . Wir debattieren in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag über das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz, und im Bereich des Verbraucherschutzes gibt es seit einigen Jahren die Marktwächter, die ganz deutlich darauf hinweisen, welche Produkte für Verbraucher geeignet sind und welche nicht . Diese Art der klugen Regulierung zeigt, dass der Gesetzgeber aus den Missständen gelernt hat, und er hat gehandelt . Zu sagen, es sei nichts passiert, ist allenfalls populistisch, meine Damen und Herren . ({0}) Ihr Finanz-TÜV wird von einer ganz anderen Grundhaltung getragen . Sie sagen explizit: Alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten . Dem liegt im Grunde genommen ein ganz anderer Geist, eine andere Haltung zu Fragen der Freiheit und der sozialen Marktwirtschaft zugrunde . Ich sage Ihnen ehrlich: Ihre Haltung gegenüber Freiheit und Marktwirtschaft ist nicht unsere Haltung . Das ist Staatsdirigismus, und den lehnen wir entschieden ab . ({1}) Ihr Konzept wird auch nicht funktionieren, weil eine Umsetzung in der Praxis nicht zu leisten ist . Sie schlagen vor, eine Produktanlage aus Deutschland von einer Behörde mit Sitz in Paris prüfen zu lassen . Von den sprachlichen Schwierigkeiten bei einem französischen, portugiesischen oder finnischen Mitarbeiter ganz zu schweigen,  beantworten Sie die praktischen Fragen nicht, zum Beispiel, wie es funktionieren soll, dass sich Mitarbeiter einer europäischen Behörde in jedes Geschäftsmodell einarbeiten . ({2}) Die praktischen Schwierigkeiten dieses Modells haben Sie nicht einmal im Ansatz umrissen . Aber Sie bekommen die Schwierigkeit, dass Sie die Haftung des Staates, selbst wenn Sie sie am Anfang vielleicht rechtlich ausschließen wollen, tatsächlich nicht ausschließen können, wenn der Staat einem Produkt seinen Stempel aufdrückt; denn dann wird jeder Kleinanleger, bei dem sich das Risiko verwirklicht hat, nicht beim Emittenten Regress nehmen, sondern den Staat in Anspruch nehmen . Der Staat haftet aber nicht für das Versagen einer Kapitalanlage . Das ist nicht unser Verständnis . ({3}) Sie müssen das einmal plastisch sehen . Ich erkläre es Ihnen ganz einfach: ({4}) Wenn in einem Restaurant oder in einer Gaststätte jeder für sich selbst bezahlt, ist der Umsatz meistens geringer, als wenn einer die Runde schmeißt und jeder so viel nehmen kann, wie er möchte . So wird es auch im Bereich der Finanzprodukte sein . Wenn der Staat haftet, dann werden die Emittenten  im Endeffekt  ein  höheres Risiko  eingehen, als wenn der Staat nicht haften würde, weil eben letzten Endes der Staat dahintersteht . Die Frage des Risikos haben Sie völlig ausgeblendet . ({5}) Wir setzen auf das Konzept einer vernünftigen Regulierung . Wenn Betrug vorliegt, schaltet sich der Staatsanwalt ein . Wenn Angaben im Prospekt nicht ordnungsgemäß gedruckt sind, kann die BaFin das Produkt bereits jetzt aus dem Verkehr ziehen . ({6}) Wir sagen aber auch ganz ehrlich, dass es in unserer Volkswirtschaft einen Bedarf an Kapitalanlagen, die Möglichkeit des Einsammelns von Geld gibt, und zwar, weil wir es für Investitionen benötigen . Ich nenne Ihnen nur eine Zahl aus dem Bereich der Start-ups: Im Jahr 2015 ist im gesamten Silicon Valley die Summe von 34 Milliarden Dollar an Wagniskapital eingesammelt worden,  um Start-ups,  neue  Firmen  zu  finanzieren.  Im  gleichen Zeitraum sind in ganz Deutschland nur 4 Milliarden Euro eingesammelt worden . Das heißt, allein im Silicon Valley war es achtmal so viel . Wir brauchen auch in Deutschland eine Kultur des Geldeinsammelns - für Start-ups, für neue Ideen, für neue Firmen und für junge Gründer . Diese Idee würden Sie zunichtemachen, wenn Sie letztendlich den Staat für die Geschäftsidee eines jungen Unternehmers verantwortlich machten . Das ist nicht unsere Vorstellung von einer vernünftigen Finanzarchitektur . ({7}) Wir entlassen - das dürfen wir auch nicht - vor dem Hintergrund unserer Vorstellungen die Menschen nicht aus der Verantwortung . Es gilt der Satz, dass jeder nur das Produkt kaufen soll, das er selbst versteht und beurteilen kann . Die Eigenverantwortung des Verbrauchers ist die notwendige Kehrseite des staatlichen Schutzes, den wir leisten . Nur notwendige Eigenvorsorge und klare und strikte Regeln zusammen ergeben eine Finanzmarktund Kapitalmarktarchitektur, die wirklich vernünftig ist . Lassen Sie uns deswegen an klugen und praxistauglichen Regelungen weiterarbeiten, an Regelungen, die einerseits verhindern, dass betrügerische Produkte auf den Markt kommen, die uns andererseits aber Luft lassen, damit wir Investitionen tätigen und Kapital einsammeln können, um damit zum Wohlergehen unserer Volkswirtschaft beizutragen . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Herr Kollege Christian Petry, SPD-Fraktion . ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal habe ich mich gefragt, was der Anlass war, dass wir zum heutigen Zeitpunkt, da Donald Trump Präsident wird, über den Finanz-TÜV reden . Vielleicht ist das Zufall; ich weiß es nicht genau . Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden . Die Kritik, dass es dubiose Praktiken bei der Finanzanlagevermittlung und undurchsichtige Finanzvehikel gibt, ist absolut berechtigt . Der Graue Kapitalmarkt hat uns hier schon oft in Debatten beschäftigt . Wir hatten Produkte, die tatsächlich kritisch waren . In Ihrem Antrag wird auch Prokon genannt . Das war jetzt nicht unbedingt ein klassisches Produkt des Grauen Kapitalmarkts . Die Hinweise waren alle da . Es wollte sie nur niemand lesen; denn 10 Prozent Zinsen sind so verführerisch, dass man das Kleingedruckte oder auch das größer Gedruckte nicht mehr liest . Von daher muss man immer aufpassen, wie man argumentiert . Das passt also als Beispiel nicht, das Thema als solches letztlich aber schon . Wir haben hier im Bundestag in vielfältiger Weise Regularien beschlossen . Das Kleinanlegerschutzgesetz, durch das wir Finanzprodukte transparenter gemacht haben, ist genannt worden . Wir haben auch bezüglich des Wertpapiergeschäfts Regelungen und Gesetze geschaffen. Wir haben die Pflicht, ein Protokoll über das Beratungsgespräch zu verfassen, eingeführt bzw . verbessert; das war ein wesentlicher Schritt . Wir haben hinsichtlich der Honoraranlagenberatung seit 2014 ein Gesetz, durch das die unabhängige Finanzberatung, die Vermittlung von Wertpapieren und Vermögensanlagen geregelt wird . Ich glaube, seit der Finanzkrise ist es Daueraufgabe des Deutschen Bundestages, hier Regelungen zu implementieren . Ziel dieser Regelungen sind die Stärkung der Integrität der Finanzmärkte und die Verbesserung der Transparenz für Anlegerinnen und Anleger . In der kommenden Woche - es ist hier genannt worden - fällt der Startschuss für die Beratungen zum Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz, dem FiMaNoG 2 . Das ist ein Mammutwerk; die Vorlage umfasst 500 Seiten . Darin sollen, wenn man es genau betrachtet, über 80 Rechtsfelder neu geregelt bzw . verbessert werden . Die Finanzmarktrichtlinie MiFID und die Durchführungen dazu in der MiFIR werden die Märkte grundlegend noch transparenter und noch konDr. Volker Ullrich trollierter machen . Das ist ein ganz wesentlicher Schritt . Wir werden sehr intensiv beraten müssen, wie weit wir da gehen . Es ist in der Tat so, dass wir die Märkte nicht überregulieren wollen, sodass sie nicht mehr funktionieren . Ein Spannungsfeld muss es geben . Die Verbraucher haben selbstverständlich auch Verantwortung; das ist ganz klar . Hier ist niemand blauäugig . Wir wissen: Egal, was wir an Regelungen einbringen, wenn jemand hohe Zinsversprechen macht, wird es immer wieder welche geben, die darauf hineinfallen. Zins ist Ausfluss von Risiko; das  ist eine Binsenweisheit . Aber es ist sehr verführerisch, wenn jemand sagt: Statt 0,1 Prozent auf eurem Sparbuch bekommt ihr 8 Prozent bei der Anlage, und alles ist sicher . - Herr Dr . Meister wird mir zustimmen können, dass es immer wieder solche Fälle gibt und dass es immer wieder Risiken gibt . Die BaFin hat ja tagtäglich damit zu tun . Ich denke, dass die Geeignetheitsprüfung für jedes Produkt durch die FiMaNoG-2-Novelle letztlich deutlich gestärkt wird . Wir werden bessere Beratungsprotokolle haben. Zielmärkte werden definiert werden. Zu den Anforderungen an die Finanzvermittler werden umfassende Produktinformationen gehören . Die Qualität der Anlageberatung wird deutlich erhöht . Wir werden letztlich die Honorarberatung auf europäischer Ebene einführen . Die Möglichkeit von unabhängigen Finanzvermittlern, Provisionen anzunehmen, wird eingeschränkt . Solche Zuwendungen dürfen in Zukunft nur noch unter ganz bestimmten Bedingungen erhoben und einbehalten werden . Durch diese Regelungen wird es stärkere Offenlegungspflichten  geben,  und  der  Markt  wird  für  den Anleger  transparenter und damit auch sicherer . ({0}) Die Kolleginnen und Kollegen der Linken fordern eine Ausweitung der Kompetenzen auf europäischer Ebene, auf europäische Aufsichtsbehörden . Die Wertpapieraufsicht ESMA wird genannt . Sie soll zusammen mit der Bankenaufsicht EBA und der Versicherungsaufsicht EIOPA Produkte zulassen . Das wird technisch ganz schwer . Das ist ein Vorschlag, über den man reden kann . Aber  angesichts  des  Geflechts,  das  dahintersteht,  halte  ich es für sehr schwierig, solche Produkte spontan - im Crowdfunding  muss  es  eben  schnell  gehen  -  effektiv  und effizient zu regeln. Gleichwohl ist natürlich die Idee  eines Finanz-TÜVs nicht ganz abwegig . Darüber kann man reden . Es waren die Verbraucherschützer, die diesen Begriff zum ersten Mal verwendet haben und vorgeschlagen haben, das auf europäischer Ebene zu tun . Wir werden im Verfahren darüber diskutieren . Die Diskussion  ist  durchaus  offen. Aber  ich  halte  das, was wir  auf  der Ebene der Bundesrepublik Deutschland schon alles gemacht haben und machen werden, durchaus für effektiv . Ich würde zunächst abwarten wollen, wie sich das auswirkt . Es wirkt sich sehr positiv aus . Trotzdem stehen spannende Gespräche im Fachausschuss an . Darauf freuen wir uns alle . Glück auf! ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/9709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2015 ({1}) Drucksachen 18/7250, 18/9768 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch hier gibt es keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Dr . HansPeter Bartels . Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Abgabe meines Jahresberichts für 2015 ist einiges geschehen: auf der Weltbühne noch mehr Risiken, noch mehr Unberechenbarkeit, noch mehr Erwartungen an Deutschland und in der deutschen Politik ein sehr breites Bekenntnis zur gewachsenen Verantwortung und zur Stärkung der Bundeswehr . Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen die Mittel bekommen - personell, materiell, finanziell -, die sie brauchen, um ihre zunehmenden  und sehr unterschiedlichen Aufträge gut erfüllen zu können . Ich freue mich, dass das Parlament hier in wichtigen Bereichen der Antreiber ist - Stichwort „materielle Vollausstattung“ -, aber auch bei Fragen der Attraktivität Stichwort „Trennungsgeld/UKV“ . Außerdem gibt es Fortschritte  beim  Dauerthema  Radaropfer.  Der  Begriff  „Parlamentsarmee“ wird hier sehr gut mit Inhalt gefüllt . Es geht eben nicht nur um die Beschlussfassung über Auslandseinsätze, sondern ganz grundsätzlich um Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten . Das ist unsere gemeinsame Aufgabe . Im letzten Bericht hatte ich unter anderem die Personalausstattung unserer Flugabwehrraketenkräfte thematisiert . Die Einsatzintervalle bei Active Fence in der Türkei waren für viele Soldatinnen und Soldaten zu kurz . Es gab zu wenig Regeneration, zu wenig Personal . Wenn ich jetzt in der „Trendwende Personal“ lese, dass das FlaRak-Geschwader künftig um 400 Dienstposten aufgestockt wird, macht mich das froh . Die Richtung stimmt . Hoffentlich kommt das Personal auch, und zwar bald. Personalgewinnung, Personalbindung und Attraktivität - das zusammen ist ein Riesenthema . Die dazu im letzten Jahr beschlossenen Verbesserungen sind alle nützlich . Aber viele Bestandssoldaten - Portepee-UnChristian Petry teroffiziere,  Fachdienstoffiziere  -  sagen,  dass  sie  noch  nichts von verbesserter Attraktivität merken . Woran liegt das? Sollten wir uns hier nicht noch einmal zusätzliche Gedanken machen? Ganz gewiss spielt für die Attraktivität des Dienstes das Schließen der materiellen und personellen Lücken eine zentrale Rolle . Das ist militärischer Kernbereich . Dazu kommen die Belastungen des Pendelns für sehr viele Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien sowie die Unsicherheit über Verwendung, Versetzung, Beförderung und letztlich die Dauer der Dienstzeit . Altersgrenzen vertragen keine Spekulationen . Soldaten wollen Planungssicherheit . Eine besondere Aktivität, die 2015 begonnen hat, läuft jetzt aus . Das ist die Flüchtlingshilfe . Im nächsten Bericht werde ich einige Anmerkungen dazu machen . Hier möchte ich Ihnen nur weitergeben, was der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, FrankJürgen Weise, mir dazu geschrieben hat . Er schreibt: Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leisten im Bundesamt in Haltung, Einstellung und in der Qualität der Arbeit einen unschätzbaren Beitrag . Die Mobilität und Flexibilität, die sich durch diese personelle Unterstützung für das BAMF ergibt, ist … von hoher Bedeutung . Es bestätigt das beste Bild, welches wir von unserer Bundeswehr haben . So weit Herr Weise . Ich glaube, wir alle stimmen ihm zu und sagen: Danke! ({2}) Danke für das große Engagement Tausender Soldatinnen und Soldaten bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise! Im nächsten Bericht - ich übergebe ihn nächste Woche - wird der Soldatenarbeitszeitverordnung ein Kapitel gewidmet sein . Sie war 2015 in der Bundeswehr noch kein Thema, insofern auch nicht in meinem Bericht . Vielleicht war das ein Fehler; bessere Vorbereitung hätte helfen können . So muss jetzt, wie es dann immer heißt, nachgebessert werden . Aber bitte ohne schuldhaftes Zögern! Kleinkariertheiten im Regelungswesen gehen immer zulasten der Soldaten . Wir reden in diesen Tagen auch über die Erweiterung des deutschen Engagements in Mali . Parallelen zu Afghanistan kommen einem da fast reflexartig in den Sinn, und  sie werden genauso reflexartig offiziell zurückgewiesen.  Klar, jeder Einsatz ist anders . Aber Lektionen, die wir aus Afghanistan lernen können, sollten wir nicht ignorieren . Es fehlt auch in Mali bisher an gemeinsamer Führung oder wenigstens starker Koordination der unterschiedlichen militärischen Bemühungen von UNO, EU, französischer Armee, malischer Armee und all der zusätzlichen zivilen Hilfe, die ins Land kommt . Der vernetzte Ansatz bzw . - international gesprochen - der Comprehensive Approach braucht mehr als guten Willen . Er braucht verbindliche Strukturen . Unsere Soldatinnen und Soldaten wollen, dass ihr Einsatz in Mali erfolgreich ist . Kümmern wir uns also auch um die Strukturen, die einen Erfolg in Mali möglich machen . Ich möchte hier noch ein Thema ansprechen, das ebenfalls nicht im alten Jahresbericht erwähnt ist, sondern gerade jetzt recht aktuell geworden ist: den sogenannten Verhaltenskodex . Ich verstehe, dass Sie, Frau Ministerin, auf die Vorschläge der Müller-Kommission positiv reagieren wollten . ({3}) Dabei geht es um das Rüstungs- und Beschaffungswesen  der Bundeswehr . Hier können wir uns alle in der Tat manches vorstellen, was noch besser zu regeln wäre . Aber was, bitte schön, soll der Panzergrenadier in Hagenow davon halten, wenn er auf solche Compliance-Kauderwelsch-Sätze  verpflichtet werden  soll wie  -  ich  zitiere  einen - „Wir wollen die strategische Koordination von Politikfeldern, die Realisierung von politischen Zielen, Schwerpunkten und Programmen und die internationale Zusammenarbeit gestalten“? ({4}) Wer ist „wir“? Was soll die Truppe mit solchem Agentur-Blabla? Was machen die Soldatinnen und Soldaten bisher falsch, dass sie jetzt so einen Verhaltenskodex bekommen sollen? Wenn diese fünf Seiten eng geschriebener Text die Lösung sind, was war dann eigentlich das Problem? Soldaten schwören oder geloben; da geht es um Recht und Freiheit . Auch die Beamten der Bundeswehr schwören übrigens einen Eid . Alle Rechtsverhältnisse der Soldaten sind durch das Grundgesetz, durch Bundesgesetze und durch eine Vielzahl von Erlassen und Bestimmungen geregelt . ({5}) Keine Behörde, keine Firma hat präzisere Regeln als die Bundeswehr . Ich meine, das reicht . Unsere Soldatinnen und Soldaten sind mündige Bürger, Staatsbürger in Uniform . Sie folgen den Grundsätzen der Inneren Führung . Das heißt, dass sie in aller Loyalität auch berechtigt sind, Kritik zu üben, auch zum Beispiel gegenüber Bundestags abgeordneten . Unsere Soldatinnen und Soldaten verdienen Vertrauen . Deshalb: Lassen Sie uns bitte noch einmal darüber reden, wo wirklich etwas geregelt werden muss und wo nicht . ({6}) Für die Arbeit am Bericht und die Umsetzung vieler Hinweise und Empfehlungen danke ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Amt, den Zuständigen in Ministerium und Bundeswehr und den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Fraktionen . Die Zusammenarbeit ist wirklich kollegial und konstruktiv; auch das macht mich froh . Vielen Dank . ({7}) Dr. Hans-Peter Bartels

