Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/14/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zum ersten Punkt der Tagesordnung dieser letzten Sitzungswoche im laufenden Jahr: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}). Der Finanzminister wird gleich im Einzelnen erläutern, was wir uns unter den einzelnen Artikeln vorzustellen haben. Jedenfalls steht er uns für den einleitenden Bericht zur Verfügung. Wer schon weiß, dass er dazu anschließend Fragen stellen möchte, kann das vielleicht selber oder über die Parlamentarischen Geschäftsführer schon einmal notieren lassen. Herr Finanzminister Schäuble, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes und - das will ich gleich hinzufügen - mit einem Gesetzentwurf zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 umgesetzt, was wir nach langen Verhandlungen zwischen den Regierungen von Bund und Ländern über die Neugestaltung der Finanzbeziehungen im bundesstaatlichen System am 14. Oktober vereinbart haben. Im Wesentlichen beinhalten die vorgeschlagenen Änderungen des Grundgesetzes und die dazu entsprechend parallel notwendigen einfachgesetzlichen Regelungen, dass das bundesstaatliche Finanzausgleichssystem ein Stück weit umgestellt wird. Der Umsatzsteuervorabausgleich entfällt durch die vorgeschlagene Änderung des Artikels 107. Zugleich erfolgt die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer grundsätzlich nach der Einwohnerzahl der Länder, aber modifiziert durch Zuund Abschläge zum angemessenen Ausgleich der Unterschiede in der Finanzkraft. Darüber hinaus werden Sondertatbestände für die Einbeziehung der Einnahmen aus der bergrechtlichen Förderabgabe bei der Ermittlung der Finanzkraft sowie für die Gewährung neuer Zuweisungen des Bundes geregelt. Weiterhin schlagen wir vor, durch die Änderung des Artikels 125c die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Fortführung der Finanzhilfen des Bundes für Seehafenlasten und auch für die besonderen Programme nach § 6 Absatz 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zu schaffen. Darüber hinaus schlagen wir mit dem Gesetzentwurf vor, durch eine Änderung des Artikels 143d die Möglichkeit zu eröffnen, den Ländern Saarland und Freie Hansestadt Bremen angesichts ihrer schwierigen Haushaltssituation Sanierungshilfen des Bundes zu gewähren, damit sie zukünftig in die Lage versetzt werden, die Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 zur Kreditaufnahme eigenständig einzuhalten. Die Länder ergreifen in diesem Zusammenhang Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Die Einhaltung dieser Maßnahmen durch die Länder wird einfachgesetzlich geregelt. Dies soll durch die Bundesregierung überwacht werden. Ich füge die Bemerkung hinzu, dass bisher diese beiden Haushaltsnotlagenländer Konsolidierungshilfen zur Hälfte jeweils vom Bund und den Ländern bekommen. Das gesamtstaatliche System wird in Zukunft, ab 1. Januar 2020, dahin gehend geändert, dass nur der Bund in voller Höhe die Sanierungshilfen - so heißen sie in Zukunft - für die beiden Länder bezahlen wird. Die Kosten für den Bund aus diesen und einer Reihe von weiteren Maßnahmen, die ich wegen der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Zeit nicht alle vortragen kann, belaufen sich ab 2020 auf 9,7 Milliarden Euro. Diese Kosten werden im Laufe der Jahre ansteigen. Sie haben vielleicht verfolgt, dass schon nach der jüngsten Steuerschätzung, die am 14. Oktober 2016 angenommene Größenordnung von etwa 9,5 Milliarden Euro sich auf 9,7 Milliarden Euro in 2020 erhöht hat. Dieser Prozess wird sich, je nachdem, wie sich die Steuereinnahmen von Bund und Ländern in den nächsten Jahren entwickeln, fortsetzen. Wir haben im gesamtstaatlichen Bereich einige strukturelle Verbesserungen vereinbart. Das bedeutet, dass die Bundesregierung für den Bund Gesetzentwürfe in den Bundestag einbringt, die dann anschließend auch der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Dazu gehört, dass wir die Verwaltung der Bundesautobahnen, die in Zukunft auch so heißen sollen - heute heißen sie im Grundgesetz noch „Reichsautobahnen“ -, auf den Bund übertragen und dass der Bund dazu eine Gesellschaft privaten Rechts gründen kann, die allerdings im vollständigen Eigentum des Bundes bleibt. Auch dies soll im Grundgesetz festgeschrieben werden. Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass wir dem Gesetzgeber vorschlagen, dass wir durch eine in Artikel 91c Grundgesetz einzufügende Gesetzgebungskompetenz die Einrichtung eines verbindlichen übergreifenden Portalverbundes ermöglichen. Das bedeutet, dass alle Nutzer - alle Bürgerinnen und Bürger und auch sonstige Personen, also auch Nichtstaatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland - einfach und sicher online auf die Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern zugreifen können. Dazu braucht der Bund eine entsprechende Gesetzgebungsbefugnis. Wir wollen auch für den Vollzug der Steuergesetze, was die Vereinbarung einer einheitlichen Software für die Steuerverwaltungen der Länder anbetrifft, dem Bund eine Kompetenz verschaffen. Im Übrigen soll in Zukunft bei der Auslegung von Fachfragen durch die Finanzministerien von Bund und Ländern der Bund ein Weisungsrecht in allgemeinen fachlichen Fragen haben, dem nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Länder widersprochen werden kann; bisher reicht ein Anteil von 50 Prozent für den Widerspruch aus. Dem Bundesrechnungshof soll die Kompetenz übertragen werden, die Verwendung der Bundesmittel bei Mischfinanzierungen im Benehmen - ich lege Wert auf die Betonung des Wortes „Benehmen“; es heißt nicht „im Einvernehmen“ - mit den Rechnungshöfen der Länder zu überprüfen. Der Stabilitätsrat soll Befugnisse bekommen, in Zukunft die Einhaltung der Schuldenbremse, die im Grundgesetz geregelt ist, auch in den einzelnen Ländern zu überwachen. Das sind einige der grundlegenden Veränderungen im Bund-Länder-Verhältnis, bezüglich derer wir mit den Regierungschefs der Länder verabredet haben, dass wir sie in die Gesetzgebung einbringen. Die entsprechenden Gesetzentwürfe hat das Kabinett heute beschlossen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank. - Ich rufe jetzt die dazu angemeldeten Fragen auf. Zunächst erhält das Wort die Kollegin Anja Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Minister, mit der Änderung des Artikels 107 Grundgesetz wird der Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form abgeschafft. Ich möchte dazu noch ergänzen, dass es dann quasi formal unter den Ländern keine Geber und Nehmer mehr gibt. Man kann auch sagen: Alle Länder werden Nehmer von Steueranteilen, die das Bundesgesetz ihnen zuteilt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wie ich der Auffassung sind, dass die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs eine Schwächung des Föderalismus insgesamt darstellt, weil die Solidarität der Länder untereinander, wie bisher in Artikel 107 Grundgesetz gefordert, nicht mehr vorgesehen ist. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Ausweitung der Bundesergänzungszuweisungen als ein sicheres Indiz dafür, dass sich die Länder immer stärker vom Bund abhängig machen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hajduk, das Ergebnis der Gespräche zwischen Bund und Ländern über die notwendige Neugestaltung der Finanzbeziehungen im bundesstaatlichen Bereich ist nach langwierigen intensiven Verhandlungen zustande gekommen. Dieses einvernehmlich erzielte Ergebnis setzen die Gesetzentwürfe um, die die Bundesregierung heute beschlossen hat. Ich habe gesagt: Die bisherigen Konsolidierungshilfen für die Haushaltsnotlagenländer werden durch Sanierungshilfen ersetzt, die zu zahlen die Länder in dieser Vereinbarung großzügig ausschließlich dem Bund überlassen haben. ({0}) - Ja, so war es. Ich habe auch von Ministerpräsidenten gehört, dass es eine Stärkung der Solidarität der Länder sei, dass sie gemeinsam den Bund auffordern, das in der Zukunft zu leisten. - Ich gebe das so wieder. Darüber hinaus ist es natürlich so: Die Gemeinschaftssteuern - die großen Steuerblöcke sind die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Mehrwertsteuer stehen nach dem Grundgesetz Bund und Ländern zu. Wie sie verteilt werden, ist nun nicht eine Frage des Gebens und Nehmens, sondern eine grundsätzliche Frage der Gestaltung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen. Sie wissen, dass das Grundgesetz den Bundesländern eine zentrale Bedeutung beimisst. Das war eine Grundentscheidung schon im Parlamentarischen Rat. Das unterliegt der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Absatz 3. Die Staatlichkeit ist nach dem Grundgesetz zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, und dem entspricht diese Regelung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich weiß, dass es gerade bei diesem Thema schwierig ist, die Fragen in der vorgesehenen Zeitspanne - schon gar vollständig - zu beantworten. Aber ich bitte noch einmal, jedenfalls den Versuch zu unternehmen, sich an die Ein-Minuten-Regelung für Fragen und Antworten zu halten. Nächste Frage ist von der Kollegin Heidrun Bluhm.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für Ihre kurze Einführung. - Ich würde gern auf etwas eingehen, das Sie in Ihrem Vortrag dargestellt haben, und zwar darauf, dass der Länderanteil an der Umsatzsteuer ab 2020 neu berechnet werden soll, nämlich nach der Anzahl der Einwohner. Sie haben in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass es dabei Zu- und Abschläge geben soll. Können Sie in einer Minute näher erläutern, welche Kriterien für Zu- und Abschläge mit den Ländern vereinbart sind? Es geht mir darum, dass wir erfahren, welche Länder gegebenenfalls doch anders behandelt werden, bei welchen Ländern es also nicht nur nach der Einwohnerzahl geht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, es wird die unterschiedliche Finanzkraft der Länder durch Zu- und Abschläge bei der Verteilung der Umsatzsteuer berücksichtigt. Wir haben Kriterien für die Bemessung der Finanzkraft der Länder. Dabei wird in Zukunft stärker als im bisherigen System auch die kommunale Finanzkraft berücksichtigt. Sie wird im jetzigen System, wenn ich es richtig im Kopf habe, mit 66 Prozent oder 67 Prozent berücksichtigt, in Zukunft mit 75 Prozent. Das nicht ganz einfache, aber auch schon jetzt nicht ganz einfache System der Verteilung - Umsatzsteuervorwegausgleich, Bundesergänzungszuweisungen und Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen - wird ein Stück weit komplettiert dadurch, dass das im Grundgesetz geregelt und damit insbesondere für finanzschwache Gemeinden festgeschrieben wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sven Kindler.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Minister Schäuble, ich habe eine Frage zum Thema Verkehrsinfrastrukturgesellschaft. Können Sie mir sagen, wie die Planungen dazu sind, ob diese Gesellschaft auch Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen soll und, falls das geplant ist, ob es dafür eine Staatsgarantie, wie sie zum Beispiel bei der ASFINAG in Österreich besteht, geben soll oder nicht? Wenn diese Gesellschaft das Recht der Kreditaufnahme erhält, ist die Frage, ob diese Kreditaufnahme bei den Regelungen zur Schuldenbremse und den europäischen Schuldenregeln im Rahmen der Maastricht-Kriterien einbezogen wird oder nicht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Kindler, nach dem bisherigen Stand der Gespräche auch innerhalb der Bundesregierung ist die Ausgestaltung der Gesellschaft so, dass sie das Kriterium der Staatsferne nicht erfüllt, sodass sie nicht die Möglichkeit zur Aufnahme von Krediten hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Tankred Schipanski hat die nächste Frage.

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement nicht erwähnt, dass im Grundgesetz ein Artikel 104c eingeführt werden soll, und zwar mit dem ungefähren Wortlaut: Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen von finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbänden im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren. - Da würde mich interessieren: Was ist mit einer finanzschwachen Gemeinde gemeint, wer wird das festlegen, und hat der Bund Einflussmöglichkeiten über diesen Artikel 104c, zu sagen, in welche Bildungsinfrastruktur das Geld in dem entsprechenden Land bzw. in der Kommune eingesetzt wird?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Schipanski, der Bundestagspräsident hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Regelungsgehalt beider Gesetzentwürfe so umfassend ist, dass er in fünf Minuten nicht darzustellen ist. Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass ich die vorgeschlagene Ergänzung in Form von Artikel 104c nicht erwähnt habe. Wir haben Anfang der Legislaturperiode im Deutschen Bundestag einen Fonds für Investitionshilfen des Bundes für finanzschwache Gemeinden beschlossen. In dem entsprechenden Gesetz haben wir auch einen Schlüssel für die Verteilung vereinbart. Die Mittel müssen nach der Struktur des Grundgesetzes, wie ich auf die Frage von Frau Kollegin Hajduk bereits erwähnt habe, über die Länder verteilt werden. Wir haben in der Vereinbarung mit den Ministerpräsidenten am 14. Oktober dieses Jahres gesagt, dass wir die Verteilung der Mittel aus dem Fonds nach dem bisherigen Schlüssel vornehmen wollen. Aber das ist etwas, was wir in dem Begleitgesetz, zu dem jetzt der Entwurf vorliegt, regeln müssen. Es gibt ja das Struck’sche Gesetz, über das wir auch bei den Haushaltsberatungen im November gesprochen haben. Das ist Sache der Länder. Einige Länder, nämlich die Stadtstaaten, sind mit dem bisherigen Schlüssel für die Verteilung schon deswegen nicht einverstanden, weil sie keine Kassenkredite haben, die bei der Ermittlung der Finanzschwäche eine Rolle spielen. Anderen geht es nicht nur um die Verteilung auf die Länder, sondern sie möchten auch sichergestellt haben, dass das Geld in den Ländern wirklich finanzschwachen Gemeinden zugutekommt, was allerdings aufgrund der Struktur des Grundgesetzes nicht ganz einfach sicherzustellen ist. Wenn Sie zwei Fragen gestellt hätten, würde die rote Lampe jetzt nicht leuchten. Zu der Zweckerweiterung müssten Sie also eine weitere Frage stellen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es kommt nicht so häufig vor, dass Minister Zusatzfragen bestellen; aber diese will ich einmal ausdrücklich registrieren. - Zunächst aber die Kollegin Rosemarie Hein mit der nächsten Frage.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, auch ich frage nach dem Artikel 104c.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielleicht gibt es da ja einen Synergieeffekt. - Auch ich möchte gerne wissen, wie denn die finanzschwachen Kommunen an die Kredite kommen sollen. Sie müssen ja auch Kredite aufnehmen, um die Investitionsförderung überhaupt zu bekommen. Ich würde Sie gerne danach fragen, ob vorgesehen ist, dass eine solche Investitionsförderung auch für Projekte von öffentlich-privater Partnerschaft geöffnet wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Der Eigenanteil der Gemeinden ist so gering, dass er kein Hindernis für die Inanspruchnahme dieser Mittel ist. Das haben wir schon bei der bisherigen Bereitstellung der 3,5 Milliarden Euro zu Beginn der Legislaturperiode gesehen. Wir mussten allerdings die Laufzeit des Fonds verlängern, weil die Mittel nicht schnell genug abgerufen worden sind. Das hat damit zu tun, dass der Bund ohne die vorgeschlagene Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes Finanzhilfen nur für Zwecke geben darf, für die der Bund eine Förderkompetenz hat. Deswegen schlagen wir jetzt vor, dass Mittel generell für die Bildungsinfrastruktur in einer finanzschwachen Kommune bereitgestellt werden können. Insofern ist das sicherlich eine Hilfe für finanzschwache Kommunen, um Bundeshilfen gezielt geben zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katja Dörner.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Auch ich möchte zu Artikel 104c fragen, ein bisschen grundsätzlicher vielleicht. Der Bildungsbericht 2016 hat uns sehr deutlich gemacht, dass sich die regionalen Disparitäten mit Blick auf die Bildungseinrichtungen erweitern und es damit auch vermehrt ungleiche Chancen von Kindern und Jugendlichen gibt. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie es für ausreichend halten, dass sich mit dem Artikel 104c des Grundgesetzes, wie er jetzt vorgeschlagen wird, die Mitfinanzierungsmöglichkeiten bei der Bildungsfinanzierung ausschließlich auf finanzschwache Kommunen beziehen sollen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Wir hatten bei den Gesprächen zwischen Bund und Ländern von vornherein nicht die Absicht - weder die Bundesregierung noch die Regierungschefinnen und -chefs der Länder -, die grundsätzliche föderale Struktur, wie sie im Grundgesetz festgelegt ist, abzuschaffen. Ich will in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, dass der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg - ich bin Baden-Württemberger, gehöre aber nicht derselben Partei wie Herr Kretschmann an ({0}) einen ausdrücklichen Vorbehalt gegen diese Bestimmung geäußert hat. Er hat gesagt, eigentlich sei die Zuständigkeit der Länder in der Bildungspolitik ein Punkt, an dem er überhaupt keine Einschränkungen machen möchte. Ich habe den Vorschlag gemacht, weil ich der Auffassung bin, dass es richtig ist, dass wir finanzschwachen Gemeinden mit Investitionsmitteln helfen. Die enge Zweckbegrenzung, die wir bisher im Programm hatten, wird ein Stück weit erweitert, zum Beispiel dass man nicht nur Wärmedämmung in Schulen machen kann, sondern auch andere Sanierungsmaßnahmen durchführen kann. Das scheint mir richtig, um das Verständnis der betroffenen Bürger für die Rationalität unserer Entscheidungen zu gewinnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Axel Troost.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich möchte noch einmal an die Frage des Kollegen Kindler anknüpfen. Woraus finanziert sich die Infrastrukturgesellschaft - aus der Maut und dann ausschließlich aus Zuschüssen des Bundes? Oder wird diese Gesellschaft Kredite aufnehmen können, auch wenn sie dann im Rahmen der Schuldenbremse oder des Fiskalpakts angerechnet werden? Zweite Frage: Gibt es Abschätzungen, wenn Kredite aufgenommen werden, wie viel mehr Zinsen diese Gesellschaft zahlen müsste, als das gegenwärtig der Bund machen muss?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Troost, wenn ich mich recht erinnere, habe ich dem Kollegen Kindler auf die Frage, auf die Sie Bezug nehmen, geantwortet, dass eine solche Kreditermächtigung nach dem derzeitigen Stand der Gespräche zwischen den Ressorts nicht vorgesehen ist. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Franziska Brantner.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Schäuble, ich möchte noch einmal eine Frage zum Unterhaltsvorschuss stellen; denn das ist Teil des ganzen Paketes. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die aktuell bestehenden zeitlichen Begrenzungen wegfallen müssen und nicht mehr rational begründbar gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sind. Deswegen ist es umso weniger nachvollziehbar, wie groß das Gerangel und Geschachere gerade bei diesem Thema ist. Der Unterhaltsvorschuss ist eines der effektivsten Mittel, um in diesem Land Kinderarmut zu bekämpfen. So weit wir wissen, liegt der Streitwert bei 100 Millionen Euro. Wir können nicht nachvollziehen, warum gerade hier der Bund nicht bereit ist, diese Mittel bereitzustellen, obwohl das effektiv wäre. Sie verhandeln über Milliarden. Warum müssen gerade, wenn es um Alleinerziehende und ihre Kinder geht, noch der größte Streit, Gerangel und Geschachere herrschen? Das ist für viele Bürgerinnen und Bürger heute nicht mehr nachvollziehbar.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, am 14. Oktober haben die Regierungschefinnen und -chefs von Bund und Ländern einvernehmlich vereinbart, dass bei einem solchen Unterhaltsvorschussgesetz, das von der Bundesregierung, insbesondere von der dafür zuständigen Frau Kollegin Schwesig, vorgeschlagen wird und von der Bundesregierung insgesamt gemacht werden soll, die Finanzierung so bleiben soll, wie sie ist. Der Bund hat ausdrücklich zugesagt, dass darüber hinaus die Finanzierung in der Zuständigkeit der Länder verbleibt. Es gibt also kein Geschachere, sondern es gibt den Versuch der Länder, in Abstimmung mit der Bundesregierung über diesen Punkt zu reden. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe vereinbart. Wir bringen dieses Gesetz, wie es den Vorstellungen der Bundesregierung entspricht, in dem Begleitgesetz ein und haben vereinbart, dass bis zur ersten Lesung im Bundestag - bei Regierungsentwürfen gibt es eine Stellungnahme des Bundesrates und eine Gegenäußerung der Bundesregierung - weitere Gespräche geführt werden sollen, um sich über die Vorstellungen der Länder in Bezug auf das Inkrafttreten, die Finanzierungslasten und dergleichen auszutauschen. Aber den Vorwurf, dass es da ein Geschachere gibt, kann ich namens der Bundesregierung nicht akzeptieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Özcan Mutlu.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie wissen sicherlich wie auch ich, dass das Kooperationsverbot, das wir haben, in der Welt einmalig ist. Ich freue mich, dass mit der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern diese Front jetzt wenigstens ein bisschen bröckelt und das Kooperationsverbot aufgeweicht wird. Ich möchte, anknüpfend an die Frage von Kollegin Dörner, etwas in Bezug auf den neuen Artikel 104c Grundgesetz fragen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir bundesweit einen Sanierungsstau bei der Bildungsinfrastruktur - Schulgebäude etc. - von circa 34 Milliarden Euro haben und die Vereinbarung die Bereitstellung von Mitteln für diesen Bereich in Höhe von 3,5 Milliarden Euro vorsieht, die auch noch degressiv gestaltet wird, möchte ich Sie fragen: Finden Sie diese Mittel auskömmlich, oder meinen Sie nicht, dass man da mit den Ländern gemeinsam mehr tun muss, um unsere Bildungsinfrastruktur endlich zeitgemäßer auszustatten?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, ich beziehe mich ein wenig auf die Frage Ihrer Kollegin und meine Antwort darauf. Wir hatten nicht die Absicht, das Grundgesetz grundsätzlich neu zu gestalten. Ich weise darauf hin, dass wir, selbst wenn wir die Absicht gehabt hätten, durch Artikel 79 Absatz 3 in unserer Gestaltungskraft sehr eingeschränkt gewesen wären. Darüber hinaus wiederhole ich den Hinweis des baden-württembergischen Ministerpräsidenten - er ist nicht in meiner Partei, aber ich bin Baden-Württemberger -, der gesagt hat, die Bildungspolitik sei tabu. Wir wollen nicht das Kooperationsverbot aufheben. Wir wollen lediglich die Zwecksetzung der Finanzhilfen des Bundes für Investitionen finanzschwacher Gemeinden in diesen drei Jahren um Maßnahmen der Bildungsinfrastruktur ergänzen. Wenn ich die Tagesordnung des Bundestages richtig im Kopf habe, soll morgen die erste Lesung des Nachtragshaushalts sein, mit dem wir die Mittel von 3,5 auf 7 Milliarden Euro aufstocken wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sabine Leidig.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich möchte auch auf die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft zu sprechen kommen. Sie haben sich entschieden, mit der Grundgesetzänderung hinsichtlich der Bundesautobahnen die Einrichtung einer Gesellschaft privaten Rechts zu ermöglichen. Ich möchte gerne wissen, aus welchen Gründen Sie sich für diese Form entschieden haben und ob Sie alternativ öffentliche Rechtsformen untersucht haben. Wer hat gegebenenfalls die Untersuchungen durchgeführt, und nach welchen Kriterien und mit welchem Ergebnis wurde geprüft? Ich frage deshalb, weil wir jetzt gerade, was die Bahninfrastruktur angeht, feststellen, dass es ein Problem mit der privatrechtlichen Gewinnorientierung einerseits und der Allgemeinwohlorientierung einer auf lange Dauer angelegten Infrastruktur andererseits gibt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, die vorgeschlagene Änderung des Artikels 90 soll die Verwaltung der Bundesautobahnen auf die Bundesverwaltung überführen; das ist der Regelungsgehalt. Darüber hinaus soll der Bund sich dazu einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen können. Ob sich der Bund einer solchen Gesellschaft privaten Rechts bedient oder nicht, ist nicht Gegenstand der Grundgesetzänderung, sondern der einfachgesetzlichen Gestaltung. In dem Begleitgesetz schlagen wir vonseiten der Bundesregierung in der Tat vor, eine solche einfachgesetzliche Regelung zu treffen und eine Gesellschaft privaten Rechts zu gründen, weil der dafür zuständige BundesmiDr. Franziska Brantner nister für Verkehr und digitale Infrastruktur der Überzeugung ist, dass damit - durch die Überführung in Bundesverwaltung und durch die Schaffung einer Gesellschaft privaten Rechts - Planung, Bau und Betrieb der Bundesautobahnen effizienter gestaltet werden können, als es heute der Fall ist. Sie wissen aus der Haushaltsdebatte, dass wir keine weiteren baureifen Projekte für Bundesautobahnen haben; sie sind alle mit Mitteln belegt. Da wir weiterhin einen großen Sanierungsbedarf haben - ich kann allerdings die Zahlen, die genannt worden sind, nicht bestätigen -, muss es irgendwo im Vollzug ein Problem geben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Schäuble, meine Frage bezieht sich auf das Thema Finanzschwäche und die dafür im Begleitgesetz vorgesehenen Indikatoren. Im Begleitgesetz ist ja vorgesehen, das Merkmal Finanzschwäche über drei Indikatoren zu definieren, und einer davon ist der Umfang der Kassenkredite. Das finde ich persönlich sehr richtig; denn die Kassenkredite der Kommunen haben bundesweit ein Volumen von rund 50 Milliarden Euro. Deshalb halte ich persönlich es für richtig und angemessen, das Kriterium „Kassenkredite“ in die Definition des Merkmals „Finanzschwäche“ einfließen zu lassen. Nun haben vier Bundesländer gegenüber der Bundesregierung erklärt - so ist mein Stand -, das abzulehnen. Wie werden Sie damit umgehen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Wir haben heute im Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Jetzt vertrauen wir auf die gesetzgebenden Körperschaften, und das sind Bundestag und Bundesrat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Anja Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Minister, mit dem Gesetzespaket, das heute im Kabinett beschlossen wurde, sind ab dem Jahr 2020 durchaus erhebliche strukturelle Mehrbelastungen des Bundes verbunden. Gerade vor dem Hintergrund dieser strukturellen Mehrbelastungen des Bundes und auch der Neuregelung an sich möchte ich Sie fragen - zumal sich, wenn ich mich recht entsinne, auch Ihr Staatssekretär Meister in dieser Richtung geäußert hat, dass mit den neuen Bundesergänzungszuweisungen möglicherweise eine neue Grundlage für eine Fortführung des Solidaritätszuschlags geschaffen wird; zumindest teilweise -, ob es sinnvoll ist, den Solidaritätszuschlag weiterzuführen und ob das Gegenstand der Gespräche in der Großen Koalition gewesen ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

In der Endphase der Verhandlungen über die Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat dieses Thema keine Rolle gespielt; in der Anfangsphase der Gespräche in dieser Legislaturperiode sehr wohl. Sie wissen, dass wir uns in der Großen Koalition dafür entschieden haben, den Solidaritätszuschlag nicht ganz oder teilweise in die Gemeinschaftsteuern, auf die er erhoben wird, einzubeziehen. Daraus folgt, dass irgendwann - man kann darüber streiten, wie schnell - die verfassungsrechtliche Grundlage für diese Sonderabgabe des Bundes obsolet wird. Darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Meine persönliche Meinung ist, dass wir den Solidaritätszuschlag, beginnend ab 2020, in Schritten abbauen sollten, aber das ist nicht die Position der Bundesregierung. Über die unterschiedlichen Vorstellungen werden die Wählerinnen und Wähler im kommenden Jahr entscheiden. Nach der nächsten Bundestagswahl wird es sicher eine neue Bundesregierung geben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Feist.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich komme auf die Frage meines Kollegen Schipanski zurück. Es ging darum: Wenn der Bund gerade bei der Bildungsinfrastruktur mit finanzschwachen Gemeinden zusammenwirken kann: Welche Einflussmöglichkeiten des Bundes zur Ausgestaltung dieser Beziehungen gibt es? Ich frage deswegen, weil gerade im Bildungsbereich das Zusammenwirken von Bund und Ländern nicht immer ganz erfreulich war.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Die von uns vorgeschlagene Möglichkeit einer grundgesetzlichen Ergänzung durch Artikel 104c - Finanzhilfen des Bundes für finanzschwache Gemeinden - ermöglicht dem Bund keine weiter gehenden Gestaltungsmöglichkeiten in der Bildungspolitik. Sie ist Gegenstand der grundgesetzlichen und sonstigen Regelungen zwischen Bund und Ländern und wird dadurch nicht verändert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Bluhm.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit den Neuregelungen im Grundgesetz werden Aufgaben des Bundes und der Länder zum Teil neu organisiert. Ich möchte Sie fragen: Wofür hat der Bund ab 2020 definitiv keinerlei Gestaltungskompetenz mehr? Ich frage das vor allem vor dem Hintergrund, dass wir im Zuge der Föderalismusreform die soziale Wohnraumförderung in den vergangenen Jahren bis einschließlich 2017 mit jeweils weiteren 500 Millionen Euro als sogenannte Kompensationszahlungen versehen haben. Ist die Wohnraumförderung dann komplett Aufgabe der Länder? Ich weiß, Sie haben sich bemüht, dass der Bund eine gewisse Verantwortung behält. Aber müssen wir jetzt daBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble von ausgehen, dass es ab 2020 keinerlei Zweckbindung für die Mittel des Bundes für sozialen Wohnungsbau in Deutschland mehr geben wird?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist im Rahmen der Förderalismusreformen I und II vereinbart worden, dass die Zuständigkeit für den sozialen Wohnungsbau schrittweise auf die Länder übergeht. Für die Übergangszeit hat der Bund Mittel gewährt, wobei der Bund keinerlei Kontrolle über die Verwendung dieser Mittel hat. Der Kollege Rehberg hat in den Haushaltsdebatten gelegentlich kritisch angemerkt, dass man nicht wisse, ob die Mittel von den Ländern auch tatsächlich für den sozialen Wohnungsbau verwendet worden seien. Es gibt wenig Anhaltspunkte dafür, dass das in allen Ländern so gewesen ist. ({0}) Im Zuge der starken Zuwanderung im vergangenen Jahr haben wir gleichwohl die Mittel, die in den nächsten Jahren hierfür zur Verfügung gestellt werden, noch einmal deutlich erhöht. Aber es gibt keinen Vorschlag, eine Zuständigkeit des Bundes für die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus ab dem 1. Januar 2020 im Grundgesetz festzuschreiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sven Kindler.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte eine Frage zur Verkehrsinfrastrukturgesellschaft stellen: Nach mündlichen Überlieferungen wurde auf der Ministerpräsidentenkonferenz gesagt, dass auch regionale Tochtergesellschaften zu 100 Prozent im unveräußerlichen Eigentum des Bundes verbleiben sollen. Wie wollen Sie das sicherstellen? Wird das im Gesetzgebungsverfahren geregelt werden, oder ist das schon im Gesetzentwurf enthalten? Zweite Frage: Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht zu einer möglichen Neustrukturierung der Auftragsverwaltung bzw. einer Bundesfernstraßengesellschaft vor einer „funktionalen Privatisierung“ durch öffentlich-private Partnerschaften gewarnt. Wird es einen Ausschluss von öffentlich-privaten Partnerschaften bei dieser Gesellschaft geben, oder sind öffentlich-private Partnerschaften als Finanzierungsinstrument bzw. Beschaffungsinstrument ausdrücklich geplant?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Jedenfalls enthalten die Gesetzentwürfe, die wir heute im Kabinett beschlossen haben, keine Einschränkung der Möglichkeiten, Verkehrsinfrastrukturprojekte in öffentlich-privaten Partnerschaftsprojekten umzusetzen. Das machen wir ja auch bisher. Diese Möglichkeiten werden in der Zukunft nicht eingeschränkt. Der Gesetzentwurf sagt, die Verwaltung der Bundesautobahnen kann in eine Gesellschaft privaten Rechts überführt werden; aber er regelt auch, dass sie im 100-prozentigen Eigentum des Bundes verbleibt. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich diese Gesellschaft, wenn sie eingeführt wird, oder ansonsten die Verwaltung des Bundes zur Finanzierung von einzelnen Projekten des Instruments der öffentlich-privaten Partnerschaften bedienen kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Geschäftslage: Wir sind jetzt eigentlich am Ende der üblicherweise vorgesehenen 30 Minuten der Regierungsbefragung. Ich habe noch sieben Wortmeldungen zu diesem Komplex und dann noch einige Wortmeldungen zu anderen Themen der Kabinettssitzung bzw. sonstige Fragen an die Bundesregierung. Ich schlage vor, dass wir diese jetzt aufrufen und die Regierungsbefragung insoweit verlängern, zumal die Anzahl der verbliebenen Fragen, die in der Fragestunde mündlich beantwortet werden, so übersichtlich ist, dass das das weitere Programm des heutigen Nachmittags nicht sprengen wird. Ich stelle Ihr Einverständnis fest und rufe die Kollegin Rosemarie Hein auf.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte eine vorhin offengebliebene Frage zu Artikel 104c stellen: Ist vorgesehen, dass Investitionshilfen des Bundes für Bildungsinfrastruktur ausdrücklich auch dann gewährt werden, wenn sich die Verwaltungen bei diesen Investitionsvorhaben öffentlich-privater Partnerschaften bedienen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, ich glaube, der vorgeschlagene Artikel 104c trifft dazu keine Aussage. Das ist eine Frage des Begleitgesetzes. Da bin ich im Moment überfordert. Da kann ich Ihnen im Moment keine verlässliche Antwort geben. Außerdem ist das Begleitgesetz noch nicht verabschiedet, sondern es wird erst noch beraten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katja Dörner.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Auch ich komme auf die Bildungsfinanzierung zu sprechen. Sie haben jetzt mehrfach gesagt, dass Sie nicht vorhatten, das Kooperationsverbot aufzuheben. Das finden wir bedauerlich; aber ich mache da jetzt mal einen Strich drunter. Man muss trotzdem die Frage stellen dürfen, ob die jetzt gefundene Lösung sinnvoll ist. Ich möchte an das anschließen, was mein Kollege Mutlu eben gefragt hat - das ist meines Erachtens noch nicht abschließend beantwortet -: Macht die degressive Ausgestaltung, die in Artikel 104b Absatz 2 vorgesehen ist, wirklich Sinn? Man muss sich ja vor Augen führen: In 2017 würde die größte Summe zur Verfügung stehen, in 2020 sozusagen nur noch Restmittel. Wenn ich an Planungsabläufe und anderes in den Kommunen denke, dann komme ich zu dem Schluss, dass diese degressive Ausgestaltung aus meiner Sicht nicht unmittelbar Sinn macht. Wie bewerten Sie das?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Dieser Fonds, durch den finanzschwache Gemeinden Investitionshilfen des Bundes erhalten, den wir Anfang der Legislaturperiode - ich weiß nicht mehr den genauen Zeitpunkt, aber es war im ersten Teil der Legislaturperiode - eingerichtet haben und den wir jetzt durch den Nachtragshaushalt aufstocken wollen, war in der Tat von vornherein auf den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der Neuregelungen des Bund-Länder-Finanzverhältnisses angelegt. Denn ab 1. Januar 2020 erhalten die Länder 9,7 Milliarden Euro mehr - und dies ansteigend - aus der Verteilung der Gesamtsteuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen ist dieser Fonds ausdrücklich für diese Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Neuregelung ausgestaltet. Deswegen sind die 7 Milliarden Euro, wenn der Bundestag den Nachtragshaushalt so beschließen sollte, wie ihn die Bundesregierung vorgeschlagen hat, auf die Zeit bis Ende 2019 befristet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Axel Troost.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, wir haben uns heute im Finanzausschuss ausführlich mit der Frage der gefundenen Kompromisse bei der Grundgesetzänderung befasst. Dabei ist deutlich geworden, dass es aufseiten der Bundestagsfraktion der CDU/CSU zumindest in einzelnen Punkten noch erhebliche Bedenken oder auch Änderungsbedarfe gibt; entsprechende Änderungsvorschläge sollen jetzt eingebracht werden. Mich würde interessieren, wie Sie das einschätzen und was das für den gefundenen Kompromiss und auch den Umgang mit den Länderchefs bedeutet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Troost, erstens konnte ich an der Sitzung des Finanzausschusses nicht teilnehmen. Ich bedaure dies. Zweitens habe ich solche Einwendungen aus der CDU/CSU-Fraktion in der Sitzung des Plenums seit 13 Uhr nicht vernehmen können. Drittens gilt das Struck’sche Gesetz. Die Bundesregierung hat heute beschlossen, einen Gesetzentwurf einzubringen. Dazu wird es jetzt eine Stellungnahme des Bundesrates geben und dann eine Gegenäußerung der Bundesregierung. Dann bekommt der Bundestag den Gesetzentwurf und ist Herr des Verfahrens. Ich gehöre diesem Deutschen Bundestag übrigens schon länger an als die meisten anderen Anwesenden, um nicht zu sagen, als alle anderen Anwesenden. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das haben alle jetzt als zusätzliche Ermutigung empfunden. ({0}) Nun hat die Kollegin Paus die nächste Frage.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, die derzeitige Organisation der Steuerverwaltung ist, glaube ich, nach allgemeinem Dafürhalten ineffizient. Am Wochenende mussten wir vernehmen, dass der Präsident des Bundesrechnungshofs ganze Bereiche sieht, über die er sagt: Es ist eher Zufall, dass dort Steuervollzug stattfindet, als dass es die Regel ist. - Ich spreche über die Themen Onlineanwendungen und immaterielle Güter. Vor diesem Hintergrund wäre es jetzt ein guter Zeitpunkt gewesen, zu einer größeren Einheitlichkeit beim Vollzug, bei der IT-Ausstattung etc. zu kommen. Das ist nicht geschehen. Jetzt werden Sie gleich sagen, dass das an den Ländern liegt. Beim Thema Verkehrsinfrastrukturgesellschaft war es bei den Ländern ja ähnlich. Die Länder waren nicht begeistert, ihre Kompetenz im Bereich der Verkehrsinfrastruktur abzugeben. Da haben Sie jetzt einen Schwerpunkt gelegt und haben das mit den entsprechenden Gesetzen durchgesetzt. Können Sie mir sagen, warum Sie diesen Schwerpunkt gesetzt haben? Warum haben Sie angesichts der nicht so guten, um nicht zu sagen, sehr schlechten Situation im Bereich der Steuerverwaltung nicht einen anderen Schwerpunkt gesetzt?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich glaube, Frau Kollegin, der Vergleich der beiden Bereiche ist irrig. Was die Steuerverwaltung anbetrifft, hat die Bundesseite mit viel Überzeugungskraft, aber mit wenig Hoffnung für eine grundlegende Änderung argumentiert. Denn die Lage ist so: Sie werden vielleicht wissen - wenn nicht, erfahren Sie es jetzt in diesem Augenblick -, dass es schon eine Vorgabe der drei Besatzungsmächte an den Parlamentarischen Rat war, dass es keine einheitliche Bundessteuerverwaltung geben dürfe. Aus diesem Grund sehen die Länder eine eigene Steuerverwaltung als Teil ihrer im Grundgesetz garantierten unabänderlichen Staatlichkeit an. Das wird nicht in allen Ländern gleich gesehen, aber in den großen Ländern mit leistungsstarker Steuerverwaltung wie zum Beispiel dem schon genannten Baden-Württemberg - ich habe der dortigen Steuerverwaltung einmal angehört - wird es so gesehen. Es ist überhaupt nicht verhandlungsfähig. Deshalb ist das Ergebnis so. Es war ein mühsames Ringen, die begrenzten Verbesserungen, die wir jetzt wenigstens für die Software und auch beim Weisungsrecht erreicht haben, zu erzielen. Dagegen gibt es übrigens auch noch Protokollerklärungen, zum Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen, dass man das nicht akzeptieren will.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Franziska Brantner.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine kurze Nachfrage; denn Sie hatten das vorhin nicht kommentiert. Liege ich deswegen richtig in der Annahme, dass der Streitwert beim Unterhaltsvorschuss zwischen Bund und Ländern 100 Millionen Euro beträgt?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Nein. ({0}) - Ihre Frage war, ob Sie in der Annahme richtigliegen. Die Antwort lautet: Nein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, das haben wir auch alle so verstanden. - Kollegin Leidig.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich wollte nur noch einmal nach der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft fragen. Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, Herr Minister, war die Entscheidung, eine privatrechtliche Gesellschaftsform für die Bundesautobahnverwaltung zu finden, der Tatsache geschuldet, dass Verkehrsminister Dobrindt der Meinung ist, dass die privatrechtliche Form dazu führt, dass besser schneller mehr Autobahnen gebaut bzw. repariert werden können. Meine Frage ist, ob andere, zusätzliche volkswirtschaftliche Kriterien in die Erwägungen eingeflossen sind. Ich sage es deshalb, weil wir davon ausgehen müssen, dass - wenn die Klimaschutzpläne der Bundesregierung umgesetzt werden - der Verkehrssektor sich erheblich wird verändern müssen und da natürlich volkswirtschaftlich ganz andere Maßstäbe angelegt werden müssen, als schneller mehr Autobahnen zu bauen. Meine Frage ist, ob zusätzliche Kriterien in Ihre Überlegungen eingeflossen sind.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, am Anfang der Überlegungen, die jetzt in diesen Vorschlag einer Grundgesetzänderung gemündet sind, standen unterschiedliche, zum Teil auch weiter gehende Überlegungen. Das ist zutreffend. Sie werden sich vielleicht erinnern, dass der Bundeswirtschaftsminister aufgrund der Vorschläge einer von Professor Fratzscher geleiteten Kommission vor einem Jahr nachdrücklich gefordert hat, man müsse die Möglichkeiten für Investitionen privater Investoren in öffentliche Infrastruktur deutlich verbessern. Davon ist in dem, was wir Ihnen jetzt vorschlagen, nicht mehr die Rede. Darüber hinaus haben wir, die einzelnen Teilnehmer, sicher über vieles diskutiert. Wir haben übrigens heute in unserer Kabinettssitzung auch den Klimaschutzbericht 2016 beraten. Aber einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung bezüglich der Verwaltung der Bundesautobahnen und dem Klimaschutzbericht haben wir nicht hergestellt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Mutlu.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben immer wieder betont, woher Sie kommen. Ich würde gern wieder anknüpfen an das Thema Kooperationsverbot und möchte nicht bewerten, dass die Große Koalition diese Einführung des Artikels 104c ganz unterschiedlich interpretiert. Dennoch die Frage in Richtung der Südländer: Die Südländer Hessen, Baden-Württemberg und Bayern haben Befürchtungen geäußert, dass mit der Einführung des Artikels 104c Landeskompetenzen angegriffen werden; ich sage es mit meinen Worten. Wie sehen Sie das? Wie bewerten Sie das? Und sind Sie mit mir der Meinung, dass die Kooperation in Bildungsfragen zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht unbedingt eine Aufhebung von Länderkompetenzen zu bedeuten hat?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, es gibt zum Kooperationsverbot, das wir im Zuge der Föderalismusreform II, wenn ich dies recht erinnere, in das Grundgesetz eingeführt haben, unterschiedliche Vorstellungen. Das ist weder neu noch irgendetwas sonst. Ich habe dazu auch nicht weiter Kommentare abzugeben. Ich habe auf die Frage meines Kollegen gesagt: Eine Veränderung der Zuständigkeit des Bundes in der Bildungspolitik ist mit der vorgeschlagenen Ergänzung durch Artikel 104c nicht vorgesehen. Natürlich kann man sagen: Wenn der Bund Finanzhilfen für finanzschwache Gemeinden gibt, dann hat dies immer auch eine Auswirkung. Aber eigentlich ist dies doch für die Länder vielleicht auch eine Ermutigung, sich selber stärker um ihre finanzschwachen Gemeinden zu kümmern. Ich füge hinzu: Das Land Baden-Württemberg - ich bin stolz, ein Badener zu sein - hat relativ wenige finanzschwache Gemeinden. Andere Länder haben mehr. ({0}) - Was ist? Haben Sie etwas dagegen? ({1}) - Gleich gibt es Ärger. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dazu eröffne ich jetzt keine neue Fragerunde. Wir schließen damit die Fragen zu dem vorgetragenen Bericht zu den beabsichtigten Grundgesetzänderungen ab. Wir kommen nun zu weiteren Fragen zur Kabinettssitzung bzw. an die Bundesregierung. Zunächst hat der Kollege Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Heute stand ja auch der Migrationsbericht der Bundesregierung auf der Tagesordnung des Kabinetts. Darin wird auf Seite 236 auf die Optionspflicht und ihre rechtlichen Voraussetzungen Bezug genommen. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Woche frage ich die Bundesregierung: Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, die Befreiung von der Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder abzuschaffen, und welche Pläne und Entwürfe existieren hierzu in den Ressorts der Bundesregierung?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Beck, die Bundesregierung hat sich in ihrer Sitzung heute ({0}) nicht mit Beschlüssen von Parteitagen - nicht einmal mit solchen der Partei Die Grünen - beschäftigt. Deswegen kann ich Ihnen zur Berichterstattung aus dem Kabinett nur sagen, dass dieses Thema im Zusammenhang mit dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Migrationsbericht, den der Bundesinnenminister vorgelegt hat, keine Rolle gespielt hat. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich habe eine Frage zu einem Thema, bei dem ich davon ausgehe, dass sich die Bundesregierung damit beschäftigt hat, möglicherweise oder wahrscheinlich auch heute in der Sitzung - ich war nicht dabei; das weiß ich natürlich nicht -, nämlich: Welche Indizien oder gar Beweise liegen der Bundesregierung dafür vor - das war in der FAZ zu lesen -, dass der Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag vom Frühjahr 2015 und die Veröffentlichung von Unterlagen aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss - es waren umfangreiche Unterlagen; 2 500 Seiten - von Russen bewerkstelligt worden sein sollen? Da dies angeblich von den Nachrichtendiensten, vom Bundesamt für Verfassungsschutz und vom BND, in einem zusammenfassenden Gutachten festgehalten worden sein soll, frage ich Sie darüber hinaus: Bekommen wir dieses Gutachten?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Ströbele, diese Frage hat in der Kabinettssitzung heute keine Rolle gespielt. Ich kann Ihnen Ihre Frage deswegen nicht beantworten, außer dass ich sage: Das hat keine Rolle gespielt. Nach meiner Kenntnis gibt es für die Unterrichtung des Parlaments über solche Fragen ein spezielles Gremium. Mein Vorschlag ist, dass Sie diese Fragen in diesem Gremium stellen. Dort werden sie von der Bundesregierung sicherlich beantwortet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege von Notz.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Schäuble, ich kann meine Frage vielleicht auch an Herrn Schröder richten. Denn wenn offensichtlich Mitglieder der Sicherheitsbehörden die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung informieren und keine Information des Parlaments stattgefunden hat, stellt sich schon die Frage, was die Bundesregierung über diesen Vorgang weiß. Es wäre ein maximal empörender Vorgang, wenn im April/Mai 2015 tatsächlich der russischen Regierung nahestehende Hacker den Deutschen Bundestag angegriffen hätten und diese jetzt auch für die genannten Veröffentlichungen verantwortlich wären. Deswegen frage ich Sie: Haben Sie Kenntnis von Fakten und Belegen für diese These, oder sind das nebulöse, nicht greifbare Vermutungen? Gibt es aufseiten der Bundesregierung also Fakten und Belege für diesen Vorgang, über den am letzten Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet wurde?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten; denn sie ist im Kabinett heute nicht behandelt worden. ({0}) Ich bin darüber hinaus für diese Frage nicht zuständig und habe keine Kenntnis. Ob Herr Schröder eine Antwort darauf geben kann und mag, kann ich nicht beurteilen; das ist Sache des Bundestagspräsidenten und des Kollegen Schröder.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann fragen wir einmal, ob sich Herr Schröder in der Lage sieht, dazu eine Auskunft zu geben. ({0})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Vielen Dank, dass Sie mir als Vertreter des Bundesministeriums des Innern die Möglichkeit geben, dazu etwas zu sagen. - Im Mai und August dieses Jahres waren ja erneut der Deutsche Bundestag sowie mehrere politische Parteien Ziel von Cyberattacken, die der Angriffskampagne APT 28 zugerechnet werden. Was diese Angriffskampagne angeht, deutet eine Vielzahl von Indizien auf eine russische staatliche Urheberschaft hin. Das sind aber lediglich Indizien. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Können Sie die Frage vielleicht in einem für jeden nachvollziehbaren Zusammenhang so stellen, dass sie dann auch durch die Bundesregierung beantwortet werden kann?

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich! Verzeihen Sie, Herr Präsident. - Im zweiten Teil der Frage ging es um die Aussage, dass die vertraulichen Unterlagen aus dem Untersuchungsausschuss NSA/BND, die auf WikiLeaks veröffentlicht wurden, aus diesem Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag stammen. Ist das Fakt, und haben Sie dafür Belege, oder ist das eine These, die man einfach einmal so geäußert hat? Vielen Dank.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Dieser Sachverhalt wird in einer Arbeitsgruppe im Cyberabwehrzentrum ja weiterhin aufgeklärt. Es liegen zurzeit keine Erkenntnisse vor, die das untermauern würden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich will doch noch einmal nachfragen: Was hat Sie veranlasst - nicht Sie persönlich, aber die Bundesregierung -, auf diese Art und Weise Pressearbeit zu machen, wenn doch keine Informationen vorliegen? Es liegt ja der Eindruck auf der Hand, dass hier die Presse besser informiert ist als das Parlament, und wenn wir dann vom Finanzminister auch noch darauf hingewiesen werden, dass man dafür schließlich Gremien hat, wie das PKGr, das geheim tagt, dann verstehe ich die Welt nicht.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Bundesregierung hat hierzu keine Pressearbeit gemacht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Beck, bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Wir haben gerade in der Sitzung des Innenausschusses ja auch über die Berichte der Welt und der Cumhuriyet über geheimdienstliche Tätigkeiten von DITIB-Imamen in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Vor dem Hintergrund dieser Berichte und der darin gegebenen Informationen frage ich die Bundesregierung, ob sie die DITIB im Rahmen der Spionageabwehr nach § 3 Absatz 1 Ziffer 2 Bundesverfassungsschutzgesetz nun zum Beobachtungsgegenstand macht und welche weiteren Schritte die Bundesregierung plant, um unser Land vor geheimdienstlichen Aktivitäten einer nicht geheimdienstlichen Struktur in Deutschland besser zu schützen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich vermute, dass sich diese Frage auch an das Innenministerium richtet.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, es sei denn, das Kanzleramt möchte antworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Schröder.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ob eine Institution Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes wird oder nicht, ist keine Frage, die politisch zu beantworten ist oder die der politischen Opportunität obliegt, sondern eine reine Rechtsfrage. Das heißt, die rechtlichen Voraussetzungen hierfür müssen vorliegen. Selbstverständlich ist das Bundesamt für Verfassungsschutz aber auch ansonsten sehr wachsam. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das kommt gelegentlich vor. ({0}) Ich schließe damit die Regierungsbefragung mit besonderem Dank an die Mitglieder der Bundesregierung, die für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung gestanden haben. Hiermit rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/10595 Die eingereichten Fragen werden in der Ihnen bekannten Reihenfolge der Ressorts beantwortet, soweit keine schriftliche Beantwortung erbeten ist. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Alle eingereichten Fragen zu diesem Geschäftsbereich - die Fragen 1 und 2 der Kollegin Sylvia KottingUhl und die Fragen 3 und 4 des Kollegen Christian Kühn - sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Hier sind die Fragen 5 und 6 des Kollegen Uwe Kekeritz zur schriftlichen Beantwortung angemeldet worden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht freundlicherweise Staatsministerin Böhmer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Höger auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem aktuellen Bericht „Landmine Monitor“, aus dem für das Jahr 2015 ein Anstieg von Unfällen mit Landminen und explosiven Kriegsresten um 75 Prozent hervorgeht, auch hinsichtlich des deutschen Beitrages zur internationalen humanitären Minenräumung ({1})?

Not found (Gast)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Höger, ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung unterstützt weltweit Projekte der humanitären Minen- und Kampfmittelräumung und ist einer der wichtigsten internationalen Geber. Die Publikation des „Landmine Monitors“ wird von der Bundesregierung seit mehreren Jahren aus dem Haushaltstitel „Humanitäre Hilfe …“ gefördert. 2016 - darf ich Ihnen sagen - waren das 400 000 Euro. Wie aus diesem „Landmine Monitor“ hervorgeht, sind die hohen Opferzahlen fast ausschließlich auf die Konflikte in Libyen, Syrien, Ukraine und Jemen zurückzuführen. Teilweise ist der Anstieg auch durch eine bessere Datenlage zur Erfassung der Opfer zu erklären. Die Bundesregierung plant, die Förderung des humanitären Minenräumens in diesen Staaten fortzusetzen bzw. zu erhöhen. Ausschlaggebend für Projekte ist jedoch der verbesserte Zugang zu den betroffenen Gebieten für Räumorganisationen und eine geringere Wahrscheinlichkeit von erneuter Kontaminierung durch anhaltende bewaffnete Konflikte. Gleichzeitig strebt das Auswärtige Amt in Bezug auf die gestiegenen Opferzahlen eine stärkere Berücksichtigung der Opferfürsorge innerhalb des Bereichs Minen- und Kampfmittelräumung an. Ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Räumung von Sprengfallen und improvisierten Landminen. Insbesondere die vom sogenannten „Islamischen Staat“ befreiten Gebiete in Syrien und im Irak sind in hohem Maße kontaminiert. Dies stellt eine tödliche Gefahr für Leib und Leben der zurückkehrenden Bevölkerung dar. Die Räumung von Sprengfallen ist hier zudem eine wichtige Vorbedingung für das Leisten der humanitären Hilfe.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die ausführliche Antwort. - Ich finde es gut, dass die Bundesregierung ihr Engagement in Bezug auf Minenräumprojekte erhöht hat und mehr Geld bereitstellt. Aber diese Mittel sind im Verhältnis zu denen des Verteidigungsetats eher wenig. Es müsste meines Erachtens viel mehr in Konfliktvermeidung investiert werden. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass Minen erst gar nicht gelegt und Kriege nicht geführt werden?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Höger, Sie stellen eine Frage, auf die ich nur antworten kann: Wir alle wünschen uns, dass keine Minen gelegt und keine Kriege geführt werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir hatten schon in der letzten Legislaturperiode eine lange Diskussion darüber, dass es Investitionen in Firmen gibt, die Landminen und Streumunition herstellen. Wir sind der Ansicht, dass Investitionen in solche Firmen verboten werden sollten. Wie steht die Bundesregierung dazu?

Not found (Gast)

Ich glaube, diesen Vorschlag muss man sich sehr genau anschauen. Ich verstehe sehr gut, wenn Sie sagen, es müsse alles getan werden, damit solche Minen überhaupt nicht erst hergestellt werden. Das ist eine wichtige Überlegung.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Omid Nouripour sowie die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Andrej Hunko werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Niema Movassat sowie die Frage 14 des Abgeordneten Alexander Neu werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Alexander Neu auf: Was ist der Bundesregierung über das Verhältnis der Zahl der nicht unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligten zivilen Opfer der US-Drohnenangriffe zur Zahl der getöteten Kombattanten bekannt, und welche Statistik ({0}) hält sie hierzu für glaubwürdig und aussagekräftig?

Not found (Gast)

Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung verfügt hierzu über keine eigenen Erkenntnisse. Die US-Regierung veröffentlichte im Juli 2016 erstmals aus US-Antiterroreinsätzen resultierende Opferzahlen außerhalb von aktiven Kampfgebieten. Diese betreffen den Zeitraum zwischen dem 20. Januar 2009 und dem 31. Dezember 2015 und nicht notwendigerweise nur Drohneneinsätze. Bei 473 Einsätzen wurden danach zwischen 2 372 und 2 581 Kombattanten getötet. Darüber hiPräsident Dr. Norbert Lammert http://www.handicap-international.ch/de/neuigkeiten/landminenbericht-2016-zahl-der-neuen-unfaelle-mit-landminen-fast-verdoppelt http://www.handicap-international.ch/de/neuigkeiten/landminenbericht-2016-zahl-der-neuen-unfaelle-mit-landminen-fast-verdoppelt http://www.handicap-international.ch/de/neuigkeiten/landminenbericht-2016-zahl-der-neuen-unfaelle-mit-landminen-fast-verdoppelt naus seien zwischen 64 und 116 Nichtkombattanten ums Leben gekommen. Der Bundesregierung ist bewusst, dass die Statistiken anderer Quellen, zum Beispiel von Nichtregierungsorganisationen, teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Es ist der Bundesregierung jedoch nicht möglich, diese zu überprüfen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Die Bundesregierung verlässt sich damit auf die Zahlen der US-Regierung. Es geht mir ein bisschen um die Fehlerquote. Sie haben die Zahl der angeblich getöteten Kombattanten und der ums Leben gekommenen Zivilisten genannt. Was die Fehlerquote angeht, hat die NGO Reprieve in einem Beitrag mit dem Titel „You Never Die Twice“ - „Du stirbst nicht zweimal“ - zum Beispiel festgestellt, dass 41 Männer, die angeblich getötet worden sind, zwischen drei- und siebenmal getötet worden sind. Das macht die Fehlerquote deutlich. Diese Männer sind also namentlich immer wieder aufs Neue als getötet auf der Todesliste aufgeführt worden. Können Sie das erklären?

Not found (Gast)

Ich habe eben schon gesagt, dass es uns nicht möglich ist, so etwas zu überprüfen. Ich kann es Ihnen auch nicht erklären.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Neu.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war alles. Danke.

Not found (Gast)

Bitte.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dann komme ich zur Frage 16 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele: Warum nahm die Bundesregierung in Deutschland bisher nicht gemäß der Bitte des US-Präsidenten Barack Obama außer meines Wissens bislang nur zwei - weitere Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo auf, gegen die US-Behörden keine strafrechtlichen Vorwürfe mehr erhoben, und wird die Bundesregierung nunmehr auf Präsident Barack Obamas Ankündigung hin, möglichst bis zum Ende seiner Amtszeit alle Häftlinge aus Guantánamo zu entlassen, ebenso wie die Republik Kap Verde ({0}) weitere Häftlinge aus Guantánamo in Deutschland aufnehmen bzw. hierum rasch die Regierungen der Bundesländer bitten? Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Gerne. Danke schön. - Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung setzt sich seit langem dafür ein, dass das Gefangenenlager Guantánamo so bald wie möglich geschlossen wird, und begrüßt die andauernden Bemühungen von US-Präsident Obama, Guantánamo dauerhaft zu schließen. Sie hat der US-Regierung diesbezüglich ihre Unterstützung angeboten. Deutschland hat seit 2006 drei ehemalige Guantánamo-Insassen aufgenommen. Die Aufnahme weiterer Guantánamo-Häftlinge setzt ein formales Ersuchen der US-Behörden und eine genaue Prüfung der tatsächlichen Hintergründe und des Sachverhaltes voraus. Zwingende Voraussetzung für eine Aufnahme von Guantánamo-Insassen in Deutschland ist, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass von den Personen künftig eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands ausgeht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, das befriedigt mich gar nicht, vor allen Dingen angesichts dessen, dass die frühere Bundesregierung etwa den Gefangenen Murat Kurnaz vier Jahre lang in dem Foltergefängnis Guantánamo schmoren gelassen hat, obgleich ihr genau das von den Amerikanern mitgeteilt worden war: dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gefährdung bestand. Wieso hat die Bundesregierung nicht dem Drängen des Sonderbeauftragten des US-Präsidenten, der durch Europa gereist ist - er war auch in Deutschland; ich kann Ihnen die Daten heraussuchen - und händeringend darum gebeten hat, Gefangene aufzunehmen, nachgegeben, bzw. warum ist sie nicht zumindest in die Prüfung einzelner Fälle eingetreten, um dann zu einer Entscheidung zu kommen? Vielleicht wäre Guantánamo dann heute schon geschlossen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, ich glaube, die Frage der Schließung von Guantánamo muss in den USA geklärt werden. Sie waren, glaube ich, gerade in den USA, und Sie wissen auch um die politischen Auseinandersetzungen dort. Aber lassen Sie mich zu der Frage kommen, die Sie mit Blick auf Deutschland gestellt haben. Ich habe verfolgt, dass Sie sich vor kurzem im Deutschlandfunk geäußert haben, und heute Morgen wurde im Morgenmagazin ein Bericht über Guantánamo, den derzeitigen Stand und das Bemühen des amerikanischen Präsidenten gezeigt. Das, was Sie mit Blick auf den Fall Murat Kurnaz angesprochen haben, war Gegenstand eines Untersuchungsausschusses - wenn ich richtig orientiert bin, haben Sie dort für die Grünen eine Funktion gehabt -, und es besteht insofern Klarheit, als die Regierung dort ihre Position dargelegt hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn ich noch eine Frage stellen darf: Frau Staatsministerin, den Fall Kurnaz könnten wir noch einmal aufrollen. Aber dazu fehlt hier die Zeit. Die Bundesregierung hat sich immer darum gedrückt, hier eine klare Stellungnahme abzugeben, und hat die Bremer Behörden sogar dazu veranlasst, den Aufenthalt von Herrn Kurnaz in Deutschland - er kam aus Bremen - zu verunmöglichen. Dazu ist damals sogar eine Entscheidung zusammen mit dem damaligen Staatssekretär im Kanzleramt, Herrn Steinmeier, gefallen. In meiner Frage geht es aber um etwas anderes. Sie haben gesagt, diese Frage müsse in den USA geklärt werden. US-Präsident Obama, der sich dringend darum bemüht, die Gefangenen loszuwerden, findet auf der ganzen Welt nicht genügend Länder, die bereit sind, alle betreffenden Gefangenen, gegen die nichts vorliegt, aufzunehmen. Mehrere Staaten haben mehr Gefangene aufgenommen als Deutschland. Sicherlich muss die Frage in den USA geklärt werden. Wenn man ihm aber dabei nicht hilft, dann darf man sich nicht darüber beschweren, dass dieses Foltergefängnis nach wie vor besteht.

