Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/1/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Bleiben Sie bitte von Ihren Plätzen erhoben. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Am vergangenen Samstag ist nach langer, schwerer Krankheit unser Kollege und Vizepräsident Peter Hintze gestorben . Mit ihm verlieren wir einen der erfahrensten und angesehensten Politiker, der unser Land über drei Jahrzehnte mitgestaltet hat, einen Parlamentarier mit Leib und Seele - und viele von uns einen einfühlsamen Zuhörer, klugen Ratgeber und guten Freund . „Eine still prägende Gestalt der Republik“, hat man ihn in einem Nachruf genannt . Es hätte ihm gefallen, und es ist nicht übertrieben . Geboren in Bad Honnef, wurde Peter Hintze nach dem Studium der Theologie zunächst Pfarrer in Königswinter; einer größeren Öffentlichkeit wurde er bereits in den 1980er-Jahren bekannt, als der damalige Bundesminister für Jugend und Familie, Heiner Geißler, ihn zum Bundesbeauftragten für den Zivildienst berief . Peter Hintze bekleidete in seiner politischen Laufbahn zahlreiche Ämter in Partei, Regierung und Parlament, unter anderem als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Familie und Jugend, später acht Jahre im Bundeswirtschaftsministerium, dazu auch als Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt . Diesem Haus gehörte er über ein Vierteljahrhundert an; 1990 wurde er erstmals in den Bundestag gewählt in das erste gesamtdeutsche Parlament. In seiner ersten Rede zur damaligen Hauptstadtdebatte beschwor er den weiteren Bau Europas als vorrangige Aufgabe . Dies blieb eines seiner zentralen Anliegen, das er später auch als langjähriger Vizepräsident der Europäischen Volkspartei und der Christlich Demokratischen Internationale nachhaltig vertrat . Es ist schön, dass dieses europäische Engagement heute Morgen auch in der Anwesenheit des Präsidenten der Assemblée nationale, Claude Bartolone, zum Ausdruck kommt und gewürdigt wird . Die Wahl Peter Hintzes zum Vizepräsidenten des Bundestages zu Beginn dieser Legislaturperiode war Ausdruck der hohen Wertschätzung, die er unter Kolleginnen und Kollegen über die Fraktionsgrenzen hinweg genoss . Seine bemerkenswerten Fähigkeiten, ausgleichend zu wirken und Brücken zwischen unterschiedlichen Auffassungen und Interessen zu bauen, wurden nun einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, in der viele ihn vor allem als Generalsekretär der CDU in den 1990er-Jahren in Erinnerung hatten - ein eher polarisierendes Amt, in dem er auch zuzuspitzen wusste und durchaus gerne die Kontroverse gesucht hat: mal mit und mal ohne rote Socken . Peter Hintze war ein Mann mit Überzeugungen, der das offene Wort ebenso pflegte wie seinen rheinländischen Humor mit der Begabung zur Selbstironie . Wichtigster Maßstab seiner politischen Arbeit war - in seinen eigenen Worten - die Freiheit des Menschen, verstanden als Autonomie der Person. „Die Selbstbestimmung ist der Kern der Menschenwürde“, betonte er immer wieder . Darauf pochte er vor allem in seinen stark beachteten Redebeiträgen zu den großen ethischen Debatten innerhalb wie außerhalb des Parlaments über Grundsatzfragen, die den Beginn und das Ende des Lebens betreffen . Hier meldete er sich als theologisch versierter und religiös geprägter, aber liberal argumentierender Mensch regelmäßig zu Wort, zuletzt und unvergessen zu den angemessenen rechtlichen Rahmenbedingungen der Sterbebegleitung . Peter Hintze hatte eine ausgeprägte Liebe zum Leben. Und wie nur wenige andere Politiker hat er sich intensiv mit dem Sterben beschäftigt . Dass die Antworten bei dieser existenziellen Frage zwischen Leben und Tod unterschiedlich ausfallen können, gehörte für ihn „zur evangelischen Freiheit“ . Streitbar war er, der gläubige Christ, eben auch in seinem Glauben und im Umgang mit seiner Kirche . „Zwei zentrale Gebote tragen unsere Werteordnung“, rief er uns im vergangenen Jahr in dieser denkwürdigen Debatte in Erinnerung: „das Gebot der Menschenwürde und das Gebot der Nächstenliebe“ . Auch wenn er so aus seinem christlichen Grundverständnis heraus argumentierte, stellte er - abweichend von der Haltung der Kirchen - aus seiner Sicht klar - Zitat -: „Leiden im Sterben ist sinnlos!“ Auch als er selbst längst sterbenskrank war, hat er dieses Schicksal mit bewundernswerter Haltung ertragen, wie all diejenigen berichten können, die bis zuletzt, bis in die letzten Wochen und Tage hinein, mit ihm Kontakt hatten: ohne jede erkennbare Verbitterung . Freundschaft, Loyalität und Treue bedeuteten Peter Hintze viel - in der Politik genauso wie im richtigen Leben . Das zeichnete ihn als Mensch aus . Und das wird vielen von uns ebenso in Erinnerung bleiben wie die Lebensleistung eines Politikers, der seinem Land gedient hat und dabei stets mit Nachdruck auch für die europäische Idee und die notwendige Zusammenarbeit eingetreten ist . Der Politiker wie der Mensch Peter Hintze wird uns fehlen . Wir trauern mit der Familie und wünschen seiner Frau, seinem Sohn und allen Angehörigen in dieser schweren Zeit Kraft und Trost . Ich danke Ihnen . ({0}) Bevor wir in die Tagesordnung unserer heutigen Plenarsitzung eintreten, möchte ich dem Kollegen Heinz Riesenhuber zu seinem heutigen 81 . Geburtstag gratulieren ({1}) und alles Gute für ein Lebensjahr wünschen, das sich von vielen anderen, die ihm vorausgegangen sind, deutlich unterscheiden wird und bei dem wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass deutscher Parlamentarismus irgendwann auch ohne Heinz Riesenhuber stattfinden muss . ({2}) - Das hört sich fast an wie ein Antrag auf Verfassungsänderung, der aber noch der Schriftform und förmlicher Verfahren bedürfte . Dann müssen wir noch ein Mitglied des wissenschaftlichen Beratungsgremiums gemäß § 39a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wählen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, für den ausgeschiedenen Professor Dr. KlausDietmar Henke für den Rest der Amtszeit Herrn Professor Dr. Rainer Eckert als Mitglied des Beratungsgremiums zu berufen . Stimmen Sie dem zu? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist Herr Professor Eckert als Mitglied des wissenschaftlichen Beratungsgremiums gewählt . Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktuelle Lage in Aleppo und Syrien ({3}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes Drucksache 18/10456 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren Drucksache 18/7657 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms, Beate Walter-Rosenheimer, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachhaltigkeit im politischen Prozess verankern Drucksache 18/10475 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur d) Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Conterganstiftungsgesetzes sowie über die gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung dieser Vorschriften Drucksache 18/8780 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksache 18/10469 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Luise Amtsberg, Volker Beck ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parteiensponsoring regeln Drucksache 18/10476 Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden . Die Tagesordnungspunkte 19 - hier geht es um die abschließende Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und 35 a - auch hier eine erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen - werden abgesetzt . Des Weiteren soll auch der Tagesordnungspunkt 31 abgesetzt werden - hier geht es um Beschlussempfehlungen zum Thema Bahnpolitik - und stattdessen der Tagesordnungspunkt 8 - hier geht es um einen Antrag mit dem Titel „Familien stärken - Kinder fördern“ - mit einer Debattendauer von nunmehr 77 Minuten aufgerufen werden . Die Tagesordnungspunkte 11 - hier geht es um den NATO-Beitritt Montenegros - und 32 - hier geht es um die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan - tauschen unter Beibehaltung der dafür vorgesehenen Debattenzeiten ihre Plätze. Schließlich mache ich Sie noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam, die Sie sicherlich längst registriert und hoffentlich auch längst gebilligt haben: Der am 10 . November 2016 ({11}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksache 18/10207 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({13}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Der guten Ordnung halber frage ich, ob jemand Ein- wände hat . - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so be- schlossen . Dann kommen wir jetzt zu unseren Tagesordnungs- punkten 3 a und 3 b: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen ({14}) Drucksachen 18/9522, 18/9954, 18/10102 Nr. 16 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({15}) Drucksache 18/10523 - Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10526 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({17}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das Teilhaberecht menschenrechtskonform gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit dem Bundesteilhabegesetz volle Teilhabe ermöglichen Drucksachen 18/10014, 18/9672, 18/10523 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Einwände sind nicht erkennbar . Dann verfahren wir so . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Andrea Nahles . ({18})

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Weniger behindern, mehr möglich machen: Das ist der Kern des Bundesteilhabegesetzes . Dieses neue Sozialgesetzbuch IX steht damit in einer Reihe wichtiger politischer Wegmarken auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft . Begonnen haben wir in Deutschland diesen Weg vor mehr als 20 Jahren . 1994 haben wir das Verbot der Benachteiligung von Behinderten in unserer Verfassung festgeschrieben . 2001 ist das SGB IX in Kraft getreten . Seit 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention auch bei uns . Heute gehen wir auf diesem Weg den nächsten Schritt . Das ist ein großer, ein mutiger Schritt; denn es ist nichts Geringeres als ein Systemwechsel . Wir führen die Präsident Dr. Norbert Lammert Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe heraus und bringen sie - gesetzestechnisch - an die richtige Stelle als Leistungsrecht in das SGB IX . Auf unserem Weg haben wir viel erlebt: Zweifel, Kritik, gezielte Desinformation, auch Enttäuschung und Zorn, ebenso jedoch Zuspruch und Ermunterung. Ein anspruchsvoller politischer Prozess ist daraus geworden . Nun liegt das neue SGB IX vor uns. Es ist im Prozess noch einmal besser geworden. Wir haben noch einmal zusätzliche Finanzmittel erstritten . Darüber freue ich mich sehr . ({0}) Lassen Sie mich an drei Punkten verdeutlichen, was das Bundesteilhabegesetz ist und was wir erreicht haben: Erstens . Wir vereinfachen die Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger: ein Leistungsantrag, wo bisher viele nötig waren . Die Leistungen werden aus einer Hand erbracht . Entscheidend ist die Unterstützung für die Menschen mit Behinderung und nicht etwa, was der einzelne Träger dem anderen zu sagen hat . Das müssen diese nun untereinander klären, aber nicht mehr auf dem Rücken der Betroffenen. Das ist wirklich ein großer Fortschritt. ({1}) Der zweite wichtige Punkt ist: Bei der Eingliederungshilfe werden Einkommen und Vermögen von Ehe- und Lebenspartnern künftig nicht mehr herangezogen . Diese lebensfremde Regelung wurde von vielen schlicht als Heiratshindernis empfunden. Das schaffen wir nun ab. ({2}) Auch die Freigrenzen für eigenes Einkommen und Vermögen werden um ein Vielfaches angehoben, damit es sich lohnt, eine Arbeit aufzunehmen . Der Schonbetrag für Vermögen in der Sozialhilfe wird ebenfalls erhöht . Das ist ein wichtiges Ergebnis, das die Bundestagsfraktionen in den Verhandlungen noch erzielen konnten . Die dritte wichtige Verbesserung sind neue Chancen auf Arbeit vor allem auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt . Wir wollen mit dem Budget für Arbeit Arbeitgeber dafür gewinnen, sich für Menschen mit Behinderung zu entscheiden . Das tun noch immer zu wenige . 39 000 Unternehmen in Deutschland beschäftigen niemanden mit Behinderung . Das darf nicht so bleiben . Wir gehen nun den Weg mit dem Budget für Arbeit . Einige Bundesländer wie mein Heimatland Rheinland-Pfalz haben das schon ausprobiert. Es besteht aber für die Betroffenen die Möglichkeit, in die Werkstatt zurückzukehren, wenn es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht klappt . Wir machen daraus keine ideologische Frage. Wir schaffen vielmehr eine praktische Regelung, die den Betroffenen helfen soll, den notwendigen Mut aufzubringen, um den angeblichen Schonbereich der Werkstätten zu verlassen . ({3}) Das sind nur drei Meilensteine auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft . Ein großes Thema in der Debatte war auch die Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege. Da möchte ich mich bei den Kollegen aus dem Gesundheitsbereich bedanken, insbesondere bei Minister Gröhe; denn hierzu mussten wir viele Sachen miteinander klären . Hierzu haben auch die Länder im Bundesrat einen guten Vorschlag eingebracht . Für Menschen mit Behinderung sollte die Hilfe zur Pflege über die Eingliederungshilfe erbracht werden . Wir nennen das Lebenslagenansatz . Ich freue mich, dass das so gelungen ist . ({4}) Ich bin froh, dass die Verhandlungen diese Lösung erbracht haben . Es war nicht immer einfach, aus den vielschichtigen und - das muss ich ehrlich zugeben teilweise völlig gegensätzlichen Interessenlagen einigungsfähige Positionen zu entwickeln. Wir haben uns dafür sehr viel Zeit genommen . Über ein Jahr bevor das Gesetz überhaupt auf den Weg kam, haben wir einen Dialog mit allen Beteiligten, mit Kommunen und Ländern, geführt und Interessen abgeglichen . Es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle sagen, dass es auch Interessenkonflikte gibt und dass diese ein Stück weit bleiben werden. Dass wir in Zukunft auf dem Weg, den wir heute mit einem guten Fundament versehen, noch viele Baustellen haben werden, ist klar . Aber das schmälert nicht den großen Fortschritt, den wir heute auf den Weg bringen . ({5}) Ich möchte mich bei allen bedanken, auch bei den Kritikern, die sich in sehr deutlicher Form zu Wort gemeldet haben . Ich möchte an dieser Stelle sagen: Ich sehe das als Fortschritt an . Früher war Behinderung etwas - ich habe eine behinderte Tante -, das versteckt wurde . Die Familie hat sich dafür mehr oder weniger geschämt . Da war eine ganz andere Haltung. Wir und die Betroffenen selber haben uns langsam aus dieser Haltung herausgearbeitet . Wenn die Betroffenen sich heute laut in diesen Prozess einbringen, dann ist das doch gut . Das ist genau das, was wir wollen . Ich habe mich gelegentlich darüber geärgert, wie ich mich auch über andere ärgere . Jetzt sind wir aber auch da ein Stück weit in der ganz normalen Auseinandersetzung, und das ist auch richtig so . ({6}) Ein solches Gesetz, das wir über Jahre erarbeitet haben, macht man nicht allein . Ich möchte ausdrücklich meinem Haus, Abteilung V, danken und besonders Gabriele Lösekrug-Möller, meiner Parlamentarischen Staatssekretärin, die die Begabung hat, die mir manchmal abgeht, nämlich ausgleichend zu wirken . In diesem Sinne vielen Dank . ({7}) Auch die Beteiligungskultur in diesem Gesetzgebungsverfahren, dieser intensive Dialog, ist etwas Besonderes und, wie ich finde, Vorbildliches, was wir auch in anderen Gesetzgebungsverfahren gebrauchen können . Das wird auch weitergehen . Die neuen Regelungen der Eingliederungshilfe werden erst am 1 . Januar 2020 in Kraft treten . Die Regelungen zum leistungsberechtigten Personenkreis, die zu vielen Sorgen geführt haben, führen wir erst ab dem 1 . Januar 2023 ein . Bis dahin wollen wir miteinander erproben und gemeinsam lernen . Ich bin mir sicher, dass sich viele der jetzigen Ängste auf der Strecke, so hoffe ich, positiv auflösen werden. Da bin ich ganz zuversichtlich . Aber diese Zeit nehmen wir uns; denn wir wollen die Leute mitnehmen . Wir wollen den Menschen die Ängste nehmen . Deshalb haben wir eine längere Einleitungsphase bei diesem Gesetz . Wenn wir feststellen, dass es noch besser geht, dann müssen wir das eben machen. So geht gute Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, so kommen wir weiter bei der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen . Denn das ist es, was unser Herzensanliegen ist . Das ist heute mit einem neuen Gesetz auf einem guten Weg . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Dr . Dietmar Bartsch das Wort . ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, die Sie sich die Debatte jetzt bei Phoenix live anschauen! Frau Nahles, Sie haben eben dargelegt, welche historischen Etappen es beim Bundesteilhabegesetz gab . In besonderer Weise war natürlich die UN-Behindertenrechtskonvention ein Einschnitt, weil diese die Schaffung eines modernen Teilhaberechts für Menschen mit Behinderungen verlangt . Diese Konvention - daran will ich erinnern - ist seit 2009 geltendes Recht in Deutschland . Die Herstellung von gleichberechtigter Teilhabe am beruflichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben der Gesellschaft ist eine menschenrechtliche Verpflichtung. ({0}) Sie haben sich in Ihrem Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, ein modernes Teilhabegesetz zu schaffen, das aus dem derzeitigen Fürsorgesystem herausführt und den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht . Wir hatten an Ihrem Koalitionsvertrag extrem viel zu kritisieren, an dieser Stelle aber ausdrücklich nichts; denn das ist ein hoher Anspruch . Das ist sehr vernünftig, und wir als Linke hatten die Hoffnung gehabt, dass Sie diesen Anspruch umsetzen . Ich will auch klar und deutlich sagen: Ja, es gibt in dem Gesetz Verbesserungen . Es ist gut, dass Sie eine unabhängige Teilhabeberatung und einen Anspruch auf Assistenz für Eltern von Kindern mit Behinderungen einführen . Es ist gut, dass Sie das Entgelt in Werkstätten für behinderte Menschen erhöhen . Ja, es ist gut, dass Sie die Schwerbehindertenvertretungen und die Werkstatträte stärken und Frauenbeauftragte in Werkstätten einführen . Es ist auch gut, dass das Budget für Arbeit endlich festgeschrieben wird . Das alles ist gut . Aber, Frau Nahles, Sie haben eben davon gesprochen, dass das ein großer Schritt ist und dass es ein paar Baustellen gibt . Es gibt Großbaustellen bei dem, was Sie vorlegen . ({1}) Das Gesetz verdient den Namen Bundesteilhabegesetz nicht, weil die uneingeschränkte und gleiche gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen eben nicht erreicht wird . Von einer Herauslösung aus dem Fürsorgesystem kann nicht die Rede sein, das wäre aber der Kern eines solchen Gesetzes . ({2}) Die Unterhaltspflicht von Eltern für volljährige Kinder, die Leistungen aus der Eingliederungshilfe beziehen, soll erhalten bleiben . Sie ändern nichts an der Möglichkeit, Betroffene in Heime zu zwingen, wenn die Kosten für die Unterstützung zu Hause zu hoch sind . Sie schaffen die Möglichkeit, Menschen zu zwingen, ihre Assistenz mit anderen zu teilen, und verhindern damit eine selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe . ({3}) Auch in Zukunft wird das Einkommen und Vermögen von Menschen angerechnet, wenn sie Teilhabeleistungen erhalten, auch wenn hier Verbesserungen erreicht wurden . Auch in Zukunft werden nicht alle Menschen, die Unterstützung brauchen, diese auch bekommen . Auch in Zukunft wird es keine deutliche Verbesserung für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geben . Sie schränken die Rechte von Menschen mit Behinderung ein, und zwar aus Kostengründen, weil Sie Kosten sparen wollen . Dieses ganze Gesetz diskutieren Sie immer unter dem Substantiv „Kostendeckelung“ . Damit sparen Sie substanziell an Menschenrechten . Das ist der Kern . ({4}) - Da helfen auch die 800 Millionen Euro nichts, die Sie jetzt mehr ausgeben wollen, mit denen Sie sich rühmen . Dieses Geld verschwindet zum großen Teil im System . ({5}) Aber anstatt die Kritik der Betroffenen - darüber haben wir eben geredet - wirklich ernst zu nehmen und sie zu nutzen, haben Sie sie doch lange ignoriert . Sie haben ja sogar unterstellt, dass sich die Betroffenen von der Opposition instrumentalisieren lassen . ({6}) Danke für das Kompliment an Linke und Grüne . Aber trauen Sie uns wirklich zu, massenhaft Leute bei Wind, Wetter und Eiseskälte auf die Straße zu bringen, sie zu veranlassen, sich 22 Stunden anzuketten oder in die Spree zu springen? Das kriegen Grüne und Linke wirklich nicht hin . Nein, das Problem ist: Die Menschen gehen auf die Straße, weil sie sich betrogen fühlen, ({7}) weil Sie ihre Rechte beschneiden, weil Sie zu wenig zuhören . Das ist der Kern . ({8}) Letztlich ist es doch so, dass Sie prioritär aus Kostengründen entscheiden . Das hat eben nichts mit Menschenrechten, nichts mit Selbstbestimmung und letztlich auch nichts mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu tun . ({9}) Mit den eingebrachten Änderungsanträgen zum Gesetz, die wir heute auch diskutieren, haben die Regierungsfraktionen Union und SPD einige der Härten des Gesetzes abgemildert, und sie haben große Scherben, die Frau Nahles hinterlassen hat, jetzt eingesammelt . Es waren ja Gott sei Dank die Regierungsfraktionen, die hier noch Veränderungen erzielt haben . - Und Sie haben damit letztlich dem enormen Druck der Proteste von Betroffenen nachgegeben. Das ist doch der Kern: Außerparlamentarisches Engagement lohnt sich, das kann man an den Veränderungen sehen . ({10}) Ich kann nur feststellen, dass es selten Gesetze gegeben hat, zu denen es so viele Briefe und Stellungnahmen gab . Es ist eben kein Zufall, dass sowohl ich als Fraktionsvorsitzender als auch meine Kollegin Katrin GöringEckardt dazu reden werden . Es ist eben ein Thema, das viele, die hier auch zusehen, bewegt . ({11}) Große Verbesserungen für die jetzige Situation von Betroffenen haben aber auch die Regierungsparteien leider nicht geschaffen. Sie leisten es sich, die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu beschneiden, einfach weil es Ihnen zu teuer ist - und das in einem der reichsten Länder der Erde . Was sollen andere Länder, die sich auch an die Konvention zu halten haben, darüber denken? Was die Kosten betrifft, möchte ich festhalten, dass das letztlich eine Milchmädchenrechnung ist . Denken Sie doch auch einmal an die Kosten, die entstehen, wenn immer mehr Menschen aufgrund von Isolation und Ausgrenzung depressiv und psychisch krank werden . Sie haben im Übrigen auch einen Schaden für die Demokratie angerichtet . ({12}) Frau Nahles, warum sollte nach dem Gesetz der eine oder andere noch glauben, dass hier Vertrauen da ist? Das haben Sie letztlich gründlich vermasselt . ({13}) Eines ist festzustellen: Sie haben Ihren Koalitionsvertrag nicht realisiert . Das ist der Kern . Der Anspruch des Koalitionsvertrages wird mit diesem Gesetz nicht realisiert . Setzen Sie den um! Es muss Weiteres folgen, und zwar möglichst schnell . Eigentlich müssten Sie das Gesetz überarbeiten, damit es wirklich der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht . Eigentlich sollten Sie das in dieser Legislatur machen . Wenn nicht, müssen wir das in der nächsten angehen . Herzlichen Dank . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Bundesteilhabegesetz . Um es deutlich zu sagen: Damit setzt die Große Koalition ein weiteres wichtiges sozialpolitisches Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag um . Wir modernisieren im Sinne der Betroffenen die Behindertenpolitik, ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und setzen die UN-Behindertenrechtskonvention weiter um . Bevor ich im Detail auf den Gesetzentwurf und die Änderungen eingehe, die sich im parlamentarischen Verfahren ergeben haben, möchte ich die Möglichkeit nutzen, um auf einige grundsätzliche Dinge in der Behindertenpolitik hinzuweisen . Es ist guter parlamentarischer Brauch über alle Parteigrenzen hinweg, dass die Debatten über die Behindertenpolitik nicht dazu genutzt werden, Lebenssituationen zu skandalisieren . ({0}) Vielmehr sollten die Gemeinsamkeiten betont werden: Alle in diesem Haus - alle - wollen, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft sind . ({1}) Seit 2009 bin ich Sprecher der Union für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik . Selten habe ich erlebt, dass ein Gesetzgebungsverfahren derart intensiv durch Zuschriften, Anrufe, Stellungnahmen und kritische Äußerungen begleitet wurde . Ich halte dies für ein gutes Zeichen, zeigt es doch, mit welchem Selbstverständnis sich Menschen mit Behinderung für ihre Interessen einsetzen und sie gegenüber der Politik vertreten. ({2}) Im parlamentarischen Verfahren konnten viele, aber nicht alle Forderungen voll umgesetzt werden . Es war unsere Aufgabe als Politik, die divergierenden Interessen zum Ausgleich zu bringen und sie zu einem Gesetz zusammenzuführen . Dies war mühsam; ich bin aber sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind . Das Bundesteilhabegesetz wird nicht das letzte Gesetz sein . Wir werden auch in Zukunft weiter Stück für Stück wie bei den anderen Solzialgesetzbüchern auch an Verbesserungen für die Menschen arbeiten . Mein Dank gilt ausdrücklich der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Lösekrug-Möller für die von der Ministerin bereits gewürdigte moderierende, ausgleichende und auf eine gemeinsame Zielrichtung hin ausgerichtete Arbeit . ({3}) Mein Dank gilt auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarbeitsministeriums, ausdrücklich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros . ({4}) Meine Damen und Herren, wer ist eigentlich von den zu beschließenden Neuregelungen betroffen? In Deutschland leben etwa 7,5 Millionen Menschen mit Behinderungen; 700 000 beziehen Eingliederungshilfe . Die Lebenssituation der Menschen ist höchst unterschiedlich; es ist keine homogene Gruppe . Die Menschen sind unterschiedlich betroffen, und sie alle hatten ihre Erwartungen an dieses Gesetz . Mit dem Bundesteilhabegesetz führen wir die Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe heraus und integrieren sie in das Neunte Buch Sozialgesetzbuch . Damit gehen Verbesserungen für die knapp 700 000 Leistungsberechtigten einher . Entgegen vielen Befürchtungen wird der Zugang zur Eingliederungshilfe nicht eingeschränkt . Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er nicht ausgeweitet werden soll . Es bleibt daher zunächst bei der geltenden Rechtslage . Bis 2023 werden neue Zugangskriterien konkretisiert . Hierauf haben wir uns in der Koalition verständigt . Zudem wird es deutliche Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen für diejenigen geben, die arbeiten . Ab 2020 wird das Einkommen bis 30 000 Euro frei sein . Wer mehr verdient, leistet einen Eigenbeitrag zu seinen Fachleistungen . Das Vermögen wird bis zu 50 000 Euro anrechnungsfrei bleiben . Damit ist ein wichtiges Anliegen der Union umgesetzt: ({5}) Wir wollten nämlich, dass dieses Mitanrechnen des Einkommens des Partners beendet wird; denn es war faktisch ein Heiratsverbot . ({6}) Mit dem Gesetz eröffnen wir den Leistungsberechtigten mehr Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt . Wer aus der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln möchte, kann zukünftig bundesweit vom Budget für Arbeit profitieren. Dabei erhalten Arbeitgeber unbefristet einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent. Für die rund 300 000 Beschäftigten in den Werkstätten verdoppeln wir das Arbeitsförderungsgeld auf zukünftig 52 Euro . Zudem wird der Vermögensfreibetrag für Menschen, die nicht erwerbsfähig sind und Leistungen der Sozialhilfe beziehen, von derzeit 2 600 Euro auf 5 000 Euro angehoben. Hiervon profitieren zum Beispiel Bezieher der Blindenhilfe, aber auch alle anderen Bezieher von Sozialhilfe . Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich dem Bundesfinanzminister und den Haushaltspolitikern, die uns in diesem Anliegen mit zusätzlichem Geld unterstützt haben; sonst wäre das nicht möglich gewesen . ({7}) Meine Damen und Herren, wir haben auch die Situation von Schwerbehinderten in Betrieben im Blick . Wir werden die Anhörungsrechte und damit auch die Rolle der Schwerbehindertenvertreter insgesamt stärken . Neben der Teilhabe am Arbeitsleben hat das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderungen im parlamentarischen Verfahren eine wichtige Rolle gespielt . Wir haben die vorgetragenen Sorgen und die Wünsche mit Blick auf ihre Rechte sehr ernst genommen . Im Rahmen der Angemessenheit und Zumutbarkeit soll jeder entscheiden können, wie bzw . mit wem er leben möchte . Die entsprechenden Regelungen haben wir deutlich geschärft . Es war der Union wichtig, dass außerhalb stationärer Einrichtungen den Wünschen der Betroffenen bei der gemeinsamen Inanspruchnahme von Assistenzleistungen besondere Bedeutung beigemessen wird . ({8}) Gemeint sind solche Assistenzleistungen, die die unmittelbare Privatsphäre der Berechtigten betreffen. Meine Damen und Herren, ich danke an dieser Stelle auch dem Bundesgesundheitsminister sehr herzlich . Er hat bei der sehr komplizierten Frage der Verbindung von Eingliederungshilfe und neuem Pflegestärkungsgesetz mit dem neuen Pflegebegriff sehr konstruktiv mitgewirkt. Ohne ihn wäre dieses Gesetz nicht möglich gewesen . In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat der Autor das Bundesteilhabegesetz mit der Elbphilharmonie in Hamburg verglichen. Beide Projekte seien wesentlich teurer als zunächst geplant . ({9}) Ich empfinde dies - anders, als es der Autor gemeint hat als Kompliment . Ja, die zusätzlichen Leistungen kosten Geld - keine Frage . Aber wir tun das für die Menschen mit Behinderungen und für die Betroffenen. Die Elbphilharmonie ist bereits jetzt, kurz nach der Fertigstellung, zu einem Wahrzeichen Hamburgs mit Strahlkraft über Deutschland hinaus geworden . Im Sinne der Betroffenen wäre ich froh, wenn sie in ein paar Jahren, wenn das Gesetz richtig greift, ähnlich positiv über das Gesetz sprechen würden . Am Ende zählt das Ergebnis, und da können wir sehr zufrieden sein . Herzlichen Dank . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Katrin Göring-Eckardt .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was war die Aufgabe? Die Aufgabe war die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention . Und dabei verhält es sich ungefähr so, als ob die Aufgabe gewesen wäre, ein Haus zu bauen, und am Ende ist es nur eine Garage geworden. Aber alle loben sich dafür, dass sie das geschafft haben . ({0}) Die Behindertenrechtskonvention wird erst noch umgesetzt werden müssen . Frau Nahles, bei vielen behinderten Menschen war mit diesem Gesetzentwurf die Erwartung verbunden, dass sich in ihrem Leben im Sinne der Behindertenrechtskonvention wirklich etwas verbessert . Diese Erwartung haben Sie übrigens auch geschürt und vorangetrieben, weil Sie so viele beteiligt haben . Umso größer war dann die Enttäuschung, dass genau das nicht gelungen ist, sondern höchstens kleine Schritte in diese Richtung gegangen worden sind, ({1}) kleine Schritte in Richtung Teilhabe, die für uns alle ganz selbstverständlich ist, die wir alle ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen . Meine Damen und Herren, dieses Gesetz sagt noch nichts aus über mehr Autonomie, sagt noch nichts aus über mehr Selbstbestimmung und sagt noch nichts aus über ein freieres Leben . Deswegen ist es höchstens ein erster Schritt . ({2}) Was Sie ursprünglich als Vorschlag der Bundesregierung präsentiert haben, war sogar das Gegenteil . Um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, sind Menschen mit Behinderungen in die Spree gesprungen . Sie haben vor dem Brandenburger Tor und anderswo protestiert und demonstriert . Warum? Weil ihnen das Leben mit Ihrem ursprünglichen Entwurf nicht leichter, sondern schwerer gemacht worden wäre - frei nach dem Motto: Wir wissen schon, was gut für euch ist . - Das ist aber genau das Gegenteil von Selbstbestimmung . ({3}) Leben im Heim gegen den Willen der Gehandicapten, das Poolen von Leistungen, die Absage an Teilhabe in der Freizeit - das alles waren feste Bestandteile Ihres Entwurfes, den Sie als Verbesserung feiern wollten . Ich kann es nicht verstehen, und ich werde es nicht verstehen, wie Sie mit dieser Haltung an dieses Gesetz herangehen konnten .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Göring-Eckhardt, darf ich Sie kurz unterbrechen? - Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolff?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gern .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Kollegin Wolff.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Göring-Eckardt . - Sind Sie bereit, anzuerkennen - und damit Ihre Aussage zurückzunehmen -, dass wir mit dem Gesetzentwurf etwas für die betroffenen Menschen getan haben? Es ist so, wie die Frau Ministerin gesagt hat: Schon ein Jahr nachdem diese Koalition ins Arbeiten kam, haben wir einen ganz breiten Beteiligungsprozess ({0}) mit Betroffenen, Verbänden, Kommunen, ({1}) mit allen begonnen, das heißt miteinander und nicht übereinander geredet . Lassen Sie mich die Anmerkung noch machen: Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass die Opposition sich hier an irgendwelchen ursprünglichen Referentenentwürfen abarbeitet, ({2}) anstatt anzuerkennen, dass Parlament und Ministerium hier in einzigartiger Weise zusammengearbeitet haben . ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Wolff, nein, ich habe mich nicht an Referentenentwürfen abgearbeitet, sondern ich habe mich gerade abgearbeitet, wenn Sie das so ausdrücken wollen, an dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung, Ihre Bundesregierung, hier eingebracht hat . ({0}) In diesem Gesetzentwurf, Frau Wolff, steht alles das, was ich gerade gesagt habe . ({1}) Ein Punkt ärgert mich wirklich. Ich kann es nicht verstehen, wieso Sozialdemokraten Menschen zwingen wollen, im Heim zu wohnen . Ich kann das nicht verstehen, weil „selbstbestimmt“ anders aussieht . ({2}) - Ich bin noch nicht fertig . - Ich will ausdrücklich etwas anerkennen . Ich habe das gerade auch getan . Wenn Sie zugehört hätten und nicht so selbstgerecht gewesen wären, ({3}) dann wäre Ihnen das klar geworden . Ich wollte Ihren Beteiligungsprozess ausdrücklich anerkennen . Der Beteiligungsprozess war lang, und er war ausführlich . Ich fand es gut, dass Sie ihn gemacht haben . Es war ausdrücklich gut . Die Frage ist nur: Was ist dabei eigentlich herausgekommen? Die Menschen, die nach diesem Beteiligungsprozess demonstriert haben, haben doch deswegen demonstriert, weil sie darüber enttäuscht gewesen sind, dass keine der vernünftigen Forderungen, die sie in all diesen Runden, in all diesen Gesprächen auf die Tagesordnung gebracht haben, auch umgesetzt worden ist . ({4}) Beteiligung ist doch nicht eine Beschäftigungsveranstaltung, sondern Beteiligung heißt, dass wirklich etwas dabei herauskommt, Frau Wolff, und genau darum geht es doch . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie sind so gut in Fahrt: Gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage der Kollegin Kerstin Tack?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gern .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben sich über - angebliche Zwangsmaßnahmen geäußert, die Sie aus dem Gesetz herausgelesen haben . Würden Sie uns bitte im Detail erläutern, was Sie mit „Zwangsmaßnahmen“ meinen? Würden Sie auch erläutern, was das aus Ihrer Sicht - als Veränderung gegenüber dem heute geltenden Gesetz auslösen soll? Würden Sie das bitte noch einmal im Detail erklären? Was meinen Sie, wenn Sie von „Zwangsmaßnahmen“ reden? Bitte sagen Sie uns, wie aus Ihrer Sicht die heutige Praxis ist und wo die Verschärfung ist, die der Gesetzgeber vornimmt .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hätte das in meiner Rede noch gesagt, aber so spare ich ein bisschen Redezeit; das ist auch gut . Worum geht es denn? - Ich wäre noch zu den Verbesserungen gekommen . Das mache ich gern noch . ({0}) - Jetzt habe ich mehr Redezeit . Das ist doch super . Genau . - Es geht darum, dass Leistungen gepoolt werden müssen, dass man sich mit anderen absprechen muss, ({1}) dass man nicht selber entscheiden kann, welche Leistungen man in Anspruch nimmt, und es geht um die Tatsache - das sage ich noch einmal ausdrücklich -, dass Sie dafür sorgen wollen, dass es immer einen Kostenvorbehalt beim Umzug ins Heim gibt . Das ist so geblieben . Ich will Ihnen einen Fall erzählen . Eine Frau, die uns geschrieben hat, Marita, mit 18 Jahren querschnittsgelähmt, wurde sehr lange - das ist übrigens etwas ganz Typisches - von ihrer Mutter betreut . Dann konnte die Mutter diese Betreuung nicht mehr leisten . Daraufhin hat sich Marita überlegt: Wie mache ich es jetzt, dass ich weiter am Leben teilhaben kann? - Was hat sie gemacht? Sie ist in eine andere Stadt gezogen, dorthin, wo sie Freunde hat, wo sie Bekannte hat, wo sie andere Verwandte hat . Dort konnte sie eine ganze Weile weiter am Leben teilhaben . Was passierte dann? Dann kam der Kostenträger und hat gesagt: Es wäre zwar jetzt subjektiv hart für sie, ({2}) Waltraud Wolff ({3}) aber bedauerlicherweise müsse man ihr jetzt sagen, dass die Kosten nicht mehr tragbar sind und dass sie deswegen bitte schön in ein Heim zieht . ({4}) Deswegen sage ich Ihnen: Genau das ist altes Recht . Genau das verändern Sie mit diesem Gesetz nicht . ({5}) Deswegen bedauere ich es besonders, dass es nicht gelungen ist, diese Verbesserung hinzubekommen, meine Damen und Herren . ({6}) Insofern sage ich Ihnen: Hier sind wir noch lange nicht bei einer echten Umsetzung der Behindertenrechtskonvention . Aber ich will jetzt gerne über die Verbesserungen reden; darauf warten Sie ja schon . Ich bin sehr froh, dass es in dem Prozess gelungen ist - unter Beteiligung der Länder, auch unserer Beteiligung -, dass zum Beispiel Menschen mit Sinnesbehinderungen jetzt wieder Leistungen erhalten können . Das muss man sich einmal vorstellen: Menschen, die zum Beispiel blind oder taub sind, konnten nach Ihrem ursprünglichen Vorschlag die Leistungen nicht mehr bekommen . Das ist immer noch nicht gut. Julia Probst, die vielleicht besser bekannt ist als „@EinAugenschmaus“, hat heute Morgen gesagt: In Zukunft entscheidet eine Sachbearbeiterin darüber, ob ich teilhaben kann. - Liebe Julia Probst, Sie haben es auf den Punkt gebracht. Ich sage in Gebärdensprache: Danke für diese klare Aussage . Die Verbesserungen, die wir in diesem Prozess hinbekommen haben, haben auch damit zu tun, dass es da draußen eine engagierte Community gibt, dass es Leute gibt, die nicht aufgehört haben, uns vorzuleben, was für sie Selbstbestimmung bedeutet . Die Initiative „Nicht mein Gesetz“ oder Raul Krauthausens Heimexperiment können Sie sich einmal anschauen . Er hat sich einmal einweisen lassen und war, undercover, fünf Tage in einem Pflegeheim. Da gibt es keine Intimsphäre mehr. Da kann man als selbstbestimmter erwachsener Mensch nicht sagen: Ich will essen, wenn ich essen kann . Deswegen sage ich Ihnen: Wir sind bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention noch lange nicht da, wo wir hin müssen . ({7}) Selbstbestimmung sieht anders aus . Ich will noch einen Punkt hinzufügen, den Sie ja erlebt haben, nämlich das bürgerschaftliche Engagement . ({8}) Ihr Beteiligungsprozess hat gezeigt, dass viele Menschen mit Handicap bereit sind, sich in die Gesellschaft einzubringen, und zwar nicht nur, wenn es, wie in diesem Fall, um ihre eigenen Interessen geht . Nach Ihrem Gesetz werden sie zukünftig eben genau dafür keine Unterstützung und Assistenz bekommen, sondern sie müssen Freunde und Verwandte fragen . Jetzt stellen wir uns das einmal in unserem Alltag vor . Wenn ich mich ehrenamtlich zum Beispiel im Fußballverein engagieren will, dann muss ich immer jemanden finden, der mich hinfährt. Das macht man mit Kindern - ganz aufopferungsvoll - eine ganze Weile . Aber natürlich werden Menschen mit Behinderungen das nicht dauernd von ihren Freunden und Bekannten einfordern können . Es ist falsch, es ist grundfalsch für die Demokratie, dass wir sagen: Diese Gruppe ist uns nicht so wichtig . Die wollen wir aus dem bürgerschaftlichen Engagement ausschließen . ({9}) Auch deswegen sage ich Ihnen: Dieses Gesetz ist ein Anfang . Mehr nicht . ({10}) Unsere Vorstellungen bleiben anders . Trotzdem bin ich über die Verbesserungen froh . Das will ich ausdrücklich sagen . Ich danke Ihnen als Koalitionsfraktionen dafür, dass Sie diese Beratungen ernsthaft weitergeführt und den Gesetzentwurf verändert haben . ({11}) Deswegen sage ich Ihnen auch: Wir haben es geschafft, deutliche substanzielle Verbesserungen hinzubekommen . Deswegen werden wir in den Bundesländern, in denen wir die Möglichkeit dazu haben, alle Spielräume dieses Gesetzes ausschöpfen . Das wird so sein . Aber wir werden vor allem die weitere Umsetzung und Durchsetzung der Behindertenrechtskonvention in unserem Land weiter auf die Tagesordnung setzen . Die Menschen, die selbstverständlich Teilhabe verdient haben, haben unser Engagement verdient . Sie haben verdient, dass wir ihnen sagen: Ihr seid selbstbestimmt, nicht wir wissen, was gut für euch ist . Sie haben verdient, dass sie selbstverständlich gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sind . Vielen Dank . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Katja Mast . ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute werden wir mit dem Bundesteilhabegesetz die größte Sozialreform seit Inkrafttreten des SGB IX vor 15 Jahren verabschieden . Ich will zu meiner Vorrednerin, Frau Göring-Eckardt, zwei Dinge sagen. Erstens finde ich es unredlich, wenn Sie den Hauptteil Ihrer Redezeit darauf verwenden, wie das bestehende Gesetz die Dinge regelt, und nicht darauf eingehen, was wir an Verbesserungen auf den Weg bringen oder was für ein Gesetz wir heute überhaupt verabschieden . ({0}) Zweitens will ich Ihren Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg zitieren, der eine Politik der Beteiligung macht ({1}) und der immer wieder Wert darauf legt, dass es eine „Politik des Gehörtwerdens“, aber nicht des Erhörtwerdens ist . ({2}) Und Sie suggerieren: Wenn man mit Menschen spricht, übernimmt man automatisch ihre Interessen . - Das ist falsch; das tut der Demokratie nicht gut, und das tut uns allen hier nicht gut . ({3}) Das Bundesteilhabegesetz ist ein kompliziertes Gesetz; es ist kein einfaches Gesetz. Und, ja, es betrifft das Leben vieler Menschen mit Behinderung und ihrer Familien . Wir machen ihr Leben besser . Wir sorgen für einen Perspektivwechsel, weg vom Fürsorgesystem der Sozialhilfe, hin zum Teilhabesystem mit Nachsorgeausgleich im SGB IX . Das wollen wir als Koalition gemeinsam . ({4}) Ich will etwas zu Dietmar Bartsch sagen, der hier als Fraktionsvorsitzender geredet hat, aber leider gehen musste, was ich wirklich bedauere . Wer austeilt, muss auch bis zum Schluss zuhören . Nur dann nimmt man die Menschen mit Behinderung ernst . ({5}) Ich will sagen: Dieses Gesetz ist kein Spargesetz . Wir nehmen 800 Millionen Euro Jahr für Jahr in die Hand, um das Leben der Menschen mit Behinderung und ihrer Familien zu verbessern . ({6}) Da verschwindet, anders als Dietmar Bartsch suggeriert hat, kein Euro im System, sondern wir sorgen für echte Verbesserungen . ({7}) Ich möchte gern anhand dreier Punkte diese Verbesserungen darstellen: Erstens . Wir führen das Budget für Arbeit ein; Andrea Nahles hat dazu alles ausgeführt . Das hilft den Menschen in den Werkstätten beim Schritt in den ersten Arbeitsmarkt . ({8}) Sie können in den Schutz zurückkehren, wenn es nicht klappt . Zweitens . Teilhabe an Bildung ist mir besonders wichtig, weil sie Aufstieg bedeutet, auch für die Menschen mit Behinderung . Wir regeln künftig den Übergang auf die weiterführende Schule, wir regeln, dass nach dem Bachelor der Masterstudiengang folgen kann, und wir regeln berufliche Weiterbildungen für Menschen mit Behinderung . In Zeiten der Digitalisierung ist das nicht trivial, Kolleginnen und Kollegen . ({9}) Drittens . Dadurch, dass mehr vom Einkommen und Vermögen behalten werden kann, aber vor allen Dingen, weil das Partnereinkommen nicht mehr bei den Leistungen angerechnet werden kann, ({10}) können Menschen mit Behinderung ohne Zwang heiraten, und das ist gut für sie . ({11}) Ich will noch einmal betonen: Niemand will mit diesem Gesetz Leistungseinschränkungen oder -ausdehnungen erreichen - niemand in diesem Haus, niemand in der Koalition . Wir haben gemeinsam beschlossen, auf die große Kritik einzugehen: Die einen, diejenigen, die die Eingliederungshilfe bezahlen müssen, sagten, das Gesetz führe zu einer Leistungsausdehnung; die anderen, die Menschen mit Behinderung, sagten, es handele sich um eine Leistungseinschränkung . Deshalb haben wir gesagt: Wir nehmen den § 99 noch einmal mutig in die Hand und werden dafür sorgen, dass die neuen Zugangskriterien bei der Eingliederungshilfe nach einer Überprüfung erst 2023 in Kraft treten, und diese neuen Zugangskriterien müssen noch einmal durch Bundestag und Bundesrat . Auch das war den Bundesländern wichtig . Ich glaube, es ist ein wichtiges Zeichen für alle Beteiligten, dass wir beim Zugang zur Eingliederungshilfe - gut Ding will Weile haben - Ruhe hineinbringen . ({12}) Zum Schluss kommend, will ich sagen: Ich finde es gut, dass sich die Menschen mit Behinderung im Prozess zum Bundesteilhabegesetz zu Beteiligten und Akteuren in der Politik weiterentwickelt haben. Es war gut, dass wir gespürt haben, sie wollen bestimmte Dinge nicht; es war gut, dass sie ihre Interessen vertreten haben . Sie sind mitten in der Gesellschaft; da gehören sie hin . Aber es ist auch gut, dass wir mit unseren Änderungsanträgen dokumentieren: Parlamentarismus, Demokratie und Föderalismus funktionieren. Wir nehmen nicht nur die Punkte der Menschen mit Behinderung auf, sondern auch all das, was wir von den Experten in den Anhörungen im Prozess gemeinsam gelernt haben . Ich will sagen: Es war ein guKatja Mast ter Prozess zwischen den Koalitionsfraktionen, in dem es gelungen ist, zehn Monate vor einer Bundestagswahl 68 substanzielle Änderungsanträge zusammen hinzubekommen . Das ist nicht trivial, das ist eine Riesenleistung in unserer Demokratie . ({13}) Ich bin allen Beteiligten, allen Abgeordneten, Andrea Nahles und Gabriele Lösekrug-Möller dankbar für diesen hervorragenden Prozess. Ich will auch sagen: Ich bin den Bundesländern dankbar dafür, dass sie den Prozess gut begleitet haben . Das brauchen wir .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Und ich wäre jetzt dankbar, wenn Sie zum Schluss kommen, Frau Kollegin Mast .

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Denn die Menschen mit Behinderung gehören mitten in unsere Gesellschaft . Dieses Gesetz verbessert ihr Leben substanziell . Dieses Gesetz ist nicht nur ein Meilenstein . Mit diesem Gesetz legen wir viele Meilensteine in Richtung Teilhabe mitten in der Gesellschaft . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin!

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächste Rednerin ist Katrin Werner, Fraktion Die Linke . ({0})

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht vorab, Frau Mast: Dietmar Bartsch hat geredet - und ich bin ihm dankbar dafür -, und auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen hat geredet . Sie haben so noch einmal die Wichtigkeit dieser Debatte betont . ({0}) - Er hat sich persönlich entschuldigt . Er musste zu einem Treffen mit dem Netzwerk Kinderarmut. Das ist auch ein wichtiges Thema . ({1}) Kommen wir zur Debatte . Die Verbesserungen im Gesetz wurden von beiden Oppositionsfraktionen erwähnt . Sie legen in einem Großteil Ihrer jetzigen Redebeiträgen wie wahrscheinlich auch in Ihren zukünftigen Redebeiträgen das Augenmerk auf diese Verbesserungen, nämlich auf die 68 Änderungsanträge, durch die der schlechte Entwurf aus dem Ministerium Nahles verbessert wurde . Dazu sage ich: Die Verbesserungen wurden aufgrund des Protestes von betroffenen Menschen mit Behinderungen, von Verbänden und Organisationen angegangen . Ich möchte den Menschen, die sich eingesetzt haben, ganz klar Danke sagen; der Protest wurde ja erwähnt. ({2}) Lassen Sie mich, damit Sie es verstehen, einfach etwas zum Kern der Debatte sagen . Sie haben versprochen, ein Bundesteilhabegesetz auf den Tisch zu legen, das im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention geschrieben wird . Aber die Grundvoraussetzung dafür wäre, dass man sich erst einmal mit dem Begriff „Behinderung“ auseinandersetzt. Aber dieser Begriff aus der UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht vollumfänglich übernommen worden . Ich kann Ihnen dazu eine Lektüre empfehlen, und zwar die Stellungnahme der Monitoringstelle vom Deutschen Institut für Menschenrechte, in der ganz klar kritisiert wird, dass Sie eben nicht den kompletten Begriff übernehmen. Bei ihnen fehlen die Worte „volle“ und „wirksame“ Teilhabe . Die sind aber entscheidend . Wenn Sie den Begriff komplett übernehmen würden, dann würden Sie in § 104 - es gab hierzu einen entsprechenden Änderungsantrag - nicht immer noch von „Zumutbarkeit“ und von „prüfen“ reden . Da geht es nämlich genau um die Wahlfreiheit, um die Angst, ins Heim abgeschoben zu werden, und die gibt es heute schon . Herr Schiewerling, auf der Pressekonferenz am Montag wussten Sie noch nicht von dem Fall aus Freiburg . Es ist momentan nicht nur ein Mensch in Freiburg davon betroffen, in ein Heim abgeschoben zu werden, sondern es sind mehr als zehn Personen, die sich regelmäßig treffen . Sie sind aktuell von der Abschiebung in ein Heim betroffen, weil laut Amt die Übernahme der Kosten für das Wohnen zu Hause nicht zumutbar ist . Ein Mann soll im Februar abgeschoben werden, und dieser Mensch fängt an, zu hungern . Er selber sagt: Er wird sich zu Tode hungern, wenn er ins Heim gehen muss . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern Sie so etwas nicht . Wenn Sie es geändert hätten, dann gäbe es ein Vetorecht. Die SPD hätte für dieses Vetorecht kämpfen müssen . ({3}) Aber es gibt keine Änderung, und genau darum haben die Menschen Angst . Zu einem weiteren Änderungsantrag .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Werner, ich stoppe gerade Ihre Redezeit . Gestatten Sie, dass die Kollegin Tack Sie etwas fragt?

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Tack hat noch ihren Redebeitrag .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gut, dann sind Sie weiter dran . - Bitte schön .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie hätten bei den Assistenzleistungen, wo es um das Selbstbestimmte geht, weitere Änderungen vornehmen sollen . Sie nehmen das Zwangspooling zwar an ein oder zwei Stellen heraus, und zwar im sozialen, im persönlichen, im privaten Bereich - dabei geht es darum, dass man mit Freunden weggehen kann - und im Bereich der kompletten persönlichen Lebensplanung; Sie können aber weiter zwangspoolen im kulturellen und hauswirtschaftlichen Bereich . Was ist der kulturelle Bereich? Ist das der Theaterbesuch? Ist das der Kinobesuch? Was ist das? Wer stellt das gegenüber? Das Amt entscheidet . Und was sind hauswirtschaftliche Tätigkeiten? Dabei geht es um genau das, was im persönlichen Umfeld gewährleistet werden muss . In diesen Bereichen gibt es weiter Einschränkungen . Diese Einschränkungen sind, ganz ehrlich gesagt, Blödsinn . Übermorgen ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung . Ich hätte mir gewünscht - das wäre ein Geschenk gewesen -, dass Sie die Menschenrechte umgesetzt hätten, dass Sie Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt hätten . Mit dieser Vorlage tun Sie genau das aber nicht . Herr Schiewerling, die CDU war einmal ganz mutig, und zwar 1973, als die sie forderte, die Leistungen „unabhängig von Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Betroffenen und ihrer Familien zu gewähren“. Wenn Sie das in diese Vorlage geschrieben hätten, wären Sie mutig gewesen . ({0}) Insofern bleibe ich bei dem Schlusssatz meiner letzten Rede . Danke . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Jetzt ist er also fertig, der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes . Er hat für heftige Diskussionen gesorgt und sorgt offenbar immer noch dafür . Er hat für manchen Ärger gesorgt, für viel Briefverkehr, für viel Arbeit . Er hat einen ziemlich sperrigen und nicht besonders eleganten Namen, aber das ist bei Gesetzen ja öfter so . Er ist kompliziert und sehr umfangreich . Aber jetzt steht er zur Verabschiedung an, und ich sage aus voller Überzeugung: Das Bundesteilhabegesetz ist ein gutes Gesetz . ({0}) Ich finde interessant, was in den vergangenen Monaten deutlich geworden ist . Frau Kollegin Göring-Eckardt, weil Sie einiges angeprangert haben, möchte ich ein paar Beispiele nennen, die den Unterschied zwischen Ihren Reden und Ihrem Handeln zeigen: Im Bundesrat hat der Freistaat Bayern einen Antrag gestellt, Assistenzleistungen generell von der Zustimmung des Betroffenen abhängig zu machen . Der Antrag wurde abgelehnt mit den Stimmen von sieben Ländern . In sechs dieser sieben Länder regieren die Grünen mit . ({1}) Der Freistaat Bayern hat im Bundesrat einen Antrag gestellt, einen zeitlichen Horizont für die völlige Freistellung von Einkommen und Vermögen zu erstellen . Der Antrag wurde mit den Stimmen von sieben Bundesländern abgelehnt . In sechs dieser sieben Bundesländer regieren die Grünen mit . ({2}) So viel zu Ihrem Handeln, zu Ihrem Tun . Ihre konstruktiven Beiträge im Gesetzgebungsverfahren zu diesem Bundesteilhabegesetz waren überschaubar . ({3}) Aber viele haben sehr konstruktiv mitgewirkt . Bei denen möchte ich mich heute als Berichterstatterin der Unionsfraktion ausdrücklich bedanken . Ich möchte mich bedanken bei allen Kollegen und Mitarbeitern aus dem Bundestag, aus meiner Landesgruppe, aus der Unionsfraktion und aus der SPD. Ich möchte mich beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales bedanken: Das war ein wahrer Kraftakt! Ich möchte mich bei den vielen Verbänden bedanken, die sich konstruktiv in dieses Verfahren eingebracht haben, und bei vielen einzelnen Betroffenen, die uns rückgemeldet haben, wo es hakt. Ich habe schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs meine Bedenken zum Ausdruck gebracht . Die 68 Änderungsanträge, die wir erarbeitet haben, begegnen nicht nur meinen Bedenken, sondern auch vielen Befürchtungen und Ängsten von Betroffenen. Da war zum einen die viel diskutierte Fünf-aus-neun-Regelung . Sie hat große Ängste ausgelöst, dass manche Menschen keinen Zugang zur Eingliederungshilfe mehr erhalten . Ich habe schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs gesagt: Auch in Zukunft muss jeder, der Eingliederungshilfe braucht, diese Eingliederungshilfe auch bekommen . Das wird auch der Fall sein . Wir haben die umstrittene Fünf-aus-neun- oder Drei-aus-neun-Regelung aus dem Gesetzentwurf genommen - das war auch mir persönlich ein wichtiges Anliegen -, nicht, weil wir wissen, dass sie garantiert nicht funktioniert, sondern weil das Misstrauen so groß war . Wir bleiben jetzt erst einmal bei der alten Definition und lassen eine neue Definition erarbeiten. Dafür haben wir Zeit bis 2023 . Das ist gut so . Wir haben bei der Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege nachjustiert. Das ist ein zweiter ganz wichtiger Punkt. Viele Menschen hatten Angst, in Zukunft nur noch Pflegeleistungen zu bekommen . Das war ausdrücklich nicht die Absicht des Gesetzgebers . Wir bleiben bei der heutigen Regelung des Gleichrangs . Das ist gesetzgeberisch etwas unbefriedigend, weil wir die Probleme im Bereich der Schnittstelle nicht lösen, aber wir kommen damit einer Kernforderung der Verbände nach . Wir haben uns Gedanken über den Pflegekostendeckel in § 43a SGB XI gemacht . Wir stellen sicher, dass es keine Ausweitung auf ambulante Wohnformen geben wird . Wir halten also den Status quo . Es wird aber Aufgabe des neuen Parlaments sein, sich darüber Gedanken zu machen, ob dieser Paragraf heute noch seine Berechtigung hat . Ich persönlich meine, er hat es nicht . Die Schnittstelle der Eingliederungshilfe zur Hilfe zur Pflege haben wir behandelt und einen Vorschlag aus dem Bundesrat aufgegriffen: das Lebenslagenmodell. Kommt also die Hilfe zur Pflege mit der Eingliederungshilfe zusammen, dann profitieren die Menschen, bei denen die Behinderung bis zur Regelaltersgrenze eintritt, von den neuen Anrechnungsmodalitäten . Das ist ein guter Fortschritt . Ich hatte bereits in der ersten Lesung hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen und Vermögen betont, wie sehr all jene von diesem Gesetz profitieren, die trotz Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt ganz ordentlich verdienen . Diese Verbesserungen sind sehr groß . Mir persönlich war es immer ein Anliegen, dass diejenigen profitieren, die in Werkstätten beschäftigt sind, die nicht komplett für sich selbst sorgen können . Das halte ich für einen der größten Erfolge dieses Gesetzes . Wir verdoppeln das Arbeitsförderungsgeld für die rund 300 000 Werkstattbeschäftigten in Deutschland, und wir verdoppeln den Schonbetrag für Empfänger von Grundsicherung nach dem SGB XII . Wir haben beim Wunsch- und Wahlrecht nachjustiert . Wenn es um sehr private Bereiche geht, dürfen Leistungen nur noch mit der Zustimmung des Betroffenen gepoolt werden . Wer außerhalb stationärer Einrichtungen wohnen will, der wird in seinen Rechten maßgeblich gestärkt . Der CSU und auch mir persönlich war es ein Bedürfnis, dass die besonders Schutzbedürftigen auch künftig über einen Barbetrag verfügen . Das wird mit diesem Gesetz sichergestellt . Ich meine, dass dieser Gesetzgebungsprozess manche in die Wirklichkeit zurückgeholt hat . Manche hatten sich ja zu Beginn der Debatte eine Revolution auf die Fahnen geschrieben . Heftig wurde aus der Opposition gegen die Sonderwelten der Werkstätten gewettert . Mitunter wurde deren Abschaffung gefordert. Solche Kritik gab es auch von den Grünen . Ich bin froh, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man Menschen mit Ideologien nicht helfen kann, dass Inklusion keine Revolution, sondern ein Prozess ist und dass es immer auch Menschen gibt und geben wird, die Schutzräume brauchen und unserer Fürsorge bedürfen . ({4}) Wir haben mit dem Bundesteilhabegesetz ein gutes Gesetz geschaffen, weil es der Individualität der Menschen gerecht wird, weil es denen mehr Selbstbestimmung gibt, die mehr Selbstbestimmung brauchen, und weil es denen Schutz gewährt, die Schutz brauchen . Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die in den vergangenen Monaten nicht konstruktiv diskutiert und protestiert haben, sondern all ihre Energie darauf verwandt haben, Angst und Aggression zu schüren - ich spreche Sie von den Linken hier ausdrücklich an -, ({5}) diesen Schaden wieder in Ordnung bringen . Ich würde mir wünschen, dass die Einrichtungen und Sozialverwaltungen manche Beharrungstendenzen überwinden und dieses Gesetz beherzt aufgreifen und umsetzen . Ich würde mir wünschen, dass die Politik den Weg weitergeht, jeden Menschen mit oder ohne Behinderung den Platz finden zu lassen, den er für sich finden will. Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Corinna Rüffer das Wort.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schiewerling, ich muss kurz auf das eingehen, was Sie ganz am Anfang Ihrer Rede gesagt haben . Sie haben gesagt, man solle die Lebenssituation von Menschen nicht skandalisieren . Dazu sage ich Ihnen erstens: Dieses Parlament ist keine kritikfreie Zone . Zweitens muss ich sagen: Wenn Lebenssituationen ein Skandal sind, dann muss man das auch in diesem Parlament benennen dürfen; denn sonst haben wir grundsätzlich ein Problem. ({0}) Ich möchte Ihnen sagen, was behinderte Menschen zu diesem Gesetz und zu diesem Beratungsprozess zu sagen haben - sie können leider nicht persönlich an diesem Pult reden; deshalb möchte ich das übernehmen -: Wenn ich geahnt hätte, dass wir primär Verschlechterungen unserer Lebenssituation zu erwarten haben, dass auch in Zeiten einer gültigen UN-Behindertenrechtskonvention unsere Menschenwürde mit Füßen getreten wird, hätte ich meine Lebenszeit sinnvoller investiert . Das sagt Frau Dr . Arnade von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland . Ich muss Ihnen sagen: Ich fühle mich heute so ein bisschen wie in einem Paralleluniversum. Wir reden seit vielen Jahren darüber, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen . Die Vereinten Nationen haben uns Empfehlungen mit auf den Weg gegeben . Darin steht ganz deutlich, was wir zu tun haben . Behinderte Menschen und ihre Verbände haben auch immer wieDr. Astrid Freudenstein der klargemacht, an welchen Stellen der Schuh drückt, wo sie kämpfen müssen, wo Dinge nicht klappen, wo etwas schiefläuft. Und heute stimmen wir hier über einen Gesetzentwurf ab, der wesentliche Probleme behinderter Menschen immer noch nicht berücksichtigt . Wir stimmen über einen Gesetzentwurf ab, mit dem Sie das Vertrauen behinderter Menschen in den letzten Monaten nachhaltig verspielt haben, und das in einer Zeit - das ist das besonders Schlimme an der Sache -, in der das Misstrauen gegenüber der Politik so groß ist wie lange nicht mehr .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Rüffer, darf ich Sie einmal unterbrechen? - Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolff?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne .

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. - Frau Kollegin Rüffer, können Sie uns vielleicht erklären, an welchen Stellen sich das Leben der von Ihnen geschilderten Personen durch unsere Gesetzgebung jetzt entscheidend verschlechtert?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Wolff, das wollte ich im Verlauf meiner Rede darlegen . Das werde ich auch gleich tun . Was ich an dieser Stelle aber ganz deutlich machen möchte, ist, dass sich das, was ich gesagt habe, auf den Entwurf bezieht, den Ihre Regierung vorgelegt hat . ({0}) Das ist ja ganz wichtig. In Ihren Reden - Frau Wolff, ganz ruhig! - kommt es immer so rüber, als würde dieses Gesetz -

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Jetzt hat erst einmal die Kollegin Rüffer das Wort. Bitte .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist total nett . Ich denke, wer eine Frage stellt, möchte bestimmt auch die Antwort hören . ({0}) In Ihren Reden hört es sich so an, als sei das, was Sie hier vorlegen, eine Verbesserung gegenüber dem, was gültige Rechtslage ist . ({1}) Das ist leider mitnichten so . Anfang der Woche, zwei Tage vor Verabschiedung dieses Gesetzes, haben Sie 68 Änderungsanträge vorgelegt . Was sagt uns das, Frau Wolff? Das sagt uns, dass Sie einen schlechten Gesetzentwurf vorgelegt haben und last-minute-mäßig an den ganz schlimmen Stellen Nachbesserungen vornehmen mussten . ({2}) An der Schnittstelle zur Hilfe zur Pflege ({3}) wäre es zu Verschlechterungen gekommen . Bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen wäre es zu Ungerechtigkeiten gekommen . Die Leute hatten zu Recht Angst, ihren Lebensabend nicht in ihrer gewohnten Umgebung verbringen zu können, sondern ins Heim abgeschoben zu werden . - Sie können sich doch heute nicht hierhinstellen und so tun, als wären Sie stolz auf das Gesetz, das wir heute zu verabschieden haben . ({4}) Das, was an Verbesserungen drinsteht, bezieht sich auf den Gesetzentwurf und nicht auf die gültige Rechtslage . ({5}) Wir stimmen heute im Wesentlichen über einen Gesetzentwurf ab, der keine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen mit Behinderung bringt . ({6}) Wir stimmen über einen Gesetzentwurf ab, dessen schlimmste Verschlechterungen, schlimmste Grausamkeiten sie herausgenommen haben; dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar . ({7}) Dass Sie hier vollmundig so tun, als könnten Sie sich stolz auf die Schulter klopfen, finde ich unmöglich. ({8}) Ich habe das Gesetz gelesen und vorgetragen, was die Menschen mit Behinderung zu diesem Gesetz zu sagen haben .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Rüffer, es gibt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, sehr gern .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön . ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das mache ich doch immer, Frau Wolff. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Wie geantwortet wird, entscheiden immer noch diejenigen, die gefragt werden . ({0}) Jetzt Ihre Frage, bitte schön .

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Rüffer, ich habe eine ganz einfache Frage. Man kann Ihre Rede ja später im Protokoll nachlesen; aber vielleicht wäre es gut, in dieser Diskussion doch einmal festzuhalten, ob ich es vorhin richtig verstanden habe, dass Sie festgestellt haben, dass der heute aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu verabschiedende Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes zu einer Verbesserung der Rechtslage gegenüber den bestehenden rechtlichen Regelungen der Eingliederungshilfe führt . Ist das richtig?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein . Wenn ich mir den Gesetzentwurf im Detail anschaue und entsprechend abwäge, dann muss ich sagen, dass dieser Gesetzentwurf keine Verbesserung gegenüber der gültigen Rechtslage ist . ({0}) Die positiven Punkte sind ja genannt worden; das haben wir auch immer anerkannt . Ich denke zum Beispiel daran, dass endlich das Budget für Arbeit bundesweit eingeführt werden kann . ({1}) Ich kann Ihnen als Rheinland-Pfälzerin sagen: Wir haben das seit vielen Jahren . Die bundesweite Ausdehnung ist ein wichtiger Punkt. Im Vergleich zu dem, was ansonsten in diesem Gesetzentwurf mit Bezug auf die Lebenswirklichkeit der Menschen steht, muss man aber sagen, dass man dafür keinen solchen Aufwand wie jetzt mit dem Bundesteilhabegesetz hätte betreiben müssen . Das hätte man auch einfacher machen können, und dann hätte man auch nicht die Wut und die Angst der Menschen auf sich gelenkt . Ich bin froh - das sage ich noch einmal -, dass Verschlechterungen gegenüber der heute geltenden Rechtslage zum Teil zurückgenommen worden sind, zum Beispiel bei der Schnittstelle zwischen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege. ({2}) Ich bin froh, dass wir auch beim Wunsch- und Wahlrecht noch Kleinigkeiten verbessern konnten . Ich bin auch ganz froh darüber, dass wir die unsinnige Fünf-vonneun-Regelung endlich vom Tisch haben - zumindest bis 2023 . Das ist aber doch nichts, worauf man stolz sein kann, sondern etwas, wofür man sich als Bundesregierung, die alle Möglichkeiten hätte, gute Gesetzentwürfe vorzulegen, eigentlich schämen müsste . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Rüffer, der Kollege Stritzl würde auch noch gerne eine Frage stellen, wenn Sie sie zulassen .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Das ist aber die letzte Zwischenfrage, die der Kollegin Rüffer gestellt wird. Danach kann sie Ihre Rede zu Ende führen . - Bitte schön, Herr Kollege Stritzl .

Thomas Stritzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004420, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Ihre Fraktionsvorsitzende hat vorhin von begrüßenswerten Verbesserungen in diesem Gesetzentwurf gesprochen . Dazu haben Sie applaudiert . Können Sie mir sagen, wozu Sie applaudiert haben?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Na ja, einen Punkt habe ich genannt. Es gibt durchaus noch andere Punkte, wie die unabhängige Beratung. ({0}) Sie wird aber auch nur begrenzt eingeführt . Zum Budget für Arbeit ({1}) muss man sagen, dass die Ausstattung, die wir in Rheinland-Pfalz kennen, deutlich besser ist als die nach bundesgesetzlichen Regelung . Ich will zugestehen, dass in diesem Gesetzentwurf natürlich auch Verbesserungen stehen . Es wäre ja auch schlimm, wenn auf 400 Seiten keine Verbesserungen stünden . ({2}) Man muss aber sagen, dass Sie damit natürlich weit hinter den Erwartungen zurückbleiben, und das sollten Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen . ({3}) Wir freuen uns darüber - das will ich noch einmal sagen -, dass die Grausamkeiten in dem Gesetzentwurf, den Ihre Regierung verabschieden wollte, zu einem wesentlichen Teil zurückgenommen worden sind . ({4}) Aber ich finde es wirklich unglaublich, dass Sie hier so tun, als hätten Sie einen Meilenstein geschaffen oder wären auf dem Weg dahin . Das stimmt nicht . ({5}) Frau Katrin Göring-Eckardt hat gerade gesagt: Wir stehen bestenfalls am Anfang eines Prozesses. Nicht mehr und nicht weniger ist richtig und hier gesagt worden . ({6}) Sie müssen es schon einmal aushalten, für einen Gesetzentwurf kritisiert zu werden, gegen den Menschen mit Behinderungen seit Monaten Protest laufen. Sie glauben doch nicht, dass sie das ohne Grund tun . Es gibt also keinen Grund, sich hier auf die Schulter zu klopfen . ({7}) Von den Kritikpunkten sind hier schon einige angesprochen worden . Mit diesem Gesetz verhindern Sie zum Beispiel nicht, dass zukünftig Menschen in Heime gezwungen werden. Das findet heute statt, und das findet auch zukünftig statt . Wenn die Leute die Kraft haben, vor Gericht zu gehen, dann werden diese schlechten Entscheidungen zukünftig wahrscheinlich auch wieder revidiert. Sie schaffen hier null Verbesserungen. Es wird zukünftig so sein, dass Menschen darum kämpfen müssen, zu Hause wohnen zu können, wozu sie eigentlich ein Recht haben . Teilweise verschlechtern Sie die Situation der Menschen auch; das muss man eben sagen . Zum Zwangspoolen und zur Assistenz im Ehrenamt wurde schon einiges gesagt. Ich möchte Nancy Poser vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen zitieren, welches schon 2012 einen Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz vorgelegt hat . Mit Bezug auf das Zwangspoolen sagt sie: Damit wird erstmals durch dieses Gesetz ein immenser Eingriff in die Selbstbestimmung behinderter Menschen möglich gemacht und legitimiert . Aus ihrer Sicht fallen vor diesem Hintergrund auch die positiven Veränderungen nicht ins Gewicht; das bestätigt meine These . Sie erklärt: Ganz ehrlich - wem bringen die neugeschaffenen finanziellen Vorteile etwas, wenn dafür die Freiheit genommen wird? So Nancy Poser vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen, eine renommierte Richterin . So sehr ich Ihnen für die Verbesserungen dankbar bin - das habe ich jetzt mehrfach betont -: Das, was Sie hier vorlegen, ist kein Bundesteilhabegesetz . Wir sind am Anfang und nicht am Ende des Prozesses. Ich möchte am Schluss auf eine Personengruppe zu sprechen kommen, die hier noch nicht angesprochen worden ist: die Menschen mit Behinderungen, die einen besonders hohen Unterstützungsbedarf haben, die Menschen, die nach wie vor aus Werkstätten ausgeschlossen werden, für die es kaum Angebote gibt, die Menschen, deren Angehörige jeden Tag immer wieder kämpfen müssen, um die notwendige Unterstützung zu organisieren, die sie brauchen, die Menschen, die ihr ganzes Leben lang subtil und auch offen signalisiert bekommen, dass sie in dieser Gesellschaft nicht erwünscht sind, dass sie Kosten verursachen . Für diese Menschen - das verstehe ich beileibe nicht - tun Sie mit diesem Gesetz gar nichts . Das ist einfach ein Armutszeugnis . ({8}) Sie reden seit drei Jahren davon, ein modernes Teilhaberecht schaffen zu wollen. Ich sage Ihnen heute: Wir sind ganz am Anfang dieses Prozesses und haben noch viel Weg vor uns . Es gibt keinen Grund, liebe Große Koalition, sich mit stolzgeschwellter Brust auf die Schulter zu klopfen . ({9}) Den Eindruck vermitteln Sie . Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass . Es liegt viel Arbeit vor uns . Meine Fraktion und ich sind dabei, wenn es darum geht, dieses Gesetz in den Ländern umzusetzen und es in den nächsten Jahren besser zu machen, damit Menschen mit Behinderung wirklich etwas davon haben . Vielen Dank . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Carola Reimann . ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Gesellschaft, die behinderte Menschen aller Art nicht als natürlichen Teil ihrer selbst zu achten und zu behandeln weiß, spricht sich selbst das Urteil . Diese Worte sind ein Zitat unseres dritten Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, aus dem Jahr 1969 . Es stammt aus einer Zeit, in der Familien ihre behinderten Kinder nicht selten vor der Öffentlichkeit versteckt haben, in der es als Schande angesehen wurde, nicht so zu sein wie andere, „normale“ . Es stammt aus einer Zeit, als die Gesellschaft sich in vielen Bereichen aufgemacht hat, ihr Leben neu zu gestalten . Erinnern wir uns: Erst seit 1977 dürfen Frauen in Deutschland gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben . Die Gesellschaft zu verändern, dauert . Wir als Gesetzgeber können wichtige Rahmen setzen . Das Bundesteilhabegesetz ist so ein wichtiger Rahmen . Es wird von uns allen einen neuen Blick auf Menschen mit Behinderungen verlangen: weg davon, zu schauen, was das behinderte Kind des Nachbarn alles nicht kann, hin dazu, zu sehen, was dieses Kind doch alles kann, welche Stärken und Fähigkeiten es hat, und hin dazu, zu erkennen, was wir tun können, damit es besser teilhaben kann . Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundesteilhabegesetz muss gelebt werden . Dazu braucht es bei allen Beteiligten größtmögliche Akzeptanz . Daher war das umfangreiche Beteiligungsverfahren der Betroffenen im Vorfeld der Gesetzgebung ebenso notwendig wie vorbildlich . ({0}) Dadurch ist für alle erstmalig offenkundig und auch nachzulesen, welche Herausforderungen noch vor uns liegen, bis eine inklusive Gesellschaft erreicht ist . Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich an dieser Stelle bei unserer Parlamentarischen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller ganz herzlich bedanken . ({1}) Sie ist die gute Seele dieses Gesetzes . Gabriele, ohne dein Engagement, deine Beharrlichkeit und deine kluge, vermittelnde Art wären wir jetzt nicht an diesem Wendepunkt der Behindertenpolitik . Ich habe vorhin von einem neuen Blick gesprochen . Dieser neue Blick hat auch die umfangreichen Verhandlungen mit der Union geprägt . Das lösungsorientierte Klima dieser Gespräche war bemerkenswert . Ich denke, jedem von uns war bewusst, dass jetzt der entscheidende Schritt gelingen muss . Das ist sicherlich dem Beteiligungsverfahren und den beharrlichen Hinweisen der Betroffenenverbände darauf zu verdanken, wo noch eine Nachsteuerung nötig war . Kollegin Rüffer, es ist immer gut, mehr zu wollen. Aber es ist schäbig, das Erreichte schlechtzureden . ({2}) Den Ländern, in denen Sie mitregieren und Mitverantwortung tragen, muss das wie ein Schlag ins Gesicht erscheinen . ({3}) Wir hatten versprochen, dass der Zugang zur Eingliederungshilfe nicht eingeschränkt wird . Das haben wir gehalten und werden wir halten . Der jetzt vorgesehene Weg ist beispiellos . Es wird 2017 eine wissenschaftliche Untersuchung geben . Mit dem Bericht über die Ergebnisse wird sich der Deutsche Bundestag 2018 wieder befassen . Auf dieser Basis werden in allen Bundesländern Modellvorhaben umgesetzt . Die Ergebnisse werden dann wieder dem Bundestag und dem Bundesrat vorgelegt, um dann noch vor 2023 eine abschließende Entscheidung zu treffen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe es schon in der ersten Lesung gesagt: Auch beim Bundesteilhabegesetz gilt das Struck’sche Gesetz . Die jetzt vorgelegten Änderungsvorschläge belegen dies in aller Deutlichkeit . Wir haben mit der Regierung sehr substanzielle Änderungen vorgenommen . Diese werden dazu beitragen, dass sich das Parlament auch in den nächsten beiden Wahlperioden intensiv mit der Verwirklichung von Teilhabe für behinderte Menschen auseinandersetzen wird . Der heutige Tag ist damit nur ein weiterer, wenn auch ein sehr wichtiger Tag auf dem Weg in Richtung Inklusion . Danke schön . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/ CSU-Fraktion ist der Kollege Uwe Schummer . ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Kollegin Rüffer, vor mehr als einem Jahr haben Sie im Ausschuss gewarnt, es gebe starke politische Kräfte, nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern, die verhindern wollen, dass das Bundesteilhabegesetz überhaupt parlamentarisch beraten wird . Ich kann Ihnen heute sagen: Es gibt starke politische Kräfte, auch hier im Bund, die dafür gesorgt haben, dass dieser Entwurf zum Bundesteilhabegesetz heute beraten und beschlossen wird . ({0}) Das zeigt, dass wir bereit sind, das, was wir miteinander vereinbart haben, auch durchzusetzen . Sie haben gesagt, dass es so viel Protest gegen den Regierungsentwurf gegeben hat und die Abgeordneten der Koalition mit 68 Änderungsanträgen darauf reagiert haben, das sei ein Skandal und ein Zeichen dafür, dass irgendwas schiefgelaufen ist . ({1}) Das ist für mich ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Deshalb sind wir doch im Parlament: damit wir als Abgeordnete die Regierung kontrollieren und unsere Positionen mit einbringen . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollege Schummer, darf ich kurz unterbrechen? Die Kollegin Rüffer würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Okay .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schummer, vielen Dank . - Ich frage mich, ob Sie mich vielleicht missverstanden haben . Ich habe gesagt, dass die 68 Änderungsanträge ein Beleg dafür sind, dass der Entwurf Ihrer Regierung so schlecht gewesen ist .

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben vorhin gesagt, dass der Protest, der zu diesen 68 Änderungsanträgen geführt hat, mit denen wir im Parlament - als Volksvertreter im Deutschen Bundestag - darauf reagieren, ein Zeichen dafür war, dass das Verfahren nicht in Ordnung war . Beides gehört zusammen: Wir transportieren das, was wir vor Ort und auf Veranstaltungen erfahren, ins Parlament, und das führt zu Änderungsanträgen . Das ist gelebte Demokratie . Ich hoffe, darin sind wir uns einig. ({0}) Nun zu einem anderen Thema, das für mich schwer nachvollziehbar war . Wir wollen von der negativen medizinischen Diagnose wegkommen - „wesentlich behindert“ und dann in die Eingliederungshilfe - und die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention mit der neuen Begrifflichkeit umsetzen, wonach Behinderung durch das, was in den Menschen angelegt ist, und in Wechselwirkung mit anderen Menschen und dem Lebensumfeld entsteht . Das bedeutet, dass wir gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention neun Lebensbereiche wie Mobilität, Kommunikation, Wissen und Lernen definieren. Das finde ich nach wie vor richtig. Aber für mich und viele andere war fachlich nicht nachvollziehbar, warum ein Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe erst dann gegeben ist, wenn in fünf von neun Lebensbereichen eine erhebliche Teilhabebeschränkung besteht . Uns war nicht klar, ob diese Zahl fünf gewürfelt war, ob sie in goldenen Lettern am Firmament stand oder ob sie eine nächtliche Erscheinung war . Die mathematische Erklärung lautete: Es sind mehr als 50 Prozent. - Das ist aber keine fachliche Erklärung . Deshalb haben wir den Zugang verändert . Wir werden das in den Bundesländern und den Regionen wissenschaftlich aufarbeiten und dann 2022/23 im Lichte der Erkenntnisse darüber entscheiden . Aber das Umsteuern hin zu einem anderen Zugang im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ist nach wie vor unser Ziel . Entscheidend war, dass wir den Schutz der privaten Wohnform weiter konkretisiert haben . Bislang ist es ein Problem, dass Menschen in Heime abgeschoben werden. Es gibt einen Verschiebebahnhof, der dafür sorgt, dass Menschen aus Behinderteneinrichtungen in Pflegeeinrichtungen abgeschoben werden . Das wollen wir verändern . ({1}) Deshalb haben wir - auch in den Änderungsanträgen das persönliche Wohnumfeld und die Intimsphäre auf besondere Weise im Gesetz geschützt, und zwar stärker, als es heute real der Fall ist . ({2}) Wer diesen Gesetzentwurf ablehnt, der lehnt auch ab, dass wir endlich - ergänzend zu den Beratungsstrukturen in den Ländern - eine unabhängige, vom Bund finanzierte Beratungsstruktur schaffen. Wie Sie wissen, gibt es manche Bundesländer, in denen sich die Beratungsstrukturen gut entwickeln . Es gibt aber auch Bundesländer, in denen so gut wie keine Beratungsstruktur vorhanden ist . In solchen Ländern ist die Fahrt in die nächste Stadt unumgänglich . Deshalb ist es wichtig, dass mit Bundesmitteln in Höhe von 58 Millionen bis 60 Millionen Euro jährlich flächendeckend eine ergänzende und unabhängige Beratungsstruktur für die Betroffenen und ihre Angehörigen geschaffen wird. Arbeit prägt den Menschen. Wir brauchen die Förderwerkstätten weiterhin . Aber wir wollen sie öffnen und durchlässiger gestalten. Wir wollen die Beschäftigten durch verbesserte Einkommens- und Vermögensbildungsmöglichkeiten stärker beteiligen . Wir wollen bundesweit ein Budget für Arbeit etablieren, damit der Gang auf den ersten Arbeitsmarkt stärker unterstützt und organisiert werden kann . Wir haben derzeit eine starke Kostendynamik in der Eingliederungshilfe zu verzeichnen . 13 000 bis 15 000 Werkstattplätze für psychisch behinderte Arbeitnehmer vom ersten Arbeitsmarkt müssen geschaffen werden . Allein das verursacht Kosten in Höhe von rund 200 Millionen Euro in der Eingliederungshilfe . Wir wollen, dass die Betroffenen durch Integrationsfirmen und virtuelle Werkstätten möglichst nah am ersten Arbeitsmarkt verbleiben können und dort intelligente Arbeitssysteme bekommen, die ihrer Produktivität zugutekommen . Wir müssen die Kostendynamik dort bekämpfen, wo sie stattfindet, und zwar durch die Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben und Verwaltungen . Das sind die sozialen Faktoren. Die Betreffenden wissen, wie man ein Gesundheitsmanagement bei chronischen Erkrankungen organisiert und wie man Frühwarnsysteme gegen Burn-out und psychisch-seelische Erkrankungen schaffen kann. Sie sorgen dafür, dass in Betrieben und Verwaltungen mit Beratung und Unterstützung bei Anträgen, Krankheiten und Integrationsnotwendigkeiten Inklusionsabteilungen geschaffen werden, die wissen, wie damit umzugehen ist . Es ist wichtig, dass wir den Betreffenden mehr Freiräume im Bundesteilhabegesetz zugestehen, sodass sie von bürokratischen Lasten entbunden werden . Sie werden dabei durch eine Aufwertung ihrer Stellvertreter und eine Stärkung der Qualifikationsmaßnahmen ergänzend unterstützt. Wir schaffen zudem den Einstieg in eine Wirksamkeitsklausel . Bevor sich ein Betrieb oder eine Verwaltung von einem schwerbehinderten Arbeitnehmer trennt, sollen die Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung geprüft werden . Die zweite Kostendynamik resultiert daraus, dass mittlerweile 43 Prozent aller Frühverrentungen aufgrund von psychischen Erkrankungen erfolgen . Das heißt, es sind nicht mehr die kaputten Knochen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern psychische Erkrankungen, die für 43 Prozent der Frühverrentungen verantwortlich sind. Unser Schlüssel, dieses Problem anzugehen, ist die Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben und der Verwaltung . Wer sagt, dieses Gesetz sei nicht sein Gesetz, der verhindert, dass bei der Anrechnung von Vermögen bei 70 000 Menschen, die Erwerbsarbeit leisten, massive Verbesserungen stattfinden. Die Vermögensgrenze wird von derzeit 2 600 Euro auf 50 000 Euro angehoben wird . Das ist die Perspektive bis 2020. Wichtig ist, dass die Ehepartnerinnen und Ehepartner von der Mitfinanzierung befreit werden und für die 300 000 Menschen in den Werkstätten das Arbeitsfördergeld verstärkt wird . Auch deren Recht auf ein Sparbuch wird gestärkt . Wer sagt, dass das nicht sein Gesetz sei, der gibt den Menschen, die betroffen sind, kein Brot, sondern Steine. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden und einen Prozess starten. Wir sind nicht am Ende, sondern wir haben jetzt einen wichtigen Prozess mit dem Teilhabegesetz gestartet . Dadurch werden Türen geöffnet, und die Räume werden weiter ausgestaltet . Das Gesetz zeugt von einer lebendigen Demokratie es gab vielfältige Aktionen im Parlament und außerhalb des Parlaments - und von selbstbewussten Abgeordneten . Es zeigt, dass die Teilhabe behinderter Menschen in allen Facetten des Lebens unumkehrbar von heute an vorangeht . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Kerstin Tack . ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf einige der hier gemachten Aussagen gerne eingehen . Der Kollege Bartsch, der nicht mehr hier ist, weil er schon andere Aufgaben wahrnimmt - das hätte man auch anders machen können; aber so ist es -, ({0}) war der Meinung, dass in diesem Gesetz die Finanzen nicht hinreichend berücksichtigt würden . Wer sich hierhinstellt und das macht, der haut den Kommunen und den Ländern richtig einen vor den Latz . ({1}) Vielleicht hat er es nicht gewusst, vielleicht wollte er, dass es so kommt . Das wissen wir nicht; denn er ist nicht mehr da . Danach können wir ihn nicht fragen . Die Eingliederungsleistungen zahlen nicht wir, sondern die Kommunen und die Länder . Wer sagt, dass da nicht ordentlich Geld investiert würde, bezieht seine eigenen Kommunen und auch sein Land massiv in die Kritik ein . Ich hoffe, dass er noch hört, dass er sich an dieser Stelle ein bisschen verrannt hat, wenn er das zum Thema macht . ({2}) Frau Kollegin Werner, von Ihnen hätte ich erwartet, dass Sie ein bisschen tiefer in der Materie sind . Wenn Sie sich hierhinstellen und einen aktuellen Fall der Leistungsgewährung in einer Stadt in Baden-Württemberg mit dem Hinweis auf ein Gesetz, das in drei Jahren in Kraft tritt, schildern, dann haben Sie sich, finde ich, massiv verrannt . ({3}) Die heutige Praxis der Leistungsgewährung ist überall komplett unterschiedlich . Das macht uns allergrößte Sorge . Deshalb machen wir in unserem Gesetz bundeseinheitliche Kriterien für genau diese Bedarfsermittlung . Wir stärken die Rechte . Endlich werden wir es hinbekommen, dass wir im Gesamtplanverfahren die Betroffenen an den Tisch holen . Wir stärken ihre Beratung, und sie können ihre Vertrauenspersonen zur Beratung mitnehmen . Das wird die neue Gewährungspraxis sein, wenn wir in drei Jahren dieses Gesetz haben . Aber zu meinen, man könnte mit einem heutigen Fall mit Verweis auf ein Gesetz, das in drei Jahren in Kraft tritt, argumentieren, ist nicht in Ordnung . ({4}) Frau Kollegin Rüffer und Frau Göring-Eckardt, es ist wirklich nicht in Ordnung, wenn man sich hierhinstellt und sagt: Ich verwende meine Redezeit darauf, über einen Entwurf zu reden, und rede nicht über das, was heute eigentlich zur Abstimmung steht . Wenn das das Ziel Ihrer Rede ist, dann will ich sehr deutlich sagen: Das ist eine Missachtung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, ({5}) die sich in den letzten Wochen hier sehr massiv genau damit beschäftigt haben . Wenn jemand sagt, ich rede über etwas, was heute gar nicht zur Abstimmung steht, finde ich, dass das nicht redlich ist . Frau Kollegin Rüffer, wenn Sie sagen, da seien Verschlechterungen in dem Gesetz für die betroffenen Menschen: Was für eine Verantwortungslosigkeit werfen Sie denn den Grünen in den Ländern vor, die genau diese angeblich großen Verschlechterungen in zwei Wochen hier mit auf den Weg bringen werden? ({6}) Deshalb finde ich, dass das nicht in Ordnung ist. ({7}) Sie sagen, Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern hätten eine große Verantwortungslosigkeit an den Tag gelegt, weil sie Ihnen an dieser Stelle nicht folgen . ({8}) Da muss man sich sehr genau überlegen, wie man hier an diesem Redepult agiert und wie man es gerade nicht tut . Ich glaube, da haben Sie Ihren Kollegen in den Ländern heute keinen guten Dienst erwiesen . ({9}) Für uns ist ganz entscheidend, dass wir das Selbstbestimmungsrecht der Menschen stärken, und das in der Tat nicht nur bei dem Einkommen und Vermögen - das ist hier schon ganz viel gesagt worden -, sondern gerade auch mit der Erhöhung des Vermögensfreibetrages in der Grundsicherung. Das betrifft nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern das betrifft jeden in Deutschland, unabhängig von der Frage, ob er eine Behinderung hat oder nicht . Das sind 2 Millionen Menschen in Deutschland. Für diese Personengruppen werden wir den Freibetrag von heute 2 600 Euro auf 5 000 Euro erhöhen . Das ist eine echte sozialpolitische Leistung, von der über das Bundesteilhabegesetz auch andere profitieren, auch wenn sie keine Beeinträchtigung haben . Wir halten das für eine richtig wichtige Maßnahme . ({10}) Zu der Schwerbehindertenvertretung hat Kollege Schummer schon erläutert, was jetzt alles im Gesetz steht . Aber ich will auch sehr deutlich sagen: Für die SPD ist die Stärkung der Schwerbehindertenvertretung ein richtig wichtiges Anliegen . Es bleibt auch ein Anliegen in der nächsten Legislatur, die Stärkung weiter voranzutreiben . Mit der heute erreichten Unwirksamkeit der Kündigungen sind wir noch nicht hinreichend einverstanden . Wir wollen mehr . ({11}) Wir glauben auch, dass dieses Gesetz ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur weiteren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist . Aber es müssen weitere Schritte folgen . ({12}) Wir wollen ganz selbstverständlich, dass wir bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung zu einer vollen Freistellung kommen . ({13}) Deshalb muss es an dieser Stelle weitergehen . Wir möchten den inklusiven Arbeitsmarkt weiter stärken, die Rolle der Werkstätten in diesem System noch einmal deutlicher unter die Lupe nehmen und ihnen auch künftig eine Rolle zuweisen . Wir möchten - ich glaube, es war Frau Reimann, die das auch im Bereich der Schnittstelle zur Pflege gesagt hat -, dass auch Menschen mit Behinderung, die in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, die Beiträge an die Pflegeversicherung gezahlt haben, die heute aber die einzige Gruppe in Deutschland sind, die keine Leistungen der Versicherungen bekommen, alle Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, wie sie auch Menschen außerhalb von vollstationären Einrichtungen bekommen . Das wird noch eine Aufgabe der nächsten Legislatur sein, das tatsächlich auf den Weg zu bringen, und die entsprechenden Mittel für die Pflegeversicherung zu kompensieren . ({14}) In diesem Sinne freue ich mich, dass wir hier heute den ersten großen Schritt gehen . Weitere werden folgen . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({15})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Gabriele Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuseher im Bundestag! Das Bundesteilhabegesetz ist für mich mit das wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Legislaturperiode . Jeder von uns wünscht sich ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben . Mit der Reform der Eingliederungshilfe werden wir dazu beitragen, dass dies endlich auch für Menschen mit Behinderung gelingt . Das Gesetz wird ihre Lebenssituation in vielen Bereichen deutlich verbessern, egal wie oft das hier bestritten wird . Das Gesetzgebungsverfahren - dazu zählen auch die Vorarbeit und die Beteiligung Betroffener in der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ und die Mitwirkung von Kommunen, Ländern, Verbänden - war gekennzeichnet von Transparenz und Mitbestimmung . Alle hatten und haben das gemeinsame Ziel, Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen weiter zu stärken . Dass die Regierung zugehört und entsprechend gehandelt hat, sieht man an den vielen Änderungen und Verbesserungen, die über die Monate Eingang in das vorliegende Gesetz gefunden haben . Das geschah zum größten Teil in enger Abstimmung mit den Verbänden und den Betroffenen. Es handelte sich um einen Prozess, und dieser Prozess wird fortgeführt. Einzelne Regelungen werden evaluiert und da, wo nötig, nachgebessert . Nachbesserung gibt es beim Zugang zur Eingliederungshilfe . Die zu Recht kritisierte Fünf-aus-neun-Regelung wurde gestrichen - Kollegin Dr . Freudenstein hat das im Detail erklärt -; ein ganz wichtiger Punkt. ({0}) Verbesserungen gibt es auch für Werkstattbeschäftigte mit der Verdoppelung des Arbeitsförderungsgeldes . Davon profitieren viele geistig behinderte Menschen, und der Bund und die Länder stellen nochmals 125 Millionen Euro bereit . Es handelt sich um eine Gruppe von Menschen, die unseren besonderen Schutz brauchen, den wir ihnen gewähren wollen . Gerade war wieder die Rede von der Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe, Pflegeversicherung und Hilfe zur Pflege. Auch hier wurde nachjustiert. Was für mich persönlich sehr wichtig ist - nicht nur für Frau Tack und die SPD -, ist die Stärkung des Schwerbehindertenrechts . Ab 100 schwerbehinderten Menschen in einem Unternehmen wird die Vertrauensperson für die Arbeit freigestellt . Dass die Kündigung eines Schwerbehinderten ohne die Beteiligung der Vertretung unwirksam ist, war wirklich überfällig; auch das steht jetzt im Gesetz . Ich habe in Gesprächen mit der Schwerbehindertenvertretung des Landratsamtes Waldshut, immerhin der größte Arbeitgeber in meiner Region, gehört, dass die Kollegen dort insbesondere mehr Zeit für ihre Arbeit brauchen . Sie brauchen mehr personelle Unterstützung und auch mehr und breitere Weiterbildungen . Genau diesen Wünschen tragen wir mit dem Gesetz Rechnung . Da leider gerade Frauen mit Beeinträchtigungen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe arbeiten oder leben, besonders häufig Opfer von Gewalt sind, gibt es künftig in jeder Werkstatt eine Frauenbeauftragte . Insgesamt werden die Rechte und damit die Mitbestimmung der Vertreter der Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen in den Werkstatträten gestärkt . Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass mit der Reform mehr Übergänge in Arbeit geschaffen werden sollen. Mit dem Budget für Arbeit werden bestehende Beschäftigungsangebote sinnvoll ergänzt, und das Recht auf Rückkehr in die Werkstatt bleibt dabei unangetastet . Genau damit wird an dieser Stelle das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung gestärkt . Von den rund 15 000 Neuzugängen in den Werkstätten sind fast 13 000 Menschen mit psychischen Behinderungen . Sie fühlen sich in diesen Werkstätten oft fehlplatziert . Für sie kann das Budget für Arbeit eine gute Möglichkeit sein, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen . Damit chronische Erkrankungen nicht erst entstehen und die Erwerbsfähigkeit erhalten bleibt, sollen Präventivmaßnahmen ergriffen werden. Damit sind wir wieder bei den Schwerbehindertenvertretungen, denen eine Schlüsselrolle in diesem Bereich zukommt . Die Träger von Rehamaßnahmen werden verpflichtet, drohende Behinderungen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu handeln . Jeder von uns hat leidvolle Erfahrungen mit dem Dschungel an Vorschriften, Gesetzen und entsprechenden Formularen . Wir wollen dem entgegenwirken mit dem Teilhabeplanverfahren und der „Hilfe wie aus einer Hand“, von der wir ja auch schon gehört haben . Das ist definitiv eine deutliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation . Das gilt auch dafür, dass in Beratungsstellen gezielt mehr Menschen mit Behinderung tätig sein sollen . Die weitere zentrale Änderung ist die Anhebung von Einkommens- und Vermögensfreigrenzen bei der Eingliederungshilfe . Menschen, die ihr Geld selbst verdienen, sollen auch etwas davon haben . Ein ganz wichtiges Anliegen der Union ist dabei die Abschaffung der Heranziehung von Ehe- und Lebenspartnern . Sie sehen also: Es sind grundlegende Reformen, die wir gemeinsam anstoßen . Die eigentliche Kraftanstrengung, die Umsetzung, liegt aber noch vor uns . Gemeinsam mit Ländern, Kommunen und den Betroffenen sowie deren Vertretern wird es uns gelingen, diese gemeinsame Kraftanstrengung auch zum Erfolg zu führen . Das ist meine Überzeugung . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Die letzte Rednerin zum diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Jutta Eckenbach, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer wie ich seit über 20 Jahren mit Menschen mit Behinderungen zu tun hat - das habe ich auch im Landschaftsverband Rheinland seit vielen Jahren - und heute Morgen die erste Rede von Herrn Bartsch gehört hat, der kann nur sagen: Wir müssen ein verdammt gutes Gesetz auf den Weg gebracht haben, dass sich die Opposition heute hier mit so populistischen Argumentationen aus der Mottenkiste hinstellt . Verdammt noch mal, wir waren gut mit unserem Gesetz - ich bin sehr damit zufrieden - und werden es heute auf den Weg bringen . ({0}) Frau Göring-Eckardt, auch Sie habe ich nicht verstanden: Gerade die Koalitionsfraktionen haben doch viele Gespräche mit den Menschen, mit den Betroffenen geführt; ich denke, da spreche ich auch für meine Kolleginnen und Kollegen der SPD. Es ist nicht so, dass wir nicht mit den Betroffenen gesprochen hätten. Und diejenigen, mit denen wir im Vorfeld gesprochen haben, haben uns vielfach aufgezeigt, wo die Schwachstellen sind . Wir haben dann diese Hinweise aufgenommen . Dieses umfangreiche Paket an Änderungen haben wir heute Morgen eingebracht . Ich glaube, das zeigt, dass die Koalitionsfraktionen gewissenhaft, ernsthaft und sehr zielgerichtet mit diesem Gesetzgebungsverfahren umgegangen sind . Uns an dieser Stelle quasi menschenunwürdiges Verhalten vorzuwerfen, ist, finde ich, eine schiere UnGabriele Schmidt ({1}) verschämtheit . Das sage ich Ihnen ganz ehrlich . Das hat mich schon sehr aufgeregt . ({2}) Ich will noch einmal auf die Gespräche zu sprechen kommen, die ich geführt habe, und möchte mich dafür bei den Menschen, bei vielen Verbänden, bei Firmen, bei Einrichtungen und bei den Behinderten selbst bedanken . Was mich ein bisschen schockiert hat - lassen Sie mich das an dieser Stelle auch sagen -, ist, mit wie vielen Falschinformationen wir bei diesem Gesetzgebungsverfahren zu tun hatten und wie viel Verunsicherung wir auch unter die Menschen gebracht haben . Das schadet der Demokratie . Was wollten wir? Wollten wir die Menschen einfach nur auf die Palme bringen, oder wollten wir mit ihnen reden und gemeinsam etwas nach vorne bringen? ({3}) Ich glaube, das ist uns doch sehr gut gelungen . Es ist richtig, dass wir einen Paradigmenwechsel vornehmen. Das sehe ich als mit das Wichtigste bei diesem Gesetz an . Wir gehen dieses Mal von den Stärken der Menschen aus, und nicht von ihren Schwachstellen, Frau Rüffer. Wir nehmen die Stärken ernst . Wer insbesondere mit den Landschaftsverbänden in Nordrhein-Westfalen bei diesem Thema zu tun hat, der weiß, dass das dort seit vielen Jahren in diese Richtung geht . Dort haben wir mit Werkstätten sehr gute Erfahrungen gemacht; wir haben auch schwerstbehinderte Menschen in Werkstätten untergebracht und tun ganz viel für psychisch erkrankte Menschen . Aber das ist nicht in ganz Deutschland so . Insofern ist es richtig, dass wir hier im Bundestag die Rahmenbedingungen festlegen, die von den Ländern und den Kommunen ausgefüllt werden können . Ich bin sehr darauf gespannt, wie diese Umsetzung in den Ländern letztendlich erfolgt . Darauf warte ich; denn es ist noch einiges zu tun in Deutschland . Die Rahmenbedingungen sind von uns im Deutschen Bundestag festgelegt . Das kann man nur weiterhin begrüßen . Ich möchte gerne noch auf einen Bereich eingehen, der mir auch wichtig war, der aber gar nicht so sehr im Fokus gestanden hat. Wenn Sie mit den betroffenen Menschen, die in Werkstätten arbeiten, gesprochen haben, haben Sie erfahren, dass es ihnen immer darum ging: Warum bekommen eigentlich andere Menschen mit Behinderungen Freibeträge, können mehr Geld behalten? Wir bekommen nichts . - Das war eine große Diskussion . Wir haben es geschafft - da bin ich der Politik und der Koalition wirklich ausgesprochen dankbar -, nach fast fünf Jahren auch die Mittel für Menschen in Werkstätten deutlich zu erhöhen - es hätte vielleicht noch ein bisschen mehr sein können, aber wir arbeiten daran -; auch die Freibeträge wurden erhöht, um fast 100 Prozent. Ich denke, das wird immer ein wenig vergessen und geht unter . Aber für die Menschen in Werkstätten ist das ein wichtiger Beweis der Wertschätzung . Deswegen danke ich hier wirklich noch einmal der Koalition . Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas sagen, das bisher noch gar nicht zur Sprache gekommen ist . Ich möchte es gern in leichter Sprache zusammenfassen: Erstens . Die Eingliederungshilfe ist auch heute schon sehr gut . Zweitens . Das neue Gesetz bringt viele Verbesserungen . Drittens. Wenn wir das neue Gesetz in den Papierkorb geworfen hätten, würde es auch die guten Vorschläge nicht geben . Viertens . Die schlechteren Ideen haben wir verbessert und korrigiert . Fünftens . Das Gesetz ist also gut für Menschen mit Behinderungen . Sechstens . Wenn etwas trotzdem nicht gut funktionieren wird, werden wir es später verbessern . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende dieser Debat- te angekommen . Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs- punkt 3 a . Es geht um den von der Bundesregierung ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen . Zu dieser Abstimmung liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung vor .1) Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10523, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9522 und 18/9954 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . ({0}) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10528. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen 1) Anlage 2 von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Vielen Dank für die Debatte . Wir sehen, wir haben heute alle möglichen Abstimmungsverhältnisse . Die Debatte war lebhaft, aber notwendig . ({1}) Wir setzen jetzt die Abstimmungen über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- ziales fort . Tagesordnungspunkt 3 b . Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- ziales auf Drucksache 18/10523 . Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10014 mit dem Titel „Das Teilhaberecht menschenrechtskonform gestalten“ . Wer stimmt für die- se Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 18/9672 mit dem Titel „Mit dem Bundesteilha- begesetz volle Teilhabe ermöglichen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften ({2}) Drucksachen 18/9518, 18/9959, 18/10102 Nr. 19 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({3}) Drucksache 18/10510 - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10511 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann ({6}), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Pflege teilhabeorientiert und wohnortnah gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pflege vor Ort gestalten - Bessere Bedingungen für eine nutzerorientierte Versorgung schaffen Drucksachen 18/8725, 18/9668, 18/10510 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen; denn dann könnte ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach . - Bitte schön . ({7})

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir haben heute etwas geschafft, was uns zu Beginn der Legislaturperiode sicherlich niemand zugetraut hätte . ({0}) Wir haben heute das zum Abschluss gebracht, was wirklich den Namen „Reform“ verdient. Wir haben eine Pflegereform auf den Weg gebracht, die mit dem Pflegestärkungsgesetz I, dem Pflegestärkungsgesetz II und heute mit dem Pflegestärkungsgesetz III in drei Stufen endlich das umsetzt, was sich all die, die Pflege benötigen, und diejenigen, die pflegen - sowohl hauptamtlich als auch ehrenamtlich -, gewünscht haben, was sie brauchen, was sie benötigen . Deswegen können wir stolz darauf sein, dieses Gesetz heute zum Abschluss zu bringen . ({1}) Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz I einen Bereich in Angriff genommen, der - schauen wir uns die Zahlen an - der wichtigste ist: die Pflege zu Hause, ambulant vor stationär. Wir haben mit dem PSG I alles getan, um denjenigen, die zu Hause pflegen oder die gepflegt werden, Verbesserungen zu bringen. Wir haben die Anzahl der Betreuungskräfte für die stationären Einrichtungen deutlich erhöht . Auch das ist angekommen . Das sagen alle, die damit zu tun haben . Wir haben endlich das gemacht, was wir immer wollten, nämlich Flexibilität in der Angebotsvielfalt. Das heißt, Pflege ist individuell, und deswegen muss auch die Angebotsannahme individuell sein. Das haben wir mit dem PSG I geschafft. Mit dem PSG II ist etwas verabschiedet worden, was zehn Jahre diskutiert wurde, wovon auch niemand glaubte, dass wir es zu Ende bringen, nämlich endlich den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einzuführen. Heute in einem Monat wird es so weit sein . Ab 1 . Januar 2017 ist die Vizepräsidentin Ulla Schmidt Leistung unabhängig davon, ob jemand eine körperliche oder eine geistige oder eine psychische Beeinträchtigung hat. Das spielt keine Rolle mehr. Alle Pflegebedürftigen werden dann Zugriff auf die Pflegeleistungen haben, unabhängig von der Art ihrer Beeinträchtigung . Ich glaube, das ist ein guter, wichtiger Schritt und eine große Hilfe für die Menschen, die zu Hause demenziell Erkrankte haben und pflegen. ({2}) Meine Damen und Herren, der Sechste Pflegebericht, der Mitte Dezember im Kabinett verabschiedet wird, wird zeigen, dass die Maßnahmen, die wir mit dem PSG I auf den Weg gebracht haben, gut angenommen werden . Aber wir wissen auch: Das PSG II und auch das PSG I können sich nur voll entfalten, wenn die Maßnahmen, die wir beschlossen haben, vor Ort umgesetzt werden . Deswegen ist es wichtig - aller guten Dinge sind drei -, dass wir heute mit dem Pflegestärkungsgesetz III die Orte in den Blick nehmen, die wichtig sind, nämlich die Kommunen, das heißt die Situation in den Stadtteilen, in den Familien, in den WGs, dort, wo die Pflege stattfindet. Dazu brauchen wir die Kommunen vor Ort . Deswegen ist es gut, dass wir das heute mit dem PSG III zum Abschluss bringen . Meine Damen und Herren, Pflege muss passgenau und individuell gestaltet sein, aber sie braucht dafür ein gut gestaltetes Umfeld, damit die Möglichkeiten dann auch in Anspruch genommen werden können . Sie braucht engagierte Dienste, Einrichtungen, Menschen, die helfen . Sie braucht aber auch kommunal Verantwortliche, die sich dieses Themas annehmen und sagen: Wir wollen, dass die Menschen in unserer Stadt das bestmögliche Angebot bekommen . - Es gibt viele Angebote . Sie müssen besser koordiniert werden; es muss kooperiert werden . Dazu brauchen wir die Kommunen . Sie müssen dafür da sein, gute, starke Ideen, die die Beteiligten haben, zu vernetzen, sodass alle Beteiligten, vor allen Dingen diejenigen, die gepflegt werden müssen, die bestmöglichen Angebote bekommen . Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege hat lange getagt. Sie hat sich mit vielen Themen auseinandergesetzt, etwa mit der Sicherstellung der Versorgung, mit niederschwelligen Angeboten - das ist ganz wichtig, auch wenn es darum geht, kurzfristig kleine Entlastungen für diejenigen, die pflegen, anzubieten - sowie mit der Beratung; das ist ein ganz wichtiges Stichwort; denn ich glaube, vielen ist noch gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten sie haben . Aber auch Stichworte wie altersgerechtes Wohnen sowie Ehrenamt und Selbsthilfe waren in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein Thema . Aus diesen fünf Themenfeldern sind über 60 Empfehlungen entstanden, die umgesetzt werden und auch umgesetzt werden müssen . Wir erweitern jetzt mit dem PSG III - das ist unser Ziel, und das bringen wir jetzt auf den Weg - die Handlungsfelder der Kommunen, indem wir zum Beispiel die Pflegekassen zur Beteiligung an regionalen Pflegekonferenzen verpflichten. Es ist wichtig, dass sie wirklich zusammenarbeiten . Wir ermöglichen den Kommunen aber auch, sich an der Bereitstellung niederschwelliger Angebote zu beteiligen, und geben ihnen die Möglichkeit, diese zu verbessern . Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir geben den Kommunen nun die Möglichkeit, stärker die Initiative zu ergreifen und neue Pflegestützpunkte zu errichten. Im Rahmen von 60 Modellvorhaben haben sie die Möglichkeit, das anzugehen und auszuprobieren, was nötig ist, nämlich die Beratung aus einer Hand. Ich glaube, das ist etwas, was die Pflegebedürftigen und die Familien brauchen: Beratung aus einer Hand . ({3}) Meine Damen und Herren, wir brauchen niederschwellige Angebote . Dazu müssen wir sowohl das Ehrenamt als auch - das ist genauso wichtig - die Selbsthilfe vor Ort stärken . Auch diese Möglichkeiten bietet das PSG III. Auch bei den altersgerechten Wohnmöglichkeiten müssen wir neue Wege gehen, entsprechende Angebote fördern und ausbauen, sodass sie individuell nutzbar sind . Pflegebedürftige, die finanziell bedürftig sind, sollen ebenfalls von der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs profitieren und sich darauf verlassen können, dass sie sicher und zuverlässig die Hilfe und Unterstützung bekommen, die notwendig ist . Wir lösen damit einmal mehr unser Versprechen ein, dass niemand alleingelassen wird, der Pflege braucht. Es ist wichtig, dass die Gemeinschaft zusammensteht und wir die Menschen nicht alleinlassen, sie keine Sorgen und Angst haben müssen . Diejenigen, die gepflegt werden, und diejenigen, die pflegen, brauchen aber auch eine ehrliche Pflege. Das heißt, Vertrauen spielt eine ganz große Rolle . Deswegen habe ich schon bei der Einführung in dieses Gesetz deutlich gemacht: Es gibt wenige schwarze Schafe, die die Leute - ich sage es mal so - wirklich abzocken . Das kann es nicht sein. Deswegen bringen wir mit dem PSG III Verbesserungen bei den Kontrollen auf den Weg, damit die Missstände, die aufgetreten sind und aufgezeigt wurden, nicht wieder auftreten können . Ich glaube, auch das ist ein ganz wichtiger Punkt. ({4}) Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden pflegerische Betreuungsleistungen zukünftig Regelleistungen der Pflegeversicherung . Das ist eine Erweiterung, die notwendig ist . Es war dadurch aber auch nötig, dass wir das Verhältnis von Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung im PSG III regeln . Wir brauchen gute Regelungen zum Verhältnis der beiden Systeme . Und wir sind auch lernfähig: Wir haben den Gesetzentwurf anders eingebracht, als er heute vorliegt . Ich nenne das Stichwort der Gleichrangigkeit der beiden Leistungssysteme . Es hat sich im Rahmen der Beratungen ergeben, dass wir bei der Gleichrangigkeit beider Leistungssysteme im häuslichen Umfeld bleiben . Gleichzeitig schärfen wir aber auch die Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Leistungsträger, wenn Menschen auf Leistungen beider Systeme angewiesen sind . Die Menschen sollen nicht leiden . Sie müssen das bekommen, was sie brauchen . Sie müssen nicht den Zank und Streit beider Systeme ausbaden . Das muss im Vorfeld geklärt werden, und das haben wir mit diesem Gesetz auch auf den Weg gebracht . ({5}) Meine Damen und Herren, Norbert Blüm hat vor 21 Jahren, als er die Pflegeversicherung eingeführt hat, gesagt: Auch bei der Pflegebedürftigkeit lassen wir euch nicht alleine. Er hat recht gehabt. Mit unseren Pflegestärkungsgesetzen - mit dem heutigen schließen wir die Reihe ab - zeigen wir den Menschen, dass wir verstanden haben, was wir tun müssen . Diese Reform war mehr als überfällig . Sie ist ein guter und wichtiger Schritt . Ich möchte mich am Ende meiner Rede bei den vielen Kollegen bedanken, die tatkräftig bei der Erarbeitung dieses Gesetzes mitgeholfen haben . Wir haben eine große Anzahl von Berichterstattergesprächen geführt . Deswegen gilt zunächst mein Dank den Berichterstattern Mechthild Rawert, Erwin Rüddel und Erich Irlstorfer, die immer wieder mitgeholfen haben, aber auch den Sprecherinnen Hilde Mattheis und Maria Michalk . Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Karl Lauterbach und Georg Nüßlein haben am Ende auch noch einmal mitgeholfen, das Ganze auf den Weg zu bringen . Aber das Ganze geht natürlich nur, wenn wir gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben . An Sie in den Büros ein herzliches Dankeschön dafür, aber auch an das Haus; ich habe Frau Kraushaar, Leiterin der Abteilung 4, hier sitzen sehen . Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein ganz herzliches Dankeschön für die Unterstützung und natürlich auch meinem Kollegen Staatssekretär Karl-Josef Laumann . Es wurde Tag und Nacht gearbeitet, am Schluss sogar an Wochenenden, an Samstagen und Sonntagen . Ich sage: Es hat sich gelohnt . Dieses Gesetz ist es wert, dass wir es verkünden und leben lassen . Die Menschen haben es verdient . Ich danke für die gute Zusammenarbeit und hoffe auf eine gute Wirkung unserer Gesetze . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sabine Zimmermann hat als nächste Rednerin das Wort für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie überkleben erneut die Probleme der Pflegeversicherung mit Pflästerchen, statt endlich die strukturellen Ursachen zu beseitigen . Das hat schon bei den Vorgängergesetzen nicht funktioniert, und das wird auch dieses Mal nicht funktionieren . ({0}) Die zentralen Probleme gehen Sie nicht an. Unverändert wird nur ein Teil der Pflegekosten übernommen und nicht die Gesamtkosten, die den pflegebedürftigen Menschen tatsächlich entstehen. Pflegebedürftig zu werden, bedeutet heute ein hohes Armutsrisiko . Eigenanteile für die Pflege können leicht Hunderte Euro pro Monat ausmachen . Wer kann sich das alles leisten? 400 000 Menschen brauchen schon jetzt die Hilfe zur Pflege, die sogenannte Sozialhilfe. Auch für die Beschäftigten in der Pflege tun Sie nichts. In einem Pflegeheim in Saarbrücken arbeitet Uwe seit zehn Jahren als Altenpfleger. Er sagt mir: Durch die bisherigen gesetzlichen Veränderungen hat sich seine Arbeitssituation nicht verbessert . Er betreut auf zwei Etagen 40 Bewohnerinnen und Bewohner, davon 20 in der Grundversorgung, und das umfasst alles: von der Körperpflege über die Ernährung bis hin zu den nicht medizinischen, pflegerischen Tätigkeiten. Für die anderen 20 ist er nur - ich sage: „nur“ - für die Medikation und die Verbände usw. zuständig. Das ist Pflege im Minutentakt und im Dauerlauf, sagt Uwe . Leider seien bei diesem Stress Pflegefehler zum Alltag geworden. 2 000 Euro netto verdient er mit allen Zulagen im Schichtsystem, und er ist noch einer der Besserverdienenden im Haus . Und da wundern Sie sich, meine Damen und Herren, wenn immer weniger junge Menschen Pflegeberufe erlernen wollen? ({1}) Im angesprochenen Heim konnte keiner der Ausbildungsplätze besetzt werden . Dieser Beruf bedeutet hohe psychische Belastungen, erhöhte Burn-out-Raten, psychosomatische Erkrankungen und Rückenbeschwerden . Viele Altenpflegerinnen und -pfleger steigen deshalb irgendwann aus, zu viele während oder unmittelbar nach der Ausbildung, und daran wird Ihr Gesetz nichts ändern . Die Linke sagt: Je mehr qualifizierte und gut bezahlte Pflegekräfte, umso besser für die Pflege. ({2}) Allein aus Kostengründen scheuen Sie aber davor zurück, gewisse Standards festzulegen . ({3}) Die Linke fordert: Pflegeberufe müssen aufgewertet werden, und das sofort . ({4}) Das heißt konkret: bessere Löhne und weniger Arbeitsbelastung . Die Linke fordert ein Ende des Wettbewerbs- und Privatisierungswahns . ({5}) Auch jemand mit wenig Geld hat ein Recht auf eine gute Pflege im Alter. ({6}) Pflege ist eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge und gehört deshalb ohne Wenn und Aber in die öffentliche Hand . ({7}) Geben Sie den Kommunen endlich das Geld dafür . Wir brauchen eine Pflegevollversicherung, die alle Kosten der Pflege abdeckt. Zuzahlungen sind und bleiben unsozial . ({8}) Zuzahlungen ließen sich vermeiden, wenn endlich alle in dieselbe Versicherung einzahlen würden . Da sind wir doch gar nicht so weit weg voneinander, liebe Kollegin . ({9}) - Die wollen wir nicht alle; aber wir wollen sie . ({10}) Wir wollen, dass der Chefarzt und die Krankenschwester, die Abgeordneten und unsere Kolleginnen und Kollegen Saaldienerinnen und Saaldiener in eine Versicherung einzahlen . Das gehört sich einfach so . ({11}) Die private und die gesetzliche Pflegeversicherung gehören zusammengeführt zu einer solidarischen Pflegeversicherung . Es darf nicht sein, dass die privaten Versicherungen die Besserverdiener, die Jungen, die Gesunden einsammeln und die Solidargemeinschaft alle Risiken trägt. - Zumindest auf dem Papier, liebe Kollegin Rawert, haben wir ja die gleiche Meinung . - Aber statt solidarisch die Kosten der Pflege auf alle in der Gesellschaft zu übertragen, legen Sie heute wieder einen Gesetzentwurf vor, mit dem keines der zentralen Probleme in der Pflege wirklich angegangen wird. Es bleibt dabei: Eine andere Pflegepolitik geht nur mit der Linken. Danke schön . ({12})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dr . Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Wir haben in dieser Legislaturperiode in den Bereichen Gesundheit und Rente nach meiner Rechnung bereits 18 Gesetze beschlossen, davon 3 im Bereich Pflege. In der Pflege haben wir wichtige Verbesserungen erreichen können, auf die wir aus meiner Sicht stolz sein können . Ich danke allen, die teilgenommen haben, und will kurz in Erinnerung rufen, was wir gemacht haben, sodass man das Gesamtbild sieht: Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz I die Zahl der Betreuungskräfte in den Pflegeeinrichtungen deutlich erhöht . Ohne Betreuungskräfte kann man selbst bei bester Pflege in einer Pflegeeinrichtung traurig und allein sein . Das gilt insbesondere für diejenigen, die keine Anverwandten haben . Das heißt, den Wert der Betreuungskräfte, die sich um die Betroffenen kümmern, die mit ihnen mal einen kleinen Spaziergang im Park machen oder schlicht und ergreifend mal ein Spiel mit ihnen spielen, darf man nicht unterschätzen . Wir haben zwischen 25 000 und 30 000 zusätzliche Stellen für Betreuungskräfte geschaffen. Das war aus meiner Sicht eine wichtige Initiative zur Vermenschlichung der Pflege. ({0}) Zum Zweiten. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II haben wir den massiven systematischen Nachteil von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder mit Einschränkungen hinsichtlich der Art und Weise, wie sie die Umwelt wahrnehmen, beseitigt . Wir hätten ohne diese Maßnahme, ohne die Einführung der neuen Pflegegrade in Zukunft eine massive Zweiklassenversorgung bekommen, nicht mit Blick auf den Unterschied zwischen privat und gesetzlich Versicherten, den Sie, Frau Kollegin, zu Recht beklagen, sondern wir hätten massive Unterschiede zwischen denjenigen, die diese Einschränkungen haben, und denjenigen, die sie nicht haben . Wenn ich diejenigen, die diese Einschränkungen haben, und diejenigen, die sie nicht haben, in dieselbe Pflegestufe einteile und für die Pflege das gleiche Geld gebe, statt unterschiedliche Pflegegrade zu wählen, dann bringt die Versorgung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung - das sind diejenigen, die hohe Kosten verursachen - für die Einrichtungen ein Verlustrisiko mit sich, weil ihre Versorgung mit dem gleichen Beitrag abgedeckt wird wie die Versorgung der Menschen ohne psychische Erkrankung. Wir hätten in der Pflege eine Zweiklassenmedizin gehabt, einen Unterschied zwischen denjenigen, die eingeschränkt sind, und denjenigen, die nicht eingeschränkt sind . Das konnten wir abwenden, indem wir bei den Pflegegraden genau diese Unterscheidung getroffen haben . Das war aus meiner Sicht eine wichtige Initiative, um mit einem Problem umzugehen, das sich jetzt anbahnt. Denn wir stellen fest, dass bei den Menschen, die jetzt neu pflegebedürftig sind, 80 Prozent eine kognitive Einschränkung im Sinne einer Vorstufe der Demenz oder bereits eine Demenz haben . Das war nicht abgebildet . Von Sabine Zimmermann ({1}) daher war das auch aus meiner Sicht ein wesentlicher Erfolg, ein wichtiger Schritt nach vorne . ({2}) Wir haben in der Pflege Planungsprobleme. Diese Planungsprobleme werden an Bedeutung gewinnen . Denn es gelingt uns seit 2011 nicht mehr, die notwendigen Pflegekräfte zu gewinnen, die wir benötigen. Wir könnten sie sogar bezahlen . Seit 2011 haben wir einen sich aufbauenden Bedarf . Es gibt immer mehr Stellen, die wir besetzen wollen, aber nicht besetzen können . Uns fehlen die Pflegekräfte, und zwar bereits seit einigen Jahren. Langfristig gibt es weniger Betreuung durch Angehörige . Bisher werden zwei Drittel der zu Pflegenden zu Hause betreut. Das könnte ein riesiges Problem werden. Darum brauchen wir nicht nur eine Stärkung der Finanzierungsbasis der Pflegeversicherung, wie wir sie in dieser Legislaturperiode in den entsprechenden drei Gesetzen beschlossen haben - insgesamt 6 Milliarden Euro mehr für die Pflegeversicherung; das ist ein Aufwuchs von 23 Prozent in einer Legislaturperiode -, sondern wir brauchen auch bessere Arbeitsbedingungen . Diese besseren Arbeitsbedingungen können wir nur erreichen, wenn nach Tarif bezahlt wird . Wir haben bereits erreicht, dass die tarifliche Bezahlung von Pflegekräften bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht gegen die Einrichtung verwendet werden kann . Das Gleiche konnte auch schon bei kirchlichen Trägerschaften erreicht werden . Wir haben dies jetzt zusätzlich für diejenigen erreicht, die gar nicht tariflich gebunden sind. Das sind in den neuen Bundesländern zwei Drittel der Beschäftigten . Zwei Drittel der Beschäftigten werden nicht nach Tarif bezahlt . Wir konnten jetzt erreichen, dass eine Bezahlung bis zum Tarif nicht genutzt werden kann, um einer Einrichtung Unwirtschaftlichkeit vorzuwerfen . Das halte ich für einen großen Schritt nach vorne . ({3}) Ich weiß, dass das dem einen oder anderen in der Unionsfraktion nicht so leicht gefallen ist . Sie haben es trotzdem mitgetragen . Dafür möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bedanken . ({4}) Die Kommunen müssen bei der Planung der Pflege stärker berücksichtigt werden. Das ist mein letzter Punkt; ich bitte noch einmal kurz um Ihre Aufmerksamkeit . Wir wissen, in den skandinavischen Ländern haben die Kommunen eine viel aktivere Rolle bei der Pflegeplanung. Wenn jetzt hier in Deutschland Pflegedienste dichtmachen, weil die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist, weil der Bedarf nicht gedeckt werden kann, dann gibt es keine kommunale Planung für die Pflege. Wir haben diese kommunale Planung nicht nur finanziell gestärkt und möglich gemacht, sondern wir haben auch die Kostenträger, also die Pflegekassen, und die Einrichtungen verpflichtet, an den Planungsgesprächen teilzunehmen und die Ergebnisse bei den Verhandlungen zu den entsprechenden Pflegeverträgen zu berücksichtigen. Das ist für denjenigen, der damit nicht jeden Tag beschäftigt ist, eine technische Kleinigkeit .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, mit dieser technischen Kleinigkeit müssen Sie jetzt zum Schluss kommen .

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin - Ich bestreite, dass es eine technische Kleinigkeit ist .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sie haben es gesagt .

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Abschluss . - Das war ja gerade mein Punkt. Es handelt sich nicht um eine technische Kleinigkeit, sondern es handelt sich um eine wesentliche Stärkung der Kommunen bei der Pflegeplanung und bei der zukünftigen Bedarfsdeckung . Ich danke für die Geduld und auch für die Aufmerksamkeit . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Nachdem wir es jetzt noch einmal erläutert bekommen haben - die Ironie hinsichtlich der technischen Kleinigkeit hat, glaube ich, jeder verstanden -, kommen wir zur nächsten Rednerin . Elisabeth Scharfenberg hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich jetzt über das PSG III spreche, möchte ich ganz kurz auf einige Wordings meines Kollegen Lauterbauch eingehen . Herr Professor Lauterbach, Sie haben sich hierhingestellt und gesagt: Ohne Betreuungskräfte kann das Leben in einem Pflegeheim ganz schön einsam sein. Die Betreuungskräfte haben die Pflege vermenschlicht. - Machen Sie sich einmal deutlich, was Sie jeder Pflegefachkraft in diesem Land hier mit auf den Weg geben . Vergessen Sie bitte nicht die Situation, mit der die Pflege jeden Tag vor Ort kämpft, ({0}) zum Beispiel mit der Minutenpflege, mit dem Gerenne usw . Das gehört goutiert . Wir sollten nicht die einzelnen Kräfte in den Einrichtungen gegeneinander ausspielen . ({1}) Es braucht eine Teamleistung, damit die Pflege funktioniert. Die Pflegekräfte gehen jeden Tag über ihre persönlichen Grenzen hinaus, damit der Laden läuft . ({2}) Zum PSG III. Sie beschließen heute ein sehr mutloses Gesetz . ({3}) Welche Rolle die Kommunen in der pflegerischen Versorgung spielen sollen, ist doch eine der zentralen pflegepolitischen Zukunftsfragen . Das Gesetz gibt einfach keine Antwort darauf . ({4}) In den Kommunen leben die Menschen . Dort werden sie versorgt . Dort haben sie ihre Nachbarn und ihre Freunde und meist auch ihre Familie . Die lokalen Gegebenheiten sind überall anders . Deswegen müssen wir Spielräume vor Ort schaffen, damit auch in einer Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern die Selbsthilfe, die Kasse, die Leistungserbringer, die Sozialhilfeträger usw . nach diesen Gegebenheiten entscheiden können, welche Versorgung sie vor Ort brauchen . ({5}) Das können ganz andere Notwendigkeiten sein als beispielsweise für eine Gemeinde im nördlichen Rheinland oder bei mir zu Hause in Oberfranken . Mit anderen Worten: Wir müssen das starre System der Pflegeversicherung auflockern. Als wir vor drei Jahren den Koalitionsvertrag dieser Regierung gelesen haben, haben wir uns durchaus gefreut. Wir fanden es gut, dass Union und SPD die Kommunen im Bereich Pflege stärken wollten. Wir haben Ihnen aber auch schon damals gesagt, dass Ihre Koalitionsvereinbarung zur Pflege zwar sehr ambitioniert daherkommt, dass sie aber auch merkwürdig konzeptionslos bleibt . Schon damals wurde nicht deutlich, in welche Richtung Sie die pflegerische Versorgung entwickeln möchten . Das zeigt sich eben auch heute . Sie stellen uns keine Idee der Pflege in der Zukunft vor, und Sie tasten wesentliche Stellschrauben der pflegerischen Versorgung einfach nicht an . Die Rolle der Kommunen ist eine solche Stellschraube. Noch einmal: Es geht darum, wie wir die pflegerische Versorgung wieder näher an die Menschen bringen können . Das können wir nur in und das können wir nur mit den Kommunen schaffen. Diese Chance verspielen Sie heute . ({6}) Letztlich erschöpft sich die sogenannte Stärkung der Kommunen in bis zu 60 Modellvorhaben zur kommunalen Pflegeberatung. Beratung ist enorm wichtig, aber die Modellkommunen erhalten keine Möglichkeiten zur Gestaltung der pflegerischen Versorgung an sich, zur Pflegeplanung und zur Erprobung von Case- und Care-Management-Ansätzen . Dann noch eine ganz besondere Volte, die Sie hier drehen . Von diesen wenigen Modellkommunen dürfen die Hälfte zwingend keine Vorerfahrungen mit Pflegeberatung haben . Ein gewisser Anteil ist sicherlich sinnvoll . Aber die Hälfte? Ich denke, damit ist heute schon klar, dass die Modelle in der Gesamtbetrachtung am Ende nicht erfolgreich sein werden . Das ist eine reine Alibiveranstaltung . Die Koalition so scheint es - will gar nicht, dass es funktioniert . ({7}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie waren in den letzten Jahren zweifellos fleißig . Das ist für Sie wieder die Möglichkeit, einen Zwischenapplaus zu geben . ({8}) Die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und die deutliche Ausdehnung der finanziellen Mittel der Pflegeversicherung waren absolut überfällig. Aber Sie dürfen sich darauf nicht ausruhen . Insgesamt bleibt es eine Pflegepolitik des Weiter-so, und davon ganz viel. Aber auch mit viel Geld kann man nicht zukleistern, dass eine zukunftsorientierte Pflege eine Orientierung braucht. Sie haben und bieten diese Orientierung einfach nicht . Darüber darf auch der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht hinwegtäuschen. Welche Art von Pflege, welche Form von Leistungen die Menschen damit in Zukunft bekommen, ist doch völlig offen. Das ist doch aber eine der entscheidenden Fragen . Auch Ihre großzügige Ausgabenpolitik ist absolut auf Sand gebaut . Es sind doch übrigens alles Versichertengelder, über die wir hier sprechen . ({9}) Im aktuellen Pflegereport der Barmer GEK wird schon für das nächste Jahr ein Defizit der Pflegeversicherung befürchtet . Diese schwere Hypothek hinterlassen Sie der nächsten Bundesregierung, weil diese Große Koalition wieder keine grundlegende Finanzierungsreform vorgelegt hat . ({10}) Diese grundlegende Finanzierungsreform muss natürlich lauten: Bürgerversicherung . Das wissen Sie; das wissen wir ganz genau . Daran wird kein Weg vorbeiführen . ({11}) Stattdessen haben wir Ihren völlig sinnlosen Pflegevorsorgefonds an der Backe - so sinnlos wie ein Kropf -, ({12}) einen Fonds, der nur Geld bindet . ({13}) Das ist reine Symbolpolitik; dabei brauchen wir in der momentanen Situation etwas ganz anderes . Auch gegen den dramatischen Personalmangel in der Pflege haben Sie kaum etwas getan. Die Entwicklung eines Personalbemessungsverfahrens haben Sie zwar beschlossen, aber schön bis ins Jahr 2020 verschoben . Und von einer Einführung ist schon gar nicht die Rede . Ich frage mich, ob Sie persönlich gar keine Schreiben der Pflegekräfte erhalten, ob Sie keine Wasserstandsmeldungen der pflegenden Angehörigen erhalten. ({14}) - Die Pflegekräfte sind da ganz anders unterwegs. Liebe Mechthild Rawert, ich glaube, du unterhältst dich mit den Funktionären, ({15}) die ganz anders unterwegs sind als die Pflegekräfte vor Ort, ({16}) die letztendlich die Arbeit bewältigen müssen und auch eine ordentliche Unterstützung in der Pflege brauchen. ({17}) Ohne ausreichend und gut qualifiziertes Personal wird keine Ihrer Reformen greifen, und das ist ein Drama . ({18}) Das Personal ist der Dreh- und Angelpunkt, und da haben Sie absolut versagt . Vielen Dank . ({19})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Manchmal finde ich es schon ein bisschen komisch, dass wir Menschen immer nur das laut sagen, was nicht funktioniert, was nicht geht, was wir noch haben müssen, wo es Probleme gibt. ({0}) Warum demotivieren Sie sich denn selber so? Heute ist der Tag, an dem wir darüber reden, was wir für die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte in einem dreistufigen Pflegereformkonzept umgesetzt haben. Und das ist ein guter Tag für die Pflege, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({1}) Worum geht es hier eigentlich? Jeder Mensch hat Sorge, dass er pflegebedürftig wird; das ist unabhängig vom Alter . Das kann durch die Geburt, durch einen Unfall in der Kindheit oder in der Jugend, durch eine schwere Krankheit - unabhängig vom Alter - kommen, es kann aber auch im Alter passieren . Alle wünschen sich, dass sie nicht pflegebedürftig werden, aber Pflegebedürftigkeit gab es schon immer . Früher, im Familienverbund, in den Drei-Generationen-Familien, hat man sich gegenseitig geholfen, und diesen Grundgedanken enthält heute die Pflegeversicherung. Als wir vor gut 20 Jahren, 1995, die gesetzliche Pflegeversicherung etabliert haben - damals noch im Wasserwerk in Bonn -, wussten wir, dass hier ein enormer Bedarf auf uns zukommt und dass vieles nicht im ersten Schritt geregelt werden kann . 20 Jahre lang wurde im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung vieles aufgebaut . Liebe Frau Zimmermann, ich kann Ihnen nur empfehlen, mit Leuten, die schon vor 30 Jahren pflegebedürftig waren und heute vielleicht Gott sei Dank noch leben, darüber zu reden, wie die Pflegeheime zu DDR-Zeiten aussahen . Wenn Sie hier behaupten, da sei nichts geschehen: Das ist eine Lüge und entspricht nicht der Wirklichkeit . Entschuldigung, aber das musste einmal gesagt werden . ({2}) In diesen Jahren ist infrastrukturell vieles aufgebaut worden . Ich denke zum Beispiel an die Erhöhung der Zahl der Pflegefachkräfte in ganz unterschiedlicher Form . Auch heute gibt es noch private Institute, die mit Schulgeld Pflegekräfte ausbilden. Das und vieles mehr hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, ({3}) und es ist immer besser geworden . Aber wir haben natürlich erkannt, dass durch die Veränderungen in der Gesellschaft an vielen Stellen Korrekturen - wir sagen dazu: Reformen - notwendig sind . Diese haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart - hier waren wir uns einig -, und jetzt haben wir sie in drei Schritten konsequent umgesetzt . Im Ersten Pflegestärkungsgesetz, das im Januar letzten Jahres in Kraft getreten ist, haben wir sehr viele einzelne Maßnahmen etabliert; sie sind von unserer Staatssekretärin heute schon genannt worden . Dafür haben wir einen Zusatzbeitrag von 0,3 Prozentpunkten ins Gesetz geschrieben . Ich will hier noch einmal feststellen, dass mich kein einziger Brief mit einem Protest erreicht hat, dass der Beitrag in der Pflegeversicherung erhöht wurde. ({4}) Die Akzeptanz für diese Aufgabe ist nämlich in der Gesellschaft enorm angestiegen. Das ist ein Prozess, und darüber können wir uns freuen . Wir sind hier aber noch nicht am Ende des Tages . Wir haben dann entschieden, dass von diesen 0,3 Prozentpunkten Beitragssatzerhöhung 0,1 Prozentpunkte in eine Rücklage fließen und somit dazu beitragen, bis zum Jahr 2033 einen Vorsorgefonds aufzubauen . ({5}) Damit betreiben wir Vorsorge . Auch in diesem Bereich gilt, in guten Zeiten für schlechte Zeiten vorzusorgen; das macht man zu Hause genauso . Wir machen das verantwortungsvoll in einem solidarischen System . Das ist sinnvoll, um mit der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen in späteren Jahren - das ist heute schon zu erkennen - besser umgehen zu können . Das ist eine vernünftige Maßnahme gewesen . Ich möchte Ihnen auch in Erinnerung rufen, dass die Umstellung im PSG II von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade, um den Bedürfnissen der Menschen besser gerecht zu werden, ein richtiger Schritt war. Wir befinden uns im Dezember 2016 . Dieses Jahr war das sogenannte Vorbereitungsjahr . Ich will mich an dieser Stelle wirklich bei allen Fachleuten und Fachkräften in den einzelnen Einrichtungen bis runter zu denen, die in der Pflegeversicherung und in den Koordinierungskreisen arbeiten, bedanken, dass sie die Umstellungsprozesse in diesem Jahr auf den Weg gebracht haben . Dadurch können wir pünktlich am 1 . Januar 2017 sagen: Niemand wird schlechtergestellt . Dafür an alle ein herzliches Dankeschön . ({6}) Das ist für die beteiligten Menschen und die Verwaltung eine enorme Arbeit gewesen . Im Pflegestärkungsgesetz III geht es um die Klarstellung der Schnittstellen zwischen - technisch gesagt - dem SGB XII, also der Hilfe zur Pflege, und dem eigentlichen Pflegegesetz. Damit wollen wir verhindern, dass in Zukunft Menschen von Pontius zu Pilatus geschickt werden, dass es zu weiteren Verschiebebahnhöfen kommt oder gar weitere Koordinierungskreise mit entsprechenden Bezeichnungen etabliert werden . Das ist also für alle sinnvoll . Mit diesem Gesetz geben wir den Kommunen den Schlüssel in die Hand, um ihre Angebote vor Ort besser zu vernetzen, auch wenn es hier und da einen Bürgermeister gibt - das ist Gott sei Dank nicht flächendeckend so -, der gar nicht weiß, was in der Pflege in seinem Zuständigkeitsbereich passiert . Die Kommunen können so jedenfalls besser koordinieren und beraten und auch die aufsuchende häusliche Beratung durchführen . Diese Aufwendungen bekommen sie zwar von der Pflegeversicherung ersetzt; trotzdem bleibt es bei der kommunalen Selbstverwaltung . Auch das muss man an dieser Stelle erwähnen. Ich empfinde das als eine richtige Maßnahme, die dabei helfen wird, das Geschehen vor Ort besser zu koordinieren, und zwar um die Menschen dabei zu unterstützen, möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben zu können . Wenn das nicht mehr geht, werden sie sofort Unterstützung bekommen, um den Platz in einem Heim zu erhalten, den sie brauchen . Für unvorhergesehene Situationen haben wir schon im PSG I eine Freistellung von der Arbeit für maximal zehn Tage eingeführt, damit man die Pflege für seine Lieben organisieren kann . Auch diese von uns beschlossene Maßnahme ist wichtig und richtig und muss genutzt werden . Dass dieses niedrigschwellige Angebot bisher so schlecht angenommen worden ist - in diesem Sommer gab es gerade einmal, wenn ich das richtig sehe, bundesweit knapp 500 Anträge -, liege, so habe ich erst gedacht, an einer Fehlinformation . ({7}) Aber nein, es ist so: Dieses Instrument ist einfach noch nicht bekannt genug . ({8}) Deshalb sind die koordinierenden Kreise vor Ort wichtig, um alle niedrigschwelligen Angebote bei den Leuten bekannt zu machen . Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen - diesen Punkt hat auch der Kollege Lauterbach angesprochen -, dass sich die Entlohnung der schweren Arbeit der Pflegekräfte in den Pflegesätzen widerspiegeln muss. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass der Träger jahrelang ein Minus erwirtschaftet; denn dann müsste er ja Insolvenz anmelden . Wir haben deshalb extra im Änderungsantrag festgeklopft, dass die Entlohnung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen muss . Ich kann von daher nur an alle Verhandler - das sind die Pflegekassen und die Krankenkassen, aber auch die kommunale Seite - appellieren, dass sie mit diesem Instrument vernünftig umgehen; denn sonst wird es eine Wanderungsbewegung der Pflegekräfte zugunsten der Ballungsgebiete oder der Länder geben, die mehr zahlen können, zulasten der ländlich strukturierten Regionen . Das wollten wir auf keinen Fall .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Schluss kommen .

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb ist das ein gutes Gesetz . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Pia Zimmermann hat als nächste Rednerin das Wort für die Linke . ({0})

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, dass es massive Kritik von den Verbänden und von Betroffenen zu diesem Gesetzentwurf gegeben hat . ({0}) Denn dadurch ist es nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs tatsächlich noch einmal zu einer Entwicklung gekommen . ({1}) Wir begrüßen, dass die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf nun weiterhin gewährt werden soll . So kann wenigstens ein Teil der Betroffenen in gewissem Maße über ihre Versorgung bestimmen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen . Aber - auch das will ich noch einmal ganz deutlich sagen - es handelt sich eben nur um einen Teil der Menschen; es gilt nicht für alle . Weil die Finanzierung der Pflege bei Ihnen vorne und hinten knarrt und Sie sich ohne Not vehement gegen die solidarische Bürgerinnenund Bürgerversicherung stemmen, wird Ihnen auch keine menschenwürdige und individuelle Pflege, Assistenz und Versorgung für alle gelingen . Ihr Gesamtprojekt mit den drei Pflegestärkungsgesetzen geht in die falsche Richtung, ({2}) und es bleibt dabei: Gute Pflege ist weiterhin vom Geldbeutel abhängig . Das ist mit uns nicht zu machen . ({3}) Auf der Internetseite des Ministeriums für Gesundheit kann man lesen - ich zitiere -: Mit den Pflegestärkungsgesetzen hat ein Umdenken in der Pflege begonnen. Mehr Leistungen für Pflegebedürftige, mehr Entlastung und Sicherheit für pflegende Angehörige und mehr Zeit für Pflegekräfte - die Neuerungen kommen im Alltag an . ({4}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir ja jetzt einmal unter die Lupe nehmen . Punkt eins: mehr Leistungen für Pflegebedürftige. Es wird mehr Leistungen für Menschen mit Pflegebedarf geben, aber - ich sagte es schon - eben nicht für alle . Denn gerade diejenigen, die ohnehin schon am wenigsten haben, machen Sie zum Gegenstand Ihrer Sparpolitik . Fast 400 000 Menschen sind auf Hilfe zur Pflege angewiesen. Sie können die finanziellen Belastungen aus der Pflegeversicherung nicht mit ihrem eigenen Einkommen begleichen . Und wir wissen alle: Dank Ihrer Rentenpolitik werden es immer mehr werden . ({5}) Das Pflegestärkungsgesetz III benachteiligt diese Menschen . Sie erhalten nicht dieselben Leistungen wie andere Menschen mit Pflegebedarf, die keine Sozialhilfe beziehen müssen . Das, meine Damen und Herren, sind unhaltbare Zustände . ({6}) Punkt zwei: mehr Entlastung und Sicherheit für pflegende Angehörige. Menschen, die Hilfe zur Pflege beziehen, sollen zu Hause möglichst von Angehörigen oder Nahestehenden gepflegt werden. Das Wörtchen „sollen“ im Gesetzentwurf hat man Ihnen abgetrotzt, Herr Minister. Sie wollten sogar eine Pflicht zur Familienpflege, damit die Kommunen Sozialausgaben sparen können . Jetzt ist zumindest der alte Gesetzeszustand wiederhergestellt . Welch seltsame Pflegestärkung! ({7}) Meine Damen und Herren, zu Hause pflegen vor allem Frauen aus der Familie, Freundinnen und Nachbarinnen. Doch sie können fachlich qualifizierte Pflege nicht ersetzen . Sie werden zusätzlich gebraucht: neben der Fachpflege, begleitend, unterstützend und betreuend. Die Pflege ist aber kein „Kann doch jeder“-Beruf. Sorgearbeit darf nicht abgewertet werden . Und Sie nennen das Entlastung und Sicherheit für pflegende Angehörige! Tut mir leid, auch da können wir nicht mitgehen . ({8}) Punkt drei: mehr Zeit für Pflegekräfte. Das ist die Gruppe der Beteiligten in der Pflege, für die Sie am wenigsten tun. Sie setzen den Pflegebedürftigkeitsbegriff in Kraft und wollen 2020 beginnen, sich über das Ausmaß des dafür nötigen Personals Gedanken zu machen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein . ({9}) Ich frage Sie: Haben Sie denn wirklich keinen blassen Schimmer, unter welch immensem Druck das Pflegepersonal schon jetzt steht? ({10}) Pflege im Minutentakt, keine Zeit für Gespräche, keine verlässlichen Dienstpläne und, und, und . Meine Damen und Herren, das Pflegestärkungsgesetz III schließt viele Menschen aus, die bisher anspruchsberechtigt waren . Das sind vor allen Dingen Nichtversicherte, Geflüchtete und alle, die die Mindestpunktzahl in der Begutachtung nicht erreichen . Durch das Pflegestärkungsgesetz III bleiben auch Menschen mit Behinderungen benachteiligt, wenn sie Pflege brauchen. ({11}) Gerade diese Menschen sind allzu oft auf Sozialhilfe angewiesen . Wir wollen, dass alle Menschen mit Behinderung umfassende Eingliederungshilfe erhalten, damit sie am Leben teilhaben können . ({12}) Meine Damen und Herren, Menschen mit Behinderung müssen ihren Anspruch auf Eingliederungshilfe behalten, auch wenn sie Hilfe zur Pflege bekommen. ({13}) Außerdem werden Menschen mit demenzieller Erkrankung, die auf Hilfe zur Pflege angewiesen sind, ab Januar 2017 schlechter eingestuft als Menschen mit derselben Beeinträchtigung außerhalb der Sozialhilfe . ({14}) Diese weitere Ungerechtigkeit müssen Sie den Menschen erklären . Unsere Zustimmung erhalten Sie dafür nicht . ({15}) Auch eine Stärkung der Kommunen sieht anders aus, meine Damen und Herren . Wenn Kommunen wirklich entscheiden und gestalten sollen, brauchen sie mehr als nur Beratungsstellen, die Sie in 16 Modellkommunen einrichten . ({16}) - Ja, 60 Modellkommunen von über 11 000 . - Das ist doch eher lächerlich . Die Kommunen benötigen Geld und Entscheidungsgremien für eine altersgerechte Infrastruktur, für Barrierefreiheit und für alternative Wohnangebote. Und Sie brauchen mehr finanzielle Unterstützung und nicht immer mehr Aufgaben . ({17}) All das berücksichtigen Sie in Ihrem Gesetz nicht . Am Ende bleibt: Sozialhilfebezieherinnen und Sozialhilfebezieher werden mit diesem Gesetz diskriminiert . Die Kommunen können Pflege nicht wirklich gestalten. Meine Damen und Herren, trotz Ihrer Änderungen, die zum Teil ja gut sind, können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen; denn meine Fraktion steht dafür, dass jeder und jede selbst entscheiden kann, wo er bzw . sie gepflegt wird, von wem er oder sie gepflegt wird und in welchem Umfeld er bzw. sie gepflegt wird. ({18}) Sie verpassen mit diesem Gesetz erneut die Chance, einen Paradigmenwechsel durchzuführen, der der Pflege guttun würde. Gute Pflege für alle wird es aber nur geben, wenn die Pflegeversicherung auch alle Leistungen bezahlt, wenn gut ausgebildete Fachkräfte gut verdienen und gut arbeiten können . Das geht nur, wenn alle ohne Wenn und Aber in die Pflegeversicherung einzahlen. Vielen Dank, meine Damen und Herren . ({19})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Hilde Mattheis das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht immer ist eine Behauptung besser als ein Beweis . ({0}) Damit kommt man einfach nicht durch . Man sollte dieses Gesetz wirklich lesen . ({1}) Wir haben in dieser Legislaturperiode Baustein um Baustein für bessere Pflege gesetzt. ({2}) Wir haben Leistungsverbesserungen gemacht . Wir haben die Angehörigen entlastet. Wir haben viel für das Pflegefachpersonal getan . ({3}) Jetzt kommt ein Baustein für die Pflegeinfrastruktur. Es sollen noch weitere Bausteine folgen . Sie könnten uns dabei unterstützen, zum Beispiel bei dem Thema generalistische Ausbildung . ({4}) Übrigens wollen das nur wenige nicht . Die meisten wollen das. Diese kommen zu uns und sagen: Hoffentlich bekommt ihr das noch in dieser Legislaturperiode hin . ({5}) Wir wollen natürlich auch einen Mindestpersonalschlüssel für die Alteneinrichtungen und für die ambulante Pflege. Aber das fällt nicht vom Himmel. Wenn Sie sagen, bis 2020 geschehe nichts, dann entgegne ich Ihnen: Wenn wir das bis übernächstes Jahr auf den Weg gebracht hätten, dann hätte es garantiert geheißen, dass wir uns nicht genug Zeit gelassen hätten, das auf den Weg zu bringen . Was also die fachlich-sachliche Ausgestaltung anbelangt, kann ich nur raten, sich auf den Text zu konzentrieren, der hier vorliegt . ({6}) Das will ich jetzt gerne tun . Erstens geht es um die Einbeziehung der kommunalen Ebene und der Landesebene. Als zweiten wichtigen Punkt - ich bin froh, dass wir heute hintereinander über beide Gesetzentwürfe debattieren: erst über den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes und nun über den PSG-III-Entwurf -, machen wir jetzt alles im Pflegebereich, um die Schnittstellenproblematik mit dem Bundesteilhabegesetz bei der Überleitung in die Hilfe zur Pflege zu lösen. Diese beiden Bausteine beschäftigen uns heute . ({7}) Die Länder sollen wesentlich stärker in die Pflicht genommen werden . Deswegen haben wir gesagt: Ja, auch das geht nicht ohne den Austausch mit den Ländern . - Es gibt ein Bund-Länder-Eckpunktepapier, an dessen Erarbeitung auch die Landesminister der Grünen beteiligt waren . Ich fand das gut; denn das ist die Grundlage dessen, was wir jetzt hier tun . Die Länder und die Kommunen haben uns gesagt: Nein, macht es bitte nicht überall, sondern zuerst als Modellprojekt . Lasst uns erst einmal in 60 Kommunen modellhaft das erproben, was wir alle wollen, nämlich eine ordentliche Vor-Ort-Infrastruktur . - Diese können wir in Berlin nämlich gar nicht vernünftig berechnen oder ausgestalten, weil es eben um Angebote vor Ort geht . Und diese sind in jeder Kommune anders auszugestalten . Das also soll jetzt in 60 Kommunen erprobt werden, und dazu sollen Gelder bereitgestellt werden, damit diese niedrigschwelligen Angebote wirklich auch organisiert und finanziert werden können . Auf Landesebene sollen sich bitte schön die Pflegekassen in den Landesausschüssen einbringen und die Empfehlungen in die Kommunen mitnehmen . So wird doch ein Schuh daraus . Wir auferlegen eben den Kommunen nicht etwas, was sie nicht leisten können, sondern wir betreiben vielmehr auf der Basis der Empfehlungen auf Landes- und Kommunalebene mit Geldern aus der Pflegeversicherung den Aufbau der Pflegeinfrastruktur. Und dies soll in 60 Modellkommunen geleistet werden . Natürlich wollen wir, dass die Pflege vor Ort gestärkt wird . Das ist die Intention . Wir wollen sozialräumliche Arbeit unterstützen . Das geht nur dann, wenn wir alle mitnehmen . ({8}) Ich möchte noch auf das Thema Pflegebedürftigkeitsbegriff eingehen, auf die Übertragbarkeit in den Punkt „Hilfe zur Pflege“ im SGB XII. Das ist nicht banal. Da sind auch die Kommunen unsere Verhandlungspartner . Sie haben Angst, dass sich die Finanzströme verschieben . Sie haben Angst, dass sie eine zusätzliche Belastung erfahren werden . Ich kann das nachvollziehen . Aber wir brauchen eine Lösung für die Menschen . Darum geht es . Diese Lösung haben wir hinbekommen . Wir haben gesagt: Wir wollen die Gleichrangigkeit von Pflege, Teilhabe und Eingliederung weiterhin erhalten . Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir haben ja mit der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Ausweitung der Leistungsansprüche erreicht, dass auch Teilhabe in den Bereich der Pflege einwirkt. Dadurch gibt es natürlich Überlappungen . Deswegen muss man diese Schnittstellenproblematik lösen . Das haben wir gemacht . Es ist, wie das schon heute Morgen auch beim Bundesteilhabegesetz herausgestrichen worden ist, eine Leistung des Parlaments, mit vielen Änderungsanträgen da nachjustiert zu haben . ({9}) Uns geht es um die Menschen, egal ob sie pflegebedürftig oder Menschen mit Handicap sind . Uns geht es um die, die Pflegeleistungen erbringen, egal ob sie es im Ehrenamt oder als Beruf machen . Uns geht es darum, dass wir die Teilhabe verbessern und ermöglichen . Mit dem PSG III und weiteren Gesetzen, die wir auf der Agenda haben, kommen wir dem Schritt für Schritt ein Stück näher . Darum geht es . Dafür bitten wir um Unterstützung . Herzlichen Dank . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht Kordula Schulz-Asche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch, der pflegebedürftig wird, hat zu diesem Zeitpunkt seine eigene, ganz persönliche Lebenssituation: Hat man einen Partner oder Freunde, die einem helfen oder einen pflegen können? Wohnen die Kinder in der Nähe, oder hat man überhaupt Kinder? Hat man eine Wohnung im dritten Stock ohne Fahrstuhl, oder wohnt man in einer Erdgeschosswohnung, die gut zugänglich ist? Ist man noch sehr selbstständig, oder hat man bereits einen hohen Pflegebedarf oder eine beginnende Demenz? Und deshalb braucht jeder Mensch, der pflegebedürftig wird, eine ganz persönliche Beratung und Hilfe, um den nächsten Lebensabschnitt selbstbestimmt und entsprechend den eigenen Wünschen zu gestalten . ({0}) Das, meine Damen und Herren, ist für mich der Maßstab, an dem sich jede Pflegereform messen lassen muss. ({1}) Eines kann ich Ihnen gleich sagen: Das sogenannte Pflegestärkungsgesetz III wird diesen Ansprüchen bei weitem nicht gerecht . ({2}) Wir fragen doch: Was braucht es für individuelle Beratung und Unterstützung? Mit Sicherheit keinen Pflegestützpunkt weit weg vom Wohnort, betrieben von den Krankenkassen, die selber für die Leistungen zuständig sind . Diese schwarz-gelbe Schnapsidee ist gescheitert; ({3}) denn sie geht an den Interessen der Menschen vorbei . ({4}) Nein, wir brauchen endlich eine individuelle Beratung und Begleitung am Wohnort ({5}) für diejenigen, die zu Hause leben können und möchten, für ihre pflegenden Angehörigen oder bei der Suche nach passenden Pflegediensten oder geeigneten Wohnformen. Und wir brauchen eine Planung für diese am Bedarf ausgerichteten Angebote vor Ort, Vernetzung, Qualifizierung und Förderung bis hin zur ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe . Wer macht das eigentlich irgendwie schon, manche schon sehr gut, und andere noch ein bisschen in den Kinderschuhen steckend? Meine Damen und Herren, das sind die Kommunen . Sie sind zuständig für die Altenhilfe und für die soziale Teilhabe im Stadtteil . Sie könnten viel mehr tun für die Prävention von Pflegebedürftigkeit. Sie könnten natürlich wohnortnah unabhängige Pflegestützpunkte betreiben. Sie könnten auch die Pflegeplanung lokal befördern und die vorhandenen Akteure besser vernetzen . ({6}) Diese Konzepte lediglich mit 60 Kommunen zu probieren - 60 von rund 11 000 -, ist kein Konzept der flächendeckenden Versorgung . ({7}) Es kann doch nicht sein, dass es ein Zufall ist, ob man im Alter selbstbestimmt versorgt wird und wie man sich beraten lassen kann . Das können wir so nicht hinnehmen . ({8}) Sie haben in Ihrem Gesetz noch zwei andere Punkte, die ich extra ansprechen möchte, weil mir nicht klar ist, warum Sie diese Ungerechtigkeiten für Menschen, die ohne eigene Schuld unzureichende Leistungen erhalten, nicht beseitigt haben . Eine Gruppe sind die behinderten Menschen mit Pflegebedarf, die in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe nach § 43a SGB XI untergebracht sind . Warum bekommen die nicht endlich einen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung? Das würde die Kommunen entlasten und dort Investitionen in eine bessere wohnortnahe Pflegeplanung erleichtern. ({9}) Eine relativ kleine Gruppe, die ich auch ansprechen möchte, sind die Menschen, die trotz allgemeiner Versicherungspflicht nicht ausreichend versichert sind und nur Hilfe zur Pflege erhalten, obwohl sie stationär untergebracht sind: Das sind Suchtkranke, das sind aber auch ältere jüdische Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die unzureichende Vorversicherungszeiten haben . Ich verstehe nicht, warum man für diese Menschen nicht Pflegeleistungen vorsehen kann, und ich glaube, die Betroffenen sicher auch nicht. ({10}) Deswegen, meine Damen und Herren, mein Fazit: Sie sind groß im Eigenlob, aber in Wirklichkeit fehlt Ihnen die Fantasie und der Mut, die Herausforderungen des demografischen Wandels durch eine umfassende finanzierbare Reform der Pflege anzunehmen, bei der der Mensch nicht nur in Worten, sondern endlich auch in Taten im Mittelpunkt steht . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Erwin Rüddel für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Dritten Pflegestärkungsgesetz setzen wir den Schlussstein einer großen Pflegereform, die größte Reform, die es in der Pflegeversicherung in den letzten 21 Jahren gegeben hat . Wir haben Wort gehalten: Das, was wir im Koalitionsvertrag geschrieben haben, setzen wir eins zu eins um . Wir schaffen mehr Qualität, mehr Geld und mehr Betreuung für gute Pflege in unserem Land. ({0}) Zum jetzt vorliegenden PSG-III-Entwurf gehören zentral die Stärkung der örtlichen Pflegeinfrastruktur und der Ausbau der Pflegeberatung. Wir wollen mehr Qualität durch gute Beratung ins System bringen. Schon im PSG I haben wir die niederschwelligen Leistungen ausgeweitet. Jetzt, im PSG III, schaffen wir es über die Stärkung der Kommunen, dass neben niederschwelligen Angebote auch flächendeckend entsprechende Strukturen aufgebaut werden können . Es geht hier um Vernetzung: Wir verzahnen die ambulante und die stationäre, die medizinische und die pflegerische Versorgung miteinander . Kommunen können künftig selbst Beratungsleistungen anbieten und die Einrichtung weiterer Pflegestützpunkte auf den Weg bringen . In 60 Kommunen können modellhaft neue Formen der Beratung erprobt werden . Wir werden sehen, welche konkreten Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige sich daraus ableiten, und wir werden dann die Verbesserungen flächendeckend auf den Weg bringen . Unser Ziel ist eine lückenlose, wohnortnahe und effektive Versorgung, maßgeschneidert für die jeweiligen individuellen Bedürfnisse . ({1}) Das PSG III bedeutet auch mehr Geld für Pflegekräfte. Schon im PSG I haben wir verankert, dass die Kassen bei tarifgebundenen Einrichtungen die Tarife nicht als unwirtschaftlich einstufen können . Das Gleiche setzen wir jetzt um für die Einrichtungen, die nicht tarifgebunden sind . Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigten für Pflege, Karl-Josef Laumann, für seine Beharrlichkeit danken . ({2}) Ich glaube, diese Verbesserungen hätten wir im Parlament nicht umsetzen können, wenn hier nicht Menschen gewesen wären, die sich diesem Ziel verschrieben haben . Ich denke, es ist gut so, dass Pflege jetzt besser bezahlt wird . Ein Wort zum Thema Abrechnungsbetrug . Qualitätskontrollen dürfen künftig nicht mehr zum Schaden der Pflegeversicherung verhindert werden. Die Kassen erhalten das Recht auf systematische Prüfung auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege. Der Medizinische Dienst wird künftig regelmäßig die Qualität und die Abrechnungen von Leistungserbringern kontrollieren; denn die Beitragsgelder der Versicherten müssen dort ankommen, wo sie hingehören, und die Pflegebedürftigen und ihre Familien müssen vor betrügerischen Pflegediensten geschützt werden . ({3}) Das PSG III setzt den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff auch im Recht der Hilfe zur Pflege in der Sozialhilfe um. Dadurch entstehen neue Schnittstellen zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe . Aus meiner Sicht ist entscheidend - wir haben die damit verbundenen Probleme gelöst - die Beibehaltung der Gleichrangigkeit der Leistungen von Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe . Entscheidend ist, dass niemand schlechtergestellt wird als zuvor und dass es keine Verschiebungen zulasten der sozialen Pflegeversicherung gibt. Es hat keinen Sinn, die Pflegeversicherung mit Mehrausgaben zu belasten, ohne dass sich die Leistungen für Menschen mit Behinderung verbessern . Die kommunalen Haushalte dürfen sich zudem nicht zulasten der Pflegeversicherung ihrer Aufgaben aus der Eingliederungshilfe entledigen; denn die Beitragsgelder der Versicherten dienen einzig und allein einer guten Pflege. ({4}) Die drei Pflegestärkungsgesetze werden mit einer ganzen Reihe flankierender Maßnahmen abgerundet, und damit wird die Pflegeversicherung einer grundlegenden Erneuerung zugeführt . Ich denke hier an den Bürokratieabbau. Ich denke hier an die Neugestaltung des Pflege-TÜVs . Ich denke hier auch an die Regelungen, die wir zur Verbesserung der Medikamentensicherheit geschaffen haben, an das E-Health-Gesetz mit dem Medikationsplan, an das Palliativ- und Hospizgesetz. Im Zentrum der Bemühungen steht für uns immer mehr Qualität in der Pflege. Das gilt ausdrücklich auch für das kommende Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Damit werden wir für Ausschreibungen auf der Basis eines aktualisierten Heilmittelverzeichnisses sorgen, und wir werden sicherstellen, dass es künftig nicht nur um eine gute Qualität der Produkte gehen wird, sondern auch um eine fachkundige begleitende Beratung und um einen anständigen Service . Ordentliche Qualität ohne Zuzahlung soll künftig Standard sein . Gestatten Sie mir noch einen Ausblick; denn es gibt in Sachen Pflege auch über diese Legislaturperiode hinaus Handlungsbedarf . Wir müssen uns künftig darauf konzentrieren, dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege attraktiver werden . Da gibt es ein weites Feld für Erleichterungen und verbesserte Rahmenbedingungen . Ich nenne nur einige Stichworte: Digitalisierung in der Pflege, technische Assistenz, Smart Home, Einbindung in die Gematik, besserer Datenaustausch zwischen Krankenhaus, Pflege, Arzt und Apotheke. Intelligente Dokumentation und Prozesssteuerung sind geeignet, den Personaleinsatz trotz absehbarem Fachkräftemangel zu optimieren und damit zu einer guten Versorgung beizutragen . Das ist ganz besonders wichtig; denn die Pflegekräfte brauchen mehr Zeit für Zuwendung . Mit einem Wort: Wir müssen die Rahmenbedingungen für den Beruf der Pflegekraft so gestalten, dass er attraktiv bleibt und die Pflegekräfte ihm bis zur Rente treu bleiben . Zum Abschluss danke ich allen, die an diesem Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren . Mein ganz besonderer Dank für diesen Quantensprung, den wir geschafft haben, geht an unsere Staatssekretärin Ingrid Fischbach . Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber auch Frau Kraushaar ganz besonders erwähnen und ihr meinen Dank für diese großartige Leistung aussprechen, ({5}) dieses Gesetz mit auf den Weg gebracht zu haben . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel . - Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen zur nächsten Rednerin: Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion . ({0}) Brauchen Sie einen Stuhl?

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, mir geht es gut. Danke. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Pflegestärkungsgesetz ist für uns - das ist heute schon mehrmals zu Recht gesagt worden - der Abschluss einer wirklich sehr erfolgreichen Pflegereform in dieser Legislaturperiode . Wir widmen uns damit der Zukunft von uns allen . Daran sollten wir häufiger denken. Denn bereits heute wird jeder zweite Mann im Laufe seines Lebens pflegebedürftig, und bei den Frauen sind es sogar annähernd drei von vier - jeweils mit steigender Tendenz . Wir alle kennen die großen Trends der Zukunft . Deswegen ist es notwendig, mögliche Versorgungslücken für die Zukunft zu schließen. Dazu leisten wir mit den Pflegestärkungsgesetzen Wesentliches . ({0}) Die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Pflegeinfrastruktur hat aus meiner Sicht die gleiche gesellschaftspolitische Bedeutung wie die ausreichende bundesweite Versorgung mit Kitaplätzen oder die Gewährleistung von Bildungsgerechtigkeit unter anderem durch Schule - unabhängig von Herkunft, Wohnort, Geschlecht, Behinderung oder finanziellem Vermögen. ({1}) Der Zugang zu individuell bedarfsgerechter Pflege ist Teil sozialer Gerechtigkeit . Deshalb engagieren wir uns auch so stark in diesem Politik- und Lebensfeld. Das PSG III ist ein gutes, wichtiges und politisch komplexes Gesetz . Im Mittelpunkt stehen die zahlreichen Interessen und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen mit und ohne Behinderungen in ihrer ganzen Vielfalt . Gemeinsam ist allen der Wunsch nach Selbstbestimmung und Teilhabe. Das PSG III ist ein gutes Gesetz, weil wir damit den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ab dem 1 . Januar 2017 für alle umsetzen - auch in der Hilfe zur Pflege in der Sozialhilfe. ({2}) - Danke . Es ist ein wichtiges, gutes und auch wegweisendes Gesetz, weil wir damit die Pflege weiterentwickeln und die Rolle der Kommunen in der Pflege stärken. Wir beziehen hierbei die besonderen Kompetenzen der Kommunen in der Pflege mit ein: in die Planung der Infrastruktur, bei der Entwicklung der Sozialräume vor Ort und in die Planung sowie Steuerung der Pflegeberatungsstrukturen. Pflege gehört zur kommunalen Daseinsvorsorge. Und mit dem PSG III tragen wir zu diesem Verständnis und zu dieser Verantwortungsübernahme - ich gebe durchaus zu: auch das ist noch ein Lernprozess für manche Kommune - wesentlich bei . ({3}) Das PSG III ist ein politisch komplexes Gesetz. Ergänzend zum Bundesteilhabegesetz haben wir die Schnittstellen zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe, zwischen Pflegeversicherung und Hilfe zur Pflege im SGB XII geregelt. Berücksichtigt wurden die Interessen der Menschen und die keineswegs immer übereinstimmenden Interessen der Kostenträger: der Pflegekassen, der Sozialhilfe- und Eingliederungshilfeträger . Und auch alle Bundesländer mussten mit ins Boot; denn dieses Bundesgesetz ist aufgrund seiner Finanzauswirkungen auf die Länder und Kommunen zustimmungsbedürftig . Ohne die Zustimmung des Bundesrates würde es am 1 . Januar 2017 nicht in Kraft treten . Daher lassen Sie mich eines herausstellen: Unabhängig davon, wie die einzelnen Fraktionen aus Regierung und Opposition gleich über dieses Pflegestärkungsgesetz III abstimmen werden: Alle tragenden Parteien CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und auch die Linken - haben an unterschiedlichen Stellen Ja gesagt . Somit kann ich sagen: Wir alle tragen die Neuerungen des PSG III mit. Das finde ich natürlich super - im Interesse von Selbstbestimmung und Teilhabe vieler Menschen . ({4}) Beim PSG III gilt das altbekannte Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist . ({5}) Wir hatten auch viele gute Grundlagen . Es hat die Bund-Länder-Kommission gegeben . Vor allen Dingen hatten wir viel Unterstützung und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter . Daher an dieser Stelle mein Dank an die beiden Ministerien, an die politischen Verantwortungsträger, an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie selbstverständlich auch an unsere eigenen Teams; denn die waren wirklich alle sehr kompetent und einsatzbereit . Das PSG III hat viele positive Punkte. Über die Kommunen ist schon viel gesagt worden . Ich denke, es ist nun wirklich möglich, dass Bürgerinnen und Bürger mehr über ihre Rechte und Leistungsansprüche erfahren . Eines ist klar: Es nützt das beste Gesetz nichts, wenn die Bürgerin oder der Bürger nichts von den dynamischen Leistungsrechten weiß . Daher: Bitte wenden Sie alle sich an ihre Pflegestützpunkte. Mit dem PSG III implementieren wir viele Qualitätsverbesserungen . Es gibt neue Qualitätsinstrumente . Damit verbessern wir kurz- und mittelfristig die Versorgungssituation . Vieles wird wissenschaftlich untersucht und evaluiert . Wir stopfen auch Schlupflöcher. Pflegedienstleister können sich einer Prüfung hinsichtlich einer verlässlichen Versorgung der Pflegebedürftigen nicht mehr entziehen, und das ist auch gut so . Transparenz ist gut; so manches Mal ist aber Kontrolle noch besser . Nach der Vizepräsidentin Claudia Roth Aufdeckung von Betrugsfällen bei Pflegediensten kann zukünftig außerdem die häusliche Krankenpflege stärker kontrolliert werden . Eines finde ich auch noch besonders toll - Herr Rüddel, Sie hatten es angesprochen -: Bis dato war es so, dass in tarifgebundenen Unternehmen die Beschäftigten mehr Geld erhalten konnten . Darauf waren wir zu Recht stolz . Leider ist der allergrößte Teil der privatwirtschaftlich geführten Pflegeunternehmen davon bis jetzt ausgeschlossen gewesen . Das hat zu vielen Streiks in den Unternehmen geführt . Jetzt kann man den Beschäftigten sagen: Informieren Sie Ihren Arbeitgeber! Machen Sie im Zweifelsfall auch Druck!

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin . ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bis zur Höhe von Tariflöhnen darf niemand Ihnen sagen: Ihr Entgelt darf nicht steigen . - Auch hier sorgen wir endlich dafür, dass gute Arbeit auch gut entlohnt wird . Wir alle sagen: Arbeit in der Pflege darf nicht zur Billigarbeit verkommen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie die Redezeit bei weitem überschritten haben . ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Pflege ist auch kein Feld für vielfach unfreiwillige Teilzeitarbeit . Mit anderen Worten: Wir haben Großes geleistet . Wir werden weiterhin Großes leisten . Wenn wir jetzt noch die Pflegeberufereform unter Dach und Fach bekommen, dann gebe ich sogar noch einen aus . Danke . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Daran werden wir Sie erinnern . Und jetzt erst mal gute Besserung! ({0}) Jetzt ist Zeit für Applaus . Normalerweise wird an dieser Stelle geklatscht . ({1}) Alle waren anscheinend so beeindruckt, weil Sie einen ausgeben wollen . So einfach ist das . Der nächste Redner: Erich Irlstorfer für die CDU/ CSU-Fraktion . ({2})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte meine Rede eigentlich ganz anders beginnen, aber, verehrte Kollegin Schulz-Asche, Sie fordern mich förmlich heraus, erst auf Ihre Rede einzugehen . Sie haben gesagt: Kreativität und Mut haben bei den Pflegestärkungsgesetzen gefehlt . - Ich kann Ihnen nur sagen, dass dieser positive Einschnitt in die Pflege, den wir in dieser Legislatur geschafft haben, immer von dem Gedanken geprägt war: Wie entwickelt sich Deutschland? Wie ist die demografische Situation? Hier waren sehr wohl viel Kreativität, Mut und ein hohes Maß an Fachlichkeit in Kombination mit Menschlichkeit immer mit dabei . Ich möchte uns hier nicht loben, aber ich denke, dass wir dabei erfolgreich waren . ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Pflegestärkungsgesetze in dieser Legislatur bringen spürbare Verbesserungen für die Menschen in unserem Land . Wenn wir in die Pflegeeinrichtungen gehen und mit den Pflegekräften und vor allem mit den zu pflegenden Personen und ihren Angehörigen sprechen, dann erhalten wir ausgesprochen viel Zustimmung . Selbst diejenigen, die von den hohen Beiträgen zur Pflegeversicherung betroffen sind, also Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, egal ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, haben sich mit Kritik zurückgehalten, weil sie wissen, dass das Geld richtig angelegt ist und dass das Geld auch dort ankommt, wo wir es dringend benötigen . Denn - das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen - diese Bundesregierung hat sich entschieden, dass sie nicht nur in Straßen, Schienen und Gebäude investiert, sondern dass sie in Menschen investiert. Das ist die Melodie unserer Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren . ({1}) Aufgrund dieser im Allgemeinen doch positiven Situation, auch in der Szene, kann ich über eine Ablehnung des Gesetzentwurfes wirklich nur den Kopf schütteln . Meine Damen und Herren, mir ist schon bewusst, dass die Opposition in einem politischen System eine besondere Rolle als Kontrollorgan hat, welches auch einmal lautstark Kritik übt und vielleicht einmal über das Ziel hinausschießen darf . Aber ein gewisser Bezug zur Realität, meine sehr geehrten Damen und Herren - das geht vor allem auch an die Linke -, wäre auf jeden Fall auch einmal angebracht . ({2}) Dass durch dieses Gesetz sogar Verschlechterungen für Menschen mit Pflegebedarf oder gar mit Behinderung zu konstatieren wären, war von Ihnen teilweise zu hören . Ich kann nur sagen: Das ist einfach falsch . Durch dieses Gesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden viele Menschen bessergestellt und niemand soll und wird schlechtergestellt werden . Da wir mit dem Pflegestärkungsgesetz viel am offenen System operiert haben, war es nicht einfach, das sicherzustellen . Es ist aber mit Übergangsregeln und Regeln zum Bestandsschutz gelungen . Anders als Sie sagen, droht auch nicht, dass die Träger der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe auf dem Rücken der Betroffenen darüber in Konflikt geraten, wer für die Leistungen zuständig ist . Ich bitte Sie wirklich: Verunsichern Sie nicht laufend die Leute in unserem Land mit Ihren Aussagen! Diese Debatte, die wir hier teilweise führen, ist wirklich schändlich . ({3}) Ich möchte auch sagen: Das Thema Bürgerversicherung wird immer wieder in die Debatte eingestreut, egal von welcher Seite . Dabei wird mit sympathischen Formulierungen wie „Bürgerversicherung“ und „Solidarität“ jongliert . ({4}) Aber wissen Sie, was mir fehlt? Sie sind nicht in der Lage, den Vorteil zu benennen, die systematische Verbesserung . ({5}) Wo ist denn der Vorteil, meine sehr geehrten Damen und Herren? Dazu haben wir bisher wenig gehört . ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, da Pflegeleistungen und Leistungen der Eingliederungshilfe zusammenfallen, sind jetzt die Beteiligten verpflichtet - diese Verpflichtungsregelung ist neu -, sich mit Zustimmung des Betroffenen über Modalitäten der Übernahme und Durchführung der Leistungen sowie der Erstattung zu einigen . Dies ist ein großer Fortschritt im Interesse der Pflegebedürftigen; denn sie müssen sich nicht mit der Bürokratie auseinandersetzen - diese Abstimmung läuft im Hintergrund ab . Auch das gehört zur Wahrheit . Jetzt ist es folgendermaßen geregelt: Die eine Stelle übernimmt die Leistung, die andere den Teil der Kosten, der von ihr zu tragen ist . Für diesen Bereich der Schnittstellenproblematik haben wir also in diesem Gesetz eine klare und gute Regelung gefunden . Das gilt auch für andere große Fragen: Vorrang, Gleichrang - es wurde erwähnt . In meiner Rede zum PSG III im September hatte ich erwähnt, dass von Betroffenen und ihren Verbänden die Befürchtung geäußert wurde, im Verbund mit dem Bundesteilhabegesetz könne es an den Schnittstellen zu Nachteilen für pflegebedürftige Behinderte kommen . Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist uns allen gelungen, dass wir diese geäußerten Bedenken ausräumen konnten, weil wir die Menschen ernst genommen haben . Es ist, glaube ich, eine Stärke unseres Parlaments, dass wir hier kritikfähig waren und die entsprechenden Punkte eingebracht haben. Deshalb ist es ein gutes Gesetz, und deshalb werden wir heute auch zustimmen . Herzlichen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Erich Irlstorfer . - Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion: Heike Baehrens. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das PSG III hat im Rahmen der parlamentarischen Beratungen den richtigen Schliff bekommen. In Anknüpfung an die Debatte heute Morgen möchte ich sagen: Es zeugt von guter demokratischer Kultur, wenn ein ordentlicher Gesetzentwurf nach intensiven Debatten, Gesprächen mit Betroffenen und Experten weiter verbessert wird . ({0}) Denn auf diesem Weg konnte erreicht werden, was wir heute beschließen: dass die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung im Verhältnis zur Pflegeversicherung auch zukünftig nicht nachrangig sind . Erst diese notwendige Klarstellung hat es möglich gemacht, dass wir heute Morgen die größte sozialpolitische Reform dieser Legislaturperiode tatsächlich beschließen konnten: das Bundesteilhabegesetz . ({1}) Menschen mit Behinderungen haben sowohl einen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung als auch auf Leistungen zur gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft . Darüber, wer dies zu bezahlen hat, müssen sich die Kostenträger verständigen . Dazu werden die Pflegekassen nun am neugeschaffenen Teilhabe- und Gesamtplanverfahren der Eingliederungshilfe beratend beteiligt . Der bisher bestehende Gleichrang der Leistungen der Pflege und der Eingliederungshilfe bleibt also bestehen . Gleichzeitig - das ist ganz wichtig - werden die Mitwirkungsrechte von Menschen mit Behinderungen hinsichtlich dieser Verfahrensschritte deutlich gestärkt . Das ist eine wichtige Errungenschaft, die vor allem der Beharrlichkeit unserer Fraktion zu verdanken ist . ({2}) Leider sind die Regelungen zur Abgrenzung der ambulant betreuten Wohngemeinschaften gegenüber stationären Wohnangeboten im PSG III recht kompliziert geregelt worden . Dennoch bin ich zuversichtlich, dass damit sichergestellt wird, dass auch zukünftig alle Menschen mit Behinderung, die ambulant betreut wohnen möchten, auch weiterhin die vollen Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, selbst dann, wenn sie einen hohen PfleErich Irlstorfer ge- und Betreuungsbedarf haben . Denn „ambulant vor stationär“ steht allen Menschen zu . ({3}) Von der Opposition war heute Morgen und auch jetzt zu hören, dass es mit diesem Gesetz nicht gelungen sei, die Kommunen nachhaltig in ihrer Beratungskompetenz zu stärken; dafür hätte mehr Geld eingesetzt werden müssen, so die Opposition . - Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass die Pflegeversicherung die Kommunen in die Lage versetzen muss, Pflegeberatung leisten zu können? Schon längst vor Einführung der Pflegeversicherung hatten Kommunen und Landkreise die Aufgabe, für das Vor- und Umfeld der Pflege zu sorgen. Ja, sie haben noch immer im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge den verbindlichen Auftrag, sich um die alten Menschen vor Ort zu kümmern und sie in allen Lebenslagen bei Fragen rund um die Versorgung zu beraten und zu unterstützen; der Auftrag ist in § 71 SGB XII im Rahmen der Altenhilfe verankert . Diese Verantwortung haben sie . ({4}) Eine solche Beratung muss oft lange vor einem festgestellten Pflegebedarf ansetzen - nur dann ist sie wirkungsvoll -, und sie muss selbstverständlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln finanziert werden . Es gibt durchaus Gemeinden und Landkreise, die diese Aufgaben vorbildlich wahrnehmen - das weiß ich auch aus meinem eigenen Wahlkreis -, weil sie nahe dran sind an dem, was ihre Bürgerinnen und Bürger brauchen, wenn sie älter werden oder krank sind . Aber es gibt auch viele Kommunen und Landkreise, die sich seit der Einführung der Pflegeversicherung vor mehr als 20 Jahren vornehm zurückgelehnt haben, um abzuwarten, was nun alles von den Pflegekassen und von Pflegedienstleistern übernommen wird, ({5}) und dies, obwohl gerade die Kommunen und Landkreise mit der Einführung der Pflegeversicherung in erheblichem Umfang bei den Sozialhilfekosten, also der Hilfe zur Pflege, entlastet wurden. Darum sage ich: Die Kommunen und Landkreise sind im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge dazu verpflichtet, dass sie nicht nur mithilfe dessen, was wir heute im PSG III regeln, sondern auch aus eigenem Antrieb, aus eigener Verantwortung heraus wieder mehr tun im Bereich der Altenhilfe und dies auch finanzieren. Das sind sie ihren Bürgerinnen und Bürgern schuldig . Auch dafür werden wir die Kommunen zukünftig um 5 Milliarden Euro jährlich entlasten . ({6}) Ich komme zum Schluss . Bund, Länder und Gemeinden haben gemeinsam für ein würdevolles Altern und für gute Rahmenbedingungen in der Pflege zu sorgen. Mit dem heutigen dritten Baustein der umfassenden Pflegereform leisten wir, aber eben auch alle Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der Pflegeversicherung, dazu einen wichtigen Beitrag . Vielen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heike Baehrens . - Und der letzte Redner in dieser Debatte: Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir haben den ganzen Vormittag über Gesetze debattiert, die mit Fürsorge zu tun haben . Mir ist heute Morgen leider aufgefallen - das ist von einigen Kollegen schon angesprochen worden -, dass wir nie gesagt haben, was wir gut gemacht haben bzw . die Opposition hat immer nur gesagt: Na ja, ganz schlecht war es nicht, aber wir greifen uns nur die schlechten Sachen heraus . - Das fand ich, ehrlich gesagt, ein bisschen schade . Wir hatten gestern die Anhörung zum Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz, wir haben heute das Bundesteilhabegesetz verabschiedet, und wir werden jetzt gleich das Pflegestärkungsgesetz III verabschieden. Insofern können wir sagen, dass wir gerade im Gesundheitsbereich in dieser Legislatur viele Verbesserungen auf den Weg gebracht haben . Und es geht nicht darum, dass wir uns auf die Schulter klopfen - wie hier einige immer meinen - und sagen, wie toll wir sind, sondern es geht einfach darum, zu sagen: Es gibt Verbesserungen; und diese Verbesserungen wollen wir benennen . ({0}) Gerade kam ein Zwischenruf von unserem Haushälter, und Haushälter schauen sich die Zahlen immer sehr genau an . In Bezug auf den Bereich Gesundheit kann man sagen - das muss man sich einmal vorstellen -: Wir haben in dieser Legislatur 16 Gesetze und damit Verbesserungen in diesem Bereich auf den Weg gebracht . Das kann man doch nicht einfach so vom Tisch wischen . Man darf nicht immer nur sagen: Das ist schlecht, wir reden nicht darüber . Liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir doch einmal konkret . Es ist schon angesprochen worden: Wir reden über Teilhabe, und wir reden über Verbesserungen für die Menschen gerade im Bereich der Pflege. Wenn wir zu den Menschen auf den Tribünen schauen, dann sehen wir ein Abbild unserer Gesellschaft . Wir sind eine Gesellschaft, die immer älter wird, die gesünder älter wird, aber dann im höheren Alter auch multimorbider . ({1}) Gleichzeitig gibt es die jüngere Generation - auch die sehr junge Generation sehe ich da oben -, und gerade für den Bereich der Pflege ist es immer wichtig, darauf hinzuweisen: Es betrifft nicht nur die Alten, es betrifft nicht nur betagte Menschen, sondern das Thema kann jeden betreffen, junge Menschen genauso wie alte Menschen. Deshalb ist Pflege ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, und das müssen wir klarer benennen . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu der Frage, was wir mit diesem Gesetz verbessern, ist schon viel gesagt worden. Als Schlussredner hat man das Privileg, auf einzelne Dinge eingehen zu können, die besonders wichtig sind . Ich will die Verbesserungen an einem Beispiel festmachen: Eine 80-jährige Frau, verwitwet, zwei Kinder . Die Kinder sind, wie das heute üblich ist, nicht vor Ort, können sich nicht um die Mutter kümmern . Sie sind relativ selten bei der Mutter, einmal im Quartal . - Es ist ganz wichtig, dass wir dieser Frau und all diesen Menschen konkrete Angebote unterbreiten . Künftig können sie das ist eine Verbesserung, die aus diesem Gesetz folgt in ihrer Gemeinde, also vor Ort, bei vertrauten Personen, ohne langen Anfahrtsweg und ohne Stress Beratung erhalten, sich informieren . Wir verbessern die regional verankerte Beratung über individuelle Ansprüche und Hilfemöglichkeiten . ({3}) Das ist eine ganz konkrete Ausformung des Schwerpunkts, den wir hier immer ansprechen . Wir reden von einer besseren Versorgung im ländlichen Raum, von einer strukturellen Stärkung des ländlichen Raums . Genau darum geht es an dieser Stelle: Wir stärken die Rolle der Kommunen bei der Pflege; wir stärken die Kommunen in ihren begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten . Wir geben den Kommunen nicht nur die Möglichkeit, flexibler zu agieren, sondern wir nehmen auch eine Menge Geld in die Hand . Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Problem betrifft nicht nur einzelne Regionen. Ich komme aus dem wunderschönen Bundesland Sachsen-Anhalt . Mein Wahlkreis beinhaltet neben der Landeshauptstadt auch viel ländlichen Raum . Daher weiß ich, wie wichtig es ist, dass die Länder und die Kommunen gerade im ländlichen Raum noch viel mehr niedrigschwellige Angebote unterbreiten können; das ist hier schon angesprochen worden . Dabei geht es manchmal um relativ triviale Dinge wie die Einrichtung mit Mobiliar, aber auch um die Ausstattung mit Personal. ({4}) Wir wissen ja alle, dass wir mehr Personal brauchen. Jetzt kann man zwar sagen: „Wir brauchen mehr, mehr, mehr . . .“, man kann aber auch einmal sagen: „Da hat es Verbesserungen gegeben“; und diese Verbesserungen sind, objektiv betrachtet, Fakt . Das sollten Sie von der Opposition auch mal so benennen . ({5}) Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung bei gleichzeitig knapper werdenden Mitteln sorgen wir mit diesem Gesetz dafür, dass die Mittel besser ausgeschöpft werden können . Die Finanzmittel der Kommunen sind immer knapp . Es gibt Länder, die ihre Mittel nicht ausschöpfen, und Länder, die einen höheren Mittelbedarf haben . Wir sagen jetzt ganz konkret: Wenn die Mittel nicht ausgeschöpft werden können, besteht die Möglichkeit, sie zu verschieben . Das heißt, die Mittel verfallen nicht. Dadurch können sie effizienter eingesetzt werden . Das ist ein tatsächlicher Mehrwert . Dabei geht es, wenn man so will, auch um die Solidarität zwischen den Ländern . Vielleicht noch ein Wort zum Abrechnungsmissbrauch, weil wir auch über diese Thematik gesprochen haben. Wir haben mit dem PSG III bessere Möglichkeiten zur Ahndung von Abrechnungsmissbrauch - hier gab es ja Auswüchse - geschaffen. Es kann jetzt besser geprüft werden . Ich möchte hier aber ganz klar sagen, dass wir nicht eine ganze Branche pauschal unter Verdacht stellen dürfen . Die schwarzen Schafe, die es in diesem Bereich gibt, können wir - das zumindest ist der Anspruch dieses Gesetzes - zukünftig besser herausfiltern. Wir müssen aber sagen, dass das Gros der Branche eine ordentliche Arbeit erbringt, sich aufopfert und gute Qualität anbietet . Diesen Punkt möchte ich heute ganz besonders betonen. ({6}) Da wir uns in der Adventszeit befinden, möchte ich meine Rede etwas besinnlich schließen . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So viel Zeit hat er nicht .

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Präsidentin sagt, ich habe nicht mehr genug Zeit für ein Gedicht . Sonst hätte ich gerne eins vorgetragen, Herr Kollege Wunderlich . Ich möchte nicht nur dem Ministerium, insbesondere Karl-Josef Laumann, Ingrid Fischbach und Frau Kraushaar - sie ist ja auch erwähnt worden -, danken, sondern ich möchte auch denjenigen danken, die ihre Arbeit im Hintergrund erledigt haben, also all denjenigen, denen heute noch nicht gedankt worden ist . Ich wünsche Ihnen und uns allen eine schöne Adventszeit und eine schöne Weihnachtszeit. Ich hoffe, dass wir alle, Frau Kollegin Rawert, gesund ins neue Jahr kommen . Herzlichen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Sorge . Vor der Weihnachtszeit haben wir aber noch eine Sitzungswoche . Darauf will ich hinweisen . ({0}) Wir sind in der Adventszeit; ja, da gebe ich Ihnen recht . Ich schließe die Aussprache . Tagesordnungspunkt 4 a . Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften . Mir liegt eine schriftliche Erklärung von Ulla Schmidt nach § 31 der Geschäftsordnung vor .1) Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/10510, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9518 und 18/9959 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dage- gen? - Enthält sich jemand? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/ Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/ CSU und SPD und bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken . Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10530 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie- ßungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat Bündnis 90/ Die Grünen. Dagegen waren CDU/CSU und SPD. Ent- halten hat sich die Linke . Tagesordnungspunkt 4 b . Wir setzen die Abstimmun- gen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/10510 jetzt fort . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8725 mit dem Titel „Pflege teilhabeorientiert und wohnortnah gestal- ten“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, 1) Anlage 3 SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen war die Lin- ke . Enthalten hat sich niemand . Damit ist die Beschluss- empfehlung angenommen . Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9668 mit dem Titel „Pflege vor Ort gestalten - Bes- sere Bedingungen für eine nutzerorientierte Versorgung schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war Bündnis 90/Die Grü- nen . Enthalten hat sich die Linke . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann ({1}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zeit für einen Kurswechsel - Rentenniveau deutlich anheben Drucksache 18/10471 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann ({3}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenniveau anheben - Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente Drucksachen 18/6878, 18/10517 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Ich sehe auch keinen Widerstand . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Matthias W . Birkwald für die Linke . ({4})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe Finanzstaatssekretär Spahn auf der Regierungsbank sitzen . Deswegen will ich zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir eines in diesem Land auf gar keinen Fall machen dürfen: Kinderarmut und Altersarmut gegeneinander ausspielen . Wir müssen beides bekämpfen . ({0}) Deswegen will ich kurz sagen: Nach den Kriterien der Europäischen Union haben wir derzeit 2,5 Millionen arme Kinder in diesem Land und über 2,85 Millionen arme Menschen, die ihren 65 . Geburtstag bereits hinter sich gebracht haben . Liebe Koalition, hören Sie bitte damit auf, zu behaupten, es gebe keine Altersarmut, es gebe nur viel Kinderarmut . Es gibt beides, und wir müssen gegen beides etwas tun . ({1}) Meine Damen und Herren, 1957 hat Konrad Adenauer unser heutiges System der gesetzlichen Rente eingeführt . Sein Ziel war es, dass Menschen nach ihrem Arbeitsleben in den wohlverdienten Ruhestand gehen können, ohne auf allzu viel im Alter verzichten zu müssen . Das nennt man Lebensstandardsicherung . Alle Experten sind sich einig: Dafür brauchen wir ein Rentenniveau von 53 Prozent. ({2}) - Alle Experten und Expertinnen! - Bis zur Jahrtausendwende hielten sich Union und SPD auch an dieses Versprechen. Dann kamen Gerhard Schröder, SPD, Joschka Fischer, Grüne, Walter Riester, SPD, und die Union und die FDP haben zugestimmt, das Rentenniveau zu senken. Jetzt sage ich Ihnen einmal, was die Absenkung des Rentenniveaus bewirkt hat . Im Jahr 2000 bekamen langjährig Versicherte, also Menschen, die immerhin 35 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hatten, wenn sie in die Rente gingen, noch 1 021 Euro auf ihr Konto überwiesen . Im Jahr 2015 waren das nur noch 848 Euro. Wenn Sie sämtliche Preissteigerungen einrechnen, stellen Sie fest, eine solche Rente hätte im Jahr 2015 eigentlich 1 340 Euro betragen müssen. Das bedeutet: Die Rentenreformen von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP kosten langjährig Versicherte jeden Monat 492 Euro. Ich finde, das ist skandalös. ({3}) Das ist das verheerende Ergebnis einer falschen Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik und einer falschen Rentenpolitik. Diese falsche Politik muss dringend gestoppt werden, meine Damen und Herren . ({4}) Einer der wichtigsten Gründe von vielen für diese Entwicklung ist das sinkende Rentenniveau . Vereinfacht gesagt ist das Rentenniveau das Verhältnis einer verfügbaren Standardrente zu einem verfügbaren Durchschnittseinkommen . Es hat also nichts mit dem letzten Gehalt im Erwerbsleben zu tun . ({5}) Das Rentenniveau ist aber die wichtigste Stellschraube für die Menschen, die bereits heute in Rente sind, und für diejenigen, die künftig in Rente gehen werden . Wenn nämlich das Rentenniveau sinkt, werden die Rentnerinnen und Rentner noch mehr als bisher von der Einkommensentwicklung der arbeitenden Menschen abgekoppelt . Man könnte auch sagen: Ihnen wird ein Stück Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand verwehrt . Das, meine Damen und Herren, darf nicht sein . ({6}) Im April dieses Jahres hatte CSU-Chef Horst Seehofer erkannt, dass etwas falsch läuft . Er forderte höhere Altersbezüge für alle und die Rückabwicklung der Riester-Rente . Er behauptete sogar kühn, dass die 2001 beschlossene Kürzung des Rentenniveaus dazu führen werde, „dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Sozialhilfe landen würde“. Dies betreffe besonders Frauen, die oft weniger verdienten als Männer und die ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie unterbrächen . Bei der Reform müsse der gesetzliche Anteil an der Rente im Zentrum der Überlegungen stehen . Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sorge privat fürs Alter vor . Er sagte wörtlich: „Die Riester-Rente ist gescheitert .“ Recht hat er! ({7}) - Sie können heute in der Süddeutschen Zeitung nachlesen, Kollegin Griese, wie recht er damit hat und wie richtig das ist . In der Süddeutschen Zeitung finden Sie heute ein vernichtendes Urteil zu der ganzen Riester-Reform . Ich komme auch zur SPD. Sie hat nämlich mit ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel ins gleiche Horn gestoßen . Sigmar Gabriel sagte: Das Niveau der gesetzlichen Rente darf nicht weiter sinken, sondern muss auf dem jetzigen Niveau stabilisiert werden . Was aber kam nach dem Koalitionsgipfel genau heute vor einer Woche in Sachen Rentenniveau nach wochenlangen geheimnisvollen Ankündigungen der Arbeitsministerin von zwei Haltelinien heraus? Gar nichts! Null! Niente! Nitschewo! Nada! Zero! - Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, zwei der Parteichefs von SchwarzSchwarz-Rosa, haben sie voll auflaufen lassen. Das ist doch die Wahrheit! Zu den Ostrentnerinnen und -rentnern sagen Staatssekretär Jens Spahn und sein Chef, Finanzminister Schäuble: Mir gäbet nix . - Bei allem Respekt vor Frau Ministerin Nahles: Man könnte auch sagen: Herr Schäuble und Herr Spahn ziehen die Frau Arbeitsministerin Nahles am Nasenring durchs Kanzleramt . So ist es doch! ({8}) Ja, ich weiß: Bei der EM-Rente hat es Verbesserungen bei der Zurechnungszeit gegeben . Dazu muss man aber wissen: von 2018 bis 2024 . Für die heutigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner, deren Renten viel zu niedrig sind, tun Sie alle rein gar nichts . Das ist die Wahrheit . ({9}) Sie lassen sie im Regen stehen . Zu den Ostrenten . Jemand, der 1990, beim Fall der Mauer, in Rente ging, muss jetzt 100 Jahre alt werden, um noch „gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“ zu erleben . Meine Damen und Herren von der Koalition, ich sage Ihnen: Das ist null Leistung . ({10}) Das Rentenniveau darf jetzt auch in Zukunft weiter sinken . CSU-Chef Seehofer hat nur eine große Klappe gehabt . Die Koalition lässt Alte und Junge im Regen stehen . Ich sage: Das ist ein Armutszeugnis . ({11}) Jetzt sind alle enttäuscht . Sogar Ministerin Nahles ist von den Beschlüssen des Koalitionsgipfels enttäuscht . Die Rentnerinnen und Rentner sind enttäuscht . Ministerin Nahles konnte der CDU nicht einmal abringen, dass das Rentenniveau wenigstens stabil bei den heutigen 48 Prozent bleibt . Frau Nahles, ich sage: Im Interesse der vielen Millionen Menschen, die bereits heute Rente beziehen oder einmal eine beziehen wollen, hätte ich Ihnen hier einen Erfolg gegönnt . Stattdessen sagen Sie in der FAZ: Ich würde ungern über das Rentenniveau streiten im Wahlkampf . Das führt zu einem reinen Überbietungswettbewerb und wird zu teuer . Das kann sich nur die Linkspartei leisten, die sich einen feuchten Kehricht darum kümmert, was es kostet . ({12}) - Klatschen Sie nicht zu früh . - Das sagt die Richtige! Sie will nämlich noch einmal zusätzliche 60 Millionen Euro in den Riester-Unsinn investieren . Nein, genau deshalb sind unsere beiden Anträge richtig und wichtig . Wir müssen das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anheben; denn dann hätten wir die Probleme mit dem absinkenden Niveau nicht mehr, und die Menschen könnten auch im Alter ihren Lebensstandard halten. Das ist auch finanzierbar. Ein Rentenniveau von 53 Prozent brächte der Standardrentnerin oder dem Eckrentner von heute 127 Euro mehr netto und dem von 2030 314 Euro, und das ist auch finanzierbar. Ich kann es nicht mehr hören, dass die Beiträge in den Himmel wachsen, durch die Decke gehen oder explodieren . Jemand, der heute durchschnittlich verdient - 3 022 Euro brutto im Monat -, müsste nur 33 Euro mehr in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen - und der Arbeitgeber auch . Dann würden wir das Rentenniveau erreichen . ({13}) - Ich habe mit Ihrem Zuruf gerechnet . Die Bundesregierung geht von einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 4 423 Euro im Jahre 2029 aus . Dann kann man dadurch, dass man 99 Euro mehr pro Monat in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau sichern . Jetzt kommt der Clou: Dann brauchen wir die Riester-Beiträge nicht mehr . Sie muten den Menschen zu, mindestens 4 Prozent ihres Einkommens für Riester einzuzahlen . Das heißt, die Menschen hätten heute jeden Monat 75 Euro mehr in der Tasche - 108 Euro weniger für Riester, 33 Euro mehr in die gesetzliche Rentenversicherung -, und im Jahr 2029 wären es noch 65 Euro mehr . Ich sage Ihnen: Ein anständiges Rentenniveau ist finanzierbar. ({14}) Diese Berechnung wird auch von der Ministerin in ihrem schönen Rentenversicherungskonzept bestätigt . Schauen Sie auf Seite 26! Da werden alle Zahlen belegt . ({15}) Im Jahr 2000 musste man 24 Jahre arbeiten, um bei einem Rentenniveau von 53 Prozent eine Rente in Höhe der Sozialhilfe bzw . der Grundsicherung im Alter zu bekommen . Aktuell sind das aber schon 29 Jahre und 9 Monate, und wenn es so weitergeht, dann werden wir dies in Zukunft selbst bei einem Rentenniveau von 46 Prozent erst nach 33 Jahren erreichen . Ich komme zum Schluss .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, bitte . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Hören Sie auf Norbert Blüm . Er war 16 Jahre Arbeitsminister und hat gesagt - Zitat -: Die Rente muss höher sein als die Grundsicherung, sonst verliert das System seine Legitimation . Ein Niveau von 46 Prozent wird dafür nicht reichen. Recht hat er . Man kann eine gute Rente finanzieren. Schauen Sie nach Österreich . Darüber reden wir aber ein anderes Mal . Ich sage: Herzlichen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Matthias W . Birkwald . Meine Bemerkung vorhin bezog sich auf das Überziehen der Redezeit . Ich bin nämlich ganz objektiv. - Nächster Redner: Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat das Bundeskabinett den Rentenversicherungsbericht 2016 beschlossen . Es ist etwas geschehen, was in den Voraussagen der letzten Jahre nicht enthalten war und was völlig dem widerspricht, was die Linke vorMatthias W. Birkwald trägt, dass es nämlich einen tiefen Absturz des Rentenniveaus geben werde: Das Rentenniveau ist in diesem Jahr gestiegen . Das Rentenniveau wird voraussichtlich auch im kommenden Jahr steigen, und es wird über mehrere Jahre auf einem hohen Niveau bleiben . Warum widerspricht diese Nachricht allem was bisher gesagt wurde? Weil die gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und vor allem die zunehmende Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse - jeden Monat mehr als im Vormonat - dazu führen, dass nicht nur genügend Geld in die Rentenversicherung fließt, sondern dass das Rentenniveau sogar steigt. Das ist die eigentliche positive Nachricht, die allem widerspricht, was die Linken hier vortragen . Mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung - das ist das Entscheidende - und mit mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wird die Rente stabilisiert . Das ist das Kernanliegen . Dafür stehen wir, die Große Koalition mit Angela Merkel . ({0}) Wir wollen durch gutes Wirtschaften und durch gute Beschäftigungspolitik auch in Zukunft für eine sichere Rente in Deutschland sorgen . Ein weiterer Punkt. Wenn man unbedingt schon jetzt eine rentenpolitische Bilanz der Großen Koalition, mehrere Monate vor der Bundestagswahl, ziehen will, dann muss man feststellen, dass wir mit dem Rentenpaket zu Beginn dieser Legislaturperiode ({1}) zum ersten Mal seit 30 Jahren im Deutschen Bundestag konkret finanziell spürbare Verbesserungen für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland geschaffen haben. Diese Große Koalition hat das hinbekommen . ({2}) Da waren wir nicht knauserig, sondern wir haben zum Leidwesen mancher mehr Geld bereitgestellt, zuallererst mit der Mütterrente . Sie beschert uns zwar 6,7 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben im Jahr, ({3}) bedeutet aber für die Mütter, die Kinder großgezogen haben, eine großartige, zusätzliche Hilfe, wenn sie Rentnerinnen sind . ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun kann man, so wie es der Kollege Birkwald gemacht hat, erzählen: Wenn ich mehr in die Rente einzahle, ist mehr in der Rentenkasse . Dann erwerbe ich als Beitragszahler einen Anspruch auf eine höhere künftige Rente . - Gut, das ist das System der Rentenversicherung, ({5}) wie es mit der dynamischen Rente 1957 von Konrad Adenauer zu Recht eingeführt worden ist und wie es auch weiter Bestand haben soll . Aber Herr Birkwald und auch andere der Linken beantworten uns nie die Frage, wie denn diese Zusage eingehalten wird, dass jeder von uns und von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, die Sie zuhören, dann, wenn er mehr in die Rentenkasse einzahlt, hinterher, wenn er in Rente geht, auch tatsächlich mehr bekommt, dass also die junge Generation diesen Rentenanspruch einlösen wird . Das ist doch die entscheidende Frage . ({6}) Es war übrigens Norbert Blüm, der sich als erster Arbeits- und Sozialminister in Deutschland durch Prognos in einem Gutachten hat ausrechnen lassen, was es bedeuten würde, wenn am Rentenrecht gar nichts geändert würