Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/16/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung im zu Ende gehenden Jahr . Wir sind heute nicht nur, aber auch deswegen zu einer Plenarsitzung zusammengekommen, um der Kollegin Ute Finckh-Krämer zu ihrem heutigen 60 . Geburtstag zu gratulieren . ({0}) Dies ist das erste Highlight der letzten Plenarsitzung des laufenden Jahres . Alle guten Wünsche für das neue Le- bensjahr! Änderungen der Tagesordnung gibt es nicht mehr - erstaunlicherweise . Das lässt auf einen geordneten Ab- schluss unserer Verhandlungen hoffen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 e auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Ernährungspolitik, Lebensmittel- und Produktsicherheit - Gesunde Ernährung, sichere Produkte ({1}) Drucksache 18/8650 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Verlässliche Rahmenbedingungen für vega- ne und vegetarische Lebensmittelangebote - Klarheit und Wahrheit für Hersteller und Verbraucher Drucksache 18/10633 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken - Hygiene-Smiley für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermöglichen Drucksache 18/4214 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({3}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Rechtssicherheit und Transparenz bei Lebensmittelkontrollen endlich herstellen Drucksache 18/9558 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({4}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Transparenz bei vegetarischen und veganen Produkten schaffen Drucksachen 18/9057, 18/9880 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen, wenn dazu keine anderen Anträge gestellt werden . - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Christian Schmidt das Wort . ({6})

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, Sie hatten die Freundlichkeit, darauf hinzuweisen, dass heute erwartungsgemäß der letzte Sitzungstag im zu Ende gehenden Jahr 2016 ist . Ich habe an diesem letzten Sitzungstag die Freude, den ersten Ernährungspolitischen Bericht der Bundesregierung - das ist eine Premiere - mit Ihnen debattieren zu dürfen . Die parlamentarische Beratung dieses Berichts zur Kernzeit unterstreicht die hohe Bedeutung, die der Deutsche Bundestag diesem Politikfeld zumisst . Das ist richtig so . Die Bürgerinnen und Bürger, die gefragt werden, welches politische Thema sie in ihrem Alltag am meisten berührt, nennen nicht das, was sich bei den Nachrichtensendungen ab und an bei den Tagesmeldungen zwischen Platz eins und drei findet. Nein, sie nennen Ernährung und gesunde, sichere Lebensmittel, so eine Umfrage des Allensbacher Instituts . Eine wachsende Gruppe von Verbrauchern definiert sich sogar über den Ernährungsstil . Mitunter hat man sogar den Eindruck, Ernährung sei für manche Menschen eine Art Ersatzreligion . Zumindest ist die Ernährung eine höchstpersönliche Angelegenheit, die deswegen auch nicht vollständig von der Politik besetzt werden darf . Hier haben ja manche ihre Erfahrungen mit der Vorstellung gemacht, man könne in die Details hinein regeln . Hier ist keine Verbotspolitik, keine Bevormundungspolitik gefragt . ({0}) - Sie müssen sich das leider anhören . Die Kamellen sind an sich gut, jedenfalls die, die lebensmittelrechtlich geprüft sind . ({1}) Ob das bei den Grünen immer der Fall ist, ist die Frage . Aber es ist interessant, dass man sofort weiß, worum es geht: Der Kollege wollte daran erinnern, dass er mal in der Veggieday-Abteilung mit dabei gewesen ist, ({2}) sich aber offensichtlich eines Besseren hat belehren lassen . Die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen, lieber Kollege, ist doch, dass dies ein Bereich ist, in dem der Mensch sagt: Stopp, Staat, hier bist du nicht der, der mir bis auf den Teller vorschreibt, was ich zu essen und zu tun habe . - Wir sind nicht diejenigen, die wissen, was gut und böse ist; ({3}) ich sage das in aller Deutlichkeit . Hier ist Politik im modernen Gewand gefragt . Dazu lade ich Sie ein: keine Bevormundungspolitik, aber Politik, die die staatliche Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit wahrnimmt . In dieser Diskussion kommt viel zu kurz, dass die Lebensmittelsicherheit - das geht aus unseren Berichten hervor - so hoch und so gut ist wie noch nie . ({4}) Durch die Schaffung von Transparenz und durch Hinweise zu einer gesunden Ernährung müssen wir allerdings darüber hinaus anregen und fördern . Wir müssen den Respekt vor der Entscheidung des Einzelnen damit verbinden, dass der Einzelne ein Rüstzeug dafür bekommt, eigene qualitative Entscheidungen zu treffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund lege ich Ihnen den Ernährungspolitischen Bericht gerne vor . Er stellt dar, welche Maßnahmen wir in dieser Wahlperiode mit welchen Zielsetzungen und in welchen Bereichen der Ernährung und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ergriffen haben und was noch bevorsteht, was vor allem europarechtlich noch zu tun bleibt . Mein Ansatz ist, dass alle Verbraucherinnen und Verbraucher durch Ernährungsbildung, Schutz vor Irreführung, verständliche Informationen und unterstützende Angebote der Ernährungsprävention und der Nachhaltigkeit im Konsum selbstbestimmt ihre Entscheidungen treffen können. Dazu gehört eine klare Kennzeichnung von Lebensmitteln - was draufsteht, muss auch drin sein . ({5}) Seit Dienstag dieser Woche ist nun eine verständliche Nährwerttabelle bei allen verpackten Lebensmitteln Pflicht. Das ist gut so, und auf diesem Weg müssen wir weitergehen . Wir müssen einen Weg finden, um einerseits eine zu hohe Regelungsdichte, ein Dickicht zu verhindern und andererseits eine Kennzeichnung zu ermöglichen, die den Einzelnen nicht überfordert . Wir haben bei den Begrifflichkeiten etwas zu ändern; wir reden über „vegan“ und „vegetarisch“ und über die Frage, ob entsprechende Produkte mit Fleischbegriffen bezeichnet werden sollten. Wir hatten ja schon vor einigen Jahren den sogenannten Analogkäse, der außer mit dem Wort „Käse“ überhaupt nichts mit Käse zu tun hatte, sondern ein industriepolitisches Mischmasch gewesen ist . Es geht darum, dass wir ihn als das bezeichnen, was er ist . Die Gewährleistung von Rückstandsfreiheit und entsprechende Grenzwerte bedürfen der rechtlichen Regelung . Aktuell wird über Ethoxyquin diskutiert, dass Fischmehl zur Verhinderung der Selbstentzündung während des Transports beigegeben wird . Wir brauchen europaweite Grenzwerte auch für Fisch, um gesundheitliche Bedenken auszuschließen . Ich dränge seit längerer Zeit - in diesem konkreten Punkt ganz aktuell - darauf und habe die Hoffnung bzw. erwarte, dass die EU-Kommission die Vorschläge nun umsetzt . So wie es aussieht, hat das auch Erfolg . Auch in anderen Bereichen sind europäische Regelungen notwendig . Ich habe bereits im Sommer in einem Brief an Kommissar Andriukaitis gefordert, dass wir am Bezeichnungsschutz für Lebensmittel tierischen Ursprungs arbeiten . Als weiteren Bereich will ich das Thema der Information ansprechen . Auch bei der Verhinderung von Transformationen im Bereich von Verpackungen müssen wir weiter vorankommen . Hier ist die Situation allerdings so, dass wir zunächst nationale Regelungen auf den Weg bringen werden . Die Adventskalender sind in die Diskussion gekommen, weil in der Schokolade Altöl nachgewiesen wurde . Altöl hat in Adventskalendern nichts zu suchen . Altöl muss raus aus den Adventskalendern . Dazu brauchen wir die entsprechenden rechtlichen Vorgaben . Ich danke den Koalitionsfraktionen, dass sie mir mit ihrem Antrag Rückenwind geben, um Klarheit und Wahrheit auch für vegetarische und vegane Lebensmittelangebote zu erreichen . Darüber hinaus müssen wir weitere Informationen für den Einzelnen zugänglich machen, zum Beispiel durch das Verbraucherportal, das die Verbraucherschützer mit unserer Unterstützung sehr verantwortungsvoll und sehr informativ führen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Themen im Bereich Ernährung neu ordnen und zusammenführen . Deswegen wird zu Beginn des neuen Jahres mein neu geschaffenes Bundeszentrum für Ernährung seine Arbeit aufnehmen . Das Bundeszentrum wird die Informationen neu ordnen und eine vernetzte Ernährungskommunikation sicherstellen . Das Bundeszentrum wird wissenschaftsbasierte, objektive und transparente Informationen rund um das Thema Ernährung bieten . In diesem Zentrum werden die Ernährungsinformationen und Bildungsmöglichkeiten gebündelt . Dazu gehören didaktische Materialien, Infoportale und Apps . Damit stärken wir die Grundlagen für Konsumentscheidungen . Im Fokus der Politik muss dabei die gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen stehen; denn Kinder und Jugendliche sind alleine nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Wir müssen sie aber dahin bringen, dass sie als Erwachsene auf einer guten Informationsgrundlage aufbauend Entscheidungen treffen können. Ich bin mir mit dem Parlament einig, dass diese Aufgabe besser abgebildet werden muss . Ich möchte mich in diesem Zusammenhang für die Unterstützung bedanken . Wir müssen unsere Kompetenzen bündeln . Das Nationale Qualitätszentrum für Kita- und Schulverpflegung wird künftig vernetzt im Rahmen des Bundeszentrums für Ernährung arbeiten . Mein Ziel ist, dass wir bundesweit verpflichtende Qualitätsstandards für das Essen in Kita und Schule anpeilen . Ich habe die Möglichkeit, ein neues Forschungsinstitut für Kinderernährung mit Unterstützung des Deutschen Bundestages und den Planstellen beim Max-Rubner-Institut einzurichten . Die Arbeiten des Instituts sollen unter anderem ernährungsphysiologisch fundierte Empfehlungen für die Ernährung von Kindern und Jugendlichen liefern . Ich bedanke mich für die Möglichkeit, diese Maßnahmen zu ergreifen . Aber ich sage auch: Das ist nur ein erster Schritt . Wir brauchen ein Schulfach Ernährungsbildung . Wir müssen die Ernährungsbildung dauerhaft und strukturiert in den Lehrplänen verankern . Ich bin mit der Kultusministerkonferenz über die Einführung eines Schulfachs Ernährungsbildung in einem guten Dialog . Ich denke, dass wir auch unsererseits mit der großen Studie über die Ernährungsbildung in der Lehrerausbildung, die ich in Auftrag gegeben habe, den Ländern eine hilfreiche Unterstützung bei der Vernetzung geben können . Ein erster Ansatzpunkt für Verbesserungen ist das EU-Schulprogramm . Das EU-Schulobst- und -gemüseprogramm wurde mit dem EU-Schulmilchprogramm zusammengeführt, um Kinder für das Thema Ernährung zu sensibilisieren . Der Ernährungsführerschein in der dritten Klasse - bei der Gelegenheit danke ich vor allem den Landfrauen für ihre Unterstützung als ehrenamtliche Lehrkräfte - bringt den Ansatz dorthin, wo er nötig ist . ({6}) Wir hatten uns weitere Themen vorgenommen . Es geht um die Bekämpfung von Transfetten, in Rezepturen ist zu viel Salz oder Zucker . Hier brauche ich die Unterstützungsbereitschaft der Nahrungsmittelwirtschaft . Ich will durch nachverfolgbare und transparente Verhaltensweisen ohne Regelungen auskommen, die immer schwer umzusetzen sind, weil ich nicht jedes Kochrezept als Gesetz beschließen lassen kann . Aber ein klarer Hinweis: Falls die Wirtschaft diesen Weg nicht konsequent mitgehen sollte, dann werden gesetzliche Regelungen das Mittel der Zielerreichung sein müssen . Das gilt auch für eine Reihe weiterer Punkte . Nicht an den Erklärungen, sondern an der Umsetzung derselben müssen wir alle in der Wertschöpfungskette messen . Wir werden das auch tun . Wir werden die Umsetzung der entsprechenden Regelungen einfordern . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben Fragen, die von der Wertschätzung von Lebensmitteln, Stichwort „Vermeidung von Lebensmittelabfällen“, bis hin zur Neudefinition des Mindesthaltbarkeitsdatums reichen, das sich zum Teil vom Mindesthaltbarkeitsdatum als Ernährungsinformation zu einem Umschlagdatum am Ladenregal - dafür war es nicht gedacht, und dafür soll es auch nicht herhalten - verändert hat . Das sind Fragen, die wir im Rahmen der G-20-Präsidentschaft mit dem Thema Ernährungssicherung in einen größeren Rahmen stellen . Ich freue mich, dass der Bundesernährungsminister mit seinen Ministerkollegen der erste ist, der bereits im Januar die G-20-Konferenzreihe eröffnet. Wir werden das zum Anlass nehmen, gerade zur Frage von guter und gesunder Ernährung und den Grundlagen derselben

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister .

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

- mit einer nachhaltigen Wirtschaft zu arbeiten . Herr Präsident, dieser Satz beendet meine Ausführungen . Ich möchte aber nicht enden ohne meinen Wunsch nach einer ruhigen Weihnachtszeit für alle und einem guten Gänsebraten im Ofenrohr . ({0}) Schon Paracelsus lehrte uns, Herr Präsident, dass nicht in der Qualität allein, sondern auch in der Quantität des Konsums der entscheidende Schlüssel für eine gesunde Lebensweise liegt . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir nehmen die guten Wünsche mit Dank und Respekt entgegen und stellen mit Erleichterung fest, dass auch die Vorgabe des Weihnachtsmenüs keine gesetzliche Vorgabe ist . ({0}) Nun hat die Kollegin Karin Binder für die Fraktion Die Linke das Wort . ({1})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Ihr Ernährungsbericht ist keine leichte Kost . Es stecken nach wie vor zu viele Dickmacher und zu viele Schadstoffbelastungen in den Lebensmitteln. Das zeigt uns, dass noch viel zu tun ist . ({0}) Nach wie vor setzen Sie auf Freiwilligkeit und auf guten Willen und schieben die Verantwortung auf die Länder und die Kommunen ab, statt Verantwortung zu übernehmen und klare und verbindliche Regelungen zu treffen. Das Thema „krebserregende Mineralölrückstände“ beschäftigt uns seit Jahren. Alle Kolleginnen und Kollegen in unserem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft wissen um die Problematik, aber es wird nichts Effektives dagegen getan. Es gibt nur eins: die Belastungen dadurch zu senken, dass wir diese Rückstände verbieten . Es muss verboten werden, dass in Lebensmittelverpackungen recyceltes Papier verwendet wird, das mit genau diesen Mineralölrückständen belastet ist . Das bedeutet: Letztendlich müssen wir diese mineralölhaltigen Farben verbieten; denn sonst werden wir sie immer wieder in Lebensmitteln finden, und das darf nicht sein. Diese Stoffe sind krebserregend. ({1}) Das Gleiche betrifft auch Kinderspielzeug. Das hat zwar nichts mit Lebensmitteln zu tun, aber auch hier bestehen Belastungen, weil Kinder Spielzeuge in den Mund nehmen . Deshalb ist dieser Bereich auch im gesundheitlichen Verbraucherschutz in Ihrem Ministerium angesiedelt . Zwar gibt es eine deutsch-chinesische Expertenkommission, die beim Wirtschaftsministerium angesiedelt ist und die sich um das Problem von belasteten Spielzeugen kümmern soll, aber seit Jahren passiert nichts . Nach wie vor erfahren wir immer wieder, dass auf europäischer Ebene im Meldesystem RAPEX Spielzeuge an oberster Stelle stehen, wenn es um gefährliche Gegenstände geht . Das kann doch nicht wahr sein . Hier muss etwas passieren, Herr Minister . Schalten Sie sich ein in diese Kommission - im Sinne der Kinder, im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher . ({2}) Lebensmittelskandale gibt es nach wie vor . Sie erinnern sich vielleicht an die mit Salmonellen verseuchten Eier der Firma Bayern-Ei im vergangenen Jahr, an Listerien in der Wurst mit tödlichem Ausgang für manche der Betroffenen und viele Erkrankungen. Es sind allein in den vergangenen fünf Jahren 16 000 Menschen in Deutschland aufgrund solcher belasteten Lebensmittel erkrankt . 75 Menschen sind gestorben . Das ist ein Skandal . Das muss doch ein Zeichen sein, dass hier viel mehr getan werden muss . Letztendlich muss man sagen: Das Ganze steht und fällt mit den amtlichen Lebensmittelkontrollen, und wir wissen alle, dass diese Kontrolleure bezüglich der Arbeitsbelastung am Anschlag sind . Sie sind einer großen Belastung ausgesetzt, weil es viel zu wenige Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit anpacken . Wir brauchen also eine bessere Ausstattung bei den Lebensmittelkontrolleuren . Wir brauchen auch eine bessere materielle und technische Ausstattung, die heute notwendig ist, um all diesen Schadstoffen, um all diesen Krankheitserregern auf die Spur zu kommen . ({3}) Gesunde Ernährung steht und fällt eben leider nicht nur mit der Kennzeichnung, obwohl ich sage, dass Kennzeichnung ganz wichtig ist; denn sie ermöglicht überhaupt erst die Entscheidung von Verbraucherinnen und Verbrauchern . Herr Minister, warum wehren Sie sich nach wie vor gegen die Ampelkennzeichnung? ({4}) Sie sagen, alles sei verständlich, alles sei wunderbar . Aber Informationen in einer Schriftgröße von nur 0,2 Millimetern - ich sage es mal so - können viele Menschen nicht lesen, zumindest nicht in der Eile eines Einkaufs . Deshalb wäre die farbliche Unterlegung mit Grün, Gelb und Rot, um erkennbar zu machen, wo Dickmacher drin sind, die wir alle eigentlich nur in Maßen zu uns nehmen sollten, die einfachste Lösung . Warum wehren Sie sich nach wie vor dagegen? Dass wir jetzt mittlerweile Lebensmittel als vegan und vegetarisch kennzeichnen, halte ich für sehr wichtig . Ich halte es im Sinne einer ausgewogenen Ernährung auch durchaus für sinnvoll, dass Regelungen im Zusammenhang mit Gemeinschaftsverpflegungen, mit Kinder- und Schulverpflegung getroffen werden. Es besteht ganz klar das Bedürfnis, zum Beispiel im Sinne des Tierwohls oder im Sinne der eigenen Weltanschauung, entscheiden zu können, dass man keine tierischen Produkte zu sich nimmt oder eben nur in einem Maß, das vertretbar ist . Deshalb haben auch wir in diesem Zusammenhang Forderungen an die Bundesregierung . Sie haben einen entsprechenden Antrag eingebracht . Er ist durchaus bedenkenswert . Aber ich frage mich, warum Sie zum Schluss fordern, sich dafür einzusetzen, dass Lebensmittelhersteller, die von der in den Leitsätzen der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission beschriebenen Qualität abweichen, diese Abweichungen auf ihBundesminister Christian Schmidt ren Produkten deutlich machen müssen . Entweder es ist vegetarisch, oder es ist vegan, oder es ist es eben nicht . ({5}) Warum machen Sie gleich wieder ein Hintertürchen auf? Das ist doch Unsinn . Um Himmels willen, streichen Sie diesen Punkt aus Ihrem Antrag . Dann könnten wir ihm zustimmen . So leider nicht . Sie reden über ein Bundeszentrum für Ernährung, über Infoportale und didaktische Materialien - alles wunderbar . Aber ich sage es einmal so: Theorie ist das eine, also Theorie im Nationalen Qualitätszentrum für gesunde Ernährung in Kita und Schule, Theorie bei einem Institut für Kinderernährung . Das alles brauchen wir . Aber wir brauchen auch die Praxis, Herr Minister . Die Praxis bedeutet Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder in Deutschland, und zwar kostenfrei, weil die Qualität sonst nicht gewährleistet werden kann . ({6}) Wir brauchen diese Praxis im Sinne von Fürsorge und Vorsorge des Staates . Deshalb sehe ich hier den Bund in der Pflicht und nicht die Länder und die Kommunen. Der Bund hat etwas davon, wenn unsere Kinder mit einem Ernährungsbewusstsein aufwachsen, das ihnen später als Erwachsene eine gesunde Ernährung ermöglicht . Das wäre notwendig . Deshalb, Herr Minister, sollten in Ihrem nächsten Haushalt die notwendigen Mittel hierfür eingestellt werden . ({7}) Jetzt komme ich zum Schluss zu unserem eigenen Antrag, den wir im Zusammenhang mit dem Thema Lebensmittelkontrollen einbringen . Uns geht es um den sogenannten Hygiene-Smiley . Ich denke, das ist eine ganz einfache Darstellung, die zeigt, ob ein Betrieb sauber ist, ob er in Ordnung ist . Er hilft vielen Menschen bei der Entscheidung, ob man dort hineingeht bzw . dort einkauft . Was haben Sie für ein Problem damit, der Öffentlichkeit mit diesem Signal zu sagen, dass es sich um einen guten Betrieb handelt? Sie wollen doch die guten Betriebe unterstützen . Ein lachender Smiley oder meinetwegen auch eine Kennzeichnung in anderer Form, durch die Menschen entscheiden können, ob sie in einen Laden gehen, wäre eine wunderbare Sache . Das funktioniert hervorragend in Dänemark . Dadurch werden die Verstöße gegen die Hygiene eingedämmt . Dänemark hat damit hervorragende Erfolge; aber Sie weigern sich, eine verbindliche und auch juristisch haltbare Lösung ins Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch hineinzuschreiben . Damit schaffen Sie automatisch Rechtsunsicherheit. Wir haben gerade erst die letzte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur Kenntnis genommen, das tatsächlich sagt: So geht es nicht, wir brauchen hier Rechtssicherheit . - Herr Minister, sorgen Sie dafür . Ändern Sie endlich § 40 im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, sodass die Länderbehörden auch einen gewissen Schutz davor haben, später von den Betrieben verklagt zu werden . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin DrobinskiWeiß das Wort . ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmidt! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Schön, dass wir heute Ihren Ernährungspolitischen Bericht endlich auf der Tagesordnung haben, Herr Minister Schmidt . Er passt ja auch hervorragend in die Vorweihnachtszeit . Im Dezember wird ja, zumindest gefühlt, doppelt so viel gegessen wie sonst . ({0}) Voll sind aber nicht nur die Keksdosen oder die Schokoschubladen, voll ist auch die ernährungspolitische Agenda . Über zu wenige Baustellen können wir uns jedenfalls nicht beklagen . Sie führen sie ja alle in Ihrem Bericht auf und haben vorhin auch einige genannt, zum Beispiel die Lebensmittelverschwendung, die bis 2030 halbiert werden soll . Sie haben eine umfassende Strategie angekündigt, und wir sind wirklich sehr gespannt, was Sie vorlegen werden . ({1}) Vorlegen werden Sie diese doch hoffentlich Anfang des nächsten Jahres; denn ansonsten wird es wohl ein bisschen knapp, sie umzusetzen . Ein weiteres Beispiel ist das Thema „gesunde Ernährung“. Wie die konkreten nächsten Schritte unserer nationalen Reduktionsstrategie - Sie wissen ja, wir wollen den Anteil von Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln reduzieren - aussehen sollen, sollte eigentlich auch bis Ende 2016 bekannt sein . Das wird wahrscheinlich nichts mehr, oder? Gut, Weihnachtsstress kennen wir alle . Aber Sie können das nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinausschieben, Herr Minister . Und Anfang des nächsten Jahres muss die Strategie, damit sie überhaupt in Gang kommt, stehen . Gute Ernährungs- und Verbraucherpolitik sorgt dafür, dass alle informierte Kaufentscheidungen treffen können . Unabdingbar dafür ist eine klare Kennzeichnung . ({2}) Ausnahmsweise geht es dabei einmal nicht um die Ampel, sondern um die Kennzeichnung vegetarischer und veganer Produkte; dazu liegt uns auch ein Antrag vor . Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner bringen wir heute einen Antrag ein . Wir wollen eine EU-weite verbindliche Definition für die Begriffe „vegan“ und „vegetarisch“. - Herr Minister, ich weiß, da sind Sie auf unserer Seite, und deshalb bitte ich Sie, dass Sie sich in Brüssel weiter dafür starkmachen . All die Menschen, die zu veganen oder vegetarischen Produkten greifen - ihre Zahl ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen -, brauchen eine verlässliche Kennzeichnung . ({3}) Egal, ob Gummibärchen, Gemüsebällchen, Kartoffelchips oder sogar Sojaschnitzel - wenn das Produkt als vegetarisch oder vegan deklariert ist, müssen Verbraucherinnen und Verbraucher sicher sein können, dass auch in Zusatzstoffen, in Aromen oder in Hilfsstoffen kein Tier steckt . Noch ein Wort zum Sojaschnitzel . Es gibt aus den Reihen des Fleischerhandwerks Widerstände gegen solche Bezeichnungen. Offenbar wird befürchtet, dass die Fleischesser das Sojaschnitzel für ein echtes Schnitzel halten könnten . Ich persönlich halte das für ziemlich abwegig . Es gibt auch überhaupt keine Hinweise aus der Verbraucherforschung, dass es in den Supermärkten jetzt zu massenhafter Verwirrung oder Täuschung von Schnitzelkäufern kommt . ({4}) Im Gegenteil: Die Bezeichnung „Sojaschnitzel“ oder „Tofuwürstchen“ kann ein hilfreicher Hinweis sein, wie das Produkt schmeckt oder wie es zuzubereiten ist . Selbstverständlich muss eindeutig und unmissverständlich auf der Frontseite der Verpackung klar werden, dass es sich um ein veganes oder vegetarisches, also fleischloses Produkt handelt . Unabhängig von der EU-Kennzeichnung muss hier kurzfristig für Klarheit gesorgt werden, und das kann sehr wohl die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission, die dies in einem entsprechenden Leitsatz erarbeiten muss . Relevant dafür sollte nicht sein, was die Fleischer wollen oder fürchten, sondern, was für die Verbraucherinnen und Verbraucher am besten ist, was für sie verständlich ist und was ihren Erwartungen entspricht . ({5}) Das Verbraucherportal „Lebensmittelklarheit“ - es wurde schon mehrfach angesprochen - und die begleitende Verbraucherforschung sollten beobachten, wie Konsumenten Produktkennzeichnungen verstehen und wo es tatsächlich zu Verwirrung kommt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Ernährungspolitik sorgt für klare Verbraucherinformation und für sichere Lebensmittel und schafft gleichzeitig ein Ernährungsumfeld, das die gesunde, nachhaltige Wahl erleichtert . Wir sind auf dem Weg dahin, haben aber noch viel zu tun . Lassen Sie uns alle zusammen im nächsten Jahr mit aller Kraft daran arbeiten! Herzlichen Dank . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nicole Maisch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, mit diesen etwa 50 Seiten Ihres Ernährungspolitischen Berichts ist es ein bisschen wie mit dem Scheinriesen Herrn Tur Tur in dem Kinderbuch Jim Knopf von Michael Ende: Je näher man kommt, desto kleiner und mickriger wird das, was man zu sehen bekommt . ({0}) Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus diesem Bericht nennen . Sie loben sich, dass Ihr Haus im Berichtszeitraum den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches erarbeitet hätte . Das ist sicher richtig . Aber wir fragen uns - wir haben uns auch auf die Suche gemacht -: Wo ist denn dieser Gesetzentwurf? Das letzte Mal davon gehört haben wir im Herbst 2015 . ({1}) Damals stand er mehrmals auf der Tagesordnung des Kabinetts, und mehrmals wurde er auch heruntergenommen . Man hörte, es gebe Probleme mit dem Justizminister und mit der Unionsfraktion . Dann hörte man nichts mehr . ({2}) Also habe ich Staatssekretär Bleser gefragt; aber auch er wusste nicht, wo dieser Gesetzentwurf ist . Jetzt frage ich Sie - denn die Bundesländer warten seit Jahren auf eine sichere Rechtsgrundlage, die es ihren Behörden ermöglicht, erhebliche Hygienemängel öffentlich zu machen und den Verbrauchern Wahlfreiheit zu geben -: Wann kommen Sie endlich in die Puschen und reformieren das LFGB, so wie es in diesem Bericht ja auch versprochen ist? ({3}) Schauen wir uns den Scheinriesen weiter an, und zwar beim Thema Energydrinks . Auch dies ist ein relevantes Kapitel in Ihrem Bericht . Sie haben sich ja schon davon verabschiedet, das gefährliche Zeug für Kinder zu verbieten, sondern setzen allein auf die Aufklärung . Sie loben sich, Sie hätten eine Aufklärungskampagne initiiert - Energydrinks bilden dabei einen Schwerpunkt -, und über einen Koffeinrechner, der über die Website www .check-deine-dosis .de zugänglich ist, könne man sich anzeigen lassen, ob man zu viel Kaffee oder zu viele Energydrinks trinkt . Eigentlich super! Ist aber nicht so . Diese Website, über die Sie hier so ausufernd schreiben und für die Sie sich so sehr loben, ist seit Anfang August dieses Jahres offline. ({4}) Warum? Weil Sie nicht in der Lage waren, einen Koffeinrechner zu programmieren, der die richtige Anzahl der Tassen Kaffee oder der Liter Energydrinks ausspuckt. ({5}) http://www.check-deine-dosis.de Das heißt, Sie haben quasi Gesundheitsgefährdung betrieben und das nicht einmal selbst bemerkt . Vielmehr musste die Bild-Zeitung Sie darauf hinweisen . ({6}) Seither, also seit August dieses Jahres, ist auf www . check-deine-dosis .de zu lesen, die Website werde aktualisiert . Ich frage Sie: Wie lange kann es, wenn man dafür 55 000 Euro ausgegeben hat, dauern, so eine Website zu aktualisieren und einen simplen Koffein-Kaffeetassen-Rechner ans Laufen zu bringen? ({7}) Mit Steuergeldern sind Sie ja sowieso sehr großzügig . Das ist auch dem Bundesrechnungshof aufgefallen . Er hat Ihre „Zu gut für die Tonne“-Kampagne ziemlich in die Tonne getreten . Er hat nämlich gesagt, sie sei unzureichend vorbereitet, habe keine belastbare Datengrundlage und der Erfolg sei nicht nachweisbar . Weil das ein Thema ist, das Sie immer und immer wieder durch die Presse tragen und im Mund führen, frage ich Sie: Wie kann es dann zu einer so vernichtenden Bilanz kommen? ({8}) Meine Damen und Herren, dieser Bericht zeigt vor allem eines: Ein Dreivierteljahr vor der Bundestagswahl ist Ihr Acker mehr als schlecht bestellt . Wenn das Ihre Bilanz sein soll, dann ist sie mehr als enttäuschend . Aber kurz vor Weihnachten soll man ja auch etwas Persönliches sagen; es ist ja die Zeit des Friedens . ({9}) - Und etwas Nettes. - Ich finde es gut, dass Sie jetzt auch etwas im Hinblick auf die Transparenz bei vegetarischen und veganen Produkten machen wollen . ({10}) Ich würde spontan zwar nicht darauf wetten, dass der Minister dieses Vorhaben auch umsetzt ({11}) - Sie haben ja schon ganz viele gute Sachen beschlossen, zum Beispiel zum Thema Lebensmittelverschwendung -, aber der Wille ist da, und grundsätzlich geht es in die richtige Richtung . Wir haben einen Antrag vorgelegt, der noch konsequenter ist. Wir sagen: Nicht nur die Inhaltsstoffe, sondern auch die Stoffe, die bei der Verarbeitung eines Lebensmittels eingesetzt werden, müssen gekennzeichnet werden . Zum Beispiel Apfelsaft, der mit Schweinegelatine geklärt wurde, will der Veganer auch nicht trinken . Und wir finden: Auch das muss auf dem Produkt gekennzeichnet werden . ({12}) Dann möchte ich noch eines zur Sojaschnitzeldebatte sagen . Wir hatten im Ausschuss oft den Streit: Ist der Kunde getäuscht? Denkt er: „Wenn man ein veganes Sojaschnitzel kauft, dann muss auch ein echtes totes Tier drin sein“? Ich glaube, das ist nicht so. Wer ein veganes Sojaschnitzel kauft, der erwartet kein Schwein und kein Rind und auch nichts anderes. Er weiß: Das sind pflanzliche Bestandteile . Vielleicht könnte sich die Union kurz vor Weihnachten, so im Rückblick auf ihre lange Geschichte, einmal dies angucken: Beim Thema Veggiewurst waren Sie vor 100 Jahren schon einmal weiter . Ich habe nachgeguckt: Konrad Adenauer hielt schon vor 100 Jahren Patente auf eine fleischfreie Wurst auf Sojabasis. Damit hatten sich die konservativen Kräfte in diesem Land abgefunden . Ich glaube, dass Sie mit der vegetarischen Wurst und mit den Sojaschnitzeln gut leben könnten, und in diesem Sinne finde ich: Bis zur Wahl muss noch ein bisschen was passieren, sonst bleibt unsere Kritik an Ihnen bestehen . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Katharina Landgraf das Wort . ({0})

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute in verbundener Debatte über so viele Themen, dass es mir unmöglich ist, auf alles einzugehen . Daher nehme ich mir die Freiheit und spreche heute, am Ende dieses Jahres - wir sind ja in der Adventszeit -, über das, was mir am Herzen liegt: gesunde und ausgewogene Ernährung - von der Schwangerschaft über die Kindheit bis ins hohe Alter . Dieses Ziel erreicht man nicht mit Verboten, Maßregeln und Einschränkungen, sondern vor allen Dingen mit Freude am Kochen, beim gemeinsamen Essen und beim Genießen, vor allem in der Weihnachtszeit . Natürlich benötigt man auch in einem gewissen Maße Fachwissen darüber, welche Lebensmittel wie zubereitet werden und wo offensichtlich und versteckt Fett-, Salzund Zuckerfallen lauern . Aber viel wichtiger ist es, die eigene Ernährung ganz praktisch zu sehen und einfach loszulegen . Dabei können schon die kleinsten Familienmitglieder einbezogen werden und - je nach Alter - Gemüse schneiden oder auch nur die Nudeln in den Topf werfen . Der Stolz über die selbst zubereitete Mahlzeit lässt diese dann gleich noch einmal so gut schmecken . Gleichzeitig ist das gemeinsame Essen mit der Familie ein wichtiger Ruhepunkt in unserer hektischen Zeit ({0}) http://www.check-deine-dosis.de http://www.check-deine-dosis.de und fördert die Kommunikation ungemein, wenn man zudem die Smartphones vom Esstisch verbannt . ({1}) Das Entscheidende bei allen guten Ratschlägen und Empfehlungen ist und bleibt aber die Motivation des Einzelnen . Jeder sollte frei entscheiden, für sich, für seinen Körper das Beste zu tun - und nicht nur für seinen Körper; denn - wie heißt es so schön? -: Nur in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist . Da schlägt man sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe . Man muss sich dessen nur bewusst sein und dazu noch das nötige Wissen besitzen . Sollte es an letzterem fehlen, habe ich eine gute Nachricht für alle, die motiviert sind, dies zu ändern . Ich arbeite seit einiger Zeit an einem neuen Projekt, und langsam ist es so weit vorangeschritten, dass ich es Ihnen vorstellen möchte: das Deutsche Kochabzeichen . Mit dem Slogan „Damit es mir gut geht“ werden alle Generationen angesprochen, und dieser einfache Wunsch drückt treffend das Interesse und die Motivation des Einzelnen aus am Erwerb des Kochabzeichens und an der Erreichung des Ziels einer gesunden Ernährung und bewussten Lebensführung . Angelehnt an das Deutsche Sportabzeichen sollte es beim Erwerb des Kochabzeichens um unterschiedliche Disziplinen gehen . Es sollte einen theoretischen und einen praktischen Teil geben . Der Theorieteil sollte sich auf die Bereiche Ursprung und Herstellung konzentrieren und der Praxisteil auf die Bereiche Zubereitung, Genuss und Verbrauch . Als Praxispartner sind die Volkshochschulen, Verbraucherzentralen und Sportvereine im Gespräch, natürlich auch die Landfrauen . Auch unser Bundesministerium ist schon informiert . Und das dann später zuständige Bundeszentrum für Ernährung wird hoffentlich einer finanziellen Förderung im Rahmen von IN FORM zustimmen . Jetzt ist bekanntlich die Zeit, in der man Wünsche äußern darf . Da wir schon bei Wünschen sind, erlaube ich mir, einen weiteren Wunsch zu äußern, nämlich den nach einer besseren und nachhaltigeren Zusammenarbeit mit den Gesundheitspolitikern . Der Zusammenhang zwischen falscher Ernährung und der Entstehung ernährungsbedingter Krankheiten ist unbestritten . Ebenso unbestritten sind die dadurch entstehenden enormen Kosten für unser Gesundheitssystem, also für die Allgemeinheit . Daher ist gesunde Ernährung die beste Prävention . In diesem Zusammenhang ist auch das Problemfeld der Mangelernährung in unserer Wohlstandsgesellschaft zu sehen . Ja, sie tritt gehäuft bei älteren Menschen auf, zum Beispiel durch falsches Essen oder zu wenig Essen . Die Senioren werden dann schwächer, und die Muskelmasse wird abgebaut . Das wiederum führt schneller zu Stürzen und Knochenbrüchen . Die Folgen sind gehäufte und längere Krankenhausaufenthalte, im schlimmsten Fall sogar Pflegebedürftigkeit. Ich war kürzlich bei einer Veranstaltung zu diesem Thema und sehe dringenden Handlungsbedarf . Die Folgen der Mangelernährung sind leider noch zu wenig bekannt, aber sie sind gravierend, ganz zu schweigen von den Kosten . Gesunde und ausgewogene Ernährung trägt also dazu bei, dass sich jeder länger selbstständig versorgen kann und im besten Falle nicht auf außerhäusliche Pflege angewiesen ist. Damit steigt auch die Lebenserwartung . Aber nötig sind die Aufklärung der Patienten und die Fortbildung der Hausärzte, damit die Mangelernährung frühzeitig erkannt werden kann . Doch nicht nur den Älteren, sondern auch den ganz Jungen bzw . noch Ungeborenen gehört unsere besondere Aufmerksamkeit . Die richtige Ernährung schon in der Schwangerschaft bzw . in den ersten 1 000 Tagen nach der Geburt des Kindes ist von großer Bedeutung für die gesunde Entwicklung des Babys bzw . des Kleinkindes . Das bundesweite Netzwerk „Gesund ins Leben Netzwerk Junge Familie“ kümmert sich um diesen wichtigen Lebensabschnitt . Es bezieht dabei Hebammen, Frauen-, Kinder- und Jugendärzte mit ein . So werden Kompetenzen ergänzt und Synergien geschaffen. Es entwickelt einheitliche Handlungsempfehlungen in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Allergieprävention rund um die Zeit von Geburt und früher Kindheit . So eine enge Zusammenarbeit und gemeinsame Festlegung sind national und international einmalig und verdienen unsere volle Anerkennung . Aus den Handlungsempfehlungen und aus einem Modellprojekt entwickelte sich das „Bündnis Frühkindliche Prävention“. Hier ist das Ziel, Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr des Kindes um honorierte präventive Beratungsleistungen Beamtendeutsch - zu erweitern und sich um Ernährung und Bewegung zu kümmern . Dazu benötigen wir wieder die Kooperation mit den Gesundheitspolitikern. Ich finde, wir sollten das Netzwerk „Gesund ins Leben“ für eine weitere Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsbereich zum Vorbild nehmen . Damit könnten wir im neuen Jahr starten . Zum Abschluss noch eine frohe Botschaft . ({2}) Wenn man alle Anträge der Debatte betrachtet, erkennt man: Es verbindet sie - ungeachtet aller Unterschiede ein gemeinsames Ziel: Wir alle wollen, dass die Menschen in der Lage sind, sich mit sicheren und gut gekennzeichneten Produkten gesund zu ernähren, wenn sie es denn wollen . Damit es uns in den nächsten Monaten gelingt, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und uns seltener auf der Suche nach dem richtigen Weg zu verirren, finde ich, sollten wir uns heute, gerade in adventlicher Stimmung, vornehmen, gemeinsam voranzugehen . In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest . Genießen Sie - in Maßen - den Festschmaus, die Plätzchen und die anderen Leckereien . Keine Sorge: Das viele Essen legt sich nicht gleich auf die Hüften; denn man nimmt bekanntlich nicht zwischen Weihnachten und Neujahr zu, sondern zwischen Neujahr und Weihnachten . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Letztere werde ich durch den Wissenschaftlichen Dienst prüfen lassen, bevor sich daran voreilige Schlussfolgerungen anknüpfen . ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . ({1})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich ja: Warum setzen die Koalition und Minister Schmidt kurz vor Weihnachten einen Bericht auf die Tagesordnung, der schon im Sommer veröffentlicht worden ist und über ein Jahr alt ist? Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass er nicht viel mehr als eine Werbebroschüre ist . Da steht zum Beispiel drin, wofür das Ministerium zuständig ist . Mein Eindruck ist, Minister Schmidt muss sich hier selber noch einmal beweisen, dass er existiert und Landwirtschaftsminister ist . Denn draußen hat das in den letzten vier Jahren wohl niemand gemerkt . ({0}) Das, was wir immer wieder an Ankündigungen hören - auch eben haben wir wieder gehört, was alles gemacht werden soll -, findet in der Realität nicht statt. Da ist der Bericht entwaffnend ehrlich, Herr Minister Schmidt . Denn darin schreiben Sie unter der Überschrift „Was bleibt zu tun?“ den denkwürdigen Satz - ich zitiere -: „Aufgabe der Politik ist es nunmehr, ... zu prüfen, wo weitere Feinjustierungen erforderlich werden.“ Um Feinjustierungen geht es aber nicht . Wir haben in der Agrar- und Ernährungspolitik eine Riesenbaustelle, um die Sie sich nicht kümmern . Das ist das Problem, Herr Minister Schmidt . ({1}) Sie blenden so ziemlich jeden gesellschaftlichen Konflikt in der Ernährungspolitik aus. Außer Ankündigungen ist in dieser Wahlperiode nichts gewesen . ({2}) Nur einige Beispiele . Zu dem Lebensmittel Nummer eins, dem Trinkwasser, findet sich kein Wort in dem Bericht . Sie schreiben auch nichts zur Überdüngung und zur Nitratbelastung . Dabei wären es gerade das Ministerium, der Minister und diese Bundesregierung, die etwas tun müssten . Aber sie tun nichts, und das ist das Problem . ({3}) Beim Thema Gentechnik sieht es genauso aus . Die Verbraucher wollen keine Gentechnik auf dem Teller . Das ist eindeutig. In Ihrem Bericht findet sich nichts dazu . Sie hätten es in der Hand, dafür zu sorgen, dass es in Deutschland zu einem einheitlichen Anbauverbot kommt . Stattdessen bekommen wir einen Flickenteppich und eine Zwangsbeglückung mit Gentechnik . Das ist Ihre Politik . ({4}) Das nächste Thema finde ich persönlich am problematischsten: Niemand von uns - kein Verbraucher und niemand, der isst - möchte Gifte in seinen Nahrungsmitteln . Sie hätten es in der Hand, Glyphosat aus der Welt zu schaffen und sich um eine pestizidfreie Landwirtschaft zu bemühen. Das findet sich nicht in Ihrem Bericht; das findet sich nicht in Ihrer Politik. Genau das ist das Problem, meine Damen und Herren . ({5}) Statt den Ökolandbau zu fördern, fördern Sie weiter Megaställe und entsprechen nicht den Ernährungswünschen, die die Menschen haben . Das wäre der richtige Ansatz . ({6}) - Wenn Sie sich so schön aufregen, dann scheint es offensichtlich zu treffen, Herr Schmidt. Das ist sehr, sehr schön . ({7}) Kollegin Maisch hat es eben gesagt: Wir haben schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass in dieser Wahlperiode noch irgendetwas aus Ihrem Haus kommt . - Ich glaube auch nicht mehr, dass noch irgendeine inhaltlich relevante Änderung, ein Kurswechsel oder eine Agrarwende, die aus vielen, vielen Gründen dringend erforderlich wäre, kommt . ({8}) Aber eines passiert jetzt plötzlich doch . Jetzt haben wir es mit der Aktion „Aussaat 2017“ - das heißt wirklich so, meine Damen und Herren - zu tun . ({9}) Da macht der Minister plötzlich eine ganz neue Abteilung, und es werden Stabsstellen geschaffen. Es hätte mich schon interessiert, was das für eine Bedeutung hat, Herr Minister. Ist das die vorgezogene Aktion „Abendsonne 2017“, mit der Sie schon Strukturen für die Zeit nach Ihrem Abgang schaffen wollen? Dazu äußern Sie sich nicht . ({10}) Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine wirkliche Agrarwende, bei der die Verbraucher, gesunde Ernährung und eine nachhaltige Landwirtschaft im Mittelpunkt stehen . Das ist bei dieser Bundesregierung überhaupt nicht zu erkennen . Die vier Jahre Schmidt, die es am Ende sein werden, sind nicht nur verlorene Jahre, sondern es sind Jahre, in denen es in die völlig falsche Richtung gegangen ist . ({11}) Das muss sich bei der nächsten Bundestagswahl ändern, meine Damen und Herren . Danke schön . ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Ursula Schulte für die SPD-Fraktion . ({0})

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun debattieren wir doch noch den Ernährungspolitischen Bericht 2016 . Viele neue Erkenntnisse weist dieser Bericht leider nicht auf . Aber er gibt uns allen noch einmal die Gelegenheit - die wir auch redlich nutzen -, einige grundsätzliche Bemerkungen zu Ernährung und Verbraucherpolitik zu machen . Ich will das als Berichterstatterin für meinen Themenbereich auch sehr gerne tun . Ich pflichte Ihnen bei, Herr Minister. - Leider ist er nicht mehr da . Aber der Staatssekretär wird es ihm sicherlich mitteilen . ({0}) - Doch, er ist wieder da . Aber er quatscht . Herr Minister, vielleicht hören Sie jetzt zu, wenn ich Ihnen beipflichte. Ich stimme Ihnen zu, dass es unser Ziel sein muss, die Verbraucher- und Ernährungspolitik der Zukunft an einem gesundheitsfördernden Lebensstil zu orientieren . Wenn das unser Ansatz ist, verstehe ich allerdings nicht, warum das nicht auch für den Konsum von Energydrinks gelten soll . ({1}) Bei den Bewertungen bezieht sich Ihr Haus immer wieder auf die uns allen bekannte EFSA-Studie aus dem Jahr 2015 . Sie sagen, hier seien alle Fakten klar benannt . Dem ist aber leider nicht so . Um die Aktualität und die Aussagefähigkeit der Daten zu hinterfragen, habe ich Gespräche mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie geführt . Wir benötigen mehr Daten für die Altersgruppe der 12- bis 20-Jährigen, die durch einen hohen, dauerhaften Konsum von Energydrinks auffallen . Das ist das Resümee der Gespräche . Das teile ich uneingeschränkt; denn es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass es in dieser Altersgruppe gehäuft Herzmuskelwandverdickungen geben soll . Hier brauchen wir endlich valide Zahlen . Meine Partei sagt ganz klar: Gesundheitsschutz sollte immer vor Unternehmensinteressen gehen . ({2}) Zur Erinnerung: Die letzte aktuelle Studie des BfR liegt schon sieben Jahre zurück . Deshalb hat meine Fraktion vor den Haushaltsplanberatungen einen eigenen Etatansatz zur Verstetigung der Forschung in diesem Bereich gefordert . Alle, die sich gerne beruhigt zurücklehnen, verweisen auf den Verhaltenskodex der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e . V . Danach wollen die betreffenden Unternehmen in Schulen keine direkte Marketingkommunikation sowie keinen direkten Verkauf vornehmen . Mich beruhigt das keineswegs . Nach meiner Meinung haben Unternehmen in Schulen sowieso nichts verloren . Es ist an der Zeit, endlich gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, ({3}) nicht weil wir den Kindern und Jugendlichen den Spaß verderben wollen, sondern weil wir sie vor gesundheitlichen Schäden schützen wollen . Herr Minister, ich habe Sie gerade kritisiert . Jetzt muss ich Sie auch einmal loben . ({4}) Das tue ich nicht nur, weil Weihnachten vor der Tür steht, sondern weil Sie das Lob wirklich verdient haben . Sie haben sich mit Ihrem Ministerium bei der Novellierung der europäischen Spielzeugrichtlinie für ein hohes Schutzniveau beim Kinderspielzeug eingesetzt . Mit der Absenkung der Bleigrenzwerte wird dem nun Rechnung getragen . Darüber freue ich mich, und dafür danke ich Ihnen . ({5}) Gleichwohl ist das nur ein erster Schritt . Wir müssen noch mehr in diesem Bereich tun . Die Rückrufrate bei Produkten für Kinder beträgt noch immer 27 Prozent . Das ist viel zu viel . Das darf uns nicht ruhen lassen . Wie ich sehe, eilt mir die Zeit davon . Deswegen will ich zum Schluss kommen und noch ein besonderes Problemfeld ansprechen: Das sind die Kosmetika . Fanschminke, Klebetattoos und vieles mehr sind noch immer mit viel zu vielen Schadstoffen belastet. Auch davor müssen wir die Menschen schützen, insbesondere Kinder und Jugendliche, die so etwas gerne nutzen . Dazu gehört natürlich eine bessere Information über die Produkte . Sie, Herr Minister, haben im Juni 2016 eine Infokampa gne unter dem Titel „Tätowieren, aber sicher“ vorgestellt. Das ist der richtige Weg . Ich muss mich allerdings mit dem Bericht der Arbeitsgruppe, die sich damit befasst hat, noch auseinandersetzen . Diesen Bericht habe ich erst heute Morgen nach einigen Bemühungen bekommen . Was mir generell in der politischen Debatte - so auch heute Morgen - etwas zu kurz kommt, ist, dass Essen auch etwas mit Genuss zu tun hat . Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen allmählich regelrecht verunsichert sein . Ich kann Ihnen sagen, dass ich mit meiner Familie an Weihnachten das Münsterländer Hochzeitsessen genießen werde . Es enthält Fleisch und Zucker, aber es ist total lecker, und ich freue mich darauf . In diesem Sinne: Frohe Weihnachten! ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mit Ihrer Schlussbemerkung, Frau Kollegin, riskieren Sie, dass die Zahl der Teilnehmer in diesem Jahr deutlich größer werden könnte, als Sie das bislang eingeplant hatten . ({0}) Nun erteile ich dem Kollegen Alois Rainer das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Bericht der Bundesregierung zur Ernährungspolitik, aber auch über Anträge zu verlässlichen Rahmenbedingungen sowie zu veganen und vegetarischen Lebensmitteln . Wir alle wollen sichere und hochwertige Lebensmittel . Zu Recht können die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten, dass die Lebensmittel in Deutschland sicher und gesundheitlich unbedenklich sind . Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten und immer weiter zu verbessern, ist ein ständiger Prozess . Wenn wir das vergangene Jahrzehnt anschauen, dann stellen wir fest, dass die Regelungen und Kontrollen zur Lebensmittelsicherheit deutlich erweitert und verbessert wurden . Lieber Herr Kollege Krischer, ich verstehe nicht ganz, wenn Sie von einer Riesenbaustelle sprechen . Ich verstehe auch nicht ganz, wenn Sie erwähnen, dass im Ernährungsbericht nichts über Trinkwasser steht . Es steht selbstverständlich etwas darin, und zwar auf Seite 10 ganz unten, wenn Sie bitte nachschauen wollen . ({0}) Dort steht, dass 99 Prozent aller Proben die gesetzlichen Parameter zur Trinkwasserqualität einhalten und die meisten Proben sogar zu über 99,9 Prozent . Ich denke, man sollte die Kirche im Dorf lassen . ({1}) Ebenso sollten wir auch nicht unerwähnt lassen, dass die Lebensmittel in Deutschland und in den restlichen EU-Staaten so sicher sind wie noch nie, wobei ich auch hinzufüge: Man kann in Nuancen immer noch verbessern . In diesem Zusammenhang muss man auch erwähnen, dass die großen Herausforderungen darin bestehen, die Standards weiterhin auf diesem hohen Niveau zu halten . Unsere Verbraucher wollen diese hohen Standards, sie wollen hochwertige, nachhaltige, sichere, auch ökologisch und regional produzierte Lebensmittel . Dies genau zu gewährleisten, ist unter anderem unsere Aufgabe . Vor allem nach dem Grundsatz von Klarheit und Wahrheit ist es nur folgerichtig, dass man vegane und vegetarische Lebensmittel dementsprechend kennzeichnet . Diese Lebensmittel sind mittlerweile ein sehr attraktiver, für manche Unternehmen auch ein lukrativer Markt geworden . Deshalb wird gerade in diesem Marktsegment ordentlich investiert und die Produktpalette erweitert . Hierbei stoßen wir auf Grenzen, weil wir verschiedene Definitionen von den Begriffen „vegan“ und „vegetarisch“ haben. Vorhin ist über Veggieschnitzel und Veggiewurst gesprochen worden . Ich habe dafür ein Stück weit Verständnis, aber nur ein Stück weit . Für mich mit meinem beruflichen Hintergrund als Metzgermeister besteht Wurst aus Fleisch . ({2}) Dementsprechend ist ein Schnitzel ein tierisches Produkt . Man kann sich tunlich aufregen, aber es ist unglaublich wichtig, dass man vegetarische Produkte klar und deutlich kennzeichnet . Man muss erkennen, aus was beispielsweise ein Brotbelag, wie immer er heißen mag, besteht . ({3}) - Ich will nichts verbieten . Die Verbotspartei sind die Grünen . ({4}) Wir wollen nichts verbieten, sondern wir wollen nur eine klare Kennzeichnung, damit auch die Veganer und Vegetarier wissen, was sie am Ende essen . Das steht ihnen sehr wohl zu .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, lassen Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch zu?

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne . ({0})

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen . - Ich möchte Sie nicht nur als Kollegen, sondern auch in Ihrer Eigenschaft als Handwerksmeister fragen . Wir hatten im Ausschuss die Diskussion über Klarheit und Wahrheit bei den Nährwertangaben von handwerklich hergestellten Produkten . Es geht Ihnen sicher so wie uns, dass Sie viele Briefe von Metzgern und Bäckern bekommen, die überhaupt nicht wissen, ob sie in Zukunft auf ihre verpackte Ware Kalorien-, Fett- und Zuckerangaben schreiben sollen oder nicht und in welcher Art und Weise das geschehen soll . Im Ausschuss konnte uns nicht so genau erklärt werden, was in Zukunft als Handwerksbetrieb in diesem Bereich gilt oder nicht . Deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie mittlerweile - Sie sind ja Mitglied der Regierungskoalition - klarer sehen und vielleicht an dieser Stelle den Handwerksbetrieben in Deutschland im Sinne von Klarheit und Wahrheit Auskunft über ihre zukünftigen Pflichten geben können. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Kollegin, das ist natürlich eine schwierige Situation, gerade für die Handwerksbetriebe, die teils nur wenige, teils aber viele Mitarbeiter haben . Manche haben nur einen Chef oder eine Chefin mit einem oder zwei Mitarbeitern, andere haben eine ganze Abteilung, die die Kennzeichnung vornimmt . Ich denke, wir sind uns einig, dass wir eine Kennzeichnung in dieser Form wollen . Nur, bei welcher Größe wir eine Begrenzung finden bei vorverpackten Lebensmitteln, da sind wir uns noch nicht einig . Das ist das Problem der Handwerksbetriebe . Ich denke hier auch an den kleinen Ab-Hof-Vermarkter, der vorverpackte Lebensmittel herstellt . Das auf die Schiene zu setzen, darin besteht die Schwierigkeit . Aber ich bin völlig bei Ihnen: Wir brauchen eine Nährwertkennzeichnung auf allen Konserven und vorverpackten Produkten . Es muss nur machbar und am Ende auch lesbar sein . ({0}) - Nein, ist noch nicht geregelt . Aber wir werden eine Regelung finden, Herr Kollege. ({1}) Meine Damen und Herren, der Berichterstattung der Stiftung Warentest und von Öko-Test ist zu entnehmen, dass sich in veganen Produkten teilweise tierische Zusätze befinden. Das geht so nicht. Selbstverständlich muss die Kennzeichnung entsprechend geregelt werden . Ich denke, da sind wir uns alle einig . Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission ist hier in der Pflicht, vernünftige und verständliche Beschreibungen vor allem von veganen und vegetarischen Lebensmitteln zu liefern . Ich bin überzeugt, dass das in nächster Zukunft passieren wird . Ich erwarte eine Kennzeichnung, aber eine, die für den Verbraucher lesbar und für die Produzenten umsetzbar ist . Natürlich wissen wir, dass gerade bei vegetarischen und veganen Produkten eine handwerkliche Herstellung nur in sehr geringem Umfang stattfindet; da wird eher industriell produziert . Insofern stellt hier die Kennzeichnung ein kleineres Problem dar . Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Ich wünsche Ihnen allen ein frohes, gesegnetes Weihnachtsfest und für das neue Jahr alles erdenklich Gute, viel Glück, aber vor allem viel Gesundheit . Danke schön . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine Pflugradt für die SPD-Fraktion . ({0})

Jeannine Pflugradt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004375, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Wieder einmal kurz vor Weihnachten, also vor anstrengenden und sehr „fettreichen“ Tagen, reden wir über den Ernährungsbericht der Bundesregierung . Da liegen mir dieses Mal zwei Themen besonders am Herzen: die Prävention ernährungsbedingter Krankheiten und die Verpflegung in Gemeinschaftseinrichtungen . Beim Kampf gegen lebensstilbedingte Krankheiten ist Politik gefordert. Hier lautet das Zauberwort „Aufklärung“, und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist; denn wirksame Präventionsarbeit muss bereits im Kindesalter ansetzen . Mit dem im letzten Jahr beschlossenen Präventionsgesetz sowie mit dem Nationalen Aktionsplan IN FORM gibt es gute Ansätze für ganzheitliche Präventionsarbeit . Konkreten Verbesserungsbedarf sehe ich trotzdem bei IN FORM: Die vielen geförderten Projekte müssen auf ihren Sinn und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden . ({0}) Nicht erfolgreiche Projekte müssen zugunsten von sinnvollen Projekten aufgegeben werden . ({1}) Es bringt doch nichts, eine an Aktionismus grenzende Vielzahl von Projekten - laut dem Ernährungsbericht sind es über 160 - ins Schaufenster zu hängen, wenn nicht klar ist, ob diese Initiativen überhaupt etwas bringen . In Sachen Prävention ist die deutsche Politik meiner Meinung nach gerade erst aus dem Startblock gekommen. Ich hoffe sehr, dass genügend Kraft und Kondition vorhanden sind, am Ziel anzukommen . Das Ziel muss die Umsetzung wirksamer Präventionsstrategien bleiben . ({2}) Der zweite Bereich, der mir am Herzen liegt, ist die Gemeinschaftsverpflegung in Senioreneinrichtungen, Kitas, Schulen, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen . Bund und Länder können hier eine wichtige Verantwortung für ihre Bürger, unabhängig von Alter und sozialer Herkunft, übernehmen . Werden wir dieser Verantwortung bisher wirklich gerecht? Klare Antworten auf diese Frage habe ich nicht im Ernährungsbericht der Bundesregierung, sondern im aktuellen Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gefunden . Ich möchte daraus kurz zitieren: In vielen Kitas fehlt die Grundlage für die Zubereitung von gesundheitsförderndem Essen. Die pflegebedürftigen Menschen in den rund 13 000 Pflegeheimen in Deutschland sind in Gefahr einer Mangelernährung . ({3}) Leider lassen diese Fakten für mich nur den Schluss zu, dass die Bundesregierung ihrer Verantwortung hier lange nicht nachgekommen ist . Ein erster Schritt zur Verbesserung der Verpflegung an Schulen wäre meiner Meinung nach die Aufhebung des Kooperationsverbotes für Bund und Länder im Bildungsbereich . ({4}) Begrüßen möchte ich hingegen die Zusammenlegung der beiden EU-Programme zu Schulobst und Schulgemüse und zu Schulmilch . Die damit zusammenhängende Verabschiedung des Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetzes war ein wichtiger Schritt, der die EU-Verordnung im deutschen Recht verankert hat . Ab dem Schuljahr 2017/2018 stehen Deutschland jährlich rund 29 Millionen Euro zur Verfügung . Und die beste Nachricht ist, dass die bisherige Kofinanzierung ab dem nächsten Jahr komplett entfällt . Leider nehmen derzeit immer noch nur neun Bundesländer an diesem Programm teil . An dieser Stelle möchte ich erneut an alle Bundesländer appellieren, sich zu überlegen, daran teilzunehmen . In erster Linie meine ich hier einmal mehr mein eigenes Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern . Abschließend will ich auf das Thema Verantwortung zurückkommen . Unserer Verantwortung gerecht zu werden, heißt, hochwertige und gesunde Lebensmittel in Kitas, in Schulen, in Universitäten und in anderen öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen und Wissen über die Herkunft und Herstellung unserer Nahrungsmittel zu vermitteln . Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Ernährung und geistiger sowie körperlicher Gesundheit sollten zum Allgemeinwissen von Kindern und Jugendlichen gehören . Und wenn ich von der Verantwortung der Politik spreche, dann meine ich damit natürlich nicht Verbote und Bevormundung, sondern Aufklärung, Wissensvermittlung und Schaffung von optimalen Rahmenbedingungen für ausgewogene Ernährung . ({5}) Damit bin ich wieder beim Kooperationsverbot . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, springen Sie doch endlich über Ihren Schatten und heben Sie gemeinsam mit uns dieses Kooperationsverbot auf! ({6}) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein wundervolles, gesegnetes Weihnachtsfest . Kommen Sie gesund ins neue Jahr! Danke schön . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ingrid Pahlmann hat nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Minister Schmidt! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im Ernährungspolitischen Bericht, der hier heute vorgestellt wurde, geht es um Grundlagen, Ziele und Maßnahmen im Bereich der Ernährungspolitik und um Verbraucherschutz . Damit geht es um wichtige Themen, die uns alle etwas angehen . Wir reden von Ernährungssicherung, Lebensmittelsicherheit, vom Schutz der Verbraucher vor Irreführung, von Nachhaltigkeit im Konsum, Ernährungsbildung und Information und von Ernährungsprävention . Ich bin Hauswirtschaftsleiterin, habe selber jahrelang junge Menschen bei uns im Betrieb ausgebildet und weiß deshalb aus eigener Erfahrung, dass all diese Themen manchmal recht zäh zu vermitteln sind . Ernährungsbildung, Umgang mit Nahrungsmitteln, Vermeidung von Nahrungsmittelverschwendung sind nicht unbedingt hippe Themen unter jungen Menschen . Mir ist aber bewusst, dass es schwer ist, sich ohne eine gewisse Grundbildung gesund und ausgewogen zu ernähren - gerade heute, in Zeiten des absoluten Überflusses, in denen wir alle möglichen Produkte in schier unendlicher Vielfalt in den Regalen der Einkaufsmärkte vorfinden. Wir finden dort nicht nur Grundnahrungsmittel, sondern auch vielfach vorgefertigte Teil- oder Voll-Convenience-Produkte . Das erschwert den Durchblick, was gesund ist . Was brauche ich wirklich? Welche Zusatzstoffe will ich nicht essen? Welche vertrage ich gesundheitlich nicht? Mir reicht es nicht, zum Beispiel durch eine simple Ampelkennzeichnung den Menschen zu sagen: Dieses Lebensmittel hat viel Zucker, jenes hat viel Fett, und das andere enthält viele Kohlenhydrate . Ich weiß, dass der Austausch von Zucker durch Zuckerersatzstoffe nicht die bessere und gesündere Variante ist . ({0}) Wir möchten, dass die Menschen wieder ein solides Basiswissen haben und wieder lernen, wie viel sie wovon brauchen und was gut für sie ist . Wir wollen, dass die Menschen nicht dumm gehalten werden, sondern ihre Kaufentscheidungen bewusst auf der Basis von Wissen treffen können und nicht durch staatliche Bevormundung gelenkt werden . Ich erinnere noch einmal an Veggieday und Smileys; über die Ampelkennzeichnung habe ich schon etwas gesagt . Wer unbedingt Analogkäse essen will, der soll es tun, aber er muss es dann auch bewusst tun . Ich freue mich sehr, dass unser Minister diese Problematik auf die Tagesordnung gesetzt und viele Mosaiksteine, die Ernährungsbildung und Ernährungswissen im Fokus haben, auf den Weg gebracht hat . Er hat erkannt, dass es unumgänglich ist, dieses Wissen wieder in die Köpfe der Menschen zu pflanzen. Nur wer Grundkenntnisse im Bereich der Ernährung hat, kann eine Wahl treffen und entscheiden, ob er sich omnivor, vegetarisch, vegan oder sonst wie ernähren will . Dazu gehört dann aber auch, dass er sich auf Verpackungsangaben verlassen kann . Nehmen wir einmal als Beispiel die vegane Ernährung; sie wurde hier schon mehrmals angesprochen . Hier muss man sich mit vielen Dingen auseinandersetzen. Man muss Nährstoffe kennen und wissen, was der Körper braucht und welche Bausteine in veganen Lebensmitteln nicht vorhanden sind . Vor allem aber muss man wissen, wie diese Ernährungsweise ergänzt werden muss, um wirklich gesund zu sein . ({1}) Auf der anderen Seite muss sich ein Veganer darauf verlassen können, dass vegane Produkte frei von tierischen Elementen sind . Tatsächlich aber enthalten viel zu viele als vegan beworbene Produkte Inhaltsstoffe tierischer Herkunft, die nicht ausgewiesen werden müssen . Die Bundesregierung - unser Minister - hat diesbezüglich gehandelt und sich für eine europaweit einheitliche Definition von „vegan“ und „vegetarisch“ eingesetzt. Schon in der seit Dezember 2014 gültigen Lebensmittelinformations-Verordnung ist in Artikel 36 vorgesehen, dass die Europäische Kommission eine einheitliche Definition für Informationen über die Eignung eines Lebensmittels für Vegetarier und Veganer erlässt . Dem ist die Kommission aber bis heute nicht nachgekommen . Die Bezeichnung „vegan“ ist lebensmittelrechtlich nicht definiert und nicht geschützt. Die Kontrollen sind zudem viel zu wenig transparent, und das muss sich ändern . ({2}) Unserer Meinung nach geht das aber noch weiter . Ich komme zu dem netten Thema: Wann ist eine Wurst eine Wurst? Wann ist ein Schnitzel ein Schnitzel? Allein das ist schon nicht geklärt . Der Verbraucher muss aber doch erkennen können, was er isst . Ist es wirklich Fleisch, oder ist es ein fleischfreies Produkt? Es muss drin sein, was draufsteht, und es muss draufstehen, was drin ist . ({3}) Unser Ziel muss es sein, den Verbraucher vor Täuschung zu bewahren und die Qualität der Produkte zu schützen . Wir fordern daher Klarheit und Wahrheit für Hersteller und Verbraucher . Liebe Kollegen der Grünen, Sie fordern das sonst doch auch immer vehement . Aber beim Thema „vegan“ ist Ihnen das ziemlich egal. Ich finde das sehr inkonsequent . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nur ein kurzer Abriss eines wirklich großen Themenkomplexes, der aber hoffentlich zeigt, dass die Lebensmittelkennzeichnung ein essenzieller Baustein für bewusste Verbraucherentscheidungen ist . Inzwischen ist bewiesen, dass adipöse Mütter mit hoher Wahrscheinlichkeit adipöse Kinder zur Welt bringen, dass fehlernährte Mütter irreparable Schäden an ihren Kindern provozieren . Deshalb ist es wichtig, dass wir den Fokus verstärkt auf Ernährungsbildung, Produktsicherheit und klare Kennzeichnung legen . Diese Regierung hat das erkannt und handelt, hat hohe Ziele im Bereich „Ernährungspolitik und Verbraucherschutz“ und geht diesen Weg konsequent weiter . Noch ein Satz, obwohl meine Zeit abgelaufen ist: Sie tun immer so, als wenn unsere Nahrungsmittel uns vergiften würden . Liebe Kollegen der Opposition, wir haben die sichersten und besten Nahrungsmittel, die es gibt . ({5}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, lassen Sie sich Ihr Weihnachtsfest nicht durch politische Polemik verderben! Genießen Sie das Weihnachtsfest! Genießen Sie das Essen! Es wird immer so getan, als seien unsere Nahrungsmittel schlecht . Wir haben super Nahrungsmittel . Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Karin Thissen für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Karin Thissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, es verschlägt mir vor Freude fast die Sprache, dass Sie uns den Ernährungspolitischen Bericht, schon ein Jahr nachdem er erstellt wurde, präsentieren . ({0}) Dieses schnelle Arbeiten bin ich aus Ihrem Haus so gar nicht gewöhnt . Ich betrachte es als eine Art vorweihnachtliche Überraschung . Dem Bericht entnehmen wir, dass das Thema Ernährung einen immer höheren Stellenwert bekommt, in der Bundesregierung, aber auch im Rahmen der G 7 und der G 20 . Im Bericht erfahren wir auch, wie wichtig für die Lebensmittelsicherheit die Trennung von RisikobewerIngrid Pahlmann tung und Risikomanagement ist . Wir lesen beeindruckende Fremdwörter: Europäisches Schnellwarnsystem, Nationaler Rückstandskontrollplan, Allgemeine Verwaltungsvorschrift Rahmen-Überwachung . Wir erfahren, was das ist, wie gut miteinander vernetzt und verzahnt das alles ist und dass uns diese Strukturen im Prinzip vor Lebensmittelkrisen, Skandalen und Katastrophen wie BSE, Dioxin, Ehec und bayerischen Salmonelleneiern hätten schützen können müssen . Obwohl das alles fast so gut wie perfekt ist, kann man es immer noch verbessern . Deswegen gibt es in dem Abschnitt über die Lebensmittelsicherheit auch das Kapitel: Was bleibt zu tun? ({1}) Da lesen wir: proaktive Aufgabe der Politik, Vorsorgeprinzip, Feinjustierung . Feinjustierung, Herr Minister, ist, wie ich finde, ein ganz tolles Wort. Das hört sich an wie: Bloß nicht zu lange und zu dolle an den Gesetzen rumschrauben! ({2}) Dazu fällt mir doch der Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag ein: die rechtssichere Formulierung des § 40 Absatz 1a LFGB . Da geht es darum, dass für Verbraucher klar und eindeutig ersichtlich wird, in welchen Betrieben sauber und hygienisch mit Lebensmitteln umgegangen wird und in welchen nicht . An diesem Gesetzentwurf, Herr Minister, wurschteln Sie sozusagen fleischlos sage und schreibe schon drei Jahre herum . ({3}) Umso erstaunter war ich, im Ernährungspolitischen Bericht auf Seite 15 zu lesen, dieser Gesetzentwurf sei inzwischen in Ihrem Hause sozusagen Fleisch geworden . Ach echt? Kann man diesen Gesetzentwurf einmal lesen? ({4}) Haben Sie offiziell etwas in die Wege geleitet, und ich habe es verpennt? Ich kenne nur ein Ministeriumspapier - meine Damen und Herren, ein Ministeriumspapier ist so etwas wie ein Gesetzentwurfsimitat, also so etwas Ähnliches wie Analogkäse -, das seit kurzem durch die Gänge wabert . ({5}) Und der Formulierungsvorschlag in diesem Gesetzentwurfsimitat ist wieder einmal das Papier nicht wert, auf dem er steht . ({6}) Der wird uns doch von den Gerichten wieder einkassiert, bevor die Tinte, mit der er geschrieben wurde, getrocknet ist . ({7}) Herr Minister, lassen Sie es uns doch endlich einmal gescheit anpacken . ({8}) Wir, die SPD, sind bereit; wir wollen effektiven Verbraucherschutz ({9}) zeitnah und unmittelbar und nicht weiterhin nur angeblichen Schutz der Verbraucher auf dem Papier . Ich sage es noch einmal klar und eindeutig: Wir wollen keine Härtefallklausel . Wir wollen kein Geschacher um eine Bußgeldschwelle . - So haben wir uns im Koalitionsvertrag nicht geeinigt . Wir haben ein Mehr an Verbraucherschutz und Transparenz vereinbart . Ihr Entwurf sieht weniger Transparenz vor . Herr Minister, Ihrem Kapitel „Was bleibt zu tun?“ hänge ich meine Weihnachtswunschliste an . Die lautet: flächendeckende Transparenz, Vergleichbarkeit und effektive Rechtsdurchsetzung . Das wünschen sich übrigens auch alle Verbraucherinnen und Verbraucher, und nicht nur zu Weihnachten . Ich danke Ihnen fürs Zuhören . ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8650, 18/4214 und 18/9558 an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es offenkundig keine Einwände. Also sind die Überweisungen so beschlossen . Unter dem Tagesordnungspunkt 27 b kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD auf der Drucksache 18/10633 mit dem Titel „Verlässliche Rahmenbedingungen für vegane und vegetarische Lebensmittelangebote - Klarheit und Wahrheit für Hersteller und Verbraucher“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen . Unter dem Tagesordnungspunkt 27 e stimmen wir über die Beschlussempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/9057 mit dem Titel „Mehr Transparenz bei vegetarischen und veganen Produkten schaffen“ ab. Hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9880, den genannten Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Opposition mit den Stimmen der Koalition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: 28 . Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({0}) - zu dem EU-Jahresbericht 2015 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt - Thematischer Teil - Ratsdok. 10255/16 - zu dem EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie in der Welt im Jahr 2015 - Länder- und regionenspezifische Themen - Ratsdok. 12299/16 Drucksachen 18/10116 Nr. A.28 und Nr. A.29, 18/10669 ZP 8 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Menschenrechte Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland ({1}) Drucksache 18/10615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 9 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Menschenrechte Jahresbericht 2015 Drucksache 18/10616 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({3}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Zu der Beratung der Beschlussempfehlung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache 60 Minuten dauern . - Einwände dazu sehe ich nicht . Also verfahren wir so . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Frank Schwabe für die SPD-Fraktion . ({4})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Wir sind kurz vor Weihnachten, aber auch kurz nach dem Internationalen Tag der Menschenrechte, der jedes Jahr am 10 . Dezember begangen wird . Wir debattieren heute zahlreiche Berichte . Berichte gibt es genug; an ihnen mangelt es nicht . Es mangelt an der Umsetzung dessen, was in den Berichten angemahnt wird . Was noch schlimmer ist: Wenn wir uns die weltweite, aber auch die europäische Situation anschauen, dann erkennen wir, dass es in den letzten Jahren Rückschritte in der Frage der Menschenrechte gegeben hat . Es gibt Drangsalierungen von Nichtregierungsorganisationen, der Zivilgesellschaft, von Journalisten, und niemand sollte glauben, dass das keine Auswirkungen auf die Lage der Menschenrechte hat, wenn auch gelegentlich ein Stück weit verzögert . Es ist richtig, darauf zu schauen, was „die da“, was andere machen, was Europa macht, was die Staaten in der Welt machen . Aber wir müssen auch darauf schauen, was wir machen; denn das ist die Grundbedingung dafür, Missstände in anderen Staaten benennen und anklagen zu können, und das wollen wir heute in der Debatte tun . Ich will aber noch einmal nach außen schauen und das Thema Türkei ansprechen . Wir erleben dort eine Situation, die es wahrscheinlich selten gibt, nämlich dass sich eine Demokratie in Richtung einer Diktatur entwickelt . Wir sehen in der Türkei mittlerweile Folter und unmenschliche Behandlungen, willkürliche Verhaftungen und die Zerstörung einer funktionierenden Medienöffentlichkeit . Ich will die Gelegenheit heute nutzen, mich noch einmal bei den mittlerweile rund 100 Parlamentariern, 100 Kolleginnen und Kollegen, zu bedanken - es werden jeden Tag mehr -, die sich im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ für bedrohte Abgeordnete in der Türkei einsetzen . Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Programm . Es wäre gut, wenn noch mehr bei diesem Programm mitmachten, nicht nur bezogen auf die Türkei, sondern auch darüber hinaus, und es wäre gut, wenn andere Parlamente der Welt unserem Beispiel folgten und ebenfalls solche Programme aufsetzten . Ich glaube, das hilft ein gutes Stück weit . ({0}) Ich will mich auch für den ersten Bericht an den Bundestag nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte, was wir am Ende gemeinsam hinbekommen haben, beim Institut bedanken . Es gab im Vorfeld an der einen oder anderen Stelle den Vorwurf, dass es sich um einen politischen Bericht handelt . Dazu sage ich: Selbstverständlich ist dieser Bericht politisch . Was denn sonst? Das, was wir hier machen, was wir besprechen - die Frage der Menschenrechte -, ist Politik . Natürlich muss ein Menschenrechtsinstitut unbequem sein, ({1}) natürlich muss es der Stachel im Fleisch der Politik und auch dieses Parlaments sein . Insofern will ich das Institut zu diesem Bericht beglückwünschen und auch dazu, Präsident Dr. Norbert Lammert dass es mittlerweile den Vorsitz der Globalen Allianz der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen übernommen hat - das zeigt, welch hohe Anerkennung dieses Institut genießt . ({2}) Ein zentrales Thema des Berichts ist „Flucht“; es geht um die Menschen, die zu uns kommen und in einer besonders schwierigen Situation sind . Es wird darauf hingewiesen, dass es viel Gutes gibt, was den Menschen hier widerfährt, dass es viele Menschen gibt, die sich für sie engagieren, aber eben auch darauf, dass es zum Beispiel allein im Jahr 2015 1 027 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gab . Ich möchte das aufnehmen und es mit guten Wünschen zu Weihnachten verbinden . Ich habe viele gute Wünsche zu Weihnachten bekommen, unter anderem von einem Kollegen, den ich hier nicht nennen will; aber er hat die guten Wünsche mit einem Zitat von Paul Gerhardt verbunden, der darin von Gottes Barmherzigkeit spricht . Mit der Barmherzigkeit sind, glaube ich, alle Menschen gemeint, unabhängig von der Nationalität, unabhängig davon, woher sie kommen, an was sie glauben, wer sie sind . Ich will sagen, was nicht barmherzig ist - das wird in dem Bericht angemahnt -: Nicht barmherzig ist, wenn wir über Regelungen zum subsidiären Schutz die Familienzusammenführung verhindern . ({3}) Das macht auch gar keinen Sinn, wenn man Menschen integrieren will . Es macht auch in der Sache keinen Sinn, weil es mittlerweile Gerichtsentscheidungen gibt, die in mindestens drei Vierteln der Fälle dafür sorgen, dass am Ende eben doch eine Familienzusammenführung möglich ist . Das heißt, solche Regelungen sind vollkommen ineffektiv. Einige Worte zum Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“. Wie ich höre, werden darüber aktuell noch Gespräche geführt . Wie lange diskutieren wir schon über den Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“? Liebe Kolleginnen und Kollegen, was nicht funktioniert, ist, dass wir - Deutschland, der deutsche Staat, aber auch die deutschen Unternehmen Flucht und Vertreibung und die Nichtsicherstellung von Lebensgrundlagen als Gründe für die Flucht anprangern, uns aber gleichzeitig nicht verpflichtet fühlen, menschenrechtliche Standards festzulegen, die dazu führen, dass die Menschen nicht nach Europa kommen müssen . ({4}) Man kann nicht das eine beklagen, das andere aber dann nicht tun wollen . Ich fordere insbesondere unseren Koalitionspartner auf, dafür zu sorgen, dass wir noch vor Weihnachten einen vernünftigen Plan im Kabinett verabschieden können . Ich möchte noch ein allerletztes Thema ansprechen, und zwar das Thema Wahlrechtsausschluss . Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, habe ich gar nicht glauben wollen, dass wir in Deutschland 84 500 Menschen mit Behinderungen davon abhalten, von ihrem demokratischen Wahlrecht Gebrauch zu machen . Wir sollten uns ein Beispiel an Nordrhein-Westfalen und auch Schleswig-Holstein nehmen, wo die Wahlrechtsausschlüsse von Landtagswahlen und Kommunalwahlen längst aufgehoben worden sind . Ich habe von der Kollegin Kerstin Tack, die bei uns für die Politik für Menschen mit Behinderungen zuständig ist, gehört, dass es da gute Gespräche gibt . Ich glaube, es wäre ein sehr gutes Signal, wenn wir die Wahlrechtsausschlüsse noch vor der nächsten Bundestagswahl aufheben würden . Vielen Dank . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke . ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland kurz vor Weihnachten: In einem Charterflugzeug werden 34 Menschen, die hier Schutz gesucht haben, zurück in den Krieg geschickt . Tausende weiterer Afghaninnen und Afghanen sollen folgen . Sie werden abgeschoben, mitten in den kalten Winter am Hindukusch, mitten in die Perspektivlosigkeit . Es gibt in Afghanistan keinen Ort, der wirklich Schutz bieten kann . Es gibt dort keinen sicheren Ort . Mit dieser organisierten Unbarmherzigkeit beugt sich die Regierung dem rechten Mob . Das können und das dürfen wir nie akzeptieren . ({0}) Wir reden heute über Menschenrechte . Menschenrechte sind keine Almosen oder Gnadenakte . Die Achtung der Menschenrechte ist ein Grundrecht, und die Genfer Flüchtlingskonvention beinhaltet klare Schutzrechte . Auch Deutschland hat die Flüchtlingskonvention ratifiziert. Doch die Rechte werden zunehmend missachtet . Das ist unerträglich . ({1}) Der hier vorliegende EU-Menschenrechtsbericht beschäftigt sich mit vielen wichtigen Entwicklungen; er hat aber einen zentralen blinden Fleck . Der Schutz der Menschenrechte in der EU wird nicht problematisiert . Die Verantwortung der EU und ihrer Mitgliedstaaten für Menschenrechtsverletzungen spielt kaum eine Rolle . Transnationale Konzerne mit Sitz in der EU werden in dem Bericht nicht mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert . Wenn wir Menschenrechten wirklich global Anerkennung verschaffen wollen, dann müssen wir hier mit der Durchsetzung beginnen . ({2}) Ich werde auf einige Defizite bei der Umsetzung von Menschenrechten in Deutschland und in der EU eingehen . Die Rechte von Flüchtlingskindern und Jugendlichen sind hier und in den anderen Ländern der Europäischen Union alles andere als sicher . Die UN-Kinderrechtskonvention garantiert die Rechte von Minderjährigen bis zum Alter von 18 Jahren . Dennoch werden inzwischen junge Menschen überfallartig aus Jugendhilfeeinrichtungen herausgerissen und in unsichere Situationen abgeschoben . Diese Praxis erschwert die Arbeit mit den häufig traumatisierten jungen Menschen zusätzlich. Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten ständig damit rechnen, plötzlich von Polizisten aus Ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen zu werden . Stellen Sie sich vor, Sie werden, ohne Abschied von Freunden nehmen zu können, in ein Land zurückgeschickt, in dem Ihnen Gefahr droht . Wie sollen angesichts dieser ständigen Angst ein Schulbesuch, die Verarbeitung der eigenen Traumata und der Aufbau von vertrauensvollen sozialen Beziehungen funktionieren? Obwohl die Kinderrechtskonvention vorsieht, dass bei allen staatlichen Maßnahmen das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden muss, sieht die Realität für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland nicht selten anders aus . Stoppen Sie endlich die Abschiebungen aus Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen! ({3}) Es drängt sich häufig der Eindruck auf, dass sich politisch ein rein instrumenteller Umgang mit Menschenrechten durchsetzt . Wenn die vermeintliche Durchsetzung von Menschenrechten dazu dienen kann, unliebsame Regierungen zu stürzen, dann wird der umfangreiche Instrumentenkasten der EU und ihrer Mitgliedstaaten gerne genutzt, um politisch Einfluss zu nehmen, wie etwa in Libyen, der Ukraine oder in Honduras . Wenn die Einhaltung von Menschenrechten aber der Profitmaximierung im Wege steht, dann sind sie deutlich weniger wert . Betrachten wir einmal das Menschenrecht auf Wohnen, das im Artikel 11 des UN-Sozialpaktes garantiert wird . 335 000 Menschen sind aktuell in Deutschland wohnungslos . In den nächsten Jahren soll die Zahl auf eine halbe Million klettern, wenn sich nichts grundlegend ändert . Das Problem ist nicht in erster Linie, dass es zu wenig Wohnraum gibt, sondern vor allem, dass es zu wenig bezahlbare Wohnungen gibt . Der Leerstand von Wohnraum und die Immobilienspekulation müssen endlich wirksam bekämpft werden . Wir brauchen mehr öffentliche Sozialwohnungen. ({4}) Zu den Prioritäten der Umsetzung der EU-Menschenrechtspolitik gehört die Vereinigungsfreiheit . Dazu gehört auch das Recht, Gewerkschaften zu bilden, sich kollektiv zu organisieren und gemeinsam für bessere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen . Dieses Recht ist in der EU nicht nur durch Entlassungen aufgrund von Gewerkschaftsaktivitäten in Gefahr, sondern auch durch die Spardiktate der Troika . In deren Folge wurden die Arbeitsgesetze in zahlreichen EU-Ländern geändert . In Griechenland, Italien, Portugal und Spanien können Unternehmen nun von den Branchentarifverträgen und gesetzlichen Bestimmungen abweichen . Damit existiert das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen zwar formal weiter, ist aber faktisch massiv eingeschränkt . Menschenrechte respektieren heißt auch Gewerkschaftsrechte stärken statt abbauen . ({5}) In dem vorliegenden Bericht legt die EU dar, dass sie auf den sogenannten Menschenrechtsdialog setzt, um gegen Landnahme, Vertreibung und Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten in Asien und Lateinamerika vorzugehen . Nicht erwähnt wird, dass solche Menschenrechtsverstöße häufig in direktem oder indirektem Zusammenhang mit dem Handeln transnationaler Unternehmen stehen . Ecuador startete 2013 im Menschenrechtsrat mit Unterstützung von 85 Ländern eine Initiative, mit der Unternehmen endlich für Menschenrechtsvergehen hätten zur Rechenschaft gezogen werden können . Leider haben die EU-Staaten als Block dagegengestimmt . Wer den Opfern so Klagemöglichkeiten zerstört und Kontrollmöglichkeiten verwässert, der nimmt weitere Verstöße gegen Menschenrechte billigend in Kauf . Die Linke setzt sich ein für verbindliche Unternehmensregeln entlang der gesamten Lieferkette . Wir wollen verhindern, dass weitere Textilarbeiterinnen sterben und dass noch mehr Menschenrechtsverteidigerinnen ermordet werden . Dafür ist mehr nötig als ein unverbindlicher Menschenrechtsdialog . ({6}) Ich habe bereits zu Beginn meiner Rede darauf hingewiesen, dass ich es unerträglich und unmoralisch finde, wie zurzeit mit Flüchtlingen umgegangen wird . Die zahllosen Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind, sind mehr als „tragische Todesfälle“, wie im EU-Bericht beschrieben . Das Massensterben vor den Toren Europas ist das direkte Ergebnis der EU-Abschottungspolitik . Dieses Sterben kann nur beendet werden durch die Schaffung sicherer, legaler Einreisewege nach Europa . ({7}) Die EU schafft unzählige Fluchtursachen: durch die bereits beschriebene Politik ihrer multinationalen Konzerne, durch Freihandel und eine Agrarpolitik, die nationale Entwicklungen zerstören, durch Rüstungsexporte sowie durch ihre Außen- und Militärpolitik . Es ist völlig unverständlich, warum sich die EU-Staaten nicht gemeinsam für das Recht auf Frieden und für die Ächtung von Atomwaffen einsetzen, anstatt in der UN dagegen zu stimmen . Heute vor genau 50 Jahren wurde der UN-Sozialpakt von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet . Es ist höchste Zeit, dass er umgesetzt wird, dass die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte von Menschen umgesetzt werden . Das Recht auf Arbeit, auf Bildung und auf soziale Sicherheit gilt für alle und muss deswegen auch für alle eingelöst werden, egal ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder ob sie aus der EU oder aus anderen Ländern kommen . Gerechtigkeit und Solidarität sind nicht nur in der Vorweihnachtszeit zentrale Pfeiler für das Zusammenleben in einer Gesellschaft . Vielen Dank . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Frank Heinrich nun das Wort . ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frei - das steht auf einem Armband, das uns eine NGO vor wenigen Wochen vorgestellt hat . Damit können wir möglicherweise ein Statement setzen: Ich bin frei . Aber Millionen von Männern, Frauen und Kindern sind es eben nicht . Sie können ihre Meinung nicht frei äußern . Sie können ihren Glauben nicht so ausleben, wie sie es wünschen . Viele sind sehr menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt . Das hat in der globalen vernetzten Welt - das entnehme ich auch Ihrer Rede natürlich auch immer mit uns zu tun . Denken wir einmal 26 Jahre zurück . Die Welt ist im Aufbruch . Es kommt zur Wende . In der Folge stehen sich die großen Blöcke nicht mehr wie im Kalten Krieg feindlich gegenüber . Diktaturen sind gefallen, auch in Afrika . Viele der Indizes für die Not, für das Leid haben sich in den meisten Ländern gravierend verbessert, weil man sich nicht mehr in diesem Dualismus gegenübersteht . Extreme Armut, Zugang zu Wasser, Mütter- und Kindersterblichkeit, Gesundheitsversorgung, Bildung für Mädchen, die Todeszahlen in Konflikten - wir denken heute, das alles hätte sich verschlechtert . Aber die Indizes sind damals kontinuierlich gefallen . Wir haben Freiheit neu erlebt, für manche vielleicht das erste Mal definiert. Die Hoffnung pfiff sich durch den Gorki Park. „Glasnost“ und „Perestroika“ waren die Wörter des Jahrzehnts. Etwas später gab es Mandela . Und heute? Die Menschenrechte scheinen auf dem Rückzug zu sein . In vielen Ländern werden Menschenrechtsverteidiger zurückgedrängt . Gestern trafen wir mit Kollegen Herrn Fred Bauma aus der Demokratischen Republik Kongo . Viele von uns haben ähnliche Begegnungen . Diese Menschen sagen uns, dass sie bereits am Flughafen verhaftet werden, wenn sie in ihr Land zurückkehren . Es wirkt fast wie eine alte Rollback-Strategie: Land für Land, Gesetz für Gesetz wird es enger, und zwar oft unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung . Das hat auch mit uns zu tun . Wenn man sich mit dem Jahresbericht von 2015, den wir heute behandeln, beschäftigt und mit Menschenrechtsverteidigern redet, wie gerade genannt, dann wird einem ganz anders . Ich vermute, der Bericht für 2016 wird eher noch schlimmer ausfallen . Wenn ich von solchen Terminen komme oder wenn ich abends in mein Zimmer in Berlin komme, dann ist es nicht selten der Fall, dass ich entweder weinen muss oder dass mir zum Kotzen zumute ist . Das ist nicht erst seit Aleppo so, wenn auch seitdem noch besonders . Was passiert mit unserer Welt? Was lassen wir zu? Was darf auch mit uns passieren hier in Deutschland? Die drei Stichworte, die ich in meiner Rede noch nennen möchte, sind Kinder, Rechtlosigkeit und Religionsfreiheit . 45 Millionen Menschen leben zurzeit in Sklaverei oder sklavenähnlichen Verhältnissen; das zeigt der Global Slavery Index . Nur einmal zum Vergleich: Wie stolz konnte die Menschheit sein, als William Wilberforce und Abraham Lincoln, der eine in England, der andere in den Vereinigten Staaten, die Sklaverei abgeschafft haben . Das ist viele Jahre her . Aber ganz ehrlich: Ist uns bewusst, dass wir heute mehr Sklaven haben als damals? Millionen davon sind Kinder . Sie bekommen keinen Zugang zu Schulbildung, müssen unter schwersten Bedingungen auf Baumwollfarmen oder in Minen arbeiten und erleben täglich Gewalt und Krieg am eigenen Leib, oft für die Produkte, die wir hier billig kaufen wollen . Freiheit ist für sie eine Worthülse, deren wirkliche Bedeutung sie wahrscheinlich nur erahnen können . Im Südsudan kämpfen 17 000 Kinder - das wurde uns vorgestern berichtet - in einem verheerenden Bürgerkrieg. Das findet hier wenig Beachtung. Wir schauen woanders hin . Etwas weiter westlich auf dem Kontinent Afrika ernten 1,2 Millionen Kinder einen Großteil des Kakaos für die Schokolade, die wir und viele andere zu Weihnachten und über das Jahr verteilt konsumieren . Sie gehen deshalb auch nicht oder viel zu selten in die Schule . Durch Bildung könnten sie aus Armut und Abhängigkeit herauskommen . Weiter im Osten auf dieser Welt beim philippinischen Amt für Internetverbrechen gingen bislang 10 000 Hinweise auf sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet ein . Wer sind die User? Der Menschenrechtsbericht der EU geht davon aus, dass die Gefahr besteht, dass viele Minderjährige, die sich in den letzten Monaten auf der Flucht befunden haben, Opfer von Gewalt und Menschenhandel geworden sind, auch auf der Flucht zu uns . Wenn ich das alles sehe, fällt mir wieder dieser Begriff ein: Ich könnte kotzen . Dafür fällt mir auch kein politisch korrekterer Begriff ein. Ich höre noch, wie letzte Woche Frau Merkel in einer Regionalkonferenz in Thüringen sagte: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich schlafe nicht gut, wenn ich an die Kinder in Aleppo denke.“ Als Menschenrechtler frage ich mich: Was können wir tun, um ihnen und anderen mehr Freiheit zu ermöglichen? Ich bin dankbar, dass Deutschland und die EU - das wird in dem Bericht auch deutlich gemacht - sich dafür einsetzen, dass in den letzten Jahren Gesetze entstanden sind, und ich wünsche mir, dass wir uns, dass sich die Bundesregierung in unseren Beziehungen zu den anderen Ländern noch mehr und aktiver dafür einsetzt . Da bin ich Herrn Steinmeier sehr dankbar für das Engagement in diesem Bereich, damit Kinder vor Krieg und Terror geschützt werden . Danke dafür! Der zweite Begriff, den ich genannt habe, ist Rechtlosigkeit . Es muss Opfern von Menschenrechtsverletzungen - je länger, je näher - in diesen Ländern möglich sein, Zugang zum Rechtssystem zu bekommen . Sonst wird aus Armut Rechtlosigkeit, und aufgrund der Rechtlosigkeit bleiben sie in der Armut . Das ist eine stille Menschenrechtsverletzung, die so allerdings nicht explizit in dem Bericht auftaucht . Der fehlende Zugang zum RechtsInge Höger system hat meist eine grundlegende Ursache, nämlich die Armut, und dann mündet das vielfach in Sklaverei; ich habe das bereits erwähnt . Die moderne Sklaverei macht auch vor unseren Türen in Deutschland nicht halt . Wir haben vor einem halben Jahr das Gesetz zu Zwang und Ausbeutung im Prostitutionsgewerbe beschlossen, das dann nächstes Jahr in Kraft treten wird . Das sind einige Schritte, wenn auch noch lange nicht genug . Ich bin dankbar, dass wir einen Überprüfungsmechanismus haben, wonach wir dies dann in zwei, drei Jahren noch einmal unter die Lupe nehmen können . Ein weiterer Bereich, der dritte, ist die Religionsfreiheit . In immer mehr Staaten wird sie grundsätzlich garantiert; aber die Wirklichkeit sieht eben oft ganz anders aus . Auch in meinem Land frage ich mich hin und wieder: Ist uns das noch präsent? Millionen von Menschen werden weltweit in dieser Freiheit eingeschränkt . Sie werden verfolgt, gedemütigt, gefoltert, oft zu Tode gebracht . Dabei müssen wir an alle Religionen denken . Da sind es die Ahmadiyya-Muslime in Pakistan, da sind es die Aleviten, teilweise jetzt auch in Syrien, da sind es Buddhisten, da sind es die Bahai im Iran, und da sind es als größte Gruppe auch die Christen . Die aktuellen Entwicklungen im Irak und in Syrien werfen Schatten voraus, bis zu uns nach Europa, und Hunderttausende machen sich auf den Weg . Auf der Flucht vor ihren Peinigern, oft auch dann beim Ankommen hier in unseren Schutzunterkünften passiert das Gleiche wieder, selbst hier in Deutschland . Da passieren Diskriminierung und Benachteiligung, auch Bedrohung; ich weiß um Fälle in meiner Stadt . Anfang der Woche konnten einige von uns den Pater Jacques Mourad treffen. Er befand sich fünf Monate in Geiselhaft des IS, bevor er mit seiner katholischen Gemeinde von muslimischen Mitbürgern befreit wurde . Trotz seiner Erfahrungen wirbt er dafür, dass wir in Europa für Muslime offen bleiben, dafür, dass uns nicht die Angst leitet . Und doch wünsche ich mir, dass besonders Muslime in Deutschland, auch wenn die Anschläge in Paris, in Nizza und in Brüssel geschahen, noch lauter und öfter sagen: „Das sind wir nicht“, ({0}) und dass wir uns dem Terror gemeinsam mutig entgegenstellen . Dazu gehört auch, dass wir genau die Menschen unterstützen, die Demokratie fördern wollen, wie es das Ziel des von Frank Schwabe genannten Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ ist, dass wir an der Seite derer stehen, die Menschenrechte verteidigen . Deshalb appelliere ich, dass wir diesen Menschen vorher Gehör verschaffen, bevor sie möglicherweise in Extremismus abgleiten oder extremisiert werden . Welche Schlussfolgerungen ziehen wir denn aus diesem Bericht? Gesetze und Richtlinien haben wir teilweise; daran müssen wir aber weiter arbeiten: Dazu dient das Parlamentarische Patenschaftsprogramm, dazu tragen kleine, sichtbare Gesten im Miteinander und Begegnungen bei . Ich für meinen Teil werde für diese Freiheit weiter kämpfen, auch wenn mich diese Ohnmacht, die ich gerade beschrieben habe, immer wieder gefangene, gebundene oder versklavte Menschen zu sehen, oft überfällt . Ich wünsche Ihnen und uns allen ({1}) besinnliche und gesegnete Weihnachtstage . Ich tue mich schwer, Ihnen fröhliche Weihnachten zu wünschen . Das wird auch ein wenig davon abhängen, ob es die Weltgemeinschaft hinbekommt, dass die Waffen weiter schweigen werden . Sonst wünsche ich uns auch Scham . Ich kann nicht einfach fröhlich feiern, wenn uns als Weltgemeinschaft diese Kinder von Aleppo irgendwie doch nur interessieren, als wäre es Scheißdreck, wenn sie links liegen bleiben . Weihnachten erinnert an die Geburt eines Kindes in genau der Region, von der ich gerade geredet habe: verrückt genug, als Kind in einer Krisenregion geboren zu werden, irgendwie weniger romantisch als bei uns, neben Kuh- und Eselkacke - im Stall eben -, in einer brisanten Situation . Ich habe einfach keinen Bock, dann am Weihnachtstag aufzuwachen, wieder zu hören, dass die Waffen nicht geschwiegen haben, und wieder denken zu müssen: Ich könnte kotzen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will mich mit dem Status quo nicht zufriedengeben; das wollen wir Menschenrechtler nicht . Aber es gibt noch eine Menge zu tun - aber eben zu tun und nicht nur zu reden . Ich danke Ihnen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Tom Koenigs erhält nun das Wort für die Fraktion Die Grünen .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Betrachtet man die zahlreichen großen und auch kleinen Konflikte in der Welt - diejenigen, über die in den Tagesthemen berichtet wird, und diejenigen, über die schon nicht mehr berichtet wird; ob Syrien, Südsudan, Mali, Ukraine, den fast schon vergessenen Konflikt in Sri Lanka oder den gerade aufkommenden auf den Philippinen -, dann stellt man fest: Am Anfang dieser Konflikte standen immer Menschenrechtsverletzungen: erst kleine, dann größere, erst vereinzelt, dann massiv, dann lawinenartig und schließlich bewaffnet. Der Bericht der Europäischen Kommission zeigt genau dieses an der Vielzahl von Betrachtungen von Ländern . Frank Heinrich ({0}) Meistens sind diese Menschenrechtsverletzungen Diskriminierungstatbestände: ethnische Diskriminierung, religiöse Diskriminierung, kulturelle Diskriminierung, wirtschaftliche Diskriminierung, und dann: Nationalismus - auch das ein Diskriminierungstatbestand: gegen die Nachbarn, gegen die anderen - und schließlich nationaler Größenwahn . Das Vokabular dazu haben wir alle im amerikanischen Wahlkampf studieren können . Es hat mit Pressebeschimpfungen angefangen, ging weiter über Hassreden und Entwürdigungen durch den Präsidentschaftskandidaten, der gewählt worden ist, bis hin zur Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen und zu Aggression . Das macht Angst. „Make America great again“, das ist nationaler Größenwahn . Was America ever greater? ({1}) Diese Diskriminierungen sind - das muss man so sehen - frontale und erklärte Angriffe auf den Kern der Menschenrechte, auf die Menschenwürde; das steht in den Buchstaben des Artikels 1 der universellen Erklärung der Menschenrechte und unserer Verfassung . Sie sind Angriffe auf die Menschenrechtsverteidiger. Diese werden dann als „Gutmenschen“ gescholten - als sollten sie lieber Schlechtmenschen sein . Oder es wird kritisiert, sie würden sich „politically correct“ verhalten - als sollten sie besser doch nicht korrekt sein . Dann kommen die Menschenrechtsverteidiger, die Liberalen, ins Visier . Angegriffen werden der liberale, demokratische, tolerante, integrative Rechtsstaat und seine Bürger; das ist das Ziel . Das ist nicht nur im Norden Kenias oder fern in Homs oder Aleppo so, sondern auch bei uns und in Europa . Der Bericht spricht leider nicht über die internen Verhältnisse in Europa . Auch hier gibt es Diskriminierung aus religiösen Gründen, Verachtung von Fremden, Hass und Nationalismus, Nationalismus auch in Deutschland . Bei der Geschichte! Ich habe meine Großeltern damals gefragt: Was habt ihr eigentlich gemacht, um die Weimarer Republik, die erste deutsche gelebte Demokratie, zu schützen, zu retten? Da kam nicht viel . Ich möchte nicht, dass ich von meinen Enkeln dasselbe gefragt werde und dann auch nicht viel kommt . Der Begriff „Populismus“ hilft da nicht furchtbar viel; auch das Oktoberfest ist Populismus . ({2}) Nein, es geht um Diskriminierungen und die Verletzung von Menschenrechten . Die Feinde der Menschenrechte, die erklärten Feinde der Menschenrechte, fangen mit Diskriminierung an und kommen doch aus ihren Löchern, auch hier in Deutschland, in unterschiedlicher Verkleidung: mal im englischen Tweed wie Herr Gauland aus Brandenburg, ({3}) mal als burschenschaftliche Hasardeure und Spekulanten mit öffentlichen Mitteln wie Albrecht Glaser aus Hessen - der möchte gerne Bundespräsident werden -, mal wie die famose Frau von Storch, die aus einem großherzoglichen Geschlecht kommt; sie steht fest in ihrer Familientradition und hat zwei Großväter, die Schwerkriegsverbrecher waren . Die kennen doch die Geschichte . Es ist nicht so, dass sie die Geschichte nicht kennen würden . Die haben Bücher über die Geschichte geschrieben, haben sich das ganze Leben damit befasst und wissen auch, wie nah Hassreden an Brandstiftung sind - gerade hier in diesem Hause, im Haus des Herrn Präsidenten . ({4}) Das hat ja Geschichte . Ich glaube, dagegen helfen nicht weniger Menschenrechte, sondern mehr Menschenrechte, ({5}) und zwar mehr Menschenrechte in der Innenpolitik und in der Außenpolitik . Man kann Menschenrechte zum Programm deklinieren. Das sind die drei Staatenpflichten: Menschenrechte achten, Menschenrechte schützen und Menschenrechte fördern . Das sind übrigens die Staatenpflichten für alle Staaten, nicht nur die europäischen. Menschenrechte achten heißt, der Staat muss die Würde der Menschen achten, und die abermalige Diskussion, meine Damen und Herren von der CDU, über den Doppelpass ist eine Beleidigung der Würde von Deutschen, von Mitbürgern, von Türken, aber auch von anderen . ({6}) Der famose Herr Gauland hat das doch auch einmal diskutiert: 1999 - wir erinnern uns -, das war die Doppelpasskampagne . Die ist mit einer massiven Ausländerhetze einhergegangen. Das war doch er. Ich finde, die CDU sollte jetzt Haltung zeigen, auch wenn die Junge Union sie nicht hat . ({7}) Die zweite Staatenpflicht: Menschenrechte schützen. Der Staat muss seine Bürger vor Menschenrechtsverletzungen schützen, und das muss er tun, so weit der staatliche Arm reicht, so weit die deutschen Unternehmen reichen . Er muss auch die Menschenrechte der Näherinnen in Bangladesch schützen . Da geht die Unternehmensverantwortung mit ein . Der Staat muss sie einfordern und auch gesetzlich normieren . Warum gelingt es der Bundesregierung denn nicht, hier verbindliche Gesetze zu schaffen? Stattdessen prüft sie und wartet auf das Pfingstwunder. Der Staat muss die Bürger vor Angriffen, vor Beleidigung, vor Entwürdigung und vor Hassreden schützen, so weit der staatliche Arm reicht . Schließlich die dritte Staatenpflicht: Menschenrechte fördern . Das sind die Institutionen . Es muss den Menschen ermöglicht werden, auch zu ihrem Recht zu kommen . Diese Institutionen begleiten den Staat dann auch kritisch, wie es glücklicherweise das Deutsche Institut für Menschenrechte macht . Die Menschenrechte sind auch in Deutschland nicht optional, sondern Staatenpflicht. ({8}) Jede Diskriminierung, jede Menschenrechtsverletzung trägt den Keim gewaltsamer Auseinandersetzungen in sich . Das müssen wir wissen . Jede Hassrede drängt zur Gewalt, auch hier in Deutschland mit Hunderten von Brandanschlägen auf Asylbewerberheime, und der Nationalismus drängt in Europa zum Krieg . Das wissen wir doch aus der Geschichte . Es soll dann nachher keiner sagen: Das sind nur Mitläufer . Es gibt in Deutschland keine Mitläufer . Mitläufer sind Täter . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika Glöckner das Wort . ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum reden wir heute hier über Menschenrechte? Menschenrechtsverletzungen bewirken bei Betroffenen großes Leid, das müssen wir uns immer vor Augen halten . In Deutschland und in Europa sind Menschenrechte wie Meinungs-, Presse- oder Religionsfreiheit, aber auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit weitgehend selbstverständlich . Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im 21 . Jahrhundert die globale Achtung von Menschenrechten oftmals mehr ein Traum ist als Realität . Gerade die letzten beiden Jahre haben uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, sich für den Erhalt von Menschenrechten einzusetzen . Ich denke da an die Türkei, die sich mit immer autoritärerer Politik auf den Vormarsch begibt, oder auch an die weltweiten Flüchtlingsströme . Millionen von Menschen sind auf der Flucht . Das Dilemma in Aleppo wurde angesprochen . Viele der Menschen, die flüchten, sind zu uns nach Deutschland gekommen. Diese Krisenauswirkungen haben auch Auswirkungen auf populistische Kräfte in unserem eigenen Land . Sie geben ihnen neue Nahrung und leider auch neuen Auftrieb . Die Populisten hetzen gegen Fremde . Sie schüren Ängste und befördern Neiddebatten . Umso wichtiger ist es, dass wir die vielen Rechtsnormen, die unsere Menschenrechte schützen, immer wieder kritisch auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen . Deswegen bin ich sehr froh, dass wir diese Debatte heute auf Grundlage zweier fundierter Berichte, des Berichts der EU und des Berichts des Deutschen Instituts für Menschenrechte, führen können . Konkret weist der Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte darauf hin, dass der Rassismus in Deutschland auf dem Vormarsch ist und dass wir hier aufpassen müssen . In dem Bericht steht ganz konkret: Deutschland ist durch die internationalen Menschenrechtsverträge verpflichtet, Rassismus im politischen Raum und im öffentlichen Leben entgegenzutreten … Staatliche Verantwortungsträgerinnen und -träger sowie Politiker und Politikerinnen werden aufgefordert, sich explizit gegen rassistische Äußerungen und Taten auszusprechen . Ich betrachte das als einen ernstzunehmenden Hinweis, dass sich gerade die etablierten Parteien in ihrer Sprache, aber auch in ihren Partei- und Wahlprogrammen nicht in die Nähe rechter Parolen und Inhalte begeben dürfen . ({0}) Stattdessen ist es ganz wichtig, dass wir uns gegen diese Parolen wenden und aufzeigen, dass wir in Zeiten der Flüchtlingskrise Maßnahmen ergriffen haben, die nach und nach wirken . Ich denke da beispielsweise an die beschleunigten Asylverfahren oder an die finanzielle Unterstützung des Bundes für die Länder und die Kommunen zur Beschleunigung der Integrationsprozesse . Wir haben auch nicht vergessen, was für unsere eigene Bevölkerung wichtig ist . So haben wir beispielsweise viele Gesetze auf den Weg gebracht, die das Leben vieler Menschen in unserem Land sozial gerechter machen . Darauf sind gerade wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr stolz . ({1}) Es gibt noch vieles mehr, was wir tun können und auch tun müssen . Kollege Frank Schwabe hat den NAP angesprochen, hat die Familienzusammenführung angesprochen . Auch ich sage ganz deutlich: Es ist absolut nicht akzeptabel und menschenunwürdig, dass Familienangehörige jahrelang darauf warten müssen, zusammengeführt zu werden . ({2}) In diesem Bereich müssen wir akut mehr tun . Kollege Heinrich, Sie haben sehr viele gute Maßnahmen angesprochen, bei denen wir Handlungsbedarf haben . Die Familienzusammenführung ist eine Maßnahme, die wir als Koalition ganz konkret steuern können . Deswegen müssen wir hier ansetzen . ({3}) Mit Blick auf die von Armut betroffenen Kinder von Alleinerziehenden in unserem Land sage ich: Auch hier haben wir die Möglichkeit, ganz konkret etwas zu unternehmen . Wir müssen zusehen, dass wir das vorgelegte Konzept zeitnah umsetzen . Das wäre ein ganz wichtiges Signal für die von Armut bedrohten Kinder . ({4}) Natürlich wäre es auch wichtig, damit ein deutliches Zeichen zu setzen, dass die Populisten die Unwahrheit sagen, wenn sie behaupten, für die hiesige Bevölkerung bliebe kein Geld mehr übrig, weil alles für Flüchtlinge aufgebraucht würde . Auch hier können wir mit konkreten Maßnahmen ansetzen . Ein letztes Wort zur EU . Wenn wir über den Schutz von Menschenrechten sprechen, müssen wir immer auch die EU einbeziehen . Sie ist ein wichtiger Akteur für mehr Menschenrechte in der Welt . Sie tut viel; Herr Heinrich, Sie haben einiges aufgeführt . Wir müssen einfach erkennen, dass die Herausforderungen sehr vielfältig und umfassend sind, sodass ein Land alleine sie nicht stemmen kann . Deshalb ist es ganz wichtig und viel effektiver, dass wir uns als Teil der EU einer europäischen und wertegeleiteten Außenpolitik verschreiben und sie unterstützen; denn das ist für den Schutz der Menschenrechte in der Welt wichtig . Dem Ruf der Populisten, nur das eigene Land in den Blick zu nehmen und sich protektionistisch auszurichten, muss eine klare Absage erteilt werden . ({5}) Die EU ist nicht nur - auch das müssen wir immer wieder klarmachen - eine Wirtschaft- und Währungsunion, sondern sie ist auch - das sind zwei ganz wesentliche Punkte - eine Friedens- und Werteunion . Das muss für die einzelnen Mitgliedstaaten deutlich werden, aber auch für die EU als Ganzes . Ich wünsche mir, dass wir alle darauf hinwirken und die vor uns liegende Weihnachtszeit dafür verwenden, dass wir selbst zur Ruhe kommen, aber auch dazu, dass wir aus dieser Ruhe Kraft für einen weiteren Einsatz zur Stärkung der Menschenrechte auf der Welt schöpfen . Vielen Dank . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende EU-Bericht zu Menschenrechten und Demokratie bestätigt, dass Menschenrechte weltweit in der Defensive sind . In Russland ist die Zivilgesellschaft seit Jahren in existenzieller Bedrängnis, und die Türkei ist dabei, vollständig in eine menschenrechtsverachtende Autokratie abzugleiten . Der IPU-Ausschuss für die Menschenrechte von Parlamentariern befasst sich aktuell mit 459 Fällen, in denen Parlamentsmitglieder bedroht, verhaftet oder getötet werden . In Europa führend in dieser Liste der Schrecklichkeiten ist ebenfalls die Türkei . Es gibt noch ein weiteres Land, über das wir sprechen müssen . Es geht um ein Land, in dem Polizeigewalt zum Alltag gehört und das von Rassismus geprägt ist . Dieses Land ignoriert internationale Menschenrechtsabkommen. Seine Behörden und seine Gesetzeshüter pflegen mehr als vereinzelt rechtes Gedankengut . Über internationale Organisationen trägt das Land Unheil in die Welt . Es ist ein Land, in dem Flüchtlinge schlecht behandelt werden . Dieses Land, meine Damen und Herren, ist: Deutschland aus Sicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte . Es passt gut, dass wir heute auch über den ersten Bericht dieses Institutes an den Deutschen Bundestag diskutieren, den ich zu meinem Schwerpunkt machen möchte . In seinem Bericht sollte das Institut laut Gesetz - ich zitiere - „dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über die Arbeit der Institution sowie die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland“ vorlegen. An einem solchen Bericht wäre ich sehr interessiert gewesen . Letztlich ist er Grundlage dafür, die Voraussetzungen der Finanzierung dieses Instituts - es geht um einige Millionen Euro jährlich - prüfen zu können . Leider Fehlanzeige . ({0}) Das Institut wählt ein „Schwerpunktthema“ - wen wundert es? -: Flüchtlinge und deren menschenrechtswidrige Behandlung in Deutschland, sowie zwei weitere punktuelle Aspekte, die es länglich diskutiert . Das war’s . Sogar der Berliner Tagesspiegel, meine Damen und Herren, zeigt sich darüber mehr als erstaunt . Ein Überblick über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland, eine Darstellung der Tätigkeit des Instituts, insbesondere auch zur Umsetzung der neuen Herausforderungen durch das DIMR-Gesetz, einschließlich etwa Verbreiterung der Mitgliederbasis zur Spiegelung der gesamten pluralistischen Gesellschaft? Leider auch Fehlanzeige . Laut § 2 dieses Gesetzes obliegen dem Institut Information, wissenschaftliche Forschung, Beratung, Dialogförderung . Bei näherer Lektüre des Berichts überkommt einen aber Verwunderung . Das Institut teilt mit, es habe - ich zitiere - „2015 für eine menschenrechtskonforme Asyl- und Migrationspolitik geworben“ und wolle das auch weiterhin tun . Asylpolitik, meine Damen und Herren, deren Kern die Umsetzung eines wichtigen Menschenrechtes ist, ist tatsächlich ein sehr wichtiges Aufgabenfeld dieses Instituts . Für Migrationspolitik hingegen gilt das nicht . Es gibt gerade kein Menschenrecht auf Migration im Sinne einer freien Wahl des gewünschten Wohnsitzlandes, das einen Zuzug nach Deutschland außerhalb der Systematik des Asylrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention ermöglichen müsste . Über die Frage, ob Deutschland über die Asylgewährung hinaus ein Einwanderungsland sein soll oder nicht, kann und muss man sicher debattieren - gerne in Politik und Gesellschaft -, aber es ist keine Aufgabe dieses Instituts, solche politischen Fragen, die eben nicht gestellt sind, ungefragt zu beantworten ({1}) oder gar für eine Migrationspolitik zu werben . Wir brauchen ein Institut, das neutral, objektiv und sachlich die Situation in unserem Land beobachtet, darüber informiert und kritische Punkte benennt . Werbung für eine bestimmte Politik und Emotionalisierung - der Bericht ist voll mit Fotos, die zwar berühren, aber keinen anderen Zweck verfolgen als Emotionalisierung - gehören nicht zu den Aufgaben des Instituts . Die fachlich gebotene Differenzierung zwischen „Asyl“ und „Migration“ - Angelika Glöckner

