Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Wir können gleich in unsere Tagesordnung einsteigen, weil es
bedauerlicherweise nicht einmal Geburtstage nachzufeiern gibt. Das muss uns aber nicht daran hindern, mit der
sonst auf diesem Wege hergestellten Fröhlichkeit in die
Beratung einzutreten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei
der Mandatierung von Auslandseinsätzen der
Bundeswehr“
Drucksache 18/766
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({0})Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
GeschäftsordnungInnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
EntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({1}),
Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und
Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“
Drucksache 18/775
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({2})Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
GeschäftsordnungInnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
EntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Für diese Debatte ist nach einer interfraktionellen
Vereinbarung eine Aussprachezeit von 96 Minuten vorgesehen. Ich vermute, dagegen gibt es keinen Widerspruch. - Das ist so. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion.
({3})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit der Einsetzung einer Kommission zur - ich zitiere - „Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“. Das
klingt technisch, vielleicht ein bisschen technokratisch.
Dahinter verbirgt sich aber in Wirklichkeit eine wichtige
und für dieses Parlament zentrale Debatte.
({0})
Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hat
in seinem Urteil im Jahre 1994 festgestellt, dass grundsätzlich jeder Einsatz der Bundeswehr im Ausland der
Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf.
({1})
- Da kann man ruhig klatschen. Ich freue mich, dass hier
so ein detailliertes Wissen vorhanden ist; das kann man
auch voraussetzen. - Die Karlsruher Richter haben damit die Bundeswehr als Parlamentsheer definiert. In seinem Lissabon-Urteil im Jahre 2009 hat Karlsruhe die
Parlamentsbeteiligung noch einmal gestärkt, sodass sie
heute - das konnten wir eben erleben - ein unumstößlicher Teil der Verfassungsidentität unseres Landes ist.
({2})
Mit der Verabschiedung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes im Jahr 2005 hat der Bundestag Form und Ausmaß der parlamentarischen Beteiligung festgelegt. Dieses Gesetz hat sich bewährt. Es hat dem Deutschen
Bundestag eine stärkere Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik gegeben, hat die Rolle unseres Parlamentes
über die Detailentscheidung hinweg erweitert. Ich
glaube, dass das gut so ist.
({3})
Diese Beteiligungsrechte wollen wir sichern.
({4})
In unseren Diskussionen müssen wir allerdings den
Trend zu integrierten Stäben und Strukturen von Streitkräften berücksichtigen. Diese Entwicklung hat zum einen ökonomische Gründe. Wir alle kennen den Druck
auf die Verteidigungshaushalte, nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren Verbündeten in Europa
und in Nordamerika. Zum anderen hat diese Entwicklung politische Gründe.
({5})
Schon heute - das wissen Sie alle; wir kennen das aus
der Parlamentspraxis und den Diskussionen, die wir in
diesem Hause führen - wirken immer mehr deutsche
Soldatinnen und Soldaten in integrierten Strukturen und
Stäben auf NATO- und EU-Ebene mit.
Meine Damen und Herren, diese Arbeits- und Aufgabenteilung innerhalb des Bündnisses muss auch zukünftig nicht nur mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar
sein, sondern sie muss auch funktionieren. Die Große
Koalition hat deshalb die Einsetzung einer Kommission
in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen. Das, was wir Ihnen vorschlagen wollen - ich möchte das zitieren, damit
keine Legenden entstehen -, ist ganz einfach und klar.
Wir wollen eine Kommission einsetzen, die - ich zitiere „binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können“.
({6})
Die Kommission soll dazu Vorschläge erarbeiten.
({7})
Wir sind uns alle einig, dass die Bundeswehr auch in
Zukunft ein Parlamentsheer bleibt. Die parlamentarische
Beteiligung hat sich bewährt und ist eine Grundlage für
die Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung.
Sie verschafft den Einsätzen Legitimität und sichert demokratische Kontrolle.
Ich bin auch davon überzeugt: Für unsere Soldatinnen
und Soldaten ist es wichtig, zu wissen, dass dies der Ort
ist, an dem über jeden Einsatz diskutiert und entschieden
wird. Ein wichtigeres Signal zur Unterstützung der
schwierigen Arbeit der Bundeswehr kann es nicht geben.
({8})
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, betrachten wir als Sozialdemokraten die Parlamentsbeteiligung
nicht als Schwäche, sondern als Stärke der deutschen
Politik und keineswegs als Bürde.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von den Grünen, ich hätte mich sehr darüber gefreut, wenn wir heute
über einen gemeinsamen Einsetzungsantrag hätten beraten können.
({10})
Denn es ist manchmal schwieriger, sich an komplizierten
und komplexen Fragen zu beteiligen, als hier herumzupöbeln.
({11})
Herr Kollege Annen, gelegentliche auch etwas kräftige Zwischenrufe rechtfertigen die Charakterisierung
als Pöbelei noch nicht.
({0})
Herr Präsident, ich nehme das natürlich zurück.
({0})
Ich bin mir sicher, dass sich hinter der etwas erhöhten
Lautstärke ein konstruktiver Vorschlag verborgen hat.
({1})
Aber ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Ich hätte es gut gefunden, wenn wir einen gemeinsamen
Antrag eingebracht hätten. Ich verstehe, dass das eine
komplexe Materie ist und dass damit vielleicht auch Befürchtungen verbunden sind; ich bin aber überzeugt,
dass wir diese ausräumen können. Deswegen werden wir
auch weiterhin den Versuch unternehmen, mit Ihnen zu
einer Vereinbarung zu kommen.
Ich finde es deswegen auch gut, dass wir heute nicht
über den Antrag abstimmen, sondern ihn erst einmal an
die Ausschüsse überweisen. Das kann ich Ihnen versprechen: Wir werden uns weiterhin um eine Verständigung
auf einen gemeinsamen Auftrag bemühen.
Eines will ich Ihnen noch sagen: Man hatte nach der
Lektüre des einen oder anderen Presseberichtes und bei
der einen oder anderen Äußerung von Ihnen ein bisschen
den Eindruck, als würden wir heute über die Ergebnisse
der Kommission diskutieren. Wir diskutieren aber über
die Einsetzung einer Kommission.
({2})
Eine Vorfestlegung vonseiten meiner Fraktion auf mögliche Ergebnisse gibt es nicht.
({3})
Ich will noch eines draufsetzen: Selbst die Möglichkeit,
dass am Ende der Beratung das Ergebnis steht, dass wir
vielleicht gar nichts an dem Gesetz verändern, steht im
Raum. Das ist durchaus möglich.
({4})
Deswegen, meine Damen und Herren: Beteiligen Sie
sich an den notwendigen Diskussionen! Denn ich
glaube, dass man eines klar sagen muss: Wer für eine
europäische Armee als langfristige Vision ist - das habe
ich hier von Vertreterinnen und Vertretern nicht nur meiner Partei von diesem Podium aus häufig gehört -, muss
auch die schwierigen Debatten führen. Denn eines ist
doch klar: Die Aufgabe von Souveränitätsrechten der
einzelnen Staaten setzt gegenseitiges Vertrauen voraus.
Wir wissen doch, dass es auch Interpretationen unserer
Parlamentsbeteiligung bei europäischen Nachbarn gibt,
die dazu führen, dass Misstrauen herrscht und dass sich
Verbündete fragen: Wenn wir gemeinsame Fähigkeiten
schaffen und damit Souveränitätsrechte abgeben, können
wir uns am Ende eigentlich darauf verlassen, dass
Deutschland, der Deutsche Bundestag und die deutsche
Regierung, dann die entsprechenden Fähigkeiten zur
Verfügung stellt, wenn es nötig ist?
Ich sage Ihnen ganz klar: Ich als Parlamentarier bin es
manchmal leid, auf Konferenzen und in Diskussionen
immer wieder zu hören, die deutsche Parlamentsbeteiligung sei sozusagen ein Hindernis für Bündnistreue.
Wenn wir ganz ehrlich sind - ich beziehe das nicht auf
die amtierende Regierung, sondern allgemein auf das
Verhältnis zwischen Regierung und Parlament -, müssen
wir zugeben: Wir haben das eine oder andere Mal gehört, dass sich unterschiedliche Bundesregierungen ein
bisschen hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt haben.
({5})
Deswegen will ich Ihnen sagen: Eine Regierung, die
überzeugt ist, dass ein Einsatz notwendig ist, kann jeden
Einsatz im Deutschen Bundestag durchsetzen und hat
bisher auch jeden Einsatz, den sie für notwendig erachtet
hat, im Deutschen Bundestag durchgesetzt. Mit anderen
Worten: Die Parlamentsbeteiligung ist kein Hindernis,
sondern eine Stärke. Aber darüber, wie wir das in der
europäischen Praxis umsetzen, müssen wir diskutieren.
Dabei müssen wir uns auch kritischen Fragen stellen.
Dazu möchten wir Stellungnahmen von Expertinnen und
Experten - das ist die einzige Aufgabe der nun einzusetzenden Kommission -, aber auch den Beitrag aus dem
Parlament berücksichtigen, um binnen Jahresfrist darüber zu entscheiden.
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist geprägt - das wissen wir alle - von den Erfahrungen unserer Vergangenheit. Ich glaube, sie ist ein Garant dafür,
dass die Kultur der militärischen Zurückhaltung, sichergestellt durch unsere Beteiligung, auch in Zukunft ein
Charakteristikum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bleiben wird.
({6})
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Danke sehr, Herr Präsident. - Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Niels Annen hat
in einem einzigen Punkt recht: Es soll über die Einsetzung einer Kommission debattiert werden, die sich damit zu befassen hat, inwieweit das Parlament gefragt
werden muss, wenn die Bundeswehr im Ausland eingesetzt wird. Einsätze im Ausland bedeuten sehr oft
Kriegseinsätze. Wir reden über den Einsatz der Bundeswehr in Kriegen. Das ist der Hintergrund; darauf muss
man zurückkommen.
Mit dem, was Herr Annen zum vorliegenden Antrag
gesagt hat, hat er in keinem Punkt recht. Die Einsetzung
der Kommission ist mit einem Auftrag gekoppelt. Der
Auftrag lautet nicht - das taucht an keiner Stelle im Antrag auf -, die Parlamentsrechte zu stärken, sondern er
lautet, Parlamentsrechte zurückzunehmen. Das ist der
Hintergrund des vorliegenden Antrags.
({0})
Da ich die Debatten aus der Union kenne, hätte mich das
nicht so beschäftigt. Aber dass das auch von Sozialdemokraten mitgetragen und vorgelegt wird! Das ist der
Preis für die Regierung, die Sie gebildet haben und die
eine andere politische Ausrichtung hat. Darum kann man
nicht herumreden.
({1})
Was hier vorliegt, bedeutet nichts anderes als eine Aufweichung der Parlamentsrechte.
Kollege Annen, man sollte schon einmal einen Gedanken darauf verschwenden, in welcher Situation wir
über so etwas reden. Ich gehöre zu einer Generation, die
geglaubt hat, dass das Thema Krieg nicht mehr ein
Thema unserer Zeit ist. Ich war immer sicher, dass
meine Tochter und mein Enkelkind nicht mehr mit Krieg
befasst sein werden. Ich finde es katastrophal, dass mit
dem Jugoslawien-Krieg der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist und dass wir mit dem Afghanistan-Krieg in
einen großen Krieg verwickelt sind. Ich befürchte angesichts der Debatte über die Krim und der dortigen Situation, dass wir wieder in eine Phase des Kalten Krieges
oder zumindest in eine Phase der Aufrüstung kommen.
Vor diesem Hintergrund Parlamentsrechte abbauen zu
wollen, ist einfach unverantwortlich. Dem Vorwurf müssen Sie sich stellen.
({2})
Eigentlich müsste man jetzt einen Abschnitt mit den
Worten einleiten: Es war einmal. Es war einmal eine Republik, die einen Art. 26 im Grundgesetz hat, nach dem
die Beteiligung an Angriffskriegen unter Strafe zu stellen ist. Es war einmal eine Republik, in der die Bundeswehr ausschließlich zur Verteidigung eingesetzt werden
sollte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist bereits eine Aufweichung dieser Position. Ich will Ihnen
nur drei Zahlen vortragen: Seitdem waren 320 000 Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen. Soll das fortgesetzt werden? In 24 Ländern ist die Bundeswehr eingesetzt worden. Insgesamt betrugen die einsatzbedingten
Zusatzkosten fast 18 Milliarden Euro. Ist das der Kurs,
der mit dieser Kommission gesteuert werden soll?
Es lohnt sich, sich die Sache im Einzelnen anzuschauen. Wenn man Ihren Antrag liest, stellt man fest,
dass er noch nicht einmal ergebnisoffen ist. Das Ergebnis, das Sie erreichen wollen, ist im Text festgehalten.
Das ist doch für jeden klar. Ich hätte keinen Anlass, das
Gesetz über den Parlamentsvorbehalt zu verteidigen. Es
hat bei keiner Abstimmung geholfen, einen Einsatz der
Bundeswehr zu verhindern, wie ich es gerne gehabt
hätte. Es bringt aber drei Vorteile mit sich, die ich verteidigen möchte:
Erstens sind Parlamentsrechte auch in dieser Frage
besser als Regierungsrechte, und Parlamentsrechte muss
man verteidigen.
({3})
Der zweite Vorteil ist: Es zwingt zu einer gewissen
Transparenz. Jede Regierung wird ihre Absichten hier
im Parlament zu erklären und zu begründen haben. Das
bietet nicht nur die Chance zur Gegenrede, sondern es
bietet auch die Chance, dass sich die Bevölkerung selbst
eine Meinung bilden kann, ob sie einen Einsatz will oder
nicht. Das ist für mich ein wichtiges Argument. Deswegen will ich, dass die Parlamentsrechte ausgebaut und
nicht abgebaut werden.
({4})
Der dritte Punkt ist: Ich möchte, dass jeder hier die
Verantwortung übernimmt, wenn er Ja sagt, aber auch,
wenn er Nein sagt. Jeder soll offen die Verantwortung
für die Soldaten übernehmen und sich nicht in der
Anonymität verstecken. Man soll sich namentlich dazu
bekennen müssen, ob man einen Einsatz will oder nicht.
Auch das ist ein großer Fortschritt durch das Gesetz:
dass Verantwortung namentlich wahrgenommen wird
und nicht anonym bleibt. Deswegen möchte ich das Gesetz verteidigen.
Schauen wir uns die Anträge an. Im Koalitionsantrag
geht es um eine Abstufung der Intensität der parlamentarischen Befassung je nach Art des Einsatzes. Wie übersetzen Sie das? Es kann dann aus Ihrer Sicht Einsätze geben, über die gar nicht mehr geredet werden soll oder
nur noch am Rande? Muss dazu kein Antrag mehr gestellt werden? Wollen Sie das? Diesen Auftrag geben Sie
der Kommission, nämlich vorzuschlagen, sich nicht
mehr mit einem Einsatz auseinanderzusetzen? Das steht
in Ihrem Text. Sie schreiben, die Kommission solle „zur
Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte“ eingesetzt werden.
({5})
Da fehlt doch etwas.
({6})
Warum taucht nicht die Formulierung „Stärkung der Parlamentsrechte“ auf? Diesen Begriff vermeiden Sie in Ihrem Antrag wie der Teufel das Weihwasser.
({7})
Sie wollen die Parlamentsrechte eben nicht stärken.
In dieser Hinsicht ist der Grünen-Antrag entschieden
besser. Ich bedanke mich übrigens für die faire Bereitschaft, in dieser Frage mit uns zusammenzuarbeiten. Da
ich gerade die Grünen immer sehr robust kritisiere, kann
ich mir auch erlauben, zu sagen: Das fand ich ganz angenehm.
({8})
Herzlichen Dank dafür.
({9})
Ich sage für uns: Wenn der Auftrag der Kommission
so bleibt, wie er laut dem Antrag ausgestaltet werden
soll, dann werden wir uns an dieser Kommission nicht
beteiligen, sondern wir werden alternativ arbeiten. Wir
werden nicht der Diskussion ausweichen, aber ich
möchte nicht den Namen der Linken unter die Arbeit einer Kommission setzen, die letzten Endes empfiehlt, die
Parlamentsrechte aufzuweichen. Das machen wir nicht
mit. Deshalb werden wir in dieser Kommission auch
nicht arbeiten.
Danke sehr.
({10})
Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch von mir einen wunderschönen guten Morgen! Für
zurzeit insgesamt 13 Auslandseinsätze haben wir der
Bundeswehr ein Mandat erteilt. Das heißt, wir befassen
uns in erster und zweiter Beratung des jeweiligen Antrages in 22 Sitzungswochen des Deutschen Bundestages
26-mal mit einer Mandatsverlängerung. Wenn wir alle
einmal ehrlich sind, müssen wir feststellen: Das ist in
vielen Fällen zu einer rein förmlichen Routine geworden,
({0})
die der Aufgabe - da gebe ich allen recht -, die das Parlament haben muss, nicht gerecht wird.
Ich kämpfe seit 2005 dafür, dass wir uns einmal
grundsätzlich mit der Rolle und auch der verfassungsrechtlichen Verantwortung des Parlaments auseinandersetzen. Dass wir das heute in einer grundsätzlichen Debatte über die Form unserer Beteiligung tun, das müssten
Sie alle als eine Stärkung des Parlamentes sehen; das
müssten Sie alle begrüßen.
({1})
- Herr Trittin, ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, das
auch in Ihren Zwischenrufen zu tun.
Insofern will ich gerne begründen, warum ich die Einsetzung einer solchen Kommission für erforderlich halte.
Wir sind uns in diesem Hause, zumindest zum größten
Teil, darüber einig: Wenn Europa seine Interessen wahren und seiner Verantwortung in der globalisierten Welt
auch künftig nachkommen will, wird es einen wirksamen außenpolitischen, sicherheitspolitischen und auch
militärischen Beitrag dazu leisten müssen. Unser Außenminister hat zu Recht auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt:
Deutschland will … Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik.
Impulsgeber einer europäischen Verteidigungspolitik
zu sein, heißt insbesondere, die militärische Integration,
also nicht Alleingang, sondern Integration, in Europa voranzubringen, einschließlich im Übrigen der europäischen
Rüstungszusammenarbeit. Das aber bedeutet konkret
mehr Verantwortung Deutschlands und mehr gegenseitige Abhängigkeit, auch mit Blick auf militärische Einsätze als äußerstes Mittel bei der Mandatierung von Bundeswehreinsätzen.
Der Außenminister hat in München weiter gesagt:
Nur wenn wir unser Gewicht gemeinsam in die
Waagschale werfen … wird Europas Außenpolitik
mehr sein als die Summe vieler kleiner Teile.
Das gilt ebenso für die europäische Verteidigungspolitik. Darum arbeiten wir an der Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU.
Wie notwendig das ist, machen doch die verschiedenen
Herausforderungen in Afrika deutlich, die wir im Moment vordringlich behandeln und die europäische und
deutsche Interessen direkt berühren.
In diesem Zusammenhang möchte ich, bevor Legenden entstehen, in aller Deutlichkeit sagen, was für uns
alle selbstverständlich ist:
Erstens. Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel. Er darf aber auch nicht verweigert werden, wenn europäische und deutsche Interessen betroffen sind.
({2})
Zweitens. „Wir wollen“, so heißt es in der Koalitionsvereinbarung, die seit ein paar Monaten existiert, „dass
gemeinsame europäische Einsätze zur Wahrung und
Stärkung der Sicherheit Europas vorrangig in unserer
geografischen Nachbarschaft durchgeführt werden.“
Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten vermehrt regionalen Partnern und Organisationen wie der
Afrikanischen Union oder ECOWAS übertragen werden,
und diese sollten dafür ertüchtigt werden. Was wir in
Mali und künftig in Somalia tun, ist genau das, was wir
vereinbart haben: diese Länder bzw. Regionalorganisationen so zu ertüchtigen, dass sie ihre Sicherheitsprobleme künftig weitgehend eigenständig regeln können
und dass europäische Soldatinnen und Soldaten ihr Leben dafür nicht riskieren müssen. Der Weg dorthin ist allerdings noch weit; deshalb werden wir in Afrika wahrscheinlich noch weitere Einsätze zur Wahrung und
Stärkung der Sicherheit Europas leisten müssen.
({3})
- Das liegt doch auf der Hand. Den Kopf in den Sand zu
stecken, macht doch das Leben der Menschen in
Deutschland, in Europa und auch in Afrika, die direkt
unter diesen Bedrohungen zu leiden haben, nicht sicherer.
Tatsache ist aber auch: Unsere Fähigkeiten und Kapazitäten sind begrenzt. Es ist deshalb unbestritten, dass erhebliche Fortschritte, insbesondere in den Bereichen
Transport, Luftbetankung, medizinische Versorgung und
Aufklärung, erforderlich sind. Zugleich aber haben alle
EU-Länder mit rückläufigen Verteidigungsbudgets zu
kämpfen. In der Konsequenz heißt das, dass wir diese notwendigen Fortschritte nur durch Zusammenlegung von
Kapazitäten und durch eine vertiefte Aufgabenteilung erreichen können. Deswegen haben wir uns in unserer Koalitionsvereinbarung dafür ausgesprochen, soweit sinnvoll
und möglich nationale militärische Fähigkeiten und Kapazitäten im Rahmen von Pooling und Sharing zu nutzen. Mit anderen Worten: Nationale Streitkräfte werden
integriert und sind voneinander abhängig. Deutschland
ist heute beispielsweise durch die AWACS-Aufklärungsflugzeuge, durch Battle Groups und durch das Eurocorps
in gegenseitiger Abhängigkeit mit seinen europäischen
Partnern.
Konzepte vertiefter Aufgabenverteilung funktionieren allerdings nur, wenn sich die Partner darauf verlassen können, dass Deutschland grundsätzlich zu einem
Einsatz seiner Streitkräfte bereit ist. Die deutsche Politik
- damit auch hier keine Legenden entstehen - muss
selbstverständlich weiterhin bei jeder einzelnen Mission
entscheiden, ob deutsche Streitkräfte daran teilnehmen
oder ob sie aus gravierenden Gründen nicht daran teilnehmen sollen. Allerdings sage ich auch: Letzteres muss
eher ein Einzelfall bleiben, sonst würde Deutschland von
unseren Partnern als Hinderungsgrund angesehen werden mit der Konsequenz, dass Pooling und Sharing mit
Deutschland nur leere Worthülsen sind.
Das alles hat auch seine Bedeutung für die Rechte des
Bundestages bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Dazu möchte ich drei Grundsatzbemerkungen machen:
Erstens. Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche
Deutschlands; er ist vielmehr eine Stärke,
({4})
weil die parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr eine Grundlage
für die breite Verankerung der Bundeswehr und ihrer
Einsätze in der Gesellschaft darstellt.
({5})
Zweitens. Der Parlamentsvorbehalt war - das hat der
Kollege Annen schon völlig zu Recht gesagt - noch nie
ein Grund für Deutschland, sich einem Einsatz zu entziehen, aber er war sehr wohl ein möglicher Rechtfertigungsgrund, politisch nicht gewollte Entscheidungen gar
nicht erst auf die Tagesordnung zu setzen. Insofern geht
es mit Blick auf eine zunehmende Integration europäischer Streitkräfte um die Frage, ob die Beteiligungsrechte des Bundestages von unseren Partnern - zu Recht
oder zu Unrecht sei dahingestellt - als Hinderungsgrund
angesehen werden in Bezug darauf, sich mit Deutschland in eine vertiefte Integration wie beispielsweise eine
Anlehnungspartnerschaft zu begeben. Das wird zu klären sein. Wenn dies so gesehen wird, dann stellt sich die
Frage, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen und
welche Veränderungen wir für erforderlich halten.
Drittens. Durch die zunehmende Integration europäischer Streitkräfte wird es künftig möglich sein - auch
das spreche ich ganz offen an -, dass deutsche Soldaten
in einen EU- oder NATO-Einsatz gehen, den die deutsche Regierung und der Deutsche Bundestag aus eigener
Initiative - ich betone: aus eigener Initiative - nicht auf
die Tagesordnung gesetzt hätten. Ich erinnere beispielsweise an die Entscheidung, im Zusammenhang mit dem
Libyen-Konflikt deutsche Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen über Afghanistan einzusetzen, obwohl
man das eigentlich nicht wollte.
({6})
- Ja, darum geht es. Nur halten wir es für richtig, dass
wir das auch ansprechen. Wir halten es für richtig, dass
wir sicherheitspolitisch handlungsfähig sind. Wir betreiben hier doch kein Versteckspiel. Ganz im Gegenteil:
Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese drei Aspekte,
die ich gerade genannt habe, gilt es in Einklang zu bringen, wenn es um die Sicherung der Parlamentsrechte
geht. Deshalb hat die Kommission einen doppelten Auftrag:
Erstens. Sie soll rechtlich und politisch prüfen, wie
auf dem eben beschriebenen Weg fortschreitender Bündnisintegration die Parlamentsrechte gesichert werden
können.
Zweitens. Der Auftrag, zu prüfen, wie Parlamentsrechte gesichert werden können, impliziert, dass die
Kommission Handlungsoptionen erarbeiten soll, wie der
fortschreitenden Bündnisintegration durch Pooling und
Sharing sowie eine Anlehnungspartnerschaft durch eine
Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Rechnung getragen werden kann.
Diese Aufgabe soll binnen Jahresfrist erledigt werden, sodass wir noch im Laufe dieser Legislaturperiode
gegebenenfalls entsprechende Anpassungen vornehmen
können.
Lassen Sie mich abschließend noch einige Aspekte
der Arbeit der Kommission ansprechen, die deutlich machen, warum wir die Einsetzung einer solchen Kommission für notwendig und für ein Gebot der Transparenz
halten. Die Arbeit der Kommission soll sich auf folgende Aspekte konzentrieren:
Erstens soll sie die verschiedenen, künftig zu erwartenden Formen militärischer Integration aufzeigen. Ich
habe bereits die Stichworte AWACS und multinationale
Kooperation im Rahmen von Pooling und Sharing sowie
eine Anlehnungspartnerschaft genannt. Weitere Beispiele sind integrierte Hauptquartiere und Stäbe, aber
auch Ad-hoc-Hauptquartiere, wie wir sie zurzeit im Zusammenhang mit dem Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik in Larissa und Bangui haben. Wichtig ist
dabei, dass die Kommission untersucht und aufzeigt, in
welchen Bereichen durch die zunehmende Integration
möglicherweise ein Spannungsverhältnis zur derzeitigen
Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung besteht.
Zweitens ergibt sich daraus die Aufgabe, Handlungsoptionen vorzuschlagen, wie ein solches Spannungsverhältnis überwunden werden kann. Dabei soll es - wie es
in unserem Auftrag heißt - um die gesamte Bandbreite
möglicher Instrumente gehen, beispielsweise das Rückholrecht - wie wir es übrigens bereits im Gesetz haben;
das ist also nichts Neues -, befristete Einspruchsmöglichkeiten, Vorabzustimmung, Berichtspflichten, Zitierrechte oder die Einrichtung von spezifischen Gremien.
Nicht zuletzt gehört dazu - es wurde gerade genannt auch die Weiterentwicklung des Instruments einer Abstufung der Intensität der parlamentarischen Beteiligung.
Auch dafür ist bereits jetzt im Parlamentsbeteiligungsgesetz mit dem vereinfachten Zustimmungsverfahren ein
Beispiel gegeben.
Drittens - dies ist eine pure Selbstverständlichkeit;
ich erwähne es aber noch einmal - muss die Formulierung konkreter Handlungsoptionen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erfolgen.
Ich denke, allein diese Punkte machen deutlich, warum es sinnvoll und angemessen ist, für diese schwierige
Aufgabe - das sage ich mit Blick auf die Grünen - externe Fachleute hinzuzuziehen.
Meine Fraktion ist sehr dankbar, dass sich unser ehemaliger Kollege und Verteidigungsminister Volker Rühe
bereit erklärt hat, den Vorsitz für eine solche Kommission zu übernehmen.
({7})
- Ja, wir finden auch, dass er genau der Richtige ist.
({8})
Er hat als Verteidigungsminister und als Vorsitzender
des Auswärtigen Ausschusses detaillierte Erfahrungen
mit Bundeswehreinsätzen, seit das Bundesverfassungsgericht im Juli 1994 die Parlamentsbeteiligung vorgeschrieben hat.
({9})
Er kennt sich sehr genau aus mit der Entwicklung militärischer Integration. Er weiß um die Stimmungslage gegenüber Deutschland und die Erwartungen im Bündnis
und in der EU, und er hat nach wie vor ein sehr hohes
Ansehen hier im Lande wie auch im Bündnis. Wir freuen
uns ganz besonders, dass ihm mit Walter Kolbow ein
sehr erfahrener und von uns hochgeschätzter Kollege zur
Seite steht.
({10})
CDU/CSU und SPD waren sehr daran interessiert
- ich will das noch einmal sagen -, diesen Antrag gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen einzubringen. Herr
Schmidt, dies war leider nicht möglich, weil die Grünen
eine völlig andere Kommission und einen erheblich veränderten Auftrag wollten.
({11})
- Ja, es ist Demokratie, dass wir uns dem stellen und
dass wir Ihnen das Angebot machen, dort mitzuarbeiten.
({12})
Wenn Sie dieses Angebot nicht annehmen, ist auch dies
Ihre freie Entscheidung. Nur dürfen Sie sich hinterher
nicht beschweren, nicht dabei gewesen zu sein.
({13})
- Herr Trittin, es war gerade die Frage, ob man den Vergleich mit einem Vierbeiner wählen darf. Das mache ich
nicht, Herr Präsident - keine Angst. Aber Sie, als Zweibeiner, tragen mir einen zu großen Federkranz, lieber
Herr Kollege.
({14})
Der in unserem Antrag beschriebene Ansatz erlaubt
eine ergebnisoffene Kommissionsarbeit - das will ich
noch einmal ausdrücklich sagen - mit der Chance auf
konkrete Verbesserungsvorschläge und eine bessere
Wahrnehmung des Parlamentes. Die Änderungen, die
Sie von den Grünen vorgeschlagen haben, würden die
Kommissionsarbeit bereits a priori einschränken und begrenzen. Das ist im Sinne notwendiger und zugewandter
Parlamentsbeteiligung und im Sinne unserer verfassungsgemäßen Verantwortung nicht sachgerecht und
kommt unserem Selbstverständnis als Parlamentarier
nicht entgegen.
Die Erwartungen an die Arbeit der Kommission sind
hoch. Sie übernimmt eine schwierige Aufgabe. Es geht
auch in diesem Bereich um das, was Außenminister
Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat:
Deutschland muss bereit sein, sich … sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller
einzubringen.
Die Koalition ist dazu bereit.
Vielen Dank.
({15})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält jetzt
der Kollege Frithjof Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Koalitionsfraktionen wollen eine Kommission einsetzen,
die sich mit den Parlamentsrechten bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr beschäftigt, vor dem Hintergrund
der europäischen Integration und der Bündnisintegration
der NATO. Da gibt es Fragen - kein Zweifel! Deswegen
waren und sind wir auch bereit, über eine ergebnisoffene
Enquete-Kommission zu reden,
({0})
die prüft, ob es überhaupt Handlungsbedarf gibt, und,
wenn ja, welchen. Vielleicht ist ja auch eine Stärkung
der Parlamentsrechte notwendig.
({1})
Das Problem ist hier, dass Sie dazu nicht bereit sind.
Sie legen uns hier einen Text vor, der vorab eine klare
politische Zielrichtung hat: Sie wollen für eine sogenannte „Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung“ - was ist das wohl? ({2})
bei der Mandatserteilung für Auslandseinsätze der Bundeswehr „konkrete Handlungsoptionen“, also Gesetzesvorschläge, formulieren. Ihre politische Absicht ist es,
den Parlamentsvorbehalt zu relativieren; das ist in Ihrem
Antrag deutlich erkennbar, und das ist politisch falsch.
({3})
Wir reden hier über eine wichtige Errungenschaft unserer Demokratie: Der Parlamentsbeschluss gibt den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr die nötige demokratische Legitimation und sorgt davor für öffentliche Debatten. Eine solche öffentliche Debatte ist nötig; denn
nur sie schafft es, in der Gesellschaft breit abzuwägen,
ob und warum wir Soldatinnen und Soldaten in schwierige und gefährliche Einsätze schicken sollten, und nur
sie schafft es, dafür dann auch eine gesellschaftliche Unterstützung zu erzeugen.
({4})
Eine Schwächung dieses Vorgehens ist eine Schwächung
der Demokratie.
Sie erklären, Sie würden gerne einen Konsens mit der
Opposition darüber finden, wie wir mit dem Problem der
internationalen Vernetzung umgehen sollten. Was haben
Sie getan, um einen Konsens zu finden?
({5})
Die Opposition hat aus den Medien erfahren,
({6})
dass es eine Hybridkommission zu den Parlamentsrechten geben wird, die in erster Linie nicht aus Abgeordneten, sondern vor allem aus anderen Akteuren bestehen
soll. Die Namen der ausgeguckten Vorsitzenden, Herr
Rühe und Herr Kolbow, wurden gleich mitgeliefert, und
das Ziel einer Flexibilisierung des Parlamentsvorbehalts
wurde ventiliert. Spiegel Online grüßt das ahnungslose
Parlament. Das ist doch nicht in Ordnung.
({7})
Das alles passiert im Kontext der Äußerungen von Frau
von der Leyen, dass eine Kultur der militärischen Zurückhaltung in Deutschland wohl überholt sei.
Nach dieser Überraschung hat man uns dann gesagt,
dass man eigentlich auch gerne mal mit uns darüber reden möchte. Kurz danach stand dann schon der Termin
für die Debatte und die Abstimmung über Ihren Antrag
in der Plenumsvorschau. Das ist doch nicht das übliche
Verfahren, wenn man gemeinsam mit allen Fraktionen
die Schaffung einer Kommission sondiert.
({8})
Da redet man erst einmal miteinander und klärt Vorschläge ab. Das alles haben Sie nicht getan.
({9})
Ich sage Ihnen: Es ist Ihr gutes Recht, der Opposition
mit Ihrer Mehrheit eine Entscheidung zu diktieren; aber
dann heucheln Sie uns bitte nicht gleichzeitig den
Wunsch nach Konsens vor.
({10})
Danach haben wir informell einen Text bekommen
- übrigens nicht von der Union, sondern von den Sozialdemokraten - und haben Ihnen daraufhin andere Vorschläge für eine Kommission genannt, die politisch Sinn
machen würde. Fünf zentrale Punkte:
Wir wollen die klare Festlegung, dass die Kommission ergebnisoffen arbeitet. Wir wollen, dass die Möglichkeit der Stärkung der Parlamentsrechte genauso
wichtig wird wie ihre Überprüfung. Wir wollen die Vorfestlegung auf eine „Abstufung der Intensität“ der Parlamentsbeteiligung streichen. Wir wollen die Möglichkeit
integrierter Mandate prüfen, die es ermöglichen, Maßnahmen auf unterschiedlichen politischen Feldern im
Zusammenhang zu thematisieren und so transparent zu
machen. Wir wollen, dass eine Kommission, die über die
Parlamentsrechte berät, aus Abgeordneten besteht, weil
das die ureigenste Sache der Abgeordneten und des Parlamentes ist, und dass jede Fraktion außerdem zwei
Sachverständige berufen kann.
({11})
Das finden Sie auch in unserem Antrag.
Die politische Antwort war klar: Nichts davon kommt
für die Koalition infrage. Was Sie uns hier als Arbeitsauftrag für die Kommission vorlegen, das ist die gezielte
Vorbereitung, die Rechte des Parlamentes in diesen Fragen zu schwächen. Eine solche Kommission ist politisch
falsch. Die wollen wir nicht.
({12})
Wir sind auch nicht bereit, nach Ihrem politischen
Diktat dann in der Kommission das Feigenblatt für Ihr
Manöver zu geben.
({13})
Deshalb wird sich meine Fraktion an einer solchen Kommission nicht beteiligen.
({14})
Aus den Reihen der Union wird angedeutet, dass Sie
sogar überlegen, das Grundgesetz zu ändern.
({15})
Das wäre dann ein Bruch mit einer unserer wichtigsten
Verfassungstraditionen. Da müssen Sie mit unserem entschiedenen Widerstand rechnen.
({16})
- In Ihren Vorschlägen haben Sie die verfassungsrechtliche Prüfung ausdrücklich aufgenommen. Daran sieht
man doch deutlich, wo Sie hinwollen.
({17})
Tun Sie doch nicht so, als sei das kein Thema für Sie.
({18})
Nun rudern Sie zurück und tun so, als könnten Sie kein
Wässerchen trüben. In der Realität sieht es anders aus.
Gut, dass Sie auf die heutige Abstimmung verzichten
- ursprünglich war das anders geplant - und jetzt wenigstens eine Diskussion in den Ausschüssen zulassen.
Sie sollten das als Chance begreifen, die Wende zu einem ergebnisoffenen Auftrag, verbunden mit einer anderen Zusammensetzung der Kommission, zu schaffen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({19})
Rainer Arnold ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Schmidt, das waren ziemlich starke Worte,
die Sie hier gefunden haben.
({0})
Sie waren ziemlich unangemessen und auch unzutreffend.
Natürlich entscheidet nach wie vor das Parlament und
nicht die Kommission. Sie sollten nicht so tun, als ob die
Kommission irgendetwas entscheidet. Am Ende entscheiden wir im Parlament.
({1})
Überprüfen heißt nicht einschränken, sondern überprüfen heißt: überprüfen in alle Richtungen.
({2})
Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Mit der Einsetzung der Kommission verfolgen wir das Ziel - das haben
wir in unserem Antrag auch so formuliert -, auch bei einer vertieften europäischen Integration den deutschen
parlamentarischen Vorbehalt zu sichern. Das ist das eigentliche Ziel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
- die Linken spreche ich nicht an; denn mit denen geht
in diesem Bereich gar nichts -,
({3})
Herbert Wehner hat zu Recht gesagt: Wer die parlamentarischen Gremien verlässt, muss irgendwann wieder
reinkommen. - Das ist nun einmal so.
({4})
Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass Sie in den
Ausschüssen im Zuge der Beratungen über die Kommission merken, dass Sie mitgestalten können. Sie können
gerne zwei Parlamentarier dort hinschicken.
({5})
Das ist doch viel klüger, als Befürchtungen in den Raum
zu stellen, die mit der Realität der Arbeit in der Kommission nichts zu tun haben werden.
({6})
Wir sind alle gemeinsam einen langen Weg gegangen,
was den Bereich der Auslandseinsätze der Bundeswehr
betrifft: beginnend 1992 in Kambodscha bis zum heutigen Tag. Die Welt hat sich seitdem verändert. Es ist
selbstverständlich, dass Deutschland wichtige Beiträge
zu Krisenprävention und Konfliktverhütung, aber auch
zu Konfliktbewältigung und Friedenskonsolidierung
leistet. Richtig ist auch, dass wir immer wieder diskutiert
haben, inwieweit die Verfassung Auslandseinsätze legitimiert. Das ist doch keine neue Debatte.
