Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Exzellenzen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Als
wir uns nach der letzten Sitzungswoche im Dezember
in die Weihnachtspause verabschiedeten, galten unsere
guten Wünsche einem besinnlichen Weihnachtsfest und
einem glücklichen, möglichst friedlichen neuen Jahr .
Der schockierende Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz hat diese Hoffnungen auf entsetzliche Weise zerstört .
Wie zuvor in Nizza richtete ein islamistischer Terrorist einen Lkw als mörderische Waffe gegen unzählige
Passanten . Es sollten nicht bestimmte, sondern möglichst
viele Menschen getroffen werden. Sechs Frauen und
sechs Männer, die am Fuße der Gedächtniskirche in fröhlicher Vorweihnachtsstimmung zusammenstanden, wurden brutal aus dem Leben gerissen . Unter den Toten befinden sich neben sieben Deutschen Menschen aus Polen,
der Ukraine, Italien, Tschechien und Israel, die sich zur
Arbeit in Berlin aufhielten, unsere Hauptstadt besuchten
oder hier eine neue Heimat gefunden hatten . - Ich begrüße die Botschafter und Gesandten der genannten Länder
herzlich auf unserer Ehrentribüne . - Dutzende Menschen
wurden bei dem Anschlag zum Teil lebensbedrohlich
verletzt, sie kommen aus aller Welt . Viele von ihnen werden noch lange kämpfen müssen, um körperlich wie seelisch ins Leben zurückzufinden. Nicht anders ergeht es
Augenzeugen und den vielen Hilfskräften, denen wir für
ihren Einsatz am Tatort und in der Betreuung der Opfer
und Hinterbliebenen von Herzen danken .
Es gehört zu den kaum vermeidbaren, aber schwer erträglichen Mechanismen der Wahrnehmung solcher Ereignisse durch die Medien und die Öffentlichkeit, dass
dem Täter regelmäßig weit größere Aufmerksamkeit
geschenkt wird als denen, die er in den Tod riss . Das
Gesicht des Mörders vom Breitscheidplatz ist uns allen
bekannt, wir sehen es über Wochen beinahe täglich in
Zeitungen, im Netz und im Fernsehen . Wir kennen seine Lebensgeschichte bis ins Detail . Von den Opfern ist
hingegen wenig bekannt . Angemessen ist das natürlich
nicht, aber es verdeutlicht zugleich die ganz unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse, denen es gerecht zu
werden gilt und denen wir natürlich nicht gerecht werden
können . Vor allem haben wir den Wunsch trauernder Angehöriger auf Privatsphäre, darauf, in ihrer Trauer nicht
allein, aber in Ruhe gelassen zu werden, unbedingt zu
respektieren, auch gegenüber nachvollziehbaren Bedürfnissen von Medien und Öffentlichkeit. Dass es im Übrigen nach solch schrecklichen Taten immer sofort die
Forderung nach möglichst schneller Aufarbeitung und
möglichst konkreten Schlussfolgerungen gibt, ist nicht
zu beanstanden und ist gewiss nicht Ausdruck mangelnden Mitgefühls . Lichter und Blumen am Tatort zeugen
vielmehr von der großen Anteilnahme der Bevölkerung
am Leid der Betroffenen.
Für die Familien, Partner, Freunde der Opfer änderte
sich binnen Sekunden beinahe alles; Lebenspläne, Wünsche, Hoffnungen wurden von einem Moment zum anderen zerstört . Der Schmerz der Hinterbliebenen ist unermesslich, allenfalls können wir ihn erahnen, aber wir
teilen ihre tiefe Trauer . Das haben wir unmittelbar nach
der Tat, am nächsten Tag, in dem berührenden Gedenkgottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche zum Ausdruck gebracht, in Anwesenheit des Staatsoberhauptes,
der Spitzen unserer Verfassungsorgane, vieler Mitglieder
des Bundestages, der Bundesregierung und zahlreicher
Repräsentanten unserer Gesellschaft . Vertreter der Religionsgemeinschaften demonstrierten in einer eindrucksvollen interreligiösen Andacht ihren Schulterschluss angesichts der terroristischen Gewalt .
Ich danke dem Herrn Bundespräsidenten, dass er auch
heute Morgen durch seine Anwesenheit unserem Gedenken im Deutschen Bundestag einen besonderen Rang
gibt .
Mit uns trauern Menschen in aller Welt . Das in zahlreichen Kondolenzen zum Ausdruck gebrachte Mitgefühl
berührt und stärkt uns . Dankbar sind wir - als Beispiel
für viele andere - unseren französischen Freunden, die
in der Assemblée nationale mit einer Gedenkminute für
die Opfer ihre Anteilnahme zum Ausdruck brachten . Wie
die vom islamistischen Terror leidgeprüften Franzosen
wissen unsere europäischen Nachbarn und Partner in der
Welt, dass es sie jederzeit selbst treffen kann. Jeder von
uns ist gemeint, jeder von uns ist betroffen. Das belegen
in den wenigen Tagen des neuen Jahres der mörderische
Angriff in der Silvesternacht auf feiernde Menschen in
Istanbul, die verheerenden Bombenattentate auf einen
Markt in Bagdad und der Anschlag, wiederum mit einem Lkw, auf Soldaten in Jerusalem . Den Opfern dieser
menschenverachtenden Brutalität fühlen wir uns verbunden . Sie mahnen, dass sich der weltweiten Terrorgefahr
wirkungsvoll nur gemeinsam entgegentreten lässt - und
deshalb müssen wir endlich zu einer effektiven sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in Europa und darüber
hinaus kommen .
Terror, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, zielt darauf ab, demokratische Gesellschaften zu erschüttern, zu lähmen, zu destabilisieren .
Dieses Ziel haben die Terroristen in Deutschland nicht
erreicht . Die Bevölkerung reagiert mit bemerkenswerter
Besonnenheit auf den Terror . Die Menschen demonstrieren damit eindrücklich, dass sie ihr Leben nicht von Drohungen und nicht von Angst diktieren lassen wollen .
Und doch verändert die Terrorgefahr zwangsläufig
unser Leben . Wir erfahren es spürbar bei jeder Sicherheitskontrolle und mit einem natürlich gewachsenen Sicherheitsbedürfnis . Zu Recht erwarten die Bürgerinnen
und Bürger vom Staat und seinen Institutionen, dass er
sie schützt, dass er Vorsorge trifft gegen mögliche Gefahren . Er hat seine Handlungsfähigkeit auch und gerade
unter der islamistischen Terrorgefahr zu beweisen . Das
ist im Grundsatz unstreitig, in der Umsetzung aber nicht
einfach .
Freiheit braucht Sicherheit, wenn sie verlässlich sein
soll . Und Sicherheit braucht Freiheit, wenn sie nicht zur
Repression verkommen soll . Deshalb sollten wir den
Staat mit unseren Ansprüchen auch nicht überfordern und schon gar nicht dürfen wir vortäuschen, einem unkalkulierbaren Gegner mit scheinbar einfachen Mitteln begegnen zu können . Auch Länder, die keine Freiheit haben
oder diese im Namen der Sicherheit stark einschränken,
bieten keineswegs besseren Schutz . Die erschreckende Serie der Attentate in der Türkei in den vergangenen
Monaten zeigt, dass auch da, wo im Ausnahmezustand
regiert und die exekutive Autorität im Staat auf Kosten
freiheitlicher und rechtsstaatlicher Prinzipien immer weiter ausgeweitet wird, keine Sicherheit garantiert werden
kann . Autoritäre Systeme sind nachweislich nicht sicherer . Sie erkaufen die Illusion größeren Schutzes vor Terror und Gewalt mit der Verweigerung unverzichtbarer
Freiheitsrechte .
Die freie Gesellschaft ist aber nicht ohnmächtig . Auch
sie kann und muss sich wehren . Unser Staat kann Gefahren nicht ausschließen, die Sicherheitsbehörden können
sie aber mit den rechtsstaatlichen Mitteln begrenzen, die
ihnen zur Verfügung stehen .
Vielfach ist es bereits gelungen, Anschläge in unserem Land zu verhindern . Dennoch bleiben nach dem
verheerenden Anschlag vom Breitscheidplatz drängende
Fragen, auf die es noch keine abschließenden Antworten
gibt . Die Erkenntnisse über den Täter, der, obwohl als
Gefährder eingestuft, den zuständigen Behörden bekannt,
mit zahlreichen falschen Identitäten ausgestattet, ungehindert zuschlagen konnte, zwingen uns, die Sicherheitsarchitektur in unserem Land zu überdenken . Der Rechtsstaat ist ja nicht an sich selbst gescheitert, vielmehr hat er
seine Mittel offensichtlich nicht ausgeschöpft. Wir müssen organisatorische Fehler und strukturelle Schwächen
aufklären und Konsequenzen daraus ziehen - auf allen
staatlichen Ebenen und im Zusammenwirken aller Ämter
und Behörden . Wo es dazu des Gesetzgebers bedarf, stehen wir als Abgeordnete in einer besonderen Pflicht - vor
allem da, wo es offenkundig nicht nur am Vollzug längst
bestehender Gesetze mangelt . Sicherheitsbehörden und
Justiz müssen in die Lage versetzt sein, die bestehenden
Gesetze auch konsequent anwenden zu können .
Deshalb haben wir manche unbequeme Debatte zu
führen . Wir dürfen und müssen uns dabei auch streiten .
Damit haben wir im Übrigen in den zuständigen Gremien wie im Plenum des Bundestages ja bereits begonnen .
Niemand sollte das mit Schwäche verwechseln oder als
Unentschlossenheit verunglimpfen . Es ist gerade die
Stärke unserer herausgeforderten Demokratie, dass wir
als Gesellschaft darum ringen, wie wir die schwierige
Balance zwischen Sicherheitsanspruch und Freiheitsversprechen halten wollen .
Dass darüber intensiv zwischen den Parteien, übrigens
auch in den Parteien, gestritten wird, muss auch in einem
Wahljahr möglich sein . Die notwendige Auseinandersetzung darf aber nicht auf Kosten von Menschen erfolgen,
die ihrer Herkunft oder Religion wegen in Sippenhaft genommen werden für die terroristische Gewalt, vor der sie
vielfach selbst geflohen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mörder vom
Breitscheidplatz verstand sich als Muslim, als Soldat des
„Islamischen Staates“ - und er gab sich als Flüchtling
aus . Beides können wir nicht übersehen - gerade weil wir
uns zur religiösen Vielfalt, zur weltoffenen Gesellschaft
und zu unseren humanitären Verpflichtungen bekennen.
Als Staat, der Religionsfreiheit als Menschenrecht begreift und garantiert, und als Gesellschaft, in der Christen, Juden, Muslime und Menschen, die ohne Glauben
sind, zusammenleben, dürfen und müssen wir die Auseinandersetzung der Muslime mit ihrer Religion und
dem verhängnisvollen Zusammenhang von Glaube und
fanatischer Gewalt mit Nachdruck einfordern . Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime hat dies in seiner
Stellungnahme unmittelbar nach dem Anschlag in Berlin
beispielhaft getan . Auch das verdient Respekt und Anerkennung .
Wir bekämpfen nicht den Islam, sondern Fanatismus,
nicht Religion, sondern Fundamentalismus - das gilt
unter dem Eindruck des Terrors in unserem Land nicht
anders als nach den Anschlägen in unseren europäischen
Nachbarländern . Wo islamistisches Gedankengut verbreitet wird, haben wir dies mit aller gebotenen rechtsstaatlichen Härte zu bekämpfen . Terror ist nie religiös,
Terror ist immer politisch - die Antwort darauf muss
auch politisch sein .
Dass gewaltbereite Islamisten die Not anderer Menschen benutzen, um sich in unser Land einzuschleichen
und hier Unfrieden und Gewalt zu stiften, ist perfide,
folgt aber der Logik der Terroristen, die unsere GesellPräsident Dr. Norbert Lammert
schaft spalten wollen . Weil wir das nicht zulassen und
weil wir auch die zu uns Flüchtenden vor denen schützen
wollen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen, haben wir
die doppelte Legitimation, konsequenter als bislang zu
prüfen, wer zu uns kommt und wer hier bleiben kann .
Und von denen, die bei uns bleiben, erwarten und verlangen wir, unseren Gesetzen und Normen vorbehaltlos
zu folgen .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, in der vergangenen Woche ist Roman Herzog
verstorben, den wir am kommenden Dienstag in einer
Trauerfeier im Berliner Dom würdigen werden .
Unser früherer Bundespräsident, der diesem Land in
herausragenden Ämtern gedient hat, hat in seiner unvergessenen Rede 1997, also vor 20 Jahren, eine klare
Sprache eingefordert - sie ist auch heute gefragt und angemessen -:
Wer - wo auch immer - führt, muß den Menschen,
die ihm anvertraut sind, reinen Wein einschenken,
auch wenn das unangenehm ist .
Und an einer anderen Stelle hat er betont:
Verantwortung ist die unausweichliche Konsequenz
der Freiheit .
Wir sind frei, und wir bleiben frei, solange wir für unsere eigenen Angelegenheiten Verantwortung übernehmen .
Bitte erheben Sie sich zum stillen Gedenken an die
Opfer und zum Zeichen unserer Anteilnahme mit den
Angehörigen von Ihren Plätzen .
({0})
Ich danke Ihnen .
({1})
Wir treten nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, in
unsere Tagesordnung ein .
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Entschieden gegen Gefährder vorgehen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit
({2})
ZP 2 Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU
Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten
Drucksache 18/10866
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft ({3}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole
Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortmaßnahmen für die Agrarwende - Für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft
und gutes Essen
Drucksachen 18/4191, 18/10899
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({4})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({5}), Peter Meiwald, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Holzbau und das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen stärken
Drucksache 18/9803
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innenraumluft sauber halten - Partikelfreisetzung aus Laserdruckern beenden
Drucksache 18/10874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({7})
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer
Gebäude- und Wohnungszählung 2021
({8})
Drucksachen 18/10458, 18/10484
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9})
Drucksache 18/10880
- Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10881
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({11})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eva BullingSchröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Fortsetzung der Braunkohlesanierung in
den Ländern Brandenburg, Sachsen, SachPräsident Dr. Norbert Lammert
sen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr
- zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Stephan Kühn ({12}), Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Braunkohlesanierung durch die Lausitzer
und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungs-
gesellschaft mbH fortsetzen
Drucksachen 18/8112, 18/8396, 18/10505
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({13})
zu dem Antrag der Abgeordneten Beate WalterRosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zukunft machen
Drucksachen 18/8259, 18/10858
ZP 6 Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der
Filmförderungsanstalt gemäß § 6 Absatz 1
Nummer 1 des Filmförderungsgesetzes ({14})
Drucksache 18/10867
ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Außenpolitische Auswirkungen der US-Truppenverlegungen nach Osteuropa „Atlantic Resolve“
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Die Tagesordnungspunkte 13 - hier geht es um das
Berufsrecht für rechtsberatende Berufe - und 17 - Änderung des Straßenverkehrsrechts - werden abgesetzt . Die
nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entsprechend vor .
Darüber hinaus sollen die Tagesordnungspunkte 3 d hier geht es um einen Antrag zur Rechtssicherheit und
Transparenz bei Lebensmittelkontrollen - sowie die ohne
Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkte 28 f und
28 g abgesetzt werden .
Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 10 . November 2016 ({15}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({16}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung
({17})
Drucksache 18/10186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({18})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Der am 10 . November 2016 ({19}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Finanzausschuss ({20}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Drucksache 18/10207
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({21})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen einverstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
ist das so beschlossen .
Ich möchte, bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt
aufrufe, nachträglich der Kollegin Kordula SchulzAsche zu ihrem 60 . Geburtstag sowie dem Kollegen
Klaus-Peter Flosbach zu seinem 65 . Geburtstag herzlich gratulieren . Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr!
({22})
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf:
Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU
Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten
Drucksache 18/10866
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt die Abgeordnete
Michaela Noll als Stellvertreterin des Präsidenten vor .
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall .
Dann gebe ich denjenigen, die sich schon mit großer
Energie in die vermutete Richtung begeben, einige Hinweise zum Verfahren:
Gewählt ist, wie Sie richtig vermuten, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält .
Für die Wahl benötigen Sie einen blauen Ausweis, den
Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können . Die blaue Stimmkarte wird von den Schriftführerinnen und Schriftführern
an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen ausgegeben .
Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre Stimmkarte
nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag
legen . Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam - und
Präsident Dr. Norbert Lammert
bitte, es denjenigen, die es jetzt offenkundig nicht mitbekommen, gegebenenfalls persönlich weiterzugeben -,
dass Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen
oder Zusätze, insbesondere auch Kommentare, enthalten,
ungültig sind .
Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen,
müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an
der Wahlurne Ihren blauen Wahlausweis übergeben . Die
Abgabe des Wahlausweises dient zugleich als Nachweis
für die Beteiligung an der Wahl . Also kontrollieren Sie
bitte, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt .
Die beiden Wahlurnen sind neben dem Stenografentisch vor dem Präsidium aufgestellt . Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie,
von Ihren Plätzen aus über die seitlichen Zugänge und
nicht durch den Mittelgang zu den Ausgabetischen zu
gehen. Das haben wir offenkundig so oft geübt, dass es
bereits genau so erfolgt ist .
Ich frage nun, ob die entsprechenden Plätze von den
Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt sind . - Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Wahl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Mein Eindruck ist, dass
jetzt alle jedenfalls anwesenden Mitglieder des Hauses
ihre Stimmkarte abgegeben haben . Dann schließe ich die
Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen . Bis zum Vorliegen des
Ergebnisses der Wahl - die Auszählung wird vermutlich
nicht lange dauern - unterbreche ich unsere Sitzung .
({23})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten mitteilen: abgegebene Stimmen 572, ungültige Stimmen 3 . 569 Stimmzettel waren
gültig . Mit Ja haben gestimmt 513 .
({0})
Der Vollständigkeit halber muss ich darauf hinweisen,
dass es auch einzelne Neinstimmen gegeben hat . 27 Mit-
glieder des Hauses haben mit Nein gestimmt, und 29 ha-
ben sich der Stimme enthalten . Damit hat die Kollegin
Michaela Noll die erforderliche Mehrheit erkennbar er-
reicht .1)
Ich gratuliere Ihnen herzlich im Namen des ganzen
Hauses, auch persönlich . Wir alle freuen uns auf die Zu-
sammenarbeit, insbesondere die vollständig angetretenen
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
weiteren Mitglieder des Präsidiums . Alle guten Wünsche
für das neue Amt .
({1})
Frau Noll, bevor Sie jetzt weitere Glückwünsche entgegennehmen, frage ich Sie, ob Sie auch gewillt sind, die
Wahl anzunehmen?
Ich nehme die Wahl besonders gerne an . Herzlichen
Dank für das Vertrauen .
({0})
Jetzt sind wir alle erleichtert, und jetzt kann gratuliert
werden .
({0})
Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob wirklich sämtliche Mitglieder des Bundestages nun auch persönlich
gratuliert haben, schließe ich hiermit förmlich die Gratulationscour . Es wäre zu schön gewesen, wenn auch das
Präsidium einzelne Blümchen bekommen hätte,
({1})
aber es geht halt im Leben nicht immer gerecht zu . Also
kehren wir jetzt schlicht zu unserer Tagesordnung zu-
rück .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c und 3 e
bis 3 h sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
3 . a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Bericht der Bundesregierung zur
Entwicklung der ländlichen Räume
Drucksache 18/10400
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Verbrauchertäuschungen beenden Klare Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen
Drucksache 18/10861
Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landwirtschaft braucht Zukunft - Gutes
Essen braucht eine gute Landwirtschaft
Drucksache 18/10872
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({4})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft ({5}) zu dem An-
trag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff,
Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Zukunftsfähige Hühnerhaltung - Küken-
tötung schnellstmöglich ein Ende setzen
Drucksachen 18/7878, 18/10896
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft ({6}) zu dem An-
trag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff,
Dr . Anton Hofreiter, Oliver Krischer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Bäuerlicher Milchviehhaltung eine Zu-
kunft geben - Milchmenge jetzt begren-
zen
Drucksachen 18/8618, 18/10897
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung
und Landwirtschaft ({7}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz schaffen - Tierhaltungs-
kennzeichnung für Fleisch einführen
Drucksachen 18/4812, 18/10898
h) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gentechnik-Anbauverbote bundeseinheitlich und konsequent umsetzen
Drucksachen 18/3550, 18/3843
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft ({9}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole
Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortmaßnahmen für die Agrarwende - Für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft
und gutes Essen
Drucksachen 18/4191, 18/10899
Zu dem Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung
der ländlichen Räume liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . - Dazu kann ich
keinen Widerspruch erkennen . Also ist das so beschlossen . Wir verfahren so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt das Wort .
({10})
Herr Präsident! Frau Vizepräsidentin, die vielen Blumen sind landwirtschaftliche Produkte; es freut mich
sehr, dass sie den Weg in den Plenarsaal des Deutschen
Bundestages gefunden haben . Als erster Redner des Hauses nach der Wahl habe ich die große Freude, auch von
unserer Seite der neuen Vizepräsidentin des Deutschen
Bundestages einen herzlichen Glückwunsch zu übermitteln, verbunden mit dem Bedauern, dass wir hiermit
eine gute Parlamentarische Geschäftsführerin verlieren .
Falls weiter gefeiert werden sollte, bietet sich eventuell
die Grüne Woche, Halle 23 A, an . Ich lade hierzu sehr
herzlich ein .
Es freut mich, dass wir uns am Eröffnungstag der Grünen Woche hier im Deutschen Bundestag zur Kernzeit
mit der Zukunft der ländlichen Räume auseinandersetzen
und den Bericht der Bundesregierung, den ich vorgelegt
habe, diskutieren . Bei der Grünen Woche geht es natürlich nicht nur um die ländlichen Räume und ihre Entwicklung; sie ist thematisch weiter und breiter aufgestellt . Ich
habe in diesem Jahr gemeinsam mit der Agrarministerkonferenz Gäste aus über 60 Ländern weltweit begrüßt .
Diese Berliner Ernährungskonferenz hat sich damit zu
einem der zentralen internationalen Medien-, Austauschund Diskussionsforen entwickelt und bietet eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen . Ich begrüße
herzlich auch von dieser Stelle die vielen internationalen
Gäste, darunter übrigens auch viele Parlamentarier, die
nach Berlin kommen, um über die globalen Fragen der
Landwirtschaft und der ländlichen Räume zu diskutieren .
Wir werden auf der Berliner Welternährungskonferenz
das so wichtige Thema „Landwirtschaft und Wasser“ beraten . Wasser ist die Voraussetzung für Nahrungsmittelproduktion . Die Handlungsempfehlungen der Berliner
Welternährungskonferenz, die wir am Samstag formuPräsident Dr. Norbert Lammert
lieren werden, werden am nächsten Tag, nämlich beim
Treffen der G-20-Agrarminister, konkretisiert. Es ist
bemerkenswert, dass wir Agrarpolitiker die Ersten sind,
die am kommenden Sonntag die Reihe der Ministerkonferenzen im Rahmen der deutschen G-20-Präsidentschaft
eröffnen. Wir haben uns die Vernetzung zum Ziel unserer
Diskussionen gesetzt . Daran orientieren wir uns . Ich denke, damit ist ein guter Anfang gemacht. Im Juli treffen
sich dann die Staats- und Regierungschefs in Hamburg .
({0})
In Zeiten der Globalisierung begreifen immer mehr
Menschen, dass die regional verwurzelte Landwirtschaft und die vielfältigen ländlichen Regionen identitätsbestimmend sind . Auch die ländlichen Regionen in
Deutschland stiften Identität und geben Heimat . 90 Prozent der Fläche Deutschlands sind ländlich geprägt . Mehr
als die Hälfte der Deutschen leben auf dem Land . Hier
ist starker Mittelstand zu Hause - mit vielen Hidden
Champions und dem regionalen Handwerk. Hier finden
Familien bezahlbaren Wohnraum, und Städter finden Erholung. Durch die sozialen Strukturen in den dörflichen
Gemeinschaften sind die Aufnahme und Integration von
Neubürgern oft viel einfacher als in der Anonymität der
Großstädte . Dazu kommt, dass Bauern, Forstleute, Jäger
und Winzer die Kulturlandschaft pflegen und der Anteil
der ehrenamtlich Tätigen außerordentlich hoch ist . So sei
bei dieser Gelegenheit allen unseren Mitbürgerinnen und
Mitbürgern, die ehrenamtlich Aufgaben übernehmen und
sich so in die Gesellschaft einbringen, sehr herzlich gedankt .
({1})
Wo wir stehen und wo wir gezielt die ländliche Entwicklung fördern müssen, das zeigt der Zweite Bericht
der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen
Räume . Seit dem ersten Bericht, der 2011 erschienen ist,
sind wir bei der Förderung der ländlichen Regionen einen großen Schritt vorangekommen . Wir haben Förderprogramme erweitert und neue geschaffen. Wir haben die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ in diesem Jahr mit insgesamt
765 Millionen Euro ausgestattet . Außerdem haben wir
die Mittel für mein neues Bundesprogramm „Ländliche
Entwicklung“, das es seit zwei Jahren gibt, von 10 auf
satte 55 Millionen Euro aufgestockt, um Pilotprojekte,
Tendenzen und Entwicklungen zu evaluieren .
Für den Rückenwind aus dem Bundeshaushalt danke
ich insbesondere den Kolleginnen und Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss sehr herzlich . Das Geld ist gut angelegt und wird gut angelegt werden; denn wir müssen
einen differenzierten Blick auf die Notwendigkeiten der
Regionen haben . Mittel kann man wirkungsvoll und gezielt dann einsetzen, wenn man weiß, vor welchen Herausforderungen einzelne Regionen konkret stehen .
Man muss unterscheiden: In Regionen nördlich des
Bodensees geht es eher um das Thema Siedlungsdruck
und damit verbundene mögliche Infrastrukturmaßnahmen . Sie haben eine ganz andere Sicht als jene Regionen, die Schwierigkeiten aufgrund der demografischen
Entwicklung haben, weil dort die Infrastruktur von immer weniger Menschen nachgefragt wird . Krankenhäuser werden geschlossen, obwohl die Menschen dort auch wenn es nur Hundert sind und nicht Tausend - auch
krank werden .
Auf diese Fragen müssen wir differenzierte Antworten finden. Als Grundlage dafür dient das neue Informationsportal meines Ministeriums, mit dem man sich einen
Überblick verschaffen kann unter der Adresse www .zukunft .land . Das Internetportal gibt mit interaktiven Karten in einem Landatlas Auskunft über die Lage in den
Gemeinden und Landkreisen . Ich habe mir erlaubt, jeder
Kollegin und jedem Kollegen des Deutschen Bundestages eine entsprechende Hardcopy ins Büro zu schicken .
Hinsichtlich Demografie und Daseinsvorsorge gibt es
ländliche Regionen mit gravierenden Problemen . Deswegen müssen die Aufgaben koordiniert werden . Das
Querschnittsdenken darf nicht dazu führen, dass ländliche Entwicklung in vielen Bereichen ein politisches
Randthema wird . Diese muss vielmehr in die Mitte gestellt werden . Ich baue mein Haus, mein Ressort deswegen entsprechend um, und zwar zu einem Ministerium,
das für Ernährung und Landwirtschaft, aber auch für die
ländlichen Regionen da ist . Sie wissen, dass ich unter der
Überschrift „Aussaat 2017“ eine neue Struktur mit einer
neuen, hierfür spezifizierten Abteilung geschaffen habe.
Ich will mit meinen europäischen Kollegen die Gemeinsame Agrarpolitik noch stärker auf die Steigerung
der Attraktivität ländlicher Regionen ausrichten . Über die
GAP werden wir bis zum Jahr 2020 sowieso eine ganze
Reihe von intensiven Diskussionen führen müssen . Wir
müssen nicht nur die Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigen, sondern auch die Herausforderungen der
Zukunft annehmen .
Wenn ich einen Satz zur ländlichen Entwicklung sagen darf: Wir stellen fest, dass viel Grund und Boden in
die Hände von Wenigen, vor allem von solchen außerhalb
der Landwirtschaft, kommt . Diese Feststellung berührt
die Zielrichtung der Agrarstrukturpolitik . Wir dürfen an
solchen Fragen nicht vorbeigehen . Hedgefonds, die Hunderttausende von Hektaren haben, sind eigentlich nicht
die Ansprechpartner, mit denen wir über Agrarstrukturpolitik reden sollten .
({2})
Politik für die ländlichen Regionen aus einem Guss
erfordert deswegen auch, dass wir die Gemeinschaftsaufgabe strategisch weiterentwickeln . Eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung und Demografie“ sollte
eine Antwort auf die Fragen sein, übrigens, um das ganz
klar zu sagen, nicht um die agrarstrukturelle Förderung
zurückzuführen, sondern - ganz im Gegenteil - um sie
zu ergänzen .
Ich freue mich, dass Phil Hogan, der EU-Kommissar,
den Cork-2 .0-Prozess, das heißt die europäische Diskussion über ländliche Räume, eröffnet hat. Cork ist eine
irische Stadt, die auch aus einer Regionalitätserfahrung
heraus weiß, welche Herausforderungen bestehen . Wir
müssen deswegen gemeinsam - europäisch, national und
http://www.zukunft.land
http://www.zukunft.land
regional - mit Modellen und Anstößen für die wirtschaftliche Entwicklung arbeiten . Die Land- und Forstwirtschaft wird ihre große Bedeutung für die Wirtschaft in
den ländlichen Räumen und ihre Motorfunktion in der
gesamten Wertschöpfungskette behalten . Wir werden
und müssen sie allerdings ergänzen .
Unverzichtbarer Bestandteil der ländlichen Regionen
sind die Bauernfamilien . Sie versorgen uns mit Lebensmitteln, die so sicher, gesund und vielfältig sind wie nie
zuvor .
({3})
Dafür gebührt unseren Bäuerinnen und Bauern ein herzlicher Dank von dieser Stelle seitens des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung . Gleichwohl bin ich
davon überzeugt, dass wir die deutsche Landwirtschaft
langfristig nur dann erfolgreich in der Mitte der Gesellschaft verankern können, wenn wir einen gesellschaftspolitischen Ansatz wählen .
Deswegen habe ich zum Jahreswechsel das Grünbuch
als den Fahrplan für die deutsche Ernährungs- und Agrarpolitik vorgestellt . Es beschreibt Wegmarken unserer Politik für eine zukunftsfeste Landwirtschaft und lebendige
ländliche Regionen, ergänzt um den Blick auch auf den
internationalen Bereich . Wir können in einer Zeit der
Globalisierung den Blick nicht nur auf unsere nationalen
Befindlichkeiten richten.
({4})
Ich mache mir, wie wir alle, um Europa und auch um
die Zukunft der europäischen Agrarpolitik Sorgen, wenn
die Diskussion sich allein um die Finanzen drehen sollte .
Nein, es bleibt dabei, dass die europäische Agrarpolitik
eines der Fundamente der europäischen Zusammenarbeit
ist; denn sie sorgt mit dafür, dass die ländlichen Räume
eine Zukunft haben .
Eine Wegmarke wird hierbei auch die Beantwortung
der Frage sein, wie Landwirtschaft und Tierhaltung in
der Zukunft aussehen . Die Düngeverordnung, über die
wir heute nicht diskutieren, über die wir uns aber in einem breiten Konsens geeinigt haben, und das Düngegesetz werden in den nächsten Tagen und Wochen die
parlamentarischen und die anderen Beratungen erreichen
bzw . verlassen . Ich denke, das ist eine gute Basis für einen vernünftigen Ausgleich zwischen der Landwirtschaft
und der Notwendigkeit des Nährstofftransfers einerseits
und den Umwelt- und Klimafragen andererseits, an denen wir natürlich nicht vorbeigehen können und auch
nicht vorbeigehen wollen .
Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen . Die tierische Veredelung in Deutschland erfordert Geld . Die Ansprüche der Gesellschaft sind sehr hoch . Manchmal neigt
die Gesellschaft dazu, Ansprüche zu erheben, aber keine
Antwort auf die Frage zu geben, wie sie denn finanziert
werden sollen . Da und dort mögen wir unterschiedlicher
Auffassung sein - Herr Hofreiter, ich habe Ihr Buch gelesen, das Sie vor einiger Zeit geschrieben haben -: Ich
will einen Zweiklang . Ich möchte nicht nur mit dem Siegel „Tierwohl“ für Qualität und Verlässlichkeit für den
Verbraucher sorgen, sondern parallel mit einer Nutztierhaltungsstrategie auch die notwendigen Investitionsmittel generieren, damit die Bauern die Möglichkeit haben,
das, was von Ihnen gefordert wird, ökonomisch und ökologisch verträglich umzusetzen . Ich denke, hierüber ist
zu diskutieren .
Seitens der Länder gibt es den Vorschlag, gemeinsam
eine Tierwohlstrategie zu entwickeln . Dem verschließe
ich mich nicht . Kollege Gert Lindemann, der als Staatssekretär gedient hat -
Herr Minister, darf ich Sie auf Ihre Redezeit aufmerksam machen? Sie ahnen, was jetzt kommt .
Ja, ich bedanke mich .
({0})
Das ist aber ein solch spannendes Thema, Herr Präsident,
dass ich noch einen Satz zum Abschluss sagen möchte .
Ich bin bereit dazu, dass wir uns auch über diese Fragen unterhalten, weil ich glaube, dass es nicht gut wäre,
wenn wir uns über die Köpfe der Tierhalter und der Tiere
hinweg streiten und dabei das Wohl derselben aus den
Augen verlieren würden . Ich bedanke mich für die Unterstützung, die ich in diesen Fragen erhalten habe . Noch
einmal, wenn ich das darf, eine herzliche Einladung zur
Grünen Woche .
({1})
Herr Minister, das ist zweifellos ein spannendes Thema . Die Tragik unserer Geschäftsordnung besteht nur
darin, dass dann, wenn Mitglieder der Bundesregierung
von ihrem verfassungsrechtlich verbrieften Recht, hier
zu reden, in einer besonders ausführlichen Weise Gebrauch machen, die Mitglieder der eigenen Fraktion zum
gleichen spannenden Thema leider in noch begrenzterem
Umfang Redemöglichkeiten erhalten .
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm
für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mich betrifft der Hinweis zur Redezeit nicht; ich muss
mich trotzdem beeilen, weil zwei weitere Kolleginnen
aus meiner Fraktion ebenfalls wichtige Themen ansprechen wollen .
Ich will mich heute im Wesentlichen auf den Teil beschränken, der die ländlichen Räume betrifft. Die Bundesregierung legt dem Parlament dazu heute, also im
letzten Jahr dieser Legislaturperiode, einen Bericht zur
ländlichen Entwicklung vor . Dazu möchte ich mich äußern .
Endlich scheint man die Bedeutung des ländlichen
Raums zu erkennen; wir finden: viel zu spät, aber immerhin . Einige Akzente, die in diesem Bereich gesetzt
wurden, hat Herr Schmidt in seiner Rede vorgestellt . In
den letzten Monaten hat sich tatsächlich etwas getan . Am
Anfang einer Oppositionsrede darf durchaus ein bisschen
Lob stehen . Deswegen will ich hier durchaus wohlwollend erwähnen, dass ich mich freue, dass wir es alle gemeinsam in den Haushaltsberatungen geschafft haben,
die Mittel für den ländlichen Raum tatsächlich ein wenig aufzustocken . Sie hören es schon: „Ein wenig“ heißt,
dass wir noch nicht wirklich zufrieden sind . Deshalb
legen wir heute einen Entschließungsantrag vor, in dem
wir Ihnen unsere Vorstellungen zur Finanzierung darlegen . Ich freue mich auch darüber, dass Herr Schmidt sich
einen Sachverständigenrat an die Seite geholt hat, der ihn
bei der Behandlung des Themas „ländliche Räume“ berät, und zwar kritisch berät .
Innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und mit dem
Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ haben wir
erste Schritte unternommen . Ich sage hier aber auch: Mit
diesen ersten Schritten werden wir nichts wirklich Wesentliches verändern hinsichtlich der Fehlentwicklung,
der unterschiedlichen Entwicklung von Städten und Gemeinden . Wir haben auf der einen Seite die Ballungsgebiete und auf der anderen Seite die ländlichen Räume,
die mit diesen hinsichtlich der Entwicklung nicht Schritt
halten können .
Ich weiß nicht, ob man sich über die Ergebnisse des
Berichts, die hier heute zur Debatte stehen, freuen kann .
Denn auch der Bericht zeigt zum Teil diese Planlosigkeit . Eine geschlossene und solide Strategie, wie man die
ländlichen Räume jetzt so entwickeln will, dass sie mit
den Städten Schritt halten können, können wir bis heute
nicht erkennen und konnten wir auch aus der Rede von
Herrn Schmidt nicht heraushören . Sie machen ein bisschen hier, Sie machen ein bisschen da, geben etwas Geld
obendrauf und fertig .
Wir müssen uns fragen, ob das, was die Bundesregierung in den letzten Monaten an Akzenten erkennen
lässt, eine wirklich zukunftsgewandte Politik für den
ländlichen Raum darstellt oder ob es sich da auch nur
wieder um Nebelkerzen handelt, mit denen Engagement
suggeriert werden soll . Denn aus der Ankündigung im
Koalitionsvertrag, aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
eine richtige Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen
Raum zu machen, ist nichts geworden, wie wir seit dem
letzten Jahr wissen . Es gibt Flickschusterei statt wirklicher Reformen, Ankündigungsmodus statt Grundgesetzänderung . Allein an dieser Frage erkennt man, wie ernst
Sie es mit dem ländlichen Raum meinen . Eine wirkliche
Maßnahme wäre nämlich gewesen, mit der Gesetzesänderung damals auch die entsprechende Grundgesetzänderung vorzunehmen .
Allerdings frage nicht nur ich mich, woher jetzt das
Engagement des BMEL für den ländlichen Raum kommt .
Denn am Ende der Regierungszeit wird plötzlich eine eigene Abteilung für den ländlichen Raum im Bundesministerium gebildet. Ich finde, das wäre eine Maßnahme,
die am Anfang einer Legislaturperiode stehen sollte .
({0})
Ich weiß nicht, wie das im letzten halben Jahr tatsächlich
noch zu Ergebnissen führen kann .
„Aussaat 2017“ nannten Sie Ihre Strategie, Herr Minister, die Sie im Dezember vorgestellt haben . Mir gefällt
ja dieses sprachliche Bild . Um dabei zu bleiben: Eigentlich hätte es „Ernte 2017“ heißen müssen .
Der Städte- und Gemeindebund ist nicht der einzige
Verband, der fordert, dass die ländliche Entwicklung
dauerhaft ein eigenständiges Politikfeld sein muss . Das
fordern auch wir .
({1})
Wir fordern, dass die ländliche Entwicklung mit der
Landwirtschaft, der Digitalisierung, dem Klima- und
Umweltschutz, aber insbesondere mit der Daseinsvorsorge der Menschen in den ländlichen Räumen verbunden wird . Wir müssen den Breitbandausbau fördern und
dem Ausbluten der Schrumpfungsregionen und vor allem
auch dem demografischen Wandel entgegenwirken.
Herr Minister, wir fragen Sie: Zeichnet sich bei der
neuen Struktur in Ihrem Ministerium eine Aufspaltung
des BMEL ab? Ist das Kompetenzgerangel, das Sie seit
einigen Monaten mit Frau Hendricks haben - wir erleben
das ja -, ein Ausdruck dafür?
({2})
Auch die Linke ist für die Bündelung von Kompetenzen;
da will ich gar nicht drum herumreden . Auch wir wollen
eine koordinierte Politik für den ländlichen Raum .
Ich kann mir einen Minister für Regionalstrukturentwicklung und den ländlichen Raum auf Bundesebene
durchaus vorstellen . Doch ich möchte mit Ihnen hier
nicht in erster Linie über Ministerien diskutieren . Ich
möchte, dass die Förderung strukturschwacher Regionen
bis 2020 nicht zur Hängepartie wird .
({3})
Wir wollen eine kommunale Finanzausstattung, die
es den Kommunen ermöglicht, alle Aufgaben in den
Gemeinden selbstverwaltet und selbstbestimmt zu lösen . Dazu brauchen Sie, Herr Minister, mindestens noch
einen dritten Minister, nämlich Herrn Schäuble . Wir
wollen eine in sich schlüssige Politik für den ländlichen
Raum, Politik aus einem Guss, keine 100 Förderoptionen
oder Modellprojekte, wie sie auch im Bericht kritisiert
werden . Wir wollen eine verlässliche und solide Finanzierung, damit die Menschen im ländlichen Raum gleichwertige Lebensbedingungen haben wie in der Stadt: einen Arzt, einen Konsum, eine Schule, einen Bus, eine
Kneipe, Sport- und Karnevalsvereine sowie Männer- und
Frauenchöre, selbstbestimmt und selbstverwaltet .
Frau Kollegin .
Am Ende noch einen Satz: Arbeiten wir gemeinsam
daran . Das haben wir in unserem Antrag vorgeschlagen .
Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen .
Danke schön .
({0})
Für den Bundesrat erhält nun der Landesminister Till
Backhaus das Wort .
({0})
Dr. Till Backhaus, Minister ({1}):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich bin natürlich dankbar, dass ich
von der SPD-Fraktion heute ein wenig Redezeit bekommen habe . Ich möchte aus der Sicht des Landes Mecklenburg-Vorpommern - für mich das schönste Bundesland
der Welt; das war der Werbeblock - einige Anmerkungen
machen .
({2})
Wir haben auch schon in der Rede des Bundesministers gehört, dass der heutige Tag - heute wird die Grüne Woche eröffnet - natürlich ein guter Anlass ist, über
die Landwirtschaft, die ländlichen Räume, aber auch
eine Zukunftsstrategie insgesamt für die Bundesrepublik
Deutschland zu reden . Ich glaube, für die Sozialdemokratie gilt: Wir wollen lebendige, lebensfähige ländliche
Räume .
({3})
Es geht ausdrücklich darum, hochwertige Lebensmittel zu produzieren . Ich sage sehr klar und deutlich: Wir
alle brauchen die Landwirtschaft zum Leben .
({4})
Wir stellen die Landwirtschaft nicht unter Generalverdacht,
({5})
sondern wir wollen, dass ökologische Landwirtschaft,
regionale Landwirtschaft und konventionelle Landwirtschaft eine Chance haben .
({6})
Ich glaube, man darf sagen: Noch nie waren die Lebensmittel in Deutschland so sicher wie heute . Deswegen geht mein Dank an die Landwirtschaft, an die Ernährungswirtschaft und an die ländlichen Räume insgesamt .
Denn sie sind identitätsstiftend, sie sind ein Teil unserer
Kulturlandschaft . Sie sind ein wichtiger Teil des Naturreichtums in der Biodiversität, sie leisten einen Beitrag zum Klimaschutz und selbstverständlich auch zum
Schutz der natürlichen Ressourcen .
({7})
Die ländlichen Räume sind und bleiben Zukunftsräume . Wer das nicht erkennt und leichtfertig versucht, dieses Politikfeld ideologischen Strukturen anzupassen, der
wird Schiffbruch erleiden.
Aus der Erfahrung vieler Jahre Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern sage ich Ihnen, dass derjenige, der
sich um die ländlichen Räume kümmert, auch wahlentscheidende Grundlagen liefert . Auch das ist ein Teil unserer lebendigen Demokratie . Die Erfahrungen, die wir
gerade in den letzten Monaten bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern gesammelt haben, sollten uns die
Sache aufmerksam verfolgen lassen . Es ist wichtig, dass
das Ehrenamt eine aktive Rolle spielt . Darüber hinaus
müssen wir die Strukturen weiter straffen.
Ich erwarte im Übrigen, Herr Bundesminister, dass
die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der europäischen Agrarpolitik einen hohen Stellenwert innerhalb der
Bundesregierung erfährt . Ich möchte gerne, dass wir die
gemeinsame europäische Politik für die ländlichen Räume, die Landwirtschaft und die Umwelt erhalten . Es ist
ein positives Beispiel weltweit, was wir in den letzten
Jahrzehnten in Europa geleistet haben .
An dieser Stelle noch einmal der ausdrückliche Dank
an die Bundestagsabgeordneten, die den neuen Bundesländern so immens geholfen haben, die Investitionen in
eine umweltverträgliche Wirtschaft insgesamt zu begleiten .
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
uns auf die Zukunftsaufgaben und -felder konzentrieren, dann steht an erster Stelle die Versorgung Europas
mit hochwertigen Lebensmitteln . Leider wird das heute
als so selbstverständlich vergessen . Das ist die erste und
wichtigste Grundlage .
({9})
Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir gar nicht
mehr begreifen, in welchem Wohlstand wir eigentlich leben . Deswegen ist es so wichtig, denjenigen zu danken,
die an 365 Tagen im Jahr hochwertige Lebensmittel produzieren . Ich lasse nicht zu, dass wir die konventionelle
Landwirtschaft gegen die ökologische Landwirtschaft
ausspielen . Nein, sie gehören zusammen .
({10})
Für mich ist eins sehr klar und deutlich: Die konventionelle Landwirtschaft muss ökologischer werden, und
die ökologische Landwirtschaft muss wirtschaftlicher
werden . Wer das nicht begreift, der wird die Märkte nicht
bedienen können .
({11})
Sehr geehrter Herr Bundesminister, die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund hat gezeigt,
dass wir sehr wohl in der Lage sind - auch in einem Jahr,
in dem die Bundestagswahl ansteht -, wichtige Grundlagen zu schaffen. Ich bin Wilhelm Priesmeier und meiner
eigenen Fraktion dankbar dafür, dass wir gemeinsam den
Knoten für die Düngeverordnung und das Düngegesetz
durchgeschlagen haben . Das ist eine wichtige Grundlage,
um endlich auch beim Ressourcenschutz voranzukommen .
Ich bin sehr froh und dankbar, dass sich die beiden
Bundesministerien endlich geeinigt haben . Der Sack ist
zu! Das sage ich ausdrücklich auch in Richtung der Grünen . Ich erwarte von Ihnen und uns, dass wir jetzt sehr
schnell gemeinsam dieses wichtige Vorhaben im Bund
und in den Ländern verabschieden .
({12})
Zum Abschluss will ich die Grundlagen, die für mich
von so entscheidender Bedeutung für die Zukunft der
Landwirtschaft, der ländlichen Räume und des Umweltschutzes sind, noch einmal für Deutschland und Europa
auf den Punkt bringen . Ich habe gesagt: Wir brauchen
hochwertige Lebensmittel, die preiswert, aber nicht billig
sind . Dies muss mit mehr Inhalten versehen werden . Ich
bin gespannt, Herr Bundesminister, ob Sie heute, auch
was das Tierwohl-Label anbetrifft, endlich die richtigen
Weichen stellen . Ich erwarte das . Ich kann mir vorstellen,
dass unser Modell nach dem Beispiel der Eierproduktion
sehr schnell in die Tat umgesetzt werden kann . Wir haben
dafür in Mecklenburg-Vorpommern die Weichen gestellt .
Ich glaube zum Zweiten, dass die zukünftigen Herausforderungen gerade für die ländlichen Räume darin
bestehen, Vorreiterregionen für den Klimaschutz und die
Artenvielfalt in Europa zu sein . Denn in den ländlichen
Räumen finden jeden Tag Biodiversität und Klimaschutz
statt . Sie sind ein wichtiges Standbein der zukünftigen
Entwicklung . Hier muss mehr getan werden .
Ich glaube auch, dass die Förderung der ländlichen
Räume in der Landwirtschaft perspektivisch tatsächlich
das Prinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ beinhalten muss . Eine pauschale Ausgleichszahlung
wird die Erfolge, die wir für den Klimaschutz, den Naturund Umweltschutz und den Ressourcenschutz dringend
benötigen, nicht auf Dauer erbringen können . Rot-Grün
hat zwar eine gute Weichenstellung vorgenommen . Aber
der Übergang muss weiterentwickelt werden - hin zu
dem Prinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ - und an klare Kriterien geknüpft werden .
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz zum
Schluss: Herr Bundesminister, Sie haben das Thema der
Strukturentwicklung angesprochen . Der kardinale Fehler
im Zuge der deutschen Einheit im Hinblick auf die Landwirtschaft und die ländlichen Räume - sehr geehrter Herr
Präsident, ich bedaure das - war der Zwang zur Privatisierung von Grund und Boden .
({14})
Das, was hier abläuft, und die Transfers, die heute noch
aus Richtung Osten in Richtung der älteren Bundesländer
stattfinden, sind unglaublich.
Ich habe auch an dieser Stelle, im Bundestag, immer
wieder darauf hingewiesen: Lassen Sie uns Strukturpolitik für die ländlichen Räume auch über den Grund und
Boden machen! - Leider ist dies der rein fiskalpolitischen
Entscheidung der Bundesregierung zum Opfer gefallen .
Das, was sich in den neuen Ländern insgesamt abspielt, was die Privatisierung und die weitere Privatisierung anbetrifft, will ich an einem Beispiel deutlich
machen . Anfang der 90er-Jahre hat 1 Hektar Grund und
Boden in Mecklenburg-Vorpommern 500 D-Mark gekostet . Heute haben wir nach Auswertung der BVVG,
einer Tochter des Bundes, einen Durchschnittspreis von
24 300 Euro pro Hektar . Auf die Idee, dass man mit der
Privatisierung von Grund und Boden solche Gewinnmargen einfahren kann, wären nicht einmal Analysten
gekommen . Dass das Konsequenzen für die Lebendigkeit und die Lebensfähigkeit der ländlichen Räume hat,
dürfte, glaube ich, jedem klar sein .
Ich wiederhole mein Angebot und bitte Sie sehr, sehr
herzlich, die letzten Flächen, die noch im Eigentum des
Bundes sind, unentgeltlich auf die Länder zu übertragen,
um damit insbesondere jungen Menschen in den ländlichen Räumen eine Zukunft zu geben. Ich hoffe, dass die
Grüne Woche Sie in die Lage versetzt, den Frühling zu
erkennen, der damit nach Berlin geholt wird, und dass
die Geschmäcker und die Reize der Vielfalt der über
100 000 Produkte, die wir dort präsentieren werden, Ihnen aufzeigen, wie wichtig die Landwirtschaft ist; denn
wir brauchen sie zum Leben . Eine der schönsten Hallen
war in den letzten Jahren übrigens die Halle 5 .2 b, die
Mecklenburg-Vorpommern-Halle .
Herzlichen Dank .
({15})
Auch diese Halle kann es mit dem Plenarsaal des
Deutschen Bundestages selbstverständlich nicht aufnehmen . - Nachdem wir dies klargestellt haben, hat der Kollege Anton Hofreiter nun das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, von den
Initiativen, die Sie in letzter Zeit ergriffen haben, ist eine
medial besonders aufgeschlagen, nämlich Ihr Kampf gegen die vegane Currywurst .
({0})
Bei diesem Klamauk frage ich mich persönlich: Wann
sehen wir Ihren Kampf gegen die Fleischtomate, gegen
das Jägerschnitzel oder vielleicht gegen die Rosinenschnecke?
({1})
Wenn man sich die Situation anschaut, stellt man allerdings fest: Es gibt ja wirklich Verbrauchertäuschung und
verbrauchertäuschende Etiketten . Es gibt zum Beispiel
einen großen Discounter, der auf seinen Fleisch- und
Wurstprodukten ein schönes, wunderbares Bild zeigt . Zu
sehen sind darauf drei Eichen, ein schönes, fachwerkgeMinister Dr. Till Backhaus ({2})
schmücktes Haus, und es heißt, das Fleisch sei vom Gut
Drei Eichen . Wenn man nachfragt, wo eigentlich dieses
wunderschöne Gut Drei Eichen liegt, stellt man fest: Das
liegt nirgendwo . Das gibt es überhaupt nicht . Dieses Gut
ist schlichtweg eine Erfindung dieses Discounters.
Sie könnten also etwas gegen echte Verbrauchertäuschung - dafür sind Sie zuständig - tun, statt absurde
Kämpfe gegen für jeden offensichtliche Ausdrücke zu
führen, die nur Ihrer ideologischen Abneigung gegen
Veganer und Vegetarier geschuldet sind .
({3})
Dann sind noch weitere Initiativen bekannt geworden. Besonders schön war Ihre Schweinefleischpflicht
für Kitas . Ein Highlight war auch Ihr Apfelessen gegen
Putin . Allerdings: Hinter all diesen unfreiwillig komischen Aktionen bleibt natürlich etwas auf der Strecke,
nämlich die Arbeit in Ihrem Ministerium .
({4})
Sie haben ein Ministerium, das von großer Bedeutung
für die Zukunft dieses Landes ist . Dieses Ministerium
trägt Verantwortung für einen Wirtschaftszweig, der einen Großteil der Fläche unseres Landes bewirtschaftet .
Sie tragen Verantwortung für eines der wichtigsten Güter
in unserem Land: Sie tragen Verantwortung für die Lebensmittel, die bei uns produziert werden . Damit tragen
Sie indirekt auch Verantwortung für viele weitere Bereiche . Sie tragen mehr Verantwortung für den Erhalt der
Artenvielfalt in unserem Land als die Umweltministerin,
weil Forst- und Landwirtschaft einen Großteil der Flächen bei uns bewirtschaften .
({5})
Sie tragen Verantwortung dafür, unser Grundwasser
zu schützen, weil Land- und Fortwirtschaft auf einem
Großteil unserer Flächen betrieben wird . Sie tragen Verantwortung für den Tierschutz . Sie tragen Verantwortung
für den Schutz der Menschen vor multiresistenten Keimen, soweit dies die Landwirtschaft betrifft. Sie tragen
auch Verantwortung für das Schicksal vieler Bäuerinnen
und Bauern, die auch in Zukunft ein vernünftiges Auskommen mit ihren Höfen haben wollen .
Für all das tragen Sie Verantwortung . Da kann ich,
ehrlich gesagt, nicht verstehen, dass Sie aus Ihrem Ministerium eine Art Klamaukministerium gemacht haben .
({6})
Ich wünsche mir etwas ganz Konkretes von Ihnen,
nämlich dass Sie endlich dafür sorgen, dass Tierschutzskandale nicht in gewisser Regelmäßigkeit aufgedeckt
werden . Vielmehr sollten Sie für Tierschutz sorgen .
Ein erster Schritt, der auch mit einer besseren Information der Verbraucherinnen und Verbraucher verbunden sein könnte, wäre, das von Minister Backhaus aus
Mecklenburg-Vorpommern erwähnte Vorhaben, nämlich
die Kennzeichnung, die bei den Eiern sehr erfolgreich
ist, auch auf andere tierische Produkte auszuweiten . Was
hindert Sie daran?
({7})
Stattdessen kommen Sie mit einem irgendwie freiwilligen Tierwohl-Label daher, bei dem am Ende nicht alle
mitmachen müssen . Stattdessen kommen Sie mit immer
neuen Ankündigungen . Noch nicht einmal bei Ihrem
freiwilligen Tierwohl-Label ist klar, wann es umgesetzt
wird . Setzen Sie deshalb die klare Kennzeichnung tierischer Produkte wie bei den Eiern um . Dann können die
Verbraucherinnen und Verbraucher selbst wählen . Was
hindert Sie? Sie haben hier die Mehrheit, also entscheiden Sie mit Ihrer Mehrheit endlich einmal etwas Vernünftiges!
({8})
Nehmen wir ein anderes wichtiges Beispiel, nämlich die Frage der Lebensmittelverschwendung . Das ist
ein wichtiges Thema . 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden verschwendet . In Ihrem Haus sind ein paar
Broschüren entstanden, die wahrscheinlich genauso wie
die Lebensmittel im Abfalleimer landen . Warum tun Sie
nichts Konkretes, außer nur Appelle an die Verbraucherinnen und Verbraucher zu richten?
Man kann auch etwas gegenüber den großen Supermarktketten tun . Aber dann muss man sich mit diesen
Supermarktketten anlegen . Da ist es doch viel einfacher,
den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Werft doch bitte weniger Brot weg . - Ja, das ist richtig . Aber das ist
nicht die Hauptaufgabe einer Regierung . Das ist nicht die
Hauptaufgabe einer Parlamentsmehrheit . Die Hauptaufgabe einer Parlamentsmehrheit ist es, Dinge gesetzlich zu
regeln und dafür zu sorgen, dass die großen Verschwender endlich damit aufhören . Aber wie gesagt: Das muss
man sich trauen .
({9})
Dann haben Sie in Ihrer Rede darüber geklagt, dass
die Hedgefonds immer mehr Land aufkaufen . - Das ist
ein Problem . Aber das hat auch damit zu tun, wie unsere Agrarsubventionen ausgereicht werden . Die großen
Mengen von Steuergeld, die wir zum Glück zur Verfügung haben, werden schlichtweg danach ausgereicht, wer
möglichst viel Grund und Boden hat . Das hat zur Folge,
dass die 3 bis 4 Prozent größten Betriebe - von Höfen
kann man hier kaum sprechen - über 25 Prozent dieses
Steuergeldes bekommen . Das sind über 1 Milliarde Euro .
Die EU erlaubt Ihnen, 15 Prozent dieser Gelder anders
zu verteilen . Das ist bereits jetzt möglich . Und was tun
Sie? Sie beklagen das Ganze hier, tun aber nichts . Dabei
könnten Sie Millionen in der Hand haben, um die bäuerliche Landwirtschaft zu unterstützen .
({10})
Dass das dringend notwendig ist, hat man auch im
letzten Jahr gesehen . Allein im letzten Jahr Ihrer Amtszeit haben 4 000 Milchbauern ihren Hof aufgeben müsDr. Anton Hofreiter
sen . Und was ist Ihnen eingefallen? Ein paar Almosen für
die Betroffenen!
({11})
Sie müssen an der Struktur etwas verändern, damit Sie
diesen Menschen helfen können und die Preise nicht immer wieder kollabieren .
({12})
- Es hilft überhaupt nichts, hier mit unsachlichen Äußerungen dazwischenzuquatschen .
({13})
Davon wird nämlich kein einziger Milchbauer und keine
einzige Milchbäuerin, die im letzten Jahr ihren Hof verloren haben - es waren über 4 000 -, seinen bzw . ihren
Hof zurückbekommen .
({14})
Deshalb: Tun Sie endlich etwas! Sie sind an der Regierung und haben eine 80-Prozent-Mehrheit . Sorgen Sie
dafür, dass die Verbraucher endlich vernünftig informiert
und die Tiere und unser Grundwasser geschützt werden,
dass das Artensterben nicht so weitergeht und dass nicht
immer mehr Landwirte aufgeben müssen und von ihren
Höfen vertrieben werden .
({15})
Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie endgültig zu den Totengräberinnen und Totengräbern unserer
bäuerlichen Landwirtschaft .
({16})
Gitta Connemann ist die nächste Rednerin für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Connemann, Sie kommen doch vom Land .
Gibt es denn da überhaupt Kultur?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Diese Frage wurde mir von einem Hauptstadtjournalisten
gestellt - übrigens ernsthaft .
Ja, ich lebe auf dem Land, wie die Mehrheit der Deutschen . Lieber Herr Minister Backhaus, allerdings wohne
ich im schönsten Bundesland, nämlich in Niedersachsen .
({0})
Es gibt bei uns in Ostfriesland kein Konzerthaus, kein
Staatstheater . Wir haben Chöre, Theatergruppen, Blaskapellen und Heimatvereine . Ist das Kultur? Natürlich - allerdings nicht, wenn es nach dem Reporter geht! Ich kann
darüber nur schmunzeln; denn ich bin eine bekennende
Landpomeranze . Ich liebe meine Heimat .
Allerdings weiß ich auch, dass der Reporter mit seiner
Auffassung nicht alleine steht. Der Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume, über den
wir heute hier sprechen, zeigt: Der Blick auf das Land
ist nicht realistisch . Für die einen ist es die Idylle aus
der Landlust, für die anderen ist es das Niemandsland .
Zur Wahrheit gehört: Es gibt nicht den ländlichen Raum .
Auf der einen Seite sehen wir Regionen mit einer starken Wirtschaftskraft und guter Infrastruktur, und auf der
anderen Seite erleben wir Arbeitslosigkeit und Abwanderung .
Was unterscheidet die eine Region von der anderen?
Gibt es das Erfolgsrezept, und was kann die Politik tun?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich unsere Fraktion, die
CDU/CSU, wie keine andere Fraktion im Deutschen
Bundestag;
({1})
denn wir wissen: Ohne das Land lässt sich kein Staat machen .
Deutschland wird nur dann auf seiner Erfolgsspur
bleiben, wenn die ländlichen Räume nicht veröden . Deshalb ist das Ziel unserer Fraktion klar: Es muss auch in
Zukunft attraktiv sein, auf dem Land zu leben und zu arbeiten . Wir brauchen starke ländliche Räume - heute und
in Zukunft .
({2})
Wir geben dieses Bekenntnis, und dafür danke ich unserem Vorsitzenden Volker Kauder, aber auch dir, liebe
Gerda Hasselfeldt .
Wir wissen: Wer Politik für den ländlichen Raum machen will, muss zuhören . Wir haben das getan und das
Ehrenamt, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kirchen
und die Kommunen an einen Tisch geholt . Das Fazit lautet: Eine Region steht und fällt mit ihren Menschen und
der Wirtschaft .
Viele Menschen auf dem Land fühlen sich abgehängt
und vergessen . Sie wünschen sich ein Bekenntnis für
den ländlichen Raum . Das klingt jetzt sehr profan - ich
weiß -, aber das ist dennoch keine Selbstverständlichkeit;
siehe Niedersachsen . Kaum im Amt, zog die rot-grüne
Landesregierung ihre Beteiligungsgesellschaft aus dem
emsländischen Groß Berßen ab . Wohin? Nach Hannover .
Zu welchem Preis? Mehrkosten von 3 Millionen Euro .
Weshalb? Zum Wohle des Stadtsäckels von Hannover .
Die Zeche zahlt Groß Berßen . Die Bürgerinnen und Bürger in diesem kleinen Dorf waren es der Landesregierung
nicht wert, in ihrem Ort eine Beteiligungsgesellschaft zu
haben .
Der Bund zeigt, dass es auch anders geht . Zur gleichen Zeit hat unser Verkehrsminister die Bundesanstalt
für Verwaltungsdienstleistungen in Aurich angesiedelt .
Aus Ostfriesland wird jetzt deutschlandweit der Aufbau
der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität koordiniert .
Das ist ein starkes Bekenntnis für den ländlichen Raum .
Es geht also, wenn man nur will .
({3})
Deshalb fordern wir auch bei Behördensitzen Chancengleichheit zwischen Stadt und Land .
Ein Ungleichgewicht gibt es auch bei der medizinischen Versorgung . Es fehlen Landärzte . Dabei wäre es so
einfach: Die Länder können Studienplätze für angehende
Landärzte vorhalten . Sie tun es aber nicht . Das Fallbeil
ist immer der Numerus clausus . Ein Einser-Abitur allein
macht aber noch keinen guten Arzt .
({4})
Der Bund zeigt, dass es auch anders geht . Mit dem
Versorgungsstärkungsgesetz fördert unser Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe gezielt junge Mediziner, wenn sie sich auf dem Land niederlassen . Wir haben
auch die Voraussetzungen für Telemedizin geschaffen. Es
geht also, wenn man nur will . Deshalb fordern wir die
Einführung einer Landarztquote .
({5})
Kurze Beine sollten kurze Wege haben, ja . Aber in so
manchem Land ist die Dorfschule inzwischen bedroht .
Es fehlt an Schulleitern; ich erlebe das in Niedersachsen
landauf, landab . Ohne Attraktivitätsprogramm des Landes bleiben diese Posten unbesetzt . Hinzu kommen marode Gebäude und veraltete Technik . Hier hat der Bund
reagiert . Unsere Bildungsministerin Johanna Wanka wird
5 Milliarden Euro allein in die digitale Bildung der Schulen investieren . Wenn uns die Länder lassen, werden wir
auch bei der Sanierung der Schulen helfen . Es geht also,
wenn man nur will . Wir brauchen dafür aber eine Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs .
Seele und Kitt des ländlichen Raums ist das Ehrenamt .
Nirgendwo engagieren sich mehr Bürgerinnen und Bürger . Feuerwehr, Soziales, Kultur, Sport, Kirchen, Politik:
Ohne Ehrenamt läuft nichts . Für mich sind sie die wirklichen Helden des Alltags .
({6})
Sie garantieren die Daseinsvorsorge auf dem Land . Die
Ehrenamtlichen erwarten dafür nicht viel . Da sind aus
meiner, aus unserer Sicht Dank und Anerkennung das
Mindeste, was sie verdienen .
Deswegen freuen wir uns, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft einen Maßnahmenplan zur Unterstützung des Ehrenamtes entwickelt .
Das ist wieder ein wahres Bekenntnis zum ländlichen
Raum . Auch an unsere Haushälter geht an dieser Stelle
ein herzlicher Dank .
({7})
Das A und O für die Entwicklung einer Region ist
ihre Wirtschaftskraft . Ohne Wirtschaft keine Arbeit;
ohne Arbeit keine Zukunft . Die Menschen wollen nicht
nur schöner wohnen, Sie wollen auch Ausbildungs- und
Arbeitsplätze . Ländliche Räume in einem dichten Netz
von kleinen und mittelständischen Unternehmen stehen
absolut blendend da . Dazu gehört übrigens auch meine
Heimat, das Emsland . Die Politik dort, übrigens schwarz
geführt, hatte den Mut zu einer außergewöhnlichen Entscheidung: Jede Gemeinde, egal wie klein sie auch ist,
kann ein Gewerbegebiet ausweisen. So finden gerade
Existenzgründer beste Voraussetzungen direkt vor der
Tür .
Das wirkt, wie zum Beispiel bei Manfred Kaiser
in Vrees . Sie kennen ihn nicht . Aber er ist heute der
Marktführer für Bagger-Umbauten, und zwar in einem
1 800-Seelen-Dorf, in Vrees . Ein Paradebeispiel für einen Hidden Champion . Dank dieser Erfolgsgeschichten
entwickelte sich das Emsland vom Armenhaus der Republik zu einer Region mit Vollbeschäftigung .
Eine gezielte Förderung kann also Früchte tragen .
Deutschlands Stärke war immer darauf zurückzuführen,
dass die Wirtschaft über das ganze Land verteilt ist . Wir
brauchen deshalb gleiche Chancen für Stadt und Land .
Darauf müssen auch die Förderprogramme des Bundes
durchleuchtet werden . Das wünsche ich mir übrigens
auch beim Bundesministerium für Umwelt und Bau .
Wirtschaftsförderung darf sich nicht nur auf Ballungsräume beschränken .
({8})
Was im Emsland funktioniert, muss nicht zwangsläufig im Spessart fruchten. Die Regionen sind vielfältig,
und wir brauchen deshalb für maßgeschneiderte Lösungen auch flexible Förderinstrumente.
Für die Ansiedlung und den Erhalt von Unternehmen
ist schnelles Internet unverzichtbar . Die Versendung von
Unterlagen zu nächtlicher Stunde geht gar nicht, und die
Anwerbung von Fachkräften gelingt häufig nur noch,
wenn das Netz steht . Während sich die Telekommunikationsunternehmen in Großstädten einen heftigen Wettbewerb um die Kunden liefern, gibt es in vielen Dörfern oft
nur weiße Flecken .
Wir als Bund haben darauf reagiert . Um die digitale
Spaltung Deutschlands zu verhindern, investiert unser
Verkehrsminister Alexander Dobrindt bis 2018 4 Milliarden Euro in den Breitbandausbau. Davon profitieren
wirklich alle, der Landkreis Emsland übrigens mit fast
21 Millionen, und mein Heimatlandkreis Leer hofft auf
17 Millionen Euro .
({9})
Der Wirtschaftsmotor Nummer eins auf dem Land ist
und bleibt aber die Landwirtschaft . Zur Situation gehört:
Viele Bauernfamilien kämpfen derzeit um die Existenz
ihrer Höfe .
({10})
Neben dem wirtschaftlichen Druck spüren unsere Landwirte und ihre Familien jeden Tag das immer rauer werdende Klima . Ernährung, Landwirtschaft, Tierwohl und
Tierhaltung sind die neue Wahlkampfarena . Wir haben es
gerade an der Rede von Anton Hofreiter gehört . Es war
wirklich eine Schande, lieber Herr Kollege .
({11})
Sie machen auf dem Rücken der Landwirte Politik .
({12})
Was früher das Nein zur Atomkraft war, heißt jetzt Agrarwende .
({13})
Der Ernährungsstil wird zur Gewissensfrage erhoben .
({14})
Irreführende Kampfbegriffe von Ihnen wie die Massentierhaltung machen die Runde .
({15})
Wenn die Figur nicht so sympathisch wäre, würde ich
Sie mit Pippi Langstrumpf vergleichen, und damit meine
ich nicht Ihre Haarpracht, sondern ich meine Ihre Einstellung: Sie machen sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt, und
negieren die Realität .
({16})
Früher habe ich diese Aussagen von Ihnen belächelt .
Heute machen sie mich wütend; denn Sie legen die Axt
an die Wurzeln des ländlichen Raums .
({17})
Deshalb brauchen wir zukünftig ein eigenes Landwirtschaftsministerium, das übrigens die Kernkompetenz für
den ländlichen Raum haben muss . Wer ist dafür besser
prädestiniert als das Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft?
({18})
Meine Damen und Herren, ich habe mich als Landpomeranze bezeichnet. Ich weiß, dass dieser Begriff
durchaus abwertend verwendet wird . Aber für mich steht
dieser Begriff für das Land,
Frau Kollegin Connemann, lassen Sie kurz vor Schluss
noch eine Zwischenfrage zu?
- und das Leben auf dem Land ist für mich kein Makel, sondern eine Auszeichnung; denn ich weiß, wir wissen: Ohne das Land ist kein Staat zu machen .
({0})
Da ja alle Fraktionen noch mit mehreren Rednern zu
diesem spannenden Thema zu Wort kommen, müssen
vielleicht die jeweils unterschiedlichen Auffassungen
nicht alle gleichzeitig durch Zwischenrufe geltend gemacht werden .
({0})
Das macht es nämlich den Protokollführern außerordentlich schwer, das festzuhalten .
Nun hat die Kollegin Karin Binder für die Fraktion
Die Linke das Wort .
({1})
Guten Morgen, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir haben nur noch ein halbes Jahr, um
etliche offene Baustellen abzuarbeiten. Da für die ländlichen Räume ganz bestimmt das Thema Landwirtschaft
und deshalb auch das Thema Ernährungspolitik eine ganz
wichtige Rolle spielen, haben wir als Linke zur heutigen
Debatte einige wichtige ernährungs- und verbraucherpolitische Themen in einem Antrag zusammengefasst .
Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, entscheiden
nicht nur über unsere gesundheitliche Verfassung und
über unsere Leistungsfähigkeit, sondern auch über die
Entwicklung in unserer Gesellschaft, und unsere Gesellschaft wundert sich, dass die Zahl ernährungsbedingter
Krankheiten ständig zunimmt . Zur Grünen Woche müssen wir deshalb auf jeden Fall die Finger in offene Wunden legen .
({0})
Bundesernährungsminister Schmidt und die Lebensmittellobby weisen die Verantwortung von sich und
schieben Verbraucherinnen und Verbrauchern die Schuld
zu . Diese müssten sich ja nur besser informieren und
ausgewogener ernähren . Der Lobbyverband der Ernährungswirtschaft, BLL, geht davon aus, dass Bildungsstand, soziale Schicht, Herkunft, geringe körperliche
Aktivität und psychosoziale Aspekte wesentliche Gründe
für Übergewicht seien . Übersetzt soll das heißen: Übergewichtige sind arm, ungebildet, ausländischer Herkunft,
bewegungsfaul oder haben psychische Probleme . Das
empfinde ich als höchst diskriminierend und verächtlich
gegenüber den betreffenden Menschen. Diese werden
diffamiert.
({1})
Diese Menschen haben das Problem, dass sie ihre Kaufentscheidungen vom Geldbeutel abhängig machen
müssen . Das fehlende Geld ist nämlich zumeist der
Hauptgrund dafür, dass so oft billigst produzierte Fertigprodukte auf den Tisch kommen .
({2})
Tatsächlich müssen wir feststellen: Die Bundesregierung verhindert eine verbrauchergerechte Kennzeichnung von Lebensmitteln und nimmt in Kauf, dass Kundinnen und Kunden bewusst getäuscht werden .
({3})
Denn ein Einheitsbrei aus Fett, Zucker und Salz mit
reichlich Farb- und Aromastoffen garantiert der Industrie die höchsten Profite. Dabei nutzen die Werbestrategen gesellschaftliche Benachteiligungen gezielt aus,
um den Kauf ihrer Produkte mit den vielen Kalorien
anzukurbeln . Professionelle Werbung ist gerade bei Lebensmitteln in der Lage, Kaufentscheidungen gezielt zu
manipulieren. Lobbyisten beeinflussen Politik und Wissenschaft, um die Nährwertampel zu verhindern und die
derzeitige Diskussion über Zuckerreduzierung zu steuern . Kinder werden besonders emotional angesprochen
und durch raffiniertes Lebensmittelmarketing in ihrem
Ernährungsverhalten beeinflusst. Selbst bei Kampagnen
der Bundesregierung zu Ernährung und Bewegung sitzen
die Süßwaren- und Softdrinkproduzenten mit am Tisch .
Das haben wir satt .
({4})
Das haben auch die vielen Demonstranten satt, die am
kommenden Samstag auf die Straße gehen werden .
Die Regierung - und insbesondere der Verbraucherminister - muss der Verbrauchertäuschung endlich einen
Riegel vorschieben
({5})
und darf sich nicht länger von den Lobbyisten der Ernährungsindustrie die Ernährungspolitik diktieren lassen .
Wir müssen endlich die Interessen und Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken . Das bedeutet:
Wir brauchen verbindliche Vorgaben zur Reduzierung
der hohen Fett-, Salz- und Zuckeranteile in Fertiglebensmitteln . Die Nährwertampel als eine verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung, die sich gegen schillernd bunte Werbung behauptet, muss eingeführt werden,
auch über die EU-Ebene . Falsche Gesundheitsversprechen gerade bei Kinderlebensmitteln, die oft viel zu viel
Zucker und Fett enthalten, gehören verboten .
({6})
Lebensmittelwerbung, die sich direkt oder über den
Umweg der Eltern an Kinder und Jugendliche richtet,
muss konsequent eingeschränkt werden . Bei allen Ernährungs-, Bewegungs- und Gesundheitsprojekten des
Bundes ist ein striktes Kooperationsverbot im Hinblick
auf die Lebensmittelindustrie und deren Lobbyverbände
sicherzustellen . Was mir besonders am Herzen liegt: Der
Bund muss gewährleisten, dass bundesweit alle Kinder
und Jugendlichen in Kitas und Ganztagsschulen ein beitragsfreies und hochwertiges Essen erhalten .
Ich fasse zusammen: Wir brauchen ein ernährungspolitisches Maßnahmenpaket .
({7})
Für eine gesunde Ernährung brauchen alle Menschen
hochwertige und bezahlbare Lebensmittel . Das heißt
auch, Informationen über Lebensmittel müssen so gestaltet werden, dass sie eine ausgewogene und gesunderhaltende Ernährung wirksam unterstützen . Sie müssen
also leicht verständlich, schnell erfassbar und vergleichbar sein . Das ermöglicht die Nährwertampel . Werbung
ist immer eine Kaufaufforderung und umso wirksamer,
wenn sie von beliebten Promis vorgetragen wird . Sie beeinflusst unser Verhalten, damit die Lebensmittelauswahl
und unsere Ernährungsweise . Deshalb ist die Werbung
der Industrie mitverantwortlich für die Probleme Übergewicht und ernährungsbedingte Erkrankungen . Auch deshalb ist für uns eine unabhängige Ernährungsforschung
unabdingbar .
Frau Kollegin .
Letzter Satz . - Kinder sind besonders leicht zu manipulieren . Statt Werbung für Fettes und Süßes brauchen
sie Ernährungs- und Verbraucherbildung, und zwar in
Theorie und Praxis . Lassen Sie sich unseren Antrag bitte
gut schmecken .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Willi Brase für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gitta Connemann, das war eine Bewerbungsrede für eine Wahlkreiskonferenz . Die hältst du besser im
Emsland und nicht hier im Bundestag . Das nur mal nebenbei .
({0})
Wir haben ja heute schon wunderbare und schöne
Dinge gehört . Ich möchte - mit Erlaubnis - mit einem
kleinen Zitat der neuen Vorsitzenden des Bundes der
Deutschen Landjugend beginnen . Sie hat gesagt, bezogen auf Landwirtschaftspolitik:
Langfristiges Ziel aber muss sein, die Zahlungen
aus Brüssel abzuschaffen und als Wirtschaftszweig
ohne Steuergelder auszukommen . Dann wären Bauern wirklich freie und unabhängige Unternehmer,
was ihr Selbstbewusstsein stärken würde .
({1})
Ich finde, das ist für eine Organisation, die sich um die
Zukunft der Landwirtschaft und auch um das Leben in
ländlichen Regionen kümmert, eine tolle Aussage . Wenn
die Landjugend so etwas fordert, ist das wirklich gut, liebe Kolleginnen und Kollegen und sehr geehrte Damen
und Herren .
({2})
Auch die OECD hat festgestellt, dass es in Fragen der
ersten und der zweiten Säule offensichtlich einen erhöhten Bedarf gibt, Änderungen auf den Weg zu bringen .
Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf hingewiesen, dass wir durchaus Chancen haben, unter dem Stichwort „öffentliche Gelder, öffentliches Gut, öffentliche
Arbeiten“ etwas in die zweite Säule zu bekommen .
Ferner will ich den auf Grundlage einer Untersuchung
zustandegekommenen Vorschlag der Bundesumweltministerin - er gelangte vor wenigen Tagen in die Öffentlichkeit - erwähnen . Dabei geht es sozusagen um einen
neuen Gesellschaftsvertrag zu der Frage: Wie soll die
Landwirtschaft zukünftig funktionieren?
Ich finde, all dies sind Beispiele, die zeigen, wo wir
noch viel Diskussionsbedarf darüber haben, wie die Zukunft unserer Ernährung und unserer Landwirtschaft insgesamt aussehen soll .
({3})
Ein weiterer Punkt - über den wir in dieser Legislaturperiode durchaus intensiv diskutiert haben - ist zu erwähnen, wenn wir über ländliche Regionen sprechen . Ich
bin Minister Schmidt dankbar, dass er kürzlich bei einer
Konferenz zum Ausdruck gebracht hat, dass eigentlich
eine Grundgesetzänderung vonnöten wäre, um den ländlichen Raum umfassend gestalten zu können . Da waren
sich offensichtlich drei Ministerien nicht immer ganz
einig, welches der beste Weg ist . Aber dass man diese
Erkenntnis mitnimmt, ist schon einmal gut . Das lässt hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode noch einmal
darüber nachgedacht wird .
Der ländliche Raum ist von großer Vielfalt . 20 Prozent
der Dörfer in Deutschland haben keine Haltestelle, keine
Grundschule, keinen Hausarzt, keinen Supermarkt etc .,
und es gibt andere, wirtschaftsstarke Gebiete - zum Beispiel Südwestfalen, Ostwürttemberg -, wo es eine starke
produzierende Industrie und ein starkes Gewerbe gibt .
Diese Gebiete sind exportorientiert und sorgen mit dafür, dass Geld erwirtschaftet wird, das an anderer Stelle
ausgegeben werden kann . Es ist also festzustellen, dass
wir sehr unterschiedliche ländliche Räume haben und das
auch berücksichtigen müssen .
({4})
Auch das wäre ein Argument für eine Erweiterung
des Grundgesetzes . Dabei würde es darum gehen, die
GAK, also die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, mit der Gemeinschaftsaufgabe „regionale Wirtschaftsförderung“ zu
einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „regionale ländliche
Entwicklung“ zusammenzuschließen und nach vorne zu
bringen . Meine Fraktion steht dazu, und ich bin mir sicher, dass wir das in der nächsten Legislaturperiode auch
machen .
({5})
Gitta, du hast etwas sehr Positives gesagt, als du auf
das Engagement der Menschen zu sprechen kamst . All
das, was du in deinen Aufzählungen vorgetragen hast,
teile ich uneingeschränkt . Ich will hinzufügen: Das, was
die bürgerschaftlich Engagierten - organisiert und auch
nicht organisiert - in den letzten anderthalb Jahren bei
der Betreuung von Flüchtlingen gemacht haben, ist einzigartig und verdient unseren Respekt und unser Lob .
({6})
Wenn man sich die politische Auseinandersetzung
dazu anschaut und sieht, welche Ausraster es gibt und
welche widerlichen Worte - teilweise von Parteienvertretern außerhalb dieses Parlaments - benutzt werden, dann
kann man nur hoffen, dass die bürgerschaftlich Engagierten auch weitermachen .
({7})
Wenn es richtig ist, dass wir sie gerade auch in den ländlichen Gebieten - hier aber in einer ganz anderen Art und
Weise als zum Beispiel in den Quartieren der Städte brauchen, dann bitte ich auch um deine Unterstützung,
damit wir spätestens in der nächsten Legislaturperiode
einen ordentlichen Ausschuss Bürgerschaftliches Engagement einrichten können .
({8})
Denn das sind wir den 30 Millionen engagierten Menschen in Deutschland schuldig . Sie leisten sehr viel Arbeit, die der Staat, das Sozialwesen, Wohlfahrtsverbände
etc . nicht machen . Das ist eine sehr gute und wichtige
Angelegenheit . Da ist meine Bitte: Unterstützen Sie uns,
damit wir auf diesem Weg weiterkommen .
Die Deutsche Landjugend ist gefragt worden: Was
wollen Sie denn? - Die Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend hat gesagt: Wir brauchen ein schnelles
Internet . - Ja, die Bundesregierung gibt über 4,35 Milliarden Euro dafür aus . Nur, wenn ich mit Unternehmen,
mit Organisationen und mit Institutionen spreche, dann
bekomme ich als Erstes zu hören: Wunderbar; wir sind
leider noch nicht so weit . 50 Mbyte sind derzeit im ländlichen Bereich bei 35 bis 36 Prozent der Bevölkerung
vorhanden . Im halbstädtischen Bereich liegt die Quote
bei 63 bis 65 Prozent, und im städtischen Bereich geht
sie auf über 90 Prozent, schon fast auf 100 Prozent zu .
Trotzdem sagen mir Unternehmen: 50 Mbyte ist zwar ein
guter Wert, aber das ist doch schon in anderthalb Jahren
Geschichte . Was sind denn 50 Mbyte pro Sekunde?
({9})
Wir brauchen - nach oben hin offen - mehr, mindestens
100 Mbyte pro Sekunde .
Der Chef der Unionsfraktion hat recht:
({10})
Das reicht nicht .
({11})
Das heißt, dort müssen wir gemeinsam mit den Ländern
und den Kommunen noch mehr auf den Weg bringen .
Ich glaube, dass die Länder dort mitmachen . In vielen
Ländern wird kofinanziert. Auch die Kommunen machen
etwas . Wenn wir wollen, dass wir auch in den ländlichen
Regionen wirtschaftsstark bleiben, auch in der Landwirtschaft - etwa bezüglich der Hoftorbilanz, der Stoffentwicklungen und der Stoffwege und Ähnlichem -, dann
müssen wir erkennen: Es geht nicht mehr ohne eine vernünftige Digitalisierung und ohne ein vernünftiges Breitband . Das muss weiter nach oben gehen . Das wollen und
müssen wir vorantreiben .
({12})
Ich will noch einen Punkt erwähnen, der manchmal
vergessen wird . Ich fand es sehr schön, dass im Berufsbildungsbericht der Bundesregierung noch einmal
deutlich gemacht wurde, dass wir auch dieses Jahr über
13 000 junge Leute haben, die mit neuen Ausbildungsverträgen im ländlichen Bereich, in der Landwirtschaft,
in der Zuarbeit etc . tätig sind . Wir tun gut daran, deutlich zu machen, dass zur Entwicklung ländlicher Regionen Arbeitsplätze gehören, dass dazu auch Ausbildung
gehört . Es ist schön, dass sich junge Leute auch für die
sogenannten grünen Berufe interessieren, sich bewerben
und dann auch genommen werden .
Wir als SPD wollen die Landwirtschaft weiterentwickeln . Wir wollen die ländlichen Regionen noch zukunftsfester machen . Das sind wir den Menschen schuldig . Die meisten Menschen leben in ländlichen Regionen;
das ist ausreichend dargestellt worden . Lassen Sie uns
diesen Weg gehen . Man muss nicht zurückstehen; vielmehr müssen wir es schaffen, dass es immer gute Verbindungen zwischen ländlichen Räumen und städtischen
Ballungszentren gibt .
Es gibt teilweise eine Wechselwirkung . Diese Wechselwirkung kann man schaffen, indem man den Bundesverkehrswegeplan Zug um Zug umsetzt; denn auch er
nimmt Bezug auf Entwicklungen in ländlichen Räumen
und betrifft nicht nur städtische Ballungszentren. In den
Städten wie Berlin, Köln, Frankfurt und München gibt es
einen wunderbaren ÖPNV; den gibt es in ländlichen Bereichen nicht . Wir können ihn auch nicht bezahlen . Dort
gibt es Bürgerbusse, Stichwort: ehrenamtliches Engagement und anderes. Wenn wir es schaffen, die Verkehrsströme zwischen den Ballungszentren und den ländlichen Räumen zu gestalten, dann stärkt das den ländlichen
Raum und erlaubt den Städtern, hin und wieder in ländliche Regionen zu kommen und eine wunderbare Natur
und Landschaft zu genießen .
Vielen Dank fürs Zuhören .
({13})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Nicole Maisch das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die zentrale Agrardebatte in diesem Jahr führen wir jetzt zum
Auftakt der Grünen Woche . Und was macht die Koalition
mit all ihrer Redezeit? Sie redet an allem, was beim Thema Landwirtschaft strittig ist, vorbei,
({0})
etwa an der Grünen Gentechnik . Warum habe ich hier
nichts zu Ihrem „Gentechnik-Ermöglichungsgesetz“ gehört, das Sie so kompliziert gestrickt haben, dass nationale Verbote zum Anbau von Gentechpflanzen so gut wie
unmöglich sind . Das mag vielleicht im Sinne von Kees
de Vries sein - er gibt ja auch immer offen zu: er ist für
die Grüne Gentechnik -; aber es ist gegen den Willen von
80 Prozent der Menschen in diesem Land .
({1})
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie dem
so zustimmen, dann haben Sie die Menschen in diesem
Land belogen; denn Sie haben versprochen: Wir bekommen nationale Anbauverbote, die auch durchsetzbar sind .
({2})
Wir zählen hier auf Sie: Dem können Sie so nicht zustimmen .
({3})
Ich finde, man merkt diesem parlamentarischen Verfahren an, dass es in diesem Land nur eine politische Kraft
gibt, die ganz klar gegen die Agrogentechnik steht,
({4})
und diese Kraft, meine Damen und Herren, ist Bündnis 90/Die Grünen .
({5})
Ich möchte den Minister - er ist jetzt leider nicht mehr
da - an ein Versprechen erinnern . Herr Schmidt hat an
diesem Pult versprochen, am Ende seiner Amtszeit soll
es den Tieren besser gehen . Man kann nur sagen: Dieses
Versprechen wurde gebrochen .
({6})
„Freiwillige Verbindlichkeit“ - das war sein Konzept,
und das ist krachend gescheitert . Es hat sich für die Tiere
in unseren Ställen doch nichts verändert . Amputationen,
Qualzuchten, Kükenschreddern: Bei allem hat er versprochen: Das soll ein Ende haben . - Aber es geht in den
Ställen genauso weiter wie zuvor . 2017, hat er versprochen, soll das Kükenschreddern beendet werden, aber
es geht weiter wie bisher . Er präsentiert auf der Grünen
Woche einen Wunderapparat zur Geschlechtserkennung
im Ei, aber er muss uns hier mal erklären: Wenn es kein
Verbot des Kükenschredderns gibt, wer schafft sich denn
dann so einen teuren Apparat überhaupt an? Der Minister
regt sich über vegane Würstchen auf . Aber ich bin der
Meinung: Die größte Mogelpackung in diesem Land ist,
dass er sich Tierschutzminister nennen darf .
({7})
Daran wird auch das Tierschutz-Label nichts ändern,
das auf der Grünen Woche präsentiert werden soll . Freiwilligkeit hilft der Masse der Tiere nichts . Wir brauchen,
wie Minister Backhaus gesagt hat, eine klare, gesetzlich
verpflichtende Kennzeichnung - 0, 1, 2, 3 - wie bei den
Eiern . Das ist gelernt bei den Konsumenten, und das
zeigt wirklich über die Preise der Produkte, wie das Tier
gehalten wurde .
({8})
Ich finde es ganz erstaunlich, dass der Minister zwar
kein Konzept für sein Label hat, aber jetzt schon weiß,
dass er 70 Millionen Euro in Berliner Werbeagenturen
investieren will, um es zu promoten. Ich finde auch, Sie
müssen beantworten, wo die 3 bis 5 Milliarden Euro
herkommen sollen, die der Umbau der Tierhaltung in
diesem Land laut Aussage Ihrer eigenen Agrarexperten
kosten soll .
Meine Damen und Herren, im Ernährungsbereich
sieht es doch nicht besser aus . Der Minister sagt immer:
Ich möchte den Leuten nicht auf den Teller regieren . Gut . Aber das heißt ja nicht, dass man das Regieren überhaupt ganz einstellen soll .
({9})
Wir erwarten, dass dieser Minister seine Verantwortung wahrnimmt, dass er die Verbraucher schützt vor
Mineralöl und anderem Krempel im Essen, der da nicht
reingehört, dass er endlich, wie er es versprochen hat,
dafür sorgt, dass die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen öffentlich gemacht werden, und dass er einsieht, dass
sich die Lebensmittelverschwendung nicht mit Pressemitteilungen beenden lässt. Wir finden: Es ist jetzt, 2017,
nicht mehr an der Zeit, Grünbücher zu veröffentlichen.
Sie als CSU sind seit 2005 im Agrarministerium in der
Verantwortung . Sie müssen jetzt damit anfangen, zu arbeiten, und nicht damit, sich über irgendwelche Themen
zu unterhalten .
({10})
Das wird die letzte Grüne Woche - hoffentlich - dieses Ministers sein . Ich frage: Was bleibt von diesem Minister?
({11})
Wir haben ja ganz viele schöne Sachen darüber gehört,
was angeblich so toll ist auf dem Land . Aber was ist denn
mit dem Höfesterben? Von den Milchbauern, die es am
Anfang Ihrer Regierungszeit gab, ist doch nur noch ein
Drittel übrig geblieben . Es haben doch 90 Prozent der
Sauenhalter ihre Höfe aufgegeben. Ich finde, das ist ein
Punkt . Sie regen sich über Herrn Hofreiter auf, Frau
Connemann,
({12})
so nach dem Motto „Pippi Langstrumpf“ . Der eigentliche
Skandal ist doch, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihre
eigene Klientel zu schützen, dass Sie nicht in der Lage
sind, die Bauern vor dem Konkurs zu retten. Das, finde
ich, ist der Skandal .
({13})
Frau Kollegin Maisch .
Ich habe die Zeit im Blick . Ich komme zum Ende .
({0})
Was bleibt von diesem Landwirtschaftsminister?
Wirklich nicht viel: die Greußener Salami, Höfesterben,
nitratbelastetes Grundwasser und hier, in der Mitte von
Berlin, mehr Vögel und Insekten als in vielen ländlichen
Räumen. Ich finde das enttäuschend, und deshalb gehe
ich, wie viele Tausend andere Leute, diesen Samstag bei
„Wir haben es satt!“ auf die Straße . Im Moment haben
Sie noch das Ministeramt, aber wir haben, was die Landwirtschaft angeht, die gesellschaftlichen Mehrheiten .
({1})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Marlene Mortler,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das, was wir hier zuletzt gehört haben, tut
richtig weh . Es tut vor allem dann weh, wenn man sich
in die Seele und in die Arbeit eines Bauern, einer Bäuerin versetzt, die sich fragen: Wo bleibe ich als Mensch?
Bin ich nur noch Abstreifer? Bin ich nur noch der Dreck?
Lieber Herr Hofreiter, wenn es um Klamauk geht, dann
gibt es, glaube ich, keinen Kollegen hier im Raum, der
Ihnen das Wasser reichen kann .
({0})
Zu Ihren „Almosen“ . Ich wäre froh gewesen, wenn Sie in
Ihrer Regierungszeit unter Renate Künast überhaupt AlNicole Maisch
mosen an unsere Bauern und Bäuerinnen verteilt hätten;
das Gegenteil war der Fall .
Zu Ihnen, Frau Binder . Als Meisterin der ländlichen
Hauswirtschaft weiß ich: Man kann sich auch mit wenig
Geld gesund und ausgewogen ernähren .
({1})
Zu den Gentechnik-Anbauverboten . Liebe Frau
Maisch, Sie alle wissen, dass der deutsche Minister der
Erste war, der sich um das Thema gekümmert hat, der
Europa quasi voraus war und gesagt hat: Ich will, dass
wir hier klare Regelungen haben . - Aber Sie müssen
auch zur Kenntnis nehmen, dass der Bund nicht alles regeln kann, sondern dass auch die Bundesländer gefordert
sind, allein aus rechtlichen Gründen. Ich finde es ziemlich billig, wenn die Bundesländer mit dem Finger nur
auf den Bund zeigen nach dem Motto „Minister, mach’
mal“, um sich einen schlanken Fuß zu machen . Helfen
Sie mit, damit jeder seiner Verantwortung gerecht wird!
({2})
Landwirtschaftspolitik, meine Damen, meine Herren, ist die Wirtschaftspolitik des ländlichen Raumes .
Diesen Satz hat der Vorgänger von Christian Schmidt,
Dr. Friedrich, geprägt. Ich finde diesen Satz wunderbar,
weil er es schön auf den Punkt gebracht hat . Wir sagen
damit auch: Wir stehen zu den Menschen im ländlichen
Raum . Wir stehen zu unseren Bäuerinnen und Bauern .
Aber wir wissen auch: Der ländliche Raum ist kein
Selbstläufer, und den ländlichen Raum gibt es nicht . Er
ist so vielfältig wie die Menschen, wie die Landschaften,
wie die Betriebe . Ländlicher Raum ist für mich allerdings kein Schlagwort, weil wir in einem Wahljahr sind .
Die Entwicklung der ländlichen Räume ist für mich eine
politische, ja eine Herzensangelegenheit . Ich kann mit
Fug und Recht behaupten, dass ich mich jeden Freitag
freue, wenn ich zu Hause in meinem Wahlkreis bei meinen Menschen bin . Am liebsten wäre ich nur vor Ort,
weil ich die Menschen und ihre Probleme ernst nehme,
weil ich die Menschen liebe und zunächst das Gute in
ihnen sehe . Natürlich ist die ideale Gleichung: Stadt und
Land - Hand in Hand .
Wir wissen: Der ländliche Raum gehört zu unserer
nationalen Identität . Das sind nicht nur die Städte . Die
ländlichen Räume bieten oft eine hohe Lebensqualität
für Landtourismus, für Naherholung, als Naturräume, als
Kulturräume . Das sind weiche Standortfaktoren, die so
nur das Land bieten kann. Ich finde es wunderbar, mit
welchem Selbstverständnis und mit welcher Intensität
unser Minister die Weiterentwicklung der ländlichen
Räume angeht, als Querschnittsaufgabe mit wachsender
Bedeutung, mit einem Arbeitsstab, der alle wichtigen
Aufgaben und Maßnahmen in seinem Haus bündelt, um
zusätzlich Synergien zu nutzen .
Andere sagen: Lasst das doch laufen . Wenn Regionen aussterben, überaltern, Menschen arbeitslos werden, na und? Dann sollen sie halt wegziehen . - Dieser
Denkweise möchte ich eine Absage erteilen . Mein und
unser Signal lautet: Ihr werdet nicht abgehängt, ihr werdet nicht vergessen . - Aber nicht nur der Bund ist gefordert: Jedes Bundesland und jede Kommune müssen
vor Ort ihren Beitrag leisten . Ein Blick in das Bayern der
60er-, 70er-Jahre zeigt: Dort gab es in vielen Regionen
saisonbedingt über 40 Prozent Arbeitslosigkeit . Heute
haben wir auch in diesen Regionen nahezu Vollbeschäftigung . Das verdanken wir einer weitsichtigen Politik
des Landes, aber auch der Kommunen, einer Politik, die
mit dem Motto „Wir glauben an die Zukunft, wir haben
Perspektiven und wir haben Potenziale“ Unmögliches
möglich gemacht hat, einer Politik, die frühzeitig wichtige Infrastrukturprojekte dezentral in die Fläche gebracht hat . Ob Universitäten oder Fachhochschulen, die
in der Fläche gegründet werden müssen, ob ausgebaute
Straßen, Schulen, ob ein Grundniveau an medizinischer
Versorgung und pflegerischen Leistungen, ob Ärzte,
Hebammen, Pflegepersonal - es ist und muss Daueraufgabe sein, dass diese wesentlichen Einrichtungen für die
Menschen auf dem Land erreichbar bleiben . Wir setzen
aus diesem Grund - liebe Gitta Connemann, du hast es
schon gesagt - auf die bundesweite Einführung einer
Landarztquote . Wir setzen auch auf ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
in Deutschland . Wir brauchen unsere Apotheken vor Ort .
({3})
Ich freue mich, dass das unser Koalitionspartner nun
auch erkannt hat und mitmacht .
90 Prozent der Fläche Deutschlands ist ländlicher
Raum . 47 Millionen Menschen wohnen hier . 80 Prozent
der Fläche werden gebraucht, um die Lebensmittel- und
Rohstoffversorgung zu gewährleisten. 68 Prozent des
Primärenergieverbrauchs, meine Damen und Herren,
werden allein mit Bioenergie gedeckt . Das heißt: ohne
ländliche Räume keine Energiewende .
({4})
11 Millionen Hektar Wald liefern Holz für Bau, für Werkstoffe, für Energieversorgung. Dahinter stehen 1,1 Millionen Arbeitsplätze . Eine andere Zahl: Auf 270 000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche werden Industriepflanzen
für Baustoffe, Schmierstoffe, Kunststoffe, Färbemittel,
Arzneimittel usw . angebaut . - All das müssen wir wieder stärker in den Vordergrund stellen . Natürlich, meine Damen und Herren, Landwirtschaft ist nicht gleich
ländliche Räume; aber ohne eine erfolgreiche Landwirtschafts- und Ernährungsbranche sind ländliche Räume
nicht vorstellbar .
({5})
Dafür ackern wir .
In wenigen Stunden wird die Grüne Woche eröffnet.
Menschen und Vertreter aus der ganzen Welt kommen
mit einer hohen Erwartung zu uns . Das heißt, Deutschland muss die Chance nutzen, eine gute Visitenkarte abzugeben . Ja glauben Sie denn im Ernst, dass es eine tolle
Visitenkarte ist, wenn hier Demonstrationen unter dem
Motto „Wir haben es satt!“ stattfinden?
({6})
Unsere Botschaft lautet: „Wir machen Euch satt!“ Erstens gilt das für die Menschen in unserem Land . Zweitens unterstützen wir andere Länder dabei, dort vor Ort
produktiv und ressourcenschonend Landwirtschaft zu
betreiben, damit diese Länder eigenständig ihre Potenziale besser nutzen können . Deshalb ist Gott sei Dank
auch das BMZ auf der Grünen Woche vertreten . Danke
schön! - Außerdem hat sich die UN-Staatengemeinschaft im September verpflichtet, innerhalb der nächsten
15 Jahre Hunger vollständig zu beseitigen und für jeden
Menschen eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu
ermöglichen; Minister Müller nennt es den Marshallplan
für Afrika . Das ist nur ein Teilaspekt; aber hier geht es
um unsere gemeinsamen Herausforderungen und unsere
gemeinsame Verantwortung .
Frau Kollegin Mortler .
Wenn Sie immer nur dann zur Höchstform auflaufen,
wenn es um Bauernbashing geht, dann ist das einfach zu
wenig . Ich wünsche mir anlässlich der Grünen Woche,
dass es eine wirkliche Wende gibt, dass wir alle erkennen, dass die Landwirtschaft der Schlüsselfaktor bei der
Ernährungssicherung in unserem Land, aber auch weltweit ist, und dass wir endlich begreifen, dass wir jedem
Bauern in unserem Land, aber auch weltweit Wertschätzung und Anerkennung für seine Arbeit entgegenbringen
sollten .
Frau Kollegin Mortler, kommen Sie bitte zum Schluss .
Sonst muss ich die entsprechende Redezeit bei Ihren
Kollegen abziehen .
Jawohl . - Wir sollten wertschätzen und anerkennen,
dass Bauern und Bäuerinnen dafür sorgen, dass wir jeden
Tag satt werden .
Ich danke Ihnen .
({0})
Jetzt hat für die Fraktion Die Linke Dr . Kirsten
Tackmann das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Ich finde es ja, ehrlich gesagt, gut, dass die
Grüne Woche längst nicht mehr nur Messe ist - übrigens
ist der Besuch dort ein sehr spannendes, unterdessen
leider auch teures Vergnügen, das sich nicht mehr jeder
leisten kann; daran sei auch einmal erinnert -; sie hat sich
gemausert zu einem mehr oder weniger willkommenen
Anlass für politische Debatten, und das ist auch gut so,
zumindest solange es kulturvoll und sachlich zugeht .
Ich jedenfalls will keine sogenannten postfaktischen
Echoräume als Parallelwelten, in denen man sich gegenseitig nur noch ewige Wahrheiten um die Ohren schlägt .
Ich denke, dem sollten wir uns alle verweigern .
({0})
Das spricht übrigens überhaupt nicht gegen Emotionen in
der Debatte . Im Gegenteil: Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass man gute Agrarpolitik nur mit Leidenschaft
machen kann .
({1})
Weniger Selbstgerechtigkeit und weniger Selbstgewissheit tun, glaube ich, jeder Debatte gut, real existierende
Probleme offen und klar anzusprechen aber auch. Die
Welt gerät doch gerade aus den Fugen, nicht nur im Großen, sondern auch an vielen kleinen Baustellen .
({2})
Die Anträge zu dieser Debatte zeigen das . Ja, die
Grünen haben all das vorgelegt, was sie sich einmal
zur Landwirtschaft überlegt haben . Aber die Ursachen
der Probleme sind aus linker Sicht viel grundsätzlicher .
Selbst wenn alle sinnvollen Forderungen umgesetzt würden, wäre manches vielleicht besser, aber doch längst
nicht alles gut . Es geht doch längst nicht mehr nur darum, dass das eine oder andere Schräubchen nicht mehr
richtig fasst . Nein, das ganze System stottert, das System
ist falsch,
({3})
weil immer weniger Konzerne über Saatgut, Molkereien,
Schlachthöfe und Supermärkte bestimmten, darüber, was
im Stall und auf dem Feld passiert. Und sie profitieren
von diesem System, das Mensch und Natur ausbeutet .
Wer das wirklich ändern will, muss deshalb die Strukturen infrage stellen und, wenigstens in einem ersten
Schritt, ihre Macht begrenzen .
({4})
So wie jetzt darf es jedenfalls nicht weitergehen . Gerade
in den ländlichen Räumen und in der Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft rächt sich dieser Systemfehler besonders .
Wie reagieren denn Menschen in den Dörfern, wenn
sie keine Einkommensperspektiven haben, wenn sie nicht
mehr von A nach B kommen, aber die Ärztin auch nicht
mehr zu ihnen, wenn sie nicht neben 400 000 Hühnern,
60 000 Schweinen oder 100 Windrädern leben wollen?
Sie werden die Dörfer verlassen, wenn wir das nicht verhindern . Das löst im Übrigen die Probleme nicht, sondern
hinterlässt neue; denn Schulen und Kitas, die nicht mehr
gebraucht werden, müssen abgerissen werden, um dann
in den Städten, wo die Menschen hinziehen, zusätzliche
zu bauen . Das ist volkswirtschaftlicher Schwachsinn .
({5})
Wenn die Menschen weg sind: Wer produziert denn
dann die regionalen Lebensmittel, die wir alle wollen?
Wer verarbeitet sie? Wer verkauft sie? Wenn die MenMarlene Mortler
schen die Verbindung zum Dorf und zur Landwirtschaft
verloren haben, verkaufen sie vielleicht den Acker, die
Wiese oder den Wald ihrer Familie, aber leider eben häufig nicht an die Ortsansässigen, sondern an Meistbietende, wie ich es in meinem Wahlkreis Prignitz/Ruppiner
Land immer wieder erlebe . Diesen Heuschrecken sind
gute Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im
Dorf und in der Landwirtschaft oder der Erhalt der Natur egal . Das treibt nur ihre Kosten hoch und senkt ihre
Gewinne . Die Zeche für diesen Raubbau an Mensch und
Natur zahlen wir alle, und deswegen darf es so nicht weitergehen .
({6})
Die Landwirtschaft ist auf intakte Ökosysteme und
fruchtbare Böden angewiesen . Deshalb sagte man früher: Ein reicher Bauer hat arme Söhne . - Aber auch faire
Einkommen, gute Bildung und funktionierende Dorfgemeinschaften sind wichtig . Und auch hier ist der Spruch
richtig: Stadt und Land, Hand in Hand . - Lebendige Dörfer sind doch kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung
dafür, dass gesunde, regionale Lebensmittel produziert
werden . Dann geht es auch den Städten besser .
({7})
Es macht doch Sinn, aus der Logik auszusteigen, möglichst viel möglichst billig zu produzieren . Es macht
Sinn, das Wohl der Tiere zu verbessern, aber eben auch
das Wohl der Menschen, die sie betreuen . Es macht Sinn,
die Dörfer nicht kaputtzusparen, weil man pro Kopf rechnet . Natürlich sind Straßen in dünnbesiedelten Regionen
pro Einwohner länger und ihr Unterhalt damit teurer; dafür braucht man keinen Matheleistungskurs . Also nicht
pro, sondern mit dem Kopf rechnen!
({8})
Jedenfalls bin ich froh, dass die Diskussion über die
Landwirtschaft und über die ländlichen Räume endlich
eingefordert und auch geführt wird, selbst wenn manche Debatten überzogen sind, ja, und manchmal auch
die Sachkenntnis fehlt . Aber als Linker ist mir besonders
wichtig, mit den Betroffenen zu diskutieren und nicht
über sie; denn sie gehören zu den wahren Verlierern
dieses falschen Systems, selbst wenn sie das manchmal
nicht so sehen oder noch nicht sehen .
({9})
Als Gesetzgeber haben wir nach meiner Überzeugung
ganz klar einen Auftrag: Wir haben die Würde aller Menschen zu sichern und - ich ergänze - den Respekt für die
Natur ebenso .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({10})
Vielen Dank . - Jetzt hat Christina Jantz-Herrmann für
die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! An zwei Umständen kann
man erkennen, dass Internationale Grüne Woche ist: zum
einen daran, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen alle landwirtschaftlichen Themen zusammenklauben, die sich irgendwie finden lassen, zum anderen daran,
dass unser Landwirtschaftsminister drei Wochen vor der
Grünen Woche aktiver scheint als in dem Dreivierteljahr
zuvor .
({0})
Viele Ankündigungen kamen aus dem Landwirtschaftsministerium, besonders im Bereich des Tierschutzes mein Herzensthema .
Schauen wir uns die Verlautbarungen einmal genauer
an und beginnen wir beispielsweise mit dem Grünbuch:
Ganze anderthalb Seiten darin sind dem Tierschutz gewidmet; aber inhaltlich gibt es leider wenig Neues und
auch wenig Konkretes . Kein Konzept zu einer zukunftsfähigen Nutztierhaltung, die wir doch so dringend brauchen! Stattdessen gibt es ein Loblied auf die verbindliche Freiwilligkeit . Immerhin erwähnt das Grünbuch ein
staatliches Tierwohl-Label . Viel weiß man darüber aktuell noch nicht . Man weiß nicht, wie die Pläne genau
aussehen sollen; aber es soll ein mehrstufiges und auch
freiwilliges Label sein .
Ich bedauere sehr, dass es kein verbindliches Label
sein wird; denn der Marktanteil wird so natürlich deutlich geringer sein . Dessen muss man sich bewusst sein .
Es bleibt zu befürchten, dass sich für den Großteil unserer Nutztiere in den Ställen erst einmal rein gar nichts
ändern wird .
({1})
Doch wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein verpflichtendes Label aktuell nicht durchsetzbar ist, weder
europapolitisch noch handelsrechtlich . Zu diesem Urteil
kommt auch das Nutztiergutachten des Wissenschaftlichen Beirates .
Das nun geplante Siegel gibt der Landwirtschaft
dennoch hoffentlich die Chance, ihre Produkte auf dem
Markt zu guten Preisen zu verkaufen, und es wird den
Verbrauchern hoffentlich auch die Möglichkeit bieten,
genau nachzuvollziehen, welche Haltungsbedingungen
und welche Standards bei der Tierhaltung eingehalten
wurden . Die Existenz eines solchen freiwilligen Tierschutz-Labels darf aber auf keinen Fall Alibi für gesetzliche Tierschutzstandards in unserem Land sein; diese
freiwilligen Standards müssen deutlich über den gesetzlichen Standards liegen . Das Tierschutzgesetz und seine
Verordnungen müssen weiterhin der maßgebliche Hebel
für die Tierhaltungsbedingungen in unserem Land sein .
Angekündigt wird das Label aktuell; aber ich mache
mir Sorgen, wann es tatsächlich eingeführt sein wird .
Schaffen wir das noch in dieser Legislaturperiode, oder
müssen wir befürchten: neuer Minister, neues Glück?
Nun zu einem weiteren Thema, zu dem es neue Verlautbarungen gibt: die routinemäßige Tötung von männDr. Kirsten Tackmann
lichen Eintagsküken in deutschen Brütereien . Diese
grausame Praxis - ich glaube, da sind wir uns alle einig muss endlich beendet werden .
({2})
Heute Morgen hat Landwirtschaftsminister Schmidt im
Deutschlandfunk gesagt: Die Technik ist da; das Verbot
soll in Kürze umgesetzt werden . - Diese Ankündigung
hören wir aber schon seit längerem . Das ist zu schwammig . Wir brauchen einen klaren Ausstiegsplan . Ich als
tierschutzpolitische Sprecherin meiner Fraktion distanziere mich wie viele Kollegen auch ausdrücklich von
dieser stumpfen Fixierung auf technische Verfahren zur
Geschlechtserkennung im Ei .
({3})
Deshalb haben wir mit einigen Kollegen zur heutigen Debatte eine persönliche Erklärung zu Protokoll gegeben .
Meine Damen und Herren, es gibt so viele weitere Tierschutzthemen, zu denen bisher viel angekündigt
wurde und bei denen wir endlich handeln müssen . Wir
müssen endlich - das habe ich bei der letzten Debatte
schon angesprochen - gegen die Tötung trächtiger Tiere
vorgehen und auch den Pelztierfarmen den Kampf ansagen . Wir müssen wirksam gegen Qualzuchten vorgehen . Ein Thema, zu dem wir aktuell nichts hören - still
ruhet der See -, ist die Prüf- und Zulassungsverordnung
für Tierhaltungssysteme, die schon längst hätte erlassen
werden müssen . - Ich könnte noch einige Themen mehr
nennen .
Die SPD-Bundestagsfraktion ist in der Regierungskoalition - so muss man es sagen - die treibende Kraft
für den Tierschutz . Wir werben mit Nachdruck für zwei
Maßnahmen: erstens für eine bedarfsgerechte Novellierung des Tierschutzgesetzes und die Einführung der
immer noch fehlenden Haltungsverordnungen, zum
Beispiel bei den Puten, und zweitens für eine nationale
Nutztierstrategie - das klang heute Morgen schon an -,
die ihren Namen auch verdient, und zwar mit einem realistischen Zeitplan .
Liebes Ministerium - leider ist nur noch Frau
Dr . Flachsbarth in Vertretung da -,
({4})
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir haben gemeinsam die Verantwortung für die Tierschutzpolitik auf Bundesebene . Es reicht nicht, wenn wir nur Forschungsvorhaben initiieren und Vereinbarungen mit der
Industrie abschließen . Diese verbindliche Freiwilligkeit
erscheint leider viel zu oft als organisierte Unverantwortung . Es reicht nicht, Handlungen anzukündigen, wenn
die Umsetzung in die Zukunft geschoben wird .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Markus Tressel,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist richtig: Die ländlichen Räume brauchen unsere
Aufmerksamkeit . Weil viele dieser Regionen vor großen
Herausforderungen stehen, brauchen sie aber nicht nur
Aufmerksamkeit, sondern endlich auch eine kohärente
Strategie für die ländliche Entwicklung, die die Landwirtschaft mitdenkt, aber eben auch andere wichtige Bereiche . Eine solche Strategie haben Sie in dieser Wahlperiode nicht geliefert, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition .
({0})
Viele Regionen schrumpfen nicht nur, was die Bevölkerung angeht, sondern auch wirtschaftlich . Wenn
die jungen Leute wegziehen, werden die Spielräume der
Kommunen noch kleiner, Ortskerne veröden, und mittelständische Unternehmen finden keine Auszubildenden
und Fachkräfte mehr . 70 Prozent der Industriearbeitsplätze in diesem Land liegen in den ländlichen Räumen;
trotzdem nimmt die Ungleichheit zwischen den regionalen Lebensverhältnissen seit langem zu . Das ist eine
fatale Entwicklung, eine Spirale nach unten . Fatal ist das
vor allem dann, wenn sich die Menschen in manchen Regionen abgehängt fühlen . Das hat die Populismusdebatte
in den letzten Monaten deutlich gezeigt . Deshalb sage ich
ganz deutlich: Der ländliche Raum ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Diese Aufgabe wird man nicht mit
neuen Broschüren bewerkstelligen können . Der Herr Minister ist leider nicht mehr anwesend; ich hätte ihn gern
persönlich darauf angesprochen .
({1})
Wir müssen für die Menschen neue Perspektiven vor
Ort schaffen, wirtschaftlich und sozial. Das gilt für die
Landwirtschaft, aber auch für alle anderen Betroffenen.
Das im Grundgesetz als Gleichwertigkeit formulierte
Ziel heißt: Alle Menschen müssen die gleichen Chancen
bekommen, an der Gesellschaft teilzuhaben . Gerade in
sehr strukturschwachen und abgelegenen Regionen heißt
das eben, nicht nur in Beton zu investieren, sondern in
die Zukunft zu investieren, und zwar dadurch, dass wir
die Aktiven und Engagierten vor Ort stärken, die Ideen
für ihre Region haben . Sie steigen durch den Förderdschungel aber nicht mehr durch . Noch mehr Programme, noch mehr Komplexität - da bleibt viel Gutes unnötigerweise auf der Strecke . Sie von der Koalition hätten
da rangemusst . Getan haben Sie genau das Gegenteil .
({2})
Kernaufgaben sind die Digitalisierung und die Sicherung der Mobilität im ländlichen Raum . Wir müssen
es schaffen, dass Dienstleistungen erreichbar bleiben,
auch wenn sie nicht mehr vor Ort angeboten werden . So
werden neue Arbeitsmodelle möglich und damit auch
die Rückkehr junger Familien . Vor diesem Hintergrund
waren - das sage ich ganz klar - die vergangenen drei
Jahre drei verlorene Jahre für die ländlichen Räume in
Deutschland .
({3})
Wenn man sich das richtige Vorhaben der Koalition,
die GAK zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ weiterzuentwickeln, anschaut, muss man feststellen, dass davon wenig übrig geblieben ist . Was nicht
der Landwirtschaft dient, kann nach wie vor nicht gefördert werden . Damit setzen Sie Ihren Koalitionsvertrag
nicht um, und die Förderpolitik mit dem wichtigsten Instrument bleibt lückenhaft . Selbst der Minister hat in seiner Haushaltsrede klipp und klar gesagt, dass hier Arbeit
ungetan geblieben ist . Er hat gesagt: Wir brauchen eine
konzertierte Aktion für den ländlichen Raum, sogar ein
Ministerium für ländliche Regionen und schließlich auch
eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung und
Demografie“. - Sie hatten mit dieser riesigen Mehrheit
eine Legislaturperiode Zeit, diese richtigen Ansätze zu
verfolgen . Getan haben Sie nichts .
({4})
Sie haben zu Beginn der Wahlperiode gesagt, Sie
wollten die Querschnittsaufgabe „ländliche Entwicklung“ in der Bundesregierung besser koordinieren . Sie
haben zahlreiche Arbeitskreise gegründet und eine Broschüre nach der anderen herausgegeben . In der Realität
ist davon wenig angekommen . Wo ist denn die Koordination, wenn es um den Flächenverbrauch geht? Wenn immer noch neue Supermärkte auf der grünen Wiese gebaut
werden statt ortsnah, veröden die Ortskerne, während das
Verkehrsaufkommen steigt . Hierauf muss die Bundesregierung endlich eine Antwort geben . Die sind Sie in dieser Wahlperiode schuldig geblieben . Wir sagen: Verödete
Ortskerne tragen jedenfalls nicht zur Verbesserung der
Perspektive in ländlichen Räumen bei .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen eine
Zukunftsperspektive für ländliche Räume in ihrer Unterschiedlichkeit schaffen. Wir brauchen einen Aufbruch für
die ländlichen Räume, kein kraftloses Verwalten mit immer neuen Abteilungen . Wir brauchen einen Masterplan
für ländliche Regionen . Den haben Sie in dieser Wahlperiode nicht ansatzweise auf die Schiene gesetzt . Drei verlorene Jahre für die ländlichen Räume - das bedeutet die
Zeit der Großen Koalition trotz Ihrer großen Mehrheit .
Das ist außerordentlich bedauerlich .
({6})
Vielen Dank . - Jetzt hat Hans-Georg von der Marwitz
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist
wie jedes Jahr: Anlässlich der Grünen Woche 2017 steht
das Thema Landwirtschaft im Fokus der Öffentlichkeit
und natürlich auch des Plenums . Passend zur Kampagne „Wir haben es satt!“ präsentieren uns die Grünen ein
ganzes Bündel an Anträgen und zeigen damit, worum es
ihnen eigentlich geht, nämlich um Deutungshoheit über
agrarpolitische Themen, in diesem Jahr besonders mit
Blick auf den kommenden September .
({0})
Ein Großteil ihrer Vorschläge orientiert sich am Mainstream einer realitätsfremden Agrarwelt . Das ist - sieht
man zurück in den Januar 2016 und in die Jahre davor thematisch nichts Neues. Wieder öffnen sie einen Forderungskatalog mit Verallgemeinerungen, Verboten, Geboten, Schwarz-Weiß-Denken, soll heißen: Wir die Guten,
ihr die Bösen .
({1})
Doch wie vielschichtig das Verhältnis zwischen kritischen Verbrauchern und preisbewussten Konsumenten
einerseits und einer an den Bedürfnissen des Marktes
orientierten Landwirtschaft andererseits geworden ist,
ignorieren sie . Auf gesellschaftlicher Ebene wird anhand
dieser Diskussion der Strukturwandel nachvollzogen .
Parallel zu der Situation in den Betrieben verlagern sich
die Diskussionen mehr und mehr weg von der Urproduktion im klassischen Sinne . Landleben als Lifestyle,
Ernährung als Wellness - dies zeugt davon, wie weit sich
unsere Gesellschaft vom bäuerlichen Alltag entfernt hat .
Obwohl die Grünen genau wissen, mit welchen Zwängen
unser Berufsstand täglich kämpft, befeuern sie diesen
Mainstream nach Kräften . Mit Blick auf Wählerstimmen
konstruieren Sie, Herr Hofreiter, Zerrbilder und Horrorszenarien für einen Teil der von der Landwirtschaft
entrückten Gesellschaft .
({2})
Passend dazu belegen Umfragen die ganze Widersprüchlichkeit der öffentlichen Wahrnehmung. Über
70 Prozent der Verbraucher halten unsere Lebensmittel
für sicher und fühlen sich gut informiert . Gleichzeitig geben 83 Prozent der Befragten an, dass sie gegenüber den
Bildern und Verpackungsinformationen kein Vertrauen
hätten .
({3})
Immer weiter gehen ihre Kennzeichnungsforderungen,
wie wir gestern im Agrarausschuss hören konnten . Ihre
Politik ist mitverantwortlich für diese Verunsicherung .
({4})
Entlang von Feindbildern - mal die Landwirte, mal die
Ernährungswirtschaft oder der Einzelhandel - skandalisieren sie regelmäßig, und das gerne im Januar .
Herr Kollege von der Marwitz, darf ich Sie einmal
kurz unterbrechen?
Nein, ungern .
Sie gestatten also keine Zwischenfragen?
Nein, er kann nachher fragen .
Gut . Das gilt dann für alle: Der Redner gestattet keine
Zwischenfragen . - Bitte .
Unerwähnt bleibt hingegen, welche Fortschritte gemacht werden und welche Standards wir in Deutschland
eingeführt haben . Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass
Ihre Forderungen, zum Beispiel „Sofortmaßnahmen für
die Agrarwende - Für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“, von unseren europäischen
Nachbarn, geschweige denn dem Rest der Welt verstanden oder geteilt werden . Diese als absolut gesetzte Parole
ist eine Beleidigung meines Berufsstandes; denn wir tun
nichts anderes, als gutes Essen zu produzieren, schon allein, um unsere Existenz nicht zu gefährden .
({0})
Doch bei aller Meinungsverschiedenheit bietet
die agrarpolitische Diskussion reichlich Anlass zur
Selbstanalyse und zur Debatte über die politischen und
gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Branche .
Niemand bestreitet, dass es Missstände gibt, die beseitigt
werden müssen
({1})
- Mist auch, richtig, lieber Kollege -, ob in der Tierhaltung, beim Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln oder in der Verarbeitung von Lebensmitteln . Doch
Regelverstöße ärgern uns Landwirte zuallererst, weil wir
genau wissen, dass schwarze Schafe die ganze Branche
schwächen und schädigen .
Dass wir uns in einem nicht aufzuhaltenden Wandlungsprozess befinden, ist jedem von uns mehr als bewusst . Die Bedürfnisse unserer Gesellschaft verändern
sich . Natürlich müssen wir uns bestimmte gesellschaftliche Fragen stellen und sie in die politische Entscheidung
mit einfließen lassen. Auch unsere unternehmerischen
Handlungsmöglichkeiten müssen wir neu definieren und
ausrichten . Allerdings geht das nicht im Handumdrehen .
Getätigte Investitionen binden uns teilweise über zwei
Jahrzehnte . Man muss der Landwirtschaft die Zeit geben,
die sie benötigt, um sich im Transformationsprozess zu
orientieren . Deshalb ist es Aufgabe der Politik, einerseits
für Planungssicherheit zu sorgen und andererseits die gewünschten Veränderungen finanziell zu begleiten.
({2})
Die nächste GAK-Reform bietet da echte Chancen . Parlamentarische Schnellschüsse, gesellschaftliche Kampagnen und Populismus sind unfair und unredlich . Ständige
Kritik führt nur zu einer Wagenburgmentalität, die immer
hoffnungsloser erscheint und in einer Sackgasse endet.
({3})
Doch nicht nur die Landwirtschaft steckt tief in einem
Wandlungsprozess . Mit ihr sind weite Teile des ländlichen Raums betroffen. Der Strukturwandel schreitet
ungebremst voran. Entleerte Dörfer und demografische
Faktoren wie Alterung der Bevölkerung und Rückgang
der Erwerbstätigen tun ihr Übriges . In Ostdeutschland ist
die Situation deutlich dramatischer als im Westen . Deshalb ist es besonders wichtig, Anreize für Landwirte und
den ländlichen Raum zu schaffen.
Wie uns allen bekannt, war die landwirtschaftliche
Urproduktion bis in die 80er-Jahre die dominierende Wirtschaftskraft in den Dörfern . Heute hingegen ist
ihre Position als Wirtschaftsmotor und Arbeitgeber in
den Regionen deutlich geschwächt; sinkende Betriebsund Mitarbeiterzahlen zeigen dies unmissverständlich .
Optisch formt die Landwirtschaft noch die Landstriche
Deutschlands . Doch die Wirtschaft in den Regionen ist,
wenn überhaupt, mehr von Handwerk, Gewerbe und
mittelständischen Unternehmen geprägt - teilweise sogar von Hidden Champions; wir haben es heute schon
vom Minister gehört - als von den wenigen verbliebenen
Landwirten . Der Anteil der landwirtschaftlichen Urproduktion am Bruttoinlandsprodukt liegt heute nur noch bei
unter 1 Prozent .
Viele von Ihnen kennen meine Position . Ich werde
nicht müde, auch bei dieser Gelegenheit wieder darauf
hinzuweisen, dass eine erweiterte Förderung des ländlichen Raums notwendig ist . Nur so kann gewährleistet
werden, dass wir unsere Dörfer leistungsfähig und lebenswert erhalten .
({4})
Dazu zählt neben der Unterstützung von Unternehmen,
Ärzten und Daseinsversorgern auch die Infrastrukturförderung, zum Beispiel Breitbandausbau - wir haben es
heute schon gehört -, ÖPNV/SPNV, und nicht zuletzt das
vielfältige Engagement der Ehrenamtlichen, die gerade
in unseren Dörfern das soziale Netz engmaschig halten,
ob in Kirchen, Vereinen, Verbänden und der Feuerwehr .
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt noch auf
dem Land . Ländliche Räume leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Deutschlands . Deshalb brauchen wir neue Perspektiven
für das Land, wie die Bundesregierung richtig in ihrem
Bericht schreibt: Regionale Disparitäten im Hinblick auf
gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland erfordern weiterhin ein gemeinsames aktives Vorgehen von
Bund und Ländern, um diese Entwicklung aktiv mitzugestalten .
Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz
GAK genannt, und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sind zusammen mit den EU-Struktur- und Investitionsfonds eine
wichtige Grundlage für die Förderung . Mit der Neuorientierung der GAK im Frühjahr haben wir die engen Grenzen von Artikel 91 Grundgesetz über den eigentlichen
Schwerpunkt der GAK hinaus auf den ländlichen Raum
erweitert - ein wichtiger und richtiger Wegweiser . Darüber hinaus haben wir in den letzten beiden Haushaltsjahren mehr als eine halbe Milliarde in den ländlichen Raum
investiert, zusätzlich zum Haushaltsansatz, versteht sich .
Deswegen muss es auch weiterhin unser Auftrag bleiben,
die gesamte Förderung der ländlichen Räume weiterzuentwickeln und die Verteilung der Mittel sinnvoll und
nachhaltig auszugestalten, wenn wir die ländlichen Regionen als eigenständige Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsräume stärken wollen . Trotz Weiterentwicklung der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ hat für mich der bleibende Bezug zur Landwirtschaft höchste Priorität .
Wegen ihrer räumlichen Bindung an Grund und Boden ist es von besonderer Wichtigkeit, das unternehmerische Engagement der Landwirtschaft zu stärken .
Schließlich sind unsere Landwirte schon seit Generationen in Deutschlands Regionen verwurzelt . Deshalb
geht mein Appell vor allem an meine Berufskollegen auf
den Äckern und in den Ställen: Werdet innovativ! Weckt
euren Unternehmergeist! Es geht um die Schaffung von
Perspektiven .
Der ländliche Raum hat das Potenzial zum Zukunftslabor und berührt viele wichtige Fragen unserer Zeit, von
der Lebensmittelproduktion bis zum Flächenmanagement . - Lieber Herr Backhaus, da muss ich noch einmal
kurz auf Ihre Rede eingehen: Sie kommt 25 Jahre zu spät .
Die Flächen sind längst verteilt .
({5})
Heute sind nur noch wenige Flächen für den Staat frei
verfügbar .
({6})
- Liebe Kollegin! - Es geht um die Ausgestaltung des
Umwelt- und Naturschutzes, Fragen einer modernen Daseinsvorsorge bis hin zur Energiewirtschaft, Integration
und Zuwanderung . Nicht zuletzt der Tourismus nimmt
einen immer größeren Stellenwert ein . Einen Großteil
dieser Themenfelder listet der Bericht der Bundesregierung auf; er bietet so eine Bestandsaufnahme, die in die
Zukunft weist .
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten .
Ich weiß; ich komme zum Schluss . - Auch das Plädoyer unseres Bundesministers für ein integratives Ministerium mit Zuständigkeit für den gesamten ländlichen
Raum sollte in diesem Zusammenhang Erwähnung finden, und es sollte offen darüber diskutiert werden.
Ich fordere Sie alle auf, sich an der Diskussion über
lebenswerte ländliche Räume konstruktiv zu beteiligen .
Gemeinsam müssen wir an einer Politik arbeiten, die sich
an den Grundbedürfnissen der Menschen in der Stadt und
auf dem Lande orientiert .
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit .
({0})
Vielen Dank . - Der Kollege Ebner hat um das Wort zu
einer Kurzintervention - ich betone: „kurz“, Herr Kollege Ebner - gebeten . - Bitte schön .
Danke schön, Frau Präsidentin . - Werter Herr Kollege
von der Marwitz, Sie haben Herrn Hofreiter vorgeworfen, ein Zerrbild darzustellen und Skandalisierung zu
betreiben, und Sie tun so, als ob alles gut sei und die Hinweise der „Wir haben es satt!“-Bewegung und von uns an
den Tatsachen vorbeigingen . Da frage ich Sie: In welcher
Blase bewegen Sie sich eigentlich?
Lange befanden Sie sich im Chor mit dem Deutschen
Bauernverband und der DLG, der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft . Aber auch sie haben jetzt ganz offenbar verstanden, dass es so nicht weitergehen kann .
Haben Sie heute schon in die FAZ geguckt? DLG-Chef
Bartmer beklagt - so ist heute in der FAZ zu lesen -, zu
enge Fruchtfolgen und zu großer Chemikalieneinsatz
führten zu immer mehr Resistenzen; man habe es mit der
Spezialisierung übertrieben . Er kritisiert dieses „Höher,
Weiter, Besser“ und fordert die Schließung von Tierställen . DLG-Chef Bartmer schließt mit den Worten:
Das System ist jetzt an eine Stelle gekommen, wo es
sich nicht weiter selbst korrigieren kann .
Das ist ein Hilferuf, aber Sie hören ihn nicht . Sie tun so,
als ob alles gut sei .
({0})
Sie reden hier über den ländlichen Raum; das ist gut so .
Aber an den eigentlichen Problemen, die angesichts der
Eröffnung der Internationalen Grünen Woche heute debattiert werden müssten, reden Sie vorbei .
({1})
Herr Kollege, möchten Sie darauf antworten? - Bitte
schön .
Kollege Ebner, seit vielen Jahren arbeiten wir gemeinsam an diesem Thema, und es gibt immer wieder auch
deckungsgleiche Positionen . Aber was sich Ihr Kollege
heute geleistet hat, war unter der Gürtellinie .
({0})
Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Massentierhaltung,
sondern für den ganzen Strauß, den Sie uns heute hier
präsentieren . Sie präsentieren ihn uns ja nicht erst dieses
Jahr . Vielmehr bekommen wir diesen ganzen Strauß jedes Jahr im Januar um die Ohren gepfeffert.
({1})
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn Sie zugehört
hätten, dann wüssten Sie, dass auch ich häufig über die
Probleme im Bereich der Landwirtschaft diskutiere und
nachdenke .
({2})
Ich weiß, dass es Missstände gibt . Aber wir müssen doch
einen gemeinsamen Weg finden, um diese Missstände zu
beseitigen . Wenn Herr Bartmer darauf eingeht, dann ist
das kein Hilferuf,
({3})
sondern die Erkenntnis: Jawohl, es gibt schwierige Situationen und Bereiche in unserer Landwirtschaft, in denen
die Probleme noch nicht gänzlich ausgeräumt sind .
({4})
Einer meiner Kollegen hat es im Vorfeld ganz deutlich
gesagt: Selbst wenn wir anfangen würden, alles umzusetzen, was Sie hier heute fordern, hätten wir in der Landwirtschaft noch keinen Himmel auf Erden .
Mein Berufsstand - ich komme aus der Landwirtschaft, aus der praktischen Landwirtschaft - fühlt sich
seit Jahren von Ihnen in die Ecke gedrängt .
({5})
Es macht keine Freude mehr . Sie merken doch, dass die
Wagenburgmentalität, die ich angesprochen habe, vielen
mittlerweile als einzige Rettung vorkommt . Dass das keine gute Entwicklung ist, da gebe ich Ihnen vollkommen
recht .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß,
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Backhaus! Verehrte Gäste
auf der Tribüne! In unserer Debatte geht es heute sehr
viel um Zukunft: um die Zukunft der ländlichen Räume,
der Hühnerhaltung, der Tierhaltung, ja, der Landwirtschaft überhaupt . In der Tat - das wurde eben auch wieder deutlich - sind wir an einem Punkt, an dem wir uns
dazu bekennen müssen, was für eine Landwirtschaft wir
denn wollen . Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen eines dabei ganz sicher: Wir wollen eine
gentechnikfreie Landwirtschaft .
({0})
Deshalb brauchen wir ein Gesetz, das nationale Anbauverbote unkompliziert und unbürokratisch ermöglicht . In der Anhörung zum Gentechnikgesetz am vergangenen Montag ist noch einmal sehr deutlich geworden:
So wie es jetzt ist, wird das Gesetz nicht für gentechnikfreie Äcker sorgen .
({1})
Möglicherweise ist das ganze umständliche Prozedere
sogar verfassungswidrig . Vielleicht klingeln bei unserem
Koalitionspartner ein paar Glocken .
({2})
Unsere Änderungsvorschläge liegen auf dem Tisch .
Jetzt sind Sie dran, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU . Wenn Sie wirklich dem mehrheitlichen
Willen der Bevölkerung entsprechen wollen, lassen Sie
uns diese Änderungen zügig gemeinsam umsetzen .
Apropos „zügig“ und apropos „Zukunft“: Ich habe
nicht schlecht gestaunt, als ich Ende vergangenen Jahres
Ihr Grünbuch gelesen habe . Herr Minister Schmidt - er
ist jetzt leider nicht mehr da -, ich freue mich außerordentlich über Ihren Vorschlag, das Schul- und Kitaessen
von der Mehrwertsteuer zu befreien; denn die SPD setzt
sich schon lange dafür ein, dass die Schulverpflegung für
alle bezahlbar, lecker, hochwertig und gesund ist .
({3})
Ich frage mich: Warum schlagen Sie das erst jetzt vor?
Warum präsentieren Sie uns in Ihrem Grünbuch Vorhaben als „Vision für die Zukunft“? - Die hätten Sie schon
längst umsetzen können, ja umsetzen müssen . Die Strategie zur Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten, die Strategie gegen Lebensmittelverschwendung
und für verpflichtende Qualitätsstandards in die Schulverpflegung sowie Kassenzonen ohne Süßigkeiten - das
alles stand schon im Antrag der Koalitionsfraktionen aus
Januar 2015 . Wir warten bis heute darauf, dass Sie etwas
Substanzielles dazu vorlegen . Wirksame Maßnahmen
zur Eindämmung des Energydrink-Konsums bei Kindern
und Jugendlichen sehe ich weit und breit nicht, ich sehe
nur eine abgeschaltete Aufklärungswebseite und nach
wie vor wenige Bemühungen, überhaupt aktuelle und
korrekte Daten zum Koffeinkonsum bei Jugendlichen
und Kindern erheben zu lassen .
Am meisten ärgert mich aber die Passage zu der an
Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel . Wenn keine freiwilligen Lösungen gefunden würden,
die wirksam seien, solle bzw . müsse es regulative Eingriffe geben, schreiben Sie. Herr Minister, Sie wissen so
gut wie ich, dass es diese wirksamen freiwilligen Lösungen eben nicht gibt . Das ist doch längst belegt und ziemlich leicht selbst nachzuprüfen . Schalten Sie doch einmal
den Fernseher ein, oder stellen Sie sich im Supermarkt in
die Kassenschlange .
({4})
Sie wollen in Zukunft enger mit der Weltgesundheitsorganisation zusammenarbeiten . Dann fragen Sie diese
doch, was sie vorschlägt, um der Fehlernährung von
Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken . - Genau:
Ambitionierte Reformulierungsstrategien, Abgaben auf
zuckergesüßte Getränke, Werbebeschränkungen!
Ich rate uns allen, nicht so zu tun, als müssten wir das
Rad in der Ernährungspolitik immer neu erfinden. Stattdessen müssen wir mutig sein und uns auch an Lösungen
wagen, die nicht bloß den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen .
({5})
Wenn wir die Ernährungssituation von Kindern tatsächlich nachhaltig verbessern wollen, müssen wir uns
zumindest in Teilen auch mal bei der Lebensmittel- und
Werbewirtschaft unbeliebt machen .
({6})
Ich habe damit kein Problem; denn ich sehe es auch
als Aufgabe von Politik und damit als unsere Aufgabe,
Märkten Regeln zu geben, die dafür sorgen, dass das Gemeinwohl nicht zu kurz kommt und dass auch die geschützt werden, die sich selbst nicht schützen können .
Ich möchte keine Papiere, Visionen und Ankündigungen für eine ferne Zukunft, Herr Minister . Ich möchte,
dass wir vorankommen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf,
dass das auch noch in dieser Legislaturperiode möglich
sein wird .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet, und
wir kommen zu einer Reihe von Abstimmungen, für die
ich Ihre Aufmerksamkeit erbitte .
Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c . Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/10400, 18/10861 und 18/10872 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/10877 soll an dieselben Ausschüsse wie
die Vorlage auf Drucksache 18/10400 überwiesen wer-
den . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 3 e, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Zukunftsfähige Hühnerhaltung - Kükentötung
schnellstmöglich ein Ende setzen“ .
Zu dieser Abstimmung liegen zahlreiche persönliche
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10896, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7878
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Tagesordnungspunkt 3 f, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Bäuerlicher Milchviehhaltung eine Zukunft ge-
ben - Milchmenge jetzt begrenzen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10897, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/8618 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition .
Wer stimmt dagegen? - Das sind Bündnis 90/Die Grü-
nen und die Fraktion Die Linke . Wer enthält sich? - Nie-
mand . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Tagesordnungspunkt 3 g, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Transparenz schaffen - Tierhaltungskennzeich-
nung für Fleisch einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10898,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4812 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .
Tagesordnungspunkt 3 h, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Gentechnik-Anbauverbote bundeseinheitlich und
konsequent umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3843, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/3550 abzulehnen . Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen .
Zusatzpunkt 3, Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „So-
fortmaßnahmen für die Agrarwende - Für eine bäuer-
lich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10899, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4191 abzulehnen .
1) Anlagen 3 und 4
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Damit sind wir am Ende der Abstimmungen zu diesen
Tagesordnungspunkten, und ich rufe die Tagesordnungs-
punkte 4 a und 4 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften
Drucksache 18/8965
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0})
Drucksache 18/10902
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank
Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend
gewährleisten
Drucksachen 18/6361, 18/10902
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . - Ich bitte
Sie, die Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Ingrid Fischbach . Bitte schön .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heutigen Abschluss der Beratungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften - so heißt das Gesetz; wir haben immer
vom „Cannabisgesetz“ gesprochen - schaffen wir einen,
wie wir finden, wichtigen Schritt, um die Versorgung
schwerkranker Patientinnen und Patienten zu verbessern .
Wir wollen ihr Leid lindern und ihre Versorgung leichter
machen .
({0})
Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, dass Patientinnen und Patienten künftig Cannabis auch in Form von
getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter
Qualität auf ärztliche Verschreibung in Apotheken erhalten können . Bei schwerwiegend Erkrankten sollen diese Arzneimittel von Ärztinnen und Ärzten verschrieben
werden können, wenn keine alternative Therapie möglich ist oder besteht . Das bedeutet aber nicht, dass die
Patientinnen und Patienten alle Therapiemöglichkeiten
durchlaufen müssen, sondern die Ärztin oder der Arzt
kann im Einzelfall genau hinschauen und sagen: Jetzt
ist der Punkt erreicht . Wir müssen keine anderen Mittel mehr testen . - Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger
Punkt in diesem Gesetzentwurf .
({1})
So können wir beispielsweise mit Cannabisarzneimitteln bei multipler Sklerose, in der Schmerztherapie,
bei chronischen Erkrankungen oder auch bei Appetitlosigkeit oder Übelkeit - das betrifft insbesondere Menschen, die sich einer Chemotherapie unterziehen; viele,
die Krebspatienten in ihrer Familie haben, wissen das durchaus eine Linderung der Beschwerden erreichen .
Die Kosten hierfür - das ist, glaube ich, ein ganz deutliches und wichtiges Signal - sollen von der gesetzlichen
Krankenkasse übernommen werden . Voraussetzungen
dafür sind: Es muss sich um eine schwerwiegende Erkrankung handeln, und es darf keine Alternative zur Behandlung mit Cannabisarzneimitteln bestehen . Zudem
muss die Aussicht bestehen, dass eine spürbare, positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome gegeben ist .
Meine Damen und Herren, im parlamentarischen Verfahren hat sich das Gesetz noch verändert, wie es bei
allen Gesetzen der Fall ist . Ich möchte an dieser Stelle
den Berichterstattern der Koalition, den Sprechern, den
stellvertretenden Vorsitzenden und den Mitarbeitern des
Ministeriums für ihre, wie ich finde, immer kluge und
unterstützende Arbeit ganz herzlich danken .
Mein Dank geht auch an die Drogenbeauftragte und
die Mitglieder des Ausschusses . Ich muss sagen: Ich
habe im Ausschuss selten Diskussionen erlebt, die in der
Sache so qualifiziert und gleichzeitig sachlich geführt
worden sind . Es war sehr erfreulich, auf dieser Ebene zu
diskutieren . Dafür an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön . Das macht Lust auf weitere Gesetze in dieser
Form .
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte einige dieser
Veränderungen stellvertretend erwähnen .
Wir haben uns natürlich über die Genehmigungsfrist
Gedanken gemacht .
({3})
Das heißt, Patienten, die im Rahmen einer spezialisierten
ambulanten Palliativversorgung behandelt werden, können nicht drei bis fünf Wochen auf eine Entscheidung der
Kassen warten . Deswegen wird diese Genehmigungsfrist
höchstens drei Tage betragen . Ich glaube, auch das ist für
die Betroffenen wichtig. Sie brauchen eine schnelle und
unbürokratische Hilfe .
Ein weiterer Punkt ist die Datenlage . Wir haben wenige Erkenntnisse über die Wirkungen eines langfristiVizepräsidentin Ulla Schmidt
gen Cannabisgebrauchs . Deswegen wollen wir eine Begleiterhebung durchführen . Dazu übermitteln Ärztinnen
und Ärzte ohnehin vorliegende Daten in anonymisierter
Form an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte . Es sind zum Beispiel Daten zur Diagnose,
zur Therapiedosis oder zu Nebenwirkungen, und wir hoffen, dass wir dann auch ein vernünftiges Datenmaterial
zur Verfügung haben .
Zur Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in standardisierter Qualität soll der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken auch in Deutschland ermöglicht
werden . Grundlage dafür werden aber die völkerrechtlich bindenden Vorgaben des Einheits-Übereinkommens
der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe sein.
Die Cannabisagentur soll beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingerichtet werden . Diese Agentur stellt sicher, dass zukünftig in Deutschland
hergestellte Produkte, für die ein Anbauer die üblichen,
insbesondere natürlich die betäubungsmittelrechtlichen
Erlaubnisse benötigt, nur in standardisierter Qualität produziert werden .
Sie alle haben vielleicht als Abgeordnete auch schon
Briefe von den ersten Interessierten bekommen, die bereits anbauen wollten . Das wird nicht passieren; das kann
ich ganz klar sagen . Das ist nicht das, was wir wollen .
Die Agentur kauft die Produkte auf und gibt sie an
Arzneimittelhersteller, Großhändler und auch Apotheken
ab . Bis der staatlich kontrollierte Anbau in Deutschland
erfolgen kann, wird die Versorgung mit Cannabis zu medizinischen Zwecken über Importe gedeckt .
Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften gehen wir, wie ich
meine, einen großen Schritt in die richtige Richtung . Wir
sorgen dafür, dass schwerkranke Menschen bestmöglich
versorgt werden und ihnen auch diese Therapieoption
im Rahmen der ärztlichen Behandlung eröffnet wird.
Sie können Cannabis verschrieben bekommen, wenn
es medizinisch indiziert ist . Damit wird ihnen geholfen,
und dies, meine Damen und Herren, soll auch Sinn und
Zweck dieses Gesetzes sein .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als Nächster hat der Kollege Frank
Tempel für die Fraktion Die Linke das Wort,
({0})
dem ich hiermit ganz herzlich zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren möchte . Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In den letzten Monaten habe ich mich gemeinsam mit vielen betroffenen Menschen gefragt, wann endlich die versprochenen Verbesserungen bei der medizinischen Verwendung von Cannabis nun auch im Bundestag
beschlossen werden . Wenn Sie die Beschlussfassung absichtlich auf den heutigen Tag gelegt haben, um meinen
langen Kampf für dieses Thema zu würdigen, dann ist
das eine nette Geste,
({0})
aber mit Blick auf die Betroffenen etwas übertrieben.
({1})
Aber ein paar ernste Worte müssen wir bei diesem
Thema durchaus auch wechseln; denn die bisherige
Rechtslage war mit ihren bürokratischen Hürden und
Kostenhindernissen mit Blick auf den Leidensweg vieler betroffener Patienten fatal. Was da über Jahre hinweg
stattfand, war aus meiner Sicht, moralisch gesehen, unterlassene Hilfeleistung durch den Staat .
({2})
Nur wenige Hundert Patienten überwanden die Bürokratiehürden bis zu einer offiziellen Genehmigung, und wer
das geschafft hatte, scheiterte sehr oft an den Kosten, die
ihm keine Kasse erstattete .
Wenn wir das heute ändern, sollte unser Dank denen
gelten, die mit gerichtlichen Klagen, mit Petitionen, mit
vielen Initiativen zur Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und auch hier im Bundestag beigetragen haben .
({3})
Bevor ich zu einigen inhaltlichen Aspekten komme,
möchte ich aber auch etwas zum Gesundheitsausschuss
des Bundestages sagen . Ich möchte bestätigen, dass sich
in dieser Legislaturperiode erstmals intensiv mit dieser
Thematik richtig fachlich auseinandergesetzt wurde, und
dafür möchte ich allen ganz herzlich danken .
({4})
Jetzt liegt ein Ergebnis vor, das in vielen Punkten dem
Antrag meiner Fraktion entspricht und mir im Gegensatz
zu der Arbeit im Innenausschuss relativ wenig Spielraum
zu meckern lässt .
({5})
Die Änderungsanträge der Regierungskoalition auch
noch nach der Einbringung beweisen, dass man eben
nicht nur zu einem Richtungswechsel gezwungen wurde,
sondern dass man tatsächlich die ehrliche Absicht hatte,
die Situation vieler Patienten zu verbessern . Die komplizierte Genehmigungspraxis wurde abgeschafft, die
Kostenerstattung geregelt, die Abhängigkeit vom Import
wurde verringert, was sich auch auf die Preisentwicklung
positiv auswirken kann . Dadurch wurde das Problem von
Versorgungsengpässen verringert und, ganz wichtig, die
Entscheidungsfreiheit zwischen Arzt und Patient wurde
gestärkt . Das ist alles klasse, und dafür auch noch einmal: Danke schön!
({6})
Ich hoffe aber auch - ich habe der Staatssekretärin
genau zugehört -, dass wir weiter an dem Thema dranbleiben . Eine wissenschaftliche Begleiterhebung in der
medizinischen Praxis ist zwar wichtig, kann aber noch
nicht alles sein . Die dafür von Ihnen veranschlagten
850 000 Euro reichen eben hinten und vorne nicht . Sie
beklagen selbst, dass der Wissensstand zum medizinischen Nutzen von Cannabis noch nicht allzu hoch ist; das
habe ich auch im Gesundheitsausschuss gehört . Wenn die
Linke aber Haushaltsanträge zur Finanzierung klinischer
Forschung stellt, lehnen Sie diese regelmäßig ab, auch
wenn das den Kollegen von der SPD immer sehr schwer
fällt, wie ich gesehen habe . Ein höherer Nutzen ergibt
sich durch mehr Wissen . Das bedingt Investitionen in
dieses Wissen . Lassen Sie uns darüber bei den nächsten
Haushaltsberatungen reden .
Noch ein Punkt. Die neuen Regelungen betreffen
erst einmal nur schwerkranke Patienten . Die Entscheidungsfreiheit des Arztes ist auf diesen Personenkreis beschränkt . Sie wissen es selbst, meine Damen und Herren:
Es gibt Menschen in unserem Land, denen wäre Cannabis
als Genussmittel völlig egal . Aber als Medizin - auch im
niederschwelligen Bereich - fänden sie es sehr interessant, immer vorausgesetzt, es gibt die Möglichkeit, unter
fachkundiger Beratung und Hilfe dies zeitlich begrenzt
zu nutzen . Diese Möglichkeit sollten wir in Zukunft zumindest in gemeinsamer Debatte weiter ausloten . Nicht
jeder möchte die große Palette kleiner, bunter Schmerzpillen austesten, sondern lieber auf natürliche Substanzen
wie Cannabis setzen .
Zum Schluss möchte ich auch hier im Plenum einen
mir sehr wichtigen Aspekt ansprechen . In der gestrigen
Sitzung des Gesundheitsausschusses habe ich noch einmal die Führerscheinpraxis bei medizinischen Verwendern von Cannabis angesprochen . Es mag stimmen, dass
die rechtlichen Regelungen es ermöglichen, bei sachgemäßer Anwendung des Medikaments im Besitz des Führerscheins zu bleiben . In der Praxis ist es aber oft nicht
so . Es fehlen geeignete Testmethoden, um in der polizeilichen Kontrolle wirklich festzustellen, ob jemand im
Rauschzustand gefahren ist . Oft fehlt es Polizeibeamten
an der Akzeptanz der medizinischen Verwendung von
Cannabis . Wir haben so einige aktuelle Fälle, in denen
die Eignung der Erlaubnisinhaber zum Führen eines
Fahrzeugs infrage gestellt wird, weil sie medizinische
Verwender sind . Wenn jemand durch die Therapie wieder arbeiten könnte, aber durch die Therapie den Führerschein und damit auch den Arbeitsplatz verliert, macht
das Ganze nicht viel Sinn . Deswegen: Wir freuen uns
heute über diesen Gesetzesbeschluss, aber wir werden
weiter diskutieren müssen . Wenn wir weiterhin so gut
zusammenarbeiten wie in der Vergangenheit, wird das
Früchte tragen .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Für die SPD spricht jetzt Hilde
Mattheis .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schön, bei einem solch wichtigen Thema sagen zu
können: Die Koalition und die Opposition sind sich einig . Das ist sehr wohltuend; denn es geht an dieser Stelle
um Menschen und ihr Leid, das wir mit einem einfachen
Mittel beenden können. Wir öffnen nun die entsprechenden Zugänge . Was das bedeutet, möchte ich beispielhaft
anhand eines konkreten Falls schildern .
Ein damals 20-Jähriger, der in Süddeutschland lebt,
stellt fest, dass er an einer seltenen Nervenerkrankung
leidet . Er ist arbeitslos geworden . Er kann keine Tätigkeit mehr aufnehmen . Nach langer Suche nach der
richtigen Therapie und dem Einsatz von Morphium, unter dessen Auswirkungen er abmagert und an Übelkeit
leidet, wird festgestellt: Cannabis ist das einzige Mittel,
das seinen Alltag erträglich macht . Nun ist er arbeitslos,
und es kostet 1 000 Euro pro Monat, um einigermaßen
die Lebensqualität und die gesellschaftliche Teilhabe zu
erhalten . Was macht er? Er hilft sich selbst und baut an .
Man kann sicherlich mit einem leichten Augenzwinkern
sagen: Das hat der eine oder andere von uns in studentischen Zeiten auch so gemacht. Aber für den Betreffenden ist das überlebenswichtig . Was passiert im Freistaat
Bayern oder vielleicht auch woanders? Der junge Mann
wird angeklagt . Er muss sich verantworten . Das heißt, zu
seiner schwierigen Lebenssituation kommt hinzu, dass er
strafrechtlich belangt wird .
Es geht hier um Einzelschicksale. Betroffen sind rund
100 Menschen in diesem Land, vielleicht auch ein paar
mehr . Jetzt kommt es darauf an, keine Abwärtsspirale
bei einem jungen Menschen, der sich ohnehin in einer
schwierigen Lebenssituation befindet und im Prinzip keinen legalen Ausweg kennt, in Gang zu setzen . Das haben
wir miteinander hinbekommen . Dafür danke ich ganz
herzlich . Es ist gut und richtig, dass wir alle das gemeinsam beschließen .
Der Beschluss ist das eine . Es müssen aber natürlich
in der Praxis noch weitere Dinge umgesetzt werden .
Eine wissenschaftliche Begleitung ist wichtig . Es ist
aber auch wichtig, dass Hausärztinnen und Hausärzte in
Bezug auf dieses Thema über eine Fort- oder Weiterbildung ihre vielleicht vorhandenen eigenen inneren Hürden überspringen können . Auch das wird hier geregelt .
Uns war sehr wichtig, dass wir auch im Hospiz- bzw .
Palliativbereich nicht so hohe Hürden errichten . Das Genehmigungsverfahren dort muss innerhalb von drei Tagen ablaufen; denn wir alle können uns vorstellen, was
drei Tage im Leben eines Menschen bedeuten, der palliativ behandelt werden muss und an starken Schmerzen
leidet . All das sind Punkte, die in diesem Gesetz zum
Tragen kommen . Es hat uns, glaube ich, allen gutgetan,
das mit einer tiefer gehenden Debatte über weitere betäubungsrechtliche Schritte zu verbinden .
Wir machen einen wichtigen Schritt hin zu einer Unterstützung in Bezug auf die humanere Gestaltung von
bestimmten Lebenssituationen . Auch ist es ein wichtiger
Schritt in die Richtung, dass wir als Solidargemeinschaft
diesen Menschen zur Seite stehen . Von daher tun wir,
glaube ich, alle gut daran, das jetzt nicht - wir haben das
auch nicht getan - weiter unter ideologischen Gesichtspunkten zu forcieren .
Gestern stand in der Berliner Morgenpost: „Gröhe
wirbt für Cannabis auf Rezept“ . Ich fand das ziemlich
witzig . Wir alle wissen aber, um was es geht . Es geht
um Menschen in Ausnahmesituationen, vor allen Dingen
aber um Menschen - das ist ein ganz wichtiger Punkt -,
die nicht unbedingt als austherapiert gelten . In diesem
Zusammenhang danke ich Ihnen, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir in Bezug auf diesen Punkt im parlamentarischen Verfahren noch Nachbesserungen hinbekommen haben. Die betroffenen Menschen müssen also
nicht gänzlich austherapiert sein, bevor ihnen geholfen
wird . Dafür vielen Dank auch an das zuständige Ministerium .
Ich habe die Hoffnung, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch weitere Punkte dieser Art im Konsens
miteinander besprechen und verabschieden können . Das
wäre schön, es würde mich freuen .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Dr . Harald Terpe spricht jetzt für
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die mehr als ein Jahrzehnt andauernde Auseinandersetzung um Cannabis als Medizin stellte einen Leidensweg
dar für eine Reihe zumeist schwer erkrankter Patientinnen und Patienten mit nahezu unerträglichen Schmerzen
und Angstzuständen, mit Krebserkrankungen oder mit
einem chronischen und an Schwere zunehmendem Leiden .
Zu oft wurde und wird ihnen die Therapie mit Cannabis vorenthalten, oder sie ist individuell nicht bezahlbar . Das ist so, obwohl die Standardtherapie weniger half
oder auch schwere Nebenwirkungen mit sich brachte .
Wir wissen, dass vor allem langandauernde Schmerztherapien zu schweren Nebenwirkungen führen können .
Vielleicht aber hatten die Betroffenen auch einfach die
falsche Grunderkrankung . Denn die Behandlung mit
Cannabis wurde auf wenige Indikationsstellungen beschränkt .
Versuchen Sie einmal, sich in eine Betroffene aus meinem Wahlkreis zu versetzen . Sie hatte infolge einer Kinderlähmung jahrzehntelang schwere Schmerzzustände .
Ihr wurde die Behandlung mit Cannabis - obwohl sie die
Erfahrung gemacht hatte, dass sie ihr gut hilft - vorenthalten . Auch konnte sie diese Behandlung einfach nicht
bezahlen . Ich bin seinerzeit mit einer Krankenkasse ins
Gespräch gekommen . Es war nicht möglich, mit ihr eine
individuelle Lösung herbeizuführen, mit der man über
diese Hürde hätte hinüberkommen können .
Wir als Gesetzgeber sind also diesen Betroffenen lange eine Lösung schuldig geblieben . Man muss sagen,
dass es weder an Gerichtsbeschlüssen noch an Betroffeneninitiativen - es gab davon viele - gefehlt hat . An dieser Stelle sage ich vielen Dank für die Hilfe vonseiten der
Betroffeneninitiativen. Auch an parlamentarischen Initiativen - es waren auch Initiativen von den Bündnisgrünen
dabei - hat es nicht gefehlt . Es gab solche Initiativen zum
Beispiel 2005, 2007 und 2011 sowie auch in dieser Legislaturperiode .
Ich erinnere mich als Teilnehmer an Gesprächen in
der letzten Legislaturperiode im Bundesministerium für
Gesundheit daran, dass wir mit bescheidenem Erfolg zumindest hinter den Kulissen die Zahl derjenigen haben
steigern können, die eine Sondergenehmigung bekommen haben; aber der Erfolg war sehr bescheiden . Und in
dieser Legislaturperiode hat es drei Jahre gedauert, bis
eine gesetzliche Regelung zum Abschluss gebracht werden konnte . Aber ich möchte auch sagen: Chapeau, Frau
Mortler! In einer drogenpolitischen Veranstaltung zu
Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie gesagt: Man
kann sich Cannabis als Medizin vorstellen . - Und nun
liegt ein entsprechender Gesetzentwurf vor .
Es hat sich erfreulicherweise zwischen der ersten und
der zweiten Lesung viel getan . Aus einem rigiden Regierungsentwurf ist im parlamentarischen Verfahren ein
annehmbarer Gesetzentwurf geworden . Die Kritik nahezu aller Sachverständigen war offensichtlich ausreichend
überzeugend und hat sozusagen zu einem Umdenken geführt .
Ich begrüße daher ausdrücklich, dass die Koalitionsfraktionen in ihren Änderungsanträgen klargestellt haben,
dass die Therapieentscheidung für Cannabis als Medizin
beim Arzt liegt und dass eine Nutzen-Risiko-Bewertung
von anerkannten Standardtherapien ermöglicht wird, um
sich für Cannabis als Therapie zu entscheiden, sodass
man nicht erst warten muss, bis Erkrankte konventionell
„austherapiert“ - so heißt das dann - sind .
Auch die Verbesserung bei der Kostenerstattung, die
grundsätzlich erfolgen muss und nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden darf, ist gutzuheißen .
Dass allerdings nach wie vor an der verpflichtenden
Begleiterhebung festgehalten wird, schmälert die Qualität des Gesetzes eigentlich unnötig, zumal eine solche
Regelung im Rahmen des SGB V ein Fremdkörper ist;
denn bisher bedarf es keiner Gegenleistung, wenn man
eine Leistung bekommt . Meine Erwartung ist, dass wir
nach der Verabschiedung des Gesetzes die Diskussion
um eine valide, unabhängige wissenschaftliche Begleitforschung fortsetzen und auf eine freiwillige Basis stellen, um zu evidenten Ergebnissen hinsichtlich der Cannabistherapie zu gelangen . Die Diskussion ist also noch
nicht beendet .
Ich darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch eine
weitere Erwartung äußern . Sie bezieht sich auf die lauHilde Mattheis
fenden Verfahren gegen Patientinnen und Patienten, in
denen Cannabis aus medizinischer Indikation angewendet wurde und die im Geiste der neuen Gesetzlichkeit
nicht zum Nachteil der Betroffenen ausgehen sollten.
Ich denke, das Gesetz stärkt zum Wohle der Patientinnen und Patienten die Therapiefreiheit der ärztlichen
Behandler und ermöglicht, unbürokratisch angewandt,
die Kostenerstattung . Unsere Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen . Möge das Gesetz zu
einer Wiedergutmachung durch besonnene Anwendung
in der Praxis beitragen!
({0})
Vielen Dank . - Als Nächstes spricht Karin Maag,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Jeder und jede von Ihnen, von uns hat verschiedenste Patientengruppen im Rahmen seiner Tätigkeit oder generell, zu denen er oder sie eine besondere Beziehung entwickelt hat . Bei mir sind es die neurologisch erkrankten
Menschen, insbesondere die Kinder, aber auch Patienten
mit chronischen Schmerzen und Menschen in der Palliativversorgung . Gerade deswegen liegt mir dieses Gesetz
persönlich sehr am Herzen; denn mit diesem Gesetz erreichen wir eine bessere Versorgung auch dieser Patienten mit weiteren cannabishaltigen Arzneimitteln in - das
ist mir ganz wichtig - standardisierter Qualität .
Das ist übrigens auch der rote Faden für mich in diesem Gesetz. Es geht nicht um „Kiffen auf Rezept“, wie
keine Berliner, sondern eine andere Tageszeitung in der
letzten Woche formulierte . Wir wollen eine weitere Behandlungsalternative, eine medizinische Behandlungsalternative, eröffnen und gleichzeitig den - aus meiner
Sicht - nicht zielführenden Eigenanbau verhindern, weil
es um eine qualitätsgesicherte Behandlung geht .
Technisch kontrollieren und steuern wir - das haben
Sie gehört - die gesamte Herstellung . Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wird die sogenannte staatliche Cannabisagentur eingerichtet, die den
Bedarf ausschreibt, die Qualität überwacht, aber auch die
gesamte Ernte aufkauft und dann an die Hersteller, an
die Großhändler, an die Apotheken weitergibt . Sie alle
müssen die betäubungsmittel- und vor allem auch arzneimittelrechtlichen Vorschriften einhalten . Das betone
ich deshalb an dieser Stelle, weil es sich sicher nicht um
landwirtschaftlichen Anbau handelt - der eine oder andere hat verschiedene Fragen in diese Richtung erhalten -;
vielmehr geht es um die Herstellung von Arzneimitteln .
Weil wir Menschen helfen wollen, lieber Harald Terpe,
übernehmen wir die Verantwortung für einen Weg, der in
dieser Form neu ist . Sie alle, wir alle wissen ja, wie ein
Medikament in den Behandlungsablauf kommt . Die Arzneimittelhersteller müssen nämlich Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität eines neuen Wirkstoffs anhand
aufwendiger klinischer Studien nachweisen . Bei Cannabis ist die Datenlage dünn . Es gibt - das haben wir in
der Anhörung gehört - kaum evidenzbasierte Nachweise,
dass Cannabis besser geeignet ist als andere Therapien .
Uns allen ist aber auch klar: Die klinischen Eindrücke sind eindeutig . Es gibt ganz generell - das ist uns
bewusst, unter anderem durch eine besondere Petition zu
diesem Thema - bei den Patienten einen hohen Leidensdruck . Es gibt leider viel zu viele Patienten mit schweren Erkrankungen, für die Therapiealternativen fehlen .
Da geht es um schwere Schmerzen durch Krankheiten .
Ich verweise auf die Onkologie, ich nenne die multiple
Skle rose, ich nenne epileptische Anfälle; es geht auch um
chronische Schmerzen . Diesen Menschen wollen wir die
Therapie sicher nicht vorenthalten .
Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Medizinalhanf, getrocknete Hanfblüten und -extrakte, als
Behandlungsalternative etablieren wollen, dann müssen
wir auch die Akzeptanz verbessern - weniger bei den Patienten als vor allem bei den Kostenträgern und bei den
Leistungserbringern, von denen sich relativ viele noch
gar nicht mit dieser Therapieoption beschäftigt haben .
Deshalb sind wir sehr stark auf die in der Anhörung geäußerten Sorgen und Bedenken eingegangen . Wir haben
es gehört: Die Therapiehoheit der Ärzte wurde gestärkt .
Es geht natürlich nicht an, dass der Patient erst langwierige und schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen muss,
bevor der Arzt den Medizinalhanf verordnen darf . Und
der Arzt verordnet ausschließlich aufgrund eigener Prüfung im Einzelfall .
Um den befürchteten Missbrauch - auch dazu gab es
natürlich Stimmen in der Anhörung - so weit wie möglich auszuschließen, muss die Erstverordnung von der
Krankenkasse genehmigt werden . Umgekehrt - natürlich
gibt es auch den Vorwurf der zu rigiden Verfahrensweise
der Kassen bei der Genehmigung - dürfen die Kassen
nur in begründeten Ausnahmefällen im Rahmen der üblichen Frist, in der Regel drei Wochen, ablehnen . Todkranke Menschen in der Palliativversorgung sollen und
können natürlich nicht so lange warten . Da verkürzen wir
die Frist auf drei Tage .
Ich habe es erwähnt, meine Damen und Herren: Die
wissenschaftliche Datenlage ist dünn . Selbstverständlich brauchen wir weitere Erkenntnisse, um so eine Entscheidungsgrundlage für die dauerhafte Aufnahme in die
Versorgung zu haben . Es ist gut und richtig, dass beim
BfArM die Daten und Informationen im Rahmen der
vorgesehenen nichtinterventionellen Begleiterhebung
gesammelt werden . Allerdings wollen wir die Patienten,
wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, nicht dazu
verpflichten, an einer solchen Begleitforschung teilzunehmen . Jeder weiß ja, wie es um die Angst vor der
Weitergabe von Behandlungsdaten bestellt ist . Nun ist
geregelt worden, dass keine personenbezogenen Daten
weitergegeben werden, Behandlungsdaten anonymisiert
werden und der behandelnde Arzt die Patienten lediglich
darauf hinweisen muss, dass er diese anonymisierten Daten weitergibt .
Das Wissen aus der Begleiterhebung, lieber Harald
Terpe, ersetzt natürlich keine klinischen Studien . Diese
erstellen in der Regel die pharmazeutischen Unternehmen im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren . Es gibt derzeit auf der Grundlage der beim
BfArM vorhandenen Daten 13 klinische Prüfvorhaben
zu unterschiedlichen Indikationen .
Auch die Regierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst, Herr Kollege Tempel . Das Bundesministerium
für Bildung und Forschung fördert zum Beispiel Forschungsvorhaben zur medizinischen Verwendung von
Cannabis bei Schizophrenie .
Das alles zeigt, dass wir die Therapiemöglichkeiten
auf breiter Front verbessern wollen . Vielen Dank dafür
an das Haus . Ich nennen ausdrücklich Kollegin Zeulner
von der CSU, die sich mit sehr viel Herzblut für dieses
Thema eingesetzt hat; sie befindet sich derzeit im Mutterschutz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von
der Opposition, Sie haben im Ausschuss und hier zum
Teil Zustimmung signalisiert . Es wäre ein schönes Zeichen, dass wir gemeinsam Verantwortung wahrnehmen,
wenn Sie heute alle zustimmen .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Burkhard Blienert .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag vollziehen wir endlich nach langen Jahren einen längst überfälligen Schritt im Bereich der Therapiealternativen .
Einige Hundert Patientinnen und Patienten haben diese
Gesetzesnovellierung herbeigesehnt . Nun können wir
Vollzug melden . Besonders erwähnen möchte ich Herrn
Grotenhermen . Er wird die heutige Debatte wahrscheinlich verfolgen . Er hat sich sehr stark dafür eingesetzt und
auch hier in Berlin einen eindrucksvollen Beitrag dazu
geleistet .
({0})
Wir beschreiten neue Wege . Es ist uns bewusst, dass
nun ein Medikament erstattungsfähig wird, obwohl die
Evidenz nicht vollumfänglich belegt ist. Ich finde aber,
dass dieser Schritt an dieser Stelle richtig und verantwortbar ist .
Ich möchte mich auch für die sachliche Debatte in
der Vergangenheit bedanken: beim Koalitionspartner,
beim Gesundheitsministerium, bei der Geschäftsstelle
der Drogenbeauftragten, aber ganz besonders auch bei
der Opposition . Normalerweise sollten wir zwar im Parlament streiten, aber dass wir an dieser Stelle in dieser
Frage eine konstruktive Debatte hatten und das Gesetz
verbessern konnten, liegt auch an Ihnen . Dafür herzlichen Dank .
({1})
Ich möchte auf drei Aspekte kurz eingehen, die mir
besonders wichtig sind .
Der erste ist die Therapiehoheit des Arztes . Grundsätzlich ist festzuhalten: Wir haben es geschafft, die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen . Wir
geben ihnen mit dieser Regelung die Möglichkeit, Cannabis auf legalem Wege und unabhängig vom Geldbeutel
als Medikament zu beziehen. Wir haben es geschafft und darüber freue ich mich sehr -, das faktische Vetorecht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu
streichen
({2})
und den behandelnden Ärzten somit eine reale Therapiehoheit zu sichern .
({3})
Es wäre höchst problematisch gewesen, die leidenden
Patientinnen und Patienten quasi als Versuchskaninchen
alle Therapieformen durchlaufen zu lassen, bevor ihnen
Cannabis verschrieben werden dürfte, und das, obwohl
der behandelnde Arzt bereits gute Erfahrungswerte diesbezüglich gesammelt hat . Wir werden in den nächsten
Wochen und Monaten die Verschreibungen und Anwendungsgebiete genau beobachten, und wir werden dann
genau sehen können, wie sich die Patientenzahlen und
natürlich auch die Kosten entwickeln werden .
Punkt zwei, die Evidenz . In Hinblick auf Cannabis als
Medizin werden wir in den nächsten Monaten und Jahren Daten und Fakten aus unterschiedlichen Forschungsprojekten bekommen . Daher ist es richtig, dass dafür im
Bundesforschungsministerium entsprechende Haushaltsmittel vorgesehen sind . Die Aktivitäten - da bin ich mir
relativ sicher - werden in den nächsten Jahren eine Dynamik entwickeln, die wir heute noch gar nicht richtig
vermuten können .
Punkt drei, die Versorgungssicherheit . Auch die ist gewährleistet, weil es jetzt schon Produzentinnen und Produzenten gibt, die Cannabis anbieten . Ich bin mir sicher,
dass wir keine Versorgungsengpässe in der nächsten Zeit
zu befürchten haben . Wir werden uns wundern, wie viele Anbieter und Hersteller sich in Deutschland auf dem
Markt tummeln werden .
Zur Versorgungssicherheit zählt aber neben der Produktionsfrage auch die Verschreibungsmöglichkeit . Um
die Versorgung flächendeckend gewährleisten zu können,
müssen nun zudem auch die Ärztinnen und Ärzte umfangreich über die Wirkungsweisen und AnwendungsKarin Maag
gebiete von Cannabis informiert werden . Es darf keinen
Unterschied ausmachen, ob man in der Stadt oder auf
dem Lande wohnt . Deshalb brauchen wir dort Weiterbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen in allen Bereichen .
Im Hinblick auf die Versorgung rate ich daher den
Versorgungspartnern des Rahmenvertrags zudem, sich
auf ein Sonderkennzeichen zur Abgabe dieser Arznei in
Apotheken zu verständigen . Dies macht zukünftig die
Versorgung nachvollziehbar und sicherer . Nicht alles
muss der Gesetzgeber regeln . Ich bin mir sicher, dass alle
Beteiligten an der Stelle gemeinsam Lösungen finden
werden .
Lassen Sie mich aber noch einmal auf den Aspekt der
Legalität von Cannabis als Medizin zurückkommen und
davon ausgehend den Bogen ein bisschen weiter spannen . Wir ermöglichen heute einem Personenkreis den
Zugang zu Cannabis . Wir machen dies, weil wir wissen,
dass diesen Personen damit geholfen werden kann . Wir
begründen unsere Entscheidung auch damit, dass wir
niemanden in die Illegalität, auf den Schwarzmarkt drängen wollen, wo gegebenenfalls die Stoffreinheit bzw. der
exakte THC-Gehalt nicht gewährleistet werden kann, wo
Strafe und Verfolgung, Stigmatisierung und damit auch
sozialer Abstieg drohen . Wir sagen zudem, dass die Therapie nicht vom Geldbeutel abhängen darf . Wir machen
dies alles, obwohl bislang nicht alle Aspekte geklärt sind,
Auswirkungen noch nicht absehbar sind . Aber wir gehen
trotzdem diesen Schritt, und das ist auch gut so .
Ich finde es richtig, dass wir die Entscheidung über
die Einnahme von Cannabis als Medizin nicht mit der
Diskussion um den Alltagsgebrauch vermischen . Das ist
voneinander zu trennen, und das haben wir gemacht . Das
war der richtige Weg .
({4})
Nur die Frage von Cannabis im Alltag bleibt; die hat sich
durch diese Debatte natürlich nicht aufgelöst . Ich bin
mir aber sicher, dass die Diskussionen der letzten zwei
Jahre - insbesondere die Debatte, die wir in den letzten
Monaten sowie gestern im Ausschuss geführt haben und
heute hier führen - und die Erfahrungen in der Zukunft
zu einer Entideologisierung beitragen können, was die
Bewertung von Cannabis betrifft.
({5})
Das wird zukünftige Entscheidungen auf diesem Gebiet
sachlicher und gerechter werden lassen .
Meine Meinung dazu ist praxisorientiert: Wir sollten
als Gesellschaft und auch als verantwortliche Politiker
die Menschen nicht im Stich lassen, die Cannabis konsumieren . Trotz Verbot sind es Millionen in Deutschland,
die Cannabis schon probiert haben oder es regelmäßig
konsumieren . Wir sollten die Debatte von der Seite her
führen: Was hilft den Konsumenten? Das bedeutet: entkriminalisieren, den Konsum regulieren und ihn dadurch
aus der Kriminalität und somit auch aus der organisierten
Kriminalität herausführen .
({6})
Frau Präsidentin, ein letzter Satz dazu: Die Geschichte
um Cannabis ist daher mit dem heutigen Tage nicht beendet, sondern die Geschichte um Cannabis in Deutschland
wird eine Fortsetzung finden.
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Rainer Hajek für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern
war in einer großen deutschen Tageszeitung zu lesen:
„Kiffen auf Rezept“. Nein, das wollen wir nicht, das wäre
es dann ja noch . Die Wahrheit ist: Der Deutsche Bundestag eröffnet mit der heutigen Beschlussfassung über
das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher
und anderer Vorschriften den Zugang zu medizinischen
Cannabisarzneimitteln für Menschen ohne Therapiealternative . Heute ist ein guter Tag .
({0})
Das Gesetz, dessen Titel so sperrig daherkommt, ist
ein großer Schritt hin zu einer angemessenen Arzneimittelversorgung von Patienten mit schweren Erkrankungen wie beispielsweise Krebs, MS und Epilepsie . Bei
diesem Gesetz geht es um die Versorgung von Patienten, die krankheitsbedingt dauerhaft unter schweren und
schwersten Schmerzen oder einschlägigen Nervenkrankheiten leiden . Für diese Menschen kann Cannabis die
medizinische Alternative zu Opiaten sein - mit weniger
Nebenwirkungen und weniger Suchtpotenzial .
Dennoch: Cannabis hat zwei Seiten . Cannabis ist ein
Betäubungsmittel, dessen Konsum - das hat die jüngste
Studie der WHO gerade wieder unterstrichen - zu schweren psychischen Erkrankungen führen kann . Deshalb
geht es hier eben nicht um Kiffen auf Rezept, sondern
um die ärztliche Verordnung von Cannabis in ganz eng
umgrenzten Ausnahmefällen zum Zwecke der Schmerzlinderung - wenn Therapiealternativen wirkungslos waren oder deren Nebenwirkungen zu groß waren .
Es war unser Anliegen, ein Gesetz zu formulieren, das
den Patienten in den Mittelpunkt stellt . Es ist ja so, dass
schon bisher der Zugang zu Cannabisarzneimitteln möglich war . Man benötigte allerdings eine Ausnahmeerlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte . Die Hürden für die Erteilung dieser Erlaubnis
waren so hoch, dass - Stand heute - nur 1 020 Patienten
die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen konnten .
Auch die mit dem Bezug von Cannabis einhergehenden
Kosten für die Schwerkranken sind exorbitant . 540 bis
1 800 Euro pro Monat sind von den betroffenen Patienten
nur schwerlich aufzubringen .
Die Vorteile des Gesetzentwurfs liegen auf der Hand:
Cannabis wird verordnungsfähig . Künftig haben Ärzte das Recht, Cannabis im Einzelfall zu verordnen . Der
Vorteil ist: Patienten werden keine langwierigen Therapiealternativen durchlaufen müssen, um Zugang zu Cannabis im Rahmen der Schmerzbehandlung zu erhalten .
Cannabis wird erstattungsfähig . Krankenkassen dürfen nur in begründeten Ausnahmefällen der ärztlichen
Erstversorgung widersprechen, beispielsweise wenn der
medizinische Nutzen nicht ersichtlich ist . Wir stärken
damit die Therapiefreiheit der Ärzte im Interesse der
Patienten . Für Patienten in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung gilt mit Blick auf ihre besondere Situation eine verkürzte Genehmigungsfrist von drei
Tagen .
Cannabis wird qualitätsgesichert . Wir erhöhen die
Arzneimittelsicherheit, indem wir mithilfe einer Cannabisagentur den Anbau unter medizinischen Bedingungen
forschungsgerecht staatlich strukturieren und zugleich
vor dem Zugriff Dritter schützen.
({1})
Damit stellen wir sicher, dass Cannabis entsprechend
den medizinisch therapeutischen Erfordernissen mit gleichem Wirkstoff angebaut wird und dass das angebaute
Produkt vor Missbrauch geschützt ist .
Also: Von der Verordnung über den Konsum bis hin
zur Erstattung steht das Patientenwohl und nur das Patientenwohl im Mittelpunkt unserer Anstrengungen .
Wir sollten uns aber auch bewusst machen, dass es
derzeit keine hinreichend fundierte Datenlage gibt . Diese Datenlage wollen und müssen wir verbessern . Genau
aus diesem Grund sieht der Gesetzentwurf vor, dass das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
gesetzlich mit einer auf fünf Jahre angelegten Begleiterhebung beauftragt wird . Unser erklärtes Ziel ist es, auf
dieser Grundlage die Kassenleistungen weiterentwickeln
zu können .
Erlauben Sie mir bitte noch eine ganz persönliche Anmerkung . Als vor wenigen Jahren meine Mutter im Alter
von 94 Jahren in ihre letzte Lebensphase eintrat und ihre
Morphindosis mit allen Nebenwirkungen immer weiter
angepasst wurde, hätte ich mir gewünscht, die Möglichkeit zu haben, die unser heute vorgelegter Gesetzentwurf
vorsieht .
({2})
Ich bin hoch erfreut, dass wir mit dem heute zur
Verabschiedung anstehenden Gesetz schwerkranken
Menschen Linderung und Würde in einer schweren Lebensphase verschaffen können. Heute ist ein guter Tag.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Hajek . Das war Ihre erste
Rede, und ich darf Ihnen im Namen aller Abgeordneten
ganz herzlich dazu gratulieren .
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10902, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8965 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Niemand . Wer enthält
sich? - Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? Ich sehe
niemanden . - Wer enthält sich? - Auch niemand . Damit
ist der Gesetzentwurf angenommen .
({1})
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa-
che 18/10902 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6361
mit dem Titel „Zugang zu Cannabis als Medizin umfas-
send gewährleisten“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die der Opposition ange-
nommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 e und
28 h sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:
28 . a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Peter Meiwald, Monika Lazar, Dr . Franziska
Brantner, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Dreizehntes
Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
Drucksache 18/10859
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend
b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur flexi-
blen Aufgabenübertragung in der Justiz
Drucksache 18/9237
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung von Vorschriften im
Bereich des Internationalen Privat- und
Zivilverfahrensrechts
Drucksache 18/10714
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vorschlag für einen Beschluss
des Rates über die Unterzeichnung des
Abkommens zwischen der Europäischen
Union und der Regierung von Kanada
über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Europäischen Union und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des
Abkommens zwischen der Europäischen
Union und der Regierung von Kanada
über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts
Drucksache 18/10808
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes
Drucksache 18/10818
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
h) Beratung des Abschlussberichts der Kom-
mission Lagerung hoch radioaktiver Abfall-
stoffe
Verantwortung für die Zukunft
Ein faires und transparentes Verfahren
für die Auswahl eines nationalen Endla-
gerstandortes
Drucksache 18/9100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Kühn ({5}), Peter Meiwald,
Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Holzbau und das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen stärken
Drucksache 18/9803
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Peter Meiwald, Nicole Maisch, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innenraumluft sauber halten - Partikelfreisetzung aus Laserdruckern beenden
Drucksache 18/10874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . - Ich sehe, Sie sind damit alle einverstanden .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c sowie
die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf . Auch hierbei handelt
es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 29 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr . Kirsten Tackmann,
Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
Drucksache 18/9034
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({7})
Drucksache 18/10273
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Sonderfahrzeuge,
die in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt sind, zukünftig von der Kraftfahrzeugsteuer auch dann befreit
sein sollen, wenn diese Fahrzeuge auch für Verwendungszwecke außerhalb der Land- und Forstwirtschaft
geeignet und bestimmt sind .
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10273, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9034
abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Das ist die
Fraktion Die Linke . Wer stimmt dagegen? - Das ist der
Rest des Hauses . Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt . Nach unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Tagesordnungspunkt 29 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflösung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und zur Änderung
weiterer Gesetze ({8})
Drucksache 18/10008
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({9})
Drucksache 18/10894
Durch die Abschaffung des Branntweinmonopols zum
31 . Dezember 2017 entfällt dessen Verwaltung vollständig . Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ist
daher aufzulösen .
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10894, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10008 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen aller angenommen .
Tagesordnungspunkt 29 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
21. Dezember 2015 über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan
andererseits
Drucksache 18/10212
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({10})
Drucksache 18/10715
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10715, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10212 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Opposition angenommen .
Zusatzpunkt 5 a:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer
Gebäude- und Wohnungszählung 2021
({11})
Drucksachen 18/10458, 18/10484
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({12})
Drucksache 18/10880
- Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10881
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10880, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10458 und
18/10484 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion Die Linke . Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Zusatzpunkt 5 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({14})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eva BullingSchröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Fortsetzung der Braunkohlesanierung in
den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr
- zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Stephan Kühn ({15}), Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Braunkohlesanierung durch die Lausitzer
und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH fortsetzen
Drucksachen 18/8112, 18/8396, 18/10505
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8112 mit dem Titel
„Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern
Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
nach dem Jahr 2017“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen . Wer
ist dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die StimVizepräsidentin Ulla Schmidt
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8396 mit dem Titel „Braunkohlesanierung durch die Lausitzer und Mitteldeutsche
Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH fortsetzen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .
Zusatzpunkt 5 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({16})
zu dem Antrag der Abgeordneten Beate WalterRosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zukunft machen
Drucksachen 18/8259, 18/10858
- Wir haben jetzt schon 2017, aber nun gut .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10858, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8259
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der
Filmförderungsanstalt gemäß § 6 Absatz 1
Nummer 1 des Filmförderungsgesetzes ({17})
Drucksache 18/10867
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Wahlvorschläge sind
einstimmig angenommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Außenpolitische Auswirkungen der US-Truppenverlegungen nach Osteuropa „Atlantic Resolve“
Ich eröffne die Aussprache. Zu Beginn hat das Wort
der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke .
({0})
Was kann ich denn tun, um die Spannung noch zu erhöhen?
({0})
Ich gebe mir Mühe .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die USA sind
dabei, 4 000 Soldaten an die Westgrenze Russlands zu
verlegen . Die Bundeswehr leistet logistische Unterstützung . Das, was die USA in Szene setzen, das, was von
der Bundeswehr, also von unserem Land, unterstützt
wird, hat Außenminister Steinmeier in einer vernünftigen Presseerklärung als Säbelrasseln und Kriegsgeheul
bezeichnet .
({1})
Ich finde, er hat recht. Das ist Säbelrasseln und Kriegsgeheul . Das ist Kalter Krieg . Ich möchte gern, dass in
unserem Land und auch in Russland verstanden wird,
dass es in Deutschland genügend Menschen gibt, die sich
der Neuauflage des Kalten Krieges widersetzen. Das ist
ganz wichtig, um eine europäische Entspannungspolitik
in Gang zu bringen .
({2})
Die schriftliche Umsetzung dessen, was Herr
Steinmeier hoffentlich - wir werden ja sehen - und vor
allen Dingen wir als Säbelrasseln und Kriegsgeheul verstehen, können Sie heute in den Artikeln über die Rede
unseres Bundespräsidenten nachlesen . Was dort bezüglich Aufrüstung formuliert wird, ist Kriegsgeheul und
Antientspannungspolitik .
({3})
Solch einen Präsidenten braucht unser Land nicht . Diese
Ära ist ja auch bald vorbei .
Es gibt im Übrigen keinen Zwang, den amerikanischen
Wunsch zu erfüllen, die 4 000 Soldaten, die im Rahmen
der Aktion Atlantic Resolve zusätzlich zu dem, was die
NATO in Warschau beschlossen hat, in Polen und den
baltischen Ländern stationiert werden, durch die Bundeswehr zu unterstützen . Das, was die Bundeswehr macht,
ist ein Bruch von Verträgen, namentlich des Zwei-plusVier-Vertrages . Es gibt keinen Zwang, Beihilfe zu dem
Einsatz zu leisten .
({4})
Im Übrigen gibt es einen spannenden Aspekt, mit
dem man sich mehr auseinandersetzen sollte: Es gibt einen noch immer gültigen Freundschaftsvertrag, der damals zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik
Deutschland geschlossen worden ist .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Diese Verträge sind gültig . Diese Verträge verbieten
ein solches Vorgehen . Ich bin dafür, dass man sich an
Verträge hält .
({5})
- Übrigens, das Potsdamer Abkommen ist auch gültig .
Ja, es ist gültiges Recht .
({6})
- Es ist gut, dass Sie das anmerken . Es wäre auch gut,
wenn man dies an Ihrer Politik erkennen könnte . Das
wäre noch viel besser .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte, dass im
Bundestag und viel mehr in der Gesellschaft festgehalten
und verstanden wird, dass Entspannung in Europa nur
Entspannung mit Russland und nicht ohne oder gegen
Russland sein kann .
({8})
Sie glauben doch nicht, dass diese Aktionen von Russland als Friedenserklärung gewertet werden . Wenn man
heute mit Russland wieder Kalten Krieg anfängt, zerstört
man unendlich viel, was über Jahrzehnte aufgebaut worden ist . Ich möchte nicht, dass das zerstört wird .
({9})
Die NATO selbst hat in der Region übrigens 6 000 Soldaten, davon je 1 000 Soldaten in Litauen, Lettland, Estland und Polen, stationiert . Man muss sich schon die
Frage stellen, ob das für die betroffenen Länder mehr
Sicherheit oder weniger Sicherheit bedeutet .
({10})
Ich bin dafür, dass diese Länder - wie auch alle anderen
in Europa - in Sicherheit existieren und leben können .
({11})
Ich glaube, dass diese Politik nicht mehr Sicherheit, sondern weniger Sicherheit bietet .
({12})
Wir schlagen etwas anderes vor . Wir setzen uns dafür
ein, dass diese Länder - gerade vor dem Hintergrund ihrer Geschichte, die sehr schwierig ist, was das Vorgehen
der Sowjetunion und anderer angeht - darüber nachdenken und debattieren sowie ein Verständnis dafür entwickeln, dass sie nicht Bollwerke gegen Russland, sondern
Brücke zu Russland sein sollten. Das wäre eine effektive Sicherheitspolitik, die man bestärken und entwickeln
sollte .
({13})
Nach der Vorstellung der Linken von einem gemeinsamen europäischen Haus braucht dieses Haus keine
Waffen, keine Gewalt, keine Bollwerke, sondern offene
Türen und offene Fenster. Es soll ein offenes Haus sein.
Wenn man ein offenes Haus will, dann muss man etwas
dafür tun .
Ich möchte zum Schluss die Gelegenheit nutzen, eine
Anmerkung zur morgigen Amtseinführung des neuen
amerikanischen Präsidenten, die von vielen zu Recht,
wie ich denke, mit Ängsten und Vorbehalten betrachtet
wird, zu machen . Ich möchte, dass der Bundestag dem
neuen amerikanischen Präsidenten sagt: Setzen Sie ein
Zeichen! Ziehen Sie die amerikanischen Atomwaffen aus
Deutschland ab! Das wäre ein ganz wichtiger Schritt .
({14})
Wir sagen auch: Setzen Sie ein weiteres Zeichen! Schließen Sie Ramstein und das AFRICOM in Stuttgart! Wir
wollen, dass auch die USA endlich ihrer weltweiten Verantwortung für Entspannung gerecht werden . Das ist das,
was wir dem neuen Präsidenten sagen müssen . Wenn das
der gesamte Bundestag sagen würde, hätte das sogar etwas Gewicht .
Herzlichen Dank .
({15})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Roderich
Kiesewetter .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind heute
wieder mal Zeuge einer Desinformationsstrategie in einem tiefroten Salonplauderstil geworden .
({0})
Diese Rechnung geht aber nicht auf, weil Sie keine Fakten erwähnt haben, sondern Befindlichkeiten, weil Sie
keine Tatsachen genannt haben, sondern von „Wünsch
dir was“ gesprochen haben, lieber verehrter Herr Kollege Gehrcke . Ich möchte das ein bisschen einordnen . Das
Thema verdient keine Polemik, sondern wir sollten es in
aller Nüchternheit und Sachlichkeit aufgreifen .
Ich möchte an dieser Stelle klarmachen:
Erstens . Es handelt sich um eine langangekündigte
Übung - Atlantische Entschlossenheit, Atlantic Resolve -, die im Jahr 2014, nach der völkerrechtswidrigen
Besetzung der Krim durch Russland, geplant wurde . Der
erste Vertrag, den Sie gerne eingehalten hätten, ist durch
Russland gebrochen worden und niemanden sonst; es
handelt sich um das Budapester Memorandum .
({1})
Vertragstreue ist auf der Seite nicht gegeben .
({2})
Zweitens . Die NATO-Russland-Grundakte sieht die
Unverletzlichkeit der Grenzen vor . Die Grenzen wurden
durch Russland verletzt, indem die Ukraine destabilisiert
wurde und indem ein Teil der Ukraine annektiert wurde .
Auch hier haben Sie das Falsche behauptet .
Drittens - um die Größenordnung deutlich zu machen -: Seit 2014, also seit der Besetzung der Krim,
befindet sich Russland in einem Dauerübungsmodus.
Insgesamt zwölf Übungen mit 38 000 bis 95 000 Soldaten, zuletzt im September 2015, hat Russland angesetzt,
teilweise über 5 000 bis 6 000 Kilometer Entfernung,
und jedes Mal unter Beteiligung nuklearer Planungen .
All das war nicht angekündigt . Diese NATO-Übung ist
transparent, offen, angekündigt, und sie dient in allererster Linie dem Rückhalt, der Rückversicherung unserer
NATO-Mitglieder .
Ich möchte besonders herausstreichen: Diese Übung
ist auf Wunsch des Baltikums entstanden und vom
NATO-Rat verabschiedet worden . Die letzte vergleichbare Übung war 1988 . Um auch hier die Dimension zu
zeigen: Damals sind über 100 000 US-amerikanische
Soldaten im Namen von Reforger nach Europa verlegt
worden und haben zwei Wochen geübt . Seit 1990 haben
die europäischen NATO-Staaten ihre Verteidigungsanstrengungen um 25 Prozent und die Verteidigungsausgaben um 9 Prozent reduziert . Das heißt, in Mitteleuropa
wurde regelrecht abgerüstet .
Erst mit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim
und den großen Bitten aus dem Baltikum und den Visegradstaaten hat die NATO 2014 einen Kurswechsel
vollzogen . Merken Sie wohl: in Reaktion auf das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands .
({3})
Das sind große Unterschiede . Was Sie hier unserer
Öffentlichkeit sagen, ist schlichtweg falsch. Das ist Irreführung .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, worauf
kommt es uns an?
Erstens . Diese Übung ist ein Baustein von vielen, die
der gegenseitigen Rückversicherung dienen . Es sind die
Übungen . Es ist eine Reform im NATO-Hauptquartier .
Es dient sehr viel in dem Bereich, was Deutschland, die
Rahmennation, leistet, dazu, kleineren NATO-Partnern
und EU-Partnern Mitarbeit zu ermöglichen . All dies sind
Zeichen, dass das verantwortungsbewusste Vorgehen
Deutschlands dazu beiträgt, die kleineren und finanziell
nicht so stark aufgestellten Staaten in eine gemeinsame
Sicherheitspolitik einzubeziehen . Das leisten wir gemeinsam vorbildlich mit den Niederlanden, Frankreich
und vielen anderen Staaten .
Zweitens . Wir brauchen innerhalb der Europäischen
Union und der NATO-Staaten viel mehr Zusammenhalt .
Das gelingt uns, indem wir Verfahren standardisieren .
Wir brauchen nicht sechs Kampfpanzertypen, es reicht
einer . Wir brauchen nicht vier verschiedene Schützenpanzertypen, es reicht einer . Wir brauchen nicht 16 verschiedene Lkw-Typen, es reicht einer . In diese Richtung
muss es gehen . Das 2-Prozent-Ziel ist sicherlich erstrebenswert . Aber viel wichtiger, als 2 Prozent zu investieren, ist, erst einmal zu standardisieren, die Zusammenarbeit zu verbessern .
Drittens . Es gilt, auch die Zahlen zu vergleichen . Die
Bundesrepublik Deutschland wendet 1,3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auf, Russland
5,4 Prozent .
({4})
Auch das sind eindeutige Angaben . Wir müssen nicht
Russland nacheifern .
Russland versucht doch ganz geschickt, Angst und
Unsicherheit zu streuen und den Zusammenhalt zu
schwächen, damit die baltischen Staaten oder auch Polen
darauf drängen, dass die NATO mehr aufrüstet . Das brauchen wir nicht . Wir müssen die Verteidigungsanstrengungen intensivieren, indem wir Übungen durchführen und
Präsenz zeigen . Das machen wir mit der Übung Atlantische Entschlossenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Sie reduzieren das ganze Thema auf Aufrüstung . Das
ist doch gar nicht Ihr Thema . Mich wundert, dass Sie
nicht andere Brücken schlagen wollen . Es ist doch jetzt
absehbar, dass wir auf diplomatischer Bühne mit Russland und dem Nahen und Mittleren Osten wieder ins
Benehmen kommen . Der Wiederaufbau des Nahen und
Mittleren Ostens wird sicherlich mit den Golf-Geldern
vollzogen werden, aber doch mit europäischem Knowhow und hoffentlich unter Einbindung Russlands. Russland muss sich von seiner militärischen Intervention dort
lösen und alles dafür tun, dass Assad abgelöst wird, ein
demokratisches Syrien entsteht und der Wiederaufbau
möglich wird, sodass Hunderttausende, ja Millionen
Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können . Dort
können wir den Dialog führen .
({5})
Das schaffen wir, indem wir Russland zeigen: Die EU ist
entschlossen . Europa, die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada arbeiten zusammen . Der transatlantische Zusammenhalt ist gegeben . Es gibt keine Zonen
unterschiedlicher Sicherheit . Zwischen uns passt kein
Blatt Papier .
({6})
Aus dieser Position der Stärke heraus können und müssen wir auf Russland einwirken .
({7})
Wir dürfen keine neue Aufrüstungsspirale in Gang setzen, sondern müssen durch kluge Übungen, starken
Zusammenhalt und politische Initiativen die nötigen
Anknüpfungspunkte suchen . Konzentrieren müssen wir
uns auf die Umsetzung des Abkommens von Minsk für
Russland und die Ukraine sowie auf den Wiederaufbau
der Region zwischen Syrien und dem Persischen Golf .
Dazu dient im weitesten Sinne auch diese Übung . Es geht
um Rückversicherung und einen Blick voraus .
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser
Tage versucht die ausgehende US-Administration, noch
einmal Fakten zu schaffen. Obama sperrt weite Teile der
Arktis als Naturschutzgebiet, er begnadigt die Whistleblowerin Chelsea Manning,
({0})
und er schickt eine Rückversicherungstruppe nach Osteuropa . Die USA schicken 4 000 Soldaten nach Polen,
Estland, Lettland und Litauen, in genau die Länder, zu
denen Donald Trump im Wahlkampf gesagt hat: Wenn
sie für die Sicherheit durch die USA nicht bezahlen, dann
sollen sie doch selber dafür sorgen .
Ich glaube, dass diese Truppenverlegung ein richtiger
Schritt ist .
({1})
Offiziell soll die Verlegung ja dem Frieden und der Stabilität dienen . Aber in Wirklichkeit ist das nichts anderes, als dass man eine Rückversicherung gibt . Diese
Rückversicherung ist einfach notwendig, und zwar nicht
wegen der militärischen Bedrohung des Baltikums, wie
einige behaupten, sondern es geht darum, den Zusammenhalt des gemeinsamen Europa innerhalb der NATO
zu sichern .
({2})
- Darum geht es .
Das ist eine Antwort auf verschiedene Personen, die
in diesen Tagen politisch aktiv sind . Das hat nichts oder
wenig mit Aufrüstung zu tun . 4 000 Soldaten, das sind
so viele Menschen, wie in Nikolausberg, einem Stadtteil
von Göttingen, leben . Dass sich das größte Land der Welt
davon bedroht fühlt, kann man nicht ernsthaft glauben .
({3})
Wenn die USA 2 000 Fahrzeuge in Osteuropa parken,
wird dies Osteuropa nicht sicherer und Russland nicht
unsicherer machen .
Ich bin ja bei Ihnen, meine Damen und Herren von
der Linkspartei, wenn Sie sagen: Wir müssen alles tun,
um die taktischen Atomwaffen abzuziehen; wir müssen
alles tun, um wirklich zu Schritten nuklearer Abrüstung
zu kommen . - Aber an dieser Stelle von Aufrüstung zu
reden, heißt doch wirklich, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen .
({4})
Es geht um etwas anderes . Es geht darum, dass wir an
der NATO-Russland-Grundakte stur festhalten, an dem,
was wir mit Russland vereinbart haben . Das heißt: keine
dauerhafte Stationierung .
({5})
Das heißt gleichzeitig, immer wieder den Dialog mit
Russland zu suchen . Diese beiden Dinge gehören zusammen . Deswegen ist es richtig, dass Frank-Walter
Steinmeier gesagt hat: Wenn man diese Dinge nicht zusammenhält, dann landet man beim Säbelrasseln . - Das
war eine Kritik unter anderem an seiner Kabinettskollegin Ursula von der Leyen .
Aber das ist auch gleichzeitig eine Botschaft an viele
unserer osteuropäischen Partner . Es ist unter der PiS-Regierung in Polen populär geworden, zu sagen: Wir verteidigen unsere Souveränität . - Die Wahrheit ist: Die polnische Souveränität wird sich genauso wie die lettische und
übrigens auch die deutsche nur gemeinsam verteidigen
lassen .
({6})
Das ist ein praktisches Dementi dieses Rückzugs auf
den Nationalstaat, der so populär geworden ist in den
Zeiten des Donald Trump .
({7})
Nur gemeinsam sind wir souverän . Deswegen ist das
Wohl und Wehe von uns Europäern untrennbar miteinander verknüpft . Es geht um gemeinsame Sicherheit, um
gemeinsame Freiheit und um gemeinsamen Wohlstand dies nicht in Feindschaft, sondern in Partnerschaft mit
unseren Nachbarn in Russland .
Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir uns diese
politische Rückversicherung wirklich klarmachen . Denn
glaubt man Donald Trumps Interviews, ist die NATO
eine reine Geschäftsbeziehung . Sie wird nach Vorteilen
und Nachteilen abgewogen .
Dahinter steckt noch eine weitere Überlegung . Wenn
ich ihn richtig verstanden habe, ist er der Auffassung - er
hofft und er setzt darauf -, dass Europa auseinanderfällt.
Ich verstehe das aus seiner Sicht . Wer die Welt sozusagen
für eine einseitige Standortpolitik ausrichten will, freut
sich natürlich darauf, wenn er es nur noch mit Staaten wie
Mexiko zu tun hat und wenn er Tschechien, Italien und
andere genauso behandeln kann . Das kann er mit einem
politischen Organismus, einer politischen Entität wie der
Europäischen Union mit 440 Millionen Bürgerinnen und
Bürgern nach dem Brexit nicht tun . Deswegen müssen
wir Europa und wir Europäer zusammenhalten . Das ist
der Kern, um den wir an dieser Stelle streiten .
({8})
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen .
Ich sehe bei Donald Trump noch ein weiteres Motiv . Er
möchte, dass wir mehr Geld für Rüstung ausgeben . Ich
will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Europa, die europäischen NATO-Mitglieder geben ungefähr dreimal so
viel für Rüstung aus wie Russland . Ich sehe da keinen
Bedarf .
Ich kann, ehrlich gesagt, nicht verstehen, dass innerhalb der Koalition an dieser Stelle Ruhe herrscht .
Ich habe dieser Tage gehört, dass es einen Streit geben
soll, wie man mit den Überschüssen aus dem Haushalt
umgehen soll . Die einen waren für Investitionen - das
finde ich eigentlich vernünftig -, die anderen waren für
Schuldentilgung . Jetzt kommt Ursula von der Leyen in
Davos mit der neuesten Idee . Sie möchte 24 Milliarden
Euro - das ist der Betrag, der gebraucht würde, um das
2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen - zusätzlich in
Rüstung stecken .
({9})
Meine Damen und Herren, das schafft nicht mehr
Sicherheit. Das schafft nicht mehr Zusammenhalt. Das
schafft nur mehr Geldverschwendung. Deswegen sollten
wir das unterlassen .
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Hellmich
für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese sehr aufgeregte Debatte, die von dem einen oder
anderen im Lauf der letzten Tage zielgerichtet in einzelne Städte in diesem Land getragen worden ist - entlang
einer Strecke, über die die USA mit Unterstützung der
Bundeswehr, der Bundesrepublik und ihrer Länder ihren
Transport verlegt -, wäre aus meiner Sicht besser mit den
realen Fakten unterlegt, um die es geht . Die Fakten, die
an anderer Stelle dargestellt werden, entsprechen nicht
den Tatsachen .
Tatsache ist eben nicht, dass es sich um Vertragsbrüche handelt, sondern Tatsache ist, dass sich dieses genau
im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Vertrages, im Rahmen
des NATO-Truppenstatuts und im Rahmen des Vertrags
„Partnership for Peace“ - 1994 beschlossen und vereinbart von der NATO und anderen Staaten, auch Russland - bewegt . Um nichts anderes geht es da . Das heißt:
Das ist kein Rechtsbruch .
({0})
Dann sage ich, bevor die Frage gestellt wird: Alles
das, was dort steht, und alle Regelungen, die dort getroffen worden sind, werden mit den Ländern vereinbart und
mit den Ländern in der Bundesrepublik organisiert .
Also geht es im Kern - der Kollege Trittin hat es genannt - in der Tat darum, die Einheit des Westens zu
garantieren, diese zu erhalten, dies mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen . Der Satz: „So viel Sicherheit wie
nötig und so viel Dialog und Kooperation wie möglich“
gilt nach wie vor, wird weiter gelten . Das ist in den Warschauer Beschlüssen des NATO-Gipfels niedergelegt .
Was den Begriff des Säbelrasselns angeht: All das hat
dazu geführt, wie der Kollege Mützenich es formuliert
hat, dass der Säbel in der Scheide stecken geblieben und
nicht aus der Scheide herausgeholt worden ist .
Diese Kooperation und die Rückversicherung sind
dringend notwendig, um die Einheit des Westens zu erhalten . Diese Überzeugung ist in den Debatten in den
USA aber sehr ins Wanken geraten . Wir haben nun Gelegenheit, konkret über die NATO nachzudenken . Auf der
einen Seite hören wir die Aussagen des künftigen amerikanischen Präsidenten und auf der anderen Seite die
Aussagen seiner künftigen Minister Tillerson und Mattis,
die ein klares Bekenntnis zur NATO als Schutzbündnis
abgelegt haben .
Wir werden diese Debatte nicht nur verfolgen, sondern, ich denke, gerade wir als Parlamentarier werden
uns über die Parlamentarische Versammlung der NATO
und auf anderem Weg auch in die Debatten einbringen
und betonen, dass es uns darum geht, die NATO als eine
notwendige Plattform des Dialoges und als notwendigen
Bestandteil eines breiter angelegten Engagements für
Frieden und Sicherheit in dieser Welt zu stärken .
Nennen wir mal die Revitalisierung des Wiener Dokumentes! Fragen wir mal: Sind 4 000 amerikanische Soldatinnen und Soldaten in der Lage, einen Angriffskrieg
zu führen? Das kann wirklich keiner behaupten . Wir
halten uns an den KSE-Vertrag . Das kann man von der
anderen Seite nicht sagen, weil die drei Divisionen, denen die 4 000 amerikanischen Soldatinnen und Soldaten
gegenüberstehen, nach dem KSE-Vertrag gar nicht an der
Grenze dort stationiert sein dürften .
Es geht hier nicht um die Vorbereitung eines Angriffskrieges, wie Sie von den Linken das an dieser Stelle
gerne behaupten . Das muss man klarmachen, und man
muss den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder sagen: Es geht an der Stelle um die
Herstellung von Sicherheit und gleichzeitig um die Eröffnung der Möglichkeiten eines Dialoges mit der EU
und der OSZE über die NATO, und zwar mit den Instrumenten der NATO - auf gar keinen Fall mit einer vertragswidrigen Stationierung von neuen Atomwaffen in
der Verantwortung Europas, an der die Bundesrepublik
beteiligt wäre . Das wäre - das sage ich an den Kollegen
Kiesewetter gerichtet, von dem ich so etwas, glaube ich,
dieser Tage gelesen habe - der garantiert falsche Weg .
Mehr Verantwortung Europas für die eigene Sicherheit und auch mehr Vertrauensbildung: Ja, das ist wichtig . Europa und die europäischen Länder brauchen eine
stärkere Rolle . Sie müssen intensiver kooperieren und
zusammenarbeiten, die konkret mit der NATO vereinbarte Arbeitsteilung und Zusammenarbeit mit entsprechenden Maßnahmen unterlegen sowie sich gleichzeitig aktiv
an den Instrumenten beteiligen, die zur Eröffnung eines
Dialogs mit allen anderen beteiligten Ländern und zur
Vertrauensbildung geeignet sind .
Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, hat einen sehr bemerkenswerten Vorschlag gemacht, der, wie ich glaube, verfolgt werden sollte: Warum richten NATO und Russland nicht gemeinsam
ein rund um die Uhr besetztes Krisenreaktionszentrum
auf neutralem Boden ein, mit dem man in jeder Situation - an welcher Stelle auch immer Krisen ausbrechen sehr schnell kooperieren und miteinander reden kann?
Ich glaube, mit diesen Instrumenten und Maßnahmen zur
Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle könnte eine
Plattform gebildet werden, auf der wir mehr Frieden in
dieser Welt erreichen können .
Konkret: Ich erwarte mir von der Münchner Sicherheitskonferenz eine Menge an Initiativen und Diskussionen an dieser Stelle . Die amerikanische Administration,
alle europäischen Länder und viele Staatschefs werden
dort vertreten sein . Ich glaube, das ist der Ort, wo wir mit
solchen Vorschlägen in die konkrete Diskussion gehen
müssen . Wir werden unsere Vorschläge dort einbringen .
Diejenigen, die dort sind, werden das tun . Ob das auch
die Vertreterinnen und Vertreter der Linken sein werden?
Wir werden es sehen .
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben .
({1})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Elisabeth
Motschmann .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Aufrüstung, Kriegsgeheul, Säbelrasseln, Kalter Krieg,
Kriegsvorbereitung: Das alles haben wir von den Linken
gehört .
({0})
Diese Einschätzungen, lieber Herr Gehrcke, sind komplett falsch .
({1})
Die Verlegung von Truppen nach Osteuropa ist eben
keine Aktion, sondern eine Reaktion ({2})
eine Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der
Krim durch Russland und natürlich auch auf den ebenfalls von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine .
Dazu sagt Wolfgang Eichwede, langjähriger Leiter der
Forschungsstelle Osteuropa - ich zitiere -:
Mit der russischen Aggression gegen die Ukraine
haben wir . . . eine neue Situation . Indem die Großmacht Russland mit Gewalt Grenzen verändert, hat
sie das Grundprinzip der Entspannungspolitik - Gewaltverzicht - aufgehoben . . . Die Folge ist Instabilität . Diese wird bei Balten und Polen noch viel dramatischer empfunden als hier in Deutschland .
Ein kluges Zitat . Ich kann Ihnen nur aus eigener Anschauung sagen, dass zum Beispiel die Balten sehr empfindlich im Hinblick auf das sind, was sie an sowjetischer
und natürlich auch an nationalsozialistischer Okkupation
erlebt haben .
({3})
Mit Säbelrasseln, so wie es übrigens auch Sahra
Wagenknecht und Gauland formulieren - die beiden sind
sich manchmal unglaublich ähnlich in ihren Formulierungen;
({4})
ich könnte sie Ihnen jetzt vorlesen, aber das will ich gar
nicht -, hat der Truppeneinsatz in Osteuropa nichts zu
tun .
({5})
- Schön, dass Sie sich aufregen. Dann trifft Sie der Vorwurf .
Ich sage Ihnen noch einmal - das ist schon angeklungen -: Die NATO-Partner Polen, Litauen, Lettland und
Estland haben um diesen Schutz gebeten .
({6})
Deshalb kommt es zu einer Verlegung einer Panzerbrigade der US-Armee nach Mittel- und Osteuropa . So ist
es auf dem NATO-Rat beschlossen worden . Die Bundeswehr unterstützt das; das haben Sie, Herr Gehrcke,
gesagt. Aber im Gegensatz zu Ihnen finde ich diese Unterstützung großartig . Ich danke unseren deutschen Soldaten .
({7})
- Ja, das sage ich auch in Bremerhaven . Das hat meine
Kollegin Bettina Hornhues übrigens auch gemacht . Sie
ist dagewesen und hat den Soldaten gedankt .
({8})
Der Ministerpräsident von Brandenburg und Polenbeauftragte der Bundesregierung, Dietmar Woidke, sieht
den Einsatz kritisch .
({9})
Es hilft uns nicht weiter
- sagt er -,
wenn Panzer auf beiden Seiten der Grenze auf und
ab fahren .
({10})
Er sieht darin eine Verschlechterung der Beziehungen zu
Russland .
({11})
Beides ist falsch . Er befürchtet, dass es künftig nicht
mehr zum Dialog kommt . Auch das ist falsch . Natürlich
wird es weiter zum Dialog kommen müssen . Natürlich
werden Gesprächskanäle offengehalten werden müssen.
Natürlich müssen wir die Brücken zu Russland weiter
bauen .
Aber wer sich zum Beispiel über den Einsatz dieser
Soldaten - egal, ob es amerikanische, deutsche oder niederländische sind - lustig macht, indem er davon spricht,
dass Panzer auf und ab fahren, der schwächt nicht nur
unsere Position, sondern der verunsichert auch die Soldaten im Einsatz. Das finde ich nicht in Ordnung. Das ist
unverantwortlich .
Die Fraktion der Linken hat noch weitere Vorschläge gemacht: Auflösung der NATO, eine eigenständige
europäische Verteidigungspolitik und ein kollektives Sicherheitssystem unter Einbindung Russlands . Das zeigt
eine erstaunliche Nähe zu den Äußerungen von Donald
Trump, der die NATO ja für obsolet hält .
({12})
Seltsam, mit wem Sie bezüglich Ihrer Positionen koalieren. Mit Blick auf Amerika darf man hoffen, dass die
Bündnistreue trotz der Äußerungen von Trump bestehen
bleibt . Mit Blick auf die Linken bin ich da nicht so sicher .
Da kann ich nur hoffen, dass Sie nie Regierungsverantwortung übernehmen .
({13})
- Keine Sorge, ich bin ganz entspannt; Sie sollten es auch
sein .
Ich möchte mit einem Gedanken von Joachim Gauck
aus seiner gestrigen Rede, die ich sehr gut fand, schließen . Er sagte:
. . . die Aussage, es könne niemals eine militärische
Lösung geben, klingt gut und ist gut, allerdings nur,
solange sich beide Seiten an diese Maxime halten .
({14})
Da hat er genau recht . Weil man das mit Blick auf Russland nicht weiß - wir haben ja gesehen, was passiert ist -,
ist dieser Einsatz gut und dringend nötig, und ich meine,
an dieser Stelle dürfen wir dann auch einmal positiv sagen: Danke, Amerika!
Vielen Dank .
({15})
Als Nächster spricht der Kollege Thomas Nord, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Debatte zum
25 . Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages sagte ich hier am 23 . Juni 2016:
Wer eine Politik der friedlichen und nachhaltigen
Koexistenz sowie ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands anstrebt,
- ich weiß gar nicht, warum man das nicht anstreben
sollte kann und darf nicht aus den Augen verlieren, dass
diese Sicherheit auch eine für die mittel- und osteuropäischen Staaten sein muss . Diese lässt sich nicht
durch Säbelrasseln und Wettrüsten erreichen .
({0})
Diese Position, so denke ich, muss ich heute nicht revidieren . Die internationale Lage, wachsende Spannungen,
die militärischen Konflikte an den europäischen Außengrenzen bestätigen diese Position .
Der Truppentransport im Rahmen der NATO-Operation Atlantische Entschlossenheit zeigt das aus meiner
Sicht . Es ist kein Zufall, dass dieser Transport auf den
Januar vorverlegt wurde . Die Terminänderung zeigt: Er
ist kein Zeichen der Stärke, sondern der Verunsicherung
und des Misstrauens auch angesichts des Machtwechsels
in den Vereinigten Staaten . Die Rotation der Truppen ist
ein Trick, um das Verbot dauerhafter Stationierung zu unterlaufen - das sagte übrigens Wolfgang Richter von der
Stiftung Wissenschaft und Politik -,
({1})
und es ist kein Wunder, dass die Russen das natürlich
nicht akzeptieren .
Am Tag der Debatte zum Nachbarschaftsvertrag mit
Polen, am 23 . Juni 2016, wurde der Brexit beschlossen .
Die Debatte heute findet am Vorabend der Amtseinführung von Donald Trump statt, und ich bin schon ein weElisabeth Motschmann
nig überrascht . Außer der Union weiß, glaube ich, niemand hier, was dieser Mann wirklich vorhat . Ihr Blick
in die Zukunft ist doch eher ein Blick in die Glaskugel,
wenn Sie hier davon reden, dass kein Löschblatt zwischen Ihnen passt . Das kann man doch zurzeit gar nicht
einschätzen .
({2})
Beide Termine, der 23 . Juni und die morgige Amtseinführung, kennzeichnen den tiefgreifenden Wandel in den
europäischen und internationalen Beziehungen . Nach
dem Kalten Krieg, dem Zusammenbruch der Sowjetunion endet jetzt das Zeitalter der USA als Supermacht .
({3})
Nach den Niederlagen in Afghanistan, Irak und dem
Scheitern in Syrien können oder wollen die USA ihre
weltpolitische Rolle nicht mehr wie bisher ausfüllen . Die
USA werden zu einer Großmacht unter anderen . Das ist
der geopolitische Kern des von Trump angekündigten
„America First“ . Russland hat sich vom Zusammenbruch
erholt . Mit dem Kriegseinsatz in Syrien ist es zur politischen und imperialen Großmacht geworden .
Wir treten ein in eine Zeit neuer und alter Großmächte,
in eine multipolare Welt ohne wechselseitig anerkanntes
Kräfteverhältnis . Internationale Institutionen, entstanden
als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, verlieren an Autorität . Das Völkerrecht wird benutzt, wie es gefällt, oder
auch missachtet .
Mit der Wahl von Trump ist der Atlantik breiter geworden . Die Europäische Union ist keine Großmacht und
in einer Krise; das sollten wir nicht vergessen . Sie wird
nach dem Brexit kontinental, und sie steht auf dem Prüfstand .
Auch die mittel- und osteuropäischen Staaten befinden sich in dieser Situation . Sie sind gleichberechtigte
Mitgliedstaaten der EU, haben aber die historische Erfahrung, dass sie wiederholt Spielbälle europäischer
Mächte waren . Die baltischen Staaten und Polen fürchten sich vor Russland und rufen nach mehr Schutz durch
die NATO, mehr Militär, mehr Aufrüstung und mehr
Abschreckung . Zugleich aber führt wachsender Nationalismus zu einer hohen Belastung der Europäischen
Union und zur Schwächung wichtiger Formate wie zum
Beispiel des Weimarer Dreiecks . Das, werte Kolleginnen
und Kollegen, führt in die falsche Richtung .
({4})
Jeder Krieg kann jederzeit in eine nukleare Auseinandersetzung führen . Die EU steht unter diesen Vorzeichen
vor der Notwendigkeit, eine gemeinsame Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik zu skizzieren . Aufrüstung,
Militarisierung und Nationalismus sind dabei keine vernünftigen Antworten .
({5})
Der Weg zu einem System kollektiver Sicherheit muss
nicht neu gefunden werden. Man findet ihn zum Beispiel
bei Willy Brandt 1971 - Zitat -:
Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre
Realpolitik dieser Epoche . … Wir müssen der Gewalt und der Androhung von Gewalt im Verkehr
der Staaten entsagen, endgültig und ohne Ausnahme . Das schließt die Unverletzlichkeit bestehender
Grenzen notwendig ein, … Rüstungsbegrenzung
und Rüstungskontrolle . … Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse anderer
Staaten muss respektiert werden . . . Ein Europa des
Friedens braucht die Bereitschaft zum Hinhören auf
die Argumente des anderen, denn das Ringen der
Überzeugungen und Interessen wird weitergehen .
({6})
Das ist der richtige Weg für die deutsche und die europäische Außen- und Sicherheitspolitik . Dafür sollten wir
gegenüber Russland, aber auch gegenüber den baltischen
Staaten und Polen werben . Das schien schon 1963 illusorisch zu sein, aber es hat Egon Bahr nicht abgehalten, die
Feststellung zu treffen - und zwar auf dem Höhepunkt
des Kalten Krieges -: „Frieden ist nicht alles, aber ohne
Frieden ist alles nichts .“ Aus Sicht der Linken bleibt es
dabei .
Danke schön .
({7})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Franz Thönnes .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, wenn wir über die außenpolitischen Auswirkungen von Atlantic Resolve diskutieren . Dabei muss
man aber auch über die Gesamtkonzeption und auch darüber reden, welches die auslösenden Faktoren dafür gewesen sind . Das haben die Vorredner zum Teil gemacht .
Aber es muss immer wieder klar und deutlich gesagt
werden, insbesondere wenn man hier bestimmte Argumente vernimmt: Die militärische Großmacht Russland
hat mit ihrem Vorgehen in der Ukraine das Völkerrecht
und die fundamentalen Prinzipien der KSZE-Schlussakte
und der europäischen Friedensordnung bewusst verletzt .
({0})
Es ist völlig uninteressant, wer das zuvor ebenfalls
und an welcher Stelle gemacht hat . Darüber muss man
an anderer Stelle diskutieren, und zwar genauso kritisch .
Ich schildere noch einmal die Position, die Deutschland
innehatte, als es um den Irakkrieg ging . Wir haben damals Nein gesagt, weil wir das für nicht richtig gehalten
haben . Aber das gehört nicht in diese Debatte . In dieser
Debatte reden wir über die jetzigen Auswirkungen auf
die Außenpolitik . Da ist Russland der Auslöser .
({1})
Unsicherheit und Skepsis sind momentan die außenpolitischen Auswirkungen vor allem im Baltikum vor
dem historischen Hintergrund der sowjetischen und der
nationalsozialistischen Okkupation . Die Antwort des
Westens war nicht Gegengewalt, sondern die Suche nach
einer friedlichen Lösung mit den Minsker Vereinbarungen . Diese harren noch immer ihrer Umsetzung, haben
jedoch einen europäischen Flächenbrand verhindert .
Weitere Antworten waren die NATO-Gipfel in Wales
und in Warschau 2014 und 2016 . Trotz unterschiedlicher
Positionen fand man durch das deutsche Engagement am
Ende einen Kompromiss und gemeinsame Wege . Das ist
ganz im Sinne der Politik von Willy Brandt und Egon
Bahr, die darauf abzielte, den internationalen Zusammenhalt zu stärken, und nicht, nationalen Egoismen Vorschub zu leisten .
({2})
Das Verteidigungsbündnis stand zusammen und stärkte die Sicherheit seiner Mitglieder bei gleichzeitigem
Aufhalten aller Türen für den Dialog mit Russland . Statt
der von einigen gewollten Kündigung der NATO-Russland-Grundakte erfolgten deren Bewahrung sowie die
Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates und die
Einrichtung eines roten Telefons zwischen Brüssel und
Moskau . Auf der anderen Seite wurde die schnelle Reaktionsfähigkeit des Bündnisses gestärkt .
Wie wir wissen, handelt es sich bei der 3 . US-Panzerbrigade, die im Rahmen von Atlantic Resolve nach
Osteuropa verlegt wird, um eine zusätzliche bilaterale
Maßnahme, um das Ganze zu stützen und zu stärken; ich
brauche die Zahlen nicht zu wiederholen . Die Bundeswehr leistet logistische Unterstützung . Alle neun Monate wird diese Brigade in voller Stärke ausgetauscht . Das
ist kein Trick und steht in völligem Einklang mit der
NATO-Russland-Grundakte . Man kann hier nicht von
einer substanziellen Stärkung sprechen .
Zudem baut die NATO vier Bataillone mit insgesamt
4 000 Soldaten für Polen und das Baltikum als weitere
Verstärkung auf . Beteiligt sind hier Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und die USA . Es
wäre schön, einmal von Ihrer Seite zu hören, dass hier
eine Staatengemeinschaft zusammensteht und dass es ein
Solidaritätsprojekt ist, um Sicherheit und Schutz zu gewährleisten . Sie blenden das völlig aus . Das ist ein großes
Defizit in Bezug auf Ihre internationale Politikfähigkeit.
({3})
Es ist schon interessant und erstaunlich, wenn sich
angesichts dieser verhältnismäßigen Reaktion die Linke
mit ihrer Fraktionsvorsitzenden und die AfD mit ihrem
Parteivize im Rahmen einer völlig überzogenen Kritik
fast wortgleich mit folgenden Aussagen treffen: „Das ist
nicht mehr nur Drohgebärde, sondern dürfte in Russland
als Kriegsvorbereitung wahrgenommen werden .“
({4})
Und: „Es ist keine Friedenspolitik, es ist Kriegsdrohungspolitik .“
Viel treffender wäre eine solche Rhetorik in dem Fall
gewesen, als der russische Botschafter in Dänemark im
März 2015 die Drohung formulierte, dieses skandinavische Land könne Ziel von Atomraketen werden, wenn
es sich am NATO-Raketenschutzschild beteilige . Das
Gleiche gilt, als Russland und Weißrussland im September 2009 ein gemeinsames Manöver „Zapad“ mit
12 000 Soldaten durchführten und unter anderem auch
einen Atomschlag gegen Polen simulierten . Wo waren diese Stimmen denn damals? Wo waren denn diese
Stimmen bei den russischen Manövern, die mit bis zu
160 000 Soldaten durchgeführt wurden?
({5})
Dazu hat man überhaupt keine Besorgnis gehört .
Ich sage Ihnen: Das, was jetzt geschehen ist, ist bündnisstabilisierend, schutzgebend und solidarisch . Aber das
darf nicht das letzte Wort sein . Es darf eigentlich überhaupt kein letztes Wort dabei geben . Der Dialog muss
aufrechterhalten werden . Eine Eskalationsspirale muss
verhindert werden . Es geht um gemeinsame Sicherheit .
Dazu gehört der von Frank-Walter Steinmeier in klarer
Deutlichkeit ausgesprochene Vorschlag, einen Neustart
der Rüstungskontrolle anzustreben . Und dazu gehört die
Reform des Wiener Dokuments „Mehr Vertrauen durch
Transparenz“ . Auch gehört ein klares gemeinsames Bekenntnis zur NATO-Russland-Grundakte dazu . Des Weiteren gehören regionale vertrauensbildende Maßnahmen
dazu, zum Beispiel freiwillige Stabilisierungsaktivitäten
in Risikozonen,
({6})
Limitierung von Truppenstationierungen und -übungen,
gegenseitige Information und Beobachtung, Intensivierung der Beobachtungsflüge im Rahmen des Vertrages
über den Offenen Himmel oder Ausbildungsinspektionen, wie sie verabredet worden sind . Außerdem gehören
ein Sicherheitsdialog in der OSZE und intensive Gespräche zwischen NATO und Russland dazu .
Es muss Ziel sein, zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa zu kommen . Notwendig ist eine kooperative Sicherheitsordnung, die das Interesse gemeinsamer Sicherheit, die Bereitschaft zum Dialog und den
Verzicht auf eine aggressive Rhetorik bei den Falken
auf beiden Seiten - auch bei denen, die es hier teilweise
gibt - beinhaltet .
Herr Kollege Thönnes, Sie denken bitte an die vereinbarte Redezeit .
Je eher dies gelingt, umso weniger werden wir uns in
den Diskussionen nur auf das Militärische konzentrieren .
Und das wäre gut so .
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Tobias Lindner,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir zu
den Fakten . Worüber reden wir hier eigentlich? Die Vereinigten Staaten verlegen eine Brigade über Bremerhaven nach Polen . Diese Brigade umfasst 3 500 Personen,
2 800 Fahrzeuge und Container, 87 Panzer, 144 Schützenpanzer, 18 Haubitzen und 419 Gefechtsfahrzeuge .
Ja, das ist eine ganze Menge an Material . Das muss man
nicht mögen; das muss man nicht toll finden. Auch muss
man es nicht toll finden, wenn in Europa mehr statt weniger Manöver abgehalten werden . Aber man muss sich die
Frage stellen: Warum findet das denn statt?
Herr Kollege Gehrcke, es hätte schon zur Redlichkeit
gehört, dann auch einmal über die Ursachen zu reden .
Und die sind nun einmal im Verhalten Russlands begründet . Das kann und darf man an dieser Stelle nicht wegdiskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Wenn Sie davon sprechen, dass man sich an Verträge
halten soll - das ist in dieser Debatte schon erwähnt worden -, dann muss sich die russische Führung den Vorwurf
gefallen lassen: Warum haltet ihr euch nicht an Verträge?
Warum fahrt ihr mit den Drohungen fort? Warum schafft
ihr in Europa eine Situation, in der sich unsere östlichen
Bündnispartner bedroht fühlen?
({1})
In dieser Situation, Herr Kollege Neu - ich weiß, dass es
wehtut, wenn einen die eigene Fraktion in einer Debatte
nicht reden lässt -,
({2})
muss man doch einmal die Frage stellen: Was ist denn
die Alternative, wenn wir keine Aufrüstungsspirale in
Europa wollen? Wäre es eine Alternative, unsere östlichen Bündnispartner alleinzulassen, ihnen keine Rückversicherung zu geben? Was wäre dann die Konsequenz?
Die Konsequenz wäre doch, dass sie sich selbst helfen
und gerade erst recht aufrüsten würden . Das heißt, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Jeder, dem daran gelegen ist, dass es keine neue Aufrüstungsspirale gibt, muss ein Interesse an dieser Rückversicherungspolitik haben .
({3})
Wenn man Manöver kritisiert, dann muss man auch
das Verhalten Russlands an dieser Stelle kritisieren . Nicht
nur für die Kollegin Motschmann, sondern für jeden, der
den Fernseher eingeschaltet hat, war sichtbar: Da fährt
eine Brigade nach Polen . Kollege Kiesewetter hat es erwähnt: Das Ganze ist angekündigt worden . Was macht
Russland stattdessen? Es führt sogenannte „snap exercises“ durch, also Manöver, die nicht angekündigt sind, mit
Zehntausenden von Soldaten . Unabhängig davon, dass
das Nichtankündigungen von Manövern ebenfalls ein
Bruch von Verträgen ist, schafft das Raum für gefährliche
Missverständnisse, weil niemand wissen kann: Ist das ein
Manöver, oder könnte es auch etwas anderes sein?
Wenn Sie, Kollege Gehrcke, davon reden, dass die
Türen Europas, dass die Türen der NATO offenstehen
sollen, dann muss ich erwidern, dass sich Russland den
Vorwurf gefallen lassen muss, dass es nicht durch diese
offenen Türen geht. Die NATO hat mehrfach, so ist es in
den Dokumenten der KSZE niedergelegt, russische Beobachter zu Manövern eingeladen, um auch hier vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen. Ich erwarte, dass
solche Einladungen weiterhin ausgesprochen werden .
Aber genauso erwarte ich von der russischen Seite, dass
eine solche Einladung auch angenommen wird .
({4})
Was die NATO angeht, ist für meine Fraktion eines
ganz klar: Wenn sich die NATO auf eine Strategie „Abschreckung und Dialog“ festlegt, dann muss für alle Mitgliedstaaten gelten, dass man nicht das eine tut und das
andere vielleicht als ein Feigenblatt oder als ein unliebsames Zusatzinstrument behandelt . Ich erwarte von allen
Bündnispartnern der NATO, gerade auch von unseren
östlichen Bündnispartnern - der Kollege Thönnes hat
über Polen und das Baltikum gesprochen -, dass sich alle
an diese Strategie halten und dass man, wenn man auf der
einen Seite Rückversicherungsmaßnahmen durchführt,
auf der anderen Seite wirklich jedes Instrument nutzt, um
einen Dialog zumindest anzuregen .
({5})
Das heißt in aller Deutlichkeit: Wir sollten schauen,
dass sich der NATO-Russland-Rat nicht weniger, sondern häufiger trifft. Reden schadet nie, und Reden vermeidet die Gefahr gefährlicher Missverständnisse . Das
heißt auch, dass man Russland immer wieder zwingt,
sich dazu zu verhalten, und dass man Angebote macht .
Ich füge hinzu: Das heißt aber auch, dass man dann klar
und deutlich benennt, wann die russische Seite solche
Angebote wahrnimmt und wann sie nur Fehlinformationen in die Öffentlichkeit streut und solche Angebote
ausschlägt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Grüne erwarten von der Bundesregierung, dass Sie sich auch an
dieser Stelle im Bündnis einsetzen, dass der Dialog nicht
zu kurz kommt, damit es nicht nur bei Abschreckung
bleibt, sondern damit auch die Tür offengehalten wird für
eine Lösung dieses Konflikts.
Herzlichen Dank .
({6})
Als Nächster spricht der Kollege Dr . Bernd Fabritius
für die CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Linke hat eine Aktuelle Stunde beantragt, um nach den außenpolitischen Auswirkungen der
US-Truppen-Verlegung nach Osteuropa zu fragen . So
weit, so gut .
Die außenpolitischen Auswirkungen anderer Ereignisse scheinen dabei ausgeblendet worden zu sein: die Auswirkungen der Krim-Annexion oder die militärischen
Auseinandersetzungen in der Ostukraine, die bereits genannt worden sind . Sie fragen geradeso, als ob Atlantic
Resolve innerhalb der NATO-Operation aus dem Nirgendwo komme und als ob urplötzlich eine militärische
Drohkulisse gegen den Frieden in dieser Welt aufgebaut
werde. Es ist doch keine diffuse Angst der Polen oder der
Menschen im Baltikum, die diese auf die Straßen treibt,
um die US-Soldaten dankbar zu empfangen . Meine Damen und Herren, es ist doch keine Furcht vor einer vagen
Bedrohung durch unbekannte Kräfte . Wer noch immer
glaubt, die militärischen und geostrategischen Interessen Russlands würden sich lediglich auf die unmittelbare westliche Nachbarschaft erstrecken, der verkennt die
Energie, mit welcher vermeintlich verlorene Einflüsse
auch militärisch zurückerobert werden sollen .
Sie fragen nach der außenpolitischen Wirkung der
Verlegung der US-Truppen nach Polen . Ich frage Sie
nach der außenpolitischen Wirkung „Ami go home“
skandierender Menschen und auch eines brandenburgischen SPD-Ministerpräsidenten - der zu allem Überfluss
auch noch Koordinator für die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist -,
({0})
der sich in solche Proteste einreiht, was Kollegin
Motschmann zu Recht angesprochen hat .
Die polnische Rzeczpospolita spricht in ihrer Sonntagsausgabe gerade mit Bezug auf das Amt Woidkes
von „Ironie des Schicksals“ und führt aus, seine Unterstützung für den Protest überrasche nicht . Die Zeitung
fragt: „Wird es in Situationen größerer Konflikte nicht
zu einer Radikalisierung der Stimmung in Deutschland
kommen?“ - Sind einige in Brandenburg wirklich so geschichtsvergessen, dass sie nicht mehr wissen, wer etwa
durch die Solidarnosc-Bewegung wesentlich auch zum
Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung beigetragen hat? Es war die polnische Bevölkerung, meine Damen und Herren, die heute zusammen
mit den Menschen aus dem Baltikum unsere Solidarität
einfordert .
({1})
Die Auswirkungen solcher Positionen werden uns in unserer Friedenspolitik noch lange beschäftigen .
Woidkes weiteren Äußerungen stimme ich ausdrücklich zu . Es ist sicher besser - ich zitiere -, „trotz aller
Schwierigkeiten den Dialog mit Russland zu suchen“ .
Richtig! Auch ich bin der Überzeugung, dass man mit
Russland reden muss . Aber wenn uns die vergangenen
zwei bis drei Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass gegenüber Russland nicht aus einer Position der Schwäche
heraus argumentiert werden kann und wir nur solidarisch
stark sind .
Erst im Juni vergangenen Jahres beklagten Sie, Kollege Thomas Nord von der Fraktion Die Linke, im Zuge
der Plenardebatte zum 25 . Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages, aus der Sie sich heute
selbst bereits zitiert haben - ich zitiere -:
Jahrhundertelang waren die Polinnen und Polen
Spielball europäischer Großmächte und Opfer
machtpolitischer Absprachen - häufig zugunsten
Russlands und Preußens bzw . später Deutschlands .
Heute beantragt gerade Ihre Fraktion eine Aktuelle
Stunde, um eine Truppenverlegung anzuprangern, die
genau das verhindern soll . Meine Damen und Herren,
so viel außenpolitische Konsistenz ist bemerkenswert .
An solcher ließ es auch die Kollegin Wagenknecht nicht
mangeln: Atlantic Resolve sei nicht mehr nur Drohgebärde, sondern dürfte in Russland als konkrete Kriegsvorbereitung wahrgenommen werden und zu entsprechenden
Gegenreaktionen führen . - Sie, Herr Kollege Thönnes,
haben das bereits angesprochen .
Bei allem Respekt: Drohgebärden und Kriegsvorbereitungen, war das das Stadium, in welchem sich Russland vor fünf Jahren befand? Mittlerweile werden diese
Kriege in der Ostukraine geführt . Ich glaube, Sie bringen
hier die Reihenfolge von Ursache und Wirkung durcheinander . War es nicht Russland, das unter brutalem Bruch
des Völkerrechts und auch unter Verrat der im Budapester Abkommen übernommenen Verpflichtungen, Herr
Kollege Gehrcke, den souveränen Staat Ukraine angegriffen hat?
({2})
Meinen Sie, dass nach derartiger russischer Außenpolitik
das Sicherheitsbedürfnis der anderen Nachbarn Russlands und der europäischen Staatengemeinschaft insgesamt die von Ihnen infragegestellten Maßnahmen etwa
nicht in höchstem Maße rechtfertigen, ja zwingend erforderlich machen?
Diejenigen, die heute übrigens den Zeigefinger erheben, sind genau dieselben, die angesichts von Aleppo
der Weltgemeinschaft Tatenlosigkeit vorwerfen . Ich bin
jedenfalls sehr dankbar, dass die USA durch Atlantic Resolve ihren Versprechen auch Taten folgen lassen . Angesichts der Unsicherheit in Bezug auf die künftige Ausrichtung transatlantischer Beziehungen gilt dies umso
mehr .
Danke .
({3})
Der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner spricht jetzt für
die SPD .
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und
Kollegen! Eines - das habe ich heute wieder in der Debatte mitbekommen - haben die Populisten von rechts und
die Rhetorik von links gemeinsam, nämlich die gefährliche Lust an der Konfrontation . Während die Rechten ja
in der Regel, assistiert von der Russischen Föderation,
versuchen, halbe und erfundene Wahrheiten zu verbreiten und Ängste vor düsteren Mächten zu schüren, haben
die Linken stets die Verharmlosung von Putin als Friedensengel im Blickfeld, verteufeln die NATO, wo es nur
geht, und beschwören wie Sie, lieber Kollege Gehrcke,
den Kalten Krieg .
Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren - das
ist das Erschütternde -, werden Sie auch noch von angeblichen Sicherheitspolitikern wie Mike Turner, den ich
bei der NATO-PV letztes Jahr erleben konnte, assistiert,
der allein die militärische Konfrontation in den Mittelpunkt stellt . Gott sei Dank, möchte ich fast sagen, werden
alle drei Gruppen leidlich im Zaun gehalten, und es ist
klar, dass die NATO nicht mal eben so, wie es kolportiert wird, Tausende von Panzern im Baltikum stationiert;
denn die NATO ist ein Sicherheitsbündnis . Es ist ein Sicherheitsbündnis für Abrüstung, nicht für Aufrüstung . So
habe ich es jedenfalls immer verstanden, und so sehe ich
die NATO auch weiterhin .
({0})
Meine Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Truppenverlegung ist Folge einer bilateralen Vereinbarung
zwischen Polen und den USA . Sie geht einher mit dem
Warschauer Gipfel, der richtig feststellt: Wir zeigen Stärke, wir zeigen Solidarität gegenüber unseren Nachbarn,
und gleichzeitig halten wir Gesprächskanäle offen, und
zwar alle . Es ist der Arbeit von Frank-Walter Steinmeier,
unserem Außenminister, und seiner Initiative zum Neustart der Abrüstungspolitik zu verdanken, dass dieser
Gipfel und alle Diskussionen nicht im Zeichen der Konfrontation stehen .
Sogenannte Friedensaktivisten, seien sie von den
Rechten oder von der Linken, bilden heute eine Querfront gegen die Truppenübungen, und wir hören von
Wagenknecht bis Gauland, dass eine angeblich aggressive NATO den Krieg wolle, dass das unschuldige
Russland nicht provoziert und nicht eingekreist werden
dürfe . - Mein Gott! Wer allein mit verletzten Gefühlen
Außenpolitik macht, der steht nicht auf dem Boden der
Realität .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kaum
zu glauben, aber seit geraumer Zeit - damit richte ich
mich auch an die Linken - ist unser östlicher Nachbarstaat Polen und nicht Russland . Unser Partner ist Polen .
Es ist mir fast peinlich, das betonen zu müssen, aber
Russland hat nun einmal - das muss man in diesem
Hause sagen - keine legitimen Einflusssphären, keinen
Anspruch auf Polen, keinen Anspruch auf die baltischen
Staaten, auf niemanden . Sie sind souverän . Wenn diese
Länder aus ganz konkreter historischer Erfahrung die
Nähe zur NATO suchen, dann ist das ihr gutes Recht .
Wir haben die Pflicht, ihnen auch zu sagen: Die NATO
ist kein bloßes Sicherheitsbündnis, keine Versicherung,
sondern sie ist eine Wertegemeinschaft,
({1})
deren Inhalt es wert ist, gesehen zu werden .
Die sich abwechselnden NATO-Truppen nach dem
Warschauer Gipfel und auch die jetzigen US-Truppenübungen verletzen die NATO-Russland-Grundakte
nicht . Es ist ganz einfach . Mein früherer Professor hätte gesagt: Ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die
Rechtsfindung. Dazu müsste man nur in die NATO-Russland-Grundakte blicken, dann würden nicht so dumme
Aussagen gemacht .
({2})
Ob es klug ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, das umzusetzen, steht auf einem anderen Blatt; denn nicht alles, was erlaubt ist, ist auch klug .
Stichwort „Krim“: Es war und ist nicht klug, das Budapester Memorandum zuerst zu unterzeichnen - ich meine damit übrigens Russland - und dann diesen Vertrag
zu brechen . Es ist nicht nur unklug, es ist völkerrechtswidrig . Putin, so glaube ich, ist ein kühl kalkulierender
Machtpolitiker, für dessen Strategie man durchaus Verständnis haben kann, der man aber mit Entschlossenheit,
mit Stärke und vielleicht sogar mit militärischer Präsenz
entgegentreten muss . Jedenfalls muss man ihm aber mit
Klugheit entgegentreten .
({3})
Die eingangs erwähnte Konfrontation allein nützt uns
nichts. Bei militärischen Konflikten gibt es keine Sieger,
es gibt nur Verlierer. Eine Lösung finden wir nur mit einer klugen Strategie:
Erstens: Gesprächskanäle aufrechterhalten, zum Beispiel im NATO-Russland-Rat .
Zweitens: klare Linien aufzeigen, auch mit Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit .
Drittens: nicht nur von Werten in der NATO reden,
sondern deren Einhaltung auch einfordern . Das gilt für
die Türkei, das gilt für Polen, das gilt für Deutschland,
das gilt für alle Länder dieses Bündnisses .
Das ist vernünftige Realpolitik - das beste Mittel gegen Agitatoren auf beiden Seiten . Das wäre klug, und
damit hätte dieser Einsatz eine entsprechende außenpolitische Wirkung .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({4})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Henning
Otte .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle
Stunde gibt uns die Möglichkeit, noch einmal deutlich
darauf hinzuweisen, warum diese Truppenverlegung
notwendig ist, warum sie richtig ist und warum wir sie
auch unterstützen . Sie zeigt ganz klar die Verbundenheit
der Vereinigten Staaten gegenüber der Sicherheit und
Freiheit in Europa . Sie ist ein deutlicher Ausdruck von
Präsenz, von Transparenz . Sie ist im Übrigen seit dem
Jahr 2014 schon fest vereinbart . Sie signalisiert die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der NATO hinsichtlich
der Absicherung ihrer Ostgrenzen .
({0})
Dies, meine Damen und Herren, ist notwendig geworden . Wir hier in Deutschland, in Europa und auch innerhalb unseres NATO-Bündnisses sagen sehr deutlich, dass
die Annexion der Krim völkerrechtswidrig war, dass die
Einflussnahme in der Ostukraine ein Angriff auf die Souveränität des Landes war,
({1})
dass sie außerhalb des Rechtsrahmens vollzogen wurde .
Insofern ist hier ein deutliches Zeichen Europas und der
NATO-Partner notwendig .
Mit hybriden Provokationen, mit Völkerrechtsbruch,
mit Alarmierungsübungen, mit Einschüchterungspolitik,
mit drei neuen Divisionen an der Grenze untergräbt die
Kremlführung ganz bewusst die europäische Integration,
und sie befördert damit den Extremismus in der politischen Debatte, nicht nur in Frankreich bei Frau Le Pen,
nicht nur bei der AfD, sondern leider auch bei der Fraktion Die Linke - man sieht es an Ihrer Argumentation,
meine Damen und Herren .
({2})
Das alles beunruhigt uns hier in Deutschland, und es
beunruhigt vor allem die Menschen in den baltischen
Staaten, in Rumänien, in Bulgarien, in Polen und - ich
füge hinzu - auch in Schweden und in Finnland . Wir lassen sie nicht allein, sondern stehen aktiv und sichtbar an
ihrer Seite .
Meine Damen und Herren, die Anbindung an Europa, an die NATO soll untergraben werden, indem von
russischer Seite eine Einschüchterungspolitik vollzogen
wird . Deswegen ist es wichtig, den Schutzdeich an der
osteuropäischen NATO-Grenze zu erhöhen . Denn es
gibt die klare Strategie des Kreml, die Einflusssphäre zu
erweitern, die Souveränität von Staaten zu untergraben
und anzugreifen . Insofern ist Atlantic Resolve eine gut
angelegte multinationale Unternehmung, und wir sind
den Vereinigten Staaten für dieses sichtbare Zeichen für
Frieden und Stabilität in Europa dankbar .
({3})
Deutschland unterstützt diese Maßnahmen im Rahmen des sogenannten Host Nation Supports, indem
4 000 US-amerikanische Soldaten Deutschland als Drehscheibe logistisch nutzen können,
({4})
um von hier aus die baltischen Staaten und Polen zu unterstützen . Das geschieht auf Grundlage des NATO-Truppenstatuts und damit im Rahmen von Recht und Ordnung
({5})
und ist Ausfluss der NATO-Gipfel von Wales und Warschau .
Wir unterstützen dies auch mit einer Enhanced Forward Presence, einer sogenannten Vorne-Präsenz, um
deutlich zu machen: Wir sind bei den baltischen Staaten,
wir sind bei Polen . Denn wir sagen: Bündnisverteidigung ist auch Landesverteidigung . Auch deswegen leistet Deutschland einen Beitrag in Litauen, wo wir ab 2017
mit 450 Soldaten zusammen mit den Niederländern, mit
den Norwegern, mit den Belgiern ein Zeichen für diese
Einigkeit setzen .
Deutschland leistet einen Beitrag zur sogenannten
schnellen Speerspitze der NATO, allein, um mit einer
schnellen Präsenz in einer Phase der Beunruhigung innerhalb des NATO-Gebietes deutlich zu machen, dass
wir zusammenstehen und dass ein Überschreiten der
Grenze durch den Kreml ein Angriff auf alle souveränen
Staaten wäre . Auch hier sind wir uns der Rückendeckung,
der Rückversicherung durch Kanada und die Vereinigten
Staaten im Rahmen der wichtigen, notwendigen transatlantischen Beziehungen sicher .
Das alles geschieht im Rahmen der Ergebnisse
der Zwei-plus-Vier-Gespräche und der NATO-Russland-Grundakte . Wir stehen zu diesem Recht, auch um
deutlich zu machen, dass es Unrecht war, die Krim zu annektieren . Wir setzen uns ein für ein geeintes Europa, für
eine starke NATO mit dem klaren Ziel von Frieden und
Freiheit, einer friedlichen Entwicklung hier in Europa .
({6})
Zum Abschluss der Aktuellen Stunde spricht der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Grunde genommen muss man der Fraktion Die Linke
dankbar dafür sein,
({0})
dass sie dieses Thema auf die Tageordnung der heutigen
Sitzung gesetzt hat; denn wir konnten in der vergangenen
Stunde sehr exakt darlegen, dass Sie absolut schiefliegen.
Außerdem hatten wir so die Gelegenheit, ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Deutschland und Europa zu machen . Herzlichen Dank für diese
Gelegenheit .
({1})
Wenn man das Ganze vom Ende her betrachtet, dann
muss man sagen: Deutschland geht es so gut wie noch
nie in unserer Geschichte, und das hat nicht nur mit den
ökonomischen Rahmenbedingungen zu tun, sondern das
hat auch etwas mit Frieden, mit Stabilität und mit Sicherheit in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland und
Europa zu tun .
({2})
Dafür gibt es Gründe, und ein ganz wesentlicher Grund
dafür ist die Partnerschaft, die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika . Ein ganz wesentlicher
Punkt ist die Rückversicherung in der Sicherheitsgemeinschaft der NATO .
({3})
Das ist der Grund, warum wir in der Vergangenheit in
Sicherheit, in Freiheit und in Frieden leben konnten, und
das gilt auch für die Zukunft . Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz klar: Man kann vieles sagen, aber eines
ist die NATO mit Sicherheit nicht: Sie ist nicht obsolet,
sondern sie wird in Zukunft eher noch mehr gebraucht
werden als in der Vergangenheit .
({4})
Deswegen ist es folgerichtig, dass wir uns militärisch
in Litauen engagieren . Es ist folgerichtig, dass wir positiv zur Kenntnis nehmen, dass 4 000 amerikanische Soldaten über Bremen nach Polen entsendet werden; denn
letztlich können wir damit das klare Signal senden, dass
wir die gemeinschaftliche Sicherheit in Europa verteidigen wollen . Es geht darum, sich für einander einzusetzen
und sich gemeinsam stark zu machen; denn leider - das
haben einige Vorredner schon ausführlich dargelegt ist es so, dass sowohl Atlantic Resolve als auch die
NATO-Rückversicherung notwendig sind und dass die
Ängste und Befürchtungen, die es in Lettland, in Litauen,
in Estland und in Polen gibt, absolut berechtigt sind . Es
geht mir nicht nur um die Entwicklungen seit März 2014,
als mit der Annexion der Krim zum ersten Mal seit Jahrzehnten in Europa wieder einseitig und mit militärischer
Gewalt Grenzen verändert worden sind .
({5})
Letztlich wurde damit die Axt an die Grundprinzipien für
Sicherheit in Europa angelegt .
Es geht des Weiteren - auch darüber haben wir gesprochen - um Drohungen, es geht um Übungen, es geht
darum, dass Nuklearwaffentests simuliert werden.
({6})
Es geht darum, dass Lufträume, etwa von Schweden oder
von Finnland, verletzt wurden . Es geht auch darum, dass,
bevor die amerikanischen Soldaten in Bremen angekommen sind, letztendlich Russland an seiner Westgrenze die erste Panzerarmee mit drei Divisionen mit etwa
30 000 Soldaten, die sie eigentlich 1998 aufgelöst haben,
wieder in den Dienst gesetzt hat,
({7})
und zwar an der Westgrenze, wohlgemerkt! Die amerikanischen Soldaten werden nicht an der polnischen Ostgrenze stationiert .
({8})
Das ist doch auch ein klares Signal . Wenn ich an den
vergangenen November denke, als Russland an seiner
Westgrenze eine Zivilschutzübung unter Beteiligung von
40 Millionen Bürgern durchgeführt hat: Das sind doch
klare Signale . Man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln . Das ist der entscheidende Fehler, den Sie machen .
({9})
- Reden Sie doch, wenn Sie Rederecht haben, aber nicht
jetzt, Herr Neu . Hören Sie besser zu! Sie haben in dieser
Debatte einiges zu lernen .
({10})
Deshalb ist es ganz entscheidend, auf die Geschehnisse
zu reagieren .
({11})
Wenn Sie sich anschauen, wie sich Russland in den
vergangenen vier, fünf Jahren verhalten hat, dann ist
doch klar, dass wir eine klare Reaktion brauchen . Bereits im Jahr 2010 hat der russische Präsident die Losung
ausgegeben, dass bis zum Jahr 2020 rund 500 Milliarden
Euro in die Rüstung investiert werden sollen . 2015 ist der
Rüstungsetat um 8 Prozent auf mehr als 60 Milliarden
Euro gestiegen .
({12})
Der Kollege Roderich Kiesewetter hat deutlich gemacht,
dass inzwischen 5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Russlands in die Bereiche Sicherheit und Verteidigung fließen. Dieses Geld wird in Projekte investiert,
die tatsächlich umgesetzt werden, und damit wird Politik
gemacht .
({13})
Der entscheidende Punkt ist: Es ist so, dass die russische Bevölkerung zu einem großen Teil dieser Politik der
Stärke, einer Politik, die auf Weltmachtinteressen setzt,
folgt;
({14})
denn sie nimmt letztlich nicht nur in Kauf, dass viel
Geld für Rüstung ausgegeben wird, sondern auch, dass
im gleichen Zeitraum, in dem die Rüstungsausgaben von
3 auf 5,4 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung gestiegen sind, beispielsweise die Bildungsausgaben von 5,1
auf 3,9 Prozent und beispielsweise die Ausgaben für Gesundheit von 4 auf 2,2 Prozent gesunken sind . Das heißt,
die russische Bevölkerung nimmt letztlich Wohlstandsverluste, Demokratieverluste und Freiheitsverluste in
Kauf, um diesem Konzept zu dienen .
({15})
Ich glaube, wir müssen dem eine Politik der Stärke
entgegenhalten, um die Voraussetzungen für Gespräche
mit Russland zu eröffnen. Auf das Rational des Präsidenten Putin muss man mit dem gleichen Rational antworten . Das ist das Ergebnis dieser Debatte .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({16})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
13. Sportbericht der Bundesregierung
Drucksachen 18/3523, 18/9748
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr . Ole Schröder das Wort .
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor knapp zwei Jahren hat der Bundesinnenminister Thomas de Maizière den 13 . Sportbericht der
Bundesregierung hier vorgestellt . Dabei war auch die
durchwachsene Bilanz der deutschen Mannschaft bei den
Winterspielen in Sotschi 2014 Thema . Ziel des Sportberichts ist es, eine Bilanz der Förderpolitik des Bundes zu
ziehen . Vor zwei Jahren haben wir festgestellt, dass sich
der deutsche Spitzensport an einem Scheideweg befindet.
Mit den Medaillen bei den Sommerspielen in Rio
haben wir uns auf dem Niveau von Peking und London
eingependelt, also auf einem Niveau, bei dem wir Reformbedarf festgestellt haben . Nicht nur, um uns nach
oben zu orientieren, sondern auch, um nicht nach unten
abzurutschen, bedarf es einer Reform .
Inzwischen haben wir ein Konzept zur Neustrukturierung der Spitzensportförderung vorgelegt . Es verfolgt
drei wesentliche Leitlinien: Zielorientierung und Exzellenz, Leistung und Transparenz sowie Fairness und
Sauberkeit . Das Konzept ist ein gemeinsames Werk des
Bundesinnenministeriums, des Deutschen Olympischen
Sportbundes, der Länder, der Sportverbände, der Athleten sowie renommierter Sportwissenschaftler . Es freut
mich, dass sich vor allem auch der Sportausschuss des
Bundestages eingebracht hat .
({0})
Wichtig ist, dass der Sportausschuss jetzt auch die
Umsetzung der Reform eng begleiten wird .
Es geht darum, dass wir in Zukunft die Fördermittel
zielgenauer auf das Erfolgspotenzial der Athleten, Sportarten und Disziplinen konzentrieren . Es geht aber nicht
nur um die Erfolgspotenziale, es geht zum Beispiel auch
um die Absicherung von Athleten durch den Ausbau der
dualen Karriere und ein verbessertes Gesundheitsmanagement . Maßgeblich bei allen Überlegungen ist, dass
der Sportler im Mittelpunkt steht .
Wir brauchen bei unserer Reform allerdings einen
langen Atem . Großbritannien hat 1996 in Atlanta gerade
einmal eine Goldmedaille gewonnen . Bis zum Gewinn
von 29 Goldmedaillen und dem Wirksamwerden der
Reform bei den Spielen 2012 in London hat es 16 Jahre gedauert . Auch für unsere Fußballnationalmannschaft
hat es vom Rumpelfußfall 1998 in Frankreich bis zum
Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 16 Jahre gedauert - bis die Nachwuchsförderung, bis die Reform beim
Fußballverband gegriffen hat.
Meine Damen und Herren, Sport und Politik bekennen sich in diesem Konzept auch zur Gleichstellung von
olympischem und paralympischem Sport . Diese GleichThorsten Frei
stellung wollen wir stärker als bisher auch in der Praxis
leben .
({1})
Hier sind natürlich auch die Verbände gefragt, wenn es
um eine Inklusion des paralympischen Spitzensports
geht. Beide Seiten werden davon profitieren. Einige Verbände haben das ja bereits vorbildlich auf den Weg gebracht; ich denke an den Deutschen Kanu-Verband .
Mit den vorgenannten Punkten liegen wir auf einer Linie mit der Beschlussempfehlung des Sportausschusses,
dessen Bericht heute auf der Tagesordnung steht . Das
Parlament hat die Sportförderung des Bundes im Etat des
Bundesinnenministeriums für das Jahr 2017 gegenüber
dem Regierungsentwurf um 5,2 Millionen Euro aufgestockt . Im Jahr 2013 haben wir mit etwa 132 Millionen
Euro begonnen, im Jahr 2017 sind es circa 168 Millionen Euro . Das ist ein Anstieg um rund 36 Millionen Euro
und damit deutlich mehr als in den drei vorangegangenen
Wahlperioden zusammen .
Selbstverständlich werden wir neben der Reform
auch die anderen Punkte der Beschlussempfehlung des
Sportausschusses im Auge behalten und verfolgen . Hierzu gehört insbesondere der Kampf gegen Doping . Das
ist leider bedeutsamer denn je; das haben die Berichte
des von der Welt-Anti-Doping-Agentur eingesetzten
Sonderermittlers gezeigt . Was in den McLaren-Berichten beschrieben und belegt wird, hätten wir uns zumindest bis zum Sommer des vergangenen Jahres wohl alle
nicht vorstellen können . Der Sport muss nun endlich die
Weichen stellen für einen effektiven internationalen Antidopingkampf und damit für eine saubere Zukunft des
Sports .
({2})
Der Sport darf die Berichte nicht auf sich beruhen lassen und einfach so weitermachen, als ob es diese kriminellen Vorgänge nicht gegeben hätte . Die Entscheidung
hierüber und alle Maßnahmen, die diesbezüglich unternommen oder eben nicht unternommen werden, sind für
die Integrität und die Glaubhaftigkeit des Sports und damit für die Zukunft des Sports entscheidend .
Deutschland hat sich 2015 durch die Verabschiedung
des Anti-Doping-Gesetzes klar positioniert . Wie wirksam dieses Gesetz bei der Bekämpfung von Doping ist
und ob das Gesetz unsere Erwartungen am Ende auch
erfüllen kann, können wir heute noch nicht beurteilen .
Klar ist aber natürlich, dass dieses Gesetz ein wichtiger
Baustein im Kampf gegen Doping ist .
Ich fordere die verantwortlichen Funktionäre im Sport
auf, ebenfalls alles dafür zu tun, um faire Wettkämpfe sicherzustellen . Es darf kein Wegducken mehr geben, wie
wir es bei den Olympischen Spielen durch das IOC erlebt
haben .
({3})
Die hohe Reputation von Olympischen Spielen hat bereits massiv gelitten; sie ist keine Selbstverständlichkeit .
Ein letzter Gedanke zum Doping: Bei den Gesprächen
und Debatten im Vorfeld des Zweiten Dopingopfer-Hilfegesetzes haben wir deutlich erfahren, welch tragische
Folgen, welch körperliche Schäden Doping auslöst . An
den Folgen der Dopingmittel sind Menschen gestorben .
Auch aufgrund unserer eigenen DDR-Geschichte haben
wir eine besondere Verantwortung dafür, dass staatlich
organisiertes Doping wirklich überall unterbunden wird .
({4})
Meine Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie die
Bundesregierung bei dem von ihr in der Sportpolitik eingeschlagenen Weg unterstützen . Ich freue mich auf einen
weiterhin so fruchtbaren und guten Dialog .
Vielen Dank .
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . André Hahn für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man
braucht nicht drum herumzureden: Die letzten Jahre
waren keine guten Jahre für den Sport . Es gab Skandale beim IOC, bei der FIFA, der UEFA und auch beim
DFB . Es gab Dopingfälle in bislang ungekanntem Ausmaß, die die Olympischen und Paralympischen Spiele in
Rio erheblich beeinträchtigt und teilweise die Berichterstattung bestimmt haben . Es gab hierzulande die durch
Volksentscheide gescheiterten Olympiabewerbungen
von München und Hamburg . Es gibt nach wie vor Gewalt, rechtsextreme und rassistische Ausschreitungen bei
Sportveranstaltungen. Und es gibt immer häufiger Klagen über die angeblich oder die tatsächlich nicht ausreichende Finanzierung des Sports durch Bund und Länder .
Auch die Zuwanderung zahlreicher Flüchtlinge nach
Deutschland blieb nicht ohne Auswirkungen auf den
Sportbereich, sei es durch die zeitweilig notwendige
Unterbringung in Turnhallen oder durch neue Herausforderungen mit Blick auf die Integration der zu uns gekommenen Menschen; denn gerade hier kann der Sport
Wertvolles leisten . Und ohne Zweifel: Es gab viele tolle
Leistungen von Athletinnen und Athleten, aber die Skandale haben leider vieles überlagert .
Angesichts all dessen wird die Politik und werde auch
ich persönlich immer häufiger vor die Frage gestellt,
welche Entwicklung des Sports wir wollen und welcher
Sport künftig mit Steuergeldern von der Politik gefördert
werden soll . Auf der einen Seite stehen die Werte und
Vorzüge des Sports, die olympische Idee, die Förderung
der Gesundheit und sozialen Kompetenzen durch sportliche Betätigungen . Das wird vor allem im Breitensport
gelebt . Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, mich bei
den vielen Tausend Ehrenamtlichen, die sich im Breitensport engagieren, ganz herzlich zu bedanken .
({0})
Auf der anderen Seite steht der Spitzensport mit seiner
immer stärker werdenden Kommerzialisierung, verbunden mit gesundheitlichen Schädigungen bei Sportlerinnen und Sportlern, mit Korruption, Sportbetrug, Doping
sowie gnadenloser Vermarktung auch über die Medien .
Und dann kommen eben auch Forderungen, künftig nur
noch den Breitensport zu fördern und Olympischen Spielen sowie anderen Sportgroßveranstaltungen hinsichtlich
einer Bezuschussung aus Steuergeldern die Rote Karte
zu zeigen .
Es ist unübersehbar: Wir brauchen eine möglichst
breit geführte gesellschaftliche Debatte über die Zukunft
des Sports und der Sportförderung in unserer Gesellschaft . Der 13 . Sportbericht der Bundesregierung hätte
dafür eine Grundlage bilden können . Aufgrund seiner
inhaltlichen Schwachpunkte tut er es jedoch nicht . Meine grundsätzliche Position lautet: Wir brauchen beides,
mehr und besser unterstützten Breiten- und Schulsport,
aber auch den Leistungs- und Spitzensport . Beides bedingt einander und muss durch die öffentliche Hand angemessen gefördert werden .
({1})
Ende September 2016 stellten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und DOSB-Präsident Alfons
Hörmann ihre Eckpunkte für eine Reform der Spitzensportförderung vor . Der DOSB hat dem nur geringfügig
geänderten Papier Anfang Dezember auf seiner Mitgliederversammlung zugestimmt . Ich halte das vorgelegte
Konzept in mehrfacher Hinsicht für äußerst problematisch, habe aber heute leider nicht die Redezeit, um näher
darauf einzugehen, und kann nur einen Punkt herausgreifen .
Auch wenn der Deutsche Behindertensportverband,
wie von den Linken gefordert,
({2})
2017 mehr Geld vom Bund bekommen wird, ist es
dennoch ein sehr langer Weg bis hin zu einer wirklichen
Gleichbehandlung . Der Paralympicssieger im Triathlon
von Rio, Martin Schulz,
({3})
hat in einem Interview deutlich gemacht, dass er mit
26 Jahren ans Aufhören denkt, ja, denken muss, weil er
im internationalen Vergleich unter indiskutablen Rahmenbedingungen trainieren muss . Als Behindertensportler bekommt er über die Sporthilfe nur die Hälfte der üblichen A-Kader-Förderung für Nichtbehinderte, konkret
satte 150 Euro im Monat . Vor Rio waren es immerhin
noch 550 Euro . Doch die sogenannte Top-Team-Förderung fällt nach den Paralympics weg . Alle internationalen Konkurrenten von Schulz trainieren unter vollprofessionellen Bedingungen . Und das ist kein Einzelfall .
Eine Kleine Anfrage der Linken hat ergeben: Für
44 Nationalmannschaften im paralympischen Bereich
gibt es gerade einmal sieben hauptamtliche Trainer . Alle
anderen Trainer und Übungsleiter arbeiten auf Honorarbasis oder fast komplett ehrenamtlich . Soll das künftig so
weitergehen? Zwei Drittel der Olympiastützpunkte sind
derzeit nicht barrierefrei . Es gibt also noch viel zu tun .
Die sportpolitischen Leitlinien der Linken sind in
unserem Entschließungsantrag klar formuliert . Unsere
Kernforderungen sind:
Erstens soll der Sport als Staatsziel im Grundgesetz
verankert und endlich ein Sportfördergesetz erarbeitet
werden .
Zweitens soll jede Sportförderung des Bundes auch
einer zunehmenden breiten sportlichen Betätigung für
alle und der Gesundheit der Menschen von frühester
Kindheit bis ins hohe Alter dienen .
Drittens soll die Spitzensportförderung angemessene,
verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen für die
Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainer
und weitere Akteure schaffen.
Viertens muss die Sportstätteninfrastruktur in Bund,
Ländern und Kommunen erhalten und systematisch verbessert werden .
Fünftens brauchen wir Dateien - so die Auffassung
der Bundesregierung - im konsequenten Kampf gegen
Doping, Betrug und Korruption im Sport .
Abschließend zur vorgelegten Beschlussempfehlung:
Es ist schon bezeichnend, wenn sogar die Koalition sage
und schreibe 35 Forderungen an die Bundesregierung
formuliert . Viele dieser Forderungen unterstützt die Linke; teilweise sieht sie aus wie von uns abgeschrieben .
({4})
Trotzdem können wir dem Antrag nicht zustimmen;
denn dort steht als Überschrift, dass die Koalition ihre
Erfolgsbilanz im Sport fortschreiben will . Davon kann
nun wahrlich keine Rede sein .
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaela
Engelmeier für die SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir beraten heute den 13 . Sportbericht der Bundesregierung . Dieser Bericht macht deutlich, dass der Sport in
unserem Land nicht mehr wegzudenken ist . Er zeigt, was
Sport in unserer Gesellschaft bewirkt .
Ohne die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung wären der Spitzensport und auch in Teilen der Breitensport in ihrer bisherigen Form nicht möglich . Unsere
Spitzensportlerinnen und Spitzensportler können sich mit
dieser Förderung intensiv auf ihre Wettkämpfe vorbereiten . Das zeigt: Sport muss langfristig gedacht werden .
({0})
Basis für den Spitzensport ist der Breitensport; denn
ohne Breite keine Spitze . In den mehr als 90 000 SportDr. André Hahn
vereinen in Deutschland sind über 27 Millionen Mitglieder organisiert .
Damit die Menschen auch zukünftig ihren Sport
treiben können, sind Investitionen in die Sportanlagen
dringend notwendig und von existenzieller Bedeutung .
Sportanlagen bringen aber nicht immer nur Freude, sondern auch Konflikte. In dichter werdenden Städten müssen wir immer auch für Akzeptanz bei den Anwohnern
von Sportanlagen werben. Zu häufig kann der Sport
nicht stattfinden, weil entweder die Anwohner gegen den
Sportlärm klagen oder die Anlagen marode sind . Der
Sport fällt bei finanzieller Not der Kommunen fast immer
als Erstes einer Sparwelle zum Opfer .
Dabei übernimmt der Sport auf vielfältige Art und
Weise und in vielen Lebensbereichen eine wichtige soziale Funktion . Der Sport mit seinem integrativen Charakter hilft dabei, Vorurteile abzubauen, Werte zu vermitteln
und zu integrieren . Sport baut Brücken zwischen Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft .
({1})
Gerade für Kinder und Jugendliche trägt der Sport wesentlich zum Erlernen von sozialer Kompetenz bei . Daher ist es auch in Zukunft notwendig, dass wohnortnahe
Sportstätten flächendeckend in Deutschland vorhanden
sind . Der Sport darf nicht aus den Innenstädten verdrängt
werden .
Der Modernisierungs- und Sanierungsbedarf für
Sportstätten in Deutschland ist enorm . Viele Anlagen
sind mehrere Jahrzehnte alt und ähnlich wie Schulen
entsprechend marode . Umso erfreulicher ist es, dass wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns in den
aktuellen Haushaltsverhandlungen damit durchsetzen
konnten, dass es ein 100-Millionen-Euro-Investitionsprogramm geben wird .
({2})
Sportvereine haben die Möglichkeit, sich um einen Zuschuss für solche Investitionen zu bewerben .
Nicht nur der Zustand der Sportstätten schafft Probleme, sondern auch der sogenannte Sportlärm . Wir haben
Verständnis für die Anwohner von Sportanlagen . Nur
haben auch die Sportler ein Recht auf Ausübung ihrer
Aktivitäten . Für beide Seiten des Zauns werden wir noch
in dieser Legislaturperiode klare Regeln schaffen. Die
Berücksichtigung von spielenden Kindern und die Akzeptanz von Kinderlärm müssen ein Teil der Verordnung
sein .
An dieser Stelle möchte ich den rund 2 Millionen Menschen in Deutschland danken, die sich in ihren Sportvereinen freiwillig engagieren; denn ohne sie hat der Sport
und haben die Vereine keine Chance, zu überleben . Sie
leisten mit ihrem Engagement einen unentbehrlichen
Beitrag für unser funktionierendes Gemeinwesen . Viele
Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens würden
ohne die insgesamt 30 Millionen Ehrenamtlichen in diesem Land kaum mehr existieren .
Der Sportbericht endet mit dem Jahr 2013 . Seitdem
hat sich vieles in diesem Land verändert . In den letzten
Jahren ist es in Deutschland leider wieder salonfähig geworden, mit Stammtischparolen über Minderheiten zu
urteilen und zu hetzen . Der Schutz aller Menschen vor
Rassismus und Diskriminierung ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und für die Bundesregierung ein Ziel von herausragender Bedeutung .
({3})
- Für die Linke und für die Grünen garantiert auch . Danke, André .
Akzeptanz und Respekt sind die Grundbedingungen
für ein friedliches Zusammenleben . Daher begrüßen wir
es außerordentlich, dass das Bundesfamilienministerium und unsere Ministerin Manuela Schwesig die Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auf
über 100 Millionen Euro aufgestockt haben . Mit diesen
Mitteln sollen auch soziale Projekte des Amateursports
unterstützt werden. Ich finde es wichtig, den braunen
Hetzern aus der rechten Ecke die rote Karte zu zeigen .
Deutlich wurde dies im Fall des FC Ostelbien Dornburg
aus Sachsen-Anhalt, der überregional für Aufsehen sorgte . Die Spieler nutzten das Spielfeld, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten, die sie auch unter
Anwendung von körperlicher Gewalt verteidigten . Zum
Glück hat der Landessportbund den Naziverein vom
Spielbetrieb ausgeschlossen .
({4})
Ein weiteres trauriges Beispiel stammt hier aus Berlin .
Im August 2015 musste ein Spiel mit dem jüdischen Fußballverein TuS Makkabi aufgrund von antisemitischen
Äußerungen abgebrochen werden . Das, meine Damen
und Herren, ist ein echtes Trauerspiel .
({5})
Leider sind in den letzten Jahren nicht nur braune Hetzer wieder am Spielfeldrand aufgetaucht, sondern auch
der Sport selbst hat für negative Nachrichten gesorgt: Doping, Korruption und Wettbetrug . Neben den unzähligen
Korruptionsvorwürfen im Fußball war es wieder einmal
das Thema Doping, das den Sport nicht losgelassen hat .
Meine Fraktion hat fast ein Vierteljahrhundert für ein Anti-Doping-Gesetz gekämpft . In dieser Wahlperiode haben
wir dieses Gesetz in der Großen Koalition beschlossen .
Seit über einem Jahr machen sich deutsche Sportler nun
strafbar, wenn sie verbotene Substanzen einnehmen oder
besitzen . An den ersten Strafbefehlen gegen zwei Ringer
zeigt sich, dass bei uns leider weiterhin gedopt wird und
die Schaffung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft in
Deutschland vielleicht nötig ist .
Ein weiteres dunkles Kapitel im Sport ist das Ausmaß
von sexualisierter Gewalt . Ein Drittel der im Rahmen
einer in Deutschland durchgeführten Studie befragten
Sportlerinnen und Sportler hat schon einmal eine Form
von sexualisierter Gewalt im organisierten Sport erfahren . Daher ist es dringend notwendig, an den bestehenMichaela Engelmeier
den Regelungen zum erweiterten Führungszeugnis zum
Schutz von Kindern und Jugendlichen festzuhalten .
({6})
Damit machen wir uns nicht nur Freunde . Ein Aufweichen der Vorschriften, wie es von vielen Vereinen und
Verbänden mit Hinweis auf zu viel Bürokratie gefordert
wird, kommt für mich, kommt für uns aber nicht infrage .
Ich sage Ihnen eines: Der Schutz der Kinder sollte über
allem stehen . Die Abfrage eines erweiterten Führungszeugnisses sollte landesweit zur verpflichtenden Personalpolitik der Vereine gehören .
Am Ende meiner Rede möchte ich ganz kurz auf die
wunderbaren Schulsportwettbewerbe „Jugend trainiert
für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“
kommen .
({7})
- Nein, wir nicht, lieber Özcan .
({8})
Das ist falsch, wie du weißt .
({9})
Wir Sozialdemokraten haben, wie übrigens auch die Union, daran mitgewirkt, dass sie erhalten bleiben . Betreiben
wir hier mal keine Geschichtsklitterung!
„Jugend trainiert für Olympia“ feiert bald sein 50-jähriges Bestehen . Bis heute haben über 800 000 Schülerinnen und Schüler an diesem Wettbewerb teilgenommen . Das ist ein riesiger Erfolg, den es auch in Zukunft
zu unterstützen gilt . Das Gleiche gilt übrigens für die
Förderung von nichtolympischen Sportverbänden . Die
Entscheidung, die fünf nichtolympischen Sportarten
Base ball/Softball, Karate, Skateboard, Surfen sowie
Sportklettern ins Programm der Olympischen Spiele 2020 in Tokio aufzunehmen, unterstreicht die Sportvielfalt und die möglichst breite Förderung in Deutschland . Es zeigt sich also: Sport muss langfristig gedacht
werden, Sport bewegt, und Sport verbindet .
({10})
Der Kollege Özcan Mutlu spricht jetzt für Bündnis 90/
Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal zu Ihnen, liebe Kollegin Engelmeier: Ihre Bundesregierung
({0})
wollte 2013 „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend
trainiert für Paralympics“ streichen . Dank des Drucks
von unten, vieler, vieler engagierter Menschen und auch
der Opposition wurde dieser Ansatz wieder in den Haushalt aufgenommen .
({1})
So viel zur Wahrheit .
Herr Kollege Mutlu, dürfte ich Sie bitten, das Sakko
zuzuknöpfen, damit die Aufschrift auf Ihrem Oberteil
nicht zu sehen ist?
Ja, das habe ich schon gemacht, Herr Präsident . Das
sollte zwar möglich sein; aber ich erfülle Ihnen diesen
Gefallen gerne, weil es der Hausordnung entspricht .
Fast die Hälfte der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger treibt regelmäßig Sport . Etwa 27 Millionen Menschen sind in unserem Land in Sportvereinen organisiert .
Es gibt über 90 000 Sportvereine, in denen sich Tausende
Menschen ehrenamtlich engagieren . Sport trägt zu einem
guten Miteinander bei und stärkt den Zusammenhalt in
der Gesellschaft .
Nichts bringt Menschen unabhängig von Herkunft,
Kultur, Sprache und Religion so erfolgreich zusammen
wie der Sport . Der Sport hat eine große integrative und
inklusive Kraft . Diese ist für unsere Gesellschaft besonders in schwierigen Zeiten wie diesen von unschätzbarer
Bedeutung .
Diesen Schatz müssen wir durch eine gute und zeitgemäße Sportpolitik bewahren . An dieser Stelle möchte ich
mich bei den vielen Sportvereinen und den Tausenden
Ehrenamtlichen bedanken, die sich tagein, tagaus für unsere Gesellschaft engagieren und ein tolles Engagement
für die Integration der vielen geflüchteten Menschen gezeigt haben .
({0})
Meine Damen und Herren, in Zeiten, in denen Gigantismus, Korruption, Betrug, Doping und reines Gewinnstreben im Sport und besonders im Spitzensport
unvorstellbare Ausmaße annehmen, wird aber auch deutlich: Der Sport hat tiefgreifende Probleme . Oft sind es
die Sportfunktionäre und die Sportverbände selbst, die
die Ideale des Sports opfern und verraten .
Von guter Sportpolitik erwarten wir hingegen, dass
sie den Sport und die Verbände dabei unterstützt, die genannten Probleme anzugehen und zu lösen . Wir Grüne
sprechen uns ohne Frage auch für die Autonomie des
Sports aus, doch an der Stelle, an der bei der Vergabe
von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen die
Gewinnmaximierung vor Menschen- und Bürgerrechten
steht, die Medaillenmaximierung wichtiger als Dopingprävention und Gesundheit ist, Individualinteressen vor
Good Governance, Integrität und Fairness stehen, sagen
wir Nein und ziehen die rote Karte .
({1})
Wenn die Strukturen des Sports versagen, müssen wir
als Politik reagieren und klare Zeichen setzen . Wir Grüne
haben mit unserer Drucksache 18/3556 unser Konzept
für eine nachhaltige Sportpolitik im Deutschen Bundestag vorgelegt . Gute Sportpolitik signalisiert nämlich den
Sportverbänden, dass wir nicht einverstanden sind, wenn
Sportgroßveranstaltungen an Länder vergeben werden,
in denen die Regime die Menschenrechte mit Füßen treten, oder wenn dadurch die Natur oder die Umwelt zerstört werden . Wir brauchen klare und verbindliche Regeln für Sportgroßveranstaltungen, damit die Einhaltung
von Menschen- und Bürgerrechten sichergestellt ist und
damit Umweltstandards als harte Vergabekriterien nicht
übergangen werden können .
Hierbei sind natürlich die Verbände, aber auch die Politik gefordert . Wir brauchen Verbandsstrukturen, die Intransparenz, Korruption und Betrug nachhaltig bekämpfen und verhindern . Zugleich brauchen wir endlich ein
weltweit funktionierendes Antidopingsystem .
Hierzu möchte ich anmerken, dass Sie - damit meine
ich die Große Koalition und auch den Sportminister - mit
der geplanten Spitzensportreform, die nur auf Medaillen
und Finalplätze abzielt, genau das gegenteilige Signal
insbesondere beim Doping senden .
Der Sportphilosoph Professor Dr . Gunter Gebauer
hat in der Ausschussanhörung zum Thema gesagt - ich
zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -: Wir laufen
Gefahr, uns in einer unerfreulichen Nachbarschaft wiederzufinden. - Er hat recht: siehe Russland, siehe Staatsdoping in Russland .
Wir sagen: Mit der geplanten Spitzensportreform
schaden Sie dem deutschen Spitzensport mehr, als Sie
ihm helfen . So lautet auch die breite Kritik der Expertinnen und Experten, der Athletinnen und Athleten, der
Trainerinnen und Trainer . Der Breitensport, auch wenn
er hier in Reden genannt worden ist, existiert für Sie
überhaupt nicht . Gute Sportpolitik aber führt eine breite gesellschaftliche Debatte um gemeinsame Ziele, um
gemeinsame und verbindliche Maßnahmen für eine
langfristig ausgerichtete moderne Entwicklung des Spitzensports und des Breitensports . Sie vernachlässigt den
Breitensport nicht .
Das, meine Damen und Herren, passiert bei Ihnen
nicht . Wir sagen: Da muss mehr gemacht werden . Gute
Sportpolitik ist eben auch Integration und Inklusion, Jugendschutz und Ehrenamt, Umweltschutz, Gesundheitsförderung und der Schutz von Menschenrechten . Hierbei
müssen wir gemeinsam mit dem Sport diese Aufgabe
annehmen .
Ich möchte an Sie alle appellieren: Im Sportbericht
der Bundesregierung sind viele richtige Ansätze enthalten . Setzen wir uns gemeinsam dafür ein und ziehen wir
die richtigen Schlüsse daraus, damit wir nicht jedes Jahr
bzw . bei jeder Präsentation eines Sportsberichtes hier stehen und die Missstände beklagen müssen . Nicht Klagen,
sondern Taten sind gefordert .
Danke sehr .
({2})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Eberhard
Gienger .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der 13 . Sportbericht der Bundesregierung dokumentiert
eindrucksvoll die unzähligen Maßnahmen der Bundesregierung, um die Sportentwicklung in Deutschland weiter
voranzubringen . Im Internet ist auf ungefähr 140 Seiten
nachlesbar, auf welcher Grundlage und vor allem durch
welche Initiativen der Sport durch die Bundesregierung
gefördert wird .
Für den zurückliegenden Zeitraum von 2010 bis 2013
lässt sich jedenfalls eine beachtliche Erfolgsbilanz aufstellen . Hier sind zum Beispiel die Spitzensportförderung
von Athleten mit und ohne körperliche Behinderung, die
Traineroffensive, die duale Karriere, die Bekämpfung
von Doping sowie von Spiel- und Wettmanipulationen,
der Gesundheitssport, der Sportstättenbau, der Kinderund Jugendsport und vieles mehr zu nennen .
Mit Blick auf das Kompendium fällt sofort auf, dass
beinahe jedes Bundesministerium den Sport entsprechend seiner Zuständigkeit fördert, und zwar zu Recht .
Hierdurch zeigt sich vor allem eines: Der Sport leistet
in nahezu allen Gesellschaftsfeldern einen wertvollen
Beitrag und nimmt in diversen Lebensbereichen eine gewichtige Rolle ein .
Der Sport bedeutet naturgemäß Training, Bewegung,
Aktivsein, Zusammenhalt, Integration, aber eben auch
Leistung, Fairplay, Miteinander - das ist im Übrigen das
Motto der Deutschen Sporthilfe -, Gesundheit, Wohlbefinden, soziale Teilhabe, Gestaltung, Bildung, Wertevermittlung, Demokratie, Gleichstellung, Umwelt- und
Klimaschutz und internationale Zusammenarbeit und
Verständigung . Özcan, daran kannst du erkennen, dass
wir im Sportbericht sehr wohl auch den Breitensport berücksichtigen .
({0})
Die positiven Wirkungen des Sports für unsere Gesellschaft sind vielfältig und unbestritten, und vor allem
rechtfertigen sie eine solide Förderung durch den Bund .
Der Sportbericht bietet neben der Retrospektive einen
Ausblick auf die Ziele, die wir uns vonseiten der Koalition zu Beginn der 18 . Legislaturperiode gesetzt haben .
Der Sportbericht ist also weiterhin aktuell und zeigt, dass
die Union ihre Versprechen gehalten hat . Der von der
Union eingebrachte Entschließungsantrag zeigt darüber
hinaus, dass wir sprichwörtlich am Ball bleiben, neue
Entwicklungen sehr wohl aufgreifen und Herausforderungen annehmen .
Die sportpolitischen Ziele im Koalitionsvertrag wurden demnach entweder bereits erreicht, oder die entsprechenden Maßnahmen befinden sich in der finalen Abstimmung .
Zudem hat sich die Union nicht nur den Sonnenseiten, sondern auch den Schattenseiten zugewandt . Zu den
wichtigsten Ergebnissen zählen hier die Verabschiedung
des Anti-Doping-Gesetzes, das seit dem 1 . Januar 2016
in Kraft ist, das Gesetz gegen Spielmanipulation und
Wettbetrug, das noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll, und der Entschädigungsfonds für
die Opfer des DDR-Zwangsdopings, der immerhin mit
10,5 Millionen Euro ausgestattet ist .
({1})
Im Bereich des Rehabilitationssports kann das Präventionsgesetz, das 2015 ins Leben gerufen wurde, als
große Chance verstanden werden, um Krankheiten vorzubeugen und/oder die Gesundheit zu erhalten . Ziel ist
es, Training auf Rezept erhalten zu können . Die Krankenkassen sollen und wollen ihr Engagement im Bereich
der Prävention in jedem Fall stark ausbauen, und ich
kann nur unterstreichen, dass zielgerichtete körperliche
Bewegung und entsprechendes Training manchmal besser sind als Pillen .
Natürlich zählt zum Bereich des Sports auch die Förderung einer adäquaten Infrastruktur . Den Sanierungsstau konnten wir durch das Programm des Umweltministeriums für die kommunalen Bereiche Sport, Jugend
und Kultur mindern . Immerhin sind hier 100 Millionen
Euro eingebracht worden . Mich freut sehr, dass dieses
Programm eine Fortsetzung findet.
Die Sportvereine werden ferner von einer deutlichen
Flexibilisierung bei den Lärmschutzbestimmungen profitieren . Gerade für Kinder und Jugendliche wollen wir erreichen, dass auch in Ballungsgebieten ein wohnortnahes
Sporttreiben möglich ist und weiterhin möglich bleibt .
({2})
Die Änderungen befinden sich im Umweltausschuss in
der finalen Abstimmung. Ich gehe fest davon aus, dass
die Bundesländer bis zum Sommer zugestimmt haben
werden .
Die Sportvereine haben darüber hinaus einen zentralen
Beitrag geleistet, um Flüchtlingen eine vorübergehende
Unterkunft zu bieten . Die vielen Ehrenamtlichen haben
Integration in den Sportvereinen sprichwörtlich mit Leben gefüllt . Deshalb hat die Union die Mittel für das Programm „Integration durch Sport“ auf über 10 Millionen
Euro verdoppelt . Mit einem Sonderprogramm unterstützt
die Bundesregierung in der Flüchtlingshilfe das freiwillige Engagement . Dafür werden 10 000 zusätzliche Plätze
im Bundesfreiwilligendienst geschaffen.
Die Reform der Spitzensportförderung ist nach intensiven Beratungen auf der DOSB-Mitgliederversammlung im Dezember vergangenen Jahres beschlossen
worden . Nun gilt es, dieses Programm Schritt für Schritt
umzusetzen . Wir werden diesen Prozess natürlich sehr
eng begleiten . Dabei stehen die Athleten im Mittelpunkt .
Sie, die Athleten, sollen von der Neuausrichtung profitieren, und zwar durch nahezu perfekte Rahmenbedingungen . Dies schließt eine deutliche Verbesserung der
Trainersituation mit ein . Denn die Trainer sind es, die neben den Athleten in ihrer zentralen Schlüsselposition den
sportlichen Erfolg garantieren . Das Duo Trainer-Athlet
muss arbeiten können . Alle anderen in ihrem Umfeld haben dafür zu sorgen, dass dieses Duo gut arbeiten kann .
Leider wurde ein Punkt - bewusst oder unbewusst immer wieder falsch verstanden . Wer sich die Attribute
in der Potenzialanalyse näher anschaut, kann erkennen,
dass es sich hierbei nicht nur um künftige Erfolgsaussichten handelt, sondern vor allem darum, die Arbeit der
Verbände und der Aktiven zu objektivieren . Nochmals:
Die Athleten stehen bei uns im Mittelpunkt . Alle anderen
in ihrem Umfeld haben dafür zu sorgen, dass die Athleten
und die Trainer arbeiten können .
({3})
Im Übrigen ist die Interessenvertretung der Athleten das als Randbemerkung -, die Sie anstreben, wichtig und
wird von uns auch entsprechend unterstützt .
Unser Entschließungsantrag zum Sportbericht sieht
weitere Aspekte zum Leistungssport vor: Unter anderem
soll die Sportwissenschaft stärker einbezogen werden .
Die Potenziale der Digitalisierung und Technisierung
wollen wir bei der Förderung des Spitzensports besser
nutzen und vor allem mit dem IAT und FES weiter voranbringen . Die nichtolympischen Verbände mit einer Aussicht auf Aufnahme ins olympische Programm werden
frühzeitig gefördert .
Mit einer Erhöhung von 5,2 Millionen Euro im Sporthaushalt 2017 haben wir schon einmal ein Zeichen gesetzt . Den Olympianeulingen - wie gerade angeführt:
Baseball/Softball, Karate, Sportklettern, Skateboard und
Surfen - werden immerhin 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Der Behindertensportverband erhält zusätzlich 1,5 Millionen Euro, die im Übrigen nicht allein
von der SPD bewilligt wurden, sondern zusammen mit
uns beschlossen wurden .
({4})
Dies wird schließlich dazu führen, dass die Inklusion
und die Professionalisierung in diesem Verband weiter
vorangetrieben werden . Zur Einrichtung der sogenannten PotAS-Kommission hat das Parlament immerhin
700 000 Euro zur Verfügung gestellt .
Wie durch unseren Sportminister Thomas de Maizière
angekündigt, werden wir uns gerade in der Übergangsphase 2017 für eine deutliche Erhöhung der Fördermittel einsetzen . Nur durch die Reformen, die Investitionen
und schließlich auch die Konzentration auf die Athleten
werden wir an die bisherigen Erfolge im Spitzensport
anschließen können . Vielleicht können wir diese sogar
etwas verbessern .
Nun zum Abschluss noch eine Bemerkung, die mir
wichtig ist . Die Sportwelt steht naturgemäß nicht still,
und dies leider nicht nur im positiven Sinne . Das systematische Staatsdoping in Russland, durch den McLaren-Bericht untermauert, aber vielleicht auch in anderen
Nationen untergräbt das Vertrauen in den Sport und verkehrt die Werte von einem fairen Wettbewerb ins Gegenteil .
Ich glaube, nur dann, wenn das IOC deutlich gegensteuert und zusammen mit der internationalen Anti-Doping-Agentur eine Nulltoleranzpolitik verfolgt, kann das
verlorengegangene Vertrauen wieder zurückgewonnen
werden . Wenn ganze Sportarten oder Nationalmannschaften dopingverseucht sind, dann sind meiner Meinung nach auch Kollektivstrafen durchaus zu rechtfertigen, um die sauberen Sportler und den sauberen Sport zu
schützen .
Wir jedenfalls werden alles daransetzen, die sauberen
Athleten und den fairen Wettbewerb zu schützen, national wie international .
Danke schön .
({5})
Zum Abschluss in dieser Aussprache hat die Kollegin
Jeannine Pflugradt für die SPD das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werte Gäste! Sie bieten dort oben auf der Tribüne ein besonders schönes Bild . Herzlich willkommen!
({0})
Um eine dauerhafte Spitzenposition im internationalen Sport einzunehmen, bedarf es eines effektiven Fördersystems, dessen Wirksamkeit sich nicht allein anhand
der Höhe der bereitgestellten finanziellen Mittel messen
lässt . Die deutsche Spitzensportförderung hat einen humanen Anspruch und muss auch nach der sportlichen
Laufbahn Verantwortung für ihre Athletinnen und Athleten übernehmen . Deshalb muss die Förderung der dualen
Laufbahn hierzulande eine besondere Stellung einnehmen .
In richtiger Abstimmung miteinander verstärken sich
Spitzensport und Berufs- bzw . Bildungslaufbahn gegenseitig . Das belegen nicht nur die guten Ergebnisse unserer Athleten, sondern auch zahlreiche wissenschaftliche
Studien .
Besondere Anerkennung kann die Spitzensportförderung des Bundes für sich beanspruchen: Athletinnen
und Athleten der Bundeswehr, der Bundespolizei und des
Zolls haben außerordentlich erfolgreich an Olympischen
Spielen und an Weltmeisterschaften teilgenommen, und
sie haben auch nach ihrer sportlichen Laufbahn eine gute
Berufsperspektive im öffentlichen Dienst.
Aber nicht jedes Talent möchte diesen Weg einschlagen . Erfolgsentscheidend dabei ist also, ob einer individuell für die Athletin oder den Athleten entwickelten
ganzheitlichen Strategie gefolgt wird . Eine solche Strategie sollte sich stark an den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen der Nachwuchsathletinnen und -athleten orientieren .
({1})
Besonders wichtig ist die Zeit nach dem Schulabschluss .
Für die Jugendlichen müssen sich in dieser wichtigen
Umbruchphase aussichtsreiche Perspektiven für ein Leben mit und nach dem Spitzensport eröffnen.
37 Prozent der Athletinnen und Athleten beenden
ihre sportliche Laufbahn vorzeitig aufgrund ihres Studiums oder ihrer beruflichen Karriere. Wenn deswegen
eine Entscheidung gegen den Spitzensport und für die
berufliche Laufbahn gefällt wird, dann müssen wir doch
darüber nachdenken, die Rahmenbedingungen für duale
Laufbahnen zu verbessern .
Die Koalitionsfraktionen haben den Handlungsbedarf
erkannt und sich im Koalitionsvertrag auf Seite 137 verpflichtet, für eine bessere Vereinbarkeit des Studiums,
der Ausbildung und des Berufes mit dem Spitzensport
einzusetzen . Deshalb müssen wir gemeinsam mit dem
Deutschen Olympischen Sportbund und den Bundesländern die in Potsdam beschlossene Neuausrichtung
der „Eliteschulen des Sports“ zur Entlastung der jungen
Athletinnen und Athleten sowie zur Flexibilisierung der
schulischen Leistungsanforderungen vorantreiben .
Das Gleiche gilt natürlich auch für studierende Spitzensportler . Wir müssen mit den Bundesländern auf
die bundesweit flächendeckende Einführung von Profilquoten für einen erleichterten Hochschulzugang der
Athletinnen und Athleten in allen Bachelor- und Masterstudiengängen hinwirken, und in Zeiten des digitalen
Fortschritts muss über eine Flexibilisierung der Studiengänge durch mehr E-Learning-Angebote, weniger Präsenzpflicht, mehr Blockunterricht, ein größeres Angebot
an Fernstudiengängen und eine Verringerung der örtlichen Bindung bei der Ableistung von Prüfungen nachgedacht werden . Ich denke, dass die Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bereich Bildung auch hier von Vorteil
ist, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU .
({2})
Bedauerlicherweise sind mir im Zuge der Neuausrichtung der Spitzensportförderung zu viele Fragen um das
Thema „Duale Karriere“ bei Spitzensportlern
({3})
- Herr Kauder, hören Sie doch einfach weiter zu - offen
geblieben .
({4})
Das Konzeptpapier enthält weitgehend oberflächliche
sowie vage Informationen und nur wenig Durchschlagendes in diesem Bereich . Athleten in den Mittelpunkt
des Förderkonzepts zu stellen, bedeutet nicht nur, sie in
bestimmte Fördercluster einzuordnen, sondern auch, sie
als Menschen mit außergewöhnlichen sportlichen sowie
gesellschaftlichen Leistungen zu betrachten . Ein praktikables sowie funktionelles Nebeneinander beider Laufbahnen ist für jeden Athleten unermesslich und steigert
die Qualität der Leistung . Bedenken Sie auch, dass unsere Kinder Vorbilder brauchen,
({5})
damit sie erkennen, dass sich sportliche Träume durch
Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und fleißiges Training verwirklichen lassen .
Gestatten Sie mir zum Schluss meiner Rede noch ein
paar Worte zum Verdacht des Staatsdopings in Russland .
Aber wirklich kurz; denn Sie haben Ihre Redezeit
schon überschritten .
({0})
Ganz kurz . - Wenn Herr Kauder ruhig wäre, wäre ich
schneller .
({0})
Ich appelliere an alle internationalen Sportverbände,
bis zur Klärung bzw . endgültigen Aufklärung des in Rede
stehenden Verdachts keine Sportgroßveranstaltungen
mehr nach Russland zu vergeben oder dort stattfinden zu
lassen . Ich beglückwünsche ausdrücklich den Internationalen Bob & Skeleton Verband zu der Entscheidung,
die diesjährigen Weltmeisterschaften von Russland nach
Deutschland, an den Königssee, zu verlegen . Die Vergabe großer internationaler Sportwettkämpfe sollte auch
immer eine Anerkennung für gute Leistungen sein . Diese
kann ich bei Russland momentan nicht erkennen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Pflugradt. - Zuerst begrüße ich Sie alle und schließe die Aussprache .
Nun habe ich die Ehre, im Namen von Ihnen allen das
Köln-Porzer Dreigestirn auf der Tribüne zu begrüßen . Ich
muss nicht sagen, wo sie sitzen . Das kann man erkennen .
({0})
Ich wünsche Ihnen eine gute Session. Ich hoffe, dass ich
das richtig ausgesprochen habe . Ich komme aus Schwaben, und da kennt man das nicht .
({1})
Wie Sie sehen, freuen wir uns über Ihren wiederholten
Besuch . Sie sind hier herzlich willkommen .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Sportausschusses zum 13 . Sportbericht
der Bundesregierung . Es handelt sich um die Drucksa-
chen 18/3523 und 18/9748. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die
Grünen . Dagegen war die Linke .
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/10876 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zuge-
stimmt hat die Linke . Dagegen war die Große Koalition .
Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/10893 . Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Lin-
ke . Dagegen waren CDU/CSU und SPD .
Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt . Ich
rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W . Birkwald, Susanna Karawanskij, Sabine
Zimmermann ({2}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Renteneinheit verwirklichen - Lebensleistung
anerkennen
Drucksache 18/10862
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Roland
Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Keine Kumpel zweiter Klasse - Rentenansprüche der Bergleute aus der
DDR-Braunkohleveredlung wahren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Roland
Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwestern - Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen
Drucksachen 18/7903, 18/8612, 18/10779
Zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales werden wir später zwei namentliche
Abstimmungen durchführen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden .
Da sich alle beruhigt haben, eröffne ich die Aussprache
und gebe das Wort für die Linke Susanna Karawanskij .
({5})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Endlich Renteneinheit? Es
wird beklagt, dass wir als Linke uns immer wieder dieses
Themas annehmen . Ich frage jetzt einmal in die Runde:
Wenn wir es nicht getan hätten, wer hätte dann das Thema hier glaubwürdig vorgebracht?
({0})
Das tun wir seit 25 Jahren . Ansonsten wäre es tatsächlich
totgeschwiegen worden .
({1})
Ich bin erst seit kurzem die Ostkoordinatorin der
Linksfraktion . Damals, 1991, war ich nicht in Bonn dabei . Ich war elf Jahre alt . Die Arbeit meiner Vorgängerinnen und Vorgänger werde ich unermüdlich fortsetzen .
Wir werden weiter vehement für die Anerkennung der
Lebensleistung Ost streiten . Und dazu gehört zuvörderst
eine angemessene Alterssicherung .
({2})
Mit dem Antrag, den wir heute neu vorgelegt haben,
knüpfen wir an den Koalitionsbeschluss vom November des vergangenen Jahres an . Ich muss Sie erst einmal
dazu beglückwünschen, dass Sie in der Sache der Angleichung der Rentenwerte Ost an die Rentenwerte West etwas schriftlich fixiert haben. Links wirkt! Wir verbuchen
das als Ergebnis unseres permanenten parlamentarischen
Drucks . Aber es ist natürlich auch ein Erfolg der jahrelangen Proteste der Vereine .
({3})
Aber wir sind nicht zufrieden; denn die bis zum
Jahr 2025 verzögerte völlige Angleichung des Rentenwertes sehen wir erneut als Wortbruch an . Und die sukzessive Abschaffung der Umrechnung der niedrigeren
Einkommen im Osten ist für uns eine nicht hinnehmbare
Benachteiligung der Beschäftigten dort .
({4})
An die Frau Ministerin Nahles gerichtet - sie ist heute
leider nicht da -, sage ich: Wir haben auch an die Niedriglöhner in der Eifel gedacht . Nehmen Sie sich unseres
Antrages an . Sie haben - das habe ich gerade gesagt vorgeschlagen, die Ostrenten schrittweise bis zum Jahre 2025 anzugleichen . Wir fordern gleiche Rechte für
gleiche Lebensleistung . In diesem Zusammenhang fordern wir, einen steuerfinanzierten, stufenweise steigenden Zuschlag einzuführen, mit dem der Rentenwert bis
zum 1 . Juli 2018 angehoben wird .
({5})
Das bringt der Standardrentnerin bzw . dem Standardrentner 80 Euro mehr .
Weil die Gehälter und Löhne der Vollzeitbeschäftigten
im Osten tatsächlich immer noch um 23 Prozent unter
dem Niveau der westdeutschen Bundesländer liegen,
brauchen wir auch weiterhin die Umrechnung, noch so
lange, bis die Löhne und Gehälter im Osten annähernd
an das Westniveau heranreichen .
({6})
Für die ungelösten Probleme der Rentenüberleitung,
insbesondere für das, was besondere Personengruppen
betrifft, haben wir als Linksfraktion heute kein komplexes Paket vorgelegt. Betroffen sind: Eisenbahner, Hebammen, Tänzerinnen, Krankenschwestern sowie Menschen, die zu DDR-Zeiten geschieden wurden, aber auch
Familienangehörige, die ihre Berufstätigkeit unterbrochen haben, um zu pflegen. Aber wir haben heute zwei
Anträge vorgelegt, mit denen wir sowohl den Bergleuten
der DDR-Braunkohleveredelung als auch den Ostkrankenschwestern helfen würden, wenn Sie den beiden Anträgen zustimmen .
({7})
Es macht betroffen: Noch in den 90er-Jahren hatten
1 000 Kumpel Beschwerde eingereicht . Heutzutage sind
es nur noch 383, die trotz hoher Belastung durch ihre Tätigkeit überhaupt noch am Leben sind und aktiv für ihre
Sache streiten. Für die Betroffenen an den anderen Standorten der Braunkohleveredelung sieht es nicht anders aus
als für die von Borna/Espenhain .
Nun werfen uns die Kollegen der SPD vor, wir würden
mit unseren Anträgen vor allen Dingen aus „parteitaktischen Gründen“ Hoffnung schüren.
({8})
Was sagen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
dazu, dass Ihre Landesministerin Petra Köpping den Betroffenen gerade zum Jahresstart 2017 versprochen hat,
mit dem Anliegen „mit allem Nachdruck und aller Herzenswärme“ nach Berlin gehen zu wollen? Da scheint es
doch wohl ein echtes Problem zu geben .
({9})
Die DDR hatte wenig Ressourcen . Deswegen wurde
die Braunkohle abgebaut und, wie es hieß, auch „auf
Teufel komm raus“ veredelt . In Kenntnis der schweren
Arbeitsbedingungen wurden die hier tätigen Kumpel in
der betreffenden DDR-Verordnung denen „unter Tage“
gleichgestellt .
Hier wurde gerade bezweifelt, dass unsere Forderungen - beispielsweise was die Abschaffung des Abschlages für den Rentenbeginn ab dem 60 . Lebensjahr
Vizepräsidentin Claudia Roth
betrifft - auch in Bundesrecht umsetzbar sind. Die meisten Betroffenen haben in den vergangenen Jahren wegen
ihres Gesundheitszustandes diesen frühen Rentenbeginn
mit Rentenverlusten in Anspruch genommen .
Wir können das SGB VI und dort § 238 - wenn mich
nicht alles täuscht - tatsächlich nutzen, um eine Rente ab
dem 60 . Lebensjahr für langjährig unter Tage Beschäftigte zu gewähren und in dieser Vorschrift die Bergleute
der DDR-Braunkohleveredelung gleichzustellen . Gleichstellungen kennt auch das Bundesrecht, beispielsweise in
§ 134 . Das wäre Ausdruck des politischen Willens . Wenn
wir den hätten, könnten wir das hier ganz schnell umsetzen .
({10})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Dr . Rosemann?
Ich möchte meine Ausführungen gerne weiterführen .
({0})
Er kann sich nachher noch äußern . Ich bin ja fast schon
fertig .
Bei den Ostkrankenschwestern ist es tatsächlich komplizierter . Für deren Rente war ein Steigerungsfaktor
von 1,5 Prozent vorgesehen, was das Bundesrecht so
nicht kennt . Aber sie heute damit abzuspeisen, dass man
meint, die Umrechnung der Osteinkünfte - Sie nennen
sie fälschlicherweise immer „Höherwertung“ - wäre ein
Akt, der diese spezielle Lebensleistung anerkennt, ist
blanker Hohn .
({1})
Mein Appell an Sie heute ist: Stimmen Sie mit Ihrem
Namen bei den Bergleuten der DDR-Braunkohleveredelung und bei den Ostkrankenschwestern unseren Anträgen zu! Lassen Sie uns endlich vom Bundestag aus
tatsächlich ein Stück weit mehr Gerechtigkeit schaffen!
Es geht um genau das, was auch Sie im Jahresbericht der
Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit mit
beklagt haben und dessen Bereinigung Sie sich selber auf
die Fahnen geschrieben haben .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Susanna Karawanskij . - Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
beraten heute drei Anträge . Einer davon trägt den Titel
„Renteneinheit verwirklichen - Lebensleistung anerkennen“. Ich finde, dieser Titel lässt schon sehr tief blicken.
Wenn man das so liest, könnte man den Eindruck gewinnen, es gebe keine Einheit in Deutschland und die Rente
sei ein Zustand von Ungerechtigkeit, den es schnellstmöglich zu beheben gelte . Das zieht sich - das ist auch
unsere Beobachtung - schon immer, wohlgemerkt, durch
alle rentenpolitischen Initiativen der Linken. Das betrifft
eben nicht nur verschiedene Berufsgruppen aus Zeiten
der DDR, sondern vor allen Dingen auch alle Rentnerinnen und Rentner in Ost- und Westdeutschland . Das ist
Ausdruck Ihrer Politik des Schlechtmachens, des Kleinredens . Sie wollen das, was wir erreicht haben, was wir
auf den Weg gebracht haben, was wir geleistet haben,
worauf wir zu Recht stolz sein dürfen, einfach mal unter
den Teppich kehren .
({0})
Es ist so, dass es zu Zeiten der Wiedervereinigung gar
nicht möglich war, die Rente in ganz Deutschland nach
gleichen Maßstäben zu ermitteln . Die DDR war am Ende,
und sie war heruntergewirtschaftet . Man hatte ein Land,
eine Region, eine riesige Fläche mit vielen Menschen
übernommen, wo Rentenansprüche natürlich erworben
wurden . Aber die Frage war: Wo sind denn die Beiträge,
die dem Ganzen gegenüberstehen? Woraus können die
Renten letztendlich finanziert werden?
Man musste sich im Prinzip völlig neue Gedanken
machen, wie man die Systeme dieser beiden Staaten und
die Menschen miteinander vereint und zusammenführt .
Es galt, zwei unterschiedliche Sozialversicherungssysteme miteinander in Einklang zu bringen . Ich mag mir
gar nicht vorstellen, wie schwierig es für die Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker der damaligen Zeit gewesen sein muss, das wirklich in einem gerechten Maße
abzubilden . Die größte Herausforderung lag wohl darin,
Gerechtigkeit für die Menschen aus der ehemaligen DDR
im neuen Recht bestmöglich zu verankern . Man muss bei
all dem berücksichtigen, dass es natürlich darum ging,
das Verständnis von Gerechtigkeit auch der Menschen in
den alten Bundesländern zu wahren; denn das sind diejenigen, die das Ganze nicht nur damals, sondern auch
heute maßgeblich finanziell mittragen. Ich bin der Überzeugung, dass dem mit dem Renten-Überleitungsgesetz
Rechnung getragen wurde .
Wir diskutieren heute nicht nur das Thema der Rentenangleichung Ost und West - genauer genommen ist
es eigentlich die Angleichung der Rentenwerte und nicht
der Renten; auch das gehört zur Wahrheit -, sondern es
geht heute natürlich auch einmal mehr um Berufsgruppen aus Zeiten der DDR, um Beschäftigte des Gesundheitswesens, um die Krankenschwestern, aber auch um
die Beschäftigten in der Karbochemie . Wenn ich mich
mit solchen Fällen intensiver auseinandersetze, natürlich
auch mit den vielen anderen Berufsgruppen, die es in der
DDR gab - sie gehören heute zu jenen, die ihre Ansprüche einfordern und klagen -, dann bin ich immer wieder
erschrocken, wie der real existierende Sozialismus, wie
die DDR mit ihren Beschäftigten umgegangen ist . Da
wurde eine Besserstellung im Rentenrecht etabliert mit
der Begründung, dass die Löhne so schlecht seien . Was
ist das, bitte schön, für ein Verständnis von Gerechtigkeit, etwa hinsichtlich der Rente im Alter?
({1})
Unser Recht heutzutage folgt der Auffassung, dass einer Rente immer auch Beiträge gegenüberstehen müssen .
Das ist letztendlich die Herausforderung, die Schwierigkeit, die uns auch in dieser Debatte immer wieder begegnet, wenn wir diese Fälle diskutieren . Ich kann Ihnen wahrlich sagen, dass wir uns in den letzten Jahren
sehr häufig und vor allen Dingen auch sehr intensiv mit
diesen Schicksalen, mit diesen Menschen, diesen Berufsgruppen auseinandergesetzt haben . Aber es geht - das
ist das Schwierige an Politik - eben nicht darum, die möglicherweise berechtigten - Interessen Einzelner abzubilden, sondern es geht immer darum, das große Ganze im Blick zu haben, dafür geradezustehen und das zu
verteidigen - und das auch 26 Jahre nach der deutschen
Wiedervereinigung .
({2})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Birkwald?
Ich würde gerne erst einmal fortfahren, vielen Dank .
Gut .
Meine Damen und Herren, der Hochwertungsfaktor das ist ein anderer Punkt im Bereich der Renten in Ostund Westdeutschland, von dem natürlich insbesondere
die Rentner in den neuen Ländern profitieren -, mit dem
die ostdeutschen Löhne für die Berechnung der Rente
heute hochgerechnet werden, ist eine Besonderheit der
neuen Länder, von der die Menschen eben auch bis heute
profitieren. Weil wir wissen, dass ein Zustand des Übergangs auch irgendwann beendet sein sollte, treibt uns
natürlich um, wie wir solch eine Lösung vernünftig und
generationengerecht umsetzen können - und das schon
seit langem . Damit meine ich nicht das Wunschkonzert
der Linken,
({0})
sondern vernünftige Lösungen, die alle Menschen und
alle Generationen in Deutschland im Blick behalten .
Vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, warum die
Schaffung einheitlicher Maßstäbe bei der Rentenberechnung in Ost und West zum nunmehr dritten Mal im Koalitionsvertrag steht .
({1})
Auch das, denke ich, kann man an dieser Stelle einmal
bemerken .
Ich denke aber auch, dass es an der Zeit ist, hier aktiv zu werden, aber nicht deshalb, weil es gilt, einen Zustand von Ungerechtigkeit zu beenden, so wie es von
Ihnen immer wieder dargestellt wird, sondern weil es der
Wunsch der Menschen ist . Die Rente ist ein Thema, das
jeden in Deutschland bewegt . Ich glaube, es gibt nicht
viele Themen, die mit so vielen Emotionen debattiert
werden . Schließlich geht es um etwas, was jeden von uns
betrifft. Rente ist nun einmal Ausdruck von geleisteter
Arbeit und damit auch von Lebensleistung . So können
sicher alle Abgeordneten - nicht nur die aus den neuen
Bundesländern, sondern auch die aus den alten Bundesländern - bestätigen, dass die Frage der Rente in Ost und
West Gegenstand vieler Gespräche ist .
Ich möchte an dieser Stelle aber auch eines einmal
ganz deutlich sagen - das sage ich als jemand, der seine erste Legislatur im Deutschen Bundestag erlebt -: Ich
finde es bedauerlich, dass es in den letzten 26 Jahren offenbar nicht ausreichend gelungen ist, den Menschen die
Vorzüge und Vorteile des geltenden Rentenrechts zu verdeutlichen . Im Rentenwert Ost von aktuell 94,1 Prozent
sehen einige leider bis heute nicht das, was er ist: eine
statistische Größe, nicht mehr und nicht weniger . Zusammen mit anderen Faktoren wie dem Hochwertungsfaktor entsteht eine Rente, die 40 Jahre Misswirtschaft
und einen maroden Staat eben nicht abbildet, sondern
stattdessen für ein Rentnerdasein in Würde sorgt . Diese 94,1 Prozent werden leider nicht als etwas betrachtet,
was wir gemeinsam in einem Akt höchster innerdeutscher Solidarität erreicht haben . Der Rentenwert Ost,
meine Damen und Herren, wird zu Unrecht als Ausdruck
von Diskriminierung gesehen, und daran trägt die Linke
eine maßgebliche Mitverantwortung .
({2})
In Ihrem Antrag fordern Sie die Angleichung der Rentenwerte Ost und West in zwei Schritten in nicht einmal
zwei Jahren . Dafür wollen Sie die Steuerzahler kurzfristig in Milliardenhöhe belasten .
({3})
Wenn das der Zeithorizont ist, mit dem Sie Politik betreiben, dann spricht das wahrlich nicht für Sie .
({4})
Zeitgleich - das ist das Scheinheilige an Ihrem Vorschlag - sollen die Löhne für die Rente im Osten weiJana Schimke
ter künstlich hochgewertet werden, bis man in Ost- und
Westdeutschland dasselbe verdient .
({5})
Ich glaube, jeder von Ihnen hat schon einmal etwas
davon gehört, dass es Einkommensunterschiede nicht
nur zwischen Ost und West gibt, sondern auch zwischen
Nord und Süd und vielen Regionen . Das wird auch immer so sein . Die Welt ist bunt, und wir werden nie ein
Land schaffen, in dem man überall dasselbe verdient. Es
wird immer leistungsstarke und weniger leistungsstarke
Regionen geben . Ich glaube, das Ideal, dem Sie hinterherlaufen, werden Sie nie erreichen, und das wird es
nicht geben . Das kann auch nicht unser Ziel sein . Schon
deshalb ist eine Beibehaltung des Hochwertungsfaktors
nicht gerechtfertigt . Eine Vereinheitlichung rentenrechtlicher Unterschiede, die wir ja nun immer noch haben,
muss deshalb auch mit der Abschaffung rentenrechtlicher
Privilegien einhergehen .
({6})
Es war immer klar, dass eine Angleichung natürlich
auch den Abbau des Hochwertungsfaktors zur Folge hat;
das muss man ganz klar sagen . Angleichung bedeutet
nicht, dass man sich das Beste heraussucht und Unterschiede fortbestehen lässt .
({7})
Hier dürften auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen, und deshalb lehnen wir diese Vorschläge
ab .
Klar ist aber auch, dass eine Angleichung den ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum
Nachteil gereichen darf. Sie profitieren aktuell noch vom
Hochwertungsfaktor . Dass hier kein Nachteil entsteht,
war immer ein Anliegen der Union und insbesondere
auch der ostdeutschen CDU .
Es ist deshalb gut, dass jetzt ein Vorschlag auf dem
Tisch liegt, der eine moderate Lösung vorschlägt . Es ist
schon oft in der Presse diskutiert worden: Wir streben
an, ab 2018 den Rentenwert in sieben Schritten zwischen
Ost und West anzugleichen . Gleichzeitig wird der Hochwertungsfaktor zurückgefahren . Im Jahr 2025 soll dieser
Prozess abgeschlossen sein . Wir haben dann ein bundeseinheitliches Rentenrecht - wenn Sie so wollen -, einheitliche Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutschland für die Ermittlung der Rente . Von einer längeren
schrittweisen Angleichung profitieren die ostdeutschen
Arbeitnehmer, da ihnen dann der Hochwertungsfaktor etwas länger erhalten bleibt . Zeitgleich erfahren die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland eine Besserstellung durch die schrittweise Anhebung des Rentenwertes .
Meine Damen und Herren, ich halte das für einen guten,
einen diskutablen Vorschlag . Ich freue mich auf die anstehende Debatte .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank, Frau Schimke . - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Birkwald .
({0})
Doch, Herr Kollege . - Frau Präsidentin, herzlichen
Dank . - Liebe Kollegin Schimke, bei aller persönlichen
Wertschätzung eine Vorbemerkung: Es ist interessant,
dass eine Kollegin aus Brandenburg, einem der jüngeren Bundesländer, den ostdeutschen Rentnerinnen und
Rentnern deutlich sagt: Die CDU/CSU ist für sie nicht
wählbar .
({0})
Und ein Kollege aus dem westlichen Bundesland Nordrhein-Westfalen muss die Interessen der ostdeutschen
und der westdeutschen Rentnerinnen und Rentner vertreten .
Ich will Ihnen Folgendes sagen: Ein Maler- und Lackierergeselle verdient im Westen 13,10 Euro, im Osten
11,30 Euro, ein Gebäudereiniger im Westen 13,25 Euro,
im Osten nur 11,53 Euro, jemand in der Pflegebranche im
Westen 10,20 Euro, im Osten 9,50 Euro, bei der Leiharbeit unterschiedlich, Krankenschwester Ost 2 800 Euro,
im Westen 3 200 Euro usw ., usw .
({1})
Das sind Zahlen des Instituts Arbeit und Qualifikation,
IAQ, der Universität Duisburg-Essen .
({2})
Solange die Beschäftigten in den jüngeren Bundesländern nach wie vor 23 Prozent und in Südwestsachsen beispielsweise bis zu 30 Prozent weniger Lohn und Gehalt
für dieselbe Tätigkeit bekommen, so lange ist es notwendig, dass wir eine Umrechnung vornehmen, damit die
gleiche Leistung in der Rente auch gleich bewertet wird .
Wir wollen nicht die Umrechnung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag . Wenn die Löhne annähernd gleich sind,
muss auch die Umrechnung komplett gestrichen werden .
Es ist nämlich falsch, wenn in der Bild-Zeitung steht, wer
3 000 Euro brutto im Osten hat, bekäme mehr Rente als
der, der 3 000 Euro im Westen hat .
({3})
Das gilt nur, wenn man die Zahl abstrakt nimmt . Bei den
einzelnen Jobs, bei der einzelnen Leistung ist das nicht
der Fall . Da haben Sie im Osten beispielsweise jemanden
aus der Versicherungsbranche, nur wenige andere . Das
ist das Problem .
Zum Zweiten . Wir wollen auch, dass diejenigen, die
im Westen niedrige Löhne haben - Frau Ministerin redet
immer von den Niedriglöhnen in der Eifel, zum Beispiel
von der Bäckereifachverkäuferin -, ihre Renten aufgewertet bekommen . Deswegen fordern wir Sie auf, liebe
Kolleginnen und Kollegen: Entfristen Sie die Rente nach
Mindestentgeltpunkten .
({4})
Dann hätten wir auch für 40 Prozent der Menschen im
Westen eine höhere Rente, vor allen Dingen für diejenigen, die eine niedrige haben .
({5})
Letztes Argument . Wir haben in allen jüngeren Bundesländern durch die Bank weg immer noch ganz niedrige Löhne . Brandenburg ist das Bundesland mit dem
höchsten Durchschnittslohn . Es liegt aber immer noch
unter dem Bundesland im Westen mit dem niedrigsten
Durchschnittslohn, nämlich Schleswig-Holstein . Solange das so ist, brauchen wir beides: zum einen die Umrechnung für die Rentnerinnen und Rentner im Osten und
zum anderen die Rente nach Mindestentgeltpunkten zu
besseren Konditionen in West und Ost .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank, Kollege Birkwald . - Frau Schimke .
Herr Kollege Birkwald, ich meine, mich an eine Debatte zu erinnern, wo ein geschätzter Kollege Ihnen gesagt hat, dass Politik nicht die Fortsetzung einer mathematischen Rechenformel ist .
({0})
So verhält sich das natürlich auch mit den Löhnen in
Ost- und Westdeutschland . Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich freue mich sehr, dass die Branche der Zeitarbeit eine der ersten sein wird - um nicht zu sagen: die
erste sein wird -, die in einem absehbaren Zeitraum die
Lohngleichheit zwischen Ost und West herstellen wird .
So viel Information zunächst einmal für Sie, lieber Herr
Birkwald .
Jeder, der mich kennt, weiß: Ich bin niemand, der für
die politische Verordnung von Löhnen steht - im Gegenteil . Ich bin der Meinung, dass das die Wirtschaft zu entscheiden hat, nach ihrer Kraft, nach ihrer Leistungsfähigkeit . Ich freue mich sehr darüber, dass wir gerade in den
tarifgebundenen Bereichen in den neuen Bundesländern
inzwischen eine Angleichung erfahren haben, die sich sehen lassen kann .
({1})
Es wird wirklich nicht mehr lange dauern, bis die Tarifvertragspartner dieselben Zahlen für Ost und West in die
Tariftabelle aufnehmen .
Unsere Aufgabe ist es, Herr Birkwald, dies nicht politisch zu verordnen oder gar eine Zahl vorzugeben; unsere
Aufgabe ist es, für die richtigen Rahmenbedingungen zu
sorgen, sodass die Unternehmen in der Lage sind, Löhne
zu zahlen, für die es sich zu arbeiten lohnt .
Ein Wort zum Hochwertungsfaktor . In dem Referentenentwurf, der gerade die Runde macht, ist natürlich
nicht von einer sofortigen Abschaffung des Hochwertungsfaktors die Rede . Es ist davon die Rede, den Hochwertungsfaktor stufenweise herunterzuführen .
({2})
Ich würde schon sagen, der Zeitraum, von dem dort die
Rede ist - perspektivisch 2024 -, ist durchaus realistisch .
Wir befinden uns im Moment in einer sehr guten wirtschaftlichen Lage . Wir tun alles dafür, dass diese Lage
weiter anhält, dass die Phase der Hochkonjunktur wirklich so lange wie möglich Bestand hat, damit auch unsere Rentnerinnen und Rentner davon profitieren werden.
Dann wird sich die Frage des Hochwertungsfaktors irgendwann gar nicht mehr stellen . Das ist unsere Strategie, und ich bin überzeugt, dass es die richtige ist .
({3})
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Kollegin Schimke . - Nächster Redner in
der Debatte: Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Mauer zwischen Ost und West steht noch immer,
nämlich die des Rentenrechts . Die Beharrungskräfte sind
groß, und es ist viele Jahre nichts oder nur sehr wenig
passiert . Und nun plant die Bundesregierung, diese letzte
Mauer mit der Pinzette abzutragen, in sieben Schritten .
({0})
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, wollen als Einzige nicht
bis 35 Jahre nach der Wiedervereinigung warten, sondern
sofort und denkbar einfach das Rentenrecht vereinheitlichen .
({1})
Es ist ganz leicht, es tut nicht weh: Anhebung des Rentenwerts Ost und der Beitragsbemessungsgrenze Ost auf
Westniveau; in der Vergangenheit erworbene Rentenansprüche bleiben selbstverständlich unverändert, und
an dem Stichtag, an dem die Rentenwerte angeglichen
werden, wird dann folgerichtig die Höherwertung abgeschafft. Das ist natürlich in Teilen nicht ganz angenehm
zu vermitteln; aber wir haben hier heute Morgen gehört,
dass es zur Übernahme politischer Verantwortung gehört,
auch unangenehmere Dinge mitzutragen .
Zumindest wären wir dann endlich diese Diskussion
los, die immer wieder vor allem auf Betreiben der Fraktion Die Linke geführt wird . Demnach handelt es sich
bei denjenigen, die östlich der Elbe wohnen, um zu kurz
Gekommene, um 17 Millionen Verlierer, um quasi Geprellte .
({2})
So ist es aber ausdrücklich nicht .
({3})
Das Gefälle bei den Löhnen, die Schwierigkeiten des
Strukturwandels gerade in den neuen Bundesländern will
doch wirklich niemand in Abrede stellen; da wären wir
die Letzten . Ich sage nur: Wir müssen in allen Regionen
in Deutschland die Stärken sehen - und die sind auch
im Osten reichlich vorhanden -, aber wir müssen auch
die Schwierigkeiten bestimmter Regionen und Gruppen
sehen, und da gibt es auch in den neuen Bundesländern
einiges zu tun . Das kann man nicht alles über das Rentenrecht, quasi als Tausendsassa, regeln . Das geht - 26 Jahre
nach dem Mauerfall - nicht . Ihre Strategie, die Höherwertung so lange beizubehalten,
({4})
bis auch das letzte Nest im Strukturwandel das westdeutsche oder, besser noch, das baden-württembergische
Lohnniveau erreicht hat,
({5})
würde dazu führen, dass es bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag unterschiedliches Rentenrecht in Ost und West
gäbe . So geht das nicht .
({6})
Ein Euro, der in Wuppertal verdient wird, darf nicht
weniger Rente bringen als ein Euro, der in Meißen, in
Gera oder in Rostock verdient wird - das ist ganz klar .
Wenn man schon mit Einkommensunterschieden und
unterschiedlichen Rentenwerten anfängt, dann könnte
man auf der Basis genauso sagen, dass es eine rentenrechtliche Höherwertung für Frauen geben müsste; denn
auch sie haben seit Jahrzehnten ärgerlicherweise ein um
23 Prozent niedrigeres Lohnniveau .
({7})
Was mich allerdings wirklich ärgert, Frau Schimke, ist
die Art und Weise, wie die Bundesregierung die Renteneinheit vollzieht, vor allen Dingen, wie sie sie finanziert.
Wir reden von 15,7 Milliarden Euro bis 2024, die ganz
überwiegend von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern getragen werden, obwohl das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe war und ist .
({8})
Sie brauchen das Wort „Generationengerechtigkeit“, das
Sie sonst gerne von diesem Pult aus in jedem zweiten
Satz in den Mund nehmen, nie wieder in den Mund zu
nehmen . Auch Ihr berufsjugendlicher Finanzstaatssekretär Spahn braucht sich nicht mehr aus dem Fenster zu
lehnen, wenn man den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern eine solche Belastung überhilft .
({9})
Sie haben schon mit der Finanzierung der Mütterrente die
Rücklagen der Rentenkasse belastet . Dann hatten wir das
Glück, dass die Konjunktur und die Beschäftigungslage
so gut waren, dass wir keine völlig leeren Rentenkassen
haben, dass wir doch wieder etwas Spielraum haben .
Und was machen Sie? Die gerade wiedergewonnenen
kleinen Spielräume werden sofort wieder verfrühstückt .
Das hat mit nachhaltiger, zukunftsgerechter Politik überhaupt nichts zu tun .
({10})
In diesem Sinne sollten wir endlich die Dauerschleife
von den zu kurz Gekommenen in der DDR durch eine
einheitliche Regelung im Rentenrecht beenden . Wir sollten sie auf jeden Fall so finanzieren, wie es einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gebührt, nämlich durch Steuern, und endlich über die Probleme des Strukturwandels
in Ostdeutschland reden . Wir sollten auch über die Stärken der Region reden, damit wir sie nach vorne bringen .
Das muss doch unser gemeinsames Ziel sein, anstatt hier
vernebelnde Debatten zu führen .
Danke .
({11})
Vielen Dank, Markus Kurth . - Es geht etwas ab hier!
Lebendige Debatte! Aber das ist Parlamentarismus .
Nächste Rednerin: Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich war zwar ein Grundschulkind zur Wendezeit und zur Zeit der Wiedervereinigung; aber ich kann
mich noch an die Aufbruchstimmung erinnern . Die Menschen haben die Wiedervereinigung als Befreiung erlebt .
Wir haben die Freiheit gespürt . Im Herzen weiß ich - da
bin ich mir ganz sicher -, dass der übergroße Teil der
ehemaligen DDR-Bürger das heutzutage noch genauso
empfindet.
Es gibt aber aus meiner Sicht ein Thema, das wir hier
im Hohen Haus vielleicht zu selten beachtet haben, und
das sind die Enttäuschungen, die nach der Wiedervereinigung entstanden sind . Ich kenne eigentlich keinen
Ostdeutschen, der nicht eine solche Geschichte erzählen
kann: vom eigenen Betrieb, der vom westdeutschen Konkurrenten für eine Mark übernommen wurde, und dann
kam es zu Marktbereinigungen, von den sinnlosen Versicherungen, die einem übergeholfen worden sind, von den
Berufsabschlüssen, die plötzlich nichts mehr wert waren,
und von den vielen stolzen DDR-Ingenieuren, die plötzlich auf der Straße standen . Darüber ist auch seitens der
Betroffenen wenig gesprochen worden. Man wollte ja
auch nicht undankbar oder als Jammer-Ossi erscheinen .
Ich will nicht missverstanden werden: Den allermeisten
Ostdeutschen geht es heute sehr gut, so gut wie nie .
({0})
Aber bei ihnen ist von der Nachwendezeit noch etwas
hängen geblieben: Manche sind misstrauisch geworden;
andere sind noch richtig sauer und wütend . Zu diesen
Enttäuschungen gehört auch das, was im Zuge des Renten-Überleitungsgesetzes - das Renten-Überleitungsgesetz an sich ist eine Riesenleistung; das will ich ganz
deutlich sagen - mit einigen Gruppen passiert ist .
Wir reden heute beispielsweise über die Kumpel der
DDR-Braunkohleveredelung . Eine kleine Denkaufgabe:
Was wäre denn, wenn den NRW-Kumpeln, aus welchem
Grund auch immer, ein Teil ihrer Rentenansprüche genommen würde?
({1})
In Espenhain, südlich von Leipzig, wurden aus der sehr
schwefelhaltigen Kohle, die dort im Tagebau gefördert
worden ist, Produkte für die Industrie, aber auch Benzin
hergestellt, und zwar unter unglaublichen Umständen .
Braunkohleveredelung, das klingt ja so schön . Leute,
die das erlebt haben, berichten, dass man besser die Luft
angehalten hat, wenn man da vorbeifuhr . Es gab kaum
Arbeitsschutz; die Leute waren giftigen Gasen, Dämpfen
und Stäuben ausgesetzt . Sehr viele Menschen sind seitdem gestorben, ganz viele von ihnen an Krebs .
Die DDR hat darauf reagiert . Sie hat diese Kumpel
den Kumpeln unter Tage gleichgestellt, auch rentenrechtlich; darauf haben diese Menschen vertraut . Bis 1996
galt eine Übergangsregelung . Diejenigen, die bis dahin
in Rente gegangen sind, sind genauso behandelt worden
wie die Kumpel unter Tage, danach nicht mehr . Keiner
kann das genau erklären . Man könnte auch sagen: Die
sind schlicht vergessen worden . Genauso fühlen sie sich
auch; sie fühlen sich vergessen und sehen ihre Lebensleistung nicht anerkannt . Ich appelliere an uns, dass wir
uns diese Gruppen anschauen und nach Lösungen suchen, aber nicht nach den einfachen, die hier angeboten
werden .
Ich möchte ganz klar sagen: Wenn ich über Lösungen
nachdenke, dann sehe ich den Antrag der Linken sicherlich nicht als Lösung . Ich weiß nicht, wann Sie Ihren
Antrag das letzte Mal mit den Betroffenen besprochen
haben . Die sagen: Es geht uns gar nicht mehr um einen
früheren und abschlagsfreien Renteneintritt . Das ist gar
nicht unser Thema . Es geht uns um die Rentenzuschläge,
die mit der Gleichstellung mit den Arbeitern unter Tage
verbunden sind . - Deshalb ein kurzer Appell an die Linke: Ersparen Sie sich die Peinlichkeit, über diesen Antrag
auch noch namentlich abstimmen zu lassen! Treten Sie
lieber in die Debatte darüber ein, wie eine wirklich vernünftige Lösung aussehen kann .
({2})
Jetzt die Frage, Frau Kolbe, ob Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Markus Kurth erlauben .
Ja .
Dann bitte, Herr Kurth .
Frau Kolbe, Sie haben gerade sehr eindrücklich und
zutreffend die fürchterlichen Arbeitsbedingungen für
die Arbeiter in der Braunkohleveredelung geschildert .
Stimmen Sie mit mir überein, dass dann, wenn diese
Schädigung so extrem war, vielleicht doch nicht - das ist
nämlich unsere Überlegung - das Rentenrecht der richtige Ort ist, das Problem zu lösen, sondern dass wir über
einen steuerfinanzierten Härtefallfonds, der eher einen
Entschädigungscharakter hat, nur für diesen konkreten
Fall etwas machen sollten, anstatt uns an das gesamte
Rentenrecht zu machen?
Ich sage an der Stelle ganz klar: Wir sind da, glaube
ich, alle noch auf der Suche . Wir sind als SPD in den
letzten Wahlkampf gegangen und haben gesagt: Wir wollen einen Härtefallfonds . Wir wollen nicht jede Gruppe
einzeln behandeln und neue Ungerechtigkeitsgefühle warum wird für die etwas gemacht und für mich nicht? auslösen. Deshalb wollen wir einen steuerfinanzierten
Härtefallfonds für alle . - Mit dieser Forderung sind wir
Vizepräsidentin Claudia Roth
in den Wahlkampf gegangen . Das wollten wir auch bei
den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag erreichen; aber das haben wir nicht geschafft. Das heißt aber
nicht, dass wir das Thema zur Seite gelegt haben . Vielmehr halten wir an dieser Idee weiter fest .
Die Ausgestaltung wird eine knifflige Geschichte. Darüber können wir gerne miteinander ins Gespräch kommen . Ich glaube, da hat keiner den Stein der Weisen .
Aber auch die Anträge der Linken sind nicht der Stein
der Weisen . Ich habe das Gefühl - das habe ich schon im
Ausschuss formuliert -, dass hier, ohne mit den Betroffenen gesprochen zu haben,
({0})
einfache Lösungen angeboten werden, die in der Konstellation, in der wir uns befinden, die Hoffnungen niemals erfüllen können .
({1})
Den Antrag der Linken lehnen wir mit durchgedrücktem Kreuz und gutem Gewissen heute ab, weil er nicht
den Interessen der Betroffenen entspricht.
({2})
- Ich weiß nicht, wann du zum letzten Mal mit den Betroffenen gesprochen hast. Wir sind in ganz engem Kontakt mit den Betroffenen. - Wir haben im Koalitionsvertrag nichts anzubieten . Das heißt aber nicht, dass wir das
Thema beiseitelegen . Wir werden weiter dafür streiten .
Wir stehen an der Seite der Menschen, ohne dass wir
sagen können, dass es einen einfachen Weg gibt, damit
umzugehen .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Frau Kolbe . - Ich darf jetzt all die Kollegen, die sich nicht unmittelbar an dieser wirklich sehr
spannenden und lebendigen Debatte beteiligen wollen,
sondern diverse andere Gespräche führen, bitten, entweder die Gespräche draußen zu führen oder sich hinzusetzen und dieser Debatte zuzuhören . Sie ist wirklich
spannend .
Die nächste Rednerin, die dazu beitragen wird, ist
Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Jede Partei und jede Fraktion hat ja so ihre Lieblingsthemen, und bei der Linksfraktion sind es die Ostrenten . Zu
Ihrem Repertoire gehört es, beharrlich so zu tun, als seien
die Ostdeutschen eklatant benachteiligt,
({0})
als würde sich unser Land in reiche Westrentner und
arme Ostrentner teilen .
({1})
Das ist völliger Unsinn . Aber Sie sind ja eine Klientelpartei .
({2})
Sie bedienen damit alte Klischees . Dass das alles mit der
Wahrheit nichts zu tun hat, ist Ihnen egal .
({3})
Sie fordern nichts anderes - Sie tun das ja nicht zum
ersten Mal, sondern in der Tat, wie Ihre Kollegin sagte,
Herr Birkwald, seit 25 Jahren - als eine krasse Bevorzugung von Ostrentnern, weil die Löhne im Osten niedriger
sind . Aber wissen Sie, mit der gleichen Argumentation
könnten hier Abgeordnete aus Oberfranken, dem Saarland oder dem Ruhrgebiet Extrabehandlungen fordern;
denn auch dort ist das Lohnniveau nirgends so hoch wie
in unserem schönen München .
({4})
Aber das geschieht nicht, weil wir ein gesamtdeutsches
Parlament sind . Wir haben hier das ganze Land im Blick,
und eine Bevorzugung einzelner Gruppen wollen wir
nicht .
Es geht eben nicht, dass wir nur jene Ungleichheiten
abschaffen, die sich nachteilig für die Ostrentner erweisen, aber die Vorteile gegenüber den Westrentnern beibehalten oder sogar neue einführen .
({5})
Das käme einer Schieflage in unserem System gleich,
und das wollen wir nicht .
({6})
Genau das aber schlagen Sie in Ihren Anträgen immer
und immer wieder vor und liefern das Schreckensszenario des sozialen Absturzes gleich mit .
Dass Sie in einem Antrag auch noch einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde fordern,
({7})
zeigt, wie weit Sie von der Realität in diesem Land entfernt sind .
({8})
Wir wissen doch, dass gerade die ostdeutschen Unternehmen mit einem Mindestlohn von 12 Euro die Stunde
Probleme hätten . Wir wissen doch, dass dann gerade in
Ostdeutschland Arbeitsplätze in Gefahr wären .
({9})
Und wir wissen doch, dass es in ganz Deutschland immer noch Branchen und Regionen gibt, in denen 12 Euro
die Stunde nicht machbar sind . Sie fordern das trotzdem .
Deshalb müssen Sie sich auch heute wieder gefallen lassen, dass ich Ihnen empfehle - das müssen Sie sich leider
wieder anhören -, Ihr Gerechtigkeitsempfinden nachzujustieren. Wir befinden uns im Jahre 2017, und es geht
nicht mehr darum, Gelder von der BRD in die DDR zu
transferieren .
({10})
Es ist mitnichten so, dass die Ostrentner im Endeffekt
benachteiligt werden; sie sind eigentlich Gewinner der
Wiedervereinigung . Ich will Ihnen auch sagen, dass alle
Zahlen gegen Ihre Ausführungen sprechen . Ich möchte
als Beispiel die Durchschnittsrenten von ost- und westdeutschen Frauen und Männern nennen: Die durchschnittliche Altersrente für Ostrentner ist höher als die
der Westrentner, bei Männern um mehr als 60 Euro, bei
Frauen um ganze 250 Euro .
({11})
Außerdem haben Versicherte in den neuen Ländern bei
gleichem Lohn und gleichen Beiträgen um etwa 8 Prozent höhere Rentenansprüche als Versicherte in den alten
Ländern .
({12})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, die erlaube ich jetzt nicht . - Sie hatten schon so
viel Redezeit .
({0})
Falls Ihnen die genannten Zahlen nicht reichen, können wir uns der Wirklichkeit auch über andere Daten
nähern . Wir nehmen einmal die Armutsgefährdungsquote - den Wert bemühen Sie ja auch sonst so gerne -: Die
Armutsgefährdungsquote bei den über 65-Jährigen ist in
den neuen Bundesländern deutlich niedriger als im früheren Bundesgebiet . In Berlin ist die Quote beispielsweise
um ein Drittel niedriger als in Bayern .
({1})
Oder schauen wir uns den Anteil der Menschen an,
die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind . Auch
da zeigt sich, dass die ostdeutschen Rentner, Frauen wie
Männer, deutlich weniger oft auf Grundsicherung angewiesen sind als westdeutsche Rentner . In Ostdeutschland sind es 2,2 Prozent, während es in Westdeutschland
3,4 Prozent sind .
({2})
- Glauben Sie, dass die westdeutschen Frauen in dieser
Zeit nicht gearbeitet haben?
({3})
Das ist ja schon von Hause aus eine Unverschämtheit .
({4})
Insgesamt bewegen sich die genannten Zahlen alle auf
einem niedrigen Niveau . Wir haben nämlich kein generelles Problem der Altersarmut in Deutschland .
({5})
Die Armutsgefährdungsquote - das wissen Sie ja hoffentlich - bei den über 65-Jährigen ist niedriger als in der
Gesamtbevölkerung. Am stärksten von Armut betroffen
sind immer noch die Alleinerziehenden .
Wenn wir ein Problem mit Altersarmut haben, dann
sind davon in der Tat die westdeutschen Frauen betroffen.
Sie haben Kinder großgezogen - das heißt nicht, dass sie
nicht gearbeitet haben, Herr Kollege - und deshalb keine
durchgängigen Erwerbsbiografien aufzuweisen.
({6})
Sie haben Erziehungsleistung erbracht, für die ihnen nie
einer einen Pfennig gegeben hat, und sie haben nicht die
entsprechenden Rentenansprüche erworben .
({7})
Für diese Frauen haben wir mit der Mütterrente natürlich
bereits etwas erreicht .
({8})
- Beim dritten Punkt sind wir gar nicht so weit auseinander .
({9})
Ganz sicher haben wir kein spezifisch ostdeutsches
Problem der Altersarmut . Das wird auch nicht wahrer,
wenn Sie es hier immer wieder wiederholen . Wir wollen
im Übrigen auch nicht einzelne Berufsgruppen besserstellen als den Rest .
Mit den Sonderregelungen, die die Linksfraktion in
ihren Anträgen anstrebt, wird ein ausgeklügeltes, faires
und vor allem allgemein akzeptiertes Verfahren infrage
gestellt, ein Verfahren, das im Prinzip den unterschiedlichen Erwerbsbiografien und den Lohnunterschieden
gerecht wird . Dieses Verfahren - das will ich gar nicht
bestreiten - kann natürlich im Einzelfall dazu führen,
dass man sich ungerecht behandelt fühlt oder auch ungerecht behandelt wird . Sie stellen es allerdings so dar,
als könnten nur ostdeutsche Rentner dieses Gefühl der
Ungerechtigkeit haben . Ich kann Ihnen aber sagen: Es
gibt auch westdeutsche Frauen und Männer, die sich
durch das Renten-Überleitungsgesetz diskriminiert und
benachteiligt fühlen .
Wir werden unseren Stufenplan der Renteneinheit in
den kommenden Monaten hier im Parlament beraten und
verabschieden . Wir wollen eine gerechte Regelung, aber
eben keine Besserstellung ostdeutscher Rentner .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr . Freudenstein . - Jetzt
kommt der nächste Versuch, die nächste Aufforderung an
Sie: Es ist ja schon einmal schön, dass sich die meisten
hingesetzt haben; aber hier ist jetzt keine Quasselstunde,
sondern wir reden über die Renten . Das ist ein spannendes und kontroverses Thema . Ich fordere Sie auf, Ihre
wunderbaren Zwischengespräche einzustellen, und zwar
alle, und der letzten Rednerin zu lauschen; denn es macht
einen denkbar merkwürdigen Eindruck, wie hier im Haus
mit solchen Debatten umgegangen wird und wie mit den
Kolleginnen und Kollegen umgegangen wird, die sich
diesem schwierigen Thema in ihren Reden widmen . Also
bitte zuhören!
Jetzt die letzte Rednerin: Waltraud Wolff für die
SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lebensleistung der Menschen im Osten der Republik
ist genauso viel wert wie die der Menschen im Westen .
({0})
Das steht für mich außer Frage . Deshalb haben wir als
SPD auch schon in vergangenen Legislaturperioden entsprechende Vorschläge unterbreitet . Es hat lange gedauert, ja; aber die Rentenangleichung und die einheitlichen
Rentenwerte werden noch in diesem Jahr beschlossen endgültig .
({1})
Das ist für mich eine wichtige Botschaft . Das ist auch die
Antwort auf die lange im Raum stehende Frage .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem
Antrag „Renteneinheit verwirklichen - Lebensleistung
anerkennen“ verweisen Sie zu Recht darauf, dass wir im
Koalitionsvertrag eine Angleichung der Rentenwerte bis
2020 vereinbart haben . Richtig, das war unser Ziel . Sie
haben aber auch mitbekommen, wie wir in dieser Legislaturperiode darum kämpfen mussten, um überhaupt
2025 als endgültiges Ziel zu erreichen . Sie haben doch
auch mit ansehen können - das haben Sie auch selber benannt -, dass gerade Kolleginnen und Kollegen der CDU
aus den neuen Bundesländern die Rentenangleichung abgelehnt und nicht vorangetrieben haben .
({2})
Sie haben auch mitbekommen, dass nach der Einigung
auf die Rentenangleichung 2025 die Finanzierung vom
Bundesfinanzminister infrage gestellt wurde. Ganz
ehrlich, ich bin froh, SPD-Mitglied zu sein; denn die
SPD-Fraktion war standhaft und ließ den Koalitionsvertrag nicht aus den Blick .
({3})
Unsere Bundesministerin Frau Nahles hat ganz konsequent die Rentenangleichung vorangetrieben . Wir haben
mit den Ministerpräsidenten in den Ländern gemeinsam
unser Ziel verfolgt . Ergebnis: Die Rentenangleichung
kommt . Die Angleichung kostet natürlich Geld, beginnend 2018 mit ungefähr 600 Millionen Euro
({4})
bis auf circa 3,9 Milliarden Euro jährlich ab 2025 . Das
ist - das sehe ich nicht alleine so - ganz klar eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, also eine Aufgabe, die
aus Steuern zu finanzieren ist.
({5})
Allerdings sieht der Finanzminister das völlig anders trotz des Haushaltsüberschusses von 6,2 Milliarden
Euro . Was ist bei den Verhandlungen herausgekommen?
Die eine Hälfte wird aus dem Bundeshaushalt finanziert,
die andere Hälfte aus den Beiträgen der Rentenversicherung . Auch wenn die SPD Ja zu diesem Vorschlag gesagt
hat, bleibt mein völliges Unverständnis darüber bestehen . Man kann doch nicht auf der einen Seite über hohe
Rentenbeiträge klagen und auf der anderen Seite der
Rentenversicherung immer mehr versicherungsfremde
Aufgaben überstülpen . Das sind gesamtgesellschaftliche
Aufgaben; ich erinnere nur an die Mütterrente .
({6})
In dem Antrag der Linken wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Löhne und Gehälter in den neuen
Bundesländern erheblich steigen müssen, damit die Menschen in Zukunft von einer guten Rente leben können .
Richtig! Gerade in dieser Woche habe ich in der Presse
gelesen, dass sich die Löhne im Osten positiv entwickeln
und 2015 sprunghaft angestiegen sind . Das ist das Ergebnis dieser Regierungskoalition, weil wir den Mindestlohn
eingeführt haben .
({7})
Wir haben gleichzeitig Leiharbeit und Werkverträge
stärker reguliert . Wir wollen, dass Tarifverträge wieder
stärker zum Tragen kommen . Wir haben an verschiedenen Stellen auch die Tarifautonomie gestärkt . Klar, ich
kann mir vorstellen, noch mehr zu tun . Fakt ist aber: Die
Schritte, die wir unternommen haben, waren richtig, und
sie kommen an .
({8})
Fakt ist auch, dass wir in ganz Deutschland etwas gegen die niedrigen Renten tun müssen, sprich: die gesetzliche Rente als Grundpfeiler wieder stärken müssen .
({9})
Andrea Nahles hat die Solidarrente vorgeschlagen, die
gerade Menschen mit geringen Einkommen zugutekommen soll .
({10})
Meine Damen und Herren, nach dem Zusammenbruch
der DDR gab es viele Menschen, deren Erwerbsbiografien zerbrochen sind, die nie wieder eine langjährige Arbeitsstelle gefunden haben, die sich von Maßnahme zu
Maßnahme gehangelt haben, ohne dass sie etwas dafür
konnten . Das sind Baustellen, die wir mit der Rentenangleichung leider nicht aufheben können . Aber das, was
wir machen, ist wichtig: gleicher Rentenwert in Ost und
West . Endlich ist die Lebensleistung gleich viel wert . Traurig, dass wir fast 30 Jahre dafür gebraucht haben .
Aber noch vor der nächsten Bundestagswahl wird es im
Gesetzblatt stehen .
Vielen herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank, Kollegin Wolff. - Damit schließe ich die
Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10862 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/10779 .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/7903 mit dem Titel
„Keine Kumpel zweiter Klasse - Rentenansprüche der
Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren“ .
Dazu liegt uns eine Erklärung nach § 31 vor .1) Wir stim-
men nun über Buchstabe a der Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab . Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen . Die Urnen werden bereit-
gestellt . Ich bitte, mir ein Zeichen zu geben, wenn die
Plätze an den Urnen besetzt sind . Sind jetzt alle Plätze
1) Anlage 5
an den Urnen besetzt? - Ich eröffne die erste namentliche
Abstimmung, und zwar über Buchstabe a der Beschluss-
empfehlung .
Darf ich fragen, ob es Kolleginnen und Kollegen gibt,
die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? - Dem
scheint nicht so zu sein . Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen .2)
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss für Ar-
beit und Soziales auf Drucksache 18/10779 die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/8612 mit dem Titel „Keine Altersarmut von
Ost-Krankenschwestern - Gerechte Renten für Beschäf-
tigte im DDR-Gesundheits-und Sozialwesen schaffen“.
Dazu liegt uns eine Erklärung nach § 31 vor .3)
Auch hier hat die Linke eine namentliche Abstim-
mung verlangt . Ich frage: Sind die Plätze an den Ur-
nen besetzt? - Dann eröffne ich die zweite namentliche
Abstimmung, und zwar jetzt über Buchstabe b der Be-
schlussempfehlung .
Ich frage: Gibt es noch Kollegen und Kolleginnen,
die noch nicht abgestimmt haben? - Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Die Er-
gebnisse der Abstimmung werden Ihnen wie immer spä-
ter bekannt gegeben . - Vielen herzlichen Dank .4)
Dann bitte ich, die Gespräche all derjenigen nach
draußen zu verlegen, die sich nicht mit dem nächsten Tagesordnungspunkt auseinandersetzen wollen .
Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt, Tagesordnungspunkt 7, auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts
Drucksache 18/9633
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({0})
Drucksache 18/10813
Zu diesem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Bundesarchivrechts liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Sie sind damit
einverstanden .
Dann eröffne ich die Aussprache, und als erster Redner hat für die CDU/CSU-Fraktion Ansgar Heveling das
Wort .
({1})
2) Ergebnis Seite 21266 D
3) Anlage 5
4) Ergebnis Seite 21269 D
Waltraud Wolff ({2})
Ich möchte zunächst Frau Staatsministerin Grütters
entschuldigen . Aus Anlass des 75 . Jahrestages der Wannsee-Konferenz findet jetzt eine Gedenkveranstaltung im
Haus der Wannsee-Konferenz statt . Dort hält Frau Staatsministerin Grütters eine Rede in Vertretung der Bundeskanzlerin und bittet um Entschuldigung, dass sie heute
nicht da sein kann .
({0})
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Augen glänzten, als ich als generell historisch interessierter Schüler mit einem regen Interesse an
Genealogie im Archiv des Erzbistums Paderborn auf ein
Konvolut von Papieren stieß, das offensichtlich sämtliche Unterlagen, alle Rechnungen, Rechnungsbücher,
Liegenschaftsaufzeichnungen, Korrespondenzen, interne
Unterlagen zu Nutznießern, Gerichtsakten usw ., angefangen von der Zeit des endenden 30-jährigen Krieges
bis hinein ins 20 . Jahrhundert für eine Stiftung enthielt,
die ein zigfacher Urgroßonkel von mir als Domherr in
Paderborn in der Mitte des 17 . Jahrhunderts als Familienstiftung errichtet hatte .
Für mich war es ein Glücksfall; denn dank der Vollständigkeit der Unterlagen aus den unterschiedlichsten
Bereichen konnte ich auf einen Schlag das sehr genaue
Bild einer weitverzweigten westfälischen Familie vom
17 . Jahrhundert bis in die Jetztzeit nachzeichnen, etwas,
das mir mit viel Mühen und großen Umwegen über Personenstandsakten und Kirchenbüchern aus unterschiedlichen Orten ansonsten vermutlich mehr schlecht als recht
gelungen wäre .
Mir kam zupass, dass die Unterlagen zu dieser Stiftung quantitativ überschaubar waren und sich im Laufe
der Zeit deshalb offensichtlich niemand ernsthaft überlegt hatte, welche Akten wichtig und welche unwichtig
sein könnten . Es wurde einfach alles archiviert . Richtig
erschlossen wurden die Unterlagen dabei zwar nie, aber
sie sind eben komplett vorhanden . Das machte es mir damals so spannend, mit ihnen zu arbeiten .
Als Randbemerkung sei angefügt: Leider hat mir bis
heute die Zeit gefehlt, diesen Bestand vollständig auszuwerten und nutzbar zu machen . Da wartet also noch
etwas auf mich .
Ein überschaubarer Bestand ist das eine, und das
Auffinden eines solchen vollständigen Konvoluts ist ein
Glücksfall . Etwas anderes sind die grenzenlosen Mengen
an Unterlagen, die tagtäglich in der ganzen Republik produziert, in Akten geführt, be- und verarbeitet, als E-Mails
zwischen Behörden und Institutionen ausgetauscht und
irgendwann als Vorgang abgeschlossen werden .
So wünschenswert es ist, das alles komplett aufzubewahren, um es in späteren Zeiten aus irgendeiner dann
vorliegenden Perspektive auswerten zu können, so klar
ist auch, dass dies schlichtweg nicht gelingen kann . Deshalb bedarf es verbindlicher Regeln, wie mit Unterlagen
zur Archivierung umzugehen ist . Für den Bund und seine Einrichtungen regelt dies das Bundesarchivgesetz in
Bezug auf das Bundesarchiv als kollektives Gedächtnis
unserer Nation .
Neben der materiellen Aufbewahrung kommt in Zeiten der Digitalisierung auch der digitalen Archivierung
eine besondere Rolle zu . Hier stellen sich neue Herausforderungen in Bezug auf den Umgang mit Masse sowie
auf Echtheit und Relevanz . Hinzu kommen technische
Fragen im Hinblick auf den Speicherort und die Formatierung, mit denen wir uns zukünftig beschäftigen müssen .
Über diese organisatorischen Problemstellungen hinausgehend birgt die Digitalisierung aber auch die enorme Chance, Archive weltweit weiter zu vernetzen, Archivalien in größere Kontexte zu stellen und den Zugang zu
Archivgut zu vereinfachen . Zu diesem Zweck haben wir
zu Beginn der Legislaturperiode im Koalitionsvertrag
vereinbart, dass wir das Bundesarchivrecht novellieren
wollen, insbesondere durch die Verbesserung der Nutzerund Wissenschaftsfreundlichkeit .
Mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf setzen wir diese Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag um .
({1})
Nach rund 30 Jahren wird damit eine weitreichende Neujustierung des Archivrechts vorgenommen .
({2})
Ein Schwerpunkt dabei ist, die Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit des Bundesarchivs zu verbessern .
Dazu gehört, dass die Schutzfrist personenbezogener
Akten und Unterlagen von 30 Jahren auf 10 Jahre nach
dem Tod der betroffenen Person verkürzt wird, wie es in
den meisten Landesarchivgesetzen jetzt schon gang und
gäbe ist .
Die Schutzfrist von Akten und Dokumenten, die den
Geheimhaltungsvorschriften des Bundes unterliegen,
kann zudem von 60 Jahren auf 30 Jahre verkürzt werden .
Öffentliche Einrichtungen des Bundes können künftig
bei Schutzfristverkürzungen ferner auch große Aktenbestände ohne aufwändige Einzelfallprüfung freigeben . Voraussetzung ist, dass sie in einer allgemeinen Vereinbarung mit dem Bundesarchiv auf die bisher erforderliche
Beteiligung verzichten .
Ein zweiter Schwerpunkt ist, das Bundesarchivgesetz
an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft anzupassen . Dementsprechend enthält der Gesetzentwurf zahlreiche neue Regelungen zum Umgang mit elektronischen
Unterlagen . Dazu gehört die Einrichtung eines digitalen
Zwischenarchivs, das die Bundesbehörden entlastet und
das Bundesarchiv in die Lage versetzt, frühzeitig und
fachgerecht für eine digitale Langzeitarchivierung zu
sorgen .
Der Gesetzentwurf enthält außerdem Regelungen zur
Anbietung und Übernahme von elektronischen Unterlagen, auch solcher, die einer laufenden Aktualisierung
unterliegen . Er beinhaltet weiter eine Regelung für das
politische Archiv des Auswärtigen Amtes zur entsprechenden Anwendbarkeit der Zugangsregelungen des
Bundesarchivgesetzes, um einer rechtlichen Zersplitterung der Archivlandschaft entgegenzuwirken .
Lassen Sie mich kurz auf drei Aspekte eingehen, die
in der Diskussion um das Bundesarchivgesetz eine größere Rolle gespielt haben und in der Öffentlichkeit teilweise Gegenstand der Diskussionen waren .
Erstens . Es geht um das Thema uneingeschränkte
Anbietungspflicht löschungspflichtiger Unterlagen. Das
klingt etwas sperrig . Hier haben wir uns entschieden,
keinen generellen Vorrang einer Anbietungspflicht löschungspflichtiger Daten im Archivgesetz zu regeln. Das
betrifft etwa das Bundeszentralregister, das Ausländerzentralregister oder das Register nach dem Adoptionsvermittlungsgesetz .
Hierbei geht es oftmals um hochsensible persönliche
Daten, bei denen aufgrund der jeweiligen Spezialgesetze
die Botschaft vermittelt wird: Gelöscht ist gelöscht . Wir
halten es für richtig, dass dann, wenn man eine andere
Regelung treffen möchte, was durchaus denkbar ist, diese in dem jeweils betroffenen spezialgesetzlichen Regelungsbereich zu erfolgen hat . Dort sollten dann bereichsspezifisch auch die notwendigen verfassungsrechtlichen
Abwägungen erfolgen, die sich mit Blick auf den Eingriff
in die informationelle Selbstbestimmung ergeben .
Zweitens . Es geht um die Unterlagen der Nachrichtendienste . Hier haben wir uns entschieden, die besonderen
Bedürfnisse des Quellen- und Methodenschutzes in der
Abwägung des Gesetzes zu berücksichtigen . Im parlamentarischen Verfahren haben wir allerdings festgelegt,
dass es sich hierbei um zwingende Gründe handeln muss,
die eine Zurückhaltung der Akten rechtfertigen .
Drittens. Zur Anbietungspflicht des Bundes: Weitergehend als bisher enthält der Gesetzentwurf eine Sollvorschrift bei der Anbietungspflicht der öffentlichen Stellen
des Bundes spätestens 30 Jahre nach Entstehung der Unterlagen. Eine Ist-Anbietungspflicht nach 30 Jahren kam
allerdings nicht infrage, weil sie anerkennungswürdige
Ausnahmen unmöglich gemacht hätte, wie etwa bei den
Unterlagen des Auswärtigen Amtes oder in Fällen, in
denen die Unterlagen für die aktuelle Bearbeitung noch
länger benötigt werden . Sobald sie nicht mehr gebraucht
werden, müssen sie aber zwingend ans Bundesarchiv abgegeben werden .
Zum Schluss noch dies: „Postfaktisch“ ist das Wort
des Jahres 2016 . Postfaktisch: Was genau heißt das? Dass
wir in einem relativistischen Zeitalter leben, in dem es
keine Tatsachen mehr gibt, sondern nur noch Meinungen;
in dem man etwas nur vehement genug und dazu öffentlichkeitswirksam behaupten muss, um es dadurch wahr
werden zu lassen?
Ich glaube, dass jeder, der leichtfertig das postfaktische Zeitalter ausruft, damit einem Irrglauben aufsitzt .
Sicherlich, aufgrund einer immer stärker von Social Media geprägten Medienlandschaft kommt mancherorts das
Gefühl auf, es sei vielleicht überhaupt gar nicht mehr
notwendig, Fakten sorgsam zu prüfen, zu testen, ob das
eigene Weltbild einem Realitätscheck tatsächlich standhält . Gerade deshalb ist es wichtig, unser ungebrochenes
Vertrauen in das Faktische mit einem sinnvoll neugestalteten Bundesarchivrecht zu untermauern .
Wie Aleida Assmann in Archive im Wandel der Mediengeschichte schreibt, betreiben Archive, anders etwa als
Museen oder Bibliotheken, ein passives Erinnern . Doch
genau in diesem passiven Erinnern liegt ihre immense
Bedeutung: Archive wollen nicht repräsentieren oder bewerten . Sie zielen dafür auf Neutralität ab, darauf, die
Bewertung dieser, unserer Gegenwart anderen zu überlassen .
Letztendlich ist es doch so, dass man die Epoche, in
der man lebt, stets nur aus der eigenen, eingeschränkten
Perspektive wahrnimmt, dass sich der Blick aufs große
Ganze oftmals erst retrospektiv eröffnet. Damit dies gelingen kann, damit es also Fakten gibt, an denen wir uns
dabei orientieren können, dafür brauchen wir ein im Hinblick auf die komplexen Herausforderungen des digitalen Zeitalters sicher aufgestelltes Archivwesen .
({3})
Kommen Sie bitte zum Ende .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelingt es, diese
Absicht umzusetzen . Wir machen das Bundesarchiv zukunftstauglich .
Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit in der Vorbereitung des Gesetzentwurfes . Danke für Ihre Aufmerksamkeit . Ich empfehle, dem Gesetzentwurf heute zuzustimmen .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Kollege Heveling . - Nächste Rednerin:
Sigrid Hupach für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heute zu beschließenden Novelle soll das 30 Jahre alte Bundesarchivgesetz an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters
und an die modernen Anforderungen an Transparenz und
Informationsfreiheit angepasst werden . Leider sind aber
im Gesetz Regelungen enthalten, die dem formulierten
Anspruch entgegenstehen . Dass die Behörden ihre Unterlagen dem Bundesarchiv zur Übernahme anbieten
müssen, ist keineswegs verpflichtend formuliert, und es
ist ein Unding, dass nun gerade die Nachrichtendienste
mit weitreichenden Ausnahmeregelungen bedacht werden, zumal gerade sie ihre Akten zum Beispiel beim
NSU-Terror völlig unzureichend geführt haben . Diese
Inkompetenz wird mit dem neuen Gesetz noch hofiert,
dem Vertuschen wird Tür und Tor geöffnet, und das ist
völlig inakzeptabel .
({0})
Statt gerade hier den Zugang für die Wissenschaft und
für die Medien zu erleichtern und so die demokratische
Kontrolle zu stärken, sind die Koalitionsfraktionen bei
den Sonderrechten für die Nachrichtendienste geblieben - aller Expertise der Sachverständigen zum Trotz .
Der „Kompromiss“, den die SPD glaubt bewirkt zu
haben, ist nämlich nur schöner Schein: Aus den „überwiegenden Gründen“ des Nachrichtenzugangs sind nun
„zwingende Gründe“ geworden . Ja, aber wem hilft das?
Niemand wird überprüfen können, ob wirklich Gründe gegen die Anbietung der Unterlagen sprechen oder
diese von den Geheimdiensten nur konstruiert wurden .
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können weiterhin
selbst entscheiden, ob sie überhaupt und welche Unterlagen sie dem Bundesarchiv für eine mögliche Übernahme
vorlegen .
Hier wird also, wie es die Vorsitzende des Verbandes
der Historiker und Historikerinnen, Professorin Schlotheuber, treffend formuliert hat, die Selbstsicht einer Behörde zum Leitmotiv erhoben und dabei die historische
Überlieferung gefährdet .
Das Bundesarchiv ist schon jetzt in der Lage, auch
Verschlusssachen unter Wahrung der Rechte Betroffener
bzw . schützenswerter Informationen zu archivieren . Die
Bundesregierung fördert stattdessen die Geheimniskrämerei . Einem demokratischen Rechtsstaat steht das aber
schlecht zu Gesicht; denn hier hat die Öffentlichkeit ein
Recht darauf, das Handeln von Verwaltung und eben
auch von Nachrichtendiensten im Nachhinein nachvollziehen und kontrollieren zu können, und dafür braucht es
die Akten im Archiv .
Meine Fraktion hat mit acht Änderungsanträgen ganz
konkrete Vorschläge in die Debatte eingebracht . Wichtig
waren uns dabei vor allem drei Aspekte:
Erstens . Die Unabhängigkeit des Bundesarchivs muss
gewährleistet werden . Das heißt, die Bundesbehörden
und eben auch die Nachrichtendienste müssen dem Bundesarchiv grundsätzlich alle Unterlagen vorlegen,
({1})
sodass die Archivarinnen und Archivare mit ihrer Erfahrung und mit ihrer Weitsicht dann frei und unabhängig
entscheiden können, welche Unterlagen sie für aufbewahrenswert halten .
Dazu gehört auch, dass jede politische Einflussnahme
auf diese Bewertungsentscheidung unterbunden wird .
Die neu ins Gesetz geschriebene Fachaufsicht der BKM
halten wir daher für äußerst problematisch, eben weil sie
den Verdacht der politischen Beeinflussung in sich trägt,
und auch die Einwilligung der betreffenden Behörde bei
der Schutzfristverkürzung ist für uns Linke überflüssig.
({2})
Zweitens: die Sicherung unseres Filmerbes . Statt einer
Registrierungspflicht haben wir Linken eine Pflichthinterlegung gefordert, die zudem nicht nur Kinofilme im
Blick haben sollte, sondern das filmische Schaffen in seiner ganzen Breite .
Drittens: das sogenannte Löschungssurrogat . Die
CDU/CSU wollte hier partout nicht heran. Ich hoffe
aber, dass bei der Novellierung des Datenschutzgesetzes eine grundsätzliche Regelung geschaffen wird, damit eigentlich zu löschende Unterlagen der Forschung
und der historisch-politischen Bildungsarbeit zur Verfügung stehen . Dann müssen zum Beispiel auch die Akten
der Zentralen Stelle in Ludwigsburg erhalten bleiben,
die zum Entzug der Kriegsopferrente für NS-Täter angelegt wurden .
Es gibt also noch viel zu tun, um das Archivrecht wirklich modern zu gestalten und die demokratische Kontrolle von Politik und Verwaltung zu sichern .
({3})
Bei der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit bleibt
die Novelle bedauerlicherweise auch hinter den fortschrittlichen Landesarchivgesetzen zurück, die zum Beispiel eine Regelschutzfrist von zehn Jahren vorsehen .
Der Entschließungsantrag der Grünen enthält vieles,
wofür auch wir uns in der Debatte engagiert haben und
was ich eben angesprochen habe . Daher unterstützen wir
diesen Entschließungsantrag .
Zum Gesetz selbst: Die Novelle bringt auch Verbesserungen . Das digitale Zwischenarchiv sei hier genannt .
Auch wurden einige für uns wichtige Punkte im parlamentarischen Verfahren berücksichtigt, zum Beispiel
die Angleichung an das Informationsfreiheitsgesetz, die
Festschreibung der Digitalisierung als Aufgabe des Bundesarchivs und die Würdigung von Bibliotheken als Gedächtnisinstitutionen . Meine Fraktion kann dem Gesetzentwurf aber wegen der genannten Kritikpunkte nicht
zustimmen . Wir werden uns daher enthalten .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hupach . - Nächste Rednerin: Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts
verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden .
Das hat der dänische Philosoph Søren Kierkegaard einmal gesagt .
Genau deswegen, weil wir vieles nur in der Rückschau verstehen oder zumindest besser verstehen, ist
das Bundesarchiv mit seinem Hauptsitz in Koblenz von
großer Bedeutung für die Erinnerung und Aufarbeitung
unserer Geschichte . Es nimmt die Aufgaben eines Nationalarchivs wahr und ist das Gedächtnis unseres Staates .
Im Bundesarchiv werden Fotos, Filme, Urkunden, Akten, Karten und vieles mehr aufbewahrt, die bei zentralen
Stellen des Heiligen Römischen Reiches, des Deutschen
Bundes, des Deutschen Reiches, der Besatzungszonen,
der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind . Darunter sind
zum Beispiel die Kapitulationsurkunde der deutschen
Truppen in Nordwestdeutschland in der Nähe von Lüneburg, also bei mir zu Hause, oder ein Schreiben des damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion
an Bundeskanzler Konrad Adenauer von Mai 1963 zum
Ablauf des bevorstehenden Besuchs des amerikanischen
Präsidenten John F . Kennedy in Deutschland . Da heißt
es:
Wir haben kein Interesse daran, dass die Reise des
amerikanischen Präsidenten überwiegend der Opposition zugutekommt .
Man befürchtete, dass der Regierende Bürgermeister von
Berlin, Willy Brandt, die Beliebtheit des US-Präsidenten
für sich nutzt . Das sind nur zwei kleine Beispiele für die
vielen Unterlagen, die sich im Bundesarchiv finden lassen und die für Historiker, aber auch für uns ganz interessant sind .
Wie genau das Bundesarchiv beim Sammeln und Archivieren vorgeht, wird im Bundesarchivgesetz geregelt .
Das stammt aus dem Jahre 1988 . Deswegen ist eine Aktualisierung notwendig . Der vorgelegte Gesetzentwurf
enthält einige gute und wichtige Punkte . Zum Beispiel
werden bestimmte personenbezogene Schutzfristen verkürzt oder im Fall von Amtsträgern aufgehoben . Oder
Archivgut, das Geheimhaltungsvorschriften des Bundes
unterliegt, wird künftig nach 30 Jahren statt wie bisher
erst nach 60 Jahren freigegeben .
Wir als SPD-Fraktion hatten auch einige Kritikpunkte .
Viele davon wurden von den Experten im Fachgespräch
im Kulturausschuss angesprochen . Drei möchte ich nennen .
Erstens, das Löschungssurrogat . Das Bundesarchiv
hat auch die Aufgabe, Verwaltungshandeln nachvollziehbar und kontrollierbar zu machen . Deswegen geben die
Behörden ihre Unterlagen an das Archiv ab . Das Bundesarchiv ist also eine Art Back-up-Lösung für Deutschland . Dafür muss das Archiv aber die Unterlagen auch
erhalten, selbst wenn die Behörden sie eigentlich löschen
würden . Die Anbietung und damit die Archivierungsoption geht der Löschung deswegen grundsätzlich vor . Das
ist gemeint, wenn vom sogenannten Löschungssurrogat
die Rede ist . Der von der BKM vorgelegte Gesetzentwurf enthält dieses Löschungssurrogat nicht . Wir bedauern das sehr und haben das in den Verhandlungen auch
gesagt . Leider ist die BKM darauf nicht eingegangen .
Damit ist der Entwurf unter seinen Möglichkeiten geblieben . Es ist wirklich bedauerlich, dass sowohl die Kolleginnen und Kollegen von der Union als auch die BKM
hier nicht den Fachleuten gefolgt sind und sich nicht klar
für ein Löschungssurrogat ausgesprochen haben . Wir
haben deswegen über eine Liste von rund 40 Bundesgesetzen verhandelt, die einzeln auf eine Anbietungspflicht
überprüft werden müssen . Warum einfach, wenn es auch
kompliziert geht?
Zweites Thema: Nachrichtendienste . Bei der Abgabe
von Unterlagen der Nachrichtendienste stehen wir vor einem Zwiespalt . Einerseits brauchen wir Transparenz und
Kontrolle von Behörden, andererseits wollen wir natürlich auch die Mitarbeiter sowie die Zusammenarbeit mit
anderen Diensten und die Nachrichtenzugänge schützen .
Hier konnten wir von der SPD einen sehr guten Kompromiss verhandeln . Die Unterlagen dürfen jetzt nur zurückbehalten werden, wenn es Ausnahmetatbestände gibt .
({0})
Auch die Nachrichtendienste müssen ihre Unterlagen
dem Bundesarchiv anbieten . Nur wenn die Ausnahmetatbestände vorliegen, wird die Abgabe aufgeschoben .
Dritter Punkt: Informationsfreiheitsgesetz . Der vorliegende Gesetzentwurf weitet den Zugang zu Unterlagen auf alle Informationszugangsgesetze aus. Das finden
wir als SPD-Fraktion gut . Negativ am BKM-Entwurf
war jedoch, dass nur noch diejenigen Unterlagen nicht
mehr unter die archivrechtlichen Schutzfristen fallen,
die bereits nach dem Informationsfreiheitsgesetz durch
einen konkreten Antrag zugänglich gemacht worden waren . Also nur, wenn jemand die Unterlagen schon vorher angefordert hatte, sollten sie nicht mehr unter die
Schutzfrist fallen . Das ist nicht nur unlogisch, sondern
auch ein Rückschritt im Vergleich zur bisherigen Gesetzeslage .
Deswegen haben wir da erfolgreich über Nachbesserungen verhandelt . Der alte Rechtsstand konnte nicht
nur wieder erreicht, sondern sogar ausgebaut werden .
Aber genau darauf wird gleich mein Kollege Sebastian
Hartmann in seiner Rede noch näher eingehen . Wir werden dem Gesetz zustimmen .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Hiltrud Lotze . - Bevor ich die nächste
Rednerin aufrufe, möchte ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse
der namentlichen Abstimmungen bekannt geben die erste Abstimmung erfolgte über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum
Antrag der Linken „Keine Kumpel zweiter Klasse Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren“ -: abgegebene Stimmen 557 .
Mit Ja haben 446 Kolleginnen und Kollegen gestimmt,
mit Nein 53 . Enthalten haben sich 58 Kolleginnen und
Kollegen . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 558;
davon
ja: 447
nein: 53
enthalten: 58
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Dr . Maria Flachsbarth
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
({5})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Marcus Held
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Bettina Müller
Detlef Müller ({22})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Christian Petry
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({27})
Matthias Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Carsten Schneider ({30})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({31})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({32})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Petra Pau
Harald Petzold ({33})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Enthalten
CDU/CSU
Katharina Landgraf
Volkmar Vogel ({34})
SPD
Ulrich Freese
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({35})
Volker Beck ({36})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({37})
Christian Kühn ({38})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({39})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({40}) aufgeführt .
Die zweite namentliche Abstimmung erfolgte über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
Soziales zum Antrag der Linken „Keine Altersarmut von
Ost-Krankenschwestern - Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen“:
abgegebene Stimmen 550 . Mit Ja haben 498 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 52 gestimmt . Es
gab keine Enthaltungen . Die Beschlussempfehlung ist
damit angenommen . - Komisch, dass 7 fehlen, weil das
eigentlich unmittelbar hintereinander war . Aber gut!
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 551;
davon
ja: 498
nein: 53
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({41})
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({42})
Axel E . Fischer
({43})
Dr . Maria Flachsbarth
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({44})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({45})
Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
({46})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({47})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Carsten Müller
({48})
Stefan Müller ({49})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({50})
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({51})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({52})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({53})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({54})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({55})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({56})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({57})
Sabine Weiss ({58})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({59})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({60})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({61})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({62})
Marcus Held
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({63})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Bettina Müller
Detlef Müller ({64})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({65})
Markus Paschke
Christian Petry
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({66})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({67})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({68})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({69})
Matthias Schmidt ({70})
Dagmar Schmidt ({71})
Carsten Schneider ({72})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({73})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({74})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({75})
Volker Beck ({76})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({77})
Christian Kühn ({78})
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({79})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Petra Pau
Harald Petzold ({80})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({81}) aufgeführt .
Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen:
Tabea Rößner .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Bei der Diskussion um das vorliegende Gesetz
hat die Koalition wirklich eine beeindruckende Beratungsresistenz bewiesen .
({0})
Von Bild bis zur Süddeutschen Zeitung, vom Deutschlandradio bis zur FAZ waren sich alle einig, dass der Entwurf zahlreiche Verschlechterungen mit sich bringt und
sogar demokratische Prinzipien gefährdet . Und dass sich
Bild und Süddeutschen Zeitung einmal so einig sind, das
muss man erst einmal schaffen.
({1})
Nicht nur die Medien oder wir haben immer wieder
auf die Schwachstellen des Gesetzes hingewiesen . Auch
die Sachverständigen stimmten bei der Anhörung in ihrer Kritik überein . Trotzdem haben Sie sich nicht beraten
lassen . Aber das kennen wir ja auch von anderen Gesetzesvorhaben .
Damit Sie nicht sagen können, man hätte Sie nicht
ausreichend gewarnt, will ich die wichtigsten Argumente gegen den Entwurf hier noch einmal anführen . Das
Wichtigste vorweg: Das Bundesarchivrecht ermöglicht
die demokratische Kontrolle von Politik und Verwaltung
im Nachhinein .
Seit der Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes
hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, und zwar hin
zu einer transparenten und offenen Verwaltungskultur.
Der Zugang zu Akten ist die Voraussetzung für eine lebendige Demokratie, die von einer kritischen und informierten Öffentlichkeit lebt. Und hierfür soll das Bundesarchivgesetz die rechtlichen Grundlagen legen .
Statt aber das Bundesarchivgesetz nutzerfreundlicher
zu machen, wird es den Behörden leicht gemacht, ihre
Akten der Öffentlichkeit zu entziehen. Bei den Themen
„Löschungssurrogat“ - darauf wurde schon hingewiesen - und „Schutzfristen“ sind uns ja die meisten Landesarchive bereits weit voraus . Das Bundesarchiv soll
modernisiert werden, kommt aber mit der allgemeinen
Schutzfrist von 30 Jahren daher wie ein Dinosaurier aus
anderen Zeiten . Das ist wirklich peinlich, meine Damen
und Herren .
({2})
Skandalös aber ist die Extraregelung für die Geheimdienste . Sie haben ja an dem entsprechenden Absatz noch
einmal herumgedoktert, aber das ändert nichts daran,
dass dies ein Gummiparagraf ist und auch bleibt . Die Geheimdienste haben keine allgemeine Abgabepflicht wie
sonst alle anderen Behörden, sondern können ab jetzt
selbst entscheiden, welche Unterlagen sie an das Archiv
abgeben wollen . Das ist ungeheuerlich . Akten, die staatliches Handeln dokumentieren, gehören ins Archiv ohne Wenn und Aber .
({3})
Kommen Sie mir nicht mit dem Einwand, sensible
Unterlagen seien im Bundesarchiv nicht ausreichend geschützt . Falls Sie sich das so vorstellen, dass da geheime
Akten in offenen Umzugskartons auf dem Gang herumstehen: Das passiert vielleicht beim Verfassungsschutz,
aber nicht im Bundesarchiv .
({4})
Und im Gegensatz zum Verfassungsschutz hat sich das
Bundesarchiv noch nichts zuschulden kommen lassen .
Was diese Sonderregelung für die Geheimdienste angeht, scheinen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Geheimdienste mehr zu vertrauen als den Archivarinnen und Archivaren - eine fragwürdige Entscheidung,
wenn wir bedenken, wie viele Untersuchungsausschüsse
sich mit Geheimdienstskandalen befassen .
Wir Grüne haben daher einen Entschließungsantrag
gestellt, der auf all diese Probleme eingeht . In diesem
Antrag gibt es noch einen weiteren wichtigen Punkt .
Es gibt Ereignisse wie das Oktoberfestattentat oder die
NSU-Morde, die von so großer öffentlicher Bedeutung
sind, dass ein Zugang zu den Akten möglich sein muss auch vor Ablauf der Schutzfrist und auch, wenn diese
Unterlagen als geheim eingestuft sind . Gerade solche
Akten dürfen nicht vor der Öffentlichkeit weggeschlossen werden, sondern müssen in die Archive gehen .
({5})
Der Umgang mit solch einschneidenden und umstrittenen Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte ist quasi
der Lackmustest für eine demokratische Öffentlichkeit.
Oft bleiben diese Akten über Jahrzehnte unzugänglich,
weil sie von den Geheimdiensten sehr großzügig als
geheime Verschlusssachen eingestuft werden und so
im Giftschrank verschwinden . Daher sind klare Vorgaben bitter nötig . Nur so können diese umstrittenen Geschehnisse umfassend aufgeklärt werden . So können wir
letztlich auch unsere Debattenkultur stärken, weil dadurch Verschwörungstheorien der Wind aus den Segeln
genommen wird und gleichzeitig eine unabhängige wissenschaftliche und journalistische Aufklärung unterstützt
wird . Unsere Debattenkultur könnte zurzeit weniger Verschwörungstheorien und dafür mehr Fakten, lieber Kollege Heveling, gut gebrauchen .
Dieser und alle weiteren Knackpunkte sind Ihnen bekannt . Sie halten dennoch an diesem Entwurf fest . Das
ist dann nicht mehr nur chronische Beratungsresistenz,
sondern politisches Kalkül . Geheimhaltung statt Transparenz - das ist in der heutigen Zeit genau das falsche
Signal .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner . - Nächste Rednerin: Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte
Kollegen! Archive sind langweilig . - Sind Archive langweilig? In jedem Fall ist es so, dass in der öffentlichen
Meinung Archive nicht besonders gut wegkommen . Oft
werden sie mit grauen Mäusen, dicken Brillen, Aktenstapeln oder auch mit Strafversetzungen in Verbindung gebracht. In Spielfilmen und Romanen jedenfalls tauchen
solche Klischees gern auf .
Für viele Menschen aber sind Archive natürlich genau
das Gegenteil. Auch ich finde, sie sind Goldgruben. Sie
können spannend und lehrreich sein, und sie können vor
allem helfen, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden . Ein
gutes Beispiel dafür ist die Überprüfung der angeblichen
Hitler-Tagebücher des Sterns . Das Bundesinnenministerium gab damals, im April 1983, dem Bundesarchiv den
Auftrag, die Tagebücher auf ihre Echtheit hin zu überprüfen . Die intensive Recherche - textkritisch und archivfachlich - brachte dann ja auch das bekannte Ergebnis:
Es war eine Fälschung .
Dieser kurze Exkurs in die Geschichte des Bundesarchivs zeigt, welch hohe Fachkompetenz, aber auch welch
hohe Verantwortung beim Bundesarchiv liegt . Und das
sind auch noch nicht einmal die Kernaufgaben dieser
Einrichtung . Die zentralen Aufgaben sind, das Archivgut
des Bundes auf Dauer zu sichern und nutzbar zu machen .
Das klingt jetzt wieder nicht so besonders spannend .
Aber das Bundesarchiv bewahrt in der Tat viele Herzstücke unserer Geschichte auf und macht sie für Bürger,
Wissenschaftler und Journalisten sichtbar und nutzbar .
Das nun neu gefasste Bundesarchivgesetz trat 1988 in
Kraft . Beschreibbare digitale Speichermedien gab es damals schon, zum Beispiel Disketten mit einer Kapazität
von 1,44 Megabyte . Auch CDs waren schon verbreitet
mit noch deutlich höheren Kapazitäten von mehreren
100 Megabyte . Und doch hat sich seitdem vieles getan .
Wir rechnen fast nur noch in Giga- und Terabyte . Unser ganzes Leben ist digitalisiert . Wir schreiben elektronisch . Manches gibt es gar nicht mehr als Printversion .
Die Kern aufgaben, das Archivgut des Bundes auf Dauer
zu sichern und nutzbar zu machen, unterliegen mittlerweile völlig anderen Voraussetzungen . Deshalb wollen
wir mit dem heutigen Beschluss das Bundesarchivrecht
neu regeln und an die neuen Voraussetzungen anpassen .
Wir erreichen, auch wenn Sie nur die Lücken aufgezählt haben, durchaus eine Reihe von Verbesserungen .
({0})
Wir passen das Gesetz so an, dass das Bundesarchiv
im elektronischen Zeitalter seine Aufgaben wieder einfacher wahrnehmen kann . Das bedeutet konkret: Wir schaffen Regelungen zur Übernahme elektronischer Unterlagen und zur digitalen Zwischenarchivierung .
Wir entlasten die Bundesbehörden von IT-technischen
Aufgaben bereits bei der Zwischenarchivierung .
Vor allem aber - das ist, glaube ich, ganz wichtig verbessern wir die Benutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit des Bundesarchivs durch die Verkürzung oder
die Streichung von Schutzfristen . Gerade das wird positive Auswirkungen auf die Forschung haben .
Nur ein Beispiel: In letzter Zeit wird vermehrt über
die Weiterbeschäftigung von Nationalsozialisten in der
damals noch jungen Bundesrepublik diskutiert . Viele Akten können durch die Verkürzung der Schutzfristen nun
deutlich früher eingesehen werden . Das erleichtert die
Aufarbeitung, und mit Sicherheit kommt so auch einiges
früher ans Licht .
Es ist richtig, dass das vorliegende Gesetz keine Maximalanforderungen erfüllt . Es bringt nicht alles, was man
sich wünschen könnte . Dem steht an einigen Stellen der
Datenschutz im Weg . An anderer Stelle geht es darum,
das System praktikabel zu halten .
Ich finde aber, dass das neue Bundesarchivgesetz uns
einen guten Schritt voranbringt . Es ist ein fairer Kompromiss und ein Gewinn . Das Bundesarchiv ist für unsere
gesamte Gesellschaft eine Art Kultur- und Gedächtnisgoldgrube . Wir sind eine Kulturnation, und wir sichern
das, was uns jetzt ausmacht, für die, die nach uns kommen .
Danke schön .
({1})
Vielen Dank, Frau Dr . Freudenstein . - Letzter Redner
in dieser Debatte: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der letzte Redner oder
die letzte Rednerin zu sein, gibt ja die Gelegenheit, noch
einmal zusammenzufassen . Vielen Dank für die Möglichkeit . Ich beginne einmal mit einer Selbstdarstellung
des Archivs . Das Archiv sagt über sich selbst:
Wir sind eine moderne Dienstleistungseinrichtung
für Öffentlichkeit …, die Zeugnisse zur neueren …
deutschen Geschichte … jedermann zugänglich
macht .
Damit das Archiv dem Anspruch einer modernen Einrichtung auch gerecht werden kann, muss es nach über
30 Jahren eine Novelle des Bundesarchivgesetzes geben .
Wenn man auf das letzte Gesetz aus dem Jahr 1988 schaut,
dann stellt man fest, dass die Digitalisierung wesentlich
vorangeschritten ist . Wir haben heute ganz andere Formen der Aktenführung und auch der Zugänglichmachung
von Informationen . Bürgerinnen und Bürger haben auch
andere, modernere Ansprüche an Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns . Auch dem haben wir uns als Große Koalition nicht verschlossen .
Ich gebe ausdrücklich meiner Kollegin Hiltrud Lotze,
die diesen Gedanken schon eingeführt hat, recht . Sie hat
darauf hingewiesen, dass man an bestimmten Stellen
noch weiter hätte gehen können . Das Informationsfreiheitsgesetz, das wir im Jahr 2005 unter rot-grüner Verantwortung angestoßen und beschlossen haben und zu
dem wir als SPD-Bundestagsfraktion auch im Jahr 2013
noch weiter gehende Vorschläge gemacht haben, zeigt:
Wir wären gerne weiter gegangen .
Insofern war es wichtig, in der Beratung des Gesetzes
nicht hinter den Stand zurückzugehen, den wir schon erreicht haben . Wir haben mit dem Informationsfreiheitsgesetz zum Beispiel einen umfassenden Anspruch auf
Auskunft und Information geschaffen. So können Bürgerinnen und Bürger einfach nachvollziehen, welche Daten,
welche Unterlagen der Verwaltung vorliegen . Deswegen
war es wichtig, dass im parlamentarischen Verfahren der
Gesetzgebung hier nun deutlich gemacht worden ist: Wir
wollen nicht hinter diesen Stand zurückgehen .
Der Gesetzentwurf war anzupassen und zu ändern .
Wir haben gute Ergebnisse erzielt, sodass wir nicht in
die absonderliche Situation kommen, dass auf eine Unterlage, die in einer Verwaltung verfügbar ist, eine Zeit
lang nach dem Informationsfreiheitsgesetz zugegriffen
werden kann, dann aber, wenn sie ins Archiv übertragen
worden ist, nicht mehr . Das wäre ein Widerspruch in sich
gewesen . Wir sind sehr stolz, dass auf Basis der Anhörung mithilfe der Sachverständigen erreicht worden ist,
dass man nicht hinter diesen Anspruch zurückgeht und
wir in diesem Punkt ein modernes Bundesarchivgesetz
vorlegen .
({0})
Liebe Frau Kollegin, ich freue mich sehr, dass die
CDU/CSU - nach Ihren Worten - noch einmal angekündigt hat, dass man auch noch weiter gehen kann als das,
was wir jetzt erreicht haben . Dann lassen Sie uns doch
das, was wir erreicht haben, heute beschließen und das,
was wir in den Diskussionen und Anhörungen vernommen haben, zum Ausgangspunkt weiterer Verbesserungen machen; denn die Digitalisierung wird voranschreiten .
Wie gehen wir mit digitalen Daten um? Es ist ein
Schatz, der für die interessierte Öffentlichkeit gehoben
werden kann von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich eben diesen Schatz zunutze machen .
Es ist auch richtig, dass man in bestimmten Ländern in eigenen Landesarchivgesetzen, vielleicht im Landesarchiv
in Hannover, etwas weiter gegangen ist . Man könnte jetzt
sagen: Dort haben wir eine bestimmte Regelung, die man
vielleicht auch auf den Bund übertragen kann . Aber es ist
der Wettbewerbsvorteil eines föderalen Staates, dass man
vergleichen kann . Der Erlass von Informationsfreiheitsgesetzen ist auf Bundesebene angestoßen worden, und
das ist dann in den Ländern nachvollzogen worden . Wir
haben hier nun wieder gemeinsam gehandelt und gesagt:
Hier können wir noch einen Schritt weiter gehen .
Vor diesem Hintergrund war nach unserer Auffassung
das Bundesarchivgesetz in seiner ersten Fassung zu verbessern . Drei Punkte sind benannt worden, und gerade
was den Anspruch auf freie Information und auf Transparenz staatlichen Handelns angeht, schaffen wir damit
die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, eines Rechtsstaates, dass man sich also als Bürgerin und
Bürger darauf verlassen kann: Staatliches Handeln ist
transparent . Man kann es nachvollziehen . Man hat einen
Anspruch darauf, einfach in Erfahrung bringen zu können, was der Staat tut, und darauf, dass die Daten für die
Öffentlichkeit verfügbar bleiben.
Ich gebe uns allen aber eine Empfehlung . Wenn die
Opposition beklagt - ich habe der Kollegin Rößner sehr
genau zugehört -, dass ein Gesetz nicht in die Richtung
verändert wurde, wie sie es sich gewünscht hätte, zugleich aber sagt: „Weil es nicht so gemacht worden ist,
dann öffnet es Verschwörungstheorien Tür und Tor“, …
sage ich Ihnen: Lassen Sie uns nicht nur eine Archivdebatte führen . Wenn man sich irgendwann einmal die
Unterlagen, die wir nun produziert haben, also unsere
Redeprotokolle und die Unterlagen, die mit diesem Gesetz zusammenhängen, ansieht, dann wird man sehen:
So ganz stimmt der Vorwurf der Verschwörungstheorie
nicht . Man wird sehen: Es gibt keinen Anhaltspunkt für
eine Verschwörungstheorie, es wird hier nichts versteckt,
sondern alles ist einfach, transparent und nachvollziehbar . Dass an dem Vorwurf des Vertuschens, dessen sich
die Opposition so gerne bedienen möchte, nichts dran ist,
wird man dann einfach nachvollziehen können .
Deswegen empfehlen wir: Nehmen Sie die Änderungen an! Beschließen Sie das Gesetz mit uns gemeinsam!
Die Linke hat sich schon zur Enthaltung durchgerungen .
Das ist schon einmal etwas .
({1})
Eine herzliche Einladung an die Grünen: Lassen Sie es
uns gemeinsam machen!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Sebastian Hartmann . - Damit schließe
ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung des Bundesarchivrechts .
Uns liegt dazu eine Erklärung zur Abstimmung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10813,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9633 in der Ausschussfassung zuzustimmen, also
seine Empfehlung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU
und die SPD, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/
CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion . Dagegengestimmt
hat Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10890 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Somit dürfte sich niemand mehr enthalten . - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke,
dagegen waren CDU/CSU und SPD .
Vielen herzlichen Dank .
Jetzt rufe ich den nächsten Tagesordnungspunkt, den
Tagesordnungspunkt 8, auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Uwe Kekeritz, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kleidung fair produzieren - EU-Richtlinie für
Transparenz- und Sorgfaltspflichten in der
Textilproduktion schaffen
Drucksachen 18/7881, 18/10904
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre, ich
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Wenn die Mitglieder des Kulturausschusses ihre Gespräche abgeschlossen haben, rufe ich die erste Rednerin
auf; aber so lange warten wir noch .
Ich rufe die erste Rednerin in dieser Debatte auf . Es ist
für die SPD-Fraktion Elvira Drobinski-Weiß .
({1})
1) Anlage 6
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf
der Tribüne! Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist
eine der wichtigsten Konsumgüterbranchen Deutschlands . Sie ist stark von der Globalisierung geprägt . Circa 90 Prozent der in Deutschland gekauften Bekleidung
stammen aus dem Import . Hergestellt werden die meisten Textilien - das können Sie ja auch jederzeit nachsehen - in Ländern wie Bangladesch, Kambodscha, Indien
oder China .
Theoretisch besteht damit, so könnte man meinen, vor
allen Dingen in Entwicklungs- und Schwellenländern die
Chance, eine starke Wirtschaft vor Ort aufzubauen und
den Lebensstandard der Menschen vor Ort zu verbessern .
Tatsächlich ist das leider nur selten der Fall . Denn dafür
müssten die Löhne, die den Arbeiterinnen und Arbeitern
gezahlt werden, existenzsichernd sein, und der Arbeitsschutz müsste sehr viel umfassender sein .
({0})
Unter welchen Bedingungen einzelne Kleidungsstücke hergestellt werden, ist für Verbraucherinnen und
Verbraucher hierzulande praktisch nicht nachvollziehbar .
Der Preis sagt nichts darüber aus, und Informationen zu
den Standards, unter denen bestimmte Kleidungsstücke
produziert werden, sind meist auch nicht zu finden.
Katastrophen wie in Pakistan oder in Bangladesch mit
mehreren Hundert Toten - ich denke, das wird jeder von
Ihnen gelesen, gesehen, gehört haben - haben den Konsumenten in den letzten Jahren mehr und mehr bewusst
gemacht, in welchem Maße in vielen Textilfabriken Arbeits- und Menschenrechte verletzt worden sind . Zunehmend legen Verbraucherinnen und Verbraucher deshalb
auch Wert auf faire Produkte . Sie wollen, dass Arbeiterinnen und Arbeiter so entlohnt werden, dass sie und ihre
Familien davon leben können, und dass Kleidungsstücke
nicht in einsturzgefährdeten Textilfabriken, beispielsweise ohne Brandschutzvorkehrungen, produziert werden .
Nachhaltiger Konsum ist jedoch nur möglich, wenn
auf den Märkten auch nachhaltige Produkte angeboten
werden . Die Verbraucher allein haben eben nicht die
Marktmacht, diese einzufordern . Die Einhaltung von
Menschenrechten, grundlegende Arbeitsschutzstandards
und die Zahlung fairer Löhne sollten selbstverständliche
Mindeststandards sein,
({1})
sind es aber nicht . Deshalb sind politische Interventionen
unumgänglich .
Einen ersten Schritt ging die Europäische Union
im Jahr 2014 mit der Verabschiedung der sogenannten
CSR-Richtlinie . Kapitalmarktorientierte Unternehmen
mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müssen zukünftig eine „erweiterte Berichterstattung“ vorlegen . Das heißt, sie sollen künftig stärker auch über nichtfinanzielle Aspekte des Engagements und über von ihnen
verfolgte Konzepte berichten . Sie müssen beispielsweise
Angaben zu den Arbeitsbedingungen, zur Achtung und
Wahrung der Arbeitnehmerrechte, zum Gesundheitsschutz oder auch zur Sicherheit am Arbeitsplatz machen .
Ich hätte mir gewünscht, dass auch Unternehmen erfasst worden wären, die nicht börsennotiert sind . Dann
wären auch große Handelsunternehmen wie Lidl oder
Aldi, die ja auch jeder kennt, daruntergefallen .
({2})
Ich hätte mir auch gewünscht, dass es einen Prüfmechanismus für die nichtfinanziellen Aspekte gibt. Wir, die
SPD-Fraktion, sind hier leider mit unserem Koalitionspartner nicht - vielleicht: noch nicht - übereingekommen . Dennoch glaube ich, dass die Umsetzung der Richtlinie immerhin ein erster Schritt ist . Ich kann an dieser
Stelle nur an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Union, appellieren, die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes nicht länger zu blockieren .
Endlich ist nun auch der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ im Bundeskabinett verabschiedet worden . Damit sollen die UN-Leitprinzipien
zum Schutz der Menschenrechte umgesetzt werden . Das
Papier macht klar: Nicht nur der Staat ist zum Schutz
der Menschenrechte verpflichtet, sondern auch die Wirtschaft trägt Verantwortung .
({3})
Und unabhängig von der Unternehmensgröße oder der
Branche sollen alle einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Einhaltung der Menschenrechte entlang der
Liefer- und Wertschöpfungskette leisten . In einem Monitoringprogramm will die Bundesregierung ab 2018 die
Umsetzung des Aktionsplans überprüfen . Für den Fall,
dass dieses Ziel verfehlt wird, will die Bundesregierung
weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen prüfen .
({4})
Nicht zu vergessen ist das Nationale Programm für
nachhaltigen Konsum . Wie bereits erwähnt: Nachhaltig
konsumiert werden kann nur, wenn auch nachhaltige
Produkte angeboten werden, wenn Verbraucherinnen und
Verbraucher erkennen können, wie Kleidung, Lebensmittel oder Handys hergestellt worden sind . Faire Löhne
machen übrigens die Produkte nur unmerklich teuer . Und
selbst wenn sich Produkte dadurch verteuern würden:
Wenn klar und verlässlich erkennbar ist, dass sie unter
fairen Bedingungen produziert worden sind, wenn der
Verbraucher, die Verbraucherin erkennen kann, warum
etwas mehr kostet, dann steigt auch die Bereitschaft der
Konsumenten, die höheren Preise zu bezahlen .
({5})
Das Thema Nachhaltigkeit muss branchenübergreifend und international gelebt werden . Es bedarf einiger
neuer politischer Maßnahmen . Bestehende Instrumente
wie zum Beispiel die Ökodesign-Richtlinie müssen weiterentwickelt werden, und andere Maßnahmen müssen
evaluiert werden . Appelle allein an Verbraucher, verantwortungsvoller zu konsumieren, reichen nicht . Wir brauchen gerade in der Textilbranche mehr als nur Appelle an
Unternehmen und Verbraucher .
Die Ziele Ihres Antrages, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, teilen wir deshalb . Ob Ihre Vorschläge allerdings wirklich am besten dazu geeignet sind,
diese Ziele umzusetzen, da bin ich mir nicht ganz sicher .
({6})
Wir müssen uns noch einmal mit den Experten auf diesem Gebiet zusammensetzen .
So viel ist jedoch klar: Die SPD steht Ideen für eine
gesetzliche Regelung offen gegenüber. Ich habe es schon
gesagt: Es war leider mit unserem aktuellen Koalitionspartner bisher nicht umzusetzen .
({7})
Fakt ist jedoch, dass etwas passieren muss . Das sind wir
den Menschen, die unsere Kleidung, unsere Handys oder
das Spielzeug unserer Kinder herstellen, schuldig .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß . - Nächste Rednerin: Karin Binder für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie viele Katastrophen muss es geben, bis wir eine faire
Textilproduktion bekommen? Die Textilindustrie verlegt
ihre Produktion nach wie vor in Billiglohnländer, ohne
sich um die Einhaltung von Sozial- oder Umweltstandards zu kümmern. Sie importiert ihre Profite, und sie
exportiert die Verantwortung . Damit muss Schluss sein!
({0})
Wir müssen diesen unwürdigen Wettbewerb um die
niedrigsten Löhne und Arbeitsstandards beenden . Wer
die Lieferanten in seiner Warenkette nicht kennt, wer
die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards nicht
garantieren kann, handelt verantwortungslos . Deshalb
brauchen wir eine EU-weite Richtlinie für Sorgfaltspflicht und verbindliche Transparenz in der Textilbranche, aber auch in anderen Branchen . Bis heute drückt sich
die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung gegenüber
unserer Gesellschaft ebenso wie vor der Verantwortung
gegenüber den Betroffenen in den Ländern des Südens
oder auch Osteuropas. Bis heute haben die Profiteure der
Billigproduktion keine Entschädigung an die Opfer von
Rana Plaza oder die in Pakistan gezahlt .
Das 2014 von Bundesentwicklungsminister Gerd
Müller mit großem Tamtam eingerichtete freiwillige
Bündnis für nachhaltige Textilien verbessert weder die
Arbeits- und Lebensbedingungen der Näherinnen und
Näher in den Niedriglohnländern noch den dortigen Umwelt- und Klimaschutz . Nur die Hälfte der deutschen
Textilunternehmen nimmt überhaupt daran teil . Es gibt
keine Verpflichtung, soziale und ökologische Standards
wirklich einzuhalten . Jedes teilnehmende Unternehmen
kann selbst definieren, was es verbessern will oder auch
nicht . Verstöße werden nicht geahndet . Werben dürfen
die Unternehmen trotzdem mit dem angeblich nachhaltigen Textilsiegel . Dieses schützt nicht die Menschen
in den Fabriken, sondern die Textillobby vor schlechter
Presse, und das ist ein Skandal .
({1})
Deshalb unterstützt die Linke den vorliegenden Antrag . Wir brauchen eine europaweite Regelung zum
Schutz der Menschen in den Ländern, in denen die meisten europäischen Textilfirmen bisher zu Dumpingpreisen
produzieren lassen . Die Einhaltung der Menschenrechte
wird nur zu gewährleisten sein mit verbindlichen, verpflichtenden Standards für die Beschäftigten und die
Umwelt, mit Verantwortung der Textilindustrie für die
gesamte Lieferkette sowie mit umfassenden Informationsrechten für Verbraucherinnen und Verbraucher über
die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen .
Die Linke fordert das seit vielen Jahren, auch ergänzend
zum Verbraucherinformationsgesetz .
Verbraucherinnen und Verbraucher möchten ihre Kleidung mit gutem Gewissen tragen können und nicht Blutflecken auf der teuer erstandenen weißen Weste haben;
denn auch Hersteller hochpreisiger Waren wie Boss oder
Hilfiger lassen in solchen Niedriglohnländern produzieren .
Ich möchte aber noch auf eine Schwachstelle des Antrags hinweisen . Die Unternehmen können sich weiterhin
von privaten Dienstleistern bescheinigen lassen, dass sie
im Rahmen des Siegels produzieren . Diese privaten Zertifizierungsunternehmen haben aber selbst Gewinninteressen, und sie werden direkt von den Textilunternehmen
bezahlt, die sie für das Siegel prüfen sollen . Das bietet
einen hohen Anreiz zu und auch Möglichkeiten für Betrug und Korruption . Deshalb: Die Linke will, dass die
Unternehmen endlich für fairen Handel in die Pflicht genommen werden, und dafür fordern wir klare gesetzliche
Rahmenbedingungen .
Erstens . Unternehmen, die im Ausland produzieren
oder produzieren lassen, müssen menschenrechtliche
und umwelttechnische Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Herstellungskette einhalten .
Zweitens . Die zivilrechtliche Haftung bei Verstößen
ist auszubauen .
Drittens . Die Unternehmen sind auch für die Verletzung von Menschenrechten und Sorgfaltspflichten ihrer
Subunternehmen oder Zulieferer haftbar zu machen .
Viertens . Ein Unternehmensstrafrecht muss eingeführt
werden, und Gruppenklagen oder Musterverfahren vor
deutschen Gerichten müssen ermöglicht werden .
Fünftens . Gewerkschaften und NGOs müssen bei der
Zertifizierung einbezogen und an dieser beteiligt werden.
Notwendig ist auch eine unabhängige Kontrolle, die im
Auftrag staatlicher Behörden erfolgt .
Schließlich müssen Beschwerdestellen von den europäischen Textilfirmen für die Arbeiterinnen und Arbeiter
der Fabriken eingerichtet werden . Menschenrechte müssen immer Vorrang haben . Sie dürfen nicht gegen Marktoder Profitinteressen abgewogen werden.
({2})
Die Risiken der Globalisierung sind von den Auftraggebern zu tragen und dürfen nicht auf die Auftragnehmer
oder gar ihre Beschäftigten abgewälzt werden .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank, Kollegin Binder . - Nächster Redner:
Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten hier über den Antrag der Grünen mit dem
Titel „Kleidung fair produzieren - EU-Richtlinie für
Transparenz- und Sorgfaltspflichten in der Textilproduktion schaffen“.
Lassen Sie mich dazu zunächst sagen: Ihr Anliegen
bedarf im Grundsatz - im doppelten Sinne des Wortes nachhaltiger Unterstützung; denn die Produktionsbedingungen sind in vielen Ländern, vor allen Dingen Asiens, weit von den Standards entfernt, die wir uns hier in
Deutschland wünschen, die wir uns vorstellen, die sich
deutsche Verbraucher wünschen .
Wir haben es hier - Sie beschreiben das in Ihrem Antrag plastisch; das wurde so ähnlich auch schon gesagt mit einer Externalisierung von Kosten zu tun, wie das die
Ökonomen beschreiben . Um das zu ändern, wollen Sie
die Bundesregierung auffordern, sich für eine EU-Richtlinie einzusetzen, die vor allen Dingen folgende Aspekte
regeln soll: die Transparenz über die Lieferkette, die Verpflichtung, bestimmten Sorgfaltspflichten nachzukommen, den Nachweis der Einhaltung durch Zertifikate und
einheitliche Standards für ebendiese Zertifikate.
Allerdings besteht kein Anlass, dies in dieser Weise
zu regeln; denn - das schreiben Sie auf der anderen Seite auch - wir erleben einen Bewusstseinswandel in der
Bevölkerung . Heute sagt man: Solche Produkte wollen
wir nicht kaufen . - Für acht von zehn Verbrauchern ist
es wichtig - das deckt sich auch mit meinen Rückmeldungen -, vernünftig produzierte Kleidung zu kaufen .
Das zeigt doch: Verbrauchermacht wirkt . Verbrauchermacht wirkt auch durch die sozialen Medien . Wenn ein
Produkt qualitativ schlecht ist und mit einer miserablen
Lieferkette hergestellt worden ist, dann wird es von den
Verbrauchern nicht mehr gekauft . Umgekehrt gilt: Wenn
ein Unternehmen sagt: „Unser Produkt ist ordentlich hergestellt worden; wir überwachen die Lieferkette“, dann
generiert es zusätzliche Marktanteile . Das bedeutet: Der
Markt funktioniert .
({0})
Sie können sich das etwa bei den Bioeiern ansehen .
95 Prozent der Eier, die heute an Endverbraucher verkauft werden, sind Bioeier .
({1})
An der Kennzeichnung - das ist Ihr Verdienst ({2})
liegt es, dass die Verbraucher diese Eier kaufen .
Nur, dieselben Verbraucher sagen in Kenntnis genau
dieser Umstände bei Kleidung oft: Wir wollen es anders
haben . Die Verbraucher fragen auch, zu welchem Preis
ein Produkt verkauft wird; und zu welchem Preis sie kaufen, ist die freie Entscheidung der Verbraucher .
Deshalb ist es so einfach nicht, dass acht von zehn
Verbrauchern diese Bedingungen in dieser Weise überwacht haben wollen . Das könnte man nur durch Zwang
ändern, indem man sagt: „Eine Produktion im Ausland
ist verboten“, oder: Anzüge in Deutschland werden erst
ab 4 000 Euro verkauft .
({3})
Diesen Zwang lehnen wir ab, und Sie lehnen ihn auch
ab . Was Sie wollen, ist Transparenz, nur Transparenz .
Aber genau diese Transparenz haben wir schon . Deshalb
geht Ihr Ansatz ins Leere . Wir verfolgen mit dem Textilbündnis - das BMZ hat das inzwischen weiter forciert genau diesen Ansatz, die Transparenz zu fördern . So
werden dem Verbraucher die notwendigen Informationen
gegeben, damit er selbst eine Entscheidung treffen kann.
Es wäre falsch, die Wirtschaft - das klang in der Rede
der Kollegin Drobinski-Weiß und noch viel extremer in
der Rede der Kollegin von den Linken an - in die Haftung zu nehmen . Es sind die Verbraucher, die eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen, ob und, wenn ja,
unter welchen Bedingungen sie Produkte aus der Dritten
Welt kaufen . Wir brauchen Aufklärung, aber sie muss
nicht mit Zwang hergestellt werden .
({4})
Selbst wenn Regelungsbedarf bestünde, gilt: Das, was
Sie hier vorschlagen, ist ein bürokratisches Monster . Ein
Herrenhemd - wir haben das in der Anhörung gehört hat bis zu 140 Produktionsvorstufen . Das heißt, wir machen einen langen Zettel an ein Herrenhemd, auf dem
steht, wo alle Einzelprodukte, vom Knopf bis zum Faden, herkommen . Das alles soll überwacht werden . Man
braucht Zertifizierungsagenturen und Berater. Sie haben
eben noch einmal gefordert, dass das auch von einem
Abschlussprüfer überwacht werden muss usw . usf . Was
Sie hier schaffen wollen, ist nicht soziale Gerechtigkeit,
sondern ein neues Betätigungsfeld für Unternehmensberater und Werbeagenturen . Davon hätten die Menschen
in Bangladesch nichts . Die Mehrkosten würden dann hier
in Deutschland entstehen, und wir würden hier neue Arbeitsplätze in der Bürokratie schaffen.
({5})
Sehen wir uns weiter an, was Sie in Ihrem Antrag
schreiben: Sie wollen die Pflichten so ausgestalten, dass
den Kapazitäten und Einflussmöglichkeiten von KMUs
Rechnung getragen wird . Das ehrt Sie . Aber wenn dies
umgesetzt würde, wäre die Folge, dass die KMUs in
noch größerem Umfang von den Pflichten ausgenommen werden, als wir es - im Übrigen im Konsens mit der
SPD - jetzt in der CSR-Richtlinie vorsehen . Das ist in
sich widersprüchlich .
Meines Erachtens ist es ein richtiges Anliegen, aber
der falsche Weg . Nicht der Staat, sondern der Markt und
der aufgeklärte Verbraucher - dazu haben wir die Instrumente in der Hand - sollten den Textilhandel zu besseren
Bedingungen bei der Textilproduktion zwingen . Deshalb
werden wir Ihren Antrag ablehnen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Renate
Künast für die Fraktion der Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Professor Hirte
({0})
- ja, man muss mal Haltung annehmen -, ich komme
gleich gerne auf Ihre Rede zurück . Wenn ich Sie mit Professor anspreche, haben Sie das Gefühl „Jetzt kommt es
gleich“, nicht wahr?
({1})
Die Mode ist schön . Das ist eine total tolle Sache . Gerade ist wieder Fashion Week in Berlin . Ich war gestern
Nachmittag einmal dort . Dort sieht man wunderschöne
Sachen, tolle Stoffe, tolle Farben. Das ist richtig schön.
({2})
- Ich bin dienstlich hingegangen .
({3})
Das ist der Vorteil, wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt . Das kann ich allen Kolleginnen und Kollegen
sagen; auch Männer interessieren sich dafür .
Wissen Sie, die andere Seite des Themas Mode ist die
Frage: Auf wessen Rücken und unter welcher Ausbeutung wird Mode hergestellt? Wo werden Menschenrechte
eingehalten? Wo werden internationale Umweltvereinbarungen eingehalten? Herr Hirte hat gerade so schön
auf den freien Markt und den aufgeklärten Verbraucher
verwiesen. Das finde ich toll. Denn wenn Sie für den aufgeklärten Verbraucher sind, müssten Sie diesem Antrag
zwingend zustimmen .
({4})
Denn sonst redet niemand über Aufklärung, jedenfalls
nicht in dem Maße; auch Frau Drobinski-Weiß hat das
gesagt .
Ich will noch eines hinzufügen, weil Sie auf den
Markt hingewiesen haben . Der Markt, dieses unbekannte
Wesen, das scheue Reh, wer ist das?
({5})
Ja, wir sind Marktteilnehmer . Ich muss Ihnen einmal
sagen: Als Marktteilnehmer denke ich gar nicht daran,
dass, während alle untereinander Rechte und Pflichten
ausmachen, nur ich als Verbraucher darauf warten soll,
dass ein Unternehmen gnädigerweise eine Information
abwirft . Nein, die Verbraucher, die Kundinnen und Kunden, die in den Laden gehen, haben als Wirtschaftsteilnehmer das Recht, zu wissen, woher etwas kommt und
wie es produziert wurde,
({6})
so wie jeder andere auch wissen darf, woher zugeliefert
wird . Das wäre ein Markt .
({7})
Sie reden über Aufklärung . Herr Professor Hirte,
wenn Sie mir sagen können, ob Ihr Anzug, Ihre Krawatte
und Ihr Hemd unter Einhaltung aller ILO-Normen und
aller Umweltabkommen hergestellt wurden, melden Sie
sich . Ich würde die Zwischenfrage dann zulassen, und
Sie könnten es mir darlegen .
({8})
- Das stimmt doch überhaupt nicht .
({9})
- Das ist doch vollkommen gaga . Der Anzug würde nicht
4 000 Euro kosten . Solch einen Anzug würden Sie allerdings auch bekommen, wenn Sie wollen würden . Wissen
Sie, wenn es Living Wages in Bangladesch geben würde
und man nach europäischem Standard das Wasser nach
dem Färben der Stoffe reinigen würde, wenn man ein
Krankenhaus in der Nähe hätte und gute Fluchtwege vorhanden wären, würde Ihr Anzug, wenn er in Asien produziert wird, immer noch nicht 4 000 Euro kosten,
({10})
weil das angesichts der Margen bei Ihrem Anzug nur ein
paar Euros ausmachen würde . Ich sage Ihnen: Das ist
auch kein Argument . Sie haben das C im Namen, nicht
wir .
({11})
Wie ist es mit Sumangali in Indien? Eine Situation
wie in Sumangali in Indien wollen Sie nicht ernsthaft;
da müssen Sie etwas tun . Frauen werden angelockt, dort
zu arbeiten, indem man sagt, sie würden später ein Aussteuergeld bekommen . Ihnen wird dann kurz vor der Frist
gekündigt, und sie werden um ihr Geld betrogen .
Schauen Sie nach Bangladesch! Es ist übrigens mittlerweile auf einem etwas besseren Weg . Warum? Weil
Kommissar De Gucht nach dem Zusammenbruch des
Gebäudes bei Rana Plaza gesagt hat: Wir machen jetzt
einen Bangladesch Accord, mit dem wir klare Vorgaben
zur Statiküberprüfung, zu Kontrollen und Ähnlichem
machen .
Schauen Sie nach Myanmar! Ich war da . Die machen
sich ein bisschen auf den Weg . Warum?
({12})
Sie haben in der Zeit der Militärdiktatur für Japan und
Südkorea gnadenlos, ohne irgendeine Rücksicht auf
ILO-Arbeitsnormen gegen Kinderarbeit oder gegen Sklavenarbeit produziert . Nur weil unsere Industrie den recht
niedrigen - aber immerhin - BSCI-Standard voraussetzt,
haben sie gemerkt, dass sie für Europa nur mit diesem
Mindeststandard produzieren können . Da müssen wir
ihnen helfen . Sie haben sich immerhin vorgenommen,
Kinderarbeit innerhalb von zehn Jahren abzuschaffen,
aber nur, wenn es Regeln gibt und sie wissen, dass darauf
geachtet wird .
Wenn Sie Herrn Müller loben, der leider nicht hier
ist, sage ich Ihnen: Die Initiative von Herrn Müller geht
nicht einmal bis Prato, Italien . Ich war im letzten Jahr
da . Als die Industrie aus Europa nach China ging, hieß
es: Dann holen wir ein paar Chinesen zu uns . - Da herrschen aber auch chinesische Verhältnisse . Auf meine
Nachfrage antwortet die Bundesregierung: Dazu wissen
wir nichts . - Ich sage: Zeitunglesen bildet, nicht nur ein
Blick ins Gesetzbuch .
({13})
Einige haben die CSR-Richtlinie gelobt, deren Umsetzung nach dem jetzigen Beratungsstand immer noch
dünn ist, weil sie auch keine Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit schafft. Die Beschaffungsrichtlinie der Bundesregierung wurde dünn umgesetzt . Wir meinen, die
Produktions- und Lieferkette muss offengelegt werden,
und es muss klar definierte Sorgfaltspflichten geben. Man
kann nicht für jeden Fehler verantwortlich sein, aber es
muss definierte und nachprüfbare Sorgfaltspflichten geben . Nur Deutschland, nur freiwillig und nicht einklagbar - das geht nicht .
Das ist im Übrigen kein fairer Wettbewerb . Sie sind
doch die Wettbewerbspartei und reden ständig darüber . Dann erklären Sie uns doch einmal, wie sie einem
Unternehmen, das sich fair verhält, keine Sklaven- und
Kinderarbeit zulässt, vermitteln wollen, wie es im Wettbewerb bestehen soll .
({14})
Ein letzter Gedanke, Herr Hirte: Der Zettel wird nicht
so lang . Wir leben im digitalen Zeitalter . Die wissen genau, wo all ihre Knöpfe, Reißverschlüsse usw . herkommen . Da legen sie eine neue Maske an . Im 21 . Jahrhundert finden sie das alles sehr schnell heraus.
({15})
Ich finde, wir brauchen einen fairen Wettbewerb. All
die ILO-Arbeitsnormen und Menschenrechtsvereinbarungen kreisen heute wie Satelliten um den Globus . Wir
müssen sie mal runterholen, damit sie unten auf der Erde
tatsächlich als Menschenrechte anerkannt werden . Das
macht unsere Vorlage .
({16})
Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu
kommen .
Letzter Halbsatz . - Im Übrigen erkennt sie das Recht
der Marktteilnehmer, Verbraucher und Kunden, an, zu
wissen, und zwar ohne dass sie sich beim Suchen der Informationen einen Wolf laufen . Das ist eine Bringschuld .
({0})
Als nächster Redner hat Jürgen Klimke für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal
bei dem anfangen, was auch der Kollege Hirte gesagt hat .
Aus unserer Sicht ist der Antrag eine gute, vernünftige
Basis, um die Verbesserung der Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Textilindustrie in
Entwicklungsländern anzugehen . Aber auch wenn wir in
den Zielen übereinstimmen, gibt es Defizite und unterschiedliche Bewertungen, gerade durch meine Fraktion,
was den vorgeschlagenen Weg betrifft.
Zunächst vermisse ich in dem Antrag ein zentrales
Projekt der deutschen Entwicklungspolitik - das ist hier
zwar mehrfach genannt worden, aber es steht nicht daRenate Künast
rin -, nämlich das 2014 gegründete Textilbündnis . Dieses Textilbündnis greift die Thematik aus meiner Sicht in
vorbildlicher Weise auf
({0})
und arbeitet bereits in der Praxis an der Verringerung von
Missständen und Benachteiligungen . Mit dem Projekt
kommen Verbraucher, Wirtschaft und Politik auf freiwilliger Basis zusammen .
({1})
Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie das richtig verstanden haben, Frau Künast .
({2})
- Nun schreien Sie nicht! Sie haben gerade genug geschrien .
({3}) - Renate Künast [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ja wenn Sie mich anspre-
chen!)
Der vorliegende Antrag geht nämlich nicht auf das Vorhaben ein, das wir im Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung in der letzten Legislaturperiode kontinuierlich betreut haben . Das deutsche
Textilbündnis arbeitet an einer spürbaren Veränderung
entlang der textilen Lieferkette, um die Arbeitsbedingungen in der Textilwirtschaft international zu verbessern,
existenzsichernde Löhne zu gewährleisten und Umweltstandards einzuhalten . Die 188 Mitglieder des Bündnisses - davon 133 mittelständische Unternehmen und
Großkonzerne aus der Textilindustrie und dem Handel haben bereits 2016 mit konkreten Umsetzungsplänen mit
dem Ziel von mehr Nachhaltigkeit in der Textilindustrie
begonnen .
Herr Klimke, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, jetzt nicht . Frau Künast hat ihre Zeit sowieso
überzogen .
({0})
Wir haben inzwischen - auch das ist ganz wichtig einen Marktanteil von 55 Prozent erreicht; er hat sozusagen einen abdeckenden Charakter . Ich bin im Übrigen
überzeugt, dass das Textilbündnis Vorbild für andere
Wirtschaftszweige sein kann, zum Beispiel für den Rohstoffsektor oder die Fischereiindustrie, und dass deutlich
wird, dass sich faire Herstellung lohnt . Viele Forderungen der Grünen werden von Teilen der Branche ja schon
umgesetzt . Dies sollte man anerkennen, bevor man dieses Thema vorantreibt und es von der nationalen auf die
europäische Ebene bringt .
Meine Damen und Herren, auf ein verändertes Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher im
Nachgang zum tödlichen Einsturz in Rana Plaza, Bangladesch, wird immer wieder gerne hingewiesen . Dies ist
jedoch ein sehr langsamer Prozess . Hier müssen wir weiter sensibilisieren . Das kommt in Ihrem Antrag zu kurz .
Auch hier geht das BMZ mit Taten voran; das müssen
wir festhalten .
Mit dem Portal „Siegelklarheit“ hat die Bundesregierung ein erstes Angebot für Verbraucher und Unternehmen auf den Weg gebracht, um nachhaltiges Handeln
zu stärken. Dieses Portal ist vom BMZ initiiert und finanziert worden . Das Projekt trägt dazu bei, dass Umwelt- und Sozialsiegel eingeführt und besser verstanden
werden, die Marktdurchdringung anspruchsvoller Siegel
und die internationale Umsetzung hoher Umwelt- und
Sozialstandards vorangetrieben werden; das muss man
festhalten . Zudem darf nicht aus dem Fokus geraten,
meine Damen und Herren, dass die Hauptverantwortung
für den Schutz von Menschenrechten und der Einhaltung
von Sozial- und Umweltstandards bei den Regierungen
der Produktionsländer liegt .
({1})
Diese Verantwortung wird in Ihrem Antrag benannt .
Dieses Argument wird jedoch schnell beiseitegeschoben,
und die Verantwortung wird dem europäischen Markt
und den dort agierenden Textilunternehmen zugewiesen .
Da wird der Bock zum Gärtner gemacht . In bilateralen
Verhandlungen mit Produktionsländern dürfen wir eben
nicht davor zurückschrecken, Missstände in diesen Ländern zu benennen und zu konditionieren: Ihr bekommt
nur Geld von uns, wenn ihr die sozialen Grundlagen in
eurem Land verändert; wenn nichts passiert, dann gibt
es kein Geld . - Das müssen wir eindeutig sagen und da
konsequenter sein .
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind mit dem Textilbündnis auf einem sehr guten Weg . Das gilt insbesondere für die Agenda 2030 . Menschenwürdige Arbeit und
wirtschaftliches Wachstum, nachhaltige Produktion und
nachhaltiger Konsum sowie Förderung von Partnerschaften, das sind Ziele, die dort genannt werden .
Zusammenfassend:
Erstens . Für mich liegen die Erfolge und Ziele der
deutschen Entwicklungspolitik im Textilsektor auf der
Hand. Denn in Deutschland haben wir es geschafft, die
Textilindustrie auf freiwilliger Basis in den Prozess
einzubeziehen, ohne dass dabei ein ungeheurer Verwaltungsaufwand für die Unternehmen entsteht . Das hat
Vorbildcharakter .
Zweitens . Die Bundesregierung setzt auf einen aufgeklärten Verbraucher, auf einen aufgeklärten Käufer . Ich
persönlich wünsche mir, dass im weiteren Prozess für
den Verbraucher ein Siegel entworfen wird, an dem er
auf den ersten Blick erkennen kann, ob es sich um „Fairtrade“ oder „Social-made“ handelt,
({3})
dass seine Kleidung also unter Einhaltung der Vorgaben
des Textilbündnisses produziert worden ist .
Drittens - last, but not least -: Wir müssen die Regierungen der Produktionsländer - ich sage es noch einmal - stärker in die Verantwortung nehmen, Entwicklungsgelder als Mittel einsetzen und sagen: Sie werden
nur gezahlt, wenn ihr in diesem Bereich auch bei euch
soziale Standards umsetzt . - Dann arbeiten wir vernünftig zusammen - Geberländer, Entwicklungsländer, Verbraucher und die Wirtschaft -, und zwar auf freier Basis .
Das ist ein Erfolgsfaktor, vor allen Dingen im Hinblick
auf die soziale Sicherheit in den Entwicklungsländern .
Danke sehr .
({4})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben Verantwortung für das, was wir tragen . Die Wahrheit ist: In vielen Bereichen der Welt,
vornehmlich in Asien, wird zu Bedingungen produziert,
die wir für uns selbst niemals akzeptieren würden . Für
Näherinnen werden Löhne bezahlt, die selbst unter Beachtung der dortigen Kaufkraft nicht zum Leben reichen .
Die Verhältnisse und Bedingungen der Arbeitssicherheit
sind nicht akzeptabel, die Umweltverhältnisse teilweise
katastrophal .
Wir müssen darauf reagieren - aus eigener Verantwortung, um zu zeigen, dass wir nicht erst seit der Katastrophe von Rana Plaza eine globale Verantwortung für die
Frage haben, wie Textilien weltweit produziert werden .
Die Antwort darauf bedeutet: Wir haben eine Verpflichtung, die Situation der Menschen vor Ort, in den Ländern, bei der Produktion zu verbessern .
({0})
Auf diese Verpflichtung wollen wir uns sehr gern einlassen .
Aber klar ist auch: Das wird nicht von heute auf morgen gehen . Das ist ein langwieriger Prozess .
({1})
Es gibt auch einige grundsätzliche Irrtümer, die immer
wieder geäußert werden, zum Beispiel den Irrtum, dass
eine Produktion in diesen Ländern nicht gut sei . Das Gegenteil ist der Fall . Die Textilindustrie hat beispielsweise
in Bangladesch dazu beigetragen, dass sich die Lebensverhältnisse der Menschen Stück für Stück verbessern
konnten, dass beispielsweise in Bangladesch auch wegen
der vielen Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen die
Geburtenziffer in den letzten dreißig Jahren von sechs
Geburten pro Frau auf etwa zweieinhalb Geburten pro
Frau zurückgehen konnte . Damit konnten sich ganz konkrete Perspektiven für die Menschen entwickeln .
Schauen Sie nach Südkorea . Dieses Land hat es geschafft, sich über den Einstieg in die Textilindustrie zu
einem Industriestaat mit Maschinenbau und Elektrotechnik zu entwickeln .
Falsch ist die Vorstellung, dass allein günstige Kleidung bereits etwas über die Produktionsverhältnisse aussagt . Entscheidend ist der Lohnanteil an den gesamten
Herstellungskosten der Kleidung . Er ist auch manchmal
bei hochpreisigen Textilien nicht wesentlich höher als bei
Textilien, die wenig kosten .
({2})
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Verantwortung
für katastrophale Umstände in den Produktionsländern
auch der dortigen Korruption geschuldet ist . Auch das
müssen wir ins Visier nehmen .
Jetzt ist die große Frage: An welchen Stellen können
wir ansetzen? Die Idee, dass Richtlinien, Normen oder
gar eine Beschwerdestelle in Brüssel jeden einzelnen der
bis zu 140 Produktionsschritte entscheidend beeinflussen
kann, ist zu optimistisch . Sie wird in der Praxis wenig
funktionieren . Entscheidend ist, dass wir keine Bürokratie haben, sondern dass die Menschen mehr verdienen,
dass wir Stück für Stück den Lohnkostenanteil heben,
weil sich gezeigt hat, dass durch die Erhöhung der Löhne - das macht bei einer Jeans oder einem T-Shirt oftmals nur wenige Cent aus - tatsächlich die Bedingungen
für die Menschen verbessert werden können . Das ist der
Weg, den wir gehen wollen .
({3})
Wir setzen also bei der Wertschöpfungskette am entscheidenden Faktor an, nämlich am Faktor Mensch . Wir
wollen erreichen, dass die Menschen unter besseren Umweltbedingungen, unter besseren Arbeitsbedingungen
sowie zu besserem Lohn produzieren können .
Da ist mir wichtig, einen Satz auf das Bündnis für
nachhaltige Textilien zu verwenden . Vor zwei Jahren, als
dieses Bündnis durch unseren Entwicklungshilfeminister Gerd Müller gestartet ist, hat niemand gedacht, dass
sich innerhalb von zwei Jahren über 180 Unternehmen
daran beteiligen, sich an dieser Bewusstseinsbildung beteiligen . Zeigen Sie mir doch bitte ein Industrieland der
westlichen Hemisphäre, welches sich mit dieser Nachhaltigkeit und diesem Engagement für entsprechende
Produktionsbedingungen engagiert .
({4})
Ich glaube, auf dieses unser Engagement können wir
wirklich stolz sein .
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben eine Verantwortung für das, was wir tragen . Das Bewusstsein dafür
müssen wir schon beim Einkauf haben . Wenn der mündige Verbraucher in die Bekleidungsgeschäfte geht, sollte
er im Hinterkopf haben, wie diese Kleidung produziert
wird .
({6})
Ich setze darauf, dass die Verhältnisse durch bessere Löhne für die Näherinnen und durch ein nachhaltiges Textilbündnis insgesamt verbessert werden und wir
durch diese Debatten für die Menschen vor Ort etwas
gewinnen können .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Debatte .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kleidung fair produzieren - EU-Richtlinie für Transparenzund Sorgfaltspflichten in der Textilproduktion schaffen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10904, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7881 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit
ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 9:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes
Drucksachen 18/9758, 18/9947, 18/10102
Nr. 12
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/10903
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Wenn Sie Ihre Plätze eingenommen haben, kann ich
die Debatte und die Aussprache eröffnen. Das dauert
aber offensichtlich noch ein bisschen. Vielleicht geht es
ja auch etwas schneller .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({1})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn es um innere Sicherheit geht, dann ist der öffentliche Fokus im Lichte des
schrecklichen und unfassbaren Anschlags vom 19 . Dezember 2016 am Breitscheidplatz hier in Berlin derzeit
natürlich auf den islamistischen Extremismus und den
islamistischen Terrorismus gerichtet . Es ist auch richtig,
dass wir uns diesem Phänomen zuvorderst annehmen .
Trotzdem dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass es
auch andere Phänomene im Bereich der Sicherheitspolitik gibt, die unsere große Aufmerksamkeit erfordern . Ich
meine in diesem Zusammenhang vor allem die organisierte Kriminalität . Die Zahl der Verfahren im Bereich
der organisierten Kriminalität steigt jährlich .
Im Jahr 2014 wurden in Deutschland allein 48 Verfahren gegen kriminelle Rockerbanden geführt . Dies entsprach 8,4 Prozent aller Verfahren gegen die organisierte
Kriminalität . Rechnet man dann noch die Verfahren hinzu, die mittelbar gegen kriminelle Rockerbanden geführt
wurden - das waren 23 -, dann kommt man auf insgesamt 71 Verfahren in Deutschland . Dies ist schon eine
sehr beachtliche Zahl .
2015 waren es 42 Verfahren gegen kriminelle Rockerbanden . Das entsprach 7 Prozent aller Verfahren gegen
die organisierte Kriminalität . Hinzu kamen noch 29 Verfahren, die mittelbar gegen kriminelle Rockerbanden geführt wurden .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in
sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs sind insgesamt
über 5 500 Mitglieder in mehr als 250 Gruppierungen organisiert . Das Lagebild des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen hat Ende letzten Jahres zutage gefördert,
dass sich die Anzahl der polizeibekannten Rocker allein
zwischen 2010 und 2016 mehr als vervierfacht hat . Das
zeigt, dass dies ein Phänomen ist, das ernst zu nehmen
ist . Kriminelle Rockerbanden sind vor allem in den Bereichen Drogenkriminalität, Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schutzgelderpressung tätig .
Ich möchte eines deutlich machen: Wir hegen überhaupt keinen Generalverdacht gegen friedfertige Motorsportklubs oder gegen Motorradklubs, die sich in ihrer
Freizeit organisieren und ihrem Hobby in friedfertiger
und harmloser Weise nachgehen . Aber wir müssen klar
differenzieren zwischen diesen friedfertigen und harmlosen Motorradklubs auf der einen Seite und hochkriminellen Rockerbanden auf der anderen Seite .
Es geht hier vor allem darum, deutlich zu machen,
dass es nicht zugelassen wird, die Organisationsform
des Vereins zu missbrauchen . Der Großteil dieser kriminellen Rockerbanden ist als Vereine organisiert . Das
deutsche Vereinsrecht ermöglicht als Ultima Ratio das
Verbot eines Vereins . Davon wird immer wieder einmal
Gebrauch gemacht . Das ist auch richtig so .
Wir haben im Dezember letzten Jahres eine sehr einblickgebende Sachverständigenanhörung zu diesem Gesetzentwurf durchgeführt . Die Sachverständigen haben
uns noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt, dass
der Organisationszusammenhalt in einer Rockergruppe
vor allem durch die einheitliche Kleidung zum Ausdruck
gebracht wird, dass das Tragen der Kutte eine integrative Wirkung hat. Damit wird gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber Unbeteiligten zum Ausdruck gebracht:
Wir sind die Stärkeren . Wir unterminieren den Anspruch
des Staates, das Gewaltmonopol auszuüben . Wir stellen
durchaus auch den Rechtsstaat zur Disposition . - Wir
dürfen es, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht zulassen, dass hier rechtsfreie Räume entstehen . Deswegen ist es richtig, dass in derartigen Fällen
von der Möglichkeit des Vereinsverbotes Gebrauch gemacht wird .
Es gab im Jahr 2002 eine Änderung des Vereinsgesetzes, die diese Möglichkeit verstärkt vorsah . Jetzt müssen
wir, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
aber feststellen, dass diese Änderung aus dem Jahr 2002,
insbesondere im Lichte eines Urteils des Bundesgerichtshofes vom Juli 2015, ihre gewünschte Wirkung nicht
entfaltet hat . Weshalb? Weil der Bundesgerichtshof das
subjektive Tatbestandsmerkmal in § 9 Absatz 3 des Vereinsgesetzes sehr restriktiv ausgelegt hat . Das hatte zur
Folge, dass zwar der einzelne Verein als verboten galt
und auch das Tragen der jeweiligen Kutte mit dem Namenszusatz verboten war, es aber durchaus möglich war,
dass Schwestervereine, beispielsweise Chapter der Bandidos oder der Hells Angels, diese Kutten mit einem anderen Namenszusatz weiterhin legal verwenden konnten .
Dadurch wurde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass das Bundesinnenministerium eine Initiative ergriffen hat, um
das Vereinsgesetz dahin gehend zu ändern, dass dieses
subjektive Tatbestandsmerkmal in § 9 Absatz 3 des Vereinsgesetzes gestrichen wird . Wir brauchen in Zukunft
die Möglichkeit umfassender Kennzeichenverbote .
Wir haben uns im Innenausschuss des Deutschen Bundestages mit diesem Gesetzentwurf sehr intensiv auseinandergesetzt . Wir sind der festen Überzeugung, dass
mit dieser Änderung auch dem Bestimmtheitsgebot in
ausreichender Weise Rechnung getragen wird . Vor allem
wird mit dieser Änderung klar, dass man nicht die Möglichkeit hat, sich dieser an sich verbotenen Organisation
durch einen schnellen Wechsel des Namenszusatzes auf
der Kutte in der Öffentlichkeit auf legale Weise weiterhin
als zugehörig zu zeigen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bitte Sie herzlich um die Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetzentwurf . Er wirkt auf den ersten Blick zwar
kleinteilig, bringt aber aus meiner Sicht deutlich zum
Ausdruck, dass wir keine rechtsfreien Räume in Deutschland dulden, dass wir in Deutschland nicht dulden, dass
das Recht des Stärkeren gilt, dass sich der, der dazu die
Möglichkeit hat, sein Recht nimmt . In Deutschland gilt
der Rechtsstaat .
Wir haben im Rahmen eines Änderungsantrages darüber hinaus eine EU-Verordnung über das Statut und
die Finanzierung von europäischen Parteien und Stiftungen umgesetzt, indem wir das Bundesinnenministerium
als die nationale Kontaktstelle definieren. Ich glaube, es
ist sachgerecht, dass wir diese EU-Verordnung, die seit
1 . Januar dieses Jahres gilt, im Rahmen eines Änderungsantrages sehr schnell in das laufende Gesetzgebungsverfahren einfließen lassen.
Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen, wirklich herzlich um die Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetzentwurf, zu dieser wichtigen Änderung des Vereinsgesetzes, weil damit die Möglichkeit
gegeben wird, dass wir unsere Behörden in die Lage versetzen, konsequent und entschieden gegen organisierte
Kriminalität, insbesondere gegen kriminelle Rockerbanden, vorzugehen .
Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit .
({0})
Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke von der Fraktion
Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
in der Tat richtig: Einige Rockergruppen bieten einen
Deckmantel für schwere Straftaten wie Menschenhandel, Drogenhandel usw . Aber, Kollege Mayer, wir sind
der Auffassung, dass man gegen solche Verbrechen mit
dem Strafrecht vorgehen muss und nicht mit einer Symbolpolitik, wie Sie sie in diesem Gesetz dargelegt haben .
Gemäß diesem Gesetzentwurf ist es nämlich so, dass
vor allen Dingen das Verbot von Kutten und Abzeichen
den Bürgern und Bürgerinnen ein Gefühl von Sicherheit
vermitteln soll . Wir denken, das ist wirklich ein reines
Placebo .
Am strafbaren Handeln von Personen aus der Rockerszene werden Sie mit diesem Gesetz garantiert nichts
ändern . Gleichzeitig werden die Rechte vieler nichtkrimineller Mitglieder von Motorradklubs in der Tat eingeschränkt, und das ist eben nicht tragbar . Darum trägt die
Linke dieses Gesetz nicht mit .
({0})
Meine Damen und Herren, was soll es denn nutzen,
bestimmte Symbole der Rockerszene aus der Öffentlichkeit zu verbannen? Die Rocker werden dann auf Ersatzsymbole, auf Zahlen- oder Farbencodes, ausweichen .
Der einfache Polizist wird dann in noch stärkerem Maße
heillos überfordert sein, die verschiedenen Rockergruppen zu identifizieren und festzustellen, welche verboten
sind und welche nicht . Das hat übrigens der Redakteur
der Bikers News, Michael Ahlsdorf, in der Anhörung
doch sehr deutlich gemacht . Er ist langjährig in der Szene unterwegs, und er hat eben genau auf dieses Problem
hingewiesen . Da frage ich mich, warum Sie Ihre Position
hier immer noch vertreten .
Stephan Mayer ({1})
Es ist auch überhaupt keine Frage: Wenn ein Rockerklub in Gänze kriminell ist, gehört er verboten .
({2})
Doch wenn sich dieser Nachweis gegen den gesamten
Klub strafrechtlich nicht erbringen lässt, muss man gegenüber den einzelnen Mitgliedern die Unschuldsvermutung gelten lassen . Das ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, und dabei sollten wir auch bleiben .
({3})
Doch nicht so in diesem Gesetzentwurf: Wenn nur eine
einzige Ortsgruppe eines bundes- oder gar weltweit organisierten Motorradklubs wegen krimineller Verstrickung
verboten wird, sollen alle anderen Mitglieder deutschlandweit das gemeinsame Symbol nicht mehr benutzen
dürfen . Das ist in unseren Augen ganz klar Sippenhaft
und damit unzulässig . Hier wird auf verfassungsrechtlich
sehr problematische Art und Weise in Grundrechte wie
die Vereinigungsfreiheit eingegriffen. Darauf haben im
Übrigen auch Experten bei der Anhörung im Innenausschuss hingewiesen . Ich sage es einmal ganz klar: Die
Linke steht in dieser Frage eindeutig an der Seite all jener
Biker, die sich nichts zuschulden kommen lassen .
Übrigens ist es nicht angemessen, wenn man in diesem Gesetzentwurf hier versucht, eine neue Lex Rocker
zu präsentieren; denn im Grunde genommen treffen diese
Regelungen eben auch andere Bevölkerungsgruppen . Ich
denke da zum Beispiel an die friedlichen Fußballfans, die
im Übrigen gleiche Symbole wie manche Hooligans haben. Auch hier muss man vorsichtig sein; denn es trifft,
wie gesagt, eben nicht nur die Rocker, sondern auch andere Gruppen .
Man muss die Rockerszene mit ihrem martialischen
Auftreten nicht mögen . Aber nicht jeder, der sich durch
seinen Lebensstil außerhalb der bürgerlichen Moral
stellt, ist deswegen gleich ein Schwerverbrecher . Die Art
und Weise, wie hier im Gesetz und in den Reden, übrigens gerade auch in der letzten Debatte - Sie haben es
heute etwas differenzierter gesagt, Kollege Mayer -, eine
ganze Subkultur diffamiert und damit auch kriminalisiert
wird, ist einfach infam .
Dem Bundestag liegt im Übrigen eine Petition vor .
6 000 Menschen aus der Rockerszene haben sie eingebracht, und 20 000 Unterschriften haben sie für diese
Petition gesammelt . Die Unterzeichner wenden sich gegen dieses Gesetz und plädieren vor allen Dingen dafür,
keine generelle Kriminalisierung vorzunehmen . Ich frage Sie: Würden 20 000 Menschen ihre Daten beim Bundestag abgeben, wenn sie alle kriminell wären? Es ist im
Übrigen bezeichnend für diese Koalition, dass sie nun ein
solches Gesetz im Eiltempo durchzieht, anstatt abzuwarten, was der Petitionsausschuss dazu zu sagen hat .
({4})
Ich rate der Koalition und insbesondere der SPD, damit entspannt umzugehen . Akzeptieren Sie, dass andere
Menschen ihre Freizeit nicht auf dem Golfplatz oder dem
Tennisplatz verbringen, sondern sich in eine Lederkluft
schmeißen . Verzichten Sie in diesem Wahljahr auf Aktionismus, wie er in diesem unsinnigen Gesetzentwurf zum
Ausdruck kommt!
Ich danke Ihnen .
({5})
Als nächster Redner hat Uli Grötsch von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Ulla Jelpke, im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf kann man nicht von Eiltempo sprechen . Die erste Lesung des Gesetzentwurfs fand am
30 . September letzten Jahres statt . Wir haben eine ausführliche Anhörung durchgeführt und Gespräche über
dieses Thema geführt . Das Tempo bei diesem Gesetzentwurf entspricht dem eines normalen parlamentarischen
Verfahrens . Es gab ausreichend Zeit, den Gesetzentwurf
dort zu korrigieren, wo es nötig war . Dieses Gesetz ist
solide .
({0})
Eigentlich hast du unserem Gesetzentwurf in Teilen
deiner Rede fast zugestimmt . Wir alle stehen nämlich
an der Seite der Motorradklubs und der Rocker, die sich
nichts zuschulden kommen lassen . Gegen diese hat in
diesem Land wirklich niemand etwas . Diesen will auch
niemand etwas ans Zeug flicken oder etwas verbieten.
Uns geht es vielmehr darum, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und diejenigen Vereine zu verbieten, deren Vereinszweck ein anderer ist als der vorgegebene, nämlich
oft ein Deckmantel für organisierte Kriminalität zu sein .
Wir regeln mit diesem Gesetz konkret, dass Kennzeichen eines verbotenen Vereins nicht „in wesentlich gleicher Form“ von einem neuen Verein genutzt werden, so
geschehen - nur beispielhaft - in der Rockerszene, wo
verbotene Vereinssymbole mit einem anderen Ortsnamen
weiter benutzt werden. Aber das betrifft - das sage ich
ausdrücklich - nicht nur die Rockerszene . Auch in der
rechtsextremen Szene wird ähnlich verfahren .
Was „in wesentlich gleicher Form“ bedeutet, haben
wir in diesem Gesetz klar festgelegt, damit das Gesetz
praxistauglich ist und entsprechend angewendet werden
kann . Hier gab es in der Vergangenheit rechtliche Ungenauigkeiten . Vor allem fällt künftig das sogenannte
subjektive Merkmal weg . Die Verbotsbehörden müssen
künftig den nach einem Vereinsverbot neu gegründeten Nachfolgevereinen, die die bereits verbotenen Vereinssymbole in ähnlicher Form weiter benutzen, nicht
mehr nachweisen, dass sie die verfassungswidrigen Ziele
des verbotenen Vereins teilen, um das Kennzeichenverbot durchzusetzen . Das war nachvollziehbarerweise in
der Praxis unmöglich, selbst wenn der Sachverhalt offensichtlich war . Um es auf den Punkt zu bringen: Verboten
ist verboten .
Ja, diese Verschärfung des Vereinsgesetzes kann zu einem Kuttenverbot führen . In der ersten Beratung im Plenum am 30 . September 2016 habe ich von einem möglichen Ende des Mythos um Hells Angels oder Bandidos
gesprochen, weil das verbindende Vereinssymbol wegfallen könnte. In der öffentlichen Sachverständigenanhörung hat uns einer der Sachverständigen geschildert, dass
die Bikerkutte auch ein Stück Kultur und Tradition in der
Rockerszene ist, die es seit Jahrzehnten in Deutschland
gibt . Das teile ich ausdrücklich und sage: Es geht uns
nicht um diese Jacken, sondern um diejenigen, die sie
für einen Vereinszweck nutzen, der ein anderer ist als der
vorgegebene .
Ich kann als Sicherheitspolitiker auch nicht wegdiskutieren, dass Teile der Rockerszene für viele Bereiche der
organisierten Kriminalität - wie etwa Prostitution oder
Schutzgelderpressung - stehen und Rockerklubs trotz
Vereinsverbot und Kennzeichenverbot Möglichkeiten
gefunden haben, um Gesetzeslücken zu nutzen und einfach in einem anderen Ort ein neues Chapter zu gründen
mit fast dem gleichen Vereinssymbol . Bei einer Güterabwägung überwiegt für mich die Verantwortung für die
Sicherheit der Menschen in unserem Land .
In der Anhörung am 12 . Dezember 2016 wurde auch
sehr deutlich, wie bedrohlich das demonstrative Gebaren mit Kutten und Motorrädern in der Öffentlichkeit
wahrgenommen wird, wie auch teils bewusst Angst und
Schrecken verbreitet werden . Und darum geht es eben
auch in Bezug auf das Sicherheitsgefühl der Menschen
in diesem Land, über das wir in diesem Haus hier unter
so vielen Aspekten immer wieder reden . Auch das ist einer der Aspekte, die mit dem Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland zu tun haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einer
Zeit, in der das Sicherheitsgefühl der Menschen leider
Schaden genommen hat - nicht nur durch Terroranschläge wie zuletzt auf dem Berliner Weihnachtsmarkt,
sondern etwa auch durch die steigende Zahl von Wohnungseinbrüchen . Deshalb muss der Staat zeigen, dass er
sich nicht an der Nase herumführen lässt, dass er Recht
durchsetzen kann und handlungsfähig ist . Ich habe den
Eindruck, dass das Vertrauen dahin gehend gelitten hat .
Deshalb schließen wir heute mit diesem Gesetz ein weiteres Schlupfloch, um die verbotenen Symbole diesmal
effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen.
({1})
Ich möchte zum Ende noch einmal etwas sagen, was
mir sehr wichtig ist . Diese Änderung des Vereinsgesetzes
ist keine Lex Rocker . Sie gilt für alle kriminellen oder
verfassungsfeindlichen Vereine - egal ob rechts, links
oder islamistisch -, die meinen, eine Gesetzeslücke nutzen zu können, um ihre Machenschaften fortzusetzen .
Diese Lücke wird es künftig nicht mehr geben . Ich bin
mir sicher, dass das auch im Sinne aller ehrlichen und
friedliebenden Motorradfahrer und Rocker in Deutschland ist, die sich nichts zuschulden kommen lassen . Von
denen gibt es in diesem Land übrigens mehr als eine halbe Million .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Monika
Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, uns allen ist klar, dass einige Rockerclubs
auch in Deutschland ein hohes kriminelles Potenzial besitzen . Erst letzte Woche gab es in meiner Heimatstadt
Leipzig eine Großrazzia mit circa 500 Beamtinnen und
Beamten unter anderem auch gegen einen Rockerclub .
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Steuerhinterziehung und Waffenhandel. Im Juni letzten Jahres kam
es in der Eisenbahnstraße in Leipzig zu einer Auseinandersetzung zwischen den verfeindeten Rockerclubs Hells
Angels und United Tribuns . Dabei wurde ein Mann der
United Tribuns getötet, weitere zwei Männer wurden
zum Teil schwer verletzt .
Es sind aber bei weitem - insoweit sind wir uns einig - nicht alle Motorradclubs kriminelle Vereinigungen .
Es ist wichtig, dass wir nicht pauschalisieren .
Das Problem wurde schon benannt: Es geht um die
sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs . Der Großteil
dieser Rockervereinigungen begeht unter anderem auch
Straftaten, meist im Bereich der Rohheitsdelikte . Dabei
handelt es sich zum Beispiel um gefährliche Körperverletzung und räuberische Erpressung . Es bleibt allerdings
im Rockermilieu nicht nur bei Bandenkriegen untereinander . Die vielen Verbindungen in die organisierte Kriminalität sind offensichtlich. Drogen, Waffen- und Menschenhandel sind keine Ausnahme .
Besorgniserregend sind aber auch Verbindungen einiger Rockerclubs in die rechtsextreme Szene . Zum Beispiel
arbeiten Rocker und Nazis etwa bei der Durchführung
von rechtsextremen Musikveranstaltungen zusammen .
So fanden in den Räumen der Bandidos in Mannheim
oder des Gremium MC in Dresden schon Neonazikonzerte statt . Auch personell gibt es Überschneidungen .
Zum Beispiel ist der bayerische NPD-Funktionär Sascha
Roßmüller auch Mitglied der Bandidos . Auch ideologisch
gibt es durchaus einige Übereinstimmungen: Gewaltverherrlichung, Männlichkeitskult bis hin zum Sexismus .
Einen wichtigen Bestandteil der Außenwirkung erzielen die Rocker durch ihr einheitliches Erscheinungsbild .
Mit den Kutten und den aufgenähten Symbolen schaffen
sie durchaus auch eine Atmosphäre der Einschüchterung
und Gewalt . Im Versammlungsgesetz haben wir aufgrund
der deutschen Geschichte das sogenannte Uniformverbot
verankert, und das ist auch gut so . Auch das Ziel Ihres
Gesetzentwurfs finden wir im Grunde unterstützenswert.
Gegen die Umgehung des Verbots bestimmter Symbole
muss vorgegangen werden . Aber bei diesem neuen Vereinsgesetz bzw . bei den damit verbundenen Veränderungen haben wir einige Bedenken .
Nur ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Hooligan-Verein bedient sich missbräuchlich eines Vereinslogos, saUli Grötsch
gen wir einmal des Logos von RB Leipzig . Nehmen wir
weiter an, der Hooligan-Verein wird irgendwann zur
kriminellen Vereinigung, und er wird damit verboten .
Was geschieht dann angesichts der neuen Gesetzeslage
mit dem Logo von RB Leipzig? Darf dann der Fußballverein, der nichts mit dem verbotenen Verein zu tun hat,
sein eigenes Logo nicht mehr verwenden? Das Beispiel
mag vielleicht sehr weit hergeholt sein; aber es fand auch
bei einem Sachverständigen in der Anhörung durchaus
Erwähnung, dass so etwas nicht ganz auszuschließen ist .
Uns ist also der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf
zu unbestimmt . Wenn es sich um kriminelle Vereinigungen handelt, ist es ein Anliegen, das wir unterstützen . Sie
erkennen aber nicht die Gefahr, die dieses Gesetz mit
sich bringt. Wir finden, dass es hier nur um Symbolpolitik geht, und wir fänden es sinnvoller, die Systematik des
Vereinsgesetzes zu verändern, was unter anderem auch
von einigen Sachverständigen in der Anhörung vorgeschlagen wurde . Deshalb werden wir uns jetzt gleich bei
der Abstimmung enthalten .
Danke schön .
({0})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Oswin Veith
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter
Lesung abschließend beraten, setzt die Koalition die
Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit in
unserem Lande und damit zum Schutz der Bürgerinnen
und Bürger fort . Gleichzeitig sagen wir damit den Verbrechern, den Kriminellen und der organisierten Kriminalität den Kampf an .
Heute geht es zwar nur um eine kleine, aber in der
Praxis sehr hilfreiche Änderung des Vereinsrechtes . Nur
zwei Vorschriften wollen wir ändern. Wir schaffen damit keine Lex Rocker oder Lex specialis Rocker, und es
geht auch nicht, wie Sie insinuieren wollten, um unsere
Gesangs-, Musik- und Sportvereine; darum geht es überhaupt nicht . Die beiden Vorschriften, die wir ändern wollen, richten sich gegen alle, die unter dem Schutzmantel
des Vereinsrechtes schwerste Verbrechen begehen und
die innere Sicherheit und Ordnung gefährden . Die Verschärfung des Vereinsrechts ist dazu genau der richtige
Weg .
({0})
Gleichzeitig sind die vorgelegten zwei Verschärfungstatbestände im Vereinsgesetz überaus praxistauglich, wie
die auf Wunsch der Opposition durchgeführte Anhörung
am 12 . Dezember letzten Jahres eindrucksvoll dargelegt
hat . Wenn es ein Gesetzesvorhaben gab, das bereits in so
frühem Beratungsstadium von Experten als praxistauglich anerkannt wurde, dann ist es dieser Gesetzentwurf .
Alle Praktiker waren voll des Lobes; so jedenfalls habe
ich sie in Erinnerung .
Worum geht es also? Die Bundesregierung beabsichtigt, mit dem Gesetzentwurf das Kennzeichenverbot in
§ 9 Vereinsgesetz praxistauglich auszugestalten und eine
Schwachstelle des bestehenden Vereinsrechts auszumerzen . Mit der Streichung des subjektiven Merkmals des
Teilens der Zielrichtung des verbotenen Vereins und der
zusätzlich eingeführten Erläuterung, wann ein Kennzeichen „in im Wesentlichen gleicher Form“ verwendet
wird, wird das bestehende Kennzeichenverbot nunmehr
praxistauglich ausgestaltet, da die Polizei in Bund und
Ländern künftig allein anhand objektiver Kriterien feststellen kann, ob ein Verein ein Kennzeichen in wesentlich
gleicher Form verwendet wie der verbotene Verein . Die
angestrebte Gesetzesänderung zielt vor allem auf solche
Fälle der Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereine durch selbstständige Schwestervereine ab, bei denen
lediglich jeweilige Orts- und Untergliederungsbezeichnungen einfach nur ausgetauscht wurden .
Ein Vereinsverbot kann ausgesprochen werden, wenn
eine schwerwiegende Gefährdung der Allgemeinheit
oder eine Straftat nachgewiesen wird . Mit dem Verbot
wird dann auch das Tragen aller Abzeichen eines solchen
Vereins strafbar . Wenn das Verbot allerdings eine Ortsgruppe einer Dachorganisation betrifft, dann gilt es nicht
gleichsam für die Gesamtorganisation . Deshalb durfte
man zum Beispiel bis jetzt ungestraft Kutten, Fahnen und
Uniformstücke oder Abzeichen, die auf strafbare Aktivitäten oder verfassungsfeindliche Bestrebungen hindeuten, weiter verwenden .
Diese Lücke zu schließen, hatten wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und auf diese Schwachstelle wies uns
auch der bereits zuvor genannte BGH in seinem Urteil
vom vorletzten Jahr hin . Damals ging es um das Tragen
von Rockerkutten, die verschiedene Ortsbezeichnungen, aber das gleiche Kennzeichen hatten . Diese Lücke
schließt der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf .
Richtig an der Kritik ist, dass die Gesetzesinitiative
kein Allheilmittel ist und wir auch nicht alles verhindern
können .
({1})
Aber ich sage: Es ist ein vernünftiger und praxistauglicher Beitrag zur Bekämpfung von Schwerverbrechern
und von Kriminalität in unserem Lande . Deshalb streite
ich für diesen Entwurf, und deshalb werden wir ihn heute
auch mit den Stimmen unserer Koalition in Kraft setzen .
({2})
Künftig stellt § 9 des Vereinsgesetzes klare und objektive Kriterien auf, mithilfe derer unsere Polizei feststellen kann, ob ein im Wesentlichen gleiches Kennzeichen
verwendet wird, das bereits verboten ist . Warum wollen
wir diese Verschärfung? Wir wissen, dass Rockergruppen, darunter die hier schon erwähnten sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs, die Organisationsfreiheit unseres
Vereinsrechtes ausnutzen . Sie segeln unter der Tarnung
und dem Schutz der Freiheit, sich zu versammeln und
zusammenzuschließen . Sie nennen sich harmlos Motorradklub, fahren augenscheinlich mit ihren benzinbetriebenen Feuerstühlen brav über unsere Straßen, lassen sich
den Wind freudig unters Näschen wehen, genießen die
Sonne bei der Ausfahrt, sind stolz darauf und tragen mit
Überzeugung ihre zum Teil bedrohlich aussehenden uniformähnlichen Monturen .
Klingt alles so weit harmlos und hört sich gut an .
Doch weit gefehlt! Dieses gestellt verharmlosende Bild
ist natürlich nicht die Realität . In der Realität handelt es
sich um Klubs, die für schwerste Verbrechen und eine
ganze Reihe von Straftaten der organisierten Kriminalität
stehen . Sie betreiben Drogen- und Menschenhandel, sind
in Zuhälterei und Prostitution verwickelt, verüben Gewalttaten bis hin zu Mord und Totschlag . Sie sind damit
der organisierten Kriminalität zuzurechnen . Die Kutten
sind ihr Heiligtum, und da wollen wir ran .
Natürlich ist nicht jeder Motorradfahrer schwerstkriminell; das wissen wir auch . Darum geht es ja auch gar
nicht . Aber es gilt, allen Kriminellen darunter beherzt den
Kampf anzusagen, sie dingfest zu machen und ihnen die
volle Härte des Gesetzes entgegenzubringen . Dem dient
der vorgelegte Gesetzentwurf . Er ist ein praxistaugliches
Mittel für unsere Polizeibehörden . Deshalb verdient er
unsere Zustimmung, und deshalb sollte er heute auch mit
klarem Votum in Kraft gesetzt werden .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Polizei hat große Herausforderungen zu bestehen, gerade
auch - wir wissen das - in diesen Zeiten .
({3})
Geben wir ihr die nötige Unterstützung . Die braucht sie .
Das Gesetz hilft ihr dabei, und deshalb werden wir es
heute auf den Weg bringen .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Susanne
Mittag für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn man sich einmal die Mühe macht, den Begriff „Rocker“ im Netz zu suchen - es suchen ja alle immer gerne
im Netz -, erhält man zunächst seitenweise Aufzählungen von Vorfällen mit Rockerbezug aus dem Bereich der
organisierten Kriminalität . Diese lesen sich wie ein Auszug aus der Bandbreite der Kriminalstatistik . Erst sehr
spät, nämlich auf der dritten Ergebnisseite, kommt eine
Meldung zum Suchbegriff „Rocker“, der einmal nichts
mit Kriminalität zu tun hat: Frau Rocker sucht für ihre
Teestube einen Nachfolger . - Aber ansonsten sind diese
beiden Begrifflichkeiten sehr eng miteinander verbunden.
Die Rockergruppierungen, über die wir sprechen,
sollten übrigens nicht mit Motorradfahrergruppen verwechselt werden . Da gibt es ganz eindeutige Unterschiede . Das weiß ich aus eigener Erfahrung, weil ich über
20 Jahre selber Motorrad gefahren bin . Motorradfahrer
möchten auch nicht mit Rockern verwechselt werden .
Das ist ein Riesenunterschied . Ich denke, den müsste
man noch einmal deutlich machen .
Die Rockergruppen bezeichnen sich selbst als Outlaw
Motorcycle Gangs . Sie stellen sich selber - auf Deutsch
gesagt - außerhalb des Gesetzes . Diese Gruppierungen
sind streng hierarchisch organisiert . Sie haben strikte
interne Regeln, und sie weisen oftmals eine hohe Gewaltbereitschaft auf; das ist hier schon mehrfach gesagt
worden. Das öffentliche Auftreten wirkt mit Absicht
einschüchternd . Das bezwecken sie vorsätzlich . Das ist
Sinn der Sache: als Gruppe, aber auch als Einzelperson .
Gruppierungen wie zum Beispiel die Hells Angels oder
die Mongols nutzen Embleme, Abzeichen oder auch bestimmte Farben, um damit eindeutig ihre Zugehörigkeit
zu einer Outlaw-Gruppe zu zeigen. Offenbar gilt es bei
ihnen als Markenzeichen - ist sozusagen ihr Geschäftsmodell -, außerhalb des Gesetzes zu stehen und das auch
öffentlich zu bekennen. Damit machen sie auch Reklame.
In der Anhörung - das ist schon erwähnt worden -,
die es im Vorfeld zu diesem Gesetzentwurf gegeben hat,
wurde unter anderem dargelegt, die Bezeichnung „Outlaw“ müsse man vielleicht als ironische Überspitzung
sehen - hier ist schon zurückgerudert worden -, aber
es gehöre zur Kultur in Deutschland . Ich habe durchaus
Sinn für Humor, aber Kultur ist doch etwas anderes als
eine Outlaw-Gruppe .
({0})
Die gemeinsamen Embleme haben für die Mitglieder
der Gang die Bedeutung, den Träger als Teil einer großen
Gruppe auszuweisen und sich ihrer Unterstützung sicher
zu sein: sei es als Gruppe, sei es alleine, gegenüber Dritten - ganz massiv wird damit Stärke suggeriert -, Konkurrenten und insbesondere unbeteiligten Bürgern . Bei
diesen Zusammentreffen wurden schon sehr oft unbeteiligte Bürger von ihnen unbeabsichtigt zu Beteiligten .
Sie werden durch diese Art des Auftretens und Handelns
eingeschüchtert und verunsichert . Unterhalten Sie sich
einmal mit Bürgern, die davon betroffen sind. Sie werden
Ihnen ganz andere Geschichten erzählen . Hierbei geht es
nicht nur um eine regionale Zugehörigkeit, wie es derzeit
einige Gerichte werten müssen . Es geht um die Zugehörigkeit zu einer großen überregionalen Gruppe, und diese
ist immer wieder Teil der organisierten Kriminalität .
Mit der Verabschiedung des Gesetzes nehmen wir den
nachweislich kriminellen Gruppierungen grundsätzlich
die Erkennungszeichen und ihre Insignien der Macht .
Das sind nämlich Insignien der Macht. Die öffentliche Zurschaustellung der entscheidenden Symbole und
Kennzeichen wird erst nach entsprechender Prüfung und
einem richterlichen Beschluss verboten . Damit verliert
sich die nicht zu unterschätzende einschüchternde Wirkung . Wir nehmen diesen Gruppierungen einen Teil ihres
Geschäftsmodells .
Im Vorfeld der Beratung hat der Deutsche Fußball-Bund - das ist schon erwähnt worden - in einem
Schreiben die Befürchtung geäußert, nun würde das Vereinsleben gefährdet und die Fußballvereine ihre Logos
verlieren, sofern diese von gewaltbereiten Fußballfans
missbraucht werden . Richtig ist, dass sich dieses Gesetz nicht speziell gegen Rocker richtet . Es wird für alle
Vereine anwendbar sein, zum Beispiel Fußballvereine,
Schützenvereine, Gesangsvereine - kann sein -, aber
auch rechts- und linksextremistische, salafistische und
sonstige kriminelle und gewaltorientierte Vereine, die
durch einen Innenminister der Länder oder des Bundes
verboten werden oder wurden . Eine Gefahr für die Fußballvereine sehe ich nicht . Ich bin mir relativ sicher, dass
sich jeder Fußballverein oder andere Vereine von randalierenden Gruppen oder sogenannten Hools, die sich als
Fans ausgeben, distanzieren wird . Es wird Stadionverbote geben . Der Ausschluss wird sicher sein . Mit Ausschluss wird diese Gruppe auch geächtet werden, denke
ich . Das sollten die Vereine auch tun . Es gibt nämlich
keine gemeinsame Basis zwischen Fußballverein und
gewaltbereiten und randalierenden Straftätern . Hier hätte
sich der DFB vorher ein bisschen kundig machen sollen,
ehe er derartige Bedenken äußert .
Meine Damen und Herren, wir schließen dieses Gesetzgebungsverfahren heute ab . Die Diskussion war ausreichend lange, und wir nehmen auch den Hinweis seitens des Bundesrates ernst . Wir werden sehr genau darauf
achten, wie sich das Gesetz in der Praxis bewährt . Ich bin
mir sicher, wir haben ein bislang in diesem Bereich völlig unterschätztes Gesetz verbessert und machen einen
weiteren Schritt bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität .
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Als letzter Redner hat Thorsten
Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
bin der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und
kann dieses Thema aus einer ganz anderen Sicht beleuchten . Ich will einmal deutlich machen, was mir passiert ist .
Vor einigen Wochen traf ich mich mit Ron Perlman
auf der Comic Con in Dortmund . Ron Perlman ist der
Hauptdarsteller der amerikanischen Fernsehserie Sons of
Anarchy . Es geht in der Serie um einen Motorrad- und
Rockerklub, einen MC . Wenn sich jemand ein wenig mit
der Rocker- und Motorradszene auskennt, stellt er fest,
dass diese Serie durchaus einen hohen Realitätsgehalt
hat . Wer sich mit der organisierten Rockerkriminalität
allerdings nicht auskennt - das scheint mir bei manchen
der Fall zu sein -, der hat hier gutes Anschauungsmaterial. Ich finde überdies sehr interessant, wie Hollywood
mit so einem Thema umgeht, wie Hollywood es schafft,
dass sich der Zuschauer sogar mit diesen Outlaws identifizieren kann.
Ich selbst habe im Bereich der organisierten Kriminalität und im Speziellen auch im Rockermilieu ermittelt .
Und damit meine ich nicht, dass ich mal einen Rocker
bei einer Verkehrskontrolle angehalten habe . Nein, ich
meine damit, dass ich bis tief in die Szene vorgedrungen
bin . Haben Sie schon mal einem Rocker in die Augen geschaut? Ich schon - 14 Jahre lang . Es sind zunächst Menschen wie Sie und ich . Sie haben Familie, gehen auch in
die Kirche, haben Kinder
({0})
- hören Sie ruhig zu, dann lernen Sie etwas! -, lieben ihre
Frauen und gehen arbeiten . Der Unterschied ist nur der:
Teile der Rockerszene verdienen ihren Lebensunterhalt
mit kriminellen Geschäften .
Keiner von uns glaubt ernsthaft, dass die Hells Angels oder die Bandidos bestehen, weil sie nur die Freude
am Motorradfahren verbindet . Das heißt aber nicht - das
wurde heute schon des Öfteren gesagt -, dass ich alle
vorverurteile, die Mitglieder eines Motorradklubs sind .
Nein, das heißt nur, dass mir bei den kriminellen Rockern
die Verstrickungen in Schutzgelderpressungen, Zuhälterei bis hin zu Waffen- und Drogenhandel bekannt sind.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass es durchaus gute Gründe dafür gibt, das Vereinsgesetz gerade im
Hinblick auf die organisierte Kriminalität im Rockermilieu anzupassen .
Wir müssen dazu erst einmal anerkennen, dass nach
außen sichtbare Zeichen, also die Patches, auch Macht
bedeuten . Wenn ein Rocker seine Kutte trägt, dann gibt
ihm das eine Identität . Mit dem Tragen der Kutte steigert
sich auch sein Selbstwertgefühl . Die Umwelt reagiert anders auf jemanden, der eine Kutte mit diversen Symbolen trägt . Viele werden vorsichtig, ängstlich und zurückhaltend . Wenn man einem Rocker die Kutte wegnimmt,
ist er nackt und empfindet sich als unvollständig und
sogar minderwertig . Wer eine Bandidos- oder Hells-Angels-Kutte mit entsprechenden Patches trägt, der zeigt,
dass er ein Teil von etwas ist, der zeigt, dass eine ganze
Truppe hinter ihm steht - eine Truppe, die möglicherweise Partei ergreifen wird . Wenn ein Bürger so jemandem
in Kutte gegenübersteht, dann schaut der nicht auf die
Details der Patches . Er sieht nur das Ganze und hat oft
Angst .
Was für den Bürger schwer ist, ist oft auch für den
Polizisten schwer . Nicht jeder Polizeibeamte kennt sich
detailliert mit Patches aus . Hier müssen wir den Polizistinnen und Polizisten im Einsatz eine Sicherheit geben .
Sie müssen auf Anhieb erkennen können, ob ein Symbol
zu einer verbotenen Gruppierung gehört . Es wäre doch
peinlich für jeden Polizisten, der weiß, dass ein MC und
das zugehörige Patch verboten sind, wenn er bei einer
Kontrolle solch ein Patch zu erkennen glaubt und entsprechend handelt, er dann aber im schlimmsten Fall von
einem möglicherweise kriminellen Rocker belehrt wird,
weil das Patch eben nicht zu dem verbotenen Chapter,
sondern zu einem anderen gehört . Meine sehr verehrten
Damen und Herren, wir können und dürfen unsere PoSusanne Mittag
lizisten und Polizistinnen, denen ich jeden Tag für ihre
großartige Arbeit dankbar bin, nicht im Regen stehen
lassen .
({1})
Ich möchte aber noch einen allgemeineren Rahmen
bauen . Wir müssen es kriminellen Vereinigungen so
schwer wie möglich machen . Denn diese Kriminellen
wissen nur zu gut, wie man es den Ermittlungsbehörden
schwer macht. Sie kennen die juristischen Schlupflöcher
und sind bundesweit, teilweise weltweit organisiert . Wir
können hier mindestens von mittelständischen Strukturen
der Kriminalität sprechen, und wir müssen diesen Strukturen entschlossen entgegentreten . Um diesen illegalen
Strukturen entgegenzutreten, sind wir als Gesetzgeber
verpflichtet, unseren ermittelnden Behörden die Arbeit
so einfach wie möglich zu machen. Wir sind verpflichtet,
den Rechtsrahmen ganz klar abzustecken . Wir sind verpflichtet, diese Art der Kriminalität auf jede legale Weise
zu bekämpfen .
Wissen Sie, ich selbst bin passionierter Motorradfahrer . Ich schaue mir auch gern Ron Perlman und die Sons
of Anarchy an . Aber ich möchte nicht, dass Fernsehserien zu einer von uns akzeptierten Wirklichkeit werden .
Deshalb müssen wir das Vereinsgesetz in diesem Punkt
anpassen und ergänzen. So wird es effektiver, ist näher
an der Realität, und genau das wollen wir doch . Man
wirft uns doch sonst immer vor, nicht nah genug an der
Realität zu sein . Insofern bitte ich Sie herzlich um Ihre
Zustimmung .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Vereinsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10903,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9758 und 18/9947 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Jetzt bitte ich diejenigen, die dagegenstimmen wollen,
sich zu erheben . - Jetzt bitte ich diejenigen, sich zu erheben, die sich enthalten wollen . - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr . Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf
anbieten
Drucksachen 18/9790, 18/10658
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75, Entschuldigung, 25 Minuten vorgesehen . - 75 Minuten für dieses Thema wären ein bisschen zu lange gewesen; das muss ich deutlich sagen . Die
Debattenzeit beträgt also 25 Minuten . Die Redner mögen
sich bitte darauf einstellen . Gibt es dazu Widerspruch? Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Aussprache hat Klaus-Dieter Gröhler von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 75 Minuten, das wäre das Thema nicht wert; das muss man
wirklich sagen .
({0})
Auch wenn wir im postfaktischen Zeitalter leben, meine
Damen und Herren, sollten wir uns an dieser Stelle ein
ganz klein wenig mit den Fakten befassen, um sachlich
und in aller Ruhe den Antrag der Linken beurteilen zu
können .
Worum geht es eigentlich? Der eine oder andere wird
das Dragoner-Areal nicht unbedingt kennen . Es handelt
sich um eine Fläche von 4,7 Hektar, also umgerechnet
47 000 Quadratmeter, hier in Berlin-Kreuzberg . Zurzeit
befinden sich auf der Fläche Gewerbe und Einzelhandel.
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat den
Verkauf des Grundstücks ausgeschrieben und wollte das
Grundstück an einen österreichischen Käufer verkaufen,
der bereit war, dafür - so stand es in der Zeitung - 36 Millionen Euro zu zahlen . Der eine oder andere Politiker hat
gesagt: Mensch, 36 Millionen Euro? Das kann ja nur ein
Spekulant sein, der ganz teuren Luxuswohnungsbau etablieren will . - Ich habe mir einmal die Mühe gemacht,
den Kaufpreis auf den Quadratmeter herunterzurechnen,
und siehe: Wir kommen auf 765,95 Euro pro Quadratmeter für beste Kreuzberger Lage; das ist garantiert kein
spekulativer Preis .
Den entsprechenden Kaufvertrag hat die BImA mit
einem unbefristeten Rücktrittsvorbehalt ausgestattet, um
die Genehmigung durch das Bundesfinanzministerium
Thorsten Hoffmann ({1})
zu erreichen, um wiederum die Entscheidungsrechte des
Bundestages und des Bundesrates zu sichern . Ich stelle
das deshalb so dezidiert dar, meine Damen und Herren,
weil es an der einen oder anderen Stelle eine Art Legendenbildung gab; hier gucke ich insbesondere die Kollegin Paus an . Es wurde schon das eine oder andere hineingeheimnist: Der Vertrag ist ganz anders als alle anderen,
er geht zulasten des Bundes, da will man irgendetwas an
Bundestag und Bundesrat vorbeischieben, und das ist alles ganz schlimm . - Nein, meine Damen und Herren, so
war es nicht . Es war ein ganz normaler Grundstückskaufvertrag .
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
hat dem Verkauf im Frühjahr 2015 mit großer Mehrheit
zugestimmt; im Sommer 2016 hat er sein Votum noch
einmal bestätigt . Allerdings hat der Finanzausschuss des
Bundesrates, initiiert durch den Berliner Finanzsenator,
mehrheitlich den Verkauf blockiert; nach meiner Kenntnis das erste Mal in der Geschichte des Bundesrates .
({2})
An der Stelle frage ich mich: Welches Recht haben die
16 Bundesländer eigentlich, darüber zu entscheiden, ob
der Bund ein Grundstück verkauft?
({3})
Vielleicht sollten wir einmal überlegen, ob wir in Zukunft
den Spieß nicht umdrehen und sagen: Der Bund muss beteiligt werden, wenn ein Land ein Grundstück verkaufen
will . Das könnte durchaus interessant sein .
({4})
Jedenfalls ist durch das Verhalten Berlins ein geordnetes Vergabeverfahren torpediert worden . Der Investor
ist verprellt worden, unter anderem durch Äußerungen
einer Berliner Staatssekretärin, es handele sich bei den
Österreichern um eine Briefkastenfirma. Ob ein derartiges Auftreten von Mitgliedern einer Landesregierung
gegenüber Investoren hilfreich ist, das überlasse ich Ihrer
eigenen Meinungsbildung .
Auf Initiative des Bundes hat es dann den Versuch gegeben, zwischen dem potenziellen Käufer und dem Land
Berlin eine Einigung herbeizuführen, um die Blockade
in der Länderkammer aufzuheben . Das Land Berlin will
nach eigenem Bekunden auf dem Areal 250 landeseigene Sozialwohnungen errichten . Der potenzielle Grundstückserwerber hat einen 30-prozentigen Anteil an Sozialwohnungen angeboten und gesagt, dass er eine enge
Abstimmung mit dem Land Berlin vornehmen will .
Die Kräne könnten sich schon jetzt im kommenden
Frühjahr auf dem Grundstück drehen, und schon 2018
könnten die ersten Familien in die Wohnungen einziehen, wenn Berlin gewollt hätte . Aber Berlin wollte nicht,
die Berliner Landesregierung hat an der Stelle blockiert
und erklärt, dass sie eine Zusammenarbeit mit dem Investor endgültig ausschließe . Stattdessen fordert sie vom
Bund die Übertragung des Grundstücks für die Hälfte
des erzielbaren Kaufpreises . Daraufhin hat die BImA das
vertragliche Rücktrittsrecht ausgeübt . So stellt sich erst
einmal ganz nüchtern die Sachlage dar .
Jetzt kommen wir zur Bewertung der Sachlage .
({5})
- Das war gar keine Bewertung, lieber Kollege Kahrs .
Wir werden nachher sehen, wie Sie das bewerten . Das
war sachlich dargestellt . Aber jetzt komme ich zur Bewertung .
({6})
- Ganz ruhig, das kommt alles gleich noch . Jeder kriegt
hier sein Fett ab, Vorsicht .
Die BImA hat das gemacht, wofür sie der Deutsche
Bundestag mit dem BImA-Errichtungsgesetz ermächtigt hat, übrigens mit rot-grüner Bundestagsmehrheit im
Jahr 2004,
({7})
nämlich das Bundeseigentum, das nicht dauerhaft zum
Zwecke des Bundes benötigt wird, zu veräußern . Dieses
Veräußern des öffentlichen Eigentums soll so ablaufen,
dass möglichst viel Geld für den Staatshaushalt eingenommen wird, weil dieses Geld wiederum für viele
staatliche Aufgaben benötigt wird, zum Beispiel für die
Förderung des sozialen Wohnungsbaus, und übrigens
auch deshalb, weil es so im BImA-Errichtungsgesetz mit
rot-grüner Bundestagsmehrheit 2004 beschlossen worden ist .
Nun sagen einige hier im Haus, es sei nicht gut, wenn
der Staat sein Eigentum zum Höchstpreis aufgebe . Ich
sage: Es ist aber auch nicht in Ordnung, wenn der Staat
sein Eigentum zum niedrigsten Preis aufgibt . Es gibt jetzt
schon vermittelnde Regelungen . Zum Beispiel können
Kommunen ehemalige Militärflächen preisgünstiger erwerben . Man mag darüber diskutieren, ob an der einen
oder anderen Stelle auf den Höchstpreis verzichtet werden soll, weil man sich zum Beispiel dafür etwas einhandelt, woran der Staat Interesse hat . Das will ich gar nicht
in Abrede stellen .
Aber dann muss auch eines klar sein: Dem Einnahmeverzicht muss an anderer Stelle auch ein Ausgabeverzicht folgen . Denn eines kann nicht sein - das sage ich
besonders an die Bundesländer gerichtet, die im Bundesrat blockiert haben und die ich jetzt auf der Länderbank
vermisse -: Ihr könnt vom Bund nicht verlangen, dass er
zu einem niedrigen Preis seine Grundstücke an die Kommunen abgibt, und dann noch erwarten, dass der Bund
immer mehr Fördermittel an die Länder reicht . Das funktioniert nicht .
({8})
Ich weiß auch, dass auf der linken Seite dieses Hauses
nicht immer die Erkenntnis da ist, dass man das, was man
ausgeben will, erst einmal erwirtschaften muss . Konrad
Adenauer hat einmal gesagt:
Alles, was die Sozialisten von Geld verstehen, ist
die Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen .
Aber an der Stelle muss klar sein: Wenn wir auf das eine
verzichten, müssen wir auch auf das andere verzichten .
Ich würde gern noch einen zweiten Punkt ansprechen .
Die Länder können nicht vom Bund erwarten, dass er seine Grundstücke nicht zum Höchstgebot verkauft, wenn
sie selbst es aber so machen . Das Land Berlin tut es, und
zwar immer noch . Beim Verkauf von Gewerbeimmobilien wird regelmäßig an den Höchstbietenden abgegeben .
Auf dem Dragoner-Areal will das Land Berlin allerdings
auch kleinteiliges Gewerbe ansiedeln . Na klar, wenn ich
das Grundstück vorher vom Bund billig bekomme und an
anderer Stelle meine eigenen Grundstücke teuer verkauft
habe, dann kann ich mir das leisten . Aber so funktioniert
vernünftiges Wirtschaften nun einmal nicht .
({9})
- Dann schauen Sie, liebe Frau Kollegin Paus, in die aktuellen Angebote des Berliner Immobilienmanagements .
Gewerbegrundstücke werden zum Höchstpreis ausgeschrieben und abgegeben .
Bis 2014 - daran erinnere ich auch gern - hat Berlin
auch Wohnungsbaugrundstücke im Höchstpreisverfahren auf den Markt gebracht . Der Finanzsenator, der damals besonders aktiv war - das war 2002 bis 2009; daran
erinnert sich der eine oder andere heute nicht mehr so
gern -, hieß Thilo Sarrazin und war nicht in der CDU .
Darauf lege ich viel Wert, meine Damen und Herren .
({10})
Erst auf Druck der CDU hat es 2014 in Berlin eine
Wende in der Liegenschaftspolitik gegeben . Da ist der
Koalitionspartner, mit dem Sie jetzt in Berlin zusammen
sind, nicht so ganz mit uns mitgegangen . Auch Sie werden noch erleben, dass an der einen oder anderen Stelle
das Beharrungsvermögen relativ groß ist .
Das Verhalten Berlins beim Dragoner-Areal ist übrigens noch in anderer Hinsicht widersprüchlich . In Berlin - ebenfalls unter Sarrazin - sind 65 000 landeseigene
Wohnungen an ein internationales Konsortium verkauft
worden . Eine Wohnung wurde also für durchschnittlich
7 000 Euro verkauft - nicht der Quadratmeter, sondern
die ganze Wohnung .
({11})
Ich will nur einmal daran erinnern: Das passierte unter
einer rot-roten Landesregierung . In dieser Zeit ist der Anteil der landeseigenen Wohnungen in Berlin von 400 000
auf 250 000 abgesenkt worden .
({12})
Und jetzt verspricht Rot-Rot-Grün im neuen Koalitionsvertrag, den Anteil wieder auf 400 000 Wohnungen aufzustocken, übrigens nicht durch Neubau, sondern durch
Zukauf . Das heißt, die Wohnungen, die man vor zehn
Jahren billig verscherbelt hat, will man heute teuer zurückkaufen .
({13})
So spielt man zu Hause nicht einmal Monopoly, meine
Damen und Herren .
({14})
Noch eines will ich an dieser Stelle sagen: Berlin hat
es versäumt, zwischen 2006 und 2011 Sozialwohnungen
zu errichten . In der Zeit ist nicht eine Sozialwohnung errichtet worden .
({15})
Kollege Kahrs, in Hamburg waren es wenigstens 10 000 .
Berlin hat in dieser Zeit Millionenbeträge für den sozialen Wohnungsbau kassiert, aber nicht eingesetzt .
Jetzt komme ich zur antragstellenden Fraktion: Ich
finde Ihr Verhalten einfach unredlich. Sie haben jahrelang in der Landesregierung mit dafür gesorgt, dass sich
die Zahl der Wohnungen in Berlin nicht erhöht hat, dass
landeseigene Wohnungen sogar verkauft wurden . Damit
haben Sie praktisch die Mieten in die Höhe getrieben .
({16})
Und jetzt, beim Dragoner-Areal, liebe Linke, erkennt
ihr plötzlich euer soziales Gewissen - zulasten des Bundes - und wollt, nachdem ihr zehn Jahre lang in Berlin
eine falsche Politik gemacht habt, an diesem Grundstück
Symbolpolitik betreiben . Sie schreiben in Ihrem Antrag:
Das entspricht nicht den Erfordernissen einer sozialen Stadtentwicklung .
Die Politik, die Sie jahrelang gemacht haben, auch nicht .
Ein letzter Hinweis: Wenn Berlin so dringend sozialen
Wohnungsbau braucht, dann soll es ihn doch auf seinen
eigenen Grundstücken betreiben . Auf 70 Hektar in Pankow, Elisabeth-Aue, sollten 5 000 Wohnungen entstehen;
aber Rot-Rot-Grün hat gerade im Koalitionsvertrag festgelegt, dass dort nicht eine Wohnung gebaut wird . Aber
man will verbilligt auf einem Grundstück des Bundes
bauen. Ich finde, das eine passt nicht zum anderen. Deshalb wird meine Fraktion den Antrag der Linken selbstverständlich ablehnen .
Schönen Dank .
({17})
Wir fahren fort . Als nächste Rednerin hat Caren Lay
von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In einem einzigen Punkt gebe ich dem Kollegen Gröhler recht: Es ist richtig, das Dragoner-Areal in
Berlin ist zu einem Symbol geworden . - Es ist wie kein
anderes Grundstück in dieser Republik zum Symbol für
eine völlig falsche und verfehlte Liegenschaftspolitik des
Bundes geworden . Diese Liegenschaftspolitik muss sich
endlich ändern .
({0})
Das Gelände, wenige hundert Meter von hier entfernt,
bietet beste Voraussetzungen, den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten, beispielsweise durch den Bau
von bezahlbaren Mietwohnungen . Genau das wollten die
kommunalen Berliner Wohnungsbaugesellschaften tun .
Sie haben ein Angebot dafür unterbreitet . Es gibt eine
Bürgerinitiative des Bündnisses „Stadt von Unten“, das
das bereits bestehende Gewerbe schützen will . Da sollte man doch denken: Das sind optimale Bedingungen
für eine soziale und bürgernahe Stadtentwicklung . Aber
nein, die BImA verkauft das Gelände an einen Investor
aus Österreich . Entscheidend war überhaupt nicht das
Konzept, sondern ganz allein die Tatsache, dass er das
Doppelte von dem auf den Tisch legen wollte, was die
kommunalen Berliner Wohnungsbaugesellschaften auf
den Tisch legen konnten . Das heißt übersetzt: Anstatt die
Spekulation mit Immobilien zu verhindern, spekuliert die
Bundesregierung mit. Das empört mich. Ich finde, das
sollte uns alle empören .
({1})
Das Schlimmste ist in der Tat, dass die Große Koalition im Haushaltsausschuss diesem Verkauf an den Investor trotz Protesten zugestimmt hat . Das war ein Fehler .
Wir Linken geben Ihnen heute mit unserem Antrag die
Möglichkeit, diesen Fehler zu korrigieren. Ich hoffe, Sie
nutzen sie .
({2})
Ja, meine Damen und Herren, es ist dem Bundesrat
zu verdanken, dass der Verkauf gestoppt wurde . Gott sei
Dank, kann ich nur sagen . Aber das ist jetzt, sage und
schreibe, anderthalb Jahre her . Nach anderthalb Jahren
ist immer noch unklar, wie es weitergeht . Das ist einfach
nur beschämend .
({3})
Zunächst hat sich Minister Schäuble reichlich unbeeindruckt von dieser Entscheidung gezeigt . Er hat versucht, die Länder zu erpressen und gesagt, der Bundesrat
solle zukünftig herausgehalten werden . Ich bin, ehrlich
gesagt, schockiert, Herr Gröhler, dass Sie das heute noch
einmal wiederholen . Was ist das für ein Demokratieverständnis? So geht es nun wirklich nicht .
({4})
Dann dieses ewige Gezerre um die Rückabwicklung
des Vertrages . Bis heute ist unklar, ob handwerkliche
Fehler gemacht wurden, ob Schadensersatzforderungen
ausgeschlossen wurden . Ich habe dafür eine einfache Lösung: Legen Sie den Vertrag endlich auf den Tisch . Auch
diese Geheimniskrämerei muss ein Ende haben .
({5})
Die BImA hat ja erst vor kurzem verkündet, dass das
Gelände jetzt an sie zurückfallen wird, dass aber keine
neuen Absichten zum Verkauf bestehen, auch nicht an
das Land Berlin . Dabei hat Berlin das Dragoner-Areal
als Sanierungsgebiet ausgewiesen . Zum 1 . Februar wird
jetzt ein Sanierungsbeauftragter bestellt . Ich kann nur sagen: Das Land Berlin hat seine Hausaufgaben gemacht,
die Bundesregierung nicht .
({6})
Was will die Bundesregierung jetzt? Ich bin auch gespannt, was die Koalition eigentlich will . Auf die mehrfachen Anfragen von mir und auch von anderen Kolleginnen und Kollegen antwortet die Bundesregierung jetzt
über ein Jahr lang: Die Willensbildung ist noch nicht
abgeschlossen. - Ich finde, wenn die Willensbildung
der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen ist, dann
sollten wir, der Bundestag, ihr auf die Sprünge helfen .
({7})
Jetzt scheint das Gelände zum Gegenstand, vielleicht
auch zum Spielball des Hauptstadtfinanzierungsvertrages zu werden . Wie auch immer, dieses Gezerre um das
Dragoner-Areal muss endlich aufhören . Es gehört an das
Land Berlin, und zwar zu guten und fairen Konditionen .
({8})
Zu dieser Einsicht ist im Wahlkampf von Berlin ja
auch der Kollege Oppermann, Fraktionsvorsitzender der
SPD, gekommen . Er kündigte eine Gesetzesinitiative an,
auf die wir in der Tat bis heute warten . Wie auch sollte er
sie - das verstehe ich jetzt - bei diesem Koalitionspartner durchsetzen? Aber eines geht natürlich nicht: zwei,
drei Wochen vor der Wahl vollmundig Ankündigungen
zu machen und dann zu kneifen, wenn es zum Schwur
kommt . Auf das Abstimmungsverhalten des Kollegen
Oppermann bin ich deswegen besonders gespannt .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn
die Rede Ihres Koalitionskollegen Herrn Gröhler kein
Argument war, für unseren Antrag zu stimmen, dann
weiß ich es wirklich nicht . Bitte haben Sie den Mut, und
stimmen Sie für unseren Antrag . Wir haben heute die
Chance, endlich eine Lösung zu finden und das Dragoner-Areal an das Land Berlin zu geben . Das wäre eine
gute und sinnvolle Lösung .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Johannes
Kahrs für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin jetzt seit 19 Jahren im Deutschen Bundestag, und ich habe noch nie eine solche Debatte über
ein Grundstück hier im Plenum des Deutschen Bundestages geführt . Solch ein Thema ist in der Vergangenheit
auch noch nie mit einer namentlichen Abstimmung geadelt worden .
({0})
Ich finde, vielleicht sollte man alles einmal eine Nummer
kleiner sehen .
({1})
Ich habe, als ich meine Rede heute vorbereitet habe,
gedacht, wir könnten die Debatte vielleicht zielführender
nutzen - man muss ja auch über etwas Intelligentes sprechen - und über die gelungene Wohnungsbaupolitik reden, die diese Koalition in den letzten drei Jahren betrieben hat . Der Haushaltsausschuss hat Wesentliches dazu
beigetragen . Die entsprechenden Fachminister, Frau
Hendricks und Herr Maas, haben Wunderbares dazu beigetragen . Ich könnte jetzt viel über die von den Kollegen
der CDU und der CSU sowie von uns geliebten Mietpreisbremse erzählen und über all die schönen Dinge, die
wir hier gemeinschaftlich beschlossen haben . Ich sehe,
wie Kollege Gröhler sich noch über den Beschluss freut,
den wir alle gemeinsam gefasst haben .
Ich möchte, da es so viel Aufregung gegeben hat, doch
kurz auf dieses Grundstück eingehen . Im Ergebnis ist es
so, dass es mehr mit Landespolitik als mit Bundespolitik
zu tun hat . Das BMF hält sich an die Gesetze, die wir hier
im Deutschen Bundestag beschlossen haben . Es gibt ein
Gesetz, das vorsieht, dass die BImA - sie ist für den Bund
zuständig und hat sich daran zu halten - nach Höchstgebot zu verkaufen hat . Das ist die Rechtslage . Ich kann
nicht feststellen, dass es hier heute einen Gesetzentwurf
der Opposition gibt, die Rechtslage zu ändern .
({2})
- Gnädige Frau, lassen Sie doch auch mich einmal reden .
Im Ergebnis ist es so, dass wir hier einen Antrag haben, bei dem es ein bisschen um Empörung und Stimmungsmache geht . Die Frage ist, warum man das mit
einer namentlichen Abstimmung verbindet . Damit will
man uns ärgern . Das werden wir auch noch überleben .
Wenn Sie sich das auf der Sachebene anschauen, dann
sehen Sie, dass der rot-schwarze Senat in Berlin dieses
Grundstück gerne preiswerter gehabt hätte . Dann hat der
rot-schwarze Senat das probiert . Dann hat es lange Diskussionen gegeben . Man hat auf Betreiben Berlins auch
im Haushaltsausschuss ein Dreivierteljahr lang das Thema rauf und runter diskutiert und geschaut, ob man sich
einigen kann . Am Ende war jeder in seiner Diskussionslage gefangen .
Dann haben wir den Verkauf - um es auch wieder sehr
freundlich zu formulieren - hier zum Thema gehabt, und
im Bundesrat hat es eine Entscheidung - bei zwei Enthaltungen - gegeben . Das ist interessant, aber man kann
es, glaube ich, parteipolitisch gar nicht nutzen. Ich finde
Empörung auch immer gut, wenn sie zielführend ist .
Man muss sich die Abstimmung einmal ansehen .
Der Finanzsenator Berlins, Matthias Kollatz-Ahnen, ein
sehr guter Mann, hat es geschafft, alle Parteien und alle
Landesregierungen in Deutschland hinter seiner Idee zu
versammeln, Berlin möge doch günstiger als alle anderen ein Grundstück bekommen . Ehrlicherweise hätte
man sich das in Hamburg oder München auch überlegen
können . Im Ergebnis stimmten zehn Länder - Berlin,
rot-grün regierte Länder und Ähnliches - gegen den Verkauf an den Investor . Gleichzeitig war das Land Hessen,
schwarz-grün, für den Verkauf . Die Grünen haben also
dafür gestimmt, dass wir dieses Grundstück an den Investor geben .
({3})
Enthalten haben sich Baden-Württemberg, rot-grün - die
haben auch nicht so tapfer mit den Berlinern gekämpft -,
und Niedersachsen, auch rot-grün .
({4})
Das heißt, es hat CDU-regierte - ({5})
- Ganz entspannt bleiben . Wenn man das einmal durchdekliniert, dann kommt man dazu, dass alle, die sich hier
so ein bisschen erregen, bei der Veranstaltung auf unterschiedlichen Seiten waren .
({6})
Am Ende hatte es etwas damit zu tun, dass all die betroffenen Bundesländer gerne günstige Grundstücke vom
Bund hätten . Ich kann das, ehrlich gesagt, verstehen; ich
bin Haushälter .
({7})
Ich bekomme auch gerne mal etwas günstig . Allerdings
gibt es auf der anderen Seite auch ein Bundesinteresse .
Wir, die wir die Länder unterstützen, den sozialen Wohnungsbau unterstützen, viel Geld an die Kommunen geben, müssen das Geld erst einmal einnehmen .
Schauen Sie sich die Interessenlage an . Der Bund diskutiert zurzeit - deswegen kann man da sehr entspannt
sein - über verschiedene Dinge mit Berlin . Es geht ja
nicht nur um das Dragoner-Areal, worüber wir hier lustigerweise sprechen, sondern es sollen auch 4 500 Wohnungen an die Berliner Wohnungsbaugesellschaften
gehen. Es gibt Gespräche zum neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag, zum Flughafen in Tegel, zu vielen Museen .
Natürlich wird es für alles zusammen eine gemeinschaftliche Lösung geben .
Jetzt frage ich mich, wie schlau es ist, hier im Bundestag all diejenigen, die darüber diskutieren, auf eine Art
und Weise vorzuführen, die auf einen selbst zurückfällt;
denn man hat ja über seine Länder auch anders und seltsam abgestimmt. Das betrifft übrigens auch die CDU, die
in Berlin alles mitgetrieben hat .
({8})
Am Ende hat man dann ein Problem, wenn das BMF
mit dem Land Berlin über die wirklich wichtigen Dinge
spricht .
Ernsthafterweise möchte ich meine Rede mit dem Appell beenden, im Deutschen Bundestag künftig wichtige Dinge zu diskutieren, eine namentliche Abstimmung
für wirklich wichtige Dinge aufzuheben . Das könnte am
Ende den Bürger beeindrucken und dazu führen, dass er
glaubt, dass das, worüber wir diskutiert haben, wichtig
war .
({9})
Wichtig für Berlin sind der Verkauf der 4 500 Wohnungen und all die anderen Dinge, die dazugehören .
Ich finde, Partner, die miteinander einen Vertrag
schließen wollen, in dem es um sehr viel Geld geht, in
dem die Berechnungsgrundlage unklar ist, müssen einander gegenseitig nett und charmant behandeln, damit beide
als Sieger aus diesen Verhandlungen gehen . Solche etwas
unwürdigen Schmierenkomödien im Deutschen Bundestag sind komplett überflüssig. Deswegen fordere ich die
Opposition auf, die namentliche Abstimmung zurückzuziehen und uns allen diese Peinlichkeit zu ersparen .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren hier im
Saal und draußen! Eigentlich ist es ganz einfach: Der
Antrag - er ist ja recht schlicht gehalten - fordert die
Rückabwicklung des Verkaufs des Dragoner-Areals an
den privaten Investor . Es geht um diese 4,7 Hektar Gewerbefläche im Herzen Berlin-Kreuzbergs und darum,
dass dieses Gelände dem Land Berlin angeboten werden
soll .
Wir könnten es uns wirklich ganz einfach machen .
Denn es ist ja tatsächlich so: Das Bundesfinanzministerium hat bereits mit der Rückabwicklung des Verkaufs
begonnen; das hat auch Herr Gröhler hier gesagt . Am
17 . November letzten Jahres hat der Bund von seinem
Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht . Der erste Schritt ist
also getan. Auch hat uns der Bundesfinanzminister im Finanzausschuss bereits gesagt, dass Gespräche zwischen
ihm und dem Land laufen, also ein Angebot des Bundes
an das Land gemacht wird und man aushandeln wird, wie
das läuft . Auch Herr Kahrs hat das angedeutet .
Von der Sache her gibt es deswegen eigentlich kein
Problem . Das, was dieser Antrag fordert, macht die Koalition - zumindest das Bundesfinanzministerium - bereits . Von daher könnten Sie diesem Text schlichtweg
zustimmen .
({0})
Warum tun Sie es nicht? Das ist typisch . Denn es ist,
glaube ich, in diesem Haus noch nie geschehen, dass
einem Oppositionsantrag zugestimmt worden ist . Aber
in einer solchen Situation ist man ja nicht handlungsunfähig . In einer solchen Situation ist es durchaus üblich,
dass die Koalition einen Änderungsantrag oder einen Ersetzungsantrag vorlegt . Über diesen Weg bekommt man
es dann hin, dass diesem Anliegen, das, wie gesagt, vom
Bundesfinanzministerium schon bearbeitet wird, auch
entsprochen wird .
({1})
Über die Kleinigkeiten will ich jetzt gar nicht reden .
Dass der Vertrag schlecht war, dass es handwerkliche Fehler gab, dass es deswegen jetzt zu Verzögerungen kommt
usw ., über all das will ich gar nicht reden . Das hätten Sie
machen können; das haben Sie aber nicht gemacht . Deswegen, Herr Kahrs, haben Sie sich das Problem tatsächlich selber eingebrockt . Ihre Ablehnung dieses Antrags
ist fatal, weil sie nämlich in der Sache bedeutet, dass Sie
mit Ihrem Beschluss das kooperative Verhalten des Bundesfinanzministeriums direkt torpedieren.
({2})
Deswegen fordere ich Sie auf: Tun Sie das nicht, sondern
stimmen Sie dem Antrag zu!
Die eigentliche Logik ist ja, dass Sie den Paradigmenwechsel, der mit dem Dragoner-Areal von unserer Seite
mit eingeleitet werden soll, nicht mitgehen wollen . Ich
sage Ihnen: Wir brauchen ihn aber . Wir brauchen eine
andere öffentliche Liegenschaftspolitik des Bundes. Wir
brauchen eine Kehrtwende in diesem Bereich . Diese
Kehrtwende ist überfällig .
({3})
Der Fall Dragoner-Areal findet in Berlin statt. Aber
er ist kein einfacher Sonderfall, den man jetzt möglichst
schnell abhakt, weil unterwegs etwas schiefgegangen
ist, sondern er ist ein Symbol für das, was grundsätzlich
schiefläuft. Deswegen werde ich noch etwas zur Chronologie des Vorfalls sagen .
Das Dragoner-Areal ist von der BImA, also von der
bundeseigenen Immobilienanstalt, nicht erst einmal
im Höchstpreisverfahren angeboten worden . In den
2000er-Jahren war der Wohnungs- und Gewerbemarkt
in Berlin ja noch relativ entspannt . Damals wurde nicht
verkauft . Nachdem die Preise angezogen haben - nach
2010, im Jahr 2012 -, hat die BImA das Gelände ein
erstes Mal im Höchstpreisverfahren angeboten . Das ErJohannes Kahrs
gebnis dieses Höchstpreisverfahrens war: 21 Millionen
Euro . Damals hatte der Investor darauf spekuliert, dass
er ein neues Baurecht bekommt . Dieses neue Baurecht
hat er vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg aus guten
Gründen nicht bekommen . Dann ist er von dem Vertrag
zurückgetreten und hat gesagt, dass er das so nicht finanziert bekommt . Es war eine spekulative Summe, die da
angeboten worden ist .
Was machte die BImA? Sie schrieb das Ding noch
einmal aus . Innerhalb von nur zwei Jahren, zwischen
2012 und 2014, stieg der Höchstpreis von ursprünglich
21 Millionen Euro auf 36 Millionen Euro . Und Sie, Herr
Gröhler, sagen mir, da habe keine Spekulation stattgefunden? Das ist doch absurd .
({4})
Hier ist es tatsächlich so: Der Bund war der zentrale
Spekulationstreiber in diesem Bereich . Das ist fatal, weil
das Dragoner-Areal die einzige noch verfügbare freie
Fläche im Bezirk Kreuzberg ist, der unter erheblichem
Druck steht, was die Preise angeht . Die Mietpreise sind
in den letzten Jahren um 40, 50 Prozent gestiegen . Bei
diesem Verkauf kam es in nur zwei Jahren zu einer Erhöhung des Preises um über 70 Prozent . Das ist absurd, und
das muss aufhören . Deswegen: Stimmen Sie dem Antrag
zu, und fangen Sie endlich mit einer anderen Liegenschaftspolitik des Bundes an, meine Damen und Herren!
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel: „Dragoner-Areal dem Land Berlin zum
Kauf anbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10658, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9790
abzulehnen . Wir stimmen also nicht über den Antrag ab,
sondern über die Beschlussempfehlung . Die Beschluss-
empfehlung lautet, wie gesagt, den Antrag der Fraktion
Die Linke abzulehnen .
Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab . Da der
Antrag nicht zurückgezogen wurde, machen wir das jetzt .
Deshalb bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen .
Ich weise darauf hin, dass mir zu dieser Abstimmung
zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung
vorliegen .1)
1) Anlage 7
Sind alle Plätze an den Urnen mit Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? - Das ist der Fall . Jetzt kann
ich die Abstimmung eröffnen.
Gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die
oder der noch nicht abgestimmt hat?
({0})
Ich frage noch einmal, ob es eine Kollegin oder einen
Kollegen gibt, die oder der noch nicht abgestimmt hat . -
Jetzt haben alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt .
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
mitgeteilt .2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung reiserechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/10822
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen . - Ich
höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlos-
sen .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die-
ser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kelber für die Bundesregierung das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
soll die europäische Richtlinie über Pauschalreisen und
verbundene Reiseleistungen in nationales Recht umge-
setzt werden .
Der Reisemarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten
massiv verändert . Billigairlines, ein stärker individua-
lisiertes Buchungsverhalten und vor allem die Digitali-
sierung haben zu einem grundlegenden Wandel geführt .
Deswegen hat die EU-Kommission die Pauschalreise-
richtlinie aus dem Jahr 1990 novelliert .
Die Richtlinie und damit gezwungenermaßen auch
der Gesetzentwurf, der sie in nationales Recht umsetzt,
haben in den letzten Wochen eher wenig Lob und viel
öffentliche Kritik erfahren müssen. Ich glaube trotzdem,
dass man erst einmal sagen kann, dass die 28 Mitglied-
staaten - so viele sind wir ja noch - zusammen mit dem
Europaparlament im Großen und Ganzen einen tragfähi-
gen Kompromiss ausgehandelt haben .
Wir hätten uns gefreut, wenn wir mehr nationalen
Spielraum gehabt hätten, um zum Beispiel auf Besonder-
2) Ergebnis Seite 21298 C
heiten des deutschen Reisemarktes mit einer Reisebürostruktur aus vielen unabhängigen Büros einzugehen und
Verbesserungen beim Verbraucherschutz zu erreichen .
Dies ließ sich nicht erreichen . Wenn wir das nächste Mal
die abstrakte Diskussion über Vollharmonisierung oder
Mindestharmonisierung in der Europäischen Union führen, dann sollte sich der eine oder andere an seine konkrete Kritik bei dieser Richtlinie erinnern und mit uns für
das Ziel der Mindestharmonisierung kämpfen .
({0})
Ein paar Details: Positiv ist vor allem, dass wir erreichen konnten, dass viele Dinge, die sich in Deutschland im Verbraucherschutz bewährt haben und die den
Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannt sind, jetzt
europaweit gültig sein werden . Bei erheblichen Leistungsänderungen durch den Reiseveranstalter steht ein
kostenloses Rücktrittsrecht zur Verfügung . In Bezug auf
erhebliche Preisänderungen gibt es jedoch einen kleinen Wermutstropfen . Wir konnten nicht gegenüber allen
Staaten unsere deutsche Regelung durchsetzen, dass bei
einer Preisänderung von mehr als 5 Prozent das kostenlose Rücktrittsrecht gilt . Europaweit gilt jetzt, dass diese
Möglichkeit existiert, wenn die Preisänderung mehr als
8 Prozent beträgt .
Es wird weiterhin die Möglichkeit einer allgemeinen
Beratung im Vorfeld einer Buchung bestehen . Das hilft
vor allem den unabhängigen Büros . Diese sind wichtig
für einen weiterhin guten Wettbewerb .
Unabhängig davon, dass wir heute den Gesetzentwurf
einbringen, steht auf unserer To-do-Liste immer noch
eine praktikable und rechtssichere Lösung für kleine
Reisebüros, damit getrennte Leistungen trotzdem gemeinsam bezahlt werden können, ohne dass daraus eine
Pauschalreise entsteht .
Die Bundesregierung ist in engem Kontakt mit der
Kommission . Ich war selber letzten Dienstag in Brüssel, um noch einmal mit der entsprechenden Generaldirektion zu sprechen. Ich glaube, wir finden Gehör. Die
EU-Kommission hat das Problem verstanden und ist
auch zu der Auffassung gekommen, dass es auch in anderen Ländern - zum Beispiel in der Tourist Information genau dieses Problem geben kann . Sie hat uns gebeten,
das Problem auf dem Umsetzungsworkshop im nächsten
Monat vorzutragen . Wir werden dort einen konkreten
Umsetzungsvorschlag formulieren und hoffen, dass ein
guter Umsetzungsvorschlag beschlossen wird .
({1})
Was natürlich nicht funktionierte, war, alle Ansprüche von Anbieter- und Verbraucherseite gleichzeitig zu
bedienen. Deswegen wird es häufiger zu der Situation
kommen, dass etwas als verbundene Reiseleistung oder
Pauschalreise gilt . Das ist aber durchaus im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher .
Wir werden auch beobachten müssen, ob die Möglichkeit einer stärkeren Verteuerung der Reise nach Buchung
missbraucht wird . Dann müssen wir eingreifen; denn wir
wollen, dass die Bedingungen im Verbraucherschutz so
bleiben . Das wollen wir vor allem durch einen harten
Wettbewerb erreichen . Deswegen haben wir uns für eine
gute Lösung eingesetzt .
Wir wollen die Richtlinie bis zum 1 . Januar 2018 umsetzen . In einem Wahljahr heißt das, dass dies bis zur
Sommerpause geschehen muss . Es wäre nett, wenn Sie
uns dabei unterstützten .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Kerstin
Kassner von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst „Richtlinie für die Pauschalreisen“ .
({0})
In der Tat: Wenn man sich überlegt, dass von der Idee
und der ersten Inangriffnahme der Novellierung dieser
Richtlinie bis zum heutigen Tag acht Jahre vergangen
sind
({1})
und eine vernünftige Regelung immer noch nicht in Sicht
ist, dann muss man wirklich von einem Gespenst reden .
Nichtsdestotrotz werden wir uns auf den Weg machen
müssen, um zu einer Regelung zu kommen . Ich denke,
das ist im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher
eine wichtige Sache .
Allerdings ist zu fragen: Schütten wir hier das Kind
mit dem Bade aus? Welches sind die richtigen Schritte,
die wir gehen müssen? Schauen wir einmal auf die Chronologie der letzten zwei Jahre . Als der Entwurf vorlag,
waren wir sehr erstaunt, dass darin eine Lex Großbritannien deutlich zu erkennen war, dass die Bedingungen, die
in Deutschland gelten, eben nicht in den Entwurf eingeflossen waren.
Als Reaktion gab es einen Sturm der Entrüstung . Wir
haben zig Schreiben von verschiedenen Unternehmerinnen und Unternehmern erhalten, die alle sehr leidenschaftlich waren . Eines kann man an dieser Stelle sagen:
Die Reiseunternehmen sind in ihren Verbänden gut miteinander vernetzt . Ich glaube, das ist an dieser Stelle sehr
wichtig .
Daraufhin wurde im Tourismusausschuss eine Anhörung durchgeführt . Mehr als 20 Stellungnahmen erreichten uns . Nicht zuletzt das hat dazu geführt, dass an den
Stellschrauben mächtig gedreht wurde und viele Änderungen vorgenommen wurden . Damit wurde die Dramatik in Teilen entschärft .
Damit wurden allerdings nicht alle Befürchtungen
ausgeräumt . Deshalb müssen wir weiter dranbleiben .
Am kommenden Montag wird es dazu eine Anhörung
im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz geben .
Auch im Petitionsausschuss, in dem ich Mitglied bin,
werden wir uns noch einmal mit der Petition befassen
müssen, die immerhin 49 000 Unterstützer gefunden hat .
Das spricht für die große Unruhe bei diesem Thema . Wir
werden alles daransetzen müssen, hier eine Lösung zu
finden, um den kleinen und mittelständischen Unternehmen entgegenzukommen und ihre Sorgen und Nöte zu
berücksichtigen .
({2})
- Vielen Dank . - Ich habe wie bestimmt auch viele von
uns sehr viele Schreiben bekommen . Daraufhin habe ich
mit vielen Kollegen kommuniziert .
Ich möchte abschließend vortragen, was mir eine Unternehmerin aus den neuen Bundesländern geschrieben
hat . In dem Schreiben heißt es: Als ganz normaler Staatsbürger verstehe ich die Abwehrhaltung der Bevölkerung
auf eine überdimensionierte und mitunter praxisfremde
EU-Gesetzgebung, so jedenfalls wird es empfunden . Wir
sind eindeutig überreguliert . Ich bin weltweit gereist und
habe mich in über 20 Jahren mit den Volkswirtschaften
und Lebenssituationen der Menschen, verteilt über den
gesamten Globus, vertraut gemacht . Wir Deutschen neigen dazu, immer und ständig optimieren zu wollen, im
übertriebenen Maß verbessern und unsere Sicht der Dinge anderen aufdrängen zu wollen . Da unser deutscher
Einfluss in der EU sehr intensiv ist, ist die EU-Gesetzgebung auch ein Ergebnis dieses Verhaltens . Als wir 1990
die deutsche Einheit feierten, war zu hören, dass ein
starker Mittelstand ein wichtiger Garant für eine gesunde
Volkswirtschaft ist . Der Mittelstand wird demontiert .
({3})
Ich habe erlebt, wie man sich in der DDR von den Regierenden abwandte und sich ins Privatleben zurückzog,
die Gesellschaft nicht mehr gestaltete, und jetzt habe ich
leider das Gefühl eines Déjà-vu . Davon geht eine große
Gefahr für die Demokratie in unserem Lande aus .
Ich bringe es noch einmal auf den Punkt: Wir brauchen keine Gespenster, wir brauchen Lösungen, die den
Verbraucherinnen und Verbrauchern entgegenkommen,
aber auch die Situation der kleinen und mittelständischen
Unternehmen der Reisebranche im Auge haben,
({4})
und ich baue darauf, dass wir hier gemeinsame Lösungen
finden.
Ich danke Ihnen .
({5})
Vielen Dank . - Bevor Kathrin Rösel das Wort erhält, trage ich kurz das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
„Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf anbieten“ vor: abgegebene Stimmen 526 . Mit Ja haben gestimmt 424, mit Nein haben gestimmt 100, enthalten
haben sich 2 . Damit ist die Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses angenommen worden .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 526;
davon
ja: 424
nein: 100
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
({5})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Marcus Held
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Bettina Müller
Detlef Müller ({22})
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Christian Petry
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({31})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Petra Pau
Harald Petzold ({32})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Volker Beck ({33})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({34})
Christian Kühn ({35})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Tabea Rößner
Claudia Roth ({36})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Michael Gerdes
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({37}) aufgeführt .
Wir fahren in der Debatte fort, und Kathrin Rösel hat
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({38})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir Deutschen sind reiselustig . Im letzten Jahr
sind zwei von drei Deutschen mindestens einmal im Jahr
verreist . Zum Vergleich: Vor knapp 20 Jahren war es nur
die Hälfte, die mindestens einmal im Jahr den Urlaub außerhalb der eigenen vier Wände verbrachte . Dabei geht es
nicht nur in ferne Länder; immer mehr Reisende suchen
auch Erholung hier bei uns, ziehen ruhige Fahrradwege oder naturbelassene Wanderwege dem Trubel an der
Playa de Palma vor . Mein Wahlkreis liegt in der Lüneburger Heide . Gerade bei uns freut sich die Urlaubsbranche
über das zunehmende Interesse am sanften Tourismus .
Das Buchungsverhalten der Reisenden - Herr Staatssekretär Kelber sagte das - hat sich ebenfalls deutlich
verändert . Haben im Jahr 2005 lediglich 11 Prozent der
Urlauber ihre Reise im Internet online gebucht, sind es
heute mehr als 35 Prozent, Tendenz steigend .
Ungebrochen ist auch das Interesse an einem Rundum-Sorglos-Paket, also an Reisen, bei denen man mit
einer einzigen Buchung Flug, Hotel und Verpflegung
festmacht, sogenannte Pauschalreisen . Auch hier ist ein
verändertes Verbraucherverhalten zu beobachten . Diese
Pauschalreisen werden ebenfalls im Internet ausgewählt
und gebucht, und es ist klar, dass diesem Umstand auch
beim Verbraucherschutz Rechnung getragen werden
muss . Bisher gelten nämlich unterschiedliche gesetzliche
Rahmenbedingungen für Onlinebuchungen und solche
Buchungen, die klassisch in einem Reisebüro getätigt
werden . Künftig sollen für beide Buchungsarten ein- und
dieselben Regelungen gelten . Das ist gut und richtig so .
Die Europäische Union hat ihren Mitgliedstaaten
aufgetragen, das Dritte Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften spätestens zum 1 . Januar 2018 umzusetzen und im Sommer 2018 anzuwenden . Diese sogenannte Pauschalreiserichtlinie greift genau die von mir
skizzierten Regelungslücken auf . Darüber hinaus hat die
Richtlinie das Ziel, Verbrauchern einen besseren Schutz
bei Stornierungen zu bieten; Sie sagten es bereits . Was
passiert beispielsweise bei höherer Gewalt vor oder während der Reise?
Sie erinnern sich vielleicht noch an den Vulkanausbruch in Island vor einiger Zeit, aufgrund dessen zahlreiche Menschen, darunter auch Urlauber, evakuiert werden
mussten . Was ist also, wenn deshalb ein Antreten oder
eine Weiterführung des Urlaubs gar nicht möglich ist? In
derartigen Fällen war der Verbraucher bislang unzureichend geschützt .
Zudem sollen Reisende in allen Mitgliedstaaten der
EU ein- und dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen vorfinden. All diese Forderungen sind ja in der
EU-Richtlinie berücksichtigt . Dafür erst einmal vielen
herzlichen Dank! Allerdings - auch das wurde bereits
erwähnt - schreibt diese Richtlinie eine Vollharmonisierung vor . Das bedeutet, dass die einzelnen Mitgliedstaaten nur bedingt von dieser abweichen können . Allerdings
berücksichtigt die Pauschalreiserichtlinie nicht den speziellen Markt in Deutschland, dessen Reisebürostrukturen von denen der anderen Mitgliedstaaten abweichen .
Finden wir in Frankreich, Spanien und Italien ausschließlich Agenturen der großen Reiseunternehmen, so haben
wir bei uns in Deutschland mehr als 10 000 unabhängige Reise- und Tourismusbüros . Diese könnten enorme
Schwierigkeiten bei der Umsetzung einzelner Passagen
der Richtlinie bekommen .
Ein kleines Beispiel dafür, was bei den zahlreichen
Reisebüros in meinem Wahlkreis eigentlich fast täglich
vorkommt: Eine Familie bucht ein Ferienhaus und dazu
einen Tagesausflug in einen nahegelegenen Freizeitpark.
An einem anderen Tag steht eine ausgedehnte Fahrradtour in der Heide auf dem Plan . Auch hier wird unser
Tourismusbüro bei der Entleihe der Fahrräder behilflich
sein . Das alles ist kein Problem - bisher . Allerdings sind
das nun drei unterschiedliche Bausteine des Urlaubs .
Nach der Definition der EU-Richtlinie handelt es sich
nun um eine Pauschalreise, und das Tourismusbüro haftet
als Reiseunternehmer komplett für alle Leistungen . Das
kann natürlich nicht sein .
({0})
Wir dürfen damit nicht die Existenz der mittelständischen Reise- und Tourismusbüros aufs Spiel setzen . An
dieser Stelle wird deutlich, dass wir im parlamentarischen Verfahren und im Rahmen unserer Möglichkeiten
noch an vielen Stellen nachbessern müssen . Ich bin optimistisch, dass uns das gelingen wird .
Vielen Dank .
({1})
Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ziel der Novellierung der Pauschalreiserichtlinie war es
ja, eine Gleichbehandlung zwischen stationären Reisebüros und Onlineportalen sowie ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen . Sicherlich nicht Sinn der Sache war, Reisebüros und Tourismusinformationszentren
unverhältnismäßig stark zu belasten . Die Onliner werden
möglicherweise eine technische Lösung finden, um das
eine oder andere zu umgehen . Aber unsere Reisebüros
werden große Schwierigkeiten bekommen .
Was kommt jetzt also auf die Reisebüros zu? Da ist
zum einen die Einführung des Begriffs „verbundene Reiseleistungen“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff bringt
dem Vernehmen nach Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen, da sie in bestimmten Grauzonen
nicht wissen, ob sie in die Veranstalterhaftung rutschen
oder nicht; die Kolleginnen und Kollegen haben das bereits gesagt . Die Abgrenzung der verbundenen Reiseleistung von der Pauschalreise ist schwierig und gleichzeitig
ein sensibler Punkt, da sie über den Umfang der Haftung
entscheidet . Anbieter verbundener Reiseleistungen werden außerdem mit zusätzlicher Bürokratie konfrontiert .
Vier Informationsblätter müssen in diesem Fall mehr berücksichtigt werden . Wer sich die Praxis in einem Reisebüro einmal angeschaut hat, weiß, was das vor Ort für die
Leute tatsächlich bedeutet .
Auch unterliegen die Anbieter verbundener Reiseleistungen - auch das ist wichtig - unter Umständen Insolvenzversicherungspflichten. Das bedeutet, dass sie einen
nicht unwesentlichen Teil ihres Umsatzes in eine Versicherung investieren müssen . Das kann gerade in unserem
kleinen und mittelständisch organisierten Reisevertrieb
dazu führen, dass den Reisebüros rentables Wirtschaften
zumindest erschwert wird . Was wir nicht wollen - das
haben die Kolleginnen und Kollegen schon gesagt -, ist
ein konzerngebundener Reisevertrieb wie in anderen europäischen Ländern, der dadurch massiv begünstigt würde .
({0})
Das fördert Monopole und ist schlecht für die Verbraucherinnen und Verbraucher . Deswegen müssen wir das
noch einmal auf die Tagesordnung bringen .
({1})
Aber nicht nur für die Reisebüros gelten schärfere Regeln - der Staatssekretär hat das bereits angesprochen -,
sondern auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher .
Erst ab einer Preissteigerung von 8 Prozent sind sie dazu
berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten, ohne dass es etwas kostet .
All diese grundlegenden Entscheidungen wurden auf
europäischer Ebene getroffen. Es handelt sich um eine
vollharmonisierende Richtlinie . Aber diese Regelungen
berücksichtigen nicht - das ist ein wichtiger Punkt - die
Besonderheiten des deutschen Reisemarkts . Wir haben
zu wenig Berücksichtigung gefunden . Der kleine und
mittelständisch organisierte Reisevertrieb hat schwerer
zu kämpfen als ein Reisebüro, hinter dem ein Konzern
steht . Deswegen müssen wir im anstehenden parlamentarischen Verfahren weiterhin fraktionsübergreifend daran
arbeiten, hier zu einer verträglichen Lösung zu kommen,
für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für
die vielen kleinen und mittelständischen Reisebüros, die
nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch eine gewisse Diversität in unserem Reisevertrieb sichern .
({2})
Wir müssen jetzt die Spielräume beleuchten und sinnvoll nutzen, die wir als nationaler Gesetzgeber da noch
haben . Aber wir müssen auch die Sorgen der Verbraucherinnen und der Verbraucher sowie der Verbraucherschützer ernst nehmen .
Ich nehme das Beispiel der Reiseeinzelleistungen: Im
Referentenentwurf waren sie noch berücksichtigt, im aktuellen Gesetzentwurf sind sie gestrichen . Nach derzeitiger Rechtsprechung wird das Pauschalreiserecht unter
bestimmten Voraussetzungen auch auf die Buchung zum
Beispiel von Ferienhäusern angewendet . Soll das in Zukunft nicht mehr möglich sein?
Ähnliches gilt für die Tagesreisen, bei denen es Bedenken der Verbraucherschützer gibt . Wie in der Stellungnahme des Bundesrates ja formuliert, ist es hier
vielleicht eher angebracht, über eine Wertgrenze als über
die Dauer einer Reise zu diskutieren . Das müssen wir
im Rahmen der Behandlung des Gesetzentwurfes in den
nächsten Wochen in der Anhörung und in den Ausschüssen noch dringend diskutieren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, damit wir ein gutes Gesetz für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für unsere Reisebüros
machen können .
Das heißt abschließend: Wir müssen Gestaltungsräume nutzen . Wir brauchen einen fairen Ausgleich zwischen Verbraucherinteressen und den Interessen der Reisebranche . Das müssen wir umsetzen . Ich glaube aber
auch - aufgrund der partei- und fraktionsübergreifenden
guten Zusammenarbeit im Tourismusausschuss -, dass
wir versuchen werden, das eine oder andere tatsächlich
noch hinzubekommen. Ich hoffe, dass wir das noch auf
die Reihe bekommen werden, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({3})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Zuschauer auf den Tribünen!
Mit der Umsetzung der EU-Reiserichtlinie in deutsches
Recht wollen wir das Pauschalreiserecht für das digitale
Zeitalter fit machen. Für Kombinationen von Reiseleistungen - sogenannte Durchklickangebote - besteht in
Zukunft für die Verbraucherinnen und Verbraucher das
gleiche Schutzniveau wie für Reisen, die im Reisebüro
gebucht werden .
Ebenfalls positiv für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die neu eingeführte Kategorie der verbundenen
Reiseleistung . Sie soll Reisenden bei der Buchung einzelner Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise einen - das ist ein sperriger Titel - „reiserechtlichen
Basisschutz“ gewähren . Dieser ist geringer als bei einer
Pauschalreise, aber höher als bei einer komplett einzeln
gebuchten Reise mit Bausteinen .
Für die klassischen Reiseveranstalter ergeben sich darauf ist schon hingewiesen worden - bei der Umsetzung der Richtlinie - abgesehen von neuen Informationspflichten - kaum Änderungen. Dagegen besteht bei
dem Punkt der verbundenen Reiseleistungen noch großer
Klärungsbedarf, und zwar in Bezug auf die Handhabung
für die kleineren oder auch größeren Reisebüros . Bei den
Aspekten der getrennten Bezahlvorgänge - so heißt es
im Entwurf - steht ja zum Beispiel das zuständige Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz noch im
Austausch mit der Europäischen Kommission . So weit,
so gut? Nicht ganz . Grundsätzlich sind die gesetzgeberischen Spielräume bei der Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie begrenzt .
Ich möchte auf zwei gravierende Einschnitte beim
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher aufmerksam machen, wo wir als Parlamentarier tatsächlich noch
Verbesserungen für die Verbraucher erreichen können .
Dabei geht es einmal um die Tagesreisen . Die sind nach
geltendem Recht Pauschalreisen . Laut EU-Richtlinie
sind sie jedoch hier vom Anwendungsbereich ausgenommen . Dabei ist doch gerade die Tagesreise für viele die
klassische Pauschalreise . Meist handelt es sich dabei um
eine kleinere Reise zu einem bestimmten Ort, verbunden
mit Kultur und Genuss . Ich frage Sie: Sollen Tagesreisen
nun unabhängig von ihrem Wert wirklich keinen Schutz
mehr genießen?
Ein anderes Thema ist die Reiseeinzelleistung . Unterbleibt eine Aufnahme ins Gesetz, besteht zum Beispiel,
wenn jemand etwa ein Ferienhaus auf Mallorca mietet,
die Gefahr, dass er, wenn ihm dabei Unannehmlichkeiten
entstehen oder wenn er etwas stornieren will, solche Ansprüche nicht vor einem deutschen Gericht, sondern zum
Beispiel in Palma ausfechten müsste .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
diese Änderungen kommen nicht den kleinen Reisebüros vor Ort zugute . Sie lösen nicht das Problem der Zahlungsform für verbundene Reiseleistungen . Ich bitte Sie,
im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sich mit
mir, mit uns dafür einzusetzen, sowohl die Tagesreise als
auch die einzelnen Reiseleistungen wieder in den Anwendungsbereich des Gesetzes aufzunehmen .
Herzlichen Dank .
({0})
Das Wort hat die Kollegin Daniela Ludwig für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Deutschen werden, wenn alles gut geht, auch in diesem Jahr sicherlich wieder mit zu den reisefreudigsten
Nationen gehören . Der Trend der letzten Jahre ist schier
nicht aufzuhalten . In einer aktuellen Umfrage haben
28 Prozent der befragten Haushalte sogar angegeben, in
diesem Jahr mehr für ihre Urlaubsreise ausgeben zu wollen als im letzten Jahr . Das ist ein gutes Signal für unsere gesamte Reisebranche, aber natürlich auch für unsere
Reisebüros, immerhin fast 10 000 an der Zahl . Sie sorgen
dafür, dass wir einen Jahresumsatz von mehr als 23 Milliarden Euro zu verzeichnen haben . Ich glaube schon, dass
es uns bei aller Vollharmonisierung des Reiserechts und
der Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie darum
gehen muss, den Markenkern unserer deutschen Reisebüros - sie sind inhabergeführt, mittelständisch geprägt,
vor Ort verankert und unabhängig vom Veranstalter - zu
erhalten .
({0})
Ich glaube, dass hier in diesem Haus niemand etwas
dagegen hat . Ich sehe einen hohen Konsens, dass wir
gerade diese Reisebüros und die Onlinedienste gleichstellen, sie auch dem gleichen Wettbewerb aussetzen und
dass wir nicht die einen, nämlich die Onliner, den anderen, den Stationären, vorziehen .
Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir bei der
Umsetzung dieser Richtlinie, auch wenn sie vollharmonisierend ist, nicht, wie es Frau Kassner so schön sagte,
das Kind mit dem Bade ausschütten und unsere Branche
mit bürokratischen Lasten überziehen . Dafür haben wir
auch keinerlei Anlass . Die Aschewolke 2010 ist genannt
worden . Es gab in der deutschen Reisebranche selten den
Fall, dass Reisebüros und Veranstalter ihrer Verantwortung in derartig toller Art und Weise gerecht geworden
sind wie in dieser höchst schwierigen Situation . Schon
damals ist bewiesen worden: Wirtschaftliche Interessen
und Verbraucherschutz müssen sich nicht ausschließen,
sondern sie können, wenn Verantwortliche gut zusammenspielen, auch Hand in Hand gehen .
Deshalb ist es uns wichtig, dass wir unsere Reisebüros
am Leben erhalten . Für den, der eine USA-Reise bucht Flug, Hotel, Mietauto -, ist das Reisebüro vor Ort Partner
seines Vertrauens . Es stellt ihm die besten Angebote zusammen . Es ist natürlich Reisevermittler . Was soll dieses
Reisebüro auch sonst sein? Wenn wir alles so umsetzen,
wie es jetzt auf dem Tisch liegt, wird das Reisebüro
plötzlich Reiseveranstalter und mit der Verantwortung
der Durchführung betraut . Das können wir doch, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, nicht wollen .
({1})
Wenn wir uns darin einig sind, dass wir das nicht wollen,
dann müssen wir es parlamentarisch verhindern . Dafür
sind wir schließlich auch da .
Es muss einfach weiterhin möglich sein - auch weil es
dem Charakter unserer Reisebranche entspricht -, dass
man neben dem Pauschalreisevertrieb einem Kunden
touristische Einzelleistungen verschiedener Leistungsträger in einem Buchungsvorgang anbietet, ohne dadurch
zum Reiseveranstalter zu werden, und dass der Kunde
das Ganze möglichst auch in einem Bezahlvorgang erledigen kann, dass er nicht pro Leistung immer wieder die
Kreditkarte hinlegt und immer wieder einen Reisevertrag
unterschreibt . Denn das hat mit Verbraucherschutz nichts
zu tun . Das ist einfach nur unnötige Bürokratie und Gängelung der Leute vor Ort, die es gut meinen .
({2})
Deswegen glaube ich schon, dass es gut war, dass wir
uns bereits in dem Stadium des Referentenentwurfs ordentlich eingespreizt und viele Veränderungen erreicht
haben . Damit können wir, glaube ich, zufrieden sein .
Aber ich habe gerade skizziert, wo wir noch einige Haken sehen . Da müssen wir uns schon vor Augen führen,
unter welchen Prämissen diese Richtlinie entstanden ist:
nicht nur unter der Prämisse „Wettbewerbsgleichheit
zwischen Onlinern und stationären Reisebüros“ . Man hat
sich vielmehr ein bisschen von Großbritannien und anderen europäischen Ländern treiben lassen, die über sehr
große Veranstalter verfügen, die keine inhabergeführten,
keine eigenständigen Reisebüros haben, sondern nur
Reisebüros, die an einem Veranstalter hängen, die sich
mit allem viel leichter tun . Es kann nun wirklich nicht
sein, dass unsere typische Struktur, wie ich sie gerade
beschrieben habe, darunter zu leiden hat . Insofern haben
wir eine große Verantwortung .
Es gibt aber auch Veränderungen, die wir alle sehr begrüßen: Ich nenne als Beispiel die Beibehaltung des Sicherungsscheins . Das ist auch Verbraucherschutz . Damit
verbinden die Verbraucher, die eine Pauschalreise buchen, hohe Sicherheit . Sie kennen den Grundsatz „Keine
Bezahlung ohne Sicherungsschein“, Stichwort „Aschewolke“ . Sie wissen: Der Sicherungsschein garantiert
mir, dass ich wieder zurückkomme, wenn irgendetwas
im Verlauf meiner Reise passiert . Das alles sind wichtige
Dinge, die mit deutschen Qualitätsreisen verbunden werden . Dass wir das aufrechterhalten, ist ein gutes Zeichen .
Aber lassen Sie uns jetzt bitte auch gemeinsam die
Sorgen der Branche, die ich nicht alle, aber in einem großen Umfang teile, wirklich ernst nehmen und sie nicht
bloß als Säbelrasseln abtun . Lassen Sie uns nicht sagen:
„Oh Gott, jetzt habe ich die tausendste E-Mail bekommen, ich bin genervt“, sondern lassen Sie uns das ernst
nehmen und genau hinschauen, wo wir noch gesetzgeberischen Spielraum haben . Lassen Sie uns diesen Spielraum bitte unbedingt nutzen, soweit es in unserer parlamentarischen Macht steht . Lieber Herr Staatssekretär,
wo wir Sie argumentativ und mit unserer vollen Kraft auf
europäischer Ebene in den Umsetzungsworkshops unterstützen können, tun wir das natürlich ausgesprochen gerne . Bitte greifen Sie auf unsere Man- und Womanpower
zurück . Wir stehen an Ihrer Seite .
Danke schön .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10822 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Kordula Schulz-Asche, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gewässer vor Medikamentenrückständen
schützen
Drucksachen 18/8082, 18/8768
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wasser ist unsere
wichtigste Lebensgrundlage . Dass hier am Rednerpult
zum Beispiel jederzeit ein Glas frisches, sauberes Trinkwasser steht, das nehmen wir als Selbstverständlichkeit
wahr . Aber das ist natürlich keine Selbstverständlichkeit .
Deswegen gehört es zu unseren wichtigsten Aufgaben,
die Qualität des Wassers nicht nur zu erhalten, sondern
sie da, wo es nötig ist, auch kontinuierlich zu verbessern,
damit sie unseren und den Ansprüchen der Verbraucherinnen und Verbraucher genügt . Die Europäische Union
bescheinigt uns, dass der Gewässerzustand von Flüssen
und Bächen im Jahr 2015 nur zu 7 Prozent „gut“ oder
„sehr gut“ war . Das ist natürlich kein gutes Zeugnis .
Ein Grund für den schlechten Zustand ist die durch die
Landwirtschaft verursachte jahrelange Überschreitung
der Grenzwerte für den Nitrateintrag . Ich bin froh, dass
sich das Landwirtschaftsministerium jetzt bewegt hat es wird höchste Zeit; das will ich noch dazusagen - und
dass wir hoffentlich in Kürze eine neue Düngeverordnung und ein neues Düngegesetz mit strengeren Regeln
bekommen .
({0})
Ein weiterer Faktor für den schlechten Zustand unserer
Gewässer ist die Belastung mit Mikroschadstoffen, daDaniela Ludwig
runter die Rückstände von Medikamenten . Genau darum
geht es ja in dem Antrag der Grünen, den wir hier beraten .
Dieses Thema - das konnte man in der Vergangenheit sehen - produzierte schon einmal skurrile Schlagzeilen wie
zum Beispiel in der Welt aus dem August 2014 . Da hieß
es in der Überschrift: „Fische auf Viagra“ . Das hört sich
lustig an, aber es ist natürlich ein ernstzunehmendes und
stetig wachsendes Problem; denn durch immer mehr in
der Tierhaltung eingesetzte Medikamente, vor allem Antibiotika, steigt natürlich auch der Anteil dieser Stoffe in
den Gewässern .
Gleiches gilt für Humanarzneimittel . Durch die älter
werdende Bevölkerung - wir freuen uns, dass so viele Menschen älter werden - nimmt die Menge an eingenommenen Medikamenten stetig zu . 2012 waren es
über 8 000 Tonnen Medikamente mit umweltbelastenden Wirkstoffen. Wir können davon ausgehen, dass die
Menge heute deutlich höher ist . Und da die Kläranlagen
nicht in der Lage sind, alle Wirkstoffe herauszufiltern,
gelangen diese Wirkstoffe als Abwasser in die Flüsse und
von dort wiederum als Trinkwasser in den menschlichen
Körper, zwar auf Nanogrammniveau, aber es bleibt nicht
ohne Auswirkung .
Wir wissen noch gar nicht genau, welche Folgen das
für Mensch und Tier hat, aber es ist absehbar, dass es
zu Resistenzen gegen Antibiotika kommt . Fische laichen
nicht mehr, weil sie dank der Pille, die im Wasser als
Wirkstoff ankommt, permanent verhüten. In Schweden
hat man aufgrund der erhöhten Konzentration eines Beruhigungsmittels in einem Fluss bei Barschen ein zunehmend artuntypisches Verhalten festgestellt .
Wenn wir uns vor Augen führen, welches unsere Ansprüche an das Wasser sind und wie die Problematik, die
ich geschildert habe, ist, dann haben wir sozusagen ein
Dreieck: Wir wollen sauberes Trinkwasser von hoher
Qualität . Wir wollen, dass alle Menschen die Medikation
bekommen, die sie benötigen . Und wir wollen natürlich
auch bezahlbares Wasser, besonders Trinkwasser . Diese
berechtigten Anliegen müssen in Einklang gebracht werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, mit
Ihrem Antrag haben Sie ein wirklich wichtiges Thema
aufgegriffen. Doch unter den Mikroschadstoffen sind die
Medikamentenrückstände nur ein Teilbereich . Deswegen hat das Umweltministerium im letzten Jahr begonnen, eine Mikroschadstoffstrategie zu erarbeiten, die im
Frühjahr 2017 verabschiedet werden soll . Diese Strategie
soll unter Beteiligung von Akteuren aus der Zivilgesellschaft, der Wasserwirtschaft, der Industrie, den Ländern
sowie der betroffenen Bundesressorts entstehen. Als Ergebnis sollen ein gemeinsames fachliches Verständnis
und ein Bündel geeigneter Maßnahmen und Strategien
im Umgang mit Mikroschadstoffen erarbeitet werden.
Dabei - das können wir zu Recht erwarten; das fordern
wir auch - muss es im Besonderen um wirksame Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen gehen; denn was
gar nicht erst ins Wasser gelangt, muss am Ende nicht
herausgefiltert werden. An der Quelle müssen die Veränderungen vorgenommen werden .
({1})
Ich bin sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
die Bundesregierung mit diesen Maßnahmen, mit der
Strategie, die derzeit entwickelt wird, die Forderungen,
die im Antrag der Grünen enthalten sind, nicht nur erfüllt,
sondern im Ergebnis noch darüber hinaus geht; denn die
Strategie wird sich nicht nur auf die hier genannten Medikamente beziehen, sondern auch auf Kosmetika und
Industrie- und Haushaltschemikalien .
Wir als SPD-Fraktion wollen die Ergebnisse des Dialogs und die Strategie abwarten und werden deswegen
dem Antrag heute nicht zustimmen . Wenn sie im Frühjahr vorgelegt wird, werden wir schauen, ob weitere
Maßnahmen erforderlich sein werden .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({2})
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Grippewelle schwappt durchs Land .
Schniefend und mit dröhnendem Schädel kommt man zur
Arbeit . Zum Glück liegen im Schreibtisch noch Schmerztabletten und Nasentropfen . Ein Blick auf das Verfallsdatum zeigt: abgelaufen seit zwei Jahren . Man schleppt sich
zur Apotheke, willens, neue Medikamente zu kaufen und
die alten Medikamente zu entsorgen . Überraschung: Medikamente zu kaufen, funktioniert, aber die Rücknahme
der alten Medikamente wird verweigert .
Ein paar Stunden später ist der Kopf klarer, und jetzt
wird einem das Entsorgungsproblem bewusst . Sollen die
Pillen und Tropfen in den Müll, oder macht man umweltbewusste Mülltrennung? Soll man Tropfen und Pillen in
die Toilette kippen? Dann könnte das Glas in den Container und die Pillenpackung in den gelben Sack . Vielleicht hilft der Beipackzettel weiter .
({0})
Schauen wir mal auf das Beispiel: Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen, Lagerbedingungen, Meldungen zu
Nebenwirkungen - zur Entsorgung steht da nichts .
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, bitte entsorgen Sie
die Medikamente nicht über die Toilette. Die fleißigen
Reinigungsbakterien im Klärwerk mögen keine Antibiotika; sie können keine Nasentropfen abbauen und auch
keine Schmerzmittel. Die Wirkstoffe bleiben im Wasser,
schaden Algen und Fischen und landen letztlich wieder
in unserer Nahrung .
2013 stellte die Linke deshalb den Antrag, dass der
Entsorgungsweg - entweder über die Mülltonne mit anHiltrud Lotze
schließender Verbrennung oder über eine Rückgabe in
Apotheken - auf jedem Beipackzettel, in jeder Packung
angegeben werden muss. Wir forderten, dass Pharmafirmen die Rücknahmesysteme finanzieren. Und wir forderten, dass für neue und vorhandene Medikamente zwingend eine Umweltschädlichkeitsprüfung erfolgen muss .
({1})
Heute greifen die Grünen mit ihrem Antrag unsere
Vorschläge teilweise auf . Das ist gut . Aber eine Frage
sei mir gestattet: Warum ist es laut Ihrem Antrag lediglich „geboten“, die Entsorgungswege aufzudrucken?
Sie müssen aufgedruckt werden; das kann man fordern .
Auf solch einem großen Beipackzettel ist bestimmt auch
dafür noch etwas Platz . Damit würden sich die menschlichen Medikamenteneinträge nach einer Studie der
Emschergenossenschaft - das ist der größte deutsche Abwasserzweckverband, in dessen Einzugsgebiet 2,2 Millionen Menschen leben - um etwa 15 Prozent reduzieren .
Aber was passiert mit den restlichen 85 Prozent der
Wirkstoffe, die beispielsweise beim Duschen oder über
Stoffwechselreste des Menschen ins Abwasser gelangen?
Aus diesen Abwässern sollten die Medikamentenreste
vor Einleitung in das kommunale Abwassersystem entfernt werden . Dies gelingt am besten an den Hotspots:
Über 60 Prozent aller Medikamentenreste stammen aus
Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen; dort ist die
Konzentration höher. Die Reinigung wäre dort effektiver,
schneller umsetzbar, bräuchte weniger Energie und wäre
damit kostengünstig .
({2})
Damit wir auch zukünftig Trinkwasser ohne Hustensaft erhalten, damit das Zanderfilet nicht wie eine Antibabypille wirkt, müsste der Bundestag endlich handeln .
Frau Kollegin, es ist nett, dass Sie eine neue Studie erstellen wollen; es ist nett, dass Sie ein Gesamtkonzept
erstellen wollen - alles klasse! -, aber Sie machen in der
Zwischenzeit nichts . Wenigstens die kleinen, einfachen
Schritte - wie im heute vorliegenden Antrag der Grünen
und in unserem schon vor Jahren eingebrachten Antrag
gefordert - könnte man schon heute gehen . Linke und
Grüne haben ihre Vorschläge unterbreitet, und Sie von
der Koalition, von der Union lehnen sie erneut einfach
alternativenfrei ab . Schade! Dann müssen wir halt mit
einer besseren Bundesregierung ab Herbst 2017 dieses
Problem endlich angehen .
Danke schön .
({3})
Der Kollege Karsten Möring hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Lebenserwartung ist heute höher denn je, und die
moderne Medizin hat einen wesentlichen Anteil daran .
Medikamente spielen eine entscheidende Rolle . Das hat
Nebenwirkungen, und bekanntermaßen gilt: Zu Risiken
und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker .
Alles, was wir zu uns nehmen, scheiden wir auch wieder aus . Diesen Prozess nennt man herkömmlicherweise
Stoffwechsel. Die Produkte dieses Stoffwechsels entsorgen wir in aller Regel in der Toilette . Für Arzneimittel
aber gilt überwiegend, dass der Begriff „Stoffwechsel“
falsch ist; denn der Stoff wechselt nicht, er bleibt erhalten . Daraus ergibt sich eine Reihe von Problemen; denn
viele dieser Pharmazeutika sind biologisch nicht oder
nur sehr langsam abbaubar und können vielleicht auf
dem Weg über die Nahrungskette oder auf irgendeine andere Weise Risiken und Nebenwirkungen entfalten, die
nicht beabsichtigt sind . Sie belasten unser Abwasser, und
knapp die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland weiß
das nicht .
Die Toilette ist noch aus einem weiteren Grund - um
mit Schiller zu sprechen - die hohle Gasse, durch die alles kommen muss .
({0})
Die Entsorgung alter, abgelaufener und überschüssiger
Arzneimittel - Herr Lenkert hat das eben sehr anschaulich dargestellt - läuft in ganz erheblichem Umfang über
die Toilette und landet auf diesem Weg im Abwasser . Dagegen hilft in der Tat Aufklärung . Aber in allen Ehren:
Ihr Vertrauen in den Beipackzettel teile ich nicht .
({1})
Wenn ich mein eigenes Verhalten Revue passieren lasse,
stelle ich fest: Ich verlasse mich auf eine mündliche Auskunft vom Arzt oder Apotheker; aber den Beipackzettel
lese ich nur in der größten Not . Auch die Verpackung ist
relativ eng bedruckt . Wenn ich mir die Wirksamkeit der
Aufdrucke auf den Zigarettenschachteln angucke, dann
muss ich sagen: Mein Vertrauen sinkt auch hier ziemlich
deutlich .
Nichtsdestotrotz müssen wir in das Bewusstsein der
Leute bringen: Eine Entsorgung der Arzneimittel, die
ich nicht verbrauche, erfolgt über den Hausmüll und die
Müllverbrennung, notfalls über die Apotheke, nämlich
dann, wenn sie noch will bzw . wenn wir keine anderen
Entsorgungswege haben - es gibt überall Kommunen,
die keine Müllverbrennungsanlage haben -, oder - das
ist der dritte Weg - über die Schadstoffsammelstellen.
Das ist natürlich der komplizierteste Weg, und das werden die wenigsten tun; da ist die Toilette attraktiver . Das
muss aber in die Köpfe der Leute hinein . Daran müssen
wir arbeiten .
Zum Glück können wir feststellen, dass eine Gesundheitsgefährdung aufgrund von Arzneimittelrückständen
im Trinkwasser nach heutigem Kenntnisstand eigentlich
ausgeschlossen ist . Die richtige Entsorgung wird aber
vor dem Hintergrund, dass wir immer mehr Arzneimittel
verbrauchen und diese Entwicklung aufgrund der Demografie auch nicht abnehmen wird, immer wichtiger. DesRalph Lenkert
wegen ist es wichtig, dass wir diese Kenntnis unter die
Leute bringen .
Ich bin den Grünen in gewisser Weise dankbar, dass
sie in ihrem Antrag nicht „ein Verbot von …“ gefordert
haben . Das ist manchmal ein Lieblingsweg der Grünen .
Deswegen freue ich mich, dass dies hier nicht der Fall ist .
Das Thema ist für Panikmache auch wirklich nicht geeignet . Wir müssen es im Konsens angehen, gerade weil es
so viele informelle Aspekte gibt .
Für unsere Fraktion gilt, was wir schon bei der Fracking-Diskussion gesagt haben: Die Qualität und die
Sicherheit von Wasser und Trinkwasser haben für uns
oberste Priorität . Daran orientieren wir uns . - Das wollen
wir erreichen . Wasser ist ein Gut, das geschützt, verteidigt und gut behandelt werden muss - keine Frage .
({2})
Bei meinen Recherchen bin ich auf eine Kleinigkeit
gestoßen, die vielleicht mehr amüsant als wichtig ist;
aber ich will sie Ihnen nicht vorenthalten . Laut Europäischem Drogenbericht, der kürzlich erschienen ist - im
Dezember wurde darüber berichtet -, wurden in kommunalen Abwässern Kokain und Amphetamine nachgewiesen . Jetzt frage ich Sie: Wo vermuten Sie den höheren
Anteil an Kokainrückständen im Abwasser? In München
oder in Kampen? Sie werden sich wundern: Das Ergebnis ist Dortmund .
({3})
Dortmund erreicht mit 421 Milligramm pro 1 000 Einwohner und Tag den absoluten Spitzenwert . München
fällt dagegen mit 114 Milligramm deutlich ab .
({4})
Ich will diese Werte nicht interpretieren, aber ich wollte
sie Ihnen auch nicht vorenthalten .
Die Alterung unserer Gesellschaft und die sehr begrüßenswerte medizinisch-technische Entwicklung
führen, wie schon erwähnt, zu einem starken Anstieg
des Medikamentenverbrauchs in den kommenden Jahren . In Deutschland werden in der Humanmedizin über
2 300 Arzneimittelwirkstoffe in geschätzten jährlichen
Verbrauchsmengen von 30 000 Tonnen verkauft; ungefähr die Hälfte davon wird als potenziell umweltbelastend, als umweltrelevant eingestuft . Aktuelle Studien
beweisen, dass viele Humanarzneimittelwirkstoffe in
Oberflächengewässern, Grundwässern und Trinkwässern
nachweisbar sind, zum Glück nur in geringer Konzentration . Die Trinkwasseraufbereitung ist aber nur mit erheblichem Aufwand möglich . Wenn es dazu kommen sollte,
dass die Mengen größer werden, dann gilt der Satz: Dann
wird es teuer . - Vorbeugen ist in jedem Fall besser als
Nachsorgen . Was nicht in die Toilette kommt, kommt
auch nicht ins Abwasser . Wir müssen also dafür sorgen,
dass die Wirkstoffe gar nicht erst dort hineingeraten.
Wir haben noch einen weiteren Eintrag, den wir nicht
außer Acht lassen sollten, nämlich den von Tierarzneimitteln . Ungefähr 1 600 Tonnen Antibiotika sind pro Jahr
in der Tiermast in Deutschland auf dem Markt . Die gehen
natürlich nicht über die Toilette in das kommunale Abwasser; aber sie gehen über den Boden - über die Weide
oder über den Misthaufen auf dem Bauernhof, wenn es
den noch gibt - auch in das Grundwasser . Kleiner Trost:
Nur unter sehr ungünstigen Bedingungen landen diese
Mengen im Trinkwasser, das wir nutzen, im Grundwasser, oder in den Oberflächengewässern. Insofern haben
wir hier keine sehr große Gefahr .
Frau Lotze hat schon darauf hingewiesen, dass wir
mit der Mikroschadstoffstrategie der Bundesregierung
im Laufe dieses Jahres zu Ergebnissen kommen werden,
bei denen das Problem, über das wir heute reden, nur einen Teil darstellt . Ich will erwähnen, dass es auch auf
der europäischen Ebene eine entsprechende Strategieentwicklung gibt, deren Ergebnisse für den Herbst 2017
angekündigt sind . Ich denke, es macht Sinn, auf der Basis
dieser Daten dann über die Frage nachzudenken, was wir
machen sollen . So drängend ist das Problem nicht, dass
wir es heute durch andere Maßnahmen lösen müssten .
Wir wissen aber, dass wir das Problem nur im Konsens vieler Beteiligter lösen können . Zu dem Konsens
und zu der Beteiligung gehört auch die Beteiligung der
Länder; denn auch die Länder, die ganz wesentlich in diesem Prozess mit ihren Regelungen gefragt sind, müssen
einbezogen werden . Nun sind es aber gerade die Länder,
die sagen, dass wir ein flächendeckendes Untersuchungsprogramm nicht brauchten, weil die Datengrundlage
ausreichend sei und nicht wesentlich mehr Erkenntnisse aus einem solchen Programm zu gewinnen seien .
Die Umweltministerkonferenz hat deswegen letztens zu
Recht festgestellt, dass es - ich zitiere - „einer zwischen
dem Bund und den Ländern abgestimmten Strategie zur
Identifizierung und zur Priorisierung gewässerrelevanter
Mikroschadstoffe bedarf“ und dass es „im Rahmen der
gemeinsamen Strategie eines koordinierten Vorgehens
beim Monitoring und Austausch von Ergebnissen … bedarf“ .
Keine Frage: Der Eintrag von Medikamentenrückständen in Gewässer muss reduziert werden . Ich sehe
eine Reihe von Ansatzmöglichkeiten, die wir dann im
Laufe des Jahres 2017 in der nächsten Wahlperiode vertiefen müssen . Der Bund ist hier insgesamt auf einem
guten Weg . Deswegen brauchen wir den Grünenantrag
zum heutigen Zeitpunkt nicht intensiver zu bearbeiten .
Wir lehnen ihn ab . Aber wir wissen: Das Thema bleibt
auf der Tagesordnung .
Zu Aktionismus besteht kein Anlass . Ein kurzes Beispiel: Um über Trinkwasser die Wirkdosis einer Aspirintablette aufzunehmen, müsste der Mensch fast 7 000 Jahre lang jeden Tag 2 Liter Trinkwasser trinken . Das sind
Daten des BDEW . Ich schließe mich deswegen zum
Schluss dem Urteil der NRW-Grünen an, die auf einer
gemeinsamen Konferenz der Kreistagsfraktion in Coesfeld mit dem nordrhein-westfälischen Umweltminister
Remmel festgestellt haben: Eine akute Gefahr für unser
Trinkwasser ist derzeit nicht zu erkennen . - Das soll uns
nicht einschläfern . Wir vermeiden Schlaftabletten . Das
Thema bleibt auf der Tagesordnung, es kommt wieder .
Die letzten 38 Sekunden Lebenszeit schenke ich Ihnen
jetzt und danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Herzlichen Dank . - Das Wort hat der Kollege Peter
Meiwald für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer und Zuschauerinnen und Zuschauer! Wenn man gehört hat, was
die Kollegin Lotze zum Thema Humanmedizin und was
der Kollege Möring zur Tiermedizin gesagt hat, dann
weiß man: Das ist gut beschrieben . Dazu brauche ich
gar nicht mehr viel zu erzählen . Aber die Konsequenz zu
ziehen, das sei nicht dramatisch und deswegen müssten
wir heute nichts tun, finde ich ein bisschen abenteuerlich.
Wir alle wissen, dass das Schadstoffe sind, die sich eben
nicht von alleine in der Natur in kurzer Zeit abbauen,
sondern dass sie sich anreichern . Insofern haben wir eine
Verantwortung . Man nennt das Vorsorgeprinzip . Wir haben eine Verantwortung für unsere Kinder, für unsere Enkelkinder, für die Tierwelt und für die Biodiversität, die
gefährdet ist . Es ist gut beschrieben worden, dass man
schon Effekte für die Biodiversität nachweisen kann. Wir
haben also eigentlich keine Zeit zu verlieren .
({0})
Die Botschaft der Mikroschadstoffstrategie höre ich
wohl; allein mir fehlt der Glaube, dass sie innerhalb
der notwendigen Zeit dazu führt, dass wir zu konkreten
Maßnahmen kommen . Ich erinnere mich an eine Debatte
vor zwei Jahren, als wir einen Antrag zu Mikroplastik
eingebracht haben . Da kamen genau die gleichen Argumente . Man hörte die Argumentation: Ihr habt recht . Alles, was ihr sagt, ist eigentlich richtig; aber es geht nicht
weit genug . Wir brauchen eine umfassende Strategie .
Wir werden das mit dem Wertstoffgesetz lösen, und dann
brauchen wir euren Antrag zu Mikroplastik nicht . Wir alle wissen: Ein Wertstoffgesetz gibt es immer
noch nicht; zum Thema Mikroplastik in unserer Umwelt
wurden leider keine konkreten Maßnahmen ergriffen.
Bei aller Kritik, die man an den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen oder an der Geschwindigkeit üben
kann - man könnte zum Beispiel sagen, dass das Thema
Mi kroschadstoffe in unserem Antrag nicht umfassend genug betrachtet wird -, ist doch festzuhalten: Wenn man
stattdessen gar nichts macht, nützt das der Natur um uns
herum und damit unseren Lebensgrundlagen nichts .
({1})
Ich will ganz kurz darauf hinweisen, warum wir dringend etwas tun müssen: Wir haben Einträge über die
Humanmedizin, und wir haben Einträge von Antibiotika,
die in der Tiermedizin eingesetzt werden - das ist immer
wieder Thema -, sowie von Schmerzmitteln, von allem,
was für den Bereich der Tierhaltung freiverkäuflich ist.
Die Wasserversorger, die Betreiber der Kläranlagen, sagen uns: Natürlich können wir mit einigen dieser Stoffe
fertigwerden; aber wenn ihr nicht am Anfang der Kette
etwas tut, dann haben wir die End-of-Pipe-Problematik,
und die ist immer teurer und immer schlechter . - Das ist
zu Recht gesagt worden .
Die Frage ist: Wer bezahlt das? Dieser Frage haben
wir uns mit unserem Antrag auch gewidmet . Ja, das kostet Geld . Das könnten wir einfach dem Gebührenzahler,
dem Zahler der Abwassergebühren überlassen . Das entspricht aber nicht unserem Anspruch . Unser Anspruch ist
es, vorsorgend tätig zu sein . Wir wollen im Vorfeld daran
arbeiten, dass möglichst wenig Schadstoffe ins Wasser
kommen . Das ist das Ziel dieses Antrags .
({2})
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Natürlich brauchen wir Transparenz und Verbraucherinformationen . Das ist doch kein Widerspruch zu einer Schadstoffstrategie. Das BMUB, die Pharmaindustrie, der
Apothekerverband und die Kläranlagenbetreiber könnten zusammen eine Öffentlichkeitskampagne betreiben,
um den Menschen zu sagen: Bitte, bitte werft eure übrig
gebliebenen Medikamente in die schwarze Tonne oder
bringt sie zurück in die Apotheke; aber schüttet sie nicht
in die Toilette . - Das kostet heute im Vorfeld relativ wenig Geld . Ein solches Programm kann man von einem
Tag auf den anderen aufsetzen . Damit schädigt man keine
Schadstoffstrategie. Das bringt eine konkrete Verbesserung, auch wenn wir selber wissen, dass Aufklärung und
Transparenz nicht alles sind . Wir müssen den Medikamenteneinsatz in der Landwirtschaft grundlegend reduzieren . Das ist vielen klar . Die Grüne Woche ist ein guter
Anlass, darüber nachzudenken . Wir brauchen durchaus
auch den Bedarfsatlas, auch wenn manche sagen, die Katastererstellung bedeute viel Aufwand . Wir müssen aber
wissen, wo die Hotspots sind; denn es macht durchaus
Sinn - Kollege Lenkert hat das angesprochen -, an den
Hotspots anzusetzen und dann weiterzugehen .
Wir wollen das auf eine breite Basis stellen . Wir wollen auch die Pharmaindustrie einbeziehen . Natürlich
wollen wir nicht Medikamente verbieten; das ist doch
vollkommen klar . Aber wir wollen Anreize setzen, auch
wirtschaftliche, damit die Pharmaindustrie überlegt, wie
man den einen oder anderen Stoff durch einen Stoff substituieren kann, der genauso wirkt, aber nicht so toxisch
für die Umwelt ist . Das wäre ein vernünftiges Ziel, dem
wir uns gemeinsam widmen wollen . Ich sehe der Schadstoffstrategie der Bundesregierung sehr gespannt entgegen .
Ich finde es traurig, dass die einfachen und sehr konkreten Vorschläge, die wir heute hier vorgelegt haben,
keine Mehrheit in diesem Haus finden.
Schönen Abend noch!
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Gewässer vor Medikamentenrückständen schützen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8768,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8082 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungsgesetzes
Drucksachen 18/9987, 18/10319, 18/10444
Nr. 1.5
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/10895
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10895, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/9987 und 18/10319 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist damit einstimmig angenommen, wobei sich
einige Kolleginnen und Kollegen nicht an der Abstim-
mung beteiligt haben .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Sigrid Hupach, Frank Tempel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Diskriminierung bekämpfen - Verbandsklagerecht einführen
Drucksache 18/10864
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
1) Anlage 8
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({2}), Ulle Schauws, Beate MüllerGemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - Eine Reform ist überfällig
Drucksache 18/9055
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke .
({4})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion Die Linke will, wie
sicherlich andere hier im Hause auch, Diskriminierung
künftig wirksamer bekämpfen . Deswegen möchten wir
ein Verbandsklagerecht einführen .
({0})
Vor zehn Jahren - das wurde sozusagen schon anmoderiert - ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz,
kurz AGG genannt, in Kraft getreten . Damals haben
Skeptikerinnen und Kritiker gedacht, nun gehe eine Klagewelle über das Land . Aber dieser Fall ist nicht eingetreten . Gerade einmal 1 500 Fälle zur Gleichbehandlung
bzw . gegen Diskriminierung kamen bislang vor Gericht .
Nun sind unterschiedliche Schlussfolgerungen möglich, warum das so ist . Einige meinen vielleicht, dass es
nicht genügend Gründe für Klagen gibt . Das ist schlicht
falsch und geht an der Realität vorbei . Fast ein Drittel
der in Deutschland lebenden Menschen sind laut Antidiskriminierungsstelle in den letzten zwei Jahren von
Diskriminierung betroffen gewesen. Dazu gehören - ich
will nur wenige Beispiele nennen; die Liste ist endlos Frauen, die geringer entlohnt werden als ihre männlichen
Kollegen, ältere Menschen, die wegen ihres höheren Alters keine private Zusatzkrankenversicherung mehr bekommen, und Personen, die einen Job nicht bekommen,
weil sie an einen anderen Gott glauben als ihr Arbeitgeber . Dass es so wenige Klagen gibt, liegt also mitnichten
daran, dass es zu wenig Diskriminierung gibt, sondern
daran, dass es kein richtiges Durchsetzungsmittel gibt .
Es fehlt ein echtes Verbandsklagerecht, damit Verbände,
Gewerkschaften und Interessensvertretungen für Personengruppen klagen können .
({1})
Warum ist das so dringend notwendig? Bisher müssen die Betroffenen individuell bzw. einzeln vor Gericht
ziehen . Ich will zur Verdeutlichung ein aktuelles Beispiel
nennen - ich vermute, dass Sie alle es kennen -: Eine
Journalistin, die für das ZDF arbeitet, hatte eher zufällig
erfahren, dass ein männlicher Kollege für vergleichbare
Arbeiten mehr netto als sie brutto erhält . Laut verschiedenen Zeitungsberichten musste sich diese Klägerin
dann auch noch vor Gericht anhören, dass es vielleicht
daran liegt, dass Männer womöglich besser verhandeln
können, oder dass Schwangerschaften der Grund sein
könnten . Die Diskriminierung, gegen die diese Frau geklagt hat, erlebte sie sozusagen vor Gericht erneut und
verstärkt .
Die Erkenntnis, im Falle solcher Klagen wahrscheinlich nicht einmal ernst genommen zu werden, kennen
viele . Das ist nicht die einzige Hürde, durch die Leute von einer Klage abgehalten werden . Viele können
schlicht das finanzielle Risiko nicht eingehen. Der emotionale Stress ist natürlich besonders bei Klagen gegen den
Arbeitgeber immens hoch. Das finde ich völlig logisch.
Das Verhältnis zum Arbeitgeber ist doch kein hierarchiefreies Verhältnis; es ist ein Abhängigkeitsverhältnis . Wir
wissen aus der Gerichtspraxis, dass Klagen gegen den
Arbeitgeber meistens mit einem Vergleich enden .
Um zu dem Beispiel zurückzukommen: Auch in diesem Falle wird es wahrscheinlich so sein . Die Klägerin
ist aufgefordert worden, einen Vergleich abzuschließen .
Ich möchte einen Arbeitsrichter zitieren, dessen Aussage
in einer Zeitung wiedergegeben wurde . Er hält das Ergebnis für zufriedenstellend und sagt:
Selbst wenn die Angestellten recht bekommen, ist
das Arbeitsverhältnis hinterher doch zu belastet, um
es fortzusetzen .
Ein weiterer wesentlicher Aspekt, warum wir ein Verbandsklagerecht wichtig finden, ist, dass die dann gesprochenen Urteile nicht einmal für alle von derselben
Diskriminierung betroffenen Leute gelten, sondern trotzdem jede und jeder Einzelne für denselben Fall denselben Klageweg gehen muss . Eine Wirkung für diejenigen,
die von derselben Diskriminierung betroffen sind, entfaltet sich also nicht . Deshalb wollen wir ein Verbandsklagerecht im AGG, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, verankern .
Abschließend will ich noch den kleinen Hinweis geben: Wir werden uns ja demnächst mit dem Entgelttransparenzgesetz, dem Gesetzentwurf zur Entgeltgleichheit,
beschäftigen . Auch dabei gilt: Es wird seine Wirkung nur
entfalten, wenn wir gleichzeitig ein Verbandsklagerecht
verankern .
Vielen Dank .
({2})
Das Wort hat der Kollege Hendrik Hoppenstedt für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Um den Schutz vor Diskriminierungen zu verbessern, hat die Große Koalition vor zehneinhalb Jahren
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beschlossen .
Damit wurden insgesamt vier unterschiedliche EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt . Dank des AGG
wurden und werden Diskriminierungen erfolgreich beseitigt und verringert . Das Gesetz hat sich also nach unserer Auffassung insgesamt bewährt.
Die Linke - wir haben es eben gehört - fordert in ihrem Antrag die Einführung eines Verbandsklagerechts .
Zu Recht weist sie in der Begründung darauf hin, dass
Verfahren kollektiver Rechtsdurchsetzung im deutschen
Rechtssystem einen Fremdkörper darstellen . In Deutschland haben wir das Konzept des Individualrechtsschutzes . Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz bestimmt:
Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen
Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.
Die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 42 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist aber nur dann zulässig, „wenn der
Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder
seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten
verletzt zu sein“ . Auch im Zivilprozess gilt es darum, eigene subjektive Rechte als Kläger vor Gericht durchzusetzen. Dieses Konzept hat sich nach unserer Auffassung
bewährt .
({0})
Es braucht schon gute Gründe, um im Einzelfall davon
abzuweichen .
Das von den Linken angeführte Beispiel der naturschutzrechtlichen Verbandsklage etwa kann man damit
rechtfertigen, dass die Natur ihre Rechte nicht selbst
einklagen kann . Dieses Argument gilt aber ausdrücklich
nicht für Diskriminierte . Man kann die Forderung nach
der Verbandsklage auch nicht mit finanziellen Hürden,
mit Beweisschwierigkeiten des Einzelnen oder einer
enormen emotionalen Belastung begründen, wie es die
Linke versucht . Die Gegenargumente lauten nämlich: Es
gibt Beratungs- und Prozesskostenhilfe . Beweisschwierigkeiten ergeben sich auch bei klagenden Verbänden .
Und falls eine betroffene Person als Zeuge gehört wird,
löst das natürlich auch eine emotionale Belastung aus . Deswegen lehnt meine Fraktion die Einführung eines gesonderten Verbandsklagerechts ab .
Die Grünen anerkennen in ihrem Antrag immerhin,
dass das AGG die Rechte derjenigen, die Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft,
des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erfahren haben, gestärkt hat . Positiv bewerten sie,
dass sich in deutschen Unternehmen eine Antidiskriminierungskultur etabliert habe . Sie behaupten allerdings
auch, dass die vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in
dem AGG nur bruchstückhaft umgesetzt worden sind,
und fordern zudem eine Reform des Gesetzes, um Diskriminierungen noch effektiver zu bekämpfen.
Der Antrag der Grünen enthält insgesamt 19 unterschiedliche Forderungen . Vieles davon steht schon in
dem Evaluierungsbericht der Antidiskriminierungsstelle
des Bundes . Das ist deswegen nicht besonders verwunderlich, weil auch ein Referent der Fraktion der Grünen
im Berliner Abgeordnetenhaus - meines Wissens jedenfalls - an dem Bericht mitgewirkt hat .
({1})
Ich kann jetzt leider nicht alle 19 Forderungen, die Sie
aufführen, hier mit Ihnen diskutieren. Deswegen gestatten Sie mir, dass ich nur einige wenige herausgreife .
Sie fordern erstens natürlich auch das Verbandsklagerecht . Das lehnen wir aus den eben genannten Gründen
ab .
Sie möchten zweitens den Begriff der Rasse möglichst
vermeiden und schlagen vor, diesen durch „rassistische
Benachteiligungen“ zu ersetzen .
({2})
- Hören Sie doch eine Sekunde zu! - Angesichts unserer
Geschichte kann man darüber sicherlich diskutieren . Das
Merkmal der Rasse ist allerdings von der Antirassismusrichtlinie vorgegeben . Bevor diese beschlossen wurde,
ist intensiv über die konkrete Formulierung diskutiert
worden . Die Wortwahl entspricht dem Wortlaut des Artikels 10 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, dessen Ausfüllung die Antirassismusrichtlinie dient . Selbst
in unserem Grundgesetz, in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1, ist
von Rasse die Rede . Daher glaube ich, dass wir das AGG
insoweit nicht ändern müssen .
Sie fordern drittens, klarzustellen, dass der Diskriminierungsgrund Geschlecht entgegen der Begründung des
AGG auch Diskriminierungen aufgrund der Geschlechtsidentität erfasst, das heißt trans- und intergeschlechtliche
Menschen . Damit erwecken Sie den Eindruck, dass diese
Personengruppen nicht ausreichend geschützt werden
und einen schwächeren Schutz genießen als Menschen,
die wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden . Dies
begründen Sie leider nicht weiter . Richtig ist, dass vom
Begriff der sexuellen Identität laut Begründung des
AGG auch transsexuelle und zwischengeschlechtliche
Menschen erfasst werden . Damit unterliegen diese auch
uns am Herzen liegenden Personengruppen dem AGGSchutz, sodass ich Änderungsbedarf wirklich nicht erkennen kann . Im Ausschuss können wir darüber diskutieren; vielleicht haben Sie ja ein paar Fallkonstellationen,
die uns weiterhelfen .
Schließlich schreiben Sie zum Schluss:
Die Gefahr von sexueller Belästigung besteht
grundsätzlich bei allen Schuldverhältnissen . . .
Deshalb wollen Sie sexuelle Belästigung auch im Hinblick auf den allgemeinen Zivilrechtsverkehr als Diskriminierung definieren. Auch diese Forderung erläutern
Sie nicht weiter . Bei alltäglichen schuldrechtlichen Massengeschäften, etwa an der Supermarktkasse, sehe ich
jedenfalls keine grundsätzliche Gefahr, aus Gründen der
Sexualität diskriminiert zu werden .
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss,
möchte Ihnen aber schon jetzt keine zu großen Hoffnungen machen, dass Ihre 19 Forderungen am Ende des Tages im Bundesgesetzblatt stehen werden .
Herzlichen Dank .
({3})
Der Kollege Volker Beck hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Hoppenstedt, es ist mir eine
Freude, dass Sie solch einen Gefallen an dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gefunden haben . Sie wissen ja: Es ist mehr Freude im Himmel über einen reuigen
Sünder als über 99 Gerechte .
({0})
Was haben die Union und die Wirtschaftsverbände
vor dieser Diskussion gesagt, was da alles Schlimmes
auf uns zukommt?
({1})
Sie haben die Klagewellen und die enormen Kosten, die
auf die Unternehmen zukommen, angesprochen . Die einzigen relevanten Kosten, die die Unternehmen infolge
dieses Gesetzes hatten, waren die Kosten für die Fortbildungsveranstaltungen der Wirtschaftsverbände zur Vorbereitung auf das AGG. Sie waren überflüssig wie ein
Kropf, haben aber Geld gekostet .
Meine Damen und Herren, das AGG ist in der Tat ein
Erfolg, weil sich die Unternehmen, nachdem es Gesetz
geworden ist, damit angefreundet haben und es positive
Auswirkungen auf die Kultur vieler Unternehmen hatte,
was die Integration der Vielfalt der Menschen in ihrer Arbeitnehmerschaft angeht .
({2})
Das ist ein Erfolg, und wir können stolz auf die deutsche
Wirtschaft sein, dass dies gelungen ist .
({3})
Nur, dieser Erfolg nützt dem oder der einzelnen Diskriminierten nicht, wenn das im eigenen Unternehmen bei
bestimmten Personen einfach nicht der Fall ist . Deshalb
ist es richtig, den Evaluierungsbericht der Antidiskriminierungsstelle nach zehn Jahren sehr ernst zu nehmen,
die Forderungen aufzugreifen und das Gesetz besser zu
machen .
({4})
Die Einwände, die Sie hier vorgetragen haben, greifen im Ergebnis nicht durch . Ich will nur zwei Punkte
ansprechen .
Sie sagen: Das Verbandsklagerecht brauchen wir
nicht, weil jedem der Rechtsweg offensteht. - Gerade
dann, wenn der Streitwert nicht viel hergibt, es sich im
Ergebnis also nicht lohnt, um die Beseitigung der Schäden aufgrund der Diskriminierung zu kämpfen, geht es
häufig um geringfügige, aber massenhaft vorkommende
Geschäfte, die auch einen gesellschaftlich prägenden
Gehalt haben . Wenn ich nicht in eine Diskothek komme,
weil ich eine schwarze Hautfarbe habe, weil ich schwul
bin, weil ich behindert bin oder dies oder jenes, dann
ist das ein gesellschaftlicher Ausschluss, der von vielen Menschen gesehen und in diskriminierender Art und
Weise prägend wird . Aber der Streitwert dürfte sehr gering sein . Deshalb wird der normale Bürger, der nicht auf
Streithanselei aus ist, sagen: Darum kümmere ich mich
nicht . - Aber wenn ein Antidiskriminierungsverband
oder die Antidiskriminierungsstelle sagt: „Wir müssen es
endlich abstellen, dass diese oder jene Diskothek rassistisch diskriminiert“, dann, finde ich, ist es die Rolle der
Verbände, zu sagen: Wir tragen das Risiko, wir führen
den Prozess, und wir sorgen dafür, dass der Betreiber an
rassistischer Diskriminierung keinen Spaß mehr hat . Dafür braucht man das Verbandsklagerecht .
({5})
Wenn Sie sagen: „Das ist im Zivilrecht sonst nicht
üblich“, müssen Sie mal ad fontes bei den Antidiskriminierungsrichtlinien gehen . Diese gehen nämlich vom Generalfall des Strafrechts aus . Dagegen haben wir uns in
Deutschland entschieden . Ich habe das immer für richtig
gehalten .
In Frankreich und Großbritannien war es immer schon
und ist es auch jetzt strafrechtlich verboten, aufgrund
dieser Kriterien zu diskriminieren . Das ist eine viel zu
robuste Herangehensweise . Man hat dann mit „in dubio
pro reo“ wieder im Ergebnis Probleme, dass viel Zeug
stehen bleibt, weil man es nach den strengeren Regeln,
die im Strafrecht herrschen, nicht richtig beweisen kann .
Aber davon müssen Sie ausgehen . Dann wäre es nämlich der Staatsanwalt, der sich um diese Frage zu kümmern hat . Man bräuchte keine Antidiskriminierungsverbände . Deshalb müssen wir in der zivilrechtlichen Logik
nachdenken, ob das, was wir mit dem Gesetz erreichen
wollen, in allen Bereichen im Ergebnis gilt .
Der andere Punkt ist: Beim Thema „Geschlechtsidentität“ sind Sie schlichtweg falsch informiert . Im Zivilrecht macht es einen Unterschied, ob man aufgrund des
Geschlechts diskriminiert wird und der Richtlinie, die
die volle Anwendung des Antidiskriminierungsschutzes im Zivilrecht verlangt, unterfällt oder nicht . Bei der
sexuellen Identität haben wir den Schutz nur freiwillig
angeglichen, aber den gesamten Bereich der Nichtmassengeschäfte ausgenommen . Ein Vermietungsfall von
jemandem, der weniger als 50 Wohnungen vermietet, ist
im Ergebnis nicht im Diskriminierungsschutz . Das sollten wir meines Erachtens sowieso insgesamt beseitigen .
Dann hätten Sie recht .
Ich will noch einen Punkt ansprechen . Wir haben das
im Antrag drin; die Linke hat es angesprochen, aber nicht
im eigenen Antrag . Es geht um die Frage der persönlichen Loyalitätspflichten von Mitarbeitern der religiösen
Wohlfahrtsverbände. Ich finde es ein Unding, dass es
theoretisch weiterhin möglich ist, dass einer lesbischen
Erzieherin oder einem schwulen Krankenpfleger wegen
der Homosexualität von einem katholischen Arbeitgeber
genauso gekündigt werden darf, wie es bei wiederverheirateten Geschiedenen zulässig wäre .
Da gab es kürzlich in meiner Heimatregion den Fall,
dass jemand nicht Rektor einer katholischen Hochschule
werden konnte,
Kollege Beck, Sie müssen bitte den angekündigten
Punkt setzen .
- weil er wieder verheiratet war .
Jetzt denken Sie zu Ende, was Ihr Innenminister
will . Er will in der Islam Konferenz gegenwärtig darüber reden: Es soll muslimische Wohlfahrtsverbände geben . - Wollen Sie am Ende im Ernst zulassen, dass eine
Erzieherin, die muslimisch ist, nicht im muslimischen
Kindergarten arbeiten darf, weil sie es anders als ihr Arbeitgeber nicht für notwendig hält, ein Kopftuch zu tragen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein . Da müssen Sie
sich an andere Parteitagsbeschlüsse erinnern .
Kollege Beck, lassen Sie uns das bitte in den Ausschüssen vertiefen .
Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Nachsicht .
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr . Matthias Bartke für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
ein Mann . Ich bin weiß, säkular, nicht behindert und
nicht schwul . Menschen wie ich werden selten diskriminiert . Doch für viele andere gehört Diskriminierung leider immer noch zum Alltag .
Jede dritte Bürgerin und jeder dritte Bürger in
Deutschland gibt an, dass er oder sie in den vergangenen
zwei Jahren diskriminiert worden ist .
Volker Beck ({0})
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, will an
dieser Stelle Abhilfe schaffen. Es hat das Ziel, Benachteiligungen zu verhindern .
Das bezieht sich auf Benachteiligungen aus Gründen
der Rasse, der ethnischen Herkunft und des Geschlechts .
Auch Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter
oder sexuelle Identität sind Gründe für Benachteiligungen nach dem AGG .
Im August vergangenen Jahres wurde das Gesetz zehn
Jahre alt . Anlässlich dieses Jubiläums hat die Antidiskriminierungsstelle einen Spot veröffentlicht. In diesem
Spot lesen verschiedene Leute aus Zeitungsanzeigen vor .
„Gesucht wird ein Geschäftsführer, der eine verantwortungsvolle, selbstständige Persönlichkeit ist . Es sollen
sich nur Herren melden .“ Oder: „Folgende Wohnungsinteressenten werden nicht berücksichtigt: Rentner, kinderreiche islamistische Familien, Ausländer, Afrikaner
sowieso nicht .“
Bis 2006 gab es kein Gesetz gegen solche Diskriminierung . Dann wurde sie mit dem AGG endlich verboten .
Seitdem ist viel passiert . Klagen gegen Altersdiskriminierung führten zur Änderung von Tarifverträgen . Schwule
und Lesben in Lebenspartnerschaften erkämpften sich
ihr Recht auf Gleichbehandlung in der betrieblichen Altersvorsorge . Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass
auch chronische Krankheiten unter den Behinderungsbegriff des AGG fallen. Türkeistämmige Familien klagten
erfolgreich gegen ihren Vermieter wegen diskriminierender Mieterhöhungen . Einer jungen Frau wurde aufgrund
ihres Kopftuchs ein Ausbildungsplatz verwehrt . Auch sie
klagte erfolgreich vor dem Arbeitsgericht .
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Das AGG
ist ein Riesenerfolg .
({1})
- Herr Hoppenstedt ist mein Zeuge .
Das AGG befördert immer wieder die Debatte über
Alltagsdiskriminierung und Teilhabegerechtigkeit . Das
Bewusstsein für Diskriminierung hat sich in den letzten
zehn Jahren geschärft . Es gibt aber immer noch viel zu
tun; denn es haben in der Tat nicht alle Diskriminierten
die Zeit und das Geld und auch nicht die emotionale Stabilität, um den Klageweg zu gehen . Niemand will als
„AGG-Hopper“ diffamiert werden. Frau Möhring, eine
Alternative wäre hier auch aus unserer Sicht in der Tat
das Verbandsklagerecht, dem wir offen gegenüberstehen.
Im letzten Jahr haben wir das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen weiterentwickelt. Dieses Gesetz verpflichtet in erster Linie Träger
der öffentlichen Gewalt. Bei einer Reform des AGG wird
es daher darauf ankommen, nun auch für die Privatwirtschaft verbindliche Regelungen zu schaffen, wonach sie
angemessene Vorkehrungen für Barrierefreiheit zu treffen haben .
Liebe Oppositionsfraktionen, ich habe hier nur wenige Punkte angesprochen . Wir sehen an verschiedenen
Stellen noch Änderungsbedarf . Sie haben ebenfalls eine
ganze Liste an Forderungen aufgestellt, zu denen wir gerne in die Beratung einsteigen .
Liebe Bündnisgrüne, eines muss ich Ihnen aber jetzt
schon sagen: Ihre Einschätzung zum Entgeltgleichheitsgesetz teilen wir nicht - die Antidiskriminierungsstelle
übrigens auch nicht . Ganz im Gegenteil: Sie hat im letzten Jahr die rasche Verabschiedung des Entgeltgleichheitsgesetzes angemahnt, und das ist auch richtig so .
Seit fast sieben Jahrzehnten gilt das Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Grundgesetz .
In der Praxis klafft aber noch immer eine deutliche Lohnlücke von 21 Prozent. Ja, Frauen arbeiten häufiger im
Niedriglohnsektor, und ja, Sie arbeiten seltener in Führungspositionen . Die Lohnlücke hat aber auch noch andere Ursachen .
Fakt ist: Selbst wenn Frauen die gleiche Arbeit machen und die gleiche Qualifikation mitbringen, werden
sie nicht gleich bezahlt . Daher gilt: Ein Entgeltgleichheitsgesetz tut dringend not .
Ich danke Ihnen .
({2})
Der Kollege Dr . Volker Ullrich hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bereits die Rechts- und Werteordnung des
Grundgesetzes verbietet Diskriminierungen und verlangt
Rechtsgleichheit . Um diesen Gedanken zu unterstreichen, hat die Große Koalition vor zehn Jahren das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erlassen .
Ich gebe zu, dass dieses Gesetz zu Beginn umstritten
war . Mittlerweile ist es aber in der Praxis angekommen .
Es hat zu einer Änderung der Kultur im Bereich des Arbeitsrechts - beispielsweise bei den Ausschreibungen geführt und ist in der Praxis gut handhabbar .
({0})
Es sind jetzt Vorschläge dafür auf dem Tisch, dieses
Gesetz zu ändern . Wir müssen uns die Frage stellen,
ob diese Vorschläge notwendig, geboten und auch gut
sind . Das ist im Ergebnis zu verneinen . Wir sollten am
bewährten und guten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nichts ändern, sondern diesen Rechtszustand belassen . Ich will Ihnen das an zwei Beispielen erklären:
Sie verlangen eine Ausdehnung der sogenannten
Drittwirkung auf alle schuldrechtlichen Verhältnisse . Das
würde im Ergebnis bedeuten, dass überall im alltäglichen
Rechtsbereich - an der Kinokasse, im Supermarkt, im
Mietshaus - ein Dritter - der Vermieter, der Inhaber des
Supermarktes - letzten Endes dafür haften würde, wenn
ein Fremder eine sexuelle Belästigung begeht .
Die besondere Brisanz entsteht dabei dadurch, dass
das AGG bislang eine Beweislastumkehr vorsieht .
({1})
Der Arbeitgeber muss zum Beispiel im Augenblick
beweisen - § 22 AGG -, dass eine sexuelle Belästigung
nicht vorlag . Das ist im Bereich des Arbeitsrechtes angemessen, weil dort ein besonderes Rechtsverhältnis
besteht . Aber wenn wir diese Regelung auf die gesamte
Rechtsordnung ausdehnen würden, würden wir ein systemfremdes Element einführen und damit eine Haftung
von Unbeteiligten erreichen . Das können wir nicht wollen, meine Damen und Herren .
({2})
Ich bin auch skeptisch bei der Einführung eines Verbandsklagerechts . Ein solches ist wesensfremd, und wir
brauchen es im Ergebnis nicht . Die Behauptung und die
Geltendmachung einer Rechtsverletzung liegen zunächst
immer in der Verantwortung des Einzelnen, des Opfers .
Es gibt in Deutschland Opferschutzverbände, Pflichtverteidiger, Prozesskostenhilfe - viele Punkte der Unterstützung, die es Menschen, die diskriminiert worden sind,
möglich machen, zu klagen und zu ihrem Recht zu kommen . Selbst die Antidiskriminierungsstelle des Bundes
kann nach dem geltenden Recht Unterstützungsleistungen geben, wenn es um ein Verfahren geht .
Aus diesem Grund bin ich sehr zurückhaltend, wenn
es darum geht, ein Verbandsklagerecht einzuführen; denn
hier haben wir tatsächlich ein Einfallstor für Missbrauch
und für fach- und sachfremde Verfolgung . Deswegen
sollten wir den Weg des Verbandsklagerechts nicht gehen, sondern Opfer darin bestärken, ihre eigenen Rechte
wahrzunehmen . Ich glaube, das wäre auf alle Fälle der
bessere Weg .
({3})
Die Regelungen, die die Linke und die Grünen heute vorschlagen, machen das Gesetz wesentlich bürokratischer . Die Folge davon wird sein, dass die Akzeptanz
dieses Gesetzes in der Gesellschaft sinken wird,
({4})
dass ein gut eingeführtes System ad absurdum geführt
wird und wir durch mehr Bürokratie im Endeffekt nicht
weniger Diskriminierung, sondern mehr Ärger bekommen .
({5})
Ich warne davor, das Zusammenleben in unserer Gesellschaft unter den Generalverdacht der Diskriminierung zu stellen . Natürlich kommt Diskriminierung vor .
Das ist nicht schön . Aber ich glaube, dass die Bürger weiter sind als die Grünen .
({6})
Das hat sich beispielsweise Silvester gezeigt . Sie haben
bei unserer Polizei als Allererstes Diskriminierung gesehen, während wir Sicherheit und Ordnung und Tausende
Frauen, die geschützt wurden, gesehen haben . Das ist der
Unterschied zwischen Ihnen und uns .
({7})
Ich darf im Ergebnis sagen, dass sich dieses Gesetz
bewährt hat . Es wird keine Verschärfung und keine Änderung geben, sondern wir werden dieses Gesetz beibehalten, weil es insgesamt zu einem wichtigen Gut beiträgt: zu Rechtsfrieden in dieser Gesellschaft .
Vielen Dank .
({8})
Das Wort hat die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel für
die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Zum einen möchte ich sagen: Ja, ich bin eine
Frau . Zum anderen möchte ich zu Herrn Ullrich einfach
Nein sagen .
({0})
Als das rot-grüne Projekt des Antidiskriminierungsgesetzes von 2005 nach verschiedenen Anläufen 2006 als
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz endlich in Kraft
trat, hatte es schon heftige Proteste und Unkenrufe heil
überstanden . Von Überregulierung war die Rede, Klagewellen wurden befürchtet . Kritiker des Gesetzes wehrten
sich gegen die verordnete Toleranz - heute übrigens immer noch ein viel genutztes Argument .
Jetzt, zehn Jahre später, können wir stolz sagen: Das
Gesetz hat sich bewährt . Die Klagewellen blieben aus .
Durch das AGG wird Diskriminierung vom Großteil der
Bevölkerung nicht mehr einfach nur geduldet . Die Menschen sind aufmerksamer geworden, wenn Minderheiten
benachteiligt werden .
({1})
- Lassen Sie mich einfach ausreden . - Auch die Wirtschaft konnte überzeugt werden, dass sich Vielfalt bezahlt macht . Dennoch hören wir heute wie damals von
den Kritikern dieselben Floskeln .
Einer der ersten Kritiker war der ehemalige Kollege
von der CDU, Herr Kampeter .
({2})
Als die Antidiskriminierungsstelle letzten Sommer zehn
Jahre alt geworden ist und ihren Evaluierungsbericht
zum Gesetz veröffentlichte, sagte er, diese „ÜberreguDr. Volker Ullrich
lierungskultur“ müsse ein Ende haben . - Er meinte, der
Bericht gehöre in den Papierkorb .
Meine Damen und Herren, mein Verständnis von Politik ist ein ganz anderes . Wir als SPD haben Überzeugungen, die wir in Politik umsetzen . Ein Gesetz, ebenso
das Grundgesetz, vermittelt dabei selbstverständlich ein
Wertesystem .
Gern zähle ich auf, was die SPD erreicht hat . Das Thema hat in meiner Partei eine über 150-jährige Tradition;
ich habe aber nur drei Minuten Redezeit . Deshalb beginne ich nicht beim Frauenwahlrecht, sondern beschränke
mich auf diese Wahlperiode . Fangen wir an beim Mindestlohn, der Frauenquote oder dem Bundesteilhabegesetz . Das sind wichtige Schritte zum Abbau von Diskriminierung .
({3})
Gehen wir weiter zum Lohngerechtigkeitsgesetz, das wir
hier voraussichtlich in wenigen Wochen verabschieden
können . Zudem haben wir als SPD-Fraktion in unserem
Positionspapier zum sozialen Europa gefordert: Deutschland darf einer Verabschiedung der fünften Antidiskriminierungsrichtlinie auf EU-Ebene nicht länger im Weg
stehen .
Bis vor kurzem, meine Damen und Herren, wähnten
wir uns auch noch sicher in unserer gemeinsamen Überzeugung, dass niemand diskriminiert werden darf, weil
er eine Behinderung hat, einer bestimmten Religion angehört, homosexuell, zu alt oder zu jung ist, eine nichtdeutsche ethnische Herkunft oder ein Geschlecht hat, das
irgendjemandem nicht passt . Doch in Zeiten zunehmender rechtspopulistischer Tendenzen und Politiker fürchte
ich, dass uns wichtige Jahre bevorstehen . Wir sind bei
der Gleichbehandlung von Menschen noch lange nicht
am Ziel, und als SPD werden wir bei diesem Thema auch
nicht lockerlassen .
Herzlichen Dank .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10864 und 18/9055 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) 2015/848 über
Insolvenzverfahren
Drucksache 18/10823
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10823 an den Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Sabine Zimmermann ({1}),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute und wohnortnahe Arzneimittelversorgung
Drucksache 18/10561
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, und ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10561 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Azize
Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann
({3}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({4})
Drucksache 18/10860
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden, und
ich sah, Sie sind damit einverstanden .3)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10860 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Alexander S . Neu, Andrej Hunko, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
1) Anlage 9
2) Anlage 10
3) Anlage 11
US- und NATO-Stützpunkt Ramstein unverzüglich schließen
Drucksache 18/10863
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Verteidigungsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden, und
ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10863 an die in der Tagesordnung aufge-
1) Anlage 12
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20 . Januar 2017, 9 Uhr,
ein . Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute .
Die Sitzung ist geschlossen .