Not found (Gast)

Herr Ströbele, ich habe Ihr Interview im Deutschlandfunk nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch gelesen. Dort haben Sie selbst über die Beschlusslage berichtet und auch darüber, dass die Mehrheit des Ausschusses gesagt hat, der Bundesregierung sei nichts vorzuwerfen. Also: Ich halte mich daran. Wie ich Ihnen eben sagte, hat die Bundesregierung alles gesagt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Nun zu dem anderen Punkt. Wir haben drei Personen in Deutschland aufgenommen. Wie ich Ihnen bereits sagte, muss ein formales Ersuchen gestellt werden. Wenn kein formales Ersuchen vorhanden ist, kann das Bundesinnenministerium nicht prüfen. Aber der Sicherheitsaspekt muss geprüft werden. Insofern glaube ich, dass solche pauschalen Vorwürfe nicht tragen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Damit komme ich zu einem anderen Geschäftsbereich, dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings zur Verfügung. Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Ströbele auf: Hat anlässlich der WikiLeaks-Veröffentlichung ({0}) von Unterlagen, welche die Bundesregierung bzw. Bundesbehörden erstellten und später dem 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode „NSA“ des Deutschen Bundestages zuleiten ließen, die zuständige Staatsanwaltschaft - wohl Berlins - auch der Bundesregierung - ebenso wie dem Bundestag - einen Antrag übermittelt, gemäß § 353b Absatz 4 Satz 2 Nummer 2 des Strafgesetzbuchs die nötige Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen gegen Mitarbeiter der Bundesregierung bzw. von Bundesbehörden wegen des Verdachts einer Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht, und wird die Bundesregierung diese Ermächtigung - ebenso wie der Präsident des Deutschen Bundestages bereits am 2. Dezember 2016 - erteilen bzw. hat sie dies schon getan? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Ströbele, mit Betrübnis stelle ich fest, dass wir unseren Austausch hier im Bundestag nicht mehr allzu lange fortsetzen können. Umso mehr freue ich mich über Ihre Frage. Sie haben in Ihrer Frage eine Veröffentlichung von Unterlagen vom 24. November 2016 angesprochen. Eine Veröffentlichung vom 24. November 2016 ist mir nicht bekannt. Ich gehe davon aus, dass sich Ihre Frage auf eine Veröffentlichung über WikiLeaks vom 1. Dezember 2016 bezieht. Es handelt sich um ein laufendes Verfahren in strafrechtlichen Angelegenheiten; das ist auch den Medien zu entnehmen. Zu Einzelheiten eines solchen Verfahrens äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht, wie Sie wissen. Stutzig gemacht hat mich allerdings schon, dass Sie sich auf den 24. November beziehen. Falls Sie über weiteres Wissen bzw. intime Kenntnisse von Veröffentlichungen vor dem 1. Dezember verfügen sollten, wäre es natürlich interessant, wenn Sie sozusagen als Zeuge zur Verfügung stehen könnten, Herr Ströbele.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich will Folgendes dazu fragen: Dieser Vorgang ist öffentlich. Nach diesen Veröffentlichungen haben sich die Strafverfolgungsbehörden offenbar an den Bundestagspräsidenten oder das Präsidium gewandt und haben gebeten, hier im Deutschen Bundestag ermitteln zu können. Diese Genehmigung ist offenbar erteilt worden; so habe ich das jedenfalls den Medien entnommen. Da stellt sich doch die Frage, ob eine solche Bitte auch an die Bundesregierung und die verschiedenen Bundesbehörden herangetragen wurde; denn dieselben Unterlagen, die dort veröffentlicht wurden, sind nicht nur im Untersuchungsausschuss, das heißt im Deutschen Bundestag, sondern auch im Kanzleramt, im Bundesinnenministerium und in anderen Ministerien vorhanden. Ist eine solche Anfrage an Sie gestellt worden, und wenn ja, wie wurde sie beantwortet?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann mich nur auf das beziehen, was ich eben gesagt habe. Es geht um ein laufendes Verfahren und die Möglichkeit strafrechtlicher Ermittlungen. Dazu äußern wir uns bekanntermaßen nicht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele, haben Sie noch eine Nachfrage? - Nein. Dann leite ich zu den nächsten Fragen über. Die Frage 18 des Abgeordneten Özcan Mutlu wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Beck auf: Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus einer taz-Recherche vom 30. November 2016, dass Behörden weit mehr als 5 000 Leugner der Existenz der Bundesrepublik Deutschland bekannt seien und Hunderte legal Waffen besitzen? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Beck, meine Damen und Herren, ich möchte vorausschicken, dass die Bundesregierung auf der alleinigen Grundlage von Presserecherchen keine Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht und auch einzelne in der Presse genannte Zahlen nicht kommentiert. Das Bundesministerium des Innern beobachtet allerdings im Zusammenhang mit selbsternannten sogenannten Reichsbürgern nicht erst seit dem schrecklichen Vorfall vom 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd eine Verschärfung der Gefährdungslage. Die Szene ist zunehmend via Internet vernetzt. Der Besitz von Waffen ist bei manchen Mitgliedern der Szene erheblich. Immer öfter sind Einschüchterungsversuche bei staatlichen Bediensteten durch Szenemitglieder zu beobachten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird daher die Reichsbürger fortan bundesweit beobachten. Zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz können auf diese Weise Vernetzungen zwischen Gruppierungen und Personen besser erkannt werden. Die Reichsbürger-Szene ist nach den bisherigen Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden ausgesprochen heterogen. Es gibt zahlreiche einzelne Gruppierungen und Personen im gesamten Bundesgebiet. Darunter sind eben auch viele Rechtsextremisten, aber auch Personen, die keinem der klassischen Phänomenbereiche Rechts- oder Linksextremismus zuzuordnen sind. Gemeinsames Merkmal aller der Reichsbürger-Szene zuzuordnenden Personen ist aber die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik und ihrer Rechtsordnung. Die Verfassungsschutzbehörden gehen davon aus, dass das neue Beobachtungsobjekt voraussichtlich mehrere Tausend Personen umfassen wird. Einzelheiten werden zurzeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden abgestimmt. Wir müssen dann auch dafür sorgen - das ist ein Teil Ihrer Frage -, dass diese Reichsbürger - das gilt natürlich auch für alle anderen Extremisten - nicht in den Besitz von Waffen kommen bzw. vorhandene Waffen wieder entzogen werden. Solche Vorfälle wie im August in Sachsen-Anhalt und im Oktober in Bayern dürfen sich nicht wiederholen. Das Bundesministerium des Innern hat deshalb schon in diesem Sommer die Übermittlung aller relevanten Erkenntnisse der Verfassungsschutzämter über das gesamte rechtsextremistische Personenpotenzial an die Waffenbehörden angestoßen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich begrüße, dass Sie inzwischen, anders als auf frühere Anfragen, sagen, Sie wollten diese Szene beobachten. Trotzdem würde mich eines interessieren: Sie sprechen von mehreren Tausend. Haben Sie schon irgendeine valide Vorstellung, über welches Beobachtungsobjekt wir da reden? Um wie viel Personen geht es insgesamt in der Szene? Wie viele Personen sind nach Ihrer Schätzung im Besitz von Waffen bzw. gewalttätig?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich kann Ihnen zu beiden Punkten keine genauen Zahlen sagen. Man kann natürlich sagen, dass mehrere Tausend nur eine ungefähre Angabe ist. Aber das hängt auch damit zusammen, dass wir im Verfassungsschutzverbund der 16 Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundesamtes jetzt eine genaue Abgrenzung vornehmen müssen. Wir haben eine heterogene Szene. Nicht alle sind Extremisten, es sind auch nicht alle Rechtsextremisten, aber einige davon schon. Jetzt muss man genau schauen, wie man die Abgrenzung vornimmt. Jemand, der mit dem deutschen Staat ein Problem hat, ist nicht automatisch Reichsbürger. Man muss also genau schauen, wo die Abgrenzung ist. Die muss, auch im Sinne des Rechtsstaates, klar definiert werden; denn das, was beobachtet wird, muss klaren gesetzlichen Grundlagen gehorchen. Da werden Sie, glaube ich, der Erste sein, der das verlangen würde. Insofern kann man genauere Angaben noch nicht dazu machen. Auch für den Bereich der Schusswaffenbesitzer können wir keine genauen Zahlen angeben. Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl im dreistelligen Bereich bewegt. Auch der furchtbare Fall in Georgensgmünd hängt damit zusammen, dass man erkannt hat, dass jemand ein Reichsbürger ist und Waffen hat, die er nicht haben sollte, weil er aufgrund der konkreten Umstände nicht mehr als zuverlässig gelten konnte. Bei mangelnder Zuverlässigkeit müssen Waffen abgegeben werden, sie sollten entzogen werden. Es kam zu diesem furchtbaren Vorfall, weil er sich mit Waffengewalt gewehrt hat.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Besorgt macht mich schon die Unklarheit der Lageeinschätzung. Wenn wir vergleichen, welche Organisationen sonst vom Verfassungsschutz beobachtet werden, dann ist die Angabe von einigen Tausend Reichsbürgern schon erstaunlich hoch. Dass man in diesem Bereich so unpräzise Vorstellungen hat, ist kein gutes Signal für die Sicherheit in unserem Land. Ich wollte Sie zu dem, was Sie gerade gesagt haben, nämlich dass es Reichsbürger gibt, die die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland als nicht existent und nicht legitim ablehnen, fragen, in welchen Fällen denen eine extremistische Haltung abzusprechen ist. Das verstehe ich nicht.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich bedanke mich für die Klarstellung. Ich habe eben gesagt, dass es eine heterogene Gruppe gibt, dass also nicht alle Mitglieder dieser Gruppe rechtsextrem sind. Insofern würde ich schon sagen, dass diejenigen, die diesen Staat komplett ablehnen, Anhänger von Extremismus sind. Aber ich möchte präzisieren: Sie sind damit nicht automatisch alle Rechtsextremisten. ({0}) Man kann auch davon ausgehen, dass es hier teilweise um Extremismus sui generis geht. Dieser Extremismus muss nicht in allen Fällen mit Rechtsextremismus identisch sein. Das ist, glaube ich, ganz wichtig festzustellen. Extremismus müsste man wohl insgesamt - da haben Sie recht - als Oberbegriff dafür anerkennen. Ich weise noch einmal darauf hin: Seit Sommer wird intensiv darüber diskutiert, ob diese Bewegung zum Beobachtungsobjekt wird. Wir haben mit den Landesverfassungsschutzämtern im November dieses Jahres eine große Tagung durchgeführt. Das heißt, wir sind jetzt noch in einem Prozess, in dem genau diese Abgrenzung zu erfolgen hat. Dass wir noch keine genaue Zahl angeben können, beunruhigt mich nicht. Wenn wir das auch in einigen Monaten noch nicht können, dann hätten Sie Grund dazu, beunruhigt zu sein. Es muss jetzt gründlich geprüft werden, ({1}) wie die Abgrenzung aussieht, um welche Personengruppe es also geht. Es hat ja auch Entwicklungen gegeben. Die Militarisierung, die stärkere Gewaltbereitschaft ist eine Entwicklung, die vor Monaten und Jahren noch nicht so greifbar war. Das heißt, wir haben auf eine zunehmende Gewaltbereitschaft zumindest in Teilen dieser Szene reagiert.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit komme ich zur nächsten Frage, zu Frage 20, ebenfalls des Kollegen Volker Beck: Wie rechtfertigt die Bundesregierung die erheblichen finanziellen Aufwendungen für die Beauftragung von McKinsey mit der Beratung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, um „konsequentere Rückführungen“ durchzuführen ({0})? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege, der Abschlussbericht „Prozessdarstellung und Aufzeigen von Optimierungspotenzialen Rückkehr“ von McKinsey wird voraussichtlich am 16. Dezember 2016, also übermorgen, fertiggestellt und soll dann auch den betroffenen öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt werden. An dem Projekt waren insbesondere die Länder Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Sachsen beteiligt; es ist also nicht nur der Bund beteiligt. Das Beratungsunternehmen hat den gesamten Rückkehrprozess einschließlich der freiwilligen Rückkehr untersucht. Der Bericht enthält zahlreiche Berechnungen, beispielsweise zu den Kosten der Abschiebung, zu den Kosten der freiwilligen Rückkehr und zu den monatlichen Kosten für den Aufenthalt vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer. Des Weiteren finden sich im Bericht umfangreiche Prozessdarstellungen zu Dublin-Überstellungen, zu freiwilliger Rückkehr, zu an der Rückführung beteiligter Behörden usw. Kernstück des Berichts sind die umfassende Darstellung der bestehenden Vollzugsdefizite im gesamten Rückkehrbereich und, daraus resultierend, 14 Handlungsempfehlungen. Ziel ist es, zu einer deutlichen Effizienzsteigerung im Bereich Rückkehr zu kommen. Hierfür soll der Bericht wichtige Anstöße geben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir reden hier über etwa 1,86 Millionen Euro Steuergelder. Das entspricht 678 Beratungstagen à 2 700 Euro. So eine Ausgabe will ja gerechtfertigt sein. Welche der 14 Handlungsempfehlungen wären mit dem Sachverstand des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Bundesinnenministeriums so nicht denkbar gewesen?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege, zunächst einmal kann und will ich zu Kosten nichts kommentieren. ({0}) Ich will darauf hinweisen, dass es sich um einen Rahmenvertrag handelt, der übrigens ein viel größeres Volumen hat und im Rahmen dessen viele andere Dinge untersucht werden. In diesem Teilbereich können bestimmte Beratertage - Sie haben dies angesprochen - abgerufen werden. Es ist für mich noch gar nicht ersichtlich - weil das Ergebnis noch nicht vorliegt -, wie viele davon tatsächlich abgerufen werden. Da wir noch kein Gesamtergebnis haben, kann ich auch die 14 Empfehlungen nicht kommentieren. Ich glaube, dass es unabhängig von den Inhalten solcher Empfehlungen oft hilfreich ist - das wissen wir aus vielen anderen Bereichen, etwa aus Kommunalverwaltungen -, wenn neben dem internen Sachverstand eines Ministeriums zusätzlich ein Beratungsunternehmen von einer neutraleren Position aus Hinweise geben kann und wenn Gewähr dafür gegeben ist, dass von außen ein Blick auf etwas geworfen worden ist und dass manche Dinge, die man in einer Behörde vorher vielleicht schon in Betracht gezogen hat, mit einer weiteren Expertise unterlegt werden. Das ist ein Grund, warum Beratungsleistungen - übrigens in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung - durchaus Sinn machen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Kostenfrage müssen wir als Haushaltsgesetzgeber natürlich schon aufwerfen dürfen. Wir müssen schon fragen, ob ein effizienter Umgang mit Steuermitteln stattfindet. Ich frage Sie deshalb: Wäre das, was da vorgeschlagen wurde, nicht ohnehin von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAMF auch so leistbar gewesen? Oder: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF so schlecht sind, weil sie so schlecht bezahlt werden, wäre es dann nicht kosteneffizienter gewesen, man hätte dort höher dotierte Stellen geschaffen, um eine solche Expertise im Haus vorzuhalten, um also nicht dauerhaft solch hochdotierte Beratungsverträge zu schließen? Ich vermute, dass die Kompetenz hinsichtlich dessen, wo es klemmt, bei denen, die in der Sache damit zu tun haben, wesentlich höher ist als bei denen, die beraten und dafür horrende Honorare erhalten. Woher haben sie die Kenntnisse? Sie haben sie bei den Beamten abgefragt, die mit diesen Prozessen befasst sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Herr Kollege, zunächst einmal würde ich Ihnen vollkommen recht geben, dass der Haushaltsgesetzgeber zu prüfen hat, wo sozusagen vielleicht keine effiziente oder effektive Leistung für bestimmte Steuergelder erfolgt ist; das ist gar keine Frage. Es geht nur darum, ob man schon zum jetzigen Zeitpunkt zu allen 14 Punkten etwas sagen kann. Es ist übrigens auch Aufgabe des Haushaltsgesetzgebers, zu schauen, ob die Bundesregierung bei der Stellenanmeldung vielleicht zu bescheiden ist. Wenn Sie Ihre Kollegen im Haushaltsausschuss überzeugen wollen, dass wir Stellen heben oder noch mehr Stellen für das BAMF vorsehen: Wir sind wirklich immer zu einem Dialog bereit. ({0}) Allerdings würden wir beide uns überheben, Herr Kollege, wenn wir versuchen würden, die Grundsatzdiskussion zu führen, ob externe Beratung in Behörden Sinn macht. ({1}) Es gibt Argumente, die sehr allgemein dagegen verwandt werden. Aber auch hier gilt das, was generell gilt: dass wir beides brauchen, natürlich auch die interne Expertise, also die Expertise von Beamten, die den Verwaltungsvorgang aus der täglichen Praxis kennen. Aber Sie werden wissen, dass keine Bundesbehörde so stark gewachsen ist wie das BAMF. Es ist selbstverständlich, dass bei Tausenden von neuen Mitarbeitern Verwaltungsabläufe neu überprüft und neu organisiert werden müssen. Dazu ist es hilfreich, neben der internen Expertise auch externe Expertise zu haben. Das genau ist hier erfolgt. Von daher ist das gut angelegtes Geld des Steuerzahlers. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Beck, Sie haben leider nur zwei Fragen. ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Das ist auch nur ein Kommentar und keine Frage. Das war ein Stoßseufzer.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Besser organisieren! Herr Beck, wenn ich in der Frage einen Rat geben darf: Es gibt auch noch Kollegen hinter Ihnen.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Keine Anstiftung, Frau Präsidentin. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich bin ja auch Parlamentarier, Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich auch.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sie auch. Die Fragen 21 und 22 der Kollegin Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 23 der Kollegin Sevim Dağdelen: Inwieweit trifft es zu, dass nach meiner Kenntnis das Bundesinnenministerium ({0}) für das Bundesamt für Verfassungsschutz ({1}) bereits für das Jahr 2017 Mehrbedarfe an Planstellen und Mitteln für erforderlich hält, die unter anderem dadurch gerechtfertigt würden, dass das BfV unter anderem auch in die Lage versetzt werden soll, mögliche nachrichtendienstliche Aktivitäten zur Einflussnahme bezogen auf die Willensbildung in Deutschland seitens des türkischen Geheimdienstes MIT aufzuklären, und wie hoch ist der Mehrbedarf für die nächsten drei Jahre für diesen Aufgabenbereich ({2})? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, darauf kann ich leider nur sehr kurz antworten. Es geht um Fragen des Wirtschaftsplans des Bundesamts für Verfassungsschutz. Der Wirtschaftsplan des Bundesamts für Verfassungsschutz unterliegt der Geheimhaltung; das ist bekannt. Hierauf bezogene Auskünfte erhält das in § 10a der Bundeshaushaltsordnung vorgesehene Gremium, also das Vertrauensgremium. Das können wir im Plenum des Deutschen Bundestages leider nicht diskutieren.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Als Mitglied dieses Verfassungsorgans, das auch Kontrollrechte hat, Herr Staatssekretär, würde ich trotzdem gern wissen, inwieweit die Bundesregierung bei Planstellen des Bundesamts für Verfassungsschutz Mehrbedarfe für erforderlich hält. Letztendlich ist es die Umsetzung einer Entscheidung, die auf der politischen Ebene getroffen wird. Deshalb denke ich schon, dass Sie uns, dem Parlament, schuldig sind, zu sagen, ob die Bundesregierung Mehrbedarfe gesehen hat.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Liebe Frau Dağdelen, ich kann den Wunsch nach Information verstehen, muss aber das Gleiche antworten: Es ist eine geheimhaltungsbedürftige Information, die wir nicht im Plenum des Deutschen Bundestages diskutieren können. Es ist auch ein Mitglied Ihrer Fraktion in diesem Gremium. Ich würde Ihnen empfehlen, sich an diesen Kollegen zu wenden. Ich kann mir gut vorstellen, dass er Ihnen, im Rahmen der Geheimhaltungspflicht natürlich, allgemeine Hinweise geben kann, soweit er es mit seiner Rechtsauffassung vereinbaren kann. Aber noch einmal: Dieses Gremium ist aus guten Gründen kein öffentlich tagendes Gremium. Von daher wird - das gebe ich gern zu - die Informationsmöglichkeit des Kollegen gering sein. Wenn Sie schon da keine Information bekommen haben, wie ich vermute, können Sie nicht erwarten, dass ich sie im Plenum gebe.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie wissen, dass die Information der Geheimhaltung unterliegt.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Genau.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Insofern kann ich meinen Kollegen, der für die Linksfraktion Mitglied des Gremiums ist, gar nicht dazu fragen. Wenn ich ihn fragen würde, bekäme ich keine Antwort; das wissen Sie. ({0}) Ich möchte trotzdem gern wissen, ob es hier überhaupt Aktivitäten seitens der Bundesregierung gegeben hat. Als Mitglieder des Innenausschusses werden wir vom Bundesamt für Verfassungsschutz informiert. Das war in einer der letzten Sitzungen der Fall, aber in diesem Zusammenhang nicht. Insofern bin ich gern bereit, Antworten unter dem Aspekt der Geheimhaltung in der Geheimschutzstelle einzusehen, wenn Sie denn bereit sind, für mich als Mitglied des Parlaments diese Antwort dort zu hinterlegen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, ich finde es schön, dass Sie klargestellt haben, dass Sie von Ihren Kollegen dazu keine Informationen bekommen können. Diese Aussage wollte ich vielleicht auch ein wenig provozieren. Ich würde mich da auch der Rechtsauffassung Ihrer Kollegen anschließen, dass es sich um geheimhaltungsbedürftige Informationen handelt. Ich kann mir deshalb auch nicht vorstellen, dass es außerhalb dieser Gremien an anderer Stelle, wie der Geheimschutzstelle, eine Möglichkeit gibt. Ich sage Ihnen aber gern zu, im Hause noch einmal zu prüfen, was da möglich ist. Ich will Ihnen aber keine allzu großen Hoffnungen machen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit kommen wir zu Frage 24, ebenfalls von der Abgeordneten Sevim Dağdelen: Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse ({0}), dass Imame der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion ({1}), des direkt von der türkischen Regierung gesteuerten, mit 970 Moscheegemeinden größten islamischen Dachverbands in Deutschland, dafür eingesetzt werden, türkische Staatsbürger im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT auszuspionieren, wobei Halife Keskin, für Auslandsangelegenheiten zuständiger Vizechef des Religionspräsidiums, die DITIB-Imame aufgefordert haben soll, „detaillierte Berichte“ über alle Tätigkeiten, Einrichtungen und das Personal der Gülen-Organisation zu erstellen ({2}), und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus? Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin, zu der aktuellen Berichterstattung über ein mutmaßliches Ausspionieren von türkischen Staatsbürgern durch Imame der DITIB im Auftrag des türkischen Nachrichtendienstes MIT liegen der Bundesregierung bisher keine eigenen Erkenntnisse vor. Die Sicherheitsbehörden sind diesbezüglich allerdings sehr sensibilisiert und gehen derartigen Verdachtshinweisen im Einzelfall jeweils intensiv nach.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ganz herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Dazu möchte ich eine Frage mit zwei Unterfragen stellen. Die eine ist - Sie sagten, die Bundesregierung habe keine eigenen Erkenntnisse -: Gibt es denn von fremden Diensten Erkenntnisse, die Sie zur Kenntnis genommen haben? Die andere ist: Inwieweit hat die Bundesregierung Erkenntnisse, gerne auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse, dass bei den türkischen Konsulatslehrern, die nur für fünf Jahre nach Deutschland abgeordnet sind, mit einem Austausch dergestalt gerechnet wird, dass analog zu den Vorgängen in der Türkei - wo jetzt alle Lehrer einen Fragebogen ausfüllen müssen, in dem sie Auskunft über ihre Anschauungen und auch über ihre Herkunft geben, und wo die Lehrkräfte seit dem 15. Juli dieses Jahres, dem Tag des gescheiterten Militärputschversuchs, entlassen und durch regimetreue, loyale Lehrer ersetzt werden - auch hier AKP-loyale Personen als Konsulatslehrer eingesetzt werden sollen?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Kollegin, zu der ersten Frage: Natürlich tauschen sich unsere Dienste in diesen und anderen Fragen mit ausländischen Diensten aus. Auch dazu kann ich hier natürlich keine konkreten Auskünfte geben. Aber wir nehmen aufmerksam alles auf, was von dort an Hinweisen erfolgt, und schauen im Einzelfall, wo es - das war ja der Kern Ihrer Frage - sozusagen Spionageversuche geben könnte. Wir reden hier übrigens über eine strafbare Handlung. ({0}) Außerdem müssen wir feststellen: Wer beispielsweise als Imam oder vielleicht auch als Lehrer in Deutschland ist und sich auf diese Weise betätigt, überschreitet die Grenzen des Visums, das er bekommen hat; denn dieses ist natürlich nicht ausgestellt worden, um hier Spionagetätigkeit zu entfalten. Also auch da können Konsequenzen erfolgen, nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht. Was die Lehrer anbelangt - das war Ihre zweite Frage -, so habe ich jetzt keine konkreten Erkenntnisse präsent. Aber ich sage einmal - vielleicht ganz unvorsichtig -: Wenn man sieht, was in der Türkei passiert, würde es mich persönlich nicht wundern, wenn hier ähnliche Versuche unternommen würden. Das muss nicht sofort die Grenzen der Strafbarkeit überschreiten; aber trotzdem sehen wir das natürlich mit Sorge.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, das könnte ja auch andere Konsequenzen haben. Eine Alternative wäre, dass man die Sonderstellung der Türkei aufkündigt, die darin besteht, dass Imame durch eine fremde Regierung in unser Land exportiert werden, die dann hier in den deutschen Schulen irgendetwas lehren, bei dem noch nicht einmal durch die Schulaufsicht kontrolliert wird, was gelehrt wird. Ich finde diese Praxis sehr fragwürdig. https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html Das verleitet mich zu der nächsten Frage, nämlich wie viele Imame aus den DITIB-Moscheen seit dem 15. Juli in Deutschland Asyl beantragt haben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, das ist zwar schon Ihre dritte Frage; trotzdem würde ich sie gerne beantworten. Ich habe die Zahl aber nicht präsent. Ich kann aber gerne mein Haus bitten, einmal zu schauen, ob wir Ihnen zum Thema Imame und Asylanträge eine Zahl liefern können. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die Frage 25 der Abgeordneten Sabine Zimmermann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 26 der Abgeordneten Brigitte Pothmer wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf. Die Beantwortung übernimmt die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Flachsbarth. Die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 29 des Abgeordneten Ebner auf. Hier geht es darum, welche Konsequenzen das Thema Klimafolgen im Ministerium hat. Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Präsidentin, mit Verlaub: Die Frage 29 bezieht sich auf den Bereich der Digitalisierung und die Frage 30 auf den Bereich Klimafolgenabschätzung. Also, ich beginne mit der Digitalisierung.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dann rufe ich dazu die Frage 30 auf: Wie ist der bzw. die in der Zukunftsstrategie „Aussaat 2017“ genannte künftige Digitalisierungsbeauftragte im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Haushalt 2017 fixiert, und welche Themenfelder sollen hinsichtlich der Digitalisierung bearbeitet werden?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, der Herr Bundesminister Christian Schmidt hat am 7. Dezember 2016 in Bonn und am 8. Dezember 2016 in Berlin den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Ministeriums die Zukunftsstrategie „Aussaat 2017“ vorgestellt. Sie umfasst die organisatorische und inhaltliche Schwerpunktsetzung im Bereich der Zukunftsaufgaben seines Geschäftsbereichs. Hierzu zählt auch die Etablierung der Funktion eines Digitalisierungsbeauftragten. Seine Aufgaben werden es sein, als Ansprechpartner für die Gestaltung des Themenfelds „Landwirtschaft 4.0“ im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu fungieren und die Aktivitäten zu diesem Thema zu bündeln. Eine gesonderte Fixierung im Haushalt des BMEL 2017 ist nicht erfolgt, da keine neue Stelle eingerichtet werden muss.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, im Ausschuss wurde heute Morgen in Bezug auf diese Stelle gesagt, dass gemeinsam mit der Landtechnikindustrie die Digitalisierung vorangebracht werden soll. Deshalb möchte ich Sie fragen: Inwieweit ist für diese Stelle oder für durch diese Stelle anzustoßende Projekte auch eine PPP-Finanzierung durch die Wirtschaft angedacht? Ist geplant, digitale Pflanzenschutzmaßnahmen aus dem bisherigen Kapitel zur Förderung von Modellprojekten beim integrierten Pflanzenschutz zu fördern? Irgendetwas muss diese Stelle ja tun.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, der mit dieser Aufgabe beauftragte Mitarbeiter unseres Hauses wird all die Entwicklungen, die sich mehr und mehr als ein zukunftsweisendes, zukunftsträchtiges Feld auch in der Landwirtschaft erweisen, zusammenführen und koordinieren. Wir sind bereits jetzt in vielen verschiedenen Bereichen der Digitalisierung unterwegs. Die verschiedenen Aktivitäten, die wir entwickeln, zusammenzuführen und auf den Punkt zu bringen, das wird der Mitarbeiter dieser Stelle tun. Sie wissen, dass wir zum Beispiel beim autonomen Fahren in der Landwirtschaft schon wesentlich weiter sind als im übrigen Verkehrssektor. Sie wissen, dass wir, zum Beispiel beim ressourceneffizienten und -schonenden Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, ein enormes Potenzial im Bereich der Digitalisierung haben. Das alles kann man unter den Begriff des Smart Farming fassen. Sie wissen aber darüber hinaus auch, dass die Frage der Datenverfügbarkeit und des Besitzes dieser Daten weiter diskutiert werden muss. Deshalb ist es erforderlich und macht Sinn, einen solchen eigenen Arbeitsbereich mit diesen Aufgaben zu befassen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, die Themen der von Ihnen gerade adressierten „Aussaat 2017“ - im Winter säen wir bekanntlich eigentlich nichts aus; heute wurde schon der Begriff „Projekt Abendsonne“ dafür verwendet Sevim Dağdelen sind nicht neu. Sie gab es schon zu Beginn der Legislaturperiode. Deshalb stellt sich die Frage, warum diese Stellen, Referate und Abteilungen im Zuge dieser „Aussaat 2017“ jetzt, zum Ende der Legislaturperiode, geschaffen werden müssen. Es wurde schon heute Morgen im Ausschuss angesprochen, es sei ja ganz normal, Büroleiter zu Abteilungsleitern zu machen. Wenn das alles so normal ist, möchte ich trotzdem fragen: Werden diese Stellen, die neu geschaffen, umstrukturiert und neu orientiert werden, öffentlich ausgeschrieben? Werden sie tatsächlich noch vom alten Minister für die Tätigkeit des dann folgenden neuen Ministers besetzt?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, ich bin zwar Tierärztin und keine gelernte Landwirtin, aber vielleicht ist auch Ihnen Wintergetreide ein Begriff. Das ist nämlich Getreide, das man im Herbst aussät, damit es im Sommer und Herbst des nächsten Jahres zur Ernte ansteht. ({0}) Von daher ist das in der Landwirtschaft eine völlig normale Vorgehensweise. Nun zurück zu unserem Haus. Es ist doch - gerade auch nach den Haushaltsverhandlungen, die wir in der letzten Sitzungswoche abgeschlossen haben, erfreulicherweise mit einem Aufwuchs für den Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft - gut erklärlich, dass neue Themenschwerpunkte und neue fachliche Erfordernisse letztendlich von einer Umstrukturierung und Neuakzentuierung im Haus begleitet werden. Da ergibt sich aus dem politischen Wunsch des Parlaments auch das Handeln der Exekutive. Selbstverständlich werden diese Stellen ganz regulär ausgeschrieben und besetzt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Noch einmal fürs Protokoll: Das war jetzt die Beantwortung der Frage 30. Damit rufe ich jetzt die Frage 29 auf: Mit welchen Ressourcen soll eine Stärkung des Bereichs Klimafolgen im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gelingen, und wie wird dadurch sichergestellt, dass die im Klimaschutzplan 2050 für die Landwirtschaft festgelegten Minderungsziele bis 2030 erreicht werden? Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Sehr gerne, Frau Präsidentin. Ich versuche gleich noch aufzuklären, welche Nummer nun was ist - macht aber nichts.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ist schon geklärt. Das ist nämlich hier die Bundestagsdrucksache, und die ist entscheidend. Es war so, wie ich gesagt hatte.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Ah ja, okay. Sehr gut. Dann richte ich mich - in aller Demut - selbstverständlich danach. Herr Kollege Ebner, auch die Stärkung des Bereiches Klimafolgen ist Bestandteil der organisatorischen und inhaltlichen Schwerpunktsetzung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Landwirtschaft ist zum einen unmittelbar vom Klimawandel betroffen. Zum anderen ist sie beim Klimaschutz aber auch Teil der Lösung und leistet hierzu bereits einen erheblichen Beitrag. Eine komplett emissionsfreie Produktion von Nahrungsmitteln ist - anders als die Produktion in anderen Branchen - aber nicht möglich. Um das Klimaschutzpotenzial der Land- und Forstwirtschaft auszuschöpfen und sie auf den Klimawandel vorzubereiten, wurden und werden von der Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen ergriffen. In welcher Form die bislang vom BMEL ergriffenen Maßnahmen und Ressourcen im Detail ausgebaut und intensiviert werden, wird das Bundesministerium im Dialog mit den Beteiligten erörtern. Dazu wird unter anderem die Fachtagung zum Klimaschutzgutachten „Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung“, die am vergangenen Montag stattgefunden hat, einen Beitrag leisten. Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist anzumerken, dass Klimafolgen und daraus resultierende Anpassungsmaßnahmen nicht Gegenstand des Klimaschutzplans 2050 sind. Mit dem am 14. November verabschiedeten Klimaschutzplan 2050 liegt eine klimapolitische Langzeitstrategie der Bundesregierung vor, in der sektorale Ziele zur Treibhausgasminderung für die Zwischenetappe bis 2030 und ein Transformationspfad mit dem Zieljahr 2050 beschrieben werden. Im Jahr 2018 soll der Klimaschutzplan 2050 dann mit einem qualifizierten Maßnahmenprogramm unterlegt werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wir haben uns ja immerhin bezüglich der jeweiligen Frage - wann welche Frage dran ist - schon einmal ganz gut verstanden. Ich möchte Sie fragen, inwieweit die „Aussaat 2017“ denn jetzt auch bei Fragen der Bewältigung von Klimafolgen und der Bearbeitung des Klimaschutzplanes zum Tragen kommt. Es soll ja auch die Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau geben - eine gerne zitierte Strategie, für deren Umsetzung es viel Personal und viel Betreuung braucht. Warum sind denn in der Zukunftsstrategie „Aussaat 2017“ für dieses wichtige Zukunftsfeld keine weiteren Stabs- oder verantwortlichen Stellen eingeplant? Hat sich der Minister da jetzt doch schon von seiner Strategie verabschiedet?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, die Begleitung des ökologischen Landbaus stellt bereits bislang einen Schwerpunkt des Handelns des Bundesministeriums dar. Von daher war in diesem Bereich jetzt keine weitere Stärkung erforderlich. Aber der Bereich des Klimaschutzplanes, in dem der ökologische Landbau einen großen Anteil hat, zeigt, wie wichtig die Vernetzung und die Verzahnung dieser beiden Themenbereiche in der Zukunft für das Ministerium sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau, Frau Staatssekretärin, soll dem Vernehmen nach erst im Februar 2017 auf der BIOFACH vorgestellt werden, nachdem man vorher drei Jahre lang beraten hat. Sie haben also noch knapp ein halbes Jahr, um sozusagen in die Gänge zu kommen. Insoweit ist es schon gerechtfertigt, da noch einmal zu fragen - wenn es bisher schon Schwerpunkt war und noch nicht einmal eine Zukunftsstrategie dabei herausgekommen ist -: Wie soll das künftig eigentlich umgesetzt werden? Wie wollen Sie die formulierten Ziele überhaupt erreichen? Ich möchte auch etwas zum Thema „Aussaat 2017“ fragen. Der ländliche Raum ist hier ein ganz zentraler Punkt. Mit wie vielen Referaten, mit wie vielen Stellen wird die neue Abteilung „Ländliche Entwicklung“ im BMEL geplant? Wie genau soll das aussehen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, ich hatte eben schon ausgeführt, dass der Haushaltsgesetzgeber in der vergangenen Woche dankenswerterweise im Rahmen von GAK, also der Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz, und im Rahmen von BULE, also dem Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, erheblich mehr Mittel zur Verfügung gestellt hat, als das in den letzten Etats der Fall war. Letztendlich stellt sich die kreative Verwendung, die zukunftsweisende Verwendung der Mittel auch in der Umorganisation unseres Hauses dar. ({0}) In wie vielen Referaten sich das niederschlagen wird, das würde ich Ihnen sehr gerne schriftlich zukommen lassen; ich kann es Ihnen im Moment nicht sagen, aber nicht, weil wir es nicht wissen, sondern weil ich es jetzt nicht weiß. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Dann wird die Antwort nachgereicht. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 31 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer wird schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 32 der Kollegin Sabine Zimmermann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle zur Verfügung. Die Fragen 33 und 34 des Kollegen Stephan Kühn werden schriftlich beantwortet, die Fragen 35 und 36 des Kollegen Herbert Behrens werden entsprechend unserer Geschäftsordnung ebenfalls schriftlich beantwortet, da er nicht anwesend ist, und auch die Fragen 37 und 38 des Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Matthias Gastel auf: Welche Tunnel, die durch Anhydritschichten führen, wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bislang nach dem von Prof. Walter Wittke entwickelten Bauverfahren, das bei Stuttgart 21 Anwendung findet, in Betrieb genommen ({0}), und welche Erkenntnisse gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bezüglich der Resistenz dieser Tunnelanlagen gegen die Risiken aufquellender Anhydritschichten? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Kollege Gastel, für Schienenwegeprojekte sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG Vorhabenträger und Bauherr. Nach Auskunft der Deutschen Bahn AG betrifft das im Projekt Stuttgart 21 für Anhydritbereiche geänderte Bauverfahren die Tunnel Feuerbach und Bad Cannstatt. Das neue Bauverfahren erfüllt nach Angaben der Deutschen Bahn AG zum heutigen Tag die gestellten Erwartungen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Gastel.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich vermisse die Antwort auf die Frage. Die Frage ist schlicht und ergreifend gewesen, ob der Bundesregierung bekannt ist, welche bereits fertiggestellten Tunnelstrecken, die im Anhydrit liegen, nach der Methodik von Herrn Professor Wittke gebaut wurden. Wenn Sie diese Frage nicht beantworten, muss ich daraus schlussfolgern, dass es solche Strecken nicht gibt. Das bedeutet, dass die Deutsche Bahn erstmals eine Technologie anwendet, die sich in der Praxis noch nicht hat bewähren können. Anders kann ich Ihre Nichtantwort nicht interpretieren. Ich versuche es mit einer Nachfrage. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem unter anderem festgestellt wurde, das Bauen im Anhydrit sei kritisch und dass nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden sei, dass diese Methodik nicht nachträglich zu Problemen mit aufquellendem Gestein führen könne. Professor Wittke, der die Deutsche Bahn in Sachen „Bauen im Anhydrit“ berät, hat gegenüber verschiedenen Zeitungen geäußert, er kenne dieses Gutachten nicht. Ich möchte gerne wissen, wie die Bundesregierung es beurteilt, dass die Deutsche Bahn ein Gutachten in Auftrag gibt, das zu einem kritischen Ergebnis kommt, dieses Gutachten aber dem Berater der Deutschen Bahn überhaupt nicht zur Verfügung gestellt wird.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Vielen Dank. - Herr Kollege Gastel, ich will zunächst einmal betonen, dass sich Ihre erste Frage explizit auf das bei Stuttgart 21 zur Anwendung gekommene Bauverfahren bezieht. Darauf habe ich Ihnen geantwortet, dass dieses Verfahren bei den Tunneln Feuerbach und Bad Cannstatt zur Anwendung kommt. Das zu Ihrer ersten Frage. Zu Ihrer Zusatzfrage will ich Ihnen sagen, dass es durchaus Erfahrungen mit Tunneln in Anhydritschichten gibt, und zwar beim Engelbergbasistunnel. Dieser Tunnel, der bereits 1995 gebaut wurde und im August 1999 vollständig für den Verkehr freigegeben wurde, wurde zumindest in Teilen durch anhydritführende und unausgelaugte Gipskeuperstrecken geführt, auf insgesamt 430 Metern. Daraus resultieren Erfahrungen, die man bei weiteren Bauvorhaben berücksichtigen kann.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Gastel.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich weise darauf hin, dass in der vorab schriftlich eingereichten Frage ausdrücklich Bezug genommen wird auf bereits in Betrieb genommene Tunnel, also können Sie nicht auf Tunnel von Stuttgart 21 verweisen; denn die sind definitiv und nachweislich noch nicht in Betrieb. Die Frage hat sich auf Erfahrungen in der Praxis mit bereits in Betrieb genommenen Tunneln bezogen, weil es nicht nur darum geht, ob man mit der Methodik von Professor Wittke gute Tunnel bauen kann, sondern vielmehr darum, wie sich diese Tunnel nach einigen Betriebsjahren bewähren. Die Frage ist also: Gibt es dann Probleme, oder sind Probleme durch die Bautechnik abgewendet worden? Ich versuche es jetzt trotzdem noch einmal mit einer anderen Frage, die sich aber auch auf das Gutachten bezieht. Das KPMG-Gutachten kam zu dem Ergebnis, Stuttgart 21 würde ein, vielleicht auch drei Jahre später fertig werden. Es handelt sich - ich sage es noch einmal - um ein Gutachten, das von der Deutschen Bahn in Auftrag gegeben wurde. Die Bundesregierung sagt auf Nachfrage immer wieder, sie geht nach wie vor davon aus, dass Stuttgart 21 pünktlich fertig wird. Mit „pünktlich“ bezieht sie sich auf das Jahr 2021. Die Gutachter der Bahn gehen von 2022, 2023 oder sogar später aus. Ich möchte gerne wissen: Woher haben Sie Ihre Erkenntnisse? Warum gehen Sie von einer früheren Fertigstellung aus als der Gutachter der Deutschen Bahn?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Die Bundesregierung verlässt sich in diesem Zusammenhang immer auf die Aussagen der Deutschen Bahn. Dieses Gutachten, das vom Aufsichtsrat der Deutschen Bahn in Auftrag gegeben wurde, ist uns inhaltlich nicht bekannt. ({0}) Insofern verlassen wir uns auf die Aussagen der Bahn. Ich kann es nochmals wiederholen: Es gibt Erfahrungen mit Tunnelbauten in anhydritführenden Schichten, und zwar beim Engelbergbasistunnel. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Erfahrungen mit dem Engelbergtunnel nicht auf Schienentunnel übertragbar sind; denn Straßentunnel haben einen wesentlich größeren Querschnitt als ein Schienentunnel. Insofern kann man davon ausgehen, dass die Verhältnisse durchaus unterschiedlich sind. Beim Engelbergbasistunnel wurde nach zwei Verfahren vorgegangen, nach dem sogenannten Widerstandsprinzip und dem sogenannten Ausweichprinzip. Beim Widerstandsprinzip geht man so vor, dass man die Gewölbeschichten deutlich verstärkt, um die entstehenden Drücke auffangen zu können. Beim Ausweichprinzip geht man so vor, dass man in die entsprechenden Gewölbe- oder Soleschichten eine komprimierbare Masse einfügt, die dann den entstehenden Druck auffangen kann. Das sind die beiden Verfahren, die beim Engelbergbasistunnel zur Anwendung gekommen sind und sich insofern auch bewährt haben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Gastel auf: Anhand welcher Kennzahl möchte die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgeschriebene Zwischenziel zur Umrüstung von lauten Güterwagen ({0}) kontrollieren, und auf welcher Datenbasis wird diese Kennzahl von der Bundesregierung ermittelt? Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Vielen Dank. - Zu der Frage 40 darf ich sagen, dass wir die Evaluierung des Umrüstungsstandes bis Ende 2016 derzeit vorbereiten. Dazu ist die Auswertung verschiedener Datenquellen erforderlich. Das nehmen wir mit großer Ernsthaftigkeit in Angriff, weil - das wissen Sie, Herr Gastel - uns die Minderung des Schienenlärms ein großes Anliegen ist und wir klar zum Ausdruck gebracht haben, dass wir uns, falls diese Evaluierung, die wir demnächst fertigstellen wollen, zu dem Ergebnis kommt, dass nicht mindestens die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet ist, ordnungsrechtliche Maßnahmen vorbehalten. Für diesen Fall bereiten wir bereits einen Verordnungsentwurf vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Gastel.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Problem ist ja, dass nicht alle Güterwagen, die in Deutschland unterwegs sind, auch im nationalen Register registriert sind. Das heißt, es sind auch Fahrzeuge, die in anderen Ländern Europas registriert sind, auf deutschen Gleisen unterwegs. Die tauchen dann in der Statistik, die Ihnen ohne Weiteres zugänglich ist, nicht auf. Aber wenn man das Ziel, also die Halbierung des Lärms durch Güterwagen bis 2020, tatsächlich erreichen möchte, dann muss man natürlich auch die Wagen, die aus dem Ausland kommen, entsprechend berücksichtigen und darauf schauen und drängen, dass sie auf leisere Bremssysteme umgerüstet werden. Deswegen ist meine Nachfrage an Sie, Herr Staatssekretär Barthle: Inwieweit hält die Bundesregierung das nationale Fahrzeugeinstellungsregister überhaupt für geeignet, um zu überprüfen, was auf den Gleisen in Deutschland unterwegs ist? Müsste hier nicht eher die Fahrleistung der Wagen zugrunde gelegt werden, um die Entwicklung des Lärms auf der Schiene tatsächlich beobachten und beurteilen zu können?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Vielen Dank. - Ich will als Ergänzung meiner Antwort hinzufügen, dass wir uns nicht nur auf das nationale Fahrzeugeinstellungsregister des Eisenbahn-Bundesamtes verlassen, sondern dass wir zahlreiche weitere Datenquellen auswerten wollen. Dazu zählt zum Beispiel das zentralisierte europäische Fahrzeugeinstellungsregister, European Centralised Virtual Vehicle Register, ECVVR abgekürzt. Dazu zählt das Umrüstregister für die Verwaltung des Förderprogrammes des Bundes. Dazu zählen die Daten des Statistischen Bundesamtes sowie die statistischen Verkehrsdaten der europäischen Nachbarstaaten. Wir greifen auch auf Daten und Angaben der DB Netz AG zurück und versuchen, Daten und Angaben aus dem gesamten Sektor auszuwerten. Sie sehen, es gibt eine Reihe von Daten, die wir auswerten, damit wir am Ende des Jahres 2016 zu einem Ergebnis, zu dieser Evaluierung, kommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Gastel.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Dazu passt meine zweite Frage, glaube ich, ganz gut. Wir hatten in einer Kleinen Anfrage gefragt, welche Laufleistung mit leisen Güterzügen erbracht wird. Sie hatten für das Jahr 2015 den Anteil von leise abgerechneten Trassenkilometern im Güterverkehr mit 16 Prozent angegeben. Jetzt ist die Frage: Aus welchem Register stammen diese Angaben? Was ist die Quelle für diese Zahl, die Sie uns genannt haben?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Das müsste ich Ihnen schriftlich nachreichen, Herr Kollege Gastel. Mir liegt momentan nicht vor, aus welcher Quelle diese Zahl stammt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende unserer Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung. Wir nehmen die Sitzung wieder um 15.35 Uhr mit der Aktuellen Stunde auf. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung und rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Herausforderungen für die internationale Politik nach den Terroranschlägen in Kairo, Istanbul und weiteren Orten vom vergangenen Wochenende Als erste Rednerin in der Aktuellen Stunde hat Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Anschlägen im Istanbuler Stadtteil Besiktas hingen in meiner Heimatstadt Herne, im Ruhrgebiet, die Flaggen vor dem Rathaus auf Halbmast. Besiktas und Herne sind Partnerstädte; die Städtepartnerschaft wurde erst im Sommer dieses Jahres beschlossen. In dieser Woche ist eine Delegation des türkischen Ordnungsamtes in Herne. In Besiktas arbeiten die Mitglieder eng zusammen mit der Polizei, auch während der Fußballspiele. Wären sie nicht nach Herne gekommen, sie wären vielleicht heute tot. Ganz sicher wären sie mitten in die Terroranschläge geraten. Sie sind es nicht. Andere mussten an diesem Tag ihr Leben lassen, viele Polizisten darunter, auch Bekannte unserer Delegationsmitglieder. In unserer Stadt waren viele geschockt über die Grausamkeit, besonders diejenigen, die die Orte kannten, die Straßen und Plätze, an denen die Anschläge stattgefunParl. Staatssekretär Norbert Barthle den haben. Es besteht keinerlei Zweifel an unserer Haltung: Terror ist durch nichts zu rechtfertigen. ({0}) Ob es die TAK, die PKK oder andere Extremisten sind: Sie werden sich verantworten müssen, und sie müssen von einem Rechtsstaat verurteilt werden. Aber wie soll das gehen? Von einem Rechtsstaat hat sich die Türkei leider immer weiter entfernt. Die Gewalt hat wieder zugenommen, die Sicherheitslage hat sich verschärft. Das war nicht immer so. In der Anfangszeit der Regierung Erdogan wurden Reformen durchgesetzt, auch für die kurdische Bevölkerung. Es wurden Friedensgespräche geführt. All das liegt aber längst in Scherben. Auch die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei verschlechtert sich. Das Vertrauen von Unternehmen und von Staaten in die Türkei sinkt. Das liegt auch an der Abwendung von der EU und am Demokratieabbau. Die türkische Opposition, auch die prokurdische HDP, hat die Terroranschläge klar verurteilt. Der Staatspräsident reagiert nun, indem er wieder viele ihrer Mitglieder verhaften lässt. Die Verhältnismäßigkeit ist längst außer Kraft. Der Kurdenkonflikt kann aber nur mit Verhandlungen beigelegt werden, nicht mit Gewalt. ({1}) Die Türkei wird entscheiden müssen, wie sie sich weiterentwickeln will. Wir sind gut beraten, es hier an klarer Haltung nicht vermissen zu lassen und den Weg freizuhalten für eine Entwicklung in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Abstimmung über die Todesstrafe wird auch eine Abstimmung über die Beziehungen zur EU sein. Das weiß die Türkei. Drohungen beeindrucken uns nicht. Im Gegenteil: Wir schauen nicht weg, auch wenn unsere Handlungsspielräume begrenzt sind. Das haben wir in diesem Parlament auch mit der Initiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ deutlich gemacht, ({2}) und ich danke den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen in diesem Hause für dieses starke Zeichen der Solidarität. Deutschland hat ein Interesse an einer stabilen Türkei samt ihrer territorialen Integrität; denn sie ist das Tor zum Nahen und Mittleren Osten, direkter Nachbar Syriens. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich hier ein weiterer unüberbrückbarer Konflikt zuspitzt. Terrorismus führt nicht an den Verhandlungstisch. Gespaltene Gesellschaften jedoch begünstigen Gewalt, Extremismus und am Ende eben auch den Terrorismus. Erlauben Sie mir noch eine generelle Einlassung. Was wir an vielen Stellen der Welt feststellen, ist, dass die Zahl religiös überformter Konflikte zunimmt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat hier vor wenigen Monaten einen Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit vorgelegt, in dem auch auf die Verfolgung von Christen eingegangen wird. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Dimensionen deutlich zu machen; denn auch Religionsgemeinschaften haben Verantwortung. Staaten müssen sicherstellen, dass die Religionsfreiheit nicht nur auf dem Papier garantiert wird, und sie müssen Minderheiten aktiv schützen. Auch für unsere Außenpolitik muss das Folgen haben. Es wäre gut, wenn das AA weiter darüber nachdenkt, wie wir mit dieser andauernden Verletzung der Menschenrechte umgehen und wie wir die Staaten, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, hier für Abhilfe zu sorgen, unterstützen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bürgermeister von Besiktas, der der CHP angehört, schrieb am Morgen nach den Terroranschlägen: Es fällt mir schwer, „Guten Morgen“ zu sagen. - Als verantwortliche Politiker mögen wir uns gar nicht vorstellen, was es heißt, nach solchen Anschlägen wieder auf die Marktplätze zu gehen und mit den Menschen zu sprechen. Wir, Kolleginnen und Kollegen, wären aber alle nicht hier versammelt, wenn wir nicht überzeugt wären: Wir können etwas bewegen, wir müssen etwas besser machen, und wir dürfen uns vom Terrorismus nicht einschüchtern lassen, um all der Menschen willen, die Angst haben, sich sorgen und sich auf die Kraft der Demokratie verlassen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dr. Bartsch von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion Die Linke verurteile ich die Terroranschläge vom vergangenen Wochenende in Kairo, in Istanbul und an anderen Orten auf das Schärfste. ({0}) Sie sind durch nichts, durch gar nichts zu rechtfertigen. Sie sind auch durch nichts, durch gar nichts zu relativieren. ({1}) Es ist gut, dass die Parteien der Großen Koalition die Herausforderungen für die internationale Politik nach diesen Terroranschlägen hier in einer Aktuellen Stunde debattieren lassen. Ich sehe es allerdings als problematisch an, dass nach dem Willen der Koalition die Lage in der syrischen Stadt Aleppo in dieser Aktuellen Stunde keine Rolle spielen soll. Ich glaube, wir sind am heutigen Tag gefordert, auch dazu ein paar Sätze zu sagen; das ist angesichts der dramatischen Situation notwendig. Auch hier will ich ausdrücklich klarstellen, dass meine Fraktion die Waffenstillstandsvereinbarung ausdrücklich begrüßt. ({2}) Es ist ein denkbar schlechtes Zeichen, dass die Kämpfe jetzt wieder aufflammen, weil sich Milizen weigern, sich an die Vereinbarung zu halten, und stattdessen Stadtteile in Westaleppo beschießen. Wir hätten uns gewünscht, dass der UN-Plan zur Evakuierung der Zivilisten und zum Abzug der islamistischen Terrormilizen vonseiten der Bundesregierung frühzeitig unterstützt worden wäre. Wir möchten uns zugleich - auch wenn er nicht da ist bei Bundesaußenminister Steinmeier für seine diplomatischen Bemühungen ausdrücklich bedanken. Es bleibt aber festzuhalten, dass diese Bemühungen des Bundesaußenministers im Gegensatz zu Teilen der Union stehen, denen, wie Herrn Röttgen, nichts anderes einfällt als Säbelrasseln und Sanktionsdrohungen gegenüber Russland. Wir wissen, dass das niemandem in Aleppo wirklich helfen kann. Ich will noch einmal kurz auf die beiden Attentate eingehen. Es ist barbarisch, ein Fußballspiel für ein Attentat zu nutzen; das macht einen nahezu sprachlos. Als jemand, der selbst häufig in Fußballstadien ist, von diesem Anschlag liest und dann unscharfe Bilder sieht, kann ich die sehr, sehr unterschiedlichen Reaktionen von Menschen in der Türkei, in Deutschland und auch in Europa nachvollziehen. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten und müssen dabei bleiben: Trotz dieses Wahnsinns dürfen wir unsere offene Gesellschaft nicht kaputtmachen lassen; ansonsten würden die Terroristen gewinnen. Auch deshalb muss im Übrigen völlig klar sein, dass bei der Aufklärung dieser furchtbaren Taten die Grundsätze von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten gewahrt bleiben müssen. ({3}) Das sehe ich, ganz vorsichtig gesagt, gefährdet. Herr Erdogan instrumentalisiert diese nach den Terroranschlägen, um seine Macht weiter auszubauen; ich bin hier voll bei Michelle Müntefering. Das können wir nicht akzeptieren. Hier erwarte ich auch von der Bundesregierung klare Positionen. Es ist gut, dass Parlamentarier aller Fraktionen - von der Union über die Grünen und die Sozialdemokraten bis zu den Linken - auch gestern noch einmal ihre Solidarität mit inhaftierten HDP-Abgeordneten gezeigt haben. Das ist ein richtiges Zeichen aus diesem Haus. ({4}) Auch das Attentat in Kairo mit vielen toten koptischen Christinnen und Christen - darunter Frauen und Kinder macht uns vermutlich alle sprachlos. Der IS hat sich dazu bekannt und war es vielleicht auch. Das sagt ein weiteres Mal einiges über diese Wahnsinnigen. Ja, man muss alles tun, um denen das Handwerk zu legen. Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass die Unterstützung der sunnitischen Stämme und anderer Sympathisanten schwindet. Dazu zählt aber auch, dass man mit Geistesverwandten nicht kooperiert. Deswegen kritisieren wir die Sympathiereise der Verteidigungsministerin in die Diktaturen am Golf. ({5}) Mit Ländern, die den islamistischen Terror exportieren, wie Saudi-Arabien und Katar, soll jetzt enger kooperiert werden. Das passt mit dem Bedauern über die Toten in der Kirche nicht zusammen. ({6}) Niemand versteht, dass die Bundesregierung Waffen an Staaten liefern lässt und aufs Engste sicherheitspolitisch mit ihnen kooperiert, die auch hier in Deutschland radikal-islamistische, salafistische, antidemokratische Ideologien fördern. Damit gefährden Sie die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland. ({7}) Wir brauchen hier eine veränderte Außenpolitik; das ist eben schon gesagt worden. Europa muss ein glaubwürdiger, friedlicher Akteur in der Außenpolitik sein. Wir müssen die Unterstützung der Förderer des islamistischen Terrors stoppen. Das ist das Mindeste, was Sie für die Sicherheit der Bevölkerung in der Region und auch hier in Deutschland tun können. Das ist eine riesige Herausforderung für die Diplomatie; aber sie darf nicht im Interesse von Rüstungsunternehmen konterkariert werden. ({8}) Nicht zuletzt: Deutschland sollte seine Chance nutzen, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats dazu zu bringen, die Verantwortung in der Region in anderer Weise wahrzunehmen. Vielleicht eröffnet das neue Jahr dafür Chancen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Clemens Binninger hat als nächster Redner das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kairo, Istanbul - man könnte diese Liste - leider, muss man sagen - weiter fortsetzen. Die Anschläge in Frankreich im abgelaufenen Jahr, auch auf ein Fußballstadion, in Belgien und an vielen anderen Orten der Welt zeigen: Terrorismus schreckt vor nichts zurück. Die begangenen Anschläge sind Anschläge auf die freie Gesellschaft und müssen - das tun wir heute auch - von allen Parlamenten dieser Welt aufs Schärfste verurteilt werden. Wer so agiert, der hat nur die Spaltung der Gesellschaft im Sinn; er nimmt keine Rücksicht auf Opfer. Deshalb ist es, glaube ich, mehr als wichtig, sich zu fragen, was die internationale Politik tun kann, um diesem Phänomen Herr zu werden und es zu besiegen. Nachdem meine Vorredner einige Facetten in den Mittelpunkt ihrer Reden gestellt haben, will ich eine weitere hinzufügen, die auch dazugehört: Die Bekämpfung des Terrorismus ist kein Problem eines Landes, sondern ein internationales Problem. Kein Land kann mit den terroDr. Dietmar Bartsch ristischen Bedrohungen alleine fertig werden. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns fragen: Wie können Länder bei der Bekämpfung des Terrorismus besser zusammenarbeiten? Über eines müssen wir uns nämlich im Klaren sein: Mit einer nationalen Lösung wird dieses Problem nicht gelöst. Im Interesse der Bürger überall auf der Welt ist es notwendig, dass wir zusammenarbeiten und alles daransetzen, dieses Phänomen zu bekämpfen und zu besiegen, wo es nur geht. ({0}) Mit Blick auf die Lage möchte ich ein paar nüchterne Zahlen nennen: 700 Gefährder allein aus Deutschland sind in der Krisenregion Syrien/Irak. Sie begehen dort möglicherweise schwere Straftaten und kommen hierher zurück, und begehen auch hier welche. Es gibt mehrere Tausend IS-Kämpfer in Europa und über 10 000, geschätzt, weltweit. Daran wird deutlich, dass es neben den vielen Dingen, über die wir reden müssen, auch um die Frage geht: Was können Sicherheitsbehörden leisten? Ich will vorausschicken: Es gibt nicht die eine Antwort auf das Problem des Terrorismus. Sie setzt an vielen Stellen an und reicht von der Entwicklungshilfe über die Schaffung demokratischer Strukturen und die Bekämpfung von Korruption bis hin zum Austrocknen von Finanzströmen und vielerlei mehr. Dazu gehört aber auch, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden bei der Strafverfolgung und bei der Enttarnung der Attentäter zu verbessern. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass wir in der Großen Koalition mit den Gesetzesänderungen, die wir beschlossen haben, den Nachrichtendiensten unter engen Bedingungen Rechtsstaatlichkeit immer als Maßstab - erlauben, Informationen mit anderen Nachrichtendiensten auszutauschen. Das ist nicht unumstritten; die Linken sehen das anders. Das wird auch nicht der Regelfall sein. Es wird Fälle geben, in denen das aus guten Gründen nicht geht. Aber daran, dass wir diese Instrumente brauchen, wird wohl keiner zweifeln. Woher soll ein deutscher Nachrichtendienst Erkenntnisse über IS-Kämpfer aus Frankreich haben, die vielleicht in Ägypten unterwegs sind? Woher sollen diese kommen, wenn nicht durch Austausch? Ich glaube, es war gut und richtig, diese Gesetzesänderun gen zu beschließen, damit die Sicherheitsbehörden Instrumente haben, um gegen Terroristen vorzugehen. Bei all dem, was man notwendigerweise tun kann, geht es auch darum, die Täter dingfest zu machen. Es geht darum, sie zu verfolgen, zu finden und zu bestrafen. Deshalb halte ich den Informationsaustausch für ein ganz wichtiges Element im Kampf gegen den Terror. Er muss unter klaren rechtlichen Regeln erfolgen; aber er ist unverzichtbar. Das, was wir auf den Weg gebracht haben, ist nur ein Baustein. Diese Maßnahmen werden die Probleme in einer unruhigen Welt mit immer komplexeren Krisenherden nicht alleine lösen. Aber sie versetzen die Sicherheitsbehörden national und international in die Lage, Terroristen zu enttarnen, zu verfolgen und zu bestrafen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Das bitte ich bei den Debatten, die man führen kann - außenpolitisch, entwicklungspolitisch, verteidigungspolitisch -, nicht ganz zu vergessen. Auf diesen Part kommt es auch sehr an. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir trauern um die Opfer der Terroranschläge in Istanbul, in Kairo, in Falludscha. In Gedanken sind wir bei ihren Angehörigen. Der Terrorismus ist brandgefährlich, nicht nur für die Opfer; er ist auch brandgefährlich für den sozialen Frieden. Der ehemalige Chef des hessischen Landesverfassungsschutzes, Alexander Eisvogel, hat stets gesagt: Man kann den Islamismus nur bekämpfen, wenn man die Rechten bekämpft; und man kann die Rechten nur bekämpfen, wenn man die Islamisten bekämpft. Sie brauchen einander, um Nachwuchs zu rekrutieren. - Dieses gegenseitige Hochschaukeln zeigt, dass wir es hier mit einem sehr ernsten Problem zu tun haben. Es zeigt aber auch, dass wir die Trennlinie nicht zwischen den Religionen ziehen dürfen. Wir müssen sie zwischen den Demokraten auf der einen Seite und den Feinden der Demokratie auf der anderen Seite ziehen. ({0}) Der Kollege Binninger hat recht: Es gibt keine Masterpläne, erst recht nicht in der internationalen Politik. Aber man muss natürlich immer versuchen, mit Augenmaß zu agieren und sich Partner zu suchen, gerade im internationalen Umfeld. Die Bundesregierung hat in dieser Auseinandersetzung im Nahen Osten drei Hauptpartner, über die ich gerne einige Sätze sagen möchte. Ein Partner ist die Türkei. Die Anschläge waren grauenvoll. Die Kollegin Müntefering hat gerade die Verhältnismäßigkeit der Reaktionen angesprochen. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat gesagt - ich zitiere -: „Unsere dringendste Aufgabe ist, Rache zu nehmen“. So viel zum Stichwort „Augenmaß“. Ich glaube, das ist der falscheste Ton, den man nach einer solchen terroristischen Attacke anschlagen kann. ({1}) Egal über welchen Terrorismus wir sprechen: Eine der vielen Quellen ist immer konstant, nämlich die identitätsstiftende kollektive Wahrnehmung einer Demütigung. Sie kann auch sehr subjektiv sein. In dem Zusammenhang zeigt sich, wie unglaublich falsch es war, dass Erdogan den Friedensprozess mit den Kurdinnen und Kurden aufgekündigt hat, und zwar ausschließlich aus Wahlkampfgründen. Es zeigt sich aber auch, wie unglaublich falsch es war, das Grenzmanagement so zu betreiben, dass ISIS - im Gegensatz zu den humanitären Lieferungen - die Grenze zu Syrien jederzeit passieren konnte. Und es zeigt sich, wie unglaublich falsch es ist, dass die Türkei zurzeit mit dem absoluten Schwerpunkt der Bekämpfung der Kurdinnen und Kurden in Syrien militärisch eingreift. Das verstärkt eher das Gefühl der Demütigung bei den Minderheiten in der Türkei, und das ist fatal. Am meisten zeigt sich das daran - das zeigen neue Berichte -, dass die Kooperation zwischen ISIS ein Tiger, den Erdogan zu reiten versucht hat - und der Türkei unter der AKP so weit ging, dass eine Waffenfabrik in Mosul tonnenweise Handfeuerwaffen produzieren konnte, und zwar die ganze Zeit, monatelang. Das war ausschließlich möglich, weil die Türkei permanent Nachschub für diese Fabrik geliefert hat. Dazu kann ich nur sagen: Diesen Partner haben Sie sich vollkommen falsch ausgesucht. ({2}) ISIS ist nur die Spitze des Eisberges, sie ist die sichtbarste dschihadistische Organisation, und die dahinterstehende Idee ist das Problem. Wenn wir aber über ISIS reden, ist eindeutig: Das Stammland des ISIS ist der Irak. Zurzeit gibt es die Schlacht um Mosul. Daran wird sich zeigen, ob die Sunniten, die im Irak eine Minderheit sind, das Gefühl haben können, dass sie in diesem Land eine Zukunft haben werden. Dieses Gefühl wird sich sicher nicht einstellen, wenn die zweite Partnergruppe, nämlich die Barzani-Regierung, laut Berichten von Amnesty International und Human Rights Watch systematisch sunnitische Dörfer zerstört. Das ist eine katastrophale Fehlleistung. Genau so wird der Irak zerstört. Es ist aber auch eine Fehleinschätzung der Bundesregierung. Diesen Partner haben Sie falsch ausgesucht. ({3}) Damit bin ich beim dritten Hauptpartner, den Saudis. Der Kollege Bartsch hat zu der Reise der Frau Verteidigungsministerin bereits einiges gesagt. Die Saudis nehmen Waffen, die von Heckler & Koch lizenziert sind und in einer Fabrik in Saudi-Arabien gebaut werden, packen sie in Holzkisten und werfen sie über Al-Qaida-Gebiet ab, damit al-Qaida in Jemen die Huthis bekämpft, die die Feinde der Saudis sind. Ist das im Sinne unserer Art und Weise der Terrorismusbekämpfung? Ich glaube, nicht. ({4}) Schauen Sie sich an, was nicht nur, aber vor allem aus Saudi-Arabien an dschihadistischen Gruppierungen weltweit finanziert wird, und vor allem, was in der Bundesrepublik finanziert wird! Gestern war eine große Reportage in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Ich möchte mit einem Zitat aus dieser Reportage schließen - darin wird aus einer Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes referiert -: Für Saudi-Arabien sei „die weltweite Missionierung unverändert Staatsräson und Teil der Außenpolitik.“ Man müsse damit rechnen, dass die Organisationen - des Salafismus, die unsere Kinder in unseren Fußgängerzonen zum Dschihadismus verführen versuchen, „ihre Aktivitäten in Europa und Deutschland weiter auszubauen“. Das ist der dritte große Partner der Bundesregierung im Kampf gegen den Terrorismus. Auch diesen Partner haben Sie falsch ausgewählt. Suchen Sie sich andere Partner! Gehen Sie an die Zivilgesellschaften heran! Es ist richtig, dass muslimische Gesellschaften die besten Partner sind, die wir im Kampf gegen den Dschihadismus haben können, aber nicht Diktatoren, denen Sie den roten Teppich ausrollen. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Dr. Dorothee Schlegel von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Dorothee Schlegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Das sagte Willy Brandt, als er 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ostpolitik entgegennahm. Frieden ist - so Brandt - kein Urzustand, sondern muss immer wieder von Menschen geschaffen werden, heute wieder mehr denn je. Wir müssen Frieden aktiv gestalten und verteidigen, nach innen wie nach außen. Wir alle in diesem Hohen Haus bedauern die feigen, menschenverachtenden Anschläge vom vergangenen Wochenende. Ob in der Türkei, in Syrien, in Ägypten oder anderswo, Terror und Gewalt müssen ein Ende haben, gleichgültig von welcher Seite. Die Anschläge etwa in Istanbul dürfen jedoch nicht instrumentalisiert und als Rechtfertigung für Rachefeldzüge missbraucht werden. Im Gegenteil: Die Gewaltspirale muss endlich beendet werden. Die Einsetzung eines internationalen Vermittlers für die Beziehungen zwischen den türkischen Kurden und der Regierung könnte ein hilfreicher erster Schritt sein. Wir leben in einer Welt, die alles andere als friedlich ist. Sie ist vielmehr geprägt von Konflikten und zunehmend von Hass. Daher wächst der Bedarf an humanitärer Unterstützung, diplomatischem Geschick und innenpolitischer Besonnenheit. In einer solchen Zeit, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, stellen Sie die doppelte Staatsbürgerschaft infrage und sprechen von „derartigen Staatsangehörigkeiten“. Seit dem Putschversuch in der Türkei und jetzt nach den verheerenden Anschlägen nicht nur in Istanbul wächst die Verunsicherung der vielen türkischen und türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Auch hier gilt es, Frieden zu stiften und keine unnötigen Konflikte zu schüren. ({0}) Doppelstaatlichkeit ist bei uns millionenfach gelebte Realität. Sie ist eine gute Lösung und steht der Integration nicht im Weg. Vor 45 Jahren skizzierte Willy Brandt einen europäischen Friedenspakt. Viele seiner Vorschläge wurden inzwischen umgesetzt und führten schließlich zur Gründung der Europäischen Union. In dieser Tradition stehen wir als Sozialdemokratie. Wir wollen Europa. Wir wollen mehr Europa. Viele Menschen setzen im Zuge der EU-Erweiterung ihre Hoffnung auf die europäische Perspektive. Dieses Europa hat auch Fehler. Aber dieses Europa ist unser Friedensgarant seit Jahrzehnten. Wir wollen ein soziales und solidarisches Europa. Gestern haben wir als Fraktion ein Positionspapier zum sozialen Europa beschlossen, weil soziale Gerechtigkeit eine entscheidende Grundlage für den Frieden ist. Wie Willy Brandt sagte: „Materielle Not ist konkrete Unfreiheit.“ Als SPD-Fraktion positionieren wir uns klar gegen die Euro-Skeptiker und Europaskeptiker. Unser Ziel ist, die europäische Idee für die Menschen wieder sichtbar zu machen. Mehr denn je ist in der Flüchtlingsfrage Einigkeit notwendig und auch, dass die EU mit einer Stimme spricht; denn Solidarität ist das Gebot der Stunde. Darum befürworte ich das Paket für kurzfristige Schuldenerleichterungen zugunsten von Griechenland. Wir alle profitieren davon, wenn es auf EU-Ebene keine „Kurz-Schlüsse“ und keine kleinen Gruppen von Willigen oder Unwilligen mehr gibt. Nur vereint kann es Europa besser gelingen, international zu vermitteln, Krisen zu bewältigen, Konflikte beizulegen und den Frieden zu fördern. Wir müssen aber selbstkritisch bleiben: Funktionieren denn unsere Maßnahmen? Sind unsere Wege erfolgreich? Haben wir die richtigen Gesprächspartner und Gesprächsplattformen, um friedliche Lösungen zu erarbeiten? Schätzen wir die Handlungsweisen und Sorgen unseres Gegenübers immer richtig ein? Wir sollten bei aller Kritik an der türkischen Regierung deren proeuropäischen Signale nicht überhören. ({1}) Auch wenn wir uns in vielem uneinig sind, lud uns erst heute Morgen der türkische EU-Minister Ömer Celik Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU waren ebenfalls dabei - bei einem Treffen dazu ein, über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU im Gespräch zu bleiben. Eigenverantwortung ist das Schlüsselwort im kleinen Einmaleins des Friedens. Alle sind gefordert, Demokratie und Menschenwürde im Alltag zu leben. Der 10. Dezember, an dem Willy Brandt vor 45 Jahren den Nobelpreis erhielt, ist heute der Internationale Tag der Menschenrechte. Er mahnt uns, die einfachen Wahrheiten nicht zu vergessen. Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte sind internationale Werte und im Interesse jedes und jeder Einzelnen. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dorothee Schlegel. - Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen Tag von mir. Nächste Rednerin: Sevim Dağdelen für die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Linke kann ich sagen, dass wir selbstverständlich die furchtbaren Anschläge in Istanbul gleichermaßen verurteilen. Für diese schrecklichen Gewaltakte gibt es wirklich keinerlei Rechtfertigungen. Dieses sinnlose Töten von Menschen in der Türkei muss sofort aufhören. Unsere Gedanken sind jedenfalls bei den Freunden und bei den Familienangehörigen der Opfer. ({0}) Es ist aber bezeichnend, dass nach diesen jüngsten Anschlägen in Istanbul der Staatspräsident und auch die Regierung frei nach dem Motto verfahren: Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen. - Mindestens 291 friedliche Mitglieder der prokurdischen HDP wurden seit diesen Anschlägen in den letzten zwei Tagen festgenommen. Darunter sind auch zwei Abgeordnete. Eine von ihnen ist die Fraktionsvorsitzende der prokurdischen HDP in der türkischen Nationalversammlung. Dass auch die HDP diese Anschläge wirklich scharf verurteilte, spielte keinerlei Rolle. Das zeigt für uns, dass die Regierungspartei und der Staatspräsident Erdogan auf eine weitere Eskalation setzen. Wir stehen hier klar an der Seite der inhaftierten und auch der verfolgten HDP-Politikerinnen und -Politiker. Ich bin wirklich froh, dass es uns gestern mit über 60 Mitgliedern des Deutschen Bundestages - von der CDU, der SPD, der Linken und auch den Grünen - gelungen ist, ein starkes Zeichen der Solidarität mit den verfolgten Abgeordneten in der Türkei im Rahmen des Patenschaftsprogramms des Bundestages „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ auszusenden. Dieses Signal ist bei den Menschen in der Türkei angekommen. ({1}) Die Schlussfolgerung der Bundesregierung aus diesen Anschlägen von Istanbul ist meiner Meinung nach allerdings verheerend; denn obwohl der türkische Präsident öffentlich auf Vergeltung, auf Rache sinnt und in Reaktion auf die Anschläge nicht etwa die Täter, sondern friedliche Politiker einsperren lässt, hat die Bundesregierung dem Staatspräsidenten Erdogan bei seinem Antiterrorkampf Hilfe zugesagt. Damit aber gießt die Bundesregierung nur noch mehr Öl ins Feuer. Ich bitte Sie, wirklich einmal darüber nachzudenken. Von dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan sagt die Bundesregierung, dass sich in seiner Regierungszeit die Türkei zu einem sicheren Hafen für den islamistischen Terrorismus entwickelt hat und diese zu einer zentralen Aktionsplattform für den ganzen Nahen und Mittleren Osten geworden ist. Da müssen Sie doch einsehen: Mit Erdogan bekämpft man nicht den Terror; denn Erdogan befördert den Terror in der Region sowie in der Türkei. ({2}) Ich muss sagen: Die Bundesregierung sollte, statt sich als Terrorismusbekämpfungsunterstützer von Erdogan anzubieten, ernsthafte Initiativen ergreifen, um die Friedensverhandlungen in der Türkei in Sachen Kurdenkonflikt wieder anzuschieben. Sie darf sich nicht der Logik der Gewalt unterordnen, die in der Türkei herrscht. ({3}) Es gibt keine militärische Lösung im Kurdenkonflikt. Es kann nur eine politische Lösung geben. Kein internationaler Konflikt ist bis jetzt mit Gewalt gelöst worden. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung, ihrer Verantwortung nachzukommen und sich für Friedensverhandlungen starkzumachen und sich dafür einzusetzen, dass die Konfliktparteien in der Türkei in der Kurdenfrage endlich wieder an den Tisch zurückkehren. ({4}) Aber wenn wir über die Schlussfolgerung aus den Anschlägen sprechen, muss es auch allgemein um die Frage gehen, was wir tun können, um solche Anschläge nicht weiter zu befördern. In der Tat, wenn wir uns anschauen, dass die Umsturzpolitik der NATO-Staaten, an der Seite von Golf-Diktaturen, eine ganze Region in Flammen hat aufgehen lassen, müssen wir uns fragen: Ist es nicht Zeit, diese Regime-Change-Politik zu beenden, die wirklich ein so fruchtbarer Nährboden für den Terrorismus vor Ort ist? ({5}) Müssen wir uns nicht auch fragen, ob es richtig ist, immer mehr deutsche Waffen in den Nahen und Mittleren Osten zu liefern? Jeder, der Waffen in diese Region liefert, begeht schreckliche Verbrechen, und das gilt auch für Deutschland - bedauerlicherweise. Ich muss in diesem Zusammenhang sagen: Wir möchten, dass in der Außenpolitik eine radikale Wende eingeleitet wird, bei der drei Dinge im Vordergrund stehen sollten: Stellen wir die Unterstützung von Despoten, Autokraten und Diktatoren ein! Beenden wir die verheerende Umsturzpolitik, die sogenannte Regime-Change-Politik! Hören wir endlich auf, die Konflikte dieser Welt mit deutschen Waffen zu befördern! - Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik werden. Geschähe das, dann würde sich auch die Sicherheit der eigenen Bevölkerung und woanders erhöhen. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sevim Dağdelen. - Nächster Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verweise auf die schrecklichen Bilder der Terroranschläge der letzten Tage: In Nigeria rissen Grundschulkinder 17 Menschen in den Tod, weil sie als Selbstmordattentäter von mutmaßlichen Islamisten missbraucht worden waren. In Somalia war die sunnitische Terrormiliz al-Schabab für mindestens 30 Tote verantwortlich. Außerdem gab es die beiden Anschläge in Istanbul, über die eben schon gesprochen wurde. Hinzu kam der Anschlag in Kairo gegen das Gotteshaus der koptischen Christen und damit gegen die Religionsfreiheit in Ägypten. All das waren schreckliche Ereignisse, die uns immer wieder mahnen, dass der Terrorismus offensichtlich die Geißel des 21. Jahrhunderts ist und dass wir alles dafür tun müssen, um dem Terrorismus und der terroristischen Bedrohung Herr zu werden. Deswegen ist es gut, dass wir heute hier darüber reden. Die Waffe des Terrors ist die Ausnutzung der Arglosigkeit des Opfers. Jeder Mensch hat das Gefühl, er könnte theoretisch Opfer eines solchen Anschlags werden, egal wo er steht und geht. Deswegen müssen wir viel tun, um unseren Bürgerinnen und Bürgern, den Menschen in Europa und in der ganzen Welt die Angst vor diesem Terror zu nehmen; denn das ist sozusagen die Entwaffnung derjenigen, die Terror ausüben. Was können wir tun? Ich glaube, wir müssen in erster Linie verstärkt fünf Maßnahmen ergreifen, um Terror einzudämmen und vielleicht sogar zu verhindern: Erstens. Wir müssen im eigenen Land wachsam sein gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmäntelchen religiöser Überzeugung andere Menschen zu radikalen Handlungen verführen wollen. Wenn ich mir anschaue, was in unseren Städten passiert, namentlich in meiner Heimatstadt Wuppertal - dort waren junge Männer als sogenannte Scharia-Polizei unterwegs und lauerten jungen Frauen vor Diskotheken auf, um sie mahnend daran zu erinnern, dass Diskothekenbesucher eigentlich nicht der richtige Umgang für sie sind; diese jungen Männer wurden wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot vor Gericht gestellt; das Gericht hatte offensichtlich keine Handhabe, sie zu verurteilen -, dann stellt sich schon die Frage, ob wir in unserer Rechtsordnung möglicherweise nachsteuern und nachbessern müssen. Ich gehe einmal davon aus, dass die nächste Instanz ein Urteil trifft, durch das die sogenannte Scharia-Polizei auf deutschen Straßen keinen Platz hat, also verboten wird. ({0}) Ein zweiter Aspekt - ihn hat der Kollege Binninger bereits angesprochen - ist die Intensivierung der Polizeiund Geheimdienstzusammenarbeit. Es geht darum, dass wir uns optimal austauschen mit befreundeten Regierungen, aber auch mit Regierungen von Ländern, mit denen wir nicht so gute und intensive Beziehungen unterhalten, sodass wir uns rechtzeitig warnen können, wenn irgendwo Terroristen unterwegs sind, etwa wenn sich Heimkehrer nach Europa auf den Weg machen oder wenn irgendwelche Schläfer hier in Europa aktiviert werden durch Terrorführer im Ausland. Ich glaube, dass wir da bereits eine Menge tun und dass das insbesondere unter NATOSevim Dağdelen und EU-Partnern gut funktioniert. Aber wir müssen da sicherlich noch mehr Geld und Kraft hineinstecken. Wir müssen die Rekrutierung und die Hetze im Netz wirksam unterbinden. Wenn man im Internet unterwegs ist, erlebt man ja selbst, wie undifferenziert, wie unübersichtlich und vor allem wie polemisch und radikal dort argumentiert wird. Das würde niemals in einer öffentlichen Versammlung stattfinden, wo man sein Gesicht zeigen muss. Im Netz fallen offensichtlich alle Hemmungen, und es gibt ein enormes Potenzial an Verhetzung dort. Wir müssen schauen, ob unsere Rechtsordnung wirklich darauf vorbereitet ist. Sprengstoff gibt es überall in der Welt in großen Mengen. Aber wenn jemand offensichtlich eine ganze Lastwagenladung in einer Großstadt wie Istanbul zusammenkarren kann, um sie dann in einem Terroranschlag zu zünden, dann ist für mich die Frage, ob wir nicht die Möglichkeit intensiver nutzen sollten, zum Beispiel die Verbreitung oder den Vertrieb von Sprengstoff stärker in den Blick zu nehmen, nicht deshalb, weil wir damit das alles vielleicht verhindern, aber deshalb, weil wir damit die Schwelle erhöhen, an solche Stoffe heranzukommen, es ein Stück weit schwerer machen, sich, wie in Istanbul mutmaßlich geschehen, mit 400 Kilogramm Sprengstoff - das ist immerhin die Beladung eines Kleinlasters - auszustatten. Das Wichtigste ist, dass wir dem Terrorismus den Nährboden entziehen. Omid Nouripour hat es richtig gesagt. Immer dann, wenn Terrorismus sich ausbreiten kann, gibt es irgendeinen Resonanzboden dafür, eine Zivilbevölkerung, die sich benachteiligt fühlt, die sich zurückgesetzt fühlt, die sich gedemütigt fühlt, die vielleicht nicht terroristisch wird, aber den Terroristen Rückzugsorte und Rückzugsgelegenheiten bietet. Das haben wir im Norden des Irak erlebt. Das erleben wir in vielen anderen Regionen, zum Beispiel auch im Norden Malis. Durch vorausschauende und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik müssen wir einen Beitrag dazu leisten, dass dieser Nährboden ausgetrocknet wird. In diesem Sinne, glaube ich, sollten wir das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, als Ansporn und Aufforderung nehmen, noch mehr gegen Terrorismus zu tun. Danke schön. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jürgen Hardt. - Nächste Rednerin: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Am vergangenen Wochenende haben Dutzende Unschuldige ihr Leben verloren: in der Sankt-Peter-und-Paul-Kirche in Kairo überwiegend Frauen, die beteten, in Istanbul vor allem Polizisten, die ein Fußballspiel schützen wollten. Diese Attentate sind furchtbar, verurteilenswert, durch nichts zu rechtfertigen - genauso wie all jene, die vorher in Paris, Brüssel, Nizza passierten, oder all jene weltweit, von denen wir hier kaum etwas mitbekommen. Ich möchte heute hier vor allen Dingen über Ägypten sprechen. Präsident el-Sisi hat von einem abscheulichen Terrorakt gesprochen und Staatstrauer angeordnet, und er hat von einem Angriff gesprochen, dessen Ziel es sei, Christen und Muslime zu spalten, der aber die Einheit Ägyptens weiter stärken solle. Das ist richtig; denn wir dürfen die Religionen nicht gegeneinander ausspielen. Das darf nicht passieren - egal wo Attentate verübt werden. ({0}) Das Attentat von Kairo war feige und widerwärtig. Die Täter müssen unnachgiebig verfolgt werden und vor Gericht gebracht werden. Aber leider bestehen in Ägypten Zweifel daran, dass dies geschieht. Human Rights Watch hat nach dem jüngsten Attentat wieder daran erinnert, dass Polizisten und sogenannte Sicherheitsorgane seit Jahren immer wieder tatenlos zuschauen, wenn Kopten Opfer von Übergriffen werden, und dass viele Fälle bis heute nicht aufgeklärt sind und keine Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Kritik und diese Appelle darf el-Sisi nicht vom Tisch wischen, wenn ihm die Minderheitenrechte der Kopten wirklich wichtig sind. Heute hier muss man auch sagen, dass für el-Sisi und seine Regierung in den letzten Jahren jeder, der nicht ganz ins Konzept passt, sofort ein Terrorist geworden ist. Viele von denen, die friedlich ihre Meinung sagen, friedlich demonstrieren, kritische Zeitungsartikel schreiben, versuchen, ins Ausland zu reisen, um darüber zu berichten, wurden einfach mit dem Stempel „Terrorist“ verurteilt. Aber alle zu Terroristen zu erklären, ist keine effektive Terrorismusbekämpfung; ({1}) das ist einfach Unterdrückung und keine Terrorismusbekämpfung. Dabei ist klar: Minderheitenrechte müssen gelten für Kopten in Ägypten, Muslime im Süden Nigerias oder Christen im Norden Nigerias, für Hindus in Pakistan, für Christen und Moslems in Myanmar und - eine andere Minderheit, aber bei uns relevant - für Roma in vielen Staaten Europas. Nur wenn wir uns für alle gleich einsetzen und alle gleich schützen wollen, sind wir glaubwürdig, wenn wir uns dann für eine Gruppe einsetzen. Ansonsten kommt es wie eine Umarmung für eine Gruppe rüber. Dann sind wir nicht glaubwürdig. Minderheitenrechte gelten für alle, egal woher sie kommen, egal welcher Religion sie angehören. ({2}) Denn was sie verbindet - und das ist für mich ein zentraler Punkt -, ist, dass Minderheitenrechte MenschenJürgen Hardt rechte sind. Die Durchsetzung von Minderheitenrechten ist immer nur so stark wie die Durchsetzung von Menschenrechten generell. Ein Mensch ist ein Mensch, und wenn Menschenrechte nicht garantiert sind, sind auch Minderheitenrechte nicht garantiert. Momentan steht es in Ägypten leider schlecht um die Situation der Menschenrechte an sich. Sie haben es mitbekommen: Das Gesetz zu den NGOs, den Nichtregierungsorganisationen, ist eines, das deren Leben, Arbeiten und Wirken erheblich erschweren wird. Gerade gab es auch gute News, zumindest News mit Licht und Schatten, und zwar vom Supreme Court. Das haben Sie vielleicht mitbekommen, aber manchmal geht es ja auch unter. Es geht um die Frage, wie in Ägypten mit Demonstrationen umgegangen werden darf. Der Oberste Gerichtshof hat geurteilt, dass das Innenministerium nicht mehr willkürlich Demonstrationen verbieten darf. Das sind gute News. Wir hoffen, dass el-Sisi dies anerkennt und nicht dagegen vorgeht, dass er akzeptiert, dass das Innenministerium nicht mehr die Macht hat, Demonstrationen willkürlich zu verbieten. Das wäre ein Fortschritt, auch wenn es schade ist, dass die Klausel, dass man mindestens zwei Jahre ins Gefängnis kommt, wenn man an einer nichtgenehmigten Demo teilnimmt, nicht gekippt wurde. Aber immerhin, die komplette Willkür hat das Verfassungsgericht ausgehebelt. Vielleicht ist das ein Appell, auch hier zu sagen: Die Menschenrechte haben möglicherweise eine Chance in diesem Land - und damit auch die Minderheitenrechte. Aber auch der Westen ist ja nicht ohne Schuld. Westliche Regierungen lassen Minderheiten- und Menschenrechte immer wieder hängen, wenn es geopolitisch opportun erscheint. Das sieht man aktuell am Fall Aleppo. Dass die syrische Regierungsseite wieder schießt, dass wir keinerlei Möglichkeiten haben, Zivilisten endlich aus dieser Hölle herauszubekommen, das sind Völkerrechtsbrüche; wir haben die Verbrechen benannt. Herr Bartsch, dass das keine Konsequenzen hat und zum Beispiel nicht weitere Sanktionen nach sich zieht, ist ein Signal, das unserer Meinung nach das Völkerrecht schwächt. Dass Menschen das Vertrauen in den Westen verlieren, das Vertrauen in die Werte, dass sie den Glauben an die internationalen und universellen Menschenrechte verlieren - wundern wir uns darüber? Und wenn sie vielleicht sogar zu Feinden werden, müssen wir uns dann nicht auch Fragen stellen? Ich glaube, wir kommen ohne diese Fragen nicht weiter. Ich danke Ihnen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Franziska Brantner. - Nächste Rednerin für die SPD: Dr. Ute Finckh-Krämer. ({0})

Dr. Ute Finckh-Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004273, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Ich möchte einige Punkte nennen, die in der bisherigen Debatte noch nicht angesprochen wurden. Implizit wurde angesprochen, dass Militär keinen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus leistet. Ich möchte das hier noch einmal ausdrücklich und explizit sagen. Alle Versuche, sei es durch Russland in Tschetschenien, sei es durch die USA in Afghanistan, sei es durch die türkische Regierung im Kurdengebiet, mit militärischen Mitteln Terrorismus zu bekämpfen, sind krachend gescheitert. Ich glaube, darüber sollten wir uns alle im Klaren sein. Der Kampf gegen Terrorismus hat zwei Teile, die funktionieren können: Das eine ist die Prävention, die sehr vielseitig aussehen kann. Herr Hardt hat einen Bereich genannt, nämlich dass man gegen soziale Ungerechtigkeiten in den Ländern, wo Terrorismus im Augenblick ein besonders dringendes Problem ist, vorgehen sollte. Es gibt aber auch andere präventive Maßnahmen, zum Beispiel Maßnahmen gegen die Radikalisierung von Menschen im eigenen Land, nicht nur als Dschihadisten. Denken wir an den Anschlag von Utoya in Norwegen. Der Terrorist hatte nichts mit internationalem Dschihadismus zu tun. Es war keine diktatorische Regierung, die ihn zum Terroristen gemacht hat, sondern eine verquere Weltsicht. Die Prävention, die es im eigenen Land geben sollte, die es auch in demokratischen Ländern geben muss, um zu verhindern, dass Menschen sich radikalisieren, sei es rechtsextremistisch, sei es dschihadistisch, sei es auf andere Weise gewaltbereit, das ist etwas, was wir ernst nehmen sollten und wo wir uns auch mit anderen Ländern austauschen sollten. Innerhalb der OSZE ist bei dem Abschlusstreffen der deutschen Präsidentschaft in Hamburg genau dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt worden. Mehrere Staaten, von denen wir hier gesprochen haben - Russland und die Türkei -, sind in derzeitigem Zustand keine demokratischen Länder, aber sie haben trotzdem ein Interesse daran, dass sich Menschen in ihrem Land nicht radikalisieren und Terroranschläge machen, die so schrecklich sind wie der am Wochenende in Istanbul. Deswegen kann es eine Zusammenarbeit geben, indem wir unsere Erfahrungen mit polizeilichen Maßnahmen, Rechtsstaatlichkeit und Prävention, die die entscheidenden Mittel gegen Terrorismus sind, weitergeben können. Wir haben auch im eigenen Land Erfahrungen mit Terrorismus gemacht, nicht nur mit Dschihadisten, die nach Syrien ausgereist sind. Wir haben vor Jahrzehnten - ich bin alt genug, um das als Studentin miterlebt zu haben die Anschläge der RAF gehabt. Wir hatten im Jahr 1980 den Oktoberfestanschlag. Wir hatten den NSU, bei dem es lange gedauert hat, trotz Kontakte der Geheimdienste in das Umfeld des NSU, bis entdeckt wurde, dass eine Reihe von scheinbar isolierten Mordanschlägen eine terroristische Serie war. Insofern gibt es einiges, was wir an Erfahrungen beisteuern können. Wenn so schreckliche Ereignisse wie in Ägypten, in Nigeria, in Somalia, in der Türkei dazu führen, dass ein Raum entsteht, in dem wir argumentieren können, warum Rechtsstaatlichkeit, warum eine an den Interessen der Bevölkerung und nicht der Machterhaltung eines Staates orientierte Polizei so wichtig ist, dann besteht in allem Unglück, in aller Trauer, in allem Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen eine winzige Chance, um zu verhindern, dass es in Zukunft zu genauso viel oder noch mehr schrecklichen Anschlägen kommt. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ute Finckh-Krämer. - Nächste Rednerin: Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Terroranschläge in Istanbul und Kairo vom vergangenen Wochenende sind geprägt von Hass, Zorn und Feigheit. Kollegin Dağdelen, die NATO hat damit ganz sicher nichts zu tun. Die NATO dafür auch noch verantwortlich zu machen, halte ich für gediegen abwegig. ({0}) Die Brutalität und menschenverachtende Grausamkeit erfüllen uns alle mit Entsetzen. Unsere Gedanken sind bei den Opfern: Kinder, Frauen, Kranke und Alte. Natürlich stehen wir im Kampf gegen den Terror auch an der Seite der Türkei und Ägyptens, aber mit einem großen Unterschied. Wir wollen mit rechtsstaatlichen Mitteln den Terror bekämpfen und nicht mit einem Demokratieabbau, wie es in der Türkei der Fall ist. Es ist schwer, Hass und Feigheit zu begegnen. Da versagen nämlich unsere herkömmlichen Instrumente weitgehend. Dennoch gibt es keinen Grund zur Mutlosigkeit. Frust, Mutlosigkeit - das hat Kollegin Beck heute Morgen im Ausschuss gesagt - oder gar Resignation stehen nicht im Handbuch für Abgeordnete und sind keine Grundlage der Diplomatie. Im Hinblick auf Kairo ist klar: Dieser Anschlag auf die koptischen Christen war ein Anschlag auf die Religionsfreiheit in Ägypten. Hier kann man natürlich fragen: Gibt es überhaupt Hoffnung in dieser Situation? Einen Hoffnungsschimmer will ich Ihnen nennen, weil ich ihn gut finde. Der wichtigste Vertreter der Sunniten in Ägypten und Großimam der berühmten Al-Azhar-Moschee, Ahmad Mohammad al-Tayyeb, verurteilte den Anschlag auf Christen am Sonntag als schweres Verbrechen gegen alle Ägypter. Es ist wichtig, dass das von der Seite kommt. Der Papst hat es verurteilt, die jüdischen Gemeinden haben es verurteilt; das ist auch wichtig. Aber wenn es aus der eigenen Community kommt, ist es natürlich noch hilfreicher. ({1}) Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht - das ist hier angeklungen -, und wer Religionsfreiheit verletzt, verletzt Menschen: seelisch und physisch. Was können wir tun, um dem Hass, dem Zorn der Terroristen entgegenzutreten? Dazu will ich hier einen neuen Aspekt, einen anderen als meine Kollegen, vorbringen. Natürlich müssen die politischen, diplomatischen Bemühungen in den Krisenländern auf allen Ebenen weitergehen. Diese Spitzengespräche sind unbestritten wichtig, und Herr Steinmeier macht da einen wirklich guten und verantwortlichen Job. Aber die Spitzengespräche sind eben nicht alles. Demokratische Kräfte müssen in den Ländern gestärkt werden, wo immer demokratische Strukturen zerstört sind. Der interreligiöse Dialog kommt neben dem politischen Dialog oft zu kurz; und ich glaube, dass er sehr wichtig ist. Wir müssen den Jugend- und Studentenaustausch, den Kulturaustausch, die Städtepartnerschaften fördern. Mein schönstes Projekt als Kulturstaatsrätin von Bremen in dieser Hinsicht war Folgendes: Wir haben das Brahms-Requiem in Izmir mit dem Domchor aus Bremen und dem Izmir State Symphony Orchestra aufgeführt; und das erste türkische Fernsehen hat es übertragen. Einen besseren Brückenbau als diesen kulturellen, von diesen beiden Gruppen, dem Chor und dem Orchester, getragenen kann ich mir gar nicht vorstellen. Heute meldet der Weser-Kurier, dass die Bremische Bürgerschaft - da habe ich mich dann doch mal gefreut - die Städtepartnerschaft mit Izmir fortsetzt. Wir brauchen natürlich weltweit einen besseren Schutz von religiösen Minderheiten. Deshalb bin ich dankbar, dass Volker Kauder sich dieses Themas so intensiv annimmt. Die Ereignisse von Kairo zeigen erneut, wie bedroht Christen sind, auch koptische Christen aus einer der ältesten Kirchen der Welt. Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass es in vielen muslimisch geprägten Ländern erhebliche Verletzungen der Religionsfreiheit gibt. Diese Feststellung, die ehrlich ist, hat natürlich nichts damit zu tun, dass ich den Islam diffamieren wollte. Aber viele Terroristen missbrauchen den Islam als Begründung für ihre Terroranschläge. Der Kampf gegen terroristische Fundamentalisten muss natürlich auch im eigenen Land weitergehen. Meine Damen und Herren, Hassprediger haben bei uns nichts zu suchen und müssen ausgewiesen werden. ({2}) Die Präsidentin mahnt mich. Deshalb möchte ich schließen, heute mal mit einem Zitat - das ist vielleicht ungewöhnlich für mich, aber ich tue es - von Nelson Mandela. Er hat gesagt: Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion geboren. Hass wird gelernt. Und wenn man Hass lernen kann, kann man auch lernen zu lieben. Denn Liebe ist ein viel natürlicheres Empfinden im Herzen eines Menschen als ihr Gegenteil. So weit Nelson Mandela. Ich glaube, diese Liebe und diese Freundschaft müssen wir in die Welt tragen. Dafür ist die Auswärtige Kulturpolitik ein wunderbarer Brückenbauer. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. - Nächster Redner: Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion - aus Augsburg. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer des schrecklichen Bombenanschlags am Rande eines Fußballspiels am vergangenen Samstag in Istanbul. Viele junge Polizeibeamte haben den Schutz der öffentlichen Ordnung mit ihrem Leben bezahlen müssen. Dieser Anschlag reiht sich ein in eine schreckliche Abfolge von Katastrophen und Anschlägen, die die Türkei und insbesondere die Stadt Istanbul im letzten Jahr erdulden mussten. Unser Mitgefühl gilt dem türkischen Volk und den Menschen, die unter diesen barbarischen Anschlägen leiden. Richtig ist, dass wir als Bundesrepublik Deutschland zur Aufklärung von terroristischen Akten und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beitragen müssen - auch, indem wir die Türkei unterstützen. Aber bei dieser Zusammenarbeit muss gleichzeitig angemahnt werden, dass die Aufklärung von terroristischen Akten und der Kampf gegen Terrorismus nur im Rahmen von Augenmaß, Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit vonstattengehen können. Wenn 220 Mitglieder der HDP verhaftet werden, wie wir gerade feststellen mussten, dann ist das keine Maßnahme im Rahmen von Rechtsstaatlichkeit - das ist Willkür, die wir zu verurteilen haben. ({0}) Auch die Befriedigung von Rachedurst bekämpft Terrorismus nicht, ({1}) sondern Rache schafft das gesellschaftliche Klima, welches Terrorismus erst möglich macht. Deswegen sei klar und deutlich formuliert: Die Türkei muss den Weg der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie gehen, und dort, wo sie einen falschen Weg eingeschlagen hat, hat sie umzukehren. Nur ein Klima von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kann dauerhaft vor Extremismus und Terrorismus schützen. Meine Damen und Herren, unsere Blicke richten sich mit traurigen Augen auch auf die Verhältnisse in Ägypten. Am vergangenen Sonntag hat wohl ein Selbstmordattentäter in der Petruskirche in Kairo, die neben der Markuskathedrale steht, einen Sprengsatz gezündet, durch den mehrere Dutzend Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, ums Leben kamen. Die Markuskathedrale ist nicht irgendeine Kirche; sie ist die zentrale und wichtigste Kirche der koptischen Christenheit und der Sitz des koptischen Papstes. Dieser Anschlag war ein Stich ins Herz der koptischen Christen und ein Anschlag auf die christliche Gemeinschaft im Orient insgesamt. Auch diese Tat wird von uns auf das Schärfste verurteilt. Sie erinnert uns daran, dass in so vielen Staaten des Nahen Ostens die Situation der orientalischen Christen prekär ist, dass die Geltung der Religionsfreiheit und der Schutz der Menschenrechte oftmals nur Lippenbekenntnisse sind und dass diese Menschen um ihre Freiheit, ihren Glauben leben zu können, stark und hart kämpfen müssen. In diesem Zusammenhang sei auch an die ägyptische Politik appelliert: Es darf nicht zu einer Spaltung der ägyptischen Gesellschaft kommen. Insbesondere der Schutz von Minderheiten in Ägypten muss auf der Tagesordnung stehen. Deswegen fordern wir, dass ein friedliches Zusammenleben der Religionen, auch in Ägypten, in der Weise gewährleistet wird, dass die Menschen frei von Angst Gottesdienste besuchen können. Das gilt für Christen, aber auch für Muslime. Es gilt für jede Religion. ({2}) Lassen Sie mich bei dem Gedanken an Religionsfreiheit noch einen bangen Blick auf die Situation der Christen im Nordirak und in Syrien werfen. Die Verhältnisse dort sind so, dass Städte, in denen über mehrere Jahrhunderte hinweg Christen gelebt haben und die die Wiege der orientalischen Christen waren, mittlerweile - das ist ein zynisches Wort - „befreit“ von Christen sind, weil hier massiver Genozid an christlichen Minderheiten stattgefunden hat. Deswegen muss die Weltgemeinschaft beides sehen: Sie muss das Morden in Aleppo bekämpfen - sie muss es deutlich zur Sprache bringen -, sie ist aber auch in der Pflicht, die christlichen Minderheiten zu schützen, auch im Nordirak und in Syrien. Das muss ein wichtiger Teil der Bemühungen unserer Außenpolitik sein. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Volker Ullrich. - Der nächste und letzte Redner in dieser Debatte: Frank Heinrich für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzten Sonntag war dritter Advent. Das Wort „Advent“ kommt von „advenire“; das ist wahrscheinlich den meisten bekannt. Es geht um Erwartung und Ankunft. 14 Türen unseres Adventskalenders haben wir schon geöffnet. Noch elf Tage, und Geduld und Vorfreude werden belohnt: Dann ist Weihnachten. An diesem Adventswochenende gab es 44 Opfer in Istanbul, 60 in Nigeria, 50 in Mogadischu, 25 in Kairo und, wer weiß, wie viele noch. Ich habe hier eine Liste der Opfer terroristischer Anschläge im Dezember dieses Jahres: über 300 Tote. Näher sind uns vielleicht die Menschen, die im März dieses Jahres in Brüssel und im Juli dieses Jahres in Nizza von Terroristen ermordet wurden. Wie viele Unschuldige müssen denn noch sterben? In Kairo starben Kinder und Frauen in einer Kirche, als sie dabei waren, den dritten Advent zu feiern. In Nigeria waren die „Terroristen“, die Täter, zwei Mädchen von sechs und sieben Jahren - von Boko Haram instrumentalisiert. Viel zu viele sind da gestorben. Terror ist - das haben schon mehrere so gesagt - eine Verachtung aller humanitären Werte, und jedes Opfer des Terrors hat unser Mitgefühl. Die Fragen aber, die wir stellen müssen - deshalb diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema -, lauten: Was müssen wir tun, um dem Terror endgültig den Nährboden zu entziehen, um ihn zu bekämpfen? Und wie können wir weiter die Freiheit gewährleisten, die uns möglicherweise abhandenkommt, die für uns aber doch so existenziell ist? Dazu ist vieles schon gesagt worden. Es gibt nicht viel Neues, das ich dazu beitragen könnte. Aber es geht ja darum: Bleiben wir bei Worten? Diese Aktuelle Stunde, die etwas mehr als 60 Minuten dauert, besteht aus einigen Worten mehr. Von Beruf sind wir Parlamentarier; wir reden. Aber was machen wir daraus? Von den Gräueltaten geht die Gefahr aus - diese Befürchtung teilen wir -, dass wir die Terroristen in dem, was sie bewirken wollen und oft schon bewirkt haben, zu ernst nehmen. Nach den Anschlägen in Paris, in Brüssel und in Nizza in diesem Sommer haben wir mit den Überlebenden getrauert. Aber gleichzeitig haben wir manches Mal unsere eigene Freiheit infrage gestellt. Die Teilnahme an Solidaritätsdemonstrationen wurde verweigert. Eltern haben sich gefragt, ob sie oder die Kinder nicht lieber zu Hause bleiben sollten. Es gibt auf einmal neue Ängste auf Flughäfen oder Bahnhöfen. In Somalia wollten die al-Schabab-Milizen den Wahlvorgang verhindern. Die für den Anschlag auf die koptische Kathedrale Sankt Markus Verantwortlichen versuchen, das Zusammenleben der Religionen zu stören. Wenn aus Angst vor Terroristen Kopten oder vielleicht auch Menschen anderer Religionen nicht mehr zur Kirche gehen oder die Somali den Staatsaufbau nicht weiterführen oder - ein weiteres Beispiel - Franzosen aus Angst vor Terroristen am Nationalfeiertag keine Feuerwerke mehr zulassen, dann haben die Terroristen ein Stück weit gewonnen. Vor ein paar Tagen sagte Präsident Obama zu dem Ansatz, den er in den letzten acht Jahren verfolgt hat, in einer Rede Folgendes - ich zitiere -: Diese Terroristen sind Verbrecher und Mörder und sollten als solche auch behandelt werden. Und mögen sie auch unschuldige Menschen töten, stellen sie trotzdem keine existenzielle Bedrohung für unsere Nation dar, und wir sollten nicht den Fehler begehen, sie so hoch zu heben, als ob das doch so wäre; denn genau das ist ihr Ziel. Es lässt sie wichtiger erscheinen und hilft ihnen am Schluss bei der Rekrutierung. Was sind also unsere Antworten? Was sollte auch mit Blick auf die Türkei und auf Ägypten unsere Reaktion sein? Zusammenarbeiten und Dialog führen. Gerade in stürmischen Zeiten und nicht nur hier unter uns brauchen wir Strukturen des Dialogs und der Zusammenarbeit. Als Einzelstaat sind wir zu klein, um Terrorismus zu bewältigen. Die Resolution 2322 ({0}) vom vergangenen Montag wurde am Anfang dieser Debatte schon genannt. Es ist also wichtig, auch bei der Terrorismusbekämpfung stärker zusammenzuarbeiten. Das Motto unserer im Januar beginnenden G-20-Präsidentschaft - „Eine vernetzte Welt gestalten“ - beschreibt genau das, was es nun braucht. Die G 20 hat die Aufgabe, die Globalisierung zum Nutzen aller zu gestalten. Das ist richtig; denn eine ungerechte Globalisierung, eine Globalisierung, die nur die einen bevorzugt, ist der Nährboden für Extremisten und Radikale. Das Wort „soziale Ungerechtigkeit“ ist von Frau Finckh-Krämer und Herrn Hardt schon genannt worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kampf gegen Terrorismus ist der Dialog mit den Partnern in Ländern, die vielleicht nicht unbedingt wie Partner wirken, extrem wichtig. Daher ist es wichtig, auch mit der Türkei im Gespräch zu bleiben - trotz der Einschränkungen der Menschenrechte, die wir alle ansprechen müssen. Gerade wegen Shrinking Spaces, wie wir es nennen, braucht es gemeinsames Vorgehen mit der Opposition. Dies haben wir gestern draußen deutlich gemacht; ich bin für diese Aktion dankbar. Wir müssen aber auch mit den Staaten zusammenarbeiten, die nicht in aller Hinsicht mit unseren Werten übereinstimmen. Auf der Basis des Generalverdachts vom Wochenende ist die Situation schlimmer geworden. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht von außen einbeziehen lassen in das Schwarz-Weiß-Denken, das jetzt in der Türkei passiert. Ich möchte zum Abschluss einen kurzen Satz aus der Rede vorlesen, die der diesjährige Friedensnobelpreisträger letzte Woche gehalten hat. Er hat gesagt: Das Unmögliche kann möglich werden. Man müsse miteinander sprechen und die Würde aller achten, und es sei unklug, zu denken, dass zur Beendigung eines Konfliktes die Auslöschung der Gegenseite notwendig ist. Zusammenfassend: Erstens. Terror erteilen wir eine ganz klare Absage. Zweitens müssen wir feststellen, dass es in der Politik nicht mehr klassisch um links und rechts geht, sondern um Demokraten und Antidemokraten, meist Terroristen; Kollege Nouripour hat darauf hingewiesen. Wir müssen Demokraten als politische Kräfte stärken. Das haben wir auch in Syrien viel zu spät erkannt. Eines ist klar: Die friedlichen Kurden haben durch die, die diese Anschläge verübt haben, einen Bärendienst erwiesen bekommen. Die Reaktion von Erdogan macht das deutlich.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern? Wir befinden uns in einer Aktuellen Stunde. Frank Heinrich ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau, Redezeit darf nicht überzogen werden. - Ich komme zum Schluss. Die Rede des Friedensnobelpreisträgers endete wie folgt: Jetzt ist endlich die Sonne des Friedens über Kolumbien aufgegangen. - Und er wünscht sich das für die ganze Welt. Ich wünsche mir, dass wir das im Hinblick auf Weihnachten auch mit Syrien, der Türkei und Kairo verbinden und nicht unsere Hände in den Schoß legen, weil Weihnachten ist. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank Heinrich. - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Dezember, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen restlichen Mittwochnachmittag. Die Sitzung ist geschlossen.