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesministerin Dr . Ursula von der Leyen das Wort . ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Bartels, Herr Wehrbeauftragter! Ich fange mit dem Jahresbericht 2015, über den wir hier diskutieren, an . Wir müssen vielleicht irgendwann einmal ein anderes Tempo hinbekommen, auch im Hinblick auf die Debatte; denn es ist für uns alle, glaube ich, nicht ganz einfach, über den Jahresbericht 2015 zu diskutieren, wenn schon nächste Woche der berechtigte, wichtige Jahresbericht 2016 übergeben wird . Aber das ist ein Wunsch, den wir vielleicht gemeinsam voranbringen können . Im Jahresbericht 2015 schreiben Sie - ich zitiere, Herr Wehrbeauftragter -: Wir leben in unruhigen Zeiten . Sicherheitspolitisch bewegt sich gerade sehr viel in Europa und weltweit . Daran hat sich, wie Sie eingangs sagten, nicht viel geändert . Sie schreiben weiter, die Bundeswehr habe „in einigen Bereichen inzwischen ihr Limit erreicht, personell und materiell“ . Ihre Schlussfolgerung lautet: Die Bundeswehr hat von allem zu wenig . In der Tat schreiben wir jetzt das Jahr 2017 . Ich möchte festhalten: Ihre damalige Bestandsaufnahme war richtig; das ist gar keine Frage . Wir haben viel darüber in diesem Hohen Hause gesprochen . Aber wir alle haben hart daran gearbeitet, dass inzwischen - ich darf es so formulieren von allem mehr da ist . Das fängt mit dem Geld an . Ich bin sehr erfreut gewesen, dass wir im Jahr 2016 zeigen konnten - der Finanzminister hat den Jahresabschluss am Mittwoch vorgestellt -, dass wir eine Punktlandung hingelegt haben und dass wir  in der Tat effizient sowie  effektiv mit dem Geld umgehen. Wir haben sogar etwas  mehr ausgegeben, als geplant war, nämlich 850 Millionen Euro . Wir wissen: Das ist ein Fortschritt, denn es war in anderen Zeiten schon anders . Der Haushalt 2017 umfasst rund 37 Milliarden Euro . Das ist ein Rekordwert in der Geschichte der Bundeswehr . Ich möchte heute nicht über die Trendwende „Finanzen“, ich möchte nicht über die Trendwende „Material“, die auch zu sichtbaren und messbaren Ergebnissen geführt hat, sprechen, sondern ich möchte, Herr Wehrbeauftragter, meine Damen und Herren, darauf fokussieren, wo in der Tat das Zentrum das Berichts liegt, nämlich auf das Personal, die Menschen in der Bundeswehr . Sie sagen zu Recht: Lücken identifizieren, Menschen  ansprechen, anwerben, ausbilden, halten - die ganze lange Kette . Ich bin sehr froh, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr eine umfassende und vorausschauende Personalstrategie eingerichtet haben . Im letzten Jahr haben wir erstmals die Grundlagen vorgestellt . Damit gibt es zum ersten Mal eine mittelfristige Finanzplanung nach vorn . Damit wissen wir, wie die nächsten sieben Jahre anhand der Daten, die wir heute schon festlegen, aussehen, wo wir bereits Lücken, Schwierigkeiten und Probleme ausmachen können und was wir dagegen zu tun gedenken . Sie wissen, dass das erste Personalboard im letzten Jahr gezeigt hat, dass wir einen strukturellen Bedarf von zusätzlich rund 7 000 militärischen und rund 4 400 zivilen Stellen haben . Ich bin dem Hohen Haus sehr dankbar, dass dies in unsere haushälterische Planung aufgenommen worden ist . Das zweite Personalboard - es kommt in diesem Jahr - wird sich damit befassen, welche Personallücken wir in den einzelnen Bereichen haben . Nicht überall ist es knapp . Zum Teil gibt es einige seltene Ausnahmen, wo wir gut aufgestellt sind und genug, wenn nicht sogar zu viel haben . Wir werden gezielt deutlich machen, wo die Lücken sind . Das hat sich natürlich mit der Einführung der Soldatenarbeitszeitverordnung abgezeichnet . Sie hat das sichtbar gemacht . Sie hat aber nichts Neues eingeführt, etwa dass Soldatinnen und Soldaten abgezogen oder zusätzlich eingeführt würden . Sie hat sichtbar gemacht, wo bisher immer schon eklatante Lücken gewesen sind, die aber dadurch überdeckt worden sind, dass Soldatinnen und Soldaten schlicht und einfach Mehrarbeit machen mussten . Keiner hat das gemessen . Wir sehen jetzt Lücken aufgrund der Soldatenarbeitszeitverordnung . Sie hat diese Lücken aber nicht verursacht . Wir sehen, dass der Dienstherr durch die Lebensarbeitszeit von Soldatinnen und Soldaten subventioniert worden ist . Das wollen wir ändern . ({0}) Ich bin der festen Überzeugung, dass der Dienstherr nicht dauerhaft Personalmangel durch Mehrarbeit kompensieren kann . Es muss ein nachvollziehbares und verlässliches Maß und eine Mitte geben zwischen dem Dienst, der notwendig ist, der Erholung, die notwendig ist, und gelegentlich angeordneter Mehrarbeit . Sie muss dann durch Freizeit oder finanziell ausgeglichen werden.  Aber klar sein muss, dass dort gemessen wird . Wenn es objektiv Lücken gibt - diesen Punkt betrachten wir jetzt -, muss es mehr Personal geben . Jetzt wächst die Bundeswehr endlich wieder . Ich will Ihnen einige Zahlen nennen . Mit Stand vom 31 . Dezember 2016 waren wir bei 168 342 Soldatinnen und Soldaten . Wir hätten gerne mehr, und wir brauchen mehr; ja, gar keine Frage . Aber eines ist wichtig: Es geht in die richtige Richtung, nämlich bergauf . Um einige Zahlen zu nennen: Allein in den letzten sechs Monaten haben wir einen Aufwuchs von 1 800 Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten erreicht . Die Einplanungen der Zeitsoldaten sind im letzten Jahr um 16 Prozent gestiegen. Bei Offizieren gibt es ein Plus  von 21 Prozent, bei den Mannschaften von 18 Prozent . Besonders erfreulich: Bei den Feldwebeln im Fachdienst, die sehr knapp sind, ist ein Plus von 28 Prozent zu verzeichnen . Wir bekommen mehr Fachkräfte, weil wir an die Themen sehr gezielt herangehen . Ein Beispiel: Gerade bei den besonders gesuchten Informatikerinnen und Informatikern beträgt der Zuwachs sage und schreibe weit über 60 Prozent . Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass wir Cyber und IT als Kommando aufstellen und das Thema damit in der Bundeswehr sichtbar wird . Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in diesen Fachrichtungen selber ganz gezielt werben, damit die Menschen wissen, dass das bei uns ein Topthema ist und sie bei uns eine Zukunft finden können. Bei den Feldwebeln im Rettungsdienst freuen wir uns über ein Plus von über 30 Prozent . Was mich und Sie sicherlich auch alle besonders freut, ist, dass wir im November letzten Jahres zum allerersten Mal die Marke von 20 000 Soldatinnen überschritten haben . ({1}) Die Evaluierung der Soldatenarbeitszeitverordnung läuft noch . Erste Verbesserungen sind erreicht, an anderen arbeiten wir intensiv . Sie haben recht, Herr Wehrbeauftragter: Ich wünschte, man könnte Veränderungen immer glatt umsetzen, aber so große Veränderungen kommen immer holperig daher . Wahrscheinlich werden wir gesetzliche Anpassungen brauchen . Eine andere konkrete Gesetzesänderung, die wir derzeit mit dem BMI verhandeln, möchte ich ansprechen: den Auslandsverwendungszuschlag . Sie wissen, dass er derzeit nur Frauen und Männern gewährt wird, die in mandatierten Einsätzen sind, und nicht denen in einsatzgleichen Verpflichtungen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Soldatinnen und Soldaten in der Ägäis oder um diejenigen, die  in Eurofightern  im Bereich Air Policing  im Luftraum über dem Baltikum eingesetzt sind . Das betrifft jetzt unsere Truppe, die nach Litauen geht und die  Vorne-Präsenz mit aufbaut . Meine Damen und Herren, auch diese Soldatinnen und Soldaten sind Wochen und Monate von zu Hause weg . Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass alle Soldatinnen und Soldaten in einsatzgleichen Verpflichtungen den AVZ schnellstmöglich  bekommen sollten . Das ist eine Frage der Gerechtigkeit . ({2}) Einige Themen muss ich noch anmerken . Erstens . Das Thema Compliance-Kodex . Herr Wehrbeauftragter, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich weiß nicht, aus welchem Entwurf Sie zitiert haben; denn das Ganze ist noch im Entwurfsstadium und in der Abstimmung im Haus, insbesondere mit den Personalvertretungen . Deshalb kann ich zu dem Satz keine Stellung nehmen . Ich weiß nicht, welchen Stand Sie eben zitiert haben . Zweitens . Nicht nur die Abstimmung im Haus läuft, sondern auch Beratungen mit Transparency International . Es ist uns wichtig, auch von außen Feedback zu bekommen. Das heißt, wir befinden uns in einem Prozess.  Ich glaube, diesen Prozess sollten wir abwarten, bis er zumindest innerhalb des Hauses abgeschlossen ist . Erst dann werden wir mit dem Parlament das Ergebnis Wort für Wort besprechen . Drittens . Sie haben recht: Es gibt eine Unzahl von Regeln und Gesetzen in der Bundeswehr . Wir wollen nicht darüber hinausgehen und keine neuen Regeln einführen . Aber haben Sie einmal den Raummeter gesehen, der das umfasst, was in den verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen alles geregelt ist? Ich glaube, es ist nicht schlecht, uns noch einmal gemeinsam klarzumachen, dass Rechtssicherheit dadurch gewährleistet ist, dass wir positiv formulieren, was wir gemeinsam verabredet haben . Letztes Thema .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Bundesministerin, als Mitglied der Bundesregierung dürfen Sie so lange reden, wie Sie wollen . Wenn Sie jetzt als Abgeordnete reden würden, müsste ich Sie unterbrechen . Ich muss Sie darauf aufmerksam machen: Wenn Sie jetzt weiter reden, geht das zulasten Ihrer Fraktion .

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ja . - Ich bitte die Fraktion, dass ich ein mir wichtiges Thema noch ansprechen darf . Es geht um das Thema Chancengerechtigkeit und Offenheit für Vielfalt. Ich  habe mich dieses Themas immer angenommen . Wenn wir schlagkräftige, attraktive und moderne Streitkräfte haben wollen, kommen wir um das Thema nicht herum . Das Thema ist breit angelegt. Mir ist wichtig: Es betrifft  nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Herkunft, Bildung, sexuelle Orientierung und Religion - um nur einige Themen zu nennen . Zwei Punkte: Erstens . Es geht bei der Bemühung um Vielfalt nicht nur um Lippenbekenntnisse; sonst hätten wir die gesamte Thematik der Attraktivität und Vereinbarkeit nicht einführen müssen . Wir werden deshalb Ende Januar einen Kongress über den Umgang mit unterschiedlicher sexueller Orientierung veranstalten . Ich halte  dieses  Thema  nicht  für  randständig.  Es  betrifft  mehrere Tausend Soldatinnen und Soldaten und zivile Beschäftigte in der Bundeswehr, genauso wie das Thema Religion mehrere  Tausend  betrifft  und  wie  das  Thema  Migrationshintergrund oder Behinderung, zum Beispiel durch PTBS, eine zentrale Rolle in mehreren Hundert oder Tausend Leben von Menschen in der Bundeswehr spielt . Deshalb, meine Damen und Herren, ist mir wichtig, dass dieses Anliegen, das für diese Menschen zentral ist, genauso ernst genommen wird wie viele andere Anliegen, die uns beschäftigen . Es ist kein randständiges Thema . ({0}) Zweitens . Diese Soldatinnen und Soldaten und zivilen Beschäftigten tun ihren Dienst wie alle Kameradinnen und Kameraden . Sie haben einen Eid geschworen, dieses Land tapfer zu verteidigen . Sie sind bereit, im Einsatz ihr Leben einzusetzen für unsere Freiheit. Ich finde deshalb,  dass unsere Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Beschäftigten, egal woher sie kommen, egal wen sie lieben, egal an was oder wen sie glauben, nicht dem Spott ausgesetzt werden dürfen, sondern unseren Respekt und unsere Anerkennung verdienen . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Christine Buchholz . ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bartels! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wehrbeauftragten! Gerade heute Morgen haben wir über die Fortsetzung und Ausweitung der Bundeswehreinsätze im Nordirak und in Mali diskutiert . Für diese Beschlüsse, die nächste Woche gefällt werden, müssen Soldatinnen und Soldaten den Kopf hinhalten . Die Folgen können einsatzbedingte Krankheiten sein . Was sicher ist: Je mehr Auslandseinsätze von der Regierung beschlossen werden, umso größer wird der Druck auf die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien . Wer Waffen  und  Soldaten  in  alle Welt  schickt,  bekommt die Folgen der Kriege zurück . Auch das ist ein Grund, die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden . ({0}) Der Bericht des Wehrbeauftragten spiegelt diese Wirklichkeit wider, und die vorliegende Antwort des Verteidigungsministeriums auf den Bericht zeigt: Auf viele der Probleme reagiert die Bundesregierung gar nicht, oder sie reagiert zu langsam, zu bürokratisch . Eine Ausnahme gibt es; das ist die aus unserer Sicht völlig verfehlte Kritik des Wehrbeauftragten an der zu schlechten Ausrüstung der Bundeswehr . Denn für die Aufrüstung hat die Große Koalition für 2017 einen Rekordhaushalt beschlossen . Doch wenn es um die menschlichen Folgen der Militäreinsätze geht, etwa um die zügige Anerkennung von Wehrdienstbeschädigung, dann ist nicht genug Geld da . Konkret: Auf 5 000 Anträge kommen 30 Sachbearbeiter . Das erklärt, warum die Bearbeitung von Anträgen auf Wehrdienstbeschädigung durchschnittlich 15 Monate dauert, oft auch über zwei Jahre . Der Wehrbeauftragte hat das zu Recht bemängelt . Die Reaktion des Ministeriums: neue Stellen - null . Aber die Abläufe sollen optimiert werden . Das muss doch in den Ohren der Betroffenen als absolut nicht akzeptabel klingen . ({1}) Aber die Probleme der einsatzgeschädigten Soldatinnen und Soldaten sind tiefer gehend . Wenn psychisch erkrankte Soldaten sich um die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung bemühen, dann müssen sie selbst den konkreten Zusammenhang mit einem Auslandseinsatz nachweisen. Das ist jedoch in der Praxis häufig kaum  möglich und führt zu langen, belastenden Verfahren . Ich sage: Wenn die Bundeswehr einen Soldaten als psychisch gesund in einen Auslandseinsatz schickt und später dieser Soldat oder diese Soldatin psychisch erkrankt, dann ist im Streitfall die Bundeswehr in der Beweispflicht. Und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn darf  nicht mit dem Dienstverhältnis enden . ({2}) Es ist ein Unding, dass die Bundesregierung nicht einmal Statistiken darüber erhebt, wie viele ehemalige Soldaten Selbstmord begehen . Auch hier muss sich dringend etwas ändern . ({3}) Ein anderes Beispiel . Im Bericht bemängelt der Wehrbeauftragte, dass - ich zitiere - für „die einsatzrelevante Verbrennungsmedizin . . . seit Jahren nur noch eine sehr eingeschränkte Versorgungskompetenz vorgehalten wird“ . Wie dramatisch das sein kann, hat vor zwei Tagen der verheerende Anschlag im malischen Gao gezeigt . Über 70 malische Soldaten starben, über 110 überlebten schwer verletzt . Der Anschlag hätte auch deutsche Soldaten treffen können. Das Lager der Bundeswehr liegt keine 2 Kilometer vom Anschlagsort entfernt . Wie reagiert nun das Verteidigungsministerium auf die Forderung nach besserer Versorgungskompetenz für einsatzrelevante Verbrennungsmedizin? Antwort: Gar nicht . Alles, was dem Verteidigungsministerium einfällt, ist der Verweis auf zivile Krankenhäuser in Deutschland . Der Einsatz kommt zuerst, die Behandlung der Folgen ist nachrangig, und das finden wir zynisch. ({4}) Ich verstehe, warum das Verteidigungsministerium, auch die Koalition, das nicht gerne hört . Diese Realität stört die Hochglanz-PR-Aktionen, mit denen Sie jungen Menschen die Bundeswehr schmackhaft machen wollen . ({5}) Pikant ist übrigens auch, dass die Ministerin - Sie haben eben selbst dazu gesprochen - Angehörigen der Bundeswehr strenge Verhaltensrichtlinien, einen Verhaltenskodex für den Umgang mit Parlament und Medien verordnen will . Wir sind sehr gespannt, was Sie dazu in Ihrem Hause erarbeiten . Meine Fragen und meine Kritik schließen an das an, was der Wehrbeauftragte thematisiert hat . Ich sage Ihnen: Wer die Wahrheit unterdrücken will, der hat was zu verbergen . Ein Maulkorberlass ist das Letzte, was Soldatinnen und Soldaten brauchen . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Buchholz, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Otte?