In Art. 24 Grundgesetz steht, dass sich die Bundesrepublik an einem System der kollektiven Sicherheit beteiligen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat dies 1994
in einem Grundsatzurteil deutlich bestätigt - immer gebunden an kollektive Sicherheit -, aber auch eindeutig
festgestellt, dass der Deutsche Bundestag jedem einzelnen Einsatz vorher zustimmen muss.
In der parlamentarischen Praxis haben wir über siebzigmal zugestimmt. Gemeinsam mit den Kollegen von
den Grünen haben wir damals unter Rot-Grün ein Gesetz
auf den Weg gebracht, das die Spielregeln definiert. Das
war richtig und notwendig. Auf dieser Gemeinsamkeit
würden wir als Sozialdemokraten - ich glaube, auch die
Union - gerne bestehen. Deshalb sage ich nochmals: Sie
sind eingeladen, mitzumachen.
Das Verfassungsgericht hat mit dem AWACS-Urteil
diese parlamentarische Praxis bestätigt und unsere
Rechte gestärkt. Es bleibt dabei - mit oder ohne Kommission -: Das Völkerrecht reduziert die Einsatzmöglichkeiten Deutschlands. Der Spielraum ist sehr eng. Das
muss auch so sein. Das Grundgesetz definiert unsere
Rechte und Pflichten. Damit ist auch klar: Wenn irgendwelche Leute über Vorratsbeschlüsse nachdenken, ist das
mit unserer Verfassung nicht vereinbar und mit uns als
Sozialdemokraten nicht machbar.
({7})
Ich könnte es auch anders sagen: Die grundgesetzlichen Rechte sind viel höher zu bewerten als irgendwelche Gedanken über Effektivität und Einsatzfähigkeit der
Streitkräfte. Die Verfassung wiegt schwerer. Deshalb
sind Vorratsbeschlüsse nicht zulässig.
Richtig ist aber auch: Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit jeder Einsatzentscheidung im Parlament
die Verantwortung mit uns allen teilt. So verstehen wir
den Begriff Parlamentsarmee. Deshalb hat sich das Parlamentsbeteiligungsgesetz letztendlich bewährt. Das ist
überhaupt keine Frage. Es ist ein gutes Gesetz; es funktioniert.
Trotzdem nehmen wir wahr, dass unsere Partner in
den Bündnissen manchmal fragen: Seid ihr Deutschen
verlässliche Partner?
({8})
Diese Frage können wir nicht wegdrücken. Die ist ja latent im Raum. Da gibt es Erklärungsbedarf. Nicht das
Parlamentsbeteiligungsgesetz und unsere Verfassung im
Hintergrund sind für die Zweifel an der Verlässlichkeit
Deutschlands verantwortlich, sondern die mangelnde
Bereitschaft, manchmal auch der mangelnde Mut von
Bundesregierungen, notwendige Einsatzentscheidungen
dem Deutschen Bundestag vorzulegen.
({9})
Dazu braucht man Mut für politische Entscheidungen
und die Kraft, das Parlament damit zu befassen. Das Parlament war in vielen Bereichen sogar innerhalb von
Stunden in der Lage, Einsatzentscheidungen zu treffen.
({10})
Man kann also auch nicht damit argumentieren, das Parlamentsbeteiligungsgesetz mache die Bundesrepublik
unflexibel. Das ist alles nicht richtig.
Wir sind mit unserer Position auch nicht alleine in der
NATO. 13 von 28 NATO-Partnern haben ähnliche gesetzliche Regelungen, bei 7 NATO-Partnern ist es die
gängige politische Praxis. Wenn man beobachtet, wie die
Briten, die Franzosen und die Vereinigten Staaten in den
letzten 2 Jahren das Parlament stärker einbezogen haben,
kann man erkennen, dass sich manche NATO-Partner
unserem Weg annähern.
Nun kann man natürlich fragen: Wenn das alles so gut
ist, warum brauchen wir dann diese Kommission?
({11})
Ja, diese Frage kann man tatsächlich stellen. Ich antworte ganz ehrlich: Weil wir in einer Koalition sind
({12})
und weil man in einer Koalition auch Kompromisse
macht. So ist die Welt. Das ist keine neue Erkenntnis.
({13})
Liebe Freunde von den Grünen, wir haben nun einmal
mit der CDU einen Koalitionsvertrag abgeschlossen und
nicht mit Ihnen.
({14})
In diesem Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Lösung, eine Kommission einzusetzen, verständigt. Das ist
überhaupt kein Aufreger.
({15})
Aber jenseits der Kompromissformulierungen lohnt
es sich doch vielleicht für uns alle, liebe Kolleginnen
und Kollegen, über ein paar Klarstellungen im Parlamentsbeteiligungsgesetz nachzudenken. Es geht um
Klarstellungen. Was ist denn mit den internationalen Stäben? Im Gesetz selbst steht dazu gar nichts. In der Begründung stehen zu den Stäben zwei Bemerkungen: Im
Fall von integrierten Stäben, die ständig funktionieren,
darf Deutschland Soldaten entsenden. Sollten solche
Stäbe für spezielle Einsätze neu gebildet werden, muss
das Parlament entscheiden.
({16})
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob das eine absolut gültige Logik ist oder ob man möglicherweise die
parlamentarischen Rechte stärkt bzw. andere Regeln in
diesem Bereich definiert. Es lohnt sich doch, sich diesen
Widerspruch einmal genauer anzuschauen und zu prüfen, ob man an der einen oder anderen Stelle nicht unnötigerweise Mandate erteilt.
({17})
Das Bundesverfassungsgericht hat ja mit dem
AWACS-Urteil unsere Rechte nochmals gestärkt, indem
es - darüber waren wir alle sehr froh - die Erwartung
ausgedrückt hat, dass der parlamentarische Vorbehalt im
Zweifelsfall parlamentsfreundlich interpretiert wird.
Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht aber auch
festgestellt: Es muss mit hinreichender Klarheit sichtbar
sein, dass bei einem Einsatz die Verwicklung in eine militärische Konfrontation droht. - So lautet sinngemäß
dieses Urteil. Da frage ich mich: Wenn deutsche Schiffe
im Mittelmeer fahren, um Seesicherheit herzustellen,
was im Rahmen des Bündnisses für die deutsche Marine
ein Routineauftrag ist, ist das dann wirklich ein Einsatz
bewaffneter Streitkräfte? Darüber müssen wir doch einmal miteinander reden.
({18})
In der Vergangenheit hat dieser Parlamentsvorbehalt
auch dazu geführt, dass deutsche Bundesregierungen immer in den Rückspiegel schauen mussten, um festzustellen, ob das Parlament und die deutsche Gesellschaft
mitgehen. Das ist ein großer Vorteil des Parlamentsvorbehalts. Er verhindert Fehler von Bundesregierungen.
Mit Ausnahme der Linken, mit denen man über diesen
Punkt nicht reden kann, weil für die Linke schon der
Einsatz von fünf Soldaten, die unbewaffnet im Rahmen
einer UN-Mission Beobachteraufgaben erfüllen, einen
Kriegseinsatz darstellt - so sehen Sie das; mit Ihnen
kann man über diese Frage nicht ernsthaft diskutieren;
bei den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen ist
das anders -,
({19})
bestand in der Vergangenheit bei allen anderen Fraktionen dieses Hauses das Bewusstsein, dass der Beschluss
über den Einsatz von Soldaten und damit der Beschluss
über Krieg und Frieden, über Leben und Tod - darum
ging es bei vielen Beschlüssen, wenn auch nicht bei allen - eine Gewissensentscheidung ist. Deshalb wurde
bei fast allen Entscheidungen fraktionsübergreifend eine
Mehrheit gesucht und gefunden, und Einzelne konnten
für sich entscheiden: Ich kann das nicht mittragen. - Ich
sage das mit großem Respekt vor der Überzeugung des
Einzelnen, vor dieser Gewissensentscheidung.
Weil es diesen Grundkonsens hinsichtlich des Verfahrens gibt, bitte ich darum, dass die Grünen sich noch einmal überlegen, ob es nicht besser ist, mit am Tisch zu sitzen und die für sie wichtigen Punkte einzubringen, wenn
es um die Ausgestaltung des Parlamentsvorbehalts und
damit die Ausgestaltung dieses parlamentarischen
Grundkonsenses geht.
Ich sage Ihnen für die Sozialdemokraten und, wie ich
denke, auch für die Union: Es geht nicht um die Einschränkung des parlamentarischen Vorbehalts. Es geht
allenfalls um Präzisierungen. Ja, es kann auch um die
Stärkung des parlamentarischen Vorbehalts hinsichtlich
des Einsatzes des KSK, also der Spezialkräfte, gehen.
Auch diese Dinge würden wir in der Kommission miteinander betrachten. Warum vergeben Sie die Chance, bei
der Kommission mitzumachen?
({20})
Das wäre schade. Sie verpassen eine Möglichkeit zur
politischen Gestaltung. Sie sind eingeladen, mitzudiskutieren. Sie sind eingeladen, das Kommissionsergebnis
mitzugestalten.
({21})
Es bleibt dabei: Am Ende wird nicht die Kommission
entscheiden, sondern der Deutsche Bundestag.
Herr Kollege.
Ich bin sofort fertig. - Es bleibt dabei, dass beide Koalitionspartner sich für den Weg des Konsenses entschieden haben. Wir sind auf einen Konsens aus, und wir werden ihn auch in der Kommission und nach der
Kommission anstreben.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Alexander Neu ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Linke ist die einzige Fraktion in diesem
Haus, die bislang alle Auslandseinsätze abgelehnt hat
und das auch weiterhin tun wird. Damit vertreten wir die
gesellschaftliche Mehrheit.
({0})
In einer Umfrage von Infratest dimap vom 6. Februar
2014 sprachen sich 75 Prozent der Befragten gegen Auslandseinsätze aus. Sie hingegen missachten mehrheitlich
diesen Willen. Über 90 Prozent der Damen und Herren
in diesem Hause stimmen regelmäßig für Auslands- und
Kriegseinsätze der Bundeswehr. Nehmen Sie endlich zur
Kenntnis, dass die Mehrheit der Menschen in diesem
Land keine Auslandseinsätze möchte. Respektieren Sie
diesen Wunsch.
({1})
Ich räume ein: Sie nehmen das zur Kenntnis; aber Sie
respektieren diesen Wunsch nicht. Ihre Konsequenz ist
nicht, weniger Auslandseinsätze oder überhaupt keine
Auslandseinsätze zu beschließen, was etwas Neues
wäre, sondern Sie fordern quasi den Abbau des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, um gesellschaftliche und
parlamentarische Debatten zu verhindern. Genau das ist
der Auftrag der Kommission.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Bislang hat das Parlamentsbeteiligungsgesetz noch keinen
Krieg und noch keinen Auslandseinsatz verhindert.
Selbst der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen
Jugoslawien wurde nicht verhindert. Worin besteht also
der Wert des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, wenn
schon nicht darin, Einsätze zu verhindern? Er besteht in
der namentlichen Abstimmung. Keiner der Volksvertreter hier im Haus kann anonym bleiben und sich vor den
Wählerinnen und Wählern verstecken. Jeder läuft Gefahr, in seinem Wahlkreis und seinem Kreisverband
Rede und Antwort stehen zu müssen, und das ist eine Errungenschaft.
({2})
Genau dieses Recht der Kontrolle der Volksvertreter
durch den Bürger geht einigen in diesem Hause zu weit.
Die Bundesregierung soll wohl die Entscheidungshoheit
über Auslandseinsätze komplett zurückgewinnen und
diese gegebenenfalls an EU- und NATO-Technokraten
delegieren, ganz nach dem Motto: Wenn die Gesellschaft
zu friedlich ist und nicht kapieren will, wie wichtig eine
militärisch abgesicherte Interessenpolitik ist, dann werden wir das Recht der parlamentarischen Beteiligung
einschränken.
Wir, die Linke, sagen Nein zu diesem Demokratieabbau. Wir brauchen nicht weniger Demokratie, sondern
mehr Demokratie, auch und vor allem in der Außen- und
Sicherheitspolitik.
({3})
Das heißt übersetzt: nicht weniger Parlamentsvorbehalt,
sondern mehr Parlamentsvorbehalt.
Ich möchte hier auf zwei wesentliche Lücken bei der
Parlamentsbeteiligung eingehen. Die erste Lücke besteht
bei der Unterrichtung über den Einsatz von Spezialkräften. Obschon im Parlamentsbeteiligungsgesetz keine
Ausnahmeregelung für die Unterrichtung über den Einsatz von Spezialkräften fixiert ist, wird genau dies seit
vielen Jahren so praktiziert. Diese Ausnahme hat sogar
einen eigenen Titel: besonderes Unterrichtungsverfahren. Das Besondere an diesem besonderen Unterrichtungsverfahren ist, dass von 631 gewählten Volksvertretern gerade einmal 17 über den Einsatz des KSK
informiert werden. Das heißt, 2,7 Prozent der gewählten
Mitglieder dieses Hauses wissen, ob das KSK im Einsatz
ist. So viel zur Parlamentsarmee.
Die zweite Lücke wird uns demnächst zunehmend
polarisieren. Dabei geht es um den Einsatz unbemannter
Kampfsysteme, also Drohnen. Es ist doch ein offenes
Geheimnis, dass es auch in diesem Hause durchaus
Stimmen gibt, die die Beschaffung von bewaffneten
Drohnen begrüßen. Es muss also die Frage gestellt werden - auch in der Kommission -, wie der Einsatz von
Kampfdrohnen, sofern kein Soldat in einen entsprechenden Auslandseinsatz geht, parlamentarisch entschieden
und kontrolliert werden kann. Das ist eine ganz wesentliche Frage, die Gegenstand der Arbeit der Kommission
sein müsste. Dazu finde ich aber nichts.
({4})
Es wurden zahlreiche Argumente angebracht, warum
das Parlamentsbeteiligungsgesetz zwar super ist, man es
aber zugleich irgendwie abbauen muss. Ich möchte gar
nicht darauf eingehen; denn diese Argumente sind allesamt widerlegbar. Aber einige Redner haben ein gefährliches Argument angeführt, das den Kern der Sache
trifft: die Bündnissolidarität, integrierte Stäbe und integrierte Verbände. Es darf doch nicht sein, dass die gewählten Volksvertreter hier im Haus demokratische
Rechte für NATO- und EU-Kriege oder für Kriege aus
ökonomischen Gründen, wie ich gerade von Herrn
Annen gelernt habe, abbauen. Volksvertreter in diesem
Hause haben Demokratie zu leben und demokratische
Rechte zu verteidigen. Sie dürfen nicht die Intensität
parlamentarischer Beteiligung herabstufen. Die Frage
von Krieg und Frieden ist schlimm genug, aber sie gehört, wenn sie gestellt wird, in dieses Haus und darf
nicht an EU- und NATO-Technokraten oder Bündnispartner delegiert werden.
({5})
Genau dieses Argument, das Sie angebracht haben, zeigt
die Richtigkeit unserer Forderung nach einem Austritt
aus den militärischen Strukturen der NATO.
Einige Worte an die SPD: Zur Zeit der rot-grünen Koalition haben Sie das Parlamentsbeteiligungsgesetz geschaffen. Die Grünen waren zwar auch dabei - das ist
gar keine Frage -, aber meine Worte gehen jetzt an die
SPD. Die Frage ist, ob sich nun die SPD als Juniorpartner in der Großen Koalition daran beteiligt, genau dieses
Gesetz der parlamentarischen Beteiligung zu demontieren. Diese Frage müssen Sie beantworten. Ich bin da
sehr skeptisch. Ich hoffe, dass Sie sich in der Kommission durchsetzen werden. Die Linke wird sich an einer
Kommission, die genau dieses Ziel hat, nicht beteiligen;
denn wir wollen nicht mit in die Haftung genommen
werden. Wir werden einen eigenen Antrag einbringen,
der Ihnen nächste Woche vorliegen wird.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Philipp Mißfelder
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Neu, möchte ich zwei Klarstellungen vornehmen. Es ist richtig, dass nur der von Ihnen angegebene
Prozentsatz von Kollegen dieses Hauses regelmäßig
über den Einsatz des Kommandos Spezialkräfte unterrichtet wird. Dass Sie dies mühsam in Fleißarbeit ausgerechnet haben, spricht für die Vorbereitung Ihrer Rede.
Man muss allerdings sagen: Die Realität ist, dass der
Deutsche Bundestag zu jedem Zeitpunkt dank des bewährten Mittels der doppelten Federführung beim Auswärtigen Ausschuss und beim Verteidigungsausschuss,
die wir bei Bundeswehreinsätzen haben, unterrichtet ist.
In diesem konkreten Fall werden die Obleute unterrichtet, und zwar in der Regel persönlich durch den Verteidigungsminister bzw. die Verteidigungsministerin und den
Generalinspekteur. Wir können wirklich jede Frage, die
wir haben, stellen. Ich finde, das angewandte Verfahren
hat sich sehr bewährt. Wir können, glaube ich, insgesamt
sagen, dass es ein gutes Beispiel dafür ist, wie Regierung
und Parlament an dieser Stelle zusammenarbeiten. Sie
haben das als negatives Beispiel dargestellt. Dagegen
meine ich: Es ist keine Geheimniskrämerei, die da stattfindet, sondern ein verantwortungsbewusster Umgang
mit Informationen, zu denen ich wirklich sagen muss:
Ich wäre dagegen, dass die Bundesregierung die auf ihre
Homepage stellt. Ich finde es richtig, nämlich auch zum
Schutz der Soldaten, die dort im Einsatz sind, zum
Schutz derjenigen, die uns helfen, Informationen im Einsatzgebiet zu beschaffen - gerade in einem Fall wie
Afghanistan -, dass wir da in einem so vertrauten Kreis
zusammensitzen. Ich muss übrigens sagen, dass das Parlament dort alle Fragen stellen kann und jederzeit alle
Antworten bekommt und dass das auch nachprüfbar und
nachvollziehbar ist.
({0})
Insofern ist die Unterrichtung zum Kommando Spezialkräfte ein gutes Beispiel für die Parlamentsbeteiligung.
Zum Thema Drohnen. Da lasse ich Ihnen eines nicht
durchgehen; ich habe das hier neulich schon in einer
Rede gesagt. Wir haben im Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag intensiv diskutiert - im Auswärtigen Ausschuss und darüber hinaus ist es ebenfalls regelmäßig ein
Thema -: Wie wollen wir mit der Frage von extralegalen
Tötungen - um dieses schlimme oder beschönigende
Wort hier einmal zu benutzen - umgehen?
({1})
- Herr Ströbele, ich wollte Sie gerade loben. Herr
Ströbele hat verdienstvollerweise vor ein paar Wochen
eine Gruppe aus Pakistan hierhergebracht. Leider hat es
mit den Terminen nicht so geklappt, wie wir uns das gewünscht haben. Ich möchte unsererseits noch einmal den
Wunsch signalisieren, sich auch mit denjenigen zu treffen, die die Anliegen der Hinterbliebenen derjenigen
vertreten, die im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und
Pakistan ums Leben gekommen sind.
Die Debatte um extralegale Tötungen findet nicht nur
hier in Deutschland statt, sondern auch in den USA, wo
dieses Mittel in sehr starkem Maße angewandt wird. Eines ist in den Koalitionsverhandlungen klar geworden:
Wir sind nicht per se gegen die Drohnen, weder gegen
Überwachungsdrohnen noch gegen bewaffnete Drohnen.
Aber wir sind schon der Meinung, dass es eine fragwürdige Angelegenheit ist, dieses Mittel in der Vielzahl anzuwenden, in der das geschehen ist, oder es als Mittel
der modernen Kriegsführung so einzusetzen, wie es die
Amerikaner teilweise gemacht haben. Das ist in Amerika genauso umstritten wie bei uns. Deshalb haben wir
uns dazu klar geäußert.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal eines betonen: Sie vermengen immer bewaffnete Drohnen und unbewaffnete Drohnen. Kunduz wäre mit der Drohne nicht
passiert,
({2})
weil wir dann mehr Aufklärungsmaterial gehabt hätten.
Zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten brauchen
wir alle Informationen, die wir bekommen können. Deshalb spreche ich mich dafür aus, dass wir ohne ideologische Begrenzung auch über so etwas diskutieren, aber in
dem Rahmen, den ich gerade beschrieben habe. Das ist
genau das, was der Koalitionsvertrag an dieser Stelle
hergibt und worüber wir intensiv diskutiert haben.
Darf der Kollege Gehrcke eine Zwischenbemerkung
machen oder eine Zwischenfrage stellen?
Sehr gern.
Danke sehr, Herr Präsident. Danke sehr, Kollege
Mißfelder. - Ich wollte eigentlich keine Bemerkung machen, sondern eine Frage stellen.
Finden Sie nicht, dass das eigentliche Problem in dem
besteht, was mein Kollege Neu angesprochen hat? Ich
gehörte ja zu dem Kreis derer, die informiert worden
sind. Wir haben oft über solche Fragen debattiert. Das
eigentliche Problem ist, dass es Abgeordnete zweierlei
Informationsstände gibt. Es gibt einen ausgewählten
Kreis von Abgeordneten, der vieles - auch nicht alles wissen darf und erfährt, und einen größeren Kreis von
Abgeordneten, der das nicht erfahren darf oder soll.
Durch die Einstufung von Material als Geheim ist man ja
oftmals gehalten, darüber nicht zu reden.
Dass es Abgeordnete zweierlei Kenntnisstände gibt,
ausgewählte und nicht ausgewählte, ist, finde ich, ein demokratisches Problem. Es muss doch die Zielsetzung
sein, dass die Abgeordneten, die alle gleich verlässlich
sind, mit den gleichen Informationen Politik machen
können. Das ist meiner Auffassung nach das, was Kollege Neu Ihnen hier aufgezeigt hat. Zumindest das Pro1632
blem ist da. Sie können das beantworten, wie Sie wollen,
aber das Problem ist da.
({0})
Ich würde mir persönlich auch wünschen, dass ich
über jedes Detail, was zum Beispiel die Euro-Rettung
angeht, was wichtige Schwerpunktsetzungen im Bereich
der Verteidigungspolitik angeht oder was das PKGr angeht, umfassend informiert werden würde. Es gibt da
viele Bereiche, wo ich persönlich großes Interesse hätte,
die Dinge bis ins Detail zu erfahren. Das Problem ist
schlichtweg, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Deshalb
hat jeder hier im Bundestag ein Fachgebiet, auf das er
sich konzentriert.
({0})
- Frau Keul, bei der Euro-Rettung war es ja auch so. Wir
haben gesagt: Wir müssen aus operativen Gründen
schnell agieren. Deshalb haben wir dem Haushaltsausschuss eine besondere Verantwortung übertragen.
({1})
Mein Vertrauen in meine Fraktion zumindest - ich
weiß nicht, wie es bei Ihnen ist - geht so weit, dass ich
sage: Bei den Kolleginnen und Kollegen, die uns etwa
im PKGr vertreten, Herr Grosse-Brömer zum Beispiel,
vertraue ich darauf, dass sie dort in meinem Sinne agieren und die politische Auffassung umsetzen, für die wir
uns als Fraktionsgemeinschaft zusammengefunden haben. Das müssten Sie einfach bei sich in der Fraktion
klären. Sie sitzen ja dort. Sie können doch - selbst bei
klassifizierten Informationen - grob, ohne ins Detail zu
gehen, sagen, ob Sie bereit sind, das politisch mitzutragen oder eben nicht. Ich bin mir sicher, Herr Gehrcke
- ohne Ihnen das jetzt persönlich unterstellen zu wollen -:
Wenn bei einer freitagmorgendlichen Unterrichtung ein
Fall dabei wäre, der Ihnen nicht gefallen würde, wäre die
Wahrscheinlichkeit, dass das nachher - spätestens Freitagmittag - in der Zeitung steht, relativ groß.
({2})
Selbst wenn es nicht in der Zeitung stehen sollte, traue
ich Ihnen so viel Verantwortungsbewusstsein zu, dass
Sie -
Herr Kollege Mißfelder, ich würde vorschlagen, dass
sich der Kollege Gehrcke in der Zwischenzeit wieder
setzen darf, ({0})
Er darf sich hinsetzen, sehr gerne.
- auch damit ich die Uhr wieder laufen lassen kann.
Genau. Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie so rücksichtsvoll sind gegenüber dem Kollegen. Aber ich kenne
seine Kondition: Er ist belastungsfähig.
Ich bin der Meinung, dass wir insoweit über ein bewährtes Mittel reden; deshalb können wir es auch dabei
belassen. Ich wäre dagegen, dass sich die Kommission
mit solchen Fragen aufhält.
Es geht doch vielmehr um die Frage: Wie gehen wir
mit der Außensicht auf den Parlamentsvorbehalt um? Eines ist ja klar: Selbst wenn wir uns hier eindeutig dafür
aussprechen, es beim Parlamentsvorbehalt zu belassen
- womit wir uns im Rahmen der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bewegen -, fremdeln viele
Verbündete von uns bei diesem Instrument etwas. Wir
finden den Parlamentsvorbehalt richtig; aber wir müssen
nach außen durchaus manche Absurditäten dokumentieren, wie Herr Arnold gerade am Beispiel der internationalen Stäbe deutlich gemacht hat. Dabei geht es gar
nicht um die Frage, wer das letzte Wort hat. Ich bin der
Meinung: Wir haben hier im Deutschen Bundestag immer die Entscheidung zu treffen. Daran sollten wir
nichts ändern, und das ist übrigens auch nicht der Auftrag der Kommission.
({0})
Jetzt sehe ich einen zweiten Kollegen, der eine Frage
stellen möchte.
Der Kollege Neu würde gerne noch einmal das vorletzte Wort ergreifen. Ich bitte aber darum, das wirklich
knapp zu machen; denn wir haben uns immer auch auf
eine Gesamtredezeit verständigt, und es wird nicht leichter, sie einzuhalten, wenn diejenigen, die ohnehin das
Wort erhalten, sich zwischendurch noch zu Zwischenfragen melden.
({0})
Herr Kollege Mißfelder, Ihre Antwort auf die Frage
von Herrn Gehrcke war zwar nett, aber wenig inhaltsreich. Ich möchte noch einmal nachhaken. Es ist doch
so: Was wir im Verteidigungsausschuss über die normalen Streitkräfte erfahren, tragen wir in dieser Form auch
nicht unbedingt nach außen. Im Hinblick auf das KSK
- oder auf die SEK der Marine - möchten wir keine Namen oder sonstige Details wissen, sondern nur: Sind sie
im Einsatz, und was ist das grobe Operationsziel? Wir
haben in den vergangenen Jahren mehrfach erlebt, dass
wir stattdessen über den Spiegel bzw. Spiegel Online
- der Name ist gerade schon gefallen - informiert worden sind. Die Presse stand draußen, und die MdBs des
Verteidigungsausschusses und vermutlich auch des Auswärtigen Ausschusses waren nicht informiert, waren soDr. Alexander S. Neu
zusagen sprechunfähig. Das ist ein Problem, mit dem wir
umgehen müssen.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich ärgere ich mich genauso wie Sie, wenn ich zuerst in der Zeitung lesen
muss, dass irgendetwas geplant ist oder dass irgendetwas
passiert. Manchmal ist es aber auch so - das muss man
dazusagen -, dass von der Presse Gerüchte an uns herangetragen werden, die sich nachher dann auch als solche
entlarven. Ich muss die Informationspolitik seitens des
Bundesverteidigungsministeriums hier ausdrücklich loben. Es hat gerade in den vergangenen Monaten Fälle
gegeben, in denen schon etwas in der Presse stand, als
im Grunde noch nicht einmal eine offizielle Voranfrage
unserer Verbündeten bei uns eingegangen war.
Er darf sich auch hinsetzen.
- dass sich der Kollege Neu das Lob der Bundesregierung nicht im Stehen anhören muss.
({0})
Herr Präsident, ich habe mich extra von ihm abgewendet, um zu dokumentieren, dass die Frage beantwortet ist. Ich werde in Zukunft formal anzeigen, wenn die
Beantwortung der Frage zu Ende ist.
Das Lob geht trotzdem unvermindert weiter; denn in
der Tat ist es so, dass, gerade nachdem zu einem sehr
frühen Zeitpunkt - man kann jetzt lange darüber streiten:
wieso ist es dazu gekommen? - aus Verwaltungen etwas
herausgedrungen ist, das Verteidigungsministerium eine
sehr transparente und auch sehr frühzeitige Informationspolitik pflegt, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit und auch am Wochenende. Es ist im Kreis der Obleute unbestritten, dass diese Information stattfindet.
Aber, wie gesagt: In einem solchen Fall - er kann immer
einmal vorkommen - ärgere ich mich genau wie Sie. In
der Regel entpuppt sich das allerdings als nicht so spektakulär wie anfangs vermutet.
Zurück zur Kommission. Ich habe gerade nicht nur
unsere Regierung gelobt, sondern auch Herrn Arnold.
Was die Frage der internationalen Stäbe angeht, müssen
wir darüber reden, ob wir hier tatsächlich im Bundestag
in Grundsatzdebatten darüber diskutieren wollen, ob
Soldaten, die einem solchen Stab angehören, in diesem
Stab verbleiben sollen oder eben nicht. Der Bedeutungsrahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist so eng
gefasst, dass es bei Verbündeten von uns große Verwunderung auslöst, wenn für einen oder zwei Stabssoldaten
ein Bundestagsmandat auf den Weg gebracht werden
muss. Wir müssen uns damit beschäftigen: Wollen wir
das, oder wollen wir das nicht? Es geht hier nicht darum,
irgendwo Kampfeinsätze zu befehligen. Ich gehe sogar
noch weiter: Natürlich würden sich Verbündete von uns
beispielsweise dann, wenn die EU-Battle-Group in einen
gefährlichen Einsatz geschickt werden soll, sicherlich
wünschen, dass darüber nicht der Deutsche Bundestag
letztendlich entscheidet, sondern dass die Verteidigungsministerin das auf einer Konferenz einfach zusagen
kann. Das möchte ich nicht, um meine persönliche Meinung dazu zu sagen, weil ich der Ansicht bin, dass wir
aufgrund der Größe und des Gefahrenpotenzials letztendlich immer hier den Abwägungsprozess vollziehen,
diskutieren und auch namentlich abstimmen müssen.
Ich bin auch dafür, dass das, wie heute, in der Kernzeit stattfindet bzw. zu einer Zeit, in der das Plenum gut
besetzt ist. Insofern, glaube ich, ist das in unserem Sinne.
Trotzdem kommen wir nicht darum herum, uns auch mit
den anderen Fragen, zum Beispiel der Mitwirkung in internationalen Stäben, zu beschäftigen.
Wir haben es bei Active Endeavour gesehen: Die
Grundlagen mancher Mandate verändern sich in der
Zeit. Deshalb muss man auch überlegen, ob das Parlamentsbeteiligungsgesetz immer und zu jeder Zeit die adäquate Antwort ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Auftrag der von Ihnen gewünschten
Kommission hört sich nur auf den ersten Blick harmlos
an, er hat es aber in sich.
({0})
Wozu brauchen wir eine Überprüfung und Sicherung der
Parlamentsrechte, wenn doch das Verfassungsgericht,
wie wir es hier jetzt schon öfter gehört haben, diese sowohl 1994 als auch 2008 wiederholt betont und ihre Bedeutung bestätigt hat?
Der Parlamentsvorbehalt steht zwar nicht ausdrücklich im Grundgesetz, weil es 1949 schier undenkbar war,
dass deutsche Soldaten jemals wieder im Ausland eingesetzt werden könnten, aus dem Gesamtzusammenhang
der wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften leitet sich
allerdings ein allgemeines Prinzip ab, wonach jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf - so das Bundesverfassungsgericht 1994.
({1})
2008 wurde es dann noch konkreter: Wegen der politischen Dynamik eines Bündnissystems sei es umso bedeutsamer, dass die größer gewordene Verantwortung
für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte in der Hand des
Repräsentationsorgans des Volkes - also bei uns hier liegt. Diesbezüglich bestehe gerade kein eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum der Bundesregierung. Der Parlamentsvorbehalt sei Teil der Gewaltenteilung und nicht deren Durchbrechung.
({2})
Weiter urteilte das Verfassungsgericht: Die Reichweite des Parlamentsvorbehaltes dürfe nicht restriktiv
bestimmt werden. Vielmehr sei er im Zweifel parlamentsfreundlich auszulegen.
Ich sage Ihnen ganz klar: Eine „Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Einsatzes“, wie Sie es anstreben, ist damit nicht vereinbar.
({3})
Um das festzustellen, brauchen wir keine Kommission.
Der Parlamentsvorbehalt ist sicher, wenn sich die Regierung an die Verfassung hält.
Für den Fall, dass Sie ernsthaft erwägen sollten, Ihre
80-Prozent-Mehrheit auszunutzen, um das Grundgesetz
zu ändern, lege ich Ihnen noch einmal das Lissabon-Urteil von 2009 ans Herz. Dort stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass der Parlamentsvorbehalt zu dem
durch Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz geschützten unantastbaren Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität
gehört. Dieser Kern steht nicht zu Ihrer Disposition, und
wenn Ihre Koalition auch noch so groß ist.
({4})
Was soll das Ganze also dann? Sie suggerieren, es
gäbe ein Spannungsverhältnis zwischen fortschreitender
Bündnisintegration und Parlamentsrechten. Das sehe ich
nicht:
({5})
Erstens bedeutet Bündnisintegration keinen Automatismus der Beteiligung von Soldaten. Das will auch niemand in der NATO.
Zweitens ist das Parlament bei seiner Entscheidung
nicht weniger verantwortungsvoll gegenüber den Bündnispartnern als die Exekutive. Woher dieses Misstrauen
gegenüber den Volksvertretern?
Drittens hat der Parlamentsbeschluss noch nie zu einer Verzögerung irgendwelcher Einsätze geführt. Das ist
schlicht erfunden.
({6})
- Doch, das haben Sie gesagt.
({7})
Auch das Eilverfahren bei Gefahr in Verzug hat in der
Praxis funktioniert. Leider haben Sie sich geweigert, die
Evakuierungsaktion in Libyen 2011 anschließend zur
Genehmigung vorzulegen, sodass wir auch dort wieder
das Bundesverfassungsgericht bemühen mussten.
Viertens kann es bei einem bewaffneten Einsatz keine
Bagatellfälle geben; denn der Einsatz von Waffengewalt
ist nie eine Bagatelle.
({8})
Dennoch wird in regelmäßigen Abständen aus der
Union heraus der Parlamentsvorbehalt ohne sachlichen
Grund problematisiert. Diesmal haben Sie sich vom
NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 inspirieren lassen, als es darum ging, wie man Kosten durch engere
Zusammenarbeit sparen könnte.
Es gibt viele Gründe, warum die Zusammenlegung
von militärischen Fähigkeiten so schwerfällt. Die Parlamentsrechte gehören definitiv nicht dazu.
({9})
Statt unnötige Kommissionen ins Leben zu rufen,
wäre es Ihre Aufgabe gewesen, gegenüber den Bündnispartnern für die Vorteile einer Parlamentsarmee wie der
Bundeswehr zu werben und die bestehenden Missverständnisse auszuräumen. In dieser Hinsicht haben Sie
völlig versagt.
({10})
Der Parlamentsvorbehalt ist keine pazifistische Marotte, sondern dient der demokratischen Legitimation der
Entsendung von Soldaten zur Durchsetzung des Gewaltmonopols des UN-Sicherheitsrates. Teilweise haben unsere Partner die Vorteile trotzdem erkannt und von uns
gelernt, wie bei den Debatten im US-Kongress oder im
britischen Unterhaus im Zusammenhang mit dem Syrien-Krieg zu sehen war. Unseren Streitkräften tun Sie
mit einer Abkehr von diesem Prinzip jedenfalls keinen
Gefallen. Denn gerade die sind dringend auf eine breite
öffentliche sicherheitspolitische Debatte angewiesen.
({11})
Der Parlamentsvorbehalt muss in der Tat vor einer
Gefahr gesichert werden: Und das sind Sie und diese
Kommission.
({12})
So, wie unsere Parlamentsarmee uns verteidigen soll,
werden wir unsere Parlamentsarmee verteidigen, wenn
es sein muss. Darauf können Sie sich verlassen.
Was ist das überhaupt für eine merkwürdige Zusammensetzung, die Sie sich da ausgedacht haben? Wenn es
schon keine Parlamentarierkommission geben soll, dann
sollte es wenigstens eine Expertenkommission geben,
für die wir die Experten einvernehmlich bestimmen. Sie
haben sich aber schon 80 Prozent Ihrer Experten geKatja Keul
bucht. Wenn die Opposition mitreden will, darf sie aber
keine Experten benennen.
({13})
Das zeugt nicht von einem ergebnisoffenen Prozess, bei
dem wir irgendetwas bewegen könnten. Deswegen werden wir uns dafür auch nicht hergeben.
({14})
Wenn Sie unsere Parlamentsrechte beschneiden wollen, müssen Sie das ohne uns tun. Wir machen da nicht
mit.
Vielen Dank.
({15})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Henning Otte das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundeswehr ist als Streitkraft der Bundesrepublik Deutschland eine Parlamentsarmee. Das hat
historische Gründe und verlangt von der jeweiligen Bundesregierung eine besondere Rechtfertigung und Begründung für die Entsendung deutscher Soldaten in Einsätze, die außerhalb unseres Landes stattfinden. Daran
gibt es gar keinen Zweifel. Die Linken tun gerade so, als
stünde der Weltuntergang kurz bevor. Ich kann auch der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nur sagen: Lassen Sie
die Kirche im Dorf.
Ich will versuchen, aufzuzeigen, wie die Sachlage
wirklich ist. Mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz, das
2005 in Kraft getreten ist, wurde eine Praxis bei Auslandseinsätzen bestätigt, die auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 zurückgeht. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt die Beteiligung der Legislative in
Deutschland, also des Deutschen Bundestages, an der
Entscheidung über Einsätze von Streitkräften im Ausland. Mit diesen weitreichenden Bestimmungsrechten
soll mit dem sogenannten Parlamentsvorbehalt erreicht
werden, dass Soldaten nicht ohne Zustimmung des Parlaments in Auslandseinsätze entsendet werden dürfen,
bei denen sie in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden oder eine Einbeziehung zu erwarten ist. Die
Bundesregierung muss daher rechtzeitig vor Beginn des
Auslandseinsatzes einen Antrag mit detaillierten Angaben zu den Kosten, zu der geplanten Zahl der Soldaten,
zu den Fähigkeiten und zur voraussichtlichen Dauer des
Einsatzes stellen.
Vorbereitende Maßnahmen, Hilfs- und humanitäre
Einsätze, bei denen Waffen nur zur Selbstverteidigung
mitgeführt werden, gelten nicht als Einsatz. Eine Einschränkung besteht bei Gefahr im Verzuge oder bei Rettungsmissionen, wenn durch Bekanntwerden dieser Mission die zu Rettenden in Gefahr geraten. Hier muss die
Bundesregierung den Deutschen Bundestag aber sofort
anschließend und umfassend mit diesem Auftrag befassen. Verweigert das Parlament die nachträgliche Zustimmung, dann ist der Einsatz zu beenden. Es besteht also
ein sogenanntes Rückholrecht.
Für kleinere Auslandseinsätze mit wenigen Soldaten
gibt es ein vereinfachtes Verfahren; Herr Gehrcke, Sie
haben das angesprochen. Da reicht es, wenn die Fraktionsvorsitzenden, die Ausschussvorsitzenden oder die
Obleute des Verteidigungsausschusses oder des Auswärtigen Ausschusses informiert werden. Es handelt sich
dabei aber nicht um privilegierte Abgeordnete: Sie werden ja aus der Mitte des Deutschen Bundestages bestimmt. Von daher ist dem Demokratieanspruch hier
auch ausreichend Rechnung getragen. Man kann zusammenfassend sagen, dass sich das Parlamentsbeteiligungsrecht in den vergangenen Jahren in der parlamentarischen und auch in der sicherheitspolitischen Praxis
bewährt hat.
({0})
Richtig ist: Nicht eine Kabinettsentscheidung über ein
Mandat wurde von diesem Parlament verhindert. Kein
Einsatzmandat erging zu spät, weil das Parlament zu
lange diskutiert hatte. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das bewirkt auch eine zusätzliche gesellschaftspolitische Rückendeckung für die Einsätze unserer Soldatinnen und Soldaten, weil immer zumindest die
Mehrheit der Volksvertreter eine solche Mandatierung
beschließt und damit beauftragt.
({1})
Durch die öffentliche Debatte im Deutschen Bundestag, wie auch heute Morgen, ist die Öffentlichkeit über
die Mandatierung und den Willensbildungsprozess informiert und wird auch, wie es auf Neudeutsch heißt,
mitgenommen. Manch ein Land beneidet uns um den
Parlamentsvorbehalt. Jede Befassung des Parlaments mit
einer Mission der Streitkräfte bringt eine breit angelegte
sicherheitspolitische Debatte mit sich: Jeder ist gut informiert.
Und doch lohnt es sich, meine Damen und Herren,
über eine Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes nachzudenken und es auch in gewissem
Maße zu überprüfen; denn die politische Lage entwickelt
sich eben auch weiter. Insgesamt hat sich die Bundeswehr seit 1990 an mehr als 130 humanitären Einsätzen
beteiligt. Seit 1990 hat sich die Bundeswehr an friedenserhaltenden und friedensstiftenden Einsätzen beteiligt, auch „out of area“, also außerhalb des NATO-Gebietes.
({2})
Dies ist nach Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz abgedeckt, da
diese Einsätze im Rahmen des Systems der gegenseitigen und kollektiven Sicherheit erfolgen.
Die Bundeswehr leistet hierbei einen sehr erfolgreichen und wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Terror
und war in Spitzenzeiten wie zum Beispiel 2002 mit
über 10 000 Soldatinnen und Soldaten an Einsätzen be1636
teiligt. Zurzeit sind ungefähr 4 800 Soldaten im Einsatz.
Für diesen Dienst für Frieden, Freiheit und Sicherheit
danken wir als CDU/CSU-Fraktion und als Koalition unseren Soldaten sehr herzlich.
({3})
Alle Einsätze erfolgen hierbei in verbündeten Strukturen, stets mit anderen Nationen im Rahmen der Europäischen Union und der NATO, teils sogar nicht nur nebeneinander, sondern zunehmend auch in integrierten
militärischen Stäben und Verbänden; einige Beispiele
sind heute angeführt worden. Bei Aufklärungsmissionen, bei der medizinischen Versorgung, bei der Luftbetankung kann man darüber nachdenken, ein Grundmandat zu erteilen, das konkret und präzise gefasst ist und
bis auf Widerruf gelten könnte.
({4})
Eine solche Anpassung würde auch dem Anspruch des
Bundesverfassungsgerichts zur Abstufung der Regelungsdichte nachkommen.
({5})
Wir wollen hierzu schlicht und einfach eine Kommission einsetzen, die diese Sachlage einmal überprüft.
Liebe Frau Kollegin Keul, die Experten, die dort sitzen,
sind ja wohl allesamt fernab davon, einer parteipolitischen Ideologie zu folgen.
({6})
Da kann man nur sagen: Lassen Sie doch diese Experten
erst einmal zu Wort kommen! Haben Sie doch nicht den
Anspruch, immer schon vorher zu wissen, was dabei herauskommt, weil Sie Ihre Meinung schon festgelegt haben! Wir sollten diese Expertise unvoreingenommen
nutzen und auf die Ergebnisse warten.
({7})
Ziel der Kommissionsarbeit sollte es sein, die Handlungsfähigkeit der Bündnisse mit dauerhaften Stäben,
Fähigkeiten und Verbänden noch weiter zu erhöhen und
unsere Bündnisfähigkeit zu stärken, gegebenenfalls zu
präzisieren. Bei bewaffneten Einsätzen mit militärischem Wirkzusammenhang sollte jedoch die nationale
Verantwortung nicht aus der Hand gegeben werden. Wir
sind gespannt auf die Arbeit der Kommission. Über die
Ergebnisse wollen wir dann in den einzelnen Arbeitsgruppen, im Auswärtigen Ausschuss und dem Verteidigungsausschuss miteinander diskutieren und sie bewerten. Darauf freuen wir uns.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Bartels
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich in dieser Debatte, in der wir einiges an gespielter Empörung erlebt haben, einige sachliche Anmerkungen machen.
({0})
Erstens zu der Frage: Ist der Parlamentsvorbehalt ein
Hindernis für Deutschlands aktive Rolle in den Bündnissen? Wir führen eine Debatte über eine aktivere Politik,
die wir in der EU, der NATO und auch in der UNO betreiben wollen. Wir sind in diesen Bündnissen schon aktiv, aber unsere Beteiligung soll sichtbarer werden. Die
Frage ist: Ist die Parlamentsbeteiligung dafür in irgendeiner Weise ein Hindernis? Aus der Praxis der letzten
20 Jahre können wir sagen: Niemals, zu keinem einzigen
Zeitpunkt, war die Beteiligung des Parlaments ein Hindernis für unsere aktive Rolle.
({1})
Wir haben einmal nachgerechnet: Wie lange dauerte
es vom Kabinettsbeschluss bis zur endgültigen Entscheidung des Parlaments? Im Durchschnitt aller bisher erteilten Mandate dauerte das elf Tage. Die schnellste
Mandatserteilung dauerte einen Tag: vormittags Kabinettssitzung, am frühen Nachmittag Einbringung in den
Bundestag, Fristverzichtserklärung der Fraktionen, Beratung in den Ausschüssen, um 15 Uhr Wiedereröffnung
des Plenums, und um 16.30 Uhr war das Mandat beschlossen. Wenn es wirklich schnell gehen muss, dann
ist dieses Parlament schnell. Das ist die Praxis.
({2})
Übrigens, wenn es noch schneller gehen müsste, steht
schon jetzt im Gesetz: Bei Gefahr im Verzuge kann im
Ausnahmefall die Genehmigung auch nachträglich erteilt werden. - Das Parlament verursacht also kein Zeitproblem. Es gibt kein Verhinderungsproblem.
Was manchmal in der Vergangenheit - Kollege
Arnold hat es angesprochen - ein bisschen schwierig
war, war das Verhalten der Bundesregierung, die den
Vorbehalt des Parlaments in den Bündnissen vorgeschoben hat, um bei Verhandlungen die Zurückhaltung der
Bundesregierung zu begründen. Das kann man so machen. Davon darf man sich selbst aber nicht in die Irre
führen lassen.
Das Parlament ist nicht das Hindernis. Wenn aber die
Bundesregierung sagt: „Wir wollen hier nicht so weit gehen“, dann liegt das nicht daran, dass das Parlament
nicht will, sondern weil die Bundesregierung und die sie
tragende Mehrheit im Parlament das für richtig halten.
Das ist kein Problem des Parlaments insgesamt, sondern
gegebenenfalls ein Problem der Mehrheit, aber wir wollen gar nicht, dass es ein Problem ist.
Die jetzt verkündete aktive Politik heißt ja: Wir wollen von Anfang an, im Parlament und in der Öffentlichkeit sowieso, darüber diskutieren, was das Bündnis tun
soll, nicht darüber, was Deutschland tun soll. Vielmehr
geht es darum, was nach unserer Erwartung die Bündnisse, die EU und die NATO, in Krisen tun sollen, auf
die wir reagieren wollen.
Die erste Schlussfolgerung ist also: Die Hindernistheorie ist ein Popanz. Es gibt kein Problem, was unsere
Einsatzfähigkeit in den Bündnissen angeht.
({3})
Zweitens: Gibt es ein Problem mit mehr Integration in
Europa? Wenn wir uns auf den Weg zu einer europäischen Armee machen, wie wir das im Koalitionsvertrag
vereinbart haben - das werden wir nicht bis 2017 schaffen, aber für die mittlere Zukunft streben wir das Ziel
an -: Ist dafür der deutsche Parlamentsvorbehalt ein
Hindernis? Ich glaube, nicht. Zu jedem einzelnen Fall, in
dem sich Europa an einer Krisenbewältigung mit Militär
beteiligt und damit sich auch deutsche Soldaten beteiligen, möchte ich die Frage stellen: Worin liegt das Problem, wenn wir darüber eine Debatte führen und dazu im
Deutschen Bundestag einen Beschluss fassen? Das ist
kein Problem. Vertiefte europäische Integration und Parlamentsvorbehalt gehen zusammen.
({4})
- Ich finde die Zustimmung der Grünen super. Frau
Keul, Sie hatten völlig recht, als Sie sagten: In der Praxis
haben wir durch die Parlamentsbeteiligung kein Zeitproblem.
({5})
Darin sind wir uns einig. Dieses Gesetz über die Parlamentsbeteiligung haben wir ja zusammen gemacht.
({6})
- Nein, ich nenne Ihnen nachher noch ein paar Vorschläge - das ist der letzte Punkt -, wo man in diesem
Gesetz eine Präzisierung vornehmen könnte.
Ein dritter Punkt im Anschluss an die Europäisierung,
die wir wollen. Die Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist nicht der einzige Punkt,
bei dem das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag
Rechte eingeräumt hat. Das gab es ja auch in einem anderen Bereich der Europäisierung unserer Politik: Bei
den Rettungsschirmen in der Euro-Krise hat uns das
Bundesverfassungsgericht auch einen Parlamentsvorbehalt vorgegeben. Über jedes einzelne Programm des
Europäischen Stabilitätsmechanismus muss dieser Bundestag entscheiden.
({7})
- Ja, aber das ist Verfassungslage. Genauso wie bei der
Bundeswehr ist es jetzt auch in der Euro-Politik Verfassungslage. Der Parlamentsvorbehalt für Bundeswehreinsätze ist nicht singulär, sondern es gibt ein anderes großes Feld, zu dem das Bundesverfassungsgericht
entschieden hat - das ist jetzt auch Staatspraxis -: Das
nationale Parlament, der Bundestag, muss über europäische bzw. internationale Maßnahmen entscheiden. Auch
das ist in diesem Bundestag verantwortungsvoll umgesetzt worden.
Es gibt einen anderen Trend in diesem Zusammenhang; das ist schon angesprochen worden. Wir sind nicht
die Einzigen, die die Parlamentsbeteiligung für gut halten; andere Länder haben sie auch schon oder führen sie
jetzt ein. Sie gehen unseren Weg. Das ist also kein Auslaufmodell, sondern die Parlamentsbeteiligung des Deutschen Bundestages ist ein Modell für andere europäische
Länder. Darauf können wir stolz sein.
Herr Kollege Bartels, darf die Kollegin Brugger Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Aber gerne.
Vielen Dank. - Herr Kollege Bartels, es klingt alles
schön und gut, was Sie gerade gesagt haben. Sie haben
auch in dem einen oder anderen Punkt Applaus von den
Grünen bekommen.
({0})
Es gibt aber eine Diskrepanz zwischen dem, was Sie gerade gesagt haben, und dem, was der vorliegende Antrag
zum Ausdruck bringt.
({1})
Vielleicht können Sie ganz konkret erklären, warum die
Koalition unseren Vorschlag, auch die Stärkung der Parlamentsrechte zum Auftrag dieser Kommission zu machen und darüber zu diskutieren, nicht übernommen und
explizit gesagt hat, dass sie dies nicht will.
Frau Kollegin Brugger, die Kommission arbeitet ergebnisoffen. Alles, was die Teilnehmer der Kommission
einbringen, ist Gegenstand der Kommissionsarbeit. Der
Bundestag, der sich nach einem Jahr mit den Ergebnissen auseinandersetzt, kann ebenfalls frei beraten, wie er
mit den Ergebnissen verfahren will.
Ich erwarte allerdings, dass die Kommission nicht nur
vor sich hin arbeitet, sondern auch zu Ergebnissen
kommt. Es gibt schon Ideen - jetzt fahre ich mit meiner
Rede fort -, an welchen Stellen das bewährte Parlamentsbeteiligungsgesetz noch ergänzt werden kann. Wir
müssen darüber diskutieren, aber es ist denkbar, dass wir
das Gesetz vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die
wir gemacht haben, ändern.
Vielleicht brauchen wir neben dem Positivkatalog im
Gesetz, in dem beschrieben wird, was mandatiert werden
muss, auch einen Negativkatalog, damit nicht nur in der
Begründung steht, dass eine integrierte Verwendung in
NATO-Stäben nicht dem Parlamentsvorbehalt unterliegt,
sondern auch im Gesetz. Ein Positiv- und Negativkatalog im Gesetz wäre also eine Möglichkeit der Präzisierung.
Es gibt Einsätze - das ist bereits angesprochen worden -, bei denen ich in der Diskussion darüber, ob wir
sie mandatieren müssen, auch nicht vom Einsatz bewaffneter Streitkräfte ausgehe. Das Eskortieren eines Handelsschiffes im Mittelmeer ohne konkrete Bedrohung,
also bei einer rein abstrakten Bedrohung, wie sie bei jedem Schiff auf den Weltmeeren besteht, kann zwar mandatiert werden. Die Bundesregierung geht auf Nummer
sicher zugunsten einer parlamentsfreundlichen Auslegung des Gesetzes. Aber ist das wirklich gesetzlich gemeint, wenn es gar keine Gefahr der Einbeziehung in bewaffnete Konflikte gibt, sondern eher eine symbolische
Maßnahme ist? Wir wollten das gerne mit dem NATORussland-Rat verbinden. Das war als großes Symbol gedacht; aber das geht nun aus anderen Gründen nicht.
Solche Fragen müssen wir in der Kommission diskutieren. Auch die Intensität der Beratungen ist ein Problem. Müssen ein Einsatz in Afghanistan mit 5 000 Soldaten in der Spitze und eine Beobachtermission mit einer
Handvoll an Soldaten in gleicher Weise im Plenum behandelt werden, oder gibt es da unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten? Wir haben das vereinfachte
Verfahren bereits gesetzlich geregelt, allerdings für einen anderen Fall, nämlich für die Verlängerung von
Mandaten ohne Änderung am Text. Vielleicht müssen
wir hier zu einer Präzisierung kommen. All das kann
man konkret diskutieren.
Schließlich komme ich noch zu einem Punkt, der
mich bei den Mandaten, die uns vorgelegt wurden, und
ihrer öffentlichen Wahrnehmung immer geärgert hat:
Wir reden immer nur über die Bundeswehr. In der Wahrnehmung mancher in der deutschen Öffentlichkeit sind
die 5 000 Soldaten bzw. derzeit 2 500 Soldaten in
Afghanistan die Kräfte, die das Schicksal Afghanistans
wenden. Manchmal wird sogar im Parlament entsprechend diskutiert. Als ob an ihnen alles hinge. Nein, es
hängt an dem, was die gesamte NATO und auch die internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan tun.
Das steht aber nicht im Mandat. Darin steht nur: Im Rahmen der NATO setzen wir 5 000 Soldaten ein. Dass da
100 000 Soldaten anderer Nationen eingesetzt werden,
wird nicht erwähnt. In Zukunft könnte in solchen Mandaten deutlich gemacht werden, wie viele Soldaten welcher Nationalität zu welchem Zweck eingesetzt werden.
Immerhin haben wir die Mandatspraxis insoweit verbessert, dass nun deutlich wird, welchen zivilen Beitrag
Deutschland im Rahmen solcher Missionen leistet. Es
wird aber nicht deutlich, was andere Nationen tun. Die
Internationalisierung im Mandat selbst sichtbarer zu machen, könnte eine Verbesserung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes darstellen.
Wir sind guter Hoffnung, dass die nun einzusetzende
Kommission zu Ergebnissen kommen wird, die etwas im
Sinne der Verbesserung und der Stärkung des Parlamentsvorbehalts verändern.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Uhl für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen und der Linken, ich habe Ihren Reden aufmerksam zugehört, in denen Sie Ihre Befürchtungen und Sorgen zum Ausdruck gebracht haben,
dass wir in der Großen Koalition das Grundgesetz mit
Füßen treten und den Parlamentsvorbehalt abschaffen
wollen. Sie wollen noch nicht einmal der Kommission
beitreten, weil Sie bei diesem rechtswidrigen Treiben auf
keinen Fall dabei sein wollen. Wehret den Anfängen! So
kann es nicht sein. - Das ist Ihre Position.
Lassen Sie mich einen versöhnlichen Vorschlag machen - vielleicht nur an die Grünen; denn ich weiß nicht,
ob bei Ihnen von der Linken noch etwas zu retten ist -:
({0})
Gehen Sie in die Kommission! Nach dem Proporz stehen
Ihnen dort zwei Plätze zu. Ich mache Ihnen auch einen
personellen Vorschlag. Ich bedauere zutiefst, dass mein
guter Freund von der deutschen Sozialdemokratie,
Dieter Wiefelspütz, heute nicht anwesend ist.
({1})
Er war immer mächtig stolz auf seine wissenschaftlichen
Ausarbeitungen, die zum Teil sehr profund waren.
({2})
Genau zu diesem Thema hat er ein umfangreiches Werk
- ich glaube, es war sogar seine Doktorarbeit - mit dem
Titel „Das Parlamentsheer“ geschrieben. Man stelle sich
vor, welch flammende Rede er heute von diesem Podium
aus gehalten hätte, und zwar mit hochtheatralischem
Aufschlag!
({3})
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von den
Grünen, Dieter Wiefelspütz als Ihren Vertreter in der
Kommission vorschlagen.
({4})
Es gibt keinen besseren Anwalt für die Anliegen der
Grünen in dieser Kommission als Dieter Wiefelspütz
von der SPD.
({5})
- Die Zeit ist fortgeschritten. Wir wollen die Sache nicht
über Gebühr verlängern.
Als Jurist lernt man gleich zu Beginn: Ein Blick ins
Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. - Das gilt vor allem für einen Blick in das Grundgesetz. Da werden Sie
Überraschendes feststellen. Bei einem Blick in das
Grundgesetz lernen wir, dass in diesem Zusammenhang
vom Parlament überhaupt keine Rede ist. Die Zuständigkeit für den Einsatz der Streitkräfte im Verteidigungsfall
geht auf die Kanzlerin über. Ansonsten verbleibt die Zuständigkeit bei der Verteidigungsministerin. Nur diese
beiden Damen sind zurzeit in diesem Land für solche
Einsätze zuständig.
({6})
Es könnte sich im Notfall auch einmal um Männer
handeln. Schließlich reden wir über eine abstrakte Verfassungslage und nicht über eine konkrete Rollenverteilung.
({0})
Darf der Kollege Meiwald Ihnen eine Zwischenfrage
stellen?
Wenn es denn sein muss.
Vielen Dank, Herr Kollege Uhl. - Ich will es nicht in
die Länge ziehen. Aber der Personalvorschlag, den Sie
uns gerade unterbreitet haben, sorgt für eine gewisse Erheiterung. Damit verhält es sich so, als ob wir Ihnen vorschlagen würden, Franz Alt zum Vorsitzenden der
Atomendlagersuchkommission zu machen.
({0}) -
Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Nein,
das macht bei uns Heiner Geißler!)
Er kommt aus Ihren Reihen. Insofern wäre das eine Option, über die man in diesem Zusammenhang reden
könnte.
Vielen Dank.
Zu solchen Vorschlägen und Vergleichen pflegt Ihr
Parteikollege Trittin zu sagen: Nicht alles, was hinkt, ist
ein Vergleich. - So habe ich es neulich von ihm in einer
Talkshow gehört. Er ist zurzeit jeden Abend in Talkshows zu sehen. Da können Sie solche Sachen hören.
({0})
- Ich bin nicht neidisch. Herr Trittin hat genauso wie einige andere aus meiner Fraktion ein Abonnement auf
Talkshows; das ist nun einmal so. Deswegen lohnt es
sich auch nicht, Talkshows anzuschauen.
Zurück zum Blick in das Grundgesetz. Dort ist es - wie
beschrieben - so geregelt. Dann kam die Out-of-AreaEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994.
Darauf folgte 2005 - so will ich es einmal bezeichnen das Parlamentsheergesetz. Das heißt, im Grundgesetz
steht davon nichts.
({1})
Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Die
Begründung des Verfassungsgerichts, dass der Parlamentsvorbehalt einer Verfassungstradition seit 1918 entspreche, ist einfach nicht ganz korrekt. Dennoch ist das
Ergebnis richtig. Wir alle wollen den Parlamentsvorbehalt. Das heißt, hören Sie bitte auf, uns zu unterstellen,
dass wir den Parlamentsvorbehalt einschränken, abschaffen oder sonst etwas damit machen wollen. Nein, es
geht darum, dass wir das Gesetz weiterentwickeln, evaluieren und vor dem Hintergrund der Entwicklungen
überprüfen müssen.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, klar; aber
sie ist auch eine Bündnisarmee. Dass daraus Zielkonflikte entstehen können, ist doch evident. Dass man sich
darüber in dieser Kommission unterhalten muss, ist auch
klar. Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses, die Internationalisierung der Truppenaufstellung und die Gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik sind Bündnisverpflichtungen, die in
einem gewissen Zielkonflikt zum Parlamentsvorbehalt
stehen können. Ich möchte auf Cyberwar-Fragen gar
nicht eingehen, weil man sich durchaus vorstellen kann,
dass hier die Vorgabe einer Parlamentsentscheidung besondere Probleme bereiten kann.
Lassen Sie mich auf die Sinnhaftigkeit der Verpflichtung des Parlaments kurz eingehen. Ich halte es, gerade
wie Sie es dargestellt haben, aber mit umgekehrter Zielsetzung, für ganz wichtig, dass man das Parlament einschaltet, wenn es darum geht, die Ultima Ratio der Politik zum Einsatz zu bringen. Wir erleben es gerade jetzt
bei der Diskussion über die Ukraine. Wir sagen alle
durch die Bank, alle Fraktionen: kein Militäreinsatz in
diesem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Alle sagen das. Aber es gibt andere Fälle - und es gab
sie bereits -, in denen wir, bis auf die Linken, sagen: Ein
Militäreinsatz ist als Ultima Ratio unumgänglich. Da ist
es für uns, für die deutsche Gesellschaft und vor allem
für die Soldaten wichtig, zu wissen, wer hinter ihnen
steht, wenn sie in solche Einsätze, in denen es um Leben
und Tod geht, geschickt werden.
({2})
Wer begründet den Einsatz, und wie wird er begründet?
Wie lange soll der Einsatz gehen und warum? Das ist
sehr wichtig. Deswegen wollen wir den Parlamentsvorbehalt. Wir wollen damit auch darstellen, wer verantwortungsbewusst genug und regierungsfähig ist, wer die
Geschicke unserer Menschen verantwortungsbewusst in
die Hand nehmen kann. Da gehören ewige Verweigerer,
die die Verantwortung nicht übernehmen, wie zum Beispiel die Partei der Linken, erkennbar nicht dazu.
({3})
Interessant ist auch ein internationaler Vergleich. Wie
gehen andere demokratisch strukturierte Staaten, Parlamente und Rechtsstaaten damit um? Alle Spielarten gibt
es. Es gibt nicht nur einen Weg des Parlamentsvorbehalts. Es gibt die Möglichkeit, dass nur bestimmte Militäreinsätze dem Parlament vorgelegt werden. Dafür gibt
es Beispiele. Es gibt zum Beispiel das Vetorecht des Parlaments. Das haben Irland, Schweden und die Schweiz,
mehr Staaten nicht. Das ist also nicht ein konstitutiver
Akt, sondern nur ein Vetorecht. Es gibt auch die Möglichkeit der nachträglichen Zustimmung, die es bei uns
zwar auch gibt, aber nur im Ausnahmefall. Diese gibt es
als Regelfall in Österreich, in Japan und in Tschechien.
({4})
Es gibt die Möglichkeit, das Parlament überhaupt nicht
zu beteiligen, wenn es um Einsätze in Bündnisstrukturen
der NATO oder der EU geht. Diese Regelung haben die
osteuropäischen Länder. Das ist verständlich aus ihrer
Vergangenheit. Es gibt die Möglichkeit, das Parlament
lediglich zu konsultieren. Diese Regelung wird beispielsweise in den Niederlanden angewandt. Es gibt also
eine ganze Fülle von Möglichkeiten, die man in der
Kommission erörtern und dem Parlament vorlegen kann.
Dann können Sie sich über das Ergebnis der Kommission, das zu einem Gesetz gemacht werden wird, aufregen oder auch nicht aufregen.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluss ein Letztes zum Thema
„Polizeieinsätze und Parlamentsvorbehalt“ sagen. Als
früherer Innenpolitiker habe ich dazu eine Anmerkung.
Ich habe in der letzten Legislaturperiode versucht, einen
entsprechenden Antrag ins Parlament zu bringen, weil
ich das Bedürfnis verspüre, dass wir Polizeieinsätze im
Ausland parlamentarisch begleiten, aber nicht in dem
Sinne, dass jeder einzelne Polizeieinsatz vorher im Parlament genehmigt werden muss, sondern dass wir eine
abstrakt-generelle Regelung finden, wann wir die Polizei
ins Ausland entsenden wollen und wann nicht. Es gibt
Beispiele dafür, dass Polizeieinsätze im Ausland gescheitert sind, ohne dass man daraus einen Vorwurf ableiten könnte. Wir hatten von der EU den Auftrag, in
Weißrussland für die Polizeiausbildung zu sorgen, haben
aber feststellen müssen, dass der dortige Diktator seine
Polizei auf schändliche Weise missbraucht. Dann wurde
der deutschen Polizei zum Vorwurf gemacht, dass sie
dort tätig war. Meine Damen und Herren, so etwas muss
im Parlament festgelegt werden. Das darf nicht auf dem
Rücken der Polizeibeamten ausgetragen werden. Deswegen bin ich für eine abstrakt-generelle Regelung, wann
unsere Polizei im Ausland tätig ist, aber nicht für einen
generellen Parlamentsvorbehalt, wie er für das Militär
gilt. Für das Militär muss er natürlich gelten.
Danke schön.
({6})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich zum Abschluss dieser durchaus spannenden Debatte noch ein paar Aspekte vertiefen. Blicken wir einfach einmal auf den Sitzungskalender dieser Woche und
den Veranstaltungskalender mancher Ministerien: Im
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung fand eine Veranstaltung zur Zusammenarbeit Deutschlands mit Afghanistan statt. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion führte eine fraktionsoffene Sitzung zum Thema Afrika durch. Nicht nur im
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sondern auch im Auswärtigen Ausschuss und
im Verteidigungsausschuss fanden Diskussionen über
Syrien, Afrika und Bosnien statt. - Es ist die Gleichzeitigkeit der Ereignisse, die uns Europäer, die uns Parlamentarier vor die Frage stellt: Wie schaffen wir es in der
Europäischen Union, diese Herausforderungen zu bewältigen, ohne gleich an militärische Eskalation und andere Bereiche zu denken? Wie schaffen wir es, die
Rechte dieses Parlaments zu wahren, wenn die Europäische Union, wenn die NATO versuchen, auch aufgrund
des Kostendrucks und der verstärkten Zusammenarbeit
Fähigkeiten zusammenzulegen?
Diese Herausforderungen berühren unser Parlament
unmittelbar. Es ist Art. 42 des Lissabonner Vertrags, der
uns sogar nahelegt, frühzeitig auf der Basis der jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedsländer festzulegen, dass wir unsere parlamentarische Beteiligung zukunftsfest machen. Meine Damen
und Herren von den Grünen und den Linken, es geht um
nichts anderes als darum, dass wir die Mitwirkungsrechte von uns allen bei einer vertieften Zusammenarbeit
wahren. Dieses Haus hat eine sehr starke Tradition der
parlamentarischen Begleitung bei bewaffneten Einsätzen. Diese Tradition wollen wir bewahren und erhalten.
Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Die Aufgabe der
Kommission ist es aus meiner Sicht und auch aus Sicht
unserer Fraktion, diese Beteiligungsrechte zu wahren,
wenn es um Vertiefung geht. Ich möchte das an folgenden Bereichen festmachen:
Wir als Parlament sollten frühzeitig beteiligt werden.
Die Kommission sollte durchaus darüber diskutieren,
wie eine engere Abstimmung zwischen Regierung und
Parlament erfolgen kann. Insofern ist Ihr Antrag, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zu limitierend. Sie sagen nämlich: Wir wollen auch Einsätze im
Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Polizei mandatieren. - Wir sollten uns, glaube ich, auf die
bewaffneten Einsätze konzentrieren; denn da, wo wir
Parlamentarier Verantwortung für Einsätze tragen, in denen es um Leben und Tod geht, sind wir besonders gefordert. Für uns sollte es nicht um Einzelabstimmungen
darüber gehen, wann wo welche Entwicklungshelfer
Entwicklungszusammenarbeit leisten. Die frühzeitige
Einbindung ist der eine Aspekt.
Der andere Aspekt ist, dass wir das Parlament nicht in
der Rolle sehen, Einsätze zu beschleunigen. Es geht
nicht darum, Einsätze zu beschleunigen. Dass das Parlament Einsätze noch nie hat scheitern lassen, ist nicht
der Grund dafür, dass wir diese Kommission einsetzen.
Aber wir als Parlamentarier wollen auch nicht, dass die
Regierung die Parlamentsbeteiligung als Vorwand dafür
nimmt, bestimmte Einsätze nicht durchzuführen. Das
bringt mich zu der entscheidenden Forderung, dass wir
frühzeitig an der strategischen Debatte beteiligt werden,
dass uns die Regierung über die Ausschussarbeit, über
die Debatten im Parlament beteiligt, sodass wir strategisch Einfluss nehmen können.
Mein letzter Punkt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin einen Beitrag zur
Debatte über die sicherheitspolitische Strategie geleistet.
Hier geht es um folgende Fragen: Was sind die deutschen Interessen? Welche Aufgaben wollen wir erfüllen?
Welche Instrumente - die Frage nach den Instrumenten
führt zur Frage der militärischen Beteiligung - wollen
wir einsetzen? In welchen Regionen wollen wir die Bundeswehr einsetzen? Allein die Debatte über eine Beteiligung in Afrika oder die Frage des Umgangs mit den
Ländern in der östlichen Nachbarschaft zeigen diesen
Vierklang auf: Interessen, Instrumente, Aufgaben und
Regionen. Wir als Parlament wollen an dieser Debatte
teilhaben. Die Kommission sollte einen Beitrag dazu
leisten, dass dieses Parlament stärker daran mitwirken
kann. Das sollte das Ziel sein. Natürlich muss die Arbeit
der Kommission ergebnisoffen sein. Das heißt aber eben
auch, dass wir in strategischen Fragen möglicherweise
stärker beteiligt werden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, das
diese Kommission aber durchaus verfolgen sollte.
Ich wünsche mir jedenfalls, dass wir in der nächsten
Woche, wenn es um die Mandatierung geht, eine Sternstunde des Parlaments erleben werden mit starker Rede
und Gegenrede, um deutlich zu machen: Dieses Parlament möchte mitwirken, wenn sich unsere Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union stärker für
vereinte Fähigkeiten, für eine abgestuftere Beteiligung
der Mitgliedstaaten einsetzt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Sternstunde.
({0})
Ich frage Sie, ob Sie mit der Überweisung der Vorla-
gen auf den Drucksachen 18/766 und 18/775 an die an
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse einverstan-
den sind. - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 12 a
und 12 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus
Weinberg ({1}), Gudrun Zollner, Bettina
Hornhues, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Sönke Rix, Birgit Kömpel, Ulrike Bahr, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mehr Zeitsouveränität - Neue Wege für gleiche Chancen von Frauen und Männern
Drucksache 18/763
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})-
Innenausschuss-
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz-
Finanzausschuss-
Ausschuss für Wirtschaft und Energie-
Ausschuss für Arbeit und Soziales-
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Frauen auf allen Führungsebenen
Drucksache 18/773
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und Soziales
Auch für diese Aussprache ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine Dauer von 96 Minuten vorgesehen. Können wir so verfahren? - Das ist ganz offensichtlich der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst der Bundesministerin Manuela Schwesig.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Der Internationale Frauentag
ist mehr als 100 Jahre alt; wir haben gerade den 103. gefeiert. In diesen über 100 Jahren haben viele Frauen und
einige Männer vieles erkämpft, was für Frauen heute
selbstverständlich ist: Frauen können wählen und wer1642
den gewählt. Sie haben erreicht, was Clara Zetkin schon
gefordert hat, bevor es den ersten Frauentag gab: keine
Sonderrechte, sondern Menschenrechte. - Es geht in dieser Debatte um die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht um Sonderrechte für Frauen, sondern darum,
dass die Menschenrechte auch für Frauen gelten.
({0})
Bei aller gesetzlichen Gleichstellung, die Frauen auch
mithilfe von Männern für sich errungen haben: Wir müssen weiter für gleiche Chancen von Frauen und Männern
kämpfen; denn die rechtliche Gleichstellung muss auch
in der Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern ankommen. Zurzeit ist das noch nicht so. Deshalb ist es
wichtig, dass Frauen nicht nur das Gleiche verdienen
wie Männer, sondern auch wirklich das Gleiche bekommen. Frauen sollen die Möglichkeit haben, mit ihrem
Partner Beruf und Familie so aufzuteilen, wie sie es wollen. Frauen sollen ihre Qualifikationen auch in Führungspositionen einbringen können. Frauen sollen vor
allem auf eigenen Beinen stehen können und befreit von
Abhängigkeiten sein.
({1})
Gleichstellung ist für mich ein zentrales Thema, wenn
es um Gerechtigkeit geht, weil die gleichberechtigte
Teilhabe von Frauen und Männern Grundvoraussetzung
für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Gleichstellung ist für mich auch ein zentrales Thema gesellschaftlicher Solidarität; denn eine Gesellschaft kann nur
solidarisch sein, wenn beide Geschlechter die gleichen
Aufstiegsmöglichkeiten und die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten haben.
({2})
Gleichstellung ist auch ein zentrales Freiheitsthema;
denn nur wer selbstbestimmt lebt, ist wirklich frei.
({3})
Deshalb ist die Gleichstellung eine Frage von gesellschaftlichem Fortschritt. Diesen Fortschritt wird es nur
geben, wenn die gesetzliche Gleichstellung von Frauen
und Männern für beide Geschlechter in der Lebenswirklichkeit ankommt. Da gibt es noch eine ganze Menge zu
tun.
Fakt ist, dass die Lohnunterschiede bei Frauen und
Männern immer noch sehr groß sind. Frauen erhalten
22 Prozent weniger als Männer, obwohl sie das Gleiche
verdienen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen
ist immer noch extrem gering. Selbst die Vereinigten
Arabischen Emirate liegen in Bezug auf den Anteil von
Frauen in Führungspositionen vor Deutschland. Auch
die Gewalt gegen Frauen steht immer noch auf der Tagesordnung; sie darf kein Tabuthema sein. Diese und
viele andere Ungerechtigkeiten sind ein Problem für die
Frauen, aber auch ein Problem für unsere Gesellschaft;
denn die Fähigkeit unserer Gesellschaft, die Fragen der
Zukunft zu meistern, hängt davon ab, wie gleichberechtigt Frauen und Männer zusammen leben und arbeiten.
({4})
Um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, müssen
wir neue Wege gehen. Diese neuen Wege werden im
Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung mit
der sogenannten Lebensverlaufsperspektive aufgezeigt.
Es werden Brüche, Entscheidungen und Momente des
Übergangs im Leben von Männern und Frauen beschrieben, an denen sich Handlungsmöglichkeiten erweitern
oder auch verengen. Wir müssen die Gleichstellungspolitik an dieser Lebensverlaufsperspektive orientieren.
Ich möchte deshalb den Gleichstellungsbericht aus der
Schublade holen und freue mich, dass der Antrag der
Regierungskoalition genau an diesen Gleichstellungsbericht anknüpft.
({5})
Was bedeutet das für Frauen und Männer, die sich
heute diese Debatte zum 103. Frauentag anhören? Was
erwarten sie von ihrem Gesetzgeber?
Sie erwarten, dass wir die zwischen Frauen und Männern bestehende Lohnlücke schließen, indem wir die indirekte Lohndiskriminierung beseitigen, indem vor allem typische Frauenberufe wie Pfleger und Erzieher
aufgewertet werden, indem wir die Möglichkeit schaffen, dass Frauen nicht in der Teilzeitfalle hängen bleiben. Deswegen begrüße ich, dass die Arbeitsministerin
angekündigt hat, das Rückkehrrecht von Teilzeit auf
Vollzeit durchzusetzen.
({6})
Wir müssen aber auch die direkte Lohndiskriminierung angehen. Wir haben uns deshalb darauf verständigt,
die direkte Lohndiskriminierung zwischen Frauen und
Männern mit gesetzlichen Regelungen zu beseitigen, indem zukünftig Unternehmen ab 500 Beschäftigte verpflichtet werden, einen Bericht zur Entgeltgleichheit
vorzulegen. Das wird dazu führen, dass sich viele Unternehmen mit diesem Thema beschäftigen und dass man
nachhaken kann. Wir wollen ein individuelles Auskunftsrecht einführen; auch das ist wichtig. Zudem werden wir verbindliche Verfahren regeln, wie Unternehmen diese Entgeltdiskriminierung beseitigen können.
Das sind gesetzliche Regelungen, für die in diesem Jahr
die Eckpunkte erarbeitet und die dann nachhaltig, unbürokratisch und wirkungsvoll gemeinsam auf den Weg
gebracht werden sollen.
({7})
Was können wir noch tun, um die Lebenswirklichkeit
zu verbessern? Wir wollen vor allem die Partnerschaftlichkeit stärken. Frauen und Männer wollen heute eine
Partnerschaft auf Augenhöhe führen. Sie wollen sich Erziehungsarbeit und die Arbeit im Erwerbsleben teilen.
Um diese Herkulesaufgabe „Familie und Beruf“ vereinBundesministerin Manuela Schwesig
baren zu können, wünschen sich 60 Prozent der Paare
mit kleinen Kindern, es gemeinsam zu schaffen. Leider
gelingt das nur 14 Prozent der Paare. Die Realität ist:
Die Männer arbeiten 40 Stunden plus Überstunden, die
Frauen bleiben oft mit wenig Stunden in der Teilzeitfalle
hängen. Beide haben nicht die Möglichkeit, der Erziehungsarbeit und der regulären Arbeit auf Augenhöhe
nachzugehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir über die
partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit diskutieren, dass wir aber auch etwas tun, zum Beispiel mit
dem ElterngeldPlus. Das ElterngeldPlus wird dazu führen, dass wir die Benachteiligung der Paare, die wieder
früh in den Beruf einsteigen und sich die Elternzeit teilen, aufheben. Damit wollen wir die Partnerschaftlichkeit fördern.
In meiner ersten Rede im Plenum hatte ich versprochen, auch auf die Argumente der Opposition einzugehen. Ich weiß nicht, ob Herr Wunderlich heute da ist. Ja. Hallo, Herr Wunderlich! Sie hatten ja gesagt:
Gut, das Blümchen „ElterngeldPlus“ soll es geben.
Ich glaube, das fällt bei den Blumen, um in diesem
Genre zu bleiben, in die Rubrik Stinknelke.
Herr Wunderlich, ich muss Ihnen sagen: Ich werde
von vielen Familien angeschrieben, die sich wünschen,
dass das ElterngeldPlus auf den Weg kommt, um diese
Benachteiligung aufzuheben und mit einem Partnerschaftsbonus die Partnerschaftlichkeit zu stärken. Sie sehen also: Das ist mehr als eine Stinknelke. Seien Sie
froh, dass Sie kein Florist geworden sind, sonst müssten
Sie jetzt Insolvenz anmelden.
({8})
Dritter wichtiger Schwerpunkt: mehr Frauen in Führungspositionen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist beschämend gering. Das liegt nicht daran,
dass wir zu wenige qualifizierte Frauen haben. Es liegt
daran, dass es immer noch die sogenannte gläserne Decke gibt. Diese wollen wir durchstoßen, ich gemeinsam
mit Justizminister Heiko Maas, mit einem gemeinsamen
Gesetz zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wir erarbeiten derzeit die rechtlichen Leitlinien dafür, um sie dann mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften, mit denen, die davon betroffen sind, zu
diskutieren und gemeinsam weiterzuentwickeln.
Wir werden erstens eine verbindliche Quote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte von börsennotierten
und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen einführen. Zweitens werden wir Unternehmen, die mitbestimmungspflichtig und börsennotiert sind, dazu verpflichten,
selbst Vorgaben für ihre Aufsichtsräte, Vorstände und
obersten Etagen zu machen. Drittens wollen wir natürlich im öffentlichen Bereich mit gutem Beispiel vorangehen; denn wir können nicht der Wirtschaft Dinge vorschreiben, die wir selber nicht einhalten. Da gibt es noch
eine Menge zu tun.
({9})
Ich bin sicher, dass diese Quote zu mehr Gerechtigkeit und mehr Gleichstellung von Frauen und Männern
führt, was der Gesellschaft guttut. Die Quote wird nicht
den Untergang des Abendlandes bringen. Im Gegenteil:
Sie wird unser Land aufblühen lassen. Es muss nur der
erste Dominostein fallen.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die
Redezeit reicht nicht, um auf alle Punkte einzugehen,
aber ich möchte eines sagen: Wir werden am 23. Mai
den 65. Jahrestag des Grundgesetzes feiern. Im Grundgesetz ist die gleichberechtigte Teilhabe von Männern
und Frauen verankert. Dort steht auch, dass wir sie aktiv
fördern müssen. Ich möchte das tun, und ich bitte Sie dabei um Unterstützung.
({10})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Kipping
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute, knapp eine Woche nach dem Internationalen
Frauentag, über Geschlechtergerechtigkeit. In dem dazu
vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen steht der
bemerkenswerte Satz: „Zeit ist eine Schlüsselressource.“
Ich habe mich gefreut, diese bemerkenswerte Erkenntnis
in einem Papier von CDU/CSU und SPD zu lesen; das
muss ich sagen. Ich denke da eher an Karl Marx, bei
dem es heißt: „Ökonomie der Zeit, darin löst sich
schließlich alle Ökonomie auf.“ Aber bevor jetzt die
Autorinnen und Autoren der Anträge von den Fraktionsspitzen Ärger wegen zu viel Nähe zu Karl Marx bekommen, kann ich sagen: Keine Sorge! Ich muss kritisch anmerken: Im weiteren Antragstext ist vom Marx’schen
Erkenntnisstreben relativ wenig zu erkennen.
Im Koalitionsantrag wird das Thema Zeitsouveränität, finde ich, allein auf die Frage der Vereinbarkeit von
Beruf und Familie reduziert. Das ist eine wichtige Facette, aber sie reicht in den Kämpfen um Zeit eben nicht
aus. Es kann doch nicht allein darum gehen, dass wir
ständig zwischen Trubel in der Familie und Stress im
Job hin- und herhetzen. Ich meine, es geht um mehr. Die
Linke meint: Im Leben von Männern und Frauen muss
gleichermaßen und gleichberechtigt viel Zeit sein für
erstens Erwerbsarbeit, zweitens Familienarbeit, drittens
politische Einmischung und gesellschaftliches Engagement und viertens Weiterbildung und Muße. Ja, letztlich
geht es um nicht mehr und nicht weniger als ein gutes
Leben für alle.
({0})
Im Koalitionsantrag ist viel von Wahlfreiheit die
Rede. Aber wir wissen doch alle - Hand aufs Herz! -:
Von wirklicher Wahlfreiheit sind viele Frauen und Männer in diesem Land weit entfernt. Es gibt dafür viele
Gründe, aber aus Redezeitmangel kann ich nur auf drei
kurz eingehen:
Erstens. Das heutige Ehegattensplitting belohnt finanziell, wenn der eine der Hauptverdiener und der andere
- dreimal darf man raten, wer es ist - nur der Hinzuver1644
diener ist. Die Linke meint: Wir sollten nicht den Trauschein fördern, sondern Kinder. Deswegen weg mit dem
Ehegattensplitting und her mit einer ordentlichen Kindergrundsicherung!
({1})
Der zweite Grund. Das Kinderbetreuungsangebot und
die Anforderungen der Arbeitswelt gehen vielerorts
noch weit auseinander. Selbst dort, wo es viele Kitas
gibt, ist die Suche nach einem Kitaplatz alles andere als
ein Zuckerschlecken.
Ich erinnere mich noch: Ich war gerade einmal im
vierten Monat schwanger, als ich angefangen habe, einen Kitaplatz für meine Tochter zu suchen. Von einigen
Einrichtungen bekam ich zu hören: Oh, für das übernächste Jahr sind die Listen schon voll, da hätten Sie
eher kommen sollen. - Man fragt sich: Wann? Womöglich vor der Empfängnis, oder was? In anderen Kitas
wiederum hieß es: Wir nehmen überhaupt erst eine Anmeldung an, wenn die Geburtsurkunde des Kindes vorliegt. - Wieder andere wollten entweder nur im Herbst
oder im Sommer die Anmeldung entgegennehmen.
Allein um die unterschiedlichen Bewerbungstermine
zu koordinieren, bedurfte es wirklich Managementfähigkeiten. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit anderen Familien: Die Suche nach einem Kitaplatz wurde für viele
zwischendurch zu einem echt anstrengenden Zweitjob.
Ich kann nur sagen: Beim Ausbau von Kitabetreuungsplätzen gibt es noch viel Luft nach oben.
({2})
Dritter Grund. Noch immer sind vielerorts traditionelle Vorstellungen wirkungsmächtig. Ja, hier ist die
Politik gefragt, für neue Role Models zu sorgen. Inzwischen gibt es in fast allen Fraktionen junge Mütter, die
tagtäglich beweisen: Kinder und Karriere - das passt zusammen. Aber damit die Emanzipation eine vollständige
wird, muss auf die Emanzipation der Frauen jetzt eine
Emanzipation der Männer folgen.
({3})
Wir brauchen jetzt junge Männer in Spitzenämtern, in
den Ministerien und Rathäusern, die ganz selbstverständlich 50 Prozent der Erziehungs- und Familienarbeit
übernehmen, die partnerschaftliche Arbeitsteilung praktizieren und darüber auch reden. Das tut nämlich nicht
nur der eigenen Beziehung gut, sondern das bringt auch
den gesellschaftlichen Fortschritt voran.
({4})
Abschließend möchte ich auf einen Widerspruch im
Koalitionsantrag hinweisen. Sie fordern, das Recht auf
Teilzeit zu verankern. Allerdings problematisieren Sie
selber einige Seiten davor zu Recht, dass Frauen in verantwortungsvolle Positionen in der Regel nicht durch
Teilzeit kommen.
Ich spreche das jetzt nicht an, um Sie vorzuführen.
Der Widerspruch besteht darin: Einerseits sind Menschen, die besonders in Familienarbeit eingebunden
sind, meist auf Teilzeitstellen, auf kürzere Arbeitszeiten
angewiesen. Andererseits wissen wir, dass Teilzeit immer noch als Karriereknick gilt. Wer auf wirklich einflussreiche, so richtig gut bezahlte Stellen will, der muss
in der Regel ausstrahlen, 7 Tage die Woche, 16 Stunden
am Tag im Einsatz zu sein.
({5})
In solch einer Arbeitswelt machen Menschen, die wirklich Verantwortung in der Sorge- und Familienarbeit
übernehmen, ganz schnell den Zweiten.
Die Frage ist: Wie gehen wir jetzt mit diesem Widerspruch um? Ich schlage vor, wir nutzen diesen Widerspruch für einen gedanklichen Fortschritt. Womöglich ist
es für unsere Gesellschaft insgesamt besser, wenn generell kürzere Arbeitszeiten zum Standard werden,
({6})
dass also gilt: kurze Vollzeit für alle, wie es eher in gewerkschaftlichen Kreisen bezeichnet wird, oder - um
mit Frigga Haug zu sprechen - längere Teilzeit für alle.
Längere Teilzeit für alle? Das klingt erst einmal verdammt ungeheuerlich. So manchem mag die Vorstellung, dass die 30-Stunden-Woche oder ganz visionär die
20-Stunden-Woche irgendwann zum gesellschaftlichen
Standard wird, als Zumutung erscheinen. Man hat sich ja
auch so gut eingerichtet in der affektierten Überarbeitung, in der sicheren 90-Stunden-Woche, die vor dem
unsicheren Terrain Familien- und Sorgearbeit schützt.
({7})
Aber ich habe eine gute Nachricht: Workaholismus ist
heilbar. Das Leben ist viel zu vielseitig, als dass wir uns
allein auf Erwerbsarbeit reduzieren sollten. Wagen wir
also kürzere Arbeitszeiten für alle!
({8})
Erinnern wir uns: „Ökonomie der Zeit, darin löst sich
schließlich alle Ökonomie auf.“ Ja, wer über die Zeit anderer verfügt, verfügt über deren Lebenszeit. Insofern
sind die Kämpfe um Zeit, die Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung auch Kämpfe um die Verfügungsgewalt über
das eigene Leben. Es geht also um viel, es geht um
Selbstbestimmung und um Emanzipation von Männern
und Frauen gleichermaßen.
Vielen Dank.
({9})
Jetzt hat die Kollegin Nadine Schön das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der 8. März erinnert uns an die Stärke von Frauen, er erinnert uns aber auch an diskriminierende Bedingungen,
die dazu führen, dass Frauen hier in Deutschland, in
Europa und überall in der Welt schwach gemacht und
auch schwach gehalten werden.
Unser Antrag beschäftigt sich in diesem Jahr mit dem
Thema Zeitsouveränität; denn Zeitsouveränität ist ein
ganz wichtiges Element im Leben von Menschen; natürlich nicht nur im Leben von Frauen, auch Männer kämpfen genauso wie Frauen jeden Tag mit der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Sie kämpfen damit, dass der Tag
immer zu wenig Stunden hat.
Frau Kollegin Kipping, eine 20-Stunden-Woche für
alle wäre ja prima,
({0})
aber dann könnten Sie hier auch Freibier für alle versprechen.
({1})
Das hätte etwa den gleichen Realitätsgehalt. Politik
muss immer zwischen Wünschbarem und Machbarem
einen Mittelweg finden. Die 20-Stunden-Woche für alle,
das klingt zwar sehr schön,
({2})
aber sehr realistisch ist das, glaube ich, nicht.
({3})
Mehr als Männer haben Frauen das Problem, dass die
Entscheidungen, die sie zugunsten von Zeit für Familie
treffen, im Laufe ihres Lebens zu negativen Konsequenzen führen, etwa bei den Karrierechancen, beim Einkommen, bei der beruflichen Weiterentwicklung oder
auch im privaten Bereich.
({4})
Das Anliegen unseres Antrags ist es, die Voraussetzungen für Zeitsouveränität zu schaffen. Entscheidungen, die getroffen werden, sollen im weiteren Lebensverlauf ausgeglichen werden können, dass Frauen nicht
immer die Gelackmeierten sind, wenn sie zwei oder drei
Jahre aus gutem Grund beruflich zurückstecken, wenn
sie sagen: Ich will auch Zeit für meine Familie haben,
ich will mein kleines Kind gern zu Hause betreuen. Männer wie Frauen müssen die Möglichkeit haben, Zeit
für Familie zu haben, ohne dass die Karriere anschließend vorbei ist.
({5})
Es kann in unserem Land doch nicht sein, dass man
während 40, 45 oder 50 Jahren Berufstätigkeit dem Arbeitgeber rund um die Uhr zur Verfügung stehen muss
und die Karriere abgemeldet ist, wenn man auf Berufstätigkeit teilweise verzichtet oder zugunsten von Familie,
Pflege oder Kindererziehung ein bisschen zurücksteckt.
Wir wollen, dass es mehr Möglichkeiten gibt. Wir
wollen nicht, dass diese Wege in eine Sackgasse führen.
Wir wollen, dass die Taktgeber des Familienlebens sich
besser miteinander abstimmen. Da ist die Politik gefragt,
und zwar auf allen Ebenen, vor allem auch auf kommunaler Ebene. Da ist die Wirtschaft gefragt. Da ist die Gesellschaft gefragt. Das ist in diesem Jahr der Schwerpunkt unseres Antrags.
Wir wollen aber aus Anlass des Weltfrauentags auch
nicht vergessen, dass es in unserem Land nicht nur Menschen gibt, die sich Gedanken um Karriere oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen, sondern dass
es auch Frauen gibt, die tagtäglich von häuslicher Gewalt bedroht sind. Gerade wurde von der Agentur der
Europäischen Union für Grundrechte ein Bericht vorgelegt, der zeigt, wie hoch der Anteil der häuslichen Gewalt in Europa ist. Nach wie vor gibt es einen großen
Anteil häuslicher Gewalt im Hellfeld, aber einen noch
viel größeren im Dunkelfeld. Allein die Zahl von
30 000 Frauen, die jährlich mit ihren Kindern den
Schutz von Frauenhäusern in Anspruch nehmen, ist erschreckend. Das sind 30 000 Frauen, die nicht mehr weiterwissen, die nichts anderes tun können, als den Schutz
eines Frauenhauses zu suchen. Es ist unsere Aufgabe,
anlässlich des Weltfrauentags auch an diese Frauen zu
denken und diesen Frauen besser zu helfen.
({6})
Das haben wir in der letzten Legislatur durch die Einführung des bundesweiten Hilfetelefons getan. Das war
ein Anliegen des ganzen Hauses. Das haben wir umgesetzt.
({7})
Seit einem Jahr gibt es nun das bundesweite Hilfetelefon
„Gewalt gegen Frauen“. Ich fordere alle auf - Gastronomen, Hoteliers, Geschäfte, Banken -: Überall dort, wo
Öffentlichkeit ist, wo Menschen sind, soll auf dieses Angebot hingewiesen werden. Das muss möglichst niedrigschwellig sein. Alle müssen im Hinterkopf haben, dass
es die Möglichkeit gibt, dort anzurufen; denn über dieses
Hilfetelefon bekommen alle Menschen in unserem Land,
die von Gewalt im häuslichen Bereich bedroht oder betroffen sind, zielgerichtet Informationen. Sie bekommen
Hilfestellung, und ihnen wird gesagt, wie sie weiter vorgehen können, wie man ihnen helfen kann. Besonders
gut ist, dass das Hilfetelefon auch in mehreren Sprachen
zur Verfügung steht. Ich finde, es ist ein sehr gutes Projekt. Ich danke vielmals den Kollegen, die sich seit vielen Jahren dafür eingesetzt haben, dass es das Hilfetelefon gibt. Seit einem Jahr haben wir es nun. Es ist ein
guter Baustein im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen.
({8})
Nadine Schön ({9})
Wir besprechen derzeit andere aktuelle Themen wie
das Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel. Es
gibt Netzwerke, die Frauen ausnutzen, die Frauen zur
Ware machen. Es gibt Netzwerke, die Geld damit verdienen, dass Frauen zur Prostitution gezwungen werden.
Wir werden alles dafür tun, die schlechten Entwicklungen, die es in unserem Land in diesem Bereich gibt, wieder einzudämmen. Wir werden alles dafür tun, gegen
Menschenhandel und Zwangsprostitution vorzugehen.
Wir müssen international besser zusammenarbeiten, aber
wir müssen vor allem unsere Gesetze anpassen, dass
diese Auswüchse in Deutschland nicht mehr vorkommen.
({10})
Wir werden außerdem menschenunwürdige Praktiken
wie etwa Flatratebordelle verbieten. Ja, man kann Prostitution auch als Beruf ansehen; aber ich kann mir nicht
vorstellen, dass es in diesem Land eine Frau gibt, die
sich freiwillig und gern einem Flatratetarif unterstellt.
Das sind menschenunwürdige Praktiken. Das muss verboten werden. So etwas darf es in unserem Land nicht
geben.
({11})
Wenn wir einen Blick in die Welt werfen, dann sehen
wir, dass Frauen in vielen Ländern Opfer von Vergewaltigung als Mittel des Krieges sind. Wir sehen, dass
Frauen von Zwangsheirat, von Ehrenmorden, von häuslicher Gewalt, von Frauenhandel betroffen sind. Wir haben eine große Verantwortung, nicht nur im eigenen
Land - die Kollegen werden auf diese Herausforderungen noch eingehen -, sondern auch für die Frauen weltweit. Wir sind eine Solidargemeinschaft. Der Weltfrauentag erinnert an genau diese Verantwortung. Deshalb
danke ich den Kolleginnen und Kollegen herzlich, dass
wir uns zu dieser prominenten Stunde Zeit für diese Debatte nehmen. Ich hoffe, dass wir gerade beim Thema
„Gewalt gegen Frauen“ in dieser Legislaturperiode ein
gutes Stück vorankommen.
({12})
Wir wollen aber auch für die Frauen im eigenen Land
mit Blick auf den privaten Bereich deutlich vorankommen. Dabei geht es um das Thema Gewalt, aber auch um
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Entgeltungleichheit und die Karriereaussichten. Diese Große
Koalition ist eine Koalition, die sich für die Frauen einsetzen wird.
({13})
Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit.
({14})
Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den Zeitungen bin ich in der letzten Woche
auf zahlreiche Werbeanzeigen der Blumen- und Parfumindustrie anlässlich des Weltfrauentages gestoßen. Ich
habe den Eindruck, dass dieser Tag mittlerweile zu einem Konsumtag verkommt, bei dem es rein um Profit
geht: Hotels bieten Wellnesspakete für das gestresste
weibliche Geschlecht an; Discos werben gar mit Männerstripshows. Das ist ernüchternd; denn dadurch werden der politische Hintergrund dieses Tages und die Erinnerung an den Kampf um Gleichberechtigung und das
Frauenwahlrecht vor über 100 Jahren vergessen. Darum
ist es dringend notwendig und richtig, hier und heute
über dieses Thema zu debattieren.
({0})
Die Liste der gleichstellungspolitischen Versäumnisse
der letzten Jahre ist nach wie vor lang. Die aktuellen
Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaft haben es
uns ja gerade wieder gezeigt: Der Anteil von Frauen in
Führungspositionen der Wirtschaft ist nach wie vor
gering. In den DAX-30-Unternehmen stieg er in den
Aufsichtsräten auf gerade einmal 22 Prozent und in den
200 umsatzstärksten Unternehmen auf 15 Prozent, aber
gleichzeitig sank in den DAX-30-Unternehmen der Anteil von Frauen in den Vorständen, und zwar auf geringe
6,3 Prozent, die 200 größten Unternehmen in Deutschland wiederum bringen hier nur einen Frauenanteil von
4 Prozent hervor. Ein ähnlich ambivalentes Bild zeigt
sich auch in Unternehmen mit Bundesbeteiligung. Diese
Daten machen eines unmissverständlich klar: Die Wirtschaft tut sich immer noch schwer, maßgebliche Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, jetzt haben Sie eine Frauenquote von 30 Prozent
für Aufsichtsräte angekündigt und sich dafür mit großem
Getöse bereits Ende letzten Jahres feiern lassen. Minister
Maas und Ministerin Schwesig wollten schon letzte Woche hierzu Eckpunkte vorlegen; gesehen haben wir davon bis heute leider noch nichts. Es greift aber viel zu
kurz, nur ein Drittel Frauen ab 2016 nur für die Neubesetzung von Aufsichtsräten in voll mitbestimmten und
börsennotierten Unternehmen einzufordern; denn solch
eine kleine Quote tangiert lediglich 120 Unternehmen.
Sie würden damit nur sehr wenigen Frauen an die Spitze
verhelfen.
({1})
Angesichts der Tatsache, dass ein breites Bündnis von
Frauen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schon in
der letzten Wahlperiode 30 Prozent gefordert hat, klingt
dieser Vorschlag ziemlich mutlos. Mit anderen Worten:
Ein halbherziges Quötchen auf leisen Pfötchen, das ist
vor allem eines, nämlich eine riesengroße verpasste
Chance für Frauen.
({2})
Wir als Grünen-Fraktion fordern eine Mindestquote
in Aufsichtsräten von 30 Prozent ab 2015 und 40 Prozent
ab 2017. Dies fordert übrigens auch die EU-Kommission. Bei der Besetzung von Vorständen wollen wir die
Erhöhung des Frauenanteils mit gesetzlichen Maßnahmen fördern. Zudem muss das Bundesgremienbesetzungsgesetz überarbeitet werden; denn Unternehmen mit
Bundesbeteiligung sollten selbstverständlich ihre Vorbildrolle bei der Beteiligung von Frauen in Führung ausfüllen.
({3})
Aber uns ist wichtig, dass Frauen auf allen Ebenen in
Führungspositionen vertreten sind. Denn sie stecken
nach wie vor in den unteren und mittleren Unternehmensebenen fest. Die gläsernen Decken sind immer noch
existent - Sie sagten es eben, Frau Ministerin -, und
zwar in der Privatwirtschaft, in der Wissenschaft, in den
Medien, in der Medizin. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Diese Verschwendung von Potenzialen und Fähigkeiten
von Frauen können wir uns gesellschaftlich und auch
ökonomisch nicht leisten.
({4})
Aber ich sage eines auch ganz klar: Es geht hier in
erster Linie um Gerechtigkeit für Frauen. Wir alle sind
gefordert, von der Regierung Meilensteine für geschlechtergerechte Maßnahmen zu fordern, und zwar
jetzt, umgehend.
({5})
Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Abschaffung überlanger Arbeits- und Anwesenheitszeiten in Unternehmen. In Schweden zum Beispiel finden keine Gremiensitzungen nach 16 Uhr statt. Da gehört es zur
Arbeitskultur, wenn Frauen und Männer der Familie am
Nachmittag und Abend den Vorrang geben.
({6})
Wöchentlich erreichen uns neue Zahlen zur Lage der
Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Richtig bleibt: Zwei Drittel der insgesamt 7 Millionen Beschäftigten in Minijobs
sind Frauen. Im Jahr 2012 haben nur 45 Prozent der
Frauen durch eigene Erwerbs- und Berufstätigkeit ihren
Lebensunterhalt decken können. 45 Prozent, einmal ehrlich! Minimalistischste Steigerungen bei der Erwerbsquote sind kein riesiger Fortschritt für Frauen und führen
mitnichten zu dem sogenannten guten Leben, schon gar
nicht mit kleinen Einkommen. Fakt ist: Frauen sind in
erheblichem Maße benachteiligt. Sie verdienen im
Durchschnitt 23 Prozent weniger als Männer. Da sage
ich: Es ist zynisch, dass Sie das Problem der Minijobs,
die Sackgasse für viele Frauen, nicht anpacken und
Frauen nur mit verbesserten Informationsangeboten abspeisen wollen.
({7})
Davon haben zum Beispiel Alleinerziehende, deren Armut weiter steigt, gar nichts.
Ernsthafter politischer Gestaltungswille sieht anders
aus. Dazu gehört auch endlich die schnelle Abschaffung
der Entgeltdiskriminierung. Ich finde es sehr enttäuschend, dass Sie in Ihrem Antrag hier und heute als einzige sehr konkrete Forderung einen zweiten Gleichstellungsbericht einfordern, und dies auch noch unter
Haushaltsvorbehalt. Fordern Sie Ihre Ministerien doch
erst einmal auf, die Empfehlungen des ersten Gleichstellungsberichtes umgehend zu realisieren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie haben genug
Zahlen, Sie kennen die Statistiken, die Analysen liegen
klar vor Ihnen. Jetzt, wo Sie die Mehrheiten haben, sind
Sie auch in der Pflicht, zu handeln. Tun Sie es einfach!
Vielen Dank.
({8})
Jetzt hat die Kollegin Carola Reimann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon
angesprochen worden: Frauen bekommen ganze 21 Prozent weniger Lohn als Männer. So groß ist der Unterschied bei den Stundenlöhnen. Diese Lohnlücke ist
skandalös. Das ist keine Frage.
({0})
Noch skandalöser ist aber die Benachteiligung von
Frauen, wenn wir die Erwerbseinkommen in der gesamten Erwerbsbiografie, also in einem gesamten
Frauen- oder einem gesamten Männerleben, in den Blick
nehmen. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kürzlich getan und dabei Erschütterndes
festgestellt: Eine Akademikerin erreicht ein Lebenserwerbseinkommen von 800 000 Euro. Ihr männlicher
Kollege bekommt fast das Doppelte: 1,4 Millionen Euro.
In den anderen Berufsgruppen sieht das sehr ähnlich aus.
Ganze 43 Prozent beträgt nach dieser Rechnung der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern.
Das führt dann - wie könnte es auch anders sein? - zu
völlig unterschiedlichen Renten im Alter.
Frauen werden über das ganze Erwerbsleben hinweg
diskriminiert. Kolleginnen und Kollegen, wir haben bislang nur zum Teil die richtigen Antworten darauf gefunden. Deshalb bin ich froh, dass wir heute eine Debatte über
Zeitpolitik führen. Zeit ist die wichtigste Währung der
Gleichstellungspolitik; so bringt es Jutta Allmendinger auf
den Punkt.
Wir reden immer noch vom Normalarbeitszeitverhältnis und meinen damit männliche lebenslange Vollzeitbeschäftigung: ein Mann, ein Arbeitsplatz - Vollzeit -, ein
Unternehmen, ein Leben lang. Dabei wird ignoriert, dass
die meisten Frauen von dieser sogenannten Normalität in
ihren Lebensläufen und in ihren Lebensverhältnissen
weit entfernt sind.
Frauen steigen wegen der Geburt eines Kindes viel
häufiger und länger aus dem Erwerbsleben aus als Männer. Frauen kehren, wenn überhaupt, dann viel zu häufig
in Teilzeit - das ist schon genannt worden - oder gar in
Minijobs zurück. Es sind in erster Linie wiederum
Frauen - da geht es nicht um Kinder -, die sich um pflegebedürftige Eltern und Schwiegereltern kümmern und
deshalb beruflich kürzer treten.
Frauen zahlen ihr Leben lang für den Umstand, dass
sie Kinder bekommen oder auch nur hypothetisch bekommen können. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen,
Frau Schauws, werden wir ganz konkrete Maßnahmen
gegen Lohndiskriminierung auf den Weg bringen:
({1})
Erstens. Wir führen den gesetzlichen Mindestlohn
ein. Der hilft vor allem Frauen; denn sieben von zehn
Beschäftigten in Niedriglohnbereichen sind Frauen. Der
Mindestlohn hilft vor allem Frauen.
Zweitens. Wir werden ein individuelles Auskunftsrecht für alle Beschäftigten einführen, damit Lohnungleichheit in den Unternehmen überhaupt sichtbar wird;
die Ministerin hat es angesprochen.
Wir regeln drittens die verbindlichen Verfahren, damit
Betriebe eigenständig für Lohngerechtigkeit sorgen.
Kolleginnen und Kollegen, wir machen noch mehr.
Wir ergreifen zudem Maßnahmen, die Einfluss auf die
Erwerbsverläufe von Frauen und Männern haben. Wir
werden einen Rechtsanspruch für Teilzeitbeschäftigte
einführen, mit dem sie in einen Vollzeitjob zurückkehren
können.
({2})
So wird Teilzeit nicht länger zur Falle für Frauen.
Wir machen weiter beim Ausbau von Kitas; denn Eltern müssen Beruf und Familie gut vereinbaren können.
Wir regeln die Quote gesetzlich, damit Frauen oben
ankommen, in den Vorstandsetagen der Unternehmen
genauso wie in den Chefpositionen der Bundesministerien und der öffentlichen Verwaltung.
({3})
Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das Rad der
Zeitpolitik aber auch noch etwas weiter drehen; denn
Frauen wünschen sich oft, mehr zu arbeiten. Sie wünschen sich eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit, und umgekehrt wünschen Männer, für den Arbeitgeber nicht länger Vollzeit rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen
und in der Familie dann allenfalls noch einen Minijob zu
haben. Auch Männer wünschen sich mehr Zeit für Familie und für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
({4})
Ministerin Schwesig hat mit ihrem Vorschlag der Familienarbeitszeit meiner Ansicht nach die wichtigste
gleichstellungs- und familienpolitische Debatte angestoßen.
({5})
Mit dem ElterngeldPlus, das junge Eltern bei der partnerschaftlichen Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit unterstützen soll, machen wir da einen ersten wichtigen
Schritt.
Kolleginnen und Kollegen, was macht ein gutes Leben aus? Ich glaube, da sind wir gar nicht weit auseinander, ganz gleich, ob mit oder ohne Kinder. Zu einem guten Leben gehört natürlich ein Beruf, der einen ausfüllt,
gehört aber auch Zeit für die Partnerin oder den Partner.
Gut lebt doch, wer Zeit für Kinder, für Angehörige, für
Freunde hat, wer auch ein paar Stunden Zeit für Fortbildung, für Weiterbildung, für ein Ehrenamt hat und wer
schlicht auch mal eine Pause und Zeit für sich hat.
({6})
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir bezahlte
und unbezahlte Arbeit fairer auf Frauen und Männer verteilen können, damit wir alle diesen gesellschaftlichen
Anforderungen gerecht werden und in besserer Balance
leben können. Davon profitieren wir alle.
Danke.
({7})
Jetzt hat die Kollegin Cornelia Möhring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für die, die den Antrag, den wir hier diskutieren, nicht
vorliegen haben: Er trägt den Titel „Mehr Zeitsouveränität - Neue Wege für gleiche Chancen von Frauen und
Männern“. Ich finde diesen Titel wirklich schön; aber
ich habe mich gefragt, warum so ein langer Antrag und
so wenig neue Wege. Ich vermute, es liegt daran, dass
sich die Große Koalition nicht auf viel Konkretes einigen kann. Auch Punkt 8 des Antrags, die angekündigte
Anhebung des steuerlichen Entlastungsbetrages für Alleinerziehende, ist - das haben wir heute morgen bei einer Anfrage der Linken gehört - erst einmal verschoben.
Vielleicht haben Sie deshalb wirklich alles, was Sie zwischen Frauentag und Equal Pay Day einmal sagen möchten, in diesen Schaufensterantrag gepackt.
In den Maßnahmen des Antrags heißt es wenig konkret: „einen …bericht vorzulegen“, „der Ressource Zeit
mehr Aufmerksamkeit zu widmen“, „die Daten … auszuwerten und … zu berichten“, „soll weiterentwickelt
werden“ - dabei ist noch gar nicht klar, was denn eigentlich weiterentwickelt werden soll. Ehrlich gesagt, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Das erinnert
mich dunkel an den Überprüfungswahn, den die letzte
Bundesregierung an den Tag gelegt hat. Da muss man
sich wirklich fragen, ob Sie nicht doch den falschen Koalitionspartner ausgewählt haben.
({0})
Dummerweise helfen Beschwörungsformeln so gar
nicht gegen die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die richtigen Lösungen für konkrete Schritte findet man
bekanntlich nur, wenn man zunächst die Ursachen analysiert. Meine Kollegin Katja Kipping hat einen Satz aus
Ihrem Antrag zitiert, den ich ausdrücklich teile: „Zeit ist
eine Schlüsselressource“ für die Gleichstellung von
Frauen und Männern und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn das so ist, dann müssen wir doch
genau da politisch ansetzen. Ein wirklich brauchbarer
Vorschlag für mehr Zeitsouveränität lag im Januar auf
dem Tisch: eine 32-Stunden-Woche für junge Eltern zu
ermöglichen. Was hat die Große Koalition daraus gemacht? Der Vorstoß wurde in Windeseile zur persönlichen Meinung der Familienministerin degradiert, und
Arbeitgeberverbände rufen sogar den Untergang des
Abendlandes aus.
Dabei geht eine Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit
genau in die richtige Richtung. In der Arbeitswelt eskalieren nämlich munter die Zeitkonflikte: Zeitstress durch
ausufernde Arbeitstage, Überstunden, Mehrfachjobs,
weil der Lohn einfach nicht reicht, Minijobs, Leiharbeit,
befristete Verträge. Hamsterrad für die einen, null Arbeitsstunden für viele andere. Genau vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, diskutieren wir
hier über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, über
Zeitsouveränität und über neue Wege der Gleichstellung.
Vereinbarkeit heißt aus meiner Sicht: Schluss mit der
Kultur der langen Anwesenheit! Schluss mit Überarbeit
und Wochenendarbeit! Vereinbarkeit heißt auch: Überwindung von Erwerbslosigkeit und unfreiwilliger Teilzeit.
({1})
Da liegt eine Verkürzung der Arbeitszeit und eine Umverteilung der Arbeit doch eigentlich auf der Hand. Statt
immer mehr Sorge- und Pflegetätigkeiten in die Familien zu verlagern, muss die gesamte Arbeit fair neu verteilt werden.
({2})
Im Antrag der Großen Koalition sind leider auch
keine neuen Wege zu erkennen, um Frauen ein individuelles und existenzsicherndes Einkommen zu sichern.
Frauen hängen weiter in Minijobs, Teilzeit und Niedriglohn fest. Väter müssen in langer Vollzeit arbeiten, obwohl sie sich mehr um ihre Kinder kümmern möchten.
Alle Familienformen - im Übrigen auch die, über die
der Antrag schweigt - benötigen eine neue Zeitpolitik.
({3})
Die heißt ganz kurz: Arbeitszeitverkürzung. Solange
diese ungleiche Verteilung von Arbeitszeit und Einkommen den Alltag bestimmt, können Frauen und Männer
nicht frei aushandeln, wie sie leben wollen, gibt es keine
- ich weiß, dass das ein neues Modewort ist - Wahlfreiheit. Sie müssen daher ganz tapfer sein: Wahlfreiheit ist
erst dann hergestellt, wenn diese Rahmenbedingungen
geändert sind.
({4})
Frauen und Männer - immer mehr Männer - wollen
weder starre noch ausufernde Arbeitszeiten. Sie wollen
eine Flexibilität, die ihnen mehr Zeit zum Leben lässt,
und zwar für alle Bereiche des Lebens. Sie brauchen dafür ein existenzsicherndes Einkommen, mit dem sie am
gesellschaftlichen Leben teilhaben können und das ihnen
eine auskömmliche Rente sichert.
Frau Schön, Sie haben uns vorgeworfen, wenn wir
eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit fordern, entspreche das dem Motto „Wünsch dir was!“ oder „Freibier für
alle!“.
({5})
Ich will Ihnen einmal sagen: Die neue Norm, die eine
reiche und gerechte Gesellschaft setzen sollte - der gesellschaftliche Fortschritt, den Frau Schwesig vorhin
eingefordert hat -, würde genau in einer 30-Stunden-Arbeitswoche für alle bestehen, die die Politik wirklich
durchsetzt.
({6})
- Na gut, ich erkläre mich bereit, bei 30 anzufangen. Darauf können wir uns ja gemeinsam einigen.
Um zu zeigen, dass das möglich ist, möchte ich ein
Beispiel der Kollegin Margareta Steinrücke von der Arbeitnehmerkammer in Bremen ausleihen und hier anführen. Sie hat nämlich festgestellt: Die Produktivität der
Arbeit, also wie viel wir pro Zeiteinheit produzieren, ist
gigantisch gewachsen. In den 60er-Jahren brauchten wir
im Vergleich zum Jahr 2000 für die Herstellung vieler
Produkte im Durchschnitt 100 Prozent mehr Zeit. Das
heißt, wenn die Herstellung eines Brotes 1960 noch
20 Minuten dauerte, brauchen wir heute nur noch 10 Minuten dafür. Bei vielen Metall- und Elektroerzeugnissen
ist dieser Produktivitätszuwachs noch viel größer. Würden wir diesen Zuwachs eins zu eins umsetzen und unsere Arbeitszeit entsprechend reduzieren, dann müssten
wir heute nur noch 24 Stunden in der Woche arbeiten;
denn 1960 waren es noch 48 Stunden - und 48 geteilt
durch 2 sind 24.
({7})
Daraus ergibt sich doch eine ganz einfache Schlussfolgerung: Die Unternehmen müssen einfach nur ein
bisschen auf Extragewinne verzichten. Abgesehen von
der gestiegenen Arbeitsproduktivität fällt nämlich auf,
dass der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen stetig
steigt, während die Lohnquote sinkt. Das ist eine ganz
einfache Rechnung.
({8})
Wenn wir das in diesem Sinne machen würden, dann
hätte Ihre schöne Überschrift wirklich einen Sinn, dann
wäre nämlich Zeitsouveränität für alle drin; denn eine
Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ist bezahlbar.
Eine Umverteilung von Arbeit zeigt für die einen den
Weg aus dem Hamsterrad und für die anderen den Weg
zurück in eine chancengleiche und gerechte Arbeitswelt.
Vielen Dank.
({9})
Jetzt hat der Kollege Marcus Weinberg das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will gerne an den Grundgedanken der Debatte anknüpfen, weil ich glaube, es ist
wichtig, dass wir diese Debatte um den 8. März, den
Weltfrauentag, herum hier im Deutschen Bundestag führen - und auch zu einer exklusiven Zeit. Ich denke, das
ist auch den Männern und Frauen geschuldet, die in den
letzten Jahren, Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten dafür gekämpft haben, dass wir in Deutschland Gleichberechtigung und auch Gleichstellung erlangt haben, und
ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir Abgeordnete des
Deutschen Bundestages ein Signal in die Länder und Regionen entsenden, in denen es noch keine Gleichberechtigung gibt. Auch das ist unser Auftrag.
({0})
Ich denke, dass wir mit Blick auf Deutschland darüber diskutieren müssen, wo wir trotz einer formalen
Gleichberechtigung noch immer Nachholbedarf in Bezug auf die Themen Chancengerechtigkeit und Gleichstellung haben.
Ich finde es gut und wichtig, dass wir mit dem Antrag
der Großen Koalition um den 8. März 2014 herum die
Themen aufgegriffen haben, die in den nächsten Jahren
- die Vorrednerinnen haben es deutlich gemacht - eine
entscheidende Bedeutung haben. Es geht um die Themen Zeitsouveränität und Zeitpolitik als Ressource für
Frauen und Männer und insbesondere für Familien und
Kinder. Dies ist unter der Überschrift „Partnerschaftlichkeit in der Familienpolitik“ zu sehen. Hier gilt für uns
weiterhin der Grundsatz der Wahlfreiheit in Bezug auf
die Gestaltung der familiären Situation; dieser muss formuliert werden.
Wir reden über Teilzeit und darüber, wie sich die Familien das aufteilen. Wenn das freiwillig geschieht und
wenn das eine Entscheidung der Familie ist, von Mann
und Frau, dann ist das gut und richtig so. Wenn das aber
gewissen Zwängen ökonomischer, sozialer oder gesellschaftlicher Art unterliegt, dann muss die Politik reagieren. Für uns stehen die Freiheit von Restriktionen und
die Freiheit zu bestimmten Optionen, also die Möglichkeit, verschiedene Lebensentwürfe zu realisieren, im
Vordergrund.
({1})
Das wollen wir erreichen, und wir haben das, was in den
nächsten Jahren zur Umsetzung ansteht, in dem Antrag
konkretisiert.
Ich muss jetzt auch noch einige Sätze zu den Wortbeiträgen der Linken, von Frau Möhring und Frau Kipping,
sagen:
Frau Kipping, haben Sie keine Sorge: Viele von uns
und auch ich haben Karl Marx gelesen. Weil ich ihn gelesen habe, sitze ich auf der rechten Seite des Plenums
und nicht bei Ihnen.
({2})
- Um es so zu formulieren: Die Lokomotive, die vorangeht, sitzt auf der rechten Seite.
Für uns ist entscheidend, dass wir uns fragen, was Familien wollen. Was wollen Familien? In Bezug auf die
Veränderung der Rahmenbedingungen haben wir bereits
in den letzten Jahren Maßnahmen entwickelt, und das
wollen wir fortsetzen.
In diesem Zusammenhang muss ich auch noch einige
Sätze zu Ihrer Forderung der 20-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und dem, was es da sonst noch alles
gibt, sagen: Wenn wir 5,4 Milliarden Euro mehr für den
Krippenausbau und - richtigerweise - 5 Milliarden Euro
mehr für das Elterngeld ausgeben, wenn wir also weitere
Milliarden für familienpolitische Leistungen und Maßnahmen ausgeben, müssen diese auch erwirtschaftet
werden.
Herr Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?
Sie möchte, glaube ich, wissen, wann und wo ich Karl
Marx gelesen habe.
({0})
Gerne.
({1})
- Das mit dem Verständnis ist so eine Sache, genau.
Es freut mich ja, zu hören, dass Sie hier verkünden,
Karl Marx gelesen zu haben, und daraus offensichtlich
Ihre Politisierung abgeleitet haben. Vor dem Hintergrund, dass Sie das hier ansprechen, würde mich interesKatja Kipping
sieren, welche Schriften und welche Aussagen Ihnen
denn besonders in Erinnerung geblieben sind.
({0})
Ich hätte jetzt wirklich Lust, einiges von Karl Marx zu
zitieren, um dadurch klarzumachen, warum Karl Marx
schon in der Theorie irrte. Haben Sie aber bitte Verständnis dafür, dass wir jetzt über das Thema Gleichstellung
diskutieren wollen.
({0})
Wir beide können aber gerne einmal ein kleines
Hauptseminar abhalten, in dem wir uns insbesondere
über die volkswirtschaftlichen Thesen oder Gedankengänge von Karl Marx austauschen. Auf diese Weise können wir sehen, warum er geirrt hat, was leider in der Praxis bewiesen werden musste.
({1})
Sie sagen, was Sie sich vorstellen und wie Familien
zu agieren haben. Wir von der Koalition dagegen oktroyieren nicht und skizzieren auch nicht dogmatisch ein
Bild von Familien. Wir wollen im Kern vielmehr die
Wahlfreiheit für Familien. Wir fragen: Was wollen Familien? Wir fragen natürlich insbesondere auch: Was ist gut
für Familien, was wollen Kinder, und was ist gut für
Kinder?
Wenn man sich mit den Themen Zeitsouveränität und
Partnerschaftlichkeit beschäftigt, stellt man fest, dass in
der deutschen Gesellschaft ein schiefes Bild existiert.
Der Familienreport 2011 hat sich mit folgenden Fragen
beschäftigt: Was wollen die Familien? Was wollen die
Frauen? Was wollen die Männer? Was ist momentan tatsächlich in der Gesellschaft gegeben? Der Report hat gezeigt, dass 60 Prozent der Väter ihre Arbeitszeit gerne
reduzieren würden, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu
verbringen. 34 Prozent der Frauen würden gerne mehr
arbeiten als nur Teilzeit. Von diesen 34 Prozent arbeiten
81 Prozent übrigens deshalb in Teilzeit, weil die familiäre Situation ihnen das vorgibt. Das liegt am sozialen
und gesellschaftlichen Hintergrund und natürlich auch
an der Einkommensdifferenz. Diese Faktoren führen
dazu, dass sich Familien so entscheiden. Ein weiterer
wichtiger Punkt ist, dass bei 70 Prozent der Paare der
Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit arbeiten. Bei
nur 3 Prozent der Paare ist es so, dass beide es sich erlauben können, in Teilzeit zu arbeiten, um sich mehr um
die Familie zu kümmern.
In der Debatte um Zeitsouveränität und Partnerschaftlichkeit muss auch gefragt werden: Was wollen eigentlich die Kinder? Was wünschen sich die Kinder? Das
vergessen wir zu häufig, weil wir nur über uns selbst reden. Man muss auch die Kinder fragen. 80 Prozent der
Kinder von Müttern, die in Teilzeit arbeiten, sagen, dass
sie mit diesem Zeitmanagement gut zurechtkommen. In
Bezug auf das Zeitmanagement der Väter sind es weniger. Kinder erwarten von beiden Eltern Zeit, Aufmerksamkeit, Liebe und Zuwendung.
({2})
Sie erwarten aber nicht, dass ihnen die Eltern rund um
die Uhr zur Verfügung stehen. Die Kinder, die sich gerade in der Phase der Adoleszenz befinden, erwarten das
wahrscheinlich überhaupt nicht. Das müssen wir auch
berücksichtigen, wenn wir darüber nachdenken, wie die
Politik eingreifen soll. Die Berufstätigkeit beider Eltern
sichert finanziell ab und bringt auch vom sozialen Status
her Veränderungen mit sich, die Kinder immer begrüßen.
Wenn man all diese Aspekte sozusagen als Überbau
betrachtet, ergeben sich für uns fünf Maßnahmen, die
wichtig sind, um Zeitsouveränität zu gewährleisten:
Das erste Thema - es wurde von der Ministerin und
von Nadine Schön bereits angesprochen - ist die Teilzeitarbeit und das Recht auf Rückkehr in die Vollzeitbeschäftigung, das auch für Frauen in Führungspositionen
gelten muss.
Das zweite Thema ist das Thema der Flexibilisierung
der Elternzeit.
Der dritte Bereich ist das ElterngeldPlus. Dies soll auf
den Weg gebracht werden und kommt zu den 5 Milliarden Euro, die wir bereits jetzt ausgeben, hinzu. Dabei
geht es um die Inanspruchnahme von Partnermonaten
und um eine stärkere Beteiligung der Väter bei Reduzierung auf 25 oder 30 Wochenstunden und bei Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 10 Prozent. Wir sagen: Die
Elternzeit muss flexibilisiert und das Elterngeld erweitert werden. Auf diese Weise können wir eine gerechtere
Einteilung von Erwerbsleben und Familienleben zwischen Frauen und Männern hinbekommen.
Viertens geht es um den gesamten Bereich der Familienzeit, um Entlastungsmaßnahmen und Koordinierungsmaßnahmen, Stichwort Kindertagesbetreuung. Wann hat
eine Kindertagesbetreuungseinrichtung eigentlich geöffnet? Wird sie dem Bedarf und der Nachfrage wirklich
gerecht, oder aber ist das nur sehr begrenzt der Fall?
Hier werden wir uns über familienunterstützende Dienstleistungen Gedanken machen müssen, also darüber, wie
wir gewährleisten können, dass Familien weiter entlastet
werden.
Fünftens bleibt der große Bereich des Ausbaus der
Kindertagesbetreuung. Hier haben wir quantitativ etwas
gemacht. In der nächsten Epoche geht es unter dem bildungspolitischen Gesichtspunkt von Familienpolitik um
die Qualität in Kitas. Denn Eltern wollen nicht nur einen
Betreuungsplatz haben; Eltern wollen einen guten Betreuungsplatz haben.
({3})
Außerdem wollen sie die Sicherheit, dass es den Kindern
gut geht, und die Sicherheit, dass das, was sie sich für
ihre Kinder wünschen, auch unter bildungspolitischen
Marcus Weinberg ({4})
Gesichtspunkten auf den Weg gebracht wird. Die Themen Zeitsouveränität und Partnerschaftlichkeit werden
von der Großen Koalition nicht nur formuliert, sondern
sie sind bei uns auch gut aufgehoben. Es gibt eine Reihe
von Maßnahmen, die wir in den nächsten Jahren gemeinsam abarbeiten werden, um das hinzubekommen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme gerne zum Schluss.
Mit einem netten Blick auf die linke Seite des Hauses
sage ich: Das alles kann man machen. Aber es muss
auch finanziert werden. Deswegen ist es für uns Familienpolitiker wichtig, dass wir für die Dinge, die wir
fordern, die Akzeptanz der Wirtschaft, des Mittelstandes
und derjenigen haben, die sie auch mitzutragen haben,
wenn es um die Finanzierung geht. Ich glaube, diese
Maßnahmen sind gut angelegt: für Mütter, Väter,
Frauen, Männer und Kinder, also für Familien insgesamt.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt hat die Kollegin Katja Dörner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Der Antrag und auch die Reden der
Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen erinnern mich an einen kleinen Reim aus meiner
Schulzeit - etwas salopp -: Lyrik ist schwyrig, sie wird
schnell schmyrig. - Genau das passiert nämlich hier.
Warum ist das so? Schließlich liest sich der Antrag
erst einmal ganz gut. Die Koalitionsfraktionen greifen
ein wirklich wichtiges Thema auf, nämlich die Zeitpolitik. Im Intro des Antrags wird der zeitliche Druck, der
auf Familien lastet, sehr richtig beschrieben, so auch der
Wunsch insbesondere vieler Väter, mehr Zeit mit ihrer
Familie verbringen zu können, und der Wunsch vieler
Eltern, Erwerbs- und Familienarbeit endlich partnerschaftlich aufteilen zu können. Aber, liebe Kolleginnen
und Kollegen, schöne Lyrik reicht eben nicht. Von schöner Lyrik haben Familien noch längst nicht mehr Zeit.
({0})
Wenn man sich den langen Forderungsteil des Antrags anschaut, dann stellt man fest: Er bleibt weitgehend
blumig; alles bleibt im Ungefähren. Wenn alle, ausnahmslos alle Forderungen an die Bundesregierung ausdrücklich unter Haushaltsvorbehalt gestellt sind, dann
müssen sich die Frauen trotz dieser schönen Lyrik sehr
konkret Sorgen machen, wie es mit der Beförderung von
Chancengleichheit und Gleichstellung durch diese Bundesregierung aussehen wird.
({1})
Ich finde, das ist in der Woche nach dem Internationalen
Frauentag ein schlechtes Signal. Dabei hätten doch gerade die Frauen, die dreieinhalb Jahre mit einer Ministerin zu tun hatten, die - ich will es einmal so ausdrücken eine durchaus eigenwillige Vorstellung von Frauenpolitik und Feminismus hatte,
({2})
endlich einen richtigen Schub in der Frauenpolitik verdient.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte die Zeitpolitik tatsächlich für eine sehr wichtige Frage. Dass die
Regierungsfraktionen einen ellenlangen Antrag dazu
schreiben, der aber in mickrige, unkonkrete Vorschläge
mündet,
({4})
bestätigt mich doch sehr stark in meinem Eindruck, dass
sich die Große Koalition sehr bewusst vor den schwierigeren Themen wegduckt, die wir aber auch angehen
müssen, wenn es uns tatsächlich um die Gleichstellung
von Frauen geht.
({5})
Welche Themen sind das? Das sind zum einen die
Minijobs. Rund zwei Drittel der Minijobber sind weiblich. Mehr als die Hälfte verdient weniger als 8,50 Euro
die Stunde. Es ist klar: Die Minijobs haben sich als eine
berufliche Sackgasse insbesondere für Frauen erwiesen.
Wir brauchen deshalb dringend eine Reform des Niedriglohnsektors. Die Minijobs müssen durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt
werden.
({6})
Wir brauchen insbesondere Anreize für eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen.
({7})
Das Kabinett hat in dieser Woche den Fortschrittsbericht zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung beraten. Wir haben dazu eine Befragung der Bundesregierung
durchgeführt. Es ist ganz aktuell deutlich geworden:
Deutschland hat im EU-Vergleich die niedrigste Erwerbsbeteiligungsquote von Frauen. Dabei will jede
fünfte Frau mit Teilzeitjob gerne mehr arbeiten. Hier
muss ganz klar die Bundesregierung handeln. Die absehbare Dauertauchstation der Großen Koalition werden wir
Grüne im Interesse der Frauen nicht akzeptieren.
({8})
Die Koalition duckt sich auch beim Thema Ehegattensplitting weg. Ich finde es regelrecht fahrlässig, dass
die Union hier weiterhin die drei Affen gibt: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die Gesamtevaluation
der familienbezogenen Leistungen, die die vorherige
Große Koalition selbst in Auftrag gegeben hat, kommt
zu dem Ergebnis, dass das Ehegattensplitting erhebliche
negative Auswirkungen hat. Weil die Mütter ihre Arbeitszeit verkürzen und dadurch berufliche Nachteile haben, stärkt das Ehegattensplitting trotz der steuerlichen
Vorteile langfristig die wirtschaftliche Situation der Familien gerade nicht. Es führt vielmehr zu einer Verdrängung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt. Das macht die
Evaluation ganz deutlich.
Diese Ergebnisse werden seit Jahren von Studie zu
Studie, inklusive des angesprochenen Gleichstellungsberichts der Bundesregierung, immer wieder bestätigt. Sie
haben gesagt, Frau Ministerin, Sie wollen den Gleichstellungsbericht aus der Schublade holen. Es wäre besser
gewesen, Sie hätten ihn aus der Schublade geholt, bevor
dieser Antrag geschrieben wird. Dann wären nämlich
deutlich konkretere Forderungen zu erwarten gewesen.
({9})
Wer es mit der Chancengleichheit von Frauen und
Männern ernst meint, der kommt an einer Reform des
Ehegattensplittings nicht vorbei. Aber was auch klar sein
muss: Eine solche Reform darf natürlich nicht zulasten
der materiellen Absicherung von Familien gehen; das ist
uns Grünen ganz wichtig. Wir wollen eine Familienförderung, die sich nicht am Trauschein festmacht, sondern
wir brauchen Instrumente, mit denen Kinder direkt gefördert werden.
({10})
Was das Wegducken angeht: Dass das Betreuungsgeld bleibt, ist ein frauenpolitischer Offenbarungseid
dieser Bundesregierung und insbesondere der SPD.
({11})
Ich möchte noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so viel
mit Chancengleichheit zu tun hat. In der vergangenen
Woche wurde eine EU-Studie vorgestellt - mit erschreckendem Ergebnis: EU-weit ist jede dritte Frau Opfer
sexueller oder physischer Gewalt. Die Gefahr häuslicher
Gewalt ist ganz besonders groß: 22 Prozent aller Frauen
haben Gewalt durch den eigenen Partner erlebt.
Gewalt gegen Frauen ist ein brandaktuelles Thema.
Ich war gestern bei der Abschlussveranstaltung der
Kampagne der Frauenhäuser: „Schwere Wege leicht machen“. Auch diese Kampagne macht ganz deutlich: Es
ist nicht akzeptabel, dass die Frage der Finanzierung der
Frauenhäuser im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt wird.
({12})
Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die
guten und konstruktiven Vorschläge aus den Debatten
der vergangenen Legislaturperiode aufzugreifen. Wir
Grüne sind ganz klar der Meinung, dass sich der Bund
endlich an einer soliden Finanzierung der Frauenhäuser
beteiligen muss, damit von Gewalt betroffene Frauen
und ihre Kinder überhaupt den Hauch einer Chance auf
Chancengleichheit in ihrem Leben haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Jetzt hat die Kollegin Birgit Kömpel das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Ministerin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen im
Deutschen Bundestag! Seit 1911 gibt es den Internationalen Frauentag, das Symbol für den Kampf um Frauenrechte und Gleichberechtigung. Blicken wir auf diese
gut 100 Jahre zurück, dann sehen wir eine sensationelle
Erfolgsgeschichte, oder? Frauenwahlrecht, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, gleiche Bezahlung
von Männern und Frauen, gleiche Pflichten in Ehe und
Familie, etc., etc. Meine Damen und Herren, dies alles
ist längst Gesetz - allerdings nur teilweise gesellschaftliche Realität.
Wir können es hier deutlich sehen: Frauen sind zwar
Abgeordnete, Ministerin, ja, wir haben sogar eine Bundeskanzlerin. Frauen sind in allen gesellschaftlichen Bereichen sichtbar, aktiv und engagiert.
({0})
Frauen haben längst in Männerberufen Fuß gefasst. Seit
dem Jahr 2000 dienen wir gleichberechtigt unserem
Land als Soldatinnen.
Aber! Sie haben recht: Es gibt ein riesiges Aber. Auch
in 2014 verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger
als ihre männlichen Kollegen. 70 Prozent der Niedriglohnjobs werden von Frauen ausgeübt, und besonders
auf den Führungsebenen und in den Chefetagen sind
Frauen noch immer unterrepräsentiert.
Wir haben die Zahlen schon gehört - ich will Sie damit verschonen. Aber sie zeigen uns: Unsere Aufsichtsräte werden durch die Arbeitnehmergremien, sprich: die
Gewerkschaften, besetzt. Im Klartext: Es sind die Gewerkschaften, die ihre Frauen in die Führungspositionen
und Aufsichtsräte schicken; es sind nicht unsere Arbeitgeber. Das ist für mich ein handfester Skandal.
({1})
Es ist skandalös, dass 65 Jahre nach der Verankerung
der Gleichberechtigung im Grundgesetz, reichlich
50 Jahre nach der beruflichen Gleichstellung und satte
50 Jahre nach der Gleichstellung im Bürgerlichen Gesetzbuch noch solche Zahlenverhältnisse vorherrschen.
({2})
Der Skandal wird besonders deutlich, wenn wir noch ein
paar mehr Zahlen hinzunehmen.
Heute studieren mehr Frauen als Männer. Frauen
schließen ihr Studium dabei oft erfolgreicher ab, und wir
Frauen streben im Anschluss nach Karriere und beruflicher Entfaltung. In den Chefetagen, in Forschung und
Wissenschaft und in der Politik sind wir aber weiterhin
unterrepräsentiert, und zwar in einem unerträglichen
Maße. Die Ursachen kennen wir alle: fehlende Betreuungsplätze, fehlende Ganztagsschulen, fehlende familienfreundliche Arbeitszeiten und Vorurteile gegenüber Frauen, vor allem Müttern, in Führungspositionen.
Daran scheitern die Karrieren von Frauen auch noch
2014.
Aber was sind die Folgen? Man traut vielleicht seinen
Ohren nicht, aber in erster Linie schadet es der Wirtschaft: Unzählige Studien haben bewiesen, dass Unternehmen mit gemischter Führungsebene viel erfolgreicher sind. Es lohnt sich also - rein wirtschaftlich
betrachtet -, Frauen zu fördern.
({3})
Aber die Erhöhung des Frauenanteils bewirkt noch
viel mehr. Frauen bringen Eigenschaften mit, die Führung verbessern. Frauen führen anders, oder wie die
deutsche Unternehmerin und Industriemanagerin
Annette Winkler es ausdrückt:
Mitarbeiter lassen sich lieber von einer Frau überzeugen als von einem Mann anschreien.
({4})
Frauen führen mit größerer sozialer Kompetenz.
Ja, Sie haben richtig gehört, meine Herren: Die hohe
Verantwortung und die logistischen Herausforderungen,
die ein Leben mit Kindern mit sich bringt, qualifizieren
Frauen zusätzlich für Führungspositionen. Denn jede
Frau, die Kinder erzieht, bringt neben ihren beruflichen
Qualifikationen per se auch eine Menge Sozialkompetenzen mit.
({5})
Und an diesen - das kann ich als Personalberaterin wirklich beurteilen - mangelt es in unseren Führungsetagen
häufig. Ich wage, zu behaupten: oft ganz erheblich,
meine Damen und Herren. Hier besucht man lieber Seminare über Menschenführung. Wann begreifen wir endlich, dass wir diese Soft Skills, diese weichen Führungsqualitäten, schlicht die soziale Kompetenz quasi frei
Haus bekommen, wenn wir Frauen einstellen?
({6})
Die Frage muss also nicht lauten, ob, sondern, wie wir
den Anteil von Frauen in Führungspositionen wirksam
erhöhen. Die Antwort ist ganz simpel: Wir brauchen
schlicht und einfach eine Quote. Denn nur die Quote bewirkt die so dringend benötigten Verbesserungen für
Frauen, weil nur die Quote dazu zwingt, Frauen - auch
mit Kindern - gezielt zu fördern, weil nur sie dazu
zwingt, dass Unternehmen, aber auch die öffentliche
Verwaltung und die Behörden endlich frauen- und familienfreundlicher werden, weil sie zur flexibleren Gestaltung von Arbeitszeiten zwingt und weil sie die Errichtung von Tele- und Heimarbeitsplätzen fördert.
Liebe Frau Dörner, die gesetzliche Einführung der
Quote ist nicht mickrig, sondern sie ist historisch. Ich
bin stolz darauf, dass wir das in dieser Legislaturperiode
schaffen.
({7})
Es geht aber nicht nur um die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen. Es geht nicht nur um die
Einführung der Quote. Es geht auch um den gesellschaftlichen Wandel. Es geht darum, die Männerquote
von 90 Prozent in den Führungsetagen abzuschaffen.
({8})
Keine Sorge, meine Herren, gute Männer schaffen es
auch trotz Frauenquote an die Spitze.
({9})
Es geht darum, liebe Frau Kipping - da sind wir gar
nicht so weit voneinander entfernt -, das Ideal der Allzeitverfügbarkeit infrage zu stellen. Es geht darum, dass
auch Männer in Teilzeit arbeiten. Es geht darum, dass
sich Frauen und Männer im Beruf und in der Familie
partnerschaftlich begegnen können.
Wir wollen neben einer starken Frauenpolitik vor allem eine starke Familienpolitik. Also, liebe Herren, liebe
Damen, packen wir’s an!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gudrun Zollner das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs meine Freude
darüber zum Ausdruck bringen, dass über Themen des
Familienausschusses nicht zu später Stunde, also nachts,
debattiert wird, sondern erfreulicherweise heute Vormittag. Ich hoffe, Frau Präsidentin, dass dies von nun an
Usus wird.
Die Frauenquote ist nicht unbedingt ein Schlagwort,
mit dem man sich Freunde schafft. Es gibt Seitenblicke,
weil man eine Quotenfrau ist, ein Wort, über das auch
unter uns Frauen kontrovers diskutiert wird. Aber können wir es uns in der heutigen Zeit noch immer leisten,
gut ausgebildete und hochqualifizierte Frauen vor die
Wahl zu stellen: Kind oder Karriere? - Nein! Bildungsgewinnerinnen dürfen nicht weiterhin die Karriereverliererinnen sein.
({0})
Der demografische Wandel schreitet voran. Alle reden vom Fachkräftemangel. Aber unsere Topfachkräfte
sitzen zu Hause oder sind in Teilzeit oder sind geringfügig beschäftigt, weil sie Frauen sind, die irgendwann
schwanger werden könnten oder bereits Kinder haben,
die irgendwann einmal krank werden könnten - so zumindest die häufigsten Aussagen bei Bewerbungsgesprächen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Unternehmer und Wirtschaftsvertreter, ich gebe zu: Ich war
lange Zeit auch keine Freundin einer Frauenquote in der
Wirtschaft. Aber die Zahlen zeigen, dass sich in den letzten Jahren so gut wie nichts bewegt hat. Der Anteil der
Frauen in den DAX-30-Vorständen ist im Jahr 2013 sogar von 7,8 auf 6,3 Prozent zurückgegangen. Bis letztes
Jahr hatten 21 Prozent der 200 größten deutschen Unternehmen nicht eine einzige Frau im Aufsichtsrat.
({1})
Praktisch folgenlos ist die Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem Jahr 2001 verpufft.
({2})
Deshalb: Die Zeiten der Freiwilligkeit sind vorbei.
Jetzt muss die Frauenquote umgesetzt werden:
({3})
30-Prozent-Geschlechterquote für Aufsichtsräte von voll
mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, verbindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils
im Aufsichtsrat, im Vorstand und in den obersten Managerebenen mitbestimmungspflichtiger oder börsennotierter Unternehmen! Hierüber muss transparent berichtet werden.
Die ersten Zielgrößen müssen innerhalb der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages erreicht werden und
dürfen nachträglich nicht nach unten korrigiert werden.
Kurzum: so viel Staat wie nötig, so viel unternehmerische Freiheit wie möglich.
({4})
Und: Keine Angst vor der Frauenquote, sehr geehrte Herren Unternehmer, DAX-Vorstände und Aufsichtsräte!
Frauen sind eine Bereicherung für jede Führungsetage,
besonders im operativen Geschäft.
({5})
Um das alles zu erreichen, müssen wir selbst eine
Vorbildfunktion übernehmen. Wir werden im Einflussbereich des Bundes eine gezielte Gleichstellungspolitik
vorantreiben und das Bundesgremienbesetzungsgesetz
und das Bundesgleichstellungsgesetz proaktiv umsetzen.
Durch konsequentes Controlling soll die verbindliche
Umsetzung sichergestellt werden. Vor dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes sage ich deshalb bewusst und aus
voller Überzeugung Servus zur „gläsernen Decke“ und
„Viel Erfolg!“ zu allen Frauen wie Mary Barra von General Motors, Marissa Mayer von Yahoo, Janet Yellen
von der US-Notenbank und natürlich auch zu unserer
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
({6})
Wenn wir die Frauenquote in allen Bereichen auf einen erfolgreichen Weg bringen möchten und die Anzahl
der weiblichen Führungskräfte erhöhen wollen, müssen
wir passende Rahmenbedingungen für unterschiedliche
Lebensmodule schaffen. Nur so können wir die kinderwunschhemmende Rushhour des Lebens entzerren.
Leistung ist nicht immer gleichbedeutend mit Anwesenheit.
({7})
Auch in Führungspositionen müssen Telearbeit oder
Homeoffices möglich sein. Dies gelingt erst dann, wenn
wir von der Ideologie der Vollzeitpräsenz wegkommen,
dafür flexible Arbeitszeitmodelle anbieten und mehr Zeit
für die Familie einräumen, was sich übrigens auch die
meisten Väter wünschen.
({8})
Von dieser modernen Zeitpolitik würden auch die fast
1,6 Millionen Ein-Eltern-Familien in Deutschland profitieren. 90 Prozent bestehen aus Kindern und Frauen, den
wahren Meisterinnen des Zeitmanagements.
({9})
Gerade sie brauchen die Unterstützung der Politik; denn
sie stoßen trotz ihres Organisationstalents immer wieder
an ihre Grenzen. Wer betreut die Kinder bei sechs Wochen Sommerferien? Wer passt auf das Kind der alleinerziehenden Krankenschwester beim Nachtdienst auf?
Wer fährt die Tochter zum Fußballtraining und holt den
Sohn vom Freund ab? Hinzu kommt die meist schwierige finanzielle Situation.
Obwohl laut der neuesten Studie der BertelsmannStiftung 70 Prozent der Alleinerziehenden erwerbstätig
sind, darunter 45 Prozent in Vollzeit, reicht das Einkommen meist nicht aus. Von den rund 2,2 Millionen Kindern, die nur mit einem Elternteil aufwachsen, ist jedes
zweite Kind auf Grundsicherungsleistungen angewiesen.
Alleinerziehende leben fünfmal so oft im Hartz-IV-Bezug wie Paarfamilien.
Ich bin seit langem alleinerziehende Mutter von zwei
Söhnen, und ich weiß, wie schwierig es ist, den Lebensalltag allein zu meistern, neben Beruf und Haushalt auch
für die Kinder da zu sein, ihnen den Start in ein erfolg1656
reiches und zufriedenes Leben zu ermöglichen. Ohne
Zeitmanagement und einen straff durchorganisierten Tagesablauf kommt keine Ein-Eltern-Familie aus.
Aber wie sieht es mit Zeitsouveränität aus? Wie sieht
es mit den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen
aus? Egal ob selbstständige Unternehmerin, Topmanagerin, Angestellte, Arbeiterin oder Hartz-IV-Empfängerin,
keine von ihnen ist Souverän ihrer eigenen Zeit. Lassen
Sie uns deshalb die Koalitionsvereinbarungen umsetzen,
den Antrag zügig verabschieden und passende Rahmenbedingungen für alle schaffen.
Vielen Dank.
({10})
Herzlichen Glückwunsch, liebe Kollegin, zu Ihrer
ersten Rede.
({0})
Beim nächsten Mal achte ich ein wenig genauer auf die
Uhr.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Bettina
Hornhues das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Debatte zum Internationalen Frauentag sollten wir uns vor
allem eines vor Augen führen: Zeit hat in der gegenwärtigen Gesellschaft einen anderen Stellenwert als noch in
der Generation unserer Eltern und Großeltern. Zeit ist
heute eine Schlüsselressource und sollte auch so behandelt werden. Wir brauchen daher eine moderne, lebenslauforientierte und bewusste Zeitpolitik für Frauen und
Männer,
({0})
eine Zeitpolitik, die Freiräume schafft für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch Wahlmöglichkeiten offenlässt und sowohl verschiedene Lebensverläufe
berücksichtigt als auch unterschiedliche Familienmodelle akzeptiert.
Als berufstätige Mutter von drei Kindern weiß ich nur
zu gut, wovon ich rede, und ich weiß auch, dass der Spagat zwischen Familie und Beruf häufig immer noch eine
große Herausforderung, insbesondere für die Frauen,
darstellt. Wir brauchen daher ein Gesamtpaket an Maßnahmen, insbesondere um die Chancengleichheit von
Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt zu verwirklichen.
({1})
Wir setzen deswegen für eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf auf das Zusammenspiel von, erstens, materieller Sicherheit durch familienpolitische
Leistungen, zweitens, einer familienunterstützenden Infrastruktur und, drittens - das ergibt sich daraus -, mehr
Zeit für Familien. Was heißt das ganz konkret? Mit dem
Elterngeld und dem Ausbau der Kinderbetreuungsangebote sind wir in den letzten Jahren schon ein ganzes
Stück weitergekommen.
Aber um den Bedürfnissen von Eltern noch stärker
gerecht zu werden, brauchen wir eine Flexibilisierung
der Elternzeit.
({2})
Zukünftig sollen 24 statt 12 Monate flexibel zwischen
dem dritten und achten Lebensjahr des Kindes von Müttern und Vätern in Anspruch genommen werden können.
Dieser Ansatz zeigt Wirkung: Bereits seit Jahren steigt
kontinuierlich der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen. Dies hat nicht nur positive Effekte auf die VaterKind-Beziehung, sondern auch auf das gesamte Familienmodell mit einem modernen Rollenverständnis von
Frauen und Männern.
({3})
Das bestätigt, dass wir mit unserer Politik auf dem
richtigen Weg sind. Dazu gehört auch eine flexiblere Elterngeldregelung. Mit der Einführung des sogenannten
ElterngeldPlus soll Eltern unter anderem für die Dauer
von bis zu 28 Monaten die bestmögliche Inanspruchnahme ermöglicht werden. Insbesondere in Kombination
mit einer nicht geringfügigen Teilzeittätigkeit wird die
neue Elterngeldregelung den Wiedereinstieg auch für
Alleinerziehende erleichtern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf das Thema
Wiedereinstieg möchte ich Sie in diesem Zusammenhang besonders aufmerksam machen, da es meiner Meinung nach eine zentrale Rolle in dieser zeitpolitischen
Debatte spielt. Denn fehlende Rahmenbedingungen erschweren und verhindern im schlimmsten Fall den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen nach einer Familienphase. In den Beruf zurückzukehren, steigert nicht
nur das Selbstwertgefühl der Frauen, sondern es trägt in
vielen Fällen auch zur Existenzsicherung der Familie
bei. Das Modell mit einem männlichen Brotverdiener, in
dem der Mann als Alleinverdiener der Familie fungiert,
hat, wie wir alle wissen, längst ausgedient.
Der Wiedereinstieg der Frauen in den Beruf ist kein
punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess, der sowohl
gesetzlich flankiert als auch gesellschaftspolitisch begleitet werden muss.
({4})
Einen wichtigen Beitrag zum Gelingen leistet dabei der
Arbeitgeber. Eine familienbewusste Arbeitswelt und familienfreundliche Arbeitszeiten sind das eine, Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Betrieb bzw. auf kommunaler
Ebene sind das andere, um dem Anspruch auf eine gute
Infrastruktur für Familien gerecht zu werden.
Dazu gehört für mich auch das Recht auf Teilzeitarbeit. Dies muss überarbeitet und weiterentwickelt werden, gerade auch mit Blick auf die jungen Mütter ohne
Berufsausbildung. Hier sollten wir Angebote wie die
Teilzeitausbildung weiter ausbauen und fördern.
Damit verbunden ist für mich auch das Thema Rückkehrrecht. Wer sich zeitlich begrenzt eine Auszeit für die
Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen nimmt,
der leistet einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag
und sollte daher die Möglichkeit haben, zu seiner früheren Arbeitszeit zurückkehren zu können.
Das Arbeitskräftepotenzial der Frauen darf grundsätzlich, gerade aber in Zeiten des Fachkräftemangels und
des demografischen Wandels nicht unausgeschöpft bleiben. Im Wettbewerb um die besten Köpfe haben viele
Unternehmen dieses bereits erkannt und bieten eine familienfreundliche Infrastruktur in ihren Firmen an, wie
zum Beispiel Betriebskitas. Firmen sollten Betriebskitas
dabei nicht als finanzielle Belastung, sondern als Vorteil
im Wettbewerb um gute und motivierte Arbeitskräfte ansehen
({5})
und nicht zuletzt Familienfreundlichkeit als Chance bei
ihrer Profilbildung begreifen.
Gerade solche familienfreundlichen Maßnahmen und
Angebote sind für die jungen Mütter und Väter von
heute, der sogenannten Generation Y, besonders wichtig
und Kriterium bei der Jobsuche. Wie jüngst in einem Artikel in der Zeit beschrieben wurde, stellt diese Generation die Zeitsouveränität in den Mittelpunkt ihres Lebensverlaufs und fordert selbstbewusst Freiräume ein.
An dieses Lebensgefühl muss unsere Zeitpolitik anknüpfen. Ich sage aber auch: Dem Beispiel vorbildlicher
Firmen, die Verständnis für neue Formen der Lebenszeitplanung aufbringen, könnten sich noch viele andere
Unternehmen anschließen.
({6})
Ich halte fest: Nur die Kombination aus familienpolitischen Leistungen und einer verlässlichen Infrastruktur
für Familien ebnet den Weg für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ermöglicht Frauen wie
Männern mehr Zeitsouveränität, vor allem für ihre Freizeit und somit auch für ihre Familie.
Vielen Dank.
({7})
Auch Ihnen, Kollegin Hornhues, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede.
({0})
Als nächster Redner erhält Sönke Rix das Wort.
({1})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Wir reden über
Zeitsouveränität. Ich versuche, die Zeit, die wir für diese
sehr gute Debatte länger gebraucht haben, ein wenig aufzuholen. Das beruhigt Sie hoffentlich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will gleich mit einem Thema beginnen, über das wir
gestern sehr aktuell diskutiert haben, nämlich mit dem
Thema Gewalt gegen Frauen. Es gibt hierzu eine Studie
der EU. Wir waren alle sehr erschrocken und, wie ich
glaube, überrascht, obwohl wir uns mit dem Thema intensiv beschäftigen, wie hoch das Gewaltpotenzial gegen Frauen in Europa ist. Das ist dramatisch. Wir wissen, dass wir in diesem Bereich sehr viele Maßnahmen
an vielen Stellen zu treffen haben.
({0})
Gerade in den Frauenhäusern beschäftigt man sich
unter anderem mit den Opfern von Gewalt. Sie haben zu
Recht angemerkt: Im Koalitionsvertrag steht zu diesem
Thema nichts Konkretes. Aber viele Themen, die nicht
im Koalitionsvertrag stehen, stehen trotzdem auf unserer
Agenda. Wir sind sehr stark daran interessiert, gemeinsam mit den Ländern und in Absprache mit den Kommunen zu einem verlässlichen Finanzierungskonzept für die
Frauenhäuser zu kommen. Das kann ich für die Sozialdemokraten wie auch für unseren Koalitionspartner sehr
deutlich sagen.
({1})
Dazu gehört aber auch eine Bereitschaft der Länder, sich
diesem Thema zu widmen. Wir können alle dazu beitragen; denn unsere Parteien sind alle in unterschiedlichen
Konstellationen in den Landesregierungen vertreten:
Rot-Grün, Rot-Rot, Schwarz-Grün, Schwarz-Rot usw.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Bereitschaft dort genauso hoch ist, über ein solches Gesamtkonzept zu reden.
({2})
Gestern sind Unterschriften an das Bundestagspräsidium, ich glaube auch an Sie, Frau Präsidentin, übergeben worden. Beim nächsten Mal können ruhig auch der
Präsident und alle anderen Vizepräsidenten dabei sein,
wenn Unterschriften übergeben werden, um die Bedeutung des Anliegens noch einmal zu unterstreichen.
({3})
Ich bin gerne bereit - das wurde gestern bei dem Termin
auch besprochen -, dass wir uns interfraktionell mit diesem Thema auseinandersetzen. Die Arbeit der Frauenhäuser darf nicht nur in Reden gewürdigt werden, sondern es bedarf einer gesamtstaatlichen Anstrengung für
eine dauerhafte gute Finanzierung.
({4})
Wir haben heute sehr intensiv über gleiche Bezahlung
für gleiche Arbeit - Stichwort Entgeltgleichheitsgesetz gesprochen. Dieser Aufgabe werden wir uns in dieser
Wahlperiode stellen. Wir reden darüber, ob Frauen in
den Betrieben für die gleiche Arbeit das gleiche Entgelt
erhalten. Hier müssen wir zu gesetzlichen Regelungen
und vor allem zu Sanktionsmöglichkeiten kommen;
denn sonst brauchen wir kein Gesetz, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({5})
Wenn wir über Lohngleichheit oder über eine gerechte Bezahlung von Frauen in den typischen - ich betone: in Anführungsstrichen - Frauenberufen sprechen,
dann müssen wir festhalten, dass es nach wie vor so ist,
dass die Bezahlung in den Bereichen Erziehung, Pflege,
soziale Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig sind,
nach wie vor schlechter ist als in handwerklichen oder
technischen Berufen, in denen überwiegend Männer tätig sind. Für mich ist klar: Diese Arbeit ist nicht nur
gleichwertig, sondern sie muss auch gleich bezahlt werden und die gleiche gesellschaftliche Anerkennung bekommen.
({6})
Das eigentlich Skandalöse, wenn wir über das Thema
sprechen, warum es zu wenig Männer in den Erziehungsberufen gibt - ich selbst bin Erzieher - ist, dass
immer gesagt wird: Weil der Job so schlecht bezahlt
wird; deshalb muss er besser bezahlt werden, damit es
dort mehr Männer gibt. - Das ist genau der verkehrte
Ansatz. Wir müssen nicht diesen Job besser bezahlen,
damit ihn mehr Männer ausüben, sondern wir müssen
den Job besser bezahlen, weil gerade viele Frauen darunter leiden, dass er so schlecht bezahlt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. Wir haben nicht nur eine ungerechte Bezahlung und eine ungerechte Verteilung von finanziellen Mitteln, sondern wir
haben auch eine ungerechte Verteilung von Zeit. Deshalb ist es genau richtig, dass Manuela Schwesig die Debatte angestoßen hat, dass gerade Eltern eine andere
Zeitsouveränität benötigen und eventuell eine geringere
grundsätzliche Arbeitszeit haben sollten.
({8})
Die Debatte wird auch fortgeführt. Wir haben dieses
Thema im Koalitionsvertrag mit der Vereinbarung zum
ElterngeldPlus und zum Thema Elternteilzeit und Rückkehr zur Vollzeit aufgegriffen.
Es gibt aber ein sehr interessantes Spannungsfeld.
Wir haben beispielsweise von World Vision gehört, dass
eine Kinderbefragung ergeben hat, dass die Kinder, bei
denen beide Eltern voll berufstätig sind, zufriedener mit
der Elternzuwendung sind als diejenigen, bei denen
eventuell beide arbeitslos oder erwerbslos sind oder vielleicht nur ein Elternteil erwerbstätig ist. Dazu gibt es einen Widerspruch in der Studie der AOK. Viele empfinden als größte Belastung durch ihre Arbeitssituation die
Tatsache, dass sie zu wenig Zeit für die Familie haben.
Diesen Widerspruch aufzuarbeiten und gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um mehr Platz für Partnerschaftlichkeit und Flexibilität einzubauen, muss Ziel
dieser Debatte sein, die wir sehr intensiv führen sollten,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Abschließend zu der Tatsache, dass auch mehr Männer in der Frauenpolitik tätig sind, wie zum Beispiel
Herr Kollege Weinberg und andere. Ich glaube, dass wir
bei dieser Debatte einen Schritt weiter sind, was männliche Vorbilder für die Gleichstellungspolitik angeht. Es
ist nicht die Tatsache, dass zufällig zwei Männer den
Vorsitz für die zuständigen Arbeitsgruppen in den Koalitionsfraktionen haben. Es ist zum Beispiel die Tatsache,
dass es jetzt vorbildliche Staatssekretäre, ministerielle
Mitarbeiter und Politiker gibt, die als Männer selbstverständlich sagen: Zeitsouveränität ist für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für mich wichtig. Auch das ist natürlich ein wichtiger Schritt; es ist ein guter Ansatzpunkt.
Lassen Sie uns, Männer und Frauen gemeinsam,
Gleichstellungspolitik machen, insbesondere für Frauen,
weil sie benachteiligt sind.
Herzlichen Dank.
({9})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin GrodenKranich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste! Wenn man so spät in einer Debatte
reden darf, könnte man fast sagen: Es ist schon alles gesagt, außer von mir. Daher wende ich mich speziell dem
Thema Entgeltgleichheit zu, auch wenn Herr Rix mir
jetzt gerade zwei, drei Punkte geklaut hat; aber das zeigt
ja, dass wir in der Sache einig sind.
({0})
„Zeit ist Geld“, heißt es. Und „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ klingt selbstverständlich und banal, ist es
aber leider längst noch nicht. Auch wenn es selbstverständlich erscheint, dass überall dort, wo gleiche Leistung erbracht wird, auch gleiche Entlohnung erfolgt, ist
es in der Realität ganz anders. Am schlimmsten ist, dass
die Verdienstabstände nach den Ausarbeitungen des Familienministeriums mit höherer Ausbildung und zunehmendem Alter größer werden. Ich empfinde das als beschämend. Dass es beim Bruttostundenverdienst eine
Lücke von 22 Prozent gibt, ist eine mehr als traurige Tatsache. Es tröstet auch nicht, dass Frauen überall in Europa weniger verdienen als Männer. Leider sind wir im
europäischen Vergleich das Schlusslicht in Sachen Entgeltgleichheit.
Equal Pay ist kein nettes, kleines Instrument oder eine
von vielen Forderungen. Im Gegenteil: Equal Pay ist ein
elementarer Baustein in Sachen Chancengleichheit.
Oder anders gesagt: Würde Equal Pay konsequent umgesetzt werden, könnten viele andere Forderungen und
Diskussionen vielleicht obsolet werden. Das gilt für die
Forderung nach einer Frauenquote oder die Diskussion
zu Frauen in Führungspositionen; denn nichts ist attraktiver als eine angemessene Vergütung. Das gilt auch für
die Diskussion um Teilzeitarbeit und Vereinbarkeit von
Familie und Beruf; denn bei guter und gleicher Bezahlung können sich Eltern leichter entscheiden, und es
bleiben auch mehr Mittel übrig, um eine professionelle
Unterstützung zu finanzieren.
({1})
Die Ursachen für Entgeltungleichheit zwischen
Frauen und Männern sind hinlänglich bekannt. Frauen
fehlen in bestimmten Berufen, Branchen und auf den höheren Stufen der Karriereleiter. Ich erinnere mich an
meine Berufstätigkeit zurück: Ich war im Bereich der
Anlageberatung tätig, und meine erste Anlageberatertagung begann mit den Worten: Sehr geehrte Frau Groden!
Meine Herren! - Ich war die einzige Frau. Das hat sich
heute zum Glück geändert.
({2})
Es heißt, die beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen von Frauen und Männern würden gleichermaßen
geschätzt und entgolten. Die Wirklichkeit sieht anders
aus. Bei Frauen gibt es sehr viel häufigere und längere
familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und damit
auch Erwerbsreduzierungen als bei Männern. Frauen
sind sechsmal so häufig in Teilzeit erwerbstätig wie
Männer. Sie verbringen aber fast doppelt so viel Zeit mit
unbezahlter Familienarbeit.
Individuelle und kollektive Lohnverhandlungen haben
gleichermaßen nicht nachhaltig dazu beitragen können,
dass typische Frauentätigkeiten nicht mehr schlechter bewertet werden. Herr Rix hat es schon angesprochen: Was
sind denn „typische Frauentätigkeiten“? - Erziehungsarbeit ist eine Tätigkeit für Männer und Frauen, und das
muss auch in einer entsprechenden Entlohnung zum
Ausdruck kommen.
({3})
Damit wir uns richtig verstehen: Equal Pay zwingt die
Frauen nicht in die Berufstätigkeit, sondern erzwingt
hoffentlich endlich die Gleichbezahlung von Mann und
Frau für gleiche Leistungen. Das wird jetzt leider erst
durch gesetzliche Regelungen möglich, weil die Freiwilligkeit nicht gegriffen hat.
Die Folgen dieser Entgeltungleichheit sind dramatisch. Finanziell am gravierendsten ist - neben den akuten Auswirkungen während des Erwerbslebens von
Frauen - der Dominoeffekt in Sachen Rente. Die Ungleichheit während der Erwerbstätigkeit führt zu einer
Alterssicherungslücke zwischen Frauen und Männern,
auch bekannt als Gender Pension Gap; dieser liegt in
Deutschland bei atemberaubenden 59 Prozent. Hier ist
mit der Mütterrente ein erster kleiner Schritt dagegen getan.
Mindestens genauso schlimm sind aber die indirekten, quasi psychologischen Folgen der Tatsache, dass
Frauen für die gleiche Arbeit immer noch kein gleiches
Gehalt bekommen. Erwerbstätigkeit, vor allem Vollzeitstellen, und erst recht Führungspositionen lohnen sich
oft buchstäblich gar nicht. Sie werden daher nicht angestrebt oder bei geringem Anlass wieder aufgegeben.
Kein gutes Signal an unsere Mitbürgerinnen oder an die
Generation unserer Töchter!
Das Problem wurde aber immerhin erkannt und auch
schon einiges unternommen. Der Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen, der auf Initiative der Business and Professional Women Germany eingeführt
wurde, wird vom Familienministerium gefördert. Ich
lade Sie übrigens herzlich ein: Der nächste Equal Pay
Day findet am nächsten Freitag statt. Es gibt zahlreiche
Aktionen, nicht nur hier in Berlin am Brandenburger
Tor.
({4})
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz betrifft nicht
nur, aber auch Frauen. Insofern ist die Gleichbehandlung
und Gleichbezahlung von Frauen und Männern im Beruf
längst gesetzlich verankert.
Alle diese Maßnahmen sind gut und wichtig, aber
gleiche Bezahlung und Chancengleichheit haben nicht
nur mit Gesetzen zu tun, sondern in erster Linie mit konkret handelnden Personen. In meinem Berufsleben habe
ich dies mal erfahren müssen, aber auch mal erfahren
dürfen. Mit Gesetzen allein ist es also nicht getan, aber
auch nicht mit Geld; das sage ich, um noch kurz das
klassische Totschlagargument „Wer soll das bezahlen?“
vorzunehmen. Da kann ich Sie beruhigen: Das Thema
Equal Pay ist finanzpolitisch unproblematisch. Es geht
schon per definitionem eben nicht darum, die Leistung
zusätzlich, sondern „nur“ gleichwertig zu bezahlen.
Unsere Forderungen sind: konsequenter Ausbau der
bestehenden Maßnahmen, um die genannte Ungleichheit
abzubauen, die Förderung von Frauen in allen Branchen
und Lohnsektoren sowie die Einführung von Konsequenzen für Unternehmen, die sich nicht daran halten,
oder, wie es unsere Bundeskanzlerin in einer Regierungserklärung sagte: Wir haben es lange genug im Guten versucht, das hat leider nicht viel genutzt.
Darum begrüße und unterstütze ich alle schon bestehenden Maßnahmen und Gesetze, bin aber überzeugt,
dass die wichtigste Waffe im Kampf gegen die Entgeltungleichheit das Umdenken in den Köpfen der Arbeitgeber, Vorgesetzten und in weiten Teilen unserer Gesellschaft sowie ein Wandel der bestehenden Rollenbilder
ist.
Entgeltgleichheit und Chancengleichheit müssen eine
Selbstverständlichkeit werden, für die es keiner zusätzlichen Maßnahmen mehr bedarf. Wenn wir diese Überzeugung verinnerlicht haben, sind wir bald am Ziel.
Vielen Dank.
({5})
Auch Ihnen, liebe Frau Groden-Kranich, herzlichen
Glückwunsch zur ersten Rede.
({0})
Als letzte Rednerin hat jetzt die Kollegin Karin Maag
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind ja nun am Ende der Debatte: Ich habe mir lange
überlegt: Wie beginne ich eigentlich? - Ja, auch 2014
sind Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen gegenüber den Männern benachteiligt. Keine Frage! Aber
ich bin genauso davon überzeugt, Frau Schauws, Frau
Dörner, dass wir im Sinne der Frauen und der Familien
in Deutschland vorankommen.
Ich will dafür ganz konkrete Beispiele benennen. Die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat nicht erst, aber
entscheidend mit den Ministerinnen Ursula von der
Leyen und Kristina Schröder und mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und den entsprechenden Bundeszuschüssen - ich spreche hier immerhin von Investitionen in der letzten Legislatur von 5,4 Milliarden Euro
plus Betriebskosten von jährlich 845 Millionen Euro einen Schritt nach vorne gemacht.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben es gehört: Zur
Entgeltgleichheit ist es ein ganz weiter Weg. Es bleibt
selbstverständlich ein Skandal, dass 8 Prozent der
Frauen noch immer weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen - bei haargenau derselben Tätigkeit, bei
derselben Leistung und bei derselben Kompetenz. Aber,
Herr Rix, wir fördern immerhin, zum Beispiel auch mit
Bundesmitteln, dass sich die Mädchen in Richtung der
MINT-Berufe orientieren, also auch in die besser vergüteten Berufsfelder gehen. Sie kennen den Nationalen
Pakt für Frauen in MINT-Berufen. Da gibt es mittlerweile über 180 Partner aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eins ist mir als Vorsitzende der Gruppe der Frauen in meiner Fraktion ziemlich wichtig. Die Arbeit und die Zeit von Frauen wie von
Männern sind gleichermaßen anerkennenswert, unabhängig davon, ob sie nun für Erwerbsarbeit, im Ehrenamt oder in der Familie eingesetzt werden. Deshalb ist es
wichtig, dass auch Familienarbeit die notwendige Anerkennung erfährt. Das geschieht beispielsweise durch die
Mütterrente, für die die Frauen in meiner Fraktion runde
zehn Jahre gekämpft haben.
({1})
Wenn wir nun den internationalen Kontext des Weltfrauentags betrachten: Es gibt - wir haben es gehört weltweit immer noch unzählige Frauen, die wegen ihres
Geschlechts oder ihrer Religionszugehörigkeit Gewalt
erfahren. Da freut es mich - auch das ist ein positiver
Effekt -, dass unser Bundespräsident das Thema zum
Beispiel bei seiner Indien-Reise aufgegriffen hat. Wir
sollten uns alle gemeinsam dafür einsetzen, dass das
Thema „Gewalt gegen und Unterdrückung von Frauen“
regelhaft bei den außenpolitischen Terminen nachgefragt
und abgefordert wird. Nadine Schön hat dazu berichtet.
In Deutschland haben wir das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Das ist zumindest für unsere Frauen ein
Fortschritt. Ich sage also: Wir sind deutlich vorangekommen. Mit dem dicken Absichtspaket aus dem Koalitionsvertrag im Rücken verbessern wir weiter die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Familien und
Frauen.
Jetzt will ich mich im Einzelnen zu zwei Punkten äußern, und zwar zu den Frauen in Führungspositionen und
zur Familienarbeit.
Erster Punkt. Es sollte eigentlich längst der Normalfall sein - wir haben es gehört -, dass der Anteil von
Frauen in Spitzenpositionen den Frauenanteil in der Belegschaft eines Unternehmens widerspiegelt. Tatsächlich
- und das ist beschämend - sind unter den 191 Vorstandsmitgliedern der DAX-30-Konzerne 12 Frauen. In
den Aufsichtsräten - das ist nicht zuletzt dem durch die
Quotendiskussion entstandenen Druck geschuldet - beträgt der Anteil immerhin 22 Prozent. Es geht aber
- auch das haben wir schon gehört - natürlich nicht nur
um die Wirtschaft. Auch im Geltungsbereich des Bundes
müssen wir nachbessern, in Staatskonzernen wie Post,
Telekom, Bahn, aber auch in unseren Behörden.
Deshalb stelle ich aus meiner Sicht zwar bedauernd,
aber mittlerweile auch sehr entspannt fest: Quoten sind
nicht mein Mittel der ersten Wahl, aber das einzig wirksame Mittel. Selbstverpflichtungen und Appelle haben
nicht geholfen. Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt
diese Maßnahmen gesetzlich verankern: eine 30-Prozent-Quote für die Aufsichtsräte; zusätzlich kommt die
Flexi-Quote. Unternehmen, die entweder börsennotiert
oder mitbestimmungspflichtig sind, müssen ab 2015
eben die gesetzlich verbindlichen Zielvorgaben darstellen. Wir verlangen, dass transparent berichtet wird; das
muss sein. Ich kann Ihnen versichern: Ich werde auf
diese Berichterstattung ein sehr genaues Auge werfen.
({2})
Problematisch ist die Quote übrigens doch höchstens
für diejenigen, die immer noch nicht sehen wollen, welche Chance in der Geschlechtervielfalt liegt oder, wie es
in der Zeit kürzlich formuliert wurde, die immer noch
nicht sehen wollen, „dass sie den wahrscheinlich wesentlichsten Wandel unserer Jahrzehnte verpassen“.
Frauen- und Flexi-Quote sind natürlich kein Allheilmittel. Verbesserungen, die daraus resultieren, werden
wir erst dann erleben, wenn in der Folge der verbesserten Präsenz von Frauen auf allen Hierarchieebenen eine
frauenfreundlichere Unternehmenskultur existiert, wenn
es mehr Transparenz bei Einstellungen oder Beförderungen gibt und wenn wirklich eigene ambitionierte Selbstverpflichtungen beim Frauenanteil in den Unternehmen
die Regel sind.
Mehr Frauen in Führungspositionen sind kein Selbstzweck. Die Arbeit in gemischten Teams - wir haben es
gehört - ist erfolgreicher. Frauen sind zum Beispiel risiKarin Maag
kobewusster als Männer, auch wenn der Markt einmal
heißläuft. Sie verwickeln sich deutlich weniger in Statuskämpfe, und sie orientieren sich stärker an der tatsächlichen Leistung, aber vor allem - das ist der ganz
zentrale Punkt - wissen Frauen am besten, wie sie ihr
Unternehmen für andere Frauen, nämlich für die besten
Frauen, attraktiv machen können. Dafür lohnt es sich zu
kämpfen.
({3})
Im Mittelstand wird diese Zukunft übrigens schon
lange gelebt. Fast ein Drittel der Führungsposten im Mittelstand haben Frauen inne, und das nicht etwa, weil die
Eigentümer - in Anführungsstrichen - „bloß“ Töchter
hätten. Mir zumindest ist kein Unternehmen bekannt, bei
dem die Unternehmenskultur oder der Unternehmenserfolg mit der Verweiblichung des Vorstands - ich beziehe
mich überwiegend auf mein Heimatland Baden-Württemberg - in irgendeiner Form, vorsichtig ausgedrückt,
gelitten hätte.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt,
den ich ansprechen möchte, ist die Wertschätzung von
Familienarbeit.
Dabei geht es mir zum einen um das Rückkehrrecht
von Teilzeit auf Vollzeit. Die Teilzeitarbeit - das wissen
Sie - ist neben den familienbedingten Erwerbsunterbrechungen ein wesentlicher Grund für die Lohnlücke. Teilzeitarbeit darf keine Einbahnstraße sein. Deswegen müssen wir Frauen dafür sensibilisieren, dass sie bei der
Entscheidung für Elternzeit eben nicht nur die aktuelle
Situation, sondern auch das Alter und die Folgen für die
eigene Rente im Blick haben. Das ist wichtig.
Zum anderen geht es um eine bessere Vereinbarkeit
von Beruf und Pflege. Familie zu haben bedeutet eine lebenslange Verantwortung - für Kinder und Eltern. Wir
werden den Raum geben, damit auch Erwerbstätige zeitweise, wenn sie diesen Wunsch haben, dieser Verantwortung gerecht werden können. Ein erster Schritt ist die
Ausgestaltung einer bezahlten zehntägigen Auszeit für
Angehörige mit dem Rechtsanspruch auf Lohnersatzleistung analog zum Kinderkrankengeld, also finanziert
durch die Kassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dank des Pakets, das die beiden Damen auf der Regierungsbank in
den Koalitionsverhandlungen geschlossen haben, sehr
zuversichtlich, dass wir auch nächstes Jahr am 8. März
weitere Verbesserungen berichten können. Ich bin sehr
zuversichtlich und sage deshalb: Das Glas ist nicht halb
leer, sondern halb voll.
Vielen Dank.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/763 und 18/773 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
({0}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Rentenniveau anheben, Leistungen verbessern und die wesentlichen Ursachen für sinkende Renten und Altersarmut bekämpfen
Drucksache 18/767
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})-
Finanzausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Gesundheit-
Haushaltsauschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
({2}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Vollständige Gleichstellung und gerechte Finanzierung der Kindererziehungszeiten in
der Rente umsetzen - Mütterrente verbessern
Drucksache 18/765
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Birkwald hat
zunächst das Wort.
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Seit Mitte Januar gibt es einen Entwurf der Bundesregierung für das Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz. Seitdem wird darüber diskutiert. Manche Menschen glauben sogar, dass das, was drinsteht,
schon beschlossen sei. Dem ist aber gar nicht so. Weil es
nur und ausschließlich einen Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt, findet die erste Lesung noch nicht einmal
im Bundestag statt, sondern im Bundesrat. Und wann?
Heute. Weil das so ist und weil wir Linken sagen: „Dieses Rentenpaket muss auch im Deutschen Bundestag
diskutiert werden“, haben wir unsere Anträge eingebracht, die wir heute beraten.
Mit diesen Anträgen werden wir Ihnen unsere linken
Alternativen darstellen. Ich will auch mit Kritik nicht
sparen. Damit fange ich einmal an.
Man kann sagen: Ja, es gibt Leistungsverbesserungen,
die ersten in der Rente seit 1977. Das will ich durchaus
anerkennen. Aber insgesamt muss man schon sagen,
dass Ihr Rentenpaket nach dem Motto gestrickt ist: Manches wird besser, aber nichts wird gut. Warum? Das Allerwichtigste, das repariert werden muss, fehlt nämlich
in Ihrem Rentenpaket. Das ist der Punkt, dass das Rentenniveau dringend wieder angehoben werden muss.
({0})
Seit dem Jahr 2000 sinkt das Rentenniveau. Damals
lag es noch bei 53 Prozent. Das sicherte den Lebensstandard im Alter. Heute liegt es bei 47,9 Prozent, und, wenn
nichts geändert wird - so steht es schon im Gesetz -,
wird das Rentenniveau bis auf 43,7 Prozent im Jahr 2030
sinken. Das heißt, alle Ihre schönen Verbesserungen,
Frau Staatssekretärin, werden durch das sinkende Rentenniveau, gegen das Sie nichts tun, wieder aufgefressen.
Deswegen sage ich: Das Rentenpaket enthält Schritte in
die richtige Richtung, aber es ändert nichts an dem zentralen Problem, und das ist falsch.
({1})
Wer im Jahr 2001 eine Rente von 1 000 Euro hatte, wird,
wenn sich nichts ändert, bei einem Rentenbeginn im Jahr
2030 nur 810 Euro Rente bekommen. Das ist das Problem. Deswegen müssen wir eine wirkliche Rentenreform machen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, reicht
nicht.
Der zweite Punkt. Sie haben die Rente ab 63 vorgeschlagen. Dazu sage ich Ihnen: Auch das ist zwar ein
Schritt in die richtige Richtung, aber so, wie Sie es vorgeschlagen haben, ist es eine Mogelpackung. Viele Menschen wissen ja überhaupt nicht, dass die Rente ab 63
nach diesem Gesetzentwurf nur für anderthalb Jahrgänge
vorgesehen ist, nämlich für die Menschen, die 1952 geboren sind, sowie für die Menschen, die ab Juli 1951 geboren sind. Für alle anderen Menschen gilt die Rente ab
63 nicht. Sie müssen mit mehreren Monaten mehr rechnen. Wenn sie im Jahr 1964 oder später geboren wurden,
dann gilt für sie die Rente ab 65. Das ist also eine Mogelpackung. Insgesamt profitieren auch viel zu wenig
Menschen davon. Nach den Aussagen der Bundesregierung sind es nur 50 000 zusätzlich. Das reicht nicht.
({2})
Wer 45 Jahre hart gearbeitet hat, hat ein Recht auf eine
anständige Rente und auf den Ruhestand.
({3})
Sie diskutieren außerdem allen Ernstes darüber, dass
Zeiten der Arbeitslosigkeit bei der Berechnung der
Rente ab 63 nicht zählen sollen. Ja, Sie sagen: Okay,
Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I zählen wir
dazu, aber Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe respektive Zeiten von Hartz IV zählen wir nicht dazu. Ich
frage Sie jetzt: Was ist denn der Unterschied zwischen
einem Maurer, der einmal vier Jahre am Stück arbeitslos
gewesen ist und demzufolge auch Arbeitslosenhilfeoder Hartz-IV-Zeiten hatte, und einem Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos gewesen ist? Die Lebensleistung
ist aus meiner Sicht die gleiche. Deswegen sagen wir
Linken: Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der
Berechnung der Rente ab 63 bzw. ab 65 berücksichtigt
werden.
({4})
Im Übrigen ist 63 schon viel zu spät. Es gibt eine
neue Studie vom Institut Arbeit und Qualifikation der
Universität Duisburg-Essen. In einem Artikel dazu mit
der Überschrift: „Vor der Ziellinie ausgebrannt“ steht
- ich will Ihnen ein kurzes Zitat nennen -:
Schlechte Karten, bis zur Regelaltersgrenze im angestammten Beruf arbeiten zu können, haben demnach Bauarbeiter, was wenig überrascht, zudem
aber auch Menschen in Textil- und Bekleidungsberufen, in der Holz- und Kunststoffverarbeitung,
Hilfsarbeiter, Polsterer, Maschinisten, Warenprüfer, Versandfertigmacher und Ernährungsberufe.
Die Mehrheit von ihnen scheidet noch vor dem
60. Geburtstag aus ihrem Beruf aus.
Bauarbeiter sind im Durchschnitt 57,6 Jahre alt, wenn
sie aufhören, zu arbeiten, Krankenschwestern 60,9 Jahre.
Das zeigt: Selbst diese Berufe haben keine Chance, die
Rente ab 63 zu erreichen.
Deswegen sagen wir Linken: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat, soll die Chance haben, ab 60 abschlagsfrei in
Rente zu gehen. Das wäre sozial und gerecht.
({5})
Das ist ein guter Vorschlag. Was würde seine Umsetzung
bedeuten? Es würde bedeuten, dass ein Fliesenleger, der
mit 20 Jahren angefangen hat, auf den Knien auf dem
Fußboden herumzurutschen, und eine Altenpflegerin,
die 40 Jahre lang Patienten geschleppt hat, endlich ab
60 in Rente gehen dürften. Das wäre völlig richtig. Deswegen sagen wir: Wir müssen insgesamt die Rente erst
ab 67 wieder abschaffen.
({6})
Denn alle anderen, die nicht 40 oder 45 Beitragsjahre haben, schaffen noch nicht einmal das. Die Rente erst ab
67 ist eine gigantische Rentenkürzung. Sie zu beseitigen,
würde Durchschnittsverdienende nur 7,26 Euro kosten.
Ich habe keinen gefunden, der das nicht machen will.
Deswegen: Weg mit der Rente erst ab 67!
({7})
Jetzt will ich noch etwas zur Mütterrente sagen. Derzeit kriegt eine Frau, die ein Kind vor 1992 geboren hat,
für dieses Kind im Westen 28,14 Euro und im Osten
25,74 Euro auf dem Rentenkonto gutgeschrieben. Ich
bitte Sie! 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sind Kinder
auf dem Rentenkonto in Ost und West unterschiedlich
viel wert? Das ist absolut nicht akzeptabel. Wir wollen
den vollen Satz für alle Kinder, egal ob sie in Köln oder
in Leipzig oder in Dresden geboren worden sind.
({8})
Kollege Birkwald, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss und
sage noch: Die Mütterrente muss aus Steuermitteln
finanziert werden.
({0})
Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, und diese darf nicht allein den Beitragszahlern
und Beitragszahlerinnen übergeholfen werden.
({1})
Es darf nicht sein, dass die Sprechstundenhilfe für ihren
Arzt die Mütterrente finanziert; der ist nämlich im Versorgungswerk.
({2})
Das sagt nicht nur die Linke; das sagen eigentlich fast
alle Fachleute. Das Beispiel gerade ist vom Präsidenten
der Deutschen Rentenversicherung. Hören Sie auf ihn!
Wir brauchen insgesamt eine Rente, von der man leben kann, die vor Altersarmut schützt und den Lebensstandard sichert.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächster Redner hat der Kollege Albert
Stegemann das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Lieber Kollege Birkwald, in Ihrem Antrag beteuern Sie, dass Sie das Rentenniveau anheben, Leistungen verbessern und die wesentlichen Ursachen für sinkende Renten und die Altersarmut bekämpfen wollen.
Durch eine nur ganz leichte Abänderung des Titels Ihres
Antrags hätten Sie sicherlich mehr Zustimmung in der
Regierungskoalition bekommen. Hätten Sie den Titel Ihres Antrags doch nur wie folgt formuliert: Rentenniveau
künftiger Generationen anheben, Leistungen verbessern
und die wesentlichen Ursachen für zukünftig sinkende
Renten bekämpfen - dann wären wir deutlich näher beieinander gewesen.
({0})
Und dennoch: Ihr Antrag geht in die vollkommen falsche Richtung. Eine sofortige Anhebung des Rentenniveaus hätte unweigerlich zur Folge, dass wir schon
kurzfristig die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung massiv anheben müssten. Die daraus resultierenden
Lohnkostensteigerungen wären gewiss kein Beitrag zur
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
({1})
Damit nicht genug: Sie gefährden mit Ihrem Antrag die
Grundlage unserer momentan guten Situation und greifen zugleich in die Taschen der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer.
Womit begründen Sie den vorliegenden Antrag? Sie
verweisen auf das Argument der vorherrschenden Altersarmut. Schauen wir uns hier einmal die Faktenlage
an: Im Jahr 2013 waren in der Bundesrepublik Deutschland 2,5 Prozent der Menschen über 65 Jahre auf Grundsicherung angewiesen.
({2})
Jeder Einzelne ist einer zu viel.
({3})
Zum Vergleich: Im Jahr 2003 lag dieser Wert noch bei
1,7 Prozent. Leider ist davon auszugehen, dass sich die
hier aufgezeigte Entwicklung fortsetzen wird. Dennoch
kann in diesem Zusammenhang heute keineswegs von
einem Massenphänomen die Rede sein. Das ist Teil der
demografischen Herausforderung.
Die Wahrscheinlichkeitsszenarien der Deutschen
Rentenversicherung zeigen deutlich, wohin die Reise
geht. Bis 2030 bleiben die Beitragssätze und das Rentenniveau zwar im langfristig angepeilten Korridor;
dennoch können wir die Entwicklung für unsere Alterssicherung nicht ausblenden. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, mit Augenmaß zu handeln. Denn
wenn etwas verteilt werden soll, muss es zuerst auch erwirtschaftet werden. Nach diesem Prinzip handelt die
Regierungskoalition.
({4})
Wir sorgen mit unserem Gesetzentwurf für eine deutliche Besserstellung vieler Rentnerinnen und Rentner in
unserem Land. Weil circa 42 Millionen Menschen in Arbeit sind - das ist Beschäftigungsrekord -, haben sich
die Kassen der Rentenversicherung in den letzten Jahren
sehr gut gefüllt. Mit der Mütterrente, mit den Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, mit dem zusätzlichen Rehabudget und mit der Rente für besonders
langjährig Versicherte sollen jene von der guten Lage
profitieren, die diesen Zustand maßgeblich mit herbeigeführt haben, egal ob sie nun in der Erwerbstätigkeit ihre
Frau oder ihren Mann gestanden haben oder ob sie die
Familie zusammengehalten und hier ihre Arbeit verrichtet haben.
({5})
Mit dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition gehen
wir einen großen Schritt nach vorn, um die bestehenden
Gerechtigkeitslücken für jene zu schließen, die bereits
ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Finanzierung
überhaupt erst möglich ist.
Die Tatsache, dass wir im kommenden Jahr erstmals
seit 1969 wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushalt
vorlegen können, womit wir einen aktiven Beitrag zur
Generationengerechtigkeit leisten, ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Finanzierung des Rentenpaketes auch die Mittel mit einbezieht, die sich bereits in
der Rentenversicherung befinden. Welche schwäbische
Hausfrau würde sich denn zulasten künftiger Generationen verschulden, obwohl sie noch Bares unter dem
Kopfkissen hat?
({6})
Was aber fordern Sie? Sie fordern die Anhebung des
Sicherungsniveaus von 48 auf 53 Prozent, ein Zurück
zur Rente mit 65, die abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit einem zusätzlichen Jahr, die Anerkennung von ALG-II-Zeiten bei der Rente mit 63, eine vollständige Angleichung der Mütterrente. Den Wunsch
nach einer Rente mit 60 möchte ich gar nicht erst zu
Ende denken. Insgesamt macht dies über 45 Milliarden
Euro aus. Ihre Forderungen erinnern mich an die Raupe
Nimmersatt, die sich durch unser aller rentenpolitische
Zukunft frisst.
({7})
Sie tun ja gerade so, als ob es überhaupt kein Morgen
gäbe. Angesichts der Altersstruktur Ihrer Partei
({8})
fange ich zwar an, Verständnis für Ihre Forderungen zu
entwickeln; aber wenn Sie etwa ein Siebtel des Bundeshaushaltes für zusätzliche Rentenversprechen ausgeben
wollen, dann müssten Sie gleichzeitig eine neue Definition für den Begriff der Verhältnismäßigkeit mitliefern.
Mit anderen Worten: Wer, bitte schön, soll das bezahlen?
Zum Schluss möchte ich auf Ihre Forderung nach einer sofortigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten eingehen. Im Grunde genommen ist es ja in Ordnung, wenn die Linke der Union darin zustimmt, dass es
eine bessere Würdigung der Erziehungszeiten in der
Rente für Mütter geben muss, die ihre Kinder vor 1992
geboren haben. Aber denken Sie doch bitte nicht nur an
die Mütter, sondern auch an die Kinder! Werte Kollegen
von der Fraktion Die Linke, machen Sie doch bitte lieber
Vorschläge, die auch für die Arbeitnehmer von heute
und Rentner von morgen hilfreich sind.
Deshalb muss ich Ihre Anträge nicht nur als kontraproduktiv bezeichnen; nein, als Vertreter auch der jungen Generation muss ich leider sagen: Ihre Anträge sind
absolut unverantwortlich.
({9})
Kurzsichtige Wohltaten sind wir von Ihrer Partei gewohnt. Dafür jedoch die Zukunft der Rentenversicherung aufs Spiel zu setzen, werden wir nicht hinnehmen.
Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen.
Vielen Dank.
({10})
Herzlichen Glückwunsch, Kollege Stegemann, zu Ihrer ersten Rede!
({0})
Jetzt hat der Kollege Markus Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Fraktion Die
Linke dankbar dafür, dass sie den Tagesordnungspunkt
Rente aufgesetzt hat.
({0})
Das gibt uns zum einen die Gelegenheit, über gerechte Finanzierung der Rente, über Altersarmut und Erwerbsminderungsrente zu sprechen; denn das sind die
wesentlichen rentenpolitischen und sozialpolitischen
Herausforderungen, bei deren Bewältigung die Große
Koalition erwartbar scheitern wird.
({1})
Zum anderen dürfen wir das besondere Schauspiel
bewundern, wie die CDU/CSU genau nach dem Muster
der Partei Die Linke Politik macht: viel Geld in die Hand
nehmen, es mit der Gießkanne verteilen und sich nicht
um die Finanzierung scheren.
({2})
Der entscheidende Unterschied zur Fraktion Die Linke
ist allerdings, dass Letztere die Summen nur aufs Papier
schreibt, weil sie nicht regiert, wohingegen die Union
diese Großausgaben tatsächlich tätigt. Deswegen, Herr
Stegemann, wäre ich vorsichtig, die Backen so dick aufzublasen und anderen unseriöse Finanzierung vorzuwerfen.
({3})
Ihre Politik folgt dem Motto „Nach uns die Sintflut!“ mit
einem Rentenpaket, das bis zum Jahr 2030 zusammengenommen deutlich mehr als 160 Milliarden Euro kostet. Trotz des vielen Geldes bringen Sie es nicht fertig,
die Armut durch Erwerbsminderung und die Altersarmut
wirksam zu bekämpfen.
({4})
Herr Schäuble hat sich in dieser Woche selbst für die
Aussicht gefeiert, im Jahr 2015 einen ausgeglichenen
Bundeshaushalt vorzulegen.
({5})
Sie haben das jetzt noch einmal wiederholt. Dabei ist
Ihre Haushaltsplanung, meine Damen und Herren von
der Koalition, eine Mogelpackung ersten Ranges.
({6})
Egal welche Bundesregierung nach Ihnen kommen wird:
Sie muss allein im Bereich Rente ab 2018 mit einer zusätzlichen Kostenbelastung von 10 Milliarden Euro pro
Jahr umgehen. Die versprochene Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe um 5 Milliarden Euro
jährlich haben Sie auch kurzerhand auf das Jahr 2018
verschoben. Damit reden wir dann schon über eine
Finanzierungslücke von insgesamt 15 Milliarden Euro
pro Jahr.
Halten wir fest: Diese Regierung schafft es nicht einmal, die unter der Überschrift „Prioritäre Maßnahmen“
im Koalitionsvertrag genannten Finanzhilfen für die
Kommunen umzusetzen ({7})
und das, obwohl Sie das ausdrücklich vom Finanzierungsvorbehalt ausgenommen haben.
Nun steht die geplante Maßnahme gegen Altersarmut,
die sogenannte Lebensleistungsrente, unter jenem Finanzierungsvorbehalt. Wissen Sie, was das im Klartext
heißt? Das sollen auch die Bürgerinnen und Bürger wissen: Es wird in dieser Legislaturperiode keine Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut mehr geben.
Wenn Sie es doch ernst meinen sollten, dann müssten
Sie die Steuern erhöhen.
Das werfe ich Ihnen insgesamt vor: Im Wahlkampf
haben Sie sich hingestellt und gesagt: „Wir erhöhen
keine Steuern“, um direkt nach der Wahl in die Taschen
der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu greifen
und die Steuern der kleinen Leute - das sind nämlich die
Sozialversicherungsbeiträge - zu erhöhen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, das, was
Sie zur Bekämpfung der Altersarmut aufzubieten gehabt
hätten, wäre sowieso mehr als dürftig gewesen. Auf
Nachfrage von mir, wie viele Personen und wer denn
überhaupt in den Genuss der sogenannten Lebensleistungsrente kommt, hat diese Bundesregierung geantwortet: Weniger als 1 Prozent der Rentnerinnen und Rentner
würden davon profitieren.
Wir als Bündnis 90/Die Grünen wollen mit einer Garantierente für langjährig Versicherte sicherstellen, dass
Altersarmut wirksam bekämpft wird. Wir haben die Garantierente so ausgestaltet, dass gerade Frauen einen Zugang dazu haben,
({8})
und wir finanzieren sie über Steuern. Das ist nachhaltige
Sozialpolitik.
({9})
Nicht nur bei der Bekämpfung von Altersarmut sind
Sie von der Koalition im Begriff, zu versagen. Auch Ihre
Vorschläge zur Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten sind unzureichend. Das, Herr Weiß, sieht ja mittlerweile auch der Arbeitnehmerflügel der Union so.
Herr Weiß, als CDA-Mitglied haben Sie gesagt, die
sozialpolitisch vordringlichste Aufgabe sei jetzt die Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrenten. Ich
stimme Ihnen absolut zu.
({10})
Ich stimme dem Arbeitnehmerflügel der Union auch zu,
wenn er fordert, das Rentenpaket wieder aufzuschnüren.
Auch Herr Schiewerling als Sprecher der Arbeitsgruppe
Arbeit und Soziales der Union hat sich dieser Sache ja
angeschlossen.
({11})
Das sind die Punkte, bei denen man handeln muss.
Ich freue mich, dass auch Sie das, was wir schon seit
längerem sagen, jetzt erkennen und nachvollziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass der
Gesetzentwurf der Koalition bald zur ersten Lesung hier
ins Plenum eingebracht wird. In der nächsten Woche
scheint das noch immer nicht der Fall zu sein. Vielleicht
gehen Sie ja noch einmal in sich und verbessern ihn.
({12})
Dann können wir hoffentlich sachlich und ruhig gemeinsam über die sozialpolitisch dringendsten Punkte diskutieren.
Danke schön.
({13})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Kollegin
Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, Sie haben
mit Ihren Anträgen wunderschöne Forderungen ins
Schaufenster gestellt. Nun stehen sie im Schaufenster,
und keiner kann sie kaufen.
({0})
Während Sie das Schaufenster bestücken, stellen wir
uns an die Werkbank und erreichen konkrete und handfeste Verbesserungen für die Menschen.
({1})
Dagmar Schmidt ({2})
Wir kennen ja das alte Spiel: Die Linkspartei fordert immer eins mehr als die Sozen. Wir fordern aber eben nicht
nur, sondern wir setzen auch konkrete Verbesserungen
um, von denen die Menschen am Ende etwas haben.
({3})
Zum Beispiel die Rente mit 63. Herr Müller aus meinem Nachbarort, 62 Jahre alt, hat direkt nach der Schule
mit 15 Jahren im Elektrohandwerksbetrieb angefangen.
Er hatte im Laufe der Zeit verschiedene Jobs, musste immer wieder zwischen verschiedenen Handwerksbetrieben wechseln, war kurz arbeitslos und ist am Ende bei
einer Brauerei als Monteur für Theken und Wirtshausschilder mit allem, was dazugehört, gelandet. Er ist heilfroh, dass es jetzt bald vorbei ist. Er ist zwar nicht krank,
aber die Leiter hoch- und runterzusteigen und über Kopf
zu montieren, funktioniert nicht mehr wirklich gut. Herr
Müller kann dank uns zwei Jahre früher mit 63 Jahren
abschlagsfrei in Rente gehen, zwei Jahre, in denen er
nicht mehr auf der Leiter stehen und über Kopf montieren muss. Er freut sich darauf. Das ist richtig und gut so.
Das hat er sich verdient.
({4})
Frau Götze hat als Erzieherin gearbeitet, bis sie aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr weiterarbeiten konnte. In Hessen verdient sie als Erzieherin
1 827 Euro. Mit unserem Gesetz zur Anhebung der Zurechnungszeit um zwei Jahre wird sie 40 Euro mehr pro
Monat bekommen. Das sind 600 Euro im Jahr, die ihre
Lebenssituation real verbessern.
({5})
Frau Gerber hat 1978 eine Tochter und 1982 Zwillinge
geboren. Bisher erhält sie als Anerkennung ihrer Erziehungsarbeit 1 008 Euro jährlich. Ab diesem Sommer sind
es 2 016 Euro. Diese 1 008 Euro mehr stehen nicht im
Schaufenster, sondern auf ihrer Rentenmitteilung. Das
ist der entscheidende Unterschied.
({6})
Sie stellen für Frau Gerber 2 016 Euro mehr ins
Schaufenster; wir sorgen dafür, dass Frau Gerber
1 008 Euro mehr bekommt. Mit Frau Gerber werden
9,5 Millionen andere Frauen und auch ein paar Männer
diese konkreten Verbesserungen noch in diesem Jahr auf
ihren Kontoauszügen lesen können. Das ist richtig, und
das ist gut so.
({7})
Eines ist aber auch klar: Wir können nicht alle Probleme über Reformen im Rentensystem lösen. Vielmehr
brauchen wir in der Zukunft zur Vermeidung von Altersarmut und für Renten, von denen man anständig leben
kann, Ordnung am Arbeitsmarkt.
({8})
Nein.
({0})
Ab dem 1. Januar 2015 wird es einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn geben, damit es endlich
eine Anstandsgrenze nach unten gibt, die dem
Lohndumping ein Ende bereitet. Mit der Regelung durch
Tarifverträge bis 31. Dezember 2016 haben wir schon
jetzt erreicht, dass es in Zukunft eine höhere Tarifbindung und weniger tarifvertragsfreie Bereiche und Regionen gibt. Auf diese Weise verbessern wir die Situation
der Frauen am Arbeitsmarkt; heute ist dazu schon reichlich gesprochen und diskutiert worden. Dies erreichen
wir durch Maßnahmen zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit, durch einen Rechtsanspruch auf befristete
Teilzeit und durch die Erleichterung der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf.
({1})
Für den Ausbau von Kitas, Schulen und Hochschulen
nehmen wir unter anderem 6 Milliarden Euro in die
Hand. Wir unterstützen parallele Teilzeitarbeit und Kindererziehung für Mutter und Vater, sodass beide Elternteile arbeiten und Zeit mit ihrem Kind verbringen können. Wir verbessern die Vereinbarkeit von Pflege und
Beruf, sodass vor allem Frauen nicht dauerhaft aus dem
Beruf aussteigen müssen. Zu unseren Maßnahmen gehören die Rente mit 63, eine bessere Anerkennung der Kindererziehung, die Verbesserung der Erwerbsunfähigkeitsrente durch Verlängerung der Zurechnungszeiten
und die sogenannte Günstigerprüfung, die eine Verschlechterung durch die Berücksichtigung der letzten
vier Jahre verhindert, sowie die Verbesserung der Situation von Frauen und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
eigentlich müssten Sie über Ihren Schatten springen und
sagen: Frau Nahles, Frau Schwesig, liebe SPD, das habt
ihr toll gemacht;
({2})
so viel hätten wir mit der CDU und CSU nicht erreicht.
({3})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
erteile ich jetzt dem Kollegen Matthias W. Birkwald,
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Schmidt, Sie
haben eben über die Erwerbsminderungsrente und die
von Ihnen vorgeschlagenen Verbesserungen gesprochen.
All diese Verbesserungen - das will ich noch einmal saMatthias W. Birkwald
gen - gehen auch aus der Sicht der Linken in die richtige
Richtung. Aber - Sie müssen jetzt sehr tapfer sein - die
Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft überholt
Sie da links. Der Kollege Peter Weiß und der Staatssekretär Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender der
Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, haben
ein Papier mit dem Titel „Erwerbsminderungsrente verbessern“ vorgelegt. Darin schreiben sie:
Mit den geplanten Neuregelungen werden Erwerbsminderungsrenten durchschnittlich um monatlich
40,- € angehoben. Angesichts der sinkenden Erwerbsminderungsrenten ist dies eine eher bescheidene Korrektur.
({0})
Ich mache das nicht oft, aber ich stimme den Kollegen von der Union in diesem Fall zu. Die beiden machen
zwar auch Vorschläge, die ich nicht teile. Aber CDA und
Linke haben gemeinsam das Ziel, die Erwerbsminderungsrente so zu verbessern, dass die Menschen etwas
davon haben.
Die durchschnittliche Höhe einer vollen Erwerbsminderungsrente lag im Jahr 2012 bei nur 646 Euro. Das bedeutet: Wenn jetzt 40 Euro dazukommen, dann werden
viele Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner davon überhaupt nichts haben, sondern dieses Geld wird
ihnen bei der Grundsicherung wieder abgezogen. Deswegen sagen wir Linken: Die Abschläge müssen weg.
Denn sie betragen im Durchschnitt über 77 Euro, und
fast alle Betroffen, über 96 Prozent von ihnen, müssen
sie tragen. Wenn die Abschläge abgeschafft würden,
dann hätten die Menschen, die ja nicht freiwillig krank
geworden sind, auch etwas davon. So muss man aber sagen: Sie sind zu kurz gesprungen. Gut gewollt ist noch
nicht gut gemacht.
Danke schön.
({1})
Frau Kollegin Schmidt.
Es wäre schön gewesen, wenn sich die CDA vor den
Koalitionsverhandlungen etwas lauter dazu geäußert
hätte. Denn es war immer auch unser Wille als SPD, bei
den Erwerbsminderungsrenten mehr zu tun. Es war auch
unser Wille - das ist ja kein Geheimnis -, dass die Mütterrente über Steuern finanziert wird. Nun haben wir mit
CDU und CSU den Kompromiss geschlossen, dass dem
nicht so ist. Das hat unsere Möglichkeiten hier etwas
eingeschränkt. Aber das waren erste Schritte in die richtige Richtung. Es freut mich, dass Sie das anerkannt haben.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist
Frau Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das klingt ja alles ziemlich
toll, was Sie von der Linkspartei in Ihren beiden Anträgen schreiben:
({0})
Rentenniveau erhöhen, Rente mit 67 abschaffen, Leistungen bei der Mütterrente verdoppeln, Erwerbsminderungsrente weiter anheben und Deckelung der Rehaleistungen aufheben. Die Liste Ihrer Forderungen ist üppig.
Doch zwei ganz wesentliche Dinge fehlen in Ihren Ausführungen, nämlich der Blick für die Wirklichkeit und
der Sinn für Gerechtigkeit.
({1})
Viel zu kurz kommen nämlich die Interessen derer,
die ungefähr so alt sind wie ich oder jünger: die Interessen der - ich nenne sie jetzt einmal so - Generation 40
minus. Wir haben uns als Koalition vorgenommen, die
Rentenleistungen für die Menschen in unserem Land zu
verbessern und das Rentensystem gerechter zu gestalten.
Wir wollen deshalb eine bessere Absicherung der Erwerbsgeminderten. Denn - da sind wir uns einig - wer
aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr oder nicht
mehr so viel arbeiten kann, muss solidarisch unterstützt
werden. Das wird er von uns auch, und zwar mehr, als es
bisher der Fall war.
Auch die Anhebung des Rehabudgets, angepasst an
die demografische Entwicklung, setzt genau da an, wo
das Geld gebraucht wird. Außerdem möchten wir die
Leistungen der Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet,
Beiträge gezahlt und die Rentenversicherung dadurch
maßgeblich unterstützt haben, mehr als bisher anerkennen.
({2})
Deshalb haben wir uns für die sogenannte Rente mit 63
entschieden, aus der - das ist mir persönlich ganz wichtig - bis zum Jahr 2029 schrittweise eine Rente mit 65
werden wird.
({3})
Einen mindestens ebenso großen Anteil am Funktionieren unseres Rentensystems haben Eltern, die Kinder
zur Welt gebracht und großgezogen haben. Die Erziehungsleistung, die gerade früher ganz überwiegend von
Frauen erbracht worden ist, wird seit 1992 rentenrecht1668
lich umfassend anerkannt. Was aber auch damals niemand wollte, ist eine offene Benachteiligung der Frauen,
die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben.
Die jetzige Regelung - das haben wir erkannt - wird
von vielen als ungerecht empfunden. Wir haben deshalb
im Koalitionsvertrag vereinbart, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen. Wie bei allen Fragen, bei denen es um
Gerechtigkeit geht, kann es auch hier nur eine Annäherung an das Ideal geben. Mit dem vom Bundeskabinett
beschlossenen Gesetzentwurf kommen wir diesem Ideal
aber - da bin ich ganz sicher - schon ein gutes Stück näher.
({4})
Die Erziehungsleistung soll mit einem zusätzlichen
Entgeltpunkt in der Alterssicherung berücksichtigt werden. Diese Verbesserung bei der Mütterrente ist wegen
der guten finanziellen Situation der Rentenversicherung
und der vorhandenen Mittel aus dem Zuschuss des Bundes möglich und verantwortbar.
({5})
Von dem zusätzlichen Entgeltpunkt profitieren gerade
die Frauen, die immer in der Familie gearbeitet haben,
aber meist eben nicht oder zumindest nicht durchgängig
erwerbstätig waren. Das sind heute tragischerweise die,
die überdurchschnittlich oft von Altersarmut betroffen
sind. Die bessere Mütterrente, wie sie unsere Koalition
vorsieht, greift hier also genau an der richtigen Stelle.
Sie ist die gerechteste der derzeit möglichen Lösungen.
({6})
Eine Gleichheit der Leistungen ist nämlich nicht immer
gleich Gerechtigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Linkspartei, auch wenn das jetzt Ihrem egalitaristischen Denken widersprechen mag.
Lassen Sie mich dafür zwei Gründe nennen:
Erstens. Der von Ihnen angenommene Nachteil für
Mütter und Väter, die vor 1992 ein Kind bekommen und
erzogen haben, wird nicht nur durch diesen einen zusätzlichen Entgeltpunkt eingeebnet, sondern auch durch die
Rentenreformen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.
Jüngere Mütter und Väter müssen wegen des demografischen Wandels in Zukunft ohnehin bereits mit einem
niedrigeren Rentenniveau und einer längeren Lebensarbeitszeit rechnen. Damit sind nur einige der Unterschiede genannt. Es ist also mitnichten so, dass die jungen Frauen alles in allem besser gestellt wären als unsere
Mütter.
({7})
Zweitens. Das entscheidende Argument ist - das haben die Kollegen schon erwähnt - das der Finanzierbarkeit und damit der Generationengerechtigkeit. Die Kosten würden sich bei der Umsetzung Ihrer Pläne zur
Mütterrente verdoppeln. Jedes Jahr würde das mit
6,5 Milliarden Euro Mehrkosten zu Buche schlagen,
Kosten, die von den jungen Menschen geschultert werden müssten. Ich glaube noch nicht einmal, dass die heutige Müttergeneration eine solche Belastung für ihre
Kinder wollen würde.
Es ist ja die jüngere Generation, die die besonderen
Herausforderungen des demografischen Wandels in den
Griff bekommen muss. Zu Beginn der umlagefinanzierten Rente in den 50er-Jahren waren es noch vier Erwerbstätige, die einen Rentner oder eine Rentnerin mitfinanzierten. 1990 war das Verhältnis etwa drei zu eins. Im
Jahre 2030 werden es je nach Berechnungen höchstens
ein bis zwei Erwerbstätige pro Rentner sein.
Liebe Kollegen der Linkspartei, Sie konterkarieren
mit Ihren Anträgen die Realität des demografischen
Wandels
({8})
und zeigen, mit Verlaub, reichlich wenig Gespür für Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
({9})
Die Finanzierungsvorschläge in Ihren Anträgen sind
nicht nur vage; sie sind schädlich und belastend für unser
Miteinander. Erzählen Sie also den Menschen an den Infoständen von Ihren Rentenplänen. Seien Sie aber auch
so fair und sagen Sie ihnen, dass Sie dafür die Rentenbeitragssätze natürlich für alle anheben werden und dass
Sie dann die Steuern so richtig saftig erhöhen werden,
und zwar so, dass es nicht nur die oberen Zehntausend
spüren werden. Sagen Sie vor allem den Jüngeren, die
bei Ihnen vorbeikommen, dass sie es sein werden, die
das bezahlen werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Frau Dr. Freudenstein, das war Ihre
erste Rede hier im Parlament. Herzlichen Glückwunsch
dazu.
({0})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Dr. Rosemann, SPDFraktion, das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sozialdemokratische Rentenpolitik verfolgt zwei Ziele: erstens die
Verhinderung von Altersarmut und zweitens die Sicherung des Lebensstandards und die Anerkennung der Lebensleistungen jedes und jeder Einzelnen.
Genau da, Herr Kollege Kurth, bei diesem zweiten
Punkt, liegt der Unterschied zu Ihnen. Die rentenpolitischen Beiträge der Grünen in den vergangenen Wochen
und Monaten beschränkten sich allein auf das Thema
Rente als Sozialleistung und Verhinderung von AltersarDr. Martin Rosemann
mut. Das Thema Anerkennung von Lebensleistung spielt
bei Ihren Beiträgen keine Rolle.
({0})
Wir als SPD haben zu diesen beiden Zielen in der vergangenen Legislaturperiode ein umfassendes Rentenkonzept vorgelegt. Dieses Rentenkonzept war auch die
Grundlage für unsere Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner. Dementsprechend finden sich zentrale Eckpunkte auch im Koalitionsvertrag und in dem jetzt vorgelegten ersten Rentenpaket wieder.
Mit dem Ziel der Verhinderung der Altersarmut verbessern wir die Situation von Erwerbsminderungsrentnerinnen und Erwerbsminderungsrentnern. Wir werden die
solidarische Lebensleistungsrente einführen,
({1})
und wir gestalten das Rehabudget demografiegerecht
aus, damit Menschen - immer nach dem Motto „Reha
statt Rente“ - länger im Arbeitsleben bleiben können.
({2})
Mit dem Ziel der besseren Anerkennung von Lebensleistungen verbessern wir die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder. Mit dem
gleichen Ziel ziehen wir auch den vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzugang für langjährig Versicherte vor.
Meine Damen und Herren, genau damit werden Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anerkannt, die sehr früh - mit 15, 16 oder 17 Jahren - ins Berufsleben eingestiegen sind und die dann in der Folge
besonders lange und meist auch körperlich hart gearbeitet haben. Herr Kollege Birkwald, davon profitieren
nicht 50 000, wie Sie es dargestellt haben, sondern
200 000 Menschen in jedem Rentenjahrgang,
({3})
weil bereits heute rund 150 000 der Anspruchsberechtigten - allerdings mit Abschlägen - vorzeitig in Rente gehen.
({4})
- Ja, aber auch diese 150 000 profitieren von der Neuregelung.
Zudem findet sich im Koalitionsvertrag auch die Berücksichtigung von Zeiten kurzfristiger Arbeitslosigkeit, um diesen Rentenzugang für langjährig Versicherte
zu ermöglichen. Warum machen wir das? Wir wollen
nicht, dass Menschen, die krisenbedingt kurzfristig arbeitslos waren und trotzdem ihr Leben lang ihre Leistungen gebracht und sich finanziell an dem System beteiligt
haben, am Ende nicht in den Genuss der abschlagsfreien
Rente kommen. Das gilt für die Vergangenheit, vor allem für Menschen, die Opfer regionaler Strukturkrisen,
beispielsweise in Ostdeutschland, oder branchenabhängiger Strukturkrisen wie im Bergbau oder Maschinenbau
waren.
Das Gleiche gilt aber auch heute und in Zukunft, weil
nach wie vor Krisen in unserem Land nicht ausgeschlossen sind und weil wir es heute mit einem Arbeitsmarkt
zu tun haben, in dem es nicht mehr üblich ist, 45 Jahre
lang im gleichen Betrieb zu arbeiten, sondern in dem berufliche Wechsel an der Tagesordnung sind. Deshalb ist
dies auch ein Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit.
({5})
Meine Damen und Herren, mir ist bewusst, dass
durch die aufgezählten Schritte nicht alle Herausforderungen der Altersvorsorge in Deutschland bewältigt werden. Das gilt zunächst für die Herausforderung der Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland.
Dazu sage ich gerade mit Blick auf Ihren Antrag, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linken: Es geht dabei
nicht nur um punktuelle Angleichungen bei einzelnen
Maßnahmen, sondern darum, die Rentensysteme in Ostund Westdeutschland Schritt für Schritt zu harmonisieren und zusammenzuführen, wie wir das im Koalitionsvertrag gemeinsam verabredet haben.
({6})
Die noch viel größere Herausforderung ist aber ohne
Zweifel die Verschärfung des demografischen Problems
und der damit verbundene Druck auf das Rentenniveau
in den Jahren nach 2030. Da, meine Damen und Herren
von der Linken, fangen die Differenzen so richtig an. Sie
wollen zurück zur alten Frühverrentungslogik - wir
nicht. Sie wollen die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters dauerhaft zurücknehmen - wir nicht.
({7})
Die Gründe für diese Unterschiede sind offensichtlich. Sie verschließen die Augen vor den demografischen Entwicklungen und den damit verbundenen Herausforderungen für unser Rentensystem. Ich nenne nur
eine Zahl: 2010 lag der Altenquotient noch bei 33,7 Prozent. 2030 werden es über 50 Prozent sein.
Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass wir auch wegen
des Fachkräftebedarfs eine höhere Erwerbsbeteiligung
Älterer brauchen, damit wir unseren Wohlstand auch in
Zukunft sichern können.
({8})
Sie nehmen auch nicht zur Kenntnis, dass die Erwerbsbeteiligung Älterer bereits zunimmt. Die Erwerbstätigenquote der 60- bis 65-Jährigen ist in den Jahren 2002
bis 2012 von 23,7 auf über 46 Prozent gestiegen. Sie hat
sich also mehr als verdoppelt.
({9})
Dieser Anstieg ist dreimal so hoch wie der Anstieg der
Erwerbstätigenquote insgesamt.
({10})
Meine Damen und Herren von der Linken, die Ausblendung der Realität setzt sich auch bei Ihren Vorschlägen fort. Was diese kosten, will ich - ganz grob überschlagen - allein für das Jahr 2030 darstellen: für die
Gleichstellung der Kindererziehungszeiten 6 Milliarden
Euro mehr, für die Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrenten 4 Milliarden Euro, für die Erhöhung des
Rentenniveaus sage und schreibe 40 Milliarden Euro, für
die Rücknahme der Rente mit 67 mindestens 5 Milliarden Euro. Hinzu kommen Ausfälle bei Steuern und Sozialabgaben. Unter dem Strich kostet das allein für das
Jahr 2030 rund 60 Milliarden Euro.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme gleich zum Ende. - Dabei ist Ihre Forderung, nach 40 Beitragsjahren ab Vollendung des 60. Lebensjahres abschlagsfrei in Ruhestand zu gehen, noch
gar nicht berücksichtigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, angesichts dieser Zahlen frage ich Sie: Wollen Sie wirklich
jemals Regierungsverantwortung in diesem Land übernehmen?
({0})
Herzlichen Dank.
({1})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Mit einem der heute diskutierten Anträge will
die Linke die Ursachen für Altersarmut bekämpfen. Das
ist zumindest erklärtes Ziel. Beim Lesen folgt dann ein
Ausflug in ein rentenpolitisches Schlaraffenland. Das
Rentenniveau soll dauerhaft um mindestens 5 Prozentpunkte auf 53 Prozent ansteigen.
({0})
40 Beitragsjahre sollen künftig genügen, um mit 60 Jahren abschlagsfrei in Rente zu gehen, und zusätzlich soll
durch eine neue geförderte Altersteilzeit die Frühverrentung vorangetrieben werden.
({1})
Jetzt fehlt mir leider die Redezeit, Ihnen darzulegen,
inwiefern das Rentenniveau unserer demografischen
Entwicklung geschuldet ist
({2})
und dass wir momentan alles andere als eine neue Frühverrentungswelle brauchen. Doch lassen Sie mich einen
zentralen Punkt aufgreifen.
Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung stellte fest: Die Hauptursache für Armut und
auch Altersarmut sind Arbeitslosigkeit und insbesondere
Langzeitarbeitslosigkeit. - Wenn wir also ernsthaft über
die Risiken von Armut sprechen wollen, dann brauchen
wir Lösungen, die definitiv nicht in Ihren Anträgen zu
finden sind und die nicht in teuren Versprechungen liegen, die nachfolgende Generationen zu finanzieren haben.
({3})
Nur eine dauerhafte Beschäftigung kann Altersarmut
vorbeugen.
Der demografische Wandel zwingt uns dazu, das Rentenniveau abzusenken.
({4})
Das ist die richtige Antwort auf die über Jahrzehnte sinkende bzw. stagnierende Geburtenrate und eine älter
werdende Gesellschaft. Was wäre unser Rentensystem,
basierend auf dem Generationenvertrag und der Umlagefinanzierung, denn sonst noch wert? Wenn immer weniger Junge für immer mehr Ältere in die Rentenkasse einzahlen, dann gibt es keine sinnvollere Alternative, als
Anpassungen auch beim Rentenniveau vorzunehmen.
Was wir aber tun können und auch tun müssen, ist,
über die Familienfreundlichkeit in unserer Gesellschaft
zu sprechen. Sinkende Geburtenraten kommen schließlich nicht von ungefähr und können unser Rentensystem
auf den Kopf stellen. Hier hat die Union mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, der Schaffung von Mehrgenerationenhäusern sowie dem Elterngeld Entscheidendes
getan. Auch die Wirtschaft hat längst erkannt, dass man
gute Arbeitskräfte nur gewinnt, wenn man sie entsprechend entlohnt und ihnen gleichzeitig gute Rahmenbedingungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
bietet.
Wir müssen aber auch darüber sprechen, was die gesetzliche Rente künftig leisten kann und leisten soll und
wie wir die private und die betriebliche Altersvorsorge
weiter stärken können.
({5})
Wenn ich in meinem Wahlkreis in Schulen, Jugendklubs
und Sportvereinen unterwegs bin, weise ich die Jugendlichen immer auf Folgendes hin: Heute kommt es nicht
mehr nur auf einen guten Schulabschluss und eine solide
Ausbildung an. Genauso wichtig ist es, frühzeitig in die
Altersvorsorge zu investieren und sie im Blick zu haben.
({6})
Diese Verantwortung tragen junge Menschen sich selbst
gegenüber, und unsere Aufgabe ist es, ihnen dafür den
notwendigen Spielraum einzuräumen. Eine Rentenpolitik, der die Weitsicht fehlt und die neue Belastungen
schafft, ist dafür der denkbar schlechteste Weg.
({7})
Eines sollte in der heutigen Debatte aber auch noch
gesagt werden: Der heutigen Rentnergeneration geht es
gut. Nur 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind auf die
Grundsicherung im Alter angewiesen. Wir wissen auch,
dass insbesondere in Ostdeutschland die Menschen trotz
Abschlägen früher in Rente gehen - und das aus gutem
Grund; denn gerade Frauen waren und sind dort öfter
und länger erwerbstätig. Mit Blick auf die Debatte zum
Internationalen Frauentag, die soeben stattgefunden hat,
sollte deshalb auch die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zentraler Punkt unser Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sein.
({8})
Abschließend noch ein Letztes: In keiner anderen Altersgruppe ist die Zahl der Erwerbstätigen zwischen
2001 und 2011 so deutlich angestiegen wie bei den Erwerbstätigen im Rentenalter. Grund für diesen Anstieg
ist aber nicht etwa Altersarmut; viele Rentnerinnen und
Rentner fühlen sich fit und haben die Bereitschaft, etwas
zu tun. Was spricht also dagegen, die Rahmenbedingungen auch dafür weiter zu optimieren? Das wäre ein denkbarer Weg, die Vielfalt von Interessen, von Lebensläufen
und von Berufswegen abzubilden.
Deshalb habe ich mich auch mit Interesse Ihren Vorschlägen zum flexiblen Renteneintritt gewidmet. Doch
was die Linke anbietet, ist nichts weiter, als flexible
Übergänge in die Frühverrentung zu fördern. Die eigentlichen Potenziale bei der Aktivierung und Beschäftigung
älterer Arbeitnehmer - und wohlgemerkt auch die darin
liegende Notwendigkeit für Innovation in Deutschland,
für soziale Sicherheit und Wohlstand - werden darin
nicht aufgezeigt. Wer Verantwortung in Deutschland tragen will, muss mehr bieten.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/767 und 18/765 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, SvenChristian Kindler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten
Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines
einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie
zur Änderung der Verordnung ({0}) Nr. 1093/
2010 des Europäischen Parlaments und des
Rates
KOM({1}) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Zum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinteressen - Für eine echte Europäische Bankenunion
Drucksache 18/774
Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({2})Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Erster Redner in der Debatte ist der Kollege
Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2008 gab es das Versprechen, dass nie wieder Banken
mit Steuergeld gerettet werden sollten.
({0})
Tatsache ist aber, dass die Bankenrettung mit Steuergeld
in Europa seither ungebremst weitergegangen ist. Zuletzt
war es eine Bank in den Niederlanden, die SNS Reaal,
die im Februar 2013 übernommen worden ist. Dafür
wurden 3,7 Milliarden Euro Steuergeld aufgewendet. In
diesen Tagen geht es in Österreich um die Hypo AlpeAdria-Bank, die in eine staatliche Bad Bank überführt
wird. Auch da wird der Steuerzahler die Verluste tragen.
Das geschieht, obwohl wir wissen, dass teure Bankenrettungen eine der zentralen Ursachen für die Staatsschul1672
denkrise in Europa gewesen sind, insbesondere in Spanien, in Irland und in Zypern.
Vor diesem Hintergrund haben die Mitglieder des
Euro-Währungsgebiets in ihrer Gipfelerklärung vom
29. Juni 2012 gesagt - ich zitiere -:
Wir bekräftigen, dass es von ausschlaggebender
Bedeutung ist, den Teufelskreis zwischen Banken
und Staatsanleihen zu durchbrechen.
Das ist richtig. Das geht aber nur, wenn die nationalen
Budgets nicht mehr die Verantwortung für die Bankenrettung haben. Deswegen braucht es eine andere Institution, die das macht, nämlich einen europäischen Bankenabwicklungsfonds, der von den Banken finanziert wird.
({1})
Genau darum geht es gerade in Brüssel bei den Verhandlungen. Man fragt sich, warum das eigentlich nicht
allgemeiner Konsens ist. Nun, es gibt einen Akteur, der
in Brüssel auf der Bremse steht, wenn es darum geht, das
auf den Weg zu bringen, und das ist die Bundesregierung.
({2})
Weil sie auf der Verantwortung der nationalen Budgets
beharrt, bleibt der Teufelskreis zwischen Banken und
Staaten bestehen.
({3})
Die Bundesregierung hat vorgeschlagen und das im
Rat auch durchgesetzt, dass erst nach zehn Jahren die nationalen Budgets aus der Verantwortung entlassen werden - inzwischen bietet der Rat acht Jahre an -, aber das
ist viel zu lang. Der Teufelskreis zwischen Banken und
Staatsanleihen muss so schnell wie möglich durchbrochen werden. Die Zeit der teuren Bankenrettungen mit
Steuergeld muss beendet werden.
({4})
Völlig unverständlich ist auch, warum der Rat, wiederum auf Initiative der Bundesregierung, auf komplizierten und langwierigen Entscheidungsstrukturen bei der
Bankenabwicklung beharrt. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann vielleicht der Berichterstatterin der EVP-Fraktion - da sind die Christdemokraten im Europäischen
Parlament versammelt -, Frau Wortmann-Kool - ich zitiere sie -:
Der Rat hat eine zu komplexe und fragile Prozedur
für strauchelnde Banken erfunden. … Mit so vielen
beteiligten Leuten scheint es unmöglich, zielgerichtet zu handeln. … Die Geschichte zeigt uns, dass
Europa bei strauchelnden Banken schnell agieren
muss.
Recht hat sie.
({5})
Warum folgen wir nicht dem Beispiel der USA? Dort
sind durch den dortigen Bankenabwicklungsfonds seit
Ausbruch der Finanzkrise etwa 500 Banken schnell und
geräuschlos abgewickelt worden, ohne dass die einzelnen Abwicklungsfälle irgendwelche Finanzminister beschäftigt hätten, und den Steuerzahler hat diese Abwicklung keinen Cent gekostet. In Europa wurde in häufig
langwierigen Verhandlungen durch die Finanzminister
über die Bankenrettungen politisch entschieden, und es
wurde für die Steuerzahler enorm teuer. Die EU-Kommission fasst das Ganze folgendermaßen zusammen:
Zwischen 2008 und 2012 summierte sich die Staatshilfe
für Kapitalisierungsmaßnahmen für Banken in Europa
auf über 591 Milliarden Euro.
Ich meine, daraus muss man die Konsequenz ziehen:
Wir brauchen eine einfache Struktur, die sicherstellt,
dass schnell entschieden werden kann und dass es keine
Möglichkeit gibt, dass die Politik bei jeder Bankenrettung erneut den Geldbeutel zückt.
({6})
Ein wichtiger Streitpunkt bei den Verhandlungen ist
jetzt auch die zwischenstaatliche Vereinbarung. Das
heißt, dieses Konstrukt des Abwicklungsfonds soll nicht
nach EU-Recht auf der Grundlage der europäischen Verträge entstehen, sondern durch eine Vereinbarung der
Mitgliedstaaten. Finanzminister Schäuble sagt: Das geht
nicht anders; man kann das nicht auf den Vertrag stützen.
- Interessant ist aber, dass unter den Euro-Staaten allein
Deutschland diese Argumentation vorbringt.
({7})
Die juristischen Dienste von Rat, Parlament und Kommission sagen aber, das sei mit Art. 114 AEUV vereinbar.
({8})
Legen Sie doch die entsprechenden Argumentationen
vor, damit sich zeigt, wer hier die richtigen Argumente
hat. Das Europäische Parlament hat seine Rechtsposition
veröffentlicht. Die grüne Bundestagsfraktion hat ein entsprechendes Rechtsgutachten veröffentlicht. Sie können
sich mit unseren Argumenten auseinandersetzen. Aber
die Bundesregierung hat ihre Rechtsauffassung eben
nicht dargelegt, weil sie befürchtet, dass ihre Argumentation in der Luft zerrissen würde.
({9})
Wenn Sie starke politische Argumente hätten, wenn Sie
starke juristische Argumente hätten, dann könnten Sie
das vorlegen. Ihre Argumentation scheint relativ
schwach zu sein.
Hinzu kommt noch: Das ist ein gefährlicher Präzedenzfall. Wenn immer dann, wenn es einen Dissens gibt,
die Mitgliedstaaten entscheiden können, ob sie außerhalb des europäischen Rechts agieren können, womit sie
das Europäische Parlament umgehen, dann schwächt das
die europäische Demokratie entscheidend. Wir meinen,
die Bundesregierung ist hier auf einem gefährlichen Irrweg, was mit Blick auf die europäische Demokratie
nicht sein darf.
({10})
Die Bundesregierung ist in dieser Frage in Europa
ziemlich allein unterwegs. Wenn man allein unterwegs
ist, dann muss man sich fragen, ob alle anderen wirklich
falschliegen.
({11})
Ich zitiere noch einmal die Berichterstatterin, Frau Wortmann-Kool:
Die EVP-Fraktion will einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus mit einem wirklich einheitlichen Fonds. Banken müssen unabhängig davon behandelt werden, in welchen Mitgliedstaaten sie
arbeiten und frei von politischen Verhandlungen.
Die Berichterstatter des EP, die praktisch die breite
Mehrheit des Europäischen Parlaments vertreten, sagen
- ich zitiere erneut -:
Das IGA
- also dieses zwischenstaatliche Abkommen gefährdet die Schaffung und das reibungslose
Funktionieren des SRM u. a. wegen des Fehlens eines tatsächlichen einheitlichen Fonds …
Auch die Europäische Zentralbank hat eine kritische
Haltung. Dieser Tage hat ihr Direktor Benoît Cœuré gesagt, nötig seien auch ein einheitlicher Mechanismus zur
Abwicklung maroder Geldinstitute sowie ein dazugehöriger einheitlicher Fonds zur Finanzierung.
({12})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ja. Mir wurde zu Beginn meiner Rede aber eine Minute Redezeit zu wenig angezeigt. Diese Minute müssen
Sie mir zusätzlich anrechnen.
Sie haben sechs Minuten Redezeit.
Wirklich?
({0})
Dann komme ich zum Schluss. Nicht nur im Europäischen Parlament und bei der Europäischen Zentralbank,
wo die Position der Bundesregierung keine Unterstützung erfährt, sondern auch im Rat ist die Bundesregierung allein unterwegs. Ich kann den entsprechenden
Drahtbericht des Rates nicht zitieren, weil er geheim ist,
aber Sie wissen, dass ich in diesem Punkt recht habe.
({1})
Der Verkehrsfunk aus Brüssel sagt uns: Auf der
Straße zur Bankenunion ist die Bundesregierung gerade
als Geisterfahrer unterwegs. - Es ist Aufgabe dieses
Hauses, die Bundesregierung zu stoppen und endlich für
die Einrichtung eines richtigen Bankenabwicklungsfonds zu sorgen, der zügig in Kraft treten kann und endlich Schluss macht mit der teuren Bankenrettung.
Danke.
({2})
Bei so vielen Zahlen kann es passieren, dass auch bei
der Redezeit etwas durcheinandergeht.
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege
Dr. h. c. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ein
funktionierender Bankensektor ist essenzieller Bestandteil für eine funktionierende Volkswirtschaft. Gerade für
die deutsche Exportindustrie sind stabile Banken ausgesprochen wichtig, um Investitionen finanzieren zu können. Deshalb haben wir als Union uns in den letzten Jahren bei der Verbesserung der Finanzmarktregulierung
insbesondere auf europäischer Ebene stark engagiert. Da
lassen wir uns von niemandem etwas vorwerfen.
({0})
Die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass die existierenden aufsichtsrechtlichen Kompetenzen und Instrumente
unzureichend waren. Die Steuerzahler mussten leider
erhebliche Lasten und Garantien tragen. Zu den drängendsten Herausforderungen zählt die schrittweise Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen, um Anreizprobleme wie Moral Hazard und das damit verbundene
Problem „too big to fail“ zu entschärfen. Das war ein
wesentlicher Schritt, den wir gegangen sind.
Heute haben wir neue Ziele, nämlich systemrelevante
Banken ohne Gefährdung der Finanzmarktstabilität in
Europa abwickeln zu können, eine europäische Bankenaufsicht einzurichten, einen europäischen Abwicklungsmechanismus zu schaffen, der von den Einzelinteressen
der EU-Staaten entkoppelt ist. Weitere Ziele sind, einen
tragfähigen EU-Abwicklungsfonds zu bilden und mithilfe der Bankenunion einheitliche Vorschriften und ein
einheitliches Verfahren, aufgesetzt auf ein Trilogverfahren, zu erreichen.
Herr Dr. Schick, kein Mitglied der Bundesregierung
steht hierbei auf dem Bremspedal. Niemand will das Europäische Parlament in den Verhandlungen vom gleichberechtigten Mitentscheider zum bloßen Mitberater degradieren. Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie in Ihrem
Antrag fälschlicherweise solche Behauptungen aufstellen, dann ist das nichts anderes, als hier einen Popanz
aufzuführen, so wie wir es von Ihnen in den letzten Jahren leider gewohnt sind.
({1})
Hin zur Bankenunion müssen wir den Weg der Sachlichkeit, der Vernunft und der Ausgeglichenheit gehen.
Für uns zählen deshalb die folgenden klaren Ziele: keine
Abschwächung der Bail-in-Regel - nicht die Steuerzahler, sondern die Eigner und Gläubiger müssen zunächst
haften -; keine Übernahme von Altlasten - auch das ist
ein wesentlicher Punkt -; keine Vergemeinschaftung vor
der Einzahlung in den Abwicklungsfonds, wie das von
Ihnen vorgeschlagen wird - wenn einige einzahlen und
andere nicht, und wir haften für Dritte, wo kommen wir
da hin? -; keine Beteiligung der Steuerzahler an der unmittelbaren Bankenrettung.
So wird auch verhandelt. Die Europäische Bankenunion sollte deshalb nicht übereilt, unvollständig und unverhältnismäßig, wie Sie das hier in Ihrem Antrag fordern, sondern schrittweise, konsequent und langfristig
tragfähig realisiert werden. Bankenunion, Abwicklungsbehörde und Bankenfonds sind natürlich - das sollte
man bei dieser Gelegenheit auch sagen - kein Allheilmittel, sondern sind der notwendige Teil unseres umfassenden Lösungskonzeptes. Es wäre aber eine Fehleinschätzung, wenn man sich allein darauf konzentrieren
würde.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der der heutigen Debatte zugrunde liegt, geht in mancher Hinsicht
in die falsche Richtung. Nach meiner Ansicht atmet er
den alten Geist der schnellen Schuldenvergemeinschaftung. Er ignoriert leichtfertig die Frage nach ausreichenden Rechtsgrundlagen. Er erkennt nicht die Gefahr der
Überforderung durch eine übereilte Einführung der Bankenunion, was sich wieder negativ in der Realwirtschaft
niederschlagen würde. Er will der nicht demokratisch
legitimierten EU-Kommission das Letztentscheidungsrecht zukommen lassen. Mit Art. 114 AEUV will er ein
Einfallstor für EU-Abgaben schaffen.
Das sind wesentliche Punkte, die in die völlig falsche
Richtung weisen. Damit vertreten Sie doch nicht deutsche Interessen und auch nicht die Interessen unseres
Wirtschaftsstandortes, Herr Dr. Schick.
({2})
Kurz gesagt: Dieser Antrag besteht aus einer Ansammlung inakzeptabler Vorgaben, falscher Zusammenfassungen, ungerechtfertigter Verkürzungen und meiner
Meinung nach auch aus Halbwahrheiten. Ein solcher
Antrag kann und wird unsere Zustimmung nicht finden,
meine Damen und Herren.
Es ist gut, dass unser Bundesfinanzminister
Dr. Wolfgang Schäuble die Verhandlungsführung hat. Er
vertritt unsere Interessen bei der Schaffung einer Europäischen Bankenunion und nichts anderes.
({3})
Wie wichtig der Bankensektor für die Volkswirtschaft
ist, hat die Bankenkrise gezeigt. Nur die Rettung der
Banken hat den Zusammenbruch unserer Realwirtschaft
verhindert. Die hohe Bedeutung des Bankensektors für
die Realwirtschaft wird leider nicht immer wahrgenommen. Dafür ist der vorliegende Antrag ein beredtes Beispiel. Er konterkariert unsere nationalen Interessen und
erschwert unsere Verhandlungsführung in der Schlussphase. Dass ausgerechnet jetzt, kurz vor Ende der Verhandlungen, ein solcher Antrag in unserem Parlament
gestellt wird, halte ich für absolut kontraproduktiv.
Schauen Sie sich einmal um, ob das in anderen Staaten
in dieser Form stattfindet. Sie fallen der Bundesregierung damit in den Rücken. Die Verhandlungsführung ist
aber bei der Bundesregierung gut aufgehoben, meine
Damen und Herren.
({4})
Natürlich gibt es immer Korrekturbedarf. Ich glaube,
dass es auch selbstverständlich ist, dass wir für eine Entlastung der kleinen und mittleren Kreditinstitute bezüglich der Bankenabgabe sind. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die Sie hier formulieren. Sie biedern sich bei
Sparkassen und Genossenschaftsbanken an. Diese wissen aber, dass wir das Dreisäulenmodell in Deutschland
stützen und dass wir es in der Vergangenheit vielfach gerettet haben. Trotz des Antrages der Grünen wissen sie,
wer wirklich hinter ihnen steht.
({5})
Es geht auch darum, dass durch die Regulierung die
Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit des deutschen Finanzmarktes nicht zu stark beeinträchtigt werden darf.
Wenn wir nicht in die falsche Richtung marschieren wollen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass Bankkredite
für deutsche Unternehmen das wichtigste Mittel zur Finanzierung von Investitionen sind. Das gilt im Übrigen
auch für die Investitionen im Bereich der erneuerbaren
Energien.
Wenn Sie für Dreijahresschritte oder Fünfjahresschritte statt für Zehnjahresschritte eintreten, dann überfordern Sie die Liquidität der Kreditinstitute; denn sie
können ihr Eigenkapital auch nur einmal ausgeben. Sie
müssen die Eigenkapitalunterlegung stärker forcieren.
Sie müssen eine Bankenabgabe zahlen. Es soll aber auch
noch Geld verdient werden, um der Realwirtschaft die
notwendigen Investitionen zu finanzieren. Daher müssen
alle Maßnahmen in einer wohlüberlegten ausgeglichenen Form dargestellt werden. Hier darf es nicht zu Überforderungen kommen, sonst haben Sie die Zeche ohne
die Betroffenen gemacht. Das ist die Situation, meine
Damen und Herren.
({6})
Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang: Die
dringendste Herausforderung für den Bankensektor ist
gegenwärtig die schrittweise Erhöhung der Eigenkapitalquote. Wir sind der Auffassung, dass unsere KreditinstiDr. h. c. Hans Michelbach
tute vermehrt auch wieder Ertrag erwirtschaften müssen.
Ohne Ertrag können sie die Leistungsfähigkeit nicht herstellen, die notwendig ist, um letzten Endes auch Lösungen mit Blick auf die Zukunft unserer Wirtschaft zu
erreichen. Deutsche Banken benötigen natürlich ausreichend Zeit, um strengere Anforderungen zu erfüllen und
um die Bankenabgabe leisten zu können; sonst leidet
ihre Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns mit Vernunft einen
Weg gehen, der im europäischen Konsens verabredet
wurde und langfristig trägt: für die Rettung der Banken,
für die Sicherung der Realwirtschaft in Europa. Wir
brauchen keinen Schnellschuss, wie Sie ihn mit Ihrem
Antrag letzten Endes verfolgen. Wir sind der Auffassung, dass die Verhandlungsführung bei der Bundesregierung in guten Händen ist und wir hier zu einem guten
Erfolg kommen werden.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Es spricht jetzt der Kollege Dr. Axel
Troost, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tag für Tag gehen in Südeuropa eigentlich gesunde Unternehmen pleite. Ihre Reserven sind nach jahrelanger
Krise aufgebraucht, und sie bekommen keine bezahlbaren Kredite mehr. Ihre Banken kämpfen ebenfalls mit
der Rezession und mit Altlasten. Die Krisenstaaten verlieren wirtschaftlich weiterhin den Anschluss.
Die Bankenunion war ursprünglich dazu gedacht, den
Schock der Finanz- und Wirtschaftskrise gemeinsam zu
verarbeiten. Die alte Bundesregierung und anscheinend
jetzt auch die neue Bundesregierung setzen aber seit langem alles daran, dies zu verhindern. Die Krisenstaaten
werden mit ihren Problemen alleingelassen. Das, was
Herr Michelbach gerade gesagt hat, ist die absolute Bestätigung dafür: Er hat sozusagen nur auf deutsche Banken und die entsprechenden Zusammenhänge abgestellt,
aber nicht gesehen, dass wir in Europa Bankenprobleme
lösen müssen und Deutschland da eine ganz zentrale
Rolle spielt.
({0})
Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine Bankenunion. Multinationale Banken lassen sich national nur
schlecht beaufsichtigen, geschweige denn abwickeln. Insofern braucht man eine internationale Lösung. Wir sind
aber gegen die gegenwärtig gefundene Form der Bankenunion.
({1})
Natürlich ist ein gemeinsames Abwicklungsregime
für größere Banken erst mal ein Fortschritt; aber es muss
sich daran messen lassen, ob es Finanzkrisen und teure
Bankenrettungen wirksam verhindern kann. Diesen Test
wird das System, das bisher vorliegt, nicht bestehen. Der
Abwicklungsmechanismus ist, wenn überhaupt, sowieso
nur für die Abwicklung von Pleiten einzelner Banken
geeignet; bei systemischen Krisen wird sich da sowieso
nichts tun. Aber auch bei Pleiten einzelner großer Banken wird es, wenn es bei der Megagröße dieser Banken
bleibt, mit diesem Abwicklungsregime nicht möglich
sein, sie über das Wochenende abzuwickeln. Wir werden
wieder mit Panikreaktionen zu kämpfen haben. Wir werden erleben, wie Eigentümer und Gläubiger die Abwicklungsentscheidungen erfolgreich anfechten werden. Wir
werden zudem erleben, wie die Banken die neuen Regeln im Vorfeld zu umgehen versuchen.
Wir sind natürlich der Meinung, dass man etwas tun
muss; aber wenn Sie meinen, Sie müssten nicht an die
Bankengröße herangehen, sondern nur Mechanismen
der Abwicklung finden, dann müssen Sie mal erklären,
warum diese Megabanken aus Ihrer Sicht weiterhin gebraucht werden. Wir wollen einen grundlegenden Umbau des Finanzsektors; da unterscheiden wir uns auch
von den Grünen. Wir wollen Banken wirklich wieder auf
die Funktion des Zubringers der Realwirtschaft beschränken.
({2})
Ihre Geschäftstätigkeit muss gesetzlich auf die Kernfunktionen Zahlungsverkehr, Einlagengeschäft und Finanzierung beschränkt werden, wie das bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken in der Bundesrepublik
der Fall ist. Sonst werden wir den Tiger Finanzmarkt
nicht reiten können.
Ich möchte zum Abschluss noch einmal sagen - ich
hatte das im Finanzausschuss schon gesagt und werde es
in den nächsten Wochen sicherlich mehrmals wiederholen -, warum wir der Meinung sind, dass der von den
Banken zu finanzierende gemeinsame Abwicklungsfonds ein Wolkenkuckucksheim ist.
Der Abwicklungsfonds soll innerhalb von zehn Jahren eine Größe von 55 Milliarden Euro erreichen.
Deutschland müsste davon etwa ein Viertel erbringen,
sagen wir mal: rund 15 Milliarden Euro in zehn Jahren,
das heißt pro Jahr 1,5 Milliarden Euro. Wir wissen aber,
dass die deutsche Bankenabgabe gegenwärtig im Durchschnitt nur 600 Millionen Euro pro Jahr erbringt. Sie
müssten sie also verdoppeln oder verdreifachen. Aus
Sicht der Bundesregierung sind die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten aber schon jetzt ausgereizt. Man
kann die Abgabe um 10, 20 oder 25 Prozent erhöhen
- wir haben die entsprechenden Zahlen vom Finanzministerium erhalten -, aber das wird logischerweise bei
weitem nicht ausreichen, die Einnahmen aus der Bankenabgabe zu verdoppeln, geschweige denn zu verdreifachen.
Wenn der Bundesfinanzminister erklärt, er könne sich
vorstellen, dass das alles noch viel schneller geht, dann
muss er sagen, wie er das finanzieren will. Wir sehen
nicht, wie das zu finanzieren ist. Wir befürchten - nicht
nur wir, sondern auch die Branche -, dass es am Schluss
heißt: Die Großbanken und die Regionalbanken, für die
der Rettungsfonds eigentlich gebraucht wird, sind nicht
zahlungsfähig. Dann bitten wir doch die Sparkassen und
Genossenschaftsbanken zur Kasse, damit wir den Fonds
schnell auffüllen können.
({3})
Aus meiner Sicht verschaukeln Sie mit Ihrer Haltung
zur Bankenabgabe nicht nur den Bundestag, sondern die
gesamte Bevölkerung und auch unsere europäischen
Nachbarn. Letztlich wird der Bankenfonds nicht die nötige Größe erreichen. Das heißt nichts anderes, als dass
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weiterhin für
Bürgschaften zur Verfügung stehen müssen.
Mein letzter Satz. Es wird argumentiert, der Fonds sei
aufgrund der Bankenabgabe in der Lage, Kredite aufzunehmen. Wir werden sehen, dass das auch wieder nur
mit öffentlichen Bürgschaften möglich sein wird. Wir
müssen also das Grundproblem mit Blick auf die Bankenregulierung lösen. Das bedeutet eine Verkleinerung
der Banken, um sie abwicklungsfähig zu machen.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Dr. Jens Zimmermann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als neues Mitglied im Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages freue ich mich, gleich in meiner
ersten Rede zu so einem wichtigen Thema wie der geplanten Bankenunion sprechen zu dürfen.
Lassen Sie mich noch einmal an die Situation erinnern, wie wir sie vorgefunden haben. Mit der Pleite der
Investmentbank Lehman Brothers und der weltweiten
Finanzkrise begann auch für Europa eine Entwicklung,
mit der wir heute noch zu kämpfen haben. Spätestens
mit dem Antrag Spaniens auf finanzielle Hilfen für seine
in Schieflage geratenen Banken wurde auch dem Letzten
klar: Der Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen muss durchbrochen werden.
Die europäischen Steuerzahler sollen nicht weiter
alleine für die europäischen Großbanken haften. Ende
2012 erarbeitete die Kommission deshalb einen Fahrplan
für eine Bankenunion. Nach langen und immer noch
schwierigen Verhandlungen steht aber nun eine Einigung
auf europäischer Ebene kurz bevor.
Wir als SPD haben immer eine funktionierende Bankenunion gefordert, bei der klar ist, dass Risiko und Haftung zusammengehören und dass die Steuerzahler und
Kleinsparer geschützt werden.
({0})
Der ESM ist für Staaten da, nicht für Banken. Das Ziel
einer Bankenunion muss sein, dass zum Schluss der
Steuerzahler möglichst gar nicht mehr einspringen muss.
Auch im Koalitionsvertrag mit der Union haben wir deshalb festgeschrieben, dass wir in Europa eine funktionierende Bankenunion brauchen.
Lassen Sie mich kurz erläutern, welche Ziele die SPD
mit der geplanten Bankenunion verfolgt. Wichtig ist uns
erstens eine wirksame Prävention, die es gar nicht mehr
zu dramatischen Krisenszenarien kommen lässt. Wichtig
ist uns zweitens eine geordnete finanzielle Abwicklung,
wenn es im Ernstfall doch zu Schieflagen von systemrelevanten Banken käme. Wichtig ist uns drittens eine Regelung, die klarstellt, wann Mittel aus Steuergeldern
bereitgestellt werden. Das gestufte Auffangsystem der
Haftungskaskade und das sogenannte Bail-in stellen sicher, dass die europäischen Steuerzahler geschützt werden.
({1})
Mit dieser Haftungskaskade wird eine Reihenfolge
festgelegt, nach der zuerst Aktionäre, Gläubiger und
Großsparer für eine Bank zahlen. Erst dann kommt der
Abwicklungsfonds mit seinen 55 Milliarden Euro zum
Tragen.
Erst dann - wirklich erst dann - kann auf den ESM
als letztes Mittel einer Bankenrettung zugegriffen werden. Die Bundesregierung hat sich in den Verhandlungen
erfolgreich hierfür eingesetzt. Wir stehen also kurz vor
einer Einigung. Es werden Krisenprävention und genau
definierte Folgemaßnahmen vereint. Alle diese Maßnahmen haben den Zweck, die europäischen und damit auch
die deutschen Steuerzahler und Kleinsparer zu schützen.
Ihr Antrag kommt daher in meinen Augen zur Unzeit.
Sie fordern in Ihrem Antrag einen sofortigen Aufbau des
Fonds. Ein schnellerer Aufbau des Fonds kann aber nur
dann wünschenswert sein, wenn das Prinzip der Proportionalität, für das sich die Bundesregierung in den Verhandlungen einsetzt, gewahrt bleibt.
({2})
Proportionalität heißt, dass große Banken höhere Abgaben leisten müssen als kleine Banken. Es muss klar
sein: Die Mittel hierfür fallen nicht vom Himmel. Ohne
eine größere Beteiligung auch der kleineren Banken
wäre eine schnellere Mittelaufstockung, wie in Ihrem
Antrag gefordert, kaum möglich. Wir möchten kleinere
Banken aber nicht übermäßig belasten.
({3})
Man kann nicht fordern, eine Bankenunion müsse so
schnell wie möglich her, ein Fonds müsse so schnell wie
möglich aufgebaut werden, und gleichzeitig Forderungen stellen, die die Verhandlungen um Monate hinauszögern würden. Das einzusehen, dazu gehört, glaube ich,
nicht viel Fantasie. Im Mai ist die Europawahl. Im
Herbst wird es eine Neubesetzung der Kommission geben. Die Verhandlungen würden dann wieder von vorne
anfangen. Wann dann eine Einigung käme - keiner weiß
es.
Es ist ein falsches Signal, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, kurz vor dem Abschluss
der schwierigen und langwierigen Verhandlungen jetzt
noch einmal höhere Hürden für einen Kompromiss
schaffen zu wollen.
({4})
Eine Einigung rückt damit nicht näher. Klar ist: Wir
brauchen eine Bankenunion, eine Bankenunion, die verhindert, dass mit öffentlichen Geldern wieder private
Banken gerettet werden müssen. Sie sollten das nicht
noch weiter verzögern. Deshalb wird Ihr Antrag unsere
Zustimmung nicht finden.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. Wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zu dieser ersten Rede.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Flosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Grünen haben uns hier heute einen Antrag vorgelegt, Überschrift: Für eine echte Bankenunion.
({0})
Die meisten erinnern sich an den Antrag vom
25. September 2012 zu diesem Thema, den wir hier am
27. September 2012 verabschiedet haben. Wir haben damals ein deutliches Bekenntnis zu Europa abgelegt. Wir
haben ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Bankenunion abgelegt. Nur, wir haben dabei etwas Besonderes
gemacht: Wir haben Bedingungen für diese Bankenunion gestellt.
({1})
Das wird von den Grünen einfach negiert. Ich nenne von
den sieben Bedingungen nur einmal drei.
Erstens. Wir wollen, dass die großen systemrelevanten, vernetzten Banken nicht national, sondern international von einer gemeinsamen Aufsicht kontrolliert werden.
Zweitens. Wir haben deutlich gemacht, dass Banken,
die in eine Schieflage geraten, abgewickelt werden müssen, und zwar über einen gemeinsamen Fonds, der von
den Banken finanziert wird.
Drittens. Wir haben gesagt - das wurde heute von den
Grünen ganz unterschlagen -: Bevor diese Bankenunion
errichtet wird, gibt es einen Stresstest für die großen systemrelevanten Banken in Europa. Das sind derzeit 128.
Nur wenn sie diesen Stresstest bestehen, können sie unter eine europäische Aufsicht gebracht werden.
Denn was ist das Problem, das wir oftmals in Europa
haben? Es wird versucht, auf Kosten von Europa nationale Probleme zu lösen. Es gibt viele nationale Bankenprobleme, die auf eine nationale Politik und auf eine nationale Aufsicht zurückzuführen sind. Das wollten wir
nicht.
({2})
Wir wollen nicht, dass Entscheidungen getroffen werden, die unser nationales Recht berühren. Das wichtigste
Recht des Bundestages ist das Haushaltsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat in vielen Urteilen dieses
Thema angesprochen und uns ganz deutlich gesagt, dass
wir als Bundestag das nationale Budgetrecht aufrechtzuerhalten haben. Deswegen ist es für uns ein besonders
wichtiger Auftrag, hier genau aufzupassen.
Wir stehen für eine gemeinsame europäische Politik.
Nur, wir unterstützen nicht Ihren Antrag, in dem es darum geht, in einem ersten Schritt auf dem Weg zu einer
Bankenunion die Nation aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Das ist genau der falsche Schritt auf dem Weg zu
einer Bankenunion. Dafür können wir nicht stimmen.
({3})
Es gibt einen weiteren Konflikt hinsichtlich Ihres Antrags. In der Überschrift Ihres Antrags steht: „… Schutz
der Allgemeinheit vor Einzelinteressen …“. Das heißt:
Das Interesse des deutschen Steuerzahlers ist ein Einzelinteresse. Das heißt ferner: Wir müssen die Europäer vor
den deutschen Einzelinteressen schützen. Bei jeder Maßnahme im Euro-Raum sind wir mit 27 Prozent dabei; bei
jeder Maßnahme im europäischen Raum sind wir mit
20 Prozent dabei. Wenn es um Hilfsmaßnahmen ging,
waren wir immer die Ersten, die andere unterstützt haben. Daher ist diese Unterstellung eine Frechheit.
({4})
Herr Kollege Flosbach, gestatten Sie eine Frage der
Kollegin Paus?
Ich mache der Kollegin, weil wir jetzt am Schluss der
Debatte sind, den Vorschlag: Sie macht gleich eine
Kurzintervention, dann kann ich abschließend darauf
antworten.
Ich will Sie jetzt als Grüne ansprechen. Was Sie in
dem Antrag verlangen, passt genau in Ihre Politik, EuroBonds und einen europäischen Staatsschuldentilgungsfonds zu fordern. Sie werfen alles in einen Topf und wollen die Verantwortung der Nationen reduzieren. Ich sage
es hier noch einmal: Wir hätten viele dieser Probleme
nicht, wenn Sie als Teil der damaligen Bundesregierung
2003 den Maastricht-Vertrag nicht gebrochen hätten.
({0})
- Die neuen Freunde beziehe ich jetzt mal nicht ein.
Sie beklagen in Ihrer Begründung zu diesem Antrag,
dass es nach den Rettungsmaßnahmen des Jahres 2008
vier Jahre gedauert habe, bis in Europa die Diskussion
über einen Restrukturierungsfonds, über einen Abwicklungsfonds endlich in Gang gekommen ist. Sie unterschlagen, dass wir anderthalb Jahre nach diesem Beschluss von 2008 hier, in diesem Deutschen Bundestag,
das deutsche Restrukturierungsgesetz verabschiedet haben. Wir haben diesen Weg vor allen anderen beschritten. Wir haben das als Erste vorgelegt. Wir haben eine
Blaupause für Europa vorgelegt. Das ist es, was Europa
jetzt umsetzt. Wir waren die Ersten. Wir haben dies auf
den Weg gebracht.
({1})
Wir bekommen in den nächsten Tagen Klarheit. Die
Verhandlungen dauern noch an. Es gibt einige Punkte, in
denen wir uns sicherlich einig sind: Ich denke, wir alle
wollen eine gemeinsame Aufsicht, und wir alle wollen
eindeutig, dass der Steuerzahler nicht in Anspruch genommen wird. Bei diesem Abwicklungsfonds haben wir
etwas Neues, nämlich eine Haftungsreihenfolge - die
hatten wir bei den bisherigen Maßnahmen nicht -: Zuerst wird bei einer Schieflage immer der Aktionär, der
Eigentümer, herangezogen, anschließend kommt der
Gläubiger, und erst im dritten Schritt stellt sich die Frage
des Abwicklungsfonds, wobei es natürlich immer eine
nationale Verantwortung gibt. Uns ist wichtig, dass in
diesen Topf, der von den Banken gefüllt werden muss,
die großen systemrelevanten Banken das meiste Geld hineintun und nicht die kleinen Banken, die Volksbanken
oder die Sparkassen. Dagegen sind wir absolut. Wir sind
für das Proportionalitätsprinzip. Das heißt, Kleine müssen geschützt werden, und wo große Risiken bestehen,
müssen auch große Summen gezahlt werden. Dieses
Prinzip haben wir eingehalten und werden es auch in Zukunft immer einhalten.
({2})
Der Kollege Troost hat die Probleme angesprochen.
Ein Problem ist natürlich die Höhe des Fonds und der
Zeitrahmen, in dem eingezahlt werden kann. Der Kollege Michelbach hat das Problem der Finanzierung der
Wirtschaft angesprochen. Ich denke an die Ausführungen der BaFin, die uns immer wieder ermahnt: Achten
Sie darauf, dass die Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind. - Wir können natürlich sagen: Füllt den
Fonds in einem Jahr, erhöht das Eigenkapital oder macht
andere Dinge. - Aber das würde dazu führen, dass sich
unsere Wirtschaft nicht mehr finanzieren könnte.
Die Bankenunion ist natürlich eine große Einzelmaßnahme. In dem Antrag wird unterschlagen, was wir in
den letzten Jahren gemacht haben. Wir haben massive
Aufstockungen des Eigenkapitals bei den Banken gefordert. Die Liquidität der Banken muss anders dargestellt
werden. Wir haben ein Trennbankengesetz gemacht.
Alle Banken müssen heute ein Testament vorhalten, in
dem sie darlegen, wie sie abgewickelt werden können.
Wer sich mit dem Abwicklungsmechanismus beschäftigt
hat, weiß, dass dort ausdrücklich vorgesehen ist, dass
auch die europäische Aufsicht für jedes Bankunternehmen einen Abwicklungsplan vorhalten muss. Ich denke,
das ist ganz wichtig, wenn wir den Zeitfaktor bei der Abwicklung einer Bank ansprechen.
Ich spreche hier jetzt nicht über die außerbörslichen
Derivate, die wir geregelt haben. Andere Stichworte
sind: Vergütungssysteme, Verbriefung, Vermittlung, Verbot der Leerverkäufe. Wir haben hier im Deutschen Bundestag in den letzten vier Jahren 30 große Maßnahmen,
Gesetze verabschiedet, mit denen wir den Finanzmarkt
insgesamt stabiler gemacht haben. Die Bankenunion ist
nur eine dieser Maßnahmen.
Der Abwicklungsmechanismus soll zum 1. Januar
2015 stehen. Wir wissen nach den bisherigen Erkenntnissen, dass einige Länder nicht so weit sein werden,
dass der Fonds wohl erst zum 1. Januar 2016 bereit sein
wird. Wir unterstützen nicht die Forderung der Grünen
- sie kommt wohl aus dem Bauch heraus -, eine dreijährige Einführungsphase vorzusehen. Denn dadurch würde
das Problem nicht behoben werden. Die Haftung würde
nach kurzer Zeit wieder auf die anderen europäischen
Länder fallen.
({3})
Die Kommission soll die letzte Entscheidung haben,
Herr Schick. Die letzten Verhandlungen zeigen, dass das
Board, das für die Abwicklung zuständig ist, darauf warten muss, ob es innerhalb von 24 Stunden einen Widerspruch seitens des EZB-Rates gibt. Meines Erachtens
sind wir da auf genau dem richtigen Weg. Unsere Bundesregierung und die sie beratenden Juristen haben deutlich gemacht, dass die Rechtsgrundlage des Art. 114 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
nicht ausreicht, sondern dass wir einen zwischenstaatlichen Vertrag als Zwischenlösung benötigen.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit? Sie hatten
ja schon eine zweite Rede angekündigt.
Ja, ich komme zum Schluss. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir werden sicherlich in den nächsten Jahren
noch mehrere Änderungen erleben, insbesondere im primären Europarecht. Meines Erachtens ist die demokratische Kontrolle hier nicht ausreichend gewährleistet.
Aber Sie haben hier Forderungen aufgestellt und die
deutschen Interessen als „Einzelinteressen“ in Europa
dargestellt, und das können wir nicht akzeptieren. Wir
sind diejenigen, die zu Europa stehen. Das Wichtigste
ist, dass Deutschland insgesamt, dass das gesamte Parlament zu 100 Prozent zu Europa steht. Das bietet die
beste Zukunft für ein gemeinsames Europa.
({0})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt die Kollegin Paus, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Flosbach, Sie hatten zu Recht darauf hingewiesen, dass wir dem deutschen Haushaltsrecht verpflichtet
sind. Gerade vor diesem Hintergrund frage ich Sie, warum es nach dem deutschen Haushaltsrecht besser sein
soll, statt dass wir den Bankenabwicklungsfonds schnell
und zügig bekommen, Sie - weil es ihn eben nicht gibt,
sind Sie dazu gezwungen - vorhaben, hier im Deutschen
Bundestag ein Gesetz zu verabschieden, das die direkte
Rekapitalisierung europäischer Banken aus dem ESM
erlaubt? Das wird, wenn es zu entsprechenden Fällen
kommt, direkt auf das deutsche Haushaltsrecht Rückwirkungen haben. Wir schlagen stattdessen vor, nach dem
dreistufigen System zügiger einen Abwicklungsfonds
auf europäischer Ebene einzurichten, der genau die Vorzüge hat, die Sie geschildert haben. Warum ist es nach
dem deutschen Haushaltsrecht besser, die Einrichtung
dieses Bankenabwicklungsfonds zu verzögern und eine
direkte Bankenrekapitalisierung einzuführen?
Herr Kollege Flosbach.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Paus,
das ist relativ einfach. Sie brauchen sich nur die Kaskade, die Haftungsreihenfolge genau anzuschauen. Da
wird genau aufgelistet, was passiert: Zunächst haben wir
die Haftung der Eigentümer, der Aktionäre, dann der
Gläubiger, dann kommt der gemeinsame Fonds, den wir
genauso wie Sie so schnell wie möglich in Kraft sehen
wollen. Aber es kann nicht sein, dass sich Länder ihrer
nationalen Verantwortung entziehen. Sie wollen genau
das. Sie wollen, dass die Länder nach drei Jahren aus der
Verantwortung heraus sind. Wir dagegen wollen, dass
ein Land an den ESM, an den europäischen Rettungsschirm, nur herankann, wenn es ein Programm erfüllt.
Genau das ist die richtige Reihenfolge.
({0})
In dieser Frage haben wir auch Erfolge auf der europäischen Ebene zu verzeichnen; das ist das zentrale
Thema: Nur wenn jemand Bedingungen erfüllt, bekommt er auch unsere Hilfe. Es war ja der Wunsch vieler
Länder zu Beginn der Debatte um die Bankenunion
Mitte 2012: Sie wollten unmittelbar an den ESM heran,
um die Banken zu rekapitalisieren. Das haben wir verhindert. Wir haben gesagt: An den ESM, an die Rettungsmaßnahmen, kommt nur derjenige heran, der ein
Programm durchläuft. - Ein solches Programm wollen
die Länder nicht. Deswegen geht auch keiner an den
ESM heran.
({1})
Vielen Dank. - Letzter Redner in der Debatte ist der
Kollege Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Wünsche allein etwas verändern könnten, dann
würde ein solcher Antrag, wie ihn die Grünen vorgelegt
haben, vielleicht einen gewissen Sinn machen. Nur, wir
sind hier nicht bei der Fernsehsendung Wünsch dir was;
wir sind in der real existierenden Europäischen Union
- in der Europäischen Union, lieber Kollege Schick, und
nicht in den USA; das ist ein erheblicher Unterschied;
das muss man einfach wissen - mit ihren ganz komplizierten Verfahren und schwierigen Kompromissen bei
extrem komplexen Themen. Die Einführung einer Bankenunion in Europa ist ein zentraler Schritt, um eine
Wiederholung der Bankenkrise auszuschließen.
Ziel Ihres Antrags ist, dass der Bundestag eine Stellungnahme gemäß Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz abgibt.
Das ist ein wichtiger Artikel. Dort heißt es - ich zitiere
jetzt einmal wörtlich -:
Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an
Rechtsetzungsakten der Europäischen Union.
Lieber Kollege Schick, „vor ihrer Mitwirkung“ heißt
es da! Sie wissen aber doch ganz genau, dass wir in der
Endphase der laufenden Verhandlungen sind. Bundestag
und Finanzausschuss haben zu diesen Verhandlungen diverse Male Anträge in allen Punkten diskutiert, rauf und
runter, und verabschiedet.
({0})
Es hat sogar einen gemeinsamen Antrag von SPD und
Grünen gegeben.
({1})
Ich habe mir den noch einmal angeschaut.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Sarrazin?
Nein, das will ich jetzt nicht zulassen. Ich will meine
Argumentation zu Ende bringen. Er kann ja danach noch
etwas dazu sagen.
Es soll nicht zur Gewohnheit geben, dass man andere
auffordert, später noch einmal zu reden.
Das finde ich auch. Ich hätte dann auch Schwierigkeiten, den Flieger noch zu kriegen.
({0})
Aber gut, das soll uns jetzt hier nicht stören.
Meine Bitte wäre: Lesen Sie sich diesen gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen noch einmal durch!
Dann werden Sie feststellen, dass viele der Forderungen,
die wir da gemeinsam formuliert haben, inzwischen
Position der Bundesregierung sind.
Es macht doch keinen Sinn, in der Endphase der Verhandlungen neue Detailwünsche, die völlig konträr zu
vielem sind, was bisher vereinbart worden ist, an die
Bundesregierung heranzutragen. Das geht doch gar
nicht. Sie haben Vorschläge gemacht, die rechtlich nicht
tragfähig sind. Es sind Vorschläge in Ihrem Antrag, die
in sich widersprüchlich sind, und Vorschläge, die fachlich unsinnig sind.
Abwicklung und Restrukturierung von Banken in einer Krisensituation werden immer auch mit rechtlichen
Auseinandersetzungen verbunden sein; denn da geht es
um viel Geld. Deshalb wäre nichts verheerender, als
wenn in einer Krisensituation durch Gerichtsurteile
Maßnahmen gestoppt werden, die verhindern sollen,
dass die Krise weiter eskaliert. Das heißt, Verfahren
müssen gerichtsfest sein und bleiben.
Nun machen Sie den Vorschlag, wieder auf der Basis
des Art. 114 AEUV vorzugehen, obwohl Ihnen klar sein
muss, dass dies keine tragfähige Rechtsgrundlage darstellt. Eine Reihe von Gutachten haben dies bewiesen.
({1})
Ich gestehe ja, dass ich am Anfang auch anderer Meinung war, lieber Herr Kollege Schick,
({2})
aber es gibt das deutsche Verfassungsgericht mit seiner
ganz speziellen Rechtsprechung zu europäischen Fragen. Diese Rechtsprechung ist so speziell, dass viele
Verfassungs- und Europarechtler sie nicht mehr nachvollziehen können - ich kann das im Übrigen auch
nicht -, aber sie ist nun einmal da. Ich kann hier vielleicht nur einmal auf die Bewertung durch den hochangesehenen Verfassungsrichter Papier hinweisen; er hat
sich sehr kritisch zu den letzten Urteilen des Gerichts geäußert. Aber diese Urteile existieren.
({3})
Wie man angesichts dieser Problemlage mit den
Rechtsfragen so schludrig umgehen kann, wie Sie es in
Ihrem Antrag machen, das ist mir ein Rätsel.
({4})
Gut, man kann sagen: Eine Opposition darf das. - Aber
eine Regierung sollte dies tunlichst nicht machen.
Dann fordern Sie einen einheitlichen Abwicklungsfonds direkt zum Start des SRM, also am besten im
nächsten Jahr. Das ist ein schöner Wunsch; wünschen
darf man sich das. Wir haben gehört: Es geht um 55 Milliarden Euro. Der Kollege Troost hat eben deutlich gemacht, wie das mit der Finanzierung aussieht. Wie das
Geld in diesen Fonds kommen soll, dazu sagen Sie in Ihrem Antrag kein Wort. Das kann man machen; aber das
ist letztendlich nicht seriös.
Dann fordern Sie unter anderem eine Schuldenobergrenze für Banken, eine Leverage Ratio. Diese Forderung ist sinnvoll, und ich unterstütze sie auch; nur, das
hat mit den laufenden Verhandlungen zur Bankenunion
nichts zu tun.
Die Bankenunion in Europa ist das Ergebnis eines
Kompromisses der beteiligten Staaten und Institutionen.
Wir haben unsere Forderungen hier klar formuliert, und
die Forderungen, mit denen Deutschland in diese Verhandlungen gegangen ist, sind auch im Koalitionsvertrag
so festgelegt. Ich muss wirklich sagen, dass Minister
Schäuble hart an einem Kompromiss arbeitet und er dabei unsere volle Unterstützung hat. Wir hoffen sehr, dass
ein Kompromiss noch vor den Europawahlen möglich
wird; das ist absolut notwendig bei diesem Thema.
({5})
Es geht darum, dass zukünftig nicht mehr der Steuerzahler für marode Banken haften muss. Deshalb bestehen wir auf der Haftungskaskade, durch die - wir haben
das eben gehört - zunächst die Eigentümer in die Pflicht
genommen werden. Es geht um die Schaffung einer Europäischen Bankenunion. Aufsicht, Sanierung und Abwicklung müssen auf rechtssicherer Grundlage etabliert
werden, damit sich das Desaster der Finanzmarktkrise
nicht wiederholt.
Es wäre wirklich schön, wenn auch die Grünen im
Bundestag und im Europäischen Parlament für diesen
Prozess politische Verantwortung übernähmen. Bei dem
Antrag, den Sie vorgelegt haben, lieber Kollege Schick,
stellt sich jedoch die Frage, wer eigentlich hier als politischer Geisterfahrer unterwegs ist. Diese Frage muss man
völlig anders beantworten, als Sie das getan haben.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt der Kollege Sarrazin.
Herr Zöllmer, ich habe den großen Vorteil: Ich kann
mit dem Zug fahren, und der fährt jede Stunde nach
Hamburg. Es hat also Vorteile, aus Hamburg zu kommen.
({0})
Sie haben nur drei Minuten.
({0})
Ich möchte drei Dinge sagen, Herr Zöllmer: Die Bundesregierung hat zwei Seiten mit Rechtspositionen vorgelegt, wonach angeblich Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage nicht ausreicht und ein Intergovernmental
Agreement notwendig ist - zwei Seiten vor sechs Wochen, nicht mehr. Aussagen, es gebe Gutachten, sind uns
nicht in schriftlicher Form vorgelegt worden. Dann behauptet die Bundesregierung, der Juristische Dienst von
Rat und Kommission sei der gleichen Ansicht wie sie.
Schließlich kommt im Laufe des Gesprächs heraus: Es
gibt eine mündliche Aussage aus dem Trilog. Diese Aussage ist schriftlich aber nicht belegt, weder in den Berichten der Bundesregierung noch sonst wo. Tun Sie daher nicht so, als lägen der Bundesregierung Gutachten
vor, die sie nicht vorliegen hat!
({0})
Wir haben ein Gutachten vorgelegt von einem der herausragendsten aufstrebenden Europarechtler dieser Republik, der regelmäßig von Karlsruhe zitiert wird. Das
Einzige, das Ihnen dazu einfällt, ist, diese juristische
Expertise kleinzureden. Dieser Europarechtler hat eindeutig gesagt: Die Rechtssicherheit ist durch dieses Vorgehen außerhalb des Vertrags gefährdet; es ist europarechtswidrig, was dort passiert.
({1})
Sie sagen nichts dazu; von der Bundesregierung kommen keine Gegenargumente, außer dass Sie den politischen Einfluss haben wollen, dass Deutschland entscheidet - damit Sie Ihre deutschen Banken weiter teuer
retten können.
Noch etwas zum Zeitpunkt. Es ist eindeutig - das ist
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -, dass
man bei veränderter Verhandlungslage seine Stellungnahmen auch erneuern kann, um fortlaufend Einfluss zu
nehmen. Jetzt ist die entscheidende Woche der Verhandlungen zwischen EP und dem Rat in Brüssel. Wir wollen
uns mit diesem Antrag hinter die gemeinsame Position
aller Fraktionen im Europäischen Parlament stellen und
auf die Bundesregierung Druck ausüben, damit sie auf
das Europäische Parlament zugeht und eine Einigung ermöglicht. Das ist doch wohl legitim.
Danke.
({2})
Vielen Dank. - Herr Kollege Zöllmer?
({0})
- Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/774 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. März 2014, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
ein schönes und nicht zu arbeitsreiches Wochenende.