Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich .
Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kollegen Charles Huber nachträglich zu seinem 60 . Geburtstag gratulieren und ihm im Namen des ganzen Hauses alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr mit auf
den Weg geben .
({0})
Für den verstorbenen Kollegen Peter Hintze ist der
Kollege Dr. Mathias Edwin Höschel als Mitglied des
Bundestages nachgerückt . Ich möchte ihn herzlich begrüßen .
({1})
Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Herausforderungen für die internationale
Politik nach den Terroranschlägen in Kairo,
Istanbul und weiteren Orten vom vergangenen Wochenende
({2})
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({3})
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ökologischen Hochwasserschutz länder-
übergreifend sicherstellen und sozial ver-
ankern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökologischen Hochwasserschutz voran-
bringen
Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Christian Kühn ({6}), Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Feinstaubemissionen aus Baumaschinen redu-
zieren
Drucksachen 18/3554, 18/4399
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({7}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Lisa Paus, Dr . Julia Verlinden, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Atomkosten verursachergerecht anlasten -
Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anhe-
ben
Drucksachen 18/10034, 18/10545
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 394 zu Petitionen
Drucksache 18/10644
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 395 zu Petitionen
Drucksache 18/10645
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 396 zu Petitionen
Drucksache 18/10646
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 397 zu Petitionen
Drucksache 18/10647
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 398 zu Petitionen
Drucksache 18/10648
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 399 zu Petitionen
Drucksache 18/10649
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Haltung der Bundesregierung zur deutschen
Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die
Relaisstation Ramstein
ZP 4 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen
an digitalen Grundaufzeichnungen
Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102
Nr. 18
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({14})
Drucksache 18/10667
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({15})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern - Zeitgleich Ab-
schreibungsregeln für geringwertige Wirt-
schaftsgüter verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Umsatzsteuerbetrug bekämpfen
Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667
ZP 5 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung
des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung
Drucksache 18/8625
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({16})
Drucksache 18/10637
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({17})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea
Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Urheberinnen und Urheber stärken - Urhebervertragsrecht reformieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern - Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten
Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637
ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen
Nachstellungen
Drucksache 18/9946
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({18})
Drucksache 18/10654
ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung
und zur Eigenversorgung
Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444
Nr. 1.10
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({19})
Drucksache 18/10668
ZP 8 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für
Menschenrechte
Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland
({20})
Drucksache 18/10615
Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({21})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 9 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für
Menschenrechte
Jahresbericht 2015
Drucksache 18/10616
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({22})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zum CDU-Parteitagsbeschluss zur Wiedereinführung des
Optionszwangs
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 15 - da geht es um den
Sportbericht der Bundesregierung - soll abgesetzt und
stattdessen der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor
Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen auf
der Drucksache 18/9535 in Verbindung mit den Anträgen
auf den Drucksachen 18/7879 und 18/1968 abschließend
beraten werden - mit einer Debattenzeit von 25 Minuten .
Des Weiteren sollen die jeweils ohne Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkte 33 g - hier geht es um den
Antrag „50 Jahre UN-Menschenrechtspakte“ -, 34 a - ein
Gesetzentwurf zum Abbau verzichtbarer Anordnungen
der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes - und
34 b - hier geht es um den Entwurf eines Energiestatistikgesetzes - heute abgesetzt werden .
Schließlich kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste
dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs, mit denen Sie offenkundig rundum glücklich sind . Jedenfalls
regt sich kein erkennbarer Widerstand . Dann haben wir
das so vereinbart und behandeln die Tagesordnung wie
gerade verändert .
Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung
Drucksache 18/10469
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung
Drucksachen 18/10353, 18/10482
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({23})
Drucksache 18/10671
- Bericht des Haushaltsausschusses ({24}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10672
Über den gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen .
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Für die Debatte ist eine Aussprachezeit von 60 Minuten vorgesehen. - Auch das findet offensichtlich Einverständnis .
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Kollegen Michael Fuchs für die CDU/
CSU-Fraktion .
({25})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Am Montag dieser Woche haben wir in einem Pressegespräch gemeinsam die Grundzüge dieses Gesetzes
vorgestellt, und zwar Georg Nüßlein, Oliver Krischer,
Hubertus Heil und ich . Hinter uns hingen die Logos von
Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und natürlich auch der
CDU/CSU . Das war für mich - ich muss das zugeben in gewisser Weise schon ein ungewohntes Gefühl .
({0})
Denn was eine solche Zusammenarbeit zwischen den
Fraktionen angeht, muss ich eingestehen: Ich kann mich
überhaupt nicht daran erinnern, dass wir das schon einmal gemacht haben . Aber es hat geklappt, und es war
auch sinnvoll; denn besondere Herausforderungen verlangen auch besondere Maßnahmen, und diese besonderen Maßnahmen haben wir getroffen. Ich finde, dass
wir das sogar insgesamt ziemlich gut gemacht haben;
denn die Kernpunkte dieses Gesetzespaketes sind schon
schwierig genug gewesen . Wir haben gemeinsam ausgehandelt:
Erstens . Die Betreiber der Kernkraftwerke bleiben
für die Stilllegung und den sicheren Rückbau zur grünen
Wiese in der Verantwortung . Sie müssen das bezahlen .
Sie haben dafür Rückstellungen in einer Größenordnung
Präsident Dr. Norbert Lammert
von 17,8 Milliarden Euro gebildet, und sie sind anschließend auch in der Verantwortung, die Reste, den Abfall,
zu verpacken: sowohl den schwach- und mittelradioaktiven als auch den hochradioaktiven Abfall . Die berühmten Castoren und Polluxe werden doch wieder zum Einsatz kommen .
Zweitens . Für die Zwischen- und Endlagerung übertragen die Energieversorger die Finanzmittel auf einen Fonds des Bundesfinanzministers. Hierfür sind
17,389 Milliarden Euro zurückgestellt worden, in den Bilanzen nachweisbar . Die Kommissionsarbeit hat gezeigt,
dass diese Rückstellungen relativ konservativ gerechnet
sind . Sie sind eher hoch angesetzt und dementsprechend
ausreichend . Daraufhin haben wir in der Kommission
aber beschlossen, dass zusätzlich ein Risikozuschlag in
einer Größenordnung von 35 Prozent kommt, sodass die
Unternehmen insgesamt einen Betrag von rund 23,5 Milliarden Euro an den Bundesfinanzminister überweisen
werden, und zwar in relativ kurzer Zeit . Wir gehen davon
aus, dass die Notifizierung des Gesetzes schnell geht und
dass wir etwa April in der Lage sein werden, das Gesetz
fertig zu haben . In dem Moment werden die Unternehmen diesen Betrag überweisen .
Die Gutachter der Bundesregierung, die das neutral
beobachtet haben, haben uns bestätigt, dass diese Zahlung auch in der Höhe gerechtfertigt ist und vor allen
Dingen ausreichend ist für die längerfristige Sicherstellung der Lagerung . Im Gegenzug werden die Betreiber
von einer weiteren Nachschusspflicht freigestellt.
Ich halte diesen Ansatz für richtig . Das Verursacherprinzip, wie es bisher zum Beispiel im Atomgesetz in
§ 9a Absatz 1 festgelegt ist, wird strikt umgesetzt . Es ist
zukunftsfest durch diesen Risikozuschlag, den wir eingerechnet haben . Die langfristig erforderlichen Mittel für
Zwischen- und Endlagerung liegen zukünftig nicht mehr
bei den Unternehmen, sondern beim Staat . Wenn die
Unternehmen beispielsweise veräußert würden, bestünde die Gefahr, dass nicht mehr über diese Mittel verfügt
werden könnte .
Umgekehrt gewinnen die Energieversorger Planungssicherheit . So können sie ihre fortbestehenden Rückbauverpflichtungen erfüllen; denn sie müssen ja noch
zusätzlich die Kernkraftwerke abbauen . Das letzte Kernkraftwerk wird 2022 vom Netz gehen . Wir gehen davon
aus, dass bis 2026, vielleicht auch bis 2028, die meisten
Kernkraftwerke abgebaut sein werden .
Am wichtigsten ist für mich die dritte zentrale Weichenstellung des Gesetzes: Die operative finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung ist dann
beim Bund .
Meine Damen und Herren, diese guten Ergebnisse, die
wir in den Verhandlungen erzielt haben, sind nicht vom
Himmel gefallen . Das war auch alles andere als einfach .
Ein paar Erfolgsfaktoren möchte ich hervorheben . Da
ist zunächst diese Kommission, die die Gesetzgebungsarbeiten vorbereitet hat. Ich finde, dass unser Chef des
Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, bei der Zusammensetzung dieser Kommission einen guten Job gemacht hat,
auch wenn ich im ersten Moment geschluckt habe, als ich
gehört habe, wer alles mit dabei ist .
({1})
Ich möchte den drei Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole
von Beust und Matthias Platzeck danken, die die Kommission vernünftig geleitet haben . Ihre Arbeit hat dazu
geführt, dass wir diese Ergebnisse heute haben .
({2})
- Den Applaus ist das wirklich wert, Herr Trittin . Gleichzeitig möchte ich mich bei den Mitarbeitern bedanken, die wirklich sehr viel arbeiten mussten, auch
in den letzten Wochen . Das ist nicht selbstverständlich .
Hier sind sehr viele Überstunden geleistet worden - in
meinem Büro von Herrn Dr . Pohl oder in deinem Büro,
Hubertus Heil, von Herrn Langenbruch; viele haben daran mitgearbeitet . Auch das Ministerium unter Federführung von Herrn Herdan hat uns dabei geholfen, dass wir
die Ergebnisse heute haben .
Entscheidend war: Wir haben die Kommissionsarbeit
im parlamentarischen Verfahren nicht für die Wiederholung der Schlachten der Vergangenheit genutzt, sondern
im Gegenteil konstruktiv miteinander zusammengearbeitet und die Sache wirklich sachlich richtig umgesetzt .
Meine Damen und Herren, diese sachlich-konstruktive, verantwortungsvolle Haltung muss auch die weiteren
Umsetzungsschritte prägen . Mit dem Gesetzgebungsverfahren ist zwar ein wichtiger Schritt getan, aber weitere
Schritte müssen folgen:
Erstens haben wir die Erwartung, dass die Bundesregierung den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Energieversorgern, den wir vereinbart haben, so schnell wie
möglich auch abschließt . Das muss zügig geschehen .
Zweitens setzen wir darauf, dass die Unternehmen
und die Bundesregierung eine gütliche Verständigung
bei den noch offenen Rechtsstreitigkeiten finden werden.
Auch das ist positiv: Es gab 31 Verfahren; bis auf zwei
sind alle diese Verfahren jetzt rechtssicher beendet, und
die Unternehmen haben uns schriftlich bestätigt, dass sie
die Klagen zurückziehen werden .
Drittens . Der wichtigste Punkt ist: „Verantwortungsvoll, zügig und sachorientiert“ muss auch das Motto bei
der Realisierung der Zwischen- und Endlagerung sein .
Durch das heute vorliegende Gesetz hat es der Staat
in Zukunft allein in der Hand, mit den Geldern für die
Zwischen- und Endlager effizient zu wirtschaften. Hier
gibt es jetzt auch keine Ausreden mehr . Der BMF ist gefordert, und es ist meiner Meinung nach nötig, dass wir
diese Verfahren auch so schnell wie möglich umsetzen;
denn je schneller wir eine Lösung für ein Endlager finden, desto sicherer ist, dass die Gelder, die jetzt in den
Fonds kommen, auch ausreichen .
Wenn wir aber glauben, wir könnten in jedem Bundesland einmal so eine kleine Probebohrung machen, einen
Bohrlochtourismus erzeugend, dann würde es natürlich
schwierig werden . Das darf nicht geschehen . Die Politik
muss hier auch den Mut zur Entscheidung haben .
({3})
Ich erwarte, dass sich die zukünftigen Bundestage sehr
intensiv mit dem Thema beschäftigen und dafür sorgen
werden, dass schnell eine Endlagermöglichkeit gefunden
wird .
Ich will das einmal an dem Beispiel Finnland deutlich
machen: Dort hat man zwei Jahre gebraucht, um einen
Standort zu finden, und vor einigen Wochen hat man mit
der Realisierung dieses Standortes begonnen . 2023 soll
alles fertig sein . Ein solch zügiges Verfahren bei uns würde dazu führen, dass der Bundesfinanzminister am Ende
des Tages Geld aus diesem Fonds übrig behalten würde .
Die ewige Diskussion um Schacht Konrad muss endlich beendet werden; denn die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, die ja nicht nur aus den Kernkraftwerken, sondern auch aus medizinischen Anlagen kommen,
müssen so schnell wie möglich dorthin verbracht werden . Deswegen erwarte ich auch, dass sich zukünftige
Regierungen daran messen lassen müssen, dass sie das
schnell hinbekommen . Anders darf es nicht gehen .
({4})
Ich weiß, dass das ein komplexes Verfahren ist . Dieses komplexe Verfahren, das wir jetzt angehen, kann aber
auch ein Muster für uns sein, auf das wir uns bei allen in
Zukunft anstehenden technologisch schwierigen Grundsatzfragen einigen; denn ob es uns gefällt oder nicht:
Jeder technische Fortschritt - von der Digitalisierung
bis zur Biotechnologie, vom autonomen Fahren bis zu
den Fragen einer modernen Landwirtschaft, die mit der
wachsenden Weltbevölkerung Schritt halten muss - geht
auch immer mit Risiken einher .
Alle diese Herausforderungen verlangen die Balance
aus Sicherheit und technologischen Chancen . Alle diese Themen verbieten ein Spiel mit Ängsten, das wir in
diesem Hause und vor allen Dingen auch bei den NGOs
schon häufiger erleben durften. Das darf nicht der Fall
sein . Mit dem Kernenergiepaket, das wir heute verabschieden, haben wir gezeigt, dass das geht, und wir sollten uns solch schwierige Debatten auch in Zukunft auf
diese Art vornehmen .
Ich möchte mich noch einmal bei allen bedanken,
freue mich, dass wir das heute verabschieden können,
und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine friedliche Weihnachtszeit .
({5})
Hubertus Zdebel ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn Atomkonzerne nichts mehr verdienen können oder
wenn hohe Kosten drohen, muss der Staat ran . Nach diesem ewig gleichen Prinzip wollen nun im großen Schulterschluss CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
die Verstaatlichung der gesamten Atommüllentsorgung
besiegeln und dabei den Steuerzahlern die wesentlichen
Risiken aufbürden . Das macht die Linke nicht mit .
({0})
CDU/CSU und SPD sowie - unter Trittin als Umweltminister - die Grünen hatten Jahrzehnte Zeit, die
Probleme bei der Organisation und Finanzierung der
Atommülllagerung zu regeln . Das haben sie - freundlich
formuliert - verpennt, als die Milliardengewinne für die
Atomkonzerne noch sprudelten .
Lassen Sie mich kurz aus einer Studie im Auftrag der
Grünen aus dem Jahre 2010 zitieren - nachzulesen auf
der Homepage von Bärbel Höhn -:
Insgesamt machten die drei Konzerne E .ON, RWE
und EnBW im Jahr 2009 einen Gewinn von mehr
als 23 Milliarden Euro, seit 2002 von über 100 Milliarden Seit dem Jahr 2002 haben sich die Gewinne
vervierfacht . Und für 2010 deutet sich ein weiteres
Rekordjahr an . . .
Das zeigt deutlich: Die Konzerne haben Milliardengewinne gemacht . Jetzt sagen Sie, man müsse sofort handeln; wenn man jetzt nichts tue, sei das Geld weg .
({1})
Hätten Sie mal eher gehandelt!
({2})
Sicherlich - das räumen wir ein, und das sehen wir
auch; wir sind ja keine Surrealos ({3})
stecken die Konzerne in einer schweren Strukturkrise .
Aber sie sind weiterhin potent genug, um den Umbau
in Richtung erneuerbare Energien zu schultern . Auf den
Weg haben sie sich jetzt auch gemacht . Gucken Sie sich
die Fernsehwerbung von Eon und RWE an! Da ist nicht
mehr von Atom und Kohle, sondern nur noch von erneuerbaren Energien die Rede .
({4})
Sie werden ihre Marktmacht darauf verwenden, das auszunutzen . Deswegen bestehen wir Linken darauf, dass
die Verursacher dauerhaft in der weiteren atomaren HafDr. Michael Fuchs
tung bleiben und für den atomaren Dreck geradestehen
müssen .
({5})
Stattdessen sollen die Konzerne nach dem Willen einer supergroßen Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grünen für einen Schnäppchenpreis von 23 Milliarden Euro
von sämtlicher Verantwortung für die finanziellen Risiken des Atommüllerbes befreit werden .
({6})
Das ist skandalös!
({7})
In Wirklichkeit zahlen die Konzerne diese 23 Milliarden Euro nämlich gar nicht, sondern eigentlich nur
17 Milliarden Euro . Denn der vermeintlich so hart abgerungene Risikoaufschlag von 6 Milliarden Euro, der
der Öffentlichkeit als Erfolg verkauft wird, wird bei den
Konzernen durch den von Ihnen gewollten Wegfall der
Brennelementesteuer zum Jahresende eingespart . Damit
gleicht sich das de facto wieder aus . Das sind Taschenspielertricks, die mit uns Linken nicht zu machen sind .
({8})
Der Gesetzentwurf der drei Fraktionen sieht ferner
eine Aufhebung des Verursacherprinzips durch die Festlegung eines für den Steuerzahler höchst riskanten Festpreises für die Entsorgungskosten vor . Die dem zugrundeliegenden Kostenschätzungen sind auf Sand gebaut .
Nach allen Erfahrungen werden die Kosten der Entsorgung deutlich steigen . Ob die prognostizierte langfristige 4-prozentige Verzinsung der in den Fonds einzuzahlenden 23 Milliarden Euro tatsächlich eintritt, weiß zum
jetzigen Zeitpunkt niemand. Eine Nachschusspflicht der
AKW-Betreiber ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen:
einmal zahlen, und der Atommüll ist aus den Bilanzen
der Konzerne verschwunden .
({9})
Zusätzlich will sich die Super-GroKo jetzt auch noch
auf eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Abschluss eines zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Vertrags mit den Konzernen einlassen, mit dem sich diese
sozusagen für die Ewigkeit vor künftigen Neuregelungen
schützen wollen . Erschreckend, dass sich die Grünen darauf einlassen .
({10})
Jürgen Trittin sagt: Die Chancen, dass dieses Modell
funktioniert, stehen fifty-fifty. - Mit anderen Worten: Sie
wollen uns zu einem Flug einladen, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent in einer Bruchlandung enden wird,
({11})
einer Bruchlandung, deren Folgen die Bürger dieses
Landes ausbaden müssen . Diese Einladung zum Harakiri
lehnen wir ab .
({12})
Stattdessen fordern wir schon seit Jahren die längst
überfällige Neuordnung der bisherigen Praxis der Entsorgungsrückstellungen . Sie setzen weiter quasi auf diese
betriebswirtschaftliche Rückstellungspolitik . Wir wollen
sie durch eine Rücklagenpolitik ersetzen . Nur Rücklagen
schaffen in den Unternehmen eine hinreichende liquide
Finanzierungsmasse . Das ist jahrzehntelang versäumt
worden, und deswegen haben wir jetzt den Salat .
Ferner fordern wir die schnellstmögliche gesetzliche
Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den
die verantwortlichen Unternehmen sofort 24 Milliarden
Euro einzuzahlen haben . Ebenso braucht es ein wirksames Nachhaftungsgesetz, aber vor allen Dingen eine
weitere Nachschusspflicht für die Atomkonzerne, wenn
die eingezahlten Beträge nicht ausreichen .
({13})
Sie können heute in namentlicher Abstimmung deutlich machen, was Sie von diesem Gesetzentwurf der Super-GroKo halten .
Im Übrigen möchte ich Ihnen sagen: Der Umgang mit
der Linken in diesem ganzen Verfahren war skandalös
und schäbig .
({14})
Sie haben uns von Anfang an aus der KFK herausgehalten . Das sagt sehr viel über Ihr Demokratieverständnis
aus .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({15})
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus
Heil das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land
so sehr gespalten wie die Auseinandersetzung über die
Atomkraft - über 45 Jahre, beginnend mit den Protesten in Wyhl am Kaiserstuhl 1973/74 bis in die frühen
2000er-Jahre . Am Ende dieser Debatte, in der übrigens
jede demokratische Partei in diesem Haus eine eigene
Geschichte hat, haben wir einen Konsens darüber, dass
die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar
ist . Einige Parteien sind früher darauf gekommen: am
ehesten die Grünen mit ihrer Gründung 1980, die SPD
mit ihrem Parteitagsbeschluss 1986 - übrigens beides
nach furchtbaren Unfällen in Harrisburg und Tschernobyl -, CDU, CSU und FDP nach 2011 und, ich glaube,
die Linke 1989/90 .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gut,
dass wir inzwischen diesen Ausstiegskonsens miteinander erzielt haben - „viel zu spät“, werden viele sagen -,
aber es ist auch richtig, dass wir uns verantwortlich verhalten und jetzt einen - auch finanziellen - Entsorgungskonsens zustande bringen . Das ist ein wichtiger Tag . Ich
danke auch den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und auch meiner Fraktion,
dass das miteinander gelungen ist .
({0})
An diesem Tag möchte ich an die frühen Mahner erinnern, zum Beispiel an Erhard Eppler, der letzte Woche
seinen 90 . Geburtstag gefeiert hat . Er hat schon in den
frühen 70er-Jahren auf die Risiken von Atomkraft hingewiesen .
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass technischer und wissenschaftlicher Fortschritt immer mit Risiken verbunden ist .
({1})
Aber es ist richtig, dass wir als Staat in der Bewertung zu
der Überzeugung gekommen sind, dass es unkalkulierbare Risiken gibt . Ein zentrales Argument neben der Frage der Sicherheit von Atomkraftwerken ist die Tatsache,
dass wir bisher nirgendwo auf der Welt eine Lösung für
den Umgang mit den atomaren Altlasten dieses Zeitalters
gefunden haben . Deshalb ist es richtig und wichtig, dass
wir uns in unserer Generation auf diesen Weg machen .
Das vorliegende Gesetz, das wir heute in zweiter und
dritter Lesung im Deutschen Bundestag und morgen hoffentlich auch im Bundesrat verabschieden werden, sorgt
für Klarheit, was die Finanzierung dieses Abwickelns
der Altlasten des atomaren Zeitalters betrifft . Es geht um
eine klare Arbeits- und Kostenverteilung im Umgang mit
dem Erbe des Atomzeitalters . Im Kern geht es um zwei
Bereiche:
Erstens geht es um die Neuordnung der Verantwortlichkeiten für atomare Abfälle . Die Betreiber der Kernkraftwerke, meine Damen und Herren, bleiben auch in
Zukunft für die Abwicklung und Finanzierung der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung von atomaren
Abfällen voll verantwortlich . Übrigens gibt es dafür auch
eine Nachhaftung . Es gilt der Grundsatz, dass Eltern für
ihre Kinder haften und umgekehrt . Das heißt, bei Zahlungsunfähigkeit der Kernkraftwerksbetreiber müssen
deren Mutterunternehmen die Kosten für Rückbau und
Entsorgung tragen .
Zweitens - das ist richtig - übernimmt der Bund die
Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung . Allerdings werden dafür die Energieversorgungsunternehmen,
die in der Vergangenheit von der Nutzung der Atomkraft
profitiert haben, haften müssen. Sie müssen 17,3 Milliarden Euro plus einen Risikoaufschlag von 6,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellen . Das sind insgesamt rund
23 Milliarden Euro .
Ich will deutlich sagen, was der Hintergrund dieser
Operation ist: Wir wollen, dass der Staat - wir sind gegenüber den Steuerzahlern in der Verantwortung - diese
Mittel sichert, und zwar für alle Zeit, meine Damen und
Herren . Angesichts der Lage von Energieversorgungsunternehmen, die zu lange auf Atomkraft und zu wenig auf
erneuerbare Energien gesetzt und selbst Fehler gemacht
haben, die allerdings auch von veränderten politischen
Rahmenbedingungen im Rahmen der Energiewende betroffen sind, ist nicht für alle Zeit gesichert, dass dieses
Geld wirklich da ist . Deshalb ist es richtig, dass wir es in
einen staatlichen Fonds einzahlen . Damit haben wir das
Geld ein für alle Mal sicher . Das nenne ich verantwortliche Politik .
({2})
Diese gesellschaftliche Debatte muss als gesellschaftlicher Großkonflikt beendet werden, weil wir alle Kräfte
dieses Landes brauchen, um den Weg der Energiewende
fortzusetzen und diese Wende erfolgreich zu gestalten .
Wenn man gesellschaftlichen Konsens und Frieden haben will, gehört dazu auch, dass wir Rechtsfrieden schaffen . Rechtsfrieden ist im Zuge dieses Verfahrens schon
in vielerlei Hinsicht erreicht worden . Wir begrüßen, dass
die Energieversorgungsunternehmen beabsichtigen, die
moratoriums- und entsorgungsbezogenen Klagen zurückzunehmen . Aber auch der Deutsche Bundestag setzt
mit der Entschließung, die SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen heute mit dem Gesetzentwurf auf den
Weg bringen, ein klares Signal . Wir erwarten, dass im
Zuge der Verhandlungen über den öffentlich-rechtlichen
Vertrag auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen
werden. Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden.
({3})
Meine Damen und Herren, ich sage das ganz deutlich: Es
ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden. Das betrifft diejenigen, die Atomkraftgegner waren und sind, und auch die
früheren Befürworter der Atomkraft . Es gibt kein Nachtreten. Auch die Verlierer dieses Konflikts sollten diesen
Konflikt rechtlich beenden.
Ich habe das vorhin gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist
gelungen, weil viele daran gearbeitet haben . Eine Reihe von Leuten wurde bereits gelobt, zum Beispiel in der
ersten Lesung die Kommissionsvorsitzenden sowie viele
Kollegen und Mitarbeiter . Ich möchte zum Schluss den
beiden Ministerien, dem federführenden Bundeswirtschaftsministerium, aber auch dem Bundesumweltministerium, ganz herzlich für die Arbeit danken, neben der
Ministerin und dem Minister sowie den Staatssekretären namentlich Herrn Abteilungsleiter Herdan aus dem
Bundeswirtschaftsministerium - er sitzt auf der Regierungsbank - und Herrn Cloosters aus dem Bundesumweltministerium . Das war kompetente Beratung . Das
war gute Unterstützung der Kommission, aber auch der
Parlamentarier . So muss das sein, wenn wir gute Gesetze
machen wollen . Das ist ein ausgezeichnetes Gesetz . Wir
übernehmen Verantwortung in unserer Generation für die
Abwicklung der atomaren Lasten . Deshalb ist es ein richtiger Schritt, dass wir das heute beschließen .
Hubertus Heil ({4})
Herzlichen Dank .
({5})
Sylvia Kotting-Uhl ist nun die nächste Rednerin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben .
Ein Gesetz, das zu spät kommt, erfüllt seinen Zweck
nur noch zum Teil . Privatisierte Gewinne, sozialisierte
Kosten - das ist der rote Faden in der Geschichte der
Atomkraft . Heute stehen wir als Gesetzgeber vor dem
Dilemma, ein Gesetz machen zu müssen, das diesen roten Faden weiterzuspinnen scheint . Ich kann jeden verstehen, den das erst einmal empört . Auch mich empört
es, den Energiekonzernen finanzielle Risiken abzunehmen . Aber so richtig Empörung oft ist, sie ist nicht die
vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers . Unsere erste und
vornehmste Aufgabe ist, Schaden von der Bevölkerung
abzuwenden .
({0})
Deshalb der Atomausstieg, deshalb Planungen zu einer
sorgfältigen Endlagersuche . Das ist etwas ganz anderes
als Bohrlochtourismus, Herr Fuchs .
({1})
Bei der Sicherung des Verursacherprinzips kann es in
dieser Situation des Zuspätkommens nur noch um Schadensbegrenzung gehen, darum, die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler davor zu bewahren, vollständig für die
Hinterlassenschaften der Atomkraftnutzung zahlen zu
müssen .
({2})
Genau das hatten die Energiekonzerne im Sinn, als sie
anfingen, ihre Unternehmen aufzuspalten. Es war gut,
dass der Wirtschaftsminister beschlossen hat, dem einen
Riegel vorzuschieben . Es war gut, dass er eine heterogen
zusammengesetzte Finanzierungskommission beauftragt
hat, zu retten, was zu retten ist . Schlecht war, eine der
Fraktionen im Bundestag nicht einzubinden und damit
auf die Chance eines vom gesamten Parlament getragenen Gesetzes zu verzichten .
({3})
Die Empfehlungen der KFK folgen dem Leitsatz
„Retten, was zu retten ist“ . Der Gesetzentwurf danach
hatte allerdings Mängel . Ich will hier ausdrücklich meinen Kollegen Jürgen Trittin und Oliver Krischer danken,
die in Verhandlungen dafür gesorgt haben, dass sich die
Empfehlungen der KFK tatsächlich ohne Abstriche im
Gesetz wiederfinden.
({4})
„Fifty-fifty“ bezog sich übrigens, Hubertus Zdebel,
auf die Chance, dass die Konzerne überhaupt noch existieren, wenn eine Nachhaftung greifen würde . Deshalb
der Risikoaufschlag stattdessen .
({5})
Meine Kollegen haben auch dafür gesorgt, dass das
Kuratorium des einzurichtenden öffentlichen Fonds nicht
nur aus Ministerialen besteht, sondern in gleicher Anzahl
aus Abgeordneten . Es wäre vollkommen absurd gewesen,
einen Fonds, der - wenn er nicht mehr in der Lage ist, die
gestellten Aufgaben zu finanzieren - durch Steuergelder
ersetzt werden muss, jeglicher Kontrolle des Parlaments
zu entziehen . Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier werden auch darauf achten, dass die Gelder des Fonds
nachhaltig angelegt werden und nicht in Fallen von Carbon Bubble und Ähnlichem landen .
({6})
Die große Hürde für die Akzeptanz dieses Gesetzes
waren und sind die Klagen der Atomkonzerne gegen den
Staat . Es sah anfangs nicht so aus, dass ein Rückzug von
Klagen jenseits der entsorgungsrelevanten, der von der
KFK ausdrücklich empfohlen wurde, in den Verhandlungen eine Rolle spielen sollte . Ich bin sehr froh, dass
ausgehend von Forderungen aus meiner Fraktion diese
Thematik eine solche Dynamik entwickelt hat . Der Staat
hätte sich lächerlich gemacht, den Konzernen das Kostensteigerungsrisiko bei Zwischen- und Endlagerung
abzunehmen und sich gleichzeitig mit 30 Klagen vor Gericht zerren zu lassen .
({7})
Konsens braucht Rechtsfrieden . Diese Formel hat sich
im Laufe der Debatte im Parlament durchgesetzt, und das
war gut so . Je breiter die Mehrheit für eine solche Formel
ist, umso größer die Chance, dass sie diejenigen erreicht,
denen sie gilt . Sie hat diejenigen erreicht . Die Konzerne
geben ihre Atomklagen bis auf zwei auf . Das ist ein guter
Erfolg, und das zeigt, dass die Konzerne anfangen, zu
begreifen, woher der Wind weht und dass ihre maßlosen
Ansprüche auf Widerstand in Politik und Gesellschaft
stoßen .
({8})
Andererseits wissen alle, die rechnen können, dass der
quantitativ umfangreiche Rückzug dieser Klagen qualitativ bescheiden ist . Die beiden Klagen mit relevantem
Finanzvolumen bleiben bestehen: die Klagen gegen die
Brennelementesteuer und die Klage von Vattenfall in
Washington . Sollten diese beiden Klagen erfolgreich
sein, hätte sich der Staat immer noch lächerlich gemacht .
Im Worst Case würden sich die Konzerne mit diesen
beiden Klagen die Hälfte ihrer Einzahlungen in den Entsorgungsfonds wieder zurückholen . Der Auftrag an die
Hubertus Heil ({9})
Bundesregierung ist von daher ganz eindeutig: Sorgen
Sie dafür, dass diese beiden Klagen vom Tisch kommen .
({10})
Sie haben viel Rückenwind, nicht nur die Unterstützung des Parlaments: Ich denke, hier ist auch die Linke
dabei . Sie haben breite Unterstützung in der Bevölkerung, der solches Gebaren der Energiekonzerne schon
lange auf die Nerven geht, und Sie haben die Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts . Selten war ein
Urteil dieser höchsten Instanz eine solche Klatsche für
die klageführenden Akteure . Das Bundesverfassungsgericht hat am 6 . Dezember seine weitgehende Ablehnung
der Klage der EVU gegen den Atomausstieg 2011 damit
begründet, dass es dem Gesetzgeber jederzeit zusteht,
eine Hochrisikotechnologie neu zu bewerten und entsprechend gesetzlich zu handeln . Damit dürfte auch die
Verfassungsklage gegen die Brennelementesteuer keine
guten Karten haben,
({11})
wobei ich an dieser Stelle betonen will, dass meine Fraktion nicht nur die Erhebung der Brennelementesteuer für
rechtens hält, sondern auch deren Fortsetzung, solange
ein AKW läuft . Sie haben heute im Laufe des Tages noch
die Möglichkeit, dem zuzustimmen .
({12})
Die zweite finanzrelevante Klage von Vattenfall ist die
vor dem internationalen Schiedsgericht . Unsere Haltung
zu solchen Schiedsgerichten, Stichwort TTIP, kennen
Sie . Die Vattenfall-Klage zeigt, wie recht wir da haben .
({13})
Dass ein Gericht, das nur dazu da ist, Investitionen
von Unternehmen zu schützen, sich die Rechtsauffassung unseres obersten Gerichts zu eigen macht, darf man
bezweifeln . Politisch hat Vattenfall nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aber keinerlei Legitimation
mehr zu weiterer Klage . Das Bundesverfassungsgericht
hat Vattenfall den gleichen Rechtsschutz gewährt wie
den deutschen Unternehmen . Das wird auch der schwedische Staat zur Kenntnis nehmen .
Der unionsgeführte Teil der Bundesregierung ist es
übrigens nicht nur dem versprochenen Rechtsfrieden
schuldig, für die Rücknahme dieser Klage zu sorgen,
sondern auch sich selbst; denn besonders lächerlich würden sich bei erfolgreicher Klage in Washington die Union und die Kanzlerin machen, deren Hin und Her beim
Atomausstieg 2010/2011 solche Klagen überhaupt erst
ermöglicht hat .
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Sie wissen und bauen darauf, dass Kritik und Widerstand
gegen das heutige Gesetz bei uns Grünen abgeladen
werden . Das war nicht der letzte Grund für die Regierung, Jürgen Trittin an verantwortungsvoller Stelle in
die Kommission einzubinden . Ich bin Jürgen Trittin ausgesprochen dankbar, dass er in diesem Wissen das Angebot angenommen hat . Das Ergebnis würde ansonsten
schlechter aussehen . Ich bin ihm aber auch dankbar, weil
er mit Übernahme einer der Vorsitzenden-Positionen der
KFK gezeigt hat, was grüne Leitlinie ist: Ja, wir sind die
Anti-AKW-Partei, von Anfang an und immer noch . Aber
unsere Leitlinie war nie Widerstand; unsere Leitlinie war
immer Verantwortung .
({15})
Aus Verantwortung waren und sind wir gegen Atomkraft . Aus Verantwortung suchen wir jetzt am absehbaren Ende der Nutzung der Atomkraft nach Lösungen für
die langfristigen Probleme, die uns nach Abschalten der
Atomkraftwerke bleiben . Aus Verantwortung werden
wir uns in den Wind stellen gegen den erwartbaren Widerstand gegen dieses Gesetz . Denn vielleicht besser als
andere wissen wir: In Atomthemen gibt es nur selten die
Superlösung, sondern meist nur das Bestmögliche in einer schlechten Gemengelage . Das leistet dieser Gesetzentwurf, und deshalb stimmt meine Fraktion ihm zu .
({16})
Für die Bundesregierung hat nun der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In spätestens sechs Jahren wird das letzte Kernkraftwerk in
Deutschland vom Netz gehen . Damit geht das wirtschaftlich und gesellschaftlich umstrittenste Kapitel der deutschen Energieversorgung zu Ende .
Begonnen hat die Kernkraft mit großen Hoffnungen .
Noch in den 1950er-Jahren gingen viele davon aus, dass
Atomstrom so billig sein würde, dass man die Zähler für
den Strom abschaffen könne . Das Versprechen war verlockend; die Energiefrage schien gelöst .
Wir alle wissen: Es ist völlig anders gekommen . Heute ist der Bau von Atomkraftwerken die teuerste Form,
mit der man die Stromproduktion organisieren kann . Ich
persönlich habe den Vertretern der Kernenergie in den
letzten Jahren immer gesagt, dass man gar nicht aus Umweltgründen dagegen sein müsse; schon ökonomischer
Verstand reiche aus, nicht in Kernenergie zu investieren .
Wir sehen, dass die Briten ihre neuen Kernkraftwerke,
weil sie sich nicht um Erneuerbare und andere Fragen
gekümmert haben, nur mittels öffentlicher Subventionen
finanzieren können. Das hochgerühmte finnische Kernkraftwerk - eigentlich das einzige, das wirklich neu geSylvia Kotting-Uhl
baut wird - ist mit einer Zeitverzögerung von zehn Jahren unterwegs .
({0})
Was die Baukostenschätzungen angeht, traut sich keiner
mehr so richtig, sie öffentlich bekannt zu geben .
Das heißt, auch das Argument, es gebe in der Welt
eine Renaissance der Kernenergie, war immer falsch . Es
gab immer mehr Kraftwerke, die abgeschaltet werden,
als solche, die neu gebaut werden, und zwar nicht, weil
die Atomkraftgegner überall in der Welt in der Mehrheit
waren, sondern weil Kernenergie schlicht die unwirtschaftlichste Form ist, Strom zu erzeugen .
Klar ist: Keine Technologie hat unser Land so gespalten wie die Kernenergie . In Wackersdorf und Gorleben,
an Bahngleisen und unter Polizeihubschraubern wurde
auch die demokratische Kultur dieses Landes sehr auf
die Probe gestellt . Gegen die Atomkraft formierte sich
die längste und intensivste Protestkampagne in der bundesdeutschen Geschichte .
Der Aufkleber mit der lachenden roten Sonne auf
gelbem Grund wurde zum Symbol für Generationen .
„Atomkraft? Nein danke“ hieß die Botschaft . Wenn wir
heute diesen Gesetzentwurf beraten, dann kann man neben allen Debatten, die man darüber führen kann, vielleicht auch einmal sagen, dass dieses Symbol zum Wegweiser für eine erfolgreiche Energiepolitik geworden ist .
({1})
Aus dem Kampf gegen die Kernenergie ist in Deutschland die Energiewende entstanden . Sie war am Anfang ja
nicht mit dem Thema Klimawandel verbunden, sondern
sie war die Alternative zum Ausstieg aus der Atomenergie . Heute wird Strom aus Sonne und Wind gemacht .
Ohne ein unkalkulierbares Unfallrisiko und vor allen
Dingen ohne Abfälle, die über Jahrtausende strahlen .
Ich selber wohne in einer Region, in der es ein ungewolltes und ein von uns gewolltes Atomendlager
gibt . Wir haben es genehmigt . Ich selbst habe als junger Mensch anfänglich gegen dieses Endlager Schacht
Konrad demonstriert . Später, als Umweltminister, musste
ich es aufgrund der vorliegenden Argumente dann genehmigen .
Ich habe mich immer geweigert, mit den Vertretern
der Atomenergie zu diskutieren, solange sie nicht bereit waren, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft selbst
für ein Endlager zu sorgen, und ich fand an der Debatte
immer komisch, dass die größten Befürworter der Atomenergie immer die größten Gegner waren, wenn es darum
ging, dass man bei ihnen zu Hause mal im Ton oder im
Granit untersucht, ob es dort nicht alternative Endlager
geben könnte .
({2})
Sie können mir also glauben: Ich weiß ein bisschen,
wovon ich rede . Es ist nur dem langen Atem der Protestbewegung zu verdanken, dass wir wenigstens die unbegrenzte weitere Produktion von Atommüll in Deutschland beenden . Ich hoffe übrigens, dass dieses Land den
Mut hat - egal wie viele Standorte wir untersuchen -, am
Ende den Atommüll, den jedenfalls meine Generation
nicht produzieren wollte, in diesem Land verantwortlich
zu entsorgen, und nicht irgendwann auf die Idee kommt,
ihn zu unkontrollierten Standards in andere Teile der
Welt zu exportieren . Das darf nicht das Ergebnis sein .
({3})
In der Tat: Auch das Bundesverfassungsgericht hat in
der letzten Woche den Schutz von Leben und Gesundheit
als legitimen Grund für den Ausstieg eingestuft und damit all jenen zu einem „Ritterschlag“ verholfen, wie die
Süddeutsche Zeitung es formuliert hat, die sich für ein
Leben ohne Atomkraft über Jahrzehnte eingesetzt haben .
2011, nach Fukushima, ist daraus dann tatsächlich ein
übergreifender politischer und gesellschaftlicher Konsens geworden . Aber wie genau die immanenten und
sehr großen Folgekosten der Kernenergie getragen werden, darüber wurde weiter hart verhandelt; denn Atomkraftwerke sind teuer im Bau, billig im Betrieb, teuer im
Abriss und noch teurer, wenn der Atommüll endgelagert
werden soll - eine Jahrhundertaufgabe . Ich bin froh, dass
es gelungen ist, eine Verständigung darüber zu erzielen,
wie wir die nukleare Entsorgung in Zukunft finanzieren.
Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomausstiegs . Einen Konsens für ein Endlager werden wir aber erst noch
herbeiführen müssen .
Wir beraten heute keinen Regierungsentwurf . Es waren die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen, die ihn gemeinsam eingebracht haben . Das
zeigt auch, dass es doch einen ganz großen Konsens gibt,
mit diesem umstrittenen Kapitel bundesdeutscher Energiegeschichte endlich Schluss zu machen bzw . es zu beenden .
Die wichtigsten Regelungen hat eine eigens dafür eingesetzte überparteiliche Kommission erarbeitet und einstimmig beschlossen . Auch ich möchte mich stellvertretend bei den Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole von Beust
und Matthias Platzeck dafür bedanken . Lieber Jürgen
Trittin, wenn man aktiver Politiker ist, geht man mit dem
Vorsitz in solchen Kommissionen auch politische Risiken ein. Ich finde, dich zeichnet aus, dass du dieses Risiko aus Verantwortungsgefühl eingegangen bist, weil du
als einer der Gegner der Atomenergie am Ende auch dafür sorgen willst, dass verantwortliche Ergebnisse beim
Ausstieg zustande kommen . Herzlichen Dank!
({4})
Die Kommission hat die Grundlage für den Rechtsfrieden gelegt, den wir für den langen Weg aus der
Atomwirtschaft benötigen . Dass die Grünen sagen: „Die
Bundesregierung soll mal schnell dafür sorgen, dass
die Konzerne ihre letzten zwei Klagen zurückziehen“,
ist nachvollziehbar . Aber bei detaillierter Kenntnis des
Rechtsstaates weiß man, dass das nur schwer von uns
herbeizuführen ist . Trotzdem ist die Aufforderung natürlich richtig, weil auch das, was es jetzt noch an Klagen
gibt, in der Sache eigentlich nicht in Ordnung ist .
({5})
Das ist übrigens auch eine wesentliche Voraussetzung
für das Zeitalter der erneuerbaren Energien . Die Kommission hat aus meiner Sicht einen überzeugenden Vorschlag gemacht . Das Gesetz sieht vor, dass die Unternehmen auch künftig finanziell und organisatorisch für den
Rückbau der Kraftwerke und die Konditionierung der radioaktiven Abfälle verantwortlich sind . Die Rückstellungen hierfür werden jedoch wesentlich transparenter sein
als bisher . Die Bundesregierung wird dem Bundestag
jährlich dazu berichten . Die langfristige Konzernhaftung
haben wir in unserem Gesetzentwurf unter das Motto
„Eltern haften für ihre Kinder“ gestellt, weil wir gemerkt
haben, dass der Versuch von Ausgründungen dazu führen
sollte, sich der langfristigen Haftung zu entziehen . Das
bedeutet: Die Haftung besteht jetzt unabhängig von den
konkreten konzerninternen Strukturen und deren Veränderungen .
Auf der anderen Seite wird zum 1 . Juli 2017 ein
staatlicher Fonds seine Arbeit aufnehmen, um die Zwischen- und Endlagerung zu finanzieren. Die Betreiber
der Kernkraftwerke überweisen zu diesem Datum rund
17 Milliarden Euro an den Fonds . Sie können zudem gegen die Zahlung eines Risikoaufschlags von rund 6 Milliarden Euro die Haftung für Zins- und Kostenrisiken
endgültig loswerden . Das wird öffentlich debattiert . Ich
habe noch keinen richtigen Alternativvorschlag in der
Öffentlichkeit gesehen, der besser ist als der, den die
Kommission erarbeitet hat, und „wishful thinking“ bringt
uns weder bei der Energiewende noch beim Ausstieg
weiter. Deswegen finde ich: Solange nichts Besseres auf
dem Tisch ist, ist das, was die Kommission erarbeitet hat,
ein kluger Vorschlag .
({6})
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzesvorhaben haben wir die Chance, nach dem Konsens über den
Ausstieg nun einen Konsens über die Finanzierung der
Folgelasten der Kernenergie zu beschließen und dann das ist nicht einfach - auch einen Konsens für die Endlagerung herbeizuführen . Noch einmal: Einfach weitermachen und darauf setzen, dass irgendwann irgendwer uns
Angebote macht, in den Weiten seines eigenen Landes zu
völlig anderen Sicherheitsbedingungen deutschen Atommüll endzulagern, darf für dieses Land nicht die Alternative sein .
Nachdem wir diesen Weg geschafft haben, gibt es
Grund zu Optimismus, auch den letzten Weg noch zu
schaffen . Am Ende liegt es daran, dass viele Menschen
in diesem Land, zum Teil über Generationen hinweg, den
Mut nicht aufgegeben haben, für einen Ausstieg aus dieser gefährlichen Technologie zu kämpfen. Wir sind, finde
ich, durch sie sehr weit gekommen .
Vielen Dank .
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter
für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Atomkonzerne werden mit einem goldenen Handschlag
aus der Verantwortung entlassen, zwar nicht für Rückbau
und Stilllegung - dafür müssen sie aufkommen, aber das
ist kalkulierbar -, aber für den viel größeren Posten, den
es zu bezahlen gilt: die Zwischen- und Endlagerung des
Atommülls . Die Kosten hierfür können nicht seriös beziffert werden . Sie fallen erst in den kommenden 20, 30,
40 Jahren an .
Wenn Herr Gabriel sagt, das umstrittene Kapitel
„Atomkraft“ geht zu Ende, dann muss ich sagen: noch
lange, lange nicht . Die Kosten werden steigen . Das kann
man sich heute vielleicht noch gar nicht vorstellen . Jetzt
sind 23 Milliarden Euro dafür vorgesehen . Allein wenn
man beispielsweise davon ausgeht, dass es sich so verhält wie beim Berliner Flughafen - eine Verfünffachung
der Kosten -, dann wären wir bei 115 Milliarden Euro .
Davon lägen dann 92 Milliarden Euro bei uns, bei den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern .
Herr Fuchs will jetzt sparen . Er wünscht sich, dass es
mit der Endlagersuche schnell geht; „Bohrlochtourismus“ war hier ein Stichwort . Ich sage: Das ist verantwortungslos; denn wir brauchen die sicherste Lösung .
({0})
Ich befasse mich hier im Bundestag seit 20 Jahren
mit dieser Thematik . Ich kann nur sagen: Da geht nichts
schnell . Wir müssen verantwortungsvoll handeln, es
müssen viele Gespräche geführt werden . Es muss die sicherste Lösung für viele, viele Jahre gefunden werden .
({1})
Es ärgert mich, dass jetzt so getan wird, als habe man
den Konzernen einiges abverlangt . Wer in diesem Saal
über 40 Jahre alt ist, muss es eigentlich besser wissen:
Die Atomkonzerne haben mit der Atomkraft Milliarden und Abermilliarden verdient . Seit dem Jahr 2000
sind allein von Eon und RWE Dividenden in Höhe von
50 Milliarden Euro an Aktionäre ausgeschüttet worden .
Glauben Sie doch nicht, dass die Menschen es nicht mitbekommen, dass dort so viele Profite gemacht wurden.
Die Antiatominitiativen weisen seit über 20 Jahren auf
das Problem der Rückstellungen hin . Auch Rot-Grün hat
dieses Problem seinerzeit nicht geregelt . Hier hätten wir
mitgestimmt, und wir hätten damals die Mehrheit gehabt .
({2})
Und jetzt hört man vonseiten der Union: Die Konzerne
darf man nicht über Gebühr belasten, weil sie aufgrund
der Energiewende schon so schlecht dastehen . - Ich muss
sagen, jetzt kommen mir die Tränen . Man erlässt ihnen
dann noch die Brennelementesteuer - 6 Milliarden Euro
sind ja auch nur Peanuts . Wenn es dann ums Geld der
Steuerzahler und vor allem der künftigen Generationen,
unserer Kinder und Enkel, geht, dann sind Sie auf einmal
großzügig . Ich kann nur sagen: Die Linke lehnt diesen
New Green Deal ab .
({3})
Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es
stimmt natürlich schon: Gemeinsam mit dem noch ausstehenden Endlagersuchgesetz ist das heute der Schlusspunkt einer lange währenden, heftigen, strittigen Debatte,
die wir hier im Bundestag, aber auch außerhalb politisch
geführt haben . Ich meine, das passt gut in die Vorweihnachtszeit .
Ich will auch unterstreichen, dass meiner festen Überzeugung nach eine Kommission noch nie so erfolgreich
war und so viel Sinn gemacht hat wie diese Kommission . Das muss man in aller Klarheit sagen, auch wenn
ich dem Kollegen Fuchs insofern recht gebe, als auch ich
ursprünglich mit Blick auf die Besetzung meine Bedenken hatte . Aber ich habe gehofft, dass es uns hilft, dass
die Einigung am Schluss tatsächlich gesellschaftlich fundiert und der Konsens breit genug ist . Nach dem, was die
Kollegin Bulling-Schröter gerade hier von sich gegeben
hat, bin ich mir nicht mehr so sicher . Dass die Linke an
der Stelle ausschert, ist klar; das war uns von vornherein
klar . Deshalb haben wir sie auch nicht mittun lassen; das
muss man in der Klarheit auch mal sagen . Wir von der
Union machen nichts mit ganz rechts, und wir machen
auch nichts mit ganz links, und zwar aus gutem Grund .
Das muss man an dieser Stelle mal deutlich machen .
({0})
Wenn ich mir anhöre, was hier in der Debatte von der
linken Seite bisher an Unqualifiziertem und Populistischem gekommen ist, dann will ich schon sagen, dass
das ziemlich verantwortungslos ist . Den Vergleich mit
dem Flughafen, Frau Bulling-Schröter, würde ich mir angesichts der eigenen Verantwortung der Linken an dieser
Stelle noch mal gut überlegen .
({1})
Nun gab es etliche Kollegen, die hier die Chronologie der Kernkraftgegnerschaft vorgebracht haben, von
Gewinnern und Verlierern gesprochen haben . Ich will
an dem Siegestaumel gar nicht rühren, weil ich glaube,
dass er uns zum Teil zu diesem Konsens verholfen hat,
so wie es auch der Kollege Trittin ganz maßgeblich getan
hat, den ich aber an dieser Stelle nicht noch mal loben
möchte, weil ich glaube, dass ihm das Lob von unserer
Seite in den eigenen Reihen schadet . Aber er hat es klasse
gemacht; das muss man schon ganz deutlich sagen .
Diesen Konsens, meine Damen und Herren, sollten
wir in Zukunft natürlich auch bei der Endlagerfrage suchen, deren Lösung - da hat der Bundeswirtschaftsminister vollständig recht - schwer genug wird, aber auch bei
der Frage der Energiewende . Wir von der Union haben ja
nicht aus Lobbyismuserwägungen so lange an der Kernenergie festgehalten, sondern deshalb, weil uns klar war,
dass diese Energiewende mehr kostet als eine Kugel Eis .
Die Kosten der Energiewende werden uns noch manchen
Schweißtropfen auf die Stirn treiben . Wir werden uns
noch an mancher Stelle überlegen müssen, wie wir damit umgehen, insbesondere dann, wenn wir sehen, wie
schwer sich unsere Industrie, unser Gewerbe mittlerweile
tut und wie sehr die EU geneigt ist, uns politisch ständig
in den Arm zu fallen .
Nichtsdestotrotz: Wir haben an dieser Stelle das Verursacherprinzip, Frau Kotting-Uhl, klar gewahrt . Ich
habe eigentlich gedacht, dass wenigstens das jetzt nach
dem Kompromiss nicht mehr umstritten ist . Bei der Debatte um die Kernenergie wurde immer so getan, als ob
das, was im Atomrecht klar geregelt ist, dass nämlich die
Endlagerung zulasten der Verursacher geht, gar nicht zutreffen würde . Heute stellen wir fest: Erstens ist es so,
und zweitens schaffen wir die Regeln dafür, dass die
Endlagerung in Zukunft ökonomisch gesichert und frei
von privatwirtschaftlichen Risiken ist . Ich hätte erwartet,
dass Sie das an der Stelle formulieren . 23,3 Milliarden
Euro sind kein Schnäppchen . Denn 23,3 Milliarden Euro
zahlen zu müssen, das ist kein Weihnachtsgeschenk,
auch nicht für die Konzerne, die angesichts der weggebrochenen Geschäftsmodelle mittlerweile schwer gebeutelt sind . Das muss man ganz klar sagen .
Und Herr Zdebel: Das Geld ist nicht weg - das stimmt
so nicht -, sondern es wird gezahlt . Sie haben gesagt,
die Forderung der Linken sei es, statt auf Rückstellungen
auf Rücklagen zu setzen . Na ja, bilanziell ist das schon
ein gewisser Unterschied: Das eine ist Fremdkapital, das
andere ist Eigenkapital .
({2})
Nur: Angelegt, Herr Zdebel, wird das Geld trotzdem auf
der Aktivseite .
({3})
Das heißt, es wird damit nicht abgesichert, und es ändert
sich also nichts . Ich bitte Sie, ein bisschen nachzudenken, wenn Sie über solche bilanziellen Zusammenhänge
reden .
({4})
Das Einzige, was sich ändern würde, wäre die steuerliche
Konsequenz, aber sonst ändert sich gar nichts .
({5})
Sicher sind die Gelder nicht, ob das jetzt Eigenkapital
oder Fremdkapital ist .
({6})
Wenn ein Unternehmen pleitegeht, ist das Eigenkapital
genauso weg wie das Fremdkapital, das am Schluss nicht
mehr bedient wird . Das mag im Sozialismus anders sein,
aber in unserer Wirtschaft ist das so .
({7})
An dieser Stelle hat der Staat einen Auftrag, nämlich
das Geld, das wir bekommen, ordentlich anzulegen, gerne auch nachhaltig . Wir müssen es jedenfalls so anlegen,
dass gute Renditen erwirtschaftet werden . Außerdem haben wir den Auftrag, politische Kosten zu vermeiden das ist das einzige Risiko, das wir den Konzernen an dieser Stelle abnehmen -, die zu produzieren wir bei jeder
Gelegenheit geneigt sind, insbesondere auch im Endlagersuchprozess . Darüber sollten wir bei den anstehenden
Entscheidungen genau nachdenken .
Das heißt erstens: Der Schacht Konrad muss schnellstmöglich in Betrieb gehen, und der Rückbau der Kernkraftwerke muss zügig vorangebracht werden . Das heißt
zweitens: Wir müssen vermeiden, dass die Standortzwischenlager Endlager werden, jedenfalls gefühlt Endlager
werden . Denn eines ist klar: Mit dem Abschalten der
Kernkraftwerke wird sich die Haltung der Bevölkerung
noch einmal deutlich ändern . Bisher haben die Menschen
am Standort die Zwischenlagerung hingenommen, aber
sie werden sie in der Sekunde, in der es dort keine Arbeitsplätze mehr gibt und nichts mehr betrieben wird,
nicht mehr so akzeptieren . Deshalb müssen wir den Menschen ganz klar sagen: Der Staat wird dafür sorgen, dass
die Zwischenlager nicht zum Endlager deklariert werden .
({8})
Das heißt aber auch: Wir müssen zügig weitere Schritte bei der Suche nach einem Endlager machen, und zwar
unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Sicherheit .
Und bevor jetzt Frau Kotting-Uhl wieder eine Zwischenfrage stellt, sage ich Ihnen ganz klar: Ich halte von der
Einbeziehung von Kristallin als Wirtsgestein gar nichts und das hat gar nichts mit meiner Herkunft zu tun; Sie
können mir höchstens vorhalten, dass ich als Bayer ein
bisschen besser weiß, wie die Geologie dort aussieht -;
denn Kristallin ist zerklüftet, und das ist ein geologisches
Faktum, an dem wir nicht rütteln können .
Ich halte die Bewertung der geologischen Barriere,
der die Hauptlast bei der Isolation der Abfälle zukommt,
für wichtig, und deshalb halte ich das Konzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs für planbarer, verständlicher und nachvollziehbarer . Daran sollte man sich
orientieren . Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich, sich
mit einem ebenfalls von Kollegen Trittin eingerichteten
„Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte“,
kurz AK End, auseinanderzusetzen . Im Jahr 2002 hat dieser AK End das genauso unter dem Aspekt der Sicherheit
definiert. Sie behaupten, ich würde manchmal Ideologie
und Geologie verwechseln, aber das würde dann ja für
den AK End, den Sie selber eingerichtet haben, auch gelten . Das glaube ich nun nicht, meine Damen und Herren .
Denken wir also darüber nach, wie wir den Menschen
vermitteln können, dass wir ein sicheres Endlager suchen . Wir tun das, ohne politische Kosten zu produzieren, die am Schluss tatsächlich der Steuerzahler zu tragen
hätte . Wir tun das mit Blick darauf, dass auch die Zeit
eine Rolle spielt . Deswegen wollen wir den Prozess in
absehbarer Zeit einer Lösung zuführen .
In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für
die Aufmerksamkeit und wünsche eine schöne Weihnachtszeit .
({9})
Ich erteile das Wort der Kollegin Ute Vogt für die
SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Nüßlein, jetzt, da in diesem
Raum so viel Einigkeit beim Thema „Abwicklung der
Atomenergie“ herrscht, dachte ich gerade: Ich hätte mir
gewünscht, Sie wären in der Endlagerkommission gewesen . Vielleicht hätte das für Sie die gleiche heilende
Wirkung gehabt, wie die Mitgliedschaft in der KFK für
Herrn Fuchs und für Sie hatte .
({0})
Wenn wir unsere Arbeit vernünftig zu Ende führen
wollen, wenn wir nicht nur heute diesen Gesetzentwurf
verabschieden wollen, sondern auch die Suche nach einem möglichst sicheren Endlager erfolgreich zu Ende
führen wollen, dann dürfen sich einzelne Bundesländer
bei dieser Suche nicht von vornherein herausziehen . Herr
Nüßlein, das haben Sie mit Ihren Ausführungen zum
Thema Kristallin gerade versucht .
({1})
Wir haben klare Kriterien . Alle 16 Bundesländer haben gesagt: Es wird ohne eine Vorfestlegung gesucht,
und es wird in drei verschiedenen Gesteinsarten gesucht .
Da machen Sie jetzt bitte keine Ausnahme . Lassen Sie
das doch einmal so stehen, und lassen Sie die Harmonie
wirken . Arbeiten wir gemeinsam daran, dass, nachdem
die finanzielle Lastenverteilung jetzt geklärt ist, am Ende
auch die Verteilung der Gefahrenlasten geklärt wird, und
zwar in der Einigkeit, die heute herrscht .
({2})
Wir werden diese Endlagersuche nicht durchhalten, wenn
Einzelne schon jetzt beginnen, sich abzusetzen .
({3})
Jetzt will ich etwas Versöhnliches sagen: Herr Kollege
Fuchs, am meisten habe ich mich heute über Ihre Rede
gefreut, auch wenn Sie mir damit ein bisschen Arbeit
machen . Ich muss nämlich meine Reden zu Hause umschreiben . Bisher waren Zitate aus Ihren Reden immer
ein Beleg dafür, dass die Union es mit dem Atomausstieg
gar nicht so ernst meint . Mit Ihrer heutigen Rede haben
Sie aber, wie ich finde, ein klares Bekenntnis dafür abgegeben, dass das Atomzeitalter endgültig durch ist . Dafür
herzlichen Dank!
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleiben noch
ein paar Baustellen . Die Endlagersuche habe ich schon
genannt . Die Bundesregierung muss nun an dem öffentlich-rechtlichen Vertrag arbeiten . Auch unsere Fraktion
erwartet, dass die Klage von Vattenfall vor dem Schiedsgericht zurückgenommen wird, und wir erwarten, dass
die Klage gegen die Kernbrennstoffsteuer zurückgenommen wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, wo wir jetzt alles so schön geregelt haben, auch in
Bezug auf die Abwicklung der Finanzierungslasten, wäre
es doch wichtig, die Kernbrennstoffsteuer zu entfristen,
auch mit Blick auf eine harmonische und anständige Lastenverteilung . Wir wollten das schon im Koalitionsvertrag festlegen .
({5})
Damals hat das noch nicht geklappt . Vielleicht haben Sie
heute ein Einsehen und sagen: Okay . Dann hätten wir einen Haken daran gemacht . Dann wäre die Einigkeit in
diesem Hause vollkommen .
In diesem Sinne sage ich: Ich freue mich über den
heute vorliegenden Gesetzentwurf . Wir sind mit der Arbeit aber noch lange nicht am Ende .
Danke schön .
({6})
Letzter Redner ist der Kollege Steffen Kanitz von der
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Legislaturperiode kann in die Geschichtsbücher eingehen als
eine Periode, in der wir, nachdem wir 2011 den Ausstieg
beschlossen haben, auch den finanziellen und organisatorischen Rahmen für den Ausstieg besprochen haben . Es
ist gut, dass die KFK nach sehr kurzer Zeit zu einem Abschluss gekommen ist. Wir haben in der KFK den finanziellen Rahmen für den Ausstieg gesetzt und gleichzeitig
in der Endlagerkommission mit Blick auf den organisatorischen Rahmen ein sehr gutes Ergebnis gefunden .
Lieber Kollege Zdebel, ich kann Ihnen Folgendes
sagen: Sie waren als Vertreter der Linken Mitglied der
Endlagerkommission . Am Ende des Tages haben Sie sich
dem Kommissionsbericht widersetzt . Sie haben dagegen
gesprochen, trotz aller Angebote, die wir, die Vertreter
von Grünen, CDU, SPD, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Ihnen gemacht haben . Das zeigt doch, dass Sie am
Ende nicht an einem Konsens interessiert sind, sondern
dagegen sind . Demokratie heißt aber, auch Abstriche zu
machen und die eigene Meinung nicht als absolut anzusehen .
({0})
Es geht darum, mit anderen demokratischen Parteien einen Konsens zu finden. Insofern war es richtig, dass Sie
in der KFK nicht dabei waren . Wir haben im Rahmen der
KFK einen guten Beschluss gefasst .
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat am 6 . Dezember
ein Urteil gefasst, das genau zur rechten Zeit kommt . Es
bestätigt uns in dem Ansinnen, dass der Ausstieg verfassungskonform war, aber es sagt uns als Gesetzgeber eben
auch, dass wir solche Entscheidungen nicht im rechtsfreien Raum treffen können . Investitionen brauchen Planungssicherheit . Deswegen kann dieses Urteil für uns
auch Leitlinie für die Bewertung zukünftiger Technologien zur Erzeugung von Energie sein . Es wird uns auch in
der Hinsicht Leitlinie sein, dass wir bei unseren Entscheidungen berücksichtigen müssen, welche wirtschaftlichen
Auswirkungen sie auf Unternehmen haben .
Über das Verursacherprinzip ist schon viel gesprochen
worden und wurde auch im Vorfeld der heutigen Debatte viel diskutiert . Verursacherprinzip bedeutet, dass die
Energieversorgungsunternehmen für die durch sie verursachten Kosten finanziell einstehen. Das sind die Kosten
für den Rückbau, für die Stilllegung, für die Verpackung
der Abfälle, für die Zwischen- und auch die Endlagerung . Diese sind ja durch die Rückstellungen gedeckt .
So haben das auch externe Wirtschaftsprüfer und die
KFK-Kommission beschieden .
Zusätzlich vereinbaren wir einen Risikopuffer von
6 Milliarden Euro, für den die Konzerne aufkommen
müssen . Wer sich die Bilanzen anschaut, wer sich Bilanzpressekonferenzen der Versorger anschaut, der weiß,
dass 6 Milliarden Euro eine ganze Menge Geld sind . Das
bringt einzelne Unternehmen an die Grenze der Leistungsfähigkeit .
Das Verursacherprinzip gilt aber eben auch nicht
schrankenlos . Das ist wichtig . Die Energieversorgungsunternehmen können nicht für jede willkürliche Handlung der Politik zur Rechenschaft gezogen werden . Deswegen sieht das Atomgesetz eine klare Beschränkung auf
den notwendigen Aufwand vor . Ich kann nur an alle appellieren - ich gehe davon aus, dass wir uns gleich dafür
beglückwünschen können -, dass wir diesen KFK-Beschluss bzw . den Gesetzentwurf heute verabschieden .
Denn wollen wir ernsthaft die Debatte führen, ob ein
sicheres Endlager oder ein bestmögliches Endlager zum
notwendigen Aufwand gehört? Diese Debatte wollen wir
doch nicht ernsthaft führen . Wir sind mit dem KFK-Gesetz um eine gerichtliche Auseinandersetzung um die
Frage, was eigentlich notwendiger Aufwand ist und was
die Konzerne am Ende von diesen Sonderschleifen, die
wir drehen - sie sind gesellschaftspolitisch vernünftig
und notwendig; das ist gar nicht der Punkt -, mitfinanzieren müssen, herumgekommen . Insofern ist es ein guter
Beschluss .
({2})
Über die Haftung der Kommunen wurde in den vergangenen Tagen noch einmal heiß diskutiert . RWE und
EnBW haben kommunale Anteilseigner . Die Frage war,
inwiefern sie enthaftet werden oder nicht . Ich glaube,
man muss da eines sagen: Ohne das Gesetz ist es so, dass
die Konzerne und auch die Energieversorgungsunternehmen bis zu dem Zeitpunkt haften, zu dem wir ein Endlager haben, also gebaut haben, befüllt haben, versiegelt
haben . Das dauert mindestens bis zum Jahr 2100; davon
können wir jedenfalls ausgehen . Nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf enthaften wir die Konzerne und
damit auch die Anteilseigner für den Bereich der Zwischen- und Endlagerung ab dem Zeitpunkt, zu dem sie
den gesamten Anteil zuzüglich des Risikozuschlages in
den Fonds eingezahlt haben . Wir können im Moment davon ausgehen, dass das bis spätestens Juli 2017 der Fall
ist . Es ist also eine gute Lösung für die Kommunen . Auch
hier zeigen wir, dass wir ein Herz für die kommunale Seite haben .
Ich möchte eine Spezialproblematik ansprechen, über
die wir uns in Zukunft noch einmal verständigen müssen .
Das ist das Thema Deponie und sofortiger Rückbau . Wir
vereinbaren mit dem KFK-Gesetz, dass wir gemeinsam
die Verpflichtung haben, die Kernkraftwerke sofort zurückzubauen . In der Vergangenheit gab es auch die Möglichkeit, Kernkraftwerke für eine gewisse Zeit einzumotten, die Radioaktivität abklingen zu lassen und dann nach
einem Zeitraum von beispielsweise 25 Jahren erst in den
Rückbau einzusteigen . Wir wissen allerdings nicht, ob
wir in 25 Jahren noch über das notwendige Fachpersonal
verfügen, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu bewerkstelligen . Insofern ist es richtig, dass wir uns für den sofortigen Rückbau als einzige Option aussprechen .
Das heißt aber auch, dass wir Entsorgungswege für
die konventionellen Abfälle offenhalten müssen . 95 Prozent der Abfälle von Kernkraftwerken sind konventionelle Abfälle, die dann im Straßenbau verwendet werden
oder, wenn es sich um ganz leicht kontaminierte Abfälle handelt, auf Deponien gebracht werden . Was heißt
„ganz leicht kontaminiert“? Wir haben in Deutschland
im Strahlenschutz einen 10-Mikrosievert-Grenzwert
vereinbart, der nicht überschritten werden darf . Einmal
zur Einordnung: Wenn Sie nach San Francisco fliegen,
dann bekommen Sie eine Strahlung von etwa 110 Mikrosievert . Wenn Sie eine normale Röntgenaufnahme Ihres
Brustkorbs machen lassen, dann liegen Sie bei 200 Mikrosievert . Es handelt sich also nicht ansatzweise um gefährliche Abfälle .
Ich bitte alle darum, unsere Lokalpolitiker, die Bürgermeister, bei der Aufklärung vor Ort sehr zu unterstützen
und nicht Gefahren herbeizureden, die nicht existieren .
Wir müssen da Transparenz schaffen, damit uns die Menschen auch vertrauen . Dazu gibt es vor Ort viele gute Initiativen, beispielsweise Messwerte online einzustellen,
sodass alles nachvollzogen werden kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
ich will noch ganz kurz zu Ihrem Entschließungsantrag
Stellung nehmen, den Sie zu dem Gesetzentwurf einbringen . Diesen Antrag können wir selbstverständlich
nur ablehnen . Sie gaukeln in Ihrem Antrag den Bürgern
mehr Sicherheit dadurch vor, dass Sie den Energieversorgungsunternehmen vermeintlich 23,5 Milliarden Euro
nehmen - übrigens, folgende Anmerkung sei mir schon
erlaubt: so ganz schlecht können wir ja nicht verhandelt
haben, wenn Sie diese 23,5 Milliarden Euro schon einmal einstreichen wollen -,
({3})
zusätzlich aber die Unternehmen unbegrenzt haften lassen wollen . Das ist ja in etwa so, als würden Sie einen
Bauern enteignen und ihn dann dafür verantwortlich machen, dass in 50 Jahren die Ernte nicht so gut ausfällt,
wie Sie sich das vorher vorgestellt haben . Das kann doch
nicht Ihr Ernst sein; das können wir nicht mitmachen .
Deswegen müssen wir das ablehnen .
Wir bringen mit dem KFK-Gesetz endlich Handlungsund Finanzierungsverantwortung zusammen; dies haben
Kollege Fuchs und Kollege Nüßlein ja auch ausgeführt .
Davon erhoffen wir uns erhebliche Beschleunigungspotenziale .
Sie suggerieren mit Ihrem Antrag mehr Sicherheit . Sie
schaffen aber mehr Unsicherheit: für die Beschäftigten,
weil diese nicht wissen, wie lange sie eigentlich gemäß
Ihrem Antrag noch zuständig sind; für die Eigentümer,
weil sie nicht wissen, wann sie enthaftet werden und ab
wann sie die notwendigen Gelder auch für andere alternative Technologien zur Verfügung stellen können . Sie
schaffen aber mit Sicherheit eines, nämlich dass wir in
Deutschland kein Endlager finden. Das wollen wir nicht;
wir wollen ein Endlager in Deutschland .
({4})
Ich sage zum Abschluss, was wir meines Erachtens
nicht machen dürfen . Sie schreiben in Ihrem Antrag von
Bad Banks der Energieversorgungsunternehmen . Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie diffamieSteffen Kanitz
ren damit diese technologisch hoch anspruchsvolle Aufgabe, Rückbau zu betreiben . Wir müssen doch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Konzerne und ihrer
Tochtergesellschaften, die für Rückbau zuständig sind,
dankbar sein, dass sie sich dieser Aufgabe annehmen .
Wir sollten sie nicht beschimpfen . Wir brauchen ganz im
Gegenteil eine groß angelegte Werbekampagne, adressiert an junge Leute, sich dieser Aufgabe zu verschreiben .
Wir sind im Bereich Rückbau Technologieführer . Ich
war vor kurzem auf einer Konferenz in Wien, wo wir über
dieses Thema gesprochen und diskutiert haben . Dort hat
sich bestätigt: Deutschland ist Technologieführer in diesem Bereich . Und mein Wunsch ist es, dass wir das auch
bleiben und unsere Kompetenz, unser Know-how, auch
unseren internationalen Partnern zur Verfügung stellen,
um den Rückbau auch dort verantwortungsvoll und sicher zu gestalten .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Ich bitte
um Zustimmung zu unserem wirklich guten Gesetz .
({5})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung
der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung .
Hierzu liegen zahlreiche Erklärungen zur Abstim-
mung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir
wie immer dem Protokoll beifügen werden .1)
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10671, den Gesetzentwurf der genannten
Fraktionen in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken
sowie einer Gegenstimme aus den Reihen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung angenom-
men .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Hierzu hat die Fraktion Die
Linke namentliche Abstimmung verlangt . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob sie je-
weils ordnungsgemäß besetzt sind . - Ich eröffne die Ab-
stimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend,
das seine Stimme oder, besser gesagt, seine Stimmkar-
te nicht abgegeben hat? - Nun können wir diesen Ab-
stimmungsvorgang, glaube ich, abschließen . Ich bitte die
1) Anlagen 2 bis 5
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen, und teile Ihnen das Ergebnis später mit .2)
Ich bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen, damit wir noch
eine Reihe ergänzender Abstimmungen durchführen
können .
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses auf der Drucksache 18/10671
fort .
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit angenom-
men .3)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10673 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Antragsteller stimmen ihrem Antrag zu . Wer
stimmt dagegen? - Das ist offensichtlich der Rest . Damit
ist der Antrag abgelehnt .
Wir kommen noch einmal zurück zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/10671 . Hier wird unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung empfohlen, den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen
Entsorgung für erledigt zu erklären . Das sind die alten
Drucksachen 18/10353 und 18/10482 . Hat jemand gegen
diese Beschlussempfehlung Einwände oder möchte sich
der Stimme enthalten? - Nein, dann ist das einvernehmlich so beschlossen .
Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller ({0}), Sabine Zimmermann
({1}), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kinder und Familien von Armut befreien Aktionsplan gegen Kinderarmut
Drucksache 18/10628
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Dazu sehe ich
keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .
({3})
2) Ergebnis Seite 20832 C
3) Anlage 6
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weihnachten steht vor der Tür . Wir freuen uns auf
Weihnachten, auf die Tage im Kreise unserer Kinder und
Enkelkinder . Wir erfreuen uns an ihren glänzenden Augen, wenn sie die Geschenke auspacken .
Für mehr als 2 Millionen Kinder gilt das nicht . Sie
leben in Armut und spüren besonders an Weihnachten,
was Armut bedeutet . Geschenke, so es sie überhaupt gibt,
fallen bescheiden aus . Für die Einladung der Großeltern
reicht das Geld nicht, und zu oft wird sogar auf den Weihnachtsbaum verzichtet . Im Regelsatz sind solche Kosten
nicht vorgesehen .
Wie fühlen sich wohl Eltern, die Jahr für Jahr erklären,
dass es nur ein ganz kleines Geschenk geben wird, weil
sie kein Geld haben? Glück haben da die Kinder, die von
den Tafeln einen Schokoladenweihnachtsmann bekommen . Aber auch da reicht es längst nicht mehr für alle
Kinder; denn sie sind auch bei den Tafeln Mangelware .
Kinderarmut ist und bleibt der größte Skandal in diesem
eigentlich so reichen Land, und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern im ganzen Jahr .
({0})
Die Tafeln leisten Großes . Sie unterstützen regelmäßig über 1,5 Millionen Menschen, darunter 500 000 Kinder und Jugendliche . An dieser Stelle möchte ich allen
freiwilligen Helferinnen und Helfern Dank sagen, die die
Menschen mit Trost und dem Allernötigsten versorgen .
({1})
Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politik, diese Zustände zu beenden, und zwar so schnell wie möglich .
Wie kann es sein, dass Sie zuschauen, wie in einem der
reichsten Länder Hunderttausende Menschen von Lebensmittelspenden abhängig sind? Ich bin empört darüber, dass Sie uns Jahr für Jahr an dieser Stelle das Gleiche
sagen und nichts ändern . Im Gegenteil: Die Armut nimmt
weiter zu in unserem Land .
({2})
Ursache, meine Damen und Herren, ist Ihre Verarmungspolitik der letzten Jahre, die auch immer mehr Kinder in
diesen Armutsstrudel reißt . Das ist der eigentliche Skandal .
({3})
Und kommen Sie nicht wieder damit, dass wir nur
über Einzelfälle reden . Jedes siebte Kind lebt in Deutschland von Hartz IV . Spätestens seit Hartz IV weiß doch
jeder in diesem Land, dass die Spaltung zwischen Arm
und Reich zunimmt .
({4})
Und was mich daran besonders entsetzt, ist, dass die Sozialdemokraten alles wissen, aber nichts verändern . Machen Sie endlich Ihren Fehler von damals rückgängig .
({5})
Ich bin viel unterwegs bei den Tafeln . Wenn ich sehe,
wie die Mütter mit ihren Kindern in der Schlange stehen,
dann kommen mir vor Wut die Tränen . Die Leute fragen
mich: Wie soll die Zukunft meiner Kinder aussehen? Warum muss ich hier stehen, obwohl ich zwei Jobs habe? Trotz der zwei Jobs reicht es oftmals nicht .
Darauf gibt es nur eine Antwort: Alle Kinder brauchen
eine faire Zukunftsperspektive .
({6})
Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben und ihre
Familien ernähren können . Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen .
Erstens . Die Bundesregierung muss dringend ein
Konzept gegen Kinder- und Jugendarmut vorlegen .
Zweitens . Die sozialen Leistungen müssen Armut verhindern und Teilhabe ermöglichen .
Drittens . Die Regelsätze für Kinder müssen erhöht
werden .
({7})
Viertens . Eine Kindergrundsicherung muss eingeführt
werden .
Die prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit, Teilzeit
und Minijobs muss zurückgedrängt werden, und der
Mindestlohn muss rauf auf 12 Euro;
({8})
denn die Armut der Kinder beruht immer auf der Armut
der Eltern . Dem Befristungsirrsinn muss endlich Einhalt
geboten werden .
({9})
Gerade für junge Familien ist diese Ungewissheit zermürbend . Sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft werden .
({10})
Das sind die Lösungen, die greifen würden und die wir
auch brauchen .
Sehr geehrte Damen und Herren, Kinderarmut muss
endlich der Vergangenheit angehören .
({11})
Leider ist das aber nicht der Fall . Wenn die Kanzlerin
hier an diesem Pult sagt: „Den Menschen in Deutschland
ging es noch nie so gut“,
({12})
dann ist das angesichts der 2 Millionen Kinder in Armut
zynisch .
({13})
Die Armut ist da . Sie kann sich nicht verstecken; Sie können sie auch nicht wegdiskutieren .
({14})
Sie schauen aber einfach nur weg; Sie wollen sie nicht
sehen . Wer so redet wie die Kanzlerin, der ist unfähig, die
Lage dieser Kinder zu verbessern .
({15})
Soziale Gerechtigkeit wird nur mit einer starken Linken erreicht . Wir brauchen einen starken Sozialstaat, auf
den sich die Menschen in Notsituationen verlassen können, der sie nicht zu Bettlern und Bittstellern degradiert
und der ihnen vor allen Dingen nicht die Würde nimmt .
Sozial geht anders! Dafür steht die Linke .
Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten .
({16})
Bevor ich Marcus Weinberg als nächstem Redner das
Wort erteile, will ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Neuordnung
der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung
bekannt geben: abgegebene Stimmen 581 . Mit Ja haben
gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 58 . 7 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 516
nein: 58
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Sabine Zimmermann ({5})
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({20})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({21})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({27})
Matthias Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Carsten Schneider ({30})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({31})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({32})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({33})
Volker Beck ({34})
Dr . Franziska Brantner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Christian Kühn ({36})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Tabea Rößner
Claudia Roth ({37})
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Waldemar Westermayer
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({38})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({39})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
({40})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Brigitte Pothmer
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Gabriele Groneberg
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Dr . Julia Verlinden
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({41}) aufgeführt .
Nun hat Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({42})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werte Frau Zimmermann, ja, es gibt Kinderarmut in Deutschland, und das wird hier auch keiner
verschweigen, relativieren, in irgendeiner Art und Weise
kleinreden oder verhehlen . Die Bekämpfung der Kinderarmut ist eine unserer ersten Aufgaben hier im Parlament .
({0})
Wenn wir sie ernsthaft bekämpfen wollen - das ist
mein erster wichtiger Punkt -, dann müssen wir diese
Ernsthaftigkeit auch unterstreichen . Mit dem, was Sie in
Ihren Anträgen fordern, tun Sie aber nichts anderes, als
Wolken hin- und herzuschieben . Es sind keine konkreten
Aussagen, sondern Sie fordern einfach nur Geld, ohne
auf die Finanzierung einzugehen, und das werden wir in
dieser Weise natürlich nicht mitmachen .
({1})
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema hat die Große Koalition in den letzten Jahren bei sehr
vielen Schritten bewiesen .
({2})
Es geht dabei natürlich darum, zu überlegen, wie wir die
Kinderarmut tatsächlich bekämpfen können; damit bin
ich beim zweiten wichtigen Punkt . Die Kinderarmut ist
kein familienpolitisches, kein sozialpolitisches und kein
finanzpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches
Problem . Deswegen muss man auf allen Ebenen und gemeinsam mit allen Ressorts Strategien für die Bekämpfung der Kinderarmut entwickeln .
Bei meinem dritten Punkt ist das Einvernehmen, glaube ich, bald vorbei: Das beste Mittel gegen arme Kinder
sind starke Eltern,
({3})
und das beste Konzept gegen Kinderarmut ist eine stabile
Erwerbstätigkeit der Eltern . Durch Erwerbstätigkeit sichern sich die Eltern ein eigenes Einkommen . Sie schaffen damit nicht nur materielle Sicherheit, sondern sie erlangen dadurch auch ein Selbstwertgefühl .
Wir haben hier lange und häufig über die berühmte
Frage diskutiert, ob der Bund neue Ranzen für Kinder
aus armen Familien finanzieren soll. Aber Kinder wollen,
dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kaufen, weil es das Selbstwertgefühl der Kinder stärkt, dass
ihre Eltern dazu in der Lage sind .
({4})
Deswegen kommt für uns eine gute Wirtschaftspolitik in diesem Land zuallererst . Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Wir haben die Arbeitslosenquote von nahezu
12 Prozent in 2005 auf inzwischen 6 Prozent halbiert .
Das ist das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik . Sie ist gut
für die Familien und für die Kinder .
({5})
Die Kinder können nicht für sich selber sorgen . Das ist
eine andere Ideologie .
({6})
- Keine Zwischenfrage, Sie haben gerade geredet . Das
tut mir leid, Frau Zimmermann . - Es gibt bei uns einen
anderen Überbau als bei Ihnen . Wir sagen ganz deutlich:
Als Erstes müssen die Eltern und damit die Familie gestärkt werden . Dann erst kann und muss der Staat selbstverständlich unterstützend eingreifen . Aber der Staat ist
kein Ersatz für Eltern . Ich glaube, diese Mitverantwortung der Eltern muss der Alleinverantwortung des Staates - das ist Ihr Ansatz - entgegengestellt werden . Das ist
der Unterschied zwischen uns .
Eine gut funktionierende Wirtschaft und eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sind zum einen die Voraussetzung dafür, dass wir Arbeit für Eltern schaffen, und zum
anderen die Voraussetzung dafür, dass der Staat Steuereinnahmen generiert . Wir haben vor wenigen Wochen
über unseren Familienhaushalt diskutiert . Ich sage Ihnen
eines - das nervt Sie, aber ich führe es trotzdem an -:
Grundvoraussetzung für alles ist, dass wir keine neuen
Schulden machen .
({7})
Damit erhalten wir uns die Spielräume und die Gestaltungsräume, um als Staat dort eingreifen zu können, wo
Kinder Unterstützung brauchen, weil es die Eltern nicht
mehr schaffen, in einer schwierigen Situation Verantwortung zu übernehmen .
({8})
Das heißt, wir schaffen Spielraum für Investitionen
in Familie . Der Familienetat in der Größenordnung von
9,5 Milliarden Euro hat sich im Vergleich zu 2005 verdoppelt, während die Arbeitslosenquote halbiert wurde .
Das ist ein Zeichen einer stabilen und guten Politik . Ich
glaube, dass die Große Koalition in den letzten drei Jahren daran im Wesentlichen mitgewirkt hat; denn es ist natürlich unseren Arbeitnehmern, dem Mittelstand und den
Unternehmen zu verdanken, dass die Wirtschaftsdaten
gut und stabil sind . Aber auch die politischen Rahmenbedingungen wurden richtig gesetzt .
Nun gucken wir uns einmal Ihren Antrag an .
Herr Weinberg, lassen Sie auch Zwischenfragen zu?
Von den Linken nicht, da Frau Zimmermann gerade
geredet hat; tut mir leid .
({0})
Okay .
Der erste Punkt ist die Kindergrundsicherung, die in
Ihrem Antrag gefordert wird . Diese halten wir für nicht
zielführend, für nicht sinnvoll, und wir lehnen sie ab .
Warum? Weil wir die Familie als Ganzes sehen . Die Lebenslage eines Kindes ist untrennbar mit der Lebenslage
und der Einkommenssituation der Eltern verbunden . Nur
wenn die finanzielle Situation der ganzen Familie stabil
ist, ist auch die finanzielle Situation eines Kindes stabil.
Das heißt, eine finanzielle Leistung nur für das Kind,
wenn es den Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht,
ist schlichtweg der falsche Weg .
({0})
Wer meint, dass sich mit der Einführung einer Kindergrundsicherung in dieser Form die Entwicklungschancen
von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abkoppeln
lassen, der irrt .
Wir als Große Koalition haben einiges gemacht . Man
muss aber vernünftig sein und genau überlegen: Was kann
man finanzieren? Was kann man wie machen? Ein sicherlich wichtiger Baustein, mit dem Kinder vor Armut in der
Familie geschützt werden sollen, ist der Kinderzuschlag,
eine unserer erfolgreichsten Maßnahmen . Zum 1 . Juli
2016 wurde dieser Zuschlag um 20 Euro auf 160 Euro
monatlich erhöht . Über 80 Prozent der Menschen sprechen von einer verbesserten Einkommenssituation .
Sie haben in Ihrem Antrag das Thema Alleinerziehende richtig formuliert, das findet dort großen Widerhall.
Aber auch dazu will ich - ich kann mich kurz fassen
und nur etwas auflisten - einiges sagen. Viele Maßnahmen der Großen Koalition, gerade in den letzten Jahre,
kommen den Alleinerziehenden zugute: der Ausbau der
Kindertagesbetreuung, ein Rechtsanspruch auf einen
Krippenplatz, die Erhöhung des Entlastungsbeitrags für
Alleinerziehende um 600 Euro . All das sind gute Bausteine gewesen, um die Situation der Alleinerziehenden
zu verbessern .
({1})
Ich greife einen anderen Punkt auf . Sie fordern in Ihrem Antrag den Aufbau einer sozialen Infrastruktur . Damit tun Sie so, als wenn es sie nicht gäbe . Wir stellen
Ihrer Forderung nach einem Aufbau einer sozialen Infrastruktur den Ausbau der Betreuungsangebote entgegen .
Ich frage einmal: Wer hat in den letzten Jahren für den
Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gesorgt? Wer hat
dafür gesorgt, dass wir als Bund, obwohl diese Aufgabe
gar nicht in unserer Verantwortung liegt, den Ländern
6 Milliarden Euro für den Ausbau der Kitaplätze zur
Verfügung stellen? Wer stellt den Ländern mittlerweile
jährlich 945 Millionen Euro zur Finanzierung der Betriebskosten der Kindertagesstätten bereit? All das hat
der Bund gemacht, das haben wir in der Großen Koalition gemacht .
Das heißt, wir haben deutlich Schwerpunkte gesetzt,
auch mit einzelnen Programmen . Ich erinnere an das Programm „Sprach-Kitas“ . Denn gerade die Frage der sozialen Herkunft, der Sozialstruktur und auch der Herkunft
im Sinne von Migration ist ein wichtiges Thema . Insoweit haben wir mit Programmen wie den Sprach-Kitas
oder dem „Haus der kleinen Forscher“ genau an diesen
Stellen angesetzt, und das war richtig so .
Ja, Bildung ist ein Schwerpunkt . Auch hier muss man
deutlich konstatieren: Die Große Koalition hat den Haushalt für Bildung und Forschung insbesondere im Bereich
Marcus Weinberg ({2})
Bildung noch einmal deutlich erhöht . Über 17,5 Milliarden Euro werden im nächsten Jahr investiert .
Kommen wir zu Ihren Forderungen . Ich sprach vorhin
vom Wolken-Hin-und-Herschieben . Man muss ernsthaft
sein und auch die Finanzierung ernsthaft klären . Sie wollen das Kindergeld von jetzt 190 auf 328 Euro im Monat erhöhen . Wir wissen: 1 Euro mehr kostet ungefähr
180 Millionen Euro . Hochgerechnet sind das zwischen
20 Milliarden und 25 Milliarden Euro jährlich .
Sie haben eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen, die
allerdings relativ bescheiden ist . Dazu schreiben Sie in
Ihrem Antrag nur, dass die Freibeträge zur Gegenfinanzierung herangezogen werden sollen . Das kann man aber
so nicht rechnen .
Wir alle in diesem Haus beschweren uns über Populismus und darüber, dass wir in der Politik nicht mehr
ernst genommen werden . Nein, wir werden nicht mehr
ernst genommen, wenn wir Vorschläge machen, die nicht
umzusetzen sind .
Es gibt zwei Möglichkeiten . Sie werden, falls Sie regieren - der Wähler möge uns davor beschützen -, entweder Ihre eigenen Forderungen wieder abräumen müssen, oder Sie werden dieses Land in den Bankrott stürzen .
Ernsthaft über Kinderarmut zu diskutieren, ist das eine .
Aber Vorschläge zu machen, die zu finanzieren sind und
die auch längerfristig und nachhaltig wirken, ist das andere, und da liegen Sie mit Ihrem Antrag komplett falsch .
Wir als Union werden weiter über die Schnittstellenproblematik diskutieren . Dabei geht es um die Frage, wie
wir die Leistungen effizienter und zielgenauer steuern
können . Wir werden in den nächsten Jahren über verschiedene Themen sprechen müssen . Ein Stichwort ist
die Arbeitszeit. Denn ich finde, dass man sich damit befassen muss, wie man das Recht der Eltern mit einem geringen Einkommen, die von Armut betroffen sind, mehr
Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, umsetzen kann .
Alle diese Themen werden wir als Große Koalition
in den nächsten Monaten und als Union in den nächsten
Jahren weiter auf die Agenda setzen . Trotzdem gilt der
Grundsatz: Wir müssen die Eltern in die Lage versetzen,
dass sie sich um ihre Kinder kümmern können . Der Staat
unterstützt gerne, aber der Staat kann das nicht ersetzen .
Ich glaube auch mit Blick auf die Zahlen, dass es in den
letzten Jahren etwas besser geworden ist . Trotzdem bleibt
es ein großer Auftrag für uns in der Politik, das Thema
Kinderarmut auf die Agenda zu setzen . Wir werden das
vehement tun, auch in den nächsten Monaten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Hein
das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich würde Herrn
Weinberg gerne eine Frage stellen . Denn auch unsere
Rednerin hat darauf hingewiesen, dass die Kinderarmut
eine Folge von Elternarmut ist . Sie haben in eine ähnliche Richtung argumentiert, und ich gebe zu, ich verstehe nicht, warum Sie allein die Tatsache, dass mehr
Menschen in Arbeit gekommen sind - auch in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - als Erfolg werten
und dabei völlig ausblenden, dass die Bedingungen, unter denen sie in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sind, so lausig sind, dass sie ihren Kindern kein
ordentliches Weihnachten gönnen und ihnen keine oder
nicht die Wünsche erfüllen können, die sie wie andere
Altersgenossen haben, mit denen sie gemeinsam spielen .
Sie werden dadurch zurückgesetzt, und das entmutigt .
Wenn wir schon darüber reden, dass Eltern gestärkt
werden müssen, dann müssen sie auch in ihrem Einkommen gestärkt werden, und dazu gehört eine ordentliche
Lohnpolitik .
Danke schön .
({0})
Kurze Erwiderung, Herr Kollege Weinberg .
Kurze Erwiderung . - Gerne noch einmal: Wir hatten
2005 in diesem Land eine Situation, in der wir auch auf
dem Arbeitsmarkt Veränderungen vornehmen mussten,
damit die Menschen endlich wieder in Arbeit kommen .
Erstens . Das haben wir geschafft . Zweitens darf ich daran erinnern, dass die Große Koalition lange diskutiert
und einen Mindestlohn eingeführt hat .
Jetzt fordern Sie, dass der Mindestlohn auf 12 Euro
erhöht wird . Demnächst werden es wahrscheinlich 15, 17
und 22 Euro werden .
({0})
Wenn wir tatsächlich die wirtschaftliche Stabilität in diesem Land erhalten wollen, dann sollten wir endlich mit
solchen utopischen Forderungen, die die Wirtschaft blockieren und den Mittelstand gefährden, aufhören .
({1})
Ein weiterer Punkt: Ja, wir als Staat müssen tatsächlich die Einkommenssituation der Eltern weiter im Blick
behalten und dort, wo Kinder in Armut leben, Unterstützung leisten . Das ist unsere Aufgabe . Aber noch einmal:
Die Reihung muss eine andere sein . Wenn Sie die Prioritäten nur auf das Ausschütten von Geld und finanzielle Leistungen setzen, dann ist das eine falsche Prioritätensetzung .
Kinderarmut ist ein Thema, das Kultur, Bildung, Sozialpolitik und Familienpolitik betrifft . Genau diese Mischung muss bei der Bekämpfung der Kinderarmut Geltung haben .
Vielen Dank .
({2})
Marcus Weinberg ({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In zwei aufeinanderfolgenden Sitzungswochen diskutieren wir über die Frage, wie wir Kinderarmut
bekämpfen, wie wir gegen Kinderarmut gut vorgehen
können: in der letzten Woche auf Initiative meiner Fraktion, in dieser Woche auf Initiative der Linken . Das ist sehr
angemessen; denn Kinderarmut ist ein großes Problem
in unserer Gesellschaft . Die Bekämpfung von Kinderarmut ist leider eine Leerstelle dieser Bundesregierung . Ich
finde, dass sich das dringend ändern muss. Wir müssen
Kinderarmut endlich konsequent beseitigen und Familien endlich gerecht unterstützen . Das hat nichts, lieber
Herr Weinberg, mit der Alleinverantwortung des Staats
zu tun . Das ist ein ideologischer Vorwurf; das ist wirklich
Unsinn . Wir müssen diese Herausforderung jetzt konkret
angehen . Ihre Rede hat sehr gut gezeigt, dass Sie sich vor
den konkreten Problemen wegducken .
({0})
Unser Land ist ein Land mit zwei Gesichtern . Die
Kanzlerin wurde eben zitiert; das will ich auch tun . Sie
hat gesagt: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor .“
Im Durchschnitt mag das auch stimmen . Aber auf einen
erheblichen Teil der Menschen trifft das nicht zu . Rund
ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland
sind arm; diese Zahl wurde schon genannt . Was bedeutet
das in einem reichen Land wie unserem? Das bedeutet
für viele: ohne Frühstück in die Schule, keine Musikschule, kein Kino, von Urlaub ganz zu schweigen .
({1})
Im Kern bedeutet das also, nicht teilhaben zu können
an unserer Gesellschaft, an einem ganz normalen Leben .
Man gehört nicht dazu . Das dürfen wir doch nicht akzeptieren . Die betroffenen Kinder wissen Bescheid . World
Vision hat für seinen Kinderreport Sechs- bis Elfjährige befragt, die zum von Armut betroffenen Fünftel der
Gesellschaft gehören . Sechs- und Siebenjährige in unserer Gesellschaft sagen über sich selber, dass sie nicht
dazugehören und dass sie keine Chance für ihre Zukunft
haben . Kinder haben ein sehr genaues Gespür dafür . Wir
dürfen doch nicht akzeptieren - darin müssen wir uns
alle einig sein -, dass Kinder in unserer Gesellschaft keine Chance auf Teilhabe haben .
({2})
Wir fragen uns derzeit besonders intensiv, was unsere
Gesellschaft zusammenhält und was wir für den Zusammenhalt der Gesellschaft tun können . Wir fragen uns,
was aktuell diese tiefen Gräben in unser Zusammenleben reißt . Es gibt natürlich keine einfache Antwort . Aber
die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, die
keine Chance haben, dazuzugehören, ist vielleicht ein
Teil der Antwort . Auch deshalb dürfen wir Kinderarmut
auf keinen Fall akzeptieren .
({3})
Wenn es darum geht, Armut entgegenzuwirken, sind
Investitionen in Chancengleichheit, das heißt in Kitas
und Schulen, und eine gute materielle Absicherung von
Kindern und Familien zwei Seiten einer Medaille; das
darf man auf keinen Fall gegeneinanderstellen . Mir ist es
sehr wichtig, zu betonen: Wir brauchen gute Kitas, wir
brauchen gute Schulen, und wir brauchen eine gute materielle Absicherung der Familien .
({4})
Wir Grüne setzen uns schon lange für ein Kitaqualitätsgesetz ein . Wir setzen uns für mehr Ganztagsschulen
ein . Das ist zwar wichtig, aber nur eine Seite der Medaille . Was die materielle Absicherung angeht: Es ist doch
ein Skandal, dass das Existenzminimum vieler Kinder
und Jugendlicher in Deutschland weiterhin nicht gedeckt
ist . Kinder werden noch immer wie kleine Erwachsene
mit entsprechend abgeleiteten Ansprüchen behandelt .
Wir finden, dass das ein Ende haben muss.
({5})
Es gibt weitere Ungerechtigkeiten in unserer Familienförderung sozusagen am anderen Ende der Skala . Es
kann doch nicht sein, dass Familien mit einem besonders
hohen Einkommen durch Kinderfreibeträge mehr von
der staatlichen Unterstützung profitieren als Familien mit
kleinen oder normalen Einkommen . Das ist total ungerecht . Deshalb wollen wir eine Kindergrundsicherung,
die sicherstellt, dass Kinderarmut wirksam bekämpft
wird und das Matthäus-Prinzip unserer Familienförderung nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ tatsächlich beendet .
({6})
Abschließend will ich noch ein paar Worte zum Unterhaltsvorschuss sagen; denn er steht in einem sehr engen
Zusammenhang mit dem Thema Kinderarmut .
Ich will ganz klar sagen: Wir teilen das Anliegen der
Bundesregierung voll und ganz, den Unterhaltsvorschuss
auszuweiten . Das ist überfällig und bringt eine wichtige
und richtige Entlastung für Alleinerziehende . Aber ich
will auch sagen: Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass
ein vom Kabinett beschlossener Gesetzentwurf nicht ins
Plenum eingebracht werden konnte, weil die Bundesländer Sturm laufen . Das tun sie tatsächlich durchaus zu
Recht . Wie kann ein Kabinett einen Gesetzentwurf beschließen, wenn die Finanzierung der Leistung überhaupt
nicht geklärt ist? Ich finde das unseriös und auch unverantwortlich .
({7})
Jetzt erleben wir ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen
Bund und Ländern . Das ist eine Politik auf dem Rücken
der Alleinerziehenden. Ich finde, das ist wirklich bitter.
Wir als Grüne wollen, dass das beendet wird . Wir brauchen eine Lösung für die Finanzierungsfrage . Die kann
nicht darin bestehen, den Vorrang von Unterhaltsvorschuss und SGB-II-Leistungen einfach umzudrehen .
({8})
Wir als grüne Bundestagsfraktion haben in den Haushaltsberatungen deutlich gemacht, dass man die Mehrkosten gut im Bundeshaushalt darstellen kann . Unsere
Aufforderung an die Bundesregierung ist, dem zu entsprechen und das nachzuvollziehen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({9})
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Fritz Felgentreu .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den
beiden umfangreichen Anträgen der Linken und der Grünen zum Thema Kinderarmut, die jetzt im Bundestag diskutiert werden, sind wir schon erkennbar im Wahlkampf
angekommen .
({0})
Unter anderen Umständen verzichtet auch die Opposition nicht auf den Anspruch, dass das ganze Haus ihre
Anträge beschließen könnte . Aber bei Ihnen, liebe Frau
Kollegin Zimmermann, soll der Bundestag jetzt einen
Satz wie den folgenden beschließen - ich zitiere -:
Die laufende Wahlperiode ist … eine verlorene Zeit
für den Kampf gegen Kinderarmut …
Das ist nicht nur sachlich völlig verfehlt - dazu komme
ich gleich -, es zeigt eben auch, dass dieser Antrag vor
allen Dingen Ihrer Kampagnenfähigkeit dienen soll, aber
nicht der politischen Gestaltung .
({1})
Wissen Sie, ich kann als Mitglied einer Koalitionsfraktion sogar ganz gut damit leben, dass Sie so etwas in
einer Debatte vortragen - ein bisschen Juckpulver gehört
schon dazu -, aber Sie können doch selbst nicht ernsthaft
davon ausgehen, dass die SPD-Fraktion einer solchen
Formulierung auch noch ihre Zustimmung gibt . Nein,
meine Damen und Herren, der Linken geht es hier nicht
um Lösungen, sondern es geht darum, die Unterschiede
zu betonen . Das ist auch legitim . Im Wahlkampf geht das
gar nicht anders . Aber es muss hier im Deutschen Bundestag dann auch genau so diskutiert werden .
Lassen Sie uns zunächst das Grundproblem betrachten . Schon das Wort „Kinderarmut“ beinhaltet einen Vorwurf . Wer Kinderarmut zulasse, so der unausgesprochene Hintergedanke, der versündige sich, der werde dem
moralischen Anspruch an Politik nicht gerecht .
({2})
Ich finde: Schon hier ist Aufklärung notwendig. Wenn
ich das Wort „Kinderarmut“ höre, dann steht vor meinem
geistigen Auge - gerade jetzt in der Weihnachtszeit - so
etwas wie Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern,
das Mädchen aus Die Sterntaler oder die Kinder aus
Zilles Mein Milljöh . Aber über diese Art von Kinderarmut sprechen wir hier nicht . Es ist ein großer Fortschritt,
dass es diese Art von Kinderarmut in Deutschland nicht
mehr gibt .
({3})
Kinderarmut im Sinne des Linken-Antrags ist zunächst einmal auch eine statistische Größe . Arm sind im
Sinne einer relativen Definition von Armut Menschen also auch Kinder -, denen monatlich weniger als die
Hälfte des Durchschnitts zur Verfügung steht . Mit so wenig Geld auskommen zu müssen, ist zwar nicht existenzbedrohend, aber es ist sehr schwer - gar keine Frage . Es
ist auch überhaupt gar keine Frage, dass es Aufgabe der
Politik ist, Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen,
damit sie die Armutszone wieder verlassen können . Aber
so zu tun, als wären diese Kinder dem Staat und dieser
Regierung gleichgültig, ist reine Stimmungsmache . Das
geht an der Realität vorbei .
({4})
Auch die Antwort der Linken geht an der Realität vorbei; denn Ihnen fällt zuallererst eine deutliche Erhöhung
des Kindergeldes ein . Dabei wissen Sie genauso gut wie
ich, Frau Kollegin Zimmermann und auch Frau Kollegin
Dörner, dass das Kindergeld allenfalls einen kleinen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten kann und dass es von
allen staatlichen Instrumenten, um Kinder und Familien
zu fördern, eines der am wenigsten wirksamen ist .
Eine jahrzehntelange Politik, das Kindergeld auszubauen, mündet seit Jahren unverändert in der doppelten
Kinderarmut: Wir sind ein Land, das arm an Kindern ist
und in dem zugleich ein großer Anteil der Kinder, die
da sind, unterhalb der Armutsgrenze lebt . Nein, meine
Damen und Herren, dieses Denken setzt von vornherein
auf das falsche Instrument . Das Kindergeld ist wirklich
eine gute Sache . Es hilft vielen Familien, besser über die
Runden zu kommen, aber es ist nicht geeignet, um gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren .
({5})
Das einzige nachhaltige, das mit Abstand beste Mittel
gegen die Armut von Kindern ist die Arbeit ihrer Eltern,
({6})
also das Mittel, das Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht
erwähnen .
Es hat auch etwas mit Haltung zu tun, dass wir diesen
Punkt immer wieder betonen . Wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten wollen, dass die Menschen Arbeit
haben, und zwar gute Arbeit, Arbeit, von deren Ertrag
sie ihre Familien ernähren und ihre Kinder großziehen
können .
({7})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage; dann können wir
das in Ruhe diskutieren .
({8})
Deshalb hat unsere Regierung auch bei der Bekämpfung von Kinderarmut immer auf Instrumente gesetzt,
die es Eltern leichter machen, durch Arbeit für ihre Familie zu sorgen . Wir haben das Elterngeld Plus eingeführt,
das Teilzeitarbeit unterstützt . Wir haben den Kinderzuschlag erhöht, damit Familien nicht in Abhängigkeit vom
Jobcenter geraten . Wir haben die steuerliche Entlastung
Alleinerziehender um 50 Prozent erhöht . Wir werden den
Unterhaltsvorschuss ausweiten, der viele Familien mit
niedrigen Einkommen vor demselben Schicksal bewahrt .
Damit auch die Kinder armer Leute bessere Chancen auf
Bildung und Aufstieg durch Arbeit haben, setzen wir seit
dem ersten Tag dieser Koalition ganz konsequent auf den
Ausbau von Betreuung und Bildung .
({9})
Wir haben milliardenschwere Investitionsprogramme
für die Kinderbetreuung aufgelegt . Erst gestern haben
wir ein weiteres Programm für 100 000 Kinder beschlossen, und dank diesem Kabinettsbeschluss werden auch
die drei- bis sechsjährigen Kinder einbezogen . Wir haben
2 Milliarden Euro, die für das Betreuungsgeld vorgesehen waren, an die Länder umgeleitet, damit sie ihre Betreuungsangebote ausbauen können . Allein im Jahr 2017
wird der Bund eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden
Euro für frühe Bildung ausgeben . Mit der verabredeten
Grundgesetzänderung werden wir diesen Weg konsequent fortsetzen .
({10})
Denn in Zukunft wird auch der Bund zum Ausbau von
Schule und Bildung beitragen können .
Meine Damen und Herren, nur dieser Ansatz kann
letztlich die Forderung umsetzen, dass uns jedes Kind
gleich viel wert sein soll . Wir sind überzeugt davon - da
unterscheiden wir uns im Ansatz von den Kollegen der
Union -, dass wir Kinder und Familien in Deutschland
am besten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas
und Schulen fördern, und zwar durch solche, die jedem
Kind offenstehen, ganz unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern . Darauf kommt es an; in diese Richtung wollen
wir gehen .
Als Abgeordneter aus Berlin-Neukölln füge ich hinzu:
Um den Kindern Chancen zu eröffnen, deren Elternhäuser es allein nicht schaffen, müssen wir gerade in den härtesten Kiezen, da, wo die meisten armen Kinder leben,
damit anfangen . Das ist dann gelebte Solidarität mit den
Kindern armer Leute
({11})
und eine nachhaltige Politik, damit sich Armut eben nicht
von Generation zu Generation vererbt, wie wir es teilweise erlebt haben .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({12})
Eckhard Pols ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gesellschaftliche Teilhabe, soziale Absicherung,
Gesundheit und Bildung, das sind alles Rechte eines
jeden Kindes, die sich unter anderem aus der UN-Kinderrechtskonvention ergeben . Vertragsstaaten und damit
auch unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, sind
verpflichtet, die entsprechenden Rahmenbedingungen
zur Verwirklichung dieser Rechte zu schaffen . Die soziale Absicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist das möchte ich meinen Ausführungen voranstellen - auf
einem sehr hohen Niveau, und im weltweiten Vergleich
stehen wir gerade dank unserer unionsgeführten Bundesregierung gut da .
Natürlich gibt es auch bei uns noch Armutsgefährdung . Wir müssen alles tun, um diese zu bekämpfen .
Dies schließt auch die Möglichkeit der gesellschaftlichen
Teilhabe explizit ein und beschränkt sich nicht, wie oft
suggeriert, auf das zum Überleben Notwendige . Klar ist:
Armutsgefährdung und Kinderarmut haben ihre Ursache
zumeist in der Familienarmut . Kinder sind langfristig
armutsgefährdet, wenn sie in einem von Armut gefährdeten Haushalt leben . Ursache hierfür ist logischerweise
das Einkommen der Eltern . Eines der besten Programme
gegen Kinderarmut ist die von der Bundesregierung getragene Wirtschaftspolitik, die Menschen in Arbeit bringt
und Familienteilhabe in allen Bereichen ermöglicht . Sozialleistungstransfers schützen sowohl von Armut betroffene Familien als auch armutsgefährdete Familien .
Die Instrumente des Sozialstaats werden ständig weiterentwickelt und aktuellen Gegebenheiten angepasst .
Was den speziellen Schutz von Kindern angeht, betrifft
dies Kinderregelsätze und das Bildungs- und Teilhabepaket . Im Blick behalten müssen wir immer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und besonders auch die
Kinder von Alleinerziehenden . Oft erhalten Alleinerziehende den ihnen zustehenden Unterhalt nicht, da der
unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommt . Um
dies zu kompensieren, gibt es den Unterhaltsvorschuss;
wir haben das schon gehört . Er bietet durch eine vorübergehende Überbrückung eine unmittelbare Unterstützung
für Alleinerziehende und ihre Kinder . Um dieses Instrument noch wirksamer werden zu lassen, steht für mich
fest: Die Altersgrenze von zwölf Jahren muss abgeschafft
werden, ebenso die maximale Bezugsdauer von 72 Monaten, die nicht sachgerecht ist . Klar ist aber auch: Die
Rückholquote bei den säumigen Zahlern muss dringend
erhöht werden . Insbesondere
({0})
in den Bundesländern, in denen Grüne und Linke in Regierungsverantwortung stehen, sehen wir hier noch einen
eindeutigen Nachholbedarf .
Die Ausgangsbedingungen von Armut wie fehlende
Teilhabemöglichkeiten und Bildungschancen führen in
einen Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist . Kinder, die in Armut oder Armutsgefährdung aufwachsen,
bleiben aufgrund ihrer geringen Teilhabe- und Bildungschancen in ihrem späteren Leben oft selbst arm . Für Kinder ist die Armut oder Armutsgefährdung ihrer Eltern
somit in doppelter Weise ein nicht tragbares Hemmnis .
Armut hat - das ist nicht neu - negative Auswirkungen
auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und
wirkt sich damit negativ auf die Lebensqualität und auch
auf die Lebenserwartungen aus . Ich möchte aber eines
klarstellen: Das von Ihnen suggerierte Wachsen der Armut findet so nicht statt.
({1})
Bezüglich der Armut in Deutschland ist aber auch
klar: Die Zahl der Erwerbstätigen, die Arbeitslosengeld
II beziehen, liegt heute etwa genauso hoch wie noch vor
einem Jahr . Schauen wir zehn Jahre zurück - das hat der
Kollege Weinberg auch schon gemacht -, so stellen wir
fest, dass mehr Menschen Hartz IV erhielten als heute,
nämlich 5,4 Millionen . Das widerspricht der vielfach verbreiteten Wahrnehmung, dass ein Teil der Bevölkerung
abgehängt wird . Auch spricht es eindeutig gegen eine
Ausweitung der sogenannten sozialen Kluft zwischen
Arm und Reich . Auf der einen Seite stehen gleich einem
Mantra wiederholte Äußerungen in den Talkshows, auf
der anderen Seite haben wir verlässliche Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nach denen die Gefahr, in Armut
und soziale Ausgrenzung zu geraten, nicht zunimmt - im
Gegenteil .
({2})
Beachten wir doch bitte eine ganz simple Tatsache:
Ein steigendes Normaleinkommen steigert zwangsläufig
die Armutsgrenze . Es ist zu bedenken, dass dem vielfach
angeführten Armutsbegriff der Statistiker der Vergleich
mit dem Normaleinkommen zugrunde liegt . Gemessen
werden also nicht die notwendige Entbehrung oder gar
das Elend, sondern die Distanz zum Median, dem mittleren Einkommen der Bevölkerung . Steigt dieses mittlere
Einkommen, so zieht auch die Grenze für das statistische
Armutsrisiko nach . Dieses statistische Armutsrisiko ging
in den vergangenen Jahren mal nach oben und mal nach
unten . Ein klarer Trend lässt sich jedoch nicht erkennen .
So ist dieses statistische Armutsrisiko 2015 zum Beispiel
ebenso hoch oder so niedrig wie 2008 . In Deutschland
galt seit 2015 jeder als materiell armutsgefährdet, der als
Single über weniger als 1033 Euro im Monat verfügte,
was zum Beispiel für das Gros der Studierenden zutraf .
Noch 2014 setzte die Armutsgefährdung erst bei weniger
als 987 Euro ein .
Nehmen wir als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren: Diese war 2015 per definitionem
dann von Armut bedroht, wenn sie weniger als 2170 Euro
monatlich zur Verfügung hatte . Wie wir bereits festgestellt haben, dürfte sich in diesem Jahr die Grenze der
Armutsgefährdung wegen der deutlich gestiegenen Einkommen weiter erhöht haben . Arm im traditionellen Sinne waren 2015 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,4 Prozent der Bevölkerung . Damit sprechen wir
über einen deutlich geringeren Wert als 2014, als es noch
über 5 Prozent der Einwohner waren .
Armut im traditionellen Sinn bemisst sich an der materiellen Entbehrung . Dies kann bedeuten, dass man die
Wohnung nicht ausreichend heizen kann, Reparaturen
von Alltagsgegenständen nicht möglich sind oder dass
das Einkommen nicht ausreicht, um jährlich eine Woche
in Urlaub zu fahren . In Deutschland ist vor allem die Situation von Kindern und Jugendlichen besser als im europäischen Schnitt .
({3})
Das hat eine aktuelle Auswertung der europäischen Statistikbehörde Eurostat ergeben . Diese gute Momentaufnahme ist für die Bundesregierung natürlich kein Grund,
sich auszuruhen . Jedes armutsgefährdete Kind ist eines
zu viel, und wir dürfen kein Kind zurücklassen .
({4})
Ich möchte auf eine Passage Ihres Antrages eingehen,
der übrigens in dieser Fassung etwas spät kam . Wenn Sie
das, was dort steht, wirklich meinen und umsetzen wol-
len, dann kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! Sie
zeigen beispielhaft unter den Punkten 5 a) und 5 i) Ihres
Antrages, dass Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, jeglicher wirtschaftlicher Sachverstand fehlt . Diese Forderungen behindern und gefährden massiv den Mittelstand und somit Hunderttausende
inhabergeführte Familienbetriebe im Handwerk und im
Handel .
Mit Ihren Forderungen erreichen Sie nicht mehr
Beschäftigung und somit auch nicht mehr Wohlstand,
sondern Sie sorgen für das Gegenteil: Die Gründerquote - der Wille, eine Firma zu gründen - geht zurück . Ein
Nebeneffekt Ihrer Forderungen wäre, dass sich Unternehmer überlegen, überhaupt noch junge Frauen einzustellen . Das machen wir als Union nicht mit . Deswegen
lehnen wir diesen Antrag ab .
({5})
Frau Dörner, noch ein Wort zu Ihrem Beispiel mit dem
Schulbrot. Ich finde die Argumentation völlig daneben.
Jeder Vater, jede Mutter kann morgens seinem Kind ein
Schulbrot schmieren . Das hat mit Geld oder materiellen
Dingen nichts zu tun .
({6})
Es müssen die Eltern eben aufstehen und das Brot
schmieren . Das mache ich auch, wenn ich zu Hause bin .
({7})
Dann schmiere ich meinen Kindern das Schulbrot und
schneide den Apfel durch . Das können andere Eltern
auch machen . Dieses Beispiel hier anzuführen, Frau
Dörner, finde ich völlig daneben.
Vielen Dank .
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Herr
Felgentreu, liebe Kollegen Weinberg und Pols, ich schätze Sie sehr, aber das, was Sie hier abgeliefert haben, ist
an Zynismus nicht mehr zu überbieten . Wir diskutieren
fast jede Woche über Kinderarmut . Wir können das bis zu
den Bundestagswahlen auch so weiterführen . Vielleicht
ändert sich dann etwas . Sie stellen sich hier aber immer
wieder hin, um zu sagen: Seit 2005 ist die Arbeitslosigkeit halbiert worden,
({0})
es sind immer mehr Menschen in Beschäftigung .
({1})
Warum ist Kinderarmut in dieser Zeit nicht zurückgegangen, sondern angestiegen? Warum ist Kinderarmut
in Familien so verfestigt, dass sie sich vererbt? Wenn in
Regionen Ostdeutschlands und in vielen Regionen Westdeutschlands jeder Dritte für unter 10 Euro in der Stunde
arbeitet, wenn es Regionen, ganze Kreise in Deutschland
gibt, wo jeder Zweite zum Mindestlohn arbeitet: Dann
wissen Sie ganz genau, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht reicht, um die materielle Armut in den Familien
zu reduzieren .
({2})
Das reicht nicht, sondern Sie müssen die Familien finanziell stärken, weil sie von ihrem Arbeitseinkommen nicht
leben können, weil niedrige Löhne gezahlt werden . Ich
will Ihnen deutlich sagen: Wenn der Mindestlohn von
8,50 Euro jetzt großzügigerweise um 0,34 Cent steigt,
dann können Sie Ihre Argumentation nicht mehr halten
und sagen: Die Leute brauchen nur irgendeine Arbeit,
dann geht die Kinderarmut schon zurück . - Sie geht eben
nicht zurück, egal was seit 2005 passiert ist . Sie haben
nichts konkret getan, um Kinderarmut zu reduzieren .
Wenn Sie etwas getan hätten, dann müssten Sie aufgrund
der Bilanz, dass sie heute genauso hoch ist wie 2005, zu
der Erkenntnis kommen, dass Sie vollständig versagt haben . Das wäre die Konsequenz .
({3})
Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung von
Kinderarmut aber nicht versagt . Die Wahrheit ist: Es hat
Sie nicht interessiert . Deswegen haben Sie keine ernsthaften Maßnahmen unternommen, um sie zu reduzieren,
weil es keinen Willen gegeben hat, Kinderarmut ernsthaft
zu bekämpfen . Im Koalitionsvertrag wird sie mit keinem
Satz erwähnt . An keiner einzigen Stelle steht: Wir wollen Kinderarmut bekämpfen . Dafür haben wir folgende
Vorschläge: eins, zwei, drei . - Diese Vorschläge haben
Sie nicht . Diese Vorschläge haben die Grünen und die
Linken auf den Tisch gelegt .
({4})
Wir haben in unserem Antrag im Wesentlichen drei Säulen formuliert, wie wir Kinderarmut reduzieren wollen .
Erstens . Wir wollen mehr Geld in die Familien geben .
Wir wissen, dass die Arbeit, die die Familien jetzt haben - wir fordern auch höhere Mindestlöhne als Sie -,
ihnen kein ausreichendes Einkommen verschafft . Wir
wissen aber auch, dass eine Familie, die ein gutes durchschnittliches Einkommen hat, wenn das erste, zweite
oder dritte Kind geboren wird, aufgrund der Kosten, die
dann entstehen und die in dieser Gesellschaft so hoch
sind, armutsgefährdet ist . Es ist ein völliger Unterschied,
ob Sie ein Paar ohne Kinder haben, das vom Ehegattensplitting besonders profitiert, dem es wirtschaftlich gut
geht, das nicht armutsgefährdet ist, oder ein Paar, das das
dritte Kind bekommen hat . Dieses Paar ist dann armutsgefährdet, weil Sie zu wenig Geld in die Familien geben
und weil Kosten durch Kinder häufig sehr hoch sind. Das
heißt, das Kindergeld soll auf 328 Euro steigen - das ist
keine Mondzahl -,
({5})
statt 192 Euro für das erste und zweite Kind, die es ab
2017 gibt, was Sie beschlossen haben . 328 Euro entsprechen der steuerlichen Entlastung, die Spitzenverdiener
aus dem Kinderfreibetrag erhalten . Ihnen ist nicht jedes
Kind gleich viel wert . Denn es gibt Familien wie meine
Familie, mit einem guten Einkommen und zwei Kindern,
die vom Kinderfreibetrag in Höhe von 328 Euro pro Kind
profitieren, und es gibt Durchschnittsverdienerfamilien da reden wir noch nicht einmal von armen Familien -, die
192 Euro pro Kind bekommen . Diese Kinder sind Ihnen
nicht gleich viel wert . Sie belasten insbesondere geringe
und durchschnittliche Einkommen und entlasten Spitzenverdiener . Diese Ungerechtigkeit gehört beseitigt .
({6})
Zum Unterhaltsvorschuss ist viel gesagt worden . Alle
hier im Haus wollen inzwischen den Unterhaltsvorschuss
ausweiten . Wir wissen, dass wir damit viele Menschen
aus dem Hartz-IV-System herausbekommen können,
dass sie dann Leistungen bekommen können, die deutlich unbürokratischer vergeben werden und deren Bezug
nicht mit Sanktionen belegt werden kann . Aber dann tun
Sie es endlich auch, und beenden Sie das Schwarzer-Peter-Spiel mit den Ländern!
({7})
Wenn die Bundesregierung einen Vorschlag machen
würde und sagen würde: „Wir übernehmen die Kosten
der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses“, dann würde
es im Bundesrat kein Bundesland geben, das mit Nein
stimmt . Das wissen Sie . Was Sie beim Unterhaltsvorschuss fabriziert haben, ist, kurz vor Weihnachten auf
dem Rücken der Familien Politik zu machen, und das ist
inakzeptabel .
({8})
Zweitens . Wir wollen Leistungen bündeln und Familienstellen einrichten . Da werden Sie jetzt wieder sagen:
Das sind bürokratische Monstren . - Ich sage Ihnen: Es ist
eine bürokratische Überforderung für Familien, dass sie
erst zum Arbeitsamt gehen und Kindergeld beantragen
müssen, dass sie dann zum Jobcenter gehen müssen, um
die Aufstockungsleistungen zu beantragen, dass sie dann
zum nächsten Amt, danach zur Kommune gehen müssen,
um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu
beantragen . Nein, das wollen wir in einem Antrag, an einer Stelle bündeln, um es niedrigschwellig zu gestalten
und es den Familien zu erleichtern, diese Leistungen in
Anspruch zu nehmen . Denn wir wissen, dass es heute
viele Menschen gibt, die Leistungen nicht in Anspruch
nehmen und auch deswegen arm sind . Diese Hürden
wollen wir über die Einrichtung von Familienstellen in
den Kommunen abbauen, bei denen die Menschen ihren
Anspruch auf Leistungen unbürokratisch verwirklichen
können .
({9})
Drittens . Wir wollen den Ausbau der Kinder- und
Jugendhilfe, und wir wollen auch den Ausbau von Teilhabeleistungen und infrastrukturellen Leistungen . Ob
Bibliotheken, Schwimmbäder, Sporteinrichtungen, Musikschulen oder Freizeit- und Kultureinrichtungen - alle
Kinder sollten die Möglichkeit haben, diese Einrichtungen zu besuchen und zu nutzen . Deswegen wollen wir
den Zugang gebührenfrei, niedrigschwellig und barrierefrei gestalten, damit es zu keiner Diskriminierung der
Kinder, die arme Eltern haben, in armen Familien leben
und sich den Bibliotheksbesuch oder den Kinobesuch
möglicherweise nicht leisten können, gegenüber den
Kindern kommt, die in Familien mit gutem Einkommen
leben . Wir wollen diese Kinder gleichstellen, damit die
Armut für sie wenigstens nicht mehr spürbar ist .
({10})
Also: Es reicht nicht, Kinderarmut zu beklagen, so wie
Sie das in jeder Rede hier tun . Lassen Sie uns Kinderarmut endlich reduzieren! Damit können wir heute unmittelbar anfangen . Diesen Schritt sollten wir endlich tun,
damit wir den Zynismus Ihrer Reden in Zukunft nicht
mehr ertragen müssen .
Vielen Dank .
({11})
Die Kollegin Gülistan Yüksel spricht jetzt für die SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sitzen alle hier, um Politik für die Gegenwart und Zukunft Deutschlands zu machen . Wir verfolgen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und Ansichtsweisen . Wir diskutieren und streiten demokratisch, und
das ist gut so . Es gibt allerdings auch Themen, bei denen
wir deutlich größere Einigkeit zeigen, und auch das ist
gut so - so etwa beim gemeinsamen Anliegen, Kinder
und Familien aus Armut zu befreien . Wir haben hier einen sehr umfassenden Antrag mit vielen guten Wünschen
vorliegen . Ich erkenne an, dass Sie auch mit dieser parlamentarischen Initiative eine richtige Debatte zur richtigen Zeit anstoßen . Kein Kind, keine Familie sollte in
Deutschland arm sein .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Kindern geht
es gut . Sie können Zeit im Kreise ihrer Familie verbringen, können ein breites Freizeitangebot genießen, leben
gesund . Es gibt aber auch viele Kinder in Deutschland,
denen es weniger gut geht, die in Armut leben und sich
eben nicht so entwickeln können, wie es jedes Kind verdient . Und das, meine Damen und Herren, dürfen wir
nicht zulassen . Kinderarmut darf es in Deutschland nicht
geben, und sie darf sich auf gar keinen Fall verfestigen .
({1})
Wir dürfen kein einziges Kind zurücklassen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder, die in Armut leben, haben weniger Chancen in der Kita, der
Schule und beim Berufseinstieg . Kinderarmut ist nicht
nur eine Beeinträchtigung in der aktuellen Lebenslage,
sondern beeinträchtigt auch das Entwicklungspotenzial
für das ganze Leben . Deshalb müssen wir einerseits für
beste Bildungsangebote von Anfang an sorgen, und andererseits müssen wir sicherstellen, dass die Eltern stark
sind . Zentral dafür sind existenzsichernde Jobs, eine gute
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie passende Familienbildungsangebote .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlament
haben viele wichtige Grundsteine dafür gelegt . Wir haben in die Qualität und in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert . Dabei möchte ich insbesondere Programme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“ erwähnen .
Kinder sollen dadurch bereits im frühen Alter beste StartNorbert Müller ({2})
bedingungen erhalten. Wir unterstützen auch finanziell:
Ich möchte beispielhaft das Elterngeld, das Kindergeld
und den Kindergeldzuschlag nennen, Geld, das direkt bei
Familien und Kindern ankommt . Wichtig ist auch die Reform des Unterhaltsvorschusses, weil gerade Kinder in
Alleinerziehenden-Haushalten oft von Armut betroffen
sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Kinderarmut sprechen, dann müssen wir auch auf die Ausbildungskosten eingehen . Für den sozialen Aufstieg von
Familien und Kindern ist das ein sehr wichtiger Pfeiler .
Wir haben daher mit der BAföG-Reform spürbare Leistungsverbesserungen geschaffen, und das für noch mehr
Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende. Umso mehr finde ich es sehr schade und einen
sozialen Rückschritt, wenn, wie aktuell in NRW, über
die Wiedereinführung der Studiengebühren gesprochen
wird; aber das nur am Rande .
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, in unseren Kindern steckt nicht weniger
als die Zukunft. Sie werden Pfleger, Facharbeiter, Erzieher, Lehrer oder Wissenschaftlerin, Künstlerin oder
Ärztin . Ja, sie werden auch Politikerinnen und Politiker
der Zukunft sein . Kurzum: Sie werden die Gesellschaft
gestalten . In ihnen steckt das noch unentdeckte Potenzial unserer Gesellschaft, und wir müssen noch einiges
gegen Armut tun, damit sich das Potenzial eines jeden
Menschen entfalten kann .
Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung .
Schon in der letzten Sitzungswoche haben wir auf Antrag
der Grünen über Armut gesprochen; auch dieser Antrag
geht in die richtige Richtung . So wäre es sinnvoll, einen
gemeinsamen Aktionsplan von Bund, Ländern und Kommunen gegen Armut aufzulegen .
({4})
Auch eine kinder- und familienfreundliche Arbeitswelt
würde Armut entgegenwirken .
Angesichts so mancher guter Ansätze, die wir heute
von verschiedenen Rednern gehört haben, freue ich mich
auf die weiteren Beratungen und lade Sie alle herzlich
ein, uns auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe
und Chancengleichheit zu begleiten; denn Entscheidungen, die wir heute treffen, werden schon in wenigen Jahren Wirkung entfalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafür
sorgen, dass unsere Kinder in Vielfalt aufwachsen können . Lassen Sie uns das kommende Jahr gemeinsam zum
Jahr für das Wohl von Familien und insbesondere von
Kindern machen . Jetzt wünsche ich Ihnen allen schöne
Festtage und einen guten Start in ein friedliches Jahr
2017 .
Herzlichen Dank .
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Yüksel hat gerade gesagt: Wir dürfen kein Kind in
Deutschland zurücklassen . - Das ist sehr richtig, aber wir
lassen Kinder in Deutschland zurück, und das nicht nur
in Einzelfällen, sondern in ganz vielen Fällen . Man muss
es so deutlich sagen: Das ist ein Skandal . Wir müssen die
Verringerung der Kinderarmut in Deutschland endlich
als oberste Priorität unserer Arbeit benennen .
({0})
Werfen wir einen Blick auf die Zahlen . Fast 2 Millionen Kinder beziehen Hartz-IV-Leistungen, und diese
Zahl ist weitgehend konstant, trotz guter ökonomischer
Situation . Bei der aktuellen Regelsatzberechnung hat die
Bundesregierung übrigens die Ausgaben für Weihnachtsbaum und Adventsschmuck herausgenommen . Auch
durch so etwas lassen wir Kinder zurück .
2,5 Millionen Kinder in Deutschland leben unter der
Armutsgrenze, wobei hier der gesamte Haushalt, also
auch das Einkommen der Eltern, berücksichtigt werden
muss . Die Aussagekraft dieser Zahl ist eben infrage gestellt worden, und sie ist als rein statistische Größe bezeichnet worden . Ich würde im Gegensatz dazu sogar
noch weitergehen: Wenn man sich die Armutsgrenze genau betrachtet, sieht man, dass Kinderarmut unterschätzt
wird . Für einen alleinstehenden Erwachsenen liegt die
Armutsgrenze - das ist eben schon gesagt worden - bei
1 033 Euro, für ein Kind bei 310 Euro . Das sächliche
Existenzminimum liegt in Deutschland ab dem 1 . Januar 2017 bei 393 Euro . Armut von Kindern wird, wenn
die EU-Definition von Armut herangezogen wird, unterschätzt . Wahrscheinlich - auch das muss man deutlich
sagen - sind sogar mehr als die 2,5 Millionen Kinder
von Armut betroffen . Kinderarmut ist in Deutschland ein
Skandal, und so muss man das benennen .
({1})
Heute geht es vor allen Dingen um den Antrag der Linken . Wenn man den Antrag der Linken mit dem Antrag
der Grünen, über den wir in der letzten Sitzungswoche
debattiert haben, vergleicht, kann man die unterschiedlichen Ansätze von Linken und Grünen sehr gut erkennen .
Die Linken nehmen das jetzige System der Familienförderung, nehmen einfach eine Schippe mit ganz viel Geld
und schütten noch mehr Geld rein . Wir gucken uns das
System genau an . In Deutschland wird ja viel Geld für
Familienleistungen ausgegeben .
({2})
Wir gucken, wie man das Geld effektiver, sinnvoller, effizienter einsetzen kann, um Kinderarmut zu beseitigen.
({3})
Dabei muss man in erster Linie das Ehegattensplitting in
den Blick nehmen . Das taucht in dem Antrag der Linken
interessanterweise überhaupt nicht auf . Wir geben viel
Geld für das Ehegattensplitting aus . Damit werden einerseits Familien gefördert, andererseits aber auch viele
Paare, die keine Kinder haben . Umgekehrt werden Familien, die eine Förderung nötig hätten, nicht gefördert,
weil die Eltern nicht verheiratet sind oder weil es sich um
Alleinerziehende handelt . Deswegen sagen wir als Grüne: Wir müssen umsteuern, von der Förderung der Ehe
hin zur Förderung der Kinder .
({4})
Deswegen fordern wir eine einheitliche, eine einkommensunabhängige Leistung, die endlich Schluss macht
mit der Ungerechtigkeit - das hat meine Kollegin Katja
Dörner auch schon angesprochen -, dass wir als Bundestagsabgeordnete mehr herausbekommen als ein Normalverdiener . Wir brauchen eine einheitliche Leistung, die
mindestens so hoch ist wie die Steuerersparnis, die uns
gewährt wird . Am besten wäre es, wenn sie so hoch wie
der höchste Regelsatz für Kinder wäre . Das wäre eine
Basis .
Das verknüpfen wir, wie gesagt, mit der Reform des
Ehegattensplittings . Wir wollen, dass neu verheiratete
Paare diese Kindergrundsicherung erhalten und die Partner individuell besteuert werden, das Ehegattensplitting
also nicht mehr zur Anwendung kommt . Paare, die bereits verheiratet sind und das Ehegattensplitting nutzen,
sollten in das neue System wechseln können . Uns ist
wichtig, dass mit dieser Reform Familien nicht schlechtergestellt werden, sondern möglichst alle Familien bessergestellt werden .
({5})
Der zweite Punkt im Antrag der Linken, der mich erstaunt hat, betrifft die Reform des Kinderzuschlags . Der
Kinderzuschlag ist ein unglaublich bürokratisches Monstrum . Er sorgt für sehr viel Bürokratie, und das Geld
kommt nicht bei den Kindern an . Doch was sagen die
Linken dazu? Die Linken wollen ihn massiv ausweiten .
Der Kinderzuschlag soll bis zu 300 Euro betragen . Dadurch würde der bürokratische Aufwand noch sehr viel
größer . Das würde massenhaft Geld kosten, aber das
Geld würde nicht unbedingt bei den Kindern, die es am
nötigsten brauchen, ankommen . Das ist nicht der Weg,
den wir Grüne gehen wollen . Der Kinderzuschlag gehört
grundlegend reformiert . Eigentlich gehört er in der Form,
in der er jetzt besteht, abgeschafft .
({6})
- Er ist von den Grünen mit eingeführt worden; das ist
richtig . Die Grundidee ist ja eigentlich nicht schlecht;
({7})
aber so, wie er gemacht worden ist - das muss man im
Nachhinein sagen -, funktioniert er nicht .
({8})
Deswegen schlagen wir einen einkommensabhängigen
Zuschlag für alle Kinder vor, damit das sächliche Existenzminimum für alle unbürokratisch garantiert wird .
Wir wollen nicht den bürokratischen Kinderzuschlag,
sondern entweder einen einkommensabhängigen Zuschlag zum Kindergeld oder - in dem neuen System einen einkommensabhängigen Zuschlag zur Kindergrundsicherung . So können wir gewährleisten, dass die
Leistungen dort ankommen, wo sie gebraucht werden .
So kann endlich das Existenzminimum aller Kinder in
Deutschland garantiert werden .
Wenn der politische Wille dafür da wäre, könnten wir
Kinderarmut drastisch reduzieren, vielleicht sogar beseitigen . Das muss doch Aufgabe für uns alle sein . Ich
fordere insbesondere die SPD und die Union auf, endlich
etwas dafür zu tun . Vorschläge von den Linken und von
uns liegen vor . Die Vorschläge der Linken sehen wir als
teilweise problematisch an; aber von Ihnen kommt überhaupt nichts .
Die Bekämpfung der Kinderarmut sollte oberste Priorität haben .
({9})
Wir können das, und wir sollten das endlich tun . Keine
Ausreden mehr!
({10})
Die Kollegin Dr . Silke Launert spricht jetzt für die
CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Viele von Ihnen sind Eltern und sind wahrscheinlich wie ich seit einiger Zeit damit beschäftigt, den Weihnachtswunschzettel
ihrer Kinder abzuarbeiten . Das machen wir gerne; denn
wir wollen unseren Kindern nächste Woche an Heiligabend mit kleinen und größeren Geschenken eine Freude
machen . Sie sollen strahlen, wenn sie den Puppenwagen,
den Kaufladen oder vielleicht ein paar neue Skier auspacken .
Doch was ist, wenn das Geld dafür nicht reicht, wenn
nicht genug da ist, um ein etwas größeres Geschenk zu
kaufen? Natürlich hat mancher nicht so viel Geld zur
Verfügung, aber ein kleines Geschenk ist immer möglich .
Diese Sozialsicherung haben wir . Es ist schon schwer ich stelle mir dieses Gefühl als Mutter vor -, wenn man
die Wünsche der Kinder nicht erfüllen kann und man
weiß, dass die Freunde der Kinder sie erfüllt bekommen .
Tatsächlich gibt es diese Fälle . Daher muss man sich diese auch anschauen . Das ist völlig richtig . Dabei ist die
Frage nach dem Weihnachtsgeschenk sicherlich nicht das
größte Problem .
Jahr für Jahr kommen neue Statistiken heraus, die belegen, wie viele Kinder in Deutschland arm sind oder von
Armut bedroht sind, wobei über die Details diskutiert
und gestritten werden kann . Mal sind es ein paar Prozent
mehr, mal ein paar Prozent weniger . Auch regional gesehen gibt es große Unterschiede . In Bayern gibt es übrigens bundesweit gesehen am wenigsten Kinder, die armutsgefährdet sind oder in Armut leben . In Bremerhaven
gibt es die meisten . Zuletzt hat die Bertelsmann-Stiftung
neue Zahlen geliefert . Demnach sind deutschlandweit
fast 2 Millionen Kinder auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen . Das größte Armutsrisiko - wir haben es heute
schon mehrfach gehört - haben den Daten zufolge Kinder von Alleinerziehenden und Kinder aus Familien mit
mehr als zwei Kindern . Das hat allerdings nichts mit der
Familie als solcher zu tun, sondern mit dem ökonomischen Hintergrund dieser Familien .
Die Folgen von Kinderarmut wurden heute schon
mehrfach angesprochen: Sie sind bitter und ziehen sich
durch das ganze Leben . Kinder aus armen Verhältnissen haben in der Regel schlechtere Bildungschancen,
was sich auf ihr späteres Erwerbsleben auswirkt . Man
kann also sagen, dass Armut sozusagen vererbt wird .
Auswirkungen hat die Armut auch auf die Gesundheit .
Man glaubt nicht, was der Zustand der Zähne, das Ernährungsverhalten, mögliche Schlafstörungen oder auch die
Körperhaltung von Kindern über ihr Leben alles preisgeben können . Schließlich ist es auch so, dass Kinder aus
armen Familien häufiger an psychischen Krankheiten
leiden. Auch der Sport kommt bei ihnen häufig zu kurz.
Nachweislich sitzen Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger vor dem Computer oder Fernseher.
Ich möchte trotzdem etwas anmerken . Mehrfach wurde hier gesagt, dass Kinder kein Frühstück bekommen
oder kein warmes Essen . Tatsache ist, dass das Geld für
das Frühstück, für Brot und Butter, in den Sätzen enthalten ist .
({0})
Ich selbst bin nicht in finanziell starken Verhältnissen
groß geworden, aber meine Mutter hat immer dafür gesorgt, dass wir all das, was wirklich wichtig ist - dazu
gehört auch Zeit mit den Kindern -, hatten . Es hat uns an
nichts gefehlt .
({1})
- Auch einen Käse von Aldi kann man sich noch leisten;
glauben Sie mir . Man braucht ihn auch nicht jeden Tag
auf dem Frühstücksbrot .
Fakt ist: Wie gesund Kinder in Deutschland leben,
hängt auch von den finanziellen Verhältnissen der Eltern
ab .
({2})
Deshalb ist das Anliegen richtig . Wir müssen es aufgreifen und etwas tun .
({3})
Ich weiß, dass wir gerade in der aktuellen Situation besonders Flüchtlingskinder vor Augen haben - sie brauchen natürlich unsere Hilfe -, aber wir dürfen darüber
nicht diejenigen Kinder vergessen, deren soziale Situation nicht gleich so offensichtlich ist . Armut ist oft unsichtbar . Wer will schon offen zeigen, dass er mittellos
ist? Lieber wird am Ende des Monats vielleicht das Geld
für das Frühstück im Hort vergessen, oder ein Ausflug
wird nicht mitgemacht, weil man zufällig keine Zeit hat .
Niemand will zugeben, dass er sich das, was für viele
selbstverständlich ist, nicht leisten kann .
Wir alle tragen gemeinsam die Verantwortung für unsere Kinder; denn sie sind unsere Zukunft . Insofern stimme ich mit Ihnen überein . Wir alle müssen investieren
und schauen, wie wir es schaffen, Chancengleichheit und nicht materielle Gleichheit - zu schaffen .
In der laufenden Wahlperiode haben wir einiges getan - das wurde schon dargelegt -: Der Familienetat für
2017 wurde auf 9,2 Milliarden Euro aufgestockt, so viel
wie noch nie zuvor . Es gab eine Erhöhung des Kinderzuschlages . Wir haben bei Alleinerziehenden den Entlastungsbetrag um 600 Euro erhöht, und jetzt gehen wir
den Unterhaltsvorschuss an . Ich freue mich sehr, dass wir
hier einig sind, und ich bedauere es ebenso wie Sie, dass
Frau Schwesig dies leider durchgeboxt hat, ohne vorher
die Finanzierung sicherzustellen und die Länder und die
Kommunen mit ins Boot zu holen .
({4})
Jetzt werden wir es sicherlich noch hinbekommen . Geben Sie uns halt noch die paar Monate Zeit .
({5})
Das ist doch ein Kampf um nichts .
({6})
Damit werden wir jetzt ungefähr 100 000 Kindern zusätzlich helfen, und es wird auch Kinder aus der Armut
bringen .
Wichtig ist die gute Infrastruktur; auch das wurde
schon angesprochen . Aber jetzt lassen Sie mich trotzdem
etwas zu diesem Antrag sagen: Die Intention ist richtig,
die Mittel sind falsch . Die Grünen haben es erkannt . Der
Fehler besteht darin, einfach ganz viel Geld reinzukippen und reinzukippen . Letztlich ist es, wenn man sich
das Ganze durchliest, eine Zusammenfassung aller Forderungen der Linken, also: nicht nur Verdoppelung des
Kindergeldes und Erhöhung des Kinderzuschlags, sondern auch kostenfreie Kinderbetreuung, kostenfreie Hobbys, Zugang zu allem, ein Rundum-sorglos-Paket bei der
Beantragung aller sozialen Leistungen, Sicherstellen,
dass auch ja niemand irgendeine Leistung des Staates
verschenkt, Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro,
({7})
gebührenfreier Zugang zum öffentlichen Nahverkehr,
sanktionsfreies Hartz-IV-System,
({8})
Erhöhung der Hartz-IV-Beträge, Anspruch auf Ausbildung, Verpflichtung aller Unternehmen, Leute auszubilden,
({9})
Erhöhung des BAföG; Punkt, Punkt, Punkt . Es handelt
sich hier um ein Wunschpaket der Linken nach dem Motto „Wünsch dir was“ . Sie haben natürlich keine Angaben
dazu gemacht, was es kostet, keine Angaben zur Gegenfinanzierung . Ich weiß es nicht: Sind es 100 Milliarden, die
Sie hier wollen, wenn man alles durchrechnet? Sie haben
ja keine einzige Zahl genannt . Vorhin haben wir bei einem Kollegen allein beim Kindergeld die Hochrechnung
von 20 Milliarden Euro gehört . Entweder gilt „Wünsch
dir was“, oder das Motto ist: Wir drucken einfach mal,
wir lassen einfach mal die Gelddruckpresse loslaufen .
({10})
Diesen Wunschzettel wird das Christkind zu Weihnachten nicht erfüllen .
Vielen Dank .
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Artikel zum Thema
frühe Hilfen; er ist mit „Die drei K’s“ überschrieben . Es
geht jetzt ganz bestimmt nicht um Kinder, Küche, Kirche; vielmehr heißt der ganze Titel „Die drei K’s: Kinderarmut - Kinderschutz - Kommunen“ . Wenn es um
Kinderarmut geht, bleiben zwangsläufig Diskussionen zu
Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von monetären Leistungen nicht aus . Geld ist wichtig, um die Existenz zu
sichern, keine Frage . Aber was ich für mindestens ebenso
wichtig halte, ist die soziale Infrastruktur; denn sie ist die
zentrale Grundlage . Sie kann Chancen und damit auch
Wege aus der Armut eröffnen . Sie kann Chancen aber
auch verwehren, nämlich dann, wenn sie fehlt oder zu
wenig zielgerichtet ist .
Die maßgebliche Infrastruktur, wenn Kinder, Jugendliche und ihre Familien im Fokus stehen, ist für mich die
Kinder- und Jugendhilfe, auch wenn die Kinder- und Jugendhilfe in Ihrem Antrag vielleicht nicht ganz so präsent
ist wie Ihre Vorschläge zu konkreten Geldleistungen oder
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen .
({0})
Mir ist es in dieser Debatte aber wichtig, auch noch
einmal ganz genau auf die Kinder und Jugendlichen
selbst zu schauen, für die Sie hier einen sehr umfangreichen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung vorschlagen .
Bei der Kinder- und Jugendhilfe scheinen Sie vor allem
in Sonderprogrammen absolute Allheilmittel zu sehen .
Das klingt für mich aber zu sehr nach der berühmt-berüchtigten Gießkanne .
Wir alle wissen, dass Armut in der Kindheit ein großes
Entwicklungsrisiko darstellt . Armut kann sich verfestigen und damit den Lebenslauf nachhaltig prägen . Armut
kann sich damit auch vererben . Umso wichtiger ist es,
präventive Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe weiter
auszubauen - da gebe ich Ihnen recht -, aber eben zielgerichtet . Das wiederum geht nun einmal nur im engen
Schulterschluss mit den Kommunen; denn die Kommunen sind es, die die Kinder- und Jugendhilfe verantworten . Diese wichtige, weil zentrale, Rolle der Kommunen
kommt mir in Ihrem Antrag zu kurz .
Deshalb noch einmal zurück zu „Kinderarmut - Kinderschutz - Kommunen“: Armut hat viele Gesichter, enttäuschte, traurige, zornige, weinende; denn zur materiellen Armut gesellen sich in vielen Fällen Bildungsferne,
ein Mangel an Teilhabemöglichkeiten, beispielsweise
in Sportvereinen oder im Musikunterricht, und leider
oft auch gesundheitliche Probleme . Dass das alles vom
Geldbeutel der Eltern abhängt, ist ungerecht; ich glaube,
darin sind wir uns alle einig . Genau hier müssen wir handeln; das ist keine Frage .
Armut existiert aber nicht im luftleeren Raum, sondern innerhalb von Wohnquartieren und Stadtvierteln mal deutlicher, mal weniger offensichtlich . Deshalb
brauchen wir auch ressortübergreifende Ansätze . Ein gutes Beispiel ist das Bundesprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“, das die SPD-Ministerinnen Manuela
Schwesig und Barbara Hendricks in dieser Legislaturperiode gemeinsam neu auf den Weg gebracht haben .
({1})
In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, führen Sie zu Recht diejenigen an, die von den Angeboten
der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht werden . Genau hier setzt „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ an: in
der direkten Wohn- und Lebenswelt der Kinder und ihrer
Familien . Dass wir das überaus erfolgreiche Städtebauprogramm „Soziale Stadt“ mit niedrigschwelligen sozialpädagogischen und gezielten Förderangeboten für junge
Menschen hiermit zusammengeführt haben, halte ich für
ganz zentral und wegweisend . In diesem Modellprojekt
sind die Kommunen nicht nur mit im Boot, sondern sie,
die Experten vor Ort, bestimmen auch, welche Angebote
am besten zu den Gegebenheiten der jungen Menschen
dort passen .
Es gibt auch andere Beispiele . In meiner Heimatstadt
Augsburg gibt es den Verein „Kinderchancen“ . Hier
richtet sich die Förderung zunächst, im ersten Schritt,
ganz gezielt an den Bedürfnissen der Kinder aus . Natürlich gibt es auch Unterstützung für die Eltern, beispielsweise wenn es um komplizierte Anträge geht; aber im
Mittelpunkt steht das Kind . So ermöglichen wir Sportoder Musikunterricht, organisieren Nachhilfe oder auch
Sprachförderung, und das alles so unbürokratisch wie
möglich und mit der Unterstützung eines breiten Netzwerks vor Ort . Dazu gehören Ämter, Kitas, Schulen, Ehrenamtliche, Sozialpartner usw .
Unser Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe; denn das
Ziel dieses Projekts besteht nicht nur darin, große und
kleine Steine, die die gesellschaftliche Teilhabe behindern, aus dem Weg zu räumen - das kann zum Beispiel
das erste Paar Sportschuhe sein -, sondern uns geht es
auch darum, Kinder und Familien eine bestimmte Zeit zu
begleiten, um sie im Hinblick auf ihre individuellen Fähigkeiten zu stärken, damit dieses Wissen um die eigenen
Stärken zum Fundament eines selbstbestimmten Lebenswegs wird . Auch das ist Armutsprävention .
({2})
Natürlich sind hier auch SGB-VIII-Leistungen wie die
aufsuchenden Angebote Früher Hilfen, Erziehungsberatung, Familienberatung und Jugendsozialarbeit ganz
wichtige, wesentliche Elemente .
Alle, die in der Kinder- und Jugendhilfe engagiert
sind, wissen: Jeder Euro zählt . Umso wichtiger ist es,
dass wir zielgerichtete Hilfsangebote schaffen und sie
weiterentwickeln . Das funktioniert nicht starr mit Weisungen von oben nach unten, sondern nur gemeinsam mit
den Kommunen und den Akteuren vor Ort .
Ich danke Ihnen .
({3})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Martin
Patzelt .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste in unserem Haus! Über die Relativität des Armutsbegriffes
möchte ich mich nicht mehr äußern; das haben meine
Vorredner zur Genüge getan .
({0})
- Das ist Ihre Meinung . - Ich möchte auch nicht über
die Armut an sich reden . Ich will aber bei all dem, was
ich Ihnen jetzt sagen werde, betonen: Natürlich bin ich
davon überzeugt, dass ein Minimum an materieller Ausstattung nötig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu
führen - genau darüber entscheidet in Deutschland aber
nicht nur der Bundestag, sondern auch das oberste Gericht -, und dieses Geld reicht nicht .
Wenn Eltern im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten, der Angebote, die ihnen gemacht werden, und vor
allen Dingen der Kompetenz, die sie haben, zusätzliche
Hilfsangebote suchen und nutzen - ein Beispiel ist die
Tafel -, dann geschieht das, weil sie die Grundleistungen, die sie bekommen, um leben zu können und das
Frühstücksbrot für ihre Kinder finanzieren zu können,
optimieren . Und wenn sie in Secondhandläden einkaufen - auch einmal ein Paar teure Skier und Markenklamotten -, dann tun sie das, weil sie ihr - zugegebenermaßen niedriges - Einkommen optimieren wollen . Daraus
zu schließen, dass sie in lebensbedrohlicher Not sind, ist
einfach falsch, sondern ihnen gelingt es, zu optimieren .
Wissen Sie, wenn ich am Wochenende mal einkaufen
gehe und an der Kasse im Supermarkt stehe und sehe,
was mir bekannte Menschen - ich war einmal Bürgermeister der Stadt; man kennt sich - in ihren Einkaufskörben haben, dann überkommt mich bitter, dass sie das wenige Geld, das sie haben, für Artikel ausgeben, die nicht
nachhaltig sind, die bald kaputt sind und ihren Kindern
nicht lange Freude machen werden .
({1})
Was will ich damit sagen? Ich will sagen, dass wir
nicht nur eine Armut an materieller Ausstattung unserer
Familien haben .
({2})
Die haben wir; das ist unbestritten . Ich will nicht missverstanden werden . Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, was die Regierungskoalition und auch
die CDU/CSU in den vergangenen Jahren, auch in den
Jahren vor dieser Koalition, an wirklich entscheidenden
und nachhaltigen finanziellen Förderungen auf den Weg
gebracht haben . Finanzielle Förderung scheint immer
das Einzige zu sein, was wir anzubieten haben, wenn es
um Nöte in der Gesellschaft geht . Lassen Sie mich auf
eine Armut hinweisen, die Kinder auch haben . Das ist
die Armut an Selbstbewusstsein . Von Ihnen wird dann
immer gleich gesagt: Ja, wenn sie mehr hätten, ein neues
Handy oder eine bessere Schultasche und bessere Kleidung, dann wäre ihr Selbstbewusstsein sofort aufgewertet . Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist
doch eine Spirale .
({3})
In dem Moment, in dem sie das Neueste haben, haben
die anderen schon wieder etwas Neueres . Das ist eine
Spirale, die in die Irre führt, weil unsere Kinder diesem
Trend - diesem Trend, dem wir alle mehr oder weniger
folgen - immer nachlaufen werden .
({4})
Es geht um das Glück von Kindern . Es geht nicht
darum, immer mehr zu haben . Die Armutsgrenze wird
sich doch ständig verändern . Warum haben wir wieder
mehr Armut nach der Statistik? Weil das allgemeine
Einkommen gestiegen ist . Immer wenn das allgemeine
Einkommen steigt, wird natürlich sofort die Zahl der Armen größer, weil wir nicht schnell genug nachkommen,
die entsprechenden Anpassungen der unterschiedlichen
Leistungen im Parlament vorzunehmen .
({5})
Dieser Zusammenhang ist von meinen Vorrednern deutlich gemacht worden .
Ich möchte den Kindern, für die ich auch als Mitglied
des Familienausschusses Verantwortung habe - es sind
die Kinder unseres Landes -, helfen, dass sie einen sicheren Selbststand haben, einen Selbststand, der nicht nur
davon abhängt, welche materielle Ausstattung sie haben .
Sie sollen Wissen erwerben können, sich kulturell engagieren können, konfliktfähig sein. Ich habe in den letzten Tagen in der Presse wieder gelesen, was auf unseren
Schulhöfen los ist, dass immer mehr Sozialarbeiter und
Psychologen eingestellt werden müssen, weil die Kinder
in einer Weise miteinander umgehen, dass die Lehrer es
nicht mehr schaffen, die Konflikte zu regeln.
({6})
Es geht um die Kompetenzen der Kinder, ihre Ausstattung mit Empathie, die Erfahrungen, die sie in ihrem
Leben machen, und ihre Lebensräume . Wie machen wir
denn Urlaub? Wir packen sie in die Kiste und fahren
Hunderte von Kilometern mit ihnen an einen Urlaubsort,
statt den Nahraum um unseren Wohnort, unser Land zu
erkunden . Ich kenne viele Kinder, die nicht einmal ihre
nähere Heimat kennen . Wir glauben, wir müssen ihnen
immer mehr und mehr geben, statt die Welt, in der sie
leben, mit den Mitteln, die wir haben, auszugestalten .
Ich sage das aus eigener Erfahrung . Ich habe mit Kollegen im Vorgriff auf diese Debatte gesprochen . Ein Kollege sagte mir gestern: Ich war zwar arm; aber ich konnte
mich wenigstens ausschlafen . - Ich komme jeden Tag mit
der U-Bahn und sehe, wie die Mütter die Kinderwagen in
die U- und S-Bahnen zwängen . Sie haben kaum Platz,
auch wegen der vielen Fahrräder, und es ist kalt und nass .
Dann denke ich: Ein reiches Land; aber die Kinder können nicht einmal ausschlafen . - Und wenn sich Frauen
in dieser sensiblen Phase des Lebens entscheiden, die
Infrastrukturangebote noch nicht wahrzunehmen und zu
Hause zu bleiben, und die Fraktion von CDU/CSU sagt,
diesen Frauen ein Betreuungsgeld zu zahlen, damit wir
ihnen eine Anerkennung für diese gesellschaftliche Leistung geben, dann wird das ideologisch verfemt, dann ist
das eine Herdprämie .
({7})
- Ich sage das nicht aus parteipolitischen Gründen . Ich
sage das, weil ich ernste Sorge habe, wenn wir weiter so
mit unseren Kindern umgehen, wenn wir sie in einer sensiblen Phase hemmungslos der öffentlichen Erziehung
ausliefern, wenn wir sie nicht mehr ausstatten mit der
Nähe von Eltern, die ihnen Märchen vorlesen, die noch
nicht kaputt sind vom Karrierekampf und vom Kampf
um noch mehr Geld, das sie verdienen können für ihre
persönliche Entwicklung .
Das alles ist wichtig und richtig; verstehen Sie mich
nicht falsch . Aber wer sich für Kinder entscheidet, der
muss wissen, dass diese Kinder die Eltern brauchen, dass
sie Zeit mit ihnen brauchen, Empathie, Zuwendung und
Zuhören .
({8})
Ich habe mich einmal damit beschäftigt, welche Jugendlichen eigentlich in rechten und linken extremistischen
Gruppen landen . Zum großen Teil sind das heimatlose
junge Menschen, die eine Ersatzfamilie suchen und in
dieser strengen und für uns alle fast unerträglichen wertbildenden Gruppe dann ein Stück weit ein Ersatzzuhause
finden. Warum ist das so? Weil sie dieses Zuhause in ihrer Kindheit nicht erleben konnten, weil wir außenorientiert sind und sagen: Wir müssen mehr Knete machen!
Wir müssen Karriere machen! - Wer sich für Kinder entscheidet, der sollte einberechnen, dass das für bestimmte
Zeiten ein Stückchen Karriere kosten kann .
Wir haben in unserem Parlament, in der Regierung
und in der Wirtschaft viele Kinderreiche . Die Managerin der Berliner Verkehrsbetriebe hat, glaube ich, sieben
Kinder .
Kollege Patzelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Sabine Zimmermann?
Nein, danke . Ich möchte in meinen Gedanken jetzt
nicht unterbrochen werden . - Es gibt genug Beispiele
von Frauen, die sogar überdurchschnittlich viele Kinder
hatten, bei ihren Kindern geblieben sind und sie mit hoher Kompetenz ins Leben geführt haben .
Denken Sie doch selber daran: Wir Älteren kommen
nicht alle aus vermögenden Haushalten . Ich komme
aus einer armen Familie und verschiedene Kolleginnen
und Kollegen auch, wie sie mir gesagt haben - Marcus
Weinberg gerade eben . Wenn es wirklich so wäre, dass
alles am Geld liegt, dann wären wir nicht hier gelandet .
Viele aus armen Verhältnissen wären dann nicht in der
Wissenschaft, der Kultur oder der Kunst gelandet . Ich
möchte nur eines anmahnen, nämlich dass wir miteinander den Blick weiten und sagen: Es liegt nicht alles am
Geld .
({0})
Wir werden mit Geld nicht alles erreichen, was wir brauchen, damit diese Gesellschaft Zukunft und Bestand hat .
Ich bin ganz nah bei einigen Vorschlägen, die Sie in
Ihrer Vorlage gemacht haben, vor allen Dingen auch
bei den strukturellen Vorschlägen der Grünen . Ja, wir
brauchen eine gute Infrastruktur . Ich weiß, ich bin ein
bisschen weg vom Fenster; aber ich würde sogar eine
Schuluniform fordern . In meinem Wahlkreis gibt es ein
Spitzengymnasium . Dort haben sich die Eltern für eine
Schuluniform entschieden . Warum? Weil sie die Stigmatisierung der Kinder untereinander, die auf dem Schulhof
„Assi, Assi!“ schreien, vermeiden wollten . Wenn wir in
diese Strukturen investieren, für Lehrbuchfreiheit sorgen
und bestimmte Ausstattungsgrade für die Schulen fordern wollen, weil wir hier in einer Gemeinschaft lernen
und leben, dann haben wir ein weites Feld der Gestaltung
vor uns . Darauf freue ich mich .
Danke .
({1})
Zum Abschluss dieser Debatte spricht der Kollege
Sönke Rix für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal: Ich habe
gerade das Wort „Karrierekampf“ gehört . Natürlich gibt
es in manchen Familien auch Väter oder Mütter, denen
die Karriere das Wichtigste ist; aber bei den Allermeisten ist dieser sogenannte Karrierekampf der Kampf ums
Überleben, sage ich einmal etwas überspitzt .
({0})
Das ist der Kampf, um die finanzielle Versorgung der
Familie zu sichern . Um heutzutage die Familie vernünftig ausstatten zu können, muss man teilweise mehreren
Jobs nachgehen und müssen Vater und Mutter arbeiten .
Es geht hier also nicht in erster Linie um einen Karrierekampf, sondern darum, dass die Menschen arbeiten
müssen . Daneben geht es auch darum, dass sie arbeiten
wollen . Wir können nicht wollen, dass jemand, der seiner
Arbeit nachgehen möchte, während er Familie hat, seine
Familie vernachlässigen muss . Das ist auf keinen Fall so .
Familie und Beruf müssen miteinander vereinbar sein,
und das sollte Ziel unserer Politik sein .
({1})
Ich bringe morgens meinen Sohn zur Grundschule .
Dort gibt es neuerdings ein Müsli-Buffet, damit sich die
Kinder, die von zu Hause kein Frühstücksbrot mitbekommen oder mitbekommen können, morgens erst einmal
mit einem Müsli versorgen können . Ich danke in erster
Linie denjenigen, die dieses Problem erkannt haben und
sich vor Ort darum kümmern .
({2})
Ihnen gilt unser Dank . Leider ist es notwendig, dass es so
etwas gibt . Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, um auch präventiv gegen die Kinderarmut vorzugehen .
Es wurden in der Debatte schon mehrere Gründe für
Kinderarmut genannt; wir streiten darüber, ab wann Kinderarmut vorliegt und was das Wichtigste zur Bekämpfung von Kinderarmut ist . Ich glaube aber, wir sollten das
nicht gegeneinander ausspielen: Die Situation der Eltern,
die berufstätig sind, ist von Bedeutung . Arbeit ist mit der
wichtigste Faktor, wenn es darum geht, dass die Familien
Geld haben und für ihren Unterhalt sorgen können . Deshalb ist es auch wichtig, dass Arbeit gut bezahlt wird . Es
waren wir in der Großen Koalition, die den Mindestlohn
eingeführt haben,
({3})
und es waren wir diejenigen, die die Tarifbindung gestärkt haben . Das dient besseren Löhnen, besserer Bezahlung .
({4})
Auch die Regulierung von prekären Arbeitsverhältnissen
haben wir uns auf die Fahne geschrieben . Nicht umsonst
haben wir bei Werkverträgen und Zeitarbeit eine stärkere
Regulierung beschlossen . Auch das dient dazu, Familien
finanziell besser abzusichern, damit gute Arbeit auch gut
bezahlt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Wir haben noch einiges auf der Tagesordnung, was
dazu beiträgt, Familien finanziell besserzustellen. Dabei
geht es um die Situation von Frauen in Arbeit . Wir haben
noch zwei Gesetzentwürfe - das sage ich in Richtung des
Koalitionspartners - in der Schwebe . Zum einen geht es
um die Pflegeberufe. Wir wollen die Pflegeberufe aufwerten . In diesen Berufen sind überwiegend Frauen tätig,
die schlecht bezahlt werden . Sie erhalten keine vernünftige Anerkennung . Deshalb brauchen wir hier dringend
eine Reform . Der erste Schritt wäre, die Generalistik in
der Pflege einzuführen. Ich bitte Sie darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir diesen ersten Schritt gehen .
({6})
Zum anderen geht es um die Frage der Lohngerechtigkeit . Frauen sollen generell besser bezahlt werden, und
diese Vorgabe soll gesetzlich festgeschrieben werden .
Das Lohngerechtigkeitsgesetz wird noch im Kabinett beraten; wir hoffen, dass es bald ins Parlament eingebracht
wird . Es dient dazu, dass Frauen bei gleicher Arbeit das
Gleiche verdienen wie ihre Kollegen . Wo Ungerechtigkeit herrscht, müssen wir dagegen angehen können; aber
dazu muss die Ungerechtigkeit bekannt sein . Deshalb
brauchen wir mehr Transparenz, und deshalb brauchen
wir das Lohngerechtigkeitsgesetz .
({7})
Vorhin wurde der Satz geprägt: Armut wird vererbt .
Ich weiß nicht genau, wer das gesagt hat; ich habe das
so mitgenommen . Man muss aber auch einmal deutlich
sagen: Auch Reichtum wird vererbt .
({8})
Wir haben es bei der Vorstellung des Armuts- und Reichtumsbericht mitbekommen: Die großen Vermögen sind
nicht so sehr durch Arbeit entstanden, sondern mehr
durch Erbschaften oder durch Maximierung von Kapitalgewinnen . Deshalb halten wir es als Sozialdemokraten
durchaus für richtig, auch in der Steuerpolitik mehr Gerechtigkeit walten zu lassen . Ich bin ganz dicht bei Ihnen,
wenn Sie sagen: Das Ehegattensplitting ist nicht das, was
wir uns unter Familienförderung vorstellen . Wir wollen
weniger die Förderung der Ehe, sondern mehr die Förderung der Familie . - Das wollen wir auch steuerpolitisch
festhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({9})
Zum Unterhaltsvorschuss . Die Debatte darüber haben
wir letzte Sitzungswoche schon geführt; wir werden sie
wahrscheinlich noch häufiger führen. Ich will aber etwas
zur Ausgangslage sagen: Es waren die Ministerpräsidenten aller Länder - auch die Ministerpräsidenten von
Thüringen und Baden-Württemberg, schwarz-grüne Regierungen, rot-grüne Regierungen, Große Koalitionen -,
die 16 : 0 beschlossen haben, dass zum 1 . Januar 2017
die Regelungen zum Unterhaltsvorschuss ausgeweitet
werden sollen . Die Ministerpräsidenten haben diesen
Beschluss gefasst - nicht Frau Schwesig hat diesen Vorschlag übereilt eingebracht -, die Ministerpräsidenten
haben dieses Versprechen gegeben .
({10})
Wir sind diejenigen, die jetzt daran mitwirken sollen,
dass das Versprechen auch eingehalten wird .
Ein Wort noch in Richtung Hessen . Der Äußerung von
Volker Bouffier, mit der Ausweitung könne man bis 2020
warten, kann ich nur entgegenhalten: Es geht nicht an,
innerhalb von ein paar Monaten das eigene Versprechen
zu brechen .
({11})
Damit ist niemandem geholfen, weder den Alleinerziehenden noch der Glaubwürdigkeit von Politik . Dieser
Unterhaltsvorschuss muss so schnell wie möglich kommen . Deshalb bitte ich alle hier im Raum, mit unseren
Ministerpräsidenten, egal welcher Farbe, zu reden und zu
sagen: Wenn ihr ein Versprechen gebt, dann seht auch zu,
dass ihr euch auf die Finanzierung einigt .
Herzlichen Dank .
({12})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission
in Südsudan ({1}) auf Grundlage der
Resolution 1996 ({2}) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011
und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 ({3})
vom 12. August 2016
Drucksachen 18/10188, 18/10547
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10548
Über die Beschlussempfehlung werden wir, wie üblich bei Einsätzen der Bundeswehr, später namentlich
abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
sehe ich keinen . Dann ist auch dieses so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Christoph Strässer für die SPD das
Wort .
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat in Genf zum 26 . Mal
ein Sonderausschuss des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Situation im Südsudan getagt . Zum
26 . Mal! Der aus meiner Sicht wichtigste unter den
Rednerinnen und Rednern ist der Sonderbeauftragte der
Vereinten Nationen für die Verhinderung von Genozid,
Herr Adama Dieng . Er hat die Weltgemeinschaft eindringlichst aufgefordert, nicht wegzusehen, sondern dabei mitzumachen, den Menschen zu helfen, und sagte in
diesem Zusammenhang: Es bereitet sich etwas vor, was
wir sehen, was wir wissen: ein Genozid anhand ethnischer Leitlinien . - Worüber wir heute diskutieren, ist aus
meiner Sicht ein kleiner Beitrag, um das zu verhindern,
um hinzusehen und Lösungen zu präsentieren; aber es ist
selbstverständlich nicht der einzige .
Für diejenigen, die es noch nicht wissen, möchte ich
die Dimensionen des Mandates UNMISS noch einmal
ganz kurz darstellen, weil sich dann vielleicht das eine
oder andere, was wir gleich hören werden, relativiert .
Das UNMISS-Mandat existiert seit 2011 und soll zur
Stabilisierung im Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas,
beitragen . Es umfasst mittlerweile eine Obergrenze von
17 000 Soldatinnen und Soldaten . Es ist in diesem Jahr
erweitert worden, weil man erkannt hat, dass das Mandat
den Schutz von Zivilisten, zu dem es erteilt worden war,
nicht ausreichend gewährleistet hat . Im Rahmen dieses
Mandates mit einer Obergrenze - ich wiederhole - von
insgesamt 17 000 Soldatinnen und Soldaten diskutieren
wir heute über den Einsatz der Bundeswehr . Die Obergrenze für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten ist auf 50 festgelegt - 50 von 17 000 Soldatinnen und
Soldaten in diesem Mandat . Den vorliegenden Zahlen
zufolge sind gegenwärtig 16 deutsche Soldatinnen und
Soldaten im Südsudan und machen dort eine gute und
wichtige Arbeit, für die ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanke .
({0})
Die zentrale Aufgabe besteht im Schutz von Zivilisten . Die Zahlen, die uns derzeit vorliegen, sind alarmierend . UNMISS hat sechs sogenannte Schutzzonen eingerichtet, in denen circa 200 000 Zivilisten untergebracht
sind . Der Schutz der Zivilbevölkerung in diesem Bereich
ist durch niemand anderen gewährleistet als durch die
Präsenz von UNMISS .
Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung von einem Besuch in einem der Flüchtlingslager in der Hauptstadt Juba
berichten . Im Jahr 2015 begannen Zivilisten sich auch in
der Hauptstadt nicht mehr sicher zu fühlen und sind zum
ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen in
Einrichtungen der dort stationierten Kräfte geflohen. Wir
haben mit ihnen wie auch mit Vertretern der Zivilorganisationen, die dort gearbeitet haben, sprechen können
und sie gefragt, warum sie das machen und wann sie die
Einrichtungen wieder verlassen . Die Antwort war völlig
klar: Wir gehen aus dieser Schutzeinrichtung nicht mehr
raus, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir in dem bewaffneten Konflikt getötet werden. - Meine Damen und
Herren, wer den Leuten diesen Schutz versagt, den sie
brauchen, der vergeht sich ein Stück weit an den Grundsätzen der Humanität, die wir als internationale Gemeinschaft auch in diesem Bereich zu verantworten haben .
({1})
Die uns vorliegenden Zahlen sind abenteuerlich; sie
sind unerträglich . In diesem jungen Land sind 1,8 Millionen Menschen intern vertrieben . 1,2 Millionen waren
allein in diesem Jahr auf der Flucht und bilden zurzeit auch das sollten wir in der Öffentlichkeit darstellen die größte Migrations- und Fluchtbewegung weltweit .
3 500 Menschen verlassen pro Tag das Land . Wir werden heute auch über den Einsatz in Darfur, dem zweiten
Krisenherd in der Region, diskutieren . In diese seit 2003
krisenbehaftete Region fliehen jeden Tag Menschen aus
dem Südsudan . Das sollte uns zu denken geben, was die
Situation der Menschen dort angeht .
Die humanitäre Situation ist desaströs . Viele Bereiche
in dem sich ausweitenden Bürgerkrieg sind nicht mehr
durch humanitäre Hilfe zu erreichen . Das heißt, die Menschen sind in Gefahr, eine Hungersnot zu erleiden und
nicht mehr versorgt werden zu können . In dieser Situation reden wir über UNMISS .
Wir haben in diesem Jahr auch ganz schlimme Botschaften erfahren . Im Juli dieses Jahres wurde UNMISS
beschuldigt - darüber gab es auch eine Diskussion in
den Vereinten Nationen -, seiner Aufgabe nicht nachzukommen . Dazu hat es eine Untersuchungskommission
gegeben . Die Vorwürfe wurden leider Gottes bestätigt .
Zum ersten Mal in der Geschichte von UNMISS hat es
daraufhin Konsequenzen gegeben . Diese Konsequenzen
belasten zum Teil die UNO . Der Leiter der Einrichtung,
die kritisiert wurde, weil sie keinen Schutz gewährleistet
hat, wurde entlassen; er war ein kenianischer Soldat . Die
Folge war zunächst einmal, dass Kenia aufgrund dieser
Entscheidung seine Bereitschaft, an UNMISS mitzuwirken, aufgekündigt hat . Das alles sind Dinge, die wir zur
Kenntnis nehmen . Darüber muss auch im Kontext geredet werden .
Was ist aber die Konsequenz angesichts der geübten
Kritik? Ich habe darauf eigentlich nur eine Antwort .
Fast alle internationalen Beobachter sagen genauso wie
diejenigen, die im Land arbeiten, dass UNMISS alleine zwar die Probleme im Südsudan nicht lösen kann,
dass aber ohne UNMISS die Probleme deutlich größer
wären . Ich möchte auf eine Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung aus diesem Monat - damit ist einiger Unsinn getrieben worden; einer der betreffenden
Kollegen kann nicht mehr in Juba arbeiten und befindet sich mittlerweile in Kampala in Uganda - verweisen. Ich zitiere nur die Überschrift - das ist die offizielle
Auffassung -: UNMISS alleine reicht nicht, doch ohne
UNMISS geht es nicht . - Wenn wir diese Auffassung
ernst nehmen, dann müssen wir darüber diskutieren, ob
das, was UNMISS im Augenblick macht, ausreicht oder
ob wir UNMISS durch eine größere Bereitschaft, zu helfen, stärken sollten .
Wir sollten auch politische Lösungen in Angriff nehmen: Gibt es einen regionalen Friedensprozess? Reicht
es, wenn die beiden alten Herren, Herr Salva Kiir und
Herr Riek Machar, miteinander etwas verabreden, an das
sich noch nicht mal ihre Gefolgsleute halten? Reicht es,
dass die EU ein Waffenembargo ausgesprochen hat, oder
müssen wir angesichts der in diesem Land ohnehin viel
zu hohen Anzahl an Waffen nicht endlich ein Waffenembargo auf UNO-Ebene beschließen? - Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen . Für die SPD-Fraktion
ist völlig klar: Es braucht ein deutliches Signal, dass wir
UNMISS stärken wollen . Wir wollen, dass UNMISS ihren Aufgaben gerecht wird . Deshalb bitten wir Sie, der
Fortsetzung dieses Mandats zuzustimmen .
Aufgrund der letzten Diskussion über Kinderarmut
möchte ich noch ein persönliches Wort sagen . Am Ende
dieser Sitzungswoche werden wir uns ein fröhliches und
friedliches Weihnachtsfest wünschen; das ist für uns
selbstverständlich . Ich würde mich sehr freuen, wenn es
uns gelänge, den Kindern im Südsudan und anderswo
nicht nur ein friedliches Weihnachtsfest, sondern irgendwann einmal auch ein Leben in Frieden und Freiheit zu
bescheren .
Danke schön .
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz,
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im
Jahr 2011 spaltete sich der ölreiche Süden vom Norden
des Sudans ab . Alle Parteien - CDU, CSU, FDP, SPD
und Grüne - begrüßten dies damals . Abgeordnete der
Union nannten das hier im Bundestag einen großen Erfolg . Die Linke war die einzige Partei, die damals vor den
Konsequenzen gewarnt hatte . Ein unabhängiger Staat, an
deren Spitze eine korrupte Elite steht, die noch dazu in
sich verfeindet ist, würde der Bevölkerung nicht die erhoffte Verbesserung ihrer Lage bringen . Diese Vorhersage hat sich dramatisch bestätigt .
Seit nunmehr drei Jahren tobt zwischen dem Präsidenten Salva Kiir und seinem ehemaligen Stellvertreter
Riek Machar ein blutiger Bürgerkrieg mit Zehntausenden
Toten . Millionen Menschen sind auf der Flucht . Nach
Angaben des Welternährungsprogramms ist mehr als ein
Drittel der Bevölkerung des Südsudans vom Hunger bedroht . Dabei gab es bereits bei der Staatsgründung vor
fünf Jahren eine internationale Militärpräsenz einschließlich der Bundeswehr . Es zeigt sich heute, dass diese
Truppenpräsenz nichts, aber auch gar nichts zu Frieden
und Entwicklung im Südsudan beigetragen hat .
({0})
Das Elend der Bevölkerung des Südsudan steht im
krassen Kontrast zum potenziellen Reichtum des Landes . Der Südsudan hat die drittgrößten Ölreserven in
Afrika . Genau deshalb war der Westen damals für die
Abspaltung des Südens . Im Kern ging es immer darum,
den wachsenden Einfluss Chinas einzudämmen und eine
dem Westen genehme Regierung zu errichten . Wozu das
führt, kritisiert nicht nur die Linke . Es tut mir leid, Herr
Strässer, ich kann es Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen . Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb im
August dieses Jahres:
Es war der Westen, vor allem die USA, aber auch
Deutschland, ohne die es den Südsudan als eigenen
Staat gar nicht geben würde . … Über Kriegsverbrechen der Eliten im Süden wurde deswegen großzügig hinweggesehen, und so endete die Staatsgründung in einem völligen Desaster .
({1})
Ja, der Westen und die Bundesregierungen der letzten
Jahre tragen eine Mitschuld an der Entwicklung im Südsudan . Darüber täuschen Sie heute hier hinweg .
({2})
Das Versprechen, mit deutschen und anderen internationalen Soldaten die notleidende Bevölkerung
im Südsudan zu schützen, haben Sie nicht eingelöst .
UNMISS steht auch nach der geplanten Aufstockung um
4 000 Soldaten vor einem Dilemma . Entweder bleiben
die UN-Soldaten angesichts von Gewalttaten passiv, oder
sie lassen sich auf einen Krieg mit der südsudanesischen
Armee oder den Milizen ein . Nichts von beidem trägt
zum Frieden im Südsudan bei .
({3})
Frau Kollegin Buchholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strässer?
Ich bin gleich fertig . Er kann zum Ende dann gerne
seine Frage stellen .
Dann gibt es nur noch die Möglichkeit der Kurzintervention .
({0})
Helfen würde, wenn die Kriegsfürsten Kiir und
Machar endlich am Kauf von Waffen gehindert würden,
helfen würde, wenn die Bundesregierung auf die Nachbarländer des Südsudan wie Uganda einwirken würde,
ihre militärische Intervention zu stoppen, und helfen
würde auch, wenn Sie sich auf die Unterstützung ziviler
Notmaßnahmen konzentrieren würden . Das genau passiert nicht . Die Linke stimmt der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Südsudan nicht zu .
({0})
Herr Kollege Strässer, Sie haben jetzt die Möglichkeit
zu einer Kurzintervention von Ihrem Platz aus .
Schönen Dank .
({0})
- Ich mache zum ersten Mal eine Kurzintervention, zum
ersten Mal nach 14 Jahren . - Ich bin schon ein bisschen
irritiert über Ihre Äußerungen, weil Sie zum großen Teil
darauf rekurrieren, dass die Gründung des Staates Südsudan ein Fehler und von außen beeinflusst war. Ich darf
einfach einmal daran erinnern, dass die Auseinandersetzungen im früheren Gesamtstaat Sudan im Jahre 1956
begonnen haben und dass es bis zum Jahre 2005, also bis
zum Abschluss des umfassenden Friedensabkommens,
bis auf elf Jahre Bürgerkrieg gegeben hat .
Viele Bemühungen sind nicht vom Westen ausgegangen, sondern von innersudanesischen Gruppen . Man
ging davon aus, dass es nach dem Abschluss des Friedensvertrages zu einer Lösung kommt . Den Bürgerinnen
und Bürgern des Südsudan ist die Frage gestellt worden,
was sie wollen . Wenn man sich hierhinstellt und sagt, die
Gründung des Südsudan sei eine Geburt des imperialistischen Westens, dann ist das ein Schlag ins Gesicht von
99 Prozent der Südsudanesinnen und Südsudanesen, die
diese Unabhängigkeit ganz eindeutig gewollt haben .
({1})
Frau Kollegin Buchholz, Sie haben die Möglichkeit,
darauf zu erwidern .
Vielen Dank . - Wir Linke haben immer die Hoffnung
der Menschen im Südsudan auf eine bessere und friedlichere Entwicklung unterstützt . Aber das Dilemma ist
doch, dass durch die Art der Staatsgründung, die massiv
vom Westen unterstützt wurde - das sagt auch die Friedrich-Ebert-Stiftung -, genau diese Hoffnungen nicht erfüllt wurden . Jetzt gibt es eine korrupte Regierung unter
Salva Kiir, die sich einen blutigen Bürgerkrieg mit dem
ehemaligen Stellvertreter Riek Machar liefert . Es hat
sich gezeigt, dass diese Staatsgründung, weil sie nämlich
nicht an den Interessen und Hoffnungen der Menschen
ausgerichtet war, in ein totales Desaster geführt hat . Das
ist die Realität . Das müssen auch Sie heute konstatieren .
Deswegen hat die Bundesregierung damals eine Mitverantwortung an der jetzigen Entwicklung im Südsudan .
({0})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Elisabeth
Motschmann .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
die Lage im Südsudan ist nach wie vor dramatisch - Kollege Strässer hat es beschrieben -, man kann auch sagen:
katastrophal . Die Gewaltausbrüche haben nicht abgenommen, eher noch zugenommen . Aufgrund dieser Tatsache müssen wir überlegen: Wie gehen wir mit diesem
Staat weiter um? Gehen wir den Weg zum Frieden mit
diesem Staat, oder lassen wir es sein? Die Linke kommt
zu dem Entschluss: Wir lassen es sein . - Das halte ich
für komplett falsch, Frau Buchholz, weil Sie damit die
Menschen alleinlassen . Sie lassen die Kinder, die Mütter,
die Alten, die Kranken, sie alle allein .
({0})
Sie sagen: Das ist mir doch egal . Lasst 4,8 Millionen
Menschen hungern . Lasst zu, dass sie vertrieben werden .
({1})
Lasst zu, dass 1 Million Menschen in Nachbarstaaten
fliehen. - Immerhin suchen über 200 000 Menschen in
den Einrichtungen von UNMISS Schutz - 200 000 Menschen -, und Sie sagen: Das ist mir egal .
({2})
- Nein . Ich höre sehr genau zu, Frau Buchholz . Darauf
können Sie sich verlassen .
Die Vereinten Nationen warnen vor einem bevorstehenden Völkermord . Im Global Peace Index liegt dieser
Staat tatsächlich nur knapp vor Syrien . Dennoch sagen
Sie: Wir sollten da herausgehen . - Dies können wir nicht
teilen . Wenn Sie sagen: „Wir wollen humanitäre Hilfe“,
dann frage ich: Das ist zwar richtig und wichtig, aber wie
wollen Sie humanitär helfen, wenn es nicht mindestens
Zonen gibt, die gesichert sind und in denen humanitäre Helfer überhaupt arbeiten können? Sie können doch
keine humanitären Helfer dahin schicken, wenn Sie sie
dramatisch gefährden .
({3})
Richtig ist, dass Fehler gemacht wurden - auch darauf
ist hingewiesen worden - und dass aus den Fehlern dieser
Mission auch Konsequenzen gezogen werden müssen,
um die Situation zu verbessern . Die Vorwürfe, die man
den Vereinten Nationen gemacht hat, wiegen natürlich
schwer . Sie haben die Zivilisten eben nicht hinreichend
geschützt; an diesem Punkt bin ich bei Ihnen . Nur, was
ist die Konsequenz daraus? Dass man versucht, Fehler zu
vermeiden, Fehler zu korrigieren, dass man sie transparent, eindeutig und ehrlich offenlegt . Das ist geschehen,
und das wird auch weiterhin geschehen .
Man hat von Führungsschwäche gesprochen . Man hat
gesagt, dass Teile der Einsätze chaotisch und wirkungslos gewesen sind . Man hat Konsequenzen gezogen . Man
hat Abläufe und Befehlsketten korrigiert . Man hat Verantwortlichkeiten geändert und die Mission besser organisiert . All das trägt dazu bei, dass die Arbeit dieser Mission wichtig ist und wichtig bleibt . Selbst wenn daran im
Augenblick nur 15 oder 16 Bundeswehrsoldaten beteiligt
sind: Sie leisten einen wichtigen Staatsdienst zur Steuerung der Mission . Auch ich möchte mich ausdrücklich
bei denjenigen Soldatinnen und Soldaten bedanken, die
in dieser nachweislich schwierigen Situation im Einsatz
sind .
({4})
Vielleicht noch ein Letztes . Wir reden im Augenblick
sehr viel über Verlässlichkeit von Außen- und Sicherheitspolitik, weil wir natürlich die Sorge haben, dass sie
künftig bedroht sein könnte . Gerade deshalb sage ich
auch an dieser Stelle: Wir sollten verlässlich sein . Wir
sollten bei den Menschen bleiben . Wir sollten ihnen helfen, und wir sollten uns nicht selber vorwerfen, dass wir
am Ende noch daran schuld sind, dass diese Staatsgründung zustande gekommen ist und dass es den Menschen
da jetzt so schlecht geht . Das ist wirklich abwegig, Frau
Buchholz, und es ist falsch . Deshalb bitte ich am Ende:
Lassen Sie uns dieses Mandat fortsetzen und den Soldatinnen und Soldaten jede Unterstützung geben, die nötig
ist, in der Hoffnung, dass es diesem Volk irgendwann
besser geht .
Vielen Dank .
({5})
Nächste Redner ist der Kollege Dr . Frithjof Schmidt
für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Meine Fraktion hat
dieser notwendigen UN-Mission im Südsudan immer zugestimmt, und das werden wir auch diesmal tun .
({0})
Aber wir alle haben großen Grund zur Sorge . Es ist nicht
gelungen, die Lage dort zu stabilisieren . Im Gegenteil:
Sie spitzt sich gerade dramatisch zu . Die Berichte über
den Terror gegen die Zivilbevölkerung, über Morde und
Massenvergewaltigungen, die uns derzeit erreichen, machen fassungslos. Beide Konfliktparteien, sowohl das
Lager von Präsident Kiir als auch das Lager des früheren
Vizepräsidenten Machar, haben sich schwere Kriegsverbrechen zuschulden kommen lassen . Insbesondere diese
beiden Anführer gehören vor ein internationales Strafgericht .
({1})
Erst vor kurzem warnte der Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord Adama
Dieng: Die Machthaber instrumentalisieren ethnische
Unterschiede für ihre politische Hetze gegeneinander .
Der Südsudan droht in Gewalt zu versinken . Es gibt das
Potenzial für einen Genozid . - Diese Warnung ist sehr
ernst zu nehmen . Es muss vor allem verhindert werden,
dass in dieser aufgeheizten Lage noch mehr Waffen in
das Land gelangen . Das sagen uns auch alle Organisationen, die dort tätig sind . Die Bundesregierung sollte
sich sehr energisch dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat endlich ein Waffenembargo für den Südsudan beschließt und sich um die Durchsetzung kümmert .
({2})
Das gehört ins Zentrum der internationalen Politik für die
Region .
Die katastrophale humanitäre Notsituation besteht
fort . Die Hilfsorganisationen vor Ort brauchen dafür
ausreichende und langfristig zugesagte Mittel . Die internationale Gemeinschaft darf hier nicht wieder versagen .
Es ist wie jedes Jahr: Zum Jahresende ist nur knapp die
Hälfte der Mittel, die gebraucht werden und zugesagt waren, eingegangen . Es ist schrecklich, dass wir das jedes
Jahr wieder diskutieren müssen . Es ist wieder so . Deshalb begrüßen wir es sehr, dass Deutschland die humanitären Mittel für den Südsudan noch einmal kräftig erhöht
hat . Dafür haben Sie unsere volle Unterstützung . Das ist
notwendig und richtig .
({3})
Genauso notwendig ist auch die weitere Unterstützung der Blauhelme von UNMISS . Wir wissen: In diesem riesigen Gebiet würden auch 20 000 Blauhelme die
Menschen nicht umfassend vor dem Gräuel des Bürgerkriegs schützen können . Trotzdem - da möchte ich an
den Kollegen Strässer anknüpfen - müssen wir dringend
über eine qualitative Aufstockung und Verbesserung dieser UN-Mission reden . Sie reicht so, wie sie ist, einfach
nicht aus .
({4})
Kollegin Buchholz, auch wenn Sie meinen, in der Vergangenheit seien Fehler gemacht worden, was ich, so wie
Sie es sagen, überhaupt nicht teile: Was wollen Sie denn
jetzt machen?
({5})
Ihre Antwort ist doch offensichtlich: nicht aufstocken,
nicht verstärkt dort reingehen, sondern rausgehen . - Was
soll denn dann passieren? Was ist das für eine Haltung?
Unabhängig davon, wie Sie zur Entstehung dieses Konfliktes stehen, müssen Sie doch jetzt eine Antwort geben.
Das haben Sie in Ihrer Rede überhaupt nicht getan .
({6})
Das finde ich wirklich nicht in Ordnung.
Wir wissen, dass diese Mission erhebliche interne Probleme hat . Erst kürzlich hat ein UN-Bericht den
UNMISS-Soldaten schweres Versagen beim Schutz von
Zivilisten vorgeworfen . Aber gut ist: Die UN hat darauf
unmittelbar reagiert und den verantwortlichen kenianischen Kommandeur abberufen . Trotz solcher schwerer
Fehler gilt: Für Hunderttausende bietet UNMISS die einzige Zuflucht und Rettung. Eine Schwächung oder gar
ein Abzug von UNMISS wäre für all diese Menschen
eine Katastrophe - bei allen Unzulänglichkeiten der Mission . Deshalb wird meine Fraktion auch diesmal diesem
Mandat zustimmen .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({7})
Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege
Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen in diesem Haus und in diesen Tagen oft
über Flüchtlinge aus Afrika . Wir denken dabei an diejenigen, die in Italien oder in Libyen ankommen . Im Südsudan sind im Moment 1,8 Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht . 1,3 Millionen Menschen
haben in den letzten Jahren das Land verlassen, allein
400 000 seit Juli .
Meine Damen und Herren, von denen kommt kaum
einer in Libyen oder Italien an, weil ihnen schlichtweg
das Geld dafür fehlt. Die Menschen fliehen in die Nachbarländer. Sie fliehen nach Äthiopien, nach Uganda
oder in den Sudan und verschärfen dort die humanitär
prekäre Situation weiter . Wir lesen über diese Menschen
wenig, weil es im Südsudan kaum internationale Presse
gibt . Das Land ist in vielen Bereichen gar nicht oder nur
schwer zugänglich . Trotzdem - das zeigt die Debatte hier
im Bundestag - vergessen wir in Deutschland vonseiten
des Bundestages und der Bundesregierung dieses Land
nicht . Ja, Deutschland war daran beteiligt, dass es 2011
eine friedliche Loslösung vom Sudan gab, dass dieser
seit den 50er-Jahren anhaltende Konflikt zwischen Afrikanern und Arabern zu einem friedlichen Ende geführt
hat .
Meine Damen und Herren, ich war ein Jahr später, im
Jahr 2012, dort . In allen Gesprächen, die ich dort geführt
habe, spürte man den Stolz der Menschen auf ihr neues Land, darauf, was sie mit dem Referendum erreicht
haben . Man spürte auch eine Aufbruchstimmung, dieses
Land mitzugestalten . Es war ein Riesenschritt vorwärts,
aber seit 2013 gibt es fast nur noch Rückschritte . Es ist
der Regierung trotz der großen internationalen Hilfe nicht
gelungen, einen Mechanismus zu finden, wie sie friedlich
und fair Macht und Ressourcen in dem Land verteilt . So
hat der Konflikt zwischen dem Präsidenten Salva Kiir
und dem Vizepräsidenten Riek Machar in einem neuen
Bürgerkrieg zwischen Dinka und Nuer geendet . Dieser
Konflikt ist Fluchtursache Nummer eins.
Meine Vorredner haben die Gewalt, insbesondere die
Gewalt gegen Frauen, die in diesem Bürgerkrieg angewendet wird, zum Teil schon beschrieben . Ich will einen humanitären Aspekt hinzufügen . Allein durch die
Konflikthandlungen sind ungefähr 50 Prozent der Ernte ausgefallen . Die Landwirte können ihre Felder nicht
mehr bestellen. Es findet kaum noch nationaler Handel
statt, weil die Menschen Angst haben, dass Nahrungsmitteltransporte überfallen werden . Ein Drittel der Menschen des Südsudans leidet an Hunger . Das sind ungefähr
3,7 Millionen Menschen .
Meine Damen und Herren, das ist eine Aufgabe für die
internationale Gemeinschaft . Diese internationale Gemeinschaft hat diese Aufgabe auch angenommen . Es gibt
für den Südsudan ein UN-Mandat . Das gibt es für viele
andere Konfliktregionen - es ist über Syrien gesprochen
worden - nicht . Der Rahmen ist vorhanden . Das Problem
ist nur, dass die UN, insbesondere die UN-Missionen
im Südsudan, diesen Rahmen nicht ausfüllt und bei der
Auftragserfüllung in den letzten Monaten katastrophal
versagt hat . Der Schutz der Zivilbevölkerung, der an
erster Stelle steht, wurde nicht erfüllt . Zum Teil haben
Angehörige der UN-Mission zugesehen, wie vor ihren
Augen Frauen vergewaltigt worden sind . Damit haben
sie natürlich Vertrauen verspielt: vor Ort und auch in der
Weltbevölkerung .
Es gibt zwei Dinge, die zu tun sind .
Erstens: UNMISS effizienter aufstellen, sodass sie ihren Auftrag erfüllen kann, Schutz der Zivilbevölkerung,
Stopp der Gewalt und Zugang zu humanitärer Hilfe ermöglichen .
Zweitens . Es muss die Regierung unter Salva Kiir davon überzeugt werden, dass sie nur mit einem Ende der
Gewalt und einem Unterbrechen der Gewaltspirale dafür
sorgen kann, dass ihr Land wieder auf den Pfad der Stabilisierung kommt .
Deutschland beteiligt sich daran im Rahmen von
UNMISS, mit den Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und zivilen Helfern . Es ist ein wichtiger Auftrag;
denn diese Soldatinnen und Soldaten, diese Polizisten,
diese Menschen sind auch Auge und Ohr vor Ort: Sie
berichten uns aus einem Land, in dem es kaum internationale Presse gibt, aus dem es kaum ein Flüchtling zu
uns schafft, und sorgen auch dafür, dass wir ein eigenes
Lagebild bekommen, anhand dessen wir unsere Hilfe abstimmen können .
Meine Damen und Herren, wir haben das Land von
Anfang an mit entsprechenden Mandaten unterstützt . Wir
sollten ihm auch in einer schwierigen Phase die Treue
halten . Ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung .
Herzlichen Dank .
({0})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan, UNMISS . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/10547, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/10188 anzunehmen .
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . -
Auf der Seite der Regierungsbank fehlt noch die Oppo-
sition, was irgendwie logisch klingt, aber trotzdem jetzt
korrigiert werden muss . - Auf der Bundesratsseite fehlt
auch noch jemand . - Damit sind jetzt alle Plätze an den
Abstimmungsurnen besetzt . Ich eröffne die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung .
Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme
abgeben möchten, dies aber noch nicht getan haben? -
Ich darf darauf verweisen, dass es hier vorne Abstim-
mungsurnen gibt, wo man noch nicht anstehen muss .
Wer jetzt seine Stimme noch nicht abgegeben hat, der
möge das anzeigen . - Ich sehe niemanden, der das an-
zeigt, und schließe damit die Abstimmung . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben .1)
Wir werden nach dem nächsten Tagesordnungspunkt
in circa 25 Minuten erneut eine namentliche Abstim-
mung durchführen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
1) Ergebnis Seite 20858 D
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({1}) auf
Grundlage der Resolution 1769 ({2}) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296 ({3}) vom 29. Juni 2016
Drucksachen 18/10189, 18/10549
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10550
Über diese Beschlussempfehlung - das habe ich schon
angekündigt - werden wir später namentlich abstimmen .
Ich bitte, zum Zweck der Beratungen die Plätze einzunehmen und die Gespräche auf die hinteren Bereiche zu
konzentrieren .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das somit beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Jürgen Coße für die SPD .
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
ist meine erste Rede als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages .
({0})
Es ist für mich ein Privileg und eine Herausforderung zugleich, eine Herausforderung vor allem deswegen, weil
ich vor vier Monaten noch nicht über eine deutsche Beteiligung an Friedensmissionen zu entscheiden hatte .
Hier geht es um eine gemeinsame Friedensmission
von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union, kurz
UNAMID . Und egal was wir gleich hören werden: Niemand meiner Kolleginnen und Kollegen macht sich die
Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten oder
Polizisten im Ausland leicht .
({1})
Aber was ist unsere Herausforderung hier im Vergleich
zum Überlebenskampf, den viele Menschen weltweit
täglich führen? So auch die Menschen im Westen des
Sudan. Die 300 000 Todesopfer des Konflikts in Darfur
haben diesen Kampf bereits verloren . Die 2,6 Millionen
Binnenvertriebenen führen diesen Kampf immer noch .
Wie sich dieser Überlebenskampf anfühlt, beschreibt
ein Binnenvertriebener in Darfur so:
Niemand auf der Welt kümmert es, ob wir überleben, außer Gott und manchmal UNAMID .
Das Zitat beschreibt zum einen, wie weit der Konflikt
dem Radar der Weltöffentlichkeit entrückt ist, und zum
anderen zeigt es, dass die Blauhelme Zivilisten schützen,
aber leider nicht immer und überall; denn diese Friedensmission hat mit besonders schwierigen Bedingungen zu
kämpfen . Sie ist eine gemeinsame Aufgabe für die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen . Das heißt,
sie muss drei stark gegensätzliche Interessenlagen unter
einem Dach vereinen: die des UNO-Sicherheitsrates, die
der Afrikanischen Union und die der sudanesischen Regierung .
Die sudanesische Regierung hat die Friedensmission
nur widerwillig auf chinesischen Druck hin akzeptiert
und tut weiterhin alles, um sie aus dem Land zu drängen .
Dafür ist die Verweigerung von Visa nur das harmloseste
Mittel; denn die regierungstreuen Milizen greifen nicht
nur Zivilisten, sondern auch Blauhelme an . Unter diesen
Bedingungen müssen die knapp 17 000 Soldaten und Polizisten ein Gebiet von der Größe Frankreichs beschützen . Zum Vergleich: Im winzigen Kosovo waren es bis
zu 40 000 gut ausgebildete Soldaten . Dazu kommt, dass
das Gelände in Darfur bergig ist und kaum ausgebaute
Straßen vorhanden sind .
Unter diesen äußerst schwierigen Voraussetzungen hat
die Friedensmission UNAMID Beachtliches geleistet .
Zentral gelegene Lager für Binnenvertriebene können
die Blauhelme sehr wohl schützen . Gerade die 2 400 ruandischen Soldaten in der Mission haben oft ihr eigenes
Leben riskiert, um Zivilisten gegen Angriffe zu verteidigen . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, UNAMID rettet Menschenleben in Darfur! Wir haben großen Respekt
vor der schwierigen Aufgabe dieser Männer und Frauen
in Uniform . Die neun deutschen Soldaten, eine Frau und
acht Männer, und die vier Landespolizisten leisten unter
schwierigen Bedingungen sehr gute Arbeit . Dafür herzlichen Dank!
({2})
Lassen Sie uns aber den Blick etwas weiter fassen: Es
brodelt überall am Großen Horn von Afrika: In Somalia
und im Südsudan - wir haben es eben gehört - herrschen
bewaffnete Konflikte. Es gibt den Konflikt zwischen
Äthiopien und Eritrea . Und der Krieg im Jemen ist nur
30 Kilometer von Dschibuti und Eritrea entfernt .
Die Golfmonarchien haben die strategische Bedeutung des Horns von Afrika erkannt . Ja, sie nutzen Eritrea
als Militärbasis in ihrem Kampf gegen die Huthi-Rebellen im Jemen .
({3})
Wir sollten Eritrea aber nicht Saudi-Arabien und Co .
überlassen . Was dabei herauskommen kann, kann man an
Somalia beispielhaft sehen. Der große Einfluss der saudisch geprägten wahhabitischen Prediger in Somalia hat
erst den Boden für al-Schabab bereitet . Auch China ist in
der Region wirtschaftlich stark aktiv, und Menschenrechte spielen dabei sicherlich keine Rolle .
Vizepräsident Johannes Singhammer
Die angespannte Situation am Horn von Afrika könnte
sich weiter verschärfen; denn mittlerweile werden durch
den Klimawandel noch häufigere und längere Dürreperioden erwartet . Welchen Sprengstoff das birgt, zeigt
die gegenwärtige Situation in Äthiopien . Die Unruhen
in Äthiopien mögen hauptsächlich ethnisch motiviert
sein - und sie sind absolut zu verurteilen -, aber extreme Wasserknappheit und Ernteausfälle verstärken diesen
Konflikt. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss
uns klar sein: Die Industrieländer sind vorrangig für den
Klimawandel verantwortlich . Deswegen tragen wir auch
eine große Verantwortung, die Folgen dieses Wandels zu
lindern .
({4})
Auch beim Kampf gegen den Klimawandel selbst
dürfen wir nicht zurückstecken, gerade auch deswegen
nicht, weil Donald Trump nicht nur die internationalen
Beziehungen, sondern auch das Klima unnötig anheizen
wird .
({5})
Da Wassermangel Konflikte verschärft, ist der Kampf gegen den Klimawandel gelebte Krisenprävention . Ja, auch
die bewaffneten Auseinandersetzungen in Darfur begannen als Konflikt zwischen Viehzüchtern und Bauern um
knapper werdende Wasserressourcen .
Die Bundesregierung trägt der großen Bedeutung von
Krisenprävention generell Rechnung . So hat Frank-Walter
Steinmeier im Auswärtigen Amt die Abteilung S für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge eingerichtet . Sein unermüdliches Engagement an vielen Krisenherden der Welt verdient unsere volle Unterstützung .
({6})
Dieses Engagement soll durch die Leitlinien der Bundesregierung für Krisenmanagement, Konfliktbewältigung
und Friedensförderung weiter verstärkt werden . Ja, am
besten ist es, wenn Konflikte gar nicht erst entstehen.
Aktive Krisenprävention ist angesagt . Sie ist jede Mühe
unsererseits wert .
({7})
Wenn es aber, wie in Darfur, nicht gelingt, den Konflikt im Vorfeld zu entschärfen, dürfen wir doch nicht nur
zuschauen; denn wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun .
Nichts tun würde bedeuten, dass wir der sudanesischen
Regierung und den anderen Konfliktparteien freie Hand
lassen beim Plündern, Vertreiben und Töten von Zivilisten . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir dort diese Friedensmission . Deswegen müssen
wir uns daran beteiligen .
Meine Fraktion stimmt dem Antrag der Bundesregierung zu, weil wir nicht zuschauen, sondern mithelfen
wollen .
Herzlichen Dank .
({8})
Herr Kollege Coße, das war Ihre erste Rede hier im
Deutschen Bundestag . Im Namen der Kolleginnen und
Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu .
({0})
Zwischenzeitlich liegt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({1})“
vor: abgegebene Stimmen 590 . Mit Ja haben gestimmt
530, mit Nein haben gestimmt 59, Enthaltung 1 . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon
ja: 530
nein: 59
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({2})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({3})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({4})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({5})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({6})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({7})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({8})
Stefan Müller ({9})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({10})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({11})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({13})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({15})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({16})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({17})
Sabine Weiss ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({19})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({20})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({21})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({23})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({24})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({25})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({27})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({28})
Matthias Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Carsten Schneider ({31})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({32})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({33})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({34})
Volker Beck ({35})
Dr . Franziska Brantner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({36})
Christian Kühn ({37})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({38})
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Christian Petry
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({39})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({40})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({41})
Enthalten
SPD
Dr . Ute Finckh-Krämer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({42}) aufgeführt .
Wir fahren jetzt fort in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 6 . Ich erteile das Wort der Kollegin Christine
Buchholz für die Fraktion Die Linke .
({43})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2003
herrscht Krieg in Darfur im Westen Sudans . Präsident
Umar al-Baschir versucht mit allen Mitteln, Kontrolle
über die Provinz zu erlangen und Widerstand zu unterdrücken . Laut UN sind dort 2,5 Millionen Menschen auf
der Flucht .
Im letzten Jahr sind noch einmal 200 000 Menschen
dazugekommen, die vor den Angriffen der sudanesischen
Armee aus den in Darfur gelegenen Marra-Bergen flohen.
Die Armee hat dabei laut Amnesty International Giftgas
eingesetzt . Über 200 Menschen starben . Amnesty beruft
sich auf Telefonate mit 56 Überlebenden und dokumentiert 32 Fälle, in denen die sudanesische Armee drei verschiedene chemische Waffen eingesetzt haben soll .
Die Bundesregierung sagt, diese Vorwürfe von
Amnesty seien nicht plausibel. Ich finde es schon auffällig, dass die Bundesregierung dazu, auch auf Nachfragen
im Verteidigungsausschuss, nichts sagen kann oder will .
Mein Eindruck ist: Hinter diesem Schweigen steckt eine
Verschiebung der Prioritäten Ihrer Sudan-Politik .
Unter deutscher Führung hat die EU im März dieses
Jahres ein 40 Millionen Euro teures Programm beschlossen, in dessen Rahmen unter anderem sudanesische
Grenztruppen ausgebildet werden sollen, um Flüchtlinge
auf dem Weg nach Europa aufzuhalten . Wir erinnern uns:
Als vor Jahren der Einsatz der Bundeswehr in Darfur gerechtfertigt wurde, da brandmarkte die Bundesregierung
den sudanesischen Präsidenten Baschir noch als einen
Kriegsverbrecher - zu Recht . Doch wenn es um Flüchtlingsabwehr geht, strebt die Bundesregierung plötzlich
eine Zusammenarbeit mit ihm an . Das, meine Damen
und Herren, ist ein Skandal .
({0})
Auch heute, so scheint es mir, geht es tatsächlich wieder um etwas anderes als um das, was Sie proklamieren .
Der Einsatz in Darfur ist nur ein weiterer Baustein auf
dem Weg, die Bundeswehr zu einer Armee im internationalen Dauereinsatz zu machen . Es geht darum, deutschen
Wirtschaftsinteressen auf der internationalen Bühne Geltung zu verschaffen . Und das lehnen wir ab .
({1})
Die sudanesische Bevölkerung braucht keine deutschen Soldaten, sie braucht auch kein UNAMID, um für
ihre Rechte zu kämpfen . Im November hat ein großes
Bündnis von Oppositionellen einen beeindruckenden
Dreitagestreik organisiert, um gegen massive Preissteigerungen bei Benzin und Grundnahrungsmitteln zu protestieren . Weite Teile der Hauptstadt Khartoum wurden
lahmgelegt . Die Opposition schlägt gleichzeitig die Brücke zu den Menschen, die vom Regime in Darfur unterdrückt werden . Der Aktivist und Filmemacher Ahmed
Mahmoud sagte dazu:
Die Regierung findet genug Geld, um den Krieg
gegen das Volk der Nuba zu finanzieren, gegen das
Volk in Darfur . Sie bombardieren sie fast jeden Tag .
Wo kommt das Geld her? Wo kommen die absurd
hohen Gehälter der Abgeordneten im Parlament, wo
kommt das Geld für die Armee und für den Geheimdienst her? Diese Ressourcen werden im Grunde
Tag für Tag dem Volk gestohlen .
({2})
Mahmoud kündigte an: Der Protest wird weitergehen .
Das ist die Hoffnung für die Menschen im Sudan nicht die UN-Militärmission, die seit neun Jahren andauert, keinen Frieden gebracht hat und pro Jahr fast 1 Milliarde Euro verschlingt, und auch nicht die Stabsoffiziere
der Bundeswehr, die die Bundesregierung nach Darfur
entsendet .
Vielen Dank, meine Damen und Herren .
({3})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Volker
Mosblech .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt in der
Region Darfur bleibt auch nach jahrelangen Friedensbemühungen eine humanitäre Tragödie und ein Brennpunkt
auf dem afrikanischen Kontinent . Entführungen, Morde,
Vergewaltigungen und Hungersnöte sind Alltag für viele
Menschen in der westlichen Region des Sudan .
Der innerstaatliche und innerethnische Konflikt hat
unermessliches Leid über die Völker gebracht und wird
auch zukünftig die prekäre Lage von Millionen von
Menschen verschärfen . Die Rede ist von 2,6 Millionen
Binnenvertriebenen, von über 5,8 Millionen Menschen,
die allein in Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen
sind, und von 2 Millionen Kindern unter fünf Jahren, die
akut unterernährt sind . Ein Ende ist in diesem tragischen
Konflikt leider nicht in Sicht. Einzelne Konfliktparteien
stellen sich quer, Feuerpausen werden nicht mitgetragen,
und Friedensgespräche werden boykottiert .
Man könnte angesichts dieser Tragik die Hoffnung in
das Land und die dortigen Entwicklungen verlieren . Für
uns ist das leicht gesagt; doch die Menschen vor Ort haben keine andere Wahl als Hoffnung: Hoffnung auf eine
bessere Zukunft, Hoffnung auf ein Leben in Frieden,
Hoffnung, dass das Leid ein Ende hat . Wie können wir
zusammen mit unseren internationalen Partnern diesem
Wunsch Rechnung tragen?
Für außenstehende Betrachter sind die Entwicklungen
im Sudan schwer verständlich, da sich hier ein hochkomplexes Spannungsfeld zwischen Ethnien, Milizen
und politischen Akteuren auftut . Speziell in Darfur wird
Politik zu oft mit der Waffe in der Hand gemacht, und
zu oft ist letztendlich die unschuldige Bevölkerung das
leidtragende Opfer in dem Ganzen .
Die Gewalt richtet sich aber auch gegen die internationalen Hilfskräfte, wie die Entführungen von Entwicklungshelfern und die Angriffe gegen Personal der
Vereinten Nationen immer wieder zeigen . Ein international begleiteter Friedensprozess kann angesichts dieser
explosiven Gemengelange nur erfolgreich sein, wenn er
robust abgesichert und militärisch unterstützt wird . Hier
nehmen die Soldatinnen und Soldaten von UNAMID
eine unverzichtbare Rolle zur Verbesserung der Sicherheitslage und somit zur Begleitung des Friedensprozesses in Darfur wahr .
UNAMID ist nicht Teil des Konfliktes, sondern Teil
seiner Lösung . Die hybride Truppe der UN und der AU
hat einen ordnenden Charakter und bringt eine gewisse
Stabilität in das vorherrschende Chaos . Sie ist nötig, um
den Menschen Hoffnung zu geben . Sie ist nötig, um den
Schutz der Bevölkerung und den Schutz der internationalen Helfer zu gewährleisten, damit mittel- bis langfristig eine Basis für fruchtbare Friedensverhandlungen
geschaffen werden kann .
({0})
Jedem in diesem Haus ist bewusst, dass militärische
Mittel allein diesen Konflikt nicht lösen können. Diesem
Faktor begegnen wir daher mit einem stärker vernetzten
Ansatz aus militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten . Deutschland beteiligt sich neben dem Beitrag
für UNAMID aktiv in Mediation und Rechtsstaatsberatung sowie finanziell im Jahr 2016 mit insgesamt 27 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem
anhaltenden Engagement im Sudan senden wir ein deutliches Zeichen der Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit
deutscher Außenpolitik . Wer Frieden für Darfur möchte,
muss auch bereit sein, die Konsequenzen, die mit dieser
Forderung einhergehen, zu tragen . Ideologische Grabenkämpfe auf dem Rücken unserer Soldatinnen und Soldaten helfen niemandem, insbesondere nicht denjenigen,
deren Leben vom Schutz durch die UNAMID-Soldaten
abhängt .
Die CDU/CSU-Fraktion trägt diese Verantwortung und spricht sich für eine Verlängerung des
UNAMID-Mandates aus . Es ist wichtig, dass wir hier
im Deutschen Bundestag ein Signal der Geschlossenheit
senden und mit einer breiten Mehrheit die Bundeswehr
beauftragten, auch weiterhin Bestandteil von UNAMID
zu bleiben . Mit der Verabschiedung des heutigen Mandats können 50 Soldatinnen und Soldaten für Führungsund Verbindungsaufgaben sowie Beratungs- und Unterstützungsaufgaben eingesetzt werden .
Als einziger europäischer Staat werden wir uns auch
weiterhin verlässlich an der hybriden Mission der AU
und der UN beteiligen und den Friedensprozess von Darfur begleiten . Deutschland unterstützt die Mission mit
derzeit acht Soldatinnen und Soldaten sowie drei Polizisten . Ihnen und all denjenigen, die im Auslandseinsatz für
Deutschland waren und sind, möchte ich heute meinen
allerherzlichsten Dank übermitteln .
({1})
Sie können sich sicher sein, dass der überwiegende
Teil dieses Hohen Hauses Ihren Einsatz für unser Land
schätzt und stolz auf Sie ist .
Allen Männern und Frauen der Bundeswehr im Inund Ausland wünsche ich ein frohes, besinnliches Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr wie auch Ihnen, meinen lieben Kolleginnen und Kollegen, den Damen und
Herren auf den Emporen und natürlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Hauses .
Herzlichen Dank .
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr . Frithjof Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit über 13 Jahren steht der Krieg in Darfur
auch für Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und ethnische Säuberungen . Einer der Hauptverantwortlichen
für den Krieg und für diese Verbrechen ist der sudanesische Präsident al-Baschir . Es ist ein politischer Skandal,
dass er sich bis heute dem internationalen Haftbefehl gegen ihn entziehen konnte . Die Wirkung dieser Straffreiheit ist verheerend .
({0})
Jetzt hat der schmutzige Krieg in Darfur einen weiteren Tiefpunkt erreicht . Die Berichte von Amnesty International über einen Giftgaseinsatz in Darfur sind schockierend . Die Bundesregierung bezieht dazu nur sehr
einsilbig Stellung . Das hat in meiner Fraktion große Verwunderung ausgelöst . Wenn Sie Zweifel an den Amnesty-Berichten haben, dann hätten Sie sich doch zumindest
für eine Aufklärung der Ereignisse einsetzen können .
({1})
Notwendig wäre eine umfassende Untersuchung durch
die Organisation für das Verbot chemischer Waffen . Die
Bundesregierung tut aber bisher gar nichts, um eine solche Untersuchung anzustoßen . Das ist nicht in Ordnung,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Der Friedensprozess für Darfur hat bisher kaum Fortschritte gemacht . Aber jetzt gibt es kleine Ansätze für
eine positive Entwicklung: Im Oktober dieses Jahres
haben die sudanesische Regierung und zwei Rebellengruppen einen Waffenstillstand geschlossen . Es gibt eine
unterzeichnete Roadmap für neue Friedensverhandlungen . - Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Region .
Die Bundesregierung sollte diesen Prozess intensiv begleiten und energisch unterstützen . Es muss auch international diplomatischer Druck für den Fortgang des Friedensprozesses aufgebaut werden .
Doch anstatt das jetzt wirkungsvoll zu tun, plant die
Bundesregierung seit kurzem eine sogenannte Kooperation mit der sudanesischen Regierung in Flüchtlingsfragen . Khartoum soll Geld und Sicherheitstechnik erhalten,
um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten .
Was ist das für ein politisches Signal in dieser Situation?
Diese Kooperation wäre doch fast wie eine Einladung an
al-Baschir, mit seiner menschenverachtenden Politik einfach weiterzumachen . Er bleibt ja nicht nur ungestraft;
er wird durch diese Politik als Partner wieder hoffähig
gemacht . Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolleginnen und Kollegen . Stoppen Sie diese unseligen Pläne!
({3})
Trotz vieler Rückschläge hat UNAMID in den vergangenen Jahren eine sehr wichtige Arbeit geleistet . Die
Mission hat die Versorgung vieler Menschen mit dem
Nötigsten sichergestellt, Hunderttausenden Schutz geboten und wenigstens teilweise Stabilität in der Region
hergestellt . Eine Schwächung oder gar Beendigung der
Mission hätte katastrophale Folgen für die Menschen vor
Ort . Das wäre übrigens auch ein politischer Sieg der verbrecherischen Politik der Machthaber in Khartoum . Das
darf auf gar keinen Fall passieren .
({4})
Für uns Grüne bleibt UNAMID ein zentraler Faktor
der Nothilfe für die Menschen in Darfur und auch zur
Stabilisierung der gesamten Region . Deshalb werden wir
diesem Mandat auch diesmal zustimmen .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({5})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Dr . Bernd Fabritius für die CDU/CSU das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Konflikt in der Region Darfur geht in sein
14 . Jahr . Zwischenzeitlichen Beruhigungsphasen folgte
immer wieder ein Aufflammen der Kämpfe. Zuletzt kam
es im Frühjahr 2016 erneut zu intensiven Kampfhandlungen mit allen negativen Begleiterscheinungen . Ohne
die UNAMID-Mission bliebe allerdings die Bevölkerung
ohne Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Verbrechen .
Dass wir heute den deutschen Beitrag zu dieser Mission
verlängern, halte ich deshalb für unsere Pflicht.
Die anhaltend schlechte Lage der Menschenrechte und die katastrophale humanitäre Lage, die heute zu
Recht bereits betont wurde, unter der Millionen Menschen, insbesondere Kinder und Frauen, leiden, machen
die UNAMID-Mission umso wichtiger . Dass man dabei, Herr Kollege Dr . Schmidt, gezwungenermaßen und
punktuell auch mit einer Regierung interagieren muss,
die diese Lage mitverantwortet und die zu Recht scharf
kritisiert wird, ist doch kein Grund, die Mission an sich
infrage zu stellen .
({0})
- Es ist richtig, er hat das nicht gesagt . Ich verlagere nur
die Betonung . Wir besprechen das nachher, Frau Kollegin .
UNAMID steht jedenfalls - und dem wird nicht widersprochen werden können - aufseiten der Zivilbevölkerung . Sie richtet Schutzzonen ein und sichert diese .
UNAMID erleichtert die Leistung humanitärer Hilfe,
die ebenfalls der Zivilbevölkerung zugutekommt . Wir
mögen in diesem Haus unterschiedliche Auffassungen
zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Allgemeinen
haben . Der humanitäre und protektive Charakter der
UNAMID-Mission, über die wir heute sprechen, sollte
allerdings, liebe Frau Kollegin Buchholz, diese Differenzen ausräumen . Die blauen Helme der UNAMID-Soldaten bedeuten für die sudanesische Zivilbevölkerung
Schutz und Unterstützung . Deswegen sollte der Deutsche
Bundestag sich heute geschlossen hinter diesen Einsatz
stellen .
({1})
Aktuell zeichnen sich wieder hoffnungsvolle Signale
für einen Frieden im Sudan und in der Region Darfur ab .
Im März hat die Afrikanische Union mit der sudanesischen Regierung eine Roadmap verhandelt, welche zu
einem Ende der Kampfhandlungen, zur Schaffung von
Zugängen für humanitäre Hilfe und zu einer erneuten
Annäherung der Konfliktparteien führen soll. Im August wurde die Roadmap auch von Teilen der Oppositionsgruppen unterzeichnet . Es wäre natürlich naiv, zu
glauben, dass damit nun ein Frieden in greifbare Nähe
gerückt wäre . Ein wenig Optimismus darf und muss aber
gerade auch im Interesse der sudanesischen Bevölkerung
erlaubt sein .
Die humanitäre Hilfe und der Schutz, der durch
UNAMID ermöglicht wird, verschaffen Erleichterung
und geben Hoffnung . Wenn wir nicht optimistisch auf die
kleinen Fortschritte blicken würden, die auch durch die
UNAMID-Mission zustande kommen, dann würden wir
den persönlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, der Polizisten und zivilen Experten vor Ort kleinreden . Und das wäre nicht angemessen .
Erst Anfang November wurden erneut Waffenstillstände durch die Regierung sowie zwei Oppositionsparteien verkündet . Es sind die Phasen der relativen Ruhe,
in denen die UNAMID-Mission ihrem Auftrag zu - ich
zitiere - „Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zur Bekämpfung ihrer tieferen Ursachen“, verstärkt
nachkommen kann . Solche Maßnahmen, meine Damen
und Herren, sind es, die zu einem dauerhaften Frieden
führen können . Wir begrüßen deshalb die Bemühungen
eines nationalen Dialoges der sudanesischen Regierung, auch wenn dieser durch das Fernbleiben relevanter
Volksgruppen und Oppositionskräfte bisher nur geringe
Wirkung entfaltet .
Meine Damen und Herren, es ist ein grauenhafter
Konflikt, über den wir heute sprechen: 300 000 Tote und
Millionen Binnenvertriebene . Ich stimme zu, dieser Konflikt ist nur politisch zu lösen. Für dieses Ziel wird auch
die UNAMID-Mission als Teil eines umfassenden Beitrags der Bundesrepublik Deutschland zur Beendigung
des Konflikts gebraucht. Der Beitrag umfasst neben der
Beteiligung an UNAMID die Hilfe der Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit
durch Verfassungsberatung und Demokratieförderung
sowie die Unterstützung des Auswärtigen Amtes bei der
regionalen Rüstungskontrolle zur besseren Überwachung
der Waffenbestände .
Wir tun - zusammenfassend - viel Gutes, und dafür
bitte ich um Ihre Unterstützung . Den Soldatinnen und
Soldaten, die weltweit die heute geschilderten Ziele
verfolgen, danke ich ganz herzlich . Ich wünsche ihnen
und ihren Familien frohe Weihnachten, genau wie Ihnen,
meine Damen und Herren Kollegen im Bundestag .
Danke .
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10549, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10189 anzunehmen . Wir stimmen
über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich bitte
jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen, und nutze die Zeit für den
Hinweis, dass gültige Abstimmungskarten nicht nur bei
der Abstimmungsurne an der Regierungsbank, sondern
auch bei allen anderen hier im Saal befindlichen Abstim-
mungsurnen abgegeben werden können . Sind jetzt alle
Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? - Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung .
Gibt es noch jemanden hier im Saal, der seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat? - Das ist erkennbar nicht
der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben .1)
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f
auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr . Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung
Drucksache 18/9125
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Haushaltsausschuss ({1})
Federführung strittig
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung der Bundes-Tierärzteordnung
Drucksache 18/10606
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der Aufbewahrung von Notari-
atsunterlagen und zur Einrichtung des Elek-
tronischen Urkundenarchivs bei der Bundes-
notarkammer
Drucksache 18/10607
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Brennstofflieferungen für belgische Atom-
kraftwerke stoppen
1) Ergebnis Seite 20869 A
Drucksache 18/9676
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kommunen stärken - Kommunalisierung und
Rekommunalisierung unterstützen
Drucksache 18/10282
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({4})
Innenausschuss ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Regionale Wirtschaftspolitik - Ein integriertes Fördersystem für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland schaffen
Drucksache 18/10636
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Dazu übergebe ich an meine Kollegin Edelgard
Bulmahn .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den genannten
Tagesordnungspunkten handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir
kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei denen die
Federführung strittig ist .
Tagesordnungspunkt 33 a . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9125 zur Änderung der Abgabenordnung
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Haushaltsausschuss .
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung
beim Haushaltsausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist
dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Linken abgelehnt worden .
Vizepräsident Johannes Singhammer
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag von
CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung
beim Finanzausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen worden .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 33 e . Auch
hier ist die Federführung strittig . Der Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10282 mit dem Titel
„Kommunen stärken - Kommunalisierung und Rekommunalisierung unterstützen“ soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden . Die
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie,
die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Innenausschuss .
Ich lasse auch hier zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen . Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist auch dieser Überweisungsvorschlag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, Federführung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie .
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht
der Fall . Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen .
Das sind die Tagesordnungspunkte 33 b bis 33 d sowie
der Tagesordnungspunkt 33 f . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? - Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 c bis 34 m sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 i auf . Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 34 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann
({1}), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abschaffung der Zwangsverrentung von
SGB-II-Leistungsberechtigten
Drucksachen 18/589, 18/5434
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5434, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/589 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen der Kommission für zwei
Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher
Kriterien für die Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften im Zusammenhang
mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten (C({3}) 3751, C({4}) 3752)
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes
Schutz vor Hormongiften verbessern - Die
Kriterien für endokrine Disruptoren müssen
dem Vorsorgeprinzip entsprechen
Drucksachen 18/10382, 18/10659
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10659, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10382
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({5}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Sechste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung
Drucksachen 18/10346, 18/10444 Nr. 2.2,
18/10662
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/10346 zuzustimmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese
Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({6})
Übersicht 9
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
Drucksache 18/10652
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Stimmt
jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({7})
zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2
BvR 1482/16, 2 BvE 3/16 und 2 BvR 1823/16
Drucksache 18/10653
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden .
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 34 h bis 34 m .
Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 388 zu Petitionen
Drucksache 18/10486
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 388 einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 389 zu Petitionen
Drucksache 18/10487
Wer stimmt hierfür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch die Sammelübersicht 389
einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 390 zu Petitionen
Drucksache 18/10488
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 390 mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 391 zu Petitionen
Drucksache 18/10489
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 391
einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 392 zu Petitionen
Drucksache 18/10490
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 392 mit
den Stimmen der Koalition und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 393 zu Petitionen
Drucksache 18/10491
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 393 mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({14})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen
Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3277 mit dem Titel
„Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend
sicherstellen und sozial verankern“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Stimmt jemand dagegen? Enthält sich jemand? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition angenommen worden .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der FrakVizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2879 mit
dem Titel „Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden .
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({15}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Christian Kühn ({16}), Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Feinstaubemissionen aus Baumaschinen reduzieren
Drucksachen 18/3554, 18/4399
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4399, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3554 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({17}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia KottingUhl, Lisa Paus, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Atomkosten verursachergerecht anlasten Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anheben
Drucksachen 18/10034, 18/10545
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10545, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10034 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist
nicht der Fall . Dann ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten 2 d bis 2 i .
Es handelt sich um weitere Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses .
Zusatzpunkt 2 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 394 zu Petitionen
Drucksache 18/10644
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 395 zu Petitionen
Drucksache 18/10645
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 396 zu Petitionen
Drucksache 18/10646
Wer stimmt dafür? - Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 397 zu Petitionen
Drucksache 18/10647
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 398 zu Petitionen
Drucksache 18/10648
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 399 zu Petitionen
Drucksache 18/10649
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Bevor ich den Zusatzpunkt „Aktuelle Stunde“ aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung vortragen . Abgegeben wurden 587
Stimmen . Mit Ja haben gestimmt 526 Kolleginnen und
Kollegen . Mit Nein haben gestimmt 60 Kolleginnen und
Kollegen . Ein Abgeordneter hat sich enthalten .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon
ja: 526
nein: 60
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({24})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({25})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({26})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({27})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({28})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({29})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({30})
Stefan Müller ({31})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({32})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({33})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({34})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({35})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({36})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({37})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({38})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({39})
Sabine Weiss ({40})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({41})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({42})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({43})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({44})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({45})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({46})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({47})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({48})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({49})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({50})
Matthias Schmidt ({51})
Dagmar Schmidt ({52})
Carsten Schneider ({53})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({54})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({55})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({56})
Volker Beck ({57})
Dr . Franziska Brantner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({58})
Christian Kühn ({59})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({60})
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Christian Petry
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({61})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({62})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({63})
Enthalten
SPD
Dr . Ute Finckh-Krämer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({64}) aufgeführt .
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zur deutschen
Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die
Relaisstation Ramstein
Für die Diskussion liegt mir die Rednerliste schon
vor . Damit kann ich die Aussprache eröffnen . Als erster
Redner hat Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke das
Wort .
({65})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg über Ramstein als Relaisstation . Vor zwei Wochen hat hier in der Fragestunde
die Bundesregierung zum ersten Mal nach vielen Jahren
eingeräumt, dass Ramstein eine solche Relaisstation ist .
Jahrelang haben Sie die Öffentlichkeit und dieses Parlament getäuscht . Das lassen wir nicht durchgehen .
({0})
Von Kontrollstationen in den USA wird die Kommunikation über ein Glasfaserkabel nach Ramstein geleitet
und von dort via Satellit in die Einsatzgebiete . Bereits
im April 2010 wurde das Verteidigungsministerium von
der US-Regierung über den Bau einer hierfür notwendigen - Zitat - „Drohnen-SATCOM-Relais-Einrichtung“
in Ramstein unterrichtet . Seitdem haben zahlreiche Journalisten, Abgeordnete - Herr Ströbele, Herr Movassat,
Herr Alexander Neu, Gregor Gysi und auch meine Wenigkeit - immer wieder nachgefragt . Anwälte, Menschenrechtsaktivisten, ehemalige Drohnenpiloten, sogar
ein Untersuchungsausschuss des Bundestages haben das
Thema aufgegriffen und die Rolle Ramsteins als unverzichtbare Relaisstation bestätigt .
Dreieinhalb Jahre lang antwortete die Bundesregierung, ihr lägen dazu keine Erkenntnisse vor . Über Jahre
wurde diese Formel wiederholt oder einfach die Fragestellung verdreht .
Im April 2014 sagte schließlich der ehemalige
US-Drohnenpilot Brandon Bryant hier im Untersuchungsausschuss aus und berichtete von seinen über
1 000 Einsätzen, die über Ramstein gingen . Erst danach
schickte die Bundesregierung einen Fragenkatalog an
die US-Botschaft . Mit dessen Beantwortung werde in
wenigen Wochen gerechnet, erklärte mir damals Staatssekretärin Professor Maria Böhmer . Damit begann das
Kasperletheater . Es wurde immer wieder gefragt, und es
wurde immer wieder gesagt: Ja, wir haben die US-Seite
nachdrücklich, eindringlich usw . darauf hingewiesen . Aber es kam bis zur letzten Sitzungswoche keine Antwort .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung höhlt die parlamentarische Kontrolle aus . Wir wurden mit halbseidenen Antworten verhöhnt . Dieser Umgang mit dem Fragerecht der Abgeordneten ist völlig
inakzeptabel .
({1})
Es sind auch derartige Vorgänge, die das Vertrauen in die
Demokratie untergraben . Das darf nicht sein .
({2})
Mit der Duldung des Drohnenkriegs über Ramstein
bricht die Bundesregierung nicht nur das Grundgesetz,
sondern auch Völkerrecht und die universellen Menschenrechte . Ich meine damit nicht nur die gezielten Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren . Mit ihrer gesamten
militärischen Drohnenpolitik der letzten zehn Jahre hat
die US-Regierung die Kriegsführung nicht nur räumlich,
sondern auch völkerrechtlich entgrenzt . Der Einsatz der
US-Kampfdrohnen erfolge als militärische Gewalt und
sei damit auf Basis von Recht und Gesetz, schreibt das
Auswärtige Amt; alles andere seien Einzelfälle, für die
wir zuerst Belege bringen sollten .
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen,
({3})
die gezielten Hinrichtungen sind keine Einzelfälle . Wir
können davon fast täglich in den Medien lesen . Es ist
die Bundesregierung, die uns beweisen muss, dass die
Tötungen ohne Gerichtsverfahren über eine Relaisstation
in Ramstein keine Beteiligung an einer völkerrechtlichen
Straftat darstellen .
({4})
Die Bundesregierung darf die Militäroperationen von
deutschem Territorium aus nicht erlauben, erst recht
nicht, wenn diese im Verdacht stehen, mit tausendfachen
illegalen Hinrichtungen völkerrechtswidrig zu sein . Das
NATO-Truppenstatut ist kein Freibrief für das US-Militär . Auch die Bundesregierung hat nach dem Abkommen
Rechte und Pflichten, etwa zur Überprüfung der rechtmäßigen Nutzung der überlassenen Standorte . Kein Gesetz,
keine Konvention der Welt gestattet die Führung von Todeslisten und die Hinrichtung ohne vorheriges Gerichtsverfahren .
({5})
Das Stationierungsabkommen mit den USA und der
NATO für die Air Base Ramstein muss deshalb gekündigt werden .
({6})
Statt jetzt selbst in den Drohnenkrieg einzusteigen,
wie es die Bundesregierung mit der eigenen Anschaffung
von Kampfdrohnen des Typs Heron TP plant, wären internationale Initiativen zur Ächtung oder wenigstens zur
Einhegung des wuchernden Einsatzes von Kampfdrohnen notwendig . Ich war letzte Woche bei der UNO in
New York . Ich habe mich da erkundigt, wie der Stand der
Debatte ist . Es gibt sehr wohl Initiativen, leider ohne Aktivitäten von deutscher Seite . Das ist sehr traurig . Setzen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Sie sich endlich für eine Drohnenkonvention ein! Verzichten Sie auf die deutschen Kampfdrohnenpläne, und
schließen Sie Ramstein für den US-Drohnenkrieg!
Vielen Dank .
({7})
Als nächster Redner hat Dr . Wadephul für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben auf der Tagesordnung sicherlich eine
der schwierigsten politischen und militärischen Fragen,
({0})
was ethische Aspekte angeht . Zu meinem Vorredner
möchte ich nur sagen: Dieses Thema eignet sich nicht
zu der Simplifizierung, die Sie gerade hier angewandt
haben .
({1})
- Ich meine, Antiamerikanismus geht bei Ihnen immer .
Aber das wird mit uns nicht zu machen sein, meine sehr
verehrten Damen und Herren .
({2})
Antiamerikanismus ist noch keine Politik . Schauen Sie
sich die Thematik doch bitte einmal in aller Ruhe an .
Wir haben ja festgestellt, dass Sie hier die Forderung
erhoben haben, dass man alle vertraglichen Übereinkünfte, was Ramstein betrifft, kündigen sollte .
({3})
Möglicherweise schlagen Sie uns als Nächstes - auch das
gehört zu Ihrer Agenda - vor, dass wir aus der NATO
austreten
({4})
und das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika beenden . Ich stelle hier nur in den Raum: Wer meint,
so verantwortliche Außen- und Sicherheitspolitik in der
nächsten Legislaturperiode gestalten zu können, wird
garantiert die Sicherheit und die Freiheit Deutschlands
gefährden,
({5})
und davor können wir nur warnen, meine sehr verehrten
Damen und Herren .
({6})
Das Thema ist komplex, und es ist schwierig .
({7})
- Entschuldigung, ich muss ja erst einmal auf das antworten, Herr Kollege Trittin, was seitens der Linksfraktion hier bisher holzschnittartig vorgetragen wurde .
({8})
Ich finde, wir müssen erstens zwischen dem technischen Fluggerät Drohne und zweitens seinem konkreten
Einsatz unterscheiden . Sie haben hier gerade eben im
Übrigen Aufklärungsdrohnen und Kampfdrohnen, die
also zur Bekämpfung geeignet sind, in einem Atemzug
genannt .
({9})
- Sie haben eben ein konkretes Gerät genannt .
({10})
Dazu sage ich Ihnen: Die Aufklärungsdrohnen, die beispielsweise unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen,
schützen Menschenleben und sorgen dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten einen sichereren Einsatz
durchführen können . Deswegen ist das zunächst einmal
ein richtiger, guter und militärisch zu rechtfertigender
Einsatz von Drohnen .
({11})
Die klassische völkerrechtliche Unterscheidung, die
uns natürlich leitet und die das humanitäre Völkerrecht,
das Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts kodifiziert wurde, geprägt hat, nämlich die Unterscheidung
zwischen Kombattanten und Zivilisten, bei der man sich
dann darauf verlassen kann, dass in dieser Auseinandersetzung die Kombattanten auch wirklich Uniform tragen
und als solche erkennbar sind, gilt eben leider in den
asymmetrischen Auseinandersetzungen, die wir mit alQaida, mit ISIS und anderen Extremisten in dieser Welt
zu führen haben, nicht mehr .
({12})
Das muss man zur Kenntnis nehmen, und darauf müssen
wir uns in Zukunft auch einstellen .
Selbstverständlich ist es völkerrechtlich, kriegsvölkerrechtlich zulässig, in militärischen Auseinandersetzungen dieser Art auch Kampfdrohnen einzusetzen .
({13})
- Das mag umstritten sein . Das haben wir auch hier im
Deutschen Bundestag schon für die deutsche Bundeswehr miteinander diskutiert . Darüber muss man sich politisch auseinandersetzen .
({14})
Jeder, der den Einsatz von Drohnen verneint, verlangt
ja nur, dass ein Pilot im Flugzeug sitzt und sich einer entsprechenden Lebensgefahr aussetzt .
({15})
Wir halten unter diesen Aspekten den Einsatz von
Kampfdrohnen prinzipiell für zulässig,
({16})
und ich warne davor, von vornherein den Einsatz dieser
militärischen Mittel hier zu verteufeln Wenn wir diese
Auseinandersetzung gewinnen wollen und wenn wir dabei möglichst wenige Leben von Soldatinnen und Soldaten gefährden wollen, dann muss man
({17})
sich diese technischen Möglichkeiten offenhalten .
Nun kommen wir sicherlich - das will ich Ihnen ohne
Weiteres zugestehen - zu den schwierigen Punkten des
Drohneneinsatzes, der von den Vereinigten Staaten von
Amerika, übrigens unter Präsident Obama,
({18})
offenkundig in einem Umfang vermehrt worden ist, wie
wir das nicht erwartet haben . Das steht in einem bemerkenswerten Gegensatz dazu, dass nahezu die gesamte
Weltöffentlichkeit bedauert, dass dieser Präsident nun
nicht weiter im Amt ist und nicht von einer Parteifreundin sozusagen beerbt wird . Er hat auch hier in Deutschland noch einmal diesen Einsatz von Kampfdrohnen gerechtfertigt, und es ging kein Aufschrei der Empörung
durch Deutschland . Nein, dieser Präsident hat eine große
Unterstützung dafür erhalten .
Die Bundesregierung hat - das möchte ich abschließend sagen, Frau Präsidentin - ganz klar festgehalten:
Es gibt keine aktive deutsche Beteiligung an derartigen
gezielten Tötungen, etwa in Form von Racheakten, ohne
dass es ein entsprechendes Gerichtsverfahren gegeben
hat . - Auch wir sind natürlich dieser Auffassung und
würden uns militärisch nie an so etwas beteiligen .
({19})
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
müssen bündnisfähig bleiben, und wir brauchen die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika
im Rahmen der NATO selbstverständlich auch weiterhin .
Das sollten wir durch diese Fragen nicht erschüttern lassen .
Vielen Dank .
({20})
Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Wadephul, über Ramstein haben Sie nun
keinen Satz verloren, nicht einmal ein Wort .
({0})
Ramstein und AFRICOM, das ist aber heute das Thema .
Es geht hier heute bei dem Tagesordnungspunkt „Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am
US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein“ nicht
nur darum, dass gezielte Hinrichtungen ohne jedes Gerichtsurteil mit unseren Werten, wie sie im Grundgesetz
verankert sind, mit der Unantastbarkeit der Würde des
Menschen, mit dem Recht auf Leben und mit dem Verbot der Todesstrafe nicht zu vereinbaren sind . Das passt
überhaupt nicht zusammen .
({1})
Sie können zwar sagen: Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus sind auch besondere Maßnahmen
erforderlich . - Die grundsätzliche Frage ist jedoch: Geht
das auch so weit, dass wir - so wie das jetzt praktiziert
worden ist - solche gezielten Tötungen zulassen, ihnen
zustimmen oder sie über unser Gebiet abwickeln lassen, wenn sie in Gebieten stattfinden, wo überhaupt kein
Krieg herrscht, wenn sie sich gegen Personen richten, die
zu Hause sitzen, die irgendwo auf dem Feld arbeiten, die
in einem Jeep oder in einem Lastwagen - nicht in einem
Militärfahrzeug - durch die Gegend fahren? Gilt das
dann auch? Das kann nicht sein, wenn unsere Werte, die
wir verteidigen wollen, gerade auch in diesem Krieg, in
dieser Auseinandersetzung, gewahrt werden sollen .
({2})
Es geht heute speziell in dieser Aktuellen Stunde darum: Was hat die Bundesrepublik Deutschland mit diesen Drohneneinsätzen zu tun, die wahrscheinlich von
US-Präsident Obama oder von der US-Administration
befohlen worden sind? Was hat die Bundesregierung damit zu tun? Was haben also wir damit zu tun? Ich kann
Ihnen nur sagen: Wenn es stimmt, dass die Drohnen
über Ramstein an ihr Ziel gelenkt werden und dann auf
den Auslöser für die Rakete gedrückt wird, dann ist die
Bundesrepublik Deutschland mitverantwortlich und mitschuldig . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen .
({3})
Deshalb hat die Bundesregierung all die Jahre auf solche Fragen immer geantwortet: Wir wissen nicht, was sie
da machen . Wir gehen davon aus, dass sie sich an Gesetz
und Recht halten, auch in Deutschland . Das steht in den
Vereinbarungen . Das steht in den Verträgen . - Haben sie
das wirklich gemacht? Hat sich die Bundesregierung bei
den Amerikanern kundig gemacht? Hat sie das gemacht,
was wir gemacht haben? Wir sind nach Ramstein gefahren und haben den kommandierenden General gefragt:
Was machen Sie eigentlich? Was läuft über Ramstein mit
den Drohnen? - Er hat uns genau dasselbe wie Obama
gesagt: Wir lassen keine Drohnen in Deutschland starten . Wir befehligen sie auch nicht in Ramstein . - Nun
hat niemand behauptet, dass sie Drohnen in Deutschland
starten . Das würde überhaupt keinen Sinn machen . Denn
sie könnten gar nicht so weit fliegen, um in Afrika eingesetzt zu werden . Etwas anderes ist auch nie behauptet
worden . Es ist die Frage: Wird die Relaisstation in Ramstein genutzt?
Jetzt haben wir hier eine völlig neue Situation, weil
wir vom Außenministerium gehört haben: All das, was
bisher vermutet wurde, was in der Zeit und im Spiegel
stand, bestätigt, dass Relaisstationen die Befehle an die
Einsatzorte der Drohnen weitertragen, und das läuft über
Ramstein .
Der Zeuge Brandon Bryant hat im Untersuchungsausschuss ausgesagt - er war fünf Jahre lang Drohnenpilot
und an unzähligen Tötungen beteiligt -: Vor jedem Einsatz haben wir in Ramstein angerufen . Wir hatten an unserem Telefon eine Wahlwiederholungstaste, auf die wir
gedrückt haben, um eine Verbindung mit Ramstein zu
bekommen . Erst wenn Ramstein „okay“ gesagt hat, dann
haben wir losgelegt und dann gingen die Befehle aus der
Wüste in den USA über Glasfaser nach Europa und von
dort über die Relaisstation zu den Satelliten . - Das hat er
ausgesagt .
Er hat etwas Weiteres ausgesagt: Die Bundesregierung
war davon unterrichtet . - Das ist ihm immer wieder von
seinen Offizieren, seinen Vorgesetzten versichert worden.
Der Bundesregierung sind die Papiere darüber ausgehändigt worden . Sie wusste das alles . Die Bundesregierung
hat uns hier im Bundestag die Unwahrheit gesagt . Sie hat
nicht zu dem gestanden, was sie wusste . Das können wir
nicht hinnehmen . Wir müssen unsere Rechte einklagen .
Wir müssen die Rechte der Öffentlichkeit in Deutschland
einklagen .
({4})
Wir verlangen Wahrheit und Klarheit . Nur dann kann
die Bundesregierung wieder glaubwürdig werden .
({5})
Deshalb habe ich Strafanzeige gegen die Verantwortlichen in Deutschland und in den USA erstattet aufgrund
der klaren Aussage, dass Deutschland bei den Drohnenangriffen dabei ist . Ich sage - und kann es nur unterstützen -: Das darf nicht länger geduldet werden .
({6})
Sie können nicht noch drei Jahre verhandeln, sondern
es muss beendet werden . Nach den Auskünften, die die
USA Deutschland gegeben haben, muss jetzt Schluss
sein . Man muss den USA sagen: Diese ganze Tätigkeit
muss sofort eingestellt werden . Die Relaisstationen dort
müssen geschlossen werden .
Herr Kollege .
Es dürfen keine Tötungsbefehle über Deutschland,
über Ramstein gegeben werden .
({0})
Thomas Hitschler hat als nächster Redner das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nicht nur Weihnachten steht vor der Tür, sondern auch Silvester rückt immer näher - und damit zahlreiche Wiederholungen des Klassikers Dinner for One .
({0})
Ähnlich wie der Butler James in diesem zeitlosen Sketch
frage ich mich angesichts dieser Aktuellen Stunde: „The
same procedure as last year?“ Wir alle kennen das Stück,
und wir alle wissen, dass es eigentlich nichts wirklich
Neues gibt . Aber wenn der Linkspartei für die Aktuelle Stunde nichts Aktuelleres einfällt, schauen wir es uns
eben noch einmal an .
({1})
Das immer gleiche Stück der Linkspartei handelt von
den bösen Amerikanern und von der deutschen Beteiligung an Völkerrechtsverletzungen . Im Gegensatz zu
Dinner for One, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben
wir es hier aber mit einem sehr ernsten Stoff zu tun .
({2})
Es geht um nicht weniger als Leben und Tod . Daher halte
ich es für geboten, diese Debatte zu versachlichen .
({3})
Das offizielle Thema dieser Aktuellen Stunde ist die
Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung
am Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein . Aber
seien wir ehrlich: Tatsächlich wollen Sie doch alte Forderungen und Vorwürfe wieder aufwärmen . Ihre Forderung
lautet, den Stützpunkt Ramstein unverzüglich zu schließen .
({4})
Dazu haben Sie einen Antrag gestellt, den wir im Januar,
soweit ich das richtig im Kopf habe, noch einmal besprechen werden .
({5})
Ihr zusätzlicher Vorwurf lautet, die Bundesregierung beteilige sich an völkerrechtswidrigen, extralegalen Tötungen .
({6})
Beides, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich für
falsch . Ich sage Ihnen auch gerne, wieso ich das für
falsch halte:
Erstens . Angesichts der aktuellen Entwicklungen in
der Welt will ich erst einmal eines unterstreichen: Eine
gute Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bleibt
für die Bundesrepublik sicherheitspolitisch von extrem
hoher Bedeutung .
({7})
Die Westbindung und die Mitgliedschaft in der NATO
sind seit Jahrzehnten Grundpfeiler der Sicherheit und des
Friedens in Deutschland . Dies in der aktuellen Weltlage aufzukündigen, wäre politisch eine absolute Geisterfahrt - unverantwortlich und mit uns auch nicht zu machen .
({8})
Teil dieser Zusammenarbeit sind auch die US-amerikanischen Stützpunkte auf deutschem Boden wie der in
Ramstein .
Zweitens . Als Pfälzer muss ich Ihnen eines deutlich
sagen: Ramstein zu schließen, so wie Sie es fordern,
wäre ein herber Schlag für die ganze Region .
({9})
Die Militärgemeinde Kaiserslautern erzeugt eine jährliche Gesamtwertschöpfung für die regionale Wirtschaft
({10})
von über 2 Milliarden US-Dollar .
({11})
Die US-Streitkräfte sind einer der größten Arbeitgeber
in Rheinland-Pfalz . Gute Zusammenarbeit und regionale wirtschaftliche Interessen bedeuten aber nicht - jetzt
kommt der Punkt, ab dem Sie mir zuhören sollten -, dass
wir völlig unkritisch miteinander umgehen müssen oder
dass wir alles gutheißen müssen, was die andere Seite tut .
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich lehne extralegale gezielte Tötungen absolut ab .
({12})
Das ist auch die Position der Bundesregierung; so steht
es schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag . Dort ist auch
festgehalten, dass sich Deutschland für eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzt .
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Extralegale Tötungen außerhalb bewaffneter Konflikte sollten weltweit geächtet werden - mein Kollege Karl-Heinz Brunner wird
dazu gleich noch etwas sagen -, aber so weit sind wir
leider noch nicht .
({13})
Die völkerrechtliche Bewertung des Drohnenkriegs gestaltet sich wesentlich schwieriger, als es die Vorwürfe
der Linkspartei suggerieren . Drohnenangriffe weichen
das Völkerrecht auf . Das wird mit allem Recht kritisiert . Aber per se völkerrechtswidrig sind sie eben nicht .
Deutschland hat den USA in völkerrechtlichen Verträgen
wie dem NATO-Truppenstatut die Nutzung der Air Base
in Ramstein eingeräumt . Die USA sind dort weder Besatzer noch gibt es ein Sonderrecht . Der Stützpunkt bleibt
auf deutschem Boden, und dort gilt deutsches Recht .
({14})
Um die zugesicherte Nutzung der Air Base zu verweigern, müsste man hieb- und stichfest nachweisen
({15})
- deshalb warten wir das Gerichtsurteil ab -, dass sich die
USA dort nicht an deutsches Recht halten, Herr Ströbele .
Die Vereinigten Staaten haben der Bundesregierung jedoch wiederholt zugesichert, dass sie deutsches Recht
beachten .
({16})
Die Bundesregierung kommt ihrem grundgesetzlichen
Auftrag nach, wenn sie die USA darauf hinweist, dass die
Air Base Ramstein nur in rechtskonformer Weise genutzt
werden darf - so lautet das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das aktuelle Geltung hat, Kolleginnen und
Kollegen . Von Ramstein aus werden keine Drohnen gestartet und gesteuert
({17})
- ich bin sehr dankbar, Herr Ströbele, dass Sie das vorhin
gesagt haben -; das hat auch die amerikanische Regierung immer wieder betont . Die USA nutzen den StützThomas Hitschler
punkt Ramstein nach den derzeitigen Kenntnissen im
Rahmen des deutschen Rechts . Die von der Linkspartei
konstruierte deutsche Beteiligung am US-Drohnenkrieg
besteht also im Grunde darin, eine rechtskonforme Nutzung der Air Base Ramstein nicht zu verweigern .
({18})
Das ist am Ende ein rechtlich dünner Vorwurf mit sehr
wenig Neuigkeitswert, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Um es mit den Worten der 90-jährigen Miss Sophie zu
sagen: The same procedure as every year .
Vielen Dank .
({19})
Michael Vietz hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Mir geht es heute nicht
darum, ob sich Deutschland direkt oder indirekt über den
Standort Ramstein an militärischen Einsätzen beteiligt .
Es geht mir auch nicht um den Einsatz von Drohnen im
Allgemeinen oder im Speziellen . Vielmehr geht es mir
darum, wie wir mit unserem langjährigen Bündnispartner
USA umgehen .
({0})
Deutschland ist keine Insel . Wir können uns nicht von
der Welt abkoppeln . Wir stehen Schulter an Schulter mit
unseren Verbündeten und Partnern für unsere gemeinsamen Werte, was wir mit den heutigen Mandatsbeschlüssen erneut unterstrichen haben . Sicherlich: Es gilt dabei,
die notwendige Balance zu halten .
Bei Erhalt und Verteidigung unserer Werte verlieren
wir unsere Grundsätze nicht aus den Augen . Die Einhaltung des Völkerrechts sowie der in unserem Land geltenden Gesetze sind selbstverständlich .
({1})
- Genau . - Fakt ist: Die amerikanische Militärpräsenz in
Deutschland ist ein Zeichen der Bündnissolidarität innerhalb der NATO . Sie liegt auch in unserem sicherheitspolitischen Interesse .
Ramstein ist der größte Militärflugplatz außerhalb
Amerikas . Hier laufen entscheidende Funktionen zusammen . Dazu gehört unter anderem die NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften . Aber auch
humanitäre Einsätze, zum Beispiel die Bekämpfung der
Ebolakrise, wurden und werden hier koordiniert .
Die Rolle von Ramstein beim Einsatz von Drohnen
wird vonseiten der Bundesregierung in einem beharrlichen Dialog mit Washington diskutiert; beharrlich heißt
übrigens: nicht schreien, kreischen und Ähnliches . Wir
wissen, dass Drohnen in Ramstein weder starten noch
landen oder gesteuert werden .
({2})
Daran hat sich bis jetzt auch nichts geändert . Und auch
die Nutzung als Relaisstation für Steuerungsdaten fällt
meines Erachtens nicht in diesen Bereich; Sie haben selber in Ihren Beiträgen unterstrichen, dass das nicht wirklich eine neue Erkenntnis, eine neue Datenlage ist . Dies
ist in meinen Augen auch nicht als Beteiligung unseres
Landes an Einsätzen, egal welcher Art, zu werten .
Die Herleitung, dass wir Verantwortung und Kontrolle
über die über Ramstein weitergeleiteten Daten übernehmen müssen, weil wir das Gelände zur Verfügung stellen,
halte ich schlichtweg für abwegig . Wichtig ist der regelmäßige, konstruktive Dialog . Gegenseitiges Vertrauen ist
unabdingbar .
({3})
Würde dieses Misstrauen, das wir gegenüber einem unserer Verbündeten hier regelmäßig äußern, nur zur Hälfte
gegenüber anderen Akteuren der Weltpolitik geäußert,
wäre der eine oder andere hier in diesem Haus glaubwürdiger .
({4})
Dieses Vertrauen erreichen wir sicher nicht, wenn wir
Reflexen von Misstrauen und Kontrollfantasien nachgehen .
({5})
- Im Kindergarten habe ich gelernt: Wer am meisten und
am lautesten schreit, hat am Ende nicht immer recht .
({6})
Zu unterstellen, dass in Ramstein umfangreich gegen
geltendes Recht verstoßen wird, führt nicht weiter . Es gilt
das humanitäre Völkerrecht, das - wir haben es schon
gehört - den Einsatz von Drohnen nicht verbietet, sondern beschränkt . Dabei ist eine pauschale Betrachtung
ausgeschlossen . Es wird grundsätzlich jeder einzelne Fall
geprüft .
({7})
Uns allen ist klar, dass die sicherheitspolitische Lage
täglich neue Herausforderungen für uns bereithält . Die
Bedrohung durch den internationalen Terrorismus gehört mittlerweile zu unserem Alltag; diese wird übrigens
durch die Relaisstation Ramstein auch nicht größer . Allein aufgrund unserer Werte und Grundsätze stehen wir
seit vielen Jahren im Fadenkreuz von Daesh, al-Qaida
und anderen .
Der Dialog über Ziele und Mittel militärischer Aktivitäten ist ebenso wichtig wie der Dialog über Einhaltung
von Recht und Gesetz . Beides macht die Bundesregierung mit unseren Partnern, auch wenn die Antworten
manchmal auf sich warten lassen, auch wenn manchmal
nachgehakt werden muss .
({8})
Die technische Möglichkeit allein - ich weiß, Sie zitieren gerne Lenin -, Ramstein als Relaisstation zu nutzen, hat keinerlei Auswirkungen auf uns . Unsere Partner
wissen um unsere Vorbehalte und berücksichtigen diese .
Manchmal lohnt es sich, einfach weiter in Vertrauen zu
investieren, solange man keine wirklich belastbaren Beweise für das Gegenteil hat .
({9})
Als nächster Redner hat Alexander Ulrich von der
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist wirklich sehr interessant, wie insbesondere die
Vertreter der Großen Koalition in diesem Hohen Hause
damit umgehen, dass wir jetzt seit 14 Tagen wissen, dass
in Ramstein das Grundgesetz gebrochen wird .
({0})
Es ist wirklich unwürdig, Herr Wadephul und Herr
Hitschler, dass Sie uns, wenn wir dieses Thema hier ansprechen - man muss es in einer Aktuellen Stunde ansprechen -, Antiamerikanismus vorwerfen . Es gibt kein
anderes Land auf der Erde, das den Drohnenkrieg von
deutschem Boden aus organisiert . Deshalb können wir in
diesem Fall nur die Amerikaner ansprechen .
({1})
Das ist auch nichts Neues, Herr Hitschler - genauso wenig, wie Dinner for One zu Silvester etwas Neues ist -;
denn wir wissen seit zwei Wochen von Herrn Roth, der
das hier in einer Regierungsbefragung zugestanden hat,
dass die Relaisstation eine wichtige Rolle spielt . Seitdem
müssen wir diesem Thema nachgehen, weil die Bundesregierung uns offensichtlich entweder jahrelang belogen
hat oder nur auf das vertraut hat, was die amerikanische
Regierung gesagt hat. Jetzt wissen wir es offiziell, und
deswegen können wir nicht mehr schweigen .
({2})
Herr Wadephul und Herr Hitschler, lassen Sie uns das
mal einordnen . Worum geht es hier?
({3})
Es geht um den Kampf gegen den Terror . Wir als Linke
sagen es nicht zum ersten Mal - das sage ich hier ganz
deutlich -: Man kann Terrorismus nicht mit Terror bekämpfen .
({4})
Doch was passiert? Dem Drohnenkrieg, der auch von
Ramstein aus gesteuert wird, sind mittlerweile schon
über 5 000 Zivilisten zum Opfer gefallen . Nicht nur das,
was in Paris oder New York passiert ist, ist Terrorismus .
Es ist auch Terrorismus, wenn unschuldige Menschen im
Jemen umgebracht werden . Auch das ist Terrorismus .
({5})
Weil Sie sagten, es sei alles in Ordnung, zitiere ich aus
einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages:
Unstreitig ist dagegen, dass Deutschland völkerrechtswidrige Militäroperationen ({6}), die durch ausländische Staaten von
deutschem Territorium aus durchgeführt werden,
nicht dulden darf .
({7})
Die völkerrechtswidrige „Exekution“ eines Terrorverdächtigen durch Kampfdrohnen außerhalb eines
bewaffneten Konflikts kann daher, wenn die Bundesregierung davon weiß und nicht dagegen protestiert, eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen
Delikt darstellen .
({8})
Das heißt: Wir wissen jetzt durch Staatsminister Roth,
was von Ramstein aus passiert . Wer dagegen nichts tut,
beteiligt sich daran, verübt Beihilfe zum Mord . - Das
muss so deutlich ausgesprochen werden .
({9})
Deshalb muss man es deutlich sagen: Auch wenn es
sich um einen US-Militärstützpunkt handelt und Sie vielleicht glauben, dass wir aufgrund unserer Bündnistreue
die Augen verschließen müssen vor dem, was die Amerikaner tun, können wir nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen . Herr Hitschler, ich würde mich freuen, wenn
Sie und Ihre Partei sich an Willy Brandt erinnern würden,
der mal gesagt hat: „Vom deutschen Boden darf nie wieder Krieg ausgehen .“ Ramstein liegt auf deutschem BoMichael Vietz
den . Bei Ihrer Rede müsste sich Willy Brandt eigentlich
im Grabe umdrehen .
({10})
Ich glaube, seit den NSA-Aktionen, aber spätestens
jetzt können wir nicht einfach mehr auf das vertrauen,
was uns Obama oder andere Mitglieder der US-Regierung jeden Tag sagen, nämlich dass man sich an deutsches Recht halte . Spätestens jetzt muss man doch klar
sagen: Offensichtlich machen die Amerikaner auf deutschem Boden und unter den Augen der deutschen Bürger
so lange weiter, wie man sie lässt . Nicht nur aufgrund des
Abhörskandals, sondern auch aufgrund der Situation in
Ramstein wissen wir, dass es nicht ausreicht, wenn uns
die US-Regierung sagt, sie halte sich an unser Grundgesetz . Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was im Grundgesetz drinsteht .
({11})
Diese Aussage kann der Bundesregierung doch nicht
ausreichen, um die Augen zu verschließen .
Es ist an der Zeit, deutlich zu machen, dass wir diesen
Drohneneinsatz über die Relaisstation in Ramstein ablehnen . Das bedeutet auch, dass die Bundesregierung alles
tun muss, um zu überprüfen, was in Ramstein passiert .
Wenn es überprüft ist und festgestellt wurde, was dort
passiert, müssen die Aktionen, die von der Relaisstation
ausgehen, auch gestoppt werden . Das ist das Mindeste,
was man von der Bundesregierung erwarten kann, wenn
sie sich ans Grundgesetz halten will .
({12})
Ich komme zum Schluss . Es wird nicht das letzte Mal
sein, dass wir hier im Bundestag darüber reden .
({13})
Noch einmal: Das, was Herr Staatsminister Roth gesagt hat, war nicht irgendwann an Silvester bei Dinner
for One, sondern das war vor 14 Tagen . Wir haben seit
14 Tagen eine ganz neue Sachlage . Deshalb wird uns das
Thema auch ins neue Jahr begleiten . Wir als Linke werden die Aktivitäten des Aktionsbündnisses „Stopp Ramstein“ unterstützen,
({14})
das auch im nächsten Jahr wieder mit Tausenden in der
Westpfalz - ich komme von dort; ich wohne etwa 5 Kilometer von Ramstein entfernt - protestieren wird .
Wir wollen, dass sich Deutschland nicht am Drohnenkrieg beteiligt . Wir wollen, dass sich Deutschland nicht
am Krieg gegen den Terror beteiligt, wo unschuldige
Menschen ums Leben kommen, wo gemordet wird . Wir
wollen, dass die Relaisstation in Ramstein tatsächlich
geschlossen wird . Deshalb unterstützen wir das Aktionsbündnis „Stopp Ramstein“ . Ich hoffe, dass nicht nur die
Grünen, sondern auch andere irgendwann wieder einmal
sagen: So geht es nicht, was da passiert .
Vielen Dank .
({15})
Doris Barnett hat als nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich hoffe, wir sind uns zumindest darin einig, dass wir
seit 70 Jahren ein robustes transatlantisches Verhältnis
zwischen Deutschland und den USA haben . Und das ist
gut so .
({0})
Das hat uns geholfen, 70 Jahre in Frieden zu leben, und es
hat uns auch auf dem Weg zur Wiedervereinigung geholfen . Hätten wir dieses Verhältnis nicht, hätten wir - das
hätten Sie gern gemacht - die Amerikaner rausgeschmissen, weiß ich nicht, ob wir heute hier stehen würden .
({1})
Natürlich hat dieses transatlantische Verhältnis auch
Höhen und Tiefen erlebt . Natürlich gab es Präsidenten
mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, wie der Friede in
der Welt verwirklicht werden kann . Natürlich lässt sich
darüber streiten . Wir werden wahrscheinlich auch mit
dem neuen Präsidenten darüber streiten, was der richtige
Weg sein wird . Darüber kann man reden . Es gibt ja auch
verschiedene Auffassungen .
Ich möchte daran erinnern, dass wir 2002 mit Kanzler
Schröder jemanden hatten, der sich gewehrt hat, der gesagt hat: Den Weg, den Amerika vorgibt, gehen wir nicht
mit .
({2})
Wir sind nicht mit in den Irak gezogen . Das zeigt, wie
robust unser Verhältnis zu Amerika ist . Denn dieses Verhältnis hat eben auch diese unterschiedliche Meinung
ausgehalten . Eine emanzipierte Partnerschaft muss so etwas auch aushalten . Ich bin froh, dass wir nie ernsthafte
Verwerfungen haben .
Die Welt von heute ist in der Tat viel komplizierter
geworden . Das Schlimme ist: Wir wissen heute gar nicht
mehr, wer morgen Freund oder Feind ist . Oder wollen
Sie behaupten, dass Sie das wissen?
({3})
Aber wir wissen, dass Amerika unser Freund ist und
unser Verbündeter bleibt . Nichts zu tun, was Sie praktisch vorschlagen, ist für mich keine Option . Gerade jetzt
brauchen wir wieder stabile transatlantische Beziehungen und auch ein stabiles Bündnis . Denken Sie doch einmal daran, was in den letzten Tagen in Syrien geschehen
ist . Wurden dort nicht auch viele zivile unschuldige Menschen umgebracht?
({4})
Mir ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten . Wir müssen auch einander vertrauen . Denn wenn wir anfangen,
dem anderen gegenüber misstrauisch zu werden, dann
fliegt uns das Bündnis um die Ohren.
({5})
Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist kein eindimensionales . Es ist nicht auf die militärische Zusammenarbeit beschränkt . Diese ist nur eine Facette unserer
wirklich robusten Zusammenarbeit auf ganz, ganz vielen
Gebieten . Aber die militärische Zusammenarbeit ist nicht
unwichtig . Darauf, dass die Amerikaner für uns die Kastanien aus dem Feuer holen - das sage ich Ihnen auch
einmal -, haben wir uns jahrzehntelang ausgeruht .
Jetzt sind wir am Ende der Couch-Potato-Ära angelangt .
({6})
Das heißt, dass wir selbst wieder viel mehr Verantwortung übernehmen müssen in einem sicherheitspolitisch
verantwortlichen Europa, das sich anscheinend erst bildet . Noch sind alle zögerlich und warten nur darauf ich darf an die Zeit des Balkankriegs erinnern; es war
schändlich, was sich Europa da geleistet hat -,
({7})
dass die Amerikaner eingreifen . Ich kann es nur noch
einmal sagen: Wir sind froh, dass wir solch ein Bündnis
haben .
Aber wir müssen feststellen, dass wir uns aufgrund
unserer Verantwortung auch neue Wege überlegen müssen . Wir in Deutschland haben einen eigenen Weg für
Konfliktlösungen eingeschlagen. Er ist zwar langwierig
und zäh und erleidet auch hin und wieder Rückschläge;
aber am Ende der vielen kleinen Schritte zeigt sich doch
Erfolg . Wir gehen mit unserem Außenminister den Weg
des Gesprächs, des Dialogs, der Diplomatie und auch das ist neu - den Weg der parlamentarischen Diplomatie .
Das ist eine neue, große Herausforderung, gerade an uns
Abgeordnete selbst .
Helfen wir, die Feuer auszutreten, bevor es zum Brand
kommt! Verstärken wir den Dialog mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Welt! Nehmen wir Partei für
unsere Kollegen dort, wo sie bedroht werden!
({8})
Werden wir laut, wo Menschenleben auf dem Spiel stehen, und zwar nicht nur, wenn unser Partner angeblich an
allem schuld ist! Es gibt auch andere Schuldige .
Mit unserem Partner USA können wir reden, wir
können mit ihm diskutieren, und wir können streiten;
denn wir vertreten immerhin dieselben Werte auf der
Welt, auch wenn wir bei den Zielrichtungen verschiedene Wege gehen und darüber auch weiterhin reden und
im Gespräch bleiben müssen . Wir haben dafür Sorge zu
tragen, dass wir jetzt noch bessere Möglichkeiten bekommen, als Abgeordnete mit unseren Kolleginnen und
Kollegen in den USA zu reden . Wir haben das Deutsche
Haus in New York, und auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents in Kalifornien haben wir die Villa
Aurora und jetzt auch noch das Thomas-Mann-Haus . All
diese Einrichtungen können und sollten wir für diesen
notwendigen Dialog nutzen .
({9})
Lassen Sie uns nicht wegen einer Relaisstation streiten,
sondern nehmen wir den Dialog auf!
Vielen Dank .
({10})
Jürgen Trittin hat als nächster Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegen von der Großen Koalition scheinen die Waffengattung verwechselt zu haben . Wir reden hier darüber,
ob in völkerrechtswidriger oder fragwürdiger Art und
Weise auf deutschem Boden der Einsatz von Drohnen ermöglicht wird . Das ist das Thema, nicht aber die Frage:
Wie werfe ich im Interesse von Rheinland-Pfalz und mit
Blick auf die Standortbedingungen und die Gemeinden
dort möglichst viele Nebelgranaten?
({0})
Die zweite Nebelgranate, die Sie geworfen haben, ist
die Frage der deutsch-amerikanischen Freundschaft . Frau
Barnett, ich bin zutiefst überzeugt, dass wir mit den USA
gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte tragen, übrigens auch in schwierigen Zeiten . Aber gerade da muss
man sagen: Es ist falsch verstandene Freundschaft, wenn
diese Zusammenarbeit und diese Freundschaft nicht auf
dem Boden des Rechts und des Völkerrechts stattfinden.
Dann ist es nicht Freundschaft, sondern falsch .
({1})
Sie haben das Beispiel selbst genannt . Ich lasse mir
doch nicht nachsagen, ich sei ein Antiamerikaner gewesen, als eine Bundesregierung, der ich angehört habe,
Folgendes gesagt hat: Das, was die US-Regierung im
Irak macht, ist völkerrechtswidrig . Da machen wir nicht
nur nicht mit, sondern da sorgen wir dafür, dass es eine
Mehrheit im Sicherheitsrat dagegen gibt . - Das war keine
Absage an unsere transatlantische Beziehung . Also lassen Sie diese Diskussion bitte im Schrank .
({2})
Wir reden hier über die Frage: Wie ist es ermöglicht
worden, von deutschem Boden aus in völkerrechtswidriger Art und Weise Drohnen einzusetzen? Ich dachte,
da hätten wir einen Konsens . Ich habe die Äußerungen
aus dem Auswärtigen Amt und die Papiere dazu gesehen .
Sie mögen mir politisch nicht passen; aber die offizielle
Auffassung ist: Der Einsatz von Kampfdrohnen ist nicht
in jedem Fall völkerrechtswidrig . Er ist gebunden an die
Voraussetzung, dass es sich um einen bewaffneten Konflikt handelt. - Wenn wir uns die veröffentlichten Daten
der Amerikaner anschauen, dann stellen wir fest: Die
Drohnen werden außerhalb von bewaffneten Konflikten
eingesetzt . Sie werden also auch nach der Rechtsauffassung, die Sie dargelegt haben, in völkerrechtswidriger
Art und Weise eingesetzt .
({3})
Das muss doch jetzt eine Handlung zur Folge haben .
Wir können doch nicht mit angucken, wie das, worauf
wir alle uns immer berufen haben, nämlich dass im
Kampf gegen den Terrorismus sich nicht das Recht des
Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts am Ende durchsetzen wird, von einem unserer Bündnispartner in dieser
Art und Weise mit Füßen getreten wird,
({4})
und dies umso mehr, als es mehr als Evidenzen gibt, dass
die Führung dieses Krieges ohne die Logistik über Ramstein nicht möglich ist; sie wird dafür genutzt . Wenn sie
dafür genutzt wird, dann müssen Sie als Ausfluss Ihrer
eigenen Rechtsauffassung alles dafür tun, dass das nicht
mehr geschieht, weil Sie sich sonst an dieser Sache mitschuldig machen . Das ist der Kern des Problems .
({5})
Ich will, damit das nicht zu einer rein juristischen Debatte wird, noch eine Sache hinzufügen . Herr Vietz, Sie
haben gesagt, die terroristische Bedrohung werde nicht
größer . Doch! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen,
wie viele Unbeteiligte gestorben sind - da kann man die
Zahlen der USA oder die Zahlen von NGOs nehmen; das
ist egal -, und schauen Sie sich an, was in Pakistan, in Somalia und mitten in Afrika - in Ländern, denen niemand
den Krieg erklärt hat - passiert . Diese Drohnenangriffe,
bei denen so viele Zivilisten getötet werden, entwickeln
sich für terroristische Wortführer und Hetzer zur Rekrutierungserzählung . Diese Angriffe führen dazu, dass sich
in diesen asymmetrischen Konflikten mehr Menschen
auf die Seite des Terrors stellen .
({6})
Deswegen meine dringende Aufforderung an Sie: Tun
Sie alles, damit das beendet wird! Das ist nicht nur im
Sinne des Völkerrechts - wir dürfen keine völkerrechtswidrigen Operationen von unserem Grund aus erlauben -,
({7})
sondern auch in unserem Sicherheitsinteresse . Denn was
dadurch passiert, ist, dass der Terror auf der Welt mehr
Zulauf bekommt . Deswegen: Beenden Sie das!
({8})
Anita Schäfer hat als nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Als Abgeordnete für Ramstein bin ich
mit der Art vertraut, mit der die Linke die diskutierte
Funktion des Stützpunktes bei amerikanischen Drohneneinsätzen immer mal wieder öffentlichkeitswirksam
in Szene zu setzen versucht . So haben die Kollegen Sahra
Wagenknecht und Alexander Ulrich im letzten Sommer
vor den Toren der Basis demonstriert,
({0})
nachdem sie angeblich keine Antwort auf ein Schreiben
bekommen hatten, wonach sie sich auf dem Gelände über
die Rolle Ramsteins bei Drohneneinsätzen informieren
wollten . Zu dieser Zeit war allerdings bereits ein Besuch
des Verteidigungsausschusses geplant, der wenig später,
im Oktober dieses Jahres, stattfand; aber das war vielleicht nicht schlagzeilenträchtig genug . Herr Dr . Neu,
auch Sie waren ja mit dem Verteidigungsausschuss in
Ramstein zugegen und wurden aufgeklärt .
({1})
Die Anziehungskraft Ramsteins für Proteste ist überhaupt bemerkenswert . Dagegen hat es zum Beispiel lange gedauert, bis es erst kürzlich die erste vergleichsweise
bescheidene Demonstration gegen den Syrien-Krieg vor
der russischen Botschaft gegeben hat .
({2})
Ich habe den Verdacht: Bestünde die Vermutung, dass die
Bombardierung Aleppos über Deutschland unterstützt
würde, wäre das Schweigen ohrenbetäubend .
({3})
Vor diesem Hintergrund muss man auch den Titel
dieser Aktuellen Stunde betrachten: Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg über die Relaisstation RamJürgen Trittin
stein . Dazu möchte ich feststellen: Es gibt erstens keinen
völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg und zweitens keine
deutsche Beteiligung daran .
({4})
Wenn Sie schon von einem Krieg, also einem bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts,
ausgehen, ist der Einsatz von Drohnen darin nicht völkerrechtswidrig . Auch ein unbemanntes Waffensystem ist
nur ein Waffensystem wie andere auch . Natürlich kann
es - genau wie andere Waffensysteme - auf völkerrechtswidrige Weise eingesetzt werden .
({5})
Aber die Amerikaner selbst haben im Sommer dieses
Jahres die Regeln veröffentlicht, nach denen sie Ziele
für Drohnenangriffe auswählen und diese angreifen, einschließlich der Berücksichtigung rechtlicher Grundlagen .
({6})
- Sonst würde ich es nicht sagen .
Man kann immer überprüfen, ob ein einzelner Angriff den Regeln des Völkerrechts entsprochen hat, einschließlich der Frage, ob er tatsächlich im Rahmen eines bewaffneten Konflikts stattgefunden hat. Aber noch
einmal: Der Einsatz von Drohnen an sich ist eben nicht
völkerrechtswidrig .
({7})
Auch die Weiterleitung von Daten über Ramstein stellt
keine deutsche Beteiligung dar . Nur weil Daten durch
Deutschland fließen, ist Deutschland nicht an der Operation beteiligt, für die sie verwendet werden, noch berührt
das unbedingt deutsches Recht . Andernfalls müssten wir
uns in unserer vernetzten Welt mit allen Vorgängen befassen, bei denen das Internet eine Rolle spielt und Daten
über deutsche Knotenpunkte fließen.
({8})
- Das wäre was . - Sie wissen natürlich auch, dass zwei
verschiedene Gerichte einschließlich des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Jahr verneint haben, dass die
Bundesregierung zur Überwachung der Völkerrechtskonformität von Drohneneinsätzen verpflichtet ist, die
möglicherweise über Ramstein gesteuert werden . Beide
haben sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezogen, wonach der Regierung bei der
Erfüllung ihrer Pflicht zum Schutz des Lebens auf dem
Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik ein weiter
Entscheidungsspielraum zusteht .
({9})
Allerdings hat diese Koalition im Koalitionsvertrag
klargestellt, dass wir extralegale, völkerrechtswidrige
Tötungen mit bewaffneten Drohnen kategorisch ablehnen,
({10})
wobei sich das zunächst auf jetzige und künftige deutsche Politik bezieht, aber natürlich eine grundsätzliche
Haltung ist .
Aber unsere amerikanischen Partner sind dem Völkerrecht ebenso verpflichtet wie wir,
({11})
und sie haben wiederholt versichert, bei der Nutzung ihrer Einrichtungen in Ramstein deutsches und internationales Recht zu achten,
({12})
wie es ja unter engen Verbündeten auch selbstverständlich ist . Uns verbinden schließlich Jahrzehnte vertrauensvoller Zusammenarbeit für die gemeinsame Sicherheit,
und ich denke, das können Sie nicht abstreiten .
({13})
Natürlich wird die Linke weiter von Völkerrechtswidrigkeit und deutscher Beteiligung reden . Nur: Richtiger
wird es nicht .
Danke .
({14})
Als nächster Redner spricht Dr . Brunner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute in der Aktuellen Stunde des Bundestags über das amerikanische Drohnenprogramm sprechen, dann sollten wir dies beim Namen
nennen und nicht Ramstein als Medium nutzen für Dinge
wie den Austritt aus der NATO, den Austritt aus Bündnissen und die Aufkündigung der deutsch-amerikanischen
Freundschaft . Wir sollten das nicht „Ramstein“ nennen .
Um was geht es denn heute? Was haben wir heute
diskutiert? Was bewegt uns heute? Es bewegen uns die
extralegalen gezielten Tötungen von Menschen, Tötungen außerhalb von Regionen bewaffneter Konflikte,
Tötungen außerhalb von Rechtsstaatlichkeit, außerhalb
Anita Schäfer ({0})
des Kriegsvölkerrechts . Dabei geht es um Unrecht, um
Unrecht in der Form, dass der Verdacht, sich in terroristischen Organisationen zu engagieren, als ausreichend
angesehen wird, und vor allem um Unrecht, bei dem
häufig - ja, sogar sehr oft - Zivilisten betroffen sind. Das
ist Unrecht . Das muss unter Freunden, auch den amerikanischen, ganz klar und deutlich gesagt werden . Das ist
normal .
Deshalb hat die Bundesregierung dieses Thema - und
hier sind wir wieder bei Ramstein - wiederholt und beharrlich und nicht nur, weil im Koalitionsvertrag steht:
Extralegale Tötungen sind ausgeschlossen, gegenüber
den US-amerikanischen Behörden auch angesprochen .
({1})
Ende August, verehrte Kolleginnen und Kollegen auch
von den Linken, wurden die neuen Informationen seitens
der Amerikaner übermittelt . Sie wurden unmittelbar auch
an die Obleute weitergegeben, sodass diese informiert
und umfassend in Kenntnis gesetzt sind .
Es ist nicht meine Aufgabe als Abgeordneter, aber
bei ordnungsgemäßer Information weiß man dies: Die
deutsche Regierung fordert weiterhin die Einhaltung
deutschen Rechts, unseres Grundgesetzes, in Ramstein
ein . Die Vereinigten Staaten haben, zumindest bis zum
heutigen Zeitpunkt, erklärt, dass sie deutsches Recht in
Deutschland auch anwenden, und das ist für uns Grundlage .
({2})
Damit wären wir beim Thema Ramstein . Ich möchte
aber sagen: Das größte Problem der Logik des US-Drohnenprogramms und der sogenannten Targeted Killings ist
nicht der Ort - Ramstein -, von wo sie gesteuert werden,
sondern das ist die Tatsache, dass sich das Relais überall
auf dieser Welt befinden kann.
({3})
Ist es heute nicht Ramstein, so ist es übermorgen Timbuktu oder irgendein anderer Ort dieser Welt .
({4})
Meine Kolleginnen und Kollegen, legen Sie sich
nicht auf Ramstein fest . Das Problem ist die räumliche
und zeitliche Entgrenzung von Kriegen, der permanente
Selbstverteidigungsfall im Kampf gegen den Terrorismus und das Schaffen gefährlicher Präzedenzfälle der
Kriegsführung für künftige Generationen .
Deshalb haben wir als SPD-Mitglieder des Unterausschusses Abrüstung bereits im vergangenen Sommer ein
Positionspapier erarbeitet, das fordert, dass die Praxis der
extralegalen Tötungen nicht nur beseitigt, sondern durch
das deutsche Parlament, den obersten Souverän, auch geächtet wird, damit das Thema in die internationale Debatte eingespeist wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, ich habe die Bitte, dass Sie sich unserem
Papier möglichst schnell anschließen, damit wir in die
entsprechenden Diskussionen auf internationaler Ebene,
in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen, eintreten können, um extralegale Tötungen auch
weltweit zu ächten .
({5})
Es geht nicht primär um Ramstein und um die Frage, die wir hier im Hause diskutieren, sondern es geht
letztendlich um Recht, Anstand und Menschenwürde;
denn werden Drohnen, gleich welcher Art, gesteuert und
außerhalb von Kriegsgebieten eingesetzt, bedeutet dies
nicht nur traumatisierte Opfer und dauernd in Angst lebende Menschen, sondern auch einen ständigen Bruch
unseres Völkerrechts .
Ich glaube, dass Drohnen niemals Kriege befrieden
und dass sie auch niemals zur Selbstverteidigung im Sinne von Artikel 51 der UN-Charta genutzt werden können
und dürfen . Das wäre nämlich falsch . Damit würden wir
nur der Logik der Terroristen folgen .
Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Hohen
Hause als hoher Souverän extralegale Tötungen noch in
dieser Legislaturperiode gemeinsam ächten und dies in
den internationalen Prozess einspeisen, womit wir sie an
der Wurzel bekämpfen und wir nicht an den Symptomen
herumdoktern würden .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Florian Hahn hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon der Titel Ihrer Aktuellen Stunde - ursprünglich lautete er sogar „Beteiligung am völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg“ - zeigt, worauf es Ihnen
ankommt, nämlich auf das Kochen einer großen, trüben
Drohnensuppe, in der alles mit allem vermischt wird Hauptsache, am Ende riecht es übel und die USA sind an
allem schuld . In Ihrer schlichten Weltsicht gilt: Drohne
plus USA ist gleich böse .
({0})
Es geht Ihnen eigentlich nicht um Ramstein oder
Drohnen, sondern um Antiamerikanismus pur, und es
geht Ihnen nicht um das Recht - weder um das deutsche
noch um das Völkerrecht .
({1})
Genau dieser Ansatz ist aber fatal . Das Völkerrecht ist eines der Fundamente der freiheitlichen Weltordnung, ein
Maßstab, auf den sich alle geeinigt haben .
({2})
Es ist Ausdruck der kondensierten Erfahrungen aus Jahrhunderten von Krieg und Elend . Mit dem pauschalisierten, instrumentalisierten, ja, schlampigen Gebrauch entwerten Sie diese fundamentalen Normen .
({3})
Wir müssen präzisieren und den Einzelfall genau betrachten . Daher darf eben nicht alles, was mit Drohnen zu
tun hat, in einen Topf geworfen werden . Auf Differenzierung dürfen wir nicht verzichten . Was steht also in Rede?
Eine angebliche deutsche Beteiligung am US-Drohnenkrieg .
Die Bundesregierung und die Vorredner der Koalition
haben darauf hingewiesen: Die USA haben wiederholt
bestätigt, dass Drohneneinsätze der von Ihnen beschriebenen Art von Ramstein weder gestartet noch gesteuert
werden .
({4})
Allerdings nutzen die USA bei den Drohneneinsätzen
von anderen Einsatzorten aus unter anderem auch die
Relaisstation in Ramstein zum Datentransfer und gegebenenfalls für bestimmte Planungs-, Überwachungs- und
Auswertungsaufgaben . Zu Einzelfragen solcher Einsätze
ist die Bundesregierung mit der US-Regierung im intensiven Gespräch .
Die USA haben zugesichert, dass die Aktivitäten der
US-Militärbasis in Deutschland in Übereinstimmung mit
geltendem Recht erfolgen . Bis zur näheren Klärung vertrauen wir auf diese Zusicherung .
({5})
Gespräche und Vertrauen sind der einzig richtige Weg,
wie man mit dem engsten Verbündeten umgeht, der uns
70 Jahre lang geholfen hat, unsere Freiheit zu bewahren .
Die Tatsache, dass die USA die amerikanische Militärinfrastruktur in Deutschland zum Datentransfer
für Drohnenoperationen nutzen, ist allein ohnehin kein
Grund für Kritik . Einsätze unbewaffneter oder bewaffneter Drohnen sind eben nicht per se rechtswidrig . Bei Einsätzen in bewaffneten Konflikten müssen wir vielmehr
sauber unterscheiden . Wie jede Waffe, zum Beispiel ein
Schweizer Taschenmesser, kann auch eine bewaffnete
Drohne rechtswidrig eingesetzt werden: bei Angriffen
auf unzulässige Ziele, unter Vernachlässigung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder zur ungerechtfertigten Tötung außerhalb bewaffneter Konflikte.
Sie kann aber auch rechtmäßig angewendet werden:
im Kriegsgebiet gegen militärische Gegner, ohne unnötiges Leiden zu verursachen oder Zivilisten zu treffen .
Auch eine Drohne kann differenzierend nur gegen Kombattanten eingesetzt werden .
({6})
Sie kann das Exzessverbot wesentlich besser beachten
als andere Waffensysteme . Drohnen haben zudem die
Möglichkeit, stundenlang über dem Einsatzgebiet zu fliegen und mit Kameras die Umstände vor Ort genau zu beobachten . Erst wenn klar ist, dass sich nur Militärisches
im Zielgebiet befindet, kann der Einsatzbefehl gegeben
werden. Das macht Drohnen gegenüber Kampfflugzeugen oder Artillerie deutlich überlegen . Durch präzisere
Luftschläge sinkt das Risiko für die Zivilbevölkerung .
Auch die gezielte Tötung bestimmter Personen kann
in bewaffneten Konflikten rechtmäßig sein. Es bleibt
also die entscheidende Frage zu klären, welche Art von
Einsätzen in Rede steht . Drohneneinsätze pauschal zu
verurteilen, ist absurd . Sie sollten noch einmal die Entwicklung der amerikanischen Drohneneinsätze genau
betrachten .
({7})
Ihr Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität .
Die Zahl der Drohnenangriffe ist in den letzten Jahren
stark zurückgegangen, ebenso wie die Zahl ziviler Opfer .
Das zeigen die vorliegenden Daten, und das bestätigen
auch NGOs .
({8})
Die USA haben sich unter Präsident Obama entschieden, den Einsatz von Drohnen zunehmend strikteren, am
Völkerrecht ausgerichteten Regeln zu unterwerfen und
transparenter zu machen . Die neuen Grundsätze der USA
für den Drohneneinsatz sind allgemein zugänglich . Sie
sollten sie noch einmal intensiv lesen .
Wenn es also um die Bereitstellung militärischer Infrastruktur in Deutschland geht, so sollten wir den USA
klarmachen: Wir sind dazu bereit, wenn es um völkerrechtskonforme Einsätze geht . Ich sehe die Bundesregierung hier auf einem guten Weg .
Abschließend möchte ich Ihnen noch sagen: Die Vorstellung, man könne dem Terror nur mit einem Stuhlkreis
und ohne Gewalt begegnen, ist aus meiner Sicht reichlich
naiv und gefährlich .
({9})
Roderich Kiesewetter hat jetzt als Redner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser doch sehr ernsthaft geführten Debatte liegen mir drei
Dinge am Herzen, die es zur weiteren Einordnung des
Themas anzusprechen gilt . - Es ist erstaunlich, dass Sie
jetzt verstummen, Sie haben ja recht laut begonnen auf
der linken Seite .
({0})
- Das freut mich, das ist auch notwendig .
({1})
Es ist nichts Neues, worüber wir heute sprechen .
({2})
Die Antworten der Bundesregierung, die sie in der Fragestunde vor 14 Tagen gegeben hat, sind auch für das
Parlament nichts Neues .
({3})
Erster Aspekt . Im August hat die Bundesregierung Informationen der Vereinigten Staaten von Amerika erhalten und die Obleute des Auswärtigen Ausschusses unmittelbar im September informiert . - Völlig richtig, zeitnah
und angemessen . Nur: Wieso kam es dazu?
({4})
Das ist dem jahrelangen Engagement der Bundesregierung über mehrere Legislaturperioden hinweg zu verdanken, die auf die Amerikaner eingewirkt hat, Informationen über diese Thematik weiterzugeben .
Ein zweiter Aspekt ist für mich ganz entscheidend .
Genau am 1 . Juli dieses Jahres hat der US-Präsident eine
Weisung erlassen, in der er deutlich macht, wie im Drohnenkrieg künftig vorzugehen ist . Zugleich hat er einen
Bericht angefordert, der nun jedes Jahr im Frühjahr die
Öffentlichkeit, aber auch den amerikanischen Senat und
den Kongress über die zivilen Opfer des Drohnenkrieges
bzw . über die entstandenen Kollateralschäden informieren soll .
({5})
Die US-Regierung hat diesen Bericht gemeinsam mit
Nichtregierungsorganisationen entwickelt .
({6})
Ich denke, auch das ist der internationalen Diplomatie
und dem Wirken der Bundesregierung in einem gewissen
Maße zu verdanken . Das sollten wir honorieren .
Ein dritter Aspekt . Unsere Bundeskanzlerin hat am
9 . November dieses Jahres unmittelbar nach den Wahlen
dem neuen, designierten US-Präsidenten nicht nur gratuliert, sondern sehr klar die Wertebasis angesprochen,
auf der die US- und deutsche Partnerschaft beruht . Diese
Partnerschaft ist nicht nur für Deutschland, sondern gewiss auch für die USA unverzichtbar . Sie gründet auf den
Menschenrechten und auf gegenseitiger Wertschätzung .
({7})
Wesentlich ist hierbei, dass die Bundeskanzlerin genau darauf verwiesen hat, und wir werden auch als Koalition die neue US-Regierung an dem messen, was die alte
Administration entschieden hat . Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass die USA - weil sie in ihrer Politik des
Ausgleichs auch weltweite Unterstützung benötigen - in
Zukunft sehr große Aufmerksamkeit für dieses sensible
Thema aufbringen werden .
Lassen Sie mich deshalb abschließend darauf verweisen, dass die USA im Jahr 2007 die Einsatzregeln des
Drohnenkrieges aufgrund der Ereignisse in Afghanistan
erheblich verschärft haben .
({8})
Sie von der Opposition sollten sich lieber darüber informieren, statt ständig Ihr Schema zu wiederholen . Das
wird dadurch nicht besser, lieber Herr Ströbele .
Da wir heute über unsere Alliierten in Deutschland
sprechen, möchte ich an dieser Stelle auch sehr klar den
US-amerikanischen Soldaten und ihren Angehörigen in
Deutschland Danke sagen, dass sie fern der Heimat einen
guten und notwendigen Dienst für die Sicherheit leisten,
der nicht immer einfach ist, auch nicht in Ramstein .
Herzlichen Dank .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aktuelle Stunde .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes
Drucksache 18/10378
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({0})
Drucksache 18/10670
Zu diesem Gesetzentwurf liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Debatte . Als erste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Marks das Wort . Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zügig zu
setzen .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Contergan
steht für einen der schlimmsten Medizinskandale in der
Bundesrepublik . Durch dieses thalidomidhaltige Schlafmittel, nicht geprüft auf seine Auswirkungen auf Föten,
sind Kinder mit unterschiedlich schweren Missbildungen, vor allem an den Gliedmaßen, geboren worden . Das
Leben mit diesen Schädigungen und auch die Bewältigung des Alltags sind und bleiben alles andere als leicht .
Der Staat hat Verantwortung gezeigt, die Conterganstiftung eingerichtet und die ursprünglich von der Firma
Grünenthal eingebrachten Mittel mehrfach aufgestockt,
vor allem in den letzten Jahren durch Beschlüsse des
Parlaments . Die Conterganstiftung gewährt Kapitalentschädigungen, seit 2013 deutlich verbesserte Conterganrenten und, ebenfalls seit 2013, neue Leistungen für
die spezifischen Bedarfe. Das war auch dringend nötig.
Denn bei Contergangeschädigten machen sich jetzt, nach
über 50 Jahren, die körperlichen Überlastungen und Verschleißerscheinungen deutlich bemerkbar .
Viele Contergangeschädigte haben beispielsweise
Mund und Gebiss für Tätigkeiten nutzen müssen, für die
wir Arme und Hände gebrauchen . Die Folge sind Schädigungen im Schulter- und Nackenbereich, aber auch
starke Schmerzen und Abnutzung der Zähne. Häufig sind
spezielle Therapien sowie eine kieferorthopädische Behandlung des Gebisses notwendig .
Hier sollten die Leistungen für spezifische Bedarfe
helfen . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die diesjährige Evaluation des Gesetzes hat aufgezeigt, dass die
Leistungen nicht so bei den Betroffenen ankommen wie
gewünscht und auch wie nötig . Das Antragsverfahren ist
zu kompliziert, und viele Bedarfe sind nicht optimal abgedeckt . Bis Ende 2015 wurden erst 5 Millionen Euro
abgerufen .
Es geht darum, dass die Geschädigten die Hilfen erhalten, die für sie vorgesehen sind und die sie auch brauchen . Daher freue ich mich, dass die Empfehlungen des
Evaluationsberichtes umgesetzt werden . Ab dem 1 . Januar 2017 wird es zu einer Pauschalierung der Leistungen
für spezifische Bedarfe kommen. Die Pauschalierung
folgt auch dem Wunsch der Betroffenen . Die jährlichen
Pauschalen richten sich nach dem Grad der Beeinträchtigung . Damit sorgen wir für eine gerechte Verteilung der
Mittel und für eine weitgehende Gleichbehandlung aller
Betroffenen . Der Sockelbetrag kommt allen zugute, den
geringer Geschädigten in besonderer Weise . Die Pauschalen sind so gestaltet, dass die Betroffenen sie eigenverantwortlich verwenden können . Es wird keine Einzelfallprüfung mehr geben . Das spart Bürokratie . Aber was
viel wichtiger ist: Wir entlasten die Betroffenen, und die
Hilfen für spezifische Bedarfe kommen umfänglich bei
ihnen an .
Während der Beratungen über diesen Gesetzentwurf
war auch die Struktur der Stiftung ein Thema . Für eine
Veränderung wollen wir uns die Zeit nehmen, die für ein
solches Vorhaben notwendig ist . Als Grundlage dafür
wollen wir in Abstimmung mit dem Stiftungsvorstand
und dem Stiftungsrat ein Gutachten in Auftrag geben,
das die Stiftungsstruktur analysiert . Ich möchte mich an
dieser Stelle herzlich bei den Koalitionsfraktionen für
den guten Gesetzentwurf und die notwendige Weiterentwicklung der Hilfen für Contergangeschädigte bedanken .
Mein besonderer Dank geht an den Stiftungsvorstand für
seine engagierte und ehrenamtliche Arbeit im Sinne der
Betroffenen . Ebenfalls bedanke ich mich beim Stiftungsrat . Es ist auch dem Wirken der Stiftung zu verdanken,
dass die spezifischen Bedarfe nun zu einer wirklichen
Hilfe, die bei den Betroffenen ankommt, weiterentwickelt wurden . Dafür herzlichen Dank .
({0})
Als nächste Rednerin hat Katrin Werner für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Conterganstiftungsgesetzes . Ich möchte
mit einem Zitat beginnen:
Der Conterganskandal ist einer der größten Gesundheitsskandale in Deutschland und hatte Auswirkungen auch auf viele andere Länder in der
Europäischen Union . Ich will hier vor allem an die
zahlreichen Opfer erinnern, die jetzt meist in den
50er-Jahren sind .
Ein Stück weiter heißt es:
Viele von ihnen wurden nach mühevollem und
jahrelangem Kampf entschädigt . Andere haben bis
heute nur wenig Unterstützung erfahren, und gerade
diese Opfer dürfen wir nicht vergessen .
({0})
Es steht außer Frage, dass mein Heimatland
Deutschland bei der Aufarbeitung des Skandals eine
nicht ganz rühmliche Rolle gespielt hat und daher
auch eine Verantwortung mitträgt .
Dieses Zitat stammt aus der Rede, die Ihre Kollegin
Susanne Melior, meine Damen und Herren von der SPD,
gestern Abend im Europäischen Parlament gehalten
hat . Hier ist Europa wieder ein Stück weiter als wir in
Deutschland .
({1})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Natürlich haben wir große Fortschritte erreicht, zum
Beispiel mit der von den Betroffenen geforderten Pauschalisierung . Aber dabei wurden andere Fragen vergessen, zum Beispiel die Fragen nach den Hinterbliebenen
und der Höhe der Pauschalisierung . Die nun festgelegten
Beträge reichen zum Teil nicht für einen auskömmlichen
Ausgleich aus . Wenn man sich etwas nicht leisten kann,
braucht man eine Kapitalisierung . Angesichts des Alters
der Betroffenen, die früher Kinder waren und heute an
die 50 oder älter sind, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt noch Kredite aufnehmen können . All diese Fragen
sind nicht beantwortet .
Angesichts der Tatsache, dass die Betroffenen am
Anfang des Skandals jahrelang kämpfen mussten, ist die
Einsetzung einer Historikerkommission notwendig, die
diesen Skandal richtig aufarbeitet .
({2})
Ich vermute, dass viele von Ihnen, die sich mit diesem
Thema befassen, im September den Film Der geheime
Deal - Die dunkle Geschichte des Contergan-Skandals
auf WDR gesehen haben . Wer den Film gesehen hat,
weiß, dass noch viele Fragen offen sind . Diese sollten
schleunigst beantwortet werden . Bevor man aber eine
Historikerkommission einsetzt - natürlich unter Beteiligung der Betroffenen -, sollte nicht die Aufarbeitung
durch eine Landesregierung, sondern eine Entschuldigung dieses Hauses an erster Stelle stehen .
({3})
Ja, der Änderungsantrag hat viel vorangebracht, und
auch die Tatsache, dass die Strukturfrage getrennt behandelt wird, hat viel geändert . Wir werden uns trotzdem enthalten, weil ich glaube, dass wir an den Anfang
zurückgehen müssen, um zu verstehen, woher diese
geballte Ladung an Frust kommt . Erst dann kann man
verstehen, warum die Arbeitsweise und die Struktur das
Problem sind. Ich finde, die Strukturfrage ist nicht ganz
herausgelöst worden .
Wir haben zwei Entschließungsanträge eingebracht .
In einem dieser Anträge gehen wir auf die Struktur ein
und fordern, dass Mediatoren eingesetzt werden, um den
Prozess voranzubringen . Man muss sich schon mit der
Frage auseinandersetzen, wem die Stiftung gehört . Die
Betroffenen haben das Gefühl, dass das ihre Stiftung ist .
Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, dann sieht
man, dass sich Eltern heute teilweise Vorwürfe machen,
dass sie diesen Deal eingegangen sind . Insofern muss
man Verständnis für den Wunsch haben, dass diese Stiftung den Betroffenen gehören soll . Wir als Vertreter von
Parteien sind gewohnt, dass einem dann etwas gehört,
wenn man die Mehrheit hat. Wir müssen Wege finden,
wie man die Betroffenen mitnehmen und ihnen diese
Mehrheit verschaffen kann .
Um noch einmal auf das Europäische Parlament zurückzukommen: Die Frage hat auch eine internationale
Komponente, sie ist auch europäisch . Daher fordern wir
in unserem Antrag die Erstellung einer wissenschaftlichen Studie . Darin soll untersucht werden, wie man in
anderen europäischen Ländern mit den Opfern tatsächlich umgeht . Immer wieder hören wir von einem jahrelangen Kampf der Menschen, die jahrelang nicht wahrgenommen werden. Sie befinden sich teilweise in einem
verbitterten Modus, den man aber auch verstehen muss .
Wir haben jetzt einen Schritt nach vorne gemacht,
dennoch enthalten wir uns, weil uns einige Aspekte fehlen . Aber mein Appell ist, den weiteren Schritt nicht mit
einer Zweijahresstudie noch weiter in die Länge zu ziehen, sondern schnell eine solche Kommission einzurichten und schnell Gespräche des Bundesgesundheitsministeriums anzuberaumen . Im Europäischen Parlament
wurde gestern gesagt, dass man einen runden Tisch mit
dem Gesundheitsminister anstrebt . Da kann Deutschland
eine Vorreiterrolle einnehmen und dieses Gespräch vorantreiben . Damit kann Deutschland ein Stück Aufarbeitung leisten .
Danke .
({4})
Maik Beermann hat für die CDU/CSU-Fraktion jetzt
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Werner,
das waren sehr versöhnliche Worte . Ich glaube, dass das
ein sehr besonderes Thema ist, ein Thema, das mit vielen Emotionen verbunden ist, bei dem es sich definitiv
nicht lohnt, dass Regierungsfraktionen und Opposition
sich darüber streiten . Wir sollten vielmehr versuchen, das
Bestmögliche auf den Weg zu bringen . Dazu habe ich die
Hoffnung .
In meinem Skript steht, dass ich mich freuen würde,
wenn auch die Opposition zustimmt . Sie haben schon gesagt, dass es um die Struktur geht . Wenn wir noch das
eine oder andere auf den Weg bringen, dann bekommen
wir es vielleicht doch hin, dass wir gemeinsam einen Beschluss erwirken .
({0})
- Das finde ich auch gut, definitiv.
Mit dem Wort „Contergan“ - Frau Staatssekretärin
Marks hat es gesagt - verbindet jeder Einzelne von uns
den größten Arzneimittelskandal in Deutschland, dessen
Folgen bis heute das Leben der Betroffenen stark prägen und auch weiter prägen werden . Es handelt sich um
die Kinder der Frauen, die in der Schwangerschaft ein
vermeintlich unbedenkliches Medikament einnahmen
und nach der Entbindung das schreckliche Ausmaß der
Auswirkungen dieses Präparates auf ihre Kinder erleben
mussten .
Diese Kinder von damals sind heute längst selbstständige erwachsene Menschen, und für ihre Selbstständigkeit kämpfen die Betroffenen jeden einzelnen Tag . Es
ist für mich persönlich unvorstellbar, mit welch einer
schweren Last die Betroffenen, sowohl mit der physischen Belastung und den täglichen Hürden als auch mit
den tief sitzenden psychischen und emotionalen Eindrücken, umgehen . Unvorstellbar ist auch, wie das Leben
jedes Einzelnen und auch das der Angehörigen durch die
Einnahme eines Medikaments, zum Teil auch nur durch
eine einzige Tablette, so stark beeinflusst wurde und vor
allen Dingen bis zum Lebensende beeinflusst wird.
Geschädigte erzählen mir von Problemen im Alltag .
Dinge, die für uns alle selbstverständlich sind, stellen
für sie täglich eine große Herausforderung dar . Vielen ist
nicht bewusst, dass sich die Schädigungen eben nicht nur
auf die äußerlichen Bereiche beschränken lassen; nein,
auch Schädigungen der inneren Organe, Gehörlosigkeit,
aber auch Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit haben
einen immensen Einfluss auf die Lebensgestaltung und
die Lebensqualität .
Die Betroffenen mussten für das, was sie bis heute
erreicht haben, lange kämpfen . Vor diesem Hintergrund
war es uns auch wichtig, das vorliegende Gesetz, das
wesentliche Erleichterungen für die Betroffenen ab 2017
bringt, noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen, also
zu beschließen . Das sind wir den Betroffenen schuldig .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch genau unsere Aufgabe .
Vor 45 Jahren, genau: am 12 . Dezember 1971, wurde
erstmals mit dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ versucht, den
Conterganskandal aufzuarbeiten . 37 Jahre später, im Jahr
2008, wurde das Errichtungsgesetz erstmals geändert .
Dies wurde damals allerdings reinweg auf die Rentenerhöhung beschränkt .
Durch ein Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes wurde einhergehend mit einer
Reduktion der Stiftung auf ausschließlich conterganopferspezifische Leistungsempfänger eine Verkleinerung
vorgenommen . Die 2013 erfolgte dritte Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes wird von den Betroffenen
selbst als Paradigmenwechsel im Umgang mit den Conterganbetroffenen beschrieben . Ab dem 1 . Januar 2013
wurden zusätzlich 120 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt . Die Conterganrente wurde im Höchstsatz von
1 555 Euro auf 6 912 Euro angehoben . Das ist eine Versechsfachung . Zusätzlich wurden Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe - Frau Staatssekretärin ist
darauf eingegangen - in Höhe von 30 Millionen Euro
jährlich bereitgestellt .
Für diesen Meilenstein und diesen Einsatz möchte ich
mich persönlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen
ganz herzlich bedanken, die in der letzten Wahlperiode
daran gearbeitet haben . Ein herzliches Dankeschön! Das
war, glaube ich, ein wichtiger und guter Schritt in Richtung der Betroffenen .
({1})
Mit den geplanten Neuregelungen möchten wir weitere Verbesserungen für die rund 2 700 betroffenen Menschen in unserem Land erreichen . Wir setzen damit zügig
die Ergebnisse der Evaluation um, die insbesondere die
Effizienz des Verfahrens zur Gewährung von Leistungen
für spezifische Bedarfe berücksichtigt. Ab 2017 sind die
Betroffenen nicht mehr auf die Bewilligung ihrer Anträge, der ein bürokratisches und umständliches Antragsverfahren vorgeschaltet war, angewiesen . In den drei Jahren
wurden von den jährlich 30 Millionen Euro, die zur Verfügung gestellt wurden, pro Jahr zum Teil nicht einmal
2,5 Millionen Euro abgerufen . Das zeigt eben auch, inwieweit dieser Änderungsbedarf vorhanden ist .
Künftig werden die vorgesehenen Mittel für die Leistung, für spezifische Bedarfe unkompliziert und pauschal
den Betroffenen zur Verfügung gestellt . Jeder vom Gesetz erfasste Contergangeschädigte erhält im Jahr einen
Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro, unabhängig davon, wie stark seine Schädigungen nach Schadenspunkten eingestuft sind . Die darüber hinaus vorgesehenen
Mittel werden nach Schadenspunkten pauschal ausgeschüttet . So beträgt die Restpauschalierung pro Jahr zwischen 876 Euro bei niedrigbepunkteten Betroffenen und
9 900 Euro bei den höchstbepunkteten .
Mit der vorgesehenen Pauschalierung wird eine annähernd gerechte Verteilung zwischen den Contergangeschädigten mit geringeren und mit höheren Schadenspunkten ermöglicht . Wir wollen mit diesem Gesetz
den Betroffenen Unabhängigkeit und die Möglichkeit
zurückgeben, selbst zu entscheiden, welche Leistungen
sie brauchen und was ihnen in ihrer ganz individuellen
Situation am meisten hilft und guttut . Dass wir mit diesen Regelungen den richtigen Weg gehen, hat auch die
öffentliche Anhörung Ende November gezeigt .
Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass durch die Pauschalierung freiwerdende Kapazitäten zielgenau da eingesetzt werden, wo Bedarf besteht . Die Geschäftsstelle
der Conterganstiftung soll Betroffenen zukünftig zielgenau bei der Beratung und Durchsetzung von Ansprüchen
gegen andere Kostenträger beraten und unterstützen .
Aber auch der Aufbau medizinischer Kompetenzzentren
steht auf der Agenda . Die entsprechenden Anforderungsprofile für diese Kompetenzzentren sind hierbei von der
Stiftung unter enger Beteiligung und Begleitung der Betroffenen zu entwickeln . Es ist auch mir persönlich wichtig, das so zu sagen .
Neben diesen wichtigen Punkten haben wir uns auch
der Haftungsfragen angenommen . Die Organmitglieder
sind ehrenamtlich tätig; da sind geregelte Verhältnisse
noch immer besonders wichtig . Mit dem von der Koalition eingebrachten Änderungsantrag setzen wir die
Empfehlungen der Sachverständigen aus der öffentlichen
Anhörung um; denn in dieser haben sich alle Sachverständigen klar dafür ausgesprochen, die Struktur der Anfang der 70er-Jahre gegründeten Stiftung umfassend zu
evaluieren .
Hier war es der ausdrückliche Wunsch, keine Schnellschüsse zu wagen, sondern sich mit Sorgfalt und Objektivität der Thematik zu widmen . Dieses auch für die
Union wichtige Anliegen, liebe Kolleginnen und KolleMaik Beermann
gen, setzen wir mit dem Vierten Gesetz zur Änderung
des Conterganstiftungsgesetzes umfassend um . Innerhalb von zwei Jahren wird die Bundesregierung einen
Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes und eine
gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung vorlegen .
Der Bericht soll auch eine Evaluation der Struktur der
Stiftung enthalten . Wir haben uns allerdings darauf verständigt, dass dieser besondere Teil der Evaluation, Frau
Schulte, möglichst noch bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode vorliegen soll .
Unser aller Ziel muss sein, den Graben zwischen Ministerium, Stiftung und den Betroffenen zuzuschütten
und gleichzeitig Brücken zu bauen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt in
genau diese Richtung, um den Geschädigten weiterhin
ein selbstbestimmtes sowie verbessertes Leben zu ermöglichen . Ich gehe sehr davon aus, dass dieses Gesetz
für die Betroffenen unser aller Zustimmung hier im Hohen Haus findet. Wir haben es eben schon gehört: Mit einer Enthaltung ist das, denke ich, schon einmal gar nicht
so verkehrt .
({2})
Ich sage: Wir machen uns auf den Weg . Entscheidend
ist, glaube ich, dass wir bei dieser sensiblen Thematik als
Parlament dicht beieinanderbleiben und uns vernünftig
abstimmen .
({3})
Meine Damen und Herren, ein solcher Medikamentenskandal darf sich natürlich nicht wiederholen . Weil
wir als Parlament hier eine wichtige staatliche Verantwortung übernommen haben, ist es auch unsere Aufgabe, genau hinzuschauen und Unterstützung anzubieten .
Wenn wir uns einig sind, dass sich so etwas nicht wiederholen darf, dann möchte ich und muss ich in diesem Zusammenhang auch das Stichwort „Duogynon“ erwähnen .
Lassen Sie uns auch hier etwas genauer hinschauen und
den Betroffenen die vielleicht notwendige Unterstützung
bei der Aufklärung anbieten .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Ich bin persönlich dankbar, weil auch ich etwas
sehr Wichtiges von den contergangeschädigten Frauen
und Männern in den letzten zweieinhalb Jahren erfahren
durfte . Lassen Sie mich bitte kurz Thomas Edison zitieren:
Unsere größte Schwäche ist das Aufgeben . Der sicherste Weg zum Erfolg besteht darin, immer wieder einen neuen Versuch zu wagen .
Sie - ich spreche jetzt persönlich die Conterganbetroffenen an - sind wahre Kämpfer . Vor Ihrem Mut und der
unerschöpflichen Kraft, die Sie immer wieder aufbringen, habe ich den allerhöchsten Respekt .
({5})
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Vierten Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes und bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({6})
Corinna Rüffer hat als nächste Rednerin das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich kann an Sie, Herr Beermann, ganz gut
anschließen und sagen: Wir haben eine historische Verantwortung den Contergangeschädigten gegenüber . Aus
dieser Verantwortung sollte insofern Gemeinsamkeit erwachsen, als wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg
dieser Opfergruppe zuwenden und für sie die bestmöglichen Lösungen finden; da stimmen wir vollkommen
überein . Aber ich sage an dieser Stelle auch: Das ist leider mit diesem Gesetzentwurf - Sie merken: ich schlage
einen ruhigen Ton an - nicht gelungen .
Das Schlafmittel Contergan - das wissen wir - hat
enormen Schaden verursacht . Über 50 Jahre waren die
Opfer dieses Medikaments chronisch unterversorgt medizinisch und sozial . Die Firma Grünenthal hat sich
enorm billig aus der Verantwortung herausgekauft . Die
Familien haben auf Schadensersatzansprüche verzichtet,
und die Bundesrepublik Deutschland hat Verantwortung
übernommen . Diese Verantwortung besteht bis heute . Ich
habe es schon gesagt: Über 50 Jahre waren die Menschen
unterversorgt . Erst im Jahr 2013 hat sich wirklich etwas
verbessert, was die sogenannten Conterganrenten anbelangt; das haben einige Vorredner schon gesagt . Auch der
Versuch, mit den spezifischen Bedarfen darüber hinaus
etwas zu tun, war wohlgemeint .
Dieses Parlament hat das mit einer gemeinsamen
Kraftanstrengung auf den Weg gebracht . Ich bin allen
Kollegen, genau wie Sie, Herr Beermann, unendlich
dankbar dafür, dass es funktioniert hat; denn es bedeutet
unendliche Erleichterungen für die Lebenssituation der
Betroffenen . Das sehen auch alle so . Ich glaube, der Arbeit dieses Parlaments gebührt in dieser Hinsicht ganz
viel Wertschätzung .
({0})
Wir haben gesehen - das kann passieren -, dass das,
was sich das Parlament gedacht hat, nicht in aller Konsequenz gut funktioniert. Die spezifischen Bedarfe mit den
Einzelfallanträgen haben zu Problemen, zu Unmut unter
den Betroffenen und auch - das muss man sagen - zu
einem großen Vertrauensverlust geführt . Ich bin der Meinung, dass für diesen Vertrauensverlust auch der Vorstand
eine gewisse Verantwortung trägt . Er hat das Gesetz sehr
streng ausgelegt . Im Zweifelsfall sind zu viele Fälle vor
Gericht gelandet . Das hat bei vielen Contergangeschädigten zu dem Eindruck geführt, dass diese Stiftung nicht
mehr auf ihrer Seite, sondern leider auf der anderen Seite
steht . Das müssen wir unbedingt korrigieren . Das darf
auf keinen Fall stehenbleiben .
({1})
Zu einem ähnlichen Ergebnis ist die Evaluation und
sind die Expertisen, die dazu vorgelegt worden sind,
gekommen . Das Ergebnis war, dass das bisherige Antragsverfahren unzureichend, sehr kompliziert und intransparent sei . Deswegen war der Vorschlag, zu einer
Pauschalierung zu kommen . Ich glaube, in diesem Haus
besteht hohe Übereinstimmung, dass das der richtige
Weg ist .
Obwohl im Detail unterschiedliche Haltungen bestehen, hätte die Möglichkeit bestanden, mit einer breiten Mehrheit zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf zu
kommen . Das war auch unter uns Berichterstattern und
Berichterstatterinnen nicht das Problem . Wir haben an
einigen Stellen hin und her diskutiert . Die Union hat
sich schwergetan, die Pauschalierung zu akzeptieren . Im
Endeffekt lag darin nicht das Problem . Aber andere Aspekte wurden unter uns nicht angesprochen, nichts ins
Feld geführt . Es haben dazu auch keine Termine mehr
stattgefunden . Das ist wirklich sehr schade . Leider haben
Sie als Regierungsfraktionen nie angesprochen, dass Sie
über die spezifischen Bedarfe hinaus beabsichtigen, die
Stiftungsstruktur im Grundsatz zu verändern .
Dann kam leider der Gesetzentwurf . Der ist sehr viel
weiter gegangen, als es angedeutet worden ist . Darin ist
die Stärkung des Stiftungsvorstandes zulasten des Stiftungsrates vorgesehen . Darin war auch ein noch stärkerer
Einfluss des Ministeriums gegenüber der Stiftung vorgesehen . Es wurde in der Evaluation ganz deutlich gesagt,
dass die Stellung des Familienministeriums gegenüber
der Conterganstiftung ohnehin schon so stark sei, dass
deren Unabhängigkeit bedroht sei . Das ist sehr deutlich .
Der Gesetzentwurf geht hier in die völlig andere Richtung . Ich muss sagen, dieser Vorschlag hat uns von den
Socken gehauen . Das hat vor allen Dingen auch unter
den Betroffenen zu großer Verärgerung geführt, ohne
dass es notwendig gewesen wäre .
Die Anhörung bestätigt noch einmal unsere Haltung .
Alle Sachverständigen haben davor gewarnt, die Stiftungsstruktur zu verändern, ohne sie vorher zu evaluieren . Deswegen - das will ich an dieser Stelle sagen - bin
ich der Unionsfraktion und der SPD sehr dankbar, dass
sie jetzt viel von dem zurücknehmen, was das Ministerium ursprünglich vorgesehen hat . Ich bitte Sie in Bezug
auf die Beschlussfähigkeit - es sind Vorschläge enthalten, die wir so nicht mittragen können, deswegen haben
wir einen Änderungsantrag eingebracht -: Bitte beschließen Sie das Gesetz heute nicht . Es wäre gut, wenn wir
wieder zu einer Gemeinsamkeit zurückkehren könnten .
Die Stiftung muss im Geist der historischen Verantwortung wirken . 1976 hat das Bundesverfassungsgericht in
ebendieser Weise geurteilt . Ich glaube, dass wir dazu
in der Lage sind - Zeitplan und Verfahren, in dem wir
uns jetzt befinden, lassen es nicht zu -, zukünftig alles,
was die Contergangeschädigten angeht, mit einer hohen
Übereinstimmung zu tun . Dazu gibt es alle Möglichkeiten . Heute gelingt uns das offensichtlich nicht ganz . Aber
es darf nicht so weitergehen . Wir sollten sehen, dass wir
die Gemeinsamkeiten, die in diesem Hohen Haus bestehen, wieder in den Vordergrund rücken .
Herzlichen Dank .
({2})
Ursula Schulte hat als nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes hat der Bundestag im Jahr 2013 die
Lebensbedingungen der Menschen mit einer Conterganschädigung erheblich verbessert . Auch das Vierte Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, das heute
zur Abstimmung steht, wird positive Auswirkungen auf
das Leben der circa 2 700 Contergangeschädigten und
deren Familien haben; davon bin ich fest überzeugt .
Wir bringen diese Änderung auf den Weg, weil wir
als Staat hier in ganz besonderer Weise Verantwortung
tragen; meine Vorredner haben das schon betont . Ich will
diese Verantwortung des Staates kurz begründen und dafür einen Blick in die Vergangenheit werfen: Ende der
50er-, Anfang der 60er-Jahre wurde ein Medikament
mit dem Namen Contergan als rezeptfreies Schlaf- und
Beruhigungsmittel verkauft . Frauen, die das Mittel während der Schwangerschaft einnahmen, haben Kinder mit
schweren Fehlbildungen geboren . Viele dieser Kinder
sind unmittelbar nach der Geburt oder wenig später gestorben . Diejenigen, die überlebt haben, sind heute erwachsen und haben oft einen sehr langen Leidensweg
hinter sich . Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Deutschland kein nationales Medikamentenrecht; ein bundeseinheitliches Verfahren zur Medikamentenkontrolle wurde
erst 1976 eingeführt . Hier liegt unsere staatliche Verantwortung begründet .
Der Hauptverantwortliche - jedenfalls ist er das für
mich -, die Firma Grünenthal, zahlte als Entschädigung
im Rahmen eines Vergleiches 100 Millionen D-Mark in
die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ ein . Im
Gegenzug wurden weitere Ansprüche gegen den Hersteller in gesetzliche Leistungsansprüche umgewandelt . Der
Staat übernahm damit die weitere Verantwortung für die
geschädigten Kinder . Heutzutage - auch das muss einmal
gesagt werden - könnte sich eine Firma, die ein Medikament mit dermaßen verheerenden Folgen rezeptfrei verkauft hat, nicht mehr so einfach und so günstig aus der
Affäre und aus ihrer Verantwortung ziehen .
Aus den Kindern sind inzwischen, wie schon erwähnt, erwachsene Menschen geworden, die trotz ihrer
Behinderung versuchen, ihr Leben, so gut es eben geht,
zu meistern . Dafür verdienen sie unseren Respekt . Mich
haben die Betroffenen und viele andere behinderte Menschen demütig gemacht, und sie haben mich auch dankbar gemacht . Aber sie haben mir auch gezeigt, dass mit
einem eisernen Willen auch als behinderter Mensch ein
teilweise erfülltes Leben möglich ist . Dafür möchte ich
mich herzlichen bedanken .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag
musste das Conterganstiftungsgesetz in der Vergangenheit bereits mehrfach korrigieren und damit an die Lebenswirklichkeit der Betroffenen anpassen . Zuletzt ist
das, wie schon erwähnt, im Jahr 2013 geschehen . Das
Parlament hat damals die Renten für Contergangeschädigte in der Spitze versechsfacht . Bei Schwerstgeschädigten beträgt sie jetzt etwa 7 000 Euro, vorher bekamen diese Menschen 1 100 Euro . Das ist eine mehr als
deutliche Verbesserung . Hinzu kommt, dass weder das
Einkommen noch das Vermögen der Betroffenen für Sozialleistungen, wie zum Beispiel persönliche Assistenz,
herangezogen werden kann . Auch das ist eine Besonderheit im Conterganstiftungsgesetz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berichterstatter
und auch viele andere von Ihnen wissen: Contergangeschädigte Menschen haben eine Vielzahl an Bedarfen .
Diese sind, bedingt durch ihre Schädigungen, sehr unterschiedlich . Um ihren Alltag dennoch meistern zu
können, benötigen sie viele Hilfsmittel . Vieles von dem,
was Contergangeschädigten und auch anderen behinderten Menschen das Leben erleichtert, fällt nicht unter
den eng gefassten Begriff der medizinischen Heil- und
Hilfsmittel . Daher haben sich Krankenkassen und andere Kostenträger schon immer sehr schwer getan, die
Kosten zu übernehmen . Oft geschah das erst nach langen
Rechtsstreitigkeiten . Deswegen hat der Bundestag 2013
zusätzliche Mittel für spezifische Bedarfe zur Verfügung
gestellt .
Ziel der Einführung war es, wie damals betont wurde,
bürokratiearm Hilfe zu leisten . Die Praxis hat aber leider
gezeigt: Dieses Ziel wurde verfehlt; das bisherige Antragsverfahren ist viel zu kompliziert - meine Vorredner,
auch Frau Rüffer, haben es dargestellt -, die Bewilligung
der Mittel ist schwierig und führt immer wieder zu Klagen durch die Betroffenen . Viele Betroffene haben sich
daher gar nicht erst auf den Weg gemacht, diese Hilfe zu
beantragen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute diese Gesetzesänderung beschließen - ich hoffe mal, dass
die Oppositionsfraktionen da noch ihr Herz in die Hand
nehmen -, beweisen wir, dass Politik lernfähig ist . Die
Bereitstellung der Mittel für spezifische Bedarfe in 2013
war absolut richtig . Heute sorgen wir nur dafür, dass
diese Mittel die Betroffenen auch endlich und wirklich
erreichen . Wir schaffen das Antragsverfahren ab und
sichern allen Beziehern von Conterganrenten einen Sockelbetrag von 4 800 Euro zu . Zusätzlich erhalten die
Betroffenen, gestaffelt nach dem Grad ihrer Schädigung,
bis zu 9 900 Euro im Jahr . Wir handeln so, weil wir fest
daran glauben, dass die Betroffenen selbst am besten
wissen, welche Hilfsmittel ihnen das Leben erleichtern .
Mit dem Wegfall des Antragsverfahrens versetzen wir sie
damit auch in eine selbstbestimmtere Position .
Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir endlich
die Haftungsregeln für den Stiftungsvorstand anpassen .
Das war ein vielgeäußerter Wunsch aus dem Vorstand
heraus . Außerdem haben die contergangeschädigten Mitglieder des Stiftungsrates und des Stiftungsvorstandes
jetzt Anspruch auf die Erstattung notwendiger Assistenzkosten; auch das ist eine absolut richtige Veränderung im
Gesetz . Wir stellen ferner sicher, dass die Conterganrenten - auch das war ein Anliegen der Betroffenen - und
das Vermögen der Betroffenen auch nach dem neuen
BTHG anrechnungsfrei bleiben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders als die Vorredner von der Opposition bin ich der Meinung, dass eine
Veränderung der Stiftungsstruktur zwingend notwendig
ist, nicht zuletzt auch aufgrund der Veränderungen, die
die Pauschalierung der Mittel mit sich bringen wird . Die
Stiftung wird dadurch erheblich entlastet und kann sich
so verstärkt um die Beratung und Unterstützung der Betroffenen kümmern .
Die notwendigen Strukturänderungen werden wir heute allerdings noch nicht beschließen . Wir haben gemeinsam aus der Anhörung die Lehre gezogen, dass wir das
jetzt noch nicht tun sollten . Wir bringen die Erstellung eines Evaluationsberichts auf den Weg, der möglichst noch
vor Ende der Legislaturperiode vorliegen soll . Dann werden wir überlegen, was wir an der Stiftungsstruktur ändern . Damit erübrigen sich auch die entsprechenden Teile
in Ihren Anträgen, die sich mit diesem Thema befassen .
Die SPD-Fraktion und insbesondere ich als Berichterstatterin sind uns sicher, dass der Bericht die Notwendigkeit der Strukturveränderungen bestätigen wird; denn
die Stiftung muss grundsätzlich handlungsfähig sein, und
das ist sie heute, wenn man genau und ehrlich hinschaut,
nicht immer . Der Stiftungsvorstand muss seine Aufgaben
erfüllen können - das haben Sie nicht immer im Blick,
Frau Rüffer -, der Stiftungsrat muss mitbestimmen und
kontrollieren, und die Ministerien müssen ihrer Aufsichtspflicht nachkommen können.
({1})
Diese vielfältigen Aufgaben sollten - das ist jedenfalls
meine Wunschvorstellung, und ich will alles tun, damit
das auch gelingt - im guten Miteinander erledigt werden .
Das klingt für mich im Moment noch nach der Quadratur des Kreises . Da ich aber von der Notwendigkeit der
Veränderungen überzeugt bin, setze ich darauf, dass alle
Beteiligten - und ich betone: alle - aufeinander zugehen
und so ihren guten Willen zeigen . Nur so können sie den
Stiftungsauftrag erfüllen und den Betroffenen wirklich
helfen .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der vorliegende Entwurf nicht alle meine Erwartungen erfüllt,
können wir, denke ich, dennoch zufrieden sein . Alle Betroffenen bekommen unbürokratisch Geld aus dem Topf
für spezifische Bedarfe. Sie bekommen damit mehr Autonomie für die Gestaltung ihres Lebens . Das ist auch das
Ziel, das wir gerade mit dem BTHG beschlossen haben:
raus aus der Fürsorge, raus aus dem „Wir wissen schon,
was gut für euch ist“, hin zu einem selbstbestimmten Leben . Das ist für uns als Politiker und für die BetroffeUrsula Schulte
nen ein schöner Erfolg am Ende des Jahres 2016 . Dafür
möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken .
Ihnen allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest
und ein gutes neues Jahr .
({3})
Paul Lehrieder hat als letzter Redner in dieser Aussprache für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin Bulmahn! Sehr geehrte
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Betroffene! Ich weiß aus zugesandten Mails, dass
sehr viele an den Fernsehgeräten diese Debatte verfolgen, um zu erfahren: Wie geht man mit meinem Schicksal um?
Die Verbesserung der Lebenssituation von contergangeschädigten Menschen liegt uns allen - ich denke, hier
spreche ich fraktionsübergreifend für alle Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hohen Hause - besonders am
Herzen .
({0})
- Also, wenn die Linke klatscht, mache ich Pause .
({1})
- Ja, es ist immer richtig, bei meiner Rede zu klatschen,
Herr Kollege .
({2})
Das tägliche Leben der immer älter werdenden rund
2 700 Betroffenen ist durch die thalidomidbedingten Behinderungen und deren Folge- und Spätschäden geprägt .
Die früheren sogenannten Contergankinder sind mittlerweile alle etwa in meinem Alter, also Mitte/Ende 50 .
Ich muss zugeben, ich war wirklich beeindruckt,
als mir vor zweieinhalb Wochen ein Betroffener und
Sachverständiger im Anschluss an die durchgeführte
Anhörung auf seinem Tablet Folgendes zeigte: Er fragte mich nach meinem exakten Geburtsdatum - ich bin
1959 geboren, genau in der Mitte der Conterganproblematik; 1957 bis 1961 gab es die meisten Conterganfälle
in Deutschland -, und dann schaute er auf sein Tablet
und sagte: Jawohl, lieber Ausschussvorsitzender, an deinem Geburtstag ist in Deutschland auch ein contergangeschädigtes Kind auf die Welt gekommen . - Ich habe
ihn gefragt, ob er mir die Daten zu Verfügung stellen
kann, aber das konnte er aus Datenschutzgründen leider
nicht . Aber ich weiß, es lebt in Deutschland jemand, der
auf den Tag genauso alt ist wie ich und der wegen dieses
Conterganmedikaments mit Schäden geboren wurde . Ich
glaube, alle, die in meiner Alterskohorte sind, die meine
Konsemester sind, müssen Gott danken, wenn sie dieses
Schicksal nicht erlitten haben, wenn sie durch dieses Medikament nicht geschädigt worden sind .
Ich bin sehr dankbar dafür - ich spreche ganz bewusst
in Richtung Regierungsbank -, dass bei diesem wichtigen Thema neben unserer Familienministerin auch der
Justizminister dieser Debatte lauscht . Das zeigt, welche Bedeutung diesem Gesetz in der Gesellschaft zukommt . - Für Ihre Anwesenheit möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken .
({3})
Liebe Frau Schwesig, ich wünschte mir, dass manch anderes Gesetzgebungsvorhaben, das wir derzeit gemeinsam in Arbeit haben, in ähnlich zügiger und konstruktiver Zusammenarbeit abgeschlossen würde, wie das bei
diesem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes der Fall war .
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Betroffene sind darauf angewiesen, bestimmte Körperteile
vermehrt einzusetzen, um ihren Alltag zu meistern . Aus
diesem Grund häufen sich im Alter die Gebrechen . Die
jahrzehntelangen Überlastungen durch Fehlstellungen
des Körpers und Ausgleichsbewegungen wirken sich
auf die Gesundheit aus . Der körperliche Verschleiß verschiedener besonders beanspruchter Gelenke verstärkt
sich, wie bereits ausgeführt, mit zunehmendem Alter .
Aufgrund des mit steigendem Alter der Betroffenen zunehmenden körperlichen Verschleißes ist eine zukunftsorientierte, angemessene Weiterentwicklung der Unterstützungsleistungen erforderlich . Diesem Erfordernis
sind wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachgekommen .
Wir haben es uns mit der Erarbeitung eines Entwurfs
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes nicht leicht gemacht . Im Zuge der Vorlage
des Ersten Berichts über die Auswirkungen des Conterganstiftungsgesetzes vom 1 . Juni 2016 haben wir die
Wirkung der Leistungsverbesserungen, die durch das
dritte Änderungsgesetz eingeführt worden sind, bewertet und geprüft, wo Nachbesserungsbedarf besteht . Im
Jahr 2009 wurden die Conterganrenten verdoppelt - die
Vorredner haben bereits darauf hingewiesen -, und im
Jahr 2013 wurden sie deutlich, bis zu einem Höchstbetrag von 7 175 Euro, erhöht . Gleichzeitig wurden die
Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt,
die unabhängig vom Schädigungsgrad auf entsprechenden Antrag gewährt werden . Dafür wurde ein Topf mit
insgesamt 30 Millionen Euro jährlich eingerichtet . Wir
mussten allerdings feststellen - auch hierauf haben meine Vorredner bereits hingewiesen -, dass von den in
Aussicht gestellten 30 Millionen Euro nur circa 2,5 Millionen Euro pro Jahr abgerufen wurden . Jetzt kann man
fragen: Woran liegt das? Liegt das daran, dass die Hilfe
nicht notwendig war? Das glaube ich nicht . Ich glaube,
das liegt daran, dass wir die Leistungsbewilligungen relativ restriktiv gehandhabt haben . Dieser Erfahrung folgend führen wir jetzt eine Pauschalierung ein . Wir sagen:
Jeder soll zu seinem Recht kommen, egal ob er in den
letzten Jahren einen Antrag zu den spezifischen Bedarfen
gestellt hat oder nicht . Jeder soll, insbesondere im fortgeschrittenen Alter, eine Erleichterung erhalten .
Aus Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass viele vor einer Antragstellung zurückschreckten, nicht nur,
weil sie vielleicht selber den Bedarf noch nicht einsehen
wollten, sondern auch, weil sie vor dem langwierigen,
aufwendigen, komplizierten Genehmigungsverfahren
zurückgeschreckt sind . Sie sagten sich: Wenn ich abgelehnt werde, muss ich zum Sozialgericht gehen; doch
diese Kraft habe ich nicht, das will ich mir nicht antun . Möglicherweise ist der eine oder andere Antrag, der begründet gewesen wäre, aus diesen Gründen nicht gestellt
worden .
Deshalb halte ich es für richtig, dass wir jetzt das
komplizierte Antragsverfahren abschaffen und mit der
Pauschalierung dafür sorgen, dass die Lebenssituation
von möglichst vielen der 2 700 Contergangeschädigten
im Alter verbessert wird . Dazu gehört vieles, zum Beispiel eine Küchenmaschine, ein Autoumbau, elektrische
Jalousienheber . Ich erinnere an die berühmte Boxspringbettentscheidung . Es geht um Dinge, die jedem das Leben erleichtern, die für Menschen mit diesen Handicaps
aber eine deutliche Verbesserung der Lebenssituation bedeuten, insbesondere bei zunehmendem Verschleiß des
Skeletts, der körperlichen Gliedmaßen .
Viele Betroffene haben - ich habe bereits darauf
hingewiesen -, zum Teil aus Scheu, zum Teil aufgrund
des bürokratischen Aufwands, zum Teil aber auch aus
Scham, keinen Antrag gestellt . Sie scheuten den komplizierten Weg und die bürokratischen Hürden .
Konkret sieht der vorliegende Gesetzentwurf nunmehr
vor - ich will das noch einmal wiederholen, auch wenn
der eine oder andere Kollege schon darauf hingewiesen
hat -, dass die Leistungen für spezifische Bedarfe nicht
länger als individuell bedarfsdeckende Leistungen gewährt werden, sondern künftig ohne gesonderten Antrag
pauschal . Somit ergibt sich für alle Betroffenen ein jährlicher Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro . Hierdurch
erreichen wir eine gerechtere, schnellere, unkompliziertere Verteilung . Die Contergangeschädigten sind nicht
mehr Antragsteller, sind nicht mehr Bittsteller, sondern
sie haben Rechte; sie haben den Anspruch darauf, dieses
Geld so einzusetzen, wie sie es selbstbestimmt für richtig
halten . Ich glaube, das ist eine deutliche Verbesserung .
Liebe Kollegin Werner, lieber Kollege Birkwald, ich
würde mir wünschen, dass Sie nach meinen Ausführungen in sich gehen und noch einmal überlegen, ob Sie
nicht von Ihrer machtvollen Enthaltung abrücken und
doch zustimmen können . Von einer lauten Enthaltung
hier im Hause wird die Situation der Contergangeschädigten nicht verbessert . Also geben Sie Ihrem Herzen einen Ruck . Sie können das draußen bei den Geschädigten
viel besser verkaufen, wenn Sie sagen: Jawohl, Lehrieder
hat uns überzeugt . Wir haben dafürgestimmt .
({5})
Wie schon gesagt, die Contergangeschädigten hätten es
verdient .
In diesem Sinne bedanke ich mich für das konstruktive, wahrlich parteiübergreifende Mitwirken an diesem
Gesetzentwurf . Wir haben noch nicht alles erreicht; darauf wurde hingewiesen . Wir haben die Evaluationszeit
von drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt, weil wir möglichst schnell sehen wollen, wie dieses Gesetz wirkt und
was wir in den nächsten Jahren brauchen . Ich glaube,
ähnlich wie in den vergangenen vier, fünf, zehn Jahren
werden wir weiterhin in diesem Hohen Haus über das
Thema Contergan diskutieren . Wir werden weiter hinschauen . Wir werden auch die anstehende Strukturreform - wie geht es mit der Stiftung, mit dem Stiftungsvorstand weiter? - im Blick behalten .
({6})
- Ja, da könnt ihr dann wieder zustimmen . Heute müsst
ihr erst einmal dieser Verbesserung zustimmen .
Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen
schönen Tag . Danke schön .
({7})
Vielen herzlichen Dank, lieber Paul Lehrieder . - Ich
sage Ihnen erst einmal einen schönen guten Tag . - Ich
schließe die Debatte .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10670, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10378 in der
Ausschussfassung anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10674 vor, über
den wir logischerweise zuerst abstimmen . Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90, die Linke . Dagegen hat
die Große Koalition, also CDU/CSU und SPD, gestimmt .
({0})
Also: Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die
Linke . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und die
SPD . Der Änderungsantrag ist abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten
haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke . Damit ist der Gesetzentwurf angenom-
men .
Wir kommen jetzt zu Abstimmungen über zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke .
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10675 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Dagegen-
gestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten haben
sich Bündnis 90/Die Grünen .
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10676 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/
CSU und die SPD .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Tabea Rößner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich
Landesverrats - Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten besser schützen
Drucksache 18/10036
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Katja Keul, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich
Landesverrats - Stellung des Generalbundesanwaltes rechtsstaatlich reformieren
Drucksache 18/10037
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Innenausschuss
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Halina Wawzyniak, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Journalistinnen und Journalisten sowie Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber vor Strafverfolgung schützen und Unabhängigkeit der
Justiz sicherstellen
Drucksache 18/5839
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen .
({4})
Ja, jetzt geht es los . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige werden sich noch erinnern:
Es ist jetzt fast zwei Jahre her, da wurde in Deutschland
ein Abgrund von Landesverrat geortet . Das Bundesamt
für Verfassungsschutz und sein Präsident mussten Strafanzeige erstatten, weil in dem Netzwerk netzpolitik .org
ein Verfassungsschutzpapier veröffentlicht worden ist das war im Februar 2015 - und dann ein paar Wochen
später ein zweites Papier von netzpolitik .org veröffentlicht worden ist . Da konnte die Pressefreiheit nicht so
wichtig sein, sodass man da zuschlagen musste .
Also, er hat Strafanzeige bei der hiesigen Staatsanwaltschaft erstattet . Die Geschichte wurde dann sehr,
sehr ernst genommen und ist daraufhin eine Stufe oder
zwei Stufen höher gelangt und zur Bundesanwaltschaft
gegeben worden, weil doch hier möglicherweise Landesverrat begangen worden ist . Geschädigte: die Bundesrepublik Deutschland .
Dann gab es eine Diskussion, bei der hin und her
überlegt worden ist: Wie soll man mit der Presse umgehen? Muss man die Pressefreiheit nicht mehr sichern?
Ich wollte Herrn Maas, der im Augenblick leider nicht
zuhören kann, obwohl es interessant ist, daran erinnern,
dass er Ende Juli 2015 angekündigt hat, dass er die Vorschriften, die die Pressefreiheit und die Arbeit von Journalisten und insbesondere den Landesverratsparagrafen
betreffen, sich doch noch einmal näher angucken wollte,
um zu sehen, ob man da nicht etwas machen muss .
Darauf warten wir nun heute noch; jedenfalls haben
wir aus dem Justizministerium nichts gehört,
({0})
was das denn sein könnte . Daher haben wir uns selber an
die Arbeit gemacht . Wir haben nicht die Kapazitäten der
großen Fraktionen und auch nicht die des Bundesjustizministeriums . Also haben wir in mühsamer Kleinarbeit
versucht, einige gesetzliche Änderungen vorzuschlagen .
({1})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Sie will ich Ihnen jetzt kurz vortragen .
Als Allererstes habe ich mich erinnert, dass sich einer von zwei Leuten, die wegen Landesverrats verurteilt
worden sind - einer zu sieben Jahren, einer zu acht Jahren, also doch schon zu erheblichen Strafen -, an mich
gewandt und gesagt hat, er sieht überhaupt nicht ein, dass
das ein Staatsgeheimnis gewesen ist; das hat er gar nicht
gewusst, usw .
({2})
Ich will auf diese Fälle gar nicht näher eingehen .
Daraufhin habe ich mir den Paragrafen auch noch einmal angeguckt . Es steht nämlich im Strafgesetzbuch, in
§ 93, ausdrücklich, was nun ein Staatsgeheimnis ist . Dort
steht, alle Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die
nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind - wie
groß er sein kann, 100 000 oder 10 Personen, weiß man
nicht - und vor einer fremden Macht geheim gehalten
werden müssen, sind ein Staatsgeheimnis, und wenn man
ein Staatsgeheimnis weitergibt, dann macht man sich unter bestimmten Voraussetzungen strafbar bzw . erheblich
strafbar .
Daraufhin haben wir gesagt: Nein, das kann so nicht
gehen, das müssen wir jetzt ändern . Wir wollen, dass dieser § 93 so umformuliert wird, dass für jeden klar erkennbar ist, was ein Staatsgeheimnis ist, entweder dadurch,
dass man immer einen Stempel darauf hat, oder dadurch,
dass es ein Gesetz gibt, nach dem bestimmt wird: Dies
ist ein Staatsgeheimnis, und das ist ein Staatsgeheimnis .
Wir wollen weiter sagen - jetzt geht es um die Journalisten oder auch um die Whistleblower -: Wenn jemand
nun ein solches Staatsgeheimnis kennt und überlegt, soll
er es nun veröffentlichen oder nicht, soll er es weitergeben oder nicht, dann soll das in folgenden Fällen nicht
strafbar sein: Wenn diese Informationen etwa Grundrechtsverletzungen beinhalten oder durch sie schwere
Verbrechen aufgedeckt werden können, dann soll das
eben nicht gelten . Denn dann überwiegt das öffentliche
Interesse an der Bekanntgabe nach außen im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger, dass diese Weitergabe unter
Strafe gestellt wird . So haben wir es in unserem Gesetzesvorschlag, den wir an die Bundesregierung weitergeben, vorgesehen .
Wir haben uns auch gefragt: Wie ist es eigentlich bei
Journalisten, die gar nicht mal Staatsgeheimnisse veröffentlichen, sondern Informationen bekommen, etwa geleakt aus irgendwelchen Behörden, vielleicht auch aus
Geheimdiensten? Sollen sie sich strafbar machen, nur
weil sie solche Informationen entgegennehmen? Sollen
sie die Entgegennahme vielleicht sogar ablehnen müssen,
weil sie sich sonst strafbar machen? Wenn sie die entsprechenden Informationen gar veröffentlichen, sollen
sie dann zusätzlich bestraft werden? Wir haben gesagt:
Das kann nicht sein . Wenn ein öffentliches Interesse daran besteht, dass man so etwas veröffentlicht, dann dürfen sich diese Journalisten doch nicht strafbar machen,
sondern dann müssen sie geschützt werden . Daher haben
wir auch einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, wie man die
aktuelle Regelung ändern kann . So geht es weiter .
Wir wollen ferner, dass man als Journalist auch in Zukunft aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen, ohne dass
man sich der Gefahr aussetzt, sich strafbar zu machen,
berichten kann . Wir wollen auch - das wundert sicher
keinen, vor allem, weil ich hier rede -, dass Whistleblower geschützt werden . Wenn also Leute sagen: „Aufgrund eines höheren gesellschaftlichen Interesses ergibt
sich bei einer Abwägung, dass die Bekanntgabe bzw .
Veröffentlichung einer Information wichtiger als die Geheimhaltung ist“, dann sollten sie das, ohne sich strafbar
zu machen, tun dürfen, wenn sie den Abwägungsprozess
verantwortungsvoll gestalten .
All das bringt uns dazu, hier einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen . Auf die Einzelheiten kann
ich jetzt nicht näher eingehen; denn ich habe nicht so viel
Redezeit . Unser Vorschlag lautet: Tun wir etwas für die
Pressefreiheit! Sie ist eines unserer höchsten Güter . Wir
wissen, dass die Pressefreiheit und die Arbeit der Journalisten als vierte Gewalt im Staate unverzichtbar sind . Wir
alle leben davon, und die Demokratie lebt davon . Lassen
Sie uns für deren Schutz so viel tun wie irgend möglich!
({3})
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele . - Nächster
Redner: Dr . Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Ströbele, ich glaube, wir alle erinnern
uns gut an den Fall von netzpolitik .org, an die Veröffentlichungen von Geheim eingestuften Dokumenten .
Das waren ja nicht irgendwelche Dokumente; das waren ja eingestufte Dokumente - diese können nach der
Geheimschutzordnung verschiedene Stufen haben -, die
auch gekennzeichnet sind . Solche Dokumente liegen ja
nicht als handgeschriebene Papiere auf einer Parkbank .
Vielmehr war offensichtlich und klar, dass die Dokumente, die netzpolitik .org veröffentlich hat, eingestuft sind .
Das war also ein Vorfall, den man als derjenige, der diese
Dokumente hat, einstuft und klassifiziert, nicht einfach
hinnehmen kann . Deswegen ist es auch zu einer Prüfung
durch die Staatsanwaltschaft, damals durch den Generalbundesanwalt, gekommen . Ich halte diesen Vorgang für
richtig .
Wenn Dokumente, die eingestuft sind, den Raum der
Einstufung des Dienstherrn, der sie eingestuft hat, verlassen, muss man auch dafür Sorge tragen, dass nachgeprüft wird: Wer hat die Dokumente, die eingestuft sind,
nach draußen gegeben? Denn es ist nicht sinnvoll, dass
Dokumente, die in amtlicher Verwahrung sind und einen
Einstufungsgrad haben, nach draußen gelangen . Hier zu
ermitteln, halte ich also für richtig .
Der Generalbundesanwalt - wir haben in dieser Zeit ja
öfter Statements von ihm gehört - hat in alle Richtungen
ermittelt, zum Beispiel auch, was die Möglichkeit eines
Innentäters betrifft . Es ist ja nicht zwingend, dass der Täter jemand aus dem parlamentarischen Raum gewesen
sein muss; es kann ja auch ein Innentäter gewesen sein .
({0})
Dass der Blick in alle Richtungen geht, halte ich, wie gesagt, für völlig richtig .
Der einzige Ansatz, den man damals hatte, waren die
Journalisten, die die Informationen auf ihrer Plattform
netzpolitik .org veröffentlicht haben; das ist ja logisch .
Aber dass der Generalbundesanwalt eine Überprüfung
anstellt, wenn amtliche Dokumente, die einen Geheimhaltungsgrad haben, in die Öffentlichkeit gelangen, ist
richtig . Sonst würden wir ja - so sehe das zumindest
ich - die Integrität des Staates überhaupt nicht mehr ernst
nehmen, wenn alles, was eingestuft ist, einfach nach
draußen gelangen kann . Deswegen war das ein richtiges
Vorgehen .
({1})
Lieber Kollege Ströbele, in folgendem Punkt sind wir
uns einig: Die Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes ist eines unserer höchsten Schutzgüter . Sie ist nicht
nur ein Abwehrrecht, sondern auch ein Recht, das der
Staat verbürgen soll, für das er sich also einsetzen muss .
Wir haben in Deutschland eine dezidierte Rechtsprechung und Rechtspraxis, wie das Verhältnis zwischen der
Pressefreiheit, wie sie in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2, erste
Alternative, normiert ist, und den Schutzrechten Dritter abgewogen und austariert werden kann . Denn kein
Grundrecht - das wäre wirklich ein fataler Fehler - kann
absolut gesehen werden . Man darf nicht sagen - das gilt
für jedes Grundrecht -: Die Pressefreiheit geht allem anderen vor . - Man muss immer einen Abwägungsprozess
betreiben und ermöglichen, und es gibt Rechte Dritter,
privater Dritter, und es gibt auch Rechte des Staates an
seiner Integrität, was bedeutet, Veröffentlichungen zurückzuhalten, sodass Dokumente, wenn sie eingestuft
sind, nicht nach draußen dringen .
Sie haben gerade kurz einen Punkt Ihres Vorschlags
zitiert . Ich habe ihn mir mitgenommen, damit sichergestellt ist, dass wir wirklich vom gleichen Sachverhalt
reden . Sie haben gesagt: Dokumente sollen in Zukunft
nur noch als Geheim und Streng Geheim eingestuft werden . So steht es in Ihrem Vorschlag . Das würde natürlich
zu einer Inflation der Geheim-Einstufungen führen. Sie
wissen es aus einer Vielzahl von Ausschüssen, aus dem
Parlamentarischen Kontrollgremium und aus Untersuchungsausschüssen: Dann, wenn es nur noch zwei Einstufungen nach der Geheimschutzordnung geben würde,
würden diese auch in den Fällen genutzt, wenn Dokumente vielleicht als VS-NfD oder als VS-Vertraulich eingestuft werden könnten . Wir haben dann also nicht mehr
das Spektrum, die Vielzahl der Dokumente entsprechend
ihrem Inhalt einzustufen . Ich halte diesen Vorschlag für
fatal . Das würde zum Beispiel bedeuten, dass in Untersuchungsausschüssen fast alles als Geheim eingestuft würde . Das wollen sicherlich auch Sie nicht .
({2})
Staatsgeheimnisse, von denen Sie ja immer reden,
können auch jetzt schon von Journalisten veröffentlicht
werden . Es ist ja nicht so - diesen Eindruck erwecken
Sie -, dass Journalisten nicht die Möglichkeit hätten, an
sensible Dokumente heranzukommen und diese dann,
wenn sie wesentliche Sachverhalte, wie sie eben geschildert worden sind, beinhalten, zu veröffentlichen . Wir
haben jetzt schon die Abwägung zwischen dem Veröffentlichungsinteresse auf der einen Seite - bei gravierenden Sachverhalten dürfen Journalisten veröffentlichen;
sie müssen auch gar nicht ihre Quellen preisgeben - und
auf der anderen Seite dem Geheimhaltungsinteresse des
Staates bei entsprechend relevanten Sachverhalten .
Einfach gesagt: Wenn kein hohes Veröffentlichungsinteresse vorliegt, wenn es das reine Abstellen auf eine
mögliche Publikation ist, um viele Leser zu bekommen,
wenn es ein reißerisches Interesse ist, dann wird dem
Interesse des Staates an Geheimhaltung der Vorrang gegeben . Andererseits: Wenn die Veröffentlichungsgründe
wesentlich sind, dann dürfen Journalisten veröffentlichen .
Ich habe mich damals etwas geärgert, dass der Generalbundesanwalt bei seiner Prüfung ausgebremst worden
ist . Ich glaube, er wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass
diese Veröffentlichung von netzpolitik .org keinen Straftatbestand erfüllt hätte . Dazu ist es ja nicht mehr gekommen, weil es eine dementsprechende Weisung gegeben
hat .
({3})
Von daher werden wir schließlich auch nicht wissen, wie
sich dieser Sachverhalt beim Generalbundesanwalt weiter entwickelt hätte .
Sie möchten durch Ihren Gesetzentwurf weiterhin
Journalisten die Veröffentlichung ermöglichen und es
nicht mehr als strafbare Handlung behandelt sehen, wenn
durch Nachstellen oder Druck Erkenntnisse erlangt werden, wenn also fast ein Stalking stattfindet. Dazu muss
ich ehrlich sagen: Das geht zu weit . Ich habe mit einigen
Journalisten im Vorfeld der heutigen Debatte gesprochen . Seriöser Journalismus arbeitet investigativ, das ist
richtig . Er setzt auch nach, er recherchiert in die Breite, aber nicht mittels Stalking, Nötigung oder schlichter
Bloßstellung von Menschen . So arbeiten seriöse Journalisten nicht . Diese Tatbestände herauszunehmen und ein
solches Vorgehen dann für legal zu erachten, das halte ich
schon für ein schräges Verhältnis .
({4})
Das scheint mir ein bisschen ein Schaufensterantrag zu
sein . Richtig ist das nicht .
({5})
Als nächsten Punkt sollte man, glaube ich, erwähnen,
dass es möglich ist, an vielen Stellen mit Verschwiegenheit zu arbeiten, mit Dokumenten zu arbeiten, die eingestuft sind . Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig,
zu sehen, dass der Staat ein Interesse an der Wahrung
seiner Integrität hat und dass es auch ein Interesse der
Bürgerinnen und Bürger gibt, dass Dokumente, die beim
Staat liegen, verwahrt bleiben und nicht nach draußen
dringen . Das muss ein Abwägungsprozess sein .
Dieser Abwägungsprozess fehlt in Ihrem Antrag völlig . Sie schauen ausschließlich auf die Informationsgewinnung, auf die Journalisten, die dann, im Grunde ohne
diesen Abwägungsprozess, jedwede Dokumente nach
draußen geben könnten, wären sie nicht eingestuft . Wenn
sie als Geheim oder als Streng Geheim eingestuft sind,
dann wäre dies im Grunde auch möglich, weil der Abwägungsprozess fehlt . Das wäre ein völliges Nach-draußen-Geben von eingestuften Dokumenten, und das kann
eigentlich und im Grunde auch nicht das Ziel von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken sein . Denn im Endeffekt heißt das, dass alles, was der Staat in Verwahrung
und auch geschützt in Verwahrung hat, in die Öffentlichkeit gegeben werden kann .
({6})
- Ja, doch, darum geht es schon, wenn man Ihre Anschuldigungen hört . - Aufklärung heißt zum Beispiel, dass wir
im parlamentarischen Raum prüfen können, aber eben
nicht, dass das alles nicht mehr unter Strafe gestellt wird
und jedes Dokument veröffentlicht werden kann .
({7})
Das kann nicht Ziel eines klugen Antrages sein .
({8})
- Sie können ja gleich Ihren Antrag einmal näher erklären .
({9})
Wenn man beide Anträge liest - Ihren von den Linken
und den von Bündnis 90/Die Grünen; ich habe ja beide
mit nach vorne genommen -, dann muss man sagen, dass
der Antrag der Fraktion der Linkspartei eigentlich zum
Rundumschlag gegen die Sicherheitsbehörden ausholt .
({10})
Mehr ist es doch eigentlich gar nicht .
Sie wollen im Grunde den Sicherheitsbehörden die
Chance nehmen, Dokumente einzustufen - und das vor
dem Hintergrund des Terrorismus, den wir zurzeit bei
uns erleben . Ich habe den Antrag vor mir liegen, habe ihn
gelesen und habe ihn sogar dezidiert bearbeitet . An fast
jeden Absatz habe ich ein Fragezeichen geschrieben . Das
sollte Ihnen zu denken geben .
({11})
Zu den Grünen muss ich ganz ehrlich sagen: Sie haben nicht verstanden, was wir in den letzten Jahren zum
Schutz der journalistischen Tätigkeit gemacht haben . Gerade in der letzten Legislaturperiode hat die Union - übrigens mit der FDP - die Rechte von Journalistinnen und
Journalisten an vielen Stellen in der Strafprozessordnung
intensiv gestärkt . Ich glaube, wir beide haben damals sogar zum Thema Geheimnisträger/Berufsgeheimnisträger
geredet . Wir haben viel gemacht .
Aber das, was Sie jetzt machen, dehnt die Rechte aus
und führt dazu, dass die Abwägung, die beim Eingriff in
die Grundrechte immer getroffen werden muss, aufgegeben wird . Es erfolgt eine einseitige Ausdehnung hin
zur Veröffentlichung und Durchstecherei von Dokumenten, und der Schutz staatlicher Interessen und der Schutz
Dritter werden nicht mehr beachtet . Das ist ein Ungleichgewicht, dem man so nicht zustimmen kann .
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ihre Gesetzesinitiativen
sind aus meiner Sicht aus rechtsstaatlichen Gründen kritisch zu bewerten . Ich kann nur empfehlen, dem so nicht
zuzustimmen und noch einmal darüber nachzudenken,
wie wir beim Thema Weisung klüger weiteragieren können; Sie hatten es angesprochen .
Man kann sicher darüber nachdenken, ob Weisungen
bei Staatsanwaltschaften schriftlich zu erfolgen haben .
Alles andere ist abzulehnen . Sie empfehlen zum Beispiel,
die Parlamente in einem laufenden Strafverfahren zu unterrichten . Ich wage zu bezweifeln, dass Sie als Strafverteidiger das gewollt hätten, und das würde bei den Strafverfahren im Grunde zu einem Chaos führen .
Deswegen sind die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken leider nicht ausgegoren, und sie
sollten hier heute abgelehnt werden .
Danke schön .
({12})
Vielen Dank, Patrick Sensburg . - Der nächste Redner:
Harald Petzold für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Es
vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht aus Ländern
wie der Türkei erfahren, dass Journalistinnen und Journalisten ihren Job verlieren oder gar verhaftet werden,
weil sie Dinge öffentlich gemacht, angeprangert oder beDr. Patrick Sensburg
richtet haben, die den Herrschenden in ihrem Land nicht
gefallen .
Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bricht
die Türkei im Moment alle Rekorde, was die Inhaftierung von Journalistinnen und Journalisten anbelangt . Sie
hat berichtet, dass mit Stand 13 . Dezember dieses Jahres
mindestens 348 Medienleute in türkischen Gefängnissen
sitzen, weil sie entweder des Landesverrats, der Zusammenarbeit mit terroristischen Organisationen, deren Unterstützung oder anderer Vergehen bezichtigt werden,
({0})
die dem autoritären Präsidenten Erdogan nicht gefallen .
Ich kann nur fragen: Alle 348 Journalistinnen und
Journalisten sollen Terroristen, Unterstützer von Terroristen oder Sympathisantinnen und Sympathisanten von
Terroristen sein? Das kann nicht einmal der Präsident
Erdogan wirklich glauben .
({1})
Wir reagieren darauf damit, dass wir sehr besorgt sind .
Mehr passiert nicht!
Nun reden wir heute natürlich über Deutschland
({2})
- ich weiß -, und ich will natürlich auf gar keinen Fall
unser Land mit der Türkei vergleichen . Gott bewahre!
Aber ich finde es schon einen Skandal, dass auch bei
uns Journalistinnen und Journalisten Strafandrohungen
bekommen oder Gefahr laufen, wegen Landesverrats angezeigt zu werden,
({3})
wenn sie über Dinge berichten, die der Bundesregierung
oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht passen;
({4})
denn damit wird die Pressefreiheit eingeschränkt und der
Demokratie geschadet .
({5})
Der Kollege Ströbele hat uns an den Fall erinnert, der
sowohl für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als
auch für unseren Antrag Ausgangspunkt gewesen ist .
Sie hatten alle Gelegenheit der Welt, hier tätig zu werden . Seit zwei Jahren kündigen Sie an, dass vonseiten
der Großen Koalition Initiativen kommen . Aber nichts ist
gekommen .
Lieber Kollege Sensburg, Sie wissen doch selbst: Natürlich geht es nicht um die Frage, ob Geheimnisse oder
geheime Dokumente veröffentlicht worden sind . Die
beiden Blogger, Herr Markus Beckedahl und Herr André
Meister, haben die Öffentlichkeit darüber informiert,
welche Pläne das Bundesamt für Verfassungsschutz zum
Ausbau der Internetüberwachung verfolgt .
({6})
Sie haben auch über Geld informiert, das wir als Haushaltsgesetzgeber dem Bundesamt für Verfassungsschutz
zur Verfügung stellen,
({7})
Steuergelder, mit denen genau diese Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Ich finde schon, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für Verfassungsschutz vorhat,
({8})
um alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes auszuspähen, und dass dafür Steuergelder
verwendet werden . Es ist meines Erachtens völlig legitim, dass dafür keine Strafmaßnahmen angeordnet werden dürfen .
({9})
Es ist Ihnen ebenso bekannt, Herr Kollege Sensburg,
dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Kriterien, die nicht transparent sind, die in der Öffentlichkeit
nicht nachvollziehbar sind und über die wir nicht entscheiden können, selbst bestimmen kann: Was ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Das
kann diese Behörde selbst festlegen, und alles, was diesen Stempel trägt, ist der Öffentlichkeit entzogen .
Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung
des Kollegen Sensburg?
Selbstverständlich erlaube ich eine Zwischenfrage,
Frau Präsidentin .
Herr Sensburg .
Herr Kollege, Sie hatten mich eben kritisiert und gesagt, dass ich Ihren Antrag nicht richtig gelesen hätte,
als ich gesagt habe: Nach Ihrem Antrag wollen Sie, dass
die Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Dokumenten nicht mehr strafbar ist . Ich lese jetzt aus Ihrem
Antrag vor . Unter II formulieren Sie:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
1 . Personen von der Strafverfolgung lediglich wegen der Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Dokumenten befreit, . . .
Harald Petzold ({0})
Ich interpretiere das so, dass Sie möchten, dass die Veröffentlichung von Dokumenten, die als Geheim eingestuft
sind, nicht mehr als Straftatbestand angesehen werden
soll .
({1})
Ist das so? Dann hätte ich Ihren Antrag richtig verstanden, und dann bleibe ich auch bei meiner Kritik . Das
trifft den Sachverhalt, den Sie gerade geschildert haben,
weil diese Dokumente eingestuft waren . Der Deutsche
Bundestag beschließt dies, weil er Methoden und Techniken, die in den Dokumenten erwähnt werden, nicht preisgeben will . Wenn man im Vorfeld sagt, wie man verdeckt
ermitteln möchte, braucht man es ja gar nicht mehr zu
machen .
Herr Kollege, Ich hatte vorhin nicht umsonst dazwischengerufen . Sie verdrehen die Dinge immer so - das
ist Ihre Taktik -, dass am Ende genau das Gegenteil von
dem herauskommt, was eigentlich beabsichtigt war .
({0})
Ich habe Ihnen gerade ganz deutlich gesagt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann selber festlegen: Was
ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim?
Alles, was diesen Stempel bekommen hat, ist der Öffentlichkeit entzogen. Ich finde, dass die Öffentlichkeit ein
Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für
Verfassungsschutz mit den Steuergeldern macht, die es
von uns zugewiesen bekommt und die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gezahlt worden sind .
({1})
- Das ist nicht fadenscheinig . ({2})
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was
das Bundesamt für Verfassungsschutz mit diesen Geldern
vorhat, dass es die Internetüberwachung auf die ganze
Gesellschaft ausdehnen will, um so all unsere Lebensbereiche für den Geheimdienst transparent zu machen . Ich
finde, es darf nicht bestraft werden, wenn solche Dinge
der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden . Da haben
Sie mich völlig richtig verstanden: Ich will, dass sowohl
Journalistinnen als auch Journalisten - das steht in unserem Antrag - nicht strafrechtlich belangt werden, wenn
sie der Öffentlichkeit solche Dinge bekannt machen .
Auch Menschen, die solche Informationen an Journalistinnen und Journalisten weitergeben, sollen nicht bestraft
werden .
Wenn wir über Whistleblower reden, reden wir natürlich nicht in erster Linie über Edward Snowden. Ich finde aber, Edward Snowden ist kein Landesverräter, sondern ein mutiger Mensch; das sage ich auch über andere
Whistleblower .
({3})
Eigentlich hätte Edward Snowden den Friedensnobelpreis verdient und nicht das Exil .
({4})
Es muss möglich sein, dass die Öffentlichkeit über solche
Dinge informiert wird und diejenigen, die darüber informiert haben, nicht Gefahr laufen, am Ende in ihrer Freiheit eingeschränkt oder ihrer Freiheit beraubt zu werden .
Ein weiterer Punkt, um den es uns in unserem Antrag
geht, ist die Unabhängigkeit der Justiz . Ich erinnere an das
Trauerspiel, das uns da vorgeführt wurde: Erst verlangt
ein Behördenleiter, Ermittlungen wegen Landesverrats
aufzunehmen . Dann werden diese Ermittlungen aufgenommen . Plötzlich merkt die Regierung, dass ihr dieses
Pflaster zu heiß wird. Also fängt sie an, zurückzurudern.
Der eine behauptet, er habe eine entsprechende Weisung
bekommen; der andere erklärt, nie eine Weisung erteilt
zu haben . Dann muss der Generalbundesanwalt sein Amt
aufgeben, und am Schluss stellt er sich noch als Opfer
dar . Da muss man doch das Vertrauen in den Rechtsstaat
verlieren . - Solche Zustände können wir nicht dulden .
Deswegen sagen wir: Die Staatsanwaltschaften müssen
unabhängig arbeiten können - ohne Beeinflussung durch
Landesjustizministerien oder durch das Bundesjustizministerium -, und der Generalbundesanwalt darf kein politischer Beamter sein .
Das sind Forderungen, in denen wir mit Bündnis 90/
Die Grünen übereinstimmen . Deswegen werden wir Ihren Anträgen ebenso zustimmen, wie wir unserem Antrag
zustimmen .
Ich finde es bedauernswert, dass es immer wieder die
Oppositionsfraktionen sind, die zu solchen Themen Anträge stellen bzw . stellen müssen, weil Sie nichts unternehmen .
({5})
Vielleicht sollten Sie von der Großen Koalition sich einmal fragen, ob Ihnen Pressefreiheit tatsächlich so wenig wert ist, dass Sie sich im Parlament so wenig dafür
engagieren . Ich kann Sie nur auffordern, unseren guten
Anträgen - sowohl von Bündnis 90/Die Grünen als auch
unserem Antrag - zuzustimmen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank, Harald Petzold . - Nächster Redner:
Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Güter
unserer Verfassung und eine entscheidende Grundlage
für unsere Demokratie . Zur Pressefreiheit gehört, dass
keine staatliche Stelle auch nur im Ansatz in irgendeiner Form Einfluss auf journalistische Tätigkeit nimmt.
Deshalb darf nicht einmal der Anschein entstehen, eine
Behörde würde Druck auf Journalisten ausüben .
Wir in der SPD-Fraktion haben die Art der Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz für einen
Fehler gehalten . Deren Zielrichtung war formal gegen
Unbekannt; tatsächlich wurden in der Anzeige Journalisten namentlich genannt, und der Verdacht war damit gegen sie gerichtet . Dabei war es offensichtlich, dass keine
Strafbarkeit wegen Landesverrats vorliegt; denn es war
ohne größere juristische Prüfung erkennbar, dass schon
der für die Verwirklichung des Landesverrattatbestands
erforderliche Vorsatz, nämlich die Gefahr eines schweren
Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik,
fehlte . Ich halte fest, dass diese Anzeige in dieser Form
nie hätte gestellt werden sollen und dass das Bundesinnenministerium dieser Strafanzeige niemals hätte zustimmen dürfen . Das hätte von dort gestoppt werden müssen .
({0})
Im ersten Antrag der Grünen wird behauptet, dass
Journalisten immer wieder Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt seien . Das kann ich für
Deutschland jedenfalls in dem Ausmaß, wie Sie es in Ihrem Antrag darstellen, nicht feststellen . Und es wird eine
präzisere Definition gefordert, was ein Staatsgeheimnis
ist . Publizistische Veröffentlichungen von Staatsgeheimnissen erfüllen schon heute in der Regel nicht den Straftatbestand des Landesverrates, weil es an der Absicht
fehlt, Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde
Macht zu begünstigen . Das war früher anders . Nach der
Spiegel-Affäre haben wir die entsprechende Vorschrift
geändert . Damals hätte der einfache Dolus eventualis
ausgereicht; seit 1966 bedarf es der Absicht . Wir haben
also schon damals Ihrem Anliegen entsprochen .
Ich finde, Ihr Vorschlag ist viel zu unbestimmt. Nach
Ihrem Vorschlag soll ein Staatsgeheimnis nicht vorliegen, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden
der Information „das öffentliche Interesse an deren Geheimhaltung erheblich überwiegt“ . Was ist „erheblich“?
({1})
So ungenau sollten wir keine Strafnormen formulieren,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen .
Ich finde, die Qualifizierung einer Information als
Staatsgeheimnis sollte davon abhängen, ob tatsächlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland besteht . Sie schlagen vor, dass Voraussetzung für die Strafbarkeit sein soll, dass die Information
als Geheim eingestuft ist . Das könnte dazu führen, dass
eine Information die äußere Sicherheit der BRD gefährdet, aber aus irgendwelchen Gründen nicht eingestuft ist .
Dieses formale Kriterium halte ich deshalb für schwierig .
Herr Fechner, Entschuldigung . Erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung?
Ja klar . Natürlich .
Dann, lieber Christian Ströbele, bitte .
Sie hätten weiterlesen müssen . Der Satz war noch
nicht zu Ende . Sie haben zitiert bis „erheblich überwiegt“ . Dann geht es weiter:
. . . wenn sie oder ihre Inhalte
1 . gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen,
2 . auf Grundrechtsverletzungen oder die Begehung
schwerer Straftaten … schließen lassen,
3 . gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen .
Nur dann fordern wir das .
({0})
Das haben Sie einfach weggelassen . Sie behaupten,
dass nach unserer Definition immer dann keine Staatsgeheimnisse vorliegen, wenn das öffentliche Interesse am
Bekanntwerden das öffentliche Interesse an Geheimhaltung erheblich überwiegt . Wir haben die Gründe genau
aufgelistet, wann keine Staatsgeheimnisse vorliegen . Dagegen können Sie doch nichts haben .
Aus meiner Sicht ist es nach wie vor zu unbestimmt .
Es wird auch durch die Nachsätze, die Sie vorgetragen
haben - ich habe das auch in Ihrem Antrag gelesen -,
nicht besser . Sie eröffnen eine Diskussion über die Erheblichkeitsschwelle dieser wichtigen Norm . Das alles
halte ich für zu unbestimmt . Deswegen bin ich von Ihrem
Vorschlag nicht überzeugt .
({0})
Langer Rede kurzer Sinn: Die Lehre aus der Affäre
netzpolitik .org muss sein, dass Sicherheitsbehörden keine offensichtlich haltlosen Strafanzeigen gegen Journalisten stellen . Wo das geplant ist, müssen die Ministerien
einschreiten und solche Anzeigen stoppen . Es darf wegen der überragenden Bedeutung der Pressefreiheit in
Deutschland nicht einmal der Anschein erweckt werden,
dass in Deutschland Sicherheitsbehörden durch Strafanzeigen Druck auf Journalisten ausüben .
Im zweiten Antrag fordern Sie, liebe Kollegen von
den Grünen, im Einzelfall das externe Weisungsrecht des
Justizministers zu beschränken . Ich halte fest: Sie wollen es nicht abschaffen, wie es der Deutsche Richterbund
fordert, sondern Sie wollen es beschränken, und zwar auf
„evident rechtsfehlerhafte Entscheidungen“ . Auch das
ist aus meiner Sicht viel zu unbestimmt . Wie und nach
welchen Kriterien wollen Sie das bitte bestimmen? Das
Weisungsrecht ist aus meiner Sicht sinnvoll und sollte
nicht abgeschafft werden . Der bekannte Rechtsanwalt
Gerhard Strate hat es in einem Beitrag für die Zeitschrift
für Rechtspolitik 2014, wie ich finde, sehr prägnant zusammengefasst . Er verweist zu Recht darauf, dass das
Grundgesetz keine Unabhängigkeit der Justiz, sondern
„nur“ die Unabhängigkeit der Richter kennt . Den Staatsanwalt zum Teil der dritten Gewalt zu erklären, wäre - so
Strate - der Abschied von dem fein austarierten System
unserer rechtsstaatlichen Justiz . Das externe Weisungsrecht, von dem sowieso nie Gebrauch gemacht wird Herr Maas hat es nicht getan, Kollege Sensburg -, sollte
zumindest in der Theorie bestehen . Das ist wichtig, weil
ansonsten keinerlei parlamentarische Kontrolle der Ermittlungsarbeit möglich ist . Dass das erforderlich ist, hat
der Fall Mollath sehr deutlich gezeigt . Letztlich gibt es
Argumente für die Abschaffung des Weisungsrechts, und
es gibt Argumente für die Beibehaltung . Aber nach meiner Meinung gibt es keine Argumente für Ihren Mittelweg . Ich halte es für zu schwammig und unbestimmt, zu
sagen, nur bei evident bedeutsamen Fehlleistungen solle
das Weisungsrecht bestehen . Da ist Rechtsunsicherheit
vorprogrammiert .
Zum Antrag der Linken . Er enthält die berechtigte Forderung, Hinweisgeber besser zu schützen . Ja, das stimmt .
Die SPD hatte in der letzten Legislaturperiode genau zu
diesem Zweck einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht .
Auch wir wollen Hinweisgeber besser schützen . Etwa
die Lebensmittelskandale in den letzten Jahren wären
niemals aufgeklärt worden, wenn es nicht mutige Arbeitnehmer gegeben hätte, die sich gegen ihre Vorgesetzten
gestellt und viele persönliche Nachteile in Kauf genommen hätten . Weil sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern dadurch einen großen Dienst erwiesen und dafür
gesorgt haben, dass lebensgefährliche Geschäftspraktiken aufgedeckt und verhindert werden konnten, müssen
wir den Schutz solcher Hinweisgeber auf jeden Fall verbessern . Da teilen wir Ihr Ziel .
Die Anträge enthalten viele richtige Ansätze, etwa den
besseren Schutz der Whistleblower oder die Idee, das
Weisungsrecht nur schriftlich zuzulassen . Aber weil sehr
viel unklar ist und weil insbesondere bei den Anträgen
der Grünen die zentralen Punkte zu unbestimmt sind,
habe ich erhebliche Bedenken gegen Ihre Anträge .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Johannes Fechner . - Nächster Redner:
Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben die Ermittlungen
gegen netzpolitik .org zu einer heftigen und breiten Debatte geführt . Es wurde gefragt, ob wir den Schutz der
Journalisten in unserem Land verbessern müssen und
ob wir nicht generell eine Reform der Tatbestände der
§§ 93 ff . StGB - Geheimnisverrat und Landesverrat brauchen . Aber der Reihe nach .
Bei uns sind Journalistinnen und Journalisten zunächst
einmal grundrechtlich geschützt durch Artikel 5 des
Grundgesetzes. Dieses Grundrecht findet eine Schranke
in den Straftatbeständen der §§ 93 ff . StGB . Interessant
dabei ist: Das Schutzgut ist die äußere Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland. Ich finde es ein Stück weit
bedenklich, dass wir heute eine rechtspolitische Debatte
über die Frage führen, ob wir diese Tatbestände reformieren, und niemand von Ihnen, weder Sie, Kollege Petzold,
noch Sie, Kollege Ströbele, sich einmal die Mühe gemacht hat, dieses Rechtsgut in Inhalt und Ausmaß zu
beleuchten .
Zwei Dinge hat netzpolitik .org damals online gestellt ich glaube, auch da sollten wir einmal etwas konkreter
werden; Sie, Herr Petzold, haben das sehr oberflächlich
in den Raum gestellt -: zum einen Teile des Wirtschaftsplans des BfV, zum anderen Teile des Konzepts „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ . Ich empfehle Ihnen, zu
der Bewertung des Inhalts die Ausführungen von Professor Dr . Jan-Hendrik Dietrich, Hochschule des Bundes, zu
lesen . Das ist just der Gutachter, den der damalige Generalbundesanwalt als externen Gutachter beauftragt hatte . Dieses Gutachten ist sehr viel differenzierter als das
interne Gutachten, das das Bundesamt für Verfassungsschutz damals in Auftrag gegeben hat . Professor Dietrich
kommt - so einfach scheint es nicht zu sein, Kollege
Fechner - zunächst einmal zu der Einschätzung, dass die
Information über das EFI-Konzept ein Staatsgeheimnis
gewesen ist, da das Konzept Rückschlüsse auf das Leistungspotenzial des Bundesamtes für Verfassungsschutz
im Cyberbereich zulässt . Das EFI-Konzept legt offen,
welche organisatorischen und technischen Defizite im
Bundesamt für Verfassungsschutz im Bereich Cyberbekämpfung vorherrschen, und beschreibt die Methoden,
wie in diesem Haus Informationen gewonnen werden .
({0})
Jetzt sagen Sie, die Öffentlichkeit müsse informiert
werden . Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Da haben
sich mir die Nackenhaare aufgestellt . Kollege Petzold,
wir leben im Zeitalter der Cyberkriminalität, im Zeitalter
der Hackerattacken .
({1})
https://netzpolitik.org
Und für Sie ist es in Ordnung, dass ein Konzept offengelegt wird, das Rückschlüsse auf die Cyberkompetenz
({2})
des Bundesamts für Verfassungsschutz zulässt . Auf
Deutsch gesagt: Dieses Konzept zeigt, wo die Bundesrepublik Deutschland auf dem Cyberweg verwundbar ist,
und das im Zeitalter der Hackerattacken . Und für Sie ist
die Veröffentlichung vollkommen in Ordnung .
({3})
Ich finde es erschreckend, dass Sie tatsächlich gesetzlichen Handlungsbedarf anmahnen, sich aber mit dem
Inhalt des Gutachtens offensichtlich kaum beschäftigt
haben,
({4})
zumal - auch das muss man sagen - das Schutzgut der
äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland,
der Schutz der Bundesrepublik Deutschland und seiner
Behörden und Einrichtungen vor Hackerangriffen, alles
andere als ein niedrigschwelliges Rechtsgut ist .
({5})
Ich sage Ihnen: Bei der Lektüre Ihrer Anträge nimmt
man wahr, dass Sie an dieser Stelle Ihre Ideologie offensichtlich ganz nach oben stellen . Sie wollen möglichst
viel Beinfreiheit für Journalisten und nehmen dafür im
Notfall eine Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland in Kauf .
({6})
Genau deshalb werden wir diese Anträge ablehnen . Wir
leben im Zeitalter der Digitalisierung, in einem Zeitalter, in dem sich in jeder Lebenslage akut und spontan Informationen in die Welt hinaussenden lassen . Wenn die
Information einmal in der Welt ist, sekundenschnell, ist
sie ganz schwer rückholbar . Wir wollen in diesem Zeitalter keinen leichtfertigen Umgang mit Staatsgeheimnissen . Wir wollen eben nicht, dass der äußere Schutz der
Bundesrepublik Deutschland zur Disposition Einzelner
gestellt wird .
Herr Hoffmann, erlauben Sie eine Bemerkung oder
Frage von Christian Ströbele?
Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin .
Danke schön .
Herr Kollege, darf ich Sie so verstehen, dass Sie im
Ergebnis der Meinung sind, man hätte die beiden Journalisten doch anklagen und möglicherweise verurteilen
sollen?
({0})
So verstehe ich Sie jetzt . Sie haben offenbar noch nicht
verstanden, dass das eine die Person oder die Stelle ist,
die eine Information aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz nach draußen gegeben hat - darüber reden
wir hier gar nicht -, das andere die Journalisten sind, die
diese Information bekommen und veröffentlichen . Wir
sind der Meinung, dass ein Journalist, wenn er so etwas
in die Hand bekommt, gerade in einer Zeit, in der wir
über die Internetüberwachung diskutieren - ich rede jetzt
nicht von dem möglichen Verfassungsschützer oder wer
auch immer das war -, sagen können muss: Das interessiert die Öffentlichkeit jetzt aber sehr . Also veröffentliche
ich das .
Danke für die Frage . - Das ist doch genau der Punkt:
In dem Moment, wo man das in die Hände eines Journalisten gibt, legt man das erhebliche Rechtsgut „äußere
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ in die Hände eines Einzelnen und stellt es zu seiner Disposition . Ich
habe eigentlich gedacht - deswegen war ich eingangs
Ihrer Frage etwas irritiert -, dass Sie als Strafverteidiger
sehr wohl die Frage, ob Anklage erhoben wird, ob ermittelt wird, und die Frage, ob jemand verurteilt wird, auseinanderhalten können . Ich glaube, dass es voll und ganz
gerechtfertigt gewesen ist, in diesem Fall Ermittlungen
einzuleiten .
({0})
Es scheint ja nicht so eindeutig gewesen zu sein, wie der
Kollege Fechner vorhin geschildert hat . Immerhin hat
das Bundesjustizministerium ein Gutachten in Auftrag
gegeben . Jeder Straftäter in Deutschland muss sich nach
den Ermittlungen unter Umständen einem Strafprozess
stellen, in dem es dann um die Frage geht, ob Vorsatz
oder Absicht, wie es das Gesetz erfordert, vorgelegen hat .
Daher verstehe ich nicht, warum wir uns diese Zeit nicht
hätten nehmen sollen .
({1})
Generell erlebe ich diese Debatte - da will ich ehrlich
sein - als sehr ideologisch . Ich gehe sogar noch einen
Schritt weiter . Ich persönlich behaupte, dass Sie von den
Grünen und auch Sie von den Linken diese Ermittlungen
nicht zum Anlass für Reformüberlegungen genommen
hätten, wenn es zum Beispiel Ermittlungen gegen ein
sehr konservatives Medienblatt, wie zum Beispiel den
Tagesspiegel, gegeben hätte .
({2})
Ich bin aber - auch das will ich ganz ehrlich sagen mit der Aufarbeitung dieser Thematik im Bundesjustizministerium - insofern bin ich dankbar, dass Sie da sind,
Herr Minister - nicht wirklich zufrieden . Wir täten uns in
der Debatte durchaus leichter, wenn auch Sie mehr zur
Aufklärung der damaligen Chronologie beitragen würden . Sie sagen: Es hat keine Weisung gegeben . Ich habe
nie das Wort „Weisung“ verwandt . - Ich habe im Rechtsausschuss gefragt, ob Sie ausschließen können, dass das,
was Sie gesagt haben, als Weisung hätte verstanden werden können . Dazu gab es keine Auskunft . Sie haben auch
die Existenz des Aktenvermerks nicht wirklich erklären
können, und sie ließen das externe Gutachten stoppen . Das sind die Erkenntnisse, die ich eingangs skizziert
habe . Auf die Frage, warum sie es an diesem Montag, am
Tag der Weisung, haben stoppen lassen, sagen sie: Es war
einfach keine Zeit mehr zu verlieren . - Es ärgert mich
als Parlamentarier, wenn ich über das Fernsehmagazin
Kontraste die Information bekomme, dass der Gutachter
selbst sagt, dass das Gutachten an diesem Tag so gut wie
fertig gewesen ist . Mit der Beantwortung dieser Fragen
täten wir uns in der Debatte leichter .
Ich will am Ende meiner Rede noch ein paar Sätze
zum Schutz von Hinweisgebern verlieren; auch das ist
immer wieder ein Thema in den Debatten gewesen . Ich
bin schon dafür, dass wir das Ganze weitaus differenzierter sehen, als es der Kollege Petzold vorhin getan hat
oder als Sie es immer tun, Kollege Ströbele . Mir ist schon
wichtig, dass wir gesellschaftspolitisch den Akzent darauf setzen, dass Hinweisgeber nicht in eine Ecke mit
Denunzianten gestellt werden dürfen . Ich glaube schon,
dass wir uns trotz Edward Snowden die Zeit nehmen
sollten, einmal zu überlegen: Wo besteht denn überhaupt
Regelungsbedarf? Wie viele Regelungslücken haben
wir? - Sie wissen, dass in der juristischen Debatte die
Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte im Mittelpunkt stand . Damals ging
es um den berühmt gewordenen Fall der Pflegerin, die
Missstände in einem Pflegeheim veröffentlicht hatte. Die
wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Entscheidung sind:
Erstens . Es geht um Grundrechtsschutz . Es ist eine
Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen der Meinungsfreiheit und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit auf der einen Seite und dem Vertraulichkeitsinteresse des Unternehmens auf der anderen Seite .
Zweitens . Diese Abwägung muss im Einzelfall von
einem Gericht vorgenommen werden, auch wenn wir
einzelgesetzlich etwas verändern . Auch rechtliche Konsequenzen - wie eine Abfindung, die es in diesem Fall
gab - müssen im Einzelfall geprüft werden; das ist heute
schon so .
Ich bin der Meinung, dass wir schauen müssen, wie
die Strukturen in diesem Bereich, zumindest im Hinblick
auf das Arbeitsrecht, sind und ob es Änderungsbedarf
gibt . Ein solcher Bedarf ist jedenfalls nicht in dem Umfang, wie Sie heute hier glauben machen wollen, vorhanden . Deswegen lehnen wir Ihre Anträge ab .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank, Alexander Hoffmann . - Der letzte Redner in der Debatte: Dr . Matthias Bartke für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Netzpolitik .org-Affäre aus dem letzten Sommer hat uns
die Spiegel-Affäre von 1962 wieder ins Gedächtnis gerufen . Beide Affären stehen für die hohe Bedeutung, die
die Pressefreiheit in unserem Land hat . Die Spiegel-Affäre hat die Pressefreiheit in der Gesellschaft wirklich
verankert . Die Gesellschaft hat damals begriffen, was
Pressefreiheit tatsächlich bedeutet . Seither begleitet der
kritische Geist der Presse die Entwicklungen in unserem
Land und korrigiert sie, wo sie in die falsche Richtung
laufen . Die Pressefreiheit ist damit Garant unserer Demokratie und scheint heute wichtiger denn je, nicht nur
in Deutschland .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Spiegel-Urteil von 1966 in aller Deutlichkeit festgestellt:
Die Presse … beschafft die Informationen, nimmt
selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung .
Im selben Urteil hat das Bundesverfassungsgericht auch
deutlich gemacht, dass „die Aufdeckung wesentlicher
Schwächen … trotz der zunächst damit verbundenen …
Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik auf lange
Sicht wichtiger … als die Geheimhaltung“ sein kann .
Meine Damen und Herren, das ist der Hintergrund,
vor dem die Netzpolitik .org-Affäre gesehen werden
muss . Es war daher absolut richtig, dass das Justizministerium schon zu einem frühen Zeitpunkt der Affäre
besonders sorgsame Arbeit angemahnt hat . Selbst der
damalige Generalbundesanwalt Range hatte mit Blick
auf die Pressefreiheit Anweisung gegeben, „mögliche
Exekutivmaßnahmen“, wie er es nannte, gegen die Journalisten zu stoppen . Damit wird schon sehr deutlich, dass
der Staat zu keinem Zeitpunkt kritische Berichte unterdrücken wollte oder gar unterdrückt hat .
Wenn es um Ermittlungen gegen Journalisten geht,
steht dieser Verdacht natürlich immer schnell im Raum,
und man darf solche Bedenken auch nicht leichtfertig
vom Tisch wischen . Das ist im Fall von netzpolitik .org
aber ganz sicher nicht geschehen . Nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen explodierte die Berichterstattung zu diesem Thema geradezu . Medien und Presseverbände waren empört und haben sich mit den Bloggern
von netzpolitik .org solidarisiert . Ich muss gestehen:
Einen eingeschüchterten Eindruck hat das auf mich damals nicht gerade gemacht. Ich finde, das spricht für das
Selbstbewusstsein der Presse in unserem Land, und ich
sage: Richtig so!
({0})
Liebe Oppositionsfraktionen, in Ihren Anträgen nehmen Sie nicht nur auf die Pressefreiheit, sondern auch
auf das Weisungsrecht des Justizministers Bezug und
wollen es einschränken . Ja, der Justizminister hat ein
externes Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt . Im vorliegenden Fall hat er davon aber gar keinen Gebrauch gemacht . Es ist ja nun auch nicht so, dass
er deswegen schalten und walten kann, wie er will . Die
Dienstaufsicht ist an Recht und Gesetz gebunden . Wo das
Gesetz keinen Ermessensspielraum zulässt, kommt das
Weisungsrecht überhaupt nicht infrage . Justizminister
Heiko Maas musste Generalbundesanwalt Range trotzdem in den einstweiligen Ruhestand versetzen . Nachdem
dieser ihm in einer Pressekonferenz vorgeworfen hatte,
in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen, war das
unvermeidlich; denn einmal abgesehen davon, dass der
Generalbundesanwalt eben gerade nicht unabhängig ist,
erschüttert ein solch öffentlich erhobener Vorwurf das
Vertrauensverhältnis ohnegleichen . Völlig klar, dass das
deutliche Konsequenzen erforderte!
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusammenhang meinen persönlichen Eindruck schildern .
Im Rechtsausschuss hatten wir Herrn Range im August
vergangenen Jahres ja bekanntlich geladen . Ich muss
wirklich sagen: Einen solch schwachen Auftritt habe ich
zuvor selten erlebt .
({1})
Die Süddeutsche Zeitung beschrieb Range als „rebel
with out a cause“. Ich finde, das trifft es ziemlich gut.
Sie merken schon: Aus meiner Sicht zeichnet sich
nicht der Änderungsbedarf ab, den Sie aus der Affäre gefolgert haben . Das liegt vielleicht auch daran, dass der
letzte vergleichbare Fall über ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Ich finde: Dringender Handlungsbedarf sieht
wirklich anders aus .
Ich danke Ihnen .
({2})
Vielen Dank, Matthias Bartke . - Damit schließe ich
die spannende Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10036, 18/10037 und 18/5839 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann sind die
Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen
nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
Drucksachen 18/10347, 18/10638 ({1})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10657
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort .
({3})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Am 5 . Dezember 2001, also fast auf
den Tag genau vor 15 Jahren, ging auf dem Bonner Petersberg die erste Afghanistan-Konferenz zu Ende . Einige werden sich an die Debatten noch erinnern . Es gab so
etwas wie eine Aufbruchstimmung . Man darf auch nicht
vergessen: Die afghanische Bevölkerung hatte damals
schon auf 20 Jahre Krieg zurückgeblickt . Aber wenn wir
heute über Resolute Support diskutieren und beschließen
werden, dann gehört es zu unserer Verantwortung, dass
wir eine ehrliche Bilanz ziehen .
({0})
Die Erwartungen, die damals im Land herrschten, der
Enthusiasmus, haben sich nicht realisieren lassen . Das ist
ein Teil der Ernüchterung, die wir zur Kenntnis nehmen
müssen . Leider prägen immer noch Gewalt und Angst
vor Unsicherheit den Alltag der Menschen in Afghanistan . Auch das Thema Korruption beschäftigt unsere
Kolleginnen und Kollegen im afghanischen Parlament .
Es gibt in Teilen des Landes ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit . Das drückt sich in der Tatsache aus, dass Menschen Afghanistan verlassen . Ich komme aus Hamburg
und vertrete einen Wahlkreis mit einer der wahrscheinlich größten afghanischen Gemeinden in Deutschland
und in ganz Europa .
({1})
Trotzdem ist es richtig - das ist auch ein Teil der Debatte, die wir führen müssen -, dass es seit 2001 wichtige
Fortschritte in Afghanistan gegeben hat . Es gibt zumindest in den großen Städten freie Medien . Es gibt Debatten . Es gibt politische Demonstrationen . Das ist für uns
nichts Besonderes, aber für die afghanische Kultur ist das
bemerkenswert .
({2})
Sie prägen damit auch das afghanische Gemeinschaftsgefühl, den Zusammenhalt dieser zerrissenen Gesellschaft .
({3})
Dies ist ein Teil der Realität . Deswegen möchte ich das
auch ansprechen .
({4})
Ich will hier keinen Katalog herunterbeten, aber erwähnen muss man das schon, wenn wir über Afghanistan
diskutieren . Es gibt auch Erfolge im Kampf gegen Analphabetismus, gegen Armut, gegen fehlende medizinische Versorgung . Vor allem in den großen Städten - auf
dem Lande bleiben große Defizite - gibt es Zugang zu
Bildung in einer Art und Weise, wie es das in der afghanischen Geschichte niemals gegeben hat .
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den
Rückschlägen, über die wir miteinander diskutiert haben,
darf ich daran erinnern, dass wir über ein Bundestagsmandat zu entscheiden haben, dessen Charakter darin
liegt, die afghanischen Sicherheitskräfte - Armee und
Polizei - zu unterstützen, zu trainieren, zu beraten . Ich
will auch daran erinnern, dass wir hier Menschenleben
zu beklagen haben, auch von deutschen Soldatinnen und
Soldaten, im Kampf gegen die Feinde der Demokratie
in Afghanistan, die Taliban und andere Aufständische .
Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist, dass die Bundesregierung die afghanische Regierung, die afghanischen
Akteure, die sich für eine Versöhnung einsetzen, unterstützt . Das ist der richtige Weg für Afghanistan . Nach so
vielen Jahren Krieg wissen wir doch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass es am Ende nur eine
politische Lösung geben kann .
({6})
Deswegen finde ich es erfreulich, auch wenn es nur
einen kleinen Teil der Aufständischen betrifft, dass wir
trotz der Schwierigkeiten, mit denen unsere Kolleginnen
und Kollegen in Kabul konfrontiert sind, mit dem jüngst
abgeschlossenen Abkommen mit Herrn Hekmatjar sehen, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, Gewaltakteure in den politischen Prozess zu integrieren . Ich bin
mir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Taliban
werden das, was dort vereinbart worden ist, sehr genau
beobachten . Umso wichtiger ist es natürlich, dass jetzt
die Versprechen, die vonseiten der afghanischen Regierung gemacht worden sind, eingehalten werden .
Ich will hier an diesem Podium auch sagen: Präsident
Ghani und CEO Abdullah, die beiden beherrschenden
politischen Figuren des Landes, haben, nicht weil unsere
Hilfen konditioniert sind - sie sind es übrigens aus gutem Grund -, sondern aus eigener Initiative, ihrer Bevölkerung große Versprechen gemacht . Ein Land, das sich
im Kriegszustand befindet, kann nicht alles eins zu eins
umsetzen . Aber vieles ist nicht umgesetzt worden, weil
die beiden sich nicht verständigen konnten, weil die Umfelder dieser beiden wichtigen Politiker nicht zusammengearbeitet, nicht kooperiert haben . Das hat zur aktuellen
Instabilität und Unsicherheit beigetragen . Wir erwarten
von Präsident Ghani und von Herrn Abdullah, dass die
Versprechen, die sie ihren eigenen Menschen gegeben
haben, eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen
und Herren .
({7})
Dann muss sich auch jeder in Afghanistan darauf verlassen können, dass wir mithelfen - mit Resolute Support,
um die Sicherheitskräfte auf ihre schwierige Aufgabe in
diesem Umfeld weiter so professionell wie möglich vorzubereiten, aber eben auch mit den Zusagen, die wir in
Brüssel gemacht haben .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum
Schluss, weil das ja nun die Debatte ist, die wir hier alle
miteinander führen, doch noch ein Wort zur aufgeregten
Diskussion über die Abschiebungen sagen . Eines ist doch
in der Tat richtig: Afghanistan ist kein sicheres Land .
({8})
Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale
Aussage treffen . Ich kenne übrigens auch kein Gerichtsurteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt .
({9})
Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der
Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglichkeit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben,
zurückzuschicken . Ich sage „grundsätzlich“,
({10})
weil ich das mit einem Appell verbinden möchte: Ich erwarte, dass die Gerichte, aber auch das BAMF weiterhin sehr sorgfältig jeden Einzelfall prüfen . Ich warne vor
dem Populismus, den ich aus Bayern höre, wo es heißt,
man könne jetzt Tausende von Menschen nach Afghanistan abschieben . Das hätte mit der Realität und übrigens
auch mit der Rechtslage nichts zu tun .
({11})
Gerade Menschen, die hier unsere Sprache sprechen, die
gut integriert sind, sollen weiter bei uns eine Perspektive
haben . Also lassen Sie uns keine populistische, sondern
eine an der Sache orientierte Debatte führen .
Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit und bitte
um Zustimmung .
({12})
Vielen Dank, Niels Annen . - Nächster Redner:
Wolfgang Gehrcke für die Linke .
({0})
Danke sehr, Frau Präsidentin . - Wir reden hier über
15 Jahre deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan . Die
Kriege in Afghanistan sind sehr viel älter; das ist überhaupt keine Frage . Wir haben unendlich viele Debatten
hier im Bundestag geführt - das ist richtig und wichtig -,
aber ich muss ehrlich sagen: So viel Dreistigkeit wie
diesmal habe ich bisher bei keiner Debatte erlebt . Das
macht mich wirklich fassungslos .
({0})
Das müssen Sie den Menschen doch mal erklären: Sie
beantragen die Verlängerung des Mandates mit der Begründung, dass die Sicherheit in Afghanistan nicht gegeben ist; deshalb müsse man das Mandat der Bundeswehr
verlängern . Ich halte das alles für falsch, aber das ist Ihre
Begründung . Gleichzeitig schieben Sie Flüchtlinge, die
hier Schutz gesucht haben - gestern waren es 34, die abgeschoben worden sind -, mit der Begründung nach Afghanistan zurück, dass es ein sicheres Herkunftsland ist .
({1})
Das begreift keiner mehr .
({2})
Mit solch einer Begründung können Sie doch gar nicht
abschieben .
Das Triumphgeheule aus Bayern, von denjenigen, für
die 34 Abschiebungen nicht auslangen, sondern es einige Tausend sein sollen, ist doch nicht zu überhören . Die
Glückwunschschreiben der AfD müssen sich doch bei
Ihnen stapeln, wenn Sie so vorgehen . Es ist unfassbar
und völlig inakzeptabel, was Sie hier machen .
({3})
Ich habe mich über jeden gefreut, der gestern am Frankfurter Flughafen gegen die Abschiebung demonstriert
hat . Ich möchte, dass die Menschen in diesem Lande für
Frieden in Afghanistan, aber auch dafür, dass die afghanischen Flüchtlinge hier zu Hause sein können, auf die
Straße gehen und sich einsetzen . Das ist eine vernünftige
Politik, zumindest aus Sicht meiner Fraktion .
Gleichzeitig bitte ich Sie, mal über die Afghanistan-Entscheidungen nachzudenken, die hier unter jeglicher Couleur, jeglichen Regierungsfarben, getroffen
worden sind: Rot-Grün zu Beginn, dann Schwarz-Gelb
und Schwarz-Rot . Alle hier vertretenen Fraktionen außer
dem gallischen Dorf der Linken
({4})
waren daran beteiligt . Und die Argumente sind immer
schlechter geworden . Das war der Mühlstein, der die
deutsche Außenpolitik immer weiter runtergerissen hat .
Denken Sie an das Argument, die deutsche Sicherheit
solle am Hindukusch verteidigt werden . Die deutsche
Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden .
Die Gefahren sind immer größer geworden . Ich denke an
den Tötungsbefehl des Oberst Klein in Kunduz; es war
ein deutscher Oberst, der einen solchen Befehl gegeben
hat . Ich denke auch, Herr Außenminister, an die ganze
Debatte über Murat Kurnaz . All das ist Teil der Auseinandersetzung über die deutsche Kriegsbeteiligung in
Afghanistan. Ich finde, gerade Sie als sozialdemokratische Partei sollten sich von dieser Katastrophe lösen und
einen anderen politischen Weg einschlagen . Das wäre
vernünftig . Ansonsten geht es in der Außenpolitik immer
weiter bergab . Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht
raus . Sie müssen sich so oder so entscheiden .
({5})
Ich fordere Sie auf, darüber nachzudenken, ob sich
die Mehrheit dieses Parlaments nicht bei der damaligen
Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Frau Käßmann, entschuldigen muss . Der
klassische Satz von Frau Käßmann: „Nichts ist gut in Afghanistan“ ist stimmig und trägt .
({6})
- Dass er Ihnen nicht passt, ist mir schon klar . Sonst streiten Sie doch immer für die Kirche, Herr Kauder,
({7})
aber wenn es mal kritisch wird, dann ist alles vorbei . Das
war damals eine richtige Grundbeurteilung .
({8})
Nichts ist gut in Afghanistan .
({9})
220 000 Menschen sind in dem Krieg umgekommen . Ist
das gut? Was ist in Afghanistan nicht alles zerstört worden! Die NATO hat sich so positioniert, dass immer mehr
Menschen zu den Terroristen übergelaufen sind . Heute
betreiben Sie eine Politik, durch die am Ende nicht die
Taliban, sondern der „Islamische Staat“ noch stärker
wird . Wer mit Drohnen in Afghanistan tötet, treibt die
Menschen in die Scheuer des „Islamischen Staates“ . Das
ist das Ergebnis Ihrer Politik . Da können Sie doch nicht
sagen, dass alles gut ist in Afghanistan oder besser geworden ist .
({10})
Das alles bleibt unterm Strich stehen . Deswegen kann
man Ihrem Antrag nicht zustimmen . Wir werden den Antrag ablehnen; das ist sowieso nicht das Problem . Aber
immer mehr Menschen in unserem Lande sagen: Mit einer solchen Politik wollen wir nichts zu tun haben, und
das zu Recht .
({11})
Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke . - Nächster Redner:
Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege
Gehrcke sprach eben von Dreistigkeit mit Blick auf den
vorliegenden Antrag . Dreist, Herr Kollege Gehrcke, ist,
wie Sie hier Aussagen aus dem Zusammenhang reißen
und Geschichte klittern,
({0})
wie Sie hier eine Theologin vorführen, die Ihre Aussagen
längst revidiert hat .
Wir alle wissen: Die Lage in Afghanistan ist vielschichtig, aber ohne das internationale Engagement wäre
Afghanistan längst zerfallen . Ich glaube, darüber sind wir
uns einig .
({1})
- Herr Ströbele, es geht hier nicht um Krieg . - Der Kollege Annen hat eben sehr klar daran erinnert, was wir im
Jahr 2011 zum zweiten Mal auf einer Petersberg-Konferenz in Deutschland angesprochen, vorbereitet und in die
Planung gesetzt haben, nämlich bis 2024 aus Afghanistan
ein ganz normales Entwicklungsland zu machen . Merket
wohl: Ein ganz normales Entwicklungsland! Afghanistan
ist auf den letzten Plätzen was Sicherheit, was Korruptionsbekämpfung angeht .
({2})
Afghanistan macht schleichende Fortschritte, aber das
hat Afghanistan bisher nicht aus eigener Kraft geschafft .
Dazu braucht es internationale Unterstützung .
Das wirklich Dreiste an der Argumentation der Linken
ist die ausschließliche Fokussierung aufs Militärische .
({3})
Drei Punkte sind hier wichtig, die wir in der Debatte der
Opposition, zumindest der Linken, entgegenhalten können .
Erstens . Es geht schlichtweg darum, dass wir in der
afghanischen Bevölkerung das Vertrauen in die eigenen
Strukturen stärken . Das bedeutet, nach militärischen Einsätzen sofort mit humanitärer Hilfe, mit Wiederaufbau
und mit einer wärmenden Hand des Staates präsent zu
sein . Da geht es um Energieversorgung, um Gesundheit
und um Wasser . Das leistet die Resolute Support Mission, indem sie die afghanischen Strukturen befähigt, begleitet und berät .
Zweitens . Wir müssen die Eigenverantwortung Afghanistans stärken . Wenn wir über Afghanistan sprechen,
müssen wir uns bewusst sein, um was für ein Land es sich
handelt - dessen ist sich die Linke leider nicht bewusst -:
80 Prozent Sunniten, 19 Prozent Schiiten, rund 50 verschiedene Volksgruppen und ebenso viele Sprachen . Das
zusammenzuhalten, ist eine Herkulesaufgabe . - Ich komme an einem anderen Punkt darauf zurück .
Ein Blick in das Land macht deutlich - Kollege Annen
hat das angesprochen -: Zwei Drittel der Bevölkerung
leben in Ruhe und in Frieden und erleben eine positive wirtschaftliche Entwicklung . Knapp 30 Prozent der
Bevölkerung - rund 9 Millionen Einwohner - leben in
umkämpften Gebieten, aber 20 Millionen nicht . Bei Abschiebungen - ich glaube, da sind wir uns alle einig muss man sehr sorgfältig auf die Region und auf die Ethnie achten . Pauschale Abschiebungen - da sind wir uns
sicherlich alle einig - sind nicht möglich - man muss die
jeweilige Region Afghanistans betrachten -; aber in zwei
Dritteln des Landes herrschen Frieden und Sicherheit .
Das unterstreiche ich .
({4})
Drittens . Ein Abzug, den Teile der Opposition fordern,
würde ja nicht bedeuten, dass es mit Afghanistan auf einmal aufwärtsginge . Ein Abzug hätte ganz klare Konsequenzen . Afghanistan würde, wie in der Vergangenheit,
zum Spielball regionaler Mächte werden . Indien, Iran,
Pakistan, China, Russland und auch die Türkei haben
Interessen . Was alle eint, ist die Sorge vor Terrorismus
und vor Drogenschmuggel sowie die Hoffnung auf mehr
Energieversorgungssicherheit . Hier sehe ich eine Aufgabe für Deutschland . Diese haben wir in der Vergangenheit sehr intensiv wahrgenommen, und wir nehmen sie
auch aktuell wahr . Über diese drei Bereiche - Bekämpfung des Terrors und der Aufständischen, Bekämpfung
des Drogenanbaus und Unterbreitung von Alternativangeboten sowie Schaffung von Energieversorgungssicherheit - müssen wir mit den Regionalmächten reden . Das
geht nur durch Präsenz vor Ort, durch Glaubwürdigkeit
und Anwesenheit .
({5})
Ein Letztes . Sie brauchen strategische Geduld . Wenn
wir über das weitere Vorgehen sprechen, müssen wir uns
den Beschluss von 2011 in Erinnerung rufen, nach dem
Afghanistan bis 2024 auf das Niveau eines normalen
Entwicklungslands geführt werden soll . Das bedarf eines
ganzheitlichen Vorgehens . Das bedarf auch der Korruptionsbekämpfung, worauf die Amerikaner in der Resolute
Support Mission ungeheuer großen Wert legen . Sie setzen diesen Anspruch drastisch durch und lösen Personal
in den afghanischen Strukturen, das sich nicht an die Vorgaben hält, ab .
Was wir brauchen, ist strategische Geduld . Uns sollte
bei der Bemessung unseres Kräfteansatzes bewusst sein,
wie stark wir das aktuelle Mandat ausnutzen . 940 der
980 Dienstposten sind besetzt . Es gibt Mandate, bei denen gerade einmal die Hälfte des angesetzten Personals
im Einsatz ist, bei denen es atmende Obergrenzen gibt .
Es wäre auch mit Blick auf die Belastung unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort hilfreich, lieber Herr Außenminister, über atmende Obergrenzen nachzudenken und
die Truppe mit dem auszustatten, was sie benötigt .
Trotz aller Fokussierung auf das Militärische: Stellen
wir doch heraus, was in Afghanistan an ziviler Entwicklungszusammenarbeit geleistet wurde! Die Bundesrepublik Deutschland hat sich über das Mandat, das bei der
Afghanistan-Konferenz 2011 auf dem Petersberg beschlossen wurde, hinaus verpflichtet, bis 2022 1,7 Milliarden Euro zu investieren . Andere Staaten machen es
genauso . Es geht auch darum, darzustellen, was zivil geleistet wird . Ich denke, dass es eines Parlamentes würdig
ist, darüber ausschussübergreifend zu sprechen und unserer Öffentlichkeit klarzumachen, dass es nicht nur um einen Militäreinsatz geht, sondern auch um eine sinnvolle
Begleitung des Wiederaufbaus .
In diesem Sinne darf ich, da ich sehr viel Lebenszeit
mit Afghanistan verbracht habe, von dieser Stelle aus
eine herzliche Ermunterung nach Afghanistan senden
und unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen
Aufbauhelfern alles erdenklich Gute wünschen .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank, Roderich Kiesewetter . - Nächster Redner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es
gibt Fortschritte in Afghanistan . Das erkennt man, wenn
man sich die letzten 15 Jahre anschaut; das ist sicher so .
Kollege Annen hat einige dieser Fortschritte genannt .
Wir stehen in Afghanistan aber zurzeit vor einer riesigen
Herausforderung . Es gibt an der Spitze des Staates Signale für einen Zerfall . Die Politik des Landes steckt in
einer immensen Krise . Sie macht damit ganz, ganz viel
kaputt .
Ich war 2014 nach den Wahlen in Afghanistan . Ich
habe dort viel Euphorie gesehen und eine unglaublich
gute Stimmung erlebt . Ich sah Menschen mit leuchtenden
Augen, die mir total stolz ihren getinteten Finger gezeigt
haben, der zeigte, dass sie wählen gegangen waren . Dann
haben zwei Menschen den Wahlsieg für sich proklamiert .
Wir, der Westen, haben sie dann bedrängt, miteinander zu
arbeiten . Sie schaffen das bis heute nicht . Das sieht die
Gesellschaft . Es führt in einem Land wie Afghanistan zu
einer unglaublich schlechten Stimmung, wenn nach über
zwei Jahren kein Verteidigungsminister ernannt worden
ist . Das ist eine Art von Tribalisierung der Politik und
der Regierung an und für sich, die das Land maßgeblich
kaputtmacht .
Die Sicherheitslage ist höchst fragil . Ich war 2015
das nächste Mal dort . Da war die Stimmung schon gar
nicht mehr so gut, weil die fünftgrößte Stadt des Landes, Kunduz, gefallen war . Innerhalb von 24 Stunden
hatten die Taliban Kunduz erobert . Die Frage, die sich
viele Freunde, die ich in Kabul habe, gestellt haben, war:
Ist das auch in Kabul in einer solchen Geschwindigkeit
möglich? Faktisch nicht, aber das zeigt, wie dramatisch
sich die Stimmung verändert hatte .
Die Taliban sind stark, die Friedensgespräche gibt es
nicht mehr, und ISIS fasst in immer mehr Gebieten Fuß,
zum Beispiel in der Provinz Nangarhar . Jeden Tag kann
man in den afghanischen Zeitungen lesen, dass es dort
bei Gefechten soundso viele tote Taliban und soundso
viele Tote von ISIS gegeben hat . Was nicht in der Zeitung
steht, ist, dass es diese Toten bei Gefechten zwischen diesen beiden Gruppen untereinander gab . Denn die afghanische Armee kann gar nicht mehr vor Ort arbeiten . Das
zeigt, wie hoch dramatisch die Lage ist .
Die Vorwürfe an die afghanische Armee müssen
sich dabei in Grenzen halten . Ein paar Zahlen: 2015
6 637 Tote von der Armee, 12 471 Verletzte; Januar bis
August 2016 über 5 500 tote und fast 10 000 verletzte
Soldaten . Keine Armee der Welt würde so viele Verluste
auf Dauer überleben, ohne zu desintegrieren . Genau das
passiert derzeit in Afghanistan . Deswegen kommt auch
der Arbeitsmarkt nicht in Schwung . Deswegen funktioniert die Wirtschaft nicht gut . Das drückt auf die Stimmung .
2015 habe ich dort junge Menschen getroffen . Sie waren hoch agil, hoch aktiv und wirklich gut ausgebildet .
Sie gehörten genau der Generation an, die Afghanistan
aufbauen kann und auch muss . Wir haben eine sehr lange
Diskussion geführt . Dann kam es zur Frage der Migration . Eine junge, starke, mutige Frau sagte: Ich bleibe .
Das ist mein Land, und ich baue es auf . - Die anderen
sechs, die am Tisch saßen, haben sie ausgelacht . Das war
eine tragische Sekunde für mich, aber erst recht für diese Frau . Dies macht aber auch klar, wie die Stimmung
in diesem Land ist . Deshalb ist es umso wichtiger, dass
wir die richtigen Signale setzen, dass wir den Afghaninnen und Afghanen klarmachen, dass wir ihnen beistehen,
dass wir wissen, dass sie einen weiten Weg vor sich haben, und dass wir solidarisch sind . Es geht um Signale .
Es geht darum, dass wir den Afghanen die richtigen Signale senden .
Ich komme zu den Signalen der Bundesregierung .
Erstens . Massiver Tabubruch im Oktober 2016: Der
Außenminister verknüpft - das war bisher in dieser Republik zu Recht völlig verpönt - die Entwicklungszusammenarbeit unmittelbar mit der Annahme eines Rücknahmeabkommens . Das heißt, erst wenn Abschiebungen
funktionieren, sind wir bereit, euch Geld zu geben . - Es
gab einen guten Grund, warum genau dieselben Mitglieder der Bundesregierung, als zum Beispiel das Thema
bei Marokko auf die Tagesordnung kam, gesagt haben,
dass diese Verknüpfung unzulässig ist. Wir finden, dieser
Tabubruch ist das falscheste Signal, das man nach Afghanistan senden kann .
({0})
Zweitens . Gestern: 34 Flüchtlinge in einem Flugzeug
von Frankfurt nach Kabul . Es gibt Rückführungen . Ist
Afghanistan nun sicher? Wir haben gerade von allen gehört, dass dem nicht so ist . Gibt es sichere Zonen?
({1})
Wir fragen die ganze Zeit, wo die sicheren Zonen sind .
Dann wird uns Masar-i-Scharif genannt . Es gibt einen
guten Grund, warum unser Generalkonsulat nun geschlossen ist und auch nicht mehr öffnen wird . Das liegt
daran, dass die Sicherheitslage hoch dramatisch ist und
auch die afghanischen Sicherheitskräfte nicht imstande
sind, unser Generalkonsulat zu schützen . Wie kommen
Sie auf die Idee, dass sie dann imstande sind, die Zivilbevölkerung zu schützen?
({2})
Es gibt ja auch freiwillige Rückführungen . Da ist es
so, dass man organisieren kann, dass es ein Netzwerk
gibt, dass es NGOs gibt, dass sich um die Leute gekümmert wird . Aber was hier passiert, sind Sammelabschiebungen, Sammelrückführungen mit Zielgrößen bzw . mit
Fantasiegrößen; es werden Größen genannt, wie viele
Menschen man zurückführen muss . Ich weiß nicht, was
sich der Herr Innenminister dabei denkt . Wenn er unser
Asylrecht kennen würde, würde er wissen, dass es dort
um Einzelfallprüfung geht und nicht um Maßgaben, wie
viele Abschiebungen man hinbekommen soll .
({3})
Deshalb kann ich nur appellieren: Setzen Sie die richtigen Signale . Sagen Sie den Afghaninnen und Afghanen,
dass wir ihnen beistehen . Investieren Sie; ja, das müssen
wir politisch machen .
Die Frage, ob man das auch mit der Bundeswehr
dort macht, ist bei uns heiß umstritten . Ich werde dem
zustimmen, weil ich nicht das Signal senden will, dass
wir die Afghaninnen und Afghanen alleine lassen wollen . Ich verstehe ausgesprochen gut, warum es bei mir in
der Fraktion so viele Leute gibt, die zwar nicht gegen die
Solidarität mit den Menschen in Afghanistan sind, aber
gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung Afghanistan-Politik betreibt, und die dieses Mandat daher
ablehnen werden .
Wir sind uns vielleicht nicht immer einig in der Frage,
welchen Beitrag wir für Afghanistan leisten wollen . Aber
wir sind uns hundertprozentig einig, dass wir den Afghaninnen und Afghanen weiterhin beistehen sollten . Dafür
müssen wir die richtigen Signale setzen . Das macht die
Bundesregierung nicht .
({4})
Vielen Dank, Omid Nouripour . - Nächster Redner:
Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will denjenigen danken, die dazu beitragen, dass wir
hier im Parlament eine sehr differenzierte Diskussion
über Afghanistan führen . Wenn wir uns die Situation im
Land scharf anschauen, dann haben wir weder das Recht,
zu sagen: „Alles ist schlecht in Afghanistan“, noch können wir hier zufrieden feststellen, dass alles in Afghanistan gut ist . Wir können meines Erachtens gemeinsam
festhalten, dass vieles nicht einfacher geworden ist in Afghanistan und dass der Weg unseres Engagements dort
weitergehen muss .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an vielen Stellen, wie fragil die sicherheitspolitische Situation
ist; das ist gerade aufgezählt worden . Wir haben in den
letzten 15 Jahren Fortschritte erlebt, aber leider auch
Rückschläge verkraften müssen . Der Kollege Annen hat
aufgezählt, dass wir viele Bereiche haben, in denen es
tatsächlich besser geworden ist . Wenn ich mir die politische Debatte anschaue, das, was Parlamentarier dort
wahrnehmen können, wenn ich mir das Mediensystem
anschaue, wenn ich den Bildungsbereich, die Universitäten oder Frauenrechte sehe, dann müssen wir meines
Erachtens festhalten: Vieles ist besser geworden,
({1})
und es ist auch ein Ergebnis unserer Politik, was wir in
den letzten 15 Jahren dort in Afghanistan gemeinsam voranbringen konnten . Das muss man in einer solchen Situation auch einmal sagen .
({2})
Das Land hat sich verändert . Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht: Wenn ich mit Soldatinnen und Soldaten im
Gespräch bin, die aus dem Afghanistan-Einsatz zurückkommen, dann höre ich dort auch differenzierte Wahrnehmungen . Es gibt diejenigen, die sagen: Ja, mein Einsatz
dort hat etwas gebracht . Es gibt aber auch diejenigen, die
Fragezeichen setzen. Ich finde, diese Meinungen muss es
geben dürfen, und wir müssen uns sehr intensiv mit den
Soldatinnen und Soldaten austauschen und auch ernst
nehmen, was sie uns von dort berichten .
Erinnern will ich aber daran, dass wir einen Grund
hatten, weswegen wir vor 15 Jahren hier im Bundestag einige waren schon dabei - beschlossen haben, dass wir
Militär nach Afghanistan schicken . Ich will auch daran
erinnern, dass wir vor 15 Jahren Verantwortung für dieses Land übernommen haben . Es wäre töricht, diese Verantwortung jetzt abrupt abzubrechen, weil es viele dort in
dem Land sind, die sich auf uns verlassen können wollen,
und sie dürfen wir nicht im Stich lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Deswegen werden wir das Mandat
heute hier verlängern .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
es mag emotional befriedigen, wenn man „Raus aus Afghanistan!“ ruft . Ich glaube aber, unserer Verantwortung,
die wir als Deutschland haben, werden wir mit einem solchen Ruf bei weitem nicht gerecht .
({4})
Wir hatten das ISAF-Mandat; am 1 . Januar 2015 ist es
ausgelaufen . Die Afghanen haben selbst die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen, und wir
sind jetzt in einem Mandat, das von vielen NATO-Staaten
getragen wird und in dessen Rahmen Deutschland einen
Teil der Verantwortung in Afghanistan übernimmt . Wir
tun das auf Bitte der afghanischen Regierung; das will
ich hier auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen .
Herr Klingbeil, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Christian Ströbele?
Ja, sehr gern .
Herr Ströbele, bitte .
Ich danke für die Zulassung meiner Äußerung . - Sie
haben zutreffend darauf hingewiesen, dass vor 15 Jahren
der Deutsche Bundestag diesen Einsatz beschlossen hat,
gegen meine Auffassung .
Dies ist heute die letzte Möglichkeit für mich, im
Deutschen Bundestag gegen den Afghanistan-Einsatz
zu stimmen . Ich will Ihnen das einmal vorhalten, weil
mich vieles hier gerade wieder geärgert hat, wie bei jeder
Diskussion über Afghanistan . Es wird einfach nicht die
Wahrheit zur Kenntnis genommen, auch heute nicht - damals nicht und heute nicht .
({0})
Die Wahrheit heute ist, dass selbst das Außenministerium davon spricht, in Afghanistan sei die Bedrohungslage insgesamt - nicht in irgendeiner Ecke - erheblich . So
ist die Situation .
Der Kollege Annen sagt: Wir haben dort doch eine
gute Regierung, wenn auch mit manchen Mängeln behaftet . - Wir haben dort doch überhaupt keine Regierung,
weil die beiden Kampfhähne den Kampf, den sie schon
im Wahlkampf ausgetragen haben, fortsetzen . Der Dritte
im Bunde, der Vizepräsident Dostum, ist damit beschäftigt, irgendeinen Rivalen entführen zu lassen, und duldet
Vergewaltigungen durch Soldaten seiner Miliz .
In Afghanistan, im Norden Afghanistans ist nichts sicher .
({1})
Wie kann man das noch deutlicher machen als daran, dass
in dem Ort, von dem wir immer gesagt haben, dass man
dorthin zurückkehren könne - der Kollege Nachtwei hat
mir gesagt, dorthin könne man die Leute bringen -, im
Augenblick nicht einmal ein deutsches Konsulat seiner
Arbeit nachgehen kann und sich vielmehr auf Militärgelände zurückziehen muss, weil die Lage dort so unsicher
ist? Sie können doch nicht immer nur sagen: Wir machen
so weiter .
Jetzt ist, wie ich höre, von 2024 die Rede . Geht das
jetzt bis 2024 so weiter? Damals hat man versucht, mir
den Einsatz zu verkaufen, indem gesagt wurde: Er dauert
höchstens ein Jahr . - 2001war das .
({2})
Jetzt sind wir im 15 . Jahr . Das kann doch nicht wahr sein!
Ich werfe der Koalition und auch dem Außenminister
vor, dass sie in Afghanistan nichts tun; mir jedenfalls ist
nichts bekannt . Der Außenminister ist unterwegs, wenn
es um die Ukraine geht . Er ist in Syrien unterwegs . Er
bemüht sich; das erkenne ich auch an . Aber warum tun
Sie nichts in Afghanistan? Es gibt keine Verhandlungen
mit den Taliban . Warum verhandeln Sie denn nicht? Jetzt
wird gesagt, dass es eine Einigung mit Hekmatjar gibt .
Aber die gab es vor fünf Jahren schon einmal . Das bringt
überhaupt nichts .
Christian Ströbele, bitte .
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, Frau Präsidentin .
Ja .
Sie müssen hingehen und dort unabhängig von den
Amerikanern versuchen, Gespräche in Gang zu bringen
und zu einer Verhandlungslösung zu kommen . Sie können das Mandat aber nicht einfach immer nur verlängern .
Bitte, Christian Ströbele!
Die Amerikaner haben mit einem Drohnenabschuss
den vorletzten Taliban-Führer umgebracht . Meinen Sie,
da verhandeln die Taliban mit denen? Sie sind aufgerufen, das zu tun . Dafür setze ich mich ein . Ich sage: Das
ist Ihre Aufgabe .
({0})
Jetzt hat Herr Klingbeil genügend Möglichkeiten, zu
antworten .
Lieber Kollege Ströbele, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, richtet sie sich eigentlich an mich .
({0})
Aber ich habe jetzt wahrgenommen: Das war eher eine
Äußerung, die an den Außenminister gerichtet war .
Nein, er kann auch eine Bemerkung machen; das ist
geschäftsordnungsmäßig richtig . - Jetzt haben Sie, Herr
Klingbeil, die Möglichkeit, Stellung zu nehmen .
Zweiter Aspekt . Ich glaube, wir alle haben zur Kenntnis genommen, dass Sie Ihre parlamentarische Arbeit mit
der Bundestagswahl beenden . Ich darf Ihnen sagen: Ich
bedaure das .
({0})
Ich habe Sie als kritische Stimme immer geschätzt .
Sie haben gerade gesagt, nach 15 Jahren hätten Sie
jetzt die letzte Chance, mal wieder gegen das Afghanistan-Mandat zu stimmen . Ich sage Ihnen: Sie haben heute
auch die Chance,
({1})
zum ersten Mal für ein gutes Afghanistan-Mandat zu
stimmen. Denn ich finde, dass das, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat, dem Land sehr wohl hilft .
Wenn Sie sagen, der Kollege Annen habe von Afghanistan das Bild gezeichnet, dass alles gut sei, und das
Außenministerium und der Außenminister würden von
Afghanistan das Bild zeichnen, dass alles gut sei, dann
frage ich mich: Wo waren Sie bei den Debatten in den
letzten Jahren, lieber Kollege Ströbele? Wir haben immer
darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan Schwierigkeiten gibt .
Sie schlagen vor: Ziehen wir die deutschen Soldatinnen und Soldaten ab, beenden wir unsere Unterstützungsleistungen, und beenden wir die Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte . - Ich sage Ihnen: Das wäre
nicht verantwortungsvoll, lieber Kollege Ströbele . Deswegen ist meine Meinung: Wir können diesem Mandat
heute mit Überzeugung zustimmen .
({2})
- Es gibt noch eine Frage?
({3})
Sind Sie damit einverstanden?
Ja, ich bin damit einverstanden .
({0})
Die Präsidentin hat Augen im Kopf . Danke schön,
Herr Mützenich, für diesen Hinweis . - Herr Klingbeil ist
einverstanden . Dann Frau Beck, wobei wir hier jetzt keine interne grüne Debatte aufmachen sollten .
Wäre aber auch mal ganz spannend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde,
wie mein Kollege Christian Ströbele, heute zum letzten
Mal zu einem Mandat für Afghanistan meine Stimme abgeben . Anders als Christian Ströbele werde ich, wie in
den ganzen Jahren zuvor, für dieses Mandat stimmen,
weil ich es für richtig halte .
({0})
Auch ich möchte noch einmal den Blick auf das zurückwenden, was vor 15 Jahren gewesen ist . Vor 15 Jahren gab es ein Land, in dem kein Mädchen mehr zur
Schule gehen konnte, in dem Unterricht für Mädchen,
wenn überhaupt, in Kellern stattfand, in dem die durchschnittliche Geburtenzahl von Frauen bei acht Kindern
lag und in dem in der Regel die Frauen bei einer der späteren Geburten ihr Leben verloren haben .
({1})
Es gab nämlich kein ärztliches Gesundheitswesen mehr .
Das Gesundheitswesen, das von Russland, damals noch
der Sowjetunion, nach Afghanistan gebracht worden war,
war nämlich eines, das durch Frauen betrieben worden
war . Und da Frauen das Haus nicht mehr verlassen durften, gab es auch kein Gesundheitswesen . Es gab auch
keine Studenten mehr . Die hätten ein neues Gesundheitswesen, ein neues Schulwesen, ein neues Universitätswesen aufbauen können .
({2})
All das beschreibt den Zustand vor 15 Jahren . So wurde das Land vorgefunden, und es gab viele, viele Menschen und - Christian Ströbele, ich stimme dir zu - viel
zu hoch gesteckte Erwartungen . Aber: Ist die Tatsache,
dass wir keine Erfahrung mit Fundamentalismus und
damit, wie schwer er einzugrenzen und zu besiegen ist,
hatten, ein Grund dafür, nach 15 Jahren zu sagen: „Es ist
uns zu schwer, wir ziehen uns jetzt deswegen zurück und
überlassen die Menschen wieder denen,
({3})
die sich dieses Land unter Androhung von Gewalt, unter Zurückdrängung der Frauen, unter Missachtung aller
Menschenrechte wieder zu eigen machen wollen“? Ich
halte das nicht für eine ethisch vertretbare Konsequenz .
Da wir diese Debatte schon manches Mal im Deutschen
Bundestag hatten, sage ich das als eine Frau, die sehr
wohl in dem Bewusstsein Politik gemacht hat, dass der
deutsche Faschismus uns eine Verpflichtung auferlegt
hat, nämlich da zu sein, wenn Menschen gequält und erniedrigt werden .
Dürfte ich Sie jetzt auch bitten, zum Ende zu kommen!
Und der fundamentale Pazifismus ist nicht die einzige
Antwort darauf, wie das zu geschehen hat, sondern die
Antwort kann auch lauten, dass wir Menschen schützen
müssen . Eben das versuchen wir in Afghanistan .
({0})
Bitte stehen bleiben, weil der Kollege Klingbeil jetzt
die Möglichkeit hat, zu antworten . - Herr Klingbeil, bitte .
Liebe Kollegin Beck, ich kann auf Sie ganz kurz antworten . Ich habe auch noch eine Redezeit von 1 Minute
und 30 Sekunden .
Nein, nein, das wird um die Antwort verlängert .
Vielen Dank . - Hätte ich gesessen, hätte ich auch geklatscht . Vielen Dank für Ihre Anmerkungen und auch
für die Unterstützung des Weges, den wir in Afghanistan
gehen wollen .
Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal
festhalten: Das Mandat auf militärische Auseinandersetzung zu reduzieren, ist falsch . Wenn wir in das Mandat
hineingucken, dann sehen wir - ich will das hier explizit
erwähnen und dem Außenminister Steinmeier danken -,
wie viel außenpolitisches Engagement auch in unserem
Afghanistan-Engagement steckt . Es sind 510 Millionen
Euro, die wir jährlich in Afghanistan investieren . Das ist
das Land, für das wir sozusagen das meiste ausgeben:
250 Millionen Euro für Entwicklungshilfe, 70 Millionen
Euro jährlich für die Ausbildung der Polizei, 110 Millionen Euro für Stabilisierungsmaßnahmen . Also, wir sehen, es gibt ein Gesamtkonzept, das die deutsche Bundesregierung hier verfolgt .
Es geht darum, Stabilität und Sicherheit in Afghanistan herzustellen, weil das der Nährboden ist, auf dem
dann Demokratie und friedliche Prozesse auch in diesem
Land, wie wir es uns, glaube ich, alle wünschen, weiter
gedeihen und wachsen können .
Zum Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich
noch einmal sagen: Ich finde es gut, wenn wir hier so
intensiv über Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren . Wir sollten das eigentlich viel öfter hier im Parlament tun . Wir schicken auch mit diesem Mandat wieder
980 Soldatinnen und Soldaten - das ist die Obergrenze nach Afghanistan . Wir haben andere Auslandseinsätze,
bei denen wir nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch zivilen Helfern, Entwicklungshelfern ganz viel
abverlangen .
Gerade jetzt, wo die Feiertage bevorstehen, wo Weihnachten bevorsteht, denken Sie einmal daran, was das für
Familien bedeutet, wenn man weiß: Der Mann oder die
Frau, der Vater oder die Mutter sind in Afghanistan, und
man ist in diesen Tagen nicht zusammen . - Deswegen
finde ich es wichtig - das möchte ich nicht nur für meine
Fraktion tun, sondern, ich glaube, ich kann das für das
ganze Haus tun -, all denen zu danken, die Verantwortung übernehmen, wenn wir hier Mandate beschließen .
All diesen möchte ich besinnliche und hoffentlich ruhige
Feiertage sowie eine gesunde Rückkehr nach Deutschland wünschen .
Herzlichen Dank fürs Zuhören .
({0})
Vielen Dank, Lars Klingbeil . - Zu einer Kurzintervention hat Christine Buchholz das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Zu den beiden Zwischenbemerkungen eben, die am Rande auch die Zerrissenheit in der grünen Außenpolitik offenbart haben,
({0})
aber auch zu den Aussagen von Herrn Klingbeil möchte
ich ganz deutlich sagen: Das Drama für die Menschen in
Afghanistan, insbesondere für die Frauen in Afghanistan,
die unter den Taliban gelitten haben, ist, dass die Situation dort 15 Jahre nach Beginn dieses Krieges für die
Marieluise Beck ({1})
große Mehrheit nicht besser geworden ist - vielleicht für
einen Teil, aber nicht für die große Mehrheit .
({2})
Das ist auch das, was der Kollege Ströbele hier so eindeutig gesagt hat und worauf auch Sie keine Antwort hatten, Herr Klingbeil .
({3})
Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen:
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele, für deine Arbeit
hier im Bundestag, für deine Arbeit draußen und dafür,
dass du einen Beitrag geleistet hast, dieser Meinung, die
mehrheitlich in der Gesellschaft herrscht, hier eine Stimme zu geben .
({4})
Vielen Dank, dass du praktisch und in Solidarität mit den
Menschen gearbeitet hast, die in Afghanistan gegen den
Krieg und für ihre Rechte kämpfen . Vielen Dank, HansChristian Ströbele .
Das ist ein wichtiges Zeichen, das wir senden müssen, weil die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit
der Situation in Afghanistan umgeht, wie sie die Situation schönredet, um jetzt Flüchtlinge nach Afghanistan
abschieben zu können, eine absolute Schande ist . Von
daher wünsche ich mir für den nächsten Bundestag mehr
Ströbeles hier . Das würde diesem Bundestag sehr gut tun .
({5})
Der Kollege Klingbeil ist heute als Beantworter gefragt . Sie haben jetzt natürlich das Wort, um zu antworten .
({0})
Frau Präsidentin! Ich glaube, der Redebeitrag hat ein
Stück weit für sich selbst gesprochen . Ich warne davor,
dass wir hier so massiv Parteipolitik machen, wie wir das
gerade erlebt haben .
({0})
Ich warne auch davor, dass wir so einfache Antworten
auf eine so schwierige außen- und sicherheitspolitische
Herausforderung geben .
Ich will einmal sagen: Ich bin dankbar dafür, dass wir
hier eine sehr differenzierte Diskussion geführt haben .
Davon wünsche ich mir wirklich mehr hier in diesem
Parlament .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Lars Klingbeil . - Der nächste Redner in
dieser turbulenten Debatte: Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Ich bitte die anwesenden Kollegen, weiter so ruhig
zuzuhören, wie es bisher auch möglich war . - Thorsten
Frei, Sie haben das Wort . Bitte .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
40 Jahre nach Ausbruch von Krieg und Bürgerkrieg in
Afghanistan und ziemlich genau 15 Jahre, nachdem wir
uns das erste Mal im Land engagiert haben, diskutieren
wir heute über Afghanistan . Es ist ja in der Debatte schon
deutlich geworden, dass in Afghanistan Licht und Schatten eng beieinander liegen .
Wenn wir in einer solchen Debatte über die Verlängerung des RSM-Mandates diskutieren, dann, glaube ich,
ist es richtig, auch klar zu benennen, wo die Errungenschaften und wo die Probleme dieses Einsatzes liegen .
Ich könnte das wahrscheinlich nicht besser tun, als es die
Frau Kollegin Beck in ihrer Kurzintervention gemacht
hat . Natürlich hat sich die Gesundheitsversorgung massiv verbessert . Natürlich wurden auch die Infrastruktur
und die Bildungsinfrastruktur im Land massiv verbessert . Die Erfolge sind unbestreitbar .
Es ist aber auch richtig, dass wir im Bereich der Sicherheit mit Licht und Schatten zu kämpfen haben . Natürlich wissen wir, dass Aufständische Kunduz 2015
überrannt und eingenommen haben . Natürlich wissen
wir, dass Aufständische ein Attentat auf unser Generalkonsulat in Masar-i-Scharif verübt haben . Natürlich kennen wir die Tatsache, dass auf eine schiitische Moschee
in Kabul vor wenigen Wochen ein Attentat mit 32 Toten
und 85 Verletzten verübt wurde . All das wissen wir .
Wir haben aber beispielsweise auch den SIGAR-Bericht, der in diesem Sommer veröffentlicht wurde . Von
daher wissen wir ganz genau, wenn wir über die Frage
diskutieren, inwieweit Afghanistan sicher ist oder nicht,
wie es sich tatsächlich verhält . In diesem Bericht steht
klipp und klar, dass 62 Prozent der Flächen sicher sind
und zwei Drittel der Menschen in Sicherheit leben .
({0})
Die Unterschiede zwischen den Provinzen sind natürlich groß . Von den etwa 407 Distrikten in Afghanistan
sind 268 sicher .
({1})
36 sind in den Händen der Aufständischen, und 104 sind
in Gefahr .
({2})
Das ist eine Erkenntnis aus dem SIGAR-Bericht des
US-Senates . Wenn Sie dem Bericht nicht glauben, dann
verhilft vielleicht ein Interview des Chefs von IOM,
William Lacy Swing, das er heute Morgen in den deutschen Medien gegeben hat, dazu . Er hat beispielsweise
darauf hingewiesen, dass weite Teile Afghanistans hinreichend sicher sind, sodass es durchaus möglich ist, nicht
nur Afghanen dorthin zurückzuführen, sondern dass wir
tatsächlich sagen können: Die Transition, die Übergabe
der Sicherheitsverantwortung auf die Afghanen, war und
ist schwierig und langwierig, aber sie ist durchaus schon
ein Stück weit gelungen .
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, tatsächlich
verhält es sich doch so: Seit dem Ende von ISAF sind
von 140 000 internationalen Soldaten in Afghanistan
noch 13 000 da . Das bringt eine gewaltige Herausforderung für die afghanischen Sicherheitskräfte mit sich .
Ich glaube, diese Zahl ist heute schon genannt worden:
Im vergangenen Jahr sind 7 000 afghanische Soldaten
und Polizisten gefallen, 14 000 wurden verletzt . Dass
das natürlich eine Zerreißprobe für die Sicherheitskräfte in Afghanistan darstellt, ist völlig offensichtlich; das
ist doch ganz klar . Genau deshalb brauchen wir neben
dem bilateralen Einsatz der Amerikaner eben auch unser RSM-Mandat, auf dessen Grundlage wir die afghanischen Sicherheitsbehörden trainieren, unterstützen und
ihnen assistieren können . Darum geht es . Das diskutieren
wir heute im Deutschen Bundestag, meine sehr verehrten
Damen und Herren .
({4})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines sagen .
Es ist heute Morgen in einer anderen Debatte über eine
Mandatsverlängerung aus dem linken Teil des Hauses
geradezu abschätzig gesagt worden: Sie wollen dort ja
deutsche Interessen durchsetzen .
({5})
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich empfinde das nicht als schändlich. Wir sind Vertreter des
deutschen Volkes und vertreten deshalb auch deutsche
Interessen .
({6})
In Afghanistan tun wir etwas für die afghanischen Interessen . Das ist absolut richtig . Wir dürfen nicht vergessen, dass auf der Brüsseler Konferenz erreicht werden
konnte, dass der Tokio-Prozess fortgesetzt wird: 75 Staaten, 26 internationale Organisationen haben gemeinsam
beschlossen, bis 2020 zusätzlich 15,2 Milliarden Euro an
ziviler Hilfe für Afghanistan bereitzustellen . Übrigens ist
Deutschland der zweitgrößte Geber .
({7})
Wir geben bis 2020 jedes Jahr 430 Millionen Euro für
zivile Aufbauhilfe, 80 Millionen Euro jedes Jahr zur Unterstützung der Armee, 70 Millionen Euro jedes Jahr zur
Unterstützung der afghanischen Polizei . Das tun wir für
die afghanische Bevölkerung, um Zukunftsperspektiven
zu schaffen . Das ist richtig und vernünftig .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vertreten dabei auch deutsche Interessen . Wir tun etwas, um
Fluchtursachen zu bekämpfen .
({8})
Wir schützen darüber hinaus - lassen Sie mich auch das
an dieser Stelle sagen - unsere Interessen auch dadurch,
dass wir durch mehr Sicherheit letztlich auch Zukunftsperspektiven, wirtschaftliche Perspektiven eröffnen und
damit beispielsweise verhindern, dass Afghanistan weiterhin Rückzugsort für den internationalen Terrorismus
ist und bleibt .
Man muss sich mit Blick auf internationale Kriminalität auch vor Augen führen, dass Afghanistan der weltgrößte Produzent und Exporteur von Cannabis, von Opiaten, von Heroin ist . Allein die Taliban haben im Jahr
2009 mit Drogengeschäften 155 Millionen Euro verdient . Heute sind es 500 Millionen Euro . Genau an diesem Punkt müssen wir ansetzen . Damit dienen wir auch
unseren Interessen und vertreten sie dort unmittelbar vor
Ort .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb
müssen wir diesen Einsatz fortsetzen . Es ist wichtig, dass
wir unsere Mission weiter vorantreiben . Ich will an dieser Stelle sagen: Oberstes Gebot für uns als Deutscher
Bundestag muss sein, das Mandat so auszustatten, wie es
zum Schutz der deutschen Soldaten notwendig ist . Wir
müssen es so ausstatten, wie es nötig ist, um den Auftrag,
den wir der Bundeswehr erteilen, tatsächlich umsetzen
zu können . Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht an
irgendwelchen Stichtagen orientieren, sondern den Auftrag so erledigen, wie es notwendig ist . Ich wünsche mir
zuletzt, dass das auch in Zukunft die Maxime der amerikanischen Politik bleibt .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank, Kollege Thorsten Frei . - Die letzte Rednerin in der Debatte, der Sie bitte Aufmerksamkeit schenThorsten Frei
ken mögen - Aufmerksamkeit geht so, dass man einfach
aufhört, miteinander zu reden, und stattdessen zuhört -,
({0})
ist Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lohnt sich das deutsche Engagement in Afghanistan?
({0})
Ich möchte Ihnen die Antwort der 59-jährigen Ärztin und
Vorsitzenden der afghanischen Menschenrechtskommission Sima Samar geben . Für sie ist die Frage klar zu bejahen . Nach dem Sturz des Taliban-Regimes habe ihr Land
mit der Hilfe Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft beachtliche Fortschritte gemacht . Natürlich
könne sich Afghanistan nach Jahren und Jahrzehnten des
permanenten Kriegszustandes nicht über Nacht wandeln .
Deshalb brauche ihr Land auch weiter internationale Hilfe .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist - das
belegen auch die Wort von Sima Samar - noch lange
nicht alles gut in Afghanistan . Aber es hat sich in den
vergangenen eineinhalb Jahrzehnten vieles zum Guten
hin verändert . Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen .
In Afghanistan, einem der ärmsten Länder der Welt,
hat sich das Pro-Kopf-Einkommen seit 2002 mehr als
verdreifacht .
Auch haben mehr Menschen Zugang zu Strom und
sauberem Trinkwasser . Viele neue Straßen und Brücken
wurden gebaut .
Deutliche Fortschritte gibt es auch bei der Bildung:
Besuchten 2001 nur 1 Million Kinder - ausschließlich
Jungen damals - eine Schule, lernen heute 9 Millionen
Kinder Lesen und Schreiben, darunter auch 3,6 Millionen Mädchen .
({1})
Endlich können auch Frauen wieder Universitäten besuchen . Das ist sehr wohl eine deutliche Verbesserung .
({2})
Auch haben viel mehr Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung . Dadurch konnte sowohl die Säuglingsals auch die Müttersterblichkeit deutlich verringert werden .
Deutschland engagiert sich mit vielen Projekten an
diesen Fortschritten . Dafür stellen das Ministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie
das Auswärtige Amt jedes Jahr 430 Millionen Euro zur
Verfügung . Deutschland ist der zweitgrößte bilaterale
Geldgeber . Dieses Geld ist auch an politische Fortschritte
und Reformen der Regierung gebunden .
Eines ist ja auch klar: Allein militärisch lässt sich der
Konflikt in Afghanistan nicht lösen. Dauerhafter Friede
ist nur auf politischem Weg und durch einen innerafghanischen Friedensprozess möglich . Hierfür setzen wir uns
ein, unter anderem über die Internationale Kontaktgruppe für Afghanistan, der Deutschland vorsitzt .
Die Fortschritte für die Menschen werden natürlich durch die Sicherheitslage erschwert . Der Kollege
Thorsten Frei hat die Sicherheitslage hier sehr deutlich
beschrieben . Afghanistan kann nur Fortschritte machen,
wenn das Land auch sicherer und stabiler wird . Genau
aus diesem Grund werden unsere bis zu 980 deutschen
Soldatinnen und Soldaten weiterhin vor Ort gebraucht .
Resolute Support ist kein Kampfeinsatz . Unsere Männer und Frauen in Uniform bilden dort aus, beraten und
unterstützen die afghanischen Sicherheitskräfte . Mittlerweile gibt es 320 000 afghanische Sicherheitskräfte, die
aktiver und erfolgreicher operieren . Im ganzen Jahr ist es
den Taliban nicht gelungen, auch nur eine der Provinzhauptstädte einzunehmen .
Aber die Sicherheitskräfte beklagen auch hohe Verluste . Allein von Januar bis August 2016 sind über 5 500 Angehörige der afghanischen Streitkräfte bei Kämpfen ums
Leben gekommen, und fast 10 000 wurden verletzt . Hierauf gehen wir bei der Mandatsanpassung ein: Wir werden
unsere afghanischen Partner durch Aufklärung unterstützen, damit sie ihre Aufgaben sicherer erfüllen können .
Auch werden wir bei Bedarf Verwundetentransporte
übernehmen .
Ich möchte an dieser Stelle allen Angehörigen der
Bundeswehr, die in Afghanistan unter teils sehr schwierigen Bedingungen ihren wichtigen Dienst leisten, ganz
herzlich für ihren Einsatz danken .
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind seit 15 Jahren in Afghanistan . Das ist eine lange Zeit, in der eine
neue Generation herangewachsen ist . Aber - und das
sagt auch die Menschenrechtlerin Sima Samar - die Arbeit der internationalen Gemeinschaft am Hindukusch ist
noch nicht erledigt . Diese junge Generation braucht so
lange unsere Unterstützung, bis sie selbst die Verantwortung für Frieden und Sicherheit in ihrem Land komplett
wahrnehmen kann . Der Einsatz Resolute Support leistet
hierzu einen wichtigen Beitrag . Von daher bitte ich Sie
um Ihre Zustimmung .
({4})
Vielen Dank, Julia Obermeier . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag
der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung
Vizepräsidentin Claudia Roth
bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten
Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung
und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidi-
gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan .
Uns liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10638 ({0}), den Antrag der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10347 anzunehmen .
Wie Sie offensichtlich schon wissen, weil Sie sich schon
auf den Weg gemacht haben, stimmen wir namentlich ab .
Dafür braucht es aber die berühmten Urnen und neben
den Urnen die Schriftführer und Schriftführerinnen .
({1})
- Erst einmal die Schriftführer, Herr Kauder .
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über
die Beschlussempfehlung .
Sind Kollegen und Kolleginnen im Haus, die noch nicht
abgestimmt haben? - Dann nutzen Sie doch bitte auch die
Urnen hier vorne bei mir; da ist es sowieso netter .
Ich frage jetzt noch einmal: Gibt es einen Kollegen
oder eine Kollegin, der oder die die Stimme noch nicht
abgegeben hat? - Ich höre nichts, und wir sehen auch
nichts . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Wie gewohnt wird Ihnen das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung später bekannt gegeben .2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann ({0}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit in der Pflege - Personalbemessung in der Altenpflege einführen
Drucksache 18/9122
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann ({3}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit - Gute Versorgung: Mehr Perso-
nal in Gesundheit und Pflege
Drucksachen 18/7568, 18/10664
1) Anlagen 7 bis 10
2) Ergebnis Seite 20917 D
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die noch Gespräche zu führen haben, dies außerhalb des Plenarsaals
zu tun .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Pia
Zimmermann, Fraktion Die Linke .
({4})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Personalmangel, Überbelastung, nicht eingehaltene Dienstpläne, schlechte Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung - das sind fünf der
Hauptkritikpunkte von Beschäftigten in der Alten- und
in der Krankenpflege. Ich muss Ihnen leider hier sagen,
dass das das Ergebnis Ihrer Politik ist, meine Damen und
Herren von der Großen Koalition .
Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde
angeführt, dass seit 1993 das Leistungsspektrum in den
Krankenhäusern erheblich erweitert wurde, das Fachpersonal aber nicht entsprechend aufgestockt wurde . Professor Simon hat berechnet, dass 100 000 Pflegekräfte mehr
vonnöten wären, um allein diesen Anstieg des Leistungsspektrums bewältigen zu können . Auch Frau Dr . Wieteck
hat Ihnen dies in der Anhörung bestätigt . Sie wies darauf
hin, dass Deutschland dann zumindest ins europäische
Mittel aufschließen würde .
Auch in der Altenpflege muss sofort gehandelt werden;
denn auch hier gefährdet der politisch in Kauf genommene Personalmangel die Gesundheit der Pflegekräfte und
produziert lebensgefährliche Situationen . Es häufen sich
Berichte, dass immer öfter Pflegefachleistungen von Hilfsoder Betreuungskräften erbracht werden müssen . Sie alle
wissen, dass ein neues Pflegeverständnis auch zu einem
höheren Pflegeaufwand führt. Die Umsetzung der von Ihnen beschlossenen Pflegegesetze wird nur dann zu besserer Pflegequalität führen, wenn Sie auch das nötige Fachpersonal zur Verfügung stellen . Das ist unsere Forderung .
({0})
In der Altenpflege fehlen laut Verdi schon jetzt mindestens 40 000 Fachkräfte . 45 000 Betreuungskräfte, wie
beschlossen, ändern daran nichts; denn Betreuung ist
eine neue Leistung, und sie darf und kann nicht Pflegefachleistungen ersetzen .
({1})
Alle Mitglieder des Gesundheitsausschusses erhielten
25 Stellungnahmen von Beschäftigten aus Krankenhäusern der ganzen Republik, und diesen Expertinnen und Experten möchte ich heute hier Raum im Parlament geben .
Beschäftigte aus einem Klinikum schrieben - ich zitiere -:
Egal auf welche Station Sie schauen: Es sind zu wenige Menschen da, um die Arbeit zu leisten . Zwei
Pflegekräfte auf einem 50-Meter-Flur, zuständig für
Vizepräsidentin Claudia Roth
42 Patienten, viele davon mit erhöhtem Pflegebedarf.
Schon die grundlegende Versorgung stellt eine kaum
zu leistende Herausforderung dar . . . . Flüssigkeiten
anreichen erfolgt zwischendurch . Infusionen - zum
Teil Antibiosen - werden irgendwann angehängt .
Beschäftigte aus einem weiteren Klinikum schrieben:
Das Pflegestellenförderprogramm
- der Bundesregierung hat sich für uns als nutzlos erwiesen . Die in Aussicht
gestellte Personalbemessung in der Altenpflege für
2020, ohne konkrete Angaben zu den Personalschlüsseln, ist eine Geringschätzung der Pflegenden!
({2})
Eine Mitarbeitervertretung schätzt ein:
Pflegekräfte werden zwischen Selbstausbeutung
und Fremdausbeutung zerrieben .
Als Fremdausbeutung definiert sie „Anspruch der Dienstgeber, eine allzeit bereite Verfügungsmasse mit Arbeit auf
Abruf einsetzen zu wollen, um Kosten zu sparen . Dies
gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit, sondern wirkt
sich sichtbar auf die Versorgung von Patienten aus .“
Meine Damen und Herren, es ist mittlerweile unübersehbar, dass Sie bei der Personalbemessung Ihre Blockadehaltung dringend zum Wohl der Beschäftigten in der
Pflege, insbesondere im Krankenhaus, und vor allen Dingen der Patienten aufgeben müssen .
({3})
Wir wissen es doch alle: Es besteht gar kein Erkenntnisproblem . Wir haben es eher mit einer Handlungsverweigerung zu tun . Das Bundesgesundheitsministerium
sagt selbst: Bis 2030 wird sich die Zahl der Menschen
mit Pflegebedarf auf 3,3 Millionen erhöhen, und dann
muss man natürlich auch mehr Pflegekräfte haben; das
ist doch ganz logisch .
({4})
- Ich sage dir die Zahlen, Mechthild, natürlich . - Dann
werden etwa 500 000 Pflegekräfte fehlen. Dass Sie mit
diesem Wissen Ihres eigenen Ministeriums nicht sofort
handeln, das halte ich für einen politischen Skandal .
({5})
Konkrete und wirksame Vorschläge von uns liegen auf
dem Tisch:
Erstens . In den Krankenhäusern werden als Sofortmaßnahme 100 000 neue Vollzeitstellen geschaffen . Diese müssen vollständig und bedarfsgerecht außerhalb der
Fallpauschalen finanziert werden.
({6})
Zweitens. Auch in der Altenpflege muss sofort gehandelt werden. Lösen Sie den Pflegevorsorgefonds auf, und
wandeln Sie ihn um in einen Personalfonds . Das bringt
jährlich mehr als 1 Milliarde Euro und sehr viele Vollzeitplanstellen in der Fachpflege.
({7})
Drittens . Höhere Vergütung, selbstbestimmte fachliche Mitsprache und eine wirksame soziale Absicherung
machen Pflege attraktiv.
Viertens. Die Pflegevollversicherung sichert nicht nur
eine gute, bedarfsdeckende Versorgung; sie verhindert
vor allem, dass Menschen mit Pflegebedarf höhere Personalkosten durch weiter steigende Eigenanteile decken
müssen .
Letztens. Eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, die alle Einkommen einbezieht, erweitert
dafür die Finanzierungsgrundlage und macht sie vor allen Dingen gerecht .
({8})
Lehnen Sie diesen Antrag heute aus ideologischen
Gründen ab, stimmen Sie gegen die Forderungen und
Interessen der Pflegebeschäftigten und damit gegen eine
hochwertige und sichere Versorgung der Patientinnen
und Patienten und Menschen mit Pflegebedarf. Politisch
und moralisch wäre das unterlassene Hilfeleistung .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Ich darf Ihnen zwischendurch das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung
„Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support . . . in Afghanistan“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 577 . Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben
gestimmt 101, Enthaltungen 9 . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 467
nein: 101
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({6})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({7})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({8})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({9})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({10})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({11})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({12})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({17})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({18})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({19})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({20})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({21})
Aydan Özoğuz
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({22})
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({23})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({25})
Matthias Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Carsten Schneider ({28})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({29})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({30})
Dr . Franziska Brantner
Dr . Thomas Gambke
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Nicole Maisch
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Hilde Mattheis
Markus Paschke
Christian Petry
Dr . Wilhelm Priesmeier
Kerstin Tack
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff ({31})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({32})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({33})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({34})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({35})
Katharina Dröge
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Stephan Kühn ({36})
Christian Kühn ({37})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Claudia Roth ({38})
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Oliver Krischer
Dr . Konstantin von Notz
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({39}) aufgeführt .
Nächster Redner ist der Kollege Erwin Rüddel für die
CDU/CSU-Fraktion .
({40})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Meine Fraktion lehnt die Anträge ab . Dies ist für
uns zwingend,
({0})
weil wesentliche Tatsachen in den Anträgen keine Berücksichtigung gefunden haben . Geben Sie mir deshalb
die Möglichkeit, hier einige Dinge richtig- bzw . klarzustellen .
Bereits beim Pflegestärkungsgesetz I - das war noch
vor der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes - haben wir für die stationäre Pflege zusätzliche
Betreuungs- und Aktivierungsangebote auf den Weg
gebracht . Wir haben einen neuen Schlüssel eingeführt .
45 000 zusätzliche Betreuungskräfte in stationären Einrichtungen, ich denke, das ist eine beeindruckende Zahl .
Das sind mehr Kolleginnen und Kollegen in der Pflege,
mehr Hände für gute Pflege.
({1})
In den Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegekassen und Pflegediensten haben wir verankert, dass die
Kassen bei tarifgebundenen Einrichtungen die Tarife
nicht als unwirtschaftlich einstufen dürfen . Damit stellen wir sicher, dass Tariferhöhungen wirklich bei den
Beschäftigten ankommen . Vor 14 Tagen haben wir die
Regelung im PSG III auch auf nichttarifgebundene Einrichtungen ausgeweitet . Das bedeutet mehr Geld für die
Pflege.
Ferner haben wir bereits seit Ende 2014 mit dem
PSG II flächendeckend eine vereinfachte Pflegedokumentation im ambulanten und im stationären Bereich
eingeführt und dabei klargestellt - das ist ganz wichtig -,
dass die gewonnene zeitliche Entlastung der Pflegekräfte
nicht durch Personalkürzungen wieder rückgängig gemacht werden darf . Das heißt also: mehr Zeit für Zuwendung, mehr Geld, mehr Kollegen .
({2})
Bereits nach geltendem Recht können in den Landesrahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder zur Bemessung der Pflegezeit vereinbart
werden . Bislang werden in den Ländern allerdings nur
Pflegerichtwerte vereinbart. Im Zusammenhang mit der
Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind
diese Rahmenverträge entsprechend anzupassen und auf
die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft auch
die Vorgaben zur Personalausstattung in zugelassenen
Pflegeeinrichtungen.
Die Bundesregierung ergreift eine Vielzahl von Maßnahmen, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern:
Dazu gehört die Gestaltung guter Rahmenbedingungen der pflegerischen Versorgung. Wir haben bei allen
unseren Gesetzen im Gesundheitsbereich darauf geachtet, dass Aspekte berücksichtigt wurden, um die Rahmenbedingungen für gute Pflege zu verbessern.
Wir haben die Umsetzung der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive in der Altenpflege auf den Weg gebracht, und wir haben im Moment einen wahren Run auf
die Altenpflegeausbildung. Das ist ein gutes Signal.
({3})
Die Entwicklung und Erprobung eines fachlich-wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur Personalbemessung in der Pflege ist auf den Weg gebracht und wird
umgesetzt .
Wir haben den Mindestlohn und die permanente Anpassung des Mindestlohns in der Altenpflege eingeführt.
Die Aufwertung des Pflegeberufes haben wir dadurch
erreicht, dass mittlerweile wissenschaftlich fundiert nicht
mehr die Strukturqualität im Vordergrund steht, sondern
die Ergebnisqualität . Hier werden Fachlichkeit und Kompetenz für die Pflege wertgeschätzt.
Wir haben die Förderung der Vermittlung bzw . Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland intensiviert .
In der Altenpflege haben wir die Welt verändert, nicht
nur für die Pflegebedürftigen, sondern ganz besonders
auch für die Menschen, die in der Altenpflege arbeiten.
Aber wir haben auch im Krankenhausbereich wesentliche Dinge verbessert. Ich erinnere hier an das Pflegestellen-Förderprogramm, den Pflegezuschlag oder die
Expertenkommission, die prüft, ob in den DRGs entsprechende Beträge für gute Pflege eingeplant sind. Wir
haben das Hygiene-Förderprogramm auf den Weg gebracht. Also: Pflege steht bei uns im Mittelpunkt.
Das alles zeigt deutlich, dass die Koalition die personellen Probleme im Pflegebereich nicht nur ernst nimmt,
sondern auch alle Hebel in Bewegung setzt, um im Krankenhaus und in der Altenpflege mehr qualifizierte Fachkräfte für den Pflegeberuf zu gewinnen.
({4})
Wir alle hier im Haus wissen, dass die Gewinnung zusätzlicher Kräfte für die Pflege keine Aufgabe nur in
dieser Legislaturperiode ist, sondern es wird eine stetige
Aufgabe in allen zukünftigen Legislaturperioden sein .
Darauf konzentrieren wir unsere Arbeit für eine gute
Pflege in unserem Land.
({5})
Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten,
dass es für heutige und künftige Pflegekräfte attraktiv ist,
ihrem Beruf möglichst bis zur Rente treu zu bleiben . Das
ist unser Ziel, und dafür arbeiten wir in dieser Koalition
intensiv und gut zusammen .
({6})
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Maria Klein-Schmeink hat jetzt das
Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen zwei Anträge der Linken vor . Ich muss
gestehen: Nicht alles, was in diesen beiden Anträgen
steht, begeistert uns, aber es ist ganz klar: Mit dem Thema, das dort angesprochen wird, ist das richtige Thema
angesprochen worden . Wir können um jede Diskussion
froh sein, die wir genau darum führen; denn dass wir Veränderungen an der Pflegefront brauchen, ist völlig klar.
({0})
Herr Rüddel, auch wenn Sie vonseiten der Koalition
Ihre Erfolge hervorheben und hier ausbreiten, muss man
sagen: Sie haben zwar einiges in der Krankenhausfinanzierung getan,
({1})
Sie haben auch einiges in der Pflege getan, aber im Kern
haben Sie diese große Problemsäule, die mit den Arbeitsbedingungen in der Pflege verbunden ist, nicht in Angriff
genommen, die Situation nicht wirklich verbessert . Das
lässt uns alle nicht ruhen . Deshalb ist es so wichtig, dass
wir darüber erneut diskutieren .
({2})
Wenn Sie die Statistiken sehen, dann finden Sie immer
wieder bestätigt: Alle Pflegekräfte - sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege - klagen darüber, dass
es zu wenig Personal gibt, dass die Arbeitsverdichtung
zu hoch ist, dass sie einen immensen Druck verspüren,
und sie klagen über eine zu geringe Bezahlung. Das finden Sie durchgängig . Das muss uns alarmieren, weil wir
wissen, dass wir einen enormen Fachkräftebedarf vor uns
haben . Das sind nicht die richtigen Vorzeichen für die
Pflege, und deshalb muss hier etwas passieren.
({3})
Jetzt sagen Sie: Ja, wir haben im Krankenhausbereich
ein Pflegestellenprogramm aufgelegt. - Ja, ein kleines
Pflegestellenprogramm:
({4})
6 000 Pflegekräfte, 2,5 pro Krankenhaus. Das löst das
Problem in den Krankenhäusern nicht wirklich . Das wissen Sie auch .
({5})
Es gibt eine Lücke von mindestens 50 000 Pflegekräften
in den Krankenhäusern .
({6})
Sie haben dann ein Gutachten auf den Weg gebracht,
wonach eine Personalbemessung im Krankenhausbereich entwickelt werden soll . Wann soll das vorliegen?
Ende 2017 . Das heißt, bestenfalls am Ende der nächsten
Wahlperiode beschließen wir ein Personalbemessungsinstrument und die dazugehörigen Finanzierungen im
Krankenhausbereich .
({7})
So lange darf diese Diskussion nicht weitergehen . Hier
muss ein kurzfristiges Programm kommen . Hier muss
etwas passieren .
({8})
Das Gleiche gilt für den Pflegebereich. Dort ist es
noch viel schlimmer. Mit den neuen Pflegegraden, die
richtig sind,
({9})
mit dem neuen Pflegebegriff, haben mindestens
200 000 Menschen ab 1 . Januar 2017 neue Ansprüche .
Wo sind die Maßnahmen dafür, dass wir tatsächlich das
Personal haben, um genau diesen neuen Ansprüchen gerecht werden zu können? Da sehen wir gar nichts .
({10})
Wir sehen nicht, dass Sie tatsächlich dafür sorgen,
dass es echte Anhaltszahlen im ambulanten Bereich und
in der stationären Pflege gibt, sodass man sagen kann:
Wir haben eine zufriedenstellende Betreuungs- und Pflegesituation . - Davon sind wir noch immer weit, weit
entfernt . Da hilft auch der Verweis auf Ihr Assistenzprogramm nichts, weil es da um einen ganz anderen Ausschnitt der Pflege geht. Das wird letztendlich dazu führen, dass die Situation im Personalbereich in der Pflege
so prekär bleibt wie bisher .
({11})
Das können wir uns nicht erlauben; da müssen wir etwas
tun . Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer wieder mit Initiativen darauf hinweisen .
Ich wünsche mir von Ihnen, quasi als Weihnachtsgeschenk, aber von mir aus auch gerne als Wahlkampfgeschenk - das wäre nämlich mal ein gutes -, ein Pflegestärkungsprogramm Nummer vier, in dem ganz konkrete
Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation in
diesem Bereich enthalten sind . So könnten wir eine gute
Situation schaffen .
({12})
Ich rufe Sie dazu auf, diese Debatte zum Anlass zu nehmen, so etwas zu machen, von mir aus auch gern als
Wahlkampfgeschenk .
({13})
Vielen Dank . - Jetzt hat Marina Kermer für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte
Gäste! Die Überschrift des heute abschließend zu beratenden Antrags lautet ja „Gute Arbeit - Gute Versorgung:
Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“. Das ist eine
gute Überschrift; denn gute Arbeit und gute Versorgung
sind auch unsere Ziele, die unser Handeln in dieser Legislatur bestimmt haben - und das mit gutem Erfolg .
({0})
Wir alle stehen in der Gesundheitspolitik vor der großen Aufgabe, die Grundlagen für gute und bedarfsgerechte Pflege für die Zukunft zu sichern. Sehen wir uns
das Heute an, so wissen wir, dass es Krankenhäuser mit
Not in der Pflege gibt, aber auch Häuser, in denen das
nicht so ist . Sehen wir in die Zukunft, so erkennen wir,
dass wir vor der Aufgabe stehen, unser Gesundheitssystem transparent und effizient zu gestalten. Die Rahmenbedingungen werden sich ändern, und an diesen müssen
wir unsere Pflegeabläufe und -inhalte und bedarfsgerechte Pflegekapazitäten ausrichten.
Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, dass er sich mit
einer offenen Wunde befasst und auch Heilung erzielen
will; aber die Medikation konzentriert sich nur auf ein
Mehr an Personal, über das wir zukünftig aus bekannten
Gründen nicht in großem Maße verfügen werden . Deshalb haben wir bereits im Jahr 2015 das Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet und damit dem gesamten
Krankenhauswesen Handlungsräume eröffnet, die flexibel und bedarfsorientiert genutzt werden können; die
Mittel wurden nicht mit der Gießkanne verteilt . Dafür
haben wir als Regierungskoalition hart gestritten und erfolgreich gekämpft .
({1})
Meine Damen und Herren, die Grundpfeiler sind gesetzt . Krankenhäuser können sich bedarfsgerecht und
damit zukunftsfest aufstellen. Die Länder können flexibel auf die Anforderungen des demografischen Wandels
reagieren . Die Mittel in Höhe von 660 Millionen Euro
stehen mit dem Pflegestellen-Förderprogramm bereit.
Daher appelliere ich an all jene Krankenkassen und
Krankenhäuser, die noch in den Budgetverhandlungen
stehen: Schließen Sie diese schnellstmöglich ab; denn
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen schnelle
Entlastung .
Wir haben eine Expertenkommission eingesetzt . Sie
soll langfristig und solide die Finanzierungsbasis für die
Kosten der Pflege besser abbilden.
Krankenhäuser können verlässlich und langfristig
mehr Personal einstellen. Dazu haben wir den Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich auf
Dauer eingeführt .
({2})
Aber die Verteilung der Mittel erfolgt eben nicht mit der
Gießkanne, sondern ist an Bedingungen geknüpft, um
ausreichend Pflegekapazitäten vorhalten zu können.
Angesichts der vielen Maßnahmen, die ineinandergreifen und bedarfsorientiert genutzt werden können
und sollen, ist Ihre Forderung, 100 000 Pflegekräfte
zusätzlich allein für die Versorgung in Krankenhäusern
einzustellen, zwar nachvollziehbar, aber aus unserer
Sicht nicht zielführend . Warum nicht? Wir haben Veränderungsprozesse eingeleitet, und Prozesse brauchen
ihre Zeit . Die Ergebnisse bleiben also zunächst einmal
abzuwarten . Und es ist nicht nur die Personaldecke, die
zu kurz ist; es ist auch das Aufgabenspektrum, das sich
verändert hat und sich auch weiter verändern wird . Aus
diesen Gründen, sehr geehrte Damen und Herren, reicht
es nicht aus, allein mehr Personal und damit mehr Geld
für die Krankenhäuser bereitzustellen .
({3})
Wir müssen unser gesamtes Gesundheitssystem und das
Zusammenwirken darin im Blick haben . Denn wir wollen unser Ziel, das Wohl der Patientinnen und Patienten,
nicht aus den Augen verlieren .
In der Regel, Frau Zimmermann, wird in unseren
Krankenhäusern gute medizinische Versorgung geleistet, aber eben nicht in allen gleichermaßen . Das heißt im
Klartext: Es werden Operationen durchgeführt, die medizinisch nicht notwendig sind .
({4})
Diese Eingriffe binden Personal und Geldmittel, die an
anderer Stelle dringend benötigt werden . Deshalb wurde
eine grundsätzliche Neuausrichtung der Krankenhausversorgung hin auf Qualität und Transparenz beschlossen . Patientinnen und Patienten müssen wissen, was mit
ihnen passiert und warum . Mehr Qualität in der stationären Versorgung ist unsere Langzeittherapie .
({5})
Das ganze Gesundheitssystem im Blick zu haben,
heißt, zu verstehen, wie die Versorgungsbereiche ineinandergreifen . Deshalb dürfen wir bei aller Sorge um die
Krankenhäuser die Pflegeheime nicht vergessen. Der
überwiegende Teil der Pflegeleistungen wird in den Pflegeheimen erbracht. Im Jahr 2013 gab es 800 000 Pflegeheimplätze - doppelt so viele Plätze wie belegte Betten in
Krankenhäusern . Deshalb haben wir am 1 . Dezember das
PSG III verabschiedet und damit eines der umfangreichsten Maßnahmenpakete zur Verbesserung der Pflege.
({6})
Wir haben die Rechte der zu Pflegenden verbessert, wir
haben die Situation der Angehörigen gestärkt, und wir
haben für bessere Bezahlung der Pflegekräfte in den Pflegeheimen gesorgt. Wir brauchen unsere Pflegekräfte.
Wir können es uns nicht leisten, all Ihre Forderungen
umzusetzen, weil wir schlichtweg nicht ausreichend Pflegekräfte haben
({7})
und weil wir nicht wollen, dass die verschiedenen Pflegebereiche zueinander in Konkurrenz treten . Auf der Strecke bleiben dabei am Ende vor allem die Patientinnen
und Patienten .
Wir brauchen für die Zukunft mehr Menschen, die in
der Pflege arbeiten. Deshalb kann ich Sie nur einladen,
an der Pflegeausbildung zu arbeiten und an der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung mitzuwirken.
({8})
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in dieser Wahlperiode viel erreicht . In diesem Sinne
wünsche ich uns allen: Frohe Weihnachten! Ich bedanke
mich an dieser Stelle sehr herzlich bei all jenen, die über
die Weihnachtsfeiertage andere Menschen umsorgen und
pflegen.
Vielen Dank .
({9})
Danke schön . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Lothar Riebsamen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Tat ist es ohne Zweifel notwendig, immer wieder über das Thema Pflege zu reden. Das zeigen schon die nackten Zahlen: 20 Millionen Menschen
werden jedes Jahr in den Krankenhäusern versorgt und
gepflegt - rechnerisch ein Viertel der gesamten Bevölkerung -; dazu kommen 2,7 Millionen Menschen, die in
der stationären Altenpflege und der ambulanten Altenpflege versorgt werden. Deswegen ist es vor Weihnachten richtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und
den Pflegekräften in unseren Krankenhäusern, in unseren
Pflegeheimen und in den Sozialstationen ein herzliches
Dankeschön zu sagen .
({0})
Sie leisten großartige Arbeit, sie leisten qualitativ hochwertige Arbeit . Dies belegen aktuelle Patientenbefragungen, und dies belegen auch immer wieder Studien .
Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn die Linke als Oppositionspartei Forderungen stellt wie die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze; denn dann
kann man schnell 100 000 Pflegekräfte einstellen. Das
können Sie aber auch nur fordern, weil Sie nicht in der
Situation sind, das tatsächlich umsetzen zu müssen, und
Sie werden auch nie in die Situation kommen .
({1})
- Ich glaube nicht, dass Sie in die Situation kommen . Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass in deutschen Krankenhäusern
eine strukturell gefährliche Pflege gemacht wird. Das
weise ich entschieden zurück .
({2})
Das diffamiert die Pflege in unseren Krankenhäusern und
auch in unseren Pflegeheimen. Ich sage Ihnen eines: Auf
diese Weise gewinnen Sie nicht eine Pflegekraft dazu.
({3})
Nicht ein junger Mensch wird sich dazu entschließen, Altenpfleger oder Krankenpfleger zu werden, wenn Sie die
Pflege in Deutschland auf diese Weise darstellen.
({4})
Nun ist es ja durchaus nicht falsch, darauf hinzuweisen, dass wir vor Einführung der DRGs in den 90er-Jahren die meisten Pflegekräfte in Deutschland hatten.
Damals hatten wir 350 000 Vollzeitpflegekräfte in den
Krankenhäusern . Diese Zahl sank auf unter 300 000 . Das
hat den Krankenhäusern nicht gutgetan .
Herr Kollege Riebsamen, die Kollegin Zimmermann
würde Ihnen gerne eine Frage stellen . Lassen Sie das zu?
Ja, bitte schön .
Bitte schön .
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen . - Ich will
auf die Ausbildung zu sprechen kommen, weil Sie einen
Zusammenhang zwischen der Ausbildung und den strukturellen Problemen vor Ort hergestellt haben . Natürlich
haben wir in den Häusern strukturelle Probleme . Sie
müssen einmal mit den Kolleginnen reden und sie fragen, wie es ihnen geht und wie sie ihre Arbeit verrichten
können . Sie müssen wissen, dass Menschen, die in der
Pflege arbeiten - dazu gibt es unterschiedliche Studien -,
durchschnittlich nach sieben, acht oder neun Jahren ihren
Beruf wieder verlassen, weil sie die Arbeit physisch und
psychisch nicht aushalten .
Es gibt viele Anzeigen, dass Pflege nicht verrichtet
werden konnte und dass Notfälle im Bereich der Pflege
auftraten . Soll ich den Kolleginnen und Kollegen oder
den Menschen, die eine Ausbildung in der Pflege beginnen, vormachen, dass alles wunderbar ist, dass alles ganz
prima ist, dass es selbstverständlich verlässliche Dienstpläne gibt usw .? Soll ich den jungen Menschen vormachen, dass man den Beruf, den man erlernt hat, auch
tatsächlich ausüben kann? Das macht doch keinen Sinn .
Sie müssen an einer anderen Stelle ansetzen . Sie müssen den Beruf attraktiv machen . Die Menschen müssen
wissen, dass sie verlässliche Dienstpläne haben, dass sie
ihre Arbeit verrichten können und dass sie mit den Menschen menschenwürdig umgehen können . Ich glaube
nicht, dass wir Fachkräfte gewinnen können, indem wir
den Schülerinnen und Schülern die Probleme vorenthalten .
Ich will Ihnen noch eine Sache sagen . Zu mir kommen
oft Besuchergruppen aus Altenpflegeschulen. Ich frage
mich immer wieder - das spreche ich natürlich auch an -,
warum die Gruppen so klein sind . Ich höre jedes Mal,
dass die meisten, wenn sie in die Praxis kommen, ihren
Berufswunsch aufgeben und die Ausbildung verlassen .
Ich frage Sie: Warum machen die das? Haben Sie sich
darüber einmal Gedanken gemacht?
Frau Zimmermann, ich sage Ihnen: Bleiben Sie einfach nur bei der Wahrheit . Stellen Sie nicht in den Raum,
dass strukturell bedingt - so haben Sie das geschrieben;
Sie sprechen nicht von Einzelfällen - eine gefährliche
Pflege in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen geleistet wird . Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr .
({0})
Das wäre ein Straftatbestand . Wenn Sie entsprechende Erkenntnisse haben, dann müssen Sie das beim Gesundheitsamt anzeigen . Das, was Sie sagen, ist einfach
nicht richtig . Das kommt in Einzelfällen durchaus vor,
aber eben nicht strukturell bedingt . Sie stützen sich bei
Ihrer Aussage auf einen Enthüllungsjournalisten, dessen
Enthüllungen vom Landgericht Hamburg kassiert wurden . Das muss man an der Stelle auch sagen . Da ist Ihnen
wohl nichts Besseres eingefallen . Es gibt wirklich gute
Gründe, um über die Situation in der Pflege zu reden; das
habe ich eingangs gesagt . So seltsame Gründe wie die,
die Sie hier in die Welt setzen, braucht man dafür nicht .
({1})
Ich habe mich vorhin noch vornehm ausgedrückt . Das
muss ich schon sagen . Es war der adventlichen Gnade geschuldet, dass ich mich zurückhaltend ausgedrückt habe .
Zu jeder anderen Jahreszeit würde ich es so formulieren:
Das ist eine Frechheit gegenüber denen, die diese tolle
Arbeit in den Pflegeheimen und Krankenhäusern leisten.
({2})
Ich habe gesagt, dass die Krankenhäuser im Zusammenhang mit der Einführung der DRGs zu viele Pflegestellen abgebaut haben. Die Zahl der Pflegekräfte sank
von 350 000 auf unter 300 000 . Die Krankenhäuser haben das Problem selbst erkannt . Sie haben erkannt, dass
man bei schlechter Pflege keine hohen Qualitätsstandards
einhalten kann. Sie haben die Zahl der Pflegekräfte von
sich aus erhöht .
Aber auch seitens der Politik haben wir Maßnahmen
ergriffen . Das Wichtigste, was zu Regierungszeiten der
Großen Koalition und davor gemacht wurde, ist schon
erwähnt worden. Das Pflegestellen-Förderprogramm von
2009 und das Pflegestellen-Förderprogramm in dieser
Legislaturperiode haben dazu geführt, dass wir heute in
etwa gleich viele Stellen haben wie vor Einführung der
DRGs . Das war eine große Leistung .
Ich möchte noch eines ergänzen, was bisher noch nicht
gesagt wurde: Wenn sich nun die Länder dazu durchringen könnten, die Investitionskosten zu finanzieren, und
wenn sie nicht Geld aus den Krankenhäusern abziehen
würden, indem sie deren Erlöse einkassieren, wenn die
Länder also ihren Verpflichtungen nachkommen würden, dann hätten die Krankenhäuser noch mehr Geld, um
den berechtigten Forderungen nach mehr Pflegepersonal
nachzukommen .
({3})
Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass es natürlich wichtig ist, über Geld und über Stellenschlüssel
zu reden . Das ist überhaupt keine Frage . Aber wir sollten
uns auch die Frage stellen, was wir tun können, um stationäre Pflege möglichst zu verhindern. Die Menschen
möchten ihren letzten Lebensabschnitt sowieso lieber
zu Hause verbringen und zu Hause sterben . Es ist auch
preisgünstiger, zu Hause zu sein, als ein teures Pflegeheim zu bezahlen . Aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus . Mir geht es um etwas anderes . Mir geht es darum,
dass wir, wenn wir den ambulanten Bereich stärken und
wenn mehr Leute zu Hause gepflegt werden können, weniger Pflegekräfte in den Pflegeheimen brauchen; damit
meine ich nicht, dass der Stellenschlüssel geändert werden soll .
Die finanziellen Rahmenbedingungen haben wir mit
dem Pflegestärkungsgesetz I geschaffen. Aber wenn wir
die Rahmenbedingungen verbessern wollen, dann geht
es nicht nur um das Geld, sondern auch darum, dass wir
die Kurzzeitpflegeplätze - wir haben das Budget für den
Einzelnen von 1 600 auf 3 200 Euro im Jahr verdoppelt - dann vor Ort vorhalten . Das gilt auch für die Tagespflegeplätze. Beides stützt die ambulante Versorgung,
Tagespflege und Kurzzeitpflege. In der Tagespflege haben wir ein Budget von um die 20 000 Euro pro Jahr für
jeden Einzelnen eingeführt. Allein die Tagespflegeplätze
stehen in der benötigten Breite nicht zur Verfügung .
Deswegen werden wir uns Gedanken machen müssen, wie wir das in Zukunft erreichen . Die Kostenträger
sind gefordert, dieses Geld jetzt vor Ort auszugeben, den
Heimträgern Angebote zu machen und Anreize zu schaffen, Kurzzeitpflegeplätze und auch Tagespflegeplätze
auszuweisen, um so den ambulanten Bereich zu stärken .
Das wird im nächsten Jahr, im Jahr 2017, und in den
kommenden Jahren unsere Aufgabe sein . Dazu wünsche
ich uns viel Erfolg .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Mechthild Rawert .
({0})
Ja, es ist richtig: Wir stehen vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen . Eine davon ist
der Personalnotstand in der Pflege. Wir brauchen viele
Maßnahmen, um dieses Problem tatsächlich - in Anführungszeichen - in den Griff zu bekommen . Ein wesentlicher Baustein ist auf jeden Fall die Reform der
Pflegeberufe. Dazu gehören die generalistische und die
akademische Ausbildung; dazu gleich mehr .
Vor allen Dingen haben wir eines getan: Wir haben
mit den drei Pflegestärkungsgesetzen viel Wesentliches
auf den Weg gebracht,
({0})
damit Pflege gut geleistet wird, und zwar im Sinne der
Betroffenen, der Angehörigen und der hauptberuflich Beschäftigten .
({1})
Daran kann niemand zweifeln . Das tun wir auch nicht .
Denn wir alle wissen, dass wir erfolgreiche und wichtige
Schritte gemacht haben . Ich will sie jetzt gar nicht alle
aufführen .
({2})
Für die Alten- und Krankenpflege haben wir bereits
Etliches dezidiert geleistet. Wir haben 2009 das Pflegestellen-Förderprogramm - es wurde schon genannt eingeführt, welches allerdings noch darunter litt, dass es
nicht zielgenau gewesen ist und vielen in der Medizin
diente, was damals nicht die Intention war. Beim Pflegezuschlag von 500 Millionen Euro waren wir cleverer .
Da haben wir unser Ziel politisch sehr viel genauer festgelegt .
Wir haben die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege eingeführt. Wir haben das dritte
Ausbildungsjahr finanziert. Wir haben die Förderung
der Umschülerinnen und Umschüler für die Pflegeberufe durch die Arbeitsagenturen mit auf den Weg gebracht .
Wir haben dafür gesorgt, dass für erfahrene Kräfte die
Altenpflegeausbildung auf zwei Jahre verkürzt wird. Das
alles sind Schritte, um dieses Berufsfeld attraktiv zu machen und vor allen Dingen auch Bildung in dieses Berufsfeld zu bringen .
({3})
Gesagt, getan, gerecht - so lautet unser sozialdemokratisches Motto, und mit den verschiedensten Pflegereformen haben wir weitere Schritte getan .
Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz II bereits
ein Gremium beauftragt, in dreieinhalb Jahren - übrigens
ein relativ kurzer Zeitraum, der sich „dummerweise“
noch bis 2020 erstreckt - ein wissenschaftlich fundiertes,
also ein evaluiertes Verfahren für die Personalbemessung
in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Dies soll auch den
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigen, der
allerdings erst am 1 . Januar 2017 in Kraft tritt . Dass es
wissenschaftlich fundiert sein soll, steht nun in beiden
Anträgen der Linken . Es hieße, sich dieser Wissenschaftlichkeit zu berauben, wenn man jetzt wegen der benötigten Zeit regelrecht schimpfen würde . Da muss ich ganz
ehrlich sagen: Das wäre doch wirklich ein Schuss ins
eigene Knie .
({4})
Des Weiteren werden bundeseinheitliche Standards
für die Personalbemessung gefordert . Gut so! Bundesweit alleine reicht aber nicht; denn wir brauchen auch
den Bezug auf die unterschiedlichsten regionalen Besonderheiten. Das ist wichtig; denn Pflege allein à la Gießkanne hilft uns auch nicht weiter .
Über vieles wurde bereits im Kontext des Sechsten
Pflegeberichts gesprochen; ich will darauf nicht mehr
eingehen . Eines ist aber auch klar: Mehr Personal aufgrund PSG I ist in den Einrichtungen vorhanden . Die Anzahl der Betreuungskräfte hat sich deutlich erhöht . Auch
sie sind im Kontext des Pflegesettings extrem wichtig.
({5})
Herr Rüddel hat es erwähnt, Herr Riebsamen ebenso:
Gefordert sind auch die Bundesländer . Mittlerweile gibt
es - positiverweise, muss man sagen - für 2017 ja schon
einzelne Personalschlüssel, die von den Vereinbarungspartnern ausgehandelt worden sind . Davon wünsche ich
mir mehr . Niemand hier sagt: Ihr Bundesländer, wir legen euch hier einen Stein in den Weg . - Jedes Bundesland ist hier gefordert .
({6})
- Auch Thüringen, Rheinland-Pfalz, Berlin, und, und,
und . Jeder kehre vor seiner eigenen Tür .
Des Weiteren haben wir über die Tarife gesprochen .
Mit der Stärkung der Tarifbezahlung ist wirklich ganz
Wesentliches erreicht worden .
Zum Schluss möchte ich aber auf die Pflegeberufereform eingehen; denn eines ist doch klar: Qualifiziertes
Personal gibt es nur durch eine gute, qualifizierte Ausbildung . Deswegen brauchen wir die generalistische Ausbildung,
({7})
deswegen brauchen wir die akademischen Berufe . Wir
müssen auch die zukünftige Konkurrenz zwischen den
verschiedenen Branchen berücksichtigen . Nur zu jammern, hilft auch nicht . Das ist nicht attraktiv für junge
Leute .
({8})
Die Pflegesettings der Zukunft müssen mehr Kompetenzen aufweisen . Wir alle reden über Multimorbidität,
wir reden über Alter und das Älterwerden . Und wir alle
wollen doch eine gute Versorgung haben . Also lasst uns
auch wirklich für eine gute Versorgung eintreten! - Ich
gucke einmal ganz scharf in eine bestimmte Richtung,
({9})
Frau Kollegin Rawert .
Ja . - Das wäre das Weihnachtsgeschenk, das wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier den Pflegekräften
überreichen können: also pro Generalistik, pro akademische Ausbildung . In diesem Sinne ein frohes und gutes
neues Jahr!
({0})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt der Kollege Erich Irlstorfer für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Es freut mich, dass Sie das so sehen . - Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
beiden Anträgen der Linken zur Personalsituation in der
Altenpflege bzw. in der Pflege und im Gesundheitswesen allgemein wird ein Bild der Situation in deutschen
Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gezeichnet,
das reine Untergangsstimmung vermitteln soll . Ich kann
nur sagen: Dieses Bild trifft nicht zu .
({0})
Es wird hier im Bundestag der Eindruck erweckt, als
ob die Bundesregierung in den letzten drei Jahren keinerlei Veränderungen im Bereich der Pflege vorgenommen
hätte . Sie wissen genauso gut wie wir, dass das nicht einmal im Ansatz der Realität entspricht .
({1})
Als Alternative erzeugt die Linke ein Traumbild mit
kostenfreier Gesundheitsversorgung in Deutschland und
einer Lösung der demografischen Herausforderungen im
Handumdrehen . Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lösungsansätze der Linken lassen sich nur wie
eine Rückkehr zur Planwirtschaft und zu einem Versorgungssystem à la Staatsmedizin lesen, von dem wir uns
vor 27 Jahren erfreulicherweise trennen durften .
({2})
Demnach sollen als kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Personalbesetzung in den Krankenhäusern
mindestens 100 000 Vollzeitstellen im Pflegebereich geschaffen werden . Aus Ihrem Antrag geht jedoch nicht
hervor, auf welcher Grundlage diese Zahl basiert .
({3})
Sie verfahren hier wie beim Zaubern; das ist der Punkt .
Aber das ist keine seriöse Politik .
({4})
Ohne ordentliche Grundlage ist es aber hochgradig unwissenschaftlich und auch unseriös, solche Zahlen in den
Raum zu stellen . In meinen Augen ist es zumindest am
Rande der Unanständigkeit, wie Sie hier agieren; das
möchte ich Ihnen klar sagen .
Darüber hinaus, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollen hier ein wirtschaftlicher Wettbewerb und die
Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, beendet werden . Ich
kann Ihnen nur sagen: Ohne Gewinne gibt es keine Verfügungsmasse für Investitionen . Mehr Wettbewerb führt
zu mehr Qualität, auch in der Pflege. Sozialismus führt
nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Gesundheitsversorgung zu einer Katastrophe . Das möchte ich
untermauern .
({5})
Ihre Vorstellungen führten damals zu maroden Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in denen es am Nötigsten fehlte . So wäre es auch heute . Wir möchten nicht,
dass, wie es einmal war, Einmalhandschuhe mehrmals
verwendet werden müssen und Ähnliches . Um es mit
Franz Josef Strauß zu sagen:
Man soll aus der Geschichte nicht lernen, um beim
nächsten Mal schlauer, sondern um für immer weiser zu sein .
Das ist mein Rat für Ihre zukünftige Arbeit .
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe natürlich auch die Bundesländer in der Pflicht, die notwendigen Mittel zur Finanzierung - Lothar Riebsamen hat
darauf hingewiesen - bereitzustellen . Auch hier können
die nicht CSU-regierten Bundesländer, wenn sie wollen,
noch viel von Bayern lernen .
({7})
Bayern liegt bei den Investitionen auch heuer wieder an
der Spitze in Deutschland . Nehmen Sie das einmal zur
Kenntnis .
({8})
In Ihrer Vorstellungswelt soll die Privatisierung von
Einrichtungen - wir hören das ja laufend - in Zukunft untersagt werden . Statt der bestehenden Vielfalt von privatgewerblichen, frei-gemeinnützigen und öffentlichen Trägern wollen Sie Monokulturen . Das, meine sehr geehrten
Damen und Herren, ist ein Irrweg . Wir konnten die Anzahl der Pflegeeinrichtungen in den letzten Jahren - auch
das gehört zur Wahrheit - um über 40 Prozent steigern,
den Großteil davon dank immenser privater Investitionen . An dieser Stelle danke ich für diese unternehmerischen Leistungen .
Ich möchte darüber hinaus noch ganz kurz auf einen
weiteren Punkt eingehen - ich glaube, er gehört hierher -: Sie sprechen ja immer davon, dass Sie eine Pflegevollversicherung einführen wollen und dass Sie vom
bestehenden System weg wollen . Außerdem hören wir in
regelmäßigen Abständen - nicht nur von Ihnen - immer
wieder etwas zum Thema Bürgerversicherung als der
einzig wahren Lösung aller Probleme in der deutschen
Gesundheitsversorgung . Das Positivste, das ich im Zusammenhang mit der Bürgerversicherung gehört habe,
ist, dass mir gestern ein Treffen mit der Kollegin Hilde
Mattheis im Jahr 2017 versprochen wurde, bei dem sie
mir all diese Dinge erklären und sie entsprechend formulieren wird . Ich kann nur sagen: Die Linke ist nicht einmal in der Lage, das zu formulieren . Sie bringen nichts
Fachliches, sondern reine Propaganda . Das möchte ich
hier einmal festhalten .
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gäbe
noch viel zu sagen . Frau Rawert hat mich ja geradezu
herausgefordert, etwas zum Thema Pflegeberufegesetz
zu sagen . Ich hebe mir das aber für 2017 auf, verehrte
Kollegin . Heute kann ich nur sagen: Die strukturellen
Veränderungen, die wir beschlossen haben, werden sich
in den kommenden Jahren positiv auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland auswirken . Der Antrag der
Linken geht an diesen Tatsachen wieder einmal vorbei
und ist daher abzulehnen .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Vorlage auf
Drucksache 18/9122 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 10 b . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Gute Arbeit - Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10664, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7568
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung
Drucksache 18/9958
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/10655
Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen . Ich weise darauf hin, dass zur Annahme
des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit - das sind 316 Stimmen erforderlich ist .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . - Ich
darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute schließen wir das Gesetzgebungsverfahren zur Verbesserung
der Bekämpfung der Schwarzarbeit ab . Die Regierungskoalition setzt damit ihr entschlossenes Vorgehen gegen
Unternehmen fort, die meinen, sich durch die Beschäftigung von Schwarzarbeitern einen Vorteil verschaffen
zu können, aber auch gegen Arbeitnehmer, die entweder
aus freien Stücken oder aus einer Notlage heraus nicht
erkennen, dass sie mit ihrem Handeln nicht nur den Sozialstaat, sondern vor allen Dingen sich selbst schädigen .
In den vergangenen Monaten war ich mit mehreren
Gesetzen befasst, die bezwecken, Steuerehrlichkeit zu
fördern und entschieden denjenigen nachzugehen, die
meinen, sich ihren Pflichten bei der Entrichtung von
Steuern oder Sozialabgaben entziehen zu können . Meine
Damen und Herren, von daher steht auch dieses Gesetz
in einer Reihe mit einem Bündel von Maßnahmen, mit
denen wir sicherstellen, dass der Ehrliche nicht der Dumme ist, sondern dass Steuer- und Abgabengerechtigkeit in
diesem Land Ansprüche sind, die wir gemeinsam mit den
Länderbehörden durchsetzen wollen .
({0})
Heute Abend darf ich noch zur Unterbindung von
Kassenmanipulationen sprechen . Ich möchte aber auch
an unser Gesetzespaket zum automatisierten internationalen Informationsaustausch in Steuersachen und an die
BEPS-Initiative erinnern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Maßnahmen leisten einen Beitrag dazu,
dass der Staat wichtige Aufgaben wahrnehmen und vor
allem finanzieren kann.
In der Anhörung zum Gesetzentwurf haben wir zahlreiche Aspekte mit den Sachverständigen diskutiert . Dabei wurde übereinstimmend festgestellt, dass die Fragmentierung der Informationen mit das größte Hindernis
darstellt, Schwarzarbeit noch wirksamer auf die Schliche
zu kommen . Genau da setzen wir in diesem Gesetz an .
Die veraltete und dezentral organisierte EDV soll durch
eine integrierte einheitliche Datenbank in einem modernen IT-Verfahren ersetzt werden und den beteiligten
Behörden aktuelle und vor allem umfassende Daten zur
Verfügung stellen .
Ein Blick in § 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes macht deutlich, dass es sich um eine äußerst
komplexe Thematik handelt, bei deren Lösung der Zoll
aufseiten des Bundes mit vielen Akteuren zusammenErich Irlstorfer
arbeiten muss . An dieser Stelle möchte ich mich einmal
ausdrücklich für die gute Arbeit bedanken, die die Kolleginnen und Kollegen des Zolls leisten . Herr Dr . Meister,
ich bitte Sie, dieses Lob und diesen Dank entsprechend
weiterzugeben .
({1})
Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden fängt bei
den Landesfinanzverwaltungen an, setzt sich über die
Rentenversicherungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, die Arbeitsschutzbehörden, die Ausländerbehörden,
die Handwerks- und Gewerbebehörden, die Einzugsstellen der Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften, die
Unfallkassen, die Asylbehörden und die Landespolizeien
fort und endet beim Bundesamt für Güterverkehr .
All diese Behörden können Hinweise auf unerlaubte
Beschäftigungsformen gewinnen und sollten sich meiner
Meinung nach auch darüber austauschen dürfen . Hier
kann ein Informationsaustausch, mit dem wir auch in anderen Bereichen gute Erfahrungen gemacht haben, nur
von Vorteil sein .
({2})
Das schließt aber beispielsweise auch mit ein, dass die
oftmals kommunalen Behörden, die sich um die handwerks- und gewerberechtlichen Bestimmungen kümmern, auch Prüfungsrechte eingeräumt bekommen, um
ihren Anteil beitragen zu können .
Mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass die Länder entsprechend tätig werden .
Künftig können Betriebe, die gegen dieses Gesetz verstoßen, nicht nur von öffentlichen Bauaufträgen, sondern
auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ausgeschlossen werden .
Seitens der Grünen wird vorgeschlagen, die Landwirtschaft in den Kreis derjenigen Branchen gemäß § 2a
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufzunehmen, die als
besonders gefährdet gelten . Diesem Ansinnen vermögen
wir nicht zu folgen, weil wir die ohnehin schon gebeutelte Landwirtschaft nicht noch mit weiteren Regularien
überfrachten wollen .
({3})
Davon abgesehen, dass landwirtschaftliche Betriebe zu
Recht genauso wie alle anderen Betriebe Kontrollen
durch den Zoll unterworfen sind, hat uns das Finanzministerium nachvollziehbar dargestellt, dass es sich hier
keineswegs um eine besonders risikobehaftete Branche
handelt . Auch habe es keinerlei Probleme bei Kontrollen
deswegen gegeben, weil die Beschäftigten ihre Ausweise
nicht mitgeführt haben .
({4})
Ohne eine ausreichende Personalausstattung helfen
die besten Gesetze nichts .
({5})
Erfreulich ist, dass wir die Stellen bei der Zollverwaltung
aufgestockt haben und die Ausbildungskapazitäten entsprechend erhöht wurden .
({6})
Bei der Anhörung wurde mehrfach angesprochen, dass
insbesondere die Kommunen im Bereich Personal mehr
Unterstützung durch die Länder benötigen . Wichtig ist
aber auch, dass Behörden, die Verstöße feststellen, diese
auch ahnden können . Im Bereich der Sozialversicherung
kann der Zoll deshalb zukünftig auch Meldeverstößen
nachgehen - und sie bis zum Ermittlungsverfahren begleiten -, die er bislang an die Einzugsstelle gemäß § 112
Absatz 1 Nummer 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch abgeben musste . Er musste dann darauf vertrauen,
dass man sich dort der Sache annimmt .
({7})
Auch der Forderung, Konzessionen ausdrücklich in
den Katalog von Vergabeausschüssen mit aufzunehmen,
muss ich leider eine Absage erteilen .
({8})
Hier wurde bewusst eine gleichlautende Formulierung
des Vergabemodernisierungsgesetzes gewählt . Sollte es
hier missbräuchliche Gestaltungen geben, ist es uns unbenommen, entsprechend nachzusteuern .
Auf ein zeitgemäßes Level bringen wir auch den Zugriff der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Fahrzeug- und Halterdaten . Während bislang jede Frage
manuell bearbeitet werden musste und Faxe quer durch
die Republik verschickt wurden, sorgt der automatische
Informationsaustausch künftig für schnelle und vor allem
weniger personalintensive Auskünfte .
Zum Ende meiner Rede darf ich noch kurz auf die
Umdrucke eingehen, die an die von mir angesprochenen
Themen anschließen . Demnach nehmen wir die Landesbehörden, die sich mit der für Schwarzarbeit anfälligen
Branche der Personenbeförderung beschäftigen, in den
Katalog der Kooperationsbehörden auf, die nicht nur den
Zoll informieren, sondern von diesem auch informiert
werden .
Mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes tragen wir dem Umstand Rechnung, dass die Informationen
über Kraftfahrzeuge und deren Halter, die nunmehr ausschließlich beim Bund liegen, auch den Landesfinanzbehörden zur Verfügung gestellt werden können . Weiterhin
wird die Kraftfahrzeugsteuer ans EU-Recht angepasst .
All diese Regelungen sind sinnvoll und sollten deshalb
unsere Unterstützung erfahren .
Bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
BMF bedanke ich mich für die guten Beratungen . Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Für die Linke spricht jetzt Jutta
Krellmann .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden über den Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung . Einige darin enthaltene Vorschläge sind sinnvoll und notwendig, wie die Untersuchungs-,
Ausweis- und Auskunftsrechte der Landesbehörden .
Aber Überwachung ist das eine, Ursachenbekämpfung
ist das andere . Den Missbrauch von Minijobs und den
Verfall geleisteter Arbeitszeit haben Sie nicht im Blick .
Sie bleiben die Bundesregierung der verpassten Chancen .
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Als Gewerkschaftssekretärin und Abgeordnete der Linken bin ich für
die Bekämpfung von Schwarzarbeit .
({0})
Ich will aber auch die unsicheren und illegalen Beschäftigungsverhältnisse bekämpfen .
({1})
Machen Sie die Augen auf! Ich rede von unangemeldeten
sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten und Scheinselbstständigkeit . Ich rede weiter von illegaler Arbeitnehmerüberlassung, von Ausbeutung der Arbeitskraft bis hin
zum Menschenhandel .
Hierzu drei Beispiele .
Erstens: Missbrauch von Minijobs . In der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft und in anderen Branchen wird jemand auf der Grundlage eines Minijobs
für 450 Euro eingestellt . Er arbeitet aber fünf Tage die
Woche, und zwar acht Stunden pro Tag . Real wird also
Vollzeit oder noch mehr gearbeitet . Alles über 450 Euro
hinaus wird schwarz abgerechnet . Dazu haben Sie keine
Vorschläge .
({2})
Zweitens: Überstunden . Im letzten Jahr leisteten Beschäftigte mehr als 1 800 Millionen Überstunden außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit . 816 Millionen Stunden
werden bezahlt, und 997 Millionen Stunden sind unbezahlte Stunden . Arbeitgeber bekamen also knapp 1 Milliarde Überstunden geschenkt .
({3})
Das sind 500 000 Vollzeitarbeitsstellen .
({4})
Nicht erfasste und nicht bezahlte Arbeitszeit wird so zur
Schwarzarbeit . Das darf überhaupt nicht sein, das darf
nicht passieren .
({5})
Drittens: private Haushalte . Der DGB geht von 3 Millionen schwarzarbeitenden Haushaltshilfen aus . In der
häuslichen Pflege arbeiten schätzungsweise mehr als
100 000 Menschen - angeblich als Selbstständige, oftmals komplett schwarz .
({6})
Oftmals handelt es sich um Scheinselbstständigkeit, zum
Teil mit ausländischer Gewerbeanmeldung .
Alle Beispiele haben eins gemeinsam: Es geht um
Abrechnungs- und Sozialversicherungsbetrug an Beschäftigten, Sozialkassen und Steuerkassen - mit weitreichenden materiellen und gesellschaftlichen Folgen wie
verminderte Steuereinnahmen, verminderte Sozialversicherungsabgaben und weniger Geld für die Menschen .
In diesem Land verpuffen Milliarden Euro, weil einige
Arbeitgeber mit krimineller Energie systematisch Belege
fälschen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um
ihren Lohn zu prellen . Politik muss die Arbeitgeber, die
sich richtig und anständig verhalten, vor den Arbeitgebern schützen, die sich über illegale Beschäftigung einen
Wettbewerbsvorteil verschaffen, und zwar auf Kosten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
({7})
Damit bin ich auch schon beim Thema Zoll und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit . Wir übergeben diesen Behörden immer mehr Aufgaben . Das setzt aber eine bessere Personalausstattung voraus . Dabei reicht es nicht, nur
die Planstellen aufzustocken; diese müssen auch attraktiv
und sicher sein . Denn wenn die Stellen nur befristet sind,
muss sich niemand wundern, wenn sich keiner darauf bewirbt . Die Bundesregierung braucht an der Stelle Fachkräfte . Diese kosten Geld, und das ist auch gut so .
Das gilt im Grunde für jeden Arbeitgeber: Wer gutes
Personal will, muss entsprechend für gute Arbeit sorgen .
Gute Arbeit muss immer unbefristet, tariflich bezahlt und
mitbestimmt sein . Das gilt auch für den Zoll und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit .
Wir wollen, dass Minijobs der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen, und zwar ab der ersten Stunde.
({8})
Jede Arbeit muss zeitlich erfasst und entsprechend bezahlt werden, damit Arbeit insgesamt nicht entwertet
wird . Dafür steht die Linke .
Vielen Dank . Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes
Osterfest .
({9})
- Natürlich Weihnachtsfest .
Wir wollen jetzt daraus nicht auf die Zukunftsfähigkeit schließen . - Als Nächste hat Ingrid Arndt-Brauer,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Das mit dem Osterfest war typisch; denn genauso sind
Sie in Ihrer Rede manchmal völlig vom Thema abgekommen .
({0})
Wir haben uns heute Abend nicht versammelt, um die
Minijobs neu zu erfinden oder neu zu regeln. Man kann
sich immer alles noch besser und schöner vorstellen . Wir
finden aber, dass wir gute Aufzeichnungspflichten für die
Minijobs gefunden haben . Sie sind auf bestimmte Bereiche begrenzt . Das heißt, nicht jeder kann einen Minijob
anbieten .
Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Zoll natürlich vernünftige Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeiter gewährleistet . Die Beschäftigungsverhältnisse sind
normalerweise auch nicht befristet, sondern unbefristet,
und mitbestimmt . Die meisten Beschäftigten beim Zoll
sind verbeamtet . Deswegen möchte ich hier keinen falschen Eindruck aufkommen lassen .
Der Zoll hat vielfältige Aufgaben . Ich bin Berichterstatterin für Zoll und Finanzverwaltung . Es stimmt - damit haben Sie recht -: Wir haben dem Zoll in der Vergangenheit vielfältige neue Aufgaben übertragen . Er ist
zuständig für die Wareneinfuhr- und -ausfuhrkontrolle
und treibt Steuern ein . Er ist für die Kontrolle von Plagiaten zuständig . Auch um Wirtschaftskriminalität und
Artenschutz muss sich der Zoll kümmern, und er ist für
die Kontrolle der Schwarzarbeit zuständig .
Mehr als 6 700 Zöllnerinnen und Zöllner sorgen bei
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit dafür, dass wir vernünftig gegen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit
vorgehen können . Ich denke, dieser Aufgabe kommt der
Zoll gut nach .
({1})
Wir haben die Planstellen aufgestockt . Es dauert natürlich eine Weile, bis die Leute ausgebildet sind . Das
ist verständlich . Aber ich bin der Meinung, dass der Zoll
ein sehr attraktives Arbeitsumfeld bietet . Deswegen bin
ich zuversichtlich, dass wir da auch weiterhin erfolgreich
arbeiten können .
Jetzt komme ich zu unserem Gesetzentwurf . Mein
Vorredner, Herr Feiler, hat das meiste schon angesprochen: Es geht wirklich darum, die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu erleichtern und effektiver zu
machen . Ich denke, mit dem Gesetzentwurf haben wir
eine ganze Menge auf den Weg gebracht . Wir werden
die Rahmenbedingungen in der Form bekämpfen, dass
die illegale Beschäftigung eingedämmt wird, und zwar
durch ein gewisses Entdeckungsrisiko . Wenn ein Entdeckungsrisiko besteht, dann kann man bestimmte Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr in der Form anbieten, weil dann eine herbe Strafe droht . Ich denke, dafür
sind die Zollkon trollen, die immer wieder unangekündigt
stattfinden, ein gutes Mittel, um das vernünftig zu regeln.
({2})
Die Hilfe bei der EDV wurde schon angesprochen .
Auch da ist es wichtig, dass wir das zeitgemäß reformieren und dass wir dem Zoll die Möglichkeit geben, mit
Landesbehörden vernünftig zusammenzuarbeiten . Wir
weiten auch die Kompetenzen des Zolls aus . Deswegen
brauchen wir heute eine breite Mehrheit für diesen Gesetzentwurf . Es ist wichtig und gut, dass wir das machen .
Es gibt Bereiche, die besonders anfällig und auch ein
bisschen schwieriger in der Überwachung sind .
({3})
Dort brauchen wir mehr Leute und manchmal vielleicht
auch eine andere Aufstellung des Zolls .
Es wird weiterhin nötig sein, dass Zollbeamte in bestimmten Kontrollbereichen bewaffnet auftreten . Das ist
leider so, auch wenn wir das nicht schön finden. Wenn
sich die Beamten morgens entsprechend anziehen, dann
kommt es vielleicht auch einmal vor, dass sie in einer
Gaststätte bewaffnet kontrollieren, nicht weil Gaststätten so gefährlich sind, sondern weil eine Waffe zu ihrer
Dienstuniform gehört . Darüber müssen wir uns nicht aufregen . Dies ist angemessen, damit die Beamten den Tag
über vernünftig kontrollieren können, ohne einer Selbstgefährdung ausgesetzt zu sein .
({4})
Es wurde schon angemerkt, dass der Bundesrat zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Ich finde
es sehr gut, dass alle übernommen wurden . Das zeigt:
Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass der Zoll die
richtige Behörde ist, um hier durchgreifend zu arbeiten,
und dass alle Seiten bestrebt sind, den Zoll dabei zu unterstützen .
Man kann natürlich alles verbessern und noch mehr
verschärfte Kontrollen fordern . Wir haben länger darüber diskutiert . Die Grünen sehen die Landwirtschaft als
problematischen Bereich .
({5})
Alle anderen sehen das nicht so problematisch .
({6})
Wenn sich aber herausstellen sollte, dass im landwirtschaftlichen Bereich verstärkt Missbrauch betrieben
wird, werden wir bereit sein, entsprechende Änderungen
vorzunehmen . Im Moment ist das nicht notwendig . Aktuell wird regelmäßig kontrolliert . Da die Kontrolleure
relativ ortsnah arbeiten, gibt es kaum Möglichkeiten, sich
der Kontrolle zu entziehen .
({7})
Deswegen glauben wir, dass wir im Moment noch gut
aufgestellt sind . Wenn sich hier aber etwas verändern
sollte, können wir jederzeit darauf reagieren .
({8})
Es ist wichtig, dass es ein generelles Entdeckungsrisiko für alle Bereiche gibt, wo Missbrauch stattfinden
kann . Wir brauchen also einen gut aufgestellten Zoll .
Wir müssen natürlich noch alle Planstellen besetzen, für
die wir Mittel eingestellt haben . Das wird noch ein bisschen dauern . Aber die entsprechende Zeit müssen wir
aufbringen . Wir haben jedenfalls alle Weichen gestellt,
damit der Zoll vernünftig arbeiten kann . Deswegen bin
ich zuversichtlich - die Beratungen haben gezeigt, dass
so gut wie alle dieser Meinung sind -, dass wir auf dem
richtigen Weg sind . Ich freue mich über die Zustimmung
der Opposition und die weitere Zusammenarbeit . Wenn
uns eine Verbesserung einfällt, sind wir immer bereit, sie
umzusetzen . Im Moment sind wir auf einem guten Weg .
Der Gesetzentwurf ist in diesem Haus auf breiter Basis
zustimmungsfähig . Ich danke für die guten Beratungen,
auch mit der Opposition . Ich wünsche vor allem dem
Zoll viel Erfolg bei seiner Arbeit .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Beate Müller-Gemmeke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind weit verbreitet und verursachen immense
volkswirtschaftliche Schäden . So entgehen dem Staat
Steuereinnahmen und den Sozialversicherungen Beiträge . Es geht hier um viele Milliarden . Vor allem sind
die Beschäftigten davon betroffen . Sie arbeiten hart und
bekommen dennoch zu wenig Lohn . Die Schattenwirtschaft verzerrt zudem den Wettbewerb zulasten der anständigen und verantwortungsvollen Betriebe . Das alles
geht gar nicht . Deshalb müssen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung konsequent bekämpft werden .
({0})
Notwendig sind effektive Kontrollen . Ich selbst war
einmal einen Tag mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
unterwegs . Ich war beeindruckt von der guten und sehr
engagierten Arbeit . Dennoch müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden . Deshalb begrüßen wir Grüne
den vorliegenden Gesetzentwurf . Wir hatten dazu eine
wirklich interessante Anhörung mit guten Sachverständigen aus der Praxis . Auch sie unterstützen das Gesetz .
Aber es gab auch dringende Appelle, den Gesetzentwurf
an manchen Stellen nachzubessern . Die konkreten Vorschläge wurden aber ignoriert . Ich wünsche mir, dass die
Koalitionsfraktionen solche Anhörungen etwas ernster
nehmen .
({1})
Wir werden dem Gesetzentwurf zwar zustimmen .
Aber auch wir sehen an vielen Stellen noch Handlungsbedarf . Deswegen haben wir drei Änderungsanträge in
den Ausschüssen gestellt . Diese wurden leider abgelehnt .
Ich möchte sie kurz ansprechen:
Erstens . In der Landwirtschaft arbeiten viele Saisonarbeitskräfte auch aus dem Ausland . Wir sehen die Situation anders als Sie . In der Praxis sind die Mindestlohnkontrollen der FKS relativ schwierig . Deshalb wollen wir die
Landwirtschaft im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
als sensible Branche mit aufnehmen . Das würde die Kontrollen erleichtern und die FKS tatsächlich stärken .
({2})
Zweitens . Durch § 21 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz können schwarze Schafe von der Ausschreibung
öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden . Hier werden jetzt neben den Bauaufträgen auch die Liefer- und
Dienstleistungsaufträge aufgenommen . Das ist gut so .
Aber auch Konzessionen müssten hier benannt werden;
denn wir meinen: Alle Aufträge müssen gleich behandelt
werden .
({3})
Drittens . Ganz paradox wird es, wenn es um die
Straftaten geht, die zu diesem Ausschluss bei öffentlichen Ausschreibungen führen . Im Gesetz steht hier nur
Sozialkassenbetrug . Bei illegaler Beschäftigung geht es
aber vor allem um Betrug und Urkundenfälschung, und
die ganz schlimmen Formen sind Menschenhandel und
Ausbeutung der Arbeitskraft . Diese Straftatbestände stehen eben nicht im Gesetz . Deshalb haben wir beantragt,
dass diese Straftaten explizit in das Gesetz aufgenommen
werden; denn öffentliche Aufträge dürfen nur an verantwortungsvolle Betriebe gehen . Deshalb brauchen wir
unserer Meinung nach ganz eindeutige und rechtssichere
Formulierungen .
({4})
In der Anhörung wurde ein weiterer Aspekt immer
wieder zu Recht kritisiert - das wurde jetzt schon angesprochen -: Effektive Kontrollen brauchen natürlich gute
Rahmenbedingungen . Notwendig ist aber vor allem ausreichendes Personal . Die FKS hat aber insgesamt zu weIngrid Arndt-Brauer
nig Personal . Zudem sind viele Planstellen nicht besetzt,
und die versprochenen 1 600 neuen Stellen für die Mindestlohnkontrolle sind auch noch nicht angekommen .
Die Aufgaben der FKS nehmen immer mehr zu, und
sie sind vor allem extrem anspruchsvoll . Seit Jahren wird
hier der Personalmangel nur verwaltet . Das Personal
reicht gerade einmal für Schwerpunktprüfungen . Das ist
zu wenig . Die Kontrollen müssen auch präventiv wirken .
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit braucht mehr Personal . Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis .
({5})
Die Anhörung hat auch gezeigt, dass sich Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung immer wieder verändern . Am Bau gibt es mittlerweile 200 000 Minijobs . Das
ist absurd . Das wurde schon angesprochen . Hier wird
ein legales Arbeitsverhältnis vorgetäuscht . Tatsächlich
wird aber in Vollzeit gearbeitet, und die Differenz wird
schwarz und bar ausgezahlt . Es gibt mittlerweile auch
sehr erfolgreiche Internetportale, bei denen vermeintlich
Selbstständige an Privathaushalte vermittelt werden . Die
Honorare sind häufig so niedrig, dass niemand davon leben kann . Der Gesetzgeber muss auf diese Entwicklung
reagieren und neue Kontrollmöglichkeiten entwickeln .
Das Gesetz heute ist also nur ein erster Schritt, weitere
müssen unbedingt folgen . Machen Sie sich bitte auf den
Weg .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Dr . h . c . Hans Michelbach .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt und keine Bagatelle, sondern Wirtschaftskriminalität . Schwarzarbeit und
Schattenwirtschaft gehören schon immer zu den größten wirtschaftlichen Problemen unserer Volkswirtschaft .
Steuer- und Sozialversicherungsbetrug schadet unserer
Gemeinschaft .
({0})
Zudem führt Schwarzarbeit zu Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten der rechtschaffenden Betriebe und der
Arbeitsplätze .
Betriebe können gegen die illegal handelnde Konkurrenz, die oft ein günstigeres Angebot abgibt, nicht bestehen, weil die Preise der rechtschaffenden Unternehmen
natürlich höher sind . Auf diese Weise werden legale
Arbeitsplätze vernichtet und wird mehr Arbeitslosigkeit
geschaffen .
({1})
Insgesamt kostet die Schwarzarbeit den Wirtschaftsstandort Deutschland jedes Jahr einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag . Man hat 2014 einen Schaden von
etwa 800 Milliarden Euro festgestellt . Heute geht man
von einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11 Prozent im Bereich der Schattenwirtschaft aus . Man sieht,
welche Dimension hier zu bekämpfen ist . Der Gemeinschaft entgehen einerseits wichtige Einnahmen wie Beiträge und Steuern; andererseits steigen die Ausgaben für
Unterstützungsleistungen, weil man nicht in die Sozialversicherung einbezahlt hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung
ist kein hinnehmbarer Zustand . Das ist nicht gerecht . Das
ist unsozial, und das ist gegen das Gemeinwohl .
({2})
Das werden wir mit der heutigen Verabschiedung dieses
Gesetzes verstärkt bekämpfen . Das ist eine Tatsache . Wir
bekämpfen die illegale Beschäftigung mit aller Entschiedenheit .
({3})
Was erzählen Sie von den Linken denn da? Mehr als
die Verschärfung von Kontrollen kann man nicht tun,
({4})
und das tun wir . Wir sind natürlich gegen Ihre pauschalen
Verdächtigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern .
Aber wenn Sie Weihnachten und Ostern nicht auseinanderhalten können, dann wundert mich natürlich nichts
mehr .
({5})
Das vorliegende Gesetz leistet einen wesentlichen
Beitrag zur Bekämpfung von Schwarzarbeit . Was wir im
Koalitionsvertrag bereits angekündigt haben, setzen wir
nun lösungsorientiert, praxisnah und mit Ausgewogenheit und Augenmaß um; denn das gehört dazu . Wir wollen nicht die große Keule schwingen, sondern wir wollen
die Schwarzarbeit ganz gezielt bekämpfen .
Daher ist es richtig, dem Zoll und den Landesbehörden mehr Rechte zu geben . Konkret: Die IT-Verfahren
können mit einer einheitlichen Datenbank und einem
zentralen Informationssystem verbessert werden . Wir
können eine Finanzkontrolle beim Zoll mit einem automatisierten Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregister
des Kraftfahrt-Bundesamtes vorweisen . Das sind eine
enorme Vereinfachung und ein großer Fortschritt . Denn
bisher musste jede Anfrage manuell bearbeitet werden .
Das hat in der Praxis zu Zeitverzögerungen und Fehlern
geführt .
Wir haben mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
künftig für die Ahndung von Meldeverstößen nach dem
Sozialgesetzbuch IV verstärkt die Möglichkeit, Ermittlungsverfahren durchzuführen . Mit dem neuen Gesetz
kann die Zollverwaltung mehr Meldeverstöße ahnden,
und es kann darüber hinaus Vergehen verfolgen, die bisher von den Einzugsstellen der Sozialversicherungen bearbeitet wurden .
All dies ist natürlich in Verbindung mit den Prüfungsbefugnissen, die wir den zuständigen Landesbehörden einräumen, ein großer Schritt zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit . Die Mitarbeiter werden auch in Zukunft
das Recht haben, Grundstücke zu betreten und die dort
tätigen Personen zu ihrer Arbeit zu befragen . Gerade indem wir den Landesbehörden mehr Rechte einräumen,
lässt sich die handwerkliche und gewerberechtliche
Schwarzarbeit besser bekämpfen, weil Handwerk und
Gewerbe vor Ort natürlich zusammengehören . Deswegen ist es gut, wenn die Landesbehörden hier eine rechtliche Stärkung erfahren .
Zukünftig können Firmen nicht mehr nur von der Vergabe öffentlicher Bauaufträge ausgeschlossen werden,
sondern auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen .
Diese maßvolle Erweiterung ist notwendig; denn die Praxis zeigt, dass Schwarzarbeit zwar häufig im Baugewerbe stattfindet, dass inzwischen aber auch in der Dienstleistungsbranche illegale Beschäftigung immer häufiger
vorkommt .
Ich möchte zum Abschluss meiner Rede noch einen
anderen Aspekt zum Ausdruck bringen . Schwarzarbeit
ist vor allem auf Kostenunterschiede zwischen legaler
und illegaler Arbeit zurückzuführen . Auch das gehört zur
Wahrheit . Je höher die Arbeits- und vor allem Lohnzusatzkosten sind, desto mehr Anreiz besteht für Schwarzarbeit .
({6})
Auch das gehört zur Wahrheit, meine Damen und Herren .
({7})
Es macht natürlich keinen Sinn, wie das hier vorgetragen wurde, die Belastungen immer öfter und schneller
zu erhöhen . Vielmehr muss hier gemessen an den Lohnstückkosten eine Effizienz entstehen, eine Wettbewerbsfähigkeit auch im internationalen Rahmen . Insofern
gehört es dazu, dass wir insbesondere die Lohnzusatzkosten stabil halten, um keinen Anreiz für Schwarzarbeit
zu erzeugen . Das muss man bei diesem Thema natürlich
unbedingt dazusagen und darf es nicht außen vor lassen .
({8})
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir beschließen heute ein ausgewogenes und effizienzsteigerndes Gesetz, das die Schwarzarbeit zwar nicht völlig
verhindern, zumindest aber weiter einschränken wird .
Zudem bin ich außerordentlich froh, dass wir im großen Einvernehmen im Finanzausschuss mit unserem
Koalitionspartner und den Ländern dieses Gesetz auf
den Weg gebracht haben . Ich hoffe, dass wir in diesem
Sinne auch im Jahr 2017 noch das eine oder andere Gesetz voranbringen können . Ich denke an das sogenannte
Panama-Gesetz, das die Steuervermeidung internationaler Konzerne verhindern soll oder an das Gesetz gegen
Kassenmanipulationen . Auch das ist ein Bereich, wo wir
Flagge zeigen, dass wir einen starken Rechtsstaat wollen,
der letzten Endes Illegalität und Missbrauch bekämpft .
Das ist das Ziel, das wir haben und das von der Bevölkerung auch akzeptiert wird .
({9})
Im Zusammenhang mit diesem Gesetz möchte ich
insbesondere unserem Berichterstatter Uwe Feiler ganz
herzlich danksagen, der hervorragende Verhandlungen
mit den Berichterstattern aller Fraktionen geführt hat .
In diesem Sinne: Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Dr . Jens
Zimmermann, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um die
Debatte noch einmal zusammenzufassen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den zuständigen Behörden beim Zoll und den zuständigen Landesbehörden
bessere Mittel an die Hand geben, um Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung zu bekämpfen . Wir alle wissen:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung stellen ein
Problem dar - und kein kleines . Wenn wir uns einmal
Schätzungen anschauen, um welchen Betrag es sich allein in diesem Jahr handelt, dann reden wir über 300 Milliarden Euro . Das sind keine der berühmten Peanuts, von
denen früher immer mal wieder gesprochen wurde .
({0})
Ich will auch ganz klar sagen: Uns geht es dabei vor
allem um die großen Fische . Es geht nicht um die kleine
nachbarschaftliche Hilfe . Wir müssen vor allem an den
Bereich heran, wo wir mit Fug und Recht von organisierter Kriminalität reden können . Wir kämpfen deswegen
aber auch insgesamt auf dem Arbeitsmarkt für faire Regeln und für faire Löhne . Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode in der Koalition ja schon einiges gemacht;
da kann ich dem Kollegen Michelbach nur recht geben .
Schwarzarbeit ist unsozial und unfair; denn sie richtet
in mehrfacher Hinsicht Schaden an . Sie ist unsozial und
unfair, weil durch die Steuerhinterziehung unsere Solidargemeinschaft geschädigt wird und damit alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler verhöhnt werden .
({1})
Es darf einfach nicht sein, dass am Ende des Tages der
Ehrliche der Dumme ist . Dagegen müssen wir etwas tun,
und das tun wir mit diesem Gesetz . Aber Schwarzarbeit
ist auch aus einem anderen Grund unsozial und unfair;
denn sie führt natürlich auch zu Druck auf die ehrlichen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diese Abgaben
zahlen und die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordentlich anmelden . Diese werden von denen unter Wettbewerbsdruck gesetzt, die sich daran nicht halten . Auch
das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
({3})
leisten wir in diese Richtung einen ganz entscheidenden
Beitrag; denn die zuständigen Behörden bekommen damit die notwendigen Instrumente an die Hand . Thema
„IT-Ausstattung - E-Government“ ist eine ganz lange
Geschichte . Wir haben in vielen Behörden, in vielen Teilen unseres Staates die große Herausforderung, mit der
digitalen Entwicklung Schritt zu halten . Das machen wir
mit diesem Gesetzentwurf auf der einen Seite . Auf der
anderen Seite sorgen wir dafür, dass der Zoll im Bereich
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zukünftig den Zugriff
auf das zentrale Fahrzeugregister bekommt . Das mag im
ersten Augenblick keine riesige Veränderung sein, aber
es ist ein wichtiges Instrument für die Kollegen und
Kolleginnen beim Zoll, sonst ist die Arbeit frustrierend,
wenn man Ermittlungsansätze hat, sie aber wegen mangelnder Fähigkeiten nicht zu Ende führen kann .
({4})
Ich glaube, es ist in der Debatte klar geworden: Wir
haben hier einen guten Gesetzentwurf vorliegen . Die
Länder haben darauf positiv reagiert . Von den Sachverständigen gab es sehr positive Rückmeldungen . Deswegen werden wir als SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf
natürlich auch zustimmen .
Lassen Sie mich abschließend all den Kolleginnen
und Kollegen beim Zoll und den Finanzbehörden für ihre
Arbeit danken . Sie sind diejenigen, die Tag für Tag unterwegs sind, um dafür zu sorgen, dass die Ehrlichen nicht
die Dummen sind, meine Damen und Herren .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
sind damit am Ende der Aussprache angekommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stär-
kung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen
Beschäftigung. Der Finanzausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10655,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/9958 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die
absolute Mehrheit - das sind 316 Stimmen - erforder-
lich . Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .
Gibt es noch jemanden, der im Saal anwesend und
abstimmungsberechtigt ist, aber - warum auch immer -
seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Wenn ja, ist
ihm nicht zu helfen . Wir schließen jetzt die Abstimmung .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen .1)
Ich rufe dann unseren Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus,
Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zu möglichen Gefährdungen des gleichberechtigten Einflusses aller Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger auf die politische Willensbildung und zu weiteren Punkten des Gemeinnützigkeits- und Vereinsrechts
Drucksachen 18/8331, 18/9573
Dazu wollen wir nach einer Vereinbarung 25 Minuten
debattieren. - Das findet offenkundig allgemeine Zustimmung . Dann verfahren wir so .
Ich gebe zu überlegen - ich habe das aber schon einmal vergeblich versucht -, ob man das bei den durchweg
vier- und fünfminütigen Beiträgen nicht auch genauso
gut vom Platz wie vom Rednerpult aus machen könnte .
({0})
Aber auf gut Deutsch: It’s up to you .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Lisa Paus für die Fraktion der Grünen .
Der Weg war jetzt auch nicht so weit . - Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und
Bürger! Die Grünen hätten heute gern über die Antwor-
ten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur
möglichen Gefährdung des gleichberechtigten Einflusses
aller Bürgerinnen und Bürger auf die politische Willens-
1) Ergebnis Seite 20937 C
bildung gesprochen; aber leider hat die Bundesregierung
unsere Fragen gar nicht oder nichtssagend beantwortet .
Von daher gibt es eigentlich gar nicht viel zu bereden .
Das passt allerdings vollkommen zur heutigen Mitteilung der Süddeutschen Zeitung, dass die Bundesregierung im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht klare Aussagen darüber, ob Menschen mit mehr Geld einen
stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben
als Einkommensschwache, schlichtweg gestrichen hat,
obwohl genau dies das Ergebnis der von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebenen Studie gewesen ist .
In der Antwort auf unsere Große Anfrage erklärte die
Bundesregierung entsprechend lapidar zu einer ganzen
Reihe von Fragen, wie zum Beispiel zum steuerlich geförderten Einfluss von Berufs- und Unternehmensverbänden, dass ihr dazu leider keine Erkenntnisse vorliegen . Diese Verweigerung der Diskussion über zentrale
Problemlagen unserer pluralistischen Demokratie ist einfach - um nichts Schlimmeres zu sagen - eine Frechheit .
({0})
Der konkrete Anlass unserer umfassenden Großen
Anfrage war allerdings ein anderer, aber nicht weniger
brisant, nämlich die Frage, ob sich der Gemeinnützigkeitsstatus einer Organisation mit politischen Aktivitäten
verträgt oder nicht .
Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und
Bürger, als die globalisierungskritische Organisation
Attac in diesem Sommer wieder einmal ihre Sommerakademie ausrichten wollte, da hatte sie ein Problem . Es
gab viele Stiftungen, die Attac unterstützen wollten, aber
sie durften es nicht; denn die Satzungen der Stiftungen
und die Gesetzeslage besagen, dass sie nur gemeinnützige Organisationen unterstützen dürfen . Attac war aber
2014 die steuerliche Gemeinnützigkeit vom Finanzamt
Frankfurt abgesprochen worden,
({1})
weil - so argumentierte das Finanzamt - Attac zu stark
politisch tätig sei
({2})
und damit nicht gemeinnützig sein könne . Diese Entscheidung ist nun zweieinhalb Jahre später vom Finanzgericht Kassel zurückgenommen worden,
({3})
und zwar mit Pauken und Trompeten . Das Gericht hat
Attac in allen Punkten bestätigt .
({4})
Die Richter betonten, dass politische Aktivitäten gemeinnützigen Zwecken nicht entgegenstehen . Im Gegenteil:
Gemeinnützige Zwecke wie Bildung oder Förderung
des demokratischen Gemeinwesens seien ohne Einfluss
auf politische Willensbildung kaum zu verfolgen, so die
Richter; eine wichtige Klarstellung, die wir ausdrücklich
begrüßen .
({5})
Ist also nun wieder alles okay? Ist Attac ein Einzelfall,
wie die Bundesregierung meint, der politisch aufgebauscht wurde? Sind die Regeln okay? Sollten wir schlichtweg auf den Rechtstaat vertrauen? Mitnichten, liebe Bürgerinnen und Bürger . Es gibt aus unserer Sicht deutlichen
Änderungsbedarf .
Bei der Vorbereitung unserer Großen Anfrage hatten
wir Grünen zu einem Fachgespräch eingeladen . Der Einladung sind allein 60 Vertreterinnen und Vertreter von
gemeinnützigen Körperschaften gefolgt . Sie bestätigten
ihre ständige Furcht, dass man ihnen die Gemeinnützigkeit entziehen könnte, wenn sie zum Beispiel eine Demonstration oder eine Kampagne zu viel wagen oder
weil sich ihr konkreter Zweck nicht in dem langen, aber
veralteten Zweckkatalog der Abgabenordnung wiederfindet - darunter waren so bekannte Organisationen wie
Amnesty International, Brot für die Welt, Greenpeace
oder die Deutsche Liga für Menschenrechte -; denn ein
universeller Zweck wie der Einsatz für Menschenrechte
ist eben gerade nicht in der Abgabenordnung aufgeführt .
Auch der BUND in Hamburg hat inzwischen seine Gemeinnützigkeit entzogen bekommen, genauso wie die
Frauenorganisation Dona Carmen .
({6})
Viele andere Fälle werden gar nicht erst publik . Wenn
sich zum Beispiel ein niedersächsischer Verein, der einen
örtlichen Christopher Street Day veranstalten möchte,
sieben Jahre lang beim Finanzamt um die Anerkennung
der Gemeinnützigkeit bemüht, dann ist das öffentlich
kein großes Thema, aber trotzdem nicht in Ordnung,
meine Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({7})
Einen Prozess über zweieinhalb Jahre, wie Attac ihn
durchlaufen musste, überleben schlichtweg die wenigsten Organisationen; denn eine solche Aberkennung hat
drastische Konsequenzen . Steuernachzahlungen werden
fällig, Spendenbescheinigungen müssen widerrufen werden, und nicht nur die Kooperation mit bisherigen gemeinnützigen Partnerorganisationen fällt weg, sondern
auch die Antragsberechtigung für öffentliche Gelder
hängt am Gemeinnützigkeitsstatus .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident .
Es gibt gute Gründe für die Sonderregelungen im Gemeinnützigkeitsrecht, aber es gibt keinen guten Grund,
der wachsenden Rechtsunsicherheit und der stark unterschiedlichen Beurteilungspraxis der Finanzämter einfach
weiter zuzusehen . Die Gemeinnützigkeit muss modernisiert und konkretisiert werden . Es hätte der Bundesregierung mehr als gut angestanden, zumindest durch
Lieferungen von offiziellen Daten eine breite lösungsorientierte Debatte zu ermöglichen . Wir fordern dies weiter ein . Wir werden Sie weiter antreiben . Wir lassen die
Organisationen nicht im Stich . Darauf können sie sich
verlassen .
({0})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung bekannt: abgegebene Stimmen 563 . Mit Ja haben gestimmt 509, mit Nein
hat niemand gestimmt, enthalten haben sich 54 Kolleginnen und Kollegen . Damit hat der Gesetzentwurf die
erforderliche Mehrheit erreicht .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon
ja: 509
nein: 0
enthalten: 54
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller ({6})
Stefan Müller ({7})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({9})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({10})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({18})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({22})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({23})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({24})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({31})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({32})
Dr . Franziska Brantner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Christian Kühn ({33})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({34})
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({35})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({36})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({37})
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({38}) aufgeführt .
Nächster Redner ist der Kollege Christian von Stetten
für die CDU/CSU-Fraktion .
({39})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten lieben Kolleginnen und Kollegen! Als ich der Tagesordnung des
Deutschen Bundestages entnommen habe, dass wir uns
heute kurz vor Weihnachten in einer Plenardebatte mit
dem Gemeinnützigkeitsrecht und mit dem Vereinsrecht
beschäftigen, habe ich mich sehr gefreut . Denn gerade in
der Weihnachtszeit und kurz vor Jahresende sehen wir,
zu welchen Leistungen unsere ehrenamtlich engagierten
Bürgerinnen und Bürger, die Vereine und die gemeinnützigen Organisationen imstande sind und wie sie unser
Leben dadurch bereichern . Ob im Sportverein, im Musikverein, in der Nachbarschaftshilfe, im Naturschutz, in
kirchlichen Organisationen oder jetzt gerade auch in der
Flüchtlingshilfe, ohne die Bürgerinnen und Bürger, welche sich unentgeltlich und ehrenamtlich diesen Aufgaben
widmen, könnte der Staat nicht existieren . Deswegen
können wir gar nicht oft genug Parlamentsdebatten zu
diesem Thema abhalten und besonders diesem Personenkreis Anerkennung zollen .
Als ich dann allerdings, Frau Paus, Ihre Große Anfrage gelesen habe, war schnell klar - das konnte jeder
feststellen -, welche Zielrichtung sie hat, also was Sie eigentlich durch das öffentliche Stellen von Fragen an die
Bundesregierung erreichen wollten . Ihnen ging es nicht
um die Aufwertung dieser ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger,
({0})
Ihnen ging es weniger um das Gemeinwohl in diesem
Bereich, sondern es ging Ihnen - Sie haben das gerade
noch einmal ausgeführt - um den Gemeinnützigkeitsanspruch der Organisation Attac .
({1})
Das Finanzamt Frankfurt am Main hatte im Jahr 2014
Attac den Gemeinnützigkeitsstatus entzogen . Darauf hat
der Deutsche Bundestag keinen Einfluss. Das macht das
zuständige Finanzamt . Die Behörden entscheiden und
setzen die Beschlüsse um . Sie haben es gesagt: Wie in
jedem Rechtsstaat hat auch eine Organisation - in diesem
Fall Attac - die Möglichkeit, dies gerichtlich überprüfen
zu lassen . Attac hat dies getan . Das Finanzgericht Kassel
hat in seinem Urteil vom 10 . November 2016 die Aberkennungsbescheide des Finanzamtes aufgehoben . Damit
könnte man sagen: Dem Ansinnen von Bündnis 90/Die
Grünen wurde zumindest in dieser juristischen Instanz
entsprochen, und wir hätten uns die heutige Debatte eigentlich sparen können .
({2})
Ich glaube, bei Ihrem Vortrag ist auch deutlich geworden, dass wir in den nächsten Monaten darüber diskutieren sollten - darüber würde ich sehr viel lieber mit Ihnen
reden -, wie wir die Vereine und die ehrenamtlich engagierten Bürger in unseren Wahlkreisen in Zukunft noch
stärker unterstützen können . Sie wissen, wir haben in der
letzten Wahlperiode im Jahr 2013 die Unterstützung der
ehrenamtlich Tätigen und der Vereine massiv ausgebaut .
Herr Staatssekretär Dr . Meister, wir konnten die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro erhöhen . Außerdem wurde der Ehrenamtsfreibetrag für Vorstandsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und besonders
engagierte Ehrenamtliche im Verein von 500 Euro auf
jährlich 720 Euro angepasst .
Wir haben den Vereinen mehr Rechtssicherheit gegeben, indem wir das, was früher durch Ministererlasse
geregelt worden ist, ins Gesetzblatt aufgenommen haben .
Wir haben die Abgabenordnung geändert . Vor allem haben wir für die Sportvereine die Umsatzsteuergrenze von
35 000 auf 45 000 Euro erhöht . Das alles sind Punkte, die
unsere Vereine voranbringen .
Wenn Sie von Bündnis 90/Die Grünen in der nächsten Legislaturperiode Ihre Ideologie beiseitelassen, dann
könnte ich mir gut vorstellen, dass wir in der nächsten
Legislaturperiode im Jahr 2018 gemeinsam die steuerlichen Rahmenbedingungen für Millionen ehrenamtlich
engagierte Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erneut verbessern . Das wäre wichtig und eine zusätzliche
Investition in unsere Gesellschaft .
Die Kollegin Paus möchte eine Zwischenfrage stellen,
auf die der Redner offenkundig schon die ganze Zeit wartet . Bitte schön .
Herr von Stetten, wie Sie meiner Rede und auch der
Großen Anfrage entnehmen konnten, ging es uns nicht
allein um eine Organisation, sondern es ging uns tatsächlich um das ganze breite Feld der Organisationen . Uns
geht es darum, dass es oftmals schwierig ist, zwischen
gesellschaftlichem Engagement und politischem Engagement zu unterscheiden .
Deswegen wollte ich Sie, wenn Sie da gar keinen
Handlungsbedarf sehen, fragen: Wie schätzen Sie das
ein, was sich im letzten Jahr zugetragen hat? Sehr, sehr
viele Organisationen, Sportvereine und NGOs hatten
sich bei der Unterstützung von Flüchtlingen engagiert
und standen plötzlich vor dem Problem, dass sie von den
Finanzämtern die Meldung bekamen, dass sie, wenn sie
sich so um Flüchtlinge kümmern, ihren Gemeinnützigkeitsstatus verlieren könnten . Fanden Sie es falsch, dass
damals von den Länderministern kurzfristig in einer Ausnahmeregelung reagiert worden ist, oder fanden Sie das
richtig? Inwieweit sehen Sie da nicht doch Handlungsbedarf bezogen auf den allgemeinen Katalog, um solche
Aktivitäten zu ermöglichen und nicht durch Rechtsunsicherheit zu erschweren?
({0})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wenn Sie da Handlungsbedarf erkannt haben, dann ist
es wohl die Aufgabe Ihrer Fraktion, einen Gesetzentwurf
zu formulieren - nicht nur eine Anfrage zu stellen -, der
im Bundestag im Finanzausschuss diskutiert wird . Da
werden wir über die Punkte, die Sie vorschlagen, diskutieren und hier darüber abstimmen . Wenn Sie da Nachholbedarf sehen, dann kann ich Sie nur auffordern: Formulieren Sie die Gesetzentwürfe und stellen Sie nicht nur
Anfragen an die Bundesregierung .
({0})
Auf jeden Fall ist Weihnachten . Ich glaube, wenn wir
uns darauf konzentrieren, dass wir uns um die Vereine
und um die ehrenamtlich Engagierten kümmern, dann
merken Sie auch, wer sich in funktionierenden Vereinen
aufhält . Ich glaube, das liegt auch Ihnen am Herzen .
Wenn Sie in den funktionierenden Vereinen unterwegs
sind, dann spüren Sie die Wärme und sehen, dass diese
Vereine mittlerweile nicht nur Turnorganisationen oder
Sangesorganisationen sind . Vor allem für viele Kinder
bietet die familiäre Atmosphäre schon fast eine Art Heimatersatz; für sie sind die Vereine eine Art Familienersatz geworden .
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und honoriert vor allem die Integrationsleistungen, die in diesen
Vereinen erbracht werden, gerade auch im Hinblick auf
ausländische Jugendliche . Was hier als wesentlicher Beitrag der Vereine von Ihnen gerade noch einmal dargetan
worden ist, kann von staatlicher Seite überhaupt nicht
erbracht werden .
Von daher wünsche ich, da meine Redezeit schon
vorbei ist, Herr Präsident, uns allen eine schöne Weihnachtszeit . Ich wünsche aus konkretem Anlass besonders
all denjenigen, die sich ehrenamtlich in unserem Land
engagieren, eine besinnliche Weihnachtszeit .
Ich meine das Folgende wirklich ernst: Wir sollten
gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode noch
einmal die Änderungswünsche auflisten, die bei uns für
die nächsten Jahre hinsichtlich der Vereine bestehen . Damit können wir viel für die Vereine und für die Stiftungen
tun . Wenn die Grünen ihren Beitrag dazu leisten, dann
ist es immerhin mehr als beim letzten Ehrenamtsgesetz .
Herzlichen Dank .
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat,
das Thema „Abgabenordnung und Gemeinnützigkeit“
klingt erst einmal ziemlich sperrig . Aber dahinter verbergen sich in der Tat wichtige Fragen: Welche Tätigkeiten
schätzen wir als gemeinnützig ein? Welchen Stellenwert
misst unsere Gesellschaft politischem Engagement bei?
Die Abgabenordnung regelt, welche Zwecke steuerlich begünstigt werden . Dazu zählen viele verdienstvolle
Tätigkeiten wie Tierschutz, Altenhilfe, Rettung aus Lebensgefahr und vieles andere mehr . Aber Tätigkeiten, die
nicht so sehr kreativ und dafür mehr politisch sind, gelten
als nicht gemeinnützig . Die Förderung des Friedens, der
Schutz der Menschenrechte, die Förderung des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind heute zweifellos
von extrem hoher Bedeutung . Aber die Abgabenordnung
erkennt sie nicht als steuerbegünstigt an .
Die Bundesregierung empfiehlt in ihrer Antwort auf
die Große Anfrage, solche Aktivitäten - ich zitiere - unter anderen Zwecken zu subsumieren, mit anderen Worten, einfach ein bisschen zu tricksen . Aber das ist ein riskantes Spiel, wie Kollegin Paus hier schon gesagt hat,
weil die Finanzämter die Gemeinnützigkeit bis zu zehn
Jahre rückwirkend aberkennen können .
So ging es etwa der Informationsstelle Militarisierung
in Tübingen . Sie veröffentlicht kritische Analysen zu den
Einsätzen der Bundeswehr und anderes . Auch der Münchener Dokumentationsstelle a .i .d .a ., die unbequeme Informationen zum Rechtsextremismus verbreitet, wurde
die Gemeinnützigkeit aberkannt . Beide konnten sich vor
Gericht erfolgreich wehren . Auch hier wurde deutlich,
wie das Steuerrecht zum Mittel der politischen Disziplinierung werden kann .
({0})
Auch da sage ich ganz klar, sagt die Linke ganz klar:
Nicht mit uns! Engagement gegen den Krieg und gegen
Faschismus ist gemeinnützig und muss es auch bleiben .
({1})
Noch ein Beispiel: Die Abgabenordnung begünstigt
die Soldaten- und die Reservistenbetreuung . Wir sagen:
Es ist auch gemeinnützig, wenn man die Arbeit dieser
Soldaten, sprich: das Kriegsführen, infrage stellt und sich
für den Frieden einsetzt .
({2})
Steuerlich begünstigt ist die Hilfe für Flüchtlinge völlig zu Recht . Falsch und ungerecht ist es aber, das
politische Engagement gegen Abschottung und gegen
die Festung Europa nicht ebenso als gemeinnützig anzuerkennen . Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort
ausdrücklich, dass Gemeinnützigkeit für Aktivitäten gilt,
bei denen die Einwirkung auf die staatliche Willensbildung weit in den Hintergrund tritt . Das zeugt von einem
vordemokratischen Verständnis von Politik bzw . politischer Willensbildung . Wenn die Bundesregierung den
Schutz von Ehe und Familie begünstigt, nicht aber die
Förderung des Schutzes gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, dann agiert sie selbst ausgesprochen politisch,
um ein konservatives Familienbild zu bewahren . Das
geht gar nicht, meine Damen und Herren .
({3})
Die Demokratie lebt von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die dafür sorgen, dass Politik nicht nur in
Parteien und Parlamenten stattfindet, sondern dass auch
die Bürgerinnen und Bürger aktiv eingebunden werden .
Der politische Einsatz für demokratische Ziele trägt im
besten Sinne des Wortes zur Schaffung mündiger Bürgerinnen und Bürger bei . Deshalb fordern wir die Bundesregierung dringend auf, die Regeln für die Anerkennung
von Gemeinnützigkeit zu überarbeiten und hier entsprechend zu handeln .
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen ein schönes
Weihnachtsfest .
({4})
Frank Junge ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorausschicken, dass wohl nichts die Werte unserer Gesellschaft besser verkörpert als das gemeinnützige und ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement der Millionen
Menschen in unserem Land . Dafür muss man an dieser
Stelle zunächst einmal Danke sagen .
({0})
Dieses Engagement stellt die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in allen Bereichen der Gesellschaft
sicher . Das stärkt die Demokratie . Das erwirtschaftet
einen messbaren, milliardenschweren Nutzen für die
Allgemeinheit . Ich halte es deshalb für richtig, gut und
wichtig, dass wir heute über das übergeordnete Thema
Gemeinnützigkeitsrecht sprechen . Ich will es in zwei
Punkten etwas näher beleuchten .
Erstens . Bei dem jüngsten Fall Attac, der sich auch
in einem Gerichtsurteil niedergeschlagen hat, geht es darum, dass es bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit
einen Interpretationsspielraum des Finanzamtes Frankfurt gab, der im folgenden Verfahren vom Finanzgericht
in Kassel einkassiert wurde . Insofern wurde dort Recht
gesprochen, und zwar zugunsten von Attac . Das ist so in
Ordnung . Mit dem Urteil bin ich sehr zufrieden, weil es
nach meinem Dafürhalten zeigt, dass sich Attac korrekt
verhalten hat .
Wir wollen, dass sich gemeinnützige Organisationen
politisch engagieren . Anders könnten sie ihre Satzungszwecke nicht wirksam verfolgen . Klar ist aber auch, dass
das politische Handeln gemeinnütziger Organisationen
kein Selbstzweck sein kann . Es muss als Mittel zum Erreichen eines anerkannten gemeinnützigen Zwecks erfolgen . Allgemeines politisches Handeln ist hingegen kein
anerkannter gemeinnütziger Zweck .
({1})
Es ist Aufgabe der Parteien, die dem Parteiengesetz unterliegen . Eine klare Abgrenzung zwischen der zweckbestimmten politischen Partizipation, die gemeinnützig
sein kann, und dem legitimierten Wirkungskreis von Parteien halte ich daher für zwingend notwendig und richtig .
({2})
Darum ist das Urteil zu Attac in meinen Augen auch eine
Bestätigung, dass unsere Regelungen im Gemeinnützigkeitsrecht gut und geeignet sind, die politische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger prinzipiell zu fördern .
({3})
Zweitens . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich
Menschen schon freiwillig und selbstlos in gemeinnützig
tätige Organisationen einbringen und unserer Demokratie und der Gesellschaft so einen unschätzbaren Nutzen
erweisen, dann muss es unsere Aufgabe als Parlamentarier sein, die Rahmenbedingungen dafür so unkompliziert
wie nur eben möglich zu gestalten . Unter diesem Gesichtspunkt halte ich den vorhandenen Zweckkatalog der
Abgabenordnung in der Tat für schon lange nicht mehr
zeitgemäß . Ihn müssen wir uns vornehmen .
({4})
Zum einen müssen wir weitere und klug abgewogene Zweckbestimmungen aufnehmen . Denn es kann zum
Beispiel nicht sein - da komme ich auf Ihr Beispiel zurück, Frau Jelpke -, dass sich Einrichtungen, die sich für
die Rechte von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen
einsetzen, andere in der Abgabenordnung gelistete Zwecke zu eigen machen müssen, weil sie für sich selbst
nichts finden. Zum anderen müssen wir vorhandene
Zweckbestimmungen einfach klarer und präziser formulieren, damit der Interpretationsspielraum für Finanzämter eingeschränkt wird und es über diesen Weg zu mehr
Rechtssicherheit kommt .
({5})
Dieser Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns fraktionsübergreifend in Kürze annehmen;
denn ich bin der festen Überzeugung, dass eine unter diesen Gesichtspunkten angepasste Abgabenordnung noch
viel mehr Bürgerinnen und Bürger motiviert, sich für das
Allgemeinwohl zu engagieren .
Vielen Dank .
({6})
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Frank Steffel .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die
34 Fragen von Bündnis 90/Die Grünen gelesen und am
Anfang gar nicht verstanden, worum es Ihnen eigentlich
geht . Der wesentliche Teil der Fragen beschäftigt sich
mit ziemlich pauschalen Verdächtigungen dahin gehend,
dass es irgendeine Einflussnahme von Unternehmen oder
von Bürgerinnen und Bürgern gibt, indem sie vermeintlich gemeinnützigen Organisationen Geld zur Verfügung
stellen und damit offenkundig parteipolitisch missbräuchlich Ziele verfolgen .
Das haben Sie hier jetzt nicht zum Mittelpunkt gemacht, aber zumindest erschließt sich nun für mich, worum es Ihnen im Wesentlichen geht . Sie wollen, dass alle
politischen Vorfeldorganisationen, egal welches Ziel sie
verfolgen, in Deutschland relativ pauschal die Gemeinnützigkeit zugesprochen bekommen .
({0})
Ich glaube, das kann nicht unser gemeinsames Ziel
sein . Es ist so, dass sehr viele NGOs und sehr viele Organisationen im vorpolitischen und im gesellschaftlichen
Raum in der Tat gemeinnütziges Engagement zeigen und
sich auch für das Wohl des Gemeinwesens einsetzen,
aber das kann nicht pauschal für jede Organisation gelten . Insofern bin ich dem Kollegen von den Sozialdemokraten sehr dankbar . Auch wir sind der Auffassung, dass
wir uns die Abgabenordnung anschauen müssen, dass
wir schauen müssen, ob da alles noch zeitgemäß ist . Das
ist übrigens ein permanenter Prozess, da die Gesellschaft
sich ja auch sehr dynamisch entwickelt .
Aber ich will genauso klar sagen, liebe Frau Paus:
Es ist nicht jede NGO, die sich politisch engagiert, nur
weil sie eine Vorfeldorganisation der Grünen ist, gleich
gemeinnützig . Hier muss von den Finanzämtern sehr
genau hingeguckt werden . Wenn die Finanzämter eine
Entscheidung treffen - und ich freue mich darüber, dass
das in Deutschland offenkundig funktioniert -, dann ist
es in einem Rechtsstaat normal, dass ein Gericht diese
Entscheidung überprüft und in vielen, vielen Fällen dem
Finanzamt sagt: Nein, ihr seid über das Ziel hinausgeschossen . - Das ist im Fall Attac und in vielen anderen
Fällen so geschehen . Insofern können wir positiv feststellen: Unser Rechtsstaat funktioniert .
({1})
Wir haben viele Themen, um die wir uns kümmern
müssen . Ich glaube, dass gerade in der Weihnachtszeit mein Kollege von Stetten hat darauf hingewiesen - bürgerschaftliches Engagement und gemeinnütziges Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, aber natürlich
auch von Organisationen und Unternehmen erwünscht
sind . Ich sehe hier überhaupt keinen gesellschaftlichen
Dissens darüber, dass auch Unternehmen sich bekennen
und dass auch Unternehmen sich engagieren .
Sie haben in einem Großteil Ihrer Fragen ja eine sehr
kritische Position eingenommen . Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, dass Gesicht-Zeigen und Sich-Bekennen in einem Gemeinwesen
dazu gehören und dass es für die Parteien gut ist, wenn
wir wissen, dass Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen sich in der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung
klar und vernehmbar artikulieren .
Ich glaube, es ist zu dem Thema im Plenarsaal heute
alles gesagt . Ich bin in der Tat der Auffassung, wir sollten uns im Finanzausschuss mit dem Thema noch einmal beschäftigen . Wir sollten noch einmal schauen, wo
hier nachzujustieren ist, aber ich mache einen Vorschlag:
Sie ersparen uns in Zukunft Anfragen mit 34 Fragen und
diversen Unterpunkten, ich erspare Ihnen meine letzten
zwei Minuten Redezeit . Wir haben dann gemeinsam heute etwas früher Feierabend und hoffentlich eine schöne
Weihnachtszeit .
Herzlichen Dank .
({2})
Letzte Rednerin ist die Kollegin Svenja Stadler für die
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Ich spreche heute zu Ihnen als
engagementpolitische Sprecherin meiner Fraktion .
({0})
- Wow, ja, bei der SPD schon;
({1})
denn wir schätzen das Ehrenamt wert .
({2})
In meinem Wahlkreis gibt es unter anderem zwei soziale Kaufhäuser in zwei verschiedenen Orten . Beide haben denselben Träger, und beide haben dasselbe Profil
und dasselbe Ziel, nämlich sie wollen bedürftigen Menschen die Möglichkeit geben, für wenig Geld etwas mehr
als nur das Allernotwendigste zu kaufen .
Doch eines unterscheidet die beiden Häuser: Für sie
sind unterschiedliche Finanzämter zuständig . So kommt
es, dass das eine alle drei Jahre um die Zuerkennung der
Gemeinnützigkeit fürchten muss . Bisher ist alles gut gegangen, doch wenn ich einmal über meinen Wahlkreis hinausschaue, dann sehe ich, dass das nicht überall der Fall
ist . Deshalb müssen wir die Regeln für Gemeinnützigkeit
in unserem Land dringend verbessern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bürgerschaftliches
Engagement ist ein Grundpfeiler für eine moderne und
demokratische Gesellschaft . Diejenigen, die sich freiwillig, unentgeltlich und uneigennützig für andere Menschen einsetzen, stärken unsere Demokratie besonders .
({3})
Unsere demokratische Gesellschaft braucht sie, um die
nötige Widerstandsfähigkeit zu entwickeln - gegen Ausgrenzung, Egoismus und Menschenfeindlichkeit, und ich
werde nicht müde, das in diesem Hause immer wieder
zu betonen .
Doch wir müssen mehr tun, als das nur zu betonen
und zu wiederholen . Wir müssen den engagierten Bürgerinnen und Bürgern die Rahmenbedingungen bieten, die
sie brauchen . Dazu gehört an allererster Stelle Planungssicherheit . Um das zu erreichen, müssen wir beispielsweise dafür sorgen, dass die Zuständigkeit der einzelnen
Finanzämter nicht mehr zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Auslegungen von Gemeinnützigkeit führt;
({4})
denn eine Situation wie die der beschriebenen Sozialkaufhäuser in meinem Wahlkreis ist Gift für bürgerschaftliches Engagement . Sie führt zu Unsicherheit unter
den Engagierten und zu Unverständnis gegenüber der
Ungleichbehandlung . Im schlimmsten Fall führen Frustration und das Ohnmachtsgefühl zum Ende des Engagements . Wollen wir das?
({5})
Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen,
können nicht ohne die aktive Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen bewältigt werden . Das
Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht muss Beteiligung
ermöglichen und fördern und darf ihr keine Steine in den
Weg legen .
({6})
Deshalb unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion
eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts,
({7})
eine Modernisierung, die den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre und Jahrzehnte auch im Steuerrecht
widerspiegelt; eine Modernisierung, die anerkennt, dass
Zivilgesellschaft heute mehr ist als das „Ehrenamt“ von
früher; eine Modernisierung, die zur Entbürokratisierung
beiträgt .
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer anpackt, will
auch mitbestimmen . Engagement ist mehr als nur die
karitative Wohlfahrtspflege. Es ist längst Ausdruck eines
aktiven Mitgestaltungsanspruchs der Zivilgesellschaft,
einer Zivilgesellschaft, die aktiv zur politischen Willensbildung beiträgt, unsere Demokratie bereichert, gestaltet
und stärkt .
Das bürgerschaftliche Engagement befindet sich im
Wandel . Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Regeln,
denen es unterliegt, mit diesem Wandel Schritt halten
können . Reden wir nicht nur, packen wir es endlich an!
Vielen Dank .
({9})
Frau Kollegin, ich hoffe, dass ich durch die Zugabe
der Redezeit die Störung wiedergutgemacht habe, für die
ich mich entschuldigen möchte .
Zu beschließen haben wir jetzt nichts, sodass wir mit
den im Protokoll festgehaltenen Reden diesen Tagesordnungspunkt für heute beenden .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016
({0})
Drucksache 18/10500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch das
scheint unstreitig . Dann verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Jens Spahn .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Ausbau und die Verstetigung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen sind der Bundesregierung ein großes Anliegen, wie wir schon in den vergangenen Haushalten
gezeigt haben . Das ist ein Schwerpunkt unserer Haushaltspolitik, und das drückt auch dieser Nachtragshaushalt für 2016 aus, den wir heute in erster Lesung beraten .
Wir haben im Jahr 2016 bereits 31,5 Milliarden Euro
für Investitionen in die Straße, die Schiene, den Breitbandausbau und viele andere Dinge vorgesehen . Es gibt
sogar so viel zusätzliches Geld, dass wir feststellen müssen, dass nicht das fehlende Geld der Engpass ist, wenn
es darum geht, Bundesinfrastrukturprojekte voranzubringen, sondern dass die Planungsprozesse den eigentlichen
Engpass darstellen . An dieser Stelle - das ist aber eine
andere Debatte - müssen wir darüber reden, wie wir die
Planung für Infrastrukturinvestitionen in Deutschland
gestalten können .
Zu diesen 31,5 Milliarden Euro, die schon für 2016
geplant waren, werden jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro zusätzlich mit diesem Nachtragshaushalt für
Investitionen bereitgestellt . Das ist eine Steigerung von
deutlich mehr als 10 Prozent und ist damit noch einmal
ein deutliches Zeichen dafür, dass diese Koalition einen
Schwerpunkt auf öffentliche Infrastrukturinvestitionen
legt .
({0})
Das Neue, das wir hier möglich machen wollen - dazu
brauchen wir noch die Begleitgesetze; wir schaffen hiermit die haushaltsrechtliche Grundlage, aber es braucht
noch grundgesetzliche und andere gesetzliche Änderungen -, betrifft Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur . Mit diesen 3,5 Milliarden Euro stellen wir
als Bund zusätzlich zu den bereits vorhandenen 3,5 Milliarden Euro im kommunalen Investitionsförderungsfonds also insgesamt 7 Milliarden Euro für Investitionen
in den Kommunen zur Verfügung . Auch das ist einmal
mehr ein deutliches Zeichen - im Übrigen zusätzlich zu
vielen Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten beschlossen haben - dafür, wie stark sich der Bund bei der
Unterstützung der Kommunen, der Städte und Gemeinden engagiert .
({1})
Das, wofür wir hier die haushaltsrechtliche Grundlage schaffen und die 3,5 Milliarden Euro bereitstellen,
nämlich für stärkere Investitionen in die kommunale
Bildungsinfrastruktur, ist Bestandteil des Bund-Länder-Kompromisses, der die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern betrifft . Natürlich
kann man - das werden wir in den nächsten Monaten so
miteinander tun, wie wir es in den letzten Monaten schon
gemacht haben - trefflich darüber streiten, wie dieses
Zusammenspiel von Bund und Ländern im Föderalismus
geordnet sein soll, bei wem welche Kompetenzen liegen
und welche Entscheidungen bei Kompetenzverschiebungen tatsächlich welche langfristigen Folgen haben werden . Das ist sicherlich ein Punkt, bei dem es zur Frage
der Bildungsfinanzierung etwas zu debattieren gibt.
An einer Stelle aber gibt es, glaube ich, keine Debatte:
Der Bedarf ist objektiv da, was Investitionen in Schulen
und in die Bildungsinfrastruktur vor Ort angeht .
({2})
Ich jedenfalls kenne viele Eltern, hier in Berlin und anderen Städten, die sich schon die Frage stellen, warum
manchmal mit viel medialer Aufmerksamkeit über geschlechterneutrale Toiletten diskutiert wird, während sie
erleben müssen, dass ihren eigenen Kindern nur ziemlich
desolate Schultoiletten zur Verfügung stehen . Die Folge
ist, dass sich die Kinder mitunter gar nicht trauen, auf
diese Toiletten zu gehen, und sie gar nicht mehr benutzen
mögen . Der Zustand der Toiletten oder der Schulbauten
insgesamt ist mitunter unhaltbar . Deswegen ist es gut,
dass wir mit dem, was wir hier vorhaben, einen Schwerpunkt setzen . Der Bedarf jedenfalls für mehr Investitionen in Schulen und in die Bildungsinfrastruktur - jenseits
aller kompetenzrechtlichen Fragen - ist vorhanden .
Das bringt mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
abschließend zu der grundsätzlichen Bemerkung, dass
wir - auch das ist eigentlich etwas Besonderes, wenn Sie
sich anschauen, was in anderen Ländern in Europa und
der Welt los ist, was die haushaltsrechtliche Ausgangslage angeht - im Jahr 2016 einen Spielraum haben, den
wir nutzen können, nicht zuletzt, weil wir für unsere
Schulden weniger Zinsen zahlen müssen . Wir können
uns, ohne uns neu zu verschulden, 3,5 Milliarden Euro
zusätzliche Investitionen leisten .
Wir zeigen also: Ein ausgeglichener Haushalt und zugleich Wachstumsimpulse - das ist möglich . Das zeigen
wir auch mit diesem Nachtrag . Wir zeigen einmal mehr
einen ausgeglichenen Haushalt . Das heißt am Ende: Wir
lassen Spielraum für künftige Generationen . Ein ausgeglichener Haushalt ist möglich, und gleichzeitig kann
man zusätzliche Investitionsimpulse, die im Übrigen ja
auch künftigen Generationen dienen, setzen . Wir zeigen,
nicht nur für Deutschland, sondern durchaus auch für andere Länder, dass beides zusammen geht . Auch das ist ein
wichtiges Signal, das dieser Nachtragshaushalt sendet .
In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen,
freue ich mich auf spannende parlamentarische Beratungen .
({3})
Dann wollen wir mal gucken, ob die Spannung gleich
in dieser Debatte ausbricht .
({0})
Der Erste, der das vorführen könnte, ist der Kollege
Claus für die Fraktion Die Linke .
({1})
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Angesichts der vorweihnachtlichen
Stimmung, die im Plenarsaal Einzug gehalten hat, möchte ich Ihnen ganz besonders herzlich für Ihre Rede und
überhaupt für Ihren Beitrag zum Gelingen des allfraktionellen Adventssingens am heutigen Abend im Deutschen
Bundestag danken . Auch so etwas geht im Parlament .
({0})
Als dieser Nachtragshaushalt von Bundesminister
Schäuble zum ersten Mal angekündigt wurde, hat die
Linke das begrüßt und gesagt: Chapeau, Herr Schäuble!
Gut, dass Sie mit dem Überschuss zu Frau Wanka statt
wieder zu Frau von der Leyen gegangen sind .
({1})
Übersetzt heißt das: Besser mehr Geld für Bildung als
für das Militär .
Aber dann haben wir festgestellt, dass wir den Bundesfinanzminister wohl zu früh gelobt haben. Zu der
Erkenntnis kam Bundesminister Schäuble nämlich nicht
freiwillig, wie wir inzwischen wissen, sondern offenbar
auf Druck der Länderchefs . Die Begründung Ihres Gesetzentwurfes besagt: Hier wird die Voraussetzung dafür
geschaffen, dass die Bund-Länder-Vereinbarung vom
14 . Oktober 2016 umgesetzt werden kann . Gemeint ist
die Zukunft der Bund-Länder-Finanzbeziehungen .
Im Klartext heißt das: Ohne diese Investitionen wäre
dieser Finanzpakt mit den Ländern nicht möglich gewesen . Deshalb sollte sich der Bund nicht als Weihnachtsmann darstellen, der den Kommunen die Geschenke
überbringt . Richtiger wäre es an dieser Stelle, zu sagen:
Wenn wir wirklich vernünftige Investitionen in Bildung
und Infrastruktur wollen, dann müsste man mit dem Kooperationsverbot Schluss machen und ein zukunftsfähiges Investitionsprogramm auflegen.
({2})
Allerdings ist zu begrüßen, dass mit diesem Geld
Investitionen in Schulinfrastruktur für finanzschwache
Kommunen getätigt werden können .
({3})
Ich habe das einmal zusammengerechnet: Für Ostdeutschland sind das 675 Millionen Euro .
({4})
Einen solchen Schritt zu mehr Investitionstätigkeit begrüßen wir als Linke natürlich .
({5})
Woher kommt das Geld? Auch das findet sich im Gesetzentwurf: Der Bund zahlt weniger Zinsen für seine
Schulden als geplant . Das muss nicht immer so bleiben;
darauf weisen Forschungsinstitute inzwischen hin .
Deshalb wird die Linke nicht müde werden, zu fordern: Schaffen Sie endlich zukunftsfähige Politik für
mehr Einnahmen! Schaffen Sie Steuergerechtigkeit!
Dann haben wir auch die zukunftsfähige Möglichkeit, in
Bildung zu investieren .
({6})
Es kommt zuweilen vor, dass vor allzu viel schwarzer Null die Öffentlichkeit annimmt, der Bund habe nun
keine Schulden mehr . Es sind immer noch 20 Milliarden
Euro, die wir für Zinsen einstellen müssen, bzw . dafür,
um die Schulden zu tilgen . Auch das darf nicht vergessen
werden .
Abschließend will ich noch auf einen weiteren Punkt
hinweisen . In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
heißt es, die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hätten am 14 . Oktober einen Beschluss gefasst . Ich frage
Sie: Was ist denn das für ein Beschlussorgan, das da zusammenkommt?
({7})
Gestern hat Bundesminister Schäuble in der Regierungsbefragung gesagt: Natürlich sind noch Änderungen möglich . - Das Parlament ist aber gewählt, um
gesellschaftliche Gestaltung in Gesetze zu gießen . Das
Parlament ist nicht gewählt, um nur die Ergebnisse von
Nachtverhandlungen von Regierungschefs abzunicken .
Das verlangen Sie aber von uns, und das nehmen wir so
nicht hin . Das sei Ihnen einmal gesagt .
({8})
17 Regierungschefs sind uns lieb und teuer . Das ist
klar . Dennoch haben sie nicht das Recht, den Parlamenten vorzuschreiben, was sie zu entscheiden haben .
Selbstverständlich werden auch wir heute für die
Überweisung stimmen . In der abschließenden Lesung
werden wir uns auch für diese Investitionen aussprechen,
aber dann eine getrennte Abstimmung verlangen, weil
wir nicht mit der Zustimmung für die Schulinvestitionen
einem Haushalt, den wir insgesamt abgelehnt haben, auf
diese Weise nachträglich zustimmen wollen . Dafür ist
kein Platz .
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Claus hat eben erwähnt, dass er das,
was diese Große Koalition macht, unterstützt und in der
Sache gut findet.
({0})
Das hat man nicht allzu häufig. Wir sind nicht nur auf
dem richtigen Weg, sondern tun auch etwas sehr Vernünftiges .
({1})
Wir haben durchgesetzt, dass 3,5 Milliarden Euro mehr
ausgegebenen werden - der Herr Staatssekretär hat das
erwähnt - für die Bildungsinfrastruktur in den Ländern .
Das ist eine echte Leistung, die sich sehen lassen kann .
({2})
Das bedeutet zwar noch kein Fallen des Kooperationsverbotes - Weihnachten fällt nun einmal nicht auf Ostern -, aber es ist immerhin schon mal ein Aufbrechen . Es
ist ein erster Schritt in die richtige Richtung .
({3})
- Jetzt könnte der Koalitionspartner auch einmal klatschen . Also: Halten Sie sich ran!
({4})
Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass unser
Parteivorsitzender und Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie unsere Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen das in den Verhandlungen durchgesetzt haben .
({5})
Das ist ein wesentlicher Punkt guter sozialdemokratischer Politik . Im Ergebnis soll mit diesem Nachtragshaushalt erst der Anfang gemacht werden . Wir wollen
Schulsanierungen in den Städten und Stadtteilen, wo es
am schwierigsten ist, wo am wenigsten Geld vorhanden
ist . Wenn das das Ziel ist, dann muss später auch das Ergebnis entsprechend sein . Ich habe mich sehr gefreut,
dass Staatssekretär Spahn das genauso sieht . Ich bin mir
sicher, dass wir das dank seiner Unterstützung und nach
den salbungsvollen Worten, die er uns hat angedeihen
lassen, umsetzen können . Für uns als SPD ist wichtig,
dass bis 2021 die Schulen in ganz Deutschland saniert
und modernisiert sind und dass es ein verlässliches Ganztagsangebot gibt .
({6})
Wenn der Bund die Länder dabei unterstützen kann, dann
ist das richtig, wichtig und gut .
Gleichzeitig findet das Ganze - das hat der Kollege
Claus zu Recht angemerkt - in einem größeren Rahmen
statt . Die Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen haben begonnen . Wir werden uns noch
über Infrastrukturgesellschaften für Autobahnen und
vieles andere unterhalten . Aber eines muss an dieser
Stelle gesagt werden: Wenn die Länder etwas mit 16 : 0
beschließen und das mit dem Bund, also mit der Bundesregierung, vereinbaren, dann ist das schön, hat aber
erst einmal keinerlei Wert . Das ist ein Muster ohne Wert .
Da hat die Exekutive aus den Ländern mit der Exekutiven auf Bundesebene eine Absprache getroffen; das ist
schön . Aber mit der Absprache kommen sie nur so weit,
wie wir im Deutschen Bundestag unsere Beschlussfassung darauf abstellen . Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass für uns alle immer noch das Struck’sche Gesetz gilt: Kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag
so, wie es in den Deutschen Bundestag hineingekommen
ist. Das heißt, wenn im Februar die erste Lesung stattfindet, werden wir uns das in aller Ruhe und Gelassenheit
anschauen . Es wird viele Expertengespräche und Anhörungen geben . Wir werden uns dann in den kommenden
Monaten in aller Ruhe und Gelassenheit sowie mit viel
Zeit und Sachverstand die einzelnen Themen vornehmen
und nach und nach abhandeln .
({7})
Wir Haushälter werden das in engem Schulterschluss
mit den jeweiligen Fachpolitikern machen, weil das für
uns alle ein wichtiges Thema ist und weil wir Weichenstellungen für die Zukunft vornehmen . Grundgesetzänderungen macht man nicht irgendwann und irgendwie .
Angesichts der geforderten Mehrheiten bekommt man
das nur hin, wenn man sich einig ist .
Es ist gut, dass die 3,5 Milliarden Euro, über die wir
reden, in dem in Rede stehenden Paket enthalten sind,
und das kann dann zusammen mit den Grundgesetzänderungen aufgerufen werden. Denn das Geld fließt ja nicht,
bevor nicht die entsprechenden Gesetzesänderungen gekommen sind . Wir werden über das Gesamtpaket im Parlament diskutieren . Ich hoffe, dass wir alle die Zeit und
die Ruhe haben, darüber gründlich zu diskutieren; denn
wir werden später zur Verantwortung gezogen, wenn hier
etwas auf die Beine gestellt wird, was nicht vernünftig
und sinnvoll ist . Mir ist wichtig, dass die Große Koalition das gelassen, entspannt und mit viel inhaltlicher Vorbereitung angeht . Ich würde mich freuen, wenn sich die
Opposition konstruktiv beteiligen würde . Dann könnten
wir vielleicht auch vieles gemeinsam beschließen . Ich
freue mich schon darauf, mit dem Kollegen Eckhardt
Rehberg im engen Schulterschluss dieses zu beschließen .
Vielen Dank .
({8})
Bevor der Kollege Rehberg das nun ausdrücklich bestätigen kann, hat der Kollege Sven-Christian Kindler
die Gelegenheit, den Weihnachtsfrieden zu stören . Bitte
schön, Herr Kollege .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie müssen nach meiner Rede bewerten, ob
das eingetreten ist .
Ich will mit etwas Positivem anfangen. Auch wir finden es gut, dass jetzt 3,5 Milliarden Euro für marode
Schulen zur Verfügung gestellt werden . Wir unterstützen
auch den kommunalen Investitionsfonds und den Finanzschlüssel, den es für die Kommunen in dieser Hinsicht
gibt . Von daher begrüßen wir das .
({0})
- Bringen wir uns einmal positiv ein . Ich hoffe, die SPD
wird auch weiterhin bei meiner Rede klatschen . Man
muss trotzdem ein bisschen Wasser in den Wein gießen .
Es war nicht die Bundesregierung, die in den Haushaltsberatungen 3,5 Milliarden Euro für marode Schulen
vorgesehen hat . Wir haben das beantragt . In den Haushaltsberatungen hat die Bundesregierung noch abgelehnt, mehr für marode Schulen zur Verfügung zu stellen . Es waren nachher die Bundesländer mit ganz vielen
Regierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, die in
den Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen dafür gesorgt haben, dass dieses Geld jetzt fließen wird . Das begrüßen wir . Das möchte ich deutlich
feststellen .
({1})
Man muss auch noch einmal darstellen - auch das
wurde schon gesagt -, dass das KfW-Kommunalpanel
festgestellt hat, dass der Investitionsstau in den Kommunen in der Größenordnung von circa 34 Millionen
Euro liegt . Da sagen wir auch klar: 3,5 Milliarden Euro
können und dürfen nur der Anfang sein . Wir brauchen
deutlich mehr, um bröckelnde und marode Schulen in
Deutschland zu sanieren .
({2})
Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung das eigentlich nicht viel früher gemacht? Das liegt auch daran,
dass gerade der Unionsteil der Bundesregierung, insbesondere Herr Schäuble, lange geleugnet hat, dass es überhaupt ein Investitionsdefizit in Deutschland gibt. Auf der
Grundlage einer mangelhaften Analyse kann man aber
auch keine gute Investitionsstrategie aufbauen .
Wenn man sich den Haushalt anschaut, dann sieht
man, dass Investitionen gesteigert wurden . Wenn es aber
mehr Geld gab, war dies eher dem Prinzip Zufall zu verdanken . Wenn es niedrige Zinsen und hohe Steuereinnahmen gab, wurden Investitionsprogramme aufgelegt . Aber
wenn man sich den Finanzplan anschaut, stellt man fest,
dass das nicht nachhaltig und dauerhaft ist . Die Investitionsquote stürzt bis 2020 auf 8,8 Prozent ab . Wir sagen:
Wir müssen dauerhaft mehr in Deutschland investieren,
wir müssen eine dauerhafte und sinnvolle Investitionsstrategie für Deutschland entwickeln .
({3})
Investitionspolitik nach Kassenlage ist auch problematisch für die Kommunen . Wir sehen, dass die Investitionsprogramme sehr kurzfristig aufgelegt wurden, ohne
Plan, ohne Strategie. Gerade für finanzschwache Kommunen ist das ein Problem, weil die eben nicht die Planungen zum Beispiel für Schulsanierungen in der Schublade haben . Um das einmal konkret zu machen: Eine
komplette Schulsanierung inklusive Planung braucht bis
zu fünf Jahre. Gerade finanzschwache Kommunen haben
häufig nicht die Ressourcen und haben nicht die Pläne
in der Schublade, um die Sanierung sofort umzusetzen .
Deswegen fordern wir Sie auf: Hören Sie auf mit dieser
Zickzackinvestitionspolitik . Wir brauchen eine dauerhafte und verlässliche Investitionspolitik für unsere Kommunen in Deutschland .
({4})
Grundlegende Probleme werden mit dem Bund-Länder-Finanzkompromiss leider auch nicht angegangen .
Lösungen wurden von der Bundesregierung nicht in
die Verhandlungen eingebracht . Wenn wir uns strukturschwache Kommunen in Deutschland anschauen, dann
sehen wir, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft .
({5})
- Ich sage gleich etwas dazu, Kollege Kahrs . Nicht so
aufregen!
Wenn man sich anschaut, dass die Schere zwischen
Arm und Reich in Deutschland weiter aufgeht, die Kommunen einen Investitionsstau von 136 Milliarden Euro
haben, und wenn wir sehen, dass es Kassenkredite von
50 Milliarden Euro gibt und die Soziallasten der Kommunen immer größer werden, dann sehen wir ein, dass
wir strukturelle Lösungen brauchen .
Wir haben vorgeschlagen, dass der Soli nicht abgeschafft wird, wie die Unionsfraktion das plant, sondern
dass es eine Altschuldenhilfe für überschuldete Kommunen gibt, man den Soli erhält, neu begründet und ausrichtet und damit finanzschwache Kommunen unterstützt.
Wir brauchen strukturelle und dauerhafte Lösungen,
um finanzschwache Kommunen zu unterstützen. Das ist
wichtig für die Kommunen und für unsere Demokratie in
Deutschland .
({6})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wichtig ist, dass man
das Kooperationsverbot endlich fallen lässt . Es ist völlig
klar, dass wir mehr Bildungsinfrastruktur in Deutschland
brauchen .
({7})
Wir brauchen ein Kooperationsgebot, eine Abschaffung
des Kooperationsverbots in Deutschland .
({8})
- Ich sage Ihnen auch gerne etwas zu Baden-Württemberg und zu Herrn Kretschmann . Herr Kretschmann
sperrt sich nicht dagegen, dass es mehr Geld für die Kommunen in Deutschland gibt, um das einmal klarzustellen .
({9})
- Ich würde etwas ruhig sein, liebe Union und liebe
SPD. - Es gibt Konflikte in allen Parteien über das Thema Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern .
Ich will noch einmal daran erinnern, wer das Kooperationsverbot in die Verfassung geschrieben hat .
({10})
Das waren nicht die Grünen . Kollege Kahrs, wer hat das
Kooperationsverbot in die Verfassung geschrieben? Das
waren die SPD-Bundestagsfraktion und die Unionsbundestagsfraktion . Ich würde lieber einmal ein bisschen
Demut zeigen . Für das Kooperationsverbot in Deutschland ist die Große Koalition verantwortlich .
({11})
- Wir wollen das ändern; ihr habt es eingeführt . Ehrlich
gesagt, wünsche ich mir, dass die SPD mit uns an einem
Strang zieht und hier keine billige Parteipolemik austrägt .
({12})
Ich finde, in dieser Frage muss sie vom hohen Ross herunterkommen .
Durch die Große Koalition wurde mit dem Haushalt
nicht das Problem strukturschwacher Kommunen gelöst .
Es gibt keine gute Investitionsstrategie . Die Investitionen
stürzen bis 2020 ab . Ich würde dazu raten, an der Lösung
dieser Probleme zu arbeiten, liebe Große Koalition . Das
wäre besser, als hier polemische Reden zu halten, Kollege Kahrs .
Vielen Dank .
({13})
Herr Kindler, da Sie mich ohne Not ausdrücklich zu
einer Bewertung aufgefordert haben: Es fing weihnachtlicher an, als es geendet hat,
({0})
was aber verfassungsrechtlich ausdrücklich zulässig ist .
Jetzt ist der Kollege Rehberg an der Reihe .
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit, Kollege Claus, hier kein falscher Eindruck entsteht:
Bei der Abstimmung im Bundestag in einigen Wochen
wird es nicht heißen: „Das Gesetz ist in der Fassung der
MPK-Beschlüsse angenommen“, sondern: „Das Gesetz
ist in der Ausschussfassung angenommen .“
({0})
Vorweg wird es gründliche Beratungen geben müssen - da stimme ich Johannes Kahrs voll zu -, weil sich
gerade bei diesem Thema viele Fragen stellen: Was sind
finanzschwache Kommunen? Wie ist die entsprechende
Legaldefinition? Schauen Sie sich einmal die Protokollerklärung der drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und
Bremen zu diesem Thema an . Diese drei Länder haben
deutlich gemacht, dass Kassenkredite bei Stadtstaaten
nicht vorkommen . Oder schauen Sie sich einmal die
Proto kollerklärung des Landes Thüringen an, formuliert
in Abstimmung von Linken, SPD und Grünen . In dieser
Erklärung wird - aus meiner Sicht: zu Recht - hinterfragt, ob Kassenkredite Merkmal finanzschwacher Kommunen sind . Drei Viertel der Kassenkredite in Deutschland lasten auf drei Ländern: Nordrhein-Westfalen hat
48 Prozent dieser Kredite, Hessen und Rheinland-Pfalz
zusammen 27 Prozent, macht insgesamt 75 Prozent . Was
die Kommunalaufsicht in den einzelnen Ländern, auch in
meinem Heimatland, angeht, handelt jeder Innenminister
nicht zwingend nach Parteibuch, sondern nach eigenem
Ego und Gustus; alle handeln also ein Stück weit anders .
Sind nicht vielleicht die Steuerkraft, die Zahl der Arbeitslosen, die Höhe der Sozialausgaben, der Kosten der Unterkunft Merkmale finanzschwacher Kommunen?
Wir müssen auch in Ruhe betrachten: Wir verteilen
nur die 3,5 Milliarden Euro .
({1})
An wen dieses Geld in den Ländern geht, das entscheiden
die Länder. Die Länder definieren ganz unterschiedlich,
was bei ihnen als finanzschwach gilt. Schaut euch einmal
die Bewilligung des ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paketes
an! Die darin enthaltenen Mittel sind nicht zwingend
immer nur an finanzschwache Kommunen gegangen. Es
gibt große Städte, die hohe Kosten der Unterkunft haben,
aber auch hohe Gewerbesteuereinnahmen .
Meine Sorge ist: Als das erste 3,5-Milliarden-Euro-Paket geschnürt wurde, wurde beschlossen, den Verteilungsschlüssel einmalig anzuwenden . Jetzt aber wird
eine Brücke geschlagen: Artikel 104c Grundgesetz soll
geändert werden, einhergehend mit der Verabschiedung
eines Begleitgesetzes, sodass es zu einer Legaldefinition kommt, was finanzschwache Kommunen sind, was
weiter gehende Auswirkungen hat . Insofern müssen wir
uns unabhängig von Wahlterminen und Länderinteressen
sehr gründlich anschauen, was wir an dieser Stelle machen; denn das hat Langzeitwirkung .
({2})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, Kollege
Kindler . Nötig sind Investitionen in Höhe von 136 Milliarden Euro . Ein Kollege von Ihnen hat gestern gesagt,
es gebe bei Schulen einen Sanierungsstau in Höhe von
34 Milliarden Euro . Das Entlastungsvolumen der letzten sieben Jahre bei Ländern und Kommunen betrug
95 Milliarden Euro . Das diente der Finanzierung von
Grundsicherung im Alter, BAföG usw . usf . Die Steuermehreinnahmen der Länder sind in den letzten Jahren
höher als die des Bundes gewesen . Länder und Kommunen gemeinsam haben von 2010 bis 2016 Steuermehreinnahmen von 95 Milliarden Euro gehabt . Ich glaube, wir
dürfen die Länder und Kommunen hier nicht ganz aus
der Pflicht lassen. Es ist nämlich die Frage zu stellen:
Was machen die mit ihren Steuermehreinnahmen? Allein das Entlastungspaket, das wir vor einigen Wochen
beschlossen haben - Stichwort „Übernahme Asylkosten“
und 5-Milliarden-Euro-Paket -, bedeutet 17 Milliarden
Euro für die nächsten drei Jahre . Deswegen ist es schon
berechtigt, immer wieder kritisch zu hinterfragen: Was
passiert mit dem Geld, das der Bund an die Länder weiterreicht?
Ich will manchen Kolleginnen und Kollegen hier einmal einen Zahn ziehen: Wer meint, dass die Umsatzsteuer
der Gemeinden eins zu eins an die Kommunen geht, der
irrt sich. Diese Umsatzsteuer fließt in die kommunalen
Finanzausgleichssysteme . Gucken Sie sich einmal die
Verbundquoten oder Gleichmäßigkeitsgrundsätze an: Da
gehen teilweise über 80 Prozent in den Landeshaushalt .
Das heißt, wer meint, 1 Euro der Umsatzsteuer der Gemeinden ginge komplett an die Gemeinden, liegt falsch;
da kommen höchstens 20 Cent an .
({3})
- Lieber Herr Rossmann, Herr Liebing sieht das überhaupt nicht anders . Ich rate jedem in unserer Debatte: Wir
helfen finanzschwachen Kommunen; deswegen müssen
wir gründlich beraten . Denn das, was wir heute tun, wird
Langzeitwirkung haben . Wenn die Verteilsysteme einmal
festgelegt sind, wird man später nicht mehr sehr dezidiert
daran herangehen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen an einer Stelle aufpassen: Gucken Sie sich einmal an, was
die Länder bei dem ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paket,
wodurch die energetische Sanierung von Kindertagesstätten, Schulen und Berufsschulen ermöglicht wurde,
gemacht haben. Ich muss Ihnen sagen: Ein Abfluss von
gerade einmal 60 Prozent ist eine Katastrophe, und dieses
Programm läuft schon seit über einem Jahr . Und wenn
Sie sich einmal die Sektorenaufstellung angucken, sehen
Sie, dass das allerwenigste in kommunale Bildungsinfrastruktur geflossen ist, obwohl es dahin hätte fließen
können .
Und zu dem Vorwurf, dass die Planungen lange dauern: Ja, die Planungen dauern lange, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Aber wenn die Not seit Jahren so groß ist,
dann muss man doch die Frage stellen, warum man nicht
vorausschauend geplant hat, gerade mit Blick auf unsere
Schülerinnen und Schüler, unsere Kinder und Jugendlichen .
({4})
Diese Frage muss man hier schon deutlich stellen .
Ich stimme Johannes Kahrs vollkommen zu: Hier gilt
das Struck’sche Gesetz . Wir müssen den Gesetzentwurf
gründlich beraten . Das ist eines der entscheidenden Vorhaben in dieser Legislaturperiode mit Langzeitwirkung
im föderalen Gefüge zwischen Bund, Ländern und Kommunen . - Lieber Kollege Kindler, der Bund ist in den
letzten Jahren weit über das hinausgegangen, für das er
nach dem Grundgesetz verantwortlich war .
Herzlichen Dank .
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Ernst Dieter Rossmann
für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will gerne auf das zurückkommen, womit Staatssekretär
Spahn eingeleitet hat: die bildungspolitische Betrachtung .
10 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
sind in Schulen in Deutschland - 33 000 allgemeinbildende Schulen, 8 000 berufsbildende Schulen -, und die
Investitionen in den Erhalt und die Pflege der baulichen
Substanz sind wesentlich von den Kommunen getragen
worden . Die Investitionen liegen bei 2,9 Milliarden Euro
jährlich, und zwar in allen Kommunen, auch den finanzschwachen. Der Bund ist jetzt bereit, die finanzschwachen Kommunen mit einer Summe von 3,5 Milliarden
Euro über dreieinhalb Jahre zu unterstützen . Das bedeutet, dass auf die 2,9 Milliarden Euro jährlich 1 Milliarde
Euro für Investitionen obendrauf kommt . Das ist für die
finanzschwachen Kommunen wirklich eine große Nummer .
({0})
Es wird gezielt dort angesetzt, wo die Bedarfe sind .
Kollege Rehberg, ja, wir haben mit dem Kommunalinvestitionsförderungsgesetz den ersten Einstieg gemacht;
aber das war an die energetische Sanierung gebunden .
Was wir jetzt machen, geht weiter . Das zeugt von einer guten Qualität, die über die Länder, über Minister
Gabriel, über die Bundesregierung mit in die Debatte
eingebracht worden ist . Die Schulen laden zu einer hohen
Identifikation mit der Kommune ein. Wir wollen eben
nicht, dass hier reiche Kommunen und da arme Kommunen sind und dass man dies an der Unterschiedlichkeit
ihrer Schulen erkennen kann . Das ist nicht nur wichtig
für die 10 Millionen Kinder und Jugendlichen, die direkt
an den Schulen sind, sowie für die Eltern und Großeltern .
Es ist auch wichtig für die Kommunen, dass man an den
Schulen nicht mehr merkt, ob sie arm oder reich sind, ob
sie mit dem letzten Cent rechnen müssen, sondern dass
dort positiv gestaltet werden kann .
Noch einmal: Es ist wichtig, dass es die direkten Finanzierungen gibt, mutmaßlich bis zu einen Schlüssel
von 90 Prozent vom Bund und 10 Prozent von den Ländern oder Kommunen, was eine gute Unterfütterung ist .
Es ist eben etwas anderes, wenn das Geld direkt dorthin
fließt - auch ab einer Summe von 40 000 Euro. Ich bin
sicher: Es wird dann von den Kommunen aufgegriffen
werden . Es wird auch deshalb aufgegriffen werden, weil
zwingende bildungspolitische Argumente dafürsprechen .
Wir wissen aus lernpsychologischen Studien, dass bessere Leistungsergebnisse erzielt werden, wenn die Schulen in Ordnung sind, wenn sie modern ausgestattet sind,
wenn sie eine Wertschätzung ausdrücken . Das überträgt
sich . Es gibt lernpsychologische Erkenntnisse, die besagen: Da, wo die Lichtverhältnisse, die Lernverhältnisse
und die räumliche Gestaltung animierend sind, sind die
Leistungen noch einmal besser . Insofern ist es wichtig,
dass wir uns an den Kosten beteiligen .
Wir wissen aus PISA-Studien, dass es leider einen
verhängnisvollen Zusammenhang von Armut, Arbeitslosigkeit und Strukturschwäche in den Kommunen gibt
mit den Rückwirkungen auf die Bildungsergebnisse . Von
daher spreche ich es noch einmal an: Es ist gut, dass sich
diese Große Koalition an dieser Stelle nicht nach den
Paragrafen, sondern nach den Bedarfen, nicht nach dem,
was war, sondern nach dem, was wir für die Zukunft gewinnen wollen, richtet . Das schließt eine gewisse Veränderung in der Verfassung ein, auch wenn wir sagen:
Wir wollen das Kooperationsverbot nicht vollständig lockern, aber wir wissen einen ganz gezielten Zugang, wie
wir Gutes tun können für die Bildungsrepublik Deutschland mit der Perspektive, dass es mehr Bildungsgerechtigkeit gibt .
({1})
Wir freuen uns, dass zumindest der Staatssekretär bei Herrn Rehberg klang das auch durch - heute gesagt
hat: Ja, da geht auch der Koalitionspartner CDU/CSU
mit . - Uns als Bildungspolitiker hat diese Debatte schon
etwas erschrocken gemacht . Wir erinnern uns an eine
frühere Debatte zum Thema BAföG, in der der Kollege Kaufmann ein Bombardement gegen diese Regelung
angestoßen hat, was wir gar nicht verstehen konnten . Es
wäre viel naheliegender gewesen, zu sagen: Donnerwetter, unser Finanzminister macht 3,5 Milliarden Euro locker für die Bildung . - Beim Kollegen Kaufmann klang
das so, als ob es ein ganz großer Irrweg wäre . Heute, Herr
Rehberg, musste der Kollege Liebing die gleiche Nummer singen, und zwar pro Mehrwehrtsteuerverteilung, zu
der Sie gerade die Gegenargumente genannt hatten . Wir
begreifen es fast nur psychologisch, dass Sie irgendwie
nicht mitgehen können, weil Sie das Gefühl haben: Da
ist zu viel Sozialdemokratie drin .
({2})
Ja, in diesen 3,5 Milliarden Euro ist Sozialdemokratie
drin; aber das muss doch nicht dazu führen, dass Sie das
nur verschwiemelt darstellen .
Herr Spahn, es war schon gut, dass Sie sich voll dahintergestellt haben . Sie haben damit Haltung pro Bildung,
pro Investition, pro kommunale Entwicklung bewiesen . Wir sagen auch: Mit der Änderung der Verfassung
sind wir noch nicht am Ende; denn Ihre Bildungsministerin hat 5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um
40 000 Schulen mit digitaler Infrastruktur auszustatten .
Donnerwetter, da werden wir die Verfassung noch einmal
ändern müssen .
Wir verstehen in dem Zusammenhang Bund-Länder-Kommunal-Zusammenarbeit nicht, weshalb Sie sich
hier so schwertun . Auf die Tatsache, dass wir es zusammen geschafft haben, 125 Millionen Euro für ein Hochbegabtenförderprogramm zwischen Bund und Ländern
auf den Weg zu bringen, singt auch der konservative Teil
dieses Parlaments Lobeshymnen . Das ist eine neue Form
der Bund-Länder-Zusammenarbeit . Singen Sie doch
auch eine Lobeshymne darauf, dass wir mehr soziale Gerechtigkeit in der Bildungspolitik schaffen .
({3})
Die ganze Palette besingen wir positiv. Deshalb finden
wir: Schöne Weihnacht, tolle 3,5 Milliarden Euro! Daraus kann etwas werden .
Vielen Dank .
({4})
Alois Rainer ist für die CDU/CSU-Fraktion der letzte
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein besonders schöner Abend heute: Wir beraten in erster Lesung ein weiteres Geschenk . Ob das am
Ende der Tage, lieber Kollege Claus, der Weihnachtsmann, der Nikolaus oder das Christkind für die Kommunen bringt, das sei dahingestellt . Für mich bringt der
Deutsche Bundestag eine weitere Voraussetzung in die
gesetzliche Beratung ein, damit die Kommunen wieder
einmal ein Stück entlastet werden .
Lassen Sie mich einiges dazu sagen . Ich wundere mich
immer mehr - es ist schön, dass ich mich in dieser Situation wundern kann -, dass der Bund, obwohl er nicht
zuständig ist, für diesen Bereich immer wieder Geld ausgibt . Dafür müssen wir - da spreche ich auch als Kommunalpolitiker - immer ein Stück weit dankbar sein . Auch
wenn heute über marode Schulen, marode Schultoiletten
oder über anderes gesprochen worden ist, lässt sich feststellen: Die Zuständigkeit ist klar und eindeutig geregelt:
Die Zuständigkeit für Schulen und für Schulinvestitionen
liegt bei den Ländern und Kommunen, nicht beim Bund .
Deswegen sehe ich die Entlastung als ein großes Geschenk an . Wir haben mit 3,5 Milliarden Euro begonnen
und legen jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro drauf .
Das wird verteilt . Als bayerischer Abgeordneter betone
ich: Bayern bekommt 8 Prozent, NRW circa 32 Prozent .
In Bayern sind die meisten Schulen aber auch saniert . Ich
habe in der Zeit als Bürgermeister meine Schule saniert .
Wir haben in unsere Zukunft investiert, nämlich in unsere Kinder .
({0})
Das müssten viele eben viel früher tun, statt zu jammern
und ständig mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, lieber Herr Kollege .
({1})
Wir haben einen funktionierenden Föderalismus in
unserem Staat . Es ist richtig und gut, dass man, wenn es
einem gut geht, ein Stück abgibt . Lassen Sie uns feststellen: Von den guten Steuereinnahmen, die wir in unserem
Land haben, profitiert der Bund, profitieren die Länder
und profitieren auch die Kommunen. Warum haben wir
diese guten Steuereinnahmen? Weil eine gute solide Finanzpolitik gemacht wird, eine gute solide Haushaltspolitik, eine gute solide Wirtschaftspolitik . Das haben wir
einer Großen Koalition zu verdanken, die dies hervorragend macht .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die
Freunde und Kollegen der Linken dies ein Stück weit anders sehen, dann wollen wir uns hier im weihnachtlichen
Frieden nicht aufregen . Ich freue mich auf alle Fälle, dass
der Kommunalinvestitionsförderungsfonds um 3,5 Milliarden Euro aufgestockt wird . Wir haben jetzt einige Wochen Zeit, uns in Ruhe Gedanken zu machen, wie das
Geld gerecht verteilt wird . Oft müssen Nachtragshaushalte gemacht werden, weil eine Notsituation entstanden
ist . Hier ist es keine Notsituation; wir sind vielmehr in
einer Luxussituation . Wir haben einen Haushalt, bei dem
wir uns diese zusätzlichen 3,5 Milliarden Euro leisten
können, ohne neue Schulden zu machen und ohne Steuererhöhungen anzugehen . Das ist unglaublich wichtig .
Ich werde nicht müde, ständig zu sagen: Wir schaffen das
ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen, meine
sehr verehrten Damen und Herren .
({2})
In diesem Sinne freue ich mich, dass wir heute eine
Unterstützung der Kommunen angehen . Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen ein
gutes Gesetz auf den Weg bringen werden . Ich wünsche
Ihnen frohe Weihnachten und alles Gute im neuen Jahr .
Danke schön .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/10500 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert,
Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Längere Lebensdauer für technische Geräte
Drucksachen 18/9179, 18/10666
Die Aussprache soll 25 Minuten dauern . - Einwände
sind nicht erkennbar .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Michael Thews für die SPD-Fraktion das Wort .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Weihnachten lässt grüßen bei diesem Antrag
der Linken . Zum einen geht es um die Lebensdauer von
technischen Geräten und damit um die Lebensdauer von
vielen Weihnachtsgeschenken, die nächste Woche unter
dem Weihnachtsbaum liegen werden . Zum anderen wirkt
der Antrag ein bisschen wie ein Wunschzettel mit guten,
aber auch nicht so guten Wünschen .
Ich unterstütze durchaus die Forderungen in dem Antrag, die zu einer verbesserten Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, mehr Transparenz und damit
zu einer aufgeklärten Verbraucherentscheidung führen .
Ich halte aber die Ansätze, die eher zu einer Bevormundung führen, für problematisch .
Zunächst die aus unserer Sicht vernünftigen Ansätze
aus dem Antrag der Linken: Insbesondere die Einführung
von Verbraucherinformationen zu Ersatzteilen und zur
Verfügbarkeit von Ersatzteilen halten wir für einen sehr
sinnvollen Schritt . Hier gibt es auch bereits Ankündigungen auf EU-Ebene, dies im Rahmen eines Aktionsplans
für die Kreislaufwirtschaft zu prüfen . Fehlende Ersatzteile sind ein Problem gerade auch für die Betriebe, die
Reparaturen durchführen . Dabei gibt es einen momentan
sehr aktuellen Ansatz gegen unsere Wegwerfgesellschaft,
der sich bedauerlicherweise aber nicht im Antrag der
Linken findet: die Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Reparaturleistungen - eine Idee, die
in Schweden jetzt umgesetzt werden soll .
Wahrscheinlich stand jeder von uns schon einmal
vor der Entscheidung, seine defekte Waschmaschine,
den DVD-Player oder andere Geräte reparieren zu lassen . Stattdessen aber hat man ein neues Gerät gekauft,
weil dies unwesentlich teurer oder vielleicht sogar preiswerter war . Wenn wir dieses durchaus nachvollziehbare
Verbraucherverhalten ändern wollen, dann müssen wir
Reparaturdienstleistungen preiswerter machen . Das führt
zwar in diesem Fall zu verminderten Steuereinnahmen,
fördert aber gleichzeitig die Handwerks- und Reparaturbetriebe vor Ort . Ich halte eine solche Maßnahme auch
in Deutschland für national umsetzbar und für sinnvoll .
Für nicht umsetzbar halte ich dagegen die Forderung
der Linken, „mit technischem Sachverstand nicht begründbare Schwachstellen oder künstlich hervorgerufene - geplante - Funktionseinbußen“, also die geplante
Obsoleszenz, gesetzlich zu verbieten . Das klingt so ein
bisschen nach „Wünsch dir was“ .
({0})
Wie genau definiert sich denn überhaupt der technische
Sachverstand, wer hat ihn, und wer überprüft das Ganze?
Wann ist eine Schwachstelle überhaupt begründbar? Ist
der Einsatz von preiswertem Material zur Kosteneinsparung schon eine nicht begründbare Schwachstelle? Wir
müssen uns vor Augen halten, dass das Umweltbundesamt in seiner Studie zur Obsoleszenz keine künstlich hervorgerufenen, geplanten Funktionseinbußen, also vom
Hersteller geplante Obsoleszenz, nachweisen konnte .
Ich halte es ebenso für problematisch, gesetzliche Regelungen einzufordern, mit denen Mindestanforderungen
an die Produzenten für die Schaffung einer längstmöglichen Haltbarkeit von Produkten gestellt werden . Die Verpflichtung zur Herstellung von langlebigen technischen
Produkten würde in vielen Fällen dazu führen, dass die
Produkte teurer werden . Diesen Effekt vermute ich auch
bei der Einführung einer verpflichtenden Mindestnutzungszeit . Die Anforderungen, die Verbraucherinnen und
Verbraucher an Geräte stellen, sind höchst unterschiedlich: Für den einen muss es der Profi-Akkuschrauber für
200 Euro sein; dem anderen reicht vielleicht ein einfacher für 40 Euro, weil er ihn eben auch nur zweimal im
Jahr benutzt . Letztendlich wollen Sie dem Verbraucher
die Option nehmen, sich bewusst für ein preiswertes Gerät zu entscheiden .
Ärgerlich ist natürlich, wenn man ein teures, vermeintlich hochwertiges Produkt kauft und es gerade
mal die Garantiezeit überlebt . Für dieses Problem gibt
es aber eine verbraucherfreundliche Lösung: Wir sollten eine Informationspflicht der Hersteller fordern, also
sie verpflichten, eine Angabe zur Lebensdauer ihrer
Geräte zu machen . Diese Informationen - davon bin
ich überzeugt - liegen dem Hersteller vor; sie prüfen ja
ihre Geräte . Eine solche Reglung ist durchaus national
durchsetzbar . Auch das gehört - unter dem Begriff der
Herstellergarantieaussagepflicht - zu den Kernempfehlungen des Papiers „Strategien gegen Obsoleszenz“ des
Umweltbundesamtes . Der Hersteller darf dabei auch den
Zeitraum null angeben; aber der Käufer wird daraus seine Konsequenzen ziehen . Dieses Instrument wäre auch
insofern eine Verbesserung, als es - anders als das geltende Gewährleistungsrecht - dem Verbraucher bei Nichteinhaltung der garantierten Lebensdauer einen direkten
Anspruch gegen den Hersteller gibt und nicht nur gegen
den Händler .
Auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher
geht dagegen die Forderung der Linken nach Einführung
einer Ressourcenverbrauchsabgabe für Primärrohstoffe . Sie soll vom Inverkehrbringer des Produktes gezahlt
werden, um die Inanspruchnahme neuer Ressourcen
deutlich zu verteuern . Wir wissen aber alle, wer sie am
Ende zahlt: die Verbraucherinnen und Verbraucher . Was
uns der Antrag außerdem nicht verrät: Wie soll sie berechnet werden, und wer soll sie berechnen? Wie hoch
muss sie denn eigentlich sein, um eine Lenkungswirkung
zu entfalten? Muss man sich dann nicht auch an den Rohstoffpreisen orientieren? Was ist bei Preisschwankungen? Hier gibt es viele Unwägbarkeiten, die aus meiner
Sicht eher zu Missbrauch und Wettbewerbsverzerrungen
führen können, die am Ende auf den Schultern von uns
allen lasten .
Einige der Forderungen des Antrags sind schon deshalb an den falschen Adressaten gerichtet, weil sie nicht
oder nicht allein auf nationaler Ebene, sondern nur auf
europäischer Ebene geregelt werden können . Ein Ansatzpunkt ist hier die EU-Ökodesign-Richtlinie . Deshalb haben wir in unserem Antrag zu ProgRess II darauf gedrungen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie
künftig auch der Ressourcenverbrauch stärker berücksichtigt wird . Auch der Anwendungsbereich der Ökodesign-Richtlinie lässt sich deutlich erweitern . Das wäre
aus meiner Sicht der richtige Weg .
Alles in allem ist der Antrag gut gemeint, aus den
vielfältigen bereits genannten Gründen aber nicht zustimmungsfähig . Ich würde mich freuen, wenn es uns
gelingt, einen Antrag auf den Weg zu bringen, der darauf
abzielt, unsere Ressourcen zu schonen und gleichzeitig
die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu
stärken . Elemente wie eine bessere Reparierbarkeit oder
die Förderung einer modularen Bauweise von elektronischen Geräten - dann tausche ich die Handykamera aus
und nicht gleich das ganze Handy - könnten hier enthalten sein .
Nehmen wir die Ressourcenschonung wirklich ernst,
zählt hierzu unbedingt, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher über die Lebensdauer von Geräten aufgeklärt werden . So entscheiden sie entsprechend ihrem eigenen Verbraucherverhalten bewusst und können gleichzeitig einen Beitrag zum Umweltschutz leisten .
Danke .
({1})
Ralph Lenkert hat nun für die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Mein Sohn bekommt zu Weihnachten ein
neues Headset; das Mikro des alten gab zwei Monate
nach Ablauf der Garantie auf . Waschmaschinen, Kaffeeautomaten, Tablets und Computer gehen zu oft kurz
nach Ablauf der Gewährleistungspflicht kaputt. Dann
sind wir Kunden auf die Kulanz der Händler angewiesen,
müssen teure Reparaturen ertragen oder kaufen entnervt
neu . Manchmal stellt der Softwarelieferant einfach den
Support ein und zwingt Kunden zum Neukauf, oder er
entwickelt neue Software so, dass sie auf zwei Jahre alter
Hardware nicht funktioniert . Verschleißteile wie Akkus
oder Autolampen können nicht oder nur teuer vom Fachmann gewechselt werden . Dann kommt auch noch die
Bundesregierung und verändert die Frequenzbereiche für
das frei empfangbare Fernsehen . Damit wird die bisherige Technik mit einem Schlag entwertet . Entweder kaufen
Sie sich einen neuen Receiver oder neue Geräte, oder
Ihr Bildschirm bleibt ab dem 29 . März 2017 schwarz .
Mit jedem Neukauf klingelt die Kasse bei Handel und
Industrie . Deshalb halten Produkte nur eine bestimmte
Zeit, werden technische Veränderungen gnadenlos in den
Markt gedrückt . Verlierer sind wir Kunden und die Umwelt, und das muss sich ändern .
({0})
Geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, sechs Jahre lang
war ich Entwickler und Qualitätsmanager in der Automobilzulieferindustrie, weitere sieben Jahre plante ich
Fertigungsanlagen für Objektive für Beamer . Eines war
immer gleich: Die Kunden, die Händler fordern niedrigste Preise . Ihnen ist es scheinbar egal, ob Löhne sinken
müssen oder Rohstoffpreise steigen . Der Zulieferer ist
so gezwungen, Kosten zu senken . Er setzt billigeres und
weniger Material ein, klebt Gehäuse fest, statt Deckel
und Dichtung zu verschrauben . Da wird getestet, wie viel
Lötzinn man einsparen kann, sodass die Lötstelle die Garantiezeit gerade noch übersteht . Dazu kommen geplante Störstellen in Geräten, Obsoleszenz genannt . Manche
Störstelle ist sinnvoll, zum Beispiel eine Sollbruchstelle
bei Achsfedern, damit im Falle eines Federbruchs nicht
der Reifen aufgeschlitzt wird . Andere Störstellen haben
nur einen Zweck: Der Kunde soll endlich neu kaufen .
Uns allen ist es egal, ob der Ausfall kurz nach der Garantie durch einen eingebauten Fehler oder durch übertriebene Kostenreduktion verursacht wird . Deswegen,
Herr Kollege Thews, ist es Zeitverschwendung, zu versuchen, Firmen bewusste Fehler nachzuweisen . Die Linke
fordert deshalb, eine längere Lebensdauer für technische
Geräte gesetzlich festzulegen . Wir drehen den Spieß um:
Statt auf das Wohlwollen der Hersteller und Händler, auf
freiwillige Garantien und auf Kulanz zu setzen, fordern
wir, dass jedes technische Gerät eine verbindliche, einklagbare Mindestnutzungsdauer haben muss:
({1})
für Waschmaschinen und Kühlgeräte mindestens fünf
Jahre, für IT-Geräte, Mobiltelefone und Unterhaltungselektronik mindestens drei Jahre . Kühlt der Kühlschrank
nach vier Jahren nicht mehr, dann wird er kostenfrei reMichael Thews
pariert, oder es gibt das Geld zurück . Wir fordern, dass
insbesondere IT-Technik und Elektronikgeräte reparierbar und upgradebar sein müssen . Wir fordern, dass bei
der Produktion schon an späteres Recycling gedacht
wird .
({2})
All diese Forderungen helfen übrigens auch Qualitätsherstellern im Wettbewerb gegen Billiganbieter . Unsere
Vorschläge für die Zeit nach der Wahl, wenn wir die Regierung übernehmen, enthalten auch einen Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für personalintensive Dienstleistungen . Das heißt, Ihre Idee, dass Reparaturen einem
niedrigeren Mehrwertsteuersatz unterliegen sollten, hatten wir schon vor Jahren .
Ersparen wir den Bürgerinnen und Bürgern unnötige
Ersatzkäufe . Schützen wir mit gesetzlich festgelegten
längeren Nutzungszeiten und geringen Rohstoffverbräuchen unsere Umwelt . Stimmen Sie diesem Antrag der
Linksfraktion zu . Das wäre doch ein echtes Weihnachtsgeschenk für alle Bürgerinnen und Bürger, für unsere Jugendlichen, für unsere Kinder und für die Umwelt .
Frohe Weihnachten .
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gebhart für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute Abend einen Antrag der Linken mit dem Titel „Längere Lebensdauer für technische
Geräte“ . Ich gebe gerne zu: Der Titel klingt zunächst einmal gut . Aber wenn wir uns mit dem Inhalt dieses Antrages beschäftigen, dann muss ich Ihnen sagen: Der Inhalt
lässt zu wünschen übrig . Unser Ziel ist doch - ich glaube,
insofern besteht über die Parteigrenzen hinweg zunächst
einmal durchaus Einigkeit -, die Stoffkreisläufe zu
schließen. Wir wollen die Ressourceneffizienz steigern.
Wir wollen, dass Abfälle möglichst vermieden werden .
Wenn Abfälle entstehen, dann sollen sie wiederverwertet
werden . Sie sollen zu neuen Rohstoffen werden . Darin
sind wir durchaus einer Meinung .
Dazu gehört auch, dass zum Beispiel technische Geräte, und zwar immer dann, wenn es Sinn macht, eine lange Lebensdauer haben sollen . Das bedeutet auch, Geräte
müssen repariert werden können, wenn sie kaputt sind,
Ersatzteile müssen verfügbar sein, wenn sie gebraucht
werden . Gerade im Elektronikbereich sollte die Verfügbarkeit von Ersatzteilen verbessert werden . Das ist keine
Frage .
Genauso klar ist aber, dass dies im Rahmen der europäischen Gesetzgebung geregelt werden muss . Auf
diese Ebene gehört dieses Thema . In dem Antrag wird
gefordert, fest verbaute Akkus und Batterien zu verbieten . Ich erinnere: Wir hatten hier im letzten Jahr eine
Debatte über das Elektrogesetz . Wir haben über genau
diesen Punkt diskutiert . Es gibt ja im Elektrogesetz eine
entsprechende Sollvorschrift . Aber ein darüber hinausgehendes Verbot können wir national nicht regeln . Ein nationaler Alleingang wäre binnenmarktrechtlich überhaupt
nicht möglich . Es wäre ein unzulässiges Handelshemmnis . Deswegen geht Ihre Forderung, meine Damen und
Herren der Linken, an dieser Stelle völlig ins Leere .
({0})
Wir müssen noch etwas bedenken . Es macht nicht
immer Sinn, jedes Gerät möglichst lange zu nutzen .
Stattdessen kann es durchaus sinnvoll sein, dass ein bestimmtes Gerät durch ein neues ersetzt wird, wenn zum
Beispiel durch das neue Gerät während der Lebensphase
Energie eingespart wird oder wenn das neue Gerät einen
zusätzlichen Nutzen für den Verbraucher bringt, wenn es
zusätzliche Funktionen hat . Also warum sollte dann ein
altes Gerät nicht durch ein neues ersetzt werden?
An dieser Stelle gibt es übrigens im Antrag der Linken
einen Widerspruch . Auf diesen möchte ich hinweisen .
Zunächst einmal wollen Sie die längst mögliche Haltbarkeit von Geräten vorschreiben, und dann wollen Sie den
Kauf von neuen, energieeffizienten Geräten für bestimmte Personengruppen fördern . Konsequent ist dies nicht .
({1})
Die Linke setzt vor allem auf Staatswirtschaft . Sie fordern in Ihrem Antrag erneut Ihre Ressourcenverbrauchsabgabe für Primärrohstoffe, wie Sie es nennen .
({2})
Wie Sie diese Abgabe ausgestalten wollen, dazu schweigen Sie komplett .
Meine Damen und Herren, diese Abgabe, die Sie einführen wollen, wirft mehr Fragen auf, als Sie Antworten dazu geben können, was die Ausgestaltung und die
Umsetzung angeht . Wenn man die Sache zu Ende denkt,
so muss ich sagen, ist wirklich zu befürchten, dass eine
solche Abgabe vor allem eines befördern würde, nämlich
ein unheimliches Maß an Bürokratie .
Sie wollen eine Rekommunalisierung der Kreislaufwirtschaft; auch darüber haben wir oft debattiert .
({3})
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Eine Rekommunalisierung der Kreislaufwirtschaft hilft weder der
Umwelt noch nützt sie dem Verbraucher .
({4})
Vor allem schaffen Sie damit eben nicht die notwendige
Innovation in unserem Land, die wir in diesen Bereichen
dringend brauchen .
Die Linke fordert in ihrem Antrag, dass Haushalte mit
geringem Einkommen beim Kauf von Elektrogeräten
subventioniert werden sollen . Wie wollen Sie das umRalph Lenkert
setzen? Auch dazu lese ich in Ihrem Antrag nichts . Ich
bin sehr für Sozialpolitik, aber nicht mit solch undurchdachten Mitteln, die nur zu neuen Ungerechtigkeiten und
Verzerrungen führen .
Deswegen, wenn man alles zusammennimmt: Es gibt
sehr gute Gründe, diesen heute vorliegenden Antrag
abzulehnen . Konzentrieren wir uns besser darauf, die
Kreislaufwirtschaft und die Ressourceneffizienz in unserem Land sinnvoll voranzubringen .
Herzlichen Dank .
({5})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Peter Meiwald jetzt
das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich die Ausführungen eben zum Schluss
gehört habe, fiel mir folgende Interpretation ein: Konzentrieren wir uns lieber darauf, nichts zu machen . Das ist
ja die Konsequenz dessen, was Sie gerade gesagt haben,
weil bei der korrekten Problembeschreibung die Initiativen vonseiten der Koalition einfach fehlen . Deswegen ist
sehr zu begrüßen, dass diesmal die Linken einen entsprechenden Antrag eingebracht haben .
({0})
Kürzlich habe ich das Repair Café im Berliner Brunnenviertel besucht . Dort treffen sich Menschen, die ihren alten Staubsauger oder CD-Player eben nicht einfach
wegwerfen wollen, nur weil er nicht mehr funktioniert .
Im Repair Café bekommen Menschen Hilfe dabei, ihre
Geräte wieder flottzumachen. Das ist eine sehr sinnvolle
Initiative; es ist toll, dass es mittlerweile in Deutschland
so viele dieser Repair Cafés gibt . Es zeigt, dass da ein
großer Bedarf besteht .
({1})
Menschen wollen nicht mehr, dass ihre Geräte einfach ex
und hopp weggeschmissen werden, nur weil beim kleinsten Defekt etwas nicht mehr reparierbar ist .
({2})
Das heißt, wir haben da eine tolle Entwicklung, die wir
fördern müssen .
({3})
Leider machen es die Hersteller den Bastlern aber
häufig schwer, ebenso den Handwerksbetrieben, die es
noch gibt .
({4})
Man kann sich darüber streiten, ob sie es bewusst oder
fahrlässig tun . Auf jeden Fall tun sie es unnötigerweise .
Es ist einfach nicht nötig, dass Geräte reparaturunfreundlich konstruiert werden, verklebt werden, verschweißt
werden, vernietet werden, sodass man sie möglichst nicht
reparieren kann .
({5})
Selbst die Profibastler vom Reparaturportal iFixit waren
kürzlich offenbar nicht in der Lage, ein MacBook Pro
von Apple auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen . Es ist schon erschreckend, dass da so viele
Teile verklebt und nicht austauschbar sind . Das ist nicht
mehr zeitgemäß .
Wir reden über Ressourcenschonung, wir reden über
eine neue Gesellschaft und ökologisch-sozialen Umbau .
Dennoch werden wir in einen immer stärkeren Sog einer Gesellschaft gebracht, die immer mehr Ressourcen
verbraucht . Die Hersteller sollten stattdessen - das ist eigentlich von allen gesagt worden - ihre Geräte so gestalten, dass sie möglichst lange halten und reparaturfähig
sind .
Die Bundesregierung hat bereits im letzten Jahr, wie
gerade angesprochen wurde, zu Recht bei der Überarbeitung des ElektroG unsere Gesetzesanträge und Änderungsanträge und auch diejenigen der Linken abgelehnt,
die dafür sorgen sollten, dass Geräte reparierbar sein
müssen .
({6})
Sie hacken immer wieder darauf herum, dass das
nur auf europäischer Ebene zu regeln ist . Es steht aber
durchaus im Antrag der Linken, dass man die Ökodesign-Richtlinie anpacken muss . Es gibt also gar keinen
Grund, das als Ausschlusskriterium zu nehmen, um diesem Antrag nicht zuzustimmen .
({7})
Dass wir da großen Nachholbedarf haben, bestätigt
auch die Studie des Umweltbundesamtes vom letzten
Jahr, auch wenn dies immer wieder ebenso für die andere Seite herangezogen wird, dass man nicht nachweisen
kann, dass das absichtlich kaputtgemacht wird .
({8})
Aber dass die Lebensdauer der Geräte immer kürzer wird,
ist unumstritten . Das bestätigen alle Experten, ebenso,
dass die Menschen damit unzufrieden sind . Also ist der
jetzt vorliegende Antrag der Linken auch ein Jahr nach
der Novelle des Elektrogesetzes aktuell und notwendig .
({9})
Deswegen stimmen wir ihm auch zu .
({10})
Viele Forderungen haben wir zwar schon im Jahre 2013 in unserem Antrag zum geplanten Verschleiß
aufgestellt . Aber wir müssen den Trend zu einer immer
kürzeren Dauer der Nutzung von Elektrogeräten endlich
umkehren . Da passiert einfach nichts . Die Regierung kritisiert Anträge, die andere Fraktionen einbringen; aber
selber tut sie nichts . Der Verweis auf das notwendige
Engagement in Europa ist ja richtig; aber er ist nicht hinreichend . Wir müssen viel mehr tun . Dazu gehören die
Aspekte der Reparierbarkeit sowie der Sicherstellung der
Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Software-Updates und
ähnlichen Dingen .
Schweden - es ist gerade schon kurz angeklungen hat sich jetzt auf den Weg gemacht . Man hat angekündigt, die Mehrwertsteuer bei der Reparatur von Fahrrädern, Schuhen und Kleidung um die Hälfte zu senken .
Wer einen Handwerker ins Haus kommen lässt, um seine Waschmaschine oder seinen Kühlschrank reparieren
zu lassen, zahlt für die Arbeitsstunden künftig weniger .
Das ist genau der richtige Weg . Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir den Ressourcenverbrauch immer
billiger und den Faktor Arbeit immer teurer machen . Das
müssen wir endlich umkehren .
({11})
Die schwedische Regierung tut etwas für die Ressourcenschonung und für den Arbeitsmarkt. Ich finde, das ist
eine gute Idee . Darüber sollten wir nachdenken und nicht
einfach sagen: Das geht alles nicht .
Was uns im Antrag der Linken etwas zu kurz kommt,
ist die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher . Dieses Thema ist in der Tat eine gute Möglichkeit,
auch über das Mindesthaltbarkeitsdatum zu reden und
die Verbraucher durch mehr Transparenz überhaupt in
die Lage zu versetzen, eine bewusste Entscheidung zu
treffen: Kaufe ich das Billigprodukt, oder kaufe ich ein
Produkt, das etwas länger hält? Das lässt sich heutzutage
am Preis nicht ablesen; denn es gibt auch teure Produkte,
die schnell kaputtgehen . Das ist ein Punkt, den man noch
ergänzen kann .
Umweltministerin Hendricks sieht das offensichtlich
genauso . Wenn man das Integrierte Umweltprogramm
liest, stellt man fest: All das findet sich darin wieder. Nur:
Leider muss man davon ausgehen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Regierungskoalition, dass es ein weiteres
Herr Kollege .
- wenn man all die konkreten Schritte, die nötig sind,
um dieses Programm umzusetzen, in diesem Haus ablehnt . Ich hoffe, dass wir auch dazu demnächst eine Initiative von Ihnen sehen werden .
Vielen Dank .
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den Linken eigentlich dankbar, dass sie
dieses Thema mit ihrem Antrag auf die Tagesordnung
gebracht haben . Es ist ja auch das gute Recht der Opposition, auf Schwachpunkte hinzuweisen . Das Thema, um
das es heute geht, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein
Schwachpunkt .
Ein Beispiel: An der Stelle, an der ein Kabel aus einem Kopfhörer kommt, ist ein Stück von 0,5 Zentimetern nicht mit der Plastikwand umgeben . Dieses Stück
scheuert natürlich zuerst durch, und dann ist der ganze
Kopfhörer plötzlich nicht mehr brauchbar . Für mich als
einen konservativen Menschen ist die Langlebigkeit von
Produkten praktisch seit der Kinderzeit ein Gebot . Bei
uns auf dem Land ging man sparsam mit den Dingen um .
Das begann bei den geflickten Hosen und hat sich über
Geräte aller Art fortgesetzt .
Wir haben uns in den Wohlstandsjahrzehnten von diesen Dingen entfernt . Deswegen möchte ich Ihnen, Herr
Kollege Meiwald, sagen: Sie müssen nicht so traurig
sein . Auch die Konservativen sehen in der Langlebigkeit von Produkten ein wichtiges Ziel, vor allem deshalb,
weil das Handwerk ja auch eine politische Klientel der
Konservativen ist .
({0})
Ich bin überhaupt der Meinung, dass die Leute, die
Repair Cafés betreiben, die Vorreiter der künftigen Wirtschaftsweise sind .
({1})
Die Ergebnisse, die das Umweltbundesamt in seiner Studie „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre
Umweltwirkung“ herausgefunden hat, sagen klar aus,
dass der Rohstoffaufwand, den man für ein neues Produkt braucht, die Energieeinsparung, die man mit dem
neuen Gerät erzielt, in vielen Fällen aufwiegt .
({2})
Es gibt ja auch die Liebhaber alter Autos, die sagen: Ich
fahre meine alte Kiste lieber 15 Jahre lang; letztlich bin
ich der bessere Umweltschützer .
({3})
Es ist wohl so, wie mein Kollege Dr . Gebhart ausführt: Man muss eine Abwägung treffen: Was ist tatsächlich sinnvoll, und wo wird politisch eingegriffen werden
müssen? Und dazu möchte ich noch einmal kommen .
Auch wenn in dem Elektronikgesetz national nur eine
Sollvorschrift möglich ist: Verklebte Akkus, die man
nicht austauschen kann, sind nicht im Sinne der Kreislaufwirtschaft .
({4})
Das sind Produkte, die nicht in unsere moderne Wirtschaft passen . Die Reparaturfähigkeit muss ein Kennzeichen der neuen Wirtschaft werden .
({5})
Ein Zweites . Ich bin nach Rücksprache mit einigen,
die in dieser Branche tätig sind, auch der Meinung, dass
eine feste Aussage eines Herstellers, wie lange sein Produkt brauchbar sein wird, sehr viel bringen würde . Das
ist dann ein Mittel im Wettbewerb . Wer auf seinem Produkt eine gewisse garantierte Lebensdauer angibt, setzt
sich positiv ab von Mitbewerbern, die das nicht machen .
Deswegen passt das auch sehr wohl in unser System .
Ich denke, wenn wir auf dieser Basis an dem Antrag
weiterarbeiten und das Thema noch einmal aufgreifen,
dann werden wir das erreichen, was wir letztlich wollen,
nämlich dass Deutschland, führend in vielen Bereichen
der Wirtschaft auf der Welt, in den Augen der Menschen
auch in der Verlässlichkeit führend ist . Denn nichts ärgert
Leute mehr, als wenn aufgrund einer winzigen Kleinigkeit an einem Produkt etwas weggeworfen werden muss,
was offensichtlich im Übrigen noch funktionieren würde .
({6})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Längere Lebensdauer für technische Geräte“ . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 18/10666, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf der Drucksache 18/9179 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .
Der Tagesordnungspunkt 15 ist abgesetzt worden .
Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten 4 a und 4 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102
Nr. 18
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/10667
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betrug mit manipulierten Registrierkassen gesetzlich verhindern - Zeitgleich Abschreibungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umsatzsteuerbetrug bekämpfen
Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667
Auch das soll in 25 Minuten behandelt werden . - Das
Einvernehmen stelle ich hiermit fest .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion .
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dass der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz
vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
zunächst relativ abstrakt erscheint, kann ich in Anbetracht dieses durchaus sperrigen Titels grundsätzlich
nachvollziehen . Doch der erste Eindruck täuscht . Jeder
von uns kommt mehrfach mit diesen Grundaufzeichnungen in Berührung . Egal ob sich morgens beim Bäcker ein
Brötchen oder ein Kaffee gekauft wird oder ob abends
ein Bier in der Kneipe bestellt wird: Abgerechnet wird
meist mithilfe elektronischer Kassensysteme .
Nachdem mich dieses Thema seit über eineinhalb Jahren intensiv beschäftigt, ertappe ich mich mittlerweile
selbst dabei, mir im Restaurant, am Kiosk oder im Supermarkt genau anzusehen, welches Kassensystem verwendet wird und wie die Abläufe in diesem Geschäft
funktionieren .
Die große Mehrzahl der Unternehmer und Unternehmerinnen kommt ihren Verpflichtungen anstandslos nach
und rechnet gegenüber den Finanzbehörden auch ordnungsgemäß ab . Leider gibt es aber auch, wie überall im
Leben, schwarze Schafe, die meinen, den einen oder anderen Euro am Fiskus vorbei vereinnahmen zu können .
Dass es Betrugsfälle gibt, ist unumstritten und zeigt auch
den Handlungsbedarf auf . Die Kunst bei diesem Gesetz
war es, ein Verfahren zu entwickeln, das deutlich macht,
was für Anforderungen wir sowohl an die Hersteller von
elektronischen Kassensystemen als auch an die UnterJosef Göppel
nehmer stellen, die derartige Geräte zukünftig einsetzen .
Gleichzeitig sollten aber auch weiter Verkäufe in Hofläden, bei Dorffesten oder in Vereinsgaststätten möglich
sein, ohne dass jeder Wurstverkäufer eine Registrierkasse mit sich herumtragen muss .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist uns meines
Erachtens ein guter Kompromiss gelungen, der Betrug
wirksam unterbindet, Unternehmen Investitionssicherheit bietet und Lösungen von großen Handelsketten bis
zu Kleinstunternehmen erlaubt . Mein Dank geht deshalb
nicht nur an den Koalitionspartner für die Einigungsbereitschaft, sondern auch an das Bundesfinanzministerium, das uns geduldig zahlreiche Nachfragen beantwortet und mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat . Einige
Punkte möchte ich besonders hervorheben:
Erstens . Ab dem 1 . Januar 2020 besteht für all diejenigen, die über ein elektronisches Kassensystem verfügen, die Verpflichtung, ein Kassensicherungssystem
zu verwenden, das Manipulationen ausschließt . Durch
die manipulationssichere Aufzeichnung jedes einzelnen
Geschäftsvorfalls kann die Finanzverwaltung künftig lückenlos nachvollziehen, welche Eingaben in die Kasse
erfolgten .
Für diejenigen, die erst in jüngerer Vergangenheit ein
Kassensystem angeschafft haben, sehen wir eine Übergangsfrist bis zum 1 . Januar 2023 vor . Damit schützen
wir getätigte Investitionen innerhalb des normalen Abschreibungszeitraumes, setzen aber auch klare Fristen
für die notwendigen Umstellungen, auf die sich alle jetzt
sechs Jahre lang vorbereiten können .
Zweitens . Dafür ziehen wir gegenüber dem Regierungsentwurf die Kassennachschau vom 1 . Januar 2020
auf den 1 . Januar 2018 vor . Die Finanzverwaltungen der
Länder haben somit die Möglichkeit, das Kassensystem
vor Ort in Augenschein zu nehmen, Testeinkäufe zu tätigen und die ordnungsgemäße Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle zu kontrollieren .
Drittens. Wir führen eine Meldepflicht für die eingesetzten elektronischen Aufzeichnungssysteme beim zuständigen Betriebsstättenfinanzamt ein. Damit erschweren wir die Benutzung von Zweit- und Nebenkassen .
Viertens . Wir schaffen aber auch praktikable Lösungen für besondere Fälle . Beim Verkauf von Waren an
eine Vielzahl nicht bekannter Personen gegen Barzahlung entfällt die Einzelaufzeichnungspflicht. Die offene
Ladenkasse bleibt also möglich . So muss beim Schützenfest auch in Zukunft nicht jedes ausgegebene Bier oder
jede Bratwurst in der offenen Ladenkasse verzeichnet
bzw . erfasst werden . Das Gleiche gilt für die Kasse des
Vertrauens auf Feldern . Hier würde eine Aufzeichnungspflicht eine unbillige Härte darstellen und den Verkauf
von Waren unnötig erschweren, wenn nicht sogar gänzlich verhindern .
Fünftens. Eine Kassenanschaffungspflicht besteht
auch in Zukunft nicht . Jedoch ist der Unternehmer bei
der Benutzung von elektronischen Kassen künftig verpflichtet, einen Beleg auszugeben. Die Finanzbehörden
können jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß
§ 148 der Abgabenordnung den Unternehmer von der
Belegausgabepflicht befreien, wenn das unzumutbar erscheint . Der Bäcker von der Ecke muss also auch in Zukunft nicht für jedes 20-Cent-Brötchen zwingend einen
Beleg ausgeben .
Meine Damen und Herren, wir schließen heute ein
Gesetzesverfahren ab, bei dem Genauigkeit vor Schnelligkeit stand .
Alle gesetzlichen Regelungen und technischen Lösungen helfen jedoch nicht, wenn keine hinreichende
Kontrolle erfolgt . Die Länder sind jetzt aufgefordert,
die wirksamen Instrumente Meldepflicht und insbesondere Kassennachschau zu nutzen, damit sich das Entdeckungsrisiko bei Steuerbetrug deutlich erhöht .
Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf
und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank .
({0})
Richard Pitterle ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Stellen
Sie sich vor, Sie gehen nach der Bundestagsdebatte in
eine Kneipe und trinken dort drei Bier . Es kann dann gut
sein, dass beim Finanzamt am Ende nur die Steuern für
ein oder zwei Biere ankommen .
Es ist ein offenes Geheimnis, dass insbesondere in
der Gastronomie bei der steuerlichen Abrechnung viel
Schindluder getrieben werden kann . Das geht ganz einfach: Für elektronische Registrierkassen kann man die
Schummelsoftware, die die eingegebenen Umsätze nach
unten korrigiert, oft gleich mitbestellen, und wenn man
nur eine offene Ladenkasse hat und von Hand Buch führt,
dann ist dem Steuerbetrug ohnehin Tür und Tor geöffnet .
10 Milliarden Euro: Das ist die geschätzte Summe, um
die der Fiskus jedes Jahr durch Kassenmanipulationen
betrogen wird . Bereits 2003 hat der Bundesrechnungshof darauf hingewiesen . Doch erst jetzt, 13 Jahre später,
kommt die Bundesregierung mit diesem schwachen Gesetzentwurf daher .
({0})
Das war und ist schlicht Arbeitsverweigerung . Das lässt
Ihnen die Linke so nicht durchgehen .
({1})
Jetzt zum Inhalt des Gesetzes, das eigentlich der Bekämpfung des Steuerbetrugs durch Kassenmanipulation
dienen soll . Als wir hier vor knapp drei Monaten zum
ersten Mal darüber debattiert haben, hieß es: „Ziel verfehlt … klar und deutlich .“
Nun hat die Große Koalition in den letzten Wochen
noch ein wenig an dem Gesetz herumgedoktert, und wieder heißt es: „Die CDU hat alles darangesetzt, einzelne
Schlupflöcher offenzuhalten.“
Diesen beiden Einschätzungen stimme ich voll zu .
Leider stammen sie nicht von mir, sondern von den geschätzten Kollegen der SPD, die sich leider nicht gegen
die Bremser aus der CDU/CSU durchsetzen konnten .
({2})
Meine Damen und Herren, die Große Koalition steht für
steuerpolitischen Stillstand . Das ist die traurige Wahrheit .
({3})
Aber genug zu Ihrer gescheiterten Ehe .
Insbesondere zwei Punkte machen das Gesetz
schwach .
Erstens. Sie führen zwar eine Belegausgabepflicht für
die Registrierkassenbesitzer ein, sodass für fast jeden
Umsatz zwingend ein Beleg ausgegeben werden muss .
({4})
Grundsätzlich sind Umsätze so schwieriger zu verschleiern . Gleichzeitig führen Sie aber keine allgemeine Registrierkassenpflicht ein. Soll heißen: Wer weiter fröhlich
Steuern hinterziehen will, führt eben im wahrsten Sinne
des Wortes Buch und frisiert die Einnahmen per Bleistift .
Dem wäre durch eine Registrierkassenpflicht ein Riegel
vorgeschoben .
Für kleine Gewerbetreibende wie den Bratwurstverkäufer oder für den gemeinnützigen Sportverein, für die
das einen enormen Aufwand bedeuten würde, könnte
man immer noch Ausnahmen machen, zum Beispiel in
Anlehnung an einen bestimmten maximalen Jahresumsatz .
({5})
Zweitens . Ein Schwerpunkt des Gesetzes soll eigentlich sein, Kassensysteme auch gegen nachträgliche
Manipulation fälschungssicher zu machen . Die Große
Koalition will sich hier noch nicht auf ein bestimmtes
System festlegen und bezeichnet ihren Ansatz als „technologieoffen“ .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „technologiefern“
würde eher zutreffen .
({7})
Mit dem INSIKA-Projekt ist längst eine nutzbare
Technologie zur Verhinderung der Kassenmanipulation
vorhanden . INSIKA steht für „Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“ . Es
wurde mit Steuermitteln entwickelt, ist seit mehreren
Jahren erprobt, lizenzfrei und quasi ab sofort verfügbar .
Dass Sie stattdessen bei der Entwicklung ganz von vorne
anfangen wollen, ist für die Linke nicht hinnehmbar .
({8})
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Ihr Gesetz bleibt somit nur ein Tropfen auf den heißen
Stein . Die Linke fordert weit mehr im Kampf gegen
Steuerhinterziehung . Wir können Ihrem Gesetz daher
nicht zustimmen .
({9})
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({10})
Lothar Binding erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richard Pitterle, es
stimmt: Große Lösungen kann man manchmal auch mit
kleinen Schritten erreichen . Das machen wir heute .
({0})
Die Hauptsache ist, dass man ankommt .
Ich wollte zunächst Andreas Schwarz danken, der uns
heute vor seiner Grippe bewahren will und deshalb zu
Hause geblieben ist . Er ist der Berichterstatter für diesen
Tagesordnungspunkt . Ich wollte ihm von hier aus alles
Gute wünschen . Gute Besserung! Wir hätten ihn heute
gebraucht, aber ich versuche, ihn zu ersetzen .
({1})
Er hat mit starkem Gegenwind sehr gut verhandelt; das
muss man sagen, denn die CDU hat sich wirklich nicht
leichtgetan, das Gesetz, selbst so, wie es jetzt ist, mitzutragen .
Ich möchte aber auch Uwe Feiler danken . Als Finanzbeamter hat er fair bis zum Ende verhandelt . Auch für ihn
war es nicht immer leicht; das kann sich jeder vorstellen .
Das fängt schon mit dem Titel an - das hat er erwähnt -:
„Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen
Grundaufzeichnungen“ . Man hätte auch einfach sagen
können: „Gesetz gegen Kassenbetrug“ . Oder noch besser: „Gesetz gegen Betrug beim Bezahlen“ oder „ . . . beim
Kassieren“ . Das hätte jeder sofort verstanden . Aber der
Name deutet schon an, dass man sich an dieses Thema
nicht so richtig herangewagt hat .
Das Ziel des Gesetzes ist der gleichmäßige Steuervollzug . Das klingt sperrig, heißt aber, dass wir betrugsbedingte Wettbewerbsnachteile vermeiden wollen .
({2})
Wir wollen einen fairen Markt . Deshalb ist dieses Gesetz,
so wie es jetzt ist, noch nicht ganz fertig, aber es ist auf
dem richtigen Weg . Wir haben Probleme in der Praxis .
Bei der steuerlichen Außenprüfung gibt es eine ganze
Reihe von Problemen . Wir haben nicht dokumentierte
Stornierungen . Wir haben nicht erkennbare Änderungen
durch Programme . Wir haben Manipulationssoftware,
also Phantomware oder Zapper . All dies stellt die gesamte Dokumentation im Grunde infrage . Und natürlich gibt
es die Möglichkeit, die Kasse ganz zu umgehen . Aber
dann ist es schon fast offensichtlich, was passiert .
Außerdem fehlen bisher noch gesetzliche Regelungen . Es stimmt: Das hätten wir vielleicht früher machen
können . Aber man hat nicht immer alle Ideen gleich am
Anfang . Zum Beispiel ist die Unveränderbarkeit von
Informationen, die Integrität, nicht gegeben . Auch die
Herkunft der Daten, die Authentizität, ist nicht gesichert . Auch das sind wichtige Voraussetzungen, die man
braucht, um sicher mit Daten umgehen zu können . Auch
die Vollständigkeit digitaler Aufzeichnungen ist nicht gewährleistet und auch gesetzlich nicht geregelt . Deshalb
muss man unbedingt etwas tun .
Schon bisher galt für Aufzeichnungen: Sie mussten
einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht geordnet und
auch unveränderbar sein . Es gab schon Regeln; und das
sind sehr gute Grundsätze . Angenommen, es gäbe keinen Betrug, wäre alles in Ordnung . Leider werden diese
Grundsätze nicht von allen beherzigt . Keine Quittung,
keine Buchung, keine Dokumentation - all das sind
Beispiele dafür . Es kann natürlich, wie jeder weiß, vorkommen, dass man vergisst, dem Finanzamt Umsätze
zu melden . Das könnte im Prinzip jedem passieren . Und
gelegentlich bekommt man auch zu hören: „Bei uns nur
Cash!“ Dann schaue ich genauer hin und frage mich ich hoffe, da geht es mir so wie Ihnen -: Was läuft hier
eigentlich ab? - Ich bin ja kein Testkäufer, aber in diesem
Moment wäre ich gerne einer gewesen .
Mit diesem Gesetz - das ist der erste große Schritt wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht auch für elektronische Aufzeichnungssysteme, also für Kassen, Taxameter usw ., verankern . Dafür haben wir uns sehr massiv
eingesetzt . Die CDU/CSU hat sich anfangs ein bisschen
schwergetan . Aber wir wollen im Prinzip, dass alle elektronischen Aufzeichnungssysteme und die digitalen Aufzeichnungen selbst durch zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen geschützt werden, sodass man davon
ausgehen kann: Das ist ein System, in dem man sich auskennt und bei dem man weiß, was passiert .
Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt zwar nach den
GoB, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung,
schon jetzt . Seit den 60er-Jahren gibt es aber eine vom
BFH bestätigte Ausnahme . Das ist auch klug; denn es
gibt ja Leute, die mit ganz geringen Werten handeln: zum
Beispiel Zeitungskioske oder ein Erdbeerverkäufer, der
vielleicht mit einer Untertasse am Straßenrand Erdbeeren
verkauft . Für diese wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht natürlich nicht. Interessant ist, dass diese Ausnahme bei elektronischen Kassen aber nicht gilt . Was würden Sie also machen, wenn sie bei diesen nicht gilt? Ich
habe eine ganz einfache Antwort: Kasse weg, dann gilt
die Ausnahme .
Man merkt: Hier gibt es eine Lücke im System, über
die wir nachdenken müssen; denn wenn wir diese Art
von Lücken weiter dulden, dann erreichen wir mit unserem Gesetz das gewünschte Ziel nicht . Deshalb wollen
wir bei allen elektronischen Kassen eine Belegausgabepflicht, um das Entdeckungsrisiko bei Betrug zu erhöhen.
({3})
Was das angeht, habe ich nie verstanden, warum sich die
CDU/CSU so vehement dagegen gewehrt hat, und zwar
gegen den Rat aller Experten und auch gegen die Forderungen des Bundesrates .
Die Pflicht zur Belegausgabe bei elektronischen Kassen gilt - das ist ein schöner SPD-Erfolg -; aber bei unverhältnismäßiger Härte und bei offenen Kassen gilt diese Pflicht nicht. Das ist eine Verwässerung, die wir gerne
verhindert hätten . Vielleicht kann der Kollege Güntzler
nachher erklären, warum der Gesetzentwurf an dieser
Stelle so verwässert wurde . Ich sage: Dabei handelt es
sich um zwei Pyrrhussiege . - Jeder weiß ja: Pyrrhus siegte in der Schlacht bei Asculum über die Römer, und dann
ging er nach Hause und sagte: „Noch so ein Sieg, und
wir sind verloren!“ Da muss man also aufpassen, dass die
CDU/CSU nicht noch weitere Siege davonträgt .
({4})
Sehr gut ist die Pflicht zur Kassenregistrierung. Es
gibt eine Meldepflicht beim Finanzamt, weil wir verhindern wollen, dass man mit einer Zweitkasse an der ersten
Kasse vorbeiarbeiten kann . Das ist sehr gut . Allerdings
gibt es - das wurde schon gesagt - keine allgemeine Kassenpflicht. Damit hat man auch diese gute Idee teilweise
wieder konterkariert . Das ist schlecht .
Schlecht finden wir auch, dass INSIKA, das ein gutes Verfahren ist, jetzt per Gesetz für einige Jahre ausgeschlossen wird . Herr Pitterle hat schon etwas dazu gesagt; deswegen gehe ich jetzt nicht im Detail darauf ein .
Zusammenfassend könnte man sagen: Stattdessen warten
wir per Gesetz darauf, dass Unternehmen eine komplizierte Software entwickeln, die den ersten Tastendruck
registriert, um den Beleg mit einem Sicherheitsmerkmal
auszustatten . Leider haben wir das aber bisher nicht . Sie
haben vorhin gesagt, der Gesetzentwurf sehe ein entsprechendes Verfahren vor . Nein, laut Gesetzentwurf warten
wir darauf, dass Unternehmen ein Verfahren entwickeln,
das wir dann benutzen wollen . Das heißt im Prinzip, dass
wir bis zum Jahr 2020 nichts oder zu wenig haben . Das
ist nicht gut .
Was sehr gut ist, ist, dass die unangekündigte Kassennachschau kommt . Der Prüfer kann die Kasse sozusaLothar Binding ({5})
gen spontan prüfen . Im Entwurf stand - da habe ich das
BMF nicht verstanden -: ab 2020 . Eigentlich könnten die
Prüfer doch schon in der nächsten Woche damit beginnen . Wir haben dann in kleinteiligen Verhandlungen das
auf 2018 verkürzt . Ich frage mich genauso wie Andreas
Schwarz: Warum gilt das nicht ab dem 1 . Januar 2017?
Im Grunde haben die Gauner ein Jahr gewonnen .
Da weder der Anwendungsbereich des Gesetzes definiert wurde, noch die technischen Spezifikationen als
Grundlage für das Gesetz bekannt sind, gibt es einen
Beschluss der ganz besonderen Art . - Frau Präsidentin,
da ich sehe, dass ein Minuszeichen bei meiner Redezeit
steht, komme ich zu meinem letzten Satz: Normalerweise kann die Verwaltung oder die Regierung eine Rechtsverordnung erlassen . Wir haben nun einen ganz besonderen Beschluss vorliegen, der auf eine Idee von Ralph
Brinkhaus und Andreas Schwarz zurückgeht . Wir haben
gesagt: Die Ermächtigung der Verwaltung, eine Rechtsverordnung zu erlassen, steht unter dem Zustimmungsvorbehalt des Bundestages . Das heißt, wenn das Gesetz
scharf geschaltet wird, wird der Bundestag noch einmal
gefragt . Aufgrund dieser wirklich guten Idee kann man,
wie wir denken, diesem Gesetzentwurf zustimmen und
dann auf die Ausgestaltung warten .
Weil Weihnachten kurz bevorsteht, mache ich eine
ganz besondere Abschlussbemerkung . Wir alle erleben in
diesem Parlament, dass wir nach jeder Rede ein Protokoll
bekommen. Ich finde, die Betreffenden machen eine geniale Arbeit . Wenn ich sehe, wie unsere Reden hier protokolliert werden, kann ich nur sagen: Das ist einmalig
gut . Dafür will ich mich beim Protokolldienst bedanken .
Ich wünsche allen schöne Weihnachten .
({6})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Dr . Thomas Gambke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer auf den Rängen und vielleicht noch später in der Mediathek! Das zur Diskussion stehende Thema ist wirklich bedeutsam . Zu diesem Schluss kommt
man, wenn man den Experten und nicht der Union zuhört . Die Experten sagen nämlich, dass sich der Schaden durch Umsatzsteuerbetrug auf 10 Milliarden Euro
und mehr belaufen könnte . Ich hätte mir gewünscht, dass
heute der Kollege Brinkhaus hier geredet hätte, von dem
ich immer wieder gehört habe, dass er diese Zahl anzweifelt . Ich hätte gerne seine Begründung gehört .
Ich kann mir jedenfalls nicht erklären, warum die Union noch vor einem Jahr dieses Thema einfach negiert und
eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der sie die
von allen 16 Ländern einstimmig vorgetragene Forderung
nach Maßnahmen gegen manipulierte Kassen ablehnte?
Die Union hat gesagt: Für uns existiert dieses Thema
nicht; dagegen können wir nicht vorgehen . - Wenn Sie
das 2003 gesagt hätten, als die Digitalisierung noch kein
Thema war, dann hätten wir vielleicht Verständnis dafür
gehabt .
Nachdem man sich aber in den letzten zwei, drei
Jahren anschauen konnte, wie einfach Kassen manipuliert werden können, muss man zunächst einmal zu dem
Schluss kommen, dass solche Manipulationen sich nicht
nur auf die schon genannten Betriebe der Gastronomie
oder aus dem Taxigewerbe beschränken . Wenn man dann
noch weiß, dass fast die Hälfte derjenigen, die eine Kasse
erwerben wollten, sofort nach der entsprechenden Software gefragt haben, dann muss man doch einsehen, dass
es offenbar ein tiefgreifendes Problem gibt und dass wir
gut daran tun, zu versuchen, dem endlich einen Riegel
vorzuschieben .
({0})
Wenn wir Grüne dem vorliegenden Gesetzentwurf in
der ausgehandelten Form zustimmen werden, dann tun
wir das mit ziemlichen Bauchschmerzen . Warum? Es ist
Gott sei Dank in den Verhandlungen gelungen - dafür bin
ich der Sozialdemokratie und vor allen Dingen den Ländern sehr dankbar -, endlich eine Belegausgabepflicht
durchzusetzen . Ich habe nie verstanden, liebe Kollegen
von der Union, warum Ihnen das so schwergefallen ist .
Das Gleiche gilt für das Registrierkassenverzeichnis;
dabei gibt es noch nicht einmal eine Registrierkassenpflicht. Das waren unsere Forderungen. Ich freue mich
sehr, dass wir sie durchsetzen konnten .
Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass Sie ständig auf das Kosten- und Umsetzungsargument verwiesen
haben . Jetzt haben wir aber die Situation - jeder, der bei
der Anhörung dabei war, weiß, dass das die Sachverständigen, gerade auch die des Bundesamtes für Sicherheit in
der Informationstechnik bestätigt haben -, dass wir kein
zertifiziertes System haben. Die Sachverständigen konnten auch nichts zu den Kosten und dazu sagen, wie lange
das dauern wird, bis ein zertifiziertes System vorliegen
wird; Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Dabei
existiert ein solches System . Es hat den Beweis für seine Funktionstüchtigkeit in Hamburg angetreten . Es hat
dazu geführt, dass der Wettbewerb dort endlich wieder
fair vonstattenging .
({1})
- Aber es war fair und hat funktioniert, Herr Kollege . Es funktioniert in der gewünschten Art und Weise . Sie
haben das bestritten; aber die Experten haben uns das
bestätigt . Ich glaube da eben nicht so sehr dem Steuerjuristen als vielmehr dem Experten, der vor Ort ist und sich
mit dem Thema auseinandersetzt .
Insofern, meine Damen und Herren, haben wir hier
ein Gesetz vorliegen, das absolut in die richtige Richtung
geht . Wir wollen fairen Wettbewerb . Wir wissen, dass
wir jetzt noch daran arbeiten müssen, bestimmte Dinge
zu regeln . Ich freue mich, dass darüber noch im DeutLothar Binding ({2})
schen Bundestag entschieden wird . Wir müssen uns jetzt
anschauen, ob bei der Durchführung wirklich etwas Vernünftiges herauskommt . Es wäre sehr wichtig, dass das
passiert .
Ich sage noch einmal: Die Wettbewerbsverzerrung,
die wir im Bereich der Umsatzsteuer haben, ist nicht
hinnehmbar . Das betrifft eben nicht nur die Gastronomie
und nicht nur das Taxigewerbe, sondern der Umsatzsteuerbetrug mit manipulierten Kassen kann auch viel weiter
um sich gegriffen haben . Sie beklagen es immer; aber
wir müssen es dann auch einfach umsetzen: Der Steuerunehrliche muss endlich dazu gebracht werden, steuerehrlich zu werden . Dafür ist ein erster, wichtiger Schritt
getan worden . Ich hoffe, dass wir im weiteren Verlauf zu
einem Gesetz kommen, das dann auch wirklich umsetzbar ist und seinen Zweck erfüllt .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Fritz Güntzler,
CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, dazu Stellung zu
nehmen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Gambke hat die 10 Milliarden Euro angesprochen, die den Haushalten jährlich verloren gehen
sollen . Ich möchte gern darauf Bezug nehmen . Wenn Sie
an der Anhörung teilgenommen haben,
({0})
dann wissen Sie, dass wir den Bundesrechnungshof gefragt haben, wie er auf die 10 Milliarden Euro komme .
Es kam keine konkrete Antwort, sondern nur der Hinweis, man habe eine Stichprobe bei 40 oder 47 Unternehmen gemacht . Man glaubt also, auf dieser Grundlage die
Summe hochrechnen zu können . Von daher: Vorsicht an
der Bahnsteigkante!
Ich würde auch davor warnen, hier den Eindruck zu
erwecken, dass alle Unternehmer, die eine Kasse führen,
per se Steuerhinterzieher sind .
({1})
Es gibt die Fälle, aber man muss diese auch einordnen .
Von daher ist es klug, einen Kompromiss zu finden - wie
dieser aussieht, hat Uwe Feiler ja vorhin sehr deutlich
dargestellt -, damit man den Steuerehrlichen nicht noch
bestraft und mit zusätzlicher Bürokratie belastet . Man
muss vielmehr einen vernünftigen Ausgleich hinbekommen, sodass man das Ziel, über das wir uns alle einig
sind, erreicht, ohne die Belastung der ehrlichen Steuerpflichtigen zu stark zu erhöhen. Ich glaube, das bekommen wir hier gut hin .
({2})
Es ist richtig, dass wir Manipulationen verhindern
müssen . Die Dinge, die uns geschildert worden sind, sind
wirklich abenteuerlich . Schauen Sie sich die Manipulationssoftware Phantomware an: Sie müssen Tetris spielen,
danach kommen Sie auf eine andere Ebene, und dann
werden Ihnen die Umsätze und Materialaufwendungen
auf Wunsch geschmeidig gemacht, sage ich einmal, also
angepasst . - Das kann nicht funktionieren . Da müssen
wir eine Lösung finden. Die haben wir jetzt auch gefunden .
Wir haben eine technologieoffene Lösung, was ich gut
finde. Wir haben eine herstellerunabhängige Lösung und
eine kostengünstigere Lösung als das INSIKA-Verfahren . So jedenfalls heißt es in der Gesetzesbegründung der
Bundesregierung . Und wir suchen ein sichereres Verfahren, in das sich nicht jeder reinhacken kann . All das war
mit INSIKA nicht gegeben . Daher glaube ich, dass wir
auf einem guten Weg sind .
Wir müssen auch beachten, welchen Umfang dieses
Gesetz annimmt, wen wir alles damit treffen . Wir haben
in Deutschland ungefähr 400 000 Einzelhandelsbetriebe und ungefähr 250 000 gastronomische Betriebe . Die
müssen wir im Blick haben . Ich habe das vorhin schon
einmal erwähnt . Von daher ist es richtig, keine generelle Registrierkassenpflicht einzuführen. Das klingt per se
ganz gut, aber wir treffen eben auch viele Kleine . Ich will
nicht nur die Sportvereine nennen . Der Deutsche Fußball-Bund war ja bei der Anhörung anwesend und sagte,
dass der Verkauf auf dem Sportplatz ein Problem sei . Bei
einem Volksfest oder einem Stiftungsfest, das ein Verein
veranstaltet, kommt man schnell über die Umsatzgrenzen
hinaus, die mal diskutiert worden sind . Dann gibt es das
Problem bei den einzelnen Vereinen .
Wir brauchen nur über die Grenze zu schauen . Die Österreicher haben das mit großem Bohei eingeführt . Aber
was finden wir jetzt vor? Mittlerweile hat das Schreiben
des österreichischen BMF 95 Seiten . Als wir angefangen
haben, zu diskutieren, waren es noch 67 Seiten . Weil die
Ausnahmen immer mehr werden, ist der Umfang angewachsen . Die Ausnahmen betreffen den Umsatz im
Freien, Hüttenumsätze und ganz viele tolle Dinge . Diese
Ausnahmetatbestände würden wir auch hier in Deutschland schaffen; denn der politische Druck auf uns alle
wäre sehr groß, weil wir Leute in den Vereinen treffen
würden, die wir gar nicht treffen wollen .
({3})
Stattdessen machen wir hier Politik mit Augenmaß und
sind froh, dass wir die Sozialdemokraten dazu bringen
konnten, diesen Weg mitzugehen und nicht wieder überbordende Bürokratie aufzubauen .
({4})
Deutlich muss aber auch sein, dass das Ganze kein
Allheilmittel ist . Der Kollege Binding hat ja darauf
hingewiesen: Ein großes Problem sind - das muss man
ehrlicherweise sagen - Einnahmen, die gar nicht erfasst
werden .
({5})
Egal, wie gut ein Kassensystem ist: Wenn eine Einnahme
kassemmäßig gar nicht erfasst wird, ist das ein Problem .
Von daher ist es richtig, dass wir jetzt die Kassennachschau einführen und damit der Finanzverwaltung ein
Handwerkszeug an die Hand geben . Sie kann von nun an
unangekündigt in Räumlichkeiten gehen und sich einzelne Dinge anschauen .
Kritisiert wird, dass diese Regelung erst ab dem 1 . Januar 2018 gelten soll . Dass das so ist, hat auch etwas mit
den Länderfinanzverwaltungen zu tun, die erst einmal
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen müssen .
({6})
Wenn man unbedingt handeln will, Herr Kollege Binding,
dann besteht auch jetzt schon die Möglichkeit, das Instrument der Umsatzsteuernachschau anzuwenden . Dort,
wo Steuern hinterzogen werden, gibt es oft nämlich auch
ein Problem mit der Umsatzsteuer, sodass man auch auf
diese Weise das angehen könnte .
Natürlich wird es weiterhin die Möglichkeit geben,
eine offene Ladenkasse zu führen . Ich sage Ihnen aber:
Das werden die wenigsten tun, weil bei einem zertifizierten System die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der
Kassenaufzeichnung greift . Die sogenannte Beweiskraft
der Buchführung ist in § 158 Abgabenordnung verankert .
Wenn ein Betriebsprüfer vor Ort ist, versucht er gern, die
Buchführung durcheinanderzubringen, indem er sagt:
„Sie ist sachlich nicht richtig“, weil er dann nach § 162
Abgabenordnung die Möglichkeit hat, zu schätzen . Das
ist das größte Problem . Insofern kann ich jedem Mandanten nur empfehlen - das tue ich auch -, offene Ladenkassen ab- und Registrierkassen anzuschaffen . Das ist vernünftiger, weil man dann auch Sicherheit hinsichtlich der
Betriebsprüfung hat .
Übrigens sind die Registrierkassen nicht erfunden
worden, weil es den Fiskus gibt, sondern weil Unternehmer sicher sein wollten, dass ihre Mitarbeiter keine eigenen Geschäfte machen .
({7})
Ich habe einmal nachgelesen: 1879 ist in einem Saloon in
Ohio zum ersten Mal eine Registrierkasse benutzt worden .
({8})
- Der Barkeeper war nicht mehr lange beschäftigt . - Es
gibt also gute Gründe, die offene Ladenkasse abzuschaffen .
Ich glaube, dass wir hier insgesamt eine sehr praktikable Lösung vorliegen haben . Wir werden gemeinsam
Erfolg haben . Wir wollen den Steuerhinterziehern das
Handwerk legen . Das werden wir mit diesem Gesetz
schaffen, auch wenn Herr Binding noch nicht ganz überzeugt ist .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum
Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeich-
nungen .
Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10667,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/9535 und 18/9957 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen .
Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschluss-
empfehlungen des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 18/10667 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7879 mit
dem Titel „Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern - Zeitgleich Abschreibungsregeln
für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/1968 mit dem Titel „Umsatzsteuerbetrug
1) Anlage 11
bekämpfen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen
Drucksache 18/10639
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Peter
Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen . - Bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Geierfonds ist ein beinahe niedlich klingender, aber auf der anderen Seite auch zutreffender
Name für ein Spekulationsmodell, das Staaten an den
Rand des Ruins oder manchmal darüber hinaus treibt .
Worum geht es? Staaten, vor allen Dingen Entwicklungsländer, geraten mitunter in drohende Zahlungsunfähigkeit, und das aus verschiedenen Gründen . Schlechte
Regierungsführung wird immer genannt, aber es kann
auch unverschuldet passieren, zum Beispiel durch Naturkatastrophen oder Krisen an den Rohstoffmärkten . In
solchen Krisensituationen haben Staaten nicht, wie es im
Privatrecht der Fall ist, die Möglichkeit, Insolvenz anzumelden; Firmen haben diese Möglichkeit, Staaten nicht .
Tritt nun eine Staatspleite ein, versuchen die Gläubiger, an den Märkten ihre dann praktisch wertlosen Staatsanleihen loszuwerden . Der Rausch der Geier beginnt . Zu
Ramschpreisen kaufen sie Forderungen auf, um sie später zu vergolden . Es gibt dann Verhandlungen; aber an einer Verhandlungslösung oder einer gerechten Verteilung
der Verluste sind die Geier natürlich nicht interessiert .
Das müssen sie auch nicht sein; denn es existiert immer
noch kein weltweites Staateninsolvenzregime, das alle
Gläubiger an den Verhandlungstisch zwingt . Die Bundesregierung ist hieran leider mitschuldig . Deutschland
hat 2015 in den Vereinten Nationen gegen ein geordnetes
Staateninsolvenzrecht gestimmt .
Doch zurück zu den Geierfonds . Wie über Verdurstenden in der Wüste kreisen auch über zahlungsunfähigen Staaten die Geier . Doch im Gegensatz zu Geiern in
der Natur warten die Spekulanten ab, bis der Staat die
rettende Oase erreicht hat, bis große Gläubiger freiwillig
verzichtet haben - darunter Deutschland und damit auch
die Steuerzahler in diesem Land -, bis der Staat wieder
einigermaßen auf die Füße gekommen ist und die Daseinsvorsorge wieder einigermaßen funktioniert . Erst
dann schlagen die Geierfonds zu . Dann ziehen die Fonds
vor unsere Gerichte, die Gerichte in den Industriestaaten - und das mit Erfolg . Sie zwingen die verschuldeten Staaten dazu, ihnen den Nennwert der Anleihen plus
Zinsen zu bezahlen, obwohl sie selber nur einen Bruchteil davon bezahlt haben, als sie die Anteile aufgekauft
haben . Renditen von über 1 000 Prozent sind auf diese
Weise schon erzielt worden .
Das bekannteste Beispiel dürfte der Geierfonds NML
Capital sein, der Profit aus der Staatspleite Argentiniens
geschlagen hat . Die übrigen Gläubiger stimmten einem
Schuldenschnitt zu und verzichteten auf mehr als die
Hälfte ihres Geldes . Nicht so NML Capital: Der Geierfonds verklagte Argentinien vor einem Gericht in den
USA auf volle Zahlung und bekam recht .
Wir als grüne Bundestagsfraktion fordern mit dem Ihnen heute vorliegenden Antrag, diesem Treiben endlich
Einhalt zu gebieten .
({0})
Investmentfonds handeln zwar im Moment durchaus
nach Recht und Gesetz; aber sie verletzen, zumindest
nach unserem Verständnis, Werte wie Anstand und Würde . Jemanden, der schon am Boden liegt, tritt man nicht
auch noch . Jene, die helfen wollen, sollen dafür nicht bestraft werden, so wie die Steuerzahler hier bei uns .
Belgien und Großbritannien haben bereits gehandelt .
Sie haben Antigeiergesetze erlassen . Es wird Zeit, dass
auch wir hier in Deutschland tätig werden . Das wäre
auch im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen, zu denen sich auch Deutschland bekannt hat .
({1})
Lassen wir die Geierfonds weiter zu, droht ein Dominoeffekt . Niemand wird sich mehr auf Verhandlungen
und auf Verzicht einlassen . Tragfähige Lösungen für
Schuldenkrisen werden immer schwieriger . Es kann und
darf nicht länger sein, dass die Steuerzahler zurückstecken, damit sich einige wenige die Taschen vollmachen,
ganz zu schweigen vom Leiden der Menschen in den
überschuldeten Staaten, wo dann die Daseinsvorsorge
zusammenbricht, wo Menschen leiden, die sich nicht
mehr wehren können . Das Leid der einfachen Leute, die
unter den Sparmaßnahmen leiden und die alles ausbaden
müssen, sollten wir dabei in erster Linie im Blick behalten und nicht so sehr die Sicherung der Renditen .
Laut IWF sind immer mehr Staaten von Überschuldung bedroht . Die Schuldensituation weltweit wird jeden
Tag brenzliger . Wir müssen also als Gesetzgeber handeln, ehe die Hütte brennt . Lassen Sie uns die WassereiVizepräsidentin Ulla Schmidt
mer bereitstellen - stimmen Sie unserem Antrag zu! Das
ist ein erster wichtiger Schritt .
Um das Schuldenproblem zu lösen, müsste sich die
Koalition endlich ein Herz fassen und international für
ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren eintreten . Die
G-20-Präsidentschaft ist da, glaube ich, jetzt ein ganz guter Anlass, um darüber noch einmal nachzudenken .
Ich wünsche allen schöne, friedvolle Weihnachten .
Gute Besserung all denen, die heute wie Uwe Kekeritz,
der eigentlich hier reden sollte, krank sind und nicht an
dieser Debatte teilnehmen können . Gute Besserung und
frohe Weihnachten!
({2})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Johannes Selle das Wort .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht oft
vor, dass sich die Staaten und die Menschen dieser Welt
einig sind, schon gar nicht, wenn es um etwas Grundsätzliches geht . Aber am 1 . September letzten Jahres gab es
eine solche Sternstunde der Menschheit . 193 Staaten der
UNO verabschiedeten den von der Generalversammlung
überwiesenen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung“ .
Die Umsetzung der Agenda 2030 muss jetzt Leitmotiv unserer Politik sein und alle Politikfelder einbeziehen .
Eine ganz wesentliche Aufgabe wird darin bestehen, die
Finanzierung für diese Ziele zu beschaffen und die Finanzierungen so zu gestalten, dass sie geeignet sind, den
Weg zu Arbeitsplätzen, zu Infrastruktur, Bildung und Gesundheit zu beschreiten . In unserer Anhörung zum Stand
der Umsetzung der Agenda 2030 am 30 . November 2016
mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzierungen gerade ihre Institutionen in den Ländern verlieren, in
denen sie am dringlichsten gebraucht werden, zum Beispiel in Afrika . Wenn man Geldströme, Investitionen und
auch Staatsfinanzierungen nicht mehr organisieren kann,
dann werden wir die Ziele der Agenda 2030 verfehlen .
Deshalb muss man wohl abgewogen und sensibel vorgehen .
Wir werden aber diese Ziele auch verfehlen, wenn
sich Geschäftsmodelle ausbreiten, die eine auftretende
Schwäche eines Landes zur Gewinnmaximierung nutzen . Genau darauf wird in diesem Antrag aufmerksam
gemacht . Mit solchen Schwächen sind Zahlungsprobleme gemeint, die dazu führen, dass finanzielle Verpflichtungen zu spät und nicht vollständig erfüllt werden können . Wenn sich so etwas andeutet und gegen ein solches
Land spekuliert wird, indem die im Wert fallenden Anleihen aufgekauft werden, um sie später im vollen Umfang durchzusetzen, wird es in der Tat problematisch .
Bedauerlicherweise müssen wir davon ausgehen, dass
diese Situation auftreten kann . Das kann durch Preisverfall, durch Naturkatastrophen, durch Konflikte ausgelöst
werden .
Die Beratungen der Gläubiger in solchen Fällen werden schwerlich zu guten Ergebnissen führen, wenn ein
Teil der Gläubiger abwartet und seine vollen Ansprüche
geltend machen will . Die Collective Action Clauses, die
für solche Fälle eingeführt wurden, werden ihre Wirkung
verfehlen, wenn es den Geierfonds gelang, Mehrheitsanteile zu erlangen . Und diese Strategie ist bereits vorhanden . Die für alle Gläubiger geltenden Beschlüsse unter
dem Geltungsbereich der Collective Action Clauses müssen nämlich mit Mehrheit gefällt werden .
Dass diese Geschäftsmodelle überhaupt funktionieren, liegt an der fehlenden internationalen Regelung für
Staaten, die sich im Zustand der Insolvenz befinden. Insolvenz, wie sie bei wirtschaftlichen Betrieben der Privatwirtschaft abgewickelt wird, lässt sich nicht auf Staaten übertragen, und deshalb konnten Ansprüche bisher
durchgesetzt werden . Auch das spricht der Antrag an .
Da ein Volk, ein Territorium nicht verschwinden kann,
wird es darum gehen, eine zukünftige Entwicklung eines betroffenen Staates zu ermöglichen . Die Restrukturierung durch Schuldenerlass, Umschuldung und weitere
Hilfen sollte den IWF bzw . die Weltbank einbeziehen .
Hier hat die internationale Gemeinschaft kompetente
Institutionen . Für mich bedeutet das jedenfalls, dass die
Proklamation eines kritischen Zustandes eines Landes
von diesen Institutionen kommen muss, um sie dem direkten politischen Einfluss zu entziehen. Die Proklamation muss dann verhindern, dass Gläubiger so agieren können, als gäbe es die Notsituation nicht . So könnte in dem
ungeklärten Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Staates
vorgegangen werden .
Einen politischen und solidarischen Ansatz haben
Geierfonds nicht in ihrer Satzung . Die Politik kennt diesen Ansatz, und sie weiß, dass nur über Perspektiven
für die Völker Frieden, Wohlstand und Bewahrung der
Schöpfung möglich sind . Das ist unsere Verantwortung .
Deshalb gibt es ja die Agenda 2030 . Regelungsbedarf ist
also vorhanden . Fonds, die investieren und an eine Zukunft glauben - und die gibt es schon -, brauchen wir
allerdings . Zu umständliche und gläubigerfeindliche
Regelungen erhöhen die Kosten und können sinnvolles Engagement von Fonds verhindern . Regeln, die von
vornherein den Wert von Anleihen einschränken, werden
grundsätzlich negativ bewertet und werden schwerer zu
handeln sein .
Insofern haben wir sehr sorgfältig und ernsthaft die
plakativ wirkenden Forderungen des Antrages zu behandeln . Das gründlich zu machen, nehmen wir uns vor, und
wir sind uns bewusst, dass die Anleihen, über die wir hier
reden, bisher nicht nach deutschem Recht begeben werden, sondern eher nach britischem . Und für ausländische
Emittenten gelten unsere Gesetze auch nicht . Wir wollen
ja nicht folgenlose Gesetzgebung betreiben .
Uns ist ebenfalls klar, dass von Deutschland kommende Regelungen in besonderer Weise tragfähig sein
müssen; denn Deutschland hat sich verpflichtet, bei der
Agenda 2030 eine Vorreiterrolle einzunehmen, und gilt
als wichtiger Akteur und Meinungsbildner . Generell halte ich für uns fest: Wir wollen den Ländern bei dem Weg
aus der Schuldenfalle helfen .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Niema Movassat,
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbesondere werte Abgeordnete der Regierungsfraktionen,
ich habe heute einen fast unwiderstehlichen Investitionstipp für Sie: Sie zahlen 1 000 Euro ein und bekommen
1 Million Euro zurück . Was müssen Sie tun? Sie geben
1 000 Euro einem Hedgefonds, der sich darauf spezialisiert hat, Staatsschulden zu viel Geld zu machen . Diese
Hedgefonds, auch „Geierfonds“ genannt, pressen hochverschuldeten Staaten Geld ab, das diese gar nicht haben .
Wie das funktioniert?
Erster Schritt: Der Geierfonds kauft von Gläubigern
ausstehende Staatsschulden, an deren Rückzahlung die
Gläubiger ohnehin nicht mehr glauben . Er kriegt diese
Staatsschulden, da sie ja als faktisch wertlos gelten, zu
einem Ramschpreis .
Zweiter Schritt: Der Geierfonds bezahlt teure Anwaltsbüros, die den verschuldeten Staat auf sofortige
Rückzahlung dieser Staatsschulden verklagen, plus jährliche Zinszahlungen von bis zu 100 Prozent . Weigert sich
der Staat, diesen Forderungen nachzukommen, lässt der
Geierfonds Staatseigentum im Ausland - wie Schiffe
oder Flugzeuge - konfiszieren und treibt diesen Staat zudem in die Zahlungsunfähigkeit .
Wenn dieser Geierfonds ein Land ausgewählt hat,
das dem enormen Druck nicht standhält oder - wie im
Fall Argentiniens - das Glück hat, dass eine linke Regierung von einer rechten abgelöst wird, dann klingelt die
Kasse . Im Fall von Argentinien haben die Hedgefonds
Traumrenditen von bis zu 1 000 Prozent erzielt . Für ihre
1 000 Euro bekommen sie 1 Million Euro zurück . Es ist
eine schier unfassbare Gier, der endlich ein Riegel vorgeschoben werden muss .
Um diese horrenden Forderungen bedienen zu können,
muss der betroffene Staat Sozialausgaben massiv kürzen .
Für die Menschen vor Ort bedeutet dies im Normalfall
Arbeitslosigkeit, Wegfall von Renten, Armut und Elend .
Damit sich einige wenige Anleger die Taschen fett füllen
können, wird gesellschaftliches Elend für Millionen produziert . Es ist eine Schande, dass diese Bundesregierung
diesem Recht des Stärkeren bisher keine wirksamen gesetzlichen Maßnahmen entgegensetzt .
({0})
Argentinien ist nicht das einzige Opfer der Geierfonds . Liberia, Peru, Sambia, Nicaragua oder der Kongo - es sind vor allem arme Staaten, auf die sich diese
Fonds stürzen, weil sie eine besonders leichte und hilflose Beute darstellen . Deshalb unterstützen wir als Linke
alle Forderungen des Antrags der Grünen, um den Geierfonds endlich das Handwerk zu legen .
({1})
Zugleich muss die Bundesregierung aber mit dem
Schäuble’schen Mantra brechen, das auf die Rückzahlung sämtlicher Staatsschulden beharrt, koste es, was es
wolle . „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ besser als mit dieser Bild-Schlagzeile kann man die
rücksichtslose Haltung von Finanzminister Schäuble gegenüber hochverschuldeten Staaten nicht auf den Punkt
bringen . Wo die Schulden herkommen - uninteressant .
Wie das Geld für die Schuldentilgung aufgebracht wird
und welches menschliche Elend dies verursacht - egal .
Dass selbst der IWF Schuldenschnitte für diese Länder
fordert - geschenkt . Diese deutsche Haltung gegenüber
Griechenland, Argentinien und anderen Staaten ist fatal
und muss endlich aufhören .
({2})
Um den Kreislauf von Schulden und Ausbeutung zu
brechen, hat meine Fraktion im letzten Jahr einen Antrag eingebracht, der ein internationales Staateninsolvenzverfahren fordert . Ebenso wie für Privatpersonen und
Unternehmen brauchen wir für hochverschuldete Staaten
ein klares Verfahren, wie sie ihre Schuldenlast auf ein
erträgliches Ausmaß reduzieren können .
Die Linke ist mit dieser Forderung nicht alleine: Die
G-77-Staaten haben diesen Vorschlag in die UN-Generalversammlung eingebracht . Die Bundesregierung war
eine von nur elf Regierungen, die diesen Antrag abgeschmettert haben . Sie beharrt damit auf dem Recht des
Stärkeren . Dies ermöglicht auch, dass Geierfonds von
wehrlosen Staaten Renditen von 1 000 Prozent erpressen .
So darf es nicht weitergehen . Eine Politik, die Anstand
und wirtschaftspolitischen Weitblick hat, muss ein Staateninsolvenzverfahren ermöglichen und Antigeiergesetze
auf den Weg bringen .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Manfred Zöllmer .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, dass es aktuell sicherlich wichtigere Aspekte des
Themas Staatsinsolvenz als den Aspekt der sogenannten
Geierfonds und ihres Agierens in der Staatsschuldenkrise
von Argentinien gibt, den die Grünen jetzt in ihrem Antrag aufgegriffen haben . Denn Argentinien hat sich mit
diesen Fonds inzwischen geeinigt: Im März dieses Jahres
haben das Abgeordnetenhaus und der Senat Argentiniens
einer Vereinbarung zwischen der Regierung und den Anleiheinvestoren mit großer Mehrheit zugestimmt . Argentinien hat im Gegenzug 4,65 Milliarden US-Dollar an die
Gläubigerhedgefonds ausgezahlt und dem Land damit
den Weg zurück an den Kapitalmarkt geebnet . Dies ist
im Übrigen - das muss man einfach sagen - ein großer
Erfolg für den neuen Staatspräsidenten Macri, und es hat
die argentinische Wirtschaft entsprechend befördert . Das
Elendsbild, das Sie, Herr Movassat, hier gezeichnet haben, trifft die Realität in Argentinien nicht .
({0})
Schauen wir uns den Fall Argentinien aber mal genauer an. Hintergrund ist ein juristischer Konflikt Argentiniens mit einem New Yorker Hedgefonds . Infolge
der Insolvenz des Landes im Dezember 2001 führte die
Regierung in Buenos Aires in den Jahren 2005 und 2010
große Umschuldungsrunden durch . Herr Movassat, Argentinien war erst pleite und hat dann die Umschuldungen vorgenommen . Ich glaube, das muss man einmal in
aller Deutlichkeit sagen . Dann haben Hedgefonds argentinische Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt zu günstigen
Konditionen aufgekauft und vor einem US-Gericht Argentinien verklagt, um zum vollen Wert entschädigt zu
werden - das ist in der Tat der Sachverhalt -, und ein
US-Gericht hat die Regierung in Buenos Aires dazu verurteilt, insgesamt vier Hedgefonds den Nennwert auszuzahlen .
Jetzt kann man ja fragen: Warum läuft das Ganze vor
einem amerikanischen Gericht? Dazu muss man wissen,
dass die argentinische Regierung die entsprechenden
Bonds ganz bewusst unter amerikanischem Recht in Dollar aufgenommen hat . Insofern war das amerikanische
Gericht zuständig .
Ich will aber auch deutlich machen, dass der Bundesgerichtshof deutschen Anlegern, die gegen diese Umschuldungsstrategie geklagt haben, gegenüber Argentinien recht gegeben hat . Der BGH hat Folgendes formuliert:
Kein völkerrechtlicher Grundsatz berechtige ein Land
dazu, die Zahlung fälliger Schulden wegen eines finanziellen Staatsnotstandes oder einer freiwilligen Umschuldung der Gläubigermehrheit zeitweise zu verweigern .
({1})
Auch aus der Weltfinanzmarktkrise und der Rettung
Griechenlands sei eine derartige völkerrechtliche Regel
nicht entstanden .
Man muss jetzt sehen: Der argentinische Staatspräsident Macri hat die politische Strategie Argentiniens geändert . Die Staatspräsidentin Kirchner hatte sich geweigert,
zu verhandeln; Macri hat verhandelt . Die Verhandlungen
mit den Hedgefonds haben dazu geführt, dass nur 75 Prozent der ursprünglich geforderten Summe von Argentinien gezahlt werden mussten . Ich denke, auch das gehört
zum Gesamtbild dazu, wenn man diesen Fall darstellt .
Es ist im Prinzip das geschehen, was Sie in Ihrem Antrag fordern: den Rückzahlungsanspruch eines Fonds auf
dem Verhandlungswege zu finden. Herr Macri hat verhandelt, und Frau Kirchner hatte damals nicht verhandelt . Das Ergebnis der Verhandlungen war, dass Argentinien wieder Zugang zum Kapitalmarkt gefunden hat .
Herr Movassat, auch das muss man in aller Deutlichkeit sagen: Argentinien ist kein armes Land; Argentinien
ist ein reiches Land . - Aber das nur am Rande .
Jetzt fordern die Grünen in ihrem Antrag, der Deutsche Bundestag möge sich doch bitte an der Gesetzgebung von Belgien und Großbritannien orientieren und einen Gesetzentwurf vorlegen, der Staaten vor illegitimen
Rückzahlungsansprüchen wirksam schützt . Doch ein solcher Gesetzentwurf geht vollständig ins Leere .
({2})
Gut gemeint bedeutet leider nicht gut gemacht . Ich will
das begründen, indem ich wörtlich zitiere, was in der Begründung Ihres Antrages steht:
Die Bundesrepublik Deutschland ist - bislang kein bedeutender Finanzplatz,
({3})
auf dem die hier beschriebenen Geier-Fonds aktiv
sind, weder als Ort, an dem entsprechende Klagen
geführt werden, noch als Sitz von entsprechenden
Investmentgesellschaften .
Das steht wörtlich so in Ihrem Antrag . Diese Feststellung
ist richtig . Aber was wollen Sie dann mit einem deutschen Gesetz, das, wie Sie selbst beschreiben, völlig wirkungslos wäre? Das wäre reine Symbolpolitik .
({4})
Ein solches Antigeiergesetz wäre eine konzeptionelle
Belanglosigkeit .
Ein Großteil der Staatsanleihen und weiterer Wertpapiere werden unter der Gerichtsbarkeit der großen
internationalen Finanzplätze USA und Großbritannien
begeben . Ein Verfahren, welches diese Akteure nicht miteinbezieht, wird absolut wirkungslos bleiben .
Dann haben Sie gefordert, man möge im Rahmen der
G 7, der G 20, des Pariser Clubs und der OECD für entsprechende Regelungen werben . Das halte ich für eine
richtige Forderung . Das sollte in der Tat geschehen . Aber
eine Verständigung kann es nur geben, wenn es einen
fairen und transparenten Prozess unter Einbeziehung der
angesprochenen Institutionen und Gläubiger gibt . Ein nationales Verbotsgesetz hilft überhaupt nicht .
({5})
Deshalb unterstützen wir die IWF-Empfehlungen zu
den sogenannten Collective Action Clauses . Diese Umschuldungsklauseln in Staatsanleihen müssen weiterentwickelt werden . Dieser Prozess muss vorangetrieben
werden . Nach der Staatsinsolvenz Argentiniens ist das
entsprechend geschehen .
Das Anliegen ist es, alle Gläubiger auf die Anerkennung einer Verhandlungslösung zu verpflichten, die mit
bestimmten, vorher vertraglich festgelegten Mehrheiten
gefunden wurde . Dann wissen die Geldgeber, worauf sie
sich einlassen . Das ist ein faires und transparentes Verfahren . Das verhindert, dass die sogenannten Geierfonds
überhaupt aktiv werden können . Sie haben so kein Interesse mehr, sich spekulativ mit Schuldtiteln zu versorgen,
und das Problem Geierfonds wäre auf diesem Wege gelöst . Staatliche Schuldenkrisen können dann kontrolliert
abgewickelt werden .
Die Bundesregierung bzw . wir als Parlament setzen
uns deshalb beim IWF dafür ein, die Arbeiten in diesem
Bereich intensiv fortzusetzen . Aber das braucht eine enge
Beteiligung von IWF und Pariser Club und auch eine
Einbeziehung der Gläubiger . Ohne ein solches Vorgehen
können wir keinen Fortschritt erreichen .
Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen,
Aber bitte ganz kurz, Herr Kollege, ja?
- und das ist das Thema Schuldenprävention . Dieses Thema müssen wir im Auge behalten . Wir müssen
die Gesamtproblematik Staatsschuldenkrise sehen . Wir
brauchen vernünftige Regeln und Verfahren, die mit den
relevanten Beteiligten entwickelt werden müssen . Was
wir nicht brauchen, ist eine reine Symbolpolitik .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Dr . Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden auf Antrag der Grünen über Staatsinsolvenzen .
Zunächst einmal wurde der Eindruck erweckt, das sei ein
Spezifikum für Entwicklungsländer. Das ist der erste
Fehler in Ihrem Antrag . Das ist eine Erfahrung, die auch
viele Industrieländer gemacht haben . Deutschland hat
das mehrere Male durchgemacht . Wir erleben in Europa
diese Diskussion auch aktuell immer wieder . Deshalb ist
die Frage: Warum geht es nur um Entwicklungsländer?
Warum geht es nicht um die Frage: „Wie regeln wir entsprechende Vorgänge in Europa?“? Als Beispiel nenne
ich Kalifornien und Puerto Rico . Selbst die Vereinigten
Staaten von Amerika
({0})
- Russland - und alle möglichen weiteren Länder waren
kurzzeitig vor der Zahlungsunfähigkeit . Das Problem ist
also - im wörtlichen und im übertragenen Sinne - viel
globaler .
Das bedeutet: Wir brauchen - da stimme ich Ihnen
vollständig zu - einen rechtlichen Rahmen zur Regelung
von Staatsinsolvenzen . Ich schaue zum Kollegen von den
Linken: Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass ein solches Insolvenzverfahren damit einhergehen würde oder
müsste, dass Inseln gepfändet werden, ist das natürlich
neben der Sache . Darum geht es nicht . Wir brauchen ein
völlig eigenständiges Verfahren; letztlich wurde es in
vielen Bereichen auch schon privatautonom entwickelt .
Aber denken wir einmal zurück: Was wollen eigentlich Insolvenzverfahren? Im Wesentlichen geht es um
drei Punkte:
Zum einen geht es darum, den Schuldner zu entlasten,
damit er alte Schulden loswird . Das ist verständlich .
Der zweite Punkt ist, die Forderungen der Gläubiger durchzusetzen, und zwar im gleichen Umfang unter
Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . - Sie nicken jetzt; auf den Punkt komme ich gleich zurück .
Schließlich geht es drittens darum - da besteht völlige
Zustimmung bzw . Übereinstimmung -, den Schuldner,
die Staaten wieder fit zu machen für den Kapitalmarkt,
damit sie Renten und Sozialausgaben künftig zahlen können und auch wieder an den Kapitalmarkt gehen können .
Aber in Ihrem Antrag ist - das merkt man, wenn man
die Überschrift liest - im Wesentlichen nur von dem ersten Punkt die Rede, nämlich davon, Schuldnerstaaten zu
entlasten . Aber es geht auch darum, Gläubigeransprüche
durchzusetzen . Das sollte man einmal deutlich sagen . In
den Szenarien, die Sie hier beschrieben haben, leiden
auch die Gläubiger . Es leiden die Gläubiger, die auf ihre
Ansprüche verzichtet haben .
({1})
Am Ende kommen einige, nämlich die bösen Geierfonds,
und setzen ihre Ansprüche durch . - Sie haben aber nicht
erwähnt, dass auch die Gläubiger die Betroffenen sind .
({2})
- Nein, er hat gesagt: Wir wollen die Staaten schützen . Wir wollen auch die Gläubiger schützen . Wir wollen die
Durchsetzung von Gläubigerinteressen unter Wahrung
des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes . Das ist ein
wesentlicher Unterschied . Deshalb ist der Antrag - das
kann ich an der Stelle schon sagen - nicht zur Lösung des
Problems geeignet .
Der Punkt ist dann - da stimme ich Ihnen im Ansatz
zu -: Wenn wir dieses Problem lösen wollen, stellt sich
die Frage, wo der Regelungsort ist . Ich glaube nicht, dass
die Vereinten Nationen der primäre Ort sind, an dem
Zahlungsansprüche behandelt werden können, also der
richtige Adressat sind . Die Vereinten Nationen sind nicht
das richtige Forum, darüber zu entscheiden . Kollege
Zöllmer hat auf die entsprechenden Vorschläge hingewiesen . Weltbank und IWF sind die Foren, in denen über
diese Frage nachgedacht werden muss . Da wird auch darüber nachgedacht .
Wenn wir - ich habe es gerade gesagt - in Europa
das gleiche Problem haben, dann müssen wir auch in
der Europäischen Union über diese Frage nachdenken .
Meine Fraktion hat gerade im Zusammenhang mit dem
Bericht der fünf Präsidenten der Europäischen Union darauf hingewiesen, dass auch wir fordern, ein geordnetes
Insolvenzverfahren für Staaten einzuführen . Daran arbeiten wir . Ich kann Sie darauf hinweisen: Auch die Europäische Zentralbank denkt über diese Frage nach . Demnächst wird ein Tagungsband veröffentlicht, der genau
die Punkte enthält, der sozusagen die Leitplanken nennt,
die wir im Zusammenhang mit dieser Frage aufstellen
müssen . Dieses Thema ist also in der Diskussion . Wir
sollten die Antworten abwarten . Dann sehen wir weiter,
welche Schlussfolgerungen wir daraus zu ziehen haben .
Unabhängig davon - ich will das, was Kollege
Zöllmer gesagt hat, noch einmal aufgreifen - gilt vieles
von dem, was Sie sozusagen als Problem geschildert haben, schon jetzt . Denn wir sehen, dass die sogenannten
Collective Action Clauses - sie haben die schöne Abkürzung CACs - nicht alle Fälle packen . Daher drängen wir
gerade auf der europäischen Ebene im Bereich des ESM
auf eine Reform .
Griechenland hat genau das gemacht . Wenn Sie sagen,
die Ansprüche seien vor staatlichen Gerichten durchsetzbar, muss ich Ihnen sagen: Vor deutschen Gerichten sind
die Ansprüche, die auf der Basis des geänderten griechischen Rechts entstanden sind, gerade nicht durchsetzbar .
Insofern haben wir das Problem nicht . Soweit es noch
Anwendungslöcher gibt, was diese CACs angeht - Herr
Zöllmer hat es genau beschrieben -, sind wir bereit - ich
arbeite gerne daran mit -, an einer Lösung des Problems
auf der europäischen Ebene mitzuwirken .
Dann bleibt für Deutschland - wir haben es inzwischen mehrfach gehört - kein Anwendungsbereich . Damit geht Ihr Antrag ins Leere . Auf der internationalen
Ebene ist das Forum ein anderes . Daran arbeiten wir . Das
tun wir im Übrigen auch mit großer Überzeugung . Ihr
Antrag aber ist in diesem Punkte nicht zielführend . Deshalb lehnen wir ihn ab .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/10639 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen . - Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung so
beschlossen
Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs
der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung
Drucksache 18/8625
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/10637
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea
Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Urheberinnen und Urheber stärken Urhebervertragsrecht reformieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern - Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten
Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . - Dann hat zur
Eröffnung der Aussprache der Kollege Christian Flisek,
SPD-Fraktion, das Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wenn für eine Debatte wie die zum
Urheberrecht insgesamt nur 25 Minuten anberaumt sind,
dann muss man eigentlich gleich zur Sache kommen . Ich
kann mir aber eine Vorbemerkung nicht ganz verkneifen .
Mich hat schon irritiert, dass es nur die SPD-Fraktion
war, die darauf insistiert hat, dass wir diese Debatte heute
führen . Alle anderen Fraktionen waren geneigt, ihre Reden zu Protokoll zu geben .
({0})
Ich denke, das wird dem Thema, das wir hier verhandeln,
nicht ganz gerecht .
({1})
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, wir verhandeln heute die Arbeitsbedingungen, die
Grundlagen für unzählige Künstler und Kreative in diesem Land . Ich glaube, das ist auch ein guter Tag für die
Kreativen .
({2})
- Hören Sie einfach einmal zu; denn sonst bekommen
Sie von den vier Minuten, die ich rede, gar nichts mit .
({3})
- Gemach, gemach!
Nach Jahren folgenloser Ankündigungen - das muss
man hier auch einmal sagen - ist die Lethargie im Urhebervertragsrecht überwunden . Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Urheber stärken wollen,
dass wir die Kreativen stärken wollen, und wir liefern
heute . Das ist auch gut so, meine Damen und Herren .
Eines muss man deutlich sagen: Die Verhandlungen
waren sehr intensiv; sie waren am Ende aber auch erfolgreich . Für die SPD-Fraktion war eines von Anfang an
wichtig: Der rote Faden für uns war - Sie können sagen,
das war unser Kompass -: Wir wollten die einzelnen Kreativen aus der Schusslinie nehmen, wir wollten sie in ihren Rechten stärken . Wir wollten vor allen Dingen dafür
sorgen, dass sie mit gemeinsamen Vergütungsregelungen
branchenspezifisch Regelungen zum Urheberrecht treffen können und dass sie, wenn es darum geht, Rechtsverletzungen geltend zu machen, also Verstöße gegen
gemeinsame Vergütungsregelungen, aus der Schusslinie
genommen werden .
Das haben wir geschafft, das ist heute gelungen . Deswegen sage ich auch ganz ausdrücklich herzlichen Dank
an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, an den Bundesminister Heiko Maas, an den
Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange, und
ich darf Sie bitten, Herr Staatssekretär,
({4})
dass Sie diesen Dank auch an Ihr Referat weitergeben;
({5})
denn wir haben hier insgesamt wirklich über die gesamte Strecke hinweg sehr kooperativ und gut miteinander
verhandelt .
({6})
Meine Damen und Herren, der Auskunftsanspruch
war am Ende sozusagen der Casus knacksus .
({7})
Für uns als SPD-Fraktion war immer klar, dass jeder
Journalist - egal ob Textjournalist oder Fotojournalist -,
dass jeder Schauspieler einen Auskunftsanspruch haben
muss . Ich bin froh, dass das gelungen ist . Deswegen ist
dieser Auskunftsanspruch, den wir heute regeln, auch ein
Auskunftsanspruch, der seinen Namen wert ist . Der Auskunftsanspruch ist ein Hilfsanspruch . Er dient dazu, die
Grundlagen zu ermitteln, die Informationen zu bekommen, die ein Kreativer braucht, damit er seine angemessene Vergütung bemessen und beziffern kann .
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe teilweise die Debatte nicht mehr verstanden . Da ist von den Zeitungsverlagen, von den Zeitschriftenverlegern der Untergang
des Abendlandes an die Wand gemalt worden, nur weil
man genau diesen Menschen, denen man seine Produkte
verdankt, einen Auskunftsanspruch schuldet . Gleichzeitig waren es dieselben Verleger, die in Europa und auf
nationaler Ebene ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger einforderten, die genau ein solches Auskunftsrecht
von Plattformen und allen möglichen Internetprovidern
einforderten .
Das kann doch wirklich nicht sein . Das war eigentlich,
so muss ich sagen, an Heuchelei am Ende nicht mehr zu
überbieten . Deswegen bin ich sehr froh, dass wir uns hier
auf die Grundlagen besonnen haben und dass wir die
Kreativen, die Urheber, in dieser Sache stärken .
Wir wollen gemeinsame Vergütungsregelungen stärken - das haben wir geschafft -, weil wir glauben, dass
diejenigen, die sich in einer Branche gegenübersitzen, am
besten wissen, was in ihrer jeweiligen Branche Sache ist .
Das wird ein großer Schritt hin zu einem branchenspezifisch ausdifferenzierten Urheberrecht sein. Ich glaube, da
sind wir uns mit der CDU/CSU auch völlig einig .
({8})
Das ist nicht des Teufels, sondern das sind kollektive Regelungen, die greifen und vernünftig sind .
Deswegen war es richtig - ich komme zum Schluss -,
auch darauf zu achten, dass Verstöße gegen solche kollektiven Vergütungsregelungen am Ende auch gemeinsam im Wege einer Verbandsklage durchgesetzt werden
können .
({9})
Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, um den einzelnen
Kreativen aus der Schusslinie zu nehmen .
({10})
Wie gesagt, meine Damen und Herren, vier Minuten
sind kurz, und sie sind vorbei . Man könnte zum Urhebervertragsrecht noch viel sagen . Aber noch einmal: Heute ist ein wirklich guter Tag für die Kreativen in diesem
Land . Sie können sich auf uns verlassen, und sie haben
mit uns Rückenwind . Das ist ein ganz wichtiger Schritt .
Herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Jetzt hat für die Fraktion Die Linke
Dr . Petra Sitte das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als das
Justizministerium voriges Jahr seine Pläne für ein neues
Urhebervertragsrecht veröffentlichte, waren einige richChristian Flisek
tige Dinge geplant, um Urheberinnen und Urheber beim
Aushandeln guter Verträge zu stärken . Prima! Dann kam
die Union und kochte das Ganze im Sinne der Verlagslobby so weich, dass es - jetzt können Sie einmal sehen,
Herr Flisek, wie ich mich in Ihre Situation hineindenke ({0})
der SPD zu viel wurde und sie bis zum letzten Drücker
in dieser Woche Kompromisse erstritten hat . Herausgekommen ist allerdings ein Gesetzesmenü, das sowohl
halb gar als auch versalzen ist .
({1})
Ich nenne Ihnen gleich drei Beispiele; weitere Kernpunkte eines guten Urhebervertragsrechts und einer Urhebervertragsrechtsreform können Sie in unserem Entschließungsantrag finden.
({2})
Erstes Beispiel. Statt einer Auskunftspflicht der Verwerter über die Werknutzung wird es nun nur einen eingeschränkten Auskunftsanspruch der Urheberinnen und
Urheber geben .
Zweites Beispiel . Statt eines bedingungslosen Kündigungsrechts der Urheberinnen und Urheber fünf Jahre
nach Vertragsschluss räumt die Koalition nur ein Zweitverwertungsrecht für eigene Werke ein - das allerdings
erst nach zehn Jahren .
Drittes Beispiel . Es wird eben kein starkes Verbandsklagerecht für die Interessenvertretung der Urheberinnen und Urheber geben . Sie bleiben also auch weiter
im Einzelkampf, insbesondere gegen die großen Verlagskonzerne .
Doch damit nicht genug: Zeitgleich wird den Urheberinnen und Urhebern empfohlen, einen Teil ihrer oft
spärlichen Einkünfte über die sogenannte Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften wieder abzugeben .
({3})
Mir haben, genauso wie Ihnen, große und profitable Verlagshäuser, aber eben auch gebührenfinanzierte Anstalten
des öffentlichen Rundfunks geschrieben, dass sie quasi
nur überleben können, wenn die Urheberinnen und Urheber ihnen etwas von deren ureigenen Einnahmen abgeben . Ich muss schon sagen: Dies ist an Gier kaum noch
zu toppen .
Dieses Beispiel lässt erahnen, dass mit der vorgeschlagenen Regelung wieder die Starken gestärkt werden . Sie
werden nämlich die Chance nutzen und die Verlegerbeteiligung zur Bedingung für Vertragsabschlüsse machen .
Dann wird aus Ihrer Gesetzesregelung „Die Urheberinnen und Urheber können etwas von ihren Einnahmen
abgeben“ im Alltag schnell: Sie müssen etwas abgeben . - Dann sind wieder die Kreativen diejenigen, die
das Nachsehen haben, weil es ein Abhängigkeitsverhältnis gibt .
({4})
Natürlich gibt es auch Verlage, die wertvollste, aber
eben nicht marktgängige Kulturprodukte anbieten, etwa
aufwendige Produktionen im Kunst- und Lyrikbereich .
Diese Hüter kultureller Vielfalt sind selbstverständlich
auf jeden Cent angewiesen . Allerdings: Die VG WORT
hat im aktuellen Ausschüttungsstreit gerade gegenüber
solchen Verlagen durchaus kulante Rückzahlungsmodalitäten angeboten . Perspektivisch wäre es aus der Sicht
der Linken sinnvoll, kleine und mittlere Literatur- und
Kunstverlage in die Kulturförderung mit aufzunehmen
und sie so gewissermaßen vom Marktdruck zu entlasten .
({5})
Dass das nun wiederum kein sozialistisches Traumschloss ist - ich höre schon so manchen von der Union -, sondern funktionierende Realität, kann man sich
zum Beispiel in Österreich ansehen . Die Koalition aber
verfehlt lieber das dringend zu erreichende Ziel, die Verhandlungsposition der Kreativen nachhaltig zu stärken,
weil die Union wieder einmal lieber auf der Seite der
Verwertungsindustrie steht .
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Als Nächstes spricht die Kollegin
Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zuschauer haben wir zwar nicht mehr viele, aber
seien auch Sie herzlich gegrüßt! Gute Regeln im Bereich
des Urheberrechts zu treffen, sind eine anspruchsvolle
Aufgabe . Daran kann man auch krachend scheitern . Das
hat 2002 noch die damalige rot-grüne Regierung erfahren . Ich denke, wir legen heute ein gutes Gesetz vor, das
auch den Gesetzentwurf, den zunächst der Justizminister
vorgelegt hat, an entscheidenden Stellen wirklich substanziell verbessert .
Es ist ein Gesetz für ganz viele unterschiedliche Branchen und für ganz unterschiedliche kreative Leistungen
von Autoren, Journalisten, Fotografen, Musikern, Schauspielern, Regisseuren und vielen anderen mehr, auch von
Übersetzern, von Stars bis hin zu denen, die die kleinen
Beiträge liefern, was noch nichts darüber aussagt, wer
die bessere Qualität liefert .
Es sind ganz unterschiedliche Strukturen mit ihren
jeweils spezifischen Verteilungskonflikten. Dabei geht
es zunächst um die Frage: Wie groß ist der Kuchen, der
verteilt werden kann? Da sitzen Kreative und Verwerter
oft in einem Boot . Das schweißt sie zusammen, und das
sollte man nicht vergessen, auch dann nicht, wenn sie an
anderer Stelle miteinander streiten .
({0})
Das ist für uns der Auftrag, gegen die weitverbreitete
Umsonstmentalität anzugehen und Urheberrechtsverletzungen zu bekämpfen . Das ist auch etwas, was wir beachten müssen, wenn wir zum Beispiel über Haftung im
Zusammenhang mit dem WLAN-Bereich oder wenn wir
in Zukunft über die Regelung zur Wissenschaftsschranke
reden .
({1})
Wir müssen die Fragen beantworten: Was ist uns Kultur in Deutschland wert? Was ist sie uns als Konsumenten wert? Wie stark wird sie in den Bildungs- und Wissenschaftshaushalten der öffentlichen Hand beachtet?
Dann geht es auch um die Frage: Wer bekommt was
vom Kuchen? Hier haben wir den Befund, dass es Defizite gegeben hat, zum Beispiel bei der Transparenz . Da
stellt sich die Frage, was mit einem bestimmten Werk
verdient werden kann, welche Erlöse erzielt worden sind
und welche Ansprüche daraus abzuleiten sind . Wir haben
Defizite bei der Durchsetzung, wir haben Missstände:
vom Blacklisting bis hin zu prekären Beschäftigungsverhältnissen zum Beispiel bei Journalisten .
Wir antworten darauf, indem wir neue Auskunftsrechte schaffen . Wir haben jetzt den jährlichen Auskunftsanspruch auch gegen diejenigen, die in der Verwertungskette tatsächlich die Informationen haben . Wir schaffen
die neue Klagebefugnis für die Urheberverbände, die
an gemeinsamen Vergütungsregeln beteiligt waren, und
stellen damit sicher, dass diese auch eingehalten werden .
Wir setzen Anreize, dies in den branchenspezifischen gemeinsamen Vergütungsregeln jeweils zielgerichtet und
genau auch den Bedürfnisse der Branchen entsprechend
zu regeln . Ich denke, das sind wichtige Verbesserungen .
Ich möchte aber noch auf einen weiteren wichtigen
Punkt eingehen . Wir legen hier die Grundlage dafür, dass
Verlage auch weiterhin an den Erlösen aus den Verwertungsgesellschaften beteiligt werden können . Das ist eine
seit Jahrzehnten gelebte und bewährte Praxis; denn zusammen sind an dieser Stelle die Urheber und die Verlage stärker. Unter dem Strich profitieren sie beide davon,
dass die Verwertungsgesellschaften die gemeinsamen
Rechte gegenüber Dritten durchsetzen, und zwar trotz
aller unterschiedlichen Interessen, die ansonsten bestehen . Wir leisten hier einen ganz wichtigen Beitrag für
das Überleben von Verlagen, vor allem der kleinen und
mittleren Verlage, auf den diese auch dringend warten .
Deshalb ist es gut, dass das Gesetz morgen schon schnell
in den Bundesrat geht und dort voraussichtlich auch verabschiedet wird .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal kurz
zu unterstreichen, welche Bedeutung die Verlage haben,
weil von Ihnen schon wieder kritisiert wurde, dass wir
diese Möglichkeit einräumen . Gäbe es die Verlage nicht,
dann hätten wir viele Werke nicht, vor allem nicht in dieser Qualität .
({2})
Wir hätten viele Autoren nicht, wenn die Verlage ihnen
nicht helfen würden, die Durststrecke von dem ersten
Werk bis zur Entdeckung und bis zum Erfolg zu überstehen .
Ich möchte noch etwas unterstreichen, wofür wir die
Verlage brauchen . Wir reden im Moment sehr viel über
die Informationsflut im digitalen Zeitalter, die über uns
hereinbricht, bei der man das Wichtige gar nicht mehr
vom Unwichtigen unterscheiden kann . Wir reden über
Fake News, bei denen die Verlässlichkeit und der Wahrheitsgehalt von Informationen nicht mehr überprüft werden können . Auch hier haben die Verlage eine ganz wichtige Funktion; denn sie stehen mit ihren Namen dafür,
dass hier journalistische Qualitätsstandards eingehalten
werden .
({3})
Sie unterscheiden beim Angebot das Wichtige vom
Unwichtigen und stehen mit ihrem Namen auch für
einen zumindest relativen Wahrheitsgehalt ihrer
Nachrichten . Das ist ein wichtiger Dienst an der Demokratie und der Meinungsvielfalt .
({4})
Lasst uns deshalb die Verlage nicht unterschätzen . Sie
sind ganz wichtig und haben eine große Bedeutung . In
diesem Sinne: Es ist ein gutes Gesetz, das möglichst bald
in Kraft stehen sollte .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Bevor ich jetzt der Kollegin Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort erteile, möchte ich es nicht versäumen, ihr zu ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren .
({0})
Bitte schön .
Danke . - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Sehr geehrter Kollege Flisek, ich weiß gar nicht, was Sie
meinten . Normalerweise sprechen die Geschäftsführer,
wenn es tief in den Abend geht, immer über die Frage,
ob das eine oder andere zu Protokoll geht, und dann ist es
eigentlich üblich, dass wir uns das hier nicht gegenseitig
vorwerfen . Ich war zu allem bereit . Ob Sie das nachher
schön finden, werden Sie sehen.
({0})
Wir alle haben angegeben, das Ziel dieses Gesetzentwurfs sei, die Urheberinnen und Urheber zu stärken .
({1})
Das war der Ursprung . Ich meine aber, dass das, was die
Koalition jetzt vorgelegt hat, nicht ausreichend ist, um
dem zustimmen zu können .
Ich gebe dabei durchaus zu: Sie haben das eine oder
andere, was immer verfolgt wurde, verbessert . Im Zusammenhang mit dem geregelten Auskunftsanspruch
geht es aber um die Unterlassungsklage und nicht um die
Verbandsklage . Davon steht dort nichts . Eine eigenständige Verbandsklage ist hier nicht vorgesehen,
({2})
und die Regelungen zu den Schlichtungsverfahren halte
ich auch für unzureichend .
Wir kritisieren den Gesetzentwurf, weil wir meinen,
dass er nicht wirklich hält, was in den Anfängen seiner
Beratung einmal versprochen wurde .
({3})
Jenseits der Tatsache, dass wir hier ein geordnetes
demokratisches Verfahren durchführen, fände ich es als
Vorsitzende des Rechtsausschusses eigentlich auch schöner, sagen zu können: Bei uns wird das alles zeitlich gut
beraten . - Zur Beratung zähle ich Ihre quälenden koalitionsinternen Gespräche übrigens nicht, auch wenn Sie sie
Berichterstattergespräche nennen . Laut der Geschäftsordnung dieses Hauses finden die Beratungen nämlich
im Plenum oder in den Ausschüssen statt und nicht in
Koalitionsausschüssen, und von Gängeleien ist an dieser
Stelle auch keine Rede .
Am Dienstagvormittag dieser Woche - nicht irgendeiner Woche - bekamen wir dann die Vorlage . Die Frage
war dann nur noch: Erklären wir einen Fristverzicht, beraten das Mittwochfrüh, oder beraten wir es am Dienstagmittag, wo aber bereits eine andere Sondersitzung
stattfindet, in der über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes beraten werden soll? Diese Sondersitzung
kam übrigens auch überraschend; denn seit 15 Jahren
diskutieren wir immer in der letzten Sitzungswoche des
Jahres über diese Verlängerung . Ich würde einmal vorschlagen, dass wir das Verfahren in Zukunft verbessern .
({4})
Da Sie den Gesetzentwurf hier jetzt so loben, sage
ich Ihnen: Er enthält eine ganze Menge unbestimmter
Rechtsbegriffe, und ich finde, diese sind zu offen, als
dass man sagen kann, dass das eine wirkliche Stärkung
für die Urheberinnen und Urheber ist .
({5})
Sie haben von einer angemessenen Vergütung gesprochen . Was ist das? Man muss die Vergütung ja immer in
Relation zu einer Verlagsbeteiligung setzen . Was ist angemessen? Für die Individuen bedeutet die Ausschüttung
eine Existenzsicherung; ansonsten müssten sie aufs Amt
gehen . Wenn wir die Existenzsicherung stärken wollen,
dann müssten wir eigentlich sozusagen eine Wasserscheide angeben und sagen, was eine angemessene Vergütung sein kann .
Oder gucken wir uns die Schlichtungsverfahren an .
Der Ausstieg aus einem laufenden Schlichtungsverfahren
soll zu keiner rechtlichen Konsequenz führen. Ich finde,
das entspricht nicht einmal den Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
aus der vorherigen Legislaturperiode . Wofür setzen wir
sie eigentlich ein, wenn wir den weisen Ratschlägen am
Ende an keiner Stelle folgen?
({6})
Ich habe es schon gesagt: Der eingefügte Unterlassungsanspruch ist ja schon mal ganz schön, aber er stellt
kein echtes Verbandsklagerecht dar . Die Verlage können
sich den Vergütungsregeln entziehen .
Jetzt zu dem ganz neuen Punkt an der Stelle, nämlich
der Verlagsbeteiligung . Zu dieser Neuerung kam es auch
erst am Dienstagvormittag .
({7})
- Da war noch kein Geburtstag, genau . Deshalb habe ich
es ja auch sofort gelesen, Herr Hirte . Danke für den Zwischenruf .
({8})
Wenn ich mir die Verlagsbeteiligung anschaue, dann
muss ich Ihnen sagen: Ich finde sie immer noch nicht
hinreichend geregelt . Als ich Frau Winkelmeier-Becker
im Ausschuss die Frage stellte, wie es jetzt eigentlich
mit der Stimmberechtigung aussieht und ob die Verlage
bei der Abstimmung darüber, wie gezahlt wird, das volle
Stimmrecht haben oder nicht, konnte sie mir diese Frage
nicht beantworten .
Was haben Sie sich bei dieser Regelung gedacht? Das
meine ich gar nicht negativ, sondern ich stelle die Frage
nur im Sinne einer guten Gesetzesberatung . Die Gremien
legen die Höhe des Verlegeranteils fest, oder? Das sage
ich auch unter dem Gesichtspunkt, dass Verlage Geld
brauchen, gerade kleine und mittelständische . Ich bin gar
nicht gegen die Verlagsbeteiligung . Aber ich sage Ihnen:
Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH und
deren Auflage, die Vergütung neu zu regeln, hätte man
sich das Ganze genauer überlegen müssen .
In dem Gesetzentwurf steht nun: Der Urheber kann
seine Rechte abtreten . - Aber die Urheber könnten das
auch heutzutage schon machen, niemand hindert sie nach
jetzigem Recht daran . Diese Kannvorschrift wird sich
meines Erachtens am Ende so auswirken, dass schon in
den Verträgen steht: Ich bin, wenn das Werk angemeldet ist, zu einer Verlagsbeteiligung bereit . - Damit haben
wir, da wir das Wort „angemessen“ nicht definiert haben,
im Vergleich zu heute überhaupt nichts gewonnen, meine
Damen und Herren . Ich glaube, der Druck bleibt an vielen Stellen trotz des Anspruchs auf Auskunft bestehen .
Mein letzter Satz .
Sie haben jetzt aber Ihren Geburtstagsbonus ganz
schön ausgereizt .
Oh ja . - Ein Wort zum Thema Wissenschaftsschranke .
Bisher haben wir keine Regelung zur Nutzung von wissenschaftlichen Beiträgen, die aus Steuergeldern finanziert werden - wir hatten gerade beim Thema Rosenburg
so etwas -, für die man nachher noch einmal Geld bezahlen muss, um sie in Buchform zu kaufen. Das empfinde
ich als ein echtes schwarzes Loch in Ihren Regelungsvorschlägen . So kann man dem Gesetzentwurf nicht zustimmen .
({0})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz des geistigen
Eigentums ist ein hehrer Begriff . Wer sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen
und Künstler beschäftigt und nicht nur mit der der High
Performer, der sieht hervorragend ausgebildete, hochbegabte Menschen . Aber was bei ihnen manchmal zur
Hälfte des Monats in der Brottrommel ist, ist oft sehr
wenig . Zu einem wesentlichen Aspekt, die Situation der
Künstlerinnen und Künstler, der Kreativen zu stabilisieren, gehört neben fairen und gerechten Honoraren auch
die Frage der angemessenen Vergütung der Urheberinnen
und Urheber .
Wir haben uns in dieser Legislaturperiode, gemessen
an der vorherigen Legislaturperiode, als Bestandteil des
Koalitionsvertrages nicht nur einiges vorgenommen das stand schon einmal in den Koalitionsvereinbarungen -, sondern wir haben tatsächlich etwas auf den Weg
gebracht .
In der Tat, Frau Künast, stellt sich die Frage: Ist das
Glas halb voll oder halb leer? Ich bewerte das, was wir
gerade auch im Bereich des Auskunftsrechtes modifiziert
haben, als richtigen Fortschritt .
({0})
Das bringt die Dinge nach vorne . Es ist auch ein Fortschritt, dass wir die gemeinsamen Vergütungsregeln gestärkt haben . Dass dieses Instrument ausbaufähig ist, ist
von Christian Flisek schon dargelegt worden. Ich finde,
das sind die absolut richtigen Ansätze .
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten innerhalb der Koalition sehr intensiv gerungen . Das eine oder
andere hätten wir aus unserer Sicht sicherlich offensiver
gestalten können, wenn nicht auch - da gebe ich Ihnen
recht - die Frage nach dem Schlichtungsverfahren im
Raum gestanden hätte . Diese Regelung hätte man schärfer fassen können .
({1})
Diese Regelung hätte man konkreter ausgestalten müssen, was insbesondere die Verbindlichkeit der Schlichtersprüche angeht . Das wird sich in einem weiteren Anlauf
in der nächsten Legislaturperiode sicherlich besser darstellen lassen . Aber die Regelung ist auf jeden Fall in die
richtige Richtung gelenkt worden .
Ich komme zur Verlegerbeteiligung . Dieser Punkt ist
von der Vorrednerin aus der Union zu Recht angesprochen worden . Die Bedingungen im Buchmarkt zeigen ein
symbiotisches Verhältnis der Autoren zu den Verlagen .
Es hat sich dort über viele Jahrzehnte eine Praxis herausgebildet, die nun durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, aber auch durch die nationale
Rechtsprechung in Zweifel gezogen wurde . Ich erinnere
nur an das Vogel-Urteil .
Ich denke, es ist mit dieser Novelle gelungen, die von
den Richtern festgestellte Lücke einigermaßen rechtssicher zu schließen, um hier Klarheit zu schaffen. Ich finde, das ist ein guter Weg, der beschritten wird . Es bleibt
noch einiges zu tun, damit das auch europarechtlich wasserdicht ist . Da ist eindeutig noch Handlungsbedarf . Ich
freue mich, dass wir in dieser Novelle zum Urhebervertragsrecht auch diesen Aspekt haben regeln können .
Ich danke dem Haus für die gute Zusammenarbeit .
Ich danke den Koalitionskolleginnen und -kollegen für
die sehr gute Zusammenarbeit . Insbesondere möchte
ich auch den Rechtspolitikern - vornehmlich Johannes
Fechner und Christian Flisek - für die intensive Konsultation fraktionsinterner Art danken, weil es auch ein
Herzstück von Kulturpolitik ist, dort ein gutes Instrument
zu haben .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion
Dr . Silke Launert das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kultur hat
ihren Wert, und wer kulturelle Werke schafft, hat auch
das Recht auf eine ordentliche Bezahlung . Das sollte
eigentlich selbstverständlich sein . Doch leider sieht die
Realität oft anders aus .
Nehmen wir zum Beispiel einen jungen Opernregisseur . Nach vielen Jahren des Studiums und vielen
langen, oft unbezahlten Hospitanzen an Theatern ist er
freiberuflich tätig und verdient seinen Lebensunterhalt
mit einzelnen Produktionen an kleinen Häusern . Für
solch eine Produktion erhält er in der Regel eine Gage
um die 10 000 Euro . Damit sind abgegolten: die etwa
ein Jahr dauernde Vorbereitung auf die Produktion, die
verschiedenen Treffen mit dem Produktionsteam in den
sogenannten Konzeptionsgesprächen - also mit der Intendanz, dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner usw . und die sechs Wochen Probezeit vor der Premiere, die
kein Wochenende kennt . Schließlich müssen davon nicht
selten auch noch die Reise- und Übernachtungskosten
gezahlt werden .
Wenn ein Regisseur wirklich hart arbeitet, dann
schafft er vielleicht drei solcher Produktionen im Jahr .
Beim Schauspiel können Sie davon ausgehen, dass sogar
noch weniger bezahlt wird als bei der Oper .
Dieses Beispiel ist typisch für die Kreativbranche .
Viele Künstler leben von der Hand in den Mund . Dabei
ist die Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem jährlichen Umsatz von etwa 146 Milliarden Euro vergleichbar
mit den großen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise
Automobilindustrie, Maschinenbau oder Chemie .
Der Gesetzgeber hat schon im Jahr 2002 reagiert und
für Kreative das Recht auf eine angemessene Vergütung
im Gesetz verankert . Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass Kreative und Verwerter immer noch nicht auf
Augenhöhe miteinander verhandeln . Manchmal erinnert
es an den Kampf Davids gegen Goliath .
Die Digitalisierung und das Internet haben zudem
dazu geführt, dass die Verwertung urheberrechtlicher
Werke ein sehr viel größeres Ausmaß angenommen hat .
Auch das wird von den Vertragspartnern der Urheber
nicht immer ausreichend berücksichtigt, wenn es um die
Beteiligung der Urheber an dem Erlös ihres Werkes geht .
Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, werden wir Kreative nun noch mehr stärken: Künftig sollen
Urheber die Vergütung erhalten, die ihnen gebührt . Auch
das ist, wie gesagt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit .
Deshalb konkretisieren wir nun - es wundert mich,
dass das heute noch niemand erwähnt hat -, dass Häufigkeit und Ausmaß der Werknutzung bei Vereinbarung
der Vergütung zu berücksichtigen sind . So muss es sich
für einen Drehbuchautor auszahlen, wenn sein Film nicht
nur einmalig ausgestrahlt wird, sondern später, beispielsweise in der Mediathek, immer wieder .
Der Union war es jedoch auch von Anfang an ein Anliegen, die etablierten Geschäftsmodelle nicht zu unterlaufen . Es geht nicht nur darum, die Kreativen zu stärken .
Das ist zwar ein Hauptanliegen, aber es geht auch darum,
einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der
Kreativen, der Urheber, und den Interessen der Verwerter
zu schaffen .
Nach der ersten Lesung bestand die Herausforderung
in den vergangenen Monaten nun vor allem darin, den
Einzelheiten der unterschiedlichen Branchen gerecht zu
werden . Dabei hat sich gezeigt: Das ist unmöglich . Wir
können als Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten regeln .
Die Kreativbranche ist zu heterogen . Film, Musik, Theater, Design, Software: Diese Branchen spielen jeweils
nach ihren eigenen Regeln und Normen .
Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist deshalb darin waren wir uns zum Glück fraktionsübergreifend
einmal einig -, vorrangig auf gemeinsame Vergütungsregeln hinzuwirken, die zwischen gleichrangigen Partnern
ausgehandelt werden, zum Beispiel zwischen dem Verband Deutscher Filmproduzenten und einem Filmverleih
oder zwischen dem Deutschen Journalisten-Verband und
dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger . Denn
wer, wenn nicht die Urheber selbst, weiß am besten, was
eine faire Beteiligung ist? Bislang sind aber leider noch
viel zu wenige Kreative in Verbänden und Vereinigungen
organisiert . Das ist ein riesiges Problem . Ich kann alle
Künstler, Kreativen und Urheber nur aufrufen: Organisieren Sie sich! - Die Geschichte zeigt: Nur wenn man
sich verbündet, ist man stark .
Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs war es uns von
der Union wichtig, dass er nicht bei jeder Kleinigkeit
erfüllt werden muss . Wir haben uns nicht gegen ihn gewehrt. Wir akzeptieren ihn und finden ihn gut. Ein solcher Anspruch stellt die Voraussetzung dafür dar, dass ein
Kreativer weiß, wie sehr sein Werk genutzt wurde . Allerdings macht es bei sogenannten nachrangigen Beiträgen
keinen Sinn, die Verwerter über Gebühr zu belasten . Nur
ein Beispiel: In einem Film ist ganz kurz ein Schauspieler als Taxifahrer zu sehen . Dann stellt sich die Frage,
ob es wirklich sinnvoll ist, vielleicht bis zu 1 000 Auskunftsansprüche für einen Film zu erfüllen . Wir haben
kein Interesse, permanent Bürokratie zu schaffen .
Frau Kollegin Launert, denken Sie an die Zeit!
Oh, wie ich sehe, steht dort ein Minus .
({0})
Wenn Sie genau schauen, dann stellen Sie fest, dass da
schon lange ein ganz dickes Minus ist . Kommen Sie bitte
zum letzten Satz .
Ich begrüße, dass wir auf die Rechtsprechung des
EuGH reagieren und dass wir die Beteiligung der Verwertungsgesellschaften ermöglichen . Viele Autoren sind
froh, dass es Verlage gibt und dass sie sich mit vielen
Sachen nicht befassen müssen, sondern sich nur um die
Schaffung ihres Werkes kümmern können. Davon profitieren dann auch wir .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber
und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung .
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10637, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8625 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . - Das ist die Koalition . Wer ist
dagegen? - Das ist die Opposition . Enthaltungen gibt es
keine . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10660 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die Linke . Wer stimmt dagegen? - Das ist
die Koalition . Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt .
Zusatzpunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auf Drucksache 18/10637 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7518 mit
dem Titel „Urheberinnen und Urheber stärken - Urhebervertragsrecht reformieren“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8245 mit dem Titel „Jetzt Zugang zu Wissen
erleichtern - Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Koalition . Wer stimmt dagegen? Die Opposition . Enthaltungen? - Keine . Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Weichen für eine Europäische Union der
Abrüstung und des Friedens stellen
Drucksache 18/10629
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)
Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/10629 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen .
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen
Nachstellungen
Drucksache 18/9946
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Drucksache 18/10654
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . -
Sie sind einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10654, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/9946 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Die
Koalition . Wer stimmt dagegen? - Die Opposition . Wer
enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung
und zur Eigenversorgung
Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444
Nr. 1.10
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2})
Drucksache 18/10668
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)
1) Anlage 12
2) Anlage 13
3) Anlage 14
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Damit kommen wir zur Abstimmung . Zu dieser Ab-
stimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10668,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10209 und 18/10352 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Keine . Damit ist der Gesetzentwurf mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10677 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das sind
die Grünen und die Linken . Wer stimmt dagegen? - Das
sind die Koalitionsfraktionen . Wer enthält sich? - Niemand . Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
Drucksache 18/10009
Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({3})
Drucksache 18/10542
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden .2)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Verteidi-
gungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10542, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10009 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Die Linke . Wer enthält
sich? - Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
1) Anlage 15
2) Anlage 16
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes
Drucksache 18/10456
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({4})
Drucksache 18/10661
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . -
Ich sehe, Sie sind einverstanden .3)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10661,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10456 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
zuvor angenommen .
Tagesordnungspunkt 20:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes
Drucksache 18/10026
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({5})
Drucksache 18/10663
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit auch Änderungen des
Elektro- und Elektronikgerätegesetzes .
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .4)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10663, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10026 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
3) Anlage 17
4) Anlage 18
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer ist
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Tagesordnungspunkt 21:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({6}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Bewirtschaftung von
gewerblichen Siedlungsabfällen und von
bestimmten Bau- und Abbruchabfällen
({7})
Drucksachen 18/10345, 18/10444 Nr. 2.1,
18/10656
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10656, der Verordnung auf Drucksache 18/10345
zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken - Deutsches Know-how nutzen
Drucksache 18/10651
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Damit sind alle einverstanden .2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10651 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe, damit
sind alle einverstanden . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Wissenschaftskooperation mit Partnern in
Subsahara-Afrika stärken
1) Anlage 19
2) Anlage 20
Drucksache 18/10632
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Das stößt auf allgemeines Einverständnis .3)
Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/10632 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen . - Auch hier sehe
ich, dass alle damit einverstanden sind . Dann ist so be-
schlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der
gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur
Stärkung der über sie geführten Aufsicht
({10})
Drucksache 18/10605
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({11})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({12}),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Patientenvertretung in der Gesundheitsver-
sorgung stärken
Drucksache 18/10630
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Damit sind alle einverstanden .4)
Unter den Fraktionen ist vereinbart worden, die Vorla-
gen auf den Drucksachen 18/10605 und 18/10630 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-
weisen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist
der Fall . Dann ist so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25:
Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit
3) Anlage 21
4) Anlage 22
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen
({13})
Drucksache 18/10144
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({14})
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Damit sind alle einverstanden .1)
Die Fraktionen haben vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/10144 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Gibt es von Ihrer Seite dazu andere Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ({15})
1) Anlage 23
Drucksache 18/10631
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({16})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind einverstanden .2)
Auch hier haben sich die Fraktionen geeinigt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/10631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag,
den 16 . Dezember 2016, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen angenehmen Restabend .