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Fabritius, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne . Bitte schön .

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fabritius, ich muss ja eine Frage formulieren; deshalb frage ich Sie .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nein, das müssen Sie nach der Geschäftsordnung nicht . Sie können auch eine Zwischenbemerkung machen .

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wunderbar . Man lernt nie aus . - Diese strenge Abgrenzung zwischen Flucht und Migration, die Sie hier gerade konstruieren und deren Nichtbeachtung Sie dem Institut zur Last zu legen versuchen, finde ich überaus künstlich herbeigeführt, weil sie kein Verständnis für fließende Übergänge zeigt, die es gibt. Es stimmt, dass es dem Recht nach unterschiedliche Gesetze für Schutz und Einwanderung gibt . Wenn wir aber darüber sprechen, wie Flucht entsteht und warum Menschen Schutz suchen, und dabei auch mitdenken, wie wir die Gründe für das Nachsuchen um Schutz verringern können, dann geht es immer um die Frage, welche Chancen wir Menschen, die zu uns kommen wollen, eröffnen wollen, damit sie auf dem Wege der Einwanderung zu uns kommen können . Das ist dann Migration . Deswegen halte ich die von Ihnen vorgenommene Trennung für nicht zulässig und auch nicht - entschuldigen Sie, Herr Fabritius, das sage ich ungern zu Ihnen - für einen Ausdruck von Sachkunde . Es gibt zwar im Recht eine Abgrenzung, aber in den realen Lebensverhältnissen müssen wir die Zusammenhänge sehen . Wenn das von Ihnen angesprochene Institut das tut, dann erfüllt es genau die Aufgaben, die ihm dieses Haus gestellt hat . ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Beck, ich freue mich, dass Sie bestätigen, dass auch Sie zwischen Asyl aus den im Gesetz genannten Gründen und Migration aus Gründen, die keine Asylgründe sind, differenzieren. Aufgabe des Instituts ist nicht die politische Bewertung - diese können wir hier im Haus gerne gemeinsam vornehmen -, sondern die Prüfung der Menschenrechtssituation . Wenn das Institut für eine Position wirbt - ich störe mich schon an dem Begriff „werben“; ich unterscheide ihn von „informieren“ -, dann hinterfrage ich diese, da es sich schließlich nicht um ein Institut einer politischen Partei handelt, sondern um ein Menschenrechtsinstitut, dahin gehend, ob ein Menschenrecht tangiert ist . Ich lasse es mir auch nicht als Fehlen von Sachkunde unterstellen, wenn ich feststelle, dass es kein Menschenrecht auf freie Wahl eines Landes außerhalb von Fluchtgründen gibt . Ich kann nicht frei wählen, ob ich lieber in den Vereinigten Staaten als in Deutschland leben möchte . Ich werde als Mitglied des Deutschen Bundestages mit Sicherheit nicht in menschenrechtlichem Sinne verfolgt . Nehmen wir einmal theoretisch an - tatsächlich ist es nicht so -, dass ich in den Vereinigten Staaten leben möchte . Es gibt kein Menschenrecht, auf das ich mich berufen kann, wenn ich sage: Liebe Vereinigte Staaten, ihr müsst mich aufnehmen; sonst kritisiert euch euer Institut . Ich fordere also die beschriebene Differenzierung und bedauere sehr, dass in dem Bericht eine entsprechende Differenzierung fehlt. Dieses Fehlen zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Bericht . Das halte ich für nicht fachgerecht . - Danke . ({0}) Um beim Bericht zu bleiben: Geradezu grotesk wird es beim Thema „Datenschutz für Flüchtlinge“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellt fest, dass in Deutschland zu Geflüchteten „personenbezogene Informationen“ - ich zitiere wörtlich - „in zentralen, staatlichen Datenregistern“ erfasst und abgeglichen werden. „Selbstverständlich!“, könnte man meinen, wenn man an die bekannten Probleme in der Hochphase des Flüchtlingszustroms denkt, in der Menschen etwa vom Westbalkan oder aus Bangladesch mit einem syrischen Pass oder mehreren anderen Pässen oder gar keinem Pass zu uns gekommen sind . Nein, das Institut fragt sich und uns besorgt - ich zitiere wieder -, „ob diese umfangreiche Form der Datenerfassung und -verarbeitung notwendig und angemessen ist“. ({1}) Denn - ich zitiere weiter -: Wer beispielsweise aufgrund eines Datenabgleichs für ein Sicherheitsrisiko gehalten wird, dem wird möglicherweise die Aufenthaltserlaubnis verweigert . Ja, was denn sonst? Natürlich soll einer Person, bei der durch Datenabgleich auffällt, dass sie ein nationales Sicherheitsrisiko ist, die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden . Unser Problem in Deutschland ist doch nicht, dass wir zu viel, sondern, dass wir zu wenig Daten über die Menschen haben, die in den letzten Monaten in unser Land gekommen sind . ({2}) Der Bericht kritisiert die Verkürzung der Asylverfahren . Man würde menschenrechtswidrig - und deswegen kritisiert im Jahresbericht - von Schutzsuchenden verlangen - wieder ein Zitat -, „bereits im Anhörungsverfahren über ihre Verfolgung zu berichten“. Ja, was denn sonst? Der Bericht kritisiert die „sogenannten“ sicheren Herkunftsstaaten. Der Begriff „sicherer Herkunftsstaat“, meine Damen und Herren, ist ein Rechtsbegriff aus dem deutschen Asylrecht . Er wird in Artikel 16a des Grundgesetzes eingeführt und in § 29a Asylgesetz definiert. Staaten werden durch Beschluss des Bundestages mit Zustimmung des Bundesrats zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Für unser Institut bedeutet das aber nur „sogenannt“. Sachlich eindeutig falsch ist die auf Seite 12 nachzulesende Erklärung - Zitat Jahresbericht -: Denn „sicherer Herkunftsstaat“ heißt: Dort wird niemand verfolgt . Ausrufezeichen, Zitat Ende . - Falsch! Genau das bedeutet die Klassifizierung nicht. Richtig wäre gewesen: ({3}) Bei einem sicheren Herkunftsstaat wird vermutet, dass dort nicht generell Verfolgung droht . - Deswegen muss jemand, der in solchen Staaten ausnahmsweise verfolgt wird - das gibt es in Einzelfällen -, die behauptete Verfolgung belegen - nicht mehr und nicht weniger . Es geht um eine Beweislastumkehr . Der Beweis der Verfolgung und damit auch der menschenrechtliche Schutz werden niemandem abgeschnitten . Es wäre schön, wenn ein sachlich beobachtendes Institut dieses und keine falschen Informationen verbreiten würde . Meine Damen und Herren, leider ist meine Redezeit begrenzt . Ich könnte ewig so weitermachen . ({4}) Beim Schwerpunkt „Wahlrecht für Menschen mit Behinderung“ erwähnt der Bericht, dass derzeit eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, wo die Thematik geprüft wird . Das ist gut so . Dann sollten wir gemeinsam das Ergebnis abwarten . Leider nicht überraschend ist es, wenn das Institut ausschließlich Rechtsextremismus beklagt . Über den in Deutschland ebenfalls vorhandenen Linksextremismus kein Wort . Ich wünschte mir etwa eine Erwähnung, dass in Deutschland linksextremer Mob Polizisten von den Dächern mit Betonplatten bewirft, wenn diese versuchen, für öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Auch Polizisten haben Menschenrechte, meine Damen und Herren . ({5}) Auf diesem Auge, wenn es je existiert haben soll, ist das DIMR aber noch blind . Eine derart einseitige und teils übertriebene, weil nicht quantifizierte Darstellung der Menschenrechtsverletzungen in Deutschland ist sehr bedauerlich und schadet dem Kampf für Menschenrechte . Derartiges wird nämlich ungeprüft in internationale Berichte übernommen . Staaten wie Russland, die Türkei oder Aserbaidschan werfen uns die angeblich so prekäre Menschenrechtslage in Deutschland dann vor, wenn wir uns gegen ernsthafte Menschenrechtsverletzungen in Ländern einsetzen, die von einer Menschenrechtssituation wie in Deutschland noch nicht einmal träumen können . ({6}) Ich vermisse im Jahresbericht eine transparente Darstellung der Finanzierung insbesondere aus Steuermitteln . In der Jahresrechnung werden knapp 2,5 Millionen Euro institutionelle Zuwendungen des Bundes genannt . Daneben tauchen weitere über 1,5 Millionen Euro vermischte Einnahmen auf . In den Erläuterungen dazu steht dann: „weitere Einnahmen aus Bundeszuschüssen“ und anderes . Ich möchte gerne wissen: Was zahlt der Steuerzahler für die Arbeit, die der eingereichte Bericht spiegelt, genau . ({7}) Lassen wir uns das fast 4 Millionen Euro kosten? ({8}) Lassen Sie mich mit einem letzten beispielhaften Punkt abschließen . Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat schon oft den Eindruck erweckt, nicht pluralistisch, sondern einseitig zu wirken . Um das Institut auf Norm mit den Pariser Prinzipien zu bringen, die die Sicherung einer pluralistischen Vertretung aller an der Förderung und am Schutz der Menschenrechte beteiligten gesellschaftlichen Kräfte fordern, wurde im DIMR-Gesetz eine Verbreiterung der bisher einseitigen Mitgliederbasis gefordert . Die Regeln über die Aufnahme von Mitgliedern und den dadurch zu verfolgenden Zweck sind Teil des Finanzierungsvorbehalts im Gesetz . Beim Blick auf die im Jahresbericht veröffentlichte Mitgliederliste des Instituts stellt man aber fest: Kein einziges Neumitglied wurde seit Schaffung des Gesetzes aufgenommen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Fabritius, der Kollege Koenigs möchte Ihnen ebenso eine Zwischenfrage stellen .

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sehr gerne . Ja, ich erlaube dem Kollegen Koenigs das und danke ihm für die Verlängerung der Redezeit .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie sind doch im Kuratorium dieses Instituts .

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben vorhin Fragen über die finanzielle Ausgestaltung des Instituts gestellt . Wenn Sie das in dieser Weise öffentlich machen, insinuieren Sie, es gäbe dort Unklarheiten . Haben Sie in Ihrem Gremium einmal nachgefragt? Ich glaube nämlich, dass dieser Bericht, der ja nicht schwerpunktmäßig ein finanzieller Bericht ist, dies nur der Kürze halber nicht erwähnt . Aber zu insinuieren, dass dieses Institut offensichtlich aus finsteren Quellen finanziert wird, vielleicht vom KGB oder dergleichen ({0}) oder von den Linksradikalen, finde ich doch etwas stark. Außerdem fände ich es gut, wenn wir die Debatte über das Deutsche Institut für Menschenrechte auch einmal im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe führten . Das verweigern Sie bisher . ({1})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Koenigs, Sie haben vermutlich nicht genau zugehört . Ich habe nämlich, was die Finanzierungsfrage anbelangt, wörtlich aus dem Bericht zitiert . Ich habe nicht die Vertraulichkeit einer Kuratoriumssitzung verletzt . Ich habe nur die im Bericht wiedergegebene Rechnungstabelle wiedergegeben ({0}) und habe fehlende Transparenz der Quelle gerügt . Das geschah aber mitnichten aus dem von Ihnen unterstellten Grund, es gäbe eine wie auch immer geartete fremde Finanzierung . Nein, über jede andere Form der Finanzierung wäre ich froh . Ich habe genau formuliert: Ich möchte wissen, was der Steuerzahler dafür ausgibt, und zwar nicht für das Institut, sondern für die Arbeit, die dieser Bericht spiegelt . ({1}) - Wenn Sie mir zuhören, dann wird schon klar, was ich meine . ({2}) Wenn im Jahresbericht steht, dass das Institut 2,5 Millionen Euro Bundesmittel und 1,5 Millionen Euro Bundeszuschüsse und anderes bekommt, dann zeigt sich eine Vermengung, aus der sich mir keine Antwort auf die Frage ergibt: Bekommt dieses Institut jetzt 2,5 Millionen Euro oder 4 Millionen Euro? ({3}) - Natürlich muss ich das wissen; Sie haben völlig recht . Ich habe allerdings auch im Kuratorium danach gefragt - ich hoffe, ich darf das sagen, ohne dass ich die Vertraulichkeit von Kuratoriumssitzungen verletze - und unter anderem auch danach, warum wir diesen Bericht nicht auch im Kuratorium besprechen . Ist das ein Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte, wenn das Kuratorium und die eigenen Mitglieder noch nicht einmal Kenntnis vom Bericht haben, bevor er eingereicht wird? Ich habe diesen Bericht im Übrigen vorher schriftlich angefordert. Die Herausgabe ist mir „aus Respekt vor dem Deutschen Bundestag“ verweigert worden. ({4}) Nachdem Sie das alles zur Kenntnis genommen haben, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich wissen möchte, wie viele Mittel der Deutsche Bundestag für die Arbeit, die dieser Bericht spiegelt, aufwendet - nicht mehr und nicht weniger . Die Debatte, ob das dann zu viel oder zu wenig ist, können wir noch führen . ({5}) Jedenfalls wissen wir, dass nach Verschleppung der Entscheidung über viele Monate hinweg am Montag, also vor wenigen Tagen, endlich über neue Mitglieder entschieden wurde: Die Anträge wurden mehrheitlich abgelehnt . Dabei regelt das Gesetz - ich zitiere -: Die Ablehnung eines Antrags auf Mitgliedschaft soll nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen, z . B . wegen Unvereinbarkeit mit den Zielsetzungen der Pariser Prinzipien . Ganz offensichtlich befürchtet das Institut aber, ({6}) in Zukunft eine pluralistische Debatte, einen pluralistischen Diskurs über seine Inhalte, die untersuchten Menschenrechtsverletzungen und vielleicht auch die eigene ideologische Ausrichtung führen zu müssen . ({7}) Zusammenfassend: Ich möchte ein Deutsches Institut für Menschenrechte, welches kritisch, sachlich und objektiv beobachtet und analysiert, ({8}) dann informiert und berät, selbstbewusst und auf einer breiten pluralistischen Grundlage . ({9}) Ich möchte aber kein Institut - auch wenn Sie sich noch so aufregen, meine Damen und Herren -, das sich an roten Fäden orientiert, für politische Positionen wirbt und dafür an einer tradierten Mitgliederzusammensetzung festhält . Deswegen bin ich auf den nächsten Bericht sehr gespannt und hoffe, dann nicht erneut konstatieren zu müssen: Alles beim Alten . Danke . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für eine Kurzintervention hat das Wort die Kollegin Hajduk .

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fabritius, verstehen Sie mich nicht falsch: ({0}) Dies ist ein Raum, in dem Kritik gerne gehört wird und in dem Kritik geübt werden kann . Wir diskutieren heute einen Bericht, den wir als Organisation Deutscher Bundestag selbst eingefordert haben von einem Institut . Dass Sie Ihre Rede, insbesondere den Endteil Ihrer Rede, zu einer Art Abrechnung mit dem Institut nutzen, vor aller Öffentlichkeit, obwohl sich dieses Institut an dieser Stelle in keiner Weise dazu verhalten und verteidigen kann, ist skandalös und für den Bundestag richtig schändlich . ({1}) Ich fordere die CDU/CSU-Fraktion auf, unabhängig von der Zufriedenheit über die inhaltlichen Bewertungen des Berichtes, die Art und Weise, wie Herr Fabritius hier dieses Institut, das, wie gesagt, hier nicht Stellung beziehen kann, diskreditiert, einmal zum Gegenstand einer internen Beratung zu machen . Ich muss dazu ergänzen: Ich bin empört -, ({2}) auch als Mitglied des Haushaltsausschusses, in dem wir über die Finanzierung des Instituts, das ja jetzt am Deutschen Bundestag „angedockt“ ist, ziemlich gestritten haben -, dass das Mitglied Ihrer Fraktion, mit dem ich diese Beratungen durchführe, mir, nachdem eine Diskussion nicht stattgefunden hat, noch nicht einmal eine Antwort darauf gegeben hat, bei welchen Punkten, die mit Haushalts- und Finanzierungsfragen zu tun haben, man unzufrieden ist . Sie haben das alles unter dem Deckel gehalten, um sich jetzt hier ans Mikrofon zu stellen und so eine Rede zu halten . ({3}) Das ist kein Ausdruck von Parlamentarismus, sondern eine Fehlinterpretation Ihrer Rolle, die Sie auch gegenüber dem Institut haben, weil Sie Kurator und Mitauftraggeber sind . Das hat nichts mit inhaltlicher Kritik zu tun, sondern mit mangelndem Rollenverständnis . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Fabritius, Sie haben die Gelegenheit, darauf zu erwidern .

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Liebe Frau Kollegin, wenn Sie sich meine Rede noch einmal genau anschauen - Sie können das nachher im Stenografischen Bericht des Bundestages tun -, ({0}) dann werden Sie feststellen, dass ich mich ausschließlich sachlich, gepflegt sachlich, mit Inhalten des Berichtes auseinandergesetzt habe . ({1}) Ich habe absichtlich die meiste Zeit wörtlich zitiert . Die Schlüsse, die Sie daraus ziehen - Sie haben das als Diskreditierung des Instituts bezeichnet -, sind selbstredend . Diese Bewertung habe ich so nicht vorgenommen . ({2}) Ich habe schlicht das, was das Institut eigentlich zu Menschenrechten hätte machen sollen, inhaltlich angesprochen und die Inhalte kommentiert . Sie haben die Haushaltsfragen angesprochen . Ich habe schon auf die Frage Ihres Kollegen geantwortet, dass ich aus dem im Bericht enthaltenen Rechnungswerk wörtlich zitiert und entsprechende Fragen gestellt habe . Ich bin nicht Mitglied des Haushaltsausschusses . Es wundert mich aber sehr - ich darf diese Kritik deutlich zum Ausdruck bringen -, dass Sie heute hier aus Debatten im Haushaltsausschuss berichtet haben und einen einzelnen Kollegen, der auch nicht hier im Raum ist und auf Ihre Aussagen nichts erwidern kann, derart angegangen sind . ({3}) Man könnte sich erkundigen, ob die Sitzung des Haushaltsausschusses, über die Sie hier öffentlich berichtet haben, öffentlich gewesen ist. ({4}) Danke .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Gabriela Heinrich, der ich hiermit das Wort erteile . ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Nachdem wir uns jetzt wieder ein bisschen beruhigt haben, ({0}) möchte ich an dieser Stelle, Kollege Fabritius, schon noch sagen: Ich bin ein bisschen erstaunt . Ich kenne Sie ja durchaus als jemanden, der sich für die Menschenrechte in verschiedenen Ländern dieser Welt einsetzt . Natürlich müssen wir uns aber auch um die Menschenrechte in unserem Land kümmern, und ich glaube, wir haben hier auch keinen Dissens . Die Aufgabe unseres Menschenrechtsinstituts ist es also, den Finger in die Wunde zu legen und genau zu zeigen, wo es bei uns mangeln könnte . Wenn wir uns damit inhaltlich auseinandersetzen, dann kann es durchaus passieren, dass Sie eine andere Auffassung haben als wir und dass Ihnen bestimmte Bereiche fehlen . Das hängt von der politischen Bewertung ab . Die Aufgabe des Instituts ist es aber, das zu benennen . Wenn Sie sich hierhinstellen und das Institut in seiner Gänze und alles, was es tut, infrage stellen, dann frage ich mich: Sind Sie wirklich daran interessiert, zu wissen, an welchen Stellen Menschenrechtsverletzungen in unserem Land vorkommen? ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fabritius?

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja . Ich würde aber gerne irgendwann zu meiner Rede kommen . - Herr Fabritius .

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Frau Kollegin, haben Sie bei meiner Rede mitbekommen, dass ich die Bedeutung der objektiven Beobachtung und der kritischen Ansprache zu Menschenrechtsproblemen unterstrichen habe und mir ein Institut gewünscht habe, das stark, selbstbewusst, sachlich und objektiv kritisch anspricht, worum es geht? Ist Ihnen das in der Rede entgangen? ({0}) Noch eine zweite kurze Frage: An welcher Stelle habe ich nach Ihrer Meinung die Existenz des Instituts als solches infrage gestellt? Woran machen Sie das fest? Danke .

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zu Ihrer zweiten Frage . Wenn Sie über die Finanzierung des Instituts reden, dann stellen Sie indirekt, aber doch implizit die Erfüllung bestimmter Aufgaben des Instituts infrage . Das muss ich Ihnen so sagen . Das ist das, was bei den Kollegen ankommt . ({0}) Zu der anderen Frage . Ich habe wohl gehört, was Sie gesagt haben. Sie haben Begriffe wie „sachlich“ benutzt. Nur, Ihre Rede war nicht sachlich . ({1}) Ihre Rede hat sich nicht auf das bezogen, was Sie selbst eingefordert haben . Natürlich gehört ein bisschen Interpretation zu jeder Rede, zu jedem Bericht und zu dem, was wir in unseren Köpfen haben, wie wir Dinge bewerten . Das heißt, gehört habe ich es wohl, verstanden habe ich es so nicht . ({2}) Ich würde jetzt ganz gern noch ein bisschen zu meinem Thema kommen . ({3}) Mein Thema ist eines, das durchaus auch im Bericht des Menschenrechtsinstituts vorkommt, nämlich das Thema „Rassismus und rassistische Gewalt“. Es kommt aber nicht nur im Bericht unseres Instituts vor, sondern, Herr Kollege, zum Beispiel auch im Bericht des rumänischen Kollegen Cezar Florin Preda in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats . Es kommt selbstverständlich auch bei der internationalen Gemeinschaft vor . Es geht also um Rassismus als Quelle von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland . Ich denke, wir müssen dies deutlich ernster nehmen als bisher . Auch das Institut geht sehr wohl auf den zunehmenden Rassismus in Deutschland ein . Bei dem Thema wird faktisch ein Anstieg von politisch motivierter Kriminalität und Gewalt von rechts benannt . Das BKA verzeichnete 2015 über 1 000 politisch motivierte Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte . Das ist ein Fakt . An der Stelle können wir nicht von Interpretation reden . Das war eine Vervierfachung im Vergleich zu 2014 . Im ersten Halbjahr 2016 gab es bereits 530 solcher Gewalttaten . Hinzu kommen körperliche Angriffe und Drohungen auf bzw . gegen Journalistinnen und Journalisten, Helferinnen und Helfer, Ehrenamtliche. All das findet in Deutschland statt . Es gibt Morddrohungen auch gegen Politiker und Politikerinnen . Die ersten Rücktritte von Lokalpolitikern sind die Folge . Alle diese Geschehnisse, meine Damen und Herren, sind Menschenrechtsverletzungen . Das sieht auch die internationale Gemeinschaft so . Dieser Anstieg der Gewalt ist auch eine Folge von Hass, von Verschwörungstheorien und Lügen in nicht moderierten sozialen Medien und Foren . Ein bestimmter Teil unserer Gesellschaft glaubt dieser hetzerischen Propaganda mehr als einer ausgewogenen Berichterstattung . Hass im Netz ist die Folge . Und Hass im Netz ist ein Angriff auf die Menschenrechte, ist ein Angriff auf die Würde jedes und jeder Einzelnen . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in beiden Berichten wird viel beschrieben, analysiert, gelobt, bemängelt, empfohlen . Der EU-Bericht ist ein wichtiges Nachschlagewerk, das viel Wissenswertes darbietet, auch über Menschenrechtsinstrumente . Wir würdigen ihn zu Recht in unserer Beschlussempfehlung . Wir haben aktuell allerdings zu dem Thema, das ich eben benannt habe, keine schnellen Lösungen . Es gibt aber Gegenmaßnahmen. Gegen Hass kämpft die „No Hate Speech“-Kampagne des Europarats, die wir hier in Deutschland umsetzen, unterstützt durch das Familienministerium . Meine niederländische Kollegin Marit Maij arbeitet an einem Bericht für die Parlamentarische Versammlung des Europarats mit vielen Forderungen und vor allem dem Appell an die Europäer, ihre Demokratien vor der gedanklichen Vermüllung durch Lügen und Propaganda zu schützen . ({5}) Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, wir werden gemeinsam sozusagen angegriffen von Filterblasen, die vermeintlich die Meinung, das Interesse der Mehrheit verkünden, Filterblasen, in denen immer lauter, immer schriller, immer hysterischer gehetzt wird, bei denen es letztendlich aber nur darum geht, durch Klicks und Likes Werbung zu verkaufen . Damit wird unendlich viel Geld verdient . Deshalb lautet eine Forderung für die Mitgliedstaaten des Europarats, dass Internetkonzerne endlich nationale Gesetze einhalten müssen . Facebook und Co . müssen Hasskommentare löschen . ({6}) Es geht nicht nur darum, Fake News zu kennzeichnen und zu entscheiden, was wahr und was falsch ist . Es geht um Hasskommentare. Es geht um Angriffe auf die Menschenwürde und auf die Menschenrechte . Es kann nicht sein, dass unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit Gesetze gebrochen werden. Der Slogan der „No Hate Speech“-Kampagne bringt es auf den Punkt: „Hass ist keine Meinung“. Danke . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Debatte hat die Kollegin Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der hitzigen Diskussion versuche ich, etwas ruhiger vorzutragen, obwohl ich die Kritik sehr wohl berechtigt finde . Da wir an anderen Stellen Transparenz fordern und dazu auffordern, Hassspeech und Ähnliches zu löschen, ist es wichtig, Informationen zu bekommen, mit denen wir etwas anfangen können . Deshalb fand ich diese Diskussion sehr informativ und gut . Der Internationale Tag der Menschenrechte ist von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden . In unserem Lebensalltag spielen Menschenrechte nur selten eine bewusste Rolle . Unser Recht, uns frei zu bewegen, Meinungs- und Glaubensfreiheit, die Sicherheit, in einem Rechtsstaat zu leben, die freie und vielfältige Presse, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau - all diese Menschenrechte nutzen und leben wir im Alltag und vergessen viel zu oft, dass das nicht selbstverständlich ist . Wenn uns die Menschenrechte viel bedeuten, müssen wir aber auch innerhalb und außerhalb der Europäischen Union das Wort erheben, wenn die Rechte Einzelner systematisch verletzt werden . Im vergangenen Jahr hat die EU mit 35 Partnerländern formelle Menschenrechtsdialoge geführt . Dadurch konnten wir als Europäer nicht nur unseren Partnern zeigen, wie wichtig uns die Einhaltung der Menschenrechte ist . Auch die zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort werden durch diese Menschenrechtsdialoge gestärkt . Der uns hier vorliegende Bericht richtet den Blick nach außen . Wenn wir an Menschenrechtsverletzungen denken, dann kommen uns sofort Länder wie Nordkorea, China, Saudi-Arabien, Eritrea oder - in jüngster Zeit auch immer wieder; das haben auch die Kollegen gesagt - die Türkei in den Sinn . Aber auch bei uns in Europa und - ja - auch mitten in Deutschland finden Tag für Tag Menschenrechtsverletzungen statt . Hier müssen wir genauer hinsehen, und das nicht nur wegen der Flüchtlingsströme . Menschenrechte sind nichts, was man einfach abhaken kann . Sie müssen auch bewahrt werden . Zu den großen Fragen der Bürgerrechte kamen in der Vergangenheit immer neue Themen hinzu . Früher wurde zum Beispiel über das Recht einer Frau diskutiert, ohne Erlaubnis des Ehemannes außerhäuslich erwerbstätig zu sein . Heute drehen sich die Diskussionen in der Öffentlichkeit außerhalb des Menschenrechtsausschusses um Gendersternchen und geschlechtersensible Toiletten . Wir verlieren uns derzeit zu oft im Klein-Klein und sehen nicht die täglichen, fundamentalen Menschenrechtsverletzungen, obwohl sie direkt vor unseren Augen passieren . Wir dürfen den Schutz des Rechtsstaates nicht vergessen . Nehmen wir zum Beispiel manche Stadtteile und Gegenden in Frankreich und Belgien oder auch hier in Berlin oder bei mir zu Hause in NRW . Dort haben sich mittlerweile Parallelgesellschaften gebildet, die ihr eigenes Recht durchsetzen: Friedensrichter, die nach Schariarecht urteilen, Kinderehen und Frauen, die sich nicht scheiden lassen dürfen, Genitalverstümmelungen oder sogenannte Ehrenmorde, bei denen der Täter davonkommt, weil zwischen den Familien eine Geldzahlung vereinbart wurde, um den Tod der Frau auszugleichen . Diese Gruppen wollen die Probleme unter sich regeln und nichts mit dem westlichen, weltlichen Staat zu tun haben . Als Menschenrechtspolitiker müssen wir uns dagegenstellen, dass sich einzelne Gruppen - egal ob aus kulturellen oder religiösen Gründen - über unseren Rechtsstaat hinwegsetzen . In Europa herrscht eine so große Religionsfreiheit, wie sie nirgendwo sonst auf der Welt zu finden ist. Jeder darf glauben, an wen oder was er will, und sich entscheiden, ob er überhaupt glauben will . Die Religionsfreiheit in Europa bedeutet aber nicht, dass die Religion über dem Gesetz stehen darf . Der Minderheitenschutz in Europa hat unter anderem dazu geführt, dass wir muslimischen Einwanderern immer weiter gehende Rechte eingeräumt haben und dabei vergessen wird, dass die anderen Menschenrechte genauso zu schützen sind . Es darf nicht sein, dass Karikaturisten in Dänemark um ihr Leben fürchten, weil sie einen Comic mit Allah gezeichnet haben . Es darf nicht sein, dass wir christliche Flüchtlinge in Unterkünften europaweit nicht gut genug vor Übergriffen schützen können . Und es darf nicht sein, dass Religionsunterricht in Deutschland dazu genutzt wird, den Krieg gegen die Ungläubigen und den Märtyrertod zu verherrlichen . Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist immer noch ein Thema . Als Mitglied im Familien- und Menschenrechtsausschuss beziehen sich meine Berichterstattungen und Arbeitsschwerpunkte auf die Belange der Frauen und auf die immer noch stattfindende, nicht zu tolerierende Gewalt gegen Mädchen und Frauen . Ich blicke auf die existenziellen Probleme von Frauen und ärgere mich, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht auf die wichtigen Themen gerichtet wird, sondern auf vermeintlichen Sexismus auf Werbeplakaten oder auf die eben genannten Gendersternchen, Unterstriche und ähnliche Dinge . ({0}) In unserem Land leben über 40 Millionen Frauen . Darunter sind viel zu viele, die nicht die Möglichkeit haben, selbstbestimmt und frei zu entscheiden und zu leben . In Deutschland haben sich Parallelgesellschaften entwickelt, in denen Frauen und Mädchen nicht die gleichen Rechte haben wie die Männer . Gegen diese strukturellen Missstände müssen wir als Staaten vorgehen; über diese Themen müssen wir in Europa sprechen - in Frankreich, in Belgien, aber eben auch in Deutschland . Zwangsprostitution und Menschenhandel sind noch immer ein Thema in Europa und den EU-Nachbarländern . Tausende junge Frauen aus Südosteuropa werden in Deutschland sexuell ausgebeutet . Das Prostituiertenschutzgesetz ist ein erster Schritt auf dem Weg, hier Licht ins Dunkel zu bringen und die Frauen zu schützen . ({1}) Aber auch hier ist mehr europäische Kooperation dringend nötig . Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zur Aufgabe der EU im Hinblick auf potenzielle Beitrittskandidaten sagen . Wenn wir heute in den Nachrichten aus der Türkei hören und lesen, wie Journalisten verfolgt werden und Kritiker von Präsident Erdogan ohne rechtsstaatliche Prozesse in irgendwelchen Gefängnissen verschwinden, dann zeigt dies meiner Meinung nach, dass dieser Staat weit davon entfernt ist, potenzielles EU-Mitglied zu sein . Durch die Finanzkrise und die Flüchtlingsbewegungen des vergangenen Jahres haben wir leider gesehen, dass sich Europa noch immer schwertut, mit einer Stimme zu sprechen . Wenn es aber um die Menschenrechte geht, dann darf es in unserem Europa keine Zwischentöne geben, dann müssen wir in aller Deutlichkeit rote Linien ziehen und sagen: So nicht! Ich wünsche Ihnen trotz allem gesegnete Weihnachten und dass Sie die Zeit genießen; denn wir können hier in Frieden und Freiheit leben . Ich bitte Sie, dass wir gemeinsam den Blick auf die Unfreiheit richten, die es in unserem Land noch gibt, und dagegen angehen . Herzlichen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/10669 zu dem EU-Jahresbericht 2015 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt - The- matischer Teil - sowie zu dem EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie in der Welt im Jah- re 2015 - Länder- und regionenspezifische Themen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis der genannten Berichte eine Entschließung an- zunehmen . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dage- gen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 18/10678 . Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stim- men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10615 sowie 18/10616 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Oliver Krischer, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Bahnpolitik auf das richtige Gleis setzen Drucksache 18/10383 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG neu und verantwortungsvoll besetzen Drucksachen 18/592, 18/1845 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE Gewährleistung des Schienenpersonenfern- verkehrs Drucksachen 18/4186, 18/5246 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr Drucksachen 18/3746, 18/6599 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich nicht . Dann ist das somit beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Dr . Anton Hofreiter für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt ein Jahr her, dass die Bundesrepublik Deutschland das Klimaschutzabkommen von Paris unterschrieben hat . Und was haben Sie innerhalb dieses Jahres gemacht, um das Abkommen umzusetzen? Sie haben nichts gemacht in dieser Richtung . Sie haben weder beim Kohleausstieg noch bei der Agrarwende etwas gemacht, geschweige denn, dass bei der Verkehrswende irgendetwas vorwärtsgegangen wäre . ({0}) Ihr eigener Wissenschaftlicher Beirat hat Ihnen vorgestern ins Stammbuch geschrieben, dass der Verkehrssektor ein klimapolitisches Desaster ist . Dabei könnte die Bahn für den Klimaschutz im Verkehrsbereich von zentraler Bedeutung sein . Die DB AG gehört uns zu 100 Prozent . Die ewige Ausrede, man könne nichts machen, weil die DB AG eine Aktiengesellschaft sei, können Sie steckenlassen . Wenn sich die Eigentümerversammlung der DB AG trifft, dann trifft sich Herr Dobrindt mit sich selbst, ({1}) und er könnte doch einmal etwas unternehmen, damit die Bahn endlich auf Vordermann gebracht wird . ({2}) Wissen Sie: Es ist einfach extrem ärgerlich, dass Sie de facto nichts daraus machen, dass Ihnen die Bahn zu 100 Prozent gehört . Das ist ärgerlich für die Reisenden . Die Reisenden stecken in unpünktlichen Zügen fest . Die Reisenden haben eine Bahn verdient, die endlich funktioniert und bei der man beim Umsteigen nicht immer nur den „sichtbaren Anschluss“ erlebt. Wenn Sie ab und zu Bahn fahren, dann kennen Sie den „sichtbaren Anschluss“: Man steigt aus dem Fernverkehrszug aus und sieht den Nahverkehrszug, weil die Abstimmung nicht funktioniert, nur noch wegfahren . Schuld sind angeblich immer die Mitarbeiter der Bahn und nicht die Unterfinanzierung der Infrastruktur, nicht die Unterfinanzierung des Wagenmaterials und nicht die unfähige Politik dieses Ministeriums . ({3}) Das ist auch ärgerlich für die Unternehmen in Deutschland . Es ist ja nicht so, dass der Güterverkehr auf der Schiene nicht erfolgreich wäre . Er ist dort erfolgreich, wo es interessante Angebote gibt . Aber das Problem ist, dass Sie die Infrastruktur nicht ausreichend ausbauen, sodass wir Auslastungen von 100 Prozent haben . Das Problem ist, dass Sie die Engpässe hinter Hamburg nicht beseitigen, dass Sie die Engpässe an der Rheinschiene nicht schnell genug beseitigen . Vielmehr setzen Sie weiterhin auf isolierte, sinnlose Großprojekte . Sie waren noch nicht einmal in der Lage, die Verkehrsprojekte im Bundesverkehrswegeplan ausreichend zu bewerten und die Verkehrsprojekte im Bereich Schiene im Bundesverkehrswegeplan zu verankern . Das Einzige, was Sie geschafft haben, war, die Umgehungsstraßen in Ihren eigenen Wahlkreisen zu bewerten, anstatt endlich eine integrierte Verkehrspolitik zu machen . ({4}) Ihre Verkehrspolitik im Bereich der Bahn ist schlichtweg eine Zumutung für den Steuerzahler . Sie verschwenden sinnlos Geld, und das sagen nicht nur wir Ihnen, sondern das sagt Ihnen auch der Bundesrechnungshof . Deswegen: Machen Sie endlich etwas aus dem 100-prozentigen Bundesbesitz! Sorgen Sie dafür, dass die Engpässe beseitigt werden! Sorgen Sie für einen Integralen Taktfahrplan! Integraler Taktfahrplan bedeutet, dass die Anschlüsse der Züge zueinander passen und man nicht ewig auf den nächsten Zug warten muss . Sorgen Sie dafür, dass die Bahn zentral wird für die Mobilitätswende, dass die Bahn die Chancen nutzen kann, die aus Digitalisierung und Elektrifizierung entstehen! Machen Sie endlich die Bahnhöfe zu Mobilitätsdrehscheiben! Machen Sie etwas aus diesen 100 Prozent Bundesbesitz! Sorgen Vizepräsident Johannes Singhammer Sie endlich für eine gute Bahnpolitik, und reden Sie sich nicht weiter heraus! Vielen Dank . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann . ({0})

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Toni Hofreiter, da hast du zum Ende des Jahres ja verkehrspolitisch noch mal einen rausgehauen, und das in einem Jahr, das man wohl als das erfolgreichste Jahr seit mindestens 20 Jahren in der Verkehrspolitik in Deutschland bezeichnen kann . ({0}) Lieber Toni Hofreiter, es war ein Jahr, in dem die Bundesregierung in einem noch nie da gewesenen transparenten Verfahren einen Bundesverkehrswegeplan aufgestellt hat: mit der Integration der verschiedenen Verkehrsträger, mit einer Vernetzungsstruktur, mit einer klaren Priorisierung, mit einer Umweltorientierung, mit einer Antwort auf all die verkehrspolitischen Fragen bis zum Jahre 2030 . ({1}) Das Ganze ist gepaart mit einem Investitionshochlauf, wie er noch nie auch nur annähernd absehbar war im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland . Ich bin unter anderem dem Finanzminister sehr dankbar, dass er die Mittel dafür bereitstellen wird, und dem Haushaltsausschuss, dass er die dementsprechenden Beschlüsse gefasst hat . Sage und schreibe 270 Milliarden Euro soll das Bundesverkehrsministerium in den nächsten 15 Jahren in die Infrastruktur investieren . Noch nie hat es so etwas gegeben . Ganz Europa staunt und freut sich, dass Deutschland so in seine Infrastruktur investiert . ({2}) Da wundert man sich über die Anträge, die hier von der Opposition vorgelegt werden und die mitnichten von großer Sachkenntnis strotzen . ({3}) Es ist so, dass natürlich alle Verkehrsträger angesprochen sind, aber wir heute ja speziell über Bahnpolitik reden sollen . ({4}) - Das gilt auch für Sie, Herr Gastel . Man ist erstaunt, zu welchen Überlegungen Sie kommen und wie schlecht Sie den Verkehrsträger Schiene darstellen . ({5}) Es wäre wesentlich sinnvoller, sich einmal Gedanken zu machen, wie wir gemeinsam den Träger weiterentwickeln . Aber nur beschimpfen, ohne eigene Ideen zu präsentieren, reicht natürlich nicht aus . ({6}) Das Einzige, auf das Sie kommen, ist, erneut eine Kommission zu bilden, große runde Tische, die nachher mit nichts enden . So etwas können wir nicht gebrauchen . ({7}) Von daher gesehen: Ja, für die Schiene ist eine Menge drin . Ja, von allen Verkehrssystemen, die wir haben, ist die Schiene das komplexeste und am schwierigsten zu durchschauende System von allen . ({8}) Das sieht man an den Anträgen der Opposition . Sie haben Bahnpolitik bis zuletzt eben nicht verstanden . ({9}) Obwohl wir im Verkehrsausschuss x-mal diskutiert haben, die Kollegen von CDU/CSU und SPD Ihnen mehrfach erklärt haben, wie die Zusammenhänge sind, haben Sie es nicht verstanden . ({10}) Wir haben in dieser Woche eine große Anhörung von Experten gehabt, die alle festgestellt haben: Vom Grundsatz ist das Schienensystem in Deutschland gut eingerichtet . Gerade hat der Europäische Rechnungshof, ja eher eine Einrichtung, die sehr kritisch auf die Verkehrspolitik sieht, Deutschland ein großes Lob ausgesprochen . Das hätten Sie einmal zur Kenntnis nehmen sollen, anstatt hier solche Anträge zu stellen . ({11}) Daraus ergibt sich, dass gerade die Bundesrepublik Deutschland in diesem Sektor sehr gut aufgestellt ist . Aber natürlich gibt es Herausforderungen . Ja, wir müssen weiter in das Schienenwesen investieren . Wir haben mit diesem Bundesverkehrswegeplan einen Paradigmenwechsel vorgenommen . Zum ersten Mal haben wir einen Fahrplan bis zum Jahr 2030 konstruiert und aus diesem Fahrplan die Notwendigkeit für Infrastrukturleistungen abgeleitet, sowohl im Güterverkehrssektor als auch im Fernverkehrssektor . Im nächsten Jahr werden wir das mit den Ländern noch um den Nahverkehrssektor ergänzen . Viele kleine Maßnahmen sind viel wichtiger als große . Aber es wird auch einige große Maßnahmen geben, die wir realisieren müssen, die im Verkehrswegeplan enthalten sind . Ja, obwohl die Schiene der ökologischste Verkehrsträger neben der Wasserstraße ist, müssen wir auch hier weiter investieren . Wir werden im kommenden Jahr das erste Mal einen wasserstoffgetriebenen Nahverkehrszug im Regelbetrieb auf der Schiene ausprobieren . Wir werden Lokomotiven mit Batterietendern erleben . Wir werden andere Systeme erleben, um die Strecken, die derzeit noch nicht unter Fahrdraht, das heißt elektrisch, betrieben werden können, dann auch umweltfreundlich betreiben zu können . Wir werden die Innovationen weiter vorantreiben . Ja, ein Risiko der Schiene ist der Schall . Viele Menschen fühlen sich bedroht, wenn es heißt, dass Schienenstrecken ausgebaut werden und Güterverkehr dorthin kommt . Viele denken: Der Umstieg von der Straße auf die Schiene und auf Wasserstraßen ist richtig, das unterstützen wir . - Aber wenn es konkret wird, haben die Menschen Sorgen, dass es, was die Schiene anbelangt, zu laut wird . Also müssen wir den Eisenbahnverkehr leiser machen . Auch das, Herr Kollege Gastel, wird entgegen Ihren Annahmen passieren . In der kommenden Woche wird ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung das Kabinett und dann auch das Parlament erreichen . In dem Gesetzentwurf legen wir fest, dass ab dem Fahrplanwechsel 2020 keine lauten Güterzüge in Deutschland mehr fahren werden . ({12}) - Natürlich gibt es Ausnahmen, Herr Gastel, aber Sie müssen sich die Ausnahmen ansehen . ({13}) Sie müssen schauen, wofür die konstruiert sind . Gerade Sie, der doch vorgibt, für Bahnverkehr, für mehr Verkehr auf der Schiene zu sein, müssten diesen Ausnahmen sehr positiv gegenüberstehen . Wir werden den Gesetzentwurf also vorlegen . Ich denke, das Parlament wird ihn zügig beraten und verabschieden, sodass ganz Deutschland weiß: Das Versprechen der Regierung, den Schienenlärm in Deutschland nicht nur punktuell, sondern in der ganzen Fläche zu halbieren, wird eingehalten und umgesetzt . Dafür müssen wir erhebliche Investitionen vornehmen . Wir werden in das rollende Material investieren . Bei aller Liebe, Toni Hofreiter: Schienenverkehr ist nicht nur die DB AG . Es gibt eine Fülle von anderen Bahnen, die auf unserem Netz fahren; es sind rund 300 . Man sollte sich nicht nur auf das bundeseigene Unternehmen konzentrieren, sondern insgesamt auf den Sektor schauen, und der ist gut ausgestattet . ({14}) Natürlich sind einige bei der DB AG von solchen Zielerreichungen oder, sagen wir einmal, Nichtzielerreichungen nicht besonders begeistert . Daran wird zu arbeiten sein. Wir schaffen aber mit der Kapitalerhöhung für dieses Unternehmen die notwendige Voraussetzung, um diese Herausforderung zu bestehen . ({15}) Insgesamt sind dies alles gute Beschlüsse . Die Bahn ist auf einem guten Weg, sie ist gut aufs Gleis gesetzt . Insofern kann man die Anträge der Opposition nur in Bausch und Bogen ablehnen . Herzlichen Dank . ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Sabine Leidig spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist schon erstaunlich - eigentlich kann ich es mir nur durch den Genuss von viel Glühwein auf Weihnachtsmärkten erklären -, ({0}) dass Staatssekretär Ferlemann sagt, alles sei in Butter, die Bahn sei auf einem tollen Weg . Wenn man sich die Nachrichten anschaut, die in den letzten Wochen in den Zeitungen zu lesen waren, dann weiß man, dass Bahnchef Grube plant, den operativen Konzerngewinn, EBIT, um 770 Millionen Euro pro Jahr zu erhöhen, und zwar hören Sie gut zu! - mit einem Schrumpf- und Abbauprogramm à la Mehdorn unter dem irreführenden Titel „Operative Exzellenz“. In Zukunft soll im Kerngeschäft der Bahn massiv eingespart werden . Bei der Wartung von Infrastruktur und Zugflotten sollen allein die Personalkosten in der Instandhaltung um 15 Prozent sinken . Ein erheblicher Stellenabbau wird befürchtet . Die Schließungen von Zugreparaturwerken sind schon längst in den Strategiepapieren von Grube vorgesehen . Zum Glück wehren sich die Beschäftigten und auch die Länder dagegen. Ich finde diesen Widerstand total wichtig und notwendig . ({1}) Die Spitze des DB Konzerns plant einen Kahlschlag beim Güterverkehr . Bei DB Cargo sollen über 2 000 Arbeitsplätze wegfallen, und 173 Verladestationen sollen geschlossen werden . Ich bitte Sie, natürlich gibt es viele Eisenbahnen, die nicht DB AG sind, aber die Eisenbahnen fordern unisono - ob es das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen ist oder der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen -, dass die Güterverkehrsstruktur erhalten bleibt und ausgeweitet wird . Wir haben gerade im Verkehrsausschuss darüber gesprochen . Sie sagen: Selbstverständlich ist es eine gute Alternative zum Lkw-Verkehr, wenn es auch kleinräumig wieder Güteranschlussstellen gibt . Das muss passieren . ({2}) Auch da gibt es zum Glück massiven Widerstand der Beschäftigten, die sich wehren und unsere volle Solidarität haben . Sie haben 50 000-mal mehr Verstand im Hirn als ihre Konzernspitze . ({3}) Dann gab es noch Neuigkeiten aus dem Bahnleben . Die DB AG hat dieser Tage ein ganz wichtiges Angebot im Schienenfernverkehr komplett eingestellt . Der letzte Nachtzug hat letzte Woche Berlin verlassen . Auch hier gibt es eine breite öffentliche Initiative, die um die Rettung der Nachtzüge kämpft . Ich will einmal ein Zitat bringen, das in einem Blog zu lesen ist: ({4}) Der Lokführer lässt den Zug mit dem Signalhorn „weinen“ - was auch bei mir für Gänsehaut sorgt. … eine Tradition geht … zu Ende. Es bleibt die Hoffnung, dass sich Europa eines Besseren besinnt und den Schatz seines engmaschigen, grenzüberschreitenden Bahnnetzes - und Nachtzugnetzes wieder zu nutzen weiß . ({5}) Das wäre zukunftsfähig . LunaLiner ist ein Konzept, das von Bürgerinitiativen und den Beschäftigten entwickelt worden ist . Dass die österreichische Bundesbahn jetzt Nachtzüge fährt, ist okay . Aber das ist doch kein Glanzlicht für die Bahnpolitik in Deutschland . Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie da nicht zukunftsfähig sind . ({6}) - Nacht-ICEs? Setzen Sie sich mal zwölf Stunden in einen ICE; fahren Sie morgens um zwei von Ihrer Heimat zu irgendeinem ICE-Haltepunkt und warten da drei Stunden im ungeheizten Warteraum . Das ist doch absurd! ({7}) Dummerweise gibt es nicht nur einen Rückzug bei der DB AG, sondern es gibt auch merkwürdige Offensiven . Beispielsweise klagt die Bahn gegen das Land Baden-Württemberg - was ich total kurios finde -, weil dieses sich an den absurd gesteigerten Kosten für Stuttgart 21 zu Recht nicht beteiligen will, denn dieses absurde Projekt haben die Bundespolitik und die Bahn zu verantworten . Sie müssen zusehen, dass sie aus der Grube herauskommen, die sie sich da gegraben haben . ({8}) Die Deutsche Bahn AG hat das kommunale Busunternehmen der Stadt Pforzheim niederkonkurriert . Was ist das denn für ein absurdes Geschäftsgebaren? Es ist volkswirtschaftlicher Unsinn, dass wir ein Bundesunternehmen gegen kommunale Unternehmen in Stellung bringen . ({9}) Wir brauchen endlich ein Ende dieses blödsinnigen Börsen- und Privatisierungskurses der Bahn . ({10}) Die Bahn muss dafür sorgen, dass viele Angebote in der Fläche gemacht werden, dass die Angebote bezahlbar werden, dass getaktet wird usw ., und die Politik muss dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen . Es ist einfach nicht wahr, dass der Bundesverkehrswegeplan ein Schienenausbauprogramm ist . Quatsch! Es ist vor allen Dingen ein Straßenausbauprogramm . Sie wissen ganz genau, dass die Kritik der Verbände - und nicht nur der Umweltverbände, sondern vieler Verkehrsverbände, auch regionaler Verkehrsunternehmen - völlig berechtigt ist, dass in die Bahn viel zu wenig investiert wird, dass die Investitionen nicht ordentlich geplant sind und dass wir damit weiterhin das Problem haben, dass die Straße zugunsten der Schiene ausgebaut wird . ({11}) Wir fordern, dass das Projekt, das die Grünen vorschlagen, endlich in Angriff genommen wird, nämlich eine Reform der Bahnreform . Wir haben das schon vor zwei Jahren anlässlich von 20 Jahren Bahnreform gefordert . Die Reformkommission ist eine gute Idee . Entscheidend ist, wer drinsitzt . Selbstverständlich müssen die Kommunen und Länder drinsitzen . Selbstverständlich müssen Bahnfachleute drinsitzen . Selbstverständlich müssen Vertreter der Beschäftigten drinsitzen, ebenso die hervorragenden Eisenbahninitiativen, die tolle Vorschläge machen, was man konkret tun könnte, um die Bahn zu verbessern . Das heißt, es muss eine Demokratisierung der Bahn stattfinden, damit die Bahn den Bedürfnissen der Bevölkerung wirklich gerecht wird . ({12}) Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ich es extrem bedauerlich finde, dass die SPD offensichtlich zugestimmt hat, dass der Vertrag von Bahnchef Grube verlängert wird, obwohl deutlich erkennbar ist, dass er die Bahn nicht vorwärtsbringt, dass seine Fernverkehrsstrategie nicht realisiert wird . Sie haben zugestimmt, dass Pofalla sein Nachfolger wird . Ich weiß überhaupt nicht, was das soll . Warum sorgen Sie nicht dafür, dass an der Spitze der Deutschen Bahn AG, des größten öffentlichen Unternehmens, erfolgreiche Eisenbahnunternehmer stehen ({13}) und nicht Leute aus der Automobilindustrie und aus anderen Bereichen, ({14}) deren Herzensanliegen vielleicht der Bilanzgewinn und EBIT ist, aber nicht, wie die Leute umweltverträglich und klimafreundlich mobil sein können? Danke . ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Leidig, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede die Ausführungen des Staatssekretärs Ferlemann mit dem Genuss von Glühwein in Verbindung gebracht . Ich finde das unpassend. ({0}) Wir alle führen eine sehr intensive Diskussion, in der wir uns unsere Ausdrucksweise sehr genau überlegen sollten . Das sollten auch Sie tun . ({1}) Es gibt genügend Möglichkeiten, sich in der Sache auseinanderzusetzen . ({2}) Jetzt hat der Kollege Sören Bartol für die SPD das Wort . ({3})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Manchmal hilft ja ein schöner Glühwein . ({0}) Wir erleben heute in dieser Debatte wieder einmal, dass es im Deutschen Bundestag am Ende nur Freunde des Schienenverkehrs gibt . ({1}) Wenn wir ehrlich sind, sind wir alle damit Teil eines gemeinsamen Rituals: Alle fordern, dass wir in Zukunft mehr Verkehr auf die Schiene verlagern, alle wollen, dass mehr Geld in die Schieneninfrastruktur investiert wird, ({2}) alle versprechen, dass mit ihnen definitiv alles besser wird, und alle arbeiten sich an der Deutschen Bahn ab . ({3}) Am Ende preisen die Regierungsfraktionen ihre Erfolge, und die Opposition erklärt, was alles schiefläuft. Ich wünsche mir, dass es heute gelingt, dieses Ritual einmal zu durchbrechen und eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, wie wir mehr Schienenverkehr erreichen . ({4}) Wir diskutieren heute auch über den Antrag der Grünen mit dem Titel „Die Bahnpolitik auf das richtige Gleis setzen“. Der Inhalt ist einfach nur enttäuschend. ({5}) Das beginnt bereits beim Titel, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen . Sie reden nur von der Bahnpolitik . Dabei müsste inzwischen klar sein, dass Bahnpolitik eben nicht gleich Schienenpolitik ist . Wer sich nur an der Deutschen Bahn abarbeitet, vergisst, dass es am Ende auch um das System Schiene geht . ({6}) Spätestens bei den politischen Forderungen Ihres Antrags suche ich nach Ihrem Schienenkonzept . Sie gipfeln in dem wegweisenden Vorschlag, eine Reformkommission einzusetzen . Da waren Sie schon einmal weiter . ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als SPD-Bundestagsfraktion brauchen keine Kommission . Wir setzen konkrete Dinge um und arbeiten bereits an den nächsten konkreten Schritten . ({8}) Ich empfehle allen, das Impulspapier „Mehr Verkehr auf die Schiene - die Politik ist am Zug.“ der SPD-Bundestagsfraktion zu lesen . ({9}) Vor sechs Wochen haben wir auf unserem Schienengipfel 2016 Eckpunkte für einen Schienenpakt 2030 zur Diskussion gestellt . Über 400 Vertreterinnen und Vertreter aus der Verkehrsbranche, aus Industrie, Wissenschaft und Gewerkschaften haben an dieser Konferenz teilgenommen . ({10}) Knapp 1 000 Bürgerinnen und Bürger haben diese Konferenz im Internet verfolgt . ({11}) Wir laden alle ein - auch Sie, Frau Leidig -, sich an der Diskussion über das Papier zu beteiligen . Sie können es auf der Homepage der SPD-Fraktion finden. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie die Uhr anhalten, dann ja . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

- das können Sie voraussetzen -, dass Sie die Zwischenfrage der Kollegin Leidig zulassen .

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, klar . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ihre Worte höre ich gern .

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin ja noch nicht fertig .

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber Ihre Taten entsprechen ihnen leider nicht . Wir haben ja gerade die Bundesverkehrswegeplanberatungen durchgeführt . Es gab eine Fülle von Anträgen - nicht nur von der Opposition, sondern auch von Bundesländern -, regionale Bahnstrecken auszubauen, damit tatsächlich mehr Bahnverkehr in der Fläche stattfinden kann. ({0}) - Die Infrastruktur ist Sache des Bundes; das ist im Grundgesetz ganz eindeutig geregelt . ({1}) Da brauchen Sie hier überhaupt nicht herumzublöken . ({2}) Das Angebot auf der Strecke ist Sache der Länder; aber es geht um die Infrastruktur . Ich möchte Sie fragen, Herr Bartol: Wenn Sie sich so sehr dafür einsetzen, dass der Bahnverkehr gestärkt wird, warum hat die SPD-Fraktion all diese Anträge abgelehnt? ({3})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Leidig, Sie sind ja heute auf einem relativ hohen Aggressionslevel . ({0}) Ich will versuchen, es ganz sanft zu machen: Die Anträge, die wir ablehnen, haben einfach nicht die Qualität, um hier im Deutschen Bundestag beschlossen zu werden; das ist der erste Punkt . ({1}) Der zweite Punkt ist: Ich glaube, dass Ihre Frage bzw . Ihr Statement gerade gezeigt hat, dass Sie immer noch nicht verstanden haben, wie der Bundesverkehrswegeplan funktioniert . ({2}) Sie kritisieren immer wieder Dinge, die wir rauf und runter erklärt haben . Sie wissen, dass es für regionale Schienenbedarfe andere Fördertöpfe gibt . Sie wissen, dass wir uns auf die fernverkehrs- und güterverkehrsrelevanten Aspekte konzentrieren . ({3}) Sie wissen auch, dass wir gerade mit diesem Bundesverkehrswegeplan - wenn Sie sich die Geldverteilung ansehen, werden Sie das feststellen - einen sehr wichtigen Schwerpunkt beim System Schiene gesetzt haben . Insofern verstehe ich einfach nicht, warum Sie ihn immer kritisieren . Sie können doch vor Weihnachten einfach einmal sagen: Liebe Koalition, das habt ihr gut gemacht . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Schienennetz muss wachsen . Ohne ein starkes Schienennetz werden wir das Ziel „Weg vom Öl bis 2050“ nicht schaffen. Guter Service bei attraktiven Preisen, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit muss das Markenzeichen der Eisenbahnen in Deutschland sein . Wir haben in der Großen Koalition einiges erreicht. Pendlerinnen und Pendler profitieren jedes Jahr von 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Regionalverkehr . Bröckelnde Brücken und Langsamfahrstrecken werden mit zusätzlichen Mitteln für den Erhalt durch die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung beseitigt . Zusätzliches Eigenkapital und der Verzicht auf einen Teil der Dividende bei der Deutschen Bahn helfen dem Unternehmen, in neue Züge und zusätzliche Strecken im Personenfernverkehr zu investieren . Offensichtlich reicht das jedoch nicht. ({5}) Die Schiene steht im Wettbewerb der Verkehrsträger weiter unter massivem Druck . Ein zentrales Problem ist, dass sie zu teuer ist . Darüber hinaus muss sie innovativer und auch effizienter werden. Ich erwarte deshalb, dass die Unternehmen besser werden . Was wir gleichzeitig aber auch brauchen, ist ein gesellschaftlicher Konsens, dass wir als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Schiene strukturell und finanziell stärker fördern wollen als bisher . Ziel sollte ein Schienenpakt zwischen Politik und Wirtschaft sein, um mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen . Beide Seiten müssen daran mitarbeiten . ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Vorschlag für einen Schienenpakt 2030 stellen wir insgesamt 19 Maßnahmen zur Diskussion . Ich konzentriere mich jetzt auf die wichtigsten: Das Schienennetz muss wachsen . Wir brauchen eine Verdoppelung der Kapazitäten bis 2030. Alle Oberzentren müssen flächendeckend an das ICE-/Intercitynetz angeschlossen werden . Das können wir auch durch die Umsetzung des Deutschland-Takts erreichen. Die Trassenpreise müssen signifikant gesenkt werden . Nur so werden am Ende mehr Menschen auf die Bahn umsteigen und mehr Güter auf die Schiene verlagert werden . ({7}) Die Bahnen in Deutschland müssen Vorreiter bei der Digitalisierung sein . Guter Service, bequemer Zugang zu digitalen Dienstleistungen müssen zum Markenzeichen der Eisenbahnen werden. Das betrifft auch die Verbindung mit anderen Verkehrsträgern und Plattformen . Und, ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unser eigenes Unternehmen Deutsche Bahn besser steuern . Nicht die Maximierung des Gewinns, sondern die Maximierung des Schienenverkehrs muss das Ziel des Unternehmens sein . ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns am Ende gemeinsam die besten Maßnahmen identifizieren, mit denen wir die Schiene stärken können . Ich freue mich, dass acht Verbände - von der Allianz pro Schiene über den Verband der Bahnindustrie bis hin zum Verkehrsclub Deutschland - mit einem eigenen Papier zentrale Forderungen unseres Schienengipfels unterstützen . Lassen Sie uns jetzt einfach daran arbeiten, dass wir in den kommenden Monaten bereits die ersten Maßnahmen umsetzen können . Vielen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Dirk Fischer spricht als Nächster für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche Lage der Staatsbahnen war Anfang der 90er-Jahre dramatisch . Wir müssen uns einmal daran erinnern, wo wir herkommen: Der Verkehrsträger Schiene drohte seine intermodale Konkurrenzfähigkeit vollständig zu verlieren . Wir hatten steigende Haushaltsbelastungen durch ungeplante Milliardenverluste, die jährlich vom Bundeshaushalt aufgefangen werden mussten . Deswegen ist die im Dezember 1993 vom Bundestag beschlossene Bahnreform dringend notwendig gewesen als eine wichtige Weichenstellung für die Bahnpolitik . Aber sie war natürlich auch dringend notwendig, weil wir die Integration der Reichsbahn schaffen mussten. Ich will daran erinnern, dass wir dann ab 1994 die Deutsche Bahn AG als ein Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form, aber im Eigentum des Bundes geführt haben. Ebenso wichtig war uns damals die Öffnung des deutschen Schienennetzes für nichtstaatliche Bahnunternehmen . Das Ziel lautete: Mehr Wettbewerb schafft mehr qualitativ hochwertige und bezahlbare Angebote . Nichtbundeseigene Schienenunternehmen haben sich in diesen Jahren deutliche Marktanteile erobert . Ich denke hier an die Sparten Nahverkehr und Güterverkehr: Der Anteil der privaten Unternehmen ist - gemessen an den Trassenkilometern - von 2 Prozent im Jahr 1999 auf mittlerweile 25 Prozent im Jahr 2014 gestiegen . Die staatliche Aufgabe besteht darin, die Investitionen in die bundeseigene Schieneninfrastruktur zu tragen und Neu- und Ausbau sowie Erneuerung zu finanzieren. Für die Ersatzinvestitionen in das bestehende Schienennetz sowie für Neu- und Ausbau haben wir im Haushalt 2016 rund 4,7 Milliarden Euro vorgesehen . Durch zusätzliche Mittel für Verkehrsinvestitionen steigen diese Investitionsmittel für die Schiene bis 2018 schrittweise auf rund 5,6 Milliarden Euro an . Insgesamt wird der Bund für Ersatzinvestitionen und Instandhaltung im Rahmen der LuFV II von 2015 bis 2019 28 Milliarden Euro zur Verfügung stellen . Dann muss darauf hingewiesen werden, dass der Bund seit der Übertragung der Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr auf die Bundesländer ab 1996 den Ländern mit Regionalisierungsmitteln - mittlerweile 8,2 Milliarden Euro - eine nachhaltige finanzielle Unterstützung gibt . Bis 2031 werden die Länder für diesen Zweck insgesamt mehr als 150 Milliarden Euro aus dem Steueraufkommen des Bundes erhalten . Die Bahnreform hat die Grundlage dafür geschaffen, dass der Schienenverkehr in Deutschland nach Jahren des Niedergangs einen neuen Aufschwung erlebt hat . Wir können eine positive Entwicklung sowohl im Güter- als auch im Personenfern- und -nahverkehr bilanzieren . Seit der Bahnreform hat sich der Verkehr auf der Schiene in Deutschland beim Personenverkehr deutlich erhöht . 1994 waren es 65,2 Milliarden Personenkilometer, 2015 über 91 Milliarden Personenkilometer; ein Plus von knapp 40 Prozent . Der Güterverkehr legte von 70,6 Milliarden Tonnenkilometern auf über 116 Milliarden Tonnenkilometer zu; ein Plus von knapp 65 Prozent . Das sind eindeutige Erfolgszahlen, die niemand ignorieren kann . ({0}) Darüber hinaus erwirtschaftete die Deutsche Bahn AG 2013 ein um 5,2 Milliarden Euro höheres operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern, also das EBIT, als 1994 . Seit 2009 zahlt dieses Unternehmen dem Eigentümer Bund eine Dividende von bisher insgesamt 1,75 Milliarden Euro . ({1}) Allein in Deutschland wurden 2012 von der DB AG 2,9 Milliarden Euro aus Eigenmitteln investiert, 11 000 Mitarbeiter neu eingestellt und rund 2 400 Auszubildende übernommen . Der Bund als Eigentümer hat gegenüber der DB AG eine besondere Verpflichtung. Es wurde schon dargestellt: Der Haushaltsausschuss hat mit der Eigenkapitalerhöhung und einem befristeten Verzicht auf einen Teil der Dividende diese Verantwortung des Bundes für sein Unternehmen ganz deutlich dokumentiert . Wenn die Grünen in ihrem Antrag ausführen, dass der Anteil des Schienenverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen stagniert und der Schienengüterverkehr rückläufig ist, dann sind das im Grunde genommen falsche Behauptungen, die durch nichts bewiesen werden . ({2}) Natürlich ist es dem Bund ein besonderes Anliegen, dass sein Unternehmen eine positive Bilanz aufweist und einen starken Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen auf der Schiene hat . Deswegen sage ich: Wer hier ein Fernverkehrssicherungsgesetz oder ein Gesetz zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs einfordert, der muss auch sehen, dass damit über die 8,2 Milliarden Euro hinaus, die wir für den Nahverkehr ausgeben, ein weiterer mehrfacher Milliardenbetrag auf den Bundeshaushalt zukommen würde . ({3}) Das kann man nur fordern, wenn man hofft, Herr Kollege Gastel, von der Regierungsverantwortung noch möglichst lange befreit zu bleiben . Sonst würde man so etwas nicht fordern . ({4}) Im Übrigen: Als Sie in der Regierungsverantwortung waren, haben Sie zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrsangebotes das Grundgesetz so interpretiert, dass es nicht um das Angebot gehe, sondern nur darum, dass der Bund eine Infrastruktur vorhalten müsse, auf der sich ein eigenwirtschaftlicher Personenfernverkehr vollziehen könne . Das war Ihre Position . Warum schreiben Sie jetzt das Gegenteil dessen auf, was Sie in langen Jahren der Regierungsverantwortung hier im Deutschen Bundestag vertreten haben? Ich kann nur sagen: Ich freue mich über das neue Fernverkehrskonzept . Damit wird auch der Fehler von Mehdorn repariert, der den eigenwirtschaftlichen Interregio zerstört hat und ihn in einen bezuschussten Nahverkehr überführt hat . Dieser Fehler wird jetzt endlich behoben . Das Fazit unserer Debatte muss lauten: Die Bahnreform war richtig, notwendig und erfolgreich, aber es besteht noch Handlungsbedarf, um sie zu optimieren und weiter voranzutreiben . Ich glaube, daran sollten wir gemeinsam arbeiten; Herr Kollege Bartol hat das für unsere Koalition eben erklärt . ({5}) Dirk Fischer ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Matthias Gastel spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 23 Jahre nach der Bahnreform zeigt sich, was gut gewesen ist, beispielsweise die Regionalisierung bzw . die Übertragung der Zuständigkeit für den Nah- und Regionalverkehr auf die Länder, die die Bedürfnisse gut kennen, mit dem Ergebnis steigender Fahrgastzahlen in diesem Bereich . Gut war auch, dass damit der Wettbewerb im Regionalverkehr und im Schienengüterverkehr ermöglicht wurde, der die Effizienz gesteigert hat. ({0}) 23 Jahre nach der Bahnreform zeigt sich aber auch, was nicht gut ist, beispielsweise dass es im Fernverkehr nach wie vor so gut wie keinen Wettbewerb gibt und dass die Fernverkehrs- und Güterverkehrsanteile der Schiene stagnieren . Sie sind leider nicht gewachsen; das heißt, es gibt immer noch viel zu viel Verkehr auf den Straßen . Damit können die Klimaschutzziele Deutschlands nicht erreicht werden, liebe Kolleginnen und Kollegen . Mit Blick auf den Bahnkonzern DB müssen wir aber auch feststellen, dass die Verschuldung inzwischen fast 20 Milliarden Euro beträgt . Auch das zeigt, dass die Ziele der Bahnreform nicht erreicht wurden . Die Politik hat leider keine Konsequenzen aus diesen Ergebnissen gezogen. Das Motto scheint zu lauten: „Weiter so wie bisher“. Mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz wurde die Chance vertan, die Trassenpreise zu senken; sie wurden auf einem europaweit überdurchschnittlich hohen Niveau gehalten . Mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz wurde wenig Schiene angegangen . ({1}) Die Politik verhindert also ein Wachstum auf der Schiene, und die 2,4 Milliarden Euro, die im Bundesetat für die Deutsche Bahn vorgesehen sind, werden ohne jegliches Konzept für ein Wachstum und für bessere Bedingungen im Bahnmarkt gewährt . Gleichzeitig erkennen aber auch Teile der Großen Koalition oder der sie tragenden Fraktionen den Handlungsbedarf . Die SPD hat beschlossen, die Trassenpreise senken zu wollen - kurz nachdem sie zugestimmt hat, dass sie weiter auf hohem Niveau bleiben . ({2}) Die CSU hat auf ihrem Parteitag beschlossen, für ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz einzutreten, mit dem der Bund gewährleisten soll, dass große Städte neu an den Fernverkehr angebunden werden . Wir als grüne Bundestagsfraktion laden Sie ein: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Unser Antrag sieht die Einrichtung einer Reformkommission vor, die eine Konzeption für eine starke Schiene erarbeiten soll . Dazu ist auch der Kollege Ferlemann herzlich eingeladen . Es geht um viele Fragen: Wie kann die DB als Konzern unabhängiger vom Bund handlungsfähig werden? Wie kann das System Schiene gestärkt werden? Wie kann der Deutschland-Takt, den wir ja alle wollen, konkret umgesetzt werden? Wie kommen wir zu einem fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern? Wie können wir - beispielsweise durch die Digitalisierung - Innovationen auf der Schiene auslösen? Und wie erklären und definieren wir in Zukunft die Eigenwirtschaftlichkeit der DB versus den Gemeinwohlanspruch des Grundgesetzes? Wie bringen wir diese Dinge zueinander? Wir laden Sie ein, mitzumachen, indem Sie unserem Antrag zustimmen . Die Reformkommission soll eine breite Debatte auslösen und unter Einbeziehung von Wissenschaft, Bund, Ländern, Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherverbänden nach Lösungen suchen . Stimmen Sie zu, damit wir gemeinsam mehr Verkehr auf die Schiene bringen - zugunsten von Klimaschutz und nachhaltiger Mobilität! ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Kirsten Lühmann . ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ein Bekannter hat mir letztens gesagt: Wenn er eingeladen wird und sich als Mitarbeiter der Bahn outet, sind die Themen für den Abend gerettet . Das kennen wir alle . Wir alle können Geschichten von Wildfremden erzählen, mit denen wir Diskussionen über Fußball oder Kochrezepte geführt haben . Ich gebe zu: Wir alle können, wie die Kollegin Leidig eben, auch Geschichten von Dingen erzählen, die nicht ganz so gut gelaufen sind . Dann ist es schön, wenn die Bahn-Mitarbeitenden mit Humor reagieren . Dirk Fischer, ich bin sicher: Wenn du in dem Zug gesessen hättest, der folgende Durchsage gemacht hätte, dann hättest du die Notbremse gezogen . Die Durchsage an alle HSV-Fans in der ersten Klasse mit nicht entsprechenden Tickets lautete nämlich: Bitte verlassen Sie den Wagen! Schließlich ist der Punktestand Ihres Vereins auch nicht erstklassig . ({0}) Allerdings glaube ich nicht, dass solche Durchsagen der Grund dafür sind, dass in diesem Jahr die Zahl der Personenkilometer im Schienenverkehr doppelt so stark gestiegen ist wie die Zahl der Personenkilometer im motorisierten Individualverkehr, und das trotz Fernbuskonkurrenz . Ein Grund, warum so viele Menschen mehr den Zug nutzen, liegt im Fernverkehr mit Sicherheit auch in den Initiativen der Deutschen Bahn AG zu besonderen Sparpreisen, Pünktlichkeit und Bahnhofsmanagement . Ich weiß, dass wir hier noch lange nicht am Ende sind . Aber schon die ersten Maßnahmen zeigen deutliche Verbesserungen . Zum Nahverkehr . Die Gelder, die wir im Rahmen der Regionalisierungsmittel zur Verfügung gestellt haben, zeigen schon in diesem Jahr erste Erfolge . Es gab mehr Bestellungen . Wenn das Angebot für Pendlerinnen und Pendler größer ist, dann überlegt sich der eine oder die andere, das Auto stehen zu lassen und mit der Bahn zur Arbeit zu fahren . Das ist unser Ziel . ({1}) Wir alle wissen aber auch: Das kann nicht das Ende sein . Wenn wir mehr Personen auf die Schiene bringen wollen, dann brauchen wir den Deutschland-Takt und ein klar definiertes Netz für Fernverkehrszüge, auf das der Nahverkehr abgestimmt ist . Wir haben die ersten Schritte dazu eingeleitet . Man kann beim Deutschland-Takt jedoch nicht einfach den Schalter umlegen, und dann funktioniert es . Wir haben im ersten Schritt Gutachten in Auftrag gegeben, in denen untersucht wird, wie ein solcher Takt auf ein Flächenland wie Deutschland - oft wird die Schweiz als Beispiel genannt; mein Bruder lebt dort; die Schweiz ist ein wunderschönes Land; aber sie ist kein Flächenland - übertragen werden kann . Im zweiten Schritt haben wir im Bundesverkehrswegeplan die Infrastrukturprojekte aufgeführt, die wir brauchen, um den Deutschland-Takt zu verwirklichen . ({2}) Nicht zufriedenstellend ist allerdings die Entwicklung im Güterverkehr . Der Güterverkehr in Deutschland wird in diesem Jahr vermutlich um 0,4 Prozent zunehmen . Allerdings wird der Güterverkehr im Lkw-Bereich um 2,3 Prozent zunehmen . Woran liegt das? Die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn muss gesteigert werden . Wir werden dazu die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten . Aber das wird nicht reichen . Wir brauchen dringend eine Reduzierung der Trassenpreise; das wurde schon angesprochen . Darüber hinaus muss die Trassenbestellung für den Güterverkehr flexibler werden. Auch der Güterverkehr muss pünktlicher sein . Niemand wird auf die Bahn umsteigen, wenn er befürchten muss, dass der Zug zwei, drei Tage abgestellt wird, bevor er den End ort erreicht . Da gibt es deutlichen Optimierungsbedarf . ({3}) Bei der Cargo-Sparte der Deutschen Bahn gibt es allerdings noch eine besondere Herausforderung . Auch bei den Privaten ist nicht alles Gold, was glänzt . In meinem Wahlkreis wird die OHE, die Osthannoversche Eisenbahnen AG, den Güterverkehr Ende dieses Jahres einstellen . Aber die Entwicklung der Cargo-Sparte der Deutschen Bahn ist dramatisch . Gegen den Trend verliert sie seit Jahren Kunden und Waren . Mit kleinen Programmen an der einen oder anderen Ecke muss Schluss sein . DB Cargo braucht ein handlungsfähiges Konzept . Sie muss es mit den Menschen, die Ahnung davon haben, und den Gewerkschaften entwickeln . Die Gewerkschaften sind dazu bereit; es hat erste Gespräche gegeben . Hier muss es dringend ein vernünftiges, tragfähiges Konzept geben . ({4}) Abschließend ist zu sagen: Die Eisenbahn in Deutschland ist auf einem guten Weg - nicht nur, aber auch aufgrund der Politik dieser Bundesregierung . Wir stehen vor Herausforderungen, die wir im nächsten Jahr gemeinsam bewältigen sollten . Die Forderungen in den vorliegenden vier Anträgen sind in Teilen schon umgesetzt . Anderes ist weniger geeignet, um die Herausforderungen anzugehen . Lösungen sollten genauso kreativ sein wie die Ansage in einem ICE: Der Regionalexpress nach Bamberg wartet offiziell nicht. Allerdings ist der Lokomotivführer mein Schwiegersohn, und Sie werden den Zug erreichen . ({5}) In diesem Sinne wünsche ich uns, dass wir heute alle unsere Züge zu unseren Schwiegersöhnen oder sonstigen Familienmitgliedern erreichen und dass wir uns im nächsten Jahr hier wiedertreffen, um kreative Lösungen für unsere Bahn zu finden. Herzlichen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Debatte hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU das Wort . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2016 war ein grandioses Jahr für die deutsche Verkehrspolitik, ({0}) ein hervorragendes Jahr auch für die Schiene in Deutschland . Wir haben erst vor ein paar Tagen hier die Ausbaugesetze beschlossen, auch die Ausbaugesetze für die Schiene mit einem Anteil von 42 Prozent . ({1}) - Lieber Kollege Gastel, wir führen nicht die Debatte von vor drei Wochen, weil das mit Ihnen nichts bringt . 42 Prozent der Investitionen entfallen auf die Schiene . Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Gehen wir zusammen dorthin, wo ausgebaut wird; dann möchte ich sehen, wie Sie für den Ausbau werben . Ich kenne nur Ihre Doppelzüngigkeit . ({2}) Bitte bleiben Sie hier auf dem Boden der Tatsachen . Wenn wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben, dann haben wir sehr viel erreicht . ({3}) Das Jahr 2016 war gut, und ich zähle die Erfolge im Stakkato auf: Eigenkapitalerhöhung für notwendige InKirsten Lühmann vestitionen . Ja, wir wollen neues Wagenmaterial . Ja, wir wollen WLAN in den Zügen . Ja, wir wollen Barrierefreiheit . Ich nenne nur das ZIP-Programm . Ja, wir wollen diese unsere Deutsche Bahn stärken . Ja, wir wollen die Infrastruktur stärken . ({4}) Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II: 28 Milliarden Euro - so viel wie noch nie . ({5}) Aufwuchs der Regionalisierungsmittel: 8,2 Milliarden Euro - so viel wie noch nie . Trassenpreisbremse für den Schienenpersonennahverkehr . Das ist der erste Schritt in Richtung Trassenpreisregulierung, und zwar echte Regulierung - so gut wie noch nie . ({6}) Evaluierungsmechanismus 2018: gemeinsam gefunden so gut wie noch nie . Keine weitere Ausdünnung des Fernverkehrs so gut wie noch nie . ({7}) Deswegen klare Durchsage: Der Bahnverkehr ist auf einem guten Weg . Die Reform war richtig . Jede Reform braucht immer wieder weitere neue Schritte . Die machen wir dann 2017, indem wir den Investitionshochlauf auch bei der Schiene nutzen . Frohe Weihnachten . Danke schön . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 29 a . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10383 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 29 b . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG neu und verantwortungsvoll besetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/1845, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/592 abzulehnen . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 29 c . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5246, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4186 abzulehnen . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 29 d . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6599, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3746 abzulehnen . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Kultur baut Brücken - Der Beitrag von Kulturpolitik zur Integration Drucksache 18/10634 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ute Bertram das Wort für die CDU/ CSU . ({0})

Ute Bertram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! In wenigen Stunden wird dieses Hohe Haus in die Weihnachtsferien gehen . Aber kurz vorher wollen wir noch einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD besprechen, den ich bereits im Januar initiiert habe: „Kultur baut Brücken - der Beitrag von Kulturpolitik zur Integration“ ist Titel und Motto dieses Antrages . Das Thema ist hochaktuell . Seitdem im Herbst 2015 Hunderttausende von Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sind, stellt sich uns die Frage: Wie gelingt die Integration all derer, die hier ein Bleiberecht haben? Natürlich haben darauf zuerst andere Ressorts eine Antwort gesucht, allen voran die Innenpolitiker und die Arbeits- und Sozialpolitiker . Aber die Aufgabe ist so groß, dass alle gefordert sind, eben auch wir Kultur- und Medienpolitiker . Wir fragen uns: Leistet die Kultur ihren Beitrag, und hat sie dafür die richtigen Bedingungen? Die erste Frage kann ich sofort beantworten: Ja, die Kultur leistet einen beeindruckenden Beitrag . Um direkt aus unserem Antragstext zu zitieren: Integration kann nicht allein auf staatlicher Ebene gestaltet werden . Sie ist vielmehr ein Prozess, an dem sich zunächst die Zuwanderer selbst und auf der Seite der aufnehmenden Gesellschaft auch möglichst viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen . Das ist im letzten Jahr in beeindruckendem Maße geschehen . Bundesweit war die Hilfsbereitschaft von Haupt- und Ehrenamtlichen überwältigend . Gerade das ehrenamtliche Engagement im kulturellen Sektor leistete in der Vergangenheit und leistet auch heute einen wichtigen Beitrag zur Etablierung einer „Willkommenskultur“ in unserem Land. Jeder von uns weiß, dass diese Willkommenskultur dieses Jahr mehrfach auf die Probe gestellt wurde . Ich erinnere nur an die Silvesternacht in Köln, mit der das zu Ende gehende Jahr so dramatisch begann . Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist eines von zentraler Bedeutung: Wir sind ein Rechtsstaat, und im Rechtsstaat gelten die Regeln für alle, die sich hier aufhalten . Wer unsere Gesetze bricht, der muss mit einer Strafe rechnen . Wer sich an die Gesetze hält, der ist frei, hier nach seiner Façon zu leben . ({0}) Ich zitiere erneut aus dem Antrag: Deutschland ist eine europäische Kulturnation, geprägt von den Werten der Aufklärung, von Freiheit und Humanität . . . . Die aufnehmende Gesellschaft gibt einen durch Werte und Regeln kulturell geprägten Rahmen vor, der Orientierung für diejenigen bietet, die hier leben wollen . Das sage ich auch ganz besonders an die Adresse der neuen Populisten in unserem Land . Eine Kultur der Abgrenzung und Intoleranz - egal aus was sich diese Intoleranz speist - ist mit unserer Kultur nicht vereinbar . ({1}) Wer hierherkommt, hat oft Schlimmstes erlebt . Das ist keine leichte Startbedingung, um sich geräuschlos einzufügen . Trotzdem muss der Wille zur Integration beim Flüchtling selbst vorhanden sein . Es kommt aber auch darauf an, welche Angebote wir ihm machen . Gerade zu Beginn ist es wichtig, dass Angebote gemacht werden, die auch ohne deutsche Sprachkenntnisse funktionieren . Spätestens hier kommt die Kultur ins Spiel . Es gibt unzählige Projekte in Deutschland, in denen gemeinsam getanzt, musiziert, gemalt, gelesen oder gesungen wird . Viele gute Projekte gab es auch schon vorher; denn das Thema Integration ist nicht erst seit dem Herbst 2015 aktuell . Ich nenne nur zwei Beispiele: Das Programm des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels „Fußball trifft Kultur“ führt junge Menschen mit Migrationshintergrund spielerisch an Kultur heran . Im Rahmen des Programms „Multaka: Treffpunkt Museum“ werden Flüchtlinge durch zuvor qualifizierte Syrer und Iraker zum Beispiel durch das Museum für Islamische Kunst der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geführt . Die meisten der unzähligen Projekte leben vom ehrenamtlichen Engagement . Auch deshalb wollen wir heute allen, die sich 2015 und 2016 in der Flüchtlingshilfe und in der Integrationsarbeit engagiert haben, Danke sagen . Wir danken für Ihre Zeit, wir danken für Ihre Offenheit, und wir danken auch für Ihr Durchhaltevermögen . ({2}) Ich hatte anfangs gefragt: Hat die Kultur die richtigen Bedingungen für die Integrationsarbeit? Diese Frage stellte sich zuallererst unsere Kulturstaatsministerin Monika Grütters . Bereits im Januar lud sie die Kulturschaffenden aus allen Bereichen - Bühne, Tanz, Museum, Musik usw . - zum Gespräch darüber ein, was für Flüchtlinge getan wird und wo auch noch nachgebessert werden muss . Sie hat zügig reagiert und gemeinsam mit vielen anderen Bestehendes ausgebaut und Neues hinzugefügt . Erst gestern hat Frau Grütters die Auftaktrede für die „Initiative Kulturelle Integration“ gehalten. ({3}) Sie hat diese Initiative gemeinsam mit der Bundesarbeitsministerin, mit dem Bundesinnenminister, mit der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration und mit dem Deutschen Kulturrat ins Leben gerufen . Ziel ist ein Dialog zwischen Politik, Kultur und Zivilgesellschaft darüber, was Integration ist und wie sich Kultur hier einbringen kann . Die Ergebnisse sollen am Tag der kulturellen Vielfalt, dem 21 . Mai 2017, präsentiert werden . Ich freue mich darauf . Der 21 . Mai 2017 ist im Übrigen auch der Tag, den die bundesweite Initiative „Kultur öffnet Welten“ zum Aufhänger für ihre Aktionswoche gemacht hat . Diese Initiative wurde dieses Jahr gestartet und soll sich jährlich wiederholen . Auch sonst ist in den letzten Monaten viel passiert: Der Haushaltsausschuss hat zum Beispiel erst vor wenigen Wochen dem „Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Teilhabe“ 3 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre zugesichert . Der Verbund will Kultureinrichtungen dabei beraten, wie sie sich dem Thema Integration am besten nähern . Auch die Kulturstiftung des Bundes hat in der Zwischenzeit ein bemerkenswertes Modellprogramm „360° - Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ - auf den Weg gebracht. Auch hier geht es darum, Kulturinstitutionen für Menschen mit Migrationshintergrund zu öffnen. Natürlich muss hier auch das größte und erfolgreichste Projekt der kulturellen Bildung erwähnt werden, das es in Deutschland gibt: „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ aus dem Hause von BundesbildungsminisUte Bertram terin Johanna Wanka . Letztes Jahr wurde es spontan um Maßnahmen für junge Flüchtlinge bis 26 Jahre erweitert . Wir sind froh, dass das Programm fortgeführt wird, und fordern dies auch in unserem Antrag deutlich . ({4}) Damit bin ich bei den Forderungen . Denn auch wenn vieles schon gut läuft, so gibt es doch auch immer wieder Beispiele dafür, was noch besser gemacht werden kann . Drei will ich Ihnen nennen: Ich habe in Gesprächen immer wieder festgestellt, dass leider oft der eine nicht weiß, was der andere macht . Die berühmten Best-Practice-Beispiele sind aus meiner Sicht extrem wichtig . Wir wünschen uns, dass noch mehr Möglichkeiten zur Vernetzung geschaffen werden. Das hilft gerade kleinen Einrichtungen, voneinander zu lernen . Wir fordern auch, dass die Kommunen bei der digitalen Neuausrichtung ihrer Stadtbibliotheken unterstützt werden . Viele Stadtbibliotheken fristen ein trauriges Dasein, obwohl sie nicht nur für Einheimische, sondern auch für viele Flüchtlinge und Zugezogene ein besonderer Ort sind. Sie sind öffentlich; dort kann man sich kostenlos aufhalten und kann sich weiterbilden . Da muss sich noch etwas tun . Wir fordern, in Integrationskursen auch ganz gezielt kulturelle Aktivitäten einzubeziehen . Wir haben in Deutschland ein fast einmalig dichtes Netz von Museen, Theatern und anderen Kultureinrichtungen . Wer dieses Land kennen- und hoffentlich auch lieben lernen will, sollte daher früh und regelmäßig mit unseren kulturellen Einrichtungen in Berührung kommen . Am Ende meiner Rede möchte ich all denjenigen danken, die an diesem Antrag so mitgewirkt haben, dass wir noch zu einem konstruktiven Abschluss gekommen sind . Ich danke meinem Kollegen Burkhard Blienert und der Fraktion der SPD für die gute Zusammenarbeit . Mein Dank geht natürlich auch an die Kollegen der CSU . ({5}) Zu guter Letzt möchte ich noch einen persönlichen Dank an Volker Kauder, Michael Kretschmer und Marco Wanderwitz richten . Ich denke, wir können ganz selbstbewusst sagen: Unsere vielen staatlichen und nichtstaatlichen Aktivitäten in der kulturpolitischen Integrationsarbeit stehen uns als einer der größten westlichen Kulturnationen bestens zu Gesicht . Wir sind nicht blauäugig . Wir sind tolerant, und wir sind weltoffen. Das wollen wir 2017 auch bleiben. Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Harald Petzold hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke . ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Da hat uns die Große Koalition mit dem Antrag „Kultur baut Brücken“ ein zumindest auf den ersten Blick schönes Geschenkpaket auf den vorweihnachtlichen Gabentisch gelegt . ({0}) Sie haben im Einleitungsteil richtig festgestellt, dass Gesellschaft und Kultur nichts Statisches sind, nichts sind, das man sozusagen auf immer und ewig in derselben Form verteidigen muss . Sie haben richtigerweise festgestellt, dass Integration keine Einbahnstraße ist, sondern ein Prozess, bei dem alle Beteiligten Bereicherung erfahren . Sie haben zu Recht anerkennende Worte für das Ehrenamt gefunden und gesagt, dass es durch hauptamtliche Kräfte unterstützt werden muss und dass es Angebote zur Weiterbildung braucht . ({1}) Sie haben - das freut mich als medienpolitischen Sprecher natürlich ganz besonders - auf die enorme Bedeutung unserer unabhängigen und qualitativ hochwertigen Presse- und Medienlandschaft hingewiesen, die eine enorme Mitverantwortung hat für differenzierte Berichterstattung, für Widerspiegelung der vielfältigen sozialen und kulturellen Realität in unserem Land . Das freut uns, und das ist natürlich ein schönes Angebot . ({2}) Wenn wir dann allerdings die Schleife lösen und das Geschenkpapier aufdröseln, dann stellen wir schnell fest, dass viel buntes Papier und viel schmückendes Rundum verwendet worden ist, dass der Karton sehr groß ist, aber der Inhalt sehr knapp . Ich will das an drei Beispielen belegen . Sie schreiben zu Recht über die wichtige Arbeit der soziokulturellen Zentren und würdigen deren Arbeit sowie das Engagement von Bibliotheken, Volkshochschulen, Museen, Theatern, also unserer reichhaltigen Kulturszene; sie leistet wirklich eine wichtige Arbeit . Als Abgeordneter, der aus einem vor allem ländlich geprägten Wahlkreis kommt, kann ich nur bestätigen: Das ist richtig . Diese Arbeit ist notwendig, um Barrieren zu überwinden . Diese Arbeit ist notwendig, um Vorurteile abzubauen . Diese Arbeit ist notwendig, um Ängste aufzugreifen und abzubauen und um auf Fremdes neugierig zu machen . In meinem Wahlkreis habe ich selber erlebt, wie professionelle Theaterleute Schülertheaterprojekte - beispielsweise das Schülertheater „Wir - 2015“ des Gymnasiums auf dem Leonardo-da-Vinci-Campus in Nauen - unterstützt haben, in denen diese Ängste vor Fremden aufgegriffen worden sind. ({3}) Ich frage mich, wenn ich mir den Antrag genauer ansehe: Was nützt er den soziokulturellen Zentren? Er bringt sie keinen Schritt weiter nach vorne . Den wichtigsten Punkt, damit wir überwinden, dass die soziokulUte Bertram turellen Zentren keine Bundesunterstützung bekommen, also das Kooperationsverbot, umgehen Sie natürlich wieder . Es bleibt erhalten und hindert uns daran, die Arbeit der sozio kulturellen Zentren mitfinanzieren zu können und damit eine wirkliche Solidarität leisten zu können, die den Zentren tatsächlich hilft . ({4}) - Lieber Ulrich Petzold, vergessen Sie das Luftholen nicht, sonst gehen die Feiertage für Sie in die falsche Richtung . Zweites Beispiel . Die Integrationsbeauftragte hat in ihrem gerade vorgelegten 11 . Bericht ausgeführt, dass die Kulturarbeit von und mit Geflüchteten und ihre Perspektiven mittel- und langfristig in die Programme der Kunst- und Kultureinrichtungen eingebunden werden müssen . Für diese herausfordernden Aufgaben müssen nach Auffassung der Beauftragten die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden . Lesen Sie das auf Seite 337 noch einmal nach . Genau das machen Sie nämlich nicht . Stattdessen halten Sie am Fetisch der schwarzen Null fest . Drittes Beispiel. Ihr Antrag heißt „Kultur baut Brücken“. Das stimmt, aber ihre Asylpolitik reißt diese Brücken wieder ein . Wenn ich an die Afghanistan-Debatte von gestern denke, kann ich nur sagen: Sie ist ein rabenschwarzes Beispiel dafür, wie unernst es Ihnen mit dem vielen bunten Geschenkpapier ist . ({5}) Ich kann Ihnen nur sagen: Hören Sie auf die Stimmen der Schülerinnen und Schüler, die sich für den Verbleib ihrer afghanischen Mitschülerinnen und Mitschüler aussprechen, die gemeinsam mit ihnen Weihnachtslieder gesungen haben und die Weihnachtsgeschichte an ihren Schulen aufführen wollen. Schieben Sie sie nicht wieder ab . Wir werden nachher noch eine Debatte dazu haben, wie Flüchtlinge geschützt werden sollen . Ich vermute, es wird wieder in dieselbe Richtung gehen wie gestern . Damit ist all das bunte Geschenkpapier nichts wert . ({6}) Am Unverständlichsten ist es, dass Sie keine Behandlung des Antrags im Ausschuss wollen, dass Sie eine Sofortabstimmung hier im Plenum beantragen und nicht unserem Antrag folgen wollen, im Ausschuss für Kultur und Medien noch einmal darüber zu beraten und mit der Öffentlichkeit zu beraten, wie wir mehr Inhalt in das schöne bunte Weihnachtspaket bekommen . Deswegen appelliere ich an Sie: Stimmen Sie mit uns der Überweisung in den Ausschuss für Kultur und Medien zu, damit wir das noch einmal gemeinsam besprechen können . Vielen Dank und allen schöne Weihnachten und einen guten Jahreswechsel . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Burkhard Blienert für die SPD . ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Petzold, die Öffentlichkeit ist hier. Es kann keinen besseren Ort für eine Debatte geben als den Deutschen Bundestag . Deshalb sollten wir dies auch so belassen . Ich empfehle allen, den Antrag sorgfältig zu lesen . Das geht auch in Richtung Medien . Ich habe mich heute Morgen darüber geärgert, dass eine deutsche Zeitung mit vier großen Buchstaben die Schlagzeile hatte: „DAS IST DEUTSCH - Bundestag will Leitkultur beschließen“. Genau das steht gar nicht in unserem Antrag . Es geht in diesem Antrag nicht um den Begriff „Leitkultur“. Er findet sich in dem Antrag kein einziges Mal wieder . Olaf Zimmermann sagt zu Recht zu einer solchen Nachricht: Das sind Fake News . - Das sollte uns zu denken geben . Dass wir zum Teil ein unterschiedliches Kulturverständnis haben - auch zwischen den Regierungsfraktionen -, war durchaus ein Reibungspunkt bei den Verhandlungen zu diesem Antrag . Wir haben ihn nicht vorgelegt, weil demnächst Weihnachten ist, sondern weil wir schon lange darüber diskutiert haben . Anfang des Jahres - meine Kollegin ist eben schon darauf eingegangen - haben wir diesen Diskussionsprozess angestoßen . Für uns ist Multikulturalismus keine Ideologie, sondern gelebte Realität in Deutschland. Unser Land ist „geprägt vom Zusammenleben verschiedener Kulturen, von unterschiedlichen Lebenswelten, Werten und Traditionen“. Unsere Gesellschaft „entwickelt sich … stetig weiter und ist offen für andere kulturelle Einflüsse“. - Das waren übrigens direkte Zitate aus dem Antrag . Kultur ist kein starres, in sich geschlossenes Konzept; Kultur wird von Menschen gemacht . Deshalb ist Kultur immer einem ständigen Wechsel unterzogen . Eine Politik hingegen, die eine sogenannte Leitkultur propagiert, hierarchisiert, grenzt Kulturen aus und versteht Integration als Annahme der dominanten Kultur bei gleichzeitiger Aufgabe der Herkunftskultur . Das entspricht nicht unserem sozialdemokratischen Verständnis von Kultur . ({0}) Wir verstehen Kultur nicht als Mittel der Abgrenzung, sondern als Mittel der Inklusion . ({1}) Kulturen konstituieren sich in einem Prozess der Überlagerung, Vermischung und Verschmelzung verschiedener kultureller Einflüsse. Im Rahmen permanenter Austauschprozesse verwischen die Grenzen zwischen Eigen- und Fremdkultur . Wenn wir kulturelle Unterschiede verstehen, andere kulturelle Ausdrucksweisen kennen und Respekt vor anderen Kulturen haben, wird aus dem Fremden das vertraute Andere . Dieser dynamische, hybride und heterogene Kulturbegriff findet sich in Harald Petzold ({2}) diesem Antrag wieder . Wer den Antrag liest, wird ganz klar erkennen: Das ist sozialdemokratische Handschrift . ({3}) Das sage ich ganz ohne Häme . Im Gegenteil: Ich freue mich darüber, dass es uns in einem Diskussionsprozess gelungen ist, die Union mitzunehmen und sie von verkrusteten Denkmustern ausgrenzender Leitkultur wegzubewegen, hin zu einem Bekenntnis zu kultureller Vielfalt . Deshalb sind wir nach einem Jahr zähen Ringens um jede Formulierung ja auch so weit gekommen . Als Berichterstatter war es mir wichtig, dass in dem Antrag zum Ausdruck kommt, dass Integration keine Einbahnstraße ist, sondern ein dynamischer und wechselseitiger Prozess, bei dem es darum geht, sich über die gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens zu verständigen . Das ist aus meiner Sicht gelungen . Mein Verständnis und das Verständnis meiner Partei von Integration lassen sich auf den ursprünglichen Begriff „integrare“, der aus dem Lateinischen kommt, zurückführen. Das bedeutet „erneuern, ergänzen, geistig auffrischen“. Auf diese ursprüngliche Bedeutung sollten wir uns in diesem gesellschaftlichen Diskurs wieder besinnen . ({4}) Unser beeindruckendes kulturelles Erbe hat sich überhaupt erst aus dieser Heterogenität entwickelt . Dieses kulturelle Erbe verpflichtet uns auch zu Humanität - einer Humanität, die im letzten Jahr von vielen Ehren- und Hauptamtlichen in unserem Land auch im kulturellen Sektor mit Leben erfüllt wurde . Deshalb gehört die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements zu den Kernforderungen des Antrags . Eine weitere zentrale Forderung des Antrags ist die Stärkung der soziokulturellen Zentren, die als Orte der Begegnung fungieren und somit kulturelle Teilhabe und kulturellen Austausch fördern . Schauen wir nach NRW! Dort funktioniert das hervorragend . Das sollte man an dieser Stelle einmal betonen . Kulturelle Bildung kann vor allem geflüchtete Kinder dabei unterstützen, Erlebtes zu verarbeiten und Neues zu verstehen . Deshalb hat sich die SPD-Bundestagsfraktion auch dafür eingesetzt, „Kultur macht stark“, das größte Förderprogramm der kulturellen Bildung des Bundes, auch nach 2017 fortzusetzen . ({5}) „Kultur baut Brücken“ - hinter diesem Titel steckt die Überzeugung, dass kultureller Austausch dazu beitragen kann, Vorurteile abzubauen und ein besseres Verständnis füreinander zu entwickeln . Kulturelles Miteinander kann Integration fördern und die Gemeinschaft festigen . Wie sagte es ein sehr bekannter Sozialdemokrat: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Willy Brandt, einst selbst Flüchtling, wurde vor 45 Jahren für seinen Einsatz für Versöhnung und die europäische Einigung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet . Brandts Ziel war es, die Menschen zu einen und nicht zu spalten . Dieser Grundsatz ist Teil unserer Identität, eine Tradition, die wir als Sozialdemokraten weiter aufrechterhalten wollen und die sich auch in dem vorliegenden Antrag wiederfindet. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen ein frohes Fest . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Zeiten, in denen wir mehr als je zuvor über Perspektiven und Chancen für Migration, Inter- und Transkultur reden müssen, legen Sie einen Antrag vor, der einzig und allein seinem Selbstzweck dient . Alles, was dieser Antrag leistet, ist eine Aufzählung von Initiativen und Projekten, die zum Thema „Kulturpolitik und Integration“ bereits laufen. Dafür hätten wir keinen zehnseitigen Antrag gebraucht, da hätte ein Link auf der Homepage der Beauftragten für Kultur und Medien genügt . ({0}) Darum wirft ein solcher Antrag auch berechtigte Fragen auf, nämlich: Was ist denn Ihr Vorschlag, Ihr Konzept für Interkultur? Worin besteht Ihr neuer Beitrag zur Integration, wie Sie das in der Überschrift ankündigen? Ich kann hier kein Konzept erkennen . Etwas Wegweisendes, etwas in die Zukunft Gerichtetes? Da kann ich nur sagen: Leider Fehlanzeige! ({1}) Meine Damen und Herren, kulturelle Integration ist keine Einbahnstraße . Wenn Sie über den Beitrag von Kulturpolitik zur Integration reden, dann geht es Ihnen offensichtlich nicht um eine interkulturelle Auseinandersetzung auf Augenhöhe . Ihnen fällt zum Thema kaum etwas anderes ein, als dass die aufnehmende Gesellschaft Regeln festlegt, Erwartungen und Anforderungen formuliert . Wer so redet, der baut keine Brücken . Dialog geht eindeutig anders . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist doch längst ein Einwanderungsland . Durch Migration und Flucht ist es demografisch in den letzten Jahrzehnten stetig vielfältiger geworden . Deshalb ist doch eine zentrale Frage: Wie verändert sich die Kultur der sogenannten Mehrheitsgesellschaft durch diese Entwicklung? Gerade in der Kultur ist diese Veränderung nicht nur eine Chance für all jene, die zu uns kommen, sie ist auch eine Chance für uns, meine Damen und Herren . ({3}) Kultur ist ein Kommunikationsmedium zur Verständigung in einer pluralen Gesellschaft, und sie ist kein Megafon, das anderen die Meinung ins Ohr brüllt . Echte Partizipation bedeutet, diese Veränderungen und Wechselwirkungen zuzulassen . Und diese Chance vergeben Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, wenn Sie einer Projekteritis, wie in diesem Antrag, hinterherlaufen . Es kann nicht darum gehen, Maßnahmen für Migrantinnen und Migranten immer nur additiv hinzuzufügen . Ein reiner Maßnahmenkatalog ändert die Verfasstheit der Kulturinstitutionen nämlich noch lange nicht, aber genau darum geht es . ({4}) Darum ist für uns Grüne klar: Wir brauchen kulturelle Infrastrukturen, die eine langfristige interkulturelle Öffnung der Kulturlandschaft ermöglichen . ({5}) Kultur kann sicherlich kurzfristig Willkommensräume bereitstellen, aber langfristig muss gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht werden . Also, werte Kolleginnen und Kollegen, inwiefern muss sich hierfür der etablierte Kulturbetrieb öffnen? Wie sollte die Kulturförderung im Hinblick auf interkulturelle Kriterien neu gestaltet werden? Auf diese wesentlichen Fragen finde ich in diesem Antrag gar keine Antworten, und das ist zu wenig . ({6}) Dafür wären aktuelle Daten zum Stand der interkulturellen Öffnung von Kulturinstitutionen als erster Schritt unerlässlich . Ich sage Ihnen: Schon da kneifen Sie . Unseren Haushaltsantrag, den wir vor drei Wochen genau zu diesem Thema vorgelegt haben, haben Sie abgelehnt . Das ist wenig glaubwürdig . ({7}) Ich frage mich: Wie wichtig ist Ihnen dieses Thema wirklich, wenn Sie dann auch noch die politische Auseinandersetzung nicht wollen? Sie wollen heute sofort abstimmen . Warum keine Überweisung in den Ausschuss? Über die Zielsetzung, durch Kultur Brücken zu bauen, müssen wir doch fachpolitisch diskutieren können . Ich verstehe das überhaupt nicht . Der richtige Ort dafür ist der Ausschuss . ({8}) Wir sind ein Parlament, in dem in den Ausschüssen debattiert wird, und das verweigern Sie . Oder wird das Ihre neue Art, Politik zu machen? Keine Kulturdebatten mehr wie auch beim Beschluss zum Wiederaufbau der Kolonnaden? Das ist höchst kritikwürdig, und das wissen Sie auch . Deswegen muss ich das an dieser Stelle noch einmal betonen . ({9}) Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag ist weder falsch noch richtig, er ist nichtssagend . Er bringt nichts nach vorne . Aber weil wir die vielen aufgezählten Initiativen und Projekte unterstützen, insbesondere die Soziokultur, werden wir als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen diesen Antrag nicht ablehnen, wir werden aber auch nicht zustimmen . Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, haben ein wichtiges Thema mit viel heißer Luft aufgeblasen und dabei eine echte Chance vertan. Ich finde, ein Schaufensterantrag ohne Impulse, der den Stillstand der Großen Koalition widerspiegelt, ist zu wenig für Ihr Brückenbauprojekt Kultur. Ich kann nur sagen: Ich finde das sehr bedauerlich . Dennoch wünsche ich Ihnen schöne Feiertage . Bis im nächsten Jahr! Vielen Dank . ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kultur als Brücke braucht Sprache als Fundament . Menschen verstehen sich, wenn sie sich verständigen können . Es ist daher keine Zumutung, sondern eine Selbstverständlichkeit, wenn wir als Schlüssel zur Integration nicht nur den Erwerb, sondern auch den Gebrauch der deutschen Sprache fördern und einfordern . Das ist die erste und wichtigste Botschaft dieses Antrags . Wenn Menschen nicht oder noch nicht die gleiche Sprache sprechen, gibt es ein weiteres Fundament, das verbindet . Das ist die gemeinsame Begeisterung für Musik oder Kunst, für Kulinarisches oder Architektur, für gelebte Traditionen und Bräuche . Die innere Kraft unseres Landes zur Integration erwächst aus der Stärke der eigenen kulturellen Werte und Traditionen und nicht aus deren Relativierung . Eine vermeintliche Rücksichtnahme auf Neues oder eine Ausblendung von Traditionen und Konventionen, beispielsweise - um im Bild der Jahreszeit zu bleiben - indem Sankt-Martins-Umzüge in Lichterfeste und der Christkindlmarkt in Wintermarkt umbenannt werden, stärken nicht die Integration . Damit werden jene, die wir respektvoll in unserer Gesellschaft begrüßen wollen, am Ende irgendwie entmündigt, weil wir ihnen den Eindruck vermitteln, ihnen seien unsere Traditionen nicht zumutbar . Das Gegenteil ist der Fall . In welche Gesellschaft sollen sich Menschen integrieren, wenn wir selbst unsere Traditionen und Werte hinterfragen? Eine Kulturnation braucht Beständigkeit, aber eben auch Offenheit und Neugierde. Sie braucht Respekt und Toleranz, aber eben keine Duldung von Intoleranz . ({0}) Das bringt uns zu der ganz grundlegenden Frage, was denn eine Kulturnation ist . Das ist der Kern dieses Antrags: dass wir einen Versuch unternehmen, dies auch zu definieren. ({1}) Meine Damen und Herren, von viel berufenerer Seite ist die Kultur in unserem Land in den Dimensionen von Glaube und Vernunft vermessen worden . Dabei meint Glaube kein religiöses Verständnis, sondern das Wissen um die notwendige Orientierung in einer Gesellschaft, Werte also, die unser Gemeinwesen begründen und zusammenhalten . Vernunft dagegen, ohne dass dies ein Gegensatz ist, fordert in der Tradition der Aufklärung freies Denken und Reden und einen säkularen Rechtsstaat, dessen Regeln allgemeine Geltung besitzen . Daraus wird klar: Der Staat selbst darf keine bestimmte Kultur vorschreiben oder gar verordnen . Er hat vielmehr diese Gesellschaft zu schützen, aus der er in Freiheit entstanden ist. Das kann letzten Endes nur eine offene demokratische Gesellschaft sein, die trotz aller Veränderungen auf der Grundlage der Ideen des Rechts, der Freiheit und der Menschenwürde existiert . Die Menschen, meine Damen und Herren, fragen sich, wie sich unser Land verändert, und nicht wenige machen sich Sorgen, in welchem Ausmaß diese Veränderung spürbar sein wird . Manche sagen gar, dass Veränderungen völlig ausgeblendet werden müssen . Das aber zu behaupten, wäre unehrlich, im schlimmsten Fall gar demagogisch . Literatur, Architektur, Wissenschaft und Technologie, aber auch Kunst und Kultur sind Veränderungen unterworfen . Es gibt aber auch eine Sphäre, die sich nicht verändern darf . Das sind die grundlegenden Regeln und Werte unseres Zusammenlebens . Dazu gehört die Würde des Menschen, der bereits das Grundgesetz das Attribut „unantastbar“ verleiht. Die universelle Geltung der Menschenrechte und die Freiheit als Prinzip, wie eine Gesellschaft organisiert wird, damit sich jeder Einzelne mit seinem Lebensentwurf darin wiederfinden kann, die Gleichheit aller Menschen und die Gleichheit zwischen Mann und Frau, die Freiheit, seinen Glauben zu leben oder auch keinen zu besitzen, die Gewissheit, dass ein säkularer Rechtsstaat diese Werte nicht nur garantiert, sondern sie auch aktiv einfordert - wer immer auch zu uns kommt, für den sind diese Regeln keine unverbindlichen Handlungsempfehlungen . Wir fordern zu Recht ein, dass sie gelten, und zwar für alle und ausnahmslos . Wenn wir in diesen Tagen auf die Welt blicken, dann sehen wir so viele Menschen, denen dieses Leben in Frieden und Freiheit verwehrt bleibt, die nicht ihre Kultur leben können, die nicht von einer Kulturnation profitieren. Umso kostbarer ist es, zu schätzen, was wir erreicht haben durch Toleranz, in Gemeinsamkeit und im Vertrauen auf diese Werte . Wir haben alles dafür zu tun, dass dieser Frieden, dieser Weihnachtsfrieden überall entstehen kann. Das ist unsere Verpflichtung. Sie erwächst auch aus einer viel bedeutenderen Kultur, nämlich der Kultur der Mitmenschlichkeit . Darauf lässt sich bauen . Vielen Dank . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic für die SPD-Fraktion . ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke der Union dafür, dass wir mit dem Antrag „Kultur baut Brücken“ gemeinsam ein positives Beispiel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft bieten können . Was mich an dem Antrag so freut, ist, dass er in seiner Anlage und Haltung einmalig ist . Noch vor wenigen Jahren herrschte die Auffassung, Multikulti sei gescheitert . Mit dem vorliegenden Antrag wird nun deutlich, dass das Bekenntnis zur multikulturellen Gesellschaft in allen Parteien unseres Parlaments angekommen ist . ({0}) Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der sogenannten Leitkultur zu tun, wie es eine auflagenstarke Zeitung schreibt . Ja, in unserem Antrag ist die Rede von Deutschland als Kulturnation, geprägt von den Werten der Aufklärung, von Freiheit und Humanität . Ist das richtig? Ja . Ist das schlimm? Natürlich nicht . Sind wir an einem Punkt, wo wir als demokratische Parteien nicht mehr benennen können, was Deutschland prägt? Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich, wenn ich nach Kroatien fahre, für viele nur noch „der Deutsche“ bin. Warum? Weil sie an mir deutsche Verhaltensweisen erkennen . Das ist nun einmal so . Aber das alles hat nichts mit unserem Antrag zu tun . Denn nach dieser - ich nenne es einmal so Standortbestimmung heißt es auch, dass unser Land vom Zusammenleben verschiedener Kulturen und von unterschiedlichen Lebenswelten geprägt ist . Das hätte sich die Zeitung als Schlagzeile nehmen sollen: Union und SPD bekennen sich zur Gesellschaft der Vielfalt . - Denn das ist der Kern unseres Antrags „Kultur baut Brücken“. Kultur baut Brücken, und mit Kultur kann man vieles zum Ausdruck bringen, das man nicht in Worte fassen kann . Kultur verbindet emotional und ermöglicht die Vision von einer Traumwelt . Vieles, was heute Realität ist, war einst ein Traum. Kulturschaffende erkennen gegenseitig ihre Fähigkeiten und gehen in der Regel respektvoll miteinander um . Das ist beispielhaft für die Gesellschaft und ein wichtiger Beitrag für das friedliche Miteinander . An dem Kulturbegriff, der unserem Antrag zugrunde liegt, gefällt mir besonders, dass er so umfassend ist . Denn es ist die Vielfalt kultureller Initiativen, die unsere Gesellschaft ausmacht . ({1}) Sie unterstützen und würdigen wir mit unserem Antrag . So begrüßen wir nicht nur die Einrichtung der „Initiative kulturelle Integration“, sondern auch das Engagement der Bundesagentur für Arbeit, die in zwei Jahren kurzfristig 200 000 Asylbewerberinnen und Asylbewerbern Sprachkurse ermöglicht hat . Denn auch Sprache ist Kultur . Wir möchten nicht nur Integrationskurse durch regelmäßige kulturelle Aktivitäten ergänzen, wir wollen auch digitale Teilhabe und Medienbildung für Flüchtlinge fördern . Genauso förderwürdig im Zusammenhang mit Integration ist das Programm „Fußball trifft Kultur“. Dort können Kinder nicht nur Fußballspielen und gesellschaftliche Tugenden wie Teamgeist und Zusammenhalt erlernen, sie erhalten auch Förderunterricht . Auch das ist Teil der Alltagskultur . Kultur ist eben kein Subventionsloch, in dem Gelder für verrückte Projekte verschwinden, sondern eine wichtige Investition in die Zukunft . ({2}) Jede und jeder Einzelne hat täglich mit Kultur zu tun, und genauso allgegenwärtig sind ihre Möglichkeiten der Integration . Allein, es muss der Wille der Gesellschaft sein . Diesen Willen konnten wir in den vergangenen zwei Jahren deutlich erkennen . 8 Millionen Menschen haben sich im vergangenen Jahr ehrenamtlich engagiert . Viele der Freiwilligen haben auch kulturelle Angebote gemacht, zum Beispiel die Banda Internationale in Dresden oder das Projekt „Brücken der Kulturen“ von Guy Ramon in meinem Wahlkreis Heilbronn . Sie sind die stillen Helden hierzulande und helfen kaum hörbar . Die 800 000 Schreihälse hingegen, die rechte Parolen brüllen, werden von allen gehört . Lassen Sie uns dafür sorgen, dass den Engagierten unseres Landes mit diesem Antrag signalisiert wird, dass wir ihre Arbeit richtig und wichtig finden und uns nicht an den Bedenkenträgern orientieren ({3}) und dass wir ein gemeinsames Ziel haben: eine starke, widerstandsfähige Gesellschaft der Vielfalt mit einer lebendigen, abwechslungsreichen Kunst- und Kulturszene als unverzichtbarem Bestandteil . Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen . Danke schön für die Aufmerksamkeit . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD auf der Drucksache 18/10634 mit dem Titel „Kultur baut Brücken - Der Beitrag von Kulturpolitik zur Integration“. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Überweisung an den Ausschuss für Kultur und Medien . Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Überweisung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt . Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10634 . Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Starke Forschung und Innovation für Europas Zukunft Drucksache 18/10635 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Sobald die noch herbeigeeilten Kolleginnen und Kollegen einen Platz gefunden haben, kann ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel . ({0})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lesen jeden Tag, dass sich Europa von den Menschen entfernt habe, dass die Nationalstaaten Probleme besser alleine bewältigen könnten, dass Europa in der Krise stecke . Denjenigen, die dies behaupten, empfehle ich die Lektüre dieses Antrags . ({0}) Denn dieser Antrag erzählt von einer Erfolgsgeschichte, einer Erfolgsgeschichte, die die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam geschrieben haben . Es stimmt: Europa steht derzeit vor großen Herausforderungen . Seit dem Brexit beschleicht mich die Sorge, dass die historischen Errungenschaften der Europäischen Union verspielt werden . Europa wird von vielen Menschen nicht mehr als selbstverständlich hingenommen, sondern kritisch hinterfragt . Wir müssen uns gemeinsam diesen Fragen stellen und die richtigen Antworten finden. Der Antrag „Starke Forschung und Innovation für Europas Zukunft“ kommt deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt . ({1}) Zur Bewältigung großer Herausforderungen hilft es, sich auf seine Stärken zu besinnen . Und eine Stärke der europäischen Zusammenarbeit ist die europäische Forschungspolitik . Es gibt keinen anderen Politikbereich in der Europäischen Union, in dem so eng zusammengearbeitet wird wie in Wissenschaft und Forschung . Dies ist eine erfreuliche Entwicklung, aber nicht nur das . Es ist vielmehr der einzige Schlüssel zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie sie vom Forschungsprogramm „Horizont 2020“ adressiert sind. Ich möchte daran erinnern: Das Leben im System Erde basiert auf Vielfalt . Die passenden wissenschaftlichen Antworten können nur aus einer ebensolchen Vielfalt des Zusammenwirkens entstehen . Denn wenn es um Antworten geht, dann wissen wir, dass diese nur transnational zu finden sind. ({2}) Wissenschaft und Forschung sind deshalb hervorragende Beispiele für den europäischen Gedanken und auch den unmittelbaren Mehrwert Europas für die Bürgerinnen und Bürger . Die Bundesregierung hat die europäische Forschungspolitik von Anfang an unterstützt und mitgestaltet . Sie hat für uns höchste Priorität . Und wir waren 2014 das erste Land, das eine nationale Strategie für den Europäischen Forschungsraum vorgelegt hat . Andere Mitgliedstaaten sind dem nun gefolgt . Der vorliegende Antrag greift das Thema „Europäischer Forschungsraum“ daher zu Recht prominent auf. Die europäische Forschungs- und Innovationspolitik ist mittlerweile ein zentraler und integraler Bestandteil der Forschungspolitik der Bundesrepublik Deutschland . Verantwortung übernehmen bedeutet aber auch, dass wir durch unsere gute nationale Förderung deutsche Forscherinnen und Forscher im europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig machen . Hier sprechen die Zahlen für sich . Deutschland ist sehr erfolgreich in „Horizont 2020“. Bis heute wurden mehr als 3 Milliarden Euro eingeworben . Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Forschungseinrichtungen konnten unter „Horizont 2020“ allein beim Europäischen Forschungsrat, ERC, also in der absoluten Spitzenforschung, in einem hochkompetitiven Auswahlverfahren 368 Grants einwerben . Voraussichtlich werden wir im nächsten Jahr den 1 000 . Grantee in Deutschland begrüßen können . Diese ERC-Förderung bedeutet bisher 1,7 Milliarden Euro zusätzlich für die deutsche Spitzenforschung . ({3}) Europa ist eine Gemeinschaft, basierend auf dem Gedanken der Solidarität . Wenn wir wollen, dass Europa insgesamt stark ist, dann müssen wir allerdings auch die Staaten mit einbeziehen, die noch nicht ihr volles Potenzial haben heben können . Hier sehen auch wir uns in der Verantwortung . ({4}) Bei der nationalen Konferenz zum Europäischen Forschungsraum am 10 . Oktober hat Ministerin Professor Wanka die Stipendiaten und Stipendiatinnen des neuen BMBF-Programms „ERA Fellowships“ persönlich begrüßt . Damit wollen wir engagierten Nachwuchswissenschaftlern aus den mittel- und osteuropäischen Ländern das Angebot machen, eine Zeitlang praktische Erfahrung besonders im Wissenschaftsmanagement in Deutschland zu sammeln . Damit kriegen sie die Chance, sich europäisch zu vernetzen . Dies ist ein Beispiel dafür, wie wir unsere gesamteuropäische Verantwortung wahrnehmen wollen, und auch bei anderen Mitgliedstaaten besteht noch erhebliches Potenzial, den europäischen Forschungsrahmen gerade auch durch solche bilaterale Maßnahmen auszugestalten . Es reicht eben nicht, nur den Blick nach Brüssel zu richten, meine Damen und Herren . ({5}) Gerade den Mitgliedstaaten, die in einer wirtschaftlich und sozial schwierigen Lage sind, kann man nur sagen: Investitionen in Forschung helfen . Sie sind ein Schlüssel, diese Phase zu überwinden . - Forschungskooperationen können neuen Schub geben . Aktuell haben wir gerade in der letzten Woche das zweite Deutsch-Griechische Forschungsprogramm gestartet. Dieses eröffnet gerade jungen Wissenschaftlern neue Perspektiven im eigenen Land und wirkt so einem Braindrain entgegen . ({6}) Nicht zuletzt: Die europäische Forschungsförderung ist wichtig für das gegenseitige Verständnis und den gemeinsamen Fortschritt . Kulturelle, soziale und wirtschaftliche Vielfalt, das sind die großen Stärken der Europäischen Union . Das Zusammenbringen der europäischen Forschung bringt viele positive Synergieeffekte. Viele junge Menschen, die durch die Mobilitätsprogramme „Erasmus“ oder die Marie-Curie-Maßnahmen gefördert werden, können Europa hautnah erleben, machen Erfahrungen in anderer kultureller und wissenschaftlicher Umgebung und kommen mit diesen Erfahrungen in ihr eigenes Land zurück . Bei allen positiven Betrachtungen des Istzustands möchte ich aber auch den Blick in die Zukunft richten; denn wir gehen jetzt darauf zu, das Rahmenprogramm 2021 zu erarbeiten . Und dazu werden wir uns frühzeitig einbringen . Lassen Sie mich vier Elemente unserer Position benennen: Erstens. Wir wollen eine gute finanzielle Ausstattung. Damit setzen wir ein klares Signal an die Bürger und an die Mitgliedstaaten: Forschung hat Priorität, auch in Zukunft . ({7}) Zweitens . Bei der Debatte zum nächsten Rahmenprogramm müssen wir uns klar dazu positionieren, was wir national machen wollen, was wir gemeinsam bilateral organisieren wollen und was wir auf gesamteuropäischer Ebene organisieren wollen . Der Antrag beschreibt hier eine kluge und kohärente Arbeitsteilung nationaler, bilateraler und europäischer Forschungs- und Innovationspolitik . ({8}) Drittens . Bei der derzeitigen Debatte um einen europäischen Verteidigungsfonds darf nicht übersehen werden, dass das bisherige EU-Forschungsrahmenprogramm aus gutem Grund rein zivil ausgerichtet ist . ({9}) Bei der verteidigungsorientierten Forschung bedarf es aufgrund der besonderen Sensibilität eigener Richtlinien und eigener Teilnahmebedingungen . Dies kann deshalb nur in einem eigenen Programm verwirklicht werden . Und schließlich viertens . Europa kann sich keine Forschungs- und Innovationslücke zwischen den alten Mitgliedstaaten und den EU 13 leisten . ({10}) Nein, wir sind ein Europa . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft, Forschung und Innovation spielen eine zentrale Rolle für Wohlstand und Lebensqualität im vereinten Europa . Sie stehen für eine freie und offene Gesellschaft. Dies wollen wir gemeinsam fördern und unterstützen . Wenn diese Werte jetzt infrage gestellt werden, müssen wir mehr denn je die Debatte über die Zukunft Europas führen . Forschung und Innovation sind immer auch ein Plädoyer für Vielfalt und Freiheit, und der Antrag für starke Forschung und Innovation in Europa ist ein solches Plädoyer für ein starkes, freies und für die Zukunft gerüstetes Europa - ein richtiges Signal zur rechten Zeit . Herzlichen Dank . ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Beweihräucherungsantrag versetzt uns die Koalition in weihnachtliche Stimmung . Am Weihnachtsbaum Forschung und Innovation strahlen helle Lichter. Das Programm „Horizon 2020“ stellt 80 Milliarden Euro für Forschung und Innovation bereit; das begrüßen wir . Dass die Bundesregierung Forschungsförderung für Atomreaktoren ablehnt, das begrüßen wir . ({0}) Dass die Koalition mehr Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung und einen höheren Frauenanteil in wissenschaftlichen Führungsgremien fordert, das unterstützt die Linke . ({1}) Dass kleinere und mittlere Unternehmen mehr Berücksichtigung in der europäischen Forschungspolitik finden sollen, das unterstützt die Linke . ({2}) Dass im Bundeshaushalt die Forschungsmittel erhöht wurden, auch das unterstützt die Linke . ({3}) Aber im Baumschatten versteckt liegen falsche Gaben: die Schließung des Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Erfurt . Die Beschäftigten bangen um ihren Job, der Gartenbau verliert seine angewandte Forschung . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie Ihren Antrag zum Gartenbau ernst, und retten Sie zusammen mit dem rot-rot-grün regierten Thüringen das IGZ in Erfurt . Das wäre ein echtes Geschenk . ({5}) Die Zentralbibliothek Medizin in Köln wird abgewickelt . ({6}) Wie es mit den Datenbanken und Beständen nach 2019 weitergeht, ist ungeklärt . Sie können dies in den Kleinen Anfragen nachlesen, die ich an die Bundesregierung gestellt habe . ({7}) Medizinischer und pharmazeutischer Nachwuchs, die Forscherinnen und Forscher sowie die Firmen bangen um diese Datenbasis . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwingen wir die Regierung per Beschluss, den Fortbestand dieser weltweit größten Datenbanken zu Lebenswissenschaften zu erhalten und Pflege und Ausbau der Bestände der ZB MED zu sichern . Das wäre ein echtes Weihnachtsgeschenk . ({8}) Dann liegt da noch das Geschenk, dessen Annahme die Rektoren und Rektorinnen der deutschen Universitäten und Hochschulen verweigerten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, was den Hochschulen von der Verwertungsgesellschaft Wort, VG Wort, aufgezwungen werden soll, ist dreist . ({9}) Zuerst forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe von öffentlichen Geldern, aber die Forschungsresultate sind privat . Dann werden die Resultate ihrer Forschung mit öffentlichen Mitteln publiziert. Aber am Vertrieb, den Publikationen, verdient der Verlag . ({10}) Bibliotheken kaufen mit öffentlichen Mitteln die Publikationen, um sie für Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzbar zu machen . Dreimal muss die Gesellschaft bezahlen, um das Ergebnis der Forschung nutzen zu können . ({11}) Verwenden Professoren oder Lehrkräfte Ausschnitte aus Büchern und kurzen Veröffentlichungen, dann zahlen sie nochmals - an die VG Wort, die GEMA des Geschriebenen . Ab 2017 wird dann noch eins draufgesetzt . Statt bisheriger Pauschalabrechnung sollen die Hochschulen eine Einzelabrechnung vornehmen . Für jeden Artikel, für jeden Ausschnitt, für jede einzelne Seite sollen je Unterrichtskurs und Teilnehmenden 0,8 Cent bezahlt werden . Ein Beispiel: Ein Germanistik-Professor verwendet in seiner Vorlesung 61 vergütungspflichtige Seiten. 723 Studierende sitzen im Hörsaal, und die Vorlesung wird im Internet von x weiteren Studierenden verfolgt . Hoffentlich hat sich der Professor nicht verzählt, und hoffentlich sind alle registriert, die via Internet zuhören . Die Hochschule zahlt also für diese Vorlesung 352,82 Euro plus x mal 61 mal 0,8 Cent fürs Internet an die VG Wort . Der Professor verwies in den Übungen auf 70 vergütungspflichtige Seiten. Damit zahlt jeder Studierende für die Übung nochmals 56 Cent an die VG Wort . ({12}) Kein Problem, das geht alles online . Jede Seite wird je Studierenden, je Nutzung, je Vorlesung einzeln abgerechnet . Was für ein Bürokratiemonster! ({13}) Das kostet die Hochschulen und Studierenden extra Geld und vor allem eines: Unmengen an Zeit . Die Hochschulrektorenkonferenz bewertete den Feldversuch zu diesem Einzelabrechnungssystem an der Universität Osnabrück vernichtend . Die Hochschulen haben die Einzelabrechnung abgelehnt . Zurzeit wird gestritten, wie es ab Januar 2017 weitergeht . Ohne Lösung dürfen Professorinnen und Professoren nur noch auf Artikel verweisen; Studierende kopieren oder drucken diese dann in der Bibliothek aus . Das wäre noch zulässig, aber teuer und umweltschädlich . Die Linke fordert, dass alle mit Steuergeldern gewonnenen Forschungsergebnisse unentgeltlich für öffentliche Forschung, für Ausbildung und Lehre genutzt werden können . ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Forderung werden Sie wohl leider nicht folgen . Ich bitte Sie jedoch: Beschließen Sie die Pauschalabrechnung für die VG Wort . Der Bundestag ist der Gesetzgeber . Wir dürfen das Urheberrecht verändern . Ich hoffe auf bessere Weihnachten 2017, dann mit echten Anträgen statt mit Selbstbeweihräucherung . Vielen Dank . ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion . ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich war ich ganz froh, dass wir am Ende eines Jahres, das mit Blick auf Europa ein sehr schwieriges Jahr war - über viele politische Entwicklungen kann man in große Sorge verfallen -, in einer der letzten Debatten tatsächlich über Europa reden, statt wieder wie ein Müllsammler, der an den Wegesrändern entlanggeht, danach zu suchen, welche Probleme es irgendwo gibt . ({0}) Vielleicht trägt genau das auch zu der schwierigen Situation und einer Stimmung bei, die es Europa nicht leichter macht . ({1}) - Lieber Ralph Lenkert, bei der Frage des Urheberrechts wäre vielleicht der Blick nach Europa angebracht; denn mit dem, was die Europäische Kommission im Bereich der Open-Access-Strategie - dazu wird Elfi SchoAntwerpes gleich etwas sagen - oder zum europäischen Urheberrecht vorschlägt, ist Europa viel weiter als wir angesichts der Mühen, mit denen wir uns in Deutschland jeden Tag beschäftigen müssen . Neben den Sorgen, die es in Europa gibt, gibt es, wie ich finde, auch große Hoffnung. Die Abstimmung über den Brexit hat gezeigt, dass sich gerade die jungen Menschen für Europa entschieden haben - mehr als drei Viertel von ihnen haben für ein freies und vielfältiges Europa gestimmt -: es waren eher die alten Säcke, die damit Probleme haben - sie haben auch an jeder Stelle über die Probleme genörgelt - und für den Brexit gestimmt haben . Wenn unsere französische Gasttochter Aurore am Sonntag nach zwei Monaten in unserer Familie nach Lyon zurückkehrt, wird sie hoffentlich ein anderes Bild von Deutschland haben als das, das Marine Le Pen gerade in Frankreich verbreitet . Wenn meine Kinder ihrerseits die Erfahrung machen konnten, in einer französischen Familie zu leben, dann ist es für sie eine selbstverständRalph Lenkert liche und gute Normalität, in Nachbarschaft und Frieden miteinander zu leben . Als letzte Woche an einem Hagener Berufskolleg, dem Cuno, der Europatag begangen wurde, haben junge Auszubildende von ihren Erfahrungen von einem Auslandsaufenthalt berichtet und erzählt, wie gut und wichtig das ist . Auch wenn ich meine, dass wir da noch viel zu schlecht aufgestellt sind und Erasmus+ noch viel zu wenig vertreten können, ist Teil meiner Hoffnung, dass Europa etwas wirklich sehr Gutes ist . Gerade wir Deutschen müssten uns eigentlich daran erinnern, wie wichtig die Zusammenarbeit bei Wissenschaft und Forschung ist; denn es war die manchmal vergessene, aber doch so wichtige Reise des Max-Planck-Präsidenten und Nobelpreisträgers Otto Hahn 1959 nach Israel unter dem Stichwort der Wissenschaftszusammenarbeit, die ein neues Fundament für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel gelegt hat . Er bzw . die Wissenschaft hat den Weg zu einem friedlichen Miteinander bereitet . Ich danke Stefan Kaufmann und unseren Mitarbeitern für eine wirklich gute Zusammenarbeit bei diesem Antrag . Wenn die Koalition heute einen Antrag mit dem Titel „Starke Forschung und Innovation für Europas Zukunft“ vorlegt, dann ist man fast bemüht, sich durch die Details unseres guten Antrags zu wühlen . Ich möchte, ohne uns selbst beweihräuchern zu wollen - das liegt mir fern; ich bin nicht katholisch -, wie Thomas Rachel den Schwerpunkt auf Europas Zukunft legen, weil wir mit diesem Antrag Menschen näher zusammenbringen wollen . Wir wollen, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mobiler werden, ein paar Monate im Ausland forschen und dass viele aus Europa zu uns kommen und uns und unsere Wissenschaft kennenlernen . Dann macht mir die Zukunft Europas keine Bange . Das ist ein guter Weg . ({2}) Den wollen wir beschreiten, indem wir die Hürden, die es noch gibt, weiter aus dem Weg räumen . Wir wollen auch die Länder innerhalb Europas näher zusammenbringen, indem wir im Sinne einer Solidarität zwischen den Ländern diejenigen, die noch schwächer sind und beispielsweise nicht so exzellente Forschungseinrichtungen wie wir in Deutschland haben, in die Lage versetzen, aufzuholen. Auch das ist, finde ich, ein ganz wichtiger Punkt . Wir halten die Verbundforschung in Europa für einen Kern der europäischen Forschungspolitik . Verbundforschung heißt, dass mindestens drei Partner aus drei Ländern zusammen in einem Forschungsprojekt arbeiten müssen . Wer das einmal mitgemacht hat, weiß, wie völkerverbindend, friedenschaffend und wissenschaftlich wichtig das ist . In unserem Antrag ist von strukturellem Pluralismus die Rede . Damit ist gemeint, dass wir die Vielfalt der Wissenschaftssysteme und der Gesellschaften Europas nicht als Nachteil oder als Übel, sondern als Chance begreifen . Wir wollen diese Vielfalt nicht wegharmonisieren, sondern stärken . Sie muss erhalten bleiben, damit alle im Rahmen ihrer unterschiedlichen wissenschaftlichen Vorgehensweisen innerhalb der europäischen Forschungsprogramme zum Erfolg beitragen können . ({3}) Wir sind ausdrücklich der Auffassung, dass Exzellenzund Grundlagenforschung der Kern des Wohlstands unserer Gesellschaft ist . Wir wollen keinen Deut weniger Geld für Grundlagenforschung ausgeben . Deswegen sind wir sehr froh über die Äußerung der Regierung, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass hier nicht gekürzt wird . Wir sind aber auch der Meinung, dass Europa im Bereich der angewandten Forschung besser werden kann, also dann, wenn es darum geht, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse wirtschaftlich nutzbare Ergebnisse zu erzielen und damit Wachstum zu befördern . Nicht zuletzt müssen wir in Europa bei der Förderung der Sozial- und Geisteswissenschaften, der Migrationsforschung, der Bildungsforschung sowie der Friedensund Konfliktforschung besser und sichtbarer werden. Die Menschen in Europa interessiert, wie es mit unserer Gesellschaft weitergeht und welche Ziele wir mit einem gemeinsam gestalteten sozialen Europa erreichen können . ({4}) Dazu kann die Forschung einen wichtigen Beitrag leisten . Deswegen kann ich nur bitten: Arbeiten Sie mit an der Zukunft Europas, und unterstützen Sie unseren Antrag! Vielen Dank . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Linksfraktion, in einer Debatte über den Europäischen Forschungsraum nur über nationale Fehler zu lamentieren, offenbart Ihr ganzes Haltungsproblem zur Europäischen Union . ({0}) Die Europäische Union und Deutschland als große Volkswirtschaft und Wissensnation haben in diesen herausfordernden Zeiten eine immense politische Verantwortung . Wenn wir vielerorts wachsenden Populismus und zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit feststellen, dann können manchmal Zweifel aufkommen, wie wir als Europäische Gemeinschaft zusammen die Kurve kriegen . Solche Zweifel dürfen aber nicht zu Selbstblockade, Fatalismus und Gleichgültigkeit führen . Vielmehr braucht es die Haltung „Jetzt erst recht“ für ein besseres Europa. ({1}) Europa braucht Ideenreichtum und die Kreativität aller Bürgerinnen und Bürger . Gerade in der Forschungsund Innovationspolitik wäre daher eine Rückkehr zu nationalen Egoismen und Kleinstaaterei verheerend . ({2}) Denn wir brauchen wissensbasierte und zukunftsweisende Lösungen für die großen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen unserer Zeit . Nur gemeinsam schaffen wir es - den Ergebnissen der Klimaforschung folgend -, mehr Druck für internationalen Klimaschutz und die europäische Energiewende Richtung Erneuerbare, Einsparung und Effizienz auszuüben. Nur gemeinsam können wir im internationalen Wettbewerb bestehen und dabei auch hohe ethische und bürgerrechtliche Standards durchsetzen, ob bei Big-Data-Datenschutz, der Technikfolgenabschätzung beim autonomen Fahren oder Dual-Use-Problemen . Solche klaren Ziele und Prioritäten geben den Menschen in Europa Orientierung, Zuversicht und Motivation . Wir wollen eine Innovationsunion und einen Europäischen Forschungsraum . Auch so kann Europa wieder mehr Optimismus entfachen . ({3}) Die Koalition lobt sich in diesen Tagen gerne über den grünen Klee, weil das nationale 3-Prozent-Ziel erreicht sei . ({4}) Dazu können wir nur sagen: Endlich! - Deutschland hatte sich schon gemäß den Lissabon-Zielen für 2010 verpflichtet, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren . Die EFI fordert ebenso wie wir seit Jahren, 3,5 Prozent anzupeilen, um wieder zu den Innovationsspitzenreiterländern aufzuschließen . Nachdem Sie nun 6 Jahre zu spät die 3 Prozent erstmalig erreicht haben, erklären Sie diese in Ihrem Antrag zur Untergrenze für ganz Europa . Wie soll das bitte schön funktionieren? Einerseits haben Sie Europa einen Spar- und Austeritätskurs aufgedrückt, andererseits fordern Sie von finanzschwächeren Staaten eine FuE-Quote, die selbst wir als stärkste Volkswirtschaft gerade erst erreicht haben . Das ist ebenso fragwürdig wie unrealistisch . So kommen wir zu keinen nachhaltigen und chancengleichen Aufstiegspfaden in ganz Europa . In den Mittelpunkt der Debatte muss doch gehören, wie wir die krasse Forschungs- und Innovationskluft zwischen Mitgliedstaaten und Regionen endlich schließen . Darauf geben Sie keine Antworten . ({5}) Eine starke öffentliche Forschungsförderung durch die EU und die Mitgliedstaaten ist für die Innovationsfähigkeit unverzichtbar . Dies gilt vor allem für die Grundlagenforschung . Heute berät der Bundesrat über einen Antrag der Länder Nordrhein-Westfalen - größtes, schönstes und wichtigstes Bundesland -, ({6}) Bremen und Brandenburg zur Zwischenevaluation von „Horizont 2020“. Wir teilen die darin formulierte Sorge um die zukünftige Förderung der Grundlagenforschung . Veränderungen der Förderstruktur dürfen nicht zu deren Lasten gehen . Wir brauchen ein exzellentes Wechselspiel von erkenntnis- und anwendungsorientierter Forschung; denn ohne Neugier und Experimentierfreude ist Technologietransfer einfach undenkbar . ({7}) In Ihrem Antrag vermisse ich schmerzlich, die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken . Sie sind es doch, die dank ihrer Kreativität eine Innovationsunion überhaupt bauen können . Die Perspektiven von Forscherinnen und Forschern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Azubis und Studierenden der Generation Erasmus, Gründerinnen und Gründer sind ein blinder Fleck Ihres Antrags, und das ist seine größte Schwäche . ({8}) Diese und weitere Themen wären es wert gewesen, mit einem gemeinsamen, interfraktionellen Antrag angegangen zu werden . Diese Chance hat die Koalition leider nicht genutzt . So hätten wir unter anderem das klare Nein zu EU-Forschungsmitteln für die Atomenergie gemeinsam an die EU-Kommission richten können - das wäre sicherlich ein tolles Signal vom gesamten Bundestag gewesen - und die Forderungen insgesamt klarer priorisieren können, als es in Ihrem 13-seitigen Antrag der Fall ist . Wir werden uns bei der Abstimmung über den Koalitionsantrag enthalten und versprechen, auch 2017 bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen für Europa nicht nachzulassen, sondern jetzt erst recht dafür zu ackern . Besinnliche Feiertage und bis bald in 2017 . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ralph Lenkert, ich bin katholisch, und ich kann auch etwas mit Weihrauch anfangen; ich war Ministrant . Ihre Anwürfe prallen an mir völlig ab . Mit dem vorliegenden Antrag beteiligen sich die Koalitionsfraktionen sehr frühzeitig am Diskussionsprozess zum nächsten Forschungsrahmenprogramm . Indem wir heute diesen Antrag beschließen, leistet der Deutsche Bundestag als erstes und bislang auch einziges nationales Parlament seinen Beitrag zu diesem wichtigen Vorhaben . ({0}) Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Zwischenevaluierung des aktuell laufenden Programms „Horizont 2020“ sowie mit Blick auf das künftige Nachfolgeprogramm muss sich nach unserer Auffassung der Deutsche Bundestag schon jetzt in die Debatte auf europäischer Ebene einbringen und so dazu beitragen, dass die Leitplanken der künftigen EU-Forschungs- und Innovationspolitik auch richtig gesetzt werden . ({1}) So haben wir es im Übrigen auch schon bei unserem 8 . Forschungsrahmenprogramm gemacht . Mit dem Antrag geben wir der Kommission einen Leitfaden an die Hand, den diese bei der Erarbeitung des neuen Rahmenprogramms nutzen kann und - da bin ich mir sehr sicher - auch nutzen wird . Ich danke ausdrücklich dem Kollegen René Röspel und auch den Kolleginnen und Kollegen aus den mitberatenden Fachausschüssen für ihre konstruktiven Beiträge, die diesen Antrag aus unserer Sicht zu einem sehr gelungenen, einem sehr substanziellen Beitrag des Deutschen Bundestages in dieser Debatte machen . ({2}) Angesichts vielfältiger politischer, wirtschaftlicher und auch gesellschaftlicher Krisen und Umbrüche - das wurde angesprochen - ist die Europäische Union heute mehr denn je gefordert, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen . Spätestens seit dem 23 . Juni, dem Brexit-Votum der Briten, hat auch in Deutschland eine umfassende Debatte über Europas Zukunft begonnen . Die jüngsten Entwicklungen in Italien und Österreich, aber auch die bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich beobachten wir nicht nur als Nachbarn, sondern vor allem als Europäer mit ganz besonderer Aufmerksamkeit . Klar ist - das wurde schon betont -: Nur gemeinsam kann Europa angesichts eines immer härter werdenden internationalen Wissens- und Innovationswettbewerbs seine Rolle als ein Kontinent der Ideen mit einer führenden Rolle in Wissenschaft, Forschung und Technologie behaupten . Hierfür müssen wir bereits heute in diversen politischen Handlungsfeldern, aber auch und gerade auf dem wichtigen Feld der Forschungs- und Innovationspolitik die richtigen Weichen stellen . Was genau wollen wir als Parlament in diesem Prozess erreichen? Warum dieser Antrag? Was soll die Bundesregierung - Thomas Rachel hat ja schon gesprochen - auf europäischer Ebene einbringen? Ich freue mich, dass wir hier in einem großen Gleichklang arbeiten . Beispiel „Europäischer Forschungsraum“. Es geht uns darum, bei der weiteren Gestaltung des Europäischen Forschungsraums sowohl die nationale wie auch die gemeinsame europäische Roadmap zum Europäischen Forschungsraum weiter konsequent umzusetzen und miteinander zu verzahnen . Es geht darum, dass der Europäische Forschungsraum zudem unverändert mitgliedstaatengetrieben und unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips weiterentwickelt wird . ({3}) Vor allem soll die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass die für das laufende EU-Rahmenprogramm „Horizont 2020“ vorgesehenen Finanzmittel auch tatsächlich in vollem Umfang für die bisher bestimmten Zwecke zur Verfügung stehen . ({4}) Bei der Ausrichtung des Nachfolgeprogramms von „Horizont 2020“ - jetzt blicken wir in die Zukunft - sind uns insbesondere folgende Punkte wichtig - jetzt möchte ich doch, lieber Kollege René Röspel noch etwas zum Antrag sagen ({5}) - du hattest darauf gehofft, dass ich das mache; genau -: Ganz wichtig ist für uns die finanzielle Ausstattung des Nachfolgeprogramms, das ab 2021 laufen soll . Es soll mindestens denselben Umfang haben wie der ursprüngliche Haushaltsansatz für „Horizont 2020“, das heißt ein Haushaltsansatz ohne die gegenüber der Ausgangsplanung faktischen Kürzungen der letzten Jahre . ({6}) Die Exzellenz muss bei der Vergabe von Fördermitteln weiter höchste Priorität haben . Das haben alle Redner hier noch einmal betont . ({7}) Die Verbundforschung muss auch in Zukunft Kern der europäischen Forschungsförderung bleiben . René Röspel hat ausgeführt, was das heißt . Die Verbundforschung ermöglicht seit vielen Jahren erfolgreich grenzüberschreitende Zusammenarbeit der besten Forschungsakteure aus öffentlichem und privatem Sektor und bietet auch den KMU einen Einstieg in europäische Kooperationsnetzwerke . Deshalb ist dieses Instrument gerade für Deutschland so wichtig . ({8}) Außerdem schafft es für Europa einen Mehrwert, um den es uns gerade bei der europäischen Forschungsförderung immer wieder geht und der sich auch in den letzten Jahren gerade im Bereich der Verbundforschung bestätigt hat . Noch ein Punkt, der uns sehr wichtig ist: Die zuwendungsbasierte Forschungs- und Innovationsförderung darf nicht weiter durch Kreditfinanzierungen ersetzt werden . ({9}) Ich sage es an dieser Stelle noch einmal deutlich: Wir halten den EFSI in seiner bestehenden Form nach wie vor für keine besonders gute Idee . Gleichzeitig müssen wir die Rahmenbedingungen für den Wagniskapitalmarkt in Europa und vor allem den Zugang von Start-ups und innovativen KMU zu Wagniskapital weiter verbessern . Da hat Europa noch eine große Herausforderung zu bewältigen . ({10}) Wir fordern darüber hinaus als weitere Leitmotive des künftigen Programms Mut zur Prioritätensetzung, das heißt auch zur Bildung kritischer Massen bei gleichzeitiger Flexibilität in den Forschungsbereichen . Wir fordern Klarheit der Struktur, vor allem Transparenz . Wir fordern eine Kontinuität bei den bestehenden Instrumenten, und wir fordern - ganz wichtig für die Antragstellung - eine konsequente Fortführung der Bemühungen um die Vereinfachung bei der Antragstellung . Es wurde bereits gesagt: Der Europäische Forschungsrat als Flaggschiff der europäischen Spitzenforschung muss auch in der künftigen EU-Forschungsförderung eine herausgehobene Stellung einnehmen . Wir wollen ihn weiter stärken . Ich bin dafür dankbar - Thomas Rachel hat dazu einige Zahlen genannt -, wie Deutschland von diesem Instrument profitiert. Ich möchte noch etwas zu dem sehr wichtigen Punkt „Innovationskluft in Europa“ sagen - Thomas Rachel hat es angesprochen -: Vor dem Hintergrund der anhaltend großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Beteiligung und erfolgreichen Einwerbung von Forschungsmitteln sollte das durch „Horizont 2020“ neu eingeführte Förderformat „Verbreitung von Exzellenz und Ausweitung der Beteiligung“ - so heißt es dort -, das wir unter anderem mit Teaming- und Twinning-Maßnahmen auf den Weg gebracht haben und das der Verringerung der Forschungsinnovationskluft in Europa dienen soll, spürbar ausgeweitet werden und - das ist eine neue Idee, die ich eingebracht habe - als Querschnittsmaßnahme in allen Programmlinien etabliert werden, ({11}) sozusagen als ein Mainstreaming über alle Programmlinien hinweg . ({12}) Dieser Vorschlag wurde im Übrigen auf der Konferenz im Oktober dieses Jahres in Berlin, von der Thomas Rachel vorhin berichtet hat, insbesondere von den osteuropäischen Partnern begrüßt . Das künftige Forschungsrahmenprogramm muss weiterhin ausschließlich für zivile Zwecke und Anwendungen gelten. Deshalb - das ist auch unsere Auffassung; hier sind wir d’accord mit dem Ministerium - muss ein künftiges europäisches Programm zur Verteidigungsforschung separat vom Forschungsrahmenprogramm etabliert werden . ({13}) Ein letzter Punkt: Um das Potenzial und die Chancen der Digitalisierung in Wissenschaft und Forschung optimal nutzen zu können, unterstützen wir den Aufbau einer European-Open-Science-Cloud auf Basis der von der Europäischen Kommission aus unserer Sicht zu Recht vorgeschlagenen europäischen Cloudinitiative . Das ist aus unserer Sicht ein guter und richtiger Ansatz . Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, die Unionsfraktion, sind der festen Überzeugung, dass Europas Zukunft maßgeblich davon abhängen wird, dass Forschung und Innovation eine wichtige Rolle spielen; das wurde schon mehrfach betont . Nur so kann auch in Zukunft wirtschaftliches Wachstum generiert werden . Nur mit größtmöglicher Innovationskraft werden wir die Herausforderungen des 21 . Jahrhunderts für die Menschen bewältigen . Kai Gehring und andere Redner vor mir haben ja schon einige Aufgaben benannt . In der Hoffnung, dass diese Erkenntnis dazu beitragen wird, den europäischen Gedanken weiterzutragen und das Projekt „Europäische Union“ langfristig zu einem Erfolgsmodell zu machen, werden wir unseren heutigen Beschluss, so wir ihn nachher fassen werden, zeitnah dem zuständigen EU-Forschungskommissar in Brüssel zur Kenntnis bringen und damit diese Position des Deutschen Bundestages dort auch verankern . Ich danke allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit und darf Ihnen allen frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr wünschen . Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit in 2017 . Danke sehr . ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elfi Scho-Antwerpes für die SPD-Fraktion . ({0})

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf den Tribünen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Europa ist immer noch da, und das, obwohl der Begriff „Krise“ seit Jahren gleichsam omnipräsent, ja, sogar inflationär, durch die Gazetten geistert: Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise, Krise der Demokratie usw . - Der Rechtspopulismus wird stärker und fängt Menschen ein . Was der Brexit und Herr Trump für Europa bedeuten, ist noch unklar . Die Bedrohung durch Terror und Krieg, die uns so nahe gekommen ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, bedarf hier keiner weiteren Erklärung . Das Europa, das ich mir vorstelle, ist allerdings keines der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Störungen . Mein Europa ist immer eine Chance gewesen und muss es bleiben . Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit statt Krieg und Krise ({0}) die EU bleibt für diese Ziele der allerbeste Weg . Wir müssen nachhaltige europäische Antworten auf die zahlreichen gesellschaftspolitischen Herausforderungen finden. Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie verändert sich die Art, wie wir arbeiten? Woher kommt unsere Energie? Was ist mit unserer Gesundheit, mit unserer Umwelt, mit unserer Sicherheit, mit unserer Mobilität, mit unserer Ernährung? Forschung und Innovation sind die Schlüssel, die uns die Tür zu einer guten und friedlichen Zukunft öffnen werden . ({1}) Ich möchte noch einen Begriff hinzufügen, der immanent ist: Bildung . Von der Kita bis zu hochspezialisierten Forschungseinrichtungen müssen wir höchste Standards setzen . Leider verlieren wir uns dabei immer noch zu oft im Klein-Klein irgendwelcher Zuständigkeitsfragen, wodurch wir viele Möglichkeiten schon im Ansatz ersticken. Ich finde das bisweilen unerträglich und rückwärtsgewandt . ({2}) Heute geht es um die Chancen . Mit Blick auf eine europäische Forschungs- und Innovationspolitik sind wir mit „Horizont 2020“ auf einem sehr guten Weg; Herr Kaufmann hat das eben schon gesagt . Wir sind dabei, den Europäischen Forschungsraum zu etablieren und auszubauen, in dem wir von den Stärken der Europäischen Union profitieren. Das Programm zeigt, wie gut Europa zusammenarbeiten kann . Wir wirken als gemeinsamer Innovationstreiber und setzen dank der Forschung unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler maßgebliche Impulse für unsere gemeinsame Zukunft . Daran lässt sich mit einem sinnvoll ausgestalteten Nachfolgeprogramm wunderbar anknüpfen . Lassen Sie uns das kraftvoll tun; es lohnt sich . ({3}) Für die Entwicklung zukunftsfester Produkte und Dienstleistungen ist es notwendig, Innovationsprozesse zu öffnen und gleichzeitig regulatorische Innovationshemmnisse abzubauen . Das ist wichtig . Bei allem Lob über unsere qualitativ hochwertige Forschung ist zu konstatieren, dass wir bei der Etablierung entsprechender Innovationen international nicht an der Spitze sind . Hier gilt es, zukünftig besser zu werden, etwa über eine Erweiterung des Risikokapitalangebots für Start-ups und innovative Unternehmen . In diesen Zusammenhang gehört auch die Förderung exzellenter kleiner und mittelständischer Unternehmen, die wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen . Im Sinne einer europäischen Open-Science-Strategie ist der Zugang zu erstklassigen Dateninfrastrukturen und sicheren Cloud-basierten Diensten zu gewährleisten . Das bildet eine entscheidende Grundlage für den wissenschaftlichen Erfolg . Dass das unter den höchsten Datenschutz- und Sicherheitsstandards zu geschehen hat, ist selbstverständlich . ({4}) Um Wissenschaft möglichst offen, nachvollziehbar und nutzbar zu gestalten, bedarf es neben einer aufzubauenden European Open Science Cloud auch vernünftiger Open-Access-Möglichkeiten . Nur über einen möglichst ungehinderten Transfer von Forschungsergebnissen und den offenen Zugang zu Publikationen lassen sich Innovationen generieren . Wer das nicht versteht, darf sich international hinten anstellen . ({5}) Es gilt also, den Antrag gut zu lesen und das mitzunehmen, was uns allen wichtig erscheint . Ich danke sehr herzlich fürs Zuhören, bedanke mich für die gute Zusammenarbeit, was diesen Antrag angeht, auch bei der Regierung, und wünsche allen eine friedliche, innovative und gemütliche Weihnachtszeit . Auf dass wir alle uns mit Kraft und gesund hier wiedersehen! ({6}) Darf ich noch kurz etwas sagen, Frau Präsidentin? ({7}) Es werden, glaube ich, alle zustimmen: All denen, die hinter uns ihren Dienst tun - Sie wissen, wen ich meine -, gebührt einmal, wie ich finde, ein Riesenapplaus. Vielen Dank . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank . - Ich bitte alle nachfolgenden Rednerinnen und Redner trotzdem, die guten Wünsche möglichst nicht in die Zeit nach Ablauf der Redezeit zu verlegen, sondern zu versuchen, das in der verabredeten Redezeit zu schaffen. ({0}) Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10635 mit dem Titel „Starke Forschung und Innovation für Europas Zukunft“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan - zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan Drucksachen 18/6869, 18/6774, 18/7974 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion . ({2})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, Sie werden überrascht sein, aber ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie die beiden Anträge gestellt haben, die heute zur Debatte stehen . Diese Debatte gibt uns die Gelegenheit, manches zurechtzurücken, was aus meiner Sicht in den letzten beiden Tagen vollkommen fehl dargestellt wurde . Es gibt uns auch die Gelegenheit, damit aufzuräumen, dass Sie einen Umstand skandalisieren, nämlich die Sammelabschiebung, die am Mittwoch stattgefunden hat, die überhaupt kein Skandal ist . ({0}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der eigentliche Skandal liegt in anderen Dingen . Schauen Sie sich in Berlin um . Schauen Sie sich den neuen Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Landesregierung an . ({1}) Hier setzt sich die Landesregierung ganz klar dafür ein, Abschiebegewahrsam, Abschiebehaft auf die Bundesebene zu schieben, obwohl es täglich vorkommt, dass abzuschiebende Personen sich verflüchtigen und am Tag der Abschiebung nicht aufzufinden sind. Sie haben nach wie vor in Berlin über 3 000 Flüchtlinge in Schulturnhallen untergebracht . Damit ist es Kindern und Jugendlichen nach wie vor nicht möglich, dem Sportunterricht nachzugehen . Hier wäre Handlungsbedarf gegeben . Das ist der eigentliche Skandal, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen . ({2}) Abschiebungen sind ein wesentlicher Bestandteil einer konsequenten Durchführung des Asyl- und Flüchtlingsrechts . ({3}) Die Rechtsfolge kann doch nicht die gleiche sein, Frau Kollegin Künast . Gerade Sie als Vorsitzende des Rechtsausschusses müssten doch ein Interesse daran haben, ({4}) dass es eine unterschiedliche Behandlung der Personen gibt, die ausreisepflichtig sind, gegenüber den Personen, die ein Bleiberecht haben . Es kann doch nicht sein, dass Personengruppen in der Rechtsfolge gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob sie als Flüchtlinge anerkannt werden oder nicht . ({5}) Das ist der entscheidende Punkt . Deswegen gehört die Ausreise derer, die ausreisepflichtig sind, die kein Bleiberecht bekommen, zum Gesamtpaket des Asylrechts . Ich möchte einem deutlich entgegentreten, weil vonseiten der Opposition in den letzten beiden Tagen immer wieder der Vorwurf insinuiert wurde, Deutschland wäre herzlos, Deutschland wäre inhuman, ({6}) wenn diese Sammelabschiebung stattfindet. Ich möchte ohne Überhebung ganz klar sagen: ({7}) Bei der Flüchtlingskrise hat sich neben Schweden kein Land in den letzten 15 Monaten so humanitär gezeigt wie Deutschland . ({8}) Deswegen ist dieser Vorwurf vollkommen verfehlt . Es muss dazugehören, dass wir uns offen gegenüber denjenigen zeigen, die schutzbedürftig sind, die Verfolgung erlitten haben, die malträtiert wurden, die geknechtet wurden, die vergewaltigt wurden . Gegenüber denjenigen muss Deutschland immer offen und aufgeschlossen sein. Aber zum Gesamtkonzept gehört auch, dass diejenigen, die kein Bleiberecht haben, unser Land konsequent verlassen müssen . ({9}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, derzeit befinden sich ungefähr 250 000 afghanische Flüchtlinge in Deutschland . Afghanistan steht nach wie vor auf Platz zwei der Herkunftsländer . Im Jahr 2015 sind über 32 000 Asylanträge von afghanischen Staatsangehörigen Vizepräsidentin Petra Pau gestellt worden . Allein in diesem Jahr sind es bislang über 115 000 . Die Anerkennungsquote liegt derzeit bei rund 50 Prozent . Das bedeutet, dass ungefähr die Hälfte der afghanischen Antragsteller abgelehnt wird . ({10}) Ihnen wird also weder ein Flüchtlingsstatus zuerkannt noch der Status des Asylbewerbers . Wir haben derzeit über 12 500 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland. Ich finde es deshalb sehr konsequent und ich bin der Bundesregierung und vor allem dem Bundesinnenminister sehr dankbar, dass in den letzten Monaten sehr massiv die freiwillige Ausreise gefördert wurde . Es haben - das ist in der Debatte bislang leider untergegangen - allein schon in diesem Jahr über 3 200 freiwillige Ausreisen von afghanischen Staatsangehörigen in ihr Heimatland stattgefunden . Das bedeutet eine Verzehnfachung der freiwilligen Ausreisen im Vergleich zum Jahr 2015 . Die Bundesregierung und die Große Koalition unterstützen diese freiwilligen Ausreisen richtigerweise . Wir haben allein im Bundeshaushalt 2017 90 Millionen Euro zusätzlich für die Förderung der freiwilligen Ausreise und vor allem auch für die Förderung der Reintegration zur Verfügung gestellt . Es geht doch ganz entscheidend darum, dass man den Heimreisenden die Integration im Heimatland erleichtert . Dafür stellen wir entsprechend Mittel zur Verfügung . Es wird bei freiwilliger Ausreise nicht nur die Heimreise bezahlt; es werden auch 500 Euro pro Person für die Reintegration im Heimatland zur Verfügung gestellt und Beihilfen für die Reise innerhalb des Heimatlandes gewährt . Ich glaube, Deutschland zeigt sich hier wirklich sehr human und auch sehr unterstützend . ({11}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nun konkret zum angeblichen Skandal, der vorgestern stattgefunden haben soll . Was ist passiert? Es sind 34 Personen abgeschoben worden, davon 10 einschlägig vorbestrafte Straftäter, die sich Delikte wie Totschlag, Vergewaltigung, Raub und Diebstahl schuldig gemacht haben . Ich bin der Meinung, es ist gut, dass sie mittlerweile außer Landes sind . ({12}) Ich möchte auch in aller Deutlichkeit sagen: Es ist bei jedem Einzelnen der 34 eine umfangreiche Einzelfallprüfung durchgeführt worden, ({13}) ob die Rückführung ins Heimatland zumutbar ist . Natürlich ist die Sicherheitslage in Afghanistan problematisch; aber es gibt durchaus auch Gegenden und Städte, in denen man mittlerweile wieder gefahrlos und sicher leben kann . Ich möchte hier für die CDU/CSU-Fraktion ganz deutlich sagen: Wir unterstützen unseren Bundesinnenminister Thomas de Maizière weiterhin nachdrücklich in dem Bestreben, dass nach dem Sammelflug vom Mittwoch im nächsten Jahr weitere Sammelrückführungen stattfinden werden . ({14}) Ich bin auch dem Bundesinnenminister sehr dankbar, dass er persönlich mit dazu beigetragen hat, dass ein Rückführungsabkommen zwischen Deutschland und Afghanistan zustande gekommen ist . Abschließend geht mein klarer Appell an die Adresse der Länder, sich intensiver zu beteiligen . Es haben nur sechs Länder afghanische Staatsangehörige für diesen Sammelflug vom vergangenen Mittwoch gemeldet. Wir haben derzeit über 210 000 ausreisepflichtige Personen. Die Befürchtung ist, dass diese Zahl deutlich ansteigt und sich vielleicht bis zum Ende nächsten Jahres sogar mehr als verdoppelt . Damit dies verhindert wird, müssen Abschiebungen weiterhin konsequent durchgeführt werden, weil damit auch der Anreiz reduziert wird, sich weiterhin auf den gefahrvollen Weg nach Deutschland zu machen, und - das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt - weil damit auch das Verständnis und die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung für unser Asylrecht, das sehr human ist, wieder gestärkt werden . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mayer, diese Abschiebung hier auch noch als humanitär zu verkaufen, ist in menschenrechtlicher Hinsicht wirklich eine Grausamkeit ({0}) und das auch noch vor Weihnachten . ({1}) Es ist wirklich unerträglich . Meine Damen und Herren, man muss sich das einfach mal vorstellen: Nur einen Tag nach dieser Abschiebung hat der Bundestag hier ein weiteres Mal den Kriegseinsatz in Afghanistan verlängert . Das ist doch schon ein Beweis dafür, dass die Lage in Afghanistan keineswegs sicher ist . ({2}) Zu den Abgeschobenen gehören auch Menschen, die hier seit Jahren integriert waren . Familien und Arbeitsplätze hatten sie hier . In Baden-Württemberg wurde beiStephan Mayer ({3}) spielsweise ein suizidgefährdeter Afghane aus der Psychiatrie herausgeholt . In Hamburg wurde ein Hindu, dem in Afghanistan schwere Verfolgung droht, abgeholt und abgeschoben . Das alles zeigt, wie brutal und menschenfeindlich diese Abschiebeaktion war . ({4}) Für uns ist ganz klar: Abschieben in Kriegsländer geht gar nicht . ({5}) Deswegen beantragen wir heute hier den Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan . Meine Damen und Herren insbesondere von der Union, Anfang März dieses Jahres hat die EU-Kommission in einem internen Papier davon gesprochen, es gebe in Afghanistan - ich zitiere - eine „sich verschlechternde Sicherheitslage mit einem Rekordniveau terroristischer Anschläge und ziviler Opfer . . . Ungeachtet hiervon müssen möglicherweise über 80 000 Personen in der nahen Zukunft zurückgebracht werden.“ Diese Absicht haben Sie inzwischen übrigens in zwei Abkommen mit der afghanischen Regierung festgehalten . Meine Damen und Herren, ungeachtet der Kriegssituation Zehntausende Menschen abschieben zu wollen, das ist wirklich ausgesprochen zynisch . Um die Abschiebung zu legitimieren, redet die Bundesregierung ständig von sicheren Gebieten, die es in Afghanistan angeblich geben soll . Aber das ist nichts weiter als eine Lüge . ({6}) Die Bundesregierung sollte auf ihre eigene Menschenrechtsbeauftragte hören, die nämlich auch sagt: Es gibt dort keine sicheren Regionen . Interessant ist übrigens, dass die Abschiebungen selbst in der AfD umstritten sind. Hier will der Innenminister ganz offensichtlich die Rechtspopulisten noch rechts überholen . ({7}) In einer Antwort auf eine unserer Kleinen Anfragen ist der Innenminister sogar so weit gegangen, die Taliban in Afghanistan zu verharmlosen, indem man sie als Zeugen anführt. Ich zitiere wieder: Die Taliban wollen „zivile Opfer vermeiden“ und die „zivile Infrastruktur schonen“. Die Bundesregierung macht die Taliban zu Kronzeugen ihrer Abschiebepolitik . Da kann man nur sagen: Dafür sollten Sie sich schämen. Ich finde es wirklich einen Riesenskandal . ({8}) Um Sie noch eines Weiteren zu belehren: Im nichtöffentlichen Lagebericht des Auswärtigen Amtes steht, ({9}) die Taliban würden „ohne Rücksicht auf Zivilisten“ vorgehen; das ist wieder ein Zitat . ({10}) Die UN-Mission in Afghanistan hat alleine im ersten Halbjahr dieses Jahres 1 601 Opfer gezählt und 3 565 Verletzte . 23 Prozent dieser Opfer - um Ihnen das einmal deutlich zu sagen - sind durch afghanische Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten verursacht; sie haben diese Opfer zu verantworten . Über diese afghanischen Sicherheitskräfte ist im Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu lesen - ich zitiere wieder -: „In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, … ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem.“ Den Tätern fehlt jedes Unrechtsbewusstsein . - Trotzdem haben Sie in dem Abkommen festgelegt, dass auch Minderjährige abgeschoben werden . Sie wissen ganz genau, dass gerade Minderjährige unter dem Zugriff der Warlords stehen, die sie in der Vergangenheit zu Kriegsdiensten zwangsrekrutiert haben . In meinen Augen ist es einfach nur widerlich, dass man so etwas in ein Abkommen hineinschreibt und Jugendliche abschiebt . ({11}) Interessant ist auch, dass die Anerkennungsquote bei afghanischen Flüchtlingen im vergangenen Jahr bei 77,6 Prozent lag . Jetzt plötzlich liegt sie nur noch bei 50 Prozent . Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist vom Bundesinnenministerium mit politischen Vorgaben belegt worden. Man will offensichtlich die Afghanen abschrecken und daran hindern, hierherzukommen . Auch das ist nicht hinnehmbar . ({12}) Ich sage es zum Schluss noch einmal: Die Bundesregierung muss endlich aufhören, mantraartig das Trugbild von sicheren Zonen in Afghanistan zu beschwören . In Afghanistan herrscht Krieg . Alle Kriegsparteien verursachen Tausende von Toten . Man darf in dieses Land nicht abschieben, und deswegen fordern wir den Abschiebestopp . ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr . Lars Castellucci hat für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mich auf diesen Beitrag hier vorbereitet habe, erklang aus den Tiefen des Paul-Löbe-Hauses „In dulci jubilo, nun singet und seid froh“: das jährliche Adventssingen hier im Deutschen Bundestag . Was für ein Kontrast! Ein Kontrast, der auch unsere Feiertage prägen wird zwischen so viel Elend rings um uns herum und den vielen Lichtern hier bei uns . Aber vielleicht - dafür ist Kontrast dann gut - hilft er, unseren Blick zu schärfen, zum Beispiel für die Situation in Afghanistan . Ist Afghanistan denn sicher genug, um Menschen, die hier kein Bleiberecht haben, dorthin abzuschieben? Das ist die Frage, über die wir streiten . Das Auswärtige Amt sagt, dass sich die Bedrohungslage für Zivilisten nicht wesentlich verändert habe . William Swing, Direktor der Internationalen Organisation für Migration - das ist eine vernünftige Organisation, die jetzt nicht gekauft oder schlecht beraten ist -, sagt, in einigen Regionen in Afghanistan sei es ausreichend sicher . Martin BröckelmannSimon von Misereor sagt, das sei ein Mythos . Er hält es für unmenschlich, die Menschen dorthin zurückzuschicken . Ähnlich äußern sich alle Hilfsorganisationen hier im Land, allen voran und sehr kenntnisreich Pro Asyl . Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen aber nicht länger zu spekulieren, ob Afghanistan denn nun sicher sei; denn am Mittwoch haben wir eine Art Feldversuch gestartet . ({0}) 34 Menschen wurden ausgeflogen. Wir werden dies bald einfach nachvollziehen können anhand der Frage: Wie viele von ihnen leben noch nach einem halben Jahr oder vielleicht nach einem Jahr? Dann können wir kalt berechnen: Afghanistan ist zu 80 Prozent sicher, vielleicht auch nur zu 60 Prozent, vielleicht auch zu 90 Prozent . Der Rest hat jedenfalls Pech . Ich bitte Sie, Herr Innenminister, dass Sie uns über diese Zahlen entsprechend unterrichten . ({1}) Solche Sätze müssten einem eigentlich im Hals stecken bleiben . Aber mir ging es genau umgekehrt bei der Vorbereitung auf diese Rede . Es ist die harte Wahrheit, so wie ich sie sehe, und die muss raus . ({2}) Wir schicken sie zurück in ein Leben, das ihnen vielleicht gelingt oder misslingt und das ihnen vielleicht genommen wird . So einfach ist das - jedenfalls für uns, die zurückbleiben . Ich habe einmal gesagt: Leben zu schützen, ist die erste Aufgabe, die sich uns stellt . - Wenn Europa eine Wertegemeinschaft sein will, dann ist Leben schützen der erste Wert . ({3}) Das ist eine Maxime politischen Handelns . Ich habe erhebliche Zweifel, ob wir ihr mit dem, was wir diese Woche veranstaltet haben, gerecht werden . Die Sammelabschiebung vom Mittwoch halte ich für hochproblematisch . Läge die Entscheidung darüber in meiner Verantwortung, hätte ich sie nicht veranlasst . ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bevor Sie jetzt denken, es gehe alles in Ihrem Sinne so weiter, ({5}) möchte ich mich an Sie wenden; denn auch Sie machen es sich zu einfach . Zunächst einmal zu Ihnen von der Linken . Gestern haben Sie dagegengestimmt, als wir einen Antrag eingebracht haben, mit dem wir versuchen, für mehr Sicherheit in Afghanistan zu sorgen . Heute sagen Sie, in Afghanistan gebe es keine Sicherheit . ({6}) Mit dieser Art von Logik sind Sie kurz davor, zum Arzt zu müssen . ({7}) Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie sagen - das ist Ihre Forderung -: Abschiebungsstopp und fertig. Unter den Abgeschobenen befinden sich aber auch Geflüchtete aus Baden-Württemberg. Ich frage Sie jetzt einmal: Was sagt eigentlich Ihr Ministerpräsident dazu ({8}) oder gar Herr Palmer? Oder ist der schon zur AfD gewechselt? ({9}) Sie können hier leicht Anträge stellen; denn Sie sind nicht in der Verantwortung . Der entscheidende Punkt ist: Da, wo Sie in der Verantwortung sind, ergibt sich plötzlich ein gemischtes Bild, kein bloßes Schwarz-Weiß . ({10}) Das mag Sie jetzt empören, aber es ist nur der Spiegel, den ich Ihnen vorhalte . ({11}) Es gibt eine zweite Sache, die Europa ausmacht und die durch die globale Flüchtlingskrise herausgefordert wird . Globale Flüchtlingskrise heißt für mich: 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht . Die wenigsten schaffen es überhaupt, bis nach Europa zu kommen. Das, was herausgefordert wird, ist dieses: Europa ist ein Kontinent, auf dem die Stärke des Rechts zählt, nicht das Recht des Stärkeren . Das ist ein Prinzip, das unseren sozialen Frieden sichern soll . Hier komme ich dann zu ein paar Punkten, die durchaus dem entsprechen, was Herr Mayer hier vorgetragen hat . ({12}) Die Menschen in unserem Land haben manchmal den Eindruck, es gehe nicht überall mit rechten Dingen zu . Im vergangenen Jahr sind Hunderttausende über die Grenze gekommen, ohne registriert zu werden . Diejenigen, die es bis zu uns schaffen, sind die vergleichsweise Starken, diejenigen, die gesund genug sind, sich auf den Weg zu machen, die das Geld haben, um die Schleuser zu bezahlen. Arme, Kranke oder Behinderte finden sich selten in unseren Unterkünften . Ist das gerecht? Ja, es stimmt auch: Wir halten unser Asylrecht hoch, aber es befinden sich viele in unserem Land, die kein Bleiberecht haben, und nichts passiert . Ich halte es für völlig in Ordnung, dass da Fragen aufkommen . Der Rechtsstaat ist wie die Politik auf Vertrauen angewiesen . Deswegen haben wir nur zwei Möglichkeiten: Die eine ist, das Recht, das wir uns gesetzt haben, konsequent anzuwenden . Die andere ist, es zu verändern . Recht einfach nicht anzuwenden oder auszusetzen, so wie Sie das vorschlagen, ist jedenfalls alleine keine tragfähige Lösung . ({13}) Zum Recht - da gehe ich etwas weiter als Sie, Herr Mayer -: Das Recht bezieht sich nicht nur auf unsere Gesetze, sondern eben auch auf die Verfahren . Auf diese blicke ich durchaus kritisch . Das ist für mich kurzfristig das Wichtigste . Im Asylverfahren prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wer schutzbedürftig ist . Bei den Afghaninnen und Afghanen - wir haben es gehört - liegt die Zahl im Moment bei 55 Prozent . Vor einer Abschiebung prüft dann noch einmal die Ausländerbehörde, ob es Abschiebungshindernisse gibt . Erst dann kann vollzogen werden . Das Augenmerk unserer Politik muss vor allem darauf liegen, dass diese Verfahren ordentlich laufen . Ich frage mich, ob sie das tun . Jetzt schauen wir noch einmal auf die Nachrichtenlage nach dem vergangenen Mittwoch . Die entscheidende Tickermeldung war nicht, dass jemand abgeschoben wurde, sondern dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass in letzter Sekunde jemand aus dem Flieger geholt wurde . ({14}) Ich muss hierzu anmerken: Man kann jetzt sagen, dass der Rechtsstaat funktioniert . Eine Rettung in letzter Sekunde mag ich beim Krimi am Samstagabend vielleicht ganz gerne, aber bei einem Rechtsstaat ist das nicht mein Maßstab . ({15}) Ich finde, dass so eine Last-minute-Aktion ein Licht darauf wirft, dass wir ein Problem haben und die Verfahren im Vorfeld wahrscheinlich nicht ordentlich abgelaufen sind . Wir sollten uns aus meiner Sicht an anderen Ländern ein Beispiel nehmen, die eine ordentliche Rechtsberatung für die Geflüchteten direkt in die Verfahren integrieren. Das schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten und sorgt dafür, dass solche Vorkommnisse wie das am Mittwoch eben nicht passieren . Nachts um 2 .36 Uhr habe ich eine E-Mail bekommen, in der es darum ging, dass ein Afghane im Flieger sei, der zum Christentum konvertiert sei . Ihm drohe Unheil in Afghanistan . Ich als Abgeordneter kann das nicht überprüfen . Ich kann auch nicht überprüfen, wie ernst er es mit seiner Konversion meint . Das sind hier gar nicht die Themen . Aber Fakt ist: Solche Punkte müssen doch geklärt sein, bevor jemand in solch einen Flieger kommt, und nicht erst an dem Tag oder in den Wochen danach, nachdem man ihn wieder herausgeholt hat . ({16}) Fakt ist: Der junge Mann ist nicht mitgeflogen. Er wurde aus dem Flieger geholt, und alle 34 anderen haben sich gewundert, was mit dem ist und was mit ihnen nicht ist . Ich finde, da muss man hinschauen. Die Verfahren sind so nicht in Ordnung . ({17}) Ich finde, auch unsere Menschenrechtsbeauftragte hat recht, dass es nicht sein kann, dass es auf das Bundesland ankommt, in dem man lebt, ob man nun abgeschoben werden kann oder nicht . Das Recht muss doch für alle gleich gelten . ({18}) Wir haben in den vergangenen Monaten - das ist mir jetzt sehr wichtig, weil es mir nicht um Schelte für das Bundesamt geht - einen immensen Druck auf das Bundesamt ausgeübt . Die Verfahren sollen schneller laufen . Die Zahl der Mitarbeiter wurde mehr als verdoppelt . Das war richtig so . Aber jetzt müssen wir auf die Qualität der Arbeit achten und die Qualität der Arbeit sichern . Denn ordentliche Verfahren sind die Basis . Das sage ich an alle Abschiebungsfetischisten, die es in unserem Land gibt: Wenn Sie Härte beweisen wollen, dann gehen Sie die Verfahren mit Härte an, und sorgen Sie für Qualität . Denn das ist das eigentlich Wichtige . ({19}) Im Übrigen will ich Ihnen sagen, Frau Jelpke: Ich glaube nicht an eine Weisung des Innenministers Richtung Bundesamt, aber ich glaube, dass wir ein Sorgfaltsproblem haben . Diesem Sorgfaltsproblem müssen wir uns stellen . Ein weiterer Punkt sind die innerstaatlichen Fluchtalternativen . Wenn man das, was wir von Ihnen hören, zu Ende denkt, dann heißt das, dass wir Menschen gar nicht in Gebiete zurückschicken können, in denen Sicherheit gewährleistet ist. Ich bin der Auffassung, dass wir Menschen zunächst einmal helfen müssen, aus Bombenhagel und Terror zu fliehen. Wir müssen ihnen dann helfen, dort, wo sie hingeflohen sind, unterzukommen, überleben zu können und Perspektiven zu haben . Besonders Schutzbedürftigen muss man auch legale und sichere Wege auf Basis von Kontingenten raus aus diesen Krisengebieten eröffnen. Wenn Schutz und Lebensperspektiven in den Lagern in den angrenzenden Ländern gewährleistet sind - das war mein zweiter Punkt -, müssen wir dafür sorgen, dass es innerstaatliche Fluchtalternativen für die Menschen gibt, also dass die Länder sicherer werden . Das Gegenteil wäre doch, dass wir die Länder einfach sich selbst überlassen . Deswegen will ich auch positiv hervorheben: Alles, was wir an Hilfe und Zusammenarbeit mit Herkunftsländern, Transitländern und Aufnahmeländern bereits leisten, ist gut . Ich bin froh darüber, aber natürlich wäre mehr besser . Zu den Straftätern möchte ich abschließend etwas sagen . Unter den Abgeschobenen haben sich Straftäter befunden; das ist erwähnt worden . Ich mag Straftäter auch nicht . Aber ich will an dieser Stelle auch klar sagen: Straftaten müssen Aufklärung, gerichtliche Verfahren und Sanktionen zur Folge haben . Straftaten sind niemals ein Grund dafür, jemanden in den Bombenhagel, zu Terroristen oder Folterdrohungen zurückzuschicken . ({20}) In neun Tagen wird das „In dulci jubilo“ wieder erklingen . Vielleicht spiele ich es sogar selber, weil ich in meiner Heimatgemeinde an der Orgel sitzen werde . ({21}) Dann liegt das Kind wieder in der Krippe . Die Heiligen Drei Könige schaffen es in diesem Jahr leider nicht über Bomben, Mauern und Zäune hinweg . Und wenn die Heilige Familie fliehen muss, nach Ägypten und dann vielleicht weiter nach Libyen, wird sie keine Sicherheit finden . Vielleicht wird sie versuchen, über das Mittelmeer zu kommen . Die Fortsetzung der Geschichte überlasse ich Ihnen . Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und, ja: Friede auf Erden . ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Castellucci, auf die Verantwortung der Grünen in den Ländern komme ich in meiner Rede auf jeden Fall noch zu sprechen . Aber eins muss ich schon sagen: Wenn Sie auf den grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg rekurrieren, dann müssen Sie das auch in Bezug auf den Innenminister des Landes NRW tun, der aus Ihrer Partei kommt, ({0}) und im Übrigen auch auf die Politik, die diese Bundesregierung im Asylbereich macht . Da reicht es eben nicht auch wenn ich Sie sehr schätze -, wenn von Ihrer Seite schöne Reden gehalten werden . ({1}) Aber zum Thema . Es ist schon abenteuerlich, dass dieses Parlament gestern mit Verweis auf die Sicherheitslage in Afghanistan ein Bundeswehrmandat verlängert hat und wir heute hier erleben müssen, wie vor allen Dingen von Innenpolitikern der Union versucht wird, den Popanz vom sicheren Afghanistan aufrechtzuerhalten . Da besteht ein Widerspruch, und den muss man hier klar benennen . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der UNHCR verdeutlicht immer wieder die ständig wachsende Zahl ziviler Opfer, den massiven Einfluss der Taliban in weiten Teilen des Landes und die zunehmenden Agitationen durch den IS . Zu Recht rät das Auswärtige Amt von Reisen nach Afghanistan ab und warnt vor Entführungen, vor Terroranschlägen, vor Gewaltakten . Von den angeblich sicheren Gebieten, die der Bundesinnenminister uns auch auf wiederholte Nachfrage nicht benennen kann, ist in der Einschätzung des Auswärtigen Amts, unserer Bundeswehr und im Übrigen auch der Vereinten Nationen nichts zu lesen und zu hören . Auch wenn die Lage nicht überall gleich gefährlich ist, ist erst einmal festzuhalten, dass ganz Afghanistan volatil ist, überall eine fragile Situation herrscht und sich die Situation jeden Tag, und zwar überall, ändern kann . Das gehört zu einer klugen Sicherheitseinschätzung dazu . ({3}) Das Einzige, was in Afghanistan dieser Tage sicher ist, ist das Risiko . Dieses in Kauf zu nehmen und in großem Stil Abschiebungen durch die Bundesländer zu erzwingen, ist der Inbegriff von Verantwortungslosigkeit; dahinter gehe ich keinen Meter zurück . ({4}) Im Übrigen ist es auch kalkuliert; das macht der Redebeitrag meines Kollegen Stephan Mayer sehr deutlich, der überhaupt nicht auf die Sicherheitslage in Afghanistan eingegangen ist, die wir zur Grundlage unseres Antrages machen . Denn was der Bundesinnenminister und auch die Hardliner seiner Partei wollen, ist, ein Exempel zu statuieren, ganz gleich, zu welchem menschenrechtlichen Preis . Der Ruf nach der verstärkten Abschiebung von Afghanen, die große Lüge über angeblich eine halbe Million ausreisepflichtiger Personen in Deutschland, die es dringend abzuschieben gilt, all das ist Symbolpolitik aus wahltaktischen Erwägungen, buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste . ({5}) Meine Fraktion nimmt die Sicherheitsbedenken der Akteure vor Ort ernst . Wenn diese auch nur einen Zweifel daran lassen, dass wir die Menschen in Sicherheit zurückschicken, dann muss man klar und deutlich sagen: Abschiebungen in dieses Land sind nicht vereinbar mit unserem menschenrechtlichen Anspruch . ({6}) Der Bundesinnenminister hat sich gestern zu der Sammelabschiebung geäußert . Er hat die Abschiebung als „richtig“, „verantwortungsvoll“ und „behutsam“ betitelt. ({7}) Ich frage Sie allen Ernstes, ob wir von demselben Vorgang sprechen. „Verantwortungsvoll“: mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan wohl kaum. „Behutsam“: Ich frage Sie, Herr Innenminister: Ist es behutsam, Menschen ohne Ankündigung aus dem Berufsschulunterricht zu reißen und sie unter Zwang nach Frankfurt zum Flieger zu bringen? Ist es behutsam, alle 34 Menschen in diesem Flugzeug an Hand und Fuß gefesselt nach Afghanistan zu fliegen? Und „richtig“: Halten Sie es für richtig, dass ein Mann, der seit 21 Jahren in Deutschland mit einer Duldung lebt und ein drei Monate altes Kind hat, nachts um 2 Uhr aus seiner Wohnung geholt und zum Flieger verbracht wird? Halten Sie es für richtig, dass ein suizidgefährdeter Mann - das ist im Übrigen ein bayerischer Fall, kein baden-württembergischer - aus der Psychiatrie abgeholt und gefesselt zum Flughafen gebracht wird? Wir nicht . ({8}) Zum Glück wurden diese beiden Menschen in letzter Sekunde unter großem Einsatz - unter anderem auch der Grünen in den Ländern - durch Gerichte vor der Abschiebung geschützt; aber diese Fälle stellen nicht die einzigen Einzelfälle dar . Damit müssen wir uns auseinandersetzen . Von der Abschiebung betroffen waren auch Minderheitenangehörige . Ein Hindu, der Familie hier in Deutschland hat, wurde vorgestern Nacht abgeschoben . Auf der Liste stand ein Mann, der sich hier in Deutschland zum Christentum bekannt hat . Auch jemand, der bereits die Einwilligung zur freiwilligen Ausreise unterschrieben hatte, wurde unter Zwang in diesen Flieger in Frankfurt gesetzt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Sammelabschiebung beklemmt und macht wütend . Viele dieser Einzelfälle zeigen, dass die Ausländerbehörden dem politischen Druck und der Hysterie, die innenpolitisch betrieben wird, nachgegeben haben . Mit dieser vom Bundesinnenminister initiierten Sammelabschiebung hat sich keiner der politischen Akteure - das gilt es deutlich zu sagen - mit Ruhm bekleckert . Aber dass sich die Integrationsbeauftragte und die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik im Nachhinein von diesen Abschiebungen distanzieren, macht mich wirklich fassungslos . Wir brauchen keine Regierungsbeauftragten, die eine rückschauende Analyse vornehmen . Wir erwarten von ihnen, dass sie handeln, bevor der Flieger in der Luft ist; ({9}) Gelegenheit werden sie dazu bekommen, jetzt im Übrigen im Zweiwochentakt . Ja, diese Erwartung kann die Zivilgesellschaft - zu Recht - auch an die Grünen in den Ländern haben . Deshalb fordern die Grünen in den Ländern, dass jeder dieser Einzelfälle künftig auf ihrem Tisch landet und dass die Innenminister der Länder eben nicht einfach schalten und walten können, wie sie wollen, sondern dass über diese Dinge gesprochen wird, damit klar ist, wer abgeschoben werden soll, und damit es nicht erneut zu solch schlimmen humanitären Situationen kommt . Dafür werden auch wir als Bundestagsfraktion uns weiter einsetzen . Vielleicht noch eine kleine Anmerkung zu den 3 000 Ausreisewilligen . Das, was dazu gesagt wurde, ist natürlich richtig . Auch ich sage ganz deutlich: Jeder, der sich zutraut, in sein Heimatland zurückzukehren - unter dieser Bedingung -, muss unterstützt werden, moralisch und finanziell, muss begleitet werden und muss die Chance haben, das zu tun, was er selber möchte selbstverständlich . Aber diese Fälle als Kronzeugen für Abschiebungen, die unter Zwang stattfinden, zu nehmen, halte ich für wirklich unanständig . ({10}) Denn es macht einen Unterschied, ob man in Hand- und Fußfesseln und unter Begleitung der Bundespolizei am Flughafen in Kabul abgeliefert wird oder ob man freiwillig dorthin zurückreist . Herzlichen Dank . ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über die Frage, ob es zumutbar, angemessen und richtig ist, abgelehnte afghanische Asylbewerber nach Afghanistan zurückzuführen . Wenn in der Debatte der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei Afghanistan um einen sicheren Herkunftsstaat, dann ist das nicht zutreffend. ({0}) Wir sehen das nicht so, weil wir genau wissen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan schwierig und kompliziert ist . Das ist übrigens auch der Grund, warum wir gestern über die Fortsetzung des Mandats Resolute Support diskutiert und entschieden haben: weil wir natürlich wissen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan schwierig ist und wir noch einiges unternehmen müssen, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu ertüchtigen und ihnen zu ermöglichen, die Sicherheitsverantwortung in Afghanistan eigenverantwortlich zu übernehmen . ({1}) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist heute immer wieder davon gesprochen worden, dass wir bei afghanischen Asylbewerbern eine Anerkennungsquote von 50 Prozent hätten . Dem ist aber nicht so . Wir haben eine Schutzquote von 50 Prozent bei afghanischen Asylbewerbern . Was bedeutet das? Wenn man sich die Zahlen aus dem Jahre 2016 ansieht, stellt man fest: Die echte Anerkennungsquote, entweder nach Artikel 16a des Grundgesetzes oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention, liegt bei Afghanen bei etwa 20 Prozent, 10 Prozent von ihnen haben einen subsidiären Schutzstatus, ({2}) und weitere 10 Prozent sind deshalb in Deutschland, weil ein Grund nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt, man also gerade die schwierige Sicherheitslage im Herkunftsland berücksichtigt und einpreist . Damit ist doch eines deutlich: Natürlich findet eine individuelle Prüfung statt, ob Fluchtgründe vorhanden sind, ob Anerkennungsgründe vorhanden sind, und auch, ob die Rückführung in das Herkunftsland zumutbar ist oder nicht . Deswegen ist es schlicht ein Popanz, der hier von der Opposition aufgebaut wird . Sie vermitteln eine Hysterie, die nichts mit der Realität in Deutschland zu tun hat . Das Gegenteil ist der Fall: Wir gehen verantwortungsvoll mit diesen Herausforderungen und Pflichten um . ({3}) Dass hier an diesem Pult übrigens im Rahmen der Frage, wie denn eigentlich die Sicherheitslage in Afghanistan ist, über nichtöffentliche Protokolle und nichtöffentliche Berichte der Bundesregierung gesprochen wird, finde ich bemerkenswert. Es gibt doch öffentlich zugängliche Berichte, etwa den SIGAR-Report des amerikanischen Senats, in dem ganz genau dargestellt wird, wie die Sicherheitslage in Afghanistan ist; und die ist eben different. ({4}) Es gibt da Unterschiede, nicht nur zwischen den 34 Provinzen Afghanistans, sondern auch zwischen den 407 Distrikten Afghanistans . Es gibt 268 Distrikte - das sind etwa zwei Drittel -, die unter der Kontrolle der Regierung sind . Zwei Drittel der Afghanen leben im Großen und Ganzen in sicheren Verhältnissen . 36 Distrikte sind in den Händen der Aufständischen, und 104 dieser Distrikte sind in Gefahr . Deshalb muss man genau darauf eingehen . Berücksichtigen Sie bitte auch Folgendes: Es gibt nicht nur 3 000 Afghanen, die freiwillig aus Deutschland zurückgekehrt sind, sondern wir haben die Situation, dass mit zunehmender Geschwindigkeit afghanische Flüchtlinge - beispielsweise aus dem Iran und aus Pakistan - in ihr Land zurückkehren . ({5}) Schauen Sie sich einmal die Zahlen aus Pakistan an: Von Januar bis Juni dieses Jahres gab es 8 704 Rückkehrer, und seit Juli sind es 155 000 Rückkehrer aus Pakistan nach Afghanistan . ({6}) Und das sind nur die registrierten . Tatsächlich ist es so, dass zusammen mit den unregistrierten Flüchtlingen insgesamt etwa 300 000 bis 400 000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan zurückgekehrt sind . ({7}) Wenn man sich das im Land einmal anschaut, dann stellt man fest, dass es nicht nur größere Gebiete gibt, die sicher sind . Tatsächlich ist es so, dass die Menschen, die innerhalb des Landes auf der Flucht sind - das sind etwa 1,2 Millionen Menschen -, in klaren Bereichen innerhalb des Landes, etwa den städtischen, Schutz suchen . Und das ist doch ein klarer Beweis dafür, dass nicht ganz Afghanistan unsicher ist . ({8}) In diesem Land, das eine Fläche hat, die doppelt so groß ist wie Deutschland, gibt es also sehr wohl Bereiche, in denen man sicher leben kann; und die Afghanen nehmen diese Möglichkeit auch wahr . ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist von daher auch wichtig, sich genau anzuschauen, wo die Probleme liegen . Wir haben große Probleme etwa im Bereich der Sicherheitskräfte . Viele von denen werden Opfer von Anschlägen . Allein im letzten Jahr sind 7 000 afghanische Soldaten und Polizisten ums Leben geThorsten Frei kommen . Etwa 14 000 Soldaten und Polizisten wurden schwer verletzt . Wir hatten klare Zuordnungen . Deswegen möchte ich Sie an dieser Stelle einfach fragen: Wir haben gestern über die militärische und auch die zivile Unterstützung Afghanistans gesprochen . Es sind nicht nur Soldaten aus Deutschland in Afghanistan; es sind insgesamt etwa 1 300 bis 1 400 Deutsche als Soldaten und als zivile Aufbauhelfer in Afghanistan tätig . Die schicken wir in dieses Land, damit sie es wieder aufbauen, damit sie es sicher machen und damit sie Perspektiven schaffen. Warum soll es jungen afghanischen Männern nicht zuzumuten sein, ebenfalls in dieses Land zurückzugehen und einen Beitrag dazu zu leisten, es wieder aufzubauen? ({10}) Wir können helfen, aber es müssen die Afghanen sein, die Afghanistan wiederaufbauen . Deshalb, glaube ich, liegen Sie völlig falsch mit Ihren Schlussfolgerungen . Wir unterstützen unseren Bundesinnenminister und erwarten von ihm, dass er auf diesem Weg konsequent weitergeht . Herzlichen Dank . ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Armin Schuster hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Das Land hat eine riesige Aufgabe vor sich . Seit 2014 haben wir 1,5 Millionen Menschen Schutz geboten, und gut die Hälfte von ihnen hat einen Schutzstatus bekommen . Der andere Teil hat keinen Schutzstatus bekommen, nicht einmal subsidiären Schutz. Wir haben also Hunderttausende ausreisepflichtige Menschen im Land . ({0}) Das möchte ich von Hause aus eine Herkulesaufgabe nennen . Für die Bewältigung dieser Aufgabe gibt es zwei Wege . Diese konnten Sie heute wunderbar kennenlernen . Der erste Weg - das ist der der Opposition -: einfach pauschal nicht abschieben . Dann gibt es auch kein Problem mit Rückführungen . ({1}) Meine Damen und Herren, das ist wohl die schlichteste Lösung, die einfachste Lösung, die man sich vorstellen kann . Sie müssen sich übrigens, wenn Sie ansonsten immer die Vereinfachungen von Populisten beklagen, selber einmal die Frage stellen: Ist der Vorschlag, pauschal nicht abzuschieben, wirklich eine Lösung für dieses Land? Nein, dieser Vorschlag ist inhuman in schärfster Form . Damit wird Menschen, die nicht hierbleiben dürfen, monatelang vorgegaukelt, sie könnten doch bleiben . Wenn dann aber durchgegriffen wird, müssen wir diese Menschen aus den Kitas und Schulen herausholen . Das ist nicht human . Deswegen bin ich für eine konsequente Haltung und für sofortige Abschiebung . Was wollen wir den Menschen denn ansonsten noch antun? Ich bin für klare Entscheidungen . Das hilft den Bleibeberechtigten, für die wir mehr Kraft haben, und es hilft den nicht Bleibeberechtigten . Schnelle Entscheidungen sind immer gut . ({2}) Der zweite Weg - das ist der der Regierungskoalition; das hoffe ich jedenfalls, Herr Castellucci - ist der Weg des Rechts und unserer Gesetze .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schuster, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul?

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke . - Die Gesetze, die wir hier gemacht haben, umzusetzen, heißt, Balance zu halten: Willkommen für diejenigen, die bleiben dürfen; Abschied für diejenigen, die gehen müssen . ({0}) So sehen unsere Gesetze aus . Die haben wir hier gemacht, und die möchte ich gerne einhalten, und das tut der Bundesinnenminister . ({1}) Die Gesetze mal anzuwenden und mal nicht, je nach eigener ideologischer Befindlichkeit, meine Damen und Herren, das wäre ein Albtraum für einen Rechtsstaat, wenn Sie regieren würden . Wir halten uns an die Gesetze, die wir machen . ({2}) Sie wollen tun, was Sie möchten und was sich nach Ihrer ideologischen Befindlichkeit ergibt. ({3}) So kann man nicht arbeiten . ({4}) Meine Damen und Herren, was der liebe Herr Weise als Präsident des BAMF ertragen müsste, wenn Sie ihm Anordnungen geben könnten, es wäre furchtbar: Gesinnungsbefehle von morgens bis abends darüber, wie das BAMF Anträge zu bescheiden habe . Nein, CDU und CSU lassen die Finger vom BAMF, außer dass wir ihnen das notwendige Personal zur Verfügung stellen und die richtigen Gesetze machen . ({5}) Dann entscheiden die Mitarbeiter des BAMF mit ihrer Expertise und ohne jede Ideologie . Das ist der Weg eines Rechtsstaats . ({6}) Ich komme zu Ihren bisherigen Rezepten, mit denen Sie an der Lösung des Problems mitwirken wollen . Sie wollten 2015 den Westbalkan nicht als sichere Herkunftsregion einstufen . Was für ein Wahnsinn! ({7}) Sie haben gegen das Asylpaket II gestimmt . Den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige würden Sie für alle Zeiten öffnen. Ein Wahnsinn! Die Einstufung des Maghreb als sichere Herkunftsstaaten - Sie haben bis heute nicht verstanden, wie groß dieses Problem ist - im Bundesrat ist überfällig, meine Damen und Herren . ({8}) Sie lehnen die Abschiebung in die Balkanstaaten ab . Das ist Ihre Grundhaltung . Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Damit kann man keine Politik machen . All das lehnen wir ab, und zwar aus guten Gründen . Erstens . Thema Sicherheit: Da vertraue ich den Fachleuten . Herr Castellucci, das Originalzitat des Chefs der Internationalen Organisation für Migration lautet: Große Teile des Landes sind sicher. - Sie sprachen von „einigen Teilen“. In Wirklichkeit heißt es aber „große Teile“. ({9}) Ich vertraue der Expertise der Fachleute . Ich vertraue aber nicht den selbsternannten Fachleuten aus Berlin, die sich möglichst weit weg von Kabul aufhalten, meine Damen und Herren . ({10}) Ein Wort an die Grünen: Ich fand das Statement von Marieluise Beck in der gestrigen Sitzung des Deutschen Bundestages beeindruckend . ({11}) Es war ein beeindruckendes Statement dafür, was in 15 Jahren Einsatz für Afghanistan an Aufbauarbeit geleistet wurde . Nehmen Sie Frau Beck als Expertin und Anwältin dafür, warum es gut ist, dieses Land zu unterstützen . ({12}) Zweitens . Wir tragen Verantwortung für Afghanistan . Ich möchte dieses Land nicht seiner Zukunft berauben, indem wir auch dem Letzten noch deutlich machen: Komm lieber nach Deutschland . Es lebt sich hier besser . Wie soll so Afghanistan jemals eine humane Zukunft haben? Das wäre so unmöglich . ({13}) Rückführungsabkommen mit Afghanistan schließt nicht nur Deutschland, sondern Länder aus der ganzen Europäischen Union einschließlich Griechenland . Die dortige Regierung dürfte Ihnen sehr nahe liegen; sie hat es aber auch gemacht . Auch das wirklich humane Schweden schließt ein solches bilaterales Abkommen wie wir . Warum? Nein, Herr Castellucci, nicht weil es Abschiebungsfetischisten sind; das war übrigens eine Unverschämtheit . Vielmehr geht es darum, dass wir seit 15 Jahren Verantwortung für ein Projekt Afghanistan haben, das nicht so enden darf, wie es schon einmal geendet hat . Dafür kämpfe ich, wie es Marieluise Beck gesagt hat . Ich höre nicht auf, dafür zu kämpfen und optimistisch zu sein . Deshalb berauben wir dieses Land nicht seiner jungen Männer . Mit Ihrem Antrag täten wir das aber, meine Damen und Herren . ({14}) Wer Ihren Anträgen folgt, stärkt das Geschäftsmodell der Schleuser . ({15}) Wollen Sie das wirklich? Das kann nicht unser Ziel sein . Ihre Politik würde bedeuten: Wer in Deutschland Asyl genießt, darf bleiben . Wer es nicht genießt, darf auch bleiben . ({16}) Meine Damen und Herren, so würden wir niemals agieren . Diese Regierung setzt nicht auf Ideologie, ({17}) sondern auf Expertise und unsere Gesetze, die wir hier gemacht haben . Deswegen sind wir ein humaner Rechtsstaat . Unsere Lösungen sind human . Bei Ihren Lösungen würde ich noch einmal scharf nachdenken, ob sie wirklich als human zu bezeichnen sind . Ich danke Ihnen . ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Armin Schuster ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/7974. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6869 mit dem Titel „Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6774 mit dem Titel „Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen angenommen . Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zum CDU-Parteitagsbeschluss zur Wiedereinführung des Optionszwangs Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde… Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt . ({0}) Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa aus der Stadt Nazareth in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, ({1}) auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger . ({2}) Joseph war Galiläer, und er stammte aus Judäa, eine Zugehörigkeit zu zwei Provinzen, zu zwei Teilen des jüdischen Königreichs, sozusagen ein judäisch-galiläischer Doppelstaatler . Jetzt sagen die Historiker unter Ihnen vielleicht: Ja, aber das alles waren nur römische Provinzen, und es regierte der König Herodes, den wir alle wegen des Kindermordes von Bethlehem kennen . - Ja, dieser König Herodes regierte Judäa, Galiläa und Samaria zusammen. Nach seinem Tod zerfiel das Reich wieder und wurde von drei Königen regiert . Diese Herrschaft ähnelte der von Königin Elisabeth II ., die Australien und das Vereinigte Königreich als Staatsoberhaupt regiert . Keiner würde daran zweifeln, dass es hier um zwei Staatsangehörigkeiten geht . ({3}) Oder nehmen wir Paulus, einen griechisch gebildeten Juden, geboren in Tarsus in Kilikien, ({4}) vom israelischen Stamm Benjamin und römischer Staatsbürger . Wir wissen viel über Paulus, zum Beispiel dass ihn seine Identität damals vor Damaskus fast zerrissen hätte, seine Doppelstaatlichkeit allerdings nicht . Paulus hinterlässt uns das, worauf es ankommt - da möchte ich Sie, die Sie das C im Namen Ihrer Partei führen, doch dran erinnern -: ({5}) Da nun der Glaube kommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister . Unter säkularen Aspekten könnte man sagen: Es kommt auf die Menschenrechte, die Gottesebenbildlichkeit oder die Menschenwürde aller an . Paulus gibt uns mit auf den Weg: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus . Oder: Es kommt am Ende auf die Haltung zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten an und nicht darauf, ob man zwei Pässe hat . ({6}) Vor einigen Jahren hat sich die Bild-Zeitung gefreut: „Wir sind Papst“. Wir konnten aber nur Papst sein, weil wir in unserem Staatsangehörigkeitsrecht hingenommen haben, dass Benedikt XVI . zugleich Staatsbürger des Vatikan und Deutscher war . Ansonsten wären wir nie Papst geworden . ({7}) Da sehen wir doch: Doppelstaatlichkeit kann zu Erfolgen eines Landes beitragen und am Ende zum Guten dienen . Aber was haben Sie auf Ihrem CDU-Parteitag beschlossen? Sie haben beschlossen, das, was Sie mit der SPD mühsam vereinbart haben, nämlich den Optionszwang, weitgehend einzudampfen, wenn auch leider nicht völlig abzuschaffen, und das Ganze mit einer Philippika gegen die doppelte Staatsangehörigkeit . Mike Mohring, Thüringer CDU-Landesvorsitzender, sagte dem Münchner Merkur, es sei nötig - das müsse Schwerpunktthema des Wahlkampfes sein -, dass unser Land die uneingeschränkte staatsbürgerliche Loyalität seiner BürVizepräsidentin Petra Pau ger genießt, und dazu gehöre für ihn die Pflicht, sich für einen Pass entscheiden zu müssen . Sie haben damit 4,3 Millionen Doppelstaatlern in unserem Land den Fehdehandschuh hingeworfen und sie durch den Verdacht der Illoyalität gegenüber unserem Staat und den Werten unseres Grundgesetzes denunziert . ({8}) Das spaltet das Land; das treibt auseinander . Das ist so etwas von 19 .-Jahrhundert-Denken . So kann man die Zukunft im 21 . Jahrhundert, in der Zeit der Globalisierung, in der Zeit von Migration, Immigration und Emigration, einfach nicht gestalten . ({9}) Dieser Beschluss war ja nicht nur ein Tritt in die Kniekehlen der Kanzlerin. Nein, er ist auch eine Chiffre für eine Koalitionsoption Richtung AfD . ({10}) Wer dieses Thema zum Wahlkampfschlager machen will, weiß, dass er weder bei uns Grünen noch bei der SPD auch nur einen Abgeordneten findet, der dabei mithilft, ein entsprechendes Gesetz über die 50-Prozent-Hürde im Deutschen Bundestag zu bringen . ({11}) Das ist Spaltung, und das dürfen wir nicht zulassen . Meine Damen und Herren, wir bräuchten eigentlich eine Reform der Staatsangehörigkeit, die nach vorne geht und Einbürgerung erleichtert . Lassen Sie uns damit Schluss machen, dass jedes zweite Kind, das von Ausländerinnen in Deutschland geboren wird, nicht als Deutscher geboren wird . Die Willkommenskultur muss im Kreißsaal beginnen . Wer hier zur Welt kommt als Kind von Eltern, die hier legal sich aufhalten und leben, dem muss von Anfang an die Zugehörigkeit zu unserem Land garantiert werden . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Beck, ich bitte, zum Schluss zu kommen .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zum Schluss, Frau Präsidentin: Weihnachten, Adventszeit, das ist die Zeit der Besinnlichkeit . ({0}) Deshalb fordere ich Sie auf: Besinnen Sie sich . Denken Sie dabei auch an das Kind in der Krippe, in Windeln gewickelt . Besinnen Sie sich auf das C, und lassen Sie die Philippika gegen den Doppelpass einfach stecken . Vielen Dank . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Peter Tauber für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Beck, wenn es an der Stelle einen zentralen Unterschied zwischen Ihnen und uns gibt - es gibt ja viele Unterschiede zwischen Ihnen und uns und Gott sei Dank zwischen Ihnen und mir auch -, dann ist es der, dass das Staatsbürgerschaftsrecht für die Union keine religiöse Frage ist . Sie haben es zu einer solchen gemacht und es damit völlig überhöht . ({0}) Man könnte antworten: Gebt des Kaisers, was des Kaisers ist . Wir reden über eine ganz sachliche Frage, ({1}) nämlich über die Frage, nach welchen Rechtsnormen man Teil eines Staatsvolkes ist . Die CDU hat - das freut mich an der Stelle - auf ihrem Parteitag über diese Frage gestritten und an einer Stelle etwas bestätigt, was unsere Grundhaltung vorher war und auch jetzt ist, nämlich dass wir die generelle doppelte Staatsbürgerschaft nicht für richtig halten . ({2}) Wir haben Regelungen für Bürger der Europäischen Union, und wir haben in der Großen Koalition, wie ich finde, jetzt eine Regelung gefunden, die auch wir in dieser Koalition nicht infrage stellen, nämlich junge Menschen, die in Deutschland geboren werden, ({3}) Volker Beck ({4}) nicht vor die Entscheidung zu stellen, zwischen dem Land ihrer Väter und ihrem Vaterland wählen zu müssen . ({5}) Diese Regelung halte ich in der Tat auch für klug . Trotzdem - und das ist ein zweiter wesentlicher Unterschied zwischen Ihnen und uns in der Debatte - sind wir der Überzeugung, dass man die Frage von Identität, Loyalität und auch Zusammengehörigkeitsgefühl nicht allein an einem Stück Papier festmachen kann . ({6}) Deswegen springt man auch zu kurz, wenn man sich festlegen soll, ob man für oder gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ist . ({7}) Denn in der Vergangenheit haben wir gelernt, dass die Option nicht dazu geführt hat, dass jeder, der sich für den deutschen Pass entschieden hat, sich auch als Bürger dieses Landes fühlt . Ob die Regelung, die wir gefunden haben und die jetzt gilt, in Zukunft einen anderen Effekt haben wird, müssen wir uns erst anschauen . ({8}) Ob der Wegfall der Option dazu führt, dass es eine stärkere Identifizierung bei denen, die dann zwei Staatsbürgerschaften haben, gibt, bleibt, glaube ich, offen. ({9}) - Lieber Herr Beck, weil Sie immer dazwischenrufen: Wenn Sie zuhören würden, würden Sie vielleicht selbst in Ihrem Alter noch etwas lernen . ({10}) - Ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört, und das fiel sehr schwer, lieber Herr Beck . ({11}) Unser Parteitag hat - da zeigt sich der dritte große Unterschied zwischen Ihnen und uns - eine große Überschrift gehabt. Wir haben gesagt: „Unsere Werte. Unsere Zukunft.“, darum geht es. ({12}) Sie aber verteilen Papiere und verleugnen Werte . Auf der Basis von Werten und nicht auf der Basis eines Stücks Papier entstehen Zusammengehörigkeitsgefühl und Identität . ({13}) Wenn Sie sagen, dass, wenn Menschen, die hier leben, kein Deutsch können, wir halt ihre Sprache lernen müssen, ({14}) dann ist das das falsche Signal . ({15}) Wenn aus Ihren Reihen Menschen kommen und sagen: „Ach, wir könnten jemanden beschweren. Darum nennen wir den Martinsumzug nicht mehr Martinsumzug, sondern Sonne-Mond-und-Sterne-Umzug“, dann ist das das falsche Signal . ({16}) Wenn man Weihnachtsmärkte in Lichtermärkte oder Lichterfeste umbenennt, dann ist das ebenfalls das falsche Signal . ({17}) Wissen Sie, was ich noch bemerkenswerter finde? Diese Vorschläge kommen nie von Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, sondern immer nur aus dem linken politischen Spektrum, ({18}) weil Sie in Wahrheit mit der eigenen Geschichte und den Traditionen dieses Landes nicht viel am Hut haben . ({19}) Man kann also die linke Politik dieses Hauses in einem kurzen Satz zusammenfassen: Fahne doof, Hymne doof, Sprache doof . - Das ist Ihr Bild von Deutschland . ({20}) Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich glaube nicht, dass wir auf dieser Basis Menschen dafür begeistern, sich stolz Bürger dieses Landes zu nennen, egal woher die Eltern kommen . ({21}) Der entscheidende Punkt ist: Es braucht ein Bekenntnis zu diesem Land, zu seinen Werten und Überzeugungen, zu seiner Geschichte, auch zu diesen drei Farben Schwarz, Rot, Gold . ({22}) Deswegen reicht es nicht, nur die Frage zu stellen: Hat jemand zwei Pässe oder nicht? Man muss die Frage stellen: Was fühlt er? ({23}) - Ich war nie kaisertreu, Herr Röspel, im Gegensatz zu Ihnen . ({24}) - Entschuldigung: Sie tragen die rote Fahne, nicht ich . Ich trage nur Schwarz- Rot-Gold . Ich habe keine andere Fahne . ({25}) Insofern brauchen wir an dieser Stelle von Ihnen keine Nachhilfe . Wir haben ein Gesetz zur Integrationspflicht auf den Weg gebracht . Wir laden Menschen ein, dieses Land zu ihrem eigenen zu machen . Ob man dies tut, ist die entscheidende Frage, die man beantworten muss . Lieber Herr Beck, Sie haben Ihre Rede mit einer wunderschönen Stelle aus der Heiligen Schrift begonnen . Deswegen rufe ich Ihnen am Ende meiner Rede zu: Bleiben Sie fröhlich - schöne Weihnachten! ({26})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Sevim Dağdelen hat für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Tauber, wer hier ideologische Scheuklappen hinsichtlich des Themas doppelte Staatsbürgerschaft trägt, das sind Sie . Das haben Sie gerade mit Ihrer Parteitagsrede statt einer Bundestagsrede bewiesen . ({0}) Sie sind so etwas von Ideologie verbrämt . Sie sprechen davon, dass Sie Ihren Standpunkt nicht zu einer Region überhöhen wollen . Dabei sind Sie der Einzige, der hier bisher zum Thema Religion gesprochen hat . ({1}) Deshalb lade ich Sie dazu ein, sachlich zu diesem Thema zu sprechen . Wissen Sie, was das Problem ist? Ich gebe Ihnen teilweise recht: ({2}) Nichts ist in den letzten Jahren in der Innenpolitik so stark ideologisiert worden wie das Thema doppelte Staatsbürgerschaft - was ich als ein Kind von Gastarbeitern aus der Türkei allerdings bedauere, weil ich weiß, wie es bei vielen Tausenden Jugendlichen in Deutschland, die Eltern haben, die aus der Türkei kommen, die dort vielleicht selbst geboren sind, ankommt: Es ist ausgrenzend, und es ist das Gegenteil von Integration . Glauben Sie mir, meine Damen und Herren . ({3}) Es bringt auch nichts, dass die Kanzlerin selbst oder Minister in staatsmännischer Manier versöhnlich auftreten, aber auf der anderen Seite die Basis der CDU und viele anderen Funktionäre rechts außen gewähren lassen . Das ist eine fiese und miese Doppelstrategie der CDU. Ich sage Ihnen: Sie wird nächstes Jahr im Wahlkampf nicht aufgehen . ({4}) Vor 18 Jahren fand im Bundesland Hessen, wo ich zu dem Zeitpunkt studiert habe, der bisher geschmackloseste und auch gefährlichste Wahlkampf in der Geschichte des Bundeslandes Hessen statt . Ihr Spitzenkandidat, der später aufgrund eines Wahlkampfes gegen den Doppelpass Ministerpräsident wurde, hat auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten Stimmung gemacht . Die Menschen sind zu den CDU-Infoständen in den Fußgängerzonen gegangen und haben gefragt: Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben? ({5}) Sie wollten nicht etwa gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder etwas Ähnliches unterschreiben . Die CDU hat das bewusst kalkulierend, also aus wahltaktischen Gründen, gemacht . Der Beschluss des Essener Bundesparteitages, die doppelte Staatsbürgerschaft abzulehnen, die sogenannte Optionspflicht wieder einzuführen, ist nichts anderes als „Roland Koch reloaded“. Das ist ein Weg zurück in die Vergangenheit, und wir wollen dies nicht mitmachen . ({6}) Dieser Beschluss richtet sich vor allen Dingen gegen Türkinnen und Türken in diesem Land; denn EU-Bürgerinnen und -Bürger sollen selbstverständlich weiterhin zwei Pässe haben dürfen . Damit treiben Sie einem Diktator wie dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan viele Menschen in die Arme, und Sie spielen seinem Netzwerk in die Hände . Das ist Gift für die gesellschaftliche Stimmung in diesem Land . Deshalb bitte ich Sie: Kommen Sie zur Vernunft! Sagen Sie Nein zu rassistischen Wahlkämpfen wie in der Vergangenheit! ({7}) Sie schüren damit Vorbehalte und Misstrauen - und das allein aus diesen niederen wahltaktischen Gründen . Das ist schäbig und wird im Ergebnis weder der CDU noch der CSU, sondern eher den Parteien rechts außen nutzen, weil es in der Vergangenheit immer so war: Das Original und nicht die miese Kopie wird gewählt . ({8}) Deshalb sage ich Ihnen auch noch einmal - ich kann es nicht oft genug betonen -: Dieser Beschluss zur Optionspflicht gibt ein abweisendes Signal an die Hunderttausenden jungen Deutschen, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind; denn diese Gruppe wird vor allem betroffen sein, und das wissen Sie auch. Das wurde in den Reden auf dem Parteitag ja auch gesagt . Sie sagen nämlich: Ihr seid Deutsche nur auf Probe und Bürger zweiter Klasse . ({9}) Das hat eine ausgrenzende statt eine integrierende Wirkung . Ich möchte auch an Ihren Bundesinnenminister de Maizière erinnern . Er sprach hier im Bundestag über den Kompromiss zwischen CDU, CSU und SPD und erinnerte in seiner Rede zu dieser Neuregelung daran, dass die Haltung der Union - ich zitiere - eine grundlegende innere Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft sei . Daneben erinnerte er daran, dass hierzu erbitterte Wahlkämpfe geführt worden sind . Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns wirklich keinen Schritt zurück in die Vergangenheit machen, sondern einen Schritt vorwärts in Richtung Zukunft! Hören Sie mit Ihrer Diskriminierung und Ausgrenzung von türkischen Jugendlichen auf! Hören Sie auch auf, den Integrationsfeinden in unserem Land in die Hand zu spielen! Es muss doch möglich sein, das antiquierte Staatsbürgerschafsrecht des Deutschen Kaiserreiches von 1913 ohne Wenn und Aber zu beerdigen und zu einem fortschrittlichen Staatsbürgerschaftsrecht des 21 . Jahrhunderts zu kommen . Dazu gehört aber eben auch die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft . Vielen Dank . ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr . Katarina Barley für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Katarina Barley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank . - Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Kollege Tauber, das war schon ein interessantes Lehrstück dafür, ({0}) wie vehement man werden muss, wenn man gegen die eigene Position Beschlüsse der Partei vertreten muss . ({1}) Wir sind ja jetzt in der Weihnachtszeit, und als ich von dem CDU-Parteitagsbeschluss gehört habe, habe ich erst einmal gedacht: alle Jahre wieder . Alle Jahre wieder wird in der Mottenkiste gekramt und danach gesucht, was gerade zur Stimmung passt und womit man gerade gut Stimmung machen kann . Und man hat - die Kollegin Dağdelen hat es ja schon erwähnt - ein Spezialrezept hervorgeholt, das schon immer funktioniert hat und sich ein bisschen gegen Ausländer richtet . Ich habe dann gedacht, dass die Union wieder im vorigen Jahrhundert zurück ist . Roland Koch lässt grüßen! Andererseits sieht man daran eben auch, wie die CDU wirklich tickt, und das ist für die Menschen in diesem Land natürlich ausgesprochen spannend . ({2}) Wenn man sagt: „Wir definieren, wer ein guter Deutscher ist, und deutsch kann man nur ganz oder gar nicht sein, also entscheide dich“, dann definiert man das DeutschSein im Grunde genommen dadurch, dass man sich erst einmal gegen etwas anderes abgrenzen muss, nämlich gegen die Heimat der Eltern möglicherweise, gegen das Land, aus dem man vielleicht selbst gekommen ist . Sie können hundertmal „Zusammenhalt“ auf Plakaten schreiben und schicke Bilder dazu machen . Das ist trotzdem ein Signal von Spaltung und eine Form von Sündenbock-Wahlkampf . ({3}) Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich; denn in diesen Zeiten brauchen wir doch mehr denn je genau das gegenteilige Signal . Gerade jetzt brauchen wir ein Signal der Verständigung, anstatt irgendein nationalistisches Gepolter loszutreten . ({4}) Sie gießen damit bewusst Öl ins Feuer . ({5}) Ich muss ganz ehrlich sagen - und ich meine das ganz ernst -: Das ist ein Feuer, das Sie nicht mehr beherrschen können . Wir sind nämlich nicht mehr im letzten Jahrhundert . ({6}) Wenn ich schon höre, dass jeder Mensch nur gegenüber einem Staat loyal sein kann! ({7}) Ich hoffe, dass Sie sowohl in Ihrem privaten als auch in Ihrem politischen Leben die Erfahrung machen, dass Loyalität kein Nullsummenspiel ist, dass Sie Loyalität also nicht nur dann zeigen können, wenn Sie an anderer Stelle nicht mehr loyal sind . Natürlich kann man loyal gegenüber zwei Staaten sein . Was heißt es denn, loyal zu sein? Mein Vater ist Brite, meine Mutter ist Deutsche . Obwohl ich in Deutschland geboren bin und eine deutsche Mutter habe, war ich bei meiner Geburt keine Deutsche . In dem damals noch viel patriarchalischeren Deutschland war die Abstammung von meiner Mutter nicht so viel wert wie die Abstammung von meinem Vater . Wenn Sie meine Rede damals zum Brexit gehört haben, haben Sie mitbekommen, dass man auch als britische Staatsangehörige gegenüber den Entscheidungen des britischen Volkes ausgesprochen kritisch sein kann . ({8}) Was soll denn das heißen, ich könne nicht loyal sein? Wenn Sie sagen, ich könne nicht loyal sein gegenüber zwei Staaten, dann kann das doch nur eines heißen: Sie stellen einen Staat gegen einen anderen . ({9}) Genau das ist es, was wir jetzt nicht tun dürfen . ({10}) Davon einmal ganz abgesehen - das ist jetzt nur eine Randnotiz -: Oft lese ich: Man kann nicht Diener zweier Herren sein . - Was ist denn das für ein Staatsbürgerschaftsverständnis? Wir sind als Bürgerinnen und Bürger dieses Staates doch keine Diener des Staates . ({11}) Um Himmels willen! Was ist denn das für eine Anschauung? Was Sie wirklich missverstehen - ich weiß nicht, ob bewusst oder unbewusst -: Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, haben eine Bindung zu diesem Land . Entweder bekommt man sie qua Geburt, oder man erwirbt sie . Die meisten in diesem Haus haben nichts dafür getan, dass sie Deutsche sind . Es hat sie nie jemand gefragt, wie sie zum deutschen Staat stehen . ({12}) Diejenigen, die Deutsche geworden sind, sind gefragt worden, und sie mussten Hürden überwinden . Auch davon gibt es einige in diesem Haus . Ich weiß nicht, ob Sie dem Kollegen McAllister oder der Kollegin Dağdelen oder mir diese Staatsbürgerschaft irgendwann wieder entziehen wollen, wenn Sie der Meinung sind, dass wir mit unserer Auffassung nicht mehr loyal zu diesem Staat sind . Wie stellen Sie sich das denn vor? ({13}) Sie sagen: Die Menschen können sich nur für Deutschland entscheiden, wenn sie sich gegen ein anderes Land entscheiden . - Damit stoßen Sie viele Millionen Menschen vor den Kopf . In Wirklichkeit geht es auch gar nicht darum - das muss man einmal sagen -; in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes . Es geht um diesen großen Topf: Es geht um Anti-Islam, es geht um Anti-Flüchtlinge . ({14}) Es geht um diese ganze wabernde Stimmung . Das wird in einen Topf gerührt, und das ist das eigentlich Gefährliche . ({15}) Sagen Sie mir mal einen vernünftigen Grund, warum Sie diesen Kompromiss wieder aufschnüren wollen! Sagen Sie mir doch mal einen vernünftigen Grund, der dafür spricht, ({16}) dass Menschen wie ich, Menschen wie Sie, Menschen wie Herr Mutlu sich zwischen ihren beiden Staaten entscheiden müssen! Was bringt es denn irgendeinem von Ihnen, wenn wir unseren zweiten Pass abgeben? Gar nichts! Es verändert Ihr Leben nicht . Es verändert dieses Land nicht . ({17}) Die Wahrheit ist: Doppelstaatler sind keine besseren Menschen, sie sind auch keine besseren Deutschen, aber sie sind auch keine schlechteren . Seien Sie froh, dass es Menschen gibt, die Brücken zwischen Staaten bauen . ({18}) Die allermeisten Doppelstaatler bauen Brücken zwischen Staaten . Davon brauchen wir eher mehr als weniger . Vielen Dank . ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Häufig war in den letzten Jahren die Rede davon, die politischen Parteien würden sich gar nicht mehr unterscheiden; es sei praktisch alles eins . Wir sehen heute: Das Gegenteil ist der Fall . Wir in CDU und CSU sind in puncto Integration und Staatsangehörigkeit ganz anderer Auffassung als der Rest dieses Hauses, und das ist auch gut so . Wir haben für diese Legislaturperiode eine Koalitionsvereinbarung mit der SPD geschlossen . Die gilt . Aber es ist nicht Aufgabe einer Partei, nachzuplappern, was in einer Koalitionsvereinbarung steht, sondern die Aufgabe ist, eigene Positionen zu entwickeln . ({0}) Deshalb hat meine Partei auf dem Bundesparteitag einen Beschluss gefasst, mit dem sie sich für eine Rückkehr zur Optionspflicht ausspricht. Es geht in diesem Beschluss - Frau Barley, wenn Sie den Beschluss gelesen hätten, dann hätten Sie das in Ihrer Rede auch anders darstellen können - nicht um die Beseitigung der doppelten Staatsangehörigkeit; ({1}) es geht in diesem Beschluss einzig und allein um die Frage: Sollen junge Erwachsene, die in Deutschland als Kinder zweier ausländischer Eltern geboren worden und in Deutschland aufgewachsen sind, eine Wahl zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern treffen? Das ist die Frage. Es war ein Beschluss, der mit knapper Mehrheit gefasst wurde . Schon das zeigt: Es gibt gute Gründe, die für die eine wie für die andere Auffassung sprechen. Die Folgen sind nicht trivial . Deshalb sollten wir über diese Fragen sachlich diskutieren und Andersdenkende nicht dämonisieren . ({2}) Wer in den Tagen nach unserem Bundesparteitag den Grünen zugehört hat - auch heute wieder -, der musste sich fürchten und bekam es fast mit der Angst zu tun, wenn manches nicht so lächerlich gewesen wäre . ({3}) Da war die Rede von schlimmem Populismus . Da war die Rede von einem bösen Rechtsruck . Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie haben ein kurzes Gedächtnis . ({4}) Deshalb helfe ich Ihnen gerne . Das, was Sie als schlimmen Populismus schmähen, war bis vor genau zwei Jahren geltendes deutsches Recht . ({5}) Dieses geschmähte Recht ist im Jahr 1999 von niemand anderem gemacht worden als von SPD und Grünen selbst . ({6}) Mit Ihren überzogenen Kommentaren treffen Sie deshalb nicht die Union, sondern Sie ballern in Ihrem Fanatismus auf den eigenen Laden, meine Damen und Herren . Das ist die Wahrheit . ({7}) Gerade von den Grünen braucht sich die Union in der Integrations- und Staatsangehörigkeitspolitik nicht belehren zu lassen . Wir, nicht Sie, haben den Integrationsgipfel ins Leben gerufen . Wir, nicht Sie, haben einen Nationalen Integrationsplan vorgelegt . Wir, nicht Sie, haben in diesem Jahr ein Integrationsgesetz verabschiedet . Während wir gehandelt haben, haben Sie in der Opposition Ihre Multikultikonzepte gepflegt. Das ist die Wahrheit und der zentrale Unterschied zwischen Ihnen und uns . ({8}) Die Grünen empfehlen in Gestalt der Kollegin Künast der Polizei, bei Einsätzen in Moscheen die Schuhe auszuziehen . Wir in der Union sagen: Wenn die Polizei vor der Tür steht, dann klopft nicht ein unerwünschter Hausierer, sondern der deutsche Rechtsstaat . Und der deutDr. Katarina Barley sche Rechtsstaat kommt nicht auf Socken daher, meine Damen und Herren . ({9}) Die Grünen raten in Gestalt des Kollegen Beck einem Deutschen, der darüber klagt, dass er die Menschen in seiner Straße nicht mehr versteht, die fremde Sprache zu lernen . Wir in der Union sagen: Das Erlernen der deutschen Sprache ist das Mindeste, was wir als Voraussetzung für gelungene Integration brauchen . ({10}) Wer in diesem Land als Kind ausländischer Eltern aufwächst, macht das in einem Land, das ihm unendlich viele Chancen bietet . ({11}) Aus einem Kind ausländischer Eltern kann in Deutschland alles werden . Es kann eine gute Schule besuchen . Es kann jeden Beruf ergreifen . Es kann an einer unserer besten Universitäten studieren . Alles in Freiheit, alles in Sicherheit und alles unter dem Schutz dieses Landes . Wenn dieses Land am Ende dieses Prozesses den jungen Erwachsenen bitten würde, sich bei der Wahl seiner Staatsangehörigkeit zu entscheiden, dann wäre das kein schlimmer Populismus, dann wäre das kein schlimmer und böser Rechtsruck, sondern dann wäre das nur recht und billig, meine Damen und Herren . Herzlichen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, bevor ich in der Debatte wieder das Wort erteile, einen Hinweis an die erfreulicherweise so zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich beispielsweise fragen, warum die Meldung der Kollegin Künast nicht zum Erfolg geführt hat . Wir sind in einer Aktuellen Stunde . In diesem Format ist es nicht wie sonst in unseren Debatten möglich, Fragen zu stellen, Bemerkungen zu machen oder Dinge bilateral zu diskutieren . Dieser Austausch muss auf anderem Wege erfolgen . - Das nur zur Erklärung, damit wir hinterher nicht die entsprechenden Nachfragen bearbeiten müssen . Wir fahren fort in der Debatte zur Aktuellen Stunde . Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich grundsätzlich noch einmal festhalten: Die Abschaffung der Optionspflicht war ein wichtiger Schritt zur Integration von jungen Migranten in unserer Gesellschaft . Ich denke, das dürfen wir uns von der CDU/CSU nicht kaputtmachen lassen . ({0}) Wenn es nach der Union geht, soll ein Mensch nur einen Pass besitzen dürfen, gleichsam als Test seiner Loyalität zu Deutschland . Das ist ein Denkansatz, der in der Tat aus dem vorigen Jahrhundert stammt . Loyalität zu einer Gesellschaft kann man eben nicht an der Frage der Staatsbürgerschaft messen . Die Wiedereinführung der Optionspflicht würde einen Generalverdacht gegenüber den hier geborenen Kindern bedeuten, denen Sie damit das Signal geben würden: Ihr gehört nur zu uns, wenn ihr euch für einen deutschen Pass entscheidet, andernfalls bleibt ihr dauerhaft Fremde . - Damit wird Integration erschwert, und das ist genau der falsche Ansatz . ({1}) Meine Damen und Herren, wir können nach dem CDU-Parteitag feststellen, dass führende Vertreter der Union vom Parteitagsbeschluss abrücken . Das ist eine erfreuliche Nachricht . Andererseits muss man sagen: Den Leitantrag muss man genau lesen; denn der Beschluss zur Optionspflicht ist noch lange nicht das Schlimmste gewesen, was auf dem CDU-Parteitag beschlossen wurde . Man muss hier sehr deutlich sagen: Diese rassistische Rhetorik, die Sie für den Wahlkampf 2017 in diesem Antrag ankündigen, ist wirklich unerträglich . ({2}) Dafür möchte ich gerne ein paar Beispiele geben . Der Antrag enthält Forderungen, die darauf hinauslaufen, das Asylrecht bis zum Gehtnichtmehr zu verschärfen: Ausweitung der Abschiebehaft, rücksichtslose Abschiebung; wir haben hier eben eine Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan geführt . Im Leitantrag der Union wird sogar gesagt, dass es eine nationale Kraftanstrengung geben soll, um diese Dinge umzusetzen . Ich denke, genau mit dieser Rhetorik gießen Sie Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremisten, und Sie untergraben zugleich die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft in Deutschland, die viel größer ist, als Sie hier unterstellen . ({3}) Rechtspopulismus in Reinkultur ist auch die Forderung nach einem Burkaverbot, die Sie dort niedergeschrieben haben; denn Sie wollen lediglich Ressentiments gegen Muslime bestärken . Das würde den Frauen überhaupt nichts nutzen - absolut nichts . Im CDU-Leitantrag wird auch gefordert, Internierungslager für Flüchtlinge in Nordafrika zu schaffen, also in Ländern, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind . Wenn Flüchtlingen der Zugang zu fairen Asylverfahren gewaltsam verweigert wird, wird faktisch das internationale Flüchtlingsrecht aufgekündigt . In dem Leitantrag wird das Türkei-Abkommen als sehr erfolgreiches Beispiel genannt . Ich halte das wirklich für einen schlechten Witz; denn auch dabei geht es nur um Abschottung und Entrechtung von Flüchtlingen . ({4}) Zehntausende sind dort zurzeit in primitiven Lagern untergebracht; sie leiden unter Perspektivlosigkeit und menschenunwürdigen Verhältnissen . Das darf so nicht sein . Also weiten Sie nicht Ihre Zusammenarbeit mit der Diktatur Türkei auf nordafrikanische Regime aus, die ebenfalls nicht rechtsstaatlich sind! Zu welchen Hetzkampagnen die Union imstande ist, zeigt auch die Äußerung von Bayerns Finanzminister Markus Söder . Erst gestern behauptete er, wegen der Flüchtlinge gebe es einen Kontrollverlust hinsichtlich unserer Straßen und Plätze . Gegen die Flüchtlinge will er jetzt den sogenannten Heimatschutz in Stellung bringen . Das Bundeskriminalamt hat im Übrigen schon mehrfach bestätigt, dass Flüchtlinge keineswegs krimineller sind als andere Menschen . Aber davon lassen sich Söder und die Union nicht beeindrucken . So deutlich wie Herr Söder hat im Übrigen noch nie ein CSU-Mann Flüchtlinge als Bedrohung, ja als Gegner bezeichnet, die man bekämpfen müsse . Das ist wirklich menschenverachtende Hetze, meine Damen und Herren . ({5}) Ein deutschtümelnder Wahlkampf mit rassistischen Schlammschlachten ist das Letzte, was wir jetzt brauchen . Ich kann nur an die Union appellieren: Kommen Sie zur Besinnung, erkennen Sie an, dass in einer Gesellschaft Menschen mit vielen Identitäten und vor allen Dingen auch mit verschiedenen Staatsbürgerschaften zusammenleben können . Denn sonst verschieben Sie den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts und stärken am Ende damit die rechtsextremistischen Scharfmacher . Das können wir in der gegenwärtigen Situation alle nicht wollen . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic für die SPD-Fraktion . ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jemand, der der Gastarbeitergeneration angehört . Ich kam vor 42 Jahren als 15-Jähriger nach Deutschland . Meine Vita lautet: Gastarbeiter, Migrant, ({0}) und heute bin ich Deutscher mit Migrationshintergrund . Übrigens: Ich wollte immer nur Mensch sein in diesem Land . ({1}) Ich habe als Gastarbeiter an einem der übelsten Arbeitsplätze bei Audi angefangen . Ich habe Unterbodenschutz von Hand aufgetragen, als es noch keine Roboter gab, Schulter an Schulter mit Menschen vieler Nationalitäten, auch mit Deutschen . Wir haben damals Arbeitskämpfe zum Erhalt des Werkes geführt, übrigens wir Arbeiter, nicht „die da oben“; die haben nur aus dem Fenster geschaut . Wir haben uns in der Gesellschaft engagiert, ich persönlich in verschiedenen, auch politischen Vereinen . Meine Kinder wollte ich im Sinne der Werte und Tugenden der Gesellschaft erziehen, in der wir leben . Ich habe immer gedacht, das ist unser Land . Ich habe immer von „unserem“ Land gesprochen. Allerdings fällt es mir angesichts der Reden auf dem letzten CDU-Parteitag und angesichts der Debatten, die dort vom Zaun gebrochen wurden, schwer, zu glauben, dass ich tatsächlich gleichberechtigt bin . ({2}) Damit wir uns verstehen: Es gab immer Menschen in unserem Land, die gesagt haben: Du kannst hundertmal einen deutschen Pass haben, du bist kein Deutscher . - Damit konnte ich leben . Aber womit ich nicht leben kann, ist, dass dieser Punkt in der größten deutschen Volkspartei immer noch ein Thema ist . ({3}) Noch eine Bemerkung zum Parteitag der CDU . Ich verstehe die Frechheit der Jugend; ich war auch einmal Juso. Dass irgendein paar Rotzlöffel einen Antrag vorlegen, das ist auch okay . ({4}) Aber was ich nicht gut fand, war, dass man das Thema benutzt hat, um Frau Merkel für ihre Flüchtlingspolitik eins auszuwischen . ({5}) Man hat wieder einmal eine Debatte auf dem Rücken der Ausländer vom Zaun gebrochen - wie schon so oft in der Vergangenheit -, und das finde ich schäbig. ({6}) Wir haben Erfahrung damit, meine sehr geehrten Damen und Herren . Pkw-Maut, Lkw-Maut und verschiedene andere Beschlüsse sind von der CDU vom Zaun gebrochen worden mit dem Argument: Das ist gegen Ausländer . ({7}) Dadurch haben Sie niedere Instinkte geweckt . Mit diesen Geschichten macht man immer noch Politik . ({8}) Allerdings muss ich Ihnen eines sagen: Dieses Thema kann die AfD besser . Lassen Sie das! Sie dienen dem falschen Herrn . ({9}) Integration kann nur durch Identifikation funktionieren . Dazu braucht es die Menschen, die zu uns kommen, und auch die Menschen, die sie aufnehmen, eine Gesellschaft der Vielfalt . Es gibt Millionen von Menschen, die sich täglich bemühen, um die Integration voranzutreiben . Wir geben in Integrationskurse und verschiedene andere Maßnahmen Gelder in Milliardenhöhe . Aber wenn es um die Diskussion geht: „Gehöre ich dazu oder nicht?“, verläuft das alles im Sand . Deshalb ist es verlogen, hier zu sagen: „Wir machen etwas für die Integration“, wenn Sie gleichzeitig die niederen Instinkte bedienen . Das geht nicht, meine Damen und Herren . Lassen Sie das! ({10}) Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft hier in Deutschland, und zwar Deutschstämmige wie Migranten . Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft in einem zerrissenen Europa . Deutschland muss zu einer starken, geschlossenen Gesellschaft werden, weil wir das Vorbild in Europa sind . ({11}) An uns werden viele Erwartungen gestellt . Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir uns auf eine Wertegemeinschaft auf der Grundlage des Grundgesetzes besinnen, und zwar wir, die wir hier sind, und die, die zu uns kommen . Da bald Weihnachten ist, möchte ich darauf hinweisen: In der Präambel unserer Verfassung ist vom Bewusstsein der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ die Rede . Das sollte man verinnerlichen . Ich wünsche Ihnen ein friedliches und vor allen Dingen auch besinnliches Weihnachtsfest sowie Gottes Segen . Danke . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings . ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht nur ein Satz, Herr Juratovic: Ihre Rede war es inhaltlich nicht wert, auf sie einzugehen . ({0}) Aber ich muss sagen: Wir sollten uns hier untereinander - das widerlegen Sie gerade - nicht mit Schimpfworten belegen . Das tun wir normalerweise auch nicht . ({1}) Ich sage Ihnen eins ganz klar: Menschen, die sich ehrenamtlich in demokratischen Parteien organisieren, sei es in der CDU, in der Jungen Union oder auch in der SPD, haben es nicht verdient, mit Schimpfworten, wie Sie es gerade getan haben, belegt zu werden . ({2}) Wir debattieren heute über einen Teilaspekt des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts, nämlich den Umfang der Optionspflicht im Kontext der doppelten Staatsbürgerschaft. Übrigens ist diese nie abgeschafft worden. Sie ist abgeschwächt bzw . im Anwendungsbereich begrenzt worden . ({3}) Es gab und gibt keine Abschaffung dieser Optionspflicht. Aber es geht natürlich zugleich auch um eine Grundfrage unseres Gemeinwesens . Der moderne Staat basiert auf drei Grundelementen: Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk . Aus guten Gründen gehen wir bei allen diesen drei Elementen prinzipiell von einer Exklusivität aus. Ein bestimmter Teil der Erdoberfläche ist nur einem Staatsgebiet zugeordnet . ({4}) - Offenbar ist es wichtig, so etwas noch einmal zu wiederholen . Ich glaube, sachliches Wissen ist auch von Vorteil . In einem Staat kann nur eine Staatsgewalt ausgeübt werden - vielleicht gehen Sie auch da noch mit -, und ein Mensch ist im idealtypischen Fall Bürger nur eines Staates . ({5}) Nur bei diesem letzten Element des Staatsvolkes und damit bei der Staatsbürgerschaft ({6}) lassen wir von dieser Regel der Exklusivität gewisse Ausnahmen zu, aber wir halten an dieser Regel grundsätzlich fest, meine Damen und Herren . ({7}) Aber unsere Staatsbürgerschaft ist nach wie vor ein ebenso wichtiges wie wertvolles Rechtsinstitut und eine unverzichtbare Säule unseres Verfassungsstaates . Die Staatsangehörigkeit ist - da sind wir uns vielleicht jedenfalls in weiten Teilen dieses Hauses noch einig - mehr als ein nützliches Papier, das mir ein unbefristetes Aufenthalts- und beliebiges Einreiserecht gewährt . Sie bedeutet vielmehr ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und Bürger, das durch Identifikation und besondere Loyalität geprägt sein muss . Die Staatsbürgerschaft erfüllt in der nationalen wie internationalen Rechtsordnung eine unverzichtbare Schutz-, Ordnungs- und Zuordnungsfunktion . ({8}) In einer global vernetzten Welt und in Gesellschaften mit größeren Bevölkerungsteilen, die auch über Staatsgrenzen hinweg hochmobil leben, schwächt sich diese wichtige Ordnungsfunktion aber allmählich ab . Wenn durch Wanderungsbewegungen oder transnationale Ehen immer mehr Menschen auch immer mehr Staatsangehörigkeiten erwerben ({9}) und sich diese in der Generationenfolge ohne Limit weitervererben, dann droht eine Spaltung der Gesellschaften ({10}) in den Teil derer, die mit einer Staatsbürgerschaft auskommen müssen, und in den Teil derer, die über mehrere Staatsbürgerschaften verfügen, um sich jeweils auch deren Vorteile zunutze machen zu können . ({11}) Aus diesem Grunde bleibt es sinnvoll und notwendig, sich Gedanken zu machen, wie wir die Problematik von multiplen Staatsangehörigkeiten reduzieren und in der Generationenfolge begrenzen können . ({12}) Für die Vermeidung von Mehrstaatigkeit sind immer noch die Gründe ausschlaggebend, von denen sich auch der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 16 . März 1999 hat leiten lassen . Ich zitiere aus der Gesetzesbegründung . Sie können nicht sagen, sie sei vom Bundesrat wegen der Union umgeschrieben worden . ({13}) Diese Gesetzesbegründung ist Rot-Grün pur . Sie ist von den beiden Koalitionsfraktionen, also auch von den Grünen, geschrieben worden . Dort heißt es wörtlich: Dabei wird der Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit angemessen berücksichtigt . Insbesondere unter Ordnungsgesichtspunkten besteht ein staatliches Interesse, die Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit einzuschränken . Das steht in dem rot-grünen Dokument . ({14}) Die beiden Koalitionspartner hatten mit dieser Begründung damals recht . ({15}) Sie müssen also wissen, dass die Kollegen von den Grünen hier gegen ein rot-grünes Gesetz krakeelen, das sie damals so verfasst haben . Um den Gedanken der von Ihnen so benannten Ordnungsfunktion des Staatsbürgerschaftsrechts zu erhalten, müssen wir beispielsweise auch international offen darüber reden, dass Staaten keine Besitzansprüche auf ihre Bürger haben können . Ich halte es für eine Frage des Menschenrechts, dass Bürger auf ihren Wunsch aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen werden können, wenn sie dauerhaft in einem anderen Staat leben wollen . ({16}) - Ich will, dass sie es können . Ich möchte Ihnen - vielleicht haben Sie noch einen Augenblick Geduld - einen der traurigsten Momente schildern, den ich jemals in meiner 14-jährigen Tätigkeit als Abgeordneter erlebt habe . Das war ein Gespräch mit einer weinenden Mutter von drei Kindern in meiner Sprechstunde vor wenigen Jahren . Sie und ihr Mann waren in Afghanistan geboren, hatten aber längst, so wie ihre Kinder, die deutsche Staatsangehörigkeit . Als die Frau sich scheiden ließ und auch das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder erhielt, entführte der Mann die drei Kinder nach Kabul . Die afghanischen Behörden behandeln die Kinder, die nie wirklich in Afghanistan gelebt haben, als Afghanen, nach dem Grundsatz: einmal Afghane, immer Afghane . Das gilt dann eben auch für die folgenden Generationen . Unserer deutschen Botschaft ist es trotz großer Anstrengungen nicht gelungen, die Kinder wieder mit ihrer Mutter zu vereinen . Auch das sind konkrete und tieftragische Auswirkungen doppelter Staatsbürgerschaft . ({17}) Eine notwendige zukunftsweisende Weiterentwicklung unserer Staatsbürgerschaft verlangt eben auch, über solche Fälle und solche Folgen nachzudenken . Das erforParl. Staatssekretär Dr. Günter Krings dert Kopfarbeit . Sie stellen gerade unter Beweis, dass Sie Kehlkopfarbeit können, aber ob Sie Kopfarbeit bei dem Thema können, das müssen Sie erst noch beweisen . ({18}) Das heißt aber auch, dass es eine kurzfristige Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, weil es eben etwas komplizierter ist, ({19}) in dieser Koalition, in dieser Wahlperiode nicht geben wird . ({20}) Erst im vorletzten Jahr haben Union und SPD gegen den Widerstand der Linken und der Grünen nicht etwa die Abschaffung der Optionspflicht, sondern deren Veränderung und die Reduzierung ihrer Anwendungsfälle gemeinsam verabschiedet . Diese Änderung des Optionsmodells beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist und bleibt geltendes Recht . Daran ändern weder Parteitagsbeschlüsse noch Resolutionen noch Migrationsberichte etwas . Wir werden auch weiterhin verhindern, dass die Axt an die Fundamente unseres gewachsenen und bewährten Staatsangehörigkeitsrechts gelegt wird . Deshalb haben wir in der Koalition dafür gesorgt, dass etwa ein Antrag der Grünen aus dem letzten Jahr, im dem gefordert wurde, Mehrstaatigkeit generell hinzunehmen und die Notwendigkeit der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts und auch das Erfordernis, über grundlegende deutsche Sprachkenntnisse zu verfügen, weitgehend abzuschaffen, mit breiter Mehrheit in diesem Hause abgelehnt worden ist . ({21}) Ebenso lehnen wir abstruse Vorschläge aus den Reihen der Linken ab, wonach alle Flüchtlingskinder sofort und automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollen . So etwas passt nicht zu unserem Staatsbürgerschaftsrecht . ({22}) Wenn die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in ihrem aktuellen Migrationsbericht - ich zitiere - die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit in Einbürgerungsverfahren fordert, so respektieren wir das natürlich als ihre persönliche Meinung, aber wir sagen auch dazu sehr klar: Eine solche Hinnahme von Mehrstaatigkeit wird die Bundesregierung nicht beschließen . ({23}) Denn auch die Union steht zum Koalitionsvertrag und zu den Grundprinzipien unseres Staatsangehörigkeitsrechts . Beide schließen genau diese generelle Mehrfachstaatsbürgerschaft aus . ({24}) Ich kann daher verstehen, dass viele Praktiker der Integrationspolitik, etwa der SPD-Politiker und ehemalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, sich sehr grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wenden . ({25}) Anders als dieser Kollege bin ich aber nicht der Meinung, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft generell der Integration schadet . Wir gehen beim Erwerb unserer Staatsbürgerschaft vom Menschen und seiner individuellen Biografie aus. Deshalb weiß ich, dass es natürlich Menschen gibt, die zum Beispiel aufgrund eines längeren Aufenthalts in verschiedenen Staaten, aufgrund besonderer Umstände auch Loyalität zu mehr als einem Staat empfinden können. ({26}) Aber wir wollen es nicht hinnehmen, wenn Menschen zwar aus rein praktischen Erwägungen neben einer ausländischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft für sich reklamieren, dabei aber nur eine Loyalität empfinden, und zwar gerade nicht zu unserem deutschen Staat und seiner Verfassung, meine Damen und Herren . ({27}) Genau aus diesem Grunde haben CDU und CSU gegen den Widerstand fast aller politischen Kräfte in Deutschland den Einbürgerungstest durchgesetzt . Wir alle werden diesen Test als Herzstück unseres Einbürgerungsrechts auch erhalten und gegen alle Widerstände verteidigen . ({28}) Das Gleiche gilt eben für die Vermeidung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten . Es bleibt dabei: Wir wollen Mehrfachstaatsangehörigkeiten im Einklang mit der geltenden Rechtslage in dieser besonders begründungswürdigen Konstellation akzeptieren, aber eben nicht als generelles Prinzip etablieren . Dass die Bundesregierung an der Stelle auch im nächsten Jahr beim geltenden Recht bleibt, ist eigentlich für alle eine gute Nachricht . Wir werden im neuen Jahr an dieser Stelle dasselbe Recht wie im alten Jahr haben . In diesem Sinne darf ich Ihnen allen als letzter Redner seitens der Bundesregierung ein gutes neues Jahr mit viel Stabilität, ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen schönen vierten Advent wünschen . Vielen Dank . ({29})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Özcan Mutlu für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zwei Sätze vorweg . Das beste Beispiel, wie sich Fake News verbreiten, hat vorhin der Kollege Harbarth geboten, indem er schlichtweg etwas verbreitet hat, was die Kollegin Künast nie so gesagt hat . Es ist einfach unverschämt, dass Sie dem Haus das antun . ({0}) Wenn ich die heutige Debatte und frühere Debatten zu diesem Thema in diesem Hause Revue passieren lasse, frage ich mich mit Blick auf die CDU/CSU-Fraktion und auch auf den Staatssekretär, bei dem man nicht wusste, ob er hier auf einem CDU-Parteitag oder für die Bundesregierung redet, ({1}) ernsthaft: In welchem Jahrhundert leben Sie? Ihre parteipolitischen Spielchen auf dem Rücken junger Menschen auszutragen, ist einfach nur schäbig . ({2}) Diese Debatte und das, was wir heute hier erlebt haben, ist Gift für die Integration und spaltet unsere Gesellschaft . Ich kann mich noch sehr genau an die Zeiten von Roland Koch erinnern, der damals mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die im Übrigen später, wie Kollegin Dağdelen gesagt hat, in eine „Ausländer raus“-Kampagne ausgeartet ist, unserem Land geschadet hat . Mit dieser Kampagne damals wurde die Integrationspolitik dieses Landes um Jahre, wenn nicht sogar um Jahrzehnte zurückgeworfen . ({3}) Nichts anderes tun Sie heute hier in diesem Hause und mit Ihrem Parteitagsbeschluss . Es ist beschämend, dass eine große Volkspartei wie die CDU/CSU sich wieder einem derartigen Populismus hingibt und nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat . ({4}) Akzeptieren Sie endlich, dass es Millionen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft gibt . Das ist in der modernen Welt auch unvermeidbar . Ich weiß, dass sich die CDU/CSU, wie so oft, schwertut mit den Realitäten . Aber Vielfalt ist in unserem Einwanderungsland nun einmal Tatsache, und das ist auch gut so . ({5}) Wir reden inzwischen von hybriden Identitäten . Vergessen Sie einfach mal die Pässe . Etliche Studien, internationale wie nationale, zeigen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft kein Integrationshindernis ist; im Gegenteil . Daran ändert sich auch nichts, wenn Teile der CDU/CSU das weiterhin wider besseres Wissen und fälschlicherweise behaupten . Ihre Behauptungen sind ein massives Integrationshindernis . Noch schlimmer: Sie stellen mit Ihrem Vorhaben die größte Einwanderungsgruppe unter Generalverdacht . Es geht Ihnen allein um die Menschen, die aus der Türkei stammen und seit Generationen bei uns leben . Diese Ungleichbehandlung hat einen Namen: Türkenfeindlichkeit, und das grenzt an Rassismus . ({6}) Haben Sie schon einmal eine Deutschrussin oder einen Deutschpolen gefragt, ob er oder sie Loyalitätsprobleme hat? Das sind nämlich die größten Gruppen der Doppelstaatler, die hier in Deutschland leben . Es wird in Ihren Debatten immer der Eindruck vermittelt, als würde es darum gehen, zwischen willkommenen und nicht willkommenen Herkunftsländern zu unterscheiden, und die Türkei ist nicht willkommen. Das schafft Ängste und Ressentiments, und das ist nicht gut, weder für unser Zusammenleben noch für die Integration in diesem Land . Sie geben den Jugendlichen, die hier geboren und aufgewachsen sind, immer wieder das Gefühl: Ihr gehört nicht hierher . Ihr seid anders . Wir wollen euch nicht . ({7}) Damit treiben Sie die jungen Menschen erst recht in die Arme Ankaras, und damit schaffen Sie genau die Parallelgesellschaften, die Sie beklagen . Dann wundern Sie sich, warum . ({8}) Ich kann Ihnen sagen: Das ist weder unser Ziel, noch darf es das Ziel von irgendjemandem in diesem Haus sein . Sie stärken damit nämlich die Populisten . So jedenfalls - das kann ich Ihnen von diesem Pult aus sagen werden Sie die Wählerinnen und Wähler, die Sie an die AfD verloren haben, nicht zurückgewinnen . Mit dieser gefährlichen Scheindebatte schaffen Sie mehr Unsicherheit und mehr Ängste und spalten die Gesellschaft . Die Einführung der Optionspflicht löst keine Probleme, sondern sie schafft viel mehr Probleme. Dabei brauchen wir gerade jetzt, in diesen Tagen und Monaten, einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein Aufeinanderzugehen . Natürlich müssen wir auch über Probleme reden . ({9}) Es gibt bei der Integration auch Probleme . Keiner bestreitet das; das hat auch Kollege Volker Beck nie bestritten . Aber unsere Aufgabe ist es, im Hinblick auf diese Probleme nach konkreten Lösungen zu suchen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, besonders im Bereich der Bildung . Die Ablenkungsmanöver mit der Argumentation gegen die doppelte Staatsbürgerschaft helfen definitiv nicht; sie spielen nur der AfD in die Hände .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mutlu, kommen Sie zum Schluss?

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss . - Zu guter Letzt möchte ich Ihnen, weil wir kurz vor Weihnachten sind, gerne eine Lektüre nahebringen . ({0}) In diesem Buch Politik ohne Grenzen stehen die Geschichten von 21 Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus mit Einwanderungshintergrund, und zwar parteiübergreifend - es sind auch Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU dabei -, die beschreiben, wie ihre Wege in die Politik waren . Ich kann Ihnen sagen: Loyalitätskonflikte oder Misstrauen gegenüber der deutschen Gesellschaft finden Sie in diesem Buch nicht. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten . Ich schenke dieses Buch jetzt Jens Spahn, damit er etwas lernt . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines vorweg sagen: Ich glaube nicht, dass zwei Pässe Loyalitätskonflikte verursachen, sondern das Aberkennen von Teilen der eigenen Identität verursacht Loyalitätskonflikte. ({0}) Es ist nicht so, dass diese Debatte im luftleeren Raum stattfindet. Natürlich sind wir nach einem CDU-Parteitag in einer bestimmten Debattenlage . Mit Verlaub, sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr . Krings: Ich hatte über weite Strecken nicht den Eindruck, dass Sie eine Erklärung für die Bundesregierung abgegeben haben, sondern dass Sie als CDU-Parlamentarier gesprochen haben . ({1}) Sie haben zumindest nicht für Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen, die in dieser Frage ja eine dezidiert andere Meinung hat . ({2}) Einen zweiten Punkt möchte ich Herrn Tauber in aller Deutlichkeit zurufen . Wer der SPD hier im Plenum vorwirft, wir würden nur einer roten Fahne hinterherlaufen, der hat, was die Geschichte angeht, nicht aufgepasst, ({3}) Es war das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das die Republik verteidigt hat, als sich die Konservativen vom Acker gemacht haben, meine Damen und Herren . Es ärgert mich, wenn eine solche Geschichtsklitterung vorgenommen wird . ({4}) Ich muss in aller Klarheit sagen: Wir werden uns das mit der Fahne nicht nehmen lassen . Das machen Sie mit deutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht . ({5}) Es geht in dieser Debatte nicht nur um den Wegfall der Doppelstaatlichkeit oder um die Wiedereinführung einer Optionspflicht. Vielmehr geht es um einen Rückfall in die Zeit davor . Im Kern heißt es: Es war ein Fehler, euch, die ihr hier aufgewachsen seid und in Deutschland arbeitet, den deutschen Pass zu geben . ({6}) Das löst einen weiteren Loyalitätskonflikt aus. Dieser Beschluss zielt auf junge Erwachsene, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind . ({7}) Er ist im Kern ein Wegducken in jeglicher Hinsicht . Er zielt auf den inneren Kern der Integration . Sie haben damit für sich ein Problem produziert . Es gab einen Teil der CDU-Bundesparteitagsdelegierten, die sich nicht getraut haben, offen mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu brechen . Stattdessen haben sie sich mit der Optionspflicht einzelne Menschen in unserem Land ausgesucht, und sie haben diese Menschen einem Loyalitätskonflikt ausgesetzt. Das ist das Ventil, das sich der Parteitag gesucht hat . ({8}) Und das wird auf dem Rücken von jungen Menschen in diesem Land ausgetragen . Es ist unverantwortlich, dass Sie einen internen Machtkampf in dieser Art und Weise führen, meine Damen und Herren . Das müssen Sie jetzt in diesem Plenum hier aushalten . ({9}) Hier wird versucht, Heimat gegen Herkunft auszuspielen, und ich dachte, dass wir in der Debatte weiter sind . Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich daran ärgert, ist: Glauben Sie eigentlich wirklich, dass Sie mit diesem Schlingerkurs in der Integrations- und Innenpolitik tatsächlich irgendeinen rechten Wähler an den Wahlurnen zur CDU zurückbringen? Das können Sie doch nicht ernsthaft glauben . Das wird nicht funktionieren . Ich bin bei Ihnen, den Kollegen von den Linken, und glaube, da wird im Zweifel das Original der entsprechenden Populisten gewählt . Ich bin dem Innenminister Thomas de Maizière ausdrücklich sehr dankbar, der auf dem Parteitag sagte: In Wahrheit ist es natürlich eine verkappte Türkei-Diskussion, wenn wir ehrlich sind . - Das ist auf dem Parteitag gesagt worden, ({10}) und das ist nicht in Ordnung . Sie haben in der Integrationsdebatte einen großen Schaden angerichtet und damit auch jemanden in Essen, in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen getroffen, in dem wir wissen, wie man Integration, Zusammenleben und Zusammenhalt organisiert . ({11}) Sie haben damit auch Ihren sogenannten Spitzenkandidaten Armin Laschet getroffen, der sich seit diesem Parteitag wegduckt und nicht mehr in dieser Frage Stellung bezieht . ({12}) Er war sogenannter Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, ein großer Fan der doppelten Staatsbürgerschaft . Ich könnte die vielen Stapel an Interviews mitbringen und vorlesen, was er alles gesagt hat, aber ich habe nicht die entsprechende Zeit . Nach dem Parteitag in seiner Heimat, in Essen, ist er sprachlos, und das ist das Problem . Sie haben damit einen Riesenschaden für Ihren Wahlkämpfer verursacht . Das müssen Sie auch aushalten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU . ({13}) Wir haben als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diesen Wandel in Nordrhein-Westfalen organisiert . Deswegen sage ich Ihnen eine Sache voraus: Armin Laschet wird nicht Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens . ({14}) Ich sage Ihnen eine zweite Sache voraus: Egal wie die Bundestagswahl ausgeht, Sie werden, außer den Populisten, wenn die überhaupt in das Parlament kommen, niemanden finden, der mit Ihnen diesen sogenannten Rücknahmebeschluss der Optionspflicht umsetzt, und das ist das Problem, und das müssen wir sehr deutlich sagen . ({15}) Für alle Menschen, die in diesem Land jetzt verunsichert sind, die sich Sorgen machen und sich fragen: „Gilt denn das noch, was wir beschlossen haben?“, lese ich es noch einmal vor - es steht in unserem Koalitionsvertrag -: Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen. Diese Vereinbarung gilt, und auf deren Einhaltung werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Großen Koalition achten, und daran werden wir Sie erinnern, meine Damen und Herren . Ich glaube, da stehen wir an der Seite derjenigen in Ihrer Partei, die noch mit Ihrer Kanzlerin mitgehen . ({16}) Abschließend: Weil es so ist und weil es einige hier auch gesagt haben, will ich mit dieser Tradition nicht brechen . Es ist bald Weihnachten . Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, eine ruhige Zeit . Die Bescherung hat der CDU-Bundesparteitag angerichtet . Danke . ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Stephan Mayer hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich habe gehofft, dass diese letzte Debatte vor der Weihnachtspause in einer vorweihnachtlichen, ruhigen, sachlichen, unaufgeregten Form abläuft. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. ({0}) Wenn man sich als objektiver Beobachter der Debatte die Reden der Opposition und leider auch der SPD angehört hat mit den Vorwürfen, die uns als CDU/CSU gemacht wurden, dann ist man, glaube ich, erstaunt . Da kamen die Vorwürfe: Hetze, Populismus, Ideologie, Rassismus, Türkenfeindlichkeit . Kein Vorwurf, den Sie uns gemacht haben, war Ihnen zu billig . ({1}) Ich sage Ihnen eines ganz deutlich, weil Sie uns, der CDU/CSU, jetzt mehrmals den Vorwurf gemacht haben, wir würden mit der Debatte zur Spaltung der Nation, zur Spaltung unseres Volkes, beitragen: ({2}) Das Gegenteil ist der Fall . Sie tragen mit Ihrer Rhetorik und Ihren unerhörten Vorwürfen zur Spaltung und zur Polarisierung unserer Gesellschaft bei . ({3}) Ein verständiger und neutraler Beobachter dieser Debatte muss doch den Eindruck haben, dass Sie an der Realität in unserem Land vollkommen vorbeidiskutieren . ({4}) Ich möchte eines klarstellen: Frau Kollegin Künast, Ihr Kollege Mutlu hat behauptet, mein Kollege Harbarth hätte Ihnen ein falsches Zitat in den Mund gelegt . Sie wissen, ich bin Ihnen zur Seite gesprungen und habe viel Verständnis für Ihren Unmut über die jüngste Fake News, die Ihnen zugeschrieben wurde . Aber mein Kollege Harbarth hat vollkommen recht: Sie haben dieses Zitat bezüglich der Vorgehensweise von Polizisten in Moscheen in einer Sendung von Maischberger gebracht, und zwar am Dienstag, den 6 . Oktober 2015 . ({5}) Ich wollte das hier nur richtigstellen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen . ({6}) Ich möchte deutlich machen: Ich habe Sympathie für den Parteitagsbeschluss der CDU, was die Rückkehr zur früheren Rechtslage anbelangt . Ich möchte auch hervorheben: Worüber regen Sie sich von den Grünen und von der SPD auf, wenn die CDU oder auch die CSU in einem Beschluss die Rückkehr zur früheren Rechtslage fordert? ({7}) Genau Sie haben diese Rechtslage 1999 herbeigeführt . ({8}) Sie wenden sich gegen etwas, wofür Sie 1999 selbst waren . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben in dieser Legislaturperiode das Staatsangehörigkeitsrecht verändert. Wir haben die Optionspflicht nicht abgeschafft, sondern nur eingeschränkt. Ich möchte auch keinen Hehl daraus machen: Das war nicht unser Wunsch, das war der Wunsch unseres Koalitionspartners . Wir haben uns insofern koalitionsvertragstreu verhalten . ({9}) Wir haben die Optionspflicht unter bestimmten Voraussetzungen für die Menschen aufgehoben - sie konnten also beide Staatsbürgerschaften behalten -, bei denen es klare Indizien dafür gibt, dass sie in die deutsche Gesellschaft integriert sind . Die Voraussetzungen dafür sind, dass sie bis zu ihrem 21 . Lebensjahr mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben, sechs Jahre zur Schule gegangen sind oder einen erfolgreichen Schulabschluss oder einen erfolgreichen Berufsschulabschluss gemacht haben . Das sind klare Indizien . Ich bin auch der Überzeugung, es wäre jetzt falsch, in gesetzgeberischen Aktionismus zu verfallen ({10}) und in der laufenden Legislaturperiode noch einmal Hand an das Staatsangehörigkeitsrecht zu legen . Ich möchte aber auch die Frage stellen, ob wir nicht vielleicht vorschnell gehandelt haben . Führen wir uns die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate vor Augen: den Putschversuch in der Türkei am 15 . Juli dieses Jahres, in der Folge davon die innerstaatlichen Konflikte in der Türkei, die auch klare Auswirkungen in Deutschland haben . Auch in Deutschland gab es Demonstrationen von türkischen Staatsangehörigen und von deutschen Staatsangehörigen türkischer Herkunft für Erdogan und gegen Erdogan . Wir haben doch klar gesehen, dass diese Vorkommnisse in der Türkei, auch die bilateralen Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland, auf unser Land nicht ohne Auswirkungen geblieben sind und nicht ohne Auswirkungen bleiben . Deswegen ist die Frage vollkommen berechtigt: Wem gilt die Loyalität eines türkischen Staatsangehörigen oder eines deutschen Staatsangehörigen türkischer Herkunft, wenn er in Deutschland demonstriert? Gehört die Loyalität dem Volk mit einer Bundeskanzlerin Angela Merkel Stephan Mayer ({11}) oder dem Volk mit einem Präsidenten Erdogan? Das ist doch eine berechtigte Frage, Herr Kollege Lischka . ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind klar der Auffassung: Es muss beim Grundsatz bleiben, dass man nur eine Staatsangehörigkeit hat, die Mehrstaatigkeit muss die Ausnahme bleiben . Es ist ein Irrglaube, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition und von der SPD, zu denken, dass man Integration über einen Ausweis erreicht . ({13}) Man erreicht Integration über tatsächliche Maßnahmen . Eines möchte ich Ihnen zum Abschluss ins Stammbuch schreiben . Erst seit Angela Merkel im Bundeskanzleramt sitzt, ist Integration ganz oben auf der politischen Agenda angekommen . ({14}) Sie haben immer nur geschwätzt und geredet . ({15}) Aber Sie haben für Integration nichts getan . - Ich möchte zu meiner Hoffnung zurückkehren, dass wir die weitere Debatte in der erforderlichen Sachlichkeit und auch in der erforderlichen Ruhe führen können . Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, in der verbleibenden Zeit der Legislaturperiode das Staatsangehörigkeitsrecht so zu belassen, wie es ist . ({16}) Aber im Wahlkampf werden wir mit Sicherheit mit unseren Wählerinnen und Wählern über dieses gesellschaftspolitisch wichtige Thema sehr intensiv diskutieren . Das werden wir von der CDU und von der CSU machen . ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich war aus rein persönlichen Gründen nicht auf dem Bundesparteitag der CDU, aber ich bin der Jungen Union sehr dankbar, dass sie diesen Antrag eingebracht hat und damit eine Diskussion ermöglicht und eröffnet hat, die ich für absolut notwendig halte und auch keineswegs rückwärtsgewandt finde. Denn es geht doch primär gar nicht darum, die doppelte Staatsbürgerschaft an sich infrage zu stellen oder Beschlüsse, die der Bundestag in dieser Legislaturperiode gefasst hat, infrage zu stellen oder abzuändern . Es geht doch in Wahrheit um die Frage - das ist der linken Seite dieses Hauses offensichtlich sehr unangenehm -, ob man ein Gesetz oder eine Regelung nicht auch einmal hinterfragen darf und muss . ({0}) Sie fordern bei allen sicherheitspolitischen Gesetzen, die wir im Bundestag verabschieden, eine Evaluation . Nur bei diesem Thema scheuen Sie die Evaluation . Da merken Sie, dass, wenn man das einmal auf die Wirksamkeit überprüft, dieser Schuss nach hinten losgeht . ({1}) - Ja, Sie aber zum Glück auch nicht . Meine liebe Kollegin Barley ist nicht mehr anwesend, aber vielleicht geben Sie es ihr weiter: Ich habe in meinem Wahlkreis mannigfach Anrufe und Anfragen von SPD-Mitgliedern und Wählerinnen und Wählern, auch von Grünen, bekommen, ({2}) die gesagt haben: Herr Brandt, setzen Sie sich dafür ein, dass das wieder zurückgenommen wird! - Wenn ich Generalsekretär der SPD wäre, dann wüsste ich, dass es in der eigenen Partei nicht nur solche Stimmen gibt, sondern dass sie auch immer lauter werden . ({3}) - Das ist etwas, das Ihnen wehtut, Herr Mutlu, und deshalb schreien Sie . Aber das nützt Ihnen nichts . Sie sollten einmal darauf schauen, was die Menschen vor Ort tatsächlich denken . ({4}) Deshalb ist es wichtig, dass man die Diskussion sachlich und ruhig führt . Der Kollege Günter Krings, aber auch andere - im Übrigen auch Sie, Herr Mutlu - haben zu Recht auf Dinge hingewiesen, die man hinterfragen muss . Es gibt zunehmend viele Doppelstaatler in unserem Lande, und zwar nicht nur Türken, sondern auch Stephan Mayer ({5}) Menschen, die aus Russland kommen, die kraft Gesetz beide Staatsbürgerschaften behalten . ({6}) Wir stellen auch fest: Die Länder, die ihre Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen - das sind Russland und auch die Türkei -, ({7}) geben sie ihnen selbst dann direkt wieder zurück, als Freifahrtschein, sobald sie sie hier abgelegt haben, ({8}) und zwar deshalb, Herr Mutlu, weil Ihr Präsident Erdogan - ({9}) - Ich weiß ja nicht, ob Sie noch die türkische Staatsbürgerschaft haben, ({10}) aber jedenfalls alle, die die türkische Staatsbürgerschaft haben, können sagen: ihr Präsident Erdogan . ({11}) Er nutzt nämlich genau die Situation für sich aus . Er macht in Deutschland Wahlkampf für die AKP und hat damit erreicht, dass 60 Prozent der in Deutschland lebenden Türken die AKP gewählt haben . ({12}) Deshalb ist es bei Rückkehr zur Sachlichkeit geboten, diese Frage zu evaluieren . Deshalb glaube ich, dass wir in den nächsten Jahren - ({13}) - Ich weiß nicht, weshalb Sie mir zurufen . ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte jetzt um Ruhe . Ich habe die Uhr angehalten, Kollege Brandt, und möchte an dieser Stelle anregen, bis zum Ende dieses Beitrages darüber nachzudenken, ob Sie eine Äußerung, die Sie eben gegenüber dem Kollegen Mutlu getätigt haben, korrigieren wollen . Das steht Ihnen natürlich frei . Dann werden wir nach Abschluss der Debatte - das sage ich jetzt schon - noch Erklärungen entsprechend § 30 unserer Geschäftsordnung zur Kenntnis nehmen . Wenn wir die Debatte fortführen - darauf mache ich aufmerksam -, hat überwiegend der Kollege Brandt das Wort . Natürlich ist das Instrument des Zwischenrufs damit nicht verboten . Ich mache noch einmal darauf aufmerksam - da inzwischen auf der Besuchertribüne ein Wechsel stattgefunden hat -, dass es in diesem Format der Debatte nicht möglich ist, mit Zwischenfragen und Bemerkungen zur Aussprache direkt auf geäußerte Inhalte zu reagieren . Deshalb eskalierte hier gerade wahrscheinlich die Situation . Wir fahren in der Debatte fort .

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Besten Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Mutlu, mit dem, was ich eben gesagt habe, wollte ich auf keinen Fall deutlich machen, dass Sie als Person Herrn Erdogan als Ihren Präsidenten ansehen . Ich wollte deutlich machen - das ist mir offensichtlich auch gelungen -, dass diejenigen in Deutschland, die eine deutsche und eine türkische Staatsbürgerschaft haben und die Möglichkeit haben, den Präsidenten in der Türkei mitzubestimmen, in einem Loyalitätskonflikt sind und dass eine solche Situation von Regimen wie denen von Herrn Erdogan und Herrn Putin ausgenutzt wird, um hier in Deutschland Politik zu machen . ({0}) Wenn Sie sich dadurch beleidigt gefühlt haben, bedauere ich das . Das war nicht meine Absicht . Ich entschuldige mich dafür bei Ihnen . Aber eines ist ganz klar - das ist der Punkt, über den wir in den nächsten Jahren nachdenken müssen -: Kann es richtig sein, dass immer mehr Menschen in Deutschland leben, die sich in einem solchen Loyalitätskonflikt befinden, oder müssen wir da nicht Schranken einbauen? - Darüber sollte die Diskussion in den nächsten Jahren gehen . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen frohe Weihnachten und ein gutes Jahr 2017 . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aussprache ist beendet . Ich erteile nach § 30 unserer Geschäftsordnung der Kollegin Renate Künast das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will etwas richtigstellen . Im Netz gibt es eine Kampagne von Rechtsextremen, die mir immer wieder etwas vorhalten, was mir heute auch Herr Harbarth vorgehalten hat . Ich bin, ehrlich gesagt, entgeistert, dass er sich auf solche Dinge bezieht . Im Netz wird immer wieder gesagt, ich hätte Polizeibeamte aufgefordert, unbedingt die Schuhe auszuziehen, wenn sie Moscheen betreten . Das ist aus dem Zusammenhang gerissen . Ich habe, soweit ich das erinnere, auf die Frage, wie ich es finde, dass Polizeibeamte beim Betreten eines Gebetsraums die Schuhe ausgezogen haben - das tun übrigens die gut ausgebildeten Polizeibeamten dieses Landes, außer es handelt sich um einen SEK-Einsatz; sie gehen ohne Schuhe in einen Gebetsraum und setzen eine Kippa auf, wenn sie in eine Synagoge gehen -, geantwortet: Ich finde das gut und richtig und würde die Beamten auch auffordern, das zu tun . - Das ist aber etwas anderes als der Zusammenhang, den Herr Harbarth oder Rechtsextreme im Netz mir unterstellen . Das will ich klarstellen . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ebenfalls nach § 30 hat jetzt der Kollege Harbarth das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache .

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, Ihnen sind in den vergangenen Tagen im Netz Aussagen untergeschoben worden, die Sie nicht gemacht haben . Das ist aus unserer Sicht erstens inakzeptabel und erfordert zweitens eine gesetzgeberische Reaktion . Hier geht es aber um einen anderen Vorgang . Nicht alles, was Sie gesagt haben, lässt sich im Nachhinein in Fake News umdeklarieren . Sie haben in der Sendung Maischberger am 6 . Oktober 2015 erklärt: Wenn der Einsatz so ist, dass man Zeit hat, die Schuhe auszuziehen, würde ich immer erwarten, dass man wegen der Religionsfreiheit diesen Respekt macht . ({0}) Daraufhin hat Frau Maischberger bei Ihnen nachgefragt: Tatsächlich? Sie haben die Aussage bestätigt: Ja . - Das können Sie nicht aus der Welt schaffen. ({1}) Diejenigen, die sich das anhören möchten, können das auf YouTube tun . Frau Künast, dann werden Sie sehen, dass zwischen dem, was ich vorhin gesagt habe, und dem, was Sie bei YouTube sehen, nicht ein Jota Differenz ist . Das ist eben der Unterschied zwischen Ihrer Integrationspolitik und unserer. Wir sind der Auffassung, dass die Spielregeln, die in Deutschland gelten, für alle Teile unseres Landes gelten, und da haben wir den sachlichen Unterschied . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte jetzt darum, auch noch bis zum Ende dieses Tagesordnungspunktes die entsprechende Ordnung herzustellen, und ich bitte um Aufmerksamkeit für die letzte Erklärung zur Aussprache nach § 30, die ich jetzt hier zulasse . Kollege Mutlu, Sie haben das Wort .

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin . - Zunächst einmal, Kollege Brandt: Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung . Aber wenn Sie, in meine Richtung blickend, zu mir sagen: „Erdogan, Ihr Präsident“ und dann versuchen, sich hier zu winden, dann sage ich Ihnen: Das ist nicht so einfach . So einfach können Sie es sich nicht machen, weil es in diesem Hause nicht zum ersten Mal passiert ist, dass aus den Reihen der CDU/CSU in meine Richtung oder in Richtung von Kollegin Dağdelen gesagt wurde: Erdogan, Ihr Präsident. Ich erinnere alle Kollegen, vor allem die der CDU/ CSU, daran, dass all die Kollegen, die aus der Türkei stammen, seit geraumer Zeit nicht in die Türkei reisen können, weil dieser Mensch, den Sie statt Herrn Gauck als unseren Präsidenten bezeichnen, nicht nur gegen uns aufgerufen hat; wir haben quasi ein Einreiseverbot . Unsere Fotos wurden steckbriefartig in der Türkei millionenfach produziert . Und jetzt wird uns immer noch die Loyalität zu diesem Land unterstellt . Viele von uns mit türkischer oder kurdischer Abstammung leben nicht nur seit Jahrzehnten hier, sondern sind als gewählte Volksvertreter in ihren jeweiligen Parteien im Übrigen auch die Kollegin Cemile Giousouf - diesem Land treu und arbeiten für die Menschen, die in diesem Land leben . Sich hinzustellen und immer noch in uns den Türken und die Türkin zu sehen, zeigt eben, wes Geistes Kind Sie sind . Das verurteile ich aufs Äußerste . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich korrigiere mich: Das Wort zu einer letzten Erklärung zur Aussprache nach § 30 hat der Kollege Brandt .

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, nicht weil ich das letzte Wort haben will, ({0}) sondern weil ich das, was ich gesagt habe -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das habe ausdrücklich ich heute hier . ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das wollte ich doch sagen . Das gönne ich Ihnen auch . Herr Mutlu, ich wollte Ihnen eines erwidern, und zwar nicht mit meinen eigenen Worten, sondern mit den Worten in einer Kolumne von Jakob Augstein in Spiegel online, der zu dem Loyalitätskonflikt, den ich deutlich machen wollte und noch will, gesagt hat: Es wird noch Jahre dauern, aber eines Tages werden wir uns fragen müssen: Welchen Ministern und Präsidenten und Premiers werden die künftig Loyalität schulden? Das ist der Kern, um den es mir geht und ging bei dem, was ich eben gesagt habe . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet . Gleichwohl bleiben uns diese gesellschaftliche Debatte und auch das Ziehen der Schlussfolgerungen daraus erhalten . Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18 . Januar 2017, 13 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen ein friedvolles und fröhliches Weihnachtsfest sowie einen guten Start in das Jahr 2017 . Die Sitzung ist geschlossen .