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist jetzt zwar keine Zwischenfrage mehr, aber gerne . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Dann machen wir das jetzt einmal so . - Bitte schön .

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Buchholz, wir hatten zusammen mit unserer Frau Bundesverteidigungsministerin Gelegenheit zu einem Besuch in Mali . Sie suggerieren jetzt in Ihrer Rede - das ist mir vorhin schon aufgefallen -, dass die Politik und das Ministerium ihren Soldatinnen und Soldaten nicht genügend Fürsorge entgegenbrächten . Sie stellen hier einfach Behauptungen in den Raum . Das kann Ihre Taktik sein . Meine Frage an Sie lautet: Warum haben Sie die offenen Fragen, die Sie hier stellen, nicht beim Besuch in Gao, in Bamako im Kreise der Fachleute, die dort vor Ort waren, gestellt? Es drängt sich hier der Eindruck auf, dass es Ihnen gar nicht um die Beantwortung von Fragen geht, sondern um das Vorlesen der Argumente, die Ihnen aufgeschrieben worden sind . Ich frage Sie, ob Sie nicht fast ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie hier Dinge behaupten, die fernab jeglicher Realität sind . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Buchholz .

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Otte, ich weiß nicht, ob Sie den Besuch in Mali genutzt haben, um am Rande auch mit Soldatinnen und Soldaten zu sprechen . Ich führe sehr viele Gespräche, die genau diese Fragen unterlegen, die den Frust, den Unmut der Soldatinnen und Soldaten widerspiegeln, die sich eben nicht genügend berücksichtigt finden. Was die Frage des Einsatzes in Mali angeht: Gucken Sie sich bitte die Realität an . Mein Gefühl ist, dass Sie hier bestimmte Fragen an die von Ihnen beschlossenen und zu beschließenden Einsätze nicht zulassen . ({0}) Die Realität können Sie den Gesprächen in Mali, aber auch den Zeitungen und Berichten verschiedener Akteure entnehmen . Von daher gebe ich diese Frage zurück . Seien Sie ehrlich, und beantworten Sie sich ehrlich die Fragen . Gucken Sie sich die Realität genau an . Vielleicht kommen auch Sie dann irgendwann zu anderen Antworten . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Heidtrud Henn für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Heidtrud Henn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004300, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Am kommenden Dienstag wird Hans-Peter Bartels uns seinen Bericht für das Jahr 2016 vorlegen . Wir sprechen heute über seinen Bericht aus dem Jahr 2015 . Die Bundeswehr am Wendepunkt - so hat der Wehrbeauftragte seinen ersten Bericht überschrieben . Die Überschrift des neuen Berichts kenne ich noch nicht . Ich glaube, dass es gut ist, das Wahre zu sagen, und ich weiß aus meiner beruflichen und persönlichen Erfahrung,  dass vor jeder Verbesserung der Mut zur Wahrheit steht . Martin Luther, über den wir insbesondere in diesem Jahr viel hören und lesen können, hat viel zur Wahrheit gesagt . Vor 500 Jahren hat er seine 95 Thesen in Wittenberg an die Tür der Schlosskirche geschlagen . Er hat hörbar und lesbar gemacht, was falsch war, mit den Mitteln seiner Zeit, in der er noch nicht die Möglichkeit zur Veröffentlichung im Internet hatte . Dennoch waren seine Worte durchschlagend, im wahrsten Sinne des Wortes . Das zeigt uns, wie kraftvoll die Wahrheit ist . Sie braucht aber immer jemanden, der sie ausspricht . „Iss, was gar ist, trink, was klar ist, red, was wahr ist!“ - das gibt uns Martin Luther mit auf den Weg . Ohne die Soldatinnen und Soldaten, die die Zeit und manchmal auch den Mut aufbringen, ihre Wahrheit an den Wehrbeauftragten heranzutragen, wäre der Bericht des Wehrbeauftragten nicht denkbar . Darum gilt mein Dank für den Bericht des Wehrbeauftragten nicht nur Hans-Peter Bartels und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch allen, die sich im Berichtsjahr an den Wehrbeauftragten gewandt haben . Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie, sehr geehrte Frau von der Leyen, und auch Frau Staatssekretärin Dr . Suder zu Recht viel Applaus dafür bekommen, dass Sie eine neue Fehlerkultur in Ihrem Haus gewünscht und sogar eingefordert haben . Es sollte keine Angst vor einem Karriereknick geben, wenn mündige Soldaten Probleme und Missstände benennen . Auch uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hat das gefallen . Grund für die Fehlerkulturoffensive waren die Probleme bei der Rüstungsbeschaffung. Sie hatten aber auch gesehen, dass es  nicht hilfreich ist, wenn Kritiker mit Kenntnis des Hauses blockiert statt gehört werden . Durch Verschweigen heilen keine Krankheiten . Eine Kultur des Schweigens verhindert Veränderungen und Verbesserungen . ({0}) In Ihrer Rede zum Bericht des Wehrbeauftragten am 28 . April letzten Jahres haben Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, gesagt - ich zitiere -: Ich  finde,  es  ist  ganz  entscheidend,  Transparenz  über unsere Organisation herzustellen . Ich stimme Ihnen da voll zu . Mit großer Sorge erfüllt mich deshalb die Berichterstattung zu dem von Ihnen geplanten sogenannten Verhaltenskodex . Ich kenne hierzu nur Presseberichte,  aber  es gibt  eine öffentliche Debatte, und gerade weil in diesem Zusammenhang über den Wehrbeauftragten und seine besonderen Zugangsrechte gesprochen wird, möchte ich das Thema auch hier ansprechen . Ich nutze jede Gelegenheit, um mit Soldatinnen und Soldaten ins Gespräch zu kommen, also mit der Basis . Das ist auch immer mein Wunsch, wenn ich Standorte besuche oder wenn ich in Einsatzgebieten bin . Mich interessiert, wie es den Menschen bei der Bundeswehr geht, wie sie ticken, was sie umtreibt, aber auch, was sie begeistert . Der Mensch hat meine Aufmerksamkeit, nicht der Dienstgrad; der steht an anderer Stelle . Bei all diesen Gesprächen und Telefonaten mit den Menschen in der Bundeswehr habe ich viel über die Bundeswehr gelernt . Vor allem habe ich gelernt, wie loyal, professionell und zugleich ehrlich die Soldatinnen und Soldaten im Gespräch sind, ohne etwas oder jemanden zu verraten . Sie kennen ihre Vorschriften bestens und handeln danach . Angst und Misstrauen tun niemandem gut . Sie machen Seelen krank, und sie schaffen ein Klima, das ein  kameradschaftliches Miteinander verhindert . Vertrauen ist im Einsatz und im Grundbetrieb der Garant für die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten, die für unsere Sicherheit sorgen . In der Bundeswehr muss es um Zusammenhalt gehen . In der freien Marktwirtschaft geht es um Gewinnmaximierung und Macht . Diese Prinzipien sind in meinen Augen nicht auf unsere Bundeswehr übertragbar . Anfang 2013 haben Sie, liebe Frau von der Leyen, oft betont, dass der Mensch im Mittelpunkt steht . Das hat mir gut gefallen, und das habe ich Ihnen auch gesagt . Soldat sein ist eine Berufung . Wer dient, verdient Vertrauen . Wer dient, muss reden dürfen . Reden ist die Basis für ein gutes Miteinander und Kommunikation . Eine sachlich vorgetragene Kritik ist niemals ein Angriff, und vor der Wahrheit sollte sich niemand fürchten.  Auch vor uns Abgeordnete sollte niemand Angst haben . Wenn uns jemand ein Anliegen vorträgt, wissen wir ganz gut, wie wir damit umgehen und wie wir Kritik einzuordnen haben . Eine Parlamentsarmee muss mit den Mitgliedern des Parlamentes reden dürfen - ohne Angst und ohne Verbot . ({1}) Dass der Mensch im Mittelpunkt der Bundeswehr steht, hat die Verteidigungsministerin richtigerweise immer wieder betont . Ich möchte, dass das so wird und dann auch so bleibt; denn das ist schlicht und ergreifend nicht bei allen Entscheidungen des Hauses der Fall . Der Wehrbeauftragte ist bereits auf wesentliche Punkte seines Berichtes eingegangen, und ich denke, auch in der Debatte zu seinem nächsten Bericht werden wir viel über eine bessere Ausstattung sprechen . Unsere Haushälter  haben  hier  gute  Voraussetzungen  geschaffen. Auch  für das kommende Jahr soll es genug finanzielle Mittel  für die wachsenden Aufgaben der Bundeswehr geben . Sie wissen, dass ich besonders genau hinsehe, wenn es um Menschen und um ihr seelisches und gesundheitliches Wohl geht . Der Sanitätsdienst leistet hier, im Ausland und auch im zivilen Bereich gute Arbeit . Das Personal ist top, die noch immer vorhandenen Papierdokumente sind ein Flop . Wenn ich den Sanitätsdienst in den Standorten besuche, fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt . Damals haben die Arzthelferinnen auch alles mit dem Bleistift auf Papier dokumentiert . Irgendwie widerspricht sich das Ganze: Im Ausland ist unser Sanitätsdienst führend, und zu Hause sind wir, was die Dokumentation betrifft, noch immer in den 60er-Jahren. Ich weiß, dass manche Menschen im Sanitätsdienst Schnappatmung bekommen, wenn ich dieses Thema immer wieder anspreche, und hoffe, dass eine truppenärztliche Versorgung bald überall vor Ort gewährleistet ist . Oftmals fehlt sie . Lassen Sie mich noch zu den Lotsen kommen . Auch der Wehrbeauftragte hat betont, dass sich das Angebot der Lotsen bewährt hat . Sie erfüllen eine wichtige Aufgabe für ihre Kameradinnen und Kameraden . Auch hier geht es um Vertrauen . Man darf aber nicht vergessen, welche Last Lotsen auf ihren Schultern tragen . Als ehrenamtlicher Nebenjob funktioniert dies auf Dauer nicht . Auf Dauer ist eine Freistellung für diese Aufgabe notwendig und, um die Last von den Schultern der Lotsen zu nehmen, eine regelmäßige Supervision . ({2}) Im Hinblick auf die Infrastruktur möchte ich einfach nur ein paar Stichworte nennen: Alte Unterkünfte sollen abgerissen, neue gebaut werden, was dauert . Betreuungseinrichtungen werden geschlossen, und es gibt keinen Ersatz . Gebäude des Sanitätsdienstes in Zweibrücken und Idar-Oberstein sollen abgerissen und neu gebaut werden . Hier gibt es noch immer keine Bewegung . Auf dem Klotzberg in Idar-Oberstein tut sich mittlerweile aber etwas . Die Container für die Betreuungseinrichtung sollen in diesem Jahr wirklich endlich stehen . Das hat dann von 2014 bis 2017 gedauert . Bei der Sporthalle und der Küche in Zweibrücken bewegt sich dagegen noch immer nichts . Ich bin immer wieder fasziniert, mit welchen Mitteln unsere Soldaten ihre Aufgaben meistern . „Aktiv . Attraktiv . Anders .“: Sie sind sehr aktiv, an der Attraktivität müssen wir noch arbeiten, und dem „Anders .“ stimme ich voll zu . Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Dr . Bartels, ich schließe mit diesem Zitat von Martin Luther: Für Heuchelei gibt’s Geld genug . Wahrheit geht betteln . Als Parlamentarier  haben wir  die Pflicht,  zu  prüfen,  ob das, was wir entscheiden, auch so ankommt, wie wir uns das gedacht haben . Was oben gut entschieden worHeidtrud Henn den ist, muss unten auch gut ankommen und darf nicht in der Mitte hängen bleiben . Darum ist der Bericht des Wehrbeauftragten so wichtig für unsere Arbeit, und es ist wichtig, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten, denen wir viel zumuten, auch Zutrauen entgegenbringen . Dieses Zutrauen zeigen wir mit Vertrauen . Nicht vergessen: Der Mensch steht im Mittelpunkt! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen Gottes Segen . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Doris Wagner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Lieber Hans-Peter Bartels! Werte Kolleginnen und Kollegen! Begrüßen möchte ich auch die Mitglieder unserer Streitkräfte: Kommen Sie sicher und gesund durch das neue Jahr! Alles Gute für Sie! Die Bundeswehr hat von allem zu wenig . Das war die Kernbotschaft des Berichts, den der Wehrbeauftragte uns vor ziemlich genau einem Jahr vorgelegt hat . Frau Ministerin, ich sehe, ehrlich gesagt, nicht, dass sich dieses Grundproblem der Bundeswehr im Jahr 2016 wirklich grundlegend geändert hat . Der Klarstand von Hubschraubern und Kampfflugzeugen in der Bundeswehr ist noch  immer erschreckend niedrig . Sieben von zehn Kampfhubschraubern waren im Oktober nicht einsatzfähig . Sieben von zehn! Nach wie vor schafft es die Bundeswehr  nicht, ihre 170 000 Dienstposten für Berufs- und Zeitsoldaten tatsächlich zu besetzen . Ende November fehlten über 2 000 Soldatinnen und Soldaten . Die Bundeswehr gleicht auch 2017 einem Potemkinschen Dorf aus lauter Pappfassaden . ({0}) Was, meine Damen und Herren, tut die Ministerin hier? Sie fügt den Fassaden, die wir schon haben, eifrig neue hinzu . Gleich zwei sogenannte Trendwenden hat Frau von der Leyen in den letzten Monaten verkündet . Mit der Trendwende „Material“ sollen bis 2030 zusätzlich 130 Milliarden Euro in die Rüstung fließen. Von diesem  Geld soll die Bundeswehr nun eine aufgabenorientierte Ausstattung erhalten . Doch schon bei der Frage, worin denn die Aufgaben der Bundeswehr eigentlich bestehen, muss die Bundesregierung passen; denn anstatt im Weißbuch ein klares Aufgabenprofil mit klaren Prioritäten zu  skizzieren - auch bei der Ausrüstung -, meint Frau von der Leyen, dass die Bundeswehr einfach alles können soll . Deshalb investieren wir jetzt viele Milliarden Euro in unnötige Kampfpanzer und in fragwürdige Korvetten . ({1}) Dabei hat die Bundeswehr weder das Personal, um alle diese Rüstungsprojekte vernünftig zu managen, Kollege Gädechens, noch das Personal, diese vielen neuen Gerätschaften vernünftig zu nutzen und zu warten . Ja, ich bin einverstanden: Die Bundeswehr braucht besseres Material, gar kein Zweifel . Doch, Frau Ministerin, dieses Problem alleine durch neue Milliardeninvestitionen in Rüstung zu beheben, halte ich für kurzsichtig und allzu oberflächlich. ({2}) Was die Bundeswehr vor allem braucht, sind ein klares und mit unseren neuen europäischen Partnern abgestimmtes  Aufgabenprofil  und  ausreichendes  Personal,  das das Material auch nutzen und warten kann . ({3}) Damit sind wir bei der zweiten sogenannten Trendwende, nämlich bei der Trendwende „Personal“ . Um 7 000 Soldatinnen und Soldaten soll die Truppe bis 2023 aufgestockt werden . Genauso gut könnte Frau von der Leyen verkünden, dass Wladimir Putin morgen seine Truppen von der Krim abzieht . Solche Ankündigungen sind noch keine Politik . Das ist doch reines Wunschdenken . Woher sollen denn diese vielen neuen Soldatinnen und Soldaten kommen? ({4}) Bei der Marine fehlen laut Bericht des Wehrbeauftragten Techniker . Ganze U-Boot-Besatzungen sind lahmgelegt, weil es keine Techniker in ausreichender Zahl gibt . ({5}) Im  Sanitätsbereich  klaffen  mittlerweile  solche  Lücken, dass es fraglich ist, ob die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz überhaupt noch zu schützen ist . Schauen wir uns den Einsatz in Mali an: Da müssen wir doch - lassen Sie mich das etwas salopp ausdrücken - das medizinische Personal an allen Ecken zusammenkratzen . In dieser Situation einmal so eben 7 000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten zu verordnen, ist in meinen Augen unredlich . Das verhöhnt auch die völlig überlastete Truppe, meine Damen und Herren . ({6}) Ihre Trendwenden, Frau Ministerin, sind in meinen Augen nichts anderes als reine Symbolpolitik . Die Probleme der Bundeswehr lösen Sie damit nicht, genauso wenig wie mit Ihren Werbeplakaten und der neuen Rekrutenserie, die die Bundeswehr als eine Art Outdoor Challenge verharmlost . Keine dieser teuren Werbemaßnahmen hat bisher den Schrumpfungsprozess der Streitkräfte verhindert . Ende November zählte die Truppe knapp 7 500 Soldatinnen und Soldaten weniger als noch 2013 . Die Menschen sind doch nicht dumm . Sie lesen Zeitung, hören Radio und schauen Nachrichten . Dort erfahren sie dann, dass es bei der Bundeswehr oft gar nicht um das Weiterkommen und die Karriere geht, wie zwei von diesen Werbeplakaten vollmundig versprechen, sondern um frustrierende Beurteilungen und Beförderungsstau . ({7}) Bei der Bundeswehr erlebt man gerade keine Stärkung des Selbstwertgefühls, sondern häufig genug herabwürdigende Sprüche, omnipräsente Hierarchie und Bürokratie, so weit das Auge reicht . ({8}) - Sie bringen mich nicht aus dem Konzept, Herr Kollege . - Insbesondere die begehrten Cyberspezialisten, die IT-Nerds, werden von dieser Organisationskultur doch gerade abgeschreckt . Deshalb, Frau Ministerin, hören Sie doch bitte mit Ihrer Politik der verordneten Trendwenden auf . Hören Sie auf mit den falschen Versprechungen . ({9}) Gehen Sie ran an die Organisationskultur . Setzen Sie die Arbeitszeitverordnung vernünftig um . Entrümpeln Sie den Grundbetrieb . Stellen Sie das Personalamt endlich in den Dienst der Soldatinnen und Soldaten . Nur so - mit ehrlichen Reformen - kann die Bundeswehr auf dem Weg zu einer modernen Streitkraft wirklich vorankommen . Vielen Dank . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gisela Manderla von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Wer sich heutzutage in dieser durchzivilisierten Gesellschaft für den Dienst in der Bundeswehr entscheidet und damit für die unterschiedlichen Strapazen und Belastungen, private und persönliche Entbehrungen, langer Zeiten der Trennung von der Familie und vieles mehr, der hat - das hat sich heute gezeigt - die umfassende Unterstützung nicht nur des Verteidigungsausschusses, sondern des ganzen Hauses verdient . Ja, die Soldaten und Soldatinnen haben ein Anrecht darauf, liebe Kollegen und Kolleginnen . Da geht es nicht um ein Gefühl . Auch geht es dabei nicht darum, die Bundeswehr, das Ministerium sowie die Soldaten und Soldatinnen immer nur schlechtzureden . ({0}) Diese Unterstützung, dieses Anrecht muss meines Erachtens besonders für drei Bereiche gelten: erstens für die materielle Unterstützung und Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten, zweitens für eine tiefgreifende Verankerung der Streitkräfte in der Mitte der Gesellschaft, und drittens geht es um den Schutz unserer Soldaten und Soldatinnen bzw . um die Gewährleistung ihrer Grundrechte nach innen wie nach außen . Insbesondere für den dritten Punkt, den Schutz, hat der Deutsche Bundestag mit dem Amt des Wehrbeauftragten eine  ganz  besondere  Institution  geschaffen, welche  die  Fürsorgeverantwortung des Hauses für die Menschen in unseren Streitkräften widerspiegelt . Ich möchte Ihnen, Herr Dr . Bartels, sowie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für Ihre Arbeit danken . Anregen möchte ich auch, dass wir den Bericht demnächst zeitnah nach Ende des jeweiligen Jahres beraten können . Jetzt über 2015 zu reden - das ist ja schon mehrere Male angesprochen worden -, ist nicht so sinnvoll . Aber die Ministerin hat ja schon die anstehenden Dinge genannt . Angesichts der verschiedenen Entwicklungen in der Bundeswehr und angesichts eines ganzen Bündels alter und vor allen Dingen neuer Aufgaben fällt einem im Jahresbericht besonders eines auf: Die Eingabequote sinkt zum dritten Mal in Folge . Auf jeweils 1 000 Soldaten und Soldatinnen gab es genau 24 Eingaben . Natürlich muss jede Eingabe ernst genommen werden . Manch eine Eingabe deckt Missstände und Fehlentwicklungen auf, denen der Dienstherr dann nachgehen kann . Insofern ist dieser Jahresbericht ein ausgesprochen nützliches Dokument, nämlich einerseits für die Soldatinnen und Soldaten, die sich außerhalb des regulären Dienstweges an eine neutrale und objektive Instanz wenden können, und andererseits für den Dienstherrn, der über den Jahresbericht einen noch besseren Überblick über die innere Verfasstheit seines Personals bekommt . Angesichts der Größe des Personalkörpers, der Gott sei Dank aufwächst, läuft offenkundig eine Menge ganz  gut und richtig in der Bundeswehr - und das, meine Damen und Herren, obwohl sich unsere Streitkräfte in einem tiefgreifenden Wandel befinden und sich umfassend  neu ausrichten auf alte und neue Herausforderungen, denen sich Deutschland gegenübersieht, liebe Kolleginnen und Kollegen . Dies deckt sich auch mit Erfahrungen, die ich in vielen Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten im Inland, aber auch in den Einsatzgebieten geführt habe . Deren hohe Leistungsbereitschaft, deren Willen, sich einzubringen, müssen wir aktiv flankieren und unterstützen . Und das geschieht auch . Besonders vor dem Hintergrund neuer Einsatzszenarien und eines Wandels der Rolle Deutschlands in der Welt ist der Umbau der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- zu  einer Freiwilligenarmee eine besonders anspruchsvolle Aufgabe, die auch haushalterisch zu hinterlegen ist . Wir haben begonnen, diesen Weg zu gehen, und haben den Einzelplan 14 mit mehr Mitteln ausgestattet . Diesen Weg, liebe Kollegen und Kolleginnen, müssen wir mit aller Entschlossenheit fortsetzen; denn - da hat die Kollegin Wagner recht - nach 25 Jahren auf der Haushaltsbremse und der daraus resultierenden materiellen wie personellen Auszehrung der Bundeswehr können die Probleme nicht über Nacht gelöst werden und nicht mit einer einmaligen Erhöhung des Etats . Da muss noch einiges folgen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Präsidentin . - Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal herzlichen Dank an den Wehrbeauftragten für seinen Bericht . Ich wünsche den Soldaten und Soldatinnen im Einsatz, dass sie gesund nach Hause kommen . Wir als CDU/CSU-Fraktion werden uns weiterhin für unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Redner hat der Kollege Reinhard Brandl das Wort . - Ich habe die herzliche Bitte, die vereinbarte Redezeit einzuhalten .

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einen Vorteil hat es schon, Frau Ministerin, wenn wir jetzt den Bericht von 2015 diskutieren: Wir können nämlich direkt vergleichen, was 2016 alles passiert ist . Ihr Haus arbeitet da ja sehr transparent . Wir haben Mitte 2016 einen Bericht bekommen, was das BMVg alles tun möchte, und wir haben Ende 2016 von Staatssekretär Grübel einen Bericht bekommen, was es nach dem Bericht des Wehrbeauftragten 2015 bereits alles getan hat . ({0}) Bei diesen Berichten wird eines deutlich: Die Ministerin legt nicht die Hände in den Schoß, ({1}) und wir im Parlament ziehen nicht die Köpfe ein und warten nicht darauf, dass das Unwetter in Form der Sicherheitslage vielleicht an uns vorüberzieht, sodass wir bei schönem Wetter mit Sonnenschein und Frieden wieder aufwachen . Nein, vielmehr wird deutlich: Wir haben gemeinsam gehandelt, die Bundeswehr für ihre Aufgaben heute besser auszurüsten . Der Bundeshaushalt ist bereits angesprochen worden . Ich möchte beispielhaft ein paar Elemente aus dem Bericht von Staatssekretär Grübel nennen . Nehmen wir als Beispiel - es ist heute schon öfter angesprochen worden - den Mangel an geschützten Fahrzeugen . Im letzten Jahr sind über 1 000 Pkws und Lkws zugelaufen . Nehmen wir als Beispiel die Kampfausrüstung - sie wurde von den Soldaten immer wieder bemängelt -: Im letzten Jahr sind 5 000 Sätze moderner Kampfbekleidung und 5 500 Schutzwesten für die Soldaten zugelaufen . ({2}) Nehmen wir als Beispiel das Personal . Ein Talentpool wurde eingerichtet, Möglichkeiten der Onlinebewerbung wurden verbessert . Über viele Werbemaßnahmen stolpern wir tatsächlich jeden Tag, wenn wir durch die Straßen gehen . Sie mögen jetzt nicht jedem gefallen; aber vielleicht gehört ja auch nicht jeder von uns der entsprechenden Zielgruppe an . ({3}) Nichtsdestotrotz geben die Zahlen der Ministerin recht: Die Bewerberzahlen steigen, und der Frauenanteil innerhalb der Bundeswehr steigt auch . Meine Damen und Herren, es ist nicht alles gut und schön bei der Bundeswehr; das will ich mit diesem Statement gar nicht zum Ausdruck bringen . Wir haben einige Probleme, die strukturell bedingt sind . Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren massiv verändert . Das Aufgabenspektrum hat sich massiv verändert . Vor drei Jahren hat niemand hier eingeplant, dass die Bundeswehr ein Bataillon nach Litauen verlegen wird . Sie tut es doch . Sie tut es gut . Sie muss es tun, obwohl ihre Strukturen nicht darauf ausgelegt sind . Das führt zu Engpässen beim Personal . Das führt zu Engpässen beim Material . Aber, meine Damen und Herren, nicht alles das, was der Wehrbeauftragte des Bundestages aufgeschrieben hat, hängt mit der veränderten Sicherheitslage zusammen . Wenn, wie wir in dem Bericht lesen, in einer Kaserne die Wasserversorgung nicht richtig funktioniert und ständig Legionellen auftreten, dann sind daran weder Russland noch der IS schuld . Oder wenn - das können wir da auch lesen - ein Vorgesetzter seinen Untergebenen als „Wurst“ bezeichnet, dann ist das schlicht und einfach Ausdruck fehlender Führungsverantwortung . Daran muss die Bundeswehr arbeiten . Wenn ich unter 2016 den Strich ziehe, dann kann ich feststellen, dass die Bundeswehr 2016 jeden Tag besser geworden ist . ({4}) Um diesen Prozess aber fortzusetzen, müssen Probleme benannt werden . Das Ministerium tut das, wir alle hier im Parlament tun das, und der Wehrbeauftragte tut das . Insofern freue ich mich, meine Damen und Herren, auf den Bericht, den er nächste Woche für 2016 vorlegen wird . Es wird auch für unsere Arbeit wieder eine Menge Ansatzpunkte geben . Aber dafür sind wir ja da . In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Danke, auch dafür, dass Sie innerhalb der Redezeit geblieben sind . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, schließe ich die Aussprache . Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten; das sind die Drucksachen 18/7250 und 18/9768. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der  Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen . Darüber werden wir jetzt abstimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gibt es jemanden, der dagegenstimmt oder sich enthält? - Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden, und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Dem Frieden verpflichtet - Friedens- und Konfliktforschung stärken Drucksachen 18/10239, 18/10849 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich kann die Aussprache eröffnen. Als erste Rednerin  in der Aussprache hat Dr . Claudia Lücking-Michel das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Dr. Claudia Lücking-Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Einen ganzen Morgen lang haben wir jetzt schon über Bundeswehreinsätze und die Bundeswehr im Plenum gesprochen . Jetzt endlich rufen wir das Thema  „Friedens-  und  Konfliktforschung“  auf.  Stoff  genug haben wir offensichtlich. Trotzdem wird die Relevanz dieses Forschungsgebietes durchaus von einigen Kollegen infrage gestellt . Aber unser Antrag zeigt, dass wir das ganz anders sehen . Gleichzeitig zeigt er auch die Komplexität des Themengebietes . Einige Anmerkungen dazu: Erstens. Friedens- und Konfliktforschung ist vor allen  Dingen eines: interdisziplinär . Wenn sie auch traditionell politikwissenschaftlich geprägt war, so umfasst sie jetzt viele Fachgebiete: Jura, Geistes- und Sozialwissenschaften, Theologie, Ethnologie und natürlich auch die Naturwissenschaften . Denken Sie nur an die Rüstungskontrolle . Eine Vielzahl von Disziplinen ist gefragt und ihre Expertise dringend nötig; denn die zahlreichen Konflikte  überall auf der Welt haben niemals nur eine einzige Ursache . Entsprechend kann man ihnen sinnvollerweise auch nicht nur mit einem einzigen Ansatz begegnen . ({0}) Nur auf Militär zu setzen, geht nicht . Aber leider gilt oft genug: Mit militärischen Mitteln muss man erst bewaffnete Konflikte so weit beenden, dass die Voraussetzungen geschaffen  sind  für Verhandlungen und weitere  Maßnahmen . Erst dann kann man sinnvoll an Aussöhnung arbeiten, rechtsstaatliche Strukturen aufbauen und gute Regierungsführung ermöglichen . In diesen schwierigen Situationen ist jedenfalls eines unbedingt nötig: klare Analysen, um informierte und kluge politische Entscheidungen treffen zu können. ({1}) Zweitens.  Friedens-  und  Konfliktforschung  befasst  sich mit einem breiten Themenfeld; denn es hat wenig Sinn, zwischen- und innerstaatliche Konflikte als einzelne, isolierte thematische Blöcke zu untersuchen . In den Blick nehmen muss man immer ganze Kontexte . Konflikte sind etwa Ursache für Flucht und Vertreibung, und  die Folgen von Flucht und Vertreibung sind oft genug wieder Ursachen für neue Konflikte.  Ein  Beispiel  will  ich  aufführen: Aktuell  fördert  das  BMBF ein Verbundprojekt „Flucht: Forschung und Transfer“, das Erkenntnisse über Gewaltmigration und Fluchtursachen bündelt . Diese Fluchtforschung bezieht explizit die Auswirkungen von Gewalterfahrungen mit ein . Wir wissen es: Sie sind für die Radikalisierung von Menschen oft von zentraler Bedeutung . Es geht in dem Projekt aber auch um die spätere Reintegration von Flüchtlingen . So wird analysiert, wie die Rückkehr von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer irgendwann einmal  gelingen kann, ohne dass vor Ort gleich wieder neue Konflikte  geschaffen werden, welche Bedingungen  dafür in der Heimat geschaffen werden müssen, aber auch,  welche in der Zwischenzeit in den Aufnahmeländern . Zunehmend - das wird jetzt schon klar - geht es also auch um Themen, die uns hier in Deutschland direkt betreffen. Es geht um  innere Sicherheit und die Bedingungen gesellschaftlichen Friedens hier bei uns . Hochaktuell  ist  das  Projekt  zur  Erforschung  des  Salafismus  in Deutschland, das von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in den letzten zwei Jahren  durchgeführt wurde . Es liefert einen Überblick über das Wissen,  das wir  bei  uns  über  Salafismus  schon  haben,  aber auch darüber, welche Daten und Erkenntnisse uns noch fehlen, zum Beispiel über Anwerbepraktiken, um daraus wirkungsvolle Maßnahmen zur Prävention ableiten zu können . Noch ein Drittes will ich sagen: Akteure der Friedensund  Konfliktforschung  sind  ebenso  vielfältig  wie  die  Disziplinen und die Themen . Sie arbeiten aus sehr unterschiedlichen Perspektiven . Schauen wir einmal auf die Akteure: Hier gibt es ein Spektrum von der Universität der Bundeswehr über das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg bis hin zum Leibniz-Institut in Form der Hessischen Stiftung . Wir fördern diese Träger in der ganzen Breite und sollten dies bewusst auch in Zukunft tun, sei es über die sogenannten Area Studies, die soziale, kulturelle und politische Gegebenheiten für bestimmte Regionen untersuchen, sei es über die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die ihrerseits Förderangebote für Dritte ausschreibt . In der Debatte über unseren Antrag im Forschungsausschuss wurde schon deutlich, dass die Kollegen von der Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Linken  der  deutschen  Friedens-  und Konfliktforschung  gerne pauschal Regierungsnähe unterstellen . ({2}) Umgekehrt halten einige CDU/CSU-Kollegen, also Kollegen von mir, die ganze Szene für links unterwandert . ({3}) Ich finde, wenn sich beide Seiten aufregen, ist das schon  einmal kein schlechtes Zeichen . ({4}) Denn mir ist eine plurale Trägerstruktur in diesem Forschungsfeld besonders wichtig . Wir sollten als Politiker nicht bestimmte Träger bevorzugen oder gar Ergebnisse in Auftrag geben, sondern unsere Aufgabe sollte es sein, einen Rahmen zu setzen, in dem die verschiedensten Akteure unabhängig forschen können . Wir haben aber durchaus auch einige sehr konkrete Anliegen . So formuliert unser Antrag, dass wir in Zukunft einen noch deutlich verstärkten Wissenstransfer von der Forschung in Gesellschaft und Politik haben wollen . Im besten Fall liefert die Forschung fundierte Hintergrundinformationen für unsere politisch aktuellen Entscheidungen, liefert unabhängige Bewertungen für die praktische Politik und zeigt neue Handlungsoptionen auf . Jetzt höre ich schon die Kritiker sagen: Aber die Forschungsergebnisse kommen doch immer zu spät . Schauen Sie doch einmal, wie viele Konflikte Sie nicht  verhindern konnten . Und: Für die Suche nach Lösungen sind sie nicht verwertbar . - Das stimmt so nicht . ({5}) Vorab will ich sagen: Grundlagenforschung hat ihren Sinn auch dann, wenn ihre Ergebnisse nicht direkt angewendet werden können . Diese Binsenweisheit jeder Wissenschafts- und Forschungspolitik gilt auch für die Friedens- und Konfliktforschung. Doch dann gilt selbstverständlich auch: Es gibt Anwendungsnutzen . Das zeigt allein schon die Tatsache, wie oft Expertise von den verschiedenen Ministerien angefordert wird . ({6}) Ein Beispiel will ich nennen . Das BMZ hat im letzten Jahr erstmals eine Strategie zu Religion und Entwicklung vorgelegt und dazu auf Ergebnisse von Forschungsprojekten  zurückgegriffen,  die  aus  dem  Hamburger  GIGA-Institut kamen . In einem Projekt wird die Rolle von Religionen in Konflikten untersucht. Wichtig ist: Dabei zeigt sich, dass Religion nicht nur etwa oft Ursache für die gewaltsame Eskalation von Konflikten ist - wie  ich es oft genug in öffentlichen Debatten höre -, sondern  auch umgekehrt eine Rolle spielt, wenn es darum geht, Konflikte zu befrieden oder einzudämmen. Ebenso wird  dort untersucht, inwiefern Religion positiv nachhaltige Entwicklung in einer Community befördern kann . Hier findet  also Forschung begleitend zu Politikentwicklung  statt . Das gilt übrigens auch für das schon erwähnte Salafismus-Projekt. Forschungsergebnisse wurden nicht nur  den Fachpolitikern kommuniziert, sondern sie waren auch Inhalt von Kurzfilmen und Blogs. Diese Kurzfilme  gehören seit Mitte 2016 übrigens zum Standardlehrmaterial für die Aus- und Weiterbildung von Polizeibeamten in Baden-Württemberg . Das nenne ich mal einen gelungenen Transfer . ({7}) In anderen Punkten unseres Antrags machen wir jedoch auch deutlich, wie wichtig es ist, dass es eine unvoreingenommene Evaluierung des gesamten Forschungsfeldes - am besten durch den Wissenschaftsrat - gibt, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was man verbessern kann . Ich bin überzeugt: Die Ergebnisse der Evaluierung werden auch Hinweise für eine zukünftige auskömmliche Finanzierung dieses Forschungsfeldes geben . Zum Schluss möchte ich noch kurz auf ein drittes Anliegen in unserem Antrag eingehen . Ich nenne nur ein Schlagwort: Es geht uns um internationale Vernetzung und Austausch, auch und gerade für das hier adressierte Feld . Mit unserem Antrag wollen wir der Friedens- und Konfliktforschung  die  dringend  nötigen  neuen  Impulse  geben . Ich bitte Sie: Stimmen Sie dafür! Danke schön . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ralph Lenkert für die Fraktion die Linke das Wort . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! Wie sieht es in vielen arabischen Regionen aus? Ein ausgetrocknetes Flussbett liegt in gleißender Sonne, am Ufer stehen ein paar ärmliche Häuser mit abgestorbenen Obstbäumen, und auf der staubigen Straße verabschiedet sich eine Familie von den Großeltern . Infolge der Erderwärmung stieg die Temperatur, und seit vier Jahren hat es nicht geregnet . Um zu überleben, muss die Familie in die Großstadt ziehen . Ihr Ackerland verwaist . Nur die Alten bleiben zurück . Tausende Bauern und Hirten verloren wegen der Dürre ihre Existenzgrundlage und zogen in die Städte . Behörden, Infrastruktur, Sozialsysteme sind dem Ansturm nicht gewachsen . Die Spannungen zwischen den Menschen nehmen  in dem Maße zu, wie Binnenflucht,  Armut, aber auch Reichtum wachsen . Auf beginnende Proteste der Bevölkerung reagiert der autokratische Präsident mit Repressalien . Religiöse Fanatiker und Nationalisten wittern ihre Chance . Das Land steuert auf einen Bürgerkrieg zu . Genau dieses Szenario - Dürre, Landflucht, übervölkerte Städte, innere Spannung, Bürgerkrieg - entstammt einer wissenschaftlichen Studie von 2012 . Diese Studie schlägt auch Gegenmaßnahmen vor: Investitionen in wirtschaftliche Entwicklung, zum Beispiel in erneuerbare Energien, damit Meerwasser preiswert entsalzt und zur Bewässerung genutzt werden kann, in die Unterstützung der Landbevölkerung zur Bewältigung der neuen klimatischen Bedingungen . Es geht also um eine lokale wirtschaftliche Entwicklung, von der die Gesellschaft vor Ort profitiert.  ({0}) Das hilft, Spannungen und Konflikte zu reduzieren. Wirtschaftskrisen und wachsende Einkommensunterschiede dagegen verstärken die Probleme . Die Studie ist eine beeindruckende Vorhersage für den nordafrikanischen bzw . arabischen Raum und stammt von einer regierungsnahen, einer von uns eigentlich nicht so sehr geliebten Organisation, nämlich der Bundeswehr, ({1}) dem Dezernat „Zukunftsanalysen“ des Planungsamtes der Bundeswehr . Diese Studie sagt geradezu prophetisch die Entwicklung des syrischen Bürgerkrieges voraus . Kannten Sie, liebe Damen und Herren von der Koalition, diese Studie mit dem Titel „Umweltdimensionen von Sicherheit“? Wenn nein, frage ich mich: Nehmen Sie die Bundeswehr ernst? Und wenn ja, muss ich feststellen: Sie ignorieren die Ergebnisse, die Ihnen nicht passen . ({2}) Aber egal, ob ja oder nein: Angesichts dieses Umgangs mit der Bundeswehrstudie frage ich Sie: Werden Sie zukünftig die Ergebnisse der Friedens- und Konfliktforschung, deren Stärkung Sie hier fordern, auch berücksichtigen? ({3}) Der Bürgerkrieg in Syrien hätte verhindert werden können . In der rückblickenden Analyse zum Syrien-Konflikt des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Hamburg, werden neben dem Klimawandel weitere Faktoren genannt, die innersyrische Spannungen verschärften: einbrechende Einnahmen aus dem Ölexport, die vom Westen erzwungene Liberalisierung der Wirtschaft, die fehlende soziale Verantwortung des Regimes, ineffiziente Verwaltungsstrukturen, und dann kam  die Dürre obendrauf . Jeder normal denkende Mensch weiß: Wenn man in so eine Krisenregion Waffen liefert,  wie es deutsche Firmen getan haben, dann legt man die Zündschnur . ({4}) Deshalb lehnt die Linke Waffenexporte strikt ab. Die  Linke fordert fairen Handel statt Freihandel, mehr Gelder für Entwicklung und die Unterstützung des Ausbaus der erneuerbaren Energien . ({5}) Hätte  man  2012  diese  Maßnahmen  ergriffen,  würden  Hunderttausende Syrer vielleicht noch leben, wären Millionen nicht auf der Flucht . Aber der Prophet gilt im eigenen Hause bekanntlich nichts . ({6}) Wahrscheinlich ignorieren Sie deshalb seit Jahren unsere Warnungen und Forderungen und sogar die Informationen der Bundeswehr . Ich freue mich trotzdem über den Antrag der Koalition und habe die Hoffnung, dass Sie vielleicht zukünftig die Ergebnisse der Forschung übernehmen werden, auch wenn in diesem Antrag sehr wenig Konkretes steht . Die Linke wird alles unterstützen, was Kriege verhindert oder beendet, Frieden sichert und Frieden schafft - ohne  Waffen. Vielen Dank . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat René Röspel für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht ist es sogar bezeichnend, dass wir an einem Mittag kurz vor dem Wochenende, nachdem über die Militäreinsätze gesprochen und der Bericht des Wehrbeauftragten gegeben worden ist, noch über Friedens- und Konfliktforschung reden, sozusagen am Ende  der Sitzungswoche . ({0}) Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich in dem Alter vieler der Zuhörer hier war: 1979 saß ich vor dem Fernseher und betrachtete entsetzt die sowjetische Armee, die in Afghanistan einmarschierte, und ich war nicht sicher, was passieren würde . Ihr in der DDR werdet das vielleicht anders gesehen und anders beurteilt haben . ({1}) Es gab ein paar Tage und Wochen Diskussionen, in denen begründet wurde, warum das passiert, und dann ist das Thema schnell wieder verschwunden, und man hat Jahre nichts davon gehört . Mir, wie vielen Millionen anderer Menschen, begegnete das Thema Afghanistan erst wieder, als James Bond in dem Kinofilm Der Hauch des Todes von den afghaRalph Lenkert nischen Mudschaheddin, den Glaubenskriegern, gerettet wurde, und das waren dann offenbar die Guten. Das Thema ist dann wieder verschwunden, und im März 2001 ging ein Erschrecken durch die Weltbevölkerung, weil die Taliban die Buddha-Statuen in Bamiyan, die zum Weltkulturerbe gehörten, zerstörten . Die Welt war über diesen Kulturfrevel entsetzt . Ein halbes Jahr später musste dann der Bundestag hier entscheiden, ob er sich militärisch an einem Einsatz in Afghanistan beteiligt . Viel differenzierter als der Krieg in Afghanistan sind  in den 90er-Jahren die Golfkriege betrachtet worden . Sie waren viel mobilisierender . Tausende von Menschen, darunter Kinder und Schüler, sind auf die Straße gegangen . Damals war der Irak unter Saddam Hussein sozusagen das Bollwerk des freien Westens gegen den Iran unter dem Ajatollah Chomeini . Das ändert sich relativ schnell . Irgendwann Jahre später wurde dann Saddam Hussein der Gegner und der Böse in einer Auseinandersetzung, bei der es um viel mehr ging als um Frieden in der Golfregion, nämlich auch um wirtschaftliche Interessen . Als  in Libyen die Gelegenheit bestand, Gaddafi  loszuwerden, waren viele Länder versucht - sie haben es auch gemacht -, Gaddafi zu stürzen, nicht wissend, was  eigentlich in dem Land und mit dem Land danach passieren wird . Wenn man die fürchterlichen Bilder aus Syrien sieht so geht es mir jedenfalls -, weiß man nicht, wer bei dem Konflikt gerade mit wem gegen wen wofür kämpft. Am  Ende ist die Frage: Wer sind eigentlich die Guten und wer die Bösen? Die Antwort darauf wird es so nie geben, weil das ganze Feld sehr komplex ist . Wer sind eigentlich diejenigen, die Kriege anfangen? Wie entstehen Konflikte? Wo ist Konfliktpotenzial? Was  sind die Ursachen von Kriegen? Ralph Lenkert hat ja einige angesprochen . Was werden die neuen Herausforderungen sein? Zum Beispiel der Klimawandel oder die Tatsache, dass Menschen nicht mehr in ihrer Region leben können, weil sie dort kein Wasser haben, keine Chance auf Arbeit, ihre Ernährung nicht sicherstellen können, weil es dort unterschiedliche Ethnien gibt, die aufgrund bestimmter Bedingungen als Land zusammengeschweißt wurden - wie geht man mit solchen Fragen um? Wenn es um die Antworten geht, braucht Politik immer Hilfe und Beratung . Das Beste wäre, wenn man eine Friedens-  und  Konfliktforschung  hätte,  die  eindeutige  Antworten geben kann . Das ist im seltensten Fall so . Aber es ist wichtig, dass es eine solche Friedens- und Konfliktforschung gibt. Wir  sind  in Deutschland exzellent aufgestellt . Ich habe in meiner vor einigen Wochen zu Protokoll gegebenen Rede viele Institute aufgezählt, auf die wir stolz sein können . Sie verrichten gute Arbeit . Ihre Analysen und Äußerungen werden häufig nicht genug beachtet, aber sie geben wichtige Anhaltspunkte für politische Entscheidungen . Ein wichtiger Impuls, den wir als Koalition mit diesem Antrag setzen, ist, dass wir der Friedens- und Konfliktforschung einen anderen Stellenwert geben und  für  Kontinuität und Verlässlichkeit sorgen wollen . Auch das ist ein wesentlicher Vorteil dieses Antrags: Wir reden über dieses Thema, während die Opposition in dieser Frage leider keinen Vorstoß gemacht hat . ({2}) Ich finde sogar, dass Friedens- und Konfliktforschung so  verlässlich  und  kontinuierlich  finanziert  werden  sollte,  wie wir es beim Pakt für Forschung und Innovation machen, in dessen Rahmen wir technische Wissenschaften und viele andere mit 3 Prozent jährlich fördern . ({3}) Ausdrücklich will ich an dieser Stelle - meine Redezeit ist kurz - Claudia Lücking-Michel für ihr Engagement danken und dafür, dass der Antrag, über den wir hier reden, überhaupt zustande gekommen ist . Das war nicht ganz einfach . Wir haben bei dem gemeinsamen Antrag  für  Friedens-  und Konfliktforschung  vieles  abspecken müssen . Es ist auch dein Verdienst, dass es möglich geworden  ist,  dass wir  diesen  Impuls  setzen.  Ich  finde  es ausdrücklich schade, dass wir gerade aus den Reihen der Verteidigungspolitiker der Union immer wieder aufgefordert wurden, das Ganze abzuspecken oder zu reduzieren . Ich will an dieser Stelle sagen: Wir haben in diesem Haushalt den Verteidigungsetat gegenüber dem letzten Jahr um 2 700 Millionen Euro erhöht . Angesichts der Krisen und Katastrophen, angesichts der Notwendigkeit, mehr  darüber  zu wissen, wie Konflikte  entstehen,  wie man sie vielleicht verhindern kann und wie man Abrüstung und Rüstungskontrolle machen kann, müsste es doch eigentlich ein paar Millionen mehr für Friedensund Konfliktforschung  geben,  um  an  den Ursachen  zu  arbeiten . ({4}) Ganz herzlich bedanken möchte ich mich auch bei den vielen in der Bevölkerung, die seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung immer wieder daran gearbeitet haben, Ursachen differenziert zu betrachten und auf sie  hinzuweisen . Sie erlauben mir, dass ich stellvertretend an dieser Stelle ganz herzlich Günter Sauerbier danke, der in einigen Minuten in Hagen einen Friedenspreis für sein Lebenswerk, für seine Arbeit bei Pax Christi bekommen wird . Menschen wie er sind es, die unsere Gesellschaft besser machen; von diesen brauchen wir viel mehr . Ich wünsche Ihnen viele gute Erkenntnisse und dass wir bei der Friedens- und Konfliktforschung besser werden. Vielen Dank . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diesem Tag einer tiefen Zäsur in den USA diskutieren wir über die Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung  hierzulande.  Ich  finde  das  durchaus  passend.  Denn  das Verstehen  von Konfliktursachen,  das Verhindern von Konflikten und Kriegen, mehr Prävention, Rationalität und Gedankenaustausch tun den internationalen Beziehungen gut . Anders gesagt: Postfaktische Einfalt darf die internationale Politik nicht bestimmen; denn es geht letztlich um den Erhalt des friedlichen Zusammenlebens von uns allen . Die Politik ist auf wissenschaftlich fundierte Informationen und Empfehlungen angewiesen . Für uns Grüne ist deshalb klar: Wir müssen die Friedensforschung besser ausstatten und systematisch stärken . ({0}) Die Regierung hat die Expertise der Friedens- und Konfliktforschung in den vergangenen Jahren zu wenig  berücksichtigt . Das muss sich dringend ändern . Die Ergebnisse der Friedensforschung müssen endlich stärker in der Regierungsarbeit auf allen Ebenen Leitschnur werden . ({1}) Politische Tatkraft und Weisheit können dadurch nicht ersetzt werden . Aber die Forschung kann uns Parlamentariern und auch den Regierungsmitgliedern wichtige Entscheidungshilfen in sehr unsicheren Zeiten geben . Genannt seien die verschärften Herausforderungen des internationalen Terrorismus und asymmetrischer Kriegsführung, Attacken auf unsere digitalen Infrastrukturen und Verteilungskonflikte - Verteilungskonflikte aufgrund  von Ressourcenmangel, von Klimakrise, aufgrund einer unfairen Handelspolitik oder der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich; Kollege Lenkert hat hierzu auch schon ausgeführt . Notwendig sind dafür mehr interdisziplinäre und vernetzte Forschungsansätze, wie sie in dieser Woche im Forschungsausschuss auch mit Blick auf Flucht und Flüchtlinge diskutiert wurden . In ihrem Antrag listet die Koalition die wichtigsten Forschungsinstitute im Bereich Frieden und Konflikt auf.  Das ist verdienstvoll . Wir vermissen allerdings konkrete Aussagen zu strukturellen Verbesserungen und zu den Zukunftsperspektiven dieser Institute und ihrer künftigen Finanzierungsstruktur . Die Finanzierungslücken sind eklatant - vor allem, wenn renommierte Institute wie die Deutsche Stiftung Friedensforschung auf Zinszahlungen aus ihrem relativ kleinen Stiftungskapital angewiesen sind . Das muss sich dringend bessern . ({2}) Denn die unsichere Finanzierung ist auch eine wichtige Ursache dafür, dass der wissenschaftliche Nachwuchs in diesem so wichtigen Forschungsfeld nur schwer Fuß fassen kann . Die Friedensforschung ist leider ein Musterbeispiel dafür, wie unsichere Beschäftigungsperspektiven zur Abwanderung hochqualifizierter Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler führen . Diesen Verlust an Expertise dürfen wir uns nicht länger leisten . ({3}) Wir begrüßen, dass der Wissenschaftsrat mit der Evaluation der Friedensforschungsstrukturen beauftragt wurde . Aus den Ergebnissen müssen wir dann aber tatsächlich auch Konsequenzen ziehen, vor allem zur Stärkung der Friedensforschung in Deutschland . Verbesserungsbedarf sehen wir auch bei der europäischen und internationalen Vernetzung . Es ist gut, dass die Deutsche Stiftung Friedensforschung zumindest kleine Pilotprojekte im internationalen Raum startet . Mehr ist momentan nicht drin, weil die Stiftung an ihrem Limit arbeitet . Das hat sogar der Bundesrechnungshof festgestellt und bemängelt . Und das sollten Sie doch ernster nehmen, meine Damen und Herren . Das hätten Sie mit Ihrem Antrag doch ändern können . ({4}) Friedensförderung  und  Konfliktprävention  sind  für  uns Querschnittsaufgaben . Es geht dabei auch um den Ausbau der Friedenspädagogik, um zivile Krisenprävention etwa durch den Ausbau von Austauschprogrammen, Freiwilligendiensten und interdisziplinären internationalen Studiengängen . Gerade bei Letzterem könnte sich das BMBF auch deutlich mehr anstrengen . Friedensforschung muss unabhängig sein . Friedensforschung muss auch immer unbequem sein . Gerade sie kann Ursachen für Konflikte aufdecken, die andere nicht  sehen können oder sehen wollen - beispielsweise den Zusammenhang zwischen steigenden Rüstungsexporten und Fluchtursachen . Wir sollten dies als Parlament wertschätzen und berücksichtigen . Dem Koalitionsantrag merkt man aber an genau diesen Stellen an, dass sich die Autorinnen und Autoren der Koalition hier nicht grün sind . ({5}) Uns als Grünen geht es nicht nur um die Methoden der Friedensforschung, sondern es geht uns um Inhalte, um bessere Strukturen und um höhere Finanzmittel . Gerade zu diesen wichtigen Bereichen schweigen Sie sich in dem Antrag weitestgehend aus . Wegen dieser Unzulänglichkeiten und Unklarheiten können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen - so verdienstvoll es ist, dass Sie sich dem Thema überhaupt widmen; wahrscheinlich auch, um Kürzungswünschen von Frau Wanka etwas entgegenzuhalten . Gleichwohl freuen wir uns auf die gemeinsame Zusammenarbeit an diesem so wichtigen Thema . Spätestens wenn die Evaluationsergebnisse des Wissenschaftsrates vorliegen, sollten wir zu substanzielleren Antworten für den Ausbau der Friedensforschung in Deutschland kommen; denn in einer Welt, die immer stärker aus den Fugen geraten  ist, braucht es Konflikt- und Friedensforschung  mehr denn je . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Philipp Lengsfeld von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag hat meine Unterstützung, obwohl sich der Titel wie eine Parole aus meiner Pionierzeit in der DDR anhört . ({0}) Es handelt sich tatsächlich um ein wichtiges Anliegen, insbesondere natürlich auch vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte - das ist hier, glaube ich, noch nicht erwähnt worden -, aber nicht nur wegen unserer Verbrechen . Es gibt im Zusammenhang mit der Friedens-  und Konfliktforschung  einen  sehr  positiven,  beispielgebenden Prozess in unserem Land . Die Wende in der DDR, der Einigungsprozess und der Zusammenbruch einer hochgerüsteten Diktatur praktisch ohne Blutvergießen - ein Klassiker der modernen Friedens- und Konfliktforschung. ({1}) Aber  Friedens-  und  Konfliktforschung  hat  natürlich  auch einen ganz konkreten Bezug zur aktuellen deutschen Politik - auch das ist schon mehrfach erwähnt worden -, insbesondere da Deutschland zur verstärkten Übernahme internationaler Verantwortung bereit ist, wie zum Beispiel im Münchner Konsens vor zwei Jahren festgestellt wurde . Damit sind auch wir als Deutscher Bundestag in einer besonderen Verantwortung . Es ist also folgerichtig, dass wir uns mit dem Feld der Friedens- und Konfliktforschung mehr beschäftigen und es stärken . Die wissenschaftliche Analyse von Konfliktursachen  ist von herausragender Bedeutung, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen, Strategien für friedliche Lösungen zu entwickeln und fundierte Entscheidungen zu treffen; auch das ist schon gesagt worden. Ich will an  einem konkreten Beispiel illustrieren, dass die Thematik durchaus nicht nur komplex, sondern teilweise auch hochinteressant ist . Ich greife einen Nebenaspekt der Konfliktforschung heraus: das Thema „Begleitende Mythen“; sie sind ja oft wesentlicher Teil einer Auseinandersetzung . ({2}) Ich nehme als konkretes Beispiel die Auseinandersetzung um die Krim, ein aktuelles, wenn auch nicht mehr brandaktuelles Beispiel . ({3}) Wussten Sie zum Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Annexion der Krim durch die Russische Föderation eigentlich ein russisch-deutsches Projekt war oder ist? ({4}) So wurde es jedenfalls einer sehr erstaunten Helmholtz-Delegation - ich war dabei - 2014 in Moskau anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Moskauer Helmholtz-Büros von einem hochrangingen russischen Wissenschaftler erklärt . ({5}) Ich glaube, er wollte uns eine Art Kompliment machen und um mehr Verständnis auf deutscher Seite bitten . ({6}) Die Lösung ist natürlich ganz einfach: Die erste russische Annexion der Krim erfolgte unter Katharina der Großen, die als geborene Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst natürlich Deutsche war . Sie können sich vorstellen, dass die deutsche Delegation in Moskau etwas gequält gelächelt hat . ({7}) Viel interessanter finde ich in diesem Zusammenhang  aber, dass die Annexion 1783 von Fürst Potemkin angeführt wurde - er war dafür zuständig -, der mit Blick auf einen Besuch der siegreichen Zarin Katharina auf der Krim ebenjene berühmten, aber falschen russischen Dörfer errichtet hat, um der Zarin die erfolgreiche Russifizierung der Krim zu demonstrieren . „Potemkinsche Dörfer“ ist ein geflügeltes Wort, nicht nur im Deutschen.  ({8}) Mich persönlich hat die Sowjetzeit immer mehr interessiert . Diesen zweiten Punkt der Krim-Mythologie will ich nicht unerwähnt lassen, weil er die ganzen Schwierigkeiten und Sensibilitäten einer solchen Geschichte ziemlich gut deutlich macht . 1954 wurde die Krim nämlich innerhalb der Sowjetunion administrativ umgehangen: von der Russischen SFSR zur Ukrainischen SSR . ({9}) Dieser Vorgang wird heute von russischer Seite gerne so dargestellt, als habe der Ukrainer Chruschtschow - quasi in einer Wodkalaune, ohne echten Grund, unter Bruch selbst sowjetischer Regeln - dieses Stück Land der Ukraine  unrechtmäßig  zugeschanzt  -  eine  perfide  Legende,  die wie alle guten Lügen natürlich auch einen Teil Wahrheit enthält . ({10}) Chruschtschows ursprüngliche Machtbasis war die Ukraine . Es gab nach Stalins Tod 1953 einen heftigen Machtkampf, und die Unterstützung der ukrainischen Kommunisten brauchte er dabei dringend . Nicht richtig ist aber, dass es für diese administrative Änderung nicht gute Gründe gab . Die Versorgung der Krim lief vor allem über die Ukraine; das ist übrigens heute noch eine Herausforderung in diesem Konflikt. Was ich an der Legende aber besonders perfide finde -  deshalb erzähle ich sie hier -, ist die subtile nationalistische Unterstellung . Mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit - ich habe das nachgeprüft; es ist gar nicht so einfach herauszubekommen - ist Chruschtschow nämlich Russe: ({11}) nach Geburtsort, nach ethnischer Herkunft und auch formal gemäß den damals gültigen sowjetischen Rechtsnormen . An diesem vermeintlich kleinen Beispiel erkennen Sie die Dimension dieser Art von Problematiken . Und deshalb muss die Arbeit in der Friedens- und Konfliktforschung  sehr  verantwortungsbewusst  betrieben werden . Interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit ist absolut essenziell . Eine gute Qualitätssicherung ist sehr wichtig; denn Konflikte werden auch gerne mithilfe von „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ angeheizt . Eine gut geförderte Forschungslandschaft in einem sehr politischen und vor allem sehr dynamischen Umfeld in Deutschland kann auch die Tendenz zum Wildwuchs zeigen . Deshalb ist mir die im Antrag festgeschriebene externe Evaluierung durch den Wissenschaftsrat ein wichtiges Anliegen . Ich bin mir auch sicher, dass dies völlig im Interesse des Hauses ist . Es ist gut und richtig - das ist heute auch schon erwähnt worden -, dass sich die Forschung stets auch an aktuellen Fragestellungen ausrichten muss . Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass es ein BMBF-gefördertes Projekt  „Salafismus  in Deutschland“  gibt;  es  ist  schon  erwähnt worden . Zum Abschluss kann ich mir eine Bemerkung zu unserer Aktuellen Stunde am Mittwoch nicht ersparen . Im erweiterten Zusammenhang mit dem Mörder Amri aus Tunesien brachte Dietmar Bartsch, der Vorsitzende der Linksfraktion, die linken Standardfloskeln von den Interventionskriegen und dem Klimawandel als den tieferen Fluchtursachen ins Spiel . Das mag in der Theorie richtig sein . Ich sage dazu ganz ausdrücklich in Richtung der linken Seite: Bitte unterlassen Sie im konkreten Fall auch nur den Versuch einer Legendenbildung . Die Geschichte des Mörders und Terroristen aus Tunesien hat weder mit einer Intervention noch dem Klimawandel zu tun . ({12}) Und ein Flüchtling war er auch nicht . Für diese Feststellung brauche ich eigentlich keine Wissenschaftler, aber wenn es gutgemachte Untersuchungen über die wahren Ursachen des Islamismus in Deutschland gibt, wird es vielleicht auch anderen leichter fallen, dieser Art von Legendenbildung ein klares Stoppsignal zu zeigen . Zusammengefasst:  Friedens-  und  Konfliktforschung  in Deutschland dient der Beförderung von friedlichen Konfliktlösungen,  von  demokratischen  Prozessen  und  Lösungen unter dem Leitstern von Freiheit und Menschenrechten . So unterstütze ich das Anliegen der Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung - auch unter dieser blumigen Überschrift . Vielen Dank . ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Frau Dr . De Ridder von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Mit einem solchen Ritt in die Geschichte, wie ihn gerade Philipp Lengsfeld präsentiert hat, kann ich nicht dienen . ({0}) Meiner geht nicht so weit zurück und bezieht sich auf Gustav Heinemann . Er sagte schon - das ist 50 Jahre her -, dass der Friede der Ernstfall sei . Wenn ich Länderbeispiele wie Syrien, die Ukraine und - lieber Philipp Lengsfeld, wenn ich dein Ohr gewinnen könnte - gern auch die Krim nenne, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, läuft - das weiß ich - in Ihrem Hinterkopf ein Film ab . Das sind keine paradiesischen Bilder, die dann hervorgerufen werden . Gleiches  gilt  für  die  inneren  Konflikte,  wenn  ich  nach Europa gucke . Ich habe eine belgische Staatsangehörigkeit und trage heute eine Rosette, weil ich ebenfalls wie Michael Roth ausgezeichnet worden bin . Das deutsch-belgische Verhältnis war aber lange ein konfliktträchtiges. Das  kann  ich  auch mit Blick  auf meine  eigene Geschichte sagen . Auch das gilt es intensiver zu betrachten . Dafür muss man auf dem europäischen Kontinent bleiben . Aber am heutigen Nachmittag werden sich viele von uns und von Ihnen - davon bin ich überzeugt - die Amtsübergabe an Donald Trump anschauen . ({1}) Sie werden dabei noch einmal mit dem Thema der Cyberangriffe des sogenannten Cyberwar konfrontiert werden; ich komme darauf gleich zurück . Aber bleiben wir doch - im postfaktischen Zeitalter bei den Fakten. Friedens- und Konfliktforschung ist ein  interdisziplinäres Wissenschaftsfeld . Wir tun gut daran, es nicht darauf zu reduzieren, dass es um geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung geht . Es geht auch auch das ist schon angesprochen worden - um Natur- und Ingenieurwissenschaften . Das muss man entsprechend flankieren. Auch die Juristinnen und Juristen sind hierbei  gefordert . Politik ist gut beraten, wenn sie auf die Befunde der Friedens- und Konfliktforschung schaut.  ({2}) Ich bin im Übrigen Stefan Müller sehr dankbar, der mich immer zu den Sitzungen der Deutschen Stiftung Friedensforschung begleitet; er ist rege und intensiv dabei . Es ist richtig: Wir haben mitnichten das Programm so gelassen, wie es war . Wir haben für eine Neuaufstellung gesorgt . Die Deutsche Stiftung Friedensforschung hat die Empfehlung, die wir ausgesprochen haben, sehr gern aufgenommen, nämlich dort, wo es um den Wissenstransfer und um die Öffentlichkeitsarbeit zu den bereits erzielten  Befunden der Friedens- und Konfliktforschung geht. Lieber Stefan Müller, Lob gibt es aber nicht umsonst . Die Deutsche Stiftung Friedensforschung verlangt in der Tat nach einer deutlich besseren Finanzierung, insbesondere - auch dies wurde erwähnt - in Niedrigzinsphasen . ({3}) Ich will aber auch das Leibniz-Institut Hessische Stiftung  Friedens-  und  Konfliktforschung  nicht  unerwähnt lassen . Ich will das Augenmerk ebenso auf das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut in Gießen lenken, weil wir auch den lateinamerikanischen Teil unserer Welt nicht aus dem Blick verlieren dürfen . Denn auch Kolumbien hat große Probleme; das wissen wir . Viele waren entsetzt darüber, wie der Friedensverhandlungsprozess ausgegangen ist . Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, was wir in der Friedens- und Konfliktforschung brauchen. In der  Tat muss diese Forschung besser und stärker alimentiert werden . Aber dafür bietet uns der Antrag jetzt die Möglichkeit . Es geht darum, europäische Forschungsverbünde zu schaffen, Wissenschaftsnetzwerke zu unterstützen,  um damit deutlich zu machen, dass es möglicherweise eine Aufgabe der Deutschen Stiftung Friedensforschung ist, dies mit zu flankieren. Wenn wir über Cyberwar, Cyberkrisen und Cyberattacken im Netz reden, dann müssen wir auch über die Forschung zur Cyberresilienz reden . Dies sind neue Themen und Schwerpunkte, die es interdisziplinär anzugehen gilt . ({4}) Wir müssen auch über den wissenschaftlichen Nachwuchs reden . Für viele jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das Thema der Friedens- und Konfliktforschung offensichtlich nicht mehr  so brisant. Das  sollten wir ändern, da müssen wir mehr tun . Es bleibt bei der Schnittstellenforschung und beim Wissenstransfer . Auch den Gender- und Diversity-Aspekten sollten wir uns nähern, was die Unterstützung angeht. Flucht und Frauen oder auch ethnische Konflikte  sind ebenfalls ein riesiges Thema . Lassen Sie mich enden, indem ich Ihnen in Erinnerung rufe, was einst Willy Brandt sagte: „Krieg“ - so das Zitat - „ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima  Irratio.“  Friedens-  und Konfliktforschung  beweist  dies jeden Tag . Vielen Dank . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Dem Frieden verpflichtet - Friedens- und Konfliktforschung stärken“.  Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung  auf Drucksache 18/10849, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10239 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . - Damit schließe ich diesen Tagesordnungspunkt, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich komme zum Tagesordnungspunkt 27: Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unternehmensmitbestimmung stärken Grauzonen schließen Drucksache 18/10253 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich  eröffne  die  Aussprache.  Als  erste  Rednerin  hat  Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr wurde unser Antrag zur betrieblichen Mitbestimmung abgelehnt . Ich sagte damals, wir bleiben dran an diesem Thema . Deshalb leDr. Daniela De Ridder gen wir heute einen Antrag zur Unternehmensmitbestimmung vor; ({0}) denn auch hier werden die weißen Flecken immer größer . Auch die Unternehmensmitbestimmung ist in der Defensive . Deshalb müssen wir auch hier gesetzlich nachbessern und Schlupflöcher schließen. ({1}) Der politische Wille ist eindeutig . Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 und das Drittelbeteiligungsgesetz formulieren klar: Die Beschäftigten sind demokratisch an der Unternehmensspitze zu beteiligen . - Und doch zeigen die Studien der Hans-Böckler-Stiftung ein anderes Bild . Mehr als 800 000 Beschäftigte werden durch juristische Tricks von der Unternehmensmitbestimmung ausgeschlossen . 2002 waren noch 767 Unternehmen paritätisch mitbestimmt, heute sind es nur noch 635 . Eine Stichprobe zur Drittelbeteiligung hat ergeben, dass 56 Prozent der Unternehmen diese Pflicht ganz einfach  ignorieren . Zu viele Unternehmen vermeiden die Unternehmensmitbestimmung durch die geschickte Wahl der Rechtsform . Sie nutzen vorhandene Rechtslücken strategisch und bewusst, und das geht gar nicht . Die Flucht aus der Mitbestimmung im Aufsichtsrat kann und muss gestoppt werden . ({2}) Das war übrigens auch Thema bei einem Symposium der Hans-Böckler-Stiftung im letzten Jahr . Zu Gast war Ministerin Nahles . Sie sagte damals, die Unternehmensmitbestimmung habe Risse bekommen, und sie sprach von Handlungsdruck . Aber schon zwei Wochen später wusste das Bundesarbeitsministerium davon gar nichts mehr . Ich hatte mit einer Kleinen Anfrage nach der Situation bei der Unternehmensmitbestimmung gefragt . Die Antworten waren nichtssagend . Die Bundesregierung weiß nichts; sie hat auch keine belastbaren Daten . Das kann alles nachgelesen werden . Auch der besagte Handlungsdruck wurde mit keinem Wort erwähnt . Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen von Ministerin Nahles nichts anderes als eine Farce, und das ist nicht akzeptabel . ({3}) Weil der Bundesregierung jegliches Problembewusstsein fehlt, werden wir Grünen jetzt mit unserem Antrag zur Unternehmensmitbestimmung aktiv . Zumindest vier Forderungen möchte ich ganz kurz ansprechen: Erstens . Aldi Nord und Süd werden durch zwei Familienstiftungen gesteuert . Darunter liegen Regionalgesellschaften, und zwar in der Form einer GmbH & Co . KG . Weil weder bei Stiftungen die Mitbestimmung noch bei Kommanditgesellschaften die Drittelbeteiligung greift, werden 66 000 Aldi-Beschäftigte von der Mitbestimmung in Aufsichtsräten ausgeschlossen . Das ist mit nichts zu rechtfertigen . Deshalb wollen wir Stiftungen, die Erwerbszwecke verfolgen, in die Unternehmensmitbestimmung einbeziehen . Zweitens . Wir wollen auch Kommanditgesellschaften ins Drittelbeteiligungsgesetz aufnehmen, wenn der Komplementär keine natürliche Person, sondern eine Kapitalgesellschaft ist . Die Mitbestimmung muss an die veränderte Unternehmenslandschaft angepasst werden; denn die heutigen Ausnahmen sind nicht fair und schon gar nicht gerecht . ({4}) Drittens wollen wir die Konzernzurechnung, die heute nur für Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten gilt, auch im Drittelbeteiligungsgesetz verankern; denn es gibt etliche Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die sich gezielt in kleine Einzelteile zerlegen, nur um die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten zu umgehen . Auch damit muss Schluss sein . Viertens . Es geht aber nicht nur um die Lücken bei der Mitbestimmung . 56 Prozent der Unternehmen - ich habe es schon gesagt - verstoßen gegen das Drittelbeteiligungsgesetz . Sie ignorieren rechtswidrig die Rechte der Beschäftigten auf Mitbestimmung . So entstehen rechtsfreie Räume, und das ist nicht akzeptabel . Deshalb sind Sanktionen notwendig; denn die Mitbestimmung muss nicht nur konsistent, sondern auch rechtssicher ausgestaltet werden . ({5}) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Mitbestimmung hat sich auf Unternehmensebene bewährt . Sie ist ein wesentliches Element der sozialen Marktwirtschaft und hat einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland wirtschaftliche Krisen meistern konnte . - Jetzt könnten Sie eigentlich alle klatschen; denn das war die einzige konkrete und richtige Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage . ({6}) Auch die Konsequenzen daraus müssten eigentlich klar sein . Wenn Unternehmen die Mitbestimmung bewusst umgehen, wenn sie die Mitbestimmung rechtswidrig ignorieren, dann müsste das doch aufschrecken und eigentlich zum Handeln bewegen . Bei der Mitbestimmung müssen für alle Unternehmen die gleichen Rahmenbedingungen gelten und für alle Beschäftigten die gleichen Mitbestimmungsrechte . Vor allem gehört zu einer funktionierenden Demokratie auch eine demokratische Teilhabe der Beschäftigten in den Unternehmen . Um diese Teilhabe auch in Zukunft sicherzustellen, müssen Sie, die Regierungsfraktionen, endlich die Lücken bei der Mitbestimmung schließen . Die schönen Reden, die wir jetzt gleich bestimmt wieder hören, sind zu wenig; Handeln ist angesagt . ({7}) Bekräftigen Sie den politischen Willen, und stärken Sie die Unternehmensmitbestimmung! Noch haben Sie Zeit . Vielen Dank . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Uwe Lagosky von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mitbestimmung ist ein wesentlicher Faktor für den betrieblichen Frieden und damit auch für die Produktivität unserer Unternehmen . Als ehemaliger stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender eines drittelparitätisch mitbestimmten Unternehmens kann ich darüber einiges erzählen . Für mich ist Mitbestimmung für das Gelingen unserer sozialen Marktwirtschaft absolut erforderlich; sie gehört dazu . ({0}) - Wenn Sie das mit „schönen Reden“ gemeint haben, dann sage ich: Danke für den Applaus . Durch die Unternehmensmitbestimmung spiegeln sich im Aufsichtsrat nicht nur die Interessen der Anteilseigner, sondern auch die der Arbeitnehmer wider . Durch das Drittelbeteiligungsgesetz - wir haben schon zum Teil davon gehört - wird ab einer Unternehmensgröße von 500 Mitarbeitern ein Drittel des Aufsichtsrates durch Arbeitnehmer besetzt . Ab 2 000 Mitarbeitern kommt das Mitbestimmungsgesetz von 1976 zur Geltung . Danach besteht der Aufsichtsrat je zur Hälfte aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern . Dazu kommt noch das Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951, das unter einer unionsgeführten Bundesregierung - das darf ich an der Stelle deutlich sagen - eingeführt wurde ({1}) und die Basis unserer Mitbestimmung ist . Diese Einigung war nicht nur für Unternehmen der Montanindustrie - Bergbau-, Stahl- und Eisenindustrie - ein Meilenstein, sondern für die Mitbestimmung generell . Das kann man hier, denke ich, auch so deutlich erwähnen . ({2}) - Natürlich leben wir im Heute; darauf komme ich jetzt zu sprechen . - Nach wie vor gilt für diese Unternehmen eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat ab einer Betriebsgröße von 1 000 Mitarbeitern, beispielsweise bei der Salzgitter AG in meinem Wahlkreis . Lassen Sie mich einen Blick auf die Ursprünge der aktuellen Gesetzgebung werfen . Der Abstimmung über das Mitbestimmungsgesetz im Februar 1976 im Parlament ging ein Diskussionsprozess von acht Jahren und eine darauf folgende Phase von zwei Jahren, in der der Ausschuss für Arbeit und Soziales über dieses Thema diskutiert hat, voraus . Das war der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Themas angemessen und führte am Ende des Dialoges dazu, dass das Mitbestimmungsgesetz mit großer Mehrheit im Deutschen Bundestag verabschiedet und eingeführt wurde . Ziel muss es auch heute sein, einen solch nachhaltigen,  tragfähigen Kompromiss  zu  finden.  Das  kann  die  Politik nicht allein, sondern nur mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen schaffen. Dass es sinnvoll war, über das Thema Mitbestimmung ausgiebig zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu diskutieren, beweist die lange Lebensdauer der Vereinbarung: von 1976 bis heute . So etwas lässt sich eben nur mit einem Kompromiss erreichen und nicht mit kurzweiligen Mehrheiten . ({3}) Unter Bundeskanzler Schröder wurde die zweite Biedenkopf-Kommission ins Leben gerufen . Von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde sie nach der Wahl bestätigt . Ihre Aufgabe war es, Vorschläge für eine moderne und europataugliche Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu erarbeiten . Damals, im Jahr 2006, konnten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einigen . Die Politik hat damals bewusst davon abgesehen, über die Köpfe der Konfliktparteien hinweg zu  entscheiden . So war es letztendlich gut, dass man so verfahren ist; denn das Mitbestimmungsgesetz, das daraus entstanden wäre, wäre möglicherweise auf einem Fundament gebaut worden, das nicht allzu lange getragen hätte . Die Gründe für das Scheitern der Kommission werden von den Beteiligten je nach Perspektive ganz unterschiedlich bewertet . BDI und BDA hatten sich vorgenommen, die bisherige paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten zu beenden und den Anteil der Arbeitnehmer auf ein Drittel herunterzufahren . Der Status quo seit 1976 war natürlich, dass die Arbeitnehmer in den Unternehmen ab 2 000 Beschäftigten paritätisch beteiligt wurden . Ich kann durchaus verstehen, dass das Angebot, das die Arbeitgeber damals unterbreitet haben, nicht auf Anhieb überzeugt hat . Von daher war eigentlich von vornherein klar, dass, wenn die Arbeitgeberseite auf ihren Extremforderungen beharrt, kein Kompromiss gefunden werden würde . Das betraf auch andere Verhandlungsbereiche wie die Einordnung von Unternehmen mit ausländischer Rechtsform . Leider muss man feststellen, dass die Arbeit der Kommission ergebnislos blieb . Zumindest die Professoren Kurt Biedenkopf, Hellmut Wißmann und Wolfgang Streeck haben einen Bericht abgegeben . In dem Bericht heißt es: Allerdings erscheinen verschiedene Anpassungsmaßnahmen geboten, um der gewachsenen Mobilität der Unternehmen und ihrer Internationalisierung sowie veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene gerecht zu werden . Wohl gemerkt, das war 2006 . Diese Feststellung wurde also vor gut zehn Jahren getroffen.  Dass wir uns auf den bestehenden Regeln nicht ausruhen dürfen, zeigen auch die wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die nach Beendigung der Arbeit der Kommission eingetreten sind . Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Mitbestimmung in Unternehmen keinen Nachteil im internationalen Wettbewerb darstellt . In unsicheren Zeiten ist die Phalanx aus Arbeitgebern und Belegschaft ein Garant für die Stabilität . ({4}) - Ja, das ist auch wieder „schönes Reden“, keine Frage . Es ist nun mal so gewesen - das haben wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise festgestellt -: Die Sozialpartnerschaft ist der entscheidende Baustein für die soziale Marktwirtschaft und damit für den Erfolg Deutschlands . Es bleiben natürlich die Herausforderungen rund um die Internationalisierung und die Europäisierung von Unternehmen bestehen . Unser Mitbestimmungsmodell muss auch für Unternehmen mit ausländischer Rechtsform in Deutschland  gelten. Aus meiner  Sicht  betrifft  dies  insbesondere die Mitbestimmung bei den europäischen Aktiengesellschaften . Auch ich sehe hier Handlungsbedarf . ({5}) Die europäische Initiative zur Einpersonengesellschaft, die auch Nachteile für die Mitbestimmung mit sich gebracht hätte, konnten wir in dieser Legislaturperiode zunächst aufhalten . Dankend weise ich auf den Entschließungsantrag hin, den wir hier im Bundestag einstimmig beschlossen haben . Ihr vorliegender Antrag, liebe Grüne, macht allerdings den zweiten vor dem ersten Schritt . Dass wir losgehen müssen, darüber sind wir uns auf jeden Fall einig . Dafür müssen wir Arbeitgeber und Arbeitnehmer allerdings an einen Tisch bringen . Ich halte es für zielführender, wenn eine Mitbestimmungskommission das Fundament für eine politische Entscheidung schafft. Denn nur wenn die  Sozialpartner einen Konsens erarbeiten, besteht die Gewähr, dass eine lang akzeptierte gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht wird . ({6}) Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der im ersten Moment vielleicht nicht gleich mit dem Thema Mitbestimmung in Verbindung gebracht wird: Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf fast alle Bereiche unseres Lebens und so auch auf den betrieblichen Alltag . Ein Blick ins Silicon Valley und auf die Gründerszene hier in Deutschland und in vielen anderen Ländern zeigt, was für innovative Geschäftsmodelle dort ihren Anfang nehmen und weltweit Verbreitung finden. Neue Geschäftsmodelle haben erfahrungsgemäß enorme Auswirkungen auf bestehende Strukturen . Damit sind für die Unternehmen erhebliche Chancen verbunden, gleichzeitig aber auch Risiken . Es wird deutlich, dass wir uns in einer Zeit befinden,  in der sich unsere Arbeitswelt so schnell verändert wie die Intelligenz der Rechnersysteme - damit auch unsere Arbeit und unsere Arbeitswelt . Das hat auch etwas mit unserer Unternehmensmitbestimmung zu tun . Nicht nur in wirtschaftlichen Krisenzeiten, sondern auch bei starken strukturellen Veränderungen kommen die Vorteile der Mitbestimmung zur Geltung . ({7}) Wenn sich ein Unternehmen fit für die Zukunft machen  will, dann muss es seine Beschäftigten mitnehmen und motivieren . ({8}) Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind zwei Seiten derselben Medaille . Es braucht den Dialog, um Antworten auf Herausforderungen zu geben, vor die uns die Digitalisierung und die Transformation von Unternehmen stellen . Es braucht den Konsens, um die Erfolgsgeschichte der Mitbestimmung fortzuschreiben . Lassen Sie uns daran arbeiten! Vielen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat jetzt Jutta Krellmann für die Linke das Wort . ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt immer zwei Möglichkeiten, mit der Mitbestimmung umzugehen. Entweder man findet sie  richtig gut, oder man findet sie richtig schlecht und sieht  sie als einen Eingriff in die unternehmerische Selbstbestimmung . Für mich als Gewerkschaftssekretärin ist ganz klar: Ich stehe ausdrücklich auf der Seite der Befürworter der betrieblichen Mitbestimmung und der Mitbestimmung insgesamt . Für mich als Linke gehört die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ganz oben auf die Agenda . Die Beschäftigten sollen nicht nur über die Farbe der Gardinen in ihren Betrieben, sondern auch über das Was, das Wie und das Wo der Produktion mitbestimmen . ({0}) Mit anderen Worten: Sie müssen in die wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens einbezogen werden . Die Beschäftigten haben keinen Bock darauf, nur dann mitzubestimmen, wenn es um Lohnverzicht und den Abbau ihrer Arbeitsplätze geht . Aus Erfahrung weiß ich: Sie wollen auch mitentscheiden, ob Boni nur an die Chefetagen verteilt und ausbezahlt werden und ob Unternehmensgewinne zur Sicherung der Arbeitsplätze reinvestiert werden . ({1}) Die Linke steht ganz klar hinter diesem Anspruch . Wir wollen die Mitbestimmung mit einem Gesamtkonzept stärken und ausbauen - sowohl auf betrieblicher als auch auf Unternehmensebene . Die Unternehmensmitbestimmung ist nur so gut wie die Gesetze, die sie tragen . Genau hier liegt im Moment der Hase im Pfeffer. In dem Antrag der Grünen werden einige Bereiche aufgegriffen, in denen sich in den letzten Jahren Lücken  entwickelt haben. Nur ein Beispiel: Die Leiharbeitsfirma  Adecco hat einfach eine ausländische Rechtsform angenommen, und zack: Das war es mit der Unternehmensmitbestimmung . Das kann doch überhaupt nicht wahr sein . Allein durch diese Gesetzeslücke schlossen schon 2007 17 Unternehmen ihre Beschäftigten von der Mitbestimmung im Aufsichtsrat aus . Drei Jahre später waren es schon 37 Unternehmen, und fünf Jahre später, also 2015, waren es allein über diesen Weg sogar 69 Unternehmen mit insgesamt über 200 000 Beschäftigten . Das zeigt: Es ist ein wachsendes Problem . Deswegen muss es durch den Gesetzgeber gelöst werden . Auf was wollen wir denn immer wieder neu warten? Neu ist das alles auch nicht . Herr Lagosky, Sie haben es selbst gesagt: Schon vor zehn Jahren hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Kommission zur Reformierung der Unternehmensmitbestimmung eingesetzt . Das Problem war also schon damals, vor zehn Jahren, bekannt . Leider ist die Kommission an der Unbeweglichkeit der Arbeitgeberverbände gescheitert . Sie hatten gar kein Interesse an einer Reform . Nein, sie wollten die paritätische Besetzung in den Aufsichtsräten lieber verhindern als ausbauen . Die Kommission hat gezeigt: Wenn wir über Mitbestimmung reden, dann müssen wir nicht von weniger Mitbestimmungsrechten sprechen, sondern wir müssen sie an dieser Stelle stärken . ({2}) Unser Ziel ist eine Ausweitung der Mitbestimmung; das ist ganz klar . Nur über diesen Weg ist für die Beschäftigten die demokratische Teilhabe in den Unternehmen möglich . Das haben einige Landesregierungen, wie die in Niedersachsen oder die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen, auch verstanden . Deren Antrag „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“ im Bundesrat enthält eine klare Ansage an die Bundesregierung: Kümmert euch um den Erhalt und den Ausbau der gesetzlichen Mitbestimmung ({3}) und entwickelt sie europarechtlich weiter! Wieso das Europarecht wichtig ist, zeigt sich gerade jetzt, wo einige Urteile anstehen . Anstatt endlich ihr Gewicht dafür einzusetzen, eine Richtlinie zur europäischen Unternehmensmitbestimmung auf den Weg zu bringen, wartet die Bundesregierung wieder einmal einfach ab . Einfach nur warten und nichts tun, das kann doch wohl nicht wahr sein . Es ist Ihre Aufgabe, sich zu bewegen, wenn Sie Probleme erkannt haben . Warten Sie nicht auf die Initiativen der Opposition . Wir brauchen ein Mehr an Mitbestimmung in den Betrieben . Wir brauchen eine Schließung der Schlupflöcher. Wir brauchen eine stärkere Beteiligung der Beschäftigten . ({4}) Denn gute Arbeit  ist  für  die Linke unbefristet,  tariflich  bezahlt und mitbestimmt . Vielen Dank . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Bernd Rützel für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir wieder einmal über die Mitbestimmung sprechen; das ist dringend notwendig . In Ihrem Antrag weisen Sie zu Recht darauf hin, dass Deutschland die letzte Wirtschaftskrise dank der Mitbestimmung so gut überstanden hat . Erstens stimmt das, und zweitens rennen Sie mit diesem Thema offene Türen bei uns ein. ({0}) Wann immer es hier um die Mitbestimmung geht, weise ich darauf hin, dass seit Jahrzehnten die Mitbestimmung eine tragende Säule unserer Sozial- und Wirtschaftspolitik ist . Sie sorgt für Ausgleich und sozialen Frieden . Die Zeit titelt in ihrer gestrigen Ausgabe: „Arbeitnehmer, die mitbestimmen, sind gut für die Wirtschaft“ . Hier hat also ein Umdenken stattgefunden . ({1}) An der Mitbestimmung wird aber - Sie haben das zu Recht beschrieben - geknabbert und genagt . Man kann das auch als Erosionstendenzen bezeichnen . Mich ärgert die Klage eines TUI-Aktionärs vor dem Europäischen Gerichtshof . Am kommenden Dienstag wird darüber verhandelt, ob die Mitbestimmung gestärkt oder geschwächt wird; denn der Kläger hält es für ungerechtfertigt, dass nur die Beschäftigten innerhalb Deutschlands wählen dürfen . Sollte er Recht bekommen, dann ist das eine massive Gefährdung der Mitbestimmung in ihrer jetzigen Form . ({2}) - Richtig . Tatsächlich haben die Beschäftigten, egal welcher Nationalität, in einem Unternehmen in Deutschland ein Wahlrecht, und das ist auch gut so . Selbstverständlich haben deutsche und nichtdeutsche Beschäftigte an Standorten in anderen europäischen Ländern kein Wahlrecht wie in Deutschland . Das ist keine Diskriminierung . Vielmehr gilt das Territorialprinzip . Die Ansicht des Klägers ist scheinheilig und sachlich falsch . Gott sei Dank sieht der Europäische Gewerkschaftsbund das genauso und hat noch einmal deutlich gemacht, dass man sich nicht auseinanderdividieren lässt . Die europäischen Gewerkschaften stehen zusammen . DGBChef  Reiner  Hoffmann  und Arbeitgeberpräsident  Ingo  Kramer haben sich gemeinsam zugunsten der Mitbestimmung positioniert und nennen den Vorwurf des Klägers realitätsfremd . Sie schreiben: Wer so etwas vorträgt, ist fern jeglicher Praxis in den Unternehmen - sei es aus Sicht des Arbeitgebers, sei es aus Sicht des Arbeitnehmers . ({3}) Ich hoffe, dass die Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg in der nächsten Woche die Mitbestimmung stärken und klarmachen, dass sie mit dem Europarecht vereinbar ist . Mich hat der Schulterschluss der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern erfreut . Das zeigt, dass die Mitbestimmung ein Standortvorteil ist . Es war ja lange Zeit so, dass fast alle Arbeitgebervertreter die Mitbestimmung oft verdammt haben . Wirtschaftswissenschaftler haben versucht, zu beweisen, dass sie Innovationen hemmt . Doch das Blatt hat sich gewendet . Die Wissenschaftler revidieren ihre Meinung, und aktuelle Untersuchungen heben hervor, dass mitbestimmte Unternehmen langfristig orientiert sind, mehr investieren, eine höhere Ausbildungsquote haben und mehr Menschen einstellen . Die Arbeitnehmervertreter in diesen Unternehmen hängen an ihrem Betrieb - sie sind oft länger im Unternehmen als mancher Manager, der kurzfristig Erfolg erzielen will -, und sie sorgen sich um ihren Arbeitsplatz . ({4}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von den Grünen, Sie  stoßen mit  Ihrem Antrag  bei  uns  auf  offene Ohren  und treffen auf offene Türen. ({5}) Es gibt viele Gründe, die Mitbestimmung zu stärken . Die Wissenschaftler haben es erkannt . Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sind hier gemeinsam unterwegs . Deswegen  hoffe  ich,  dass  sich  auch  bei  unserem Koalitionspartner - also nicht nur bei Arbeitgeberverbänden und Ökonomen - die Sichtweise etwas verändern möge . Denn die Mitbestimmung ist kein Hindernis für den Standort Deutschland . Sie hat uns stark gemacht . Die Verlässlichkeit wurde durch sie erhöht . Man darf nicht ausgrenzen, man muss die Menschen mitnehmen und integrieren . Deswegen ist es das Gebot der Stunde, unsere Mitbestimmung zu stärken . Sollte das in dieser Legislatur nicht möglich sein, dann wünsche ich uns allen, dass uns das spätestens in der nächsten Wahlperiode gelingt . In diesem Sinne vielen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundespräsident Gauck hat die deutsche Mitbestimmung als Kulturgut bezeichnet, was, glaube ich, deutlich macht, wie einzigartig sie ist . Die BDA und der DGB sprechen von Eckpfeilern der deutschen Sozialordnung und von einem Teil der deutschen Wirtschaftsordnung . Das alles ist richtig . ({0}) Meine Damen und Herren, es ist unbestritten: Die Mitbestimmung in deutschen Unternehmen ist eine wichtige Säule der Unternehmenskultur und der sozialen Marktwirtschaft, die wir in Deutschland haben . Sie wäre ohne Mitbestimmung nicht möglich . Somit ist es richtig, für die Mitbestimmung zu kämpfen, vor allem wenn man weiß, wo die Mitbestimmung herkommt . ({1}) Wir sollten uns einmal überlegen - die Montangesetzgebung wurde vorhin schon erwähnt -, was das Ziel war . Ziel war nämlich nicht das Erreichen von mehr Flexibilität, die heute von jedem - das steht auch in Ihrem Antrag - gelobt wird . Damit sind wir zwar gut über die Finanzkrise hinweggekommen, aber das war nie das Ziel . Das Ziel bei der Einführung der Mitbestimmung war, die Kontrolle wieder in deutsche Hand zu bekommen . Es bestand die Vorstellung, dass es einen scheinbar unauflösbaren Konflikt  zwischen Kapital  und Arbeit  gibt.  Und was hat sich daraus ergeben? Das Gegenteil: Wir haben  erlebt,  dass  es  da  keinen  unauflösbaren Konflikt  gibt . Wir haben erlebt - wie die Kollegen vorhin ausgeführt haben -, dass durch die Mitbestimmung Prosperität erreicht wurde und dass wir durch sie viel flexibler auf  schwierige Situationen - sei es in Finanzkrisen, sei es in Wirtschaftskrisen - reagieren können . ({2}) Man muss einmal darüber nachdenken, wo wir herkommen . Seit 1920, seit 1967 ist das alles schon gemacht worden . Nun haben wir die Mitbestimmung - nicht nur gesetzlich, sondern auch in den Unternehmen - weiterentwickelt . Wir erleben in der Mitbestimmung ein partnerschaftliches Verhältnis und in der Regel auch ein gutes Miteinander . Es gibt nur wenige Streiktage, und wir haben während eines Streiks eigentlich immer noch die Möglichkeit, miteinander zu sprechen . Die Fronten verhärten sich nicht . Somit können wir, glaube ich, ein Beispiel geben, wie man vernünftige Mitbestimmung auch im europäischen Kontext umsetzen kann . - So weit die Zustimmung . ({3}) - Frau Müller-Gemmeke, dazu muss ich schon noch etwas sagen . Ihr Antrag trägt einen guten Titel, hat damit aber nichts zu tun . Erstens widerspricht er sich inhaltlich . Zweitens . Wenn Sie trotz dieses etwas langweiligen bis uninspirierten Antrags wirklich daran interessiert sind, etwas für die Menschen, für die Unternehmen und für die Mitbestimmung zu tun, dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Es wird nicht funktionieren, Probleme national zu lösen, sondern man muss, wie Sie in Punkt 7 richtigerweise sagen, eine europäische Lösung herbeiführen . ({4}) Wenn man sich aber nur rudimentär - nicht einmal tief - mit diesem Thema beschäftigt, dann stellt man fest, dass es in 14 Ländern in Europa überhaupt keine Unternehmensmitbestimmung gibt; wenn überhaupt, gibt es dort eine betriebliche Mitbestimmung . ({5}) Alle Versuche, die Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene zu harmonisieren, sind immer an der sehr guten, aber doch starken Unternehmensmitbestimmung in Deutschland gescheitert . Frau Müller-Gemmeke - ich spreche jetzt direkt mit Ihnen -, Sie fordern in Punkt 7 Ihres Antrags, eine europäische Harmonisierung herbeizuführen; in den Punkten 1 bis 6 Ihres Antrags fordern Sie dagegen, die Mitbestimmung auf nationaler Ebene auszuweiten . Angesichts dessen Ihren Antrag als vernünftig zu bezeichnen, ist schon grenzwertig . Ich wiederhole: In den Punkten 1 bis 6 Ihres Antrages fordern Sie eine nationale Ausweitung der Mitbestimmung, ({6}) und in Punkt 7 fordern Sie eine Einigung auf europäischer Ebene . Das hat mit der Sachlage überhaupt nichts zu tun . Die Umsetzung Ihrer Forderungen würde weder der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland noch irgendjemandem dienen . Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie wirklich etwas tun wollen, dann müssen Sie diesen Antrag überarbeiten und sich mit diesem Thema vorher beschäftigen . Wir werden diesen Antrag aus sachlichen Gründen - er ist inhaltlich und handwerklich einfach schlecht - ablehnen . ({7}) Das hat aber nichts damit zu tun, wie wir die Mitbestimmung ausgestalten . Natürlich müssen wir die Mitbestimmung verändern, weil sich die Zeit, die Arbeitsverhältnisse, die Arbeitsmodalitäten ändern . Das liegt einmal daran, dass die klare Trennung zwischen Arbeitnehmer und der Kapitalseite immer mehr aufweicht: Immer mehr Arbeitnehmer sind auch Aktionäre . Das heißt, sie beurteilen manches anders, als Arbeitnehmer dies früher taten . ({8}) - Das ist keine gewagte Aussage . Ich habe das selber erlebt . Ich komme aus der Metall- und Elektroindustrie . Bei uns hat es ein Aktienpaket gegeben: Jedes Jahr erhielt jeder Mitarbeiter zehn Aktien . Das ist Realität . Sie haben mit Ihrem Einwurf nur bewiesen, wie weit Sie von den Menschen in diesem Land entfernt sind . ({9}) - Ich versuche gerade, Ihnen ein paar Lösungsvorschläge anzubieten, wie man Mitbestimmung handwerklich besser ausgestalten kann und wie man damit nicht nur plakativ umgeht . Wir sollten uns einmal darüber unterhalten, wie wir mit dem Recht zur Wahl der Aufsichtsräte umgehen . Es gibt divergierende Möglichkeiten: Es gibt Delegiertenwahlsysteme . Es gibt Wahlsysteme mit unmittelbarer Beteiligung . In anderen Bereichen gibt es die Beorderung oder die Festlegung auf einen Gewerkschaftssekretär . Ich glaube, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land wissen ganz genau, wer ihre Interessen im Aufsichtsrat am besten vertritt . Lassen Sie uns doch einmal darüber diskutieren, ob wir nicht eine Regelung einführen, die dazu verpflichtet, alle Aufsichtsräte unmittelbar zu wählen . Lassen wir doch einmal die Arbeitnehmer über alles abstimmen . Das ist vielleicht besser, als dass die von außen kommenden Gewerkschaftssekretäre in die Kontrollorgane entsandt werden . Ein weiterer Punkt: Wie können wir Aufsichtsratswahlen im Jahr 2017 besser gestalten? Ich glaube, wir müssen uns auch hier modernisieren, elektronische Wahlverfahren einführen, um mehr Partizipation der Belegschaft an Aufsichtsratswahlen zu ermöglichen . Ich kann nur dafür werben, dass wir die gute Mitbestimmung, die wir in Deutschland haben, verteidigen . Außerdem werbe ich für eine europäische Lösung . Schaufensteranträge wie den heutigen sollten wir ablehnen . Damit tun wir Gutes für die deutsche Wirtschaft und somit auch für die deutschen Arbeitnehmer . Herzlichen Dank . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Klaus Barthel spricht als letzter Redner in dieser Aussprache für die SPD-Fraktion . ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre natürlich schön, wenn ich in dieser Frage das letzte Wort hätte; aber da darf man sich keine falschen Hoffnungen  machen . Kollege Zech, natürlich müssen wir uns erst einmal über die Realität in Deutschland unterhalten . Sie tun so, als wären wir, die Bundesrepublik, ein Land von Kleinaktionären, ({0}) die alle an den Erträgen und der Führung der Unternehmen beteiligt wären . Wenn das so wäre, dann verliefe diese Debatte wirklich anders . Aber Sie wissen auch, dass man selbst dann, wenn man eine Aktie oder ein paar Aktien hat, nicht wirklich über das Unternehmensgeschehen mitbestimmen kann, sondern dass das eben nur über Aufsichtsräte und Mitbestimmungsgremien geht . Insofern ging ein großer Teil Ihrer Rede eigentlich an der Sache bzw . dem Antrag vorbei . ({1}) Wir begrüßen diesen Antrag, weil es damit gelingt, dieses Thema ein bisschen aus seinem Schattendasein zu holen . Es ist ja immer gefährlich, wenn sich alle so wahnsinnig einig sind über die Mitbestimmung . Das könnte ja einerseits heißen, wir würden in dieser Legislaturperiode noch etwas hinkriegen, was ich hoffe. Dass der verbale  Konsens so groß ist, kann aber andererseits auch heißen, dass am Ende wieder gar nichts geht . Das werden wir jetzt untersuchen müssen . Denn das Ganze ist, wie gesagt, keine Funktionärsdebatte, sondern Kern unseres Wirtschaftsmodells, Kulturgut, auf CSU-Deutsch: Teil der Leitkultur . Die Mitbestimmung funktioniert abseits des medialen Spektakels geräuschlos, weil sie gut ist . Ich habe, ehrlich gesagt, in dem Antrag nichts Falsches gefunden . Er übernimmt im Wesentlichen das, was der DGB in seiner Mitbestimmungskampagne im Rahmen des Bundestagswahlkampfs vorhat . Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in diese Mitbestimmungskampagne Schub reinbringen würden . ({2}) Ich gehe davon aus, dass sich diese Inhalte in weiten Teilen auch im Regierungsprogramm der SPD wiederfinden  werden . ({3}) Ich möchte noch auf eines hinweisen: Der Antrag befasst sich ja nur mit der Unternehmensmitbestimmung in Aufsichtsräten . Was wir auch noch sehen müssen, ist die Frage der Mitbestimmung in Betrieben mit Betriebs- und Personalräten, Jugend- und Auszubildendenvertretungen usw . Im Grunde haben wir da ja eine parallele Entwicklung . ({4}) Ich will das erwähnen, weil auch die betriebliche Mitbestimmung ausgehöhlt wird und ein großer Teil der Beschäftigten - rund 60 Prozent - nicht mehr in Betrieben arbeitet, in denen es einen Betriebsrat gibt . ({5}) Das passt zu dieser ganzen Geschichte mit TUI . Trotz aller verbalen Akzeptanz von Mitbestimmung gibt es offensichtlich einen Teil von Anlegern, Unternehmern und interessierten Kreisen, die dieser Mitbestimmung den Krieg erklärt haben und die solche Klagen inszenieren, um die Mitbestimmung sturmreif zu schießen . Das Problem  ist:  Sie  finden  damit  ja  auch Unterstützung,  zum  Beispiel bei der EU-Kommission . Das ist ja nicht irgendetwas, was völlig abseitig ist; denn es gibt neben der EU-Kommission Regierungen, die solche Initiativen unterstützen . Deswegen brauchen wir in der Tat auch eine europäische Neuregelung . Sie haben die Zahlen genannt . Die Unternehmensmitbestimmung wird ausgehöhlt . Wir stellen fest: Das ist eindeutig gesetzwidrig . ({6}) Deswegen müssen wir hier auch schauen, wie man diese Gesetzesverstöße mit Sanktionen belegen kann; denn wenn die Tatsache, dass man Gesetze nicht einhält, keine Folgen hat, dann kann man auf so etwas auch pfeifen . ({7}) Wenn wir uns die wirtschaftliche Entwicklung anschauen, dann stellen wir also fest: Es besteht die Gefahr, dass die Unternehmensmitbestimmung zum Auslaufmodell wird . Da müssen wir gar nicht viel machen . Das geschieht einfach durch die immer stärkere internationale  Verflechtung  der  Wertschöpfungsketten  in  den  Unternehmen . Das geschieht durch die immer stärkere Finanzmarktgetriebenheit der Unternehmen . Es gibt eben immer weniger klassische Familienbetriebe mit dem Pa triarchen, der vor Ort ansprechbar ist . Vielmehr haben wir es immer mehr mit anonymen Investoren und Anlegern zu tun, die ganz andere Strategien verfolgen und die von Mitbestimmung noch nichts gehört haben . Das hat zu tun mit dem Strukturwandel in den Betrieben, Stichwort „Digitalisierung“, mit der Tertiarisierung - der Dienstleistungsbereich, der immer mehr Beschäftigte umfasst, ist in weiten Teilen eine mitbestimmungsfreie Zone - und natürlich mit der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen . Befristet Beschäftigte, zum Beispiel Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, werden wenig Kampfeswillen entwickeln, wenn es um die unternehmerische oder betriebliche Mitbestimmung geht . ({8}) Das heißt also: Die Reden über die Chancen von Digitalisierung und Arbeit 4 .0 kann man sich sparen, wenn wir nicht bereit sind, auch die Ausweitung der Mitbestimmungstatbestände zu diskutieren bei Fragen der Unternehmensstrukturierung, in wirtschaftlichen Angelegenheiten, aber auch in Fragen der Weiterbildung usw . usf . Das heißt, es geht nicht nur um die Schließung von Lücken, sondern um eine umfassende Ertüchtigung . Wir sind sehr gespannt, wie es in den nächsten Wochen in den Ausschussberatungen laufen wird . ({9}) Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass bei der kommenden Bundestagswahl Mehrheiten entstehen - vielleicht mit den Grünen zusammen oder mit wem auch immer -, die einer solchen Initiative, wie wir sie hier vor uns haben, zum Erfolg verhelfen . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss dieses Tagesordnungspunktes . Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10253 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25 . Januar 2017, 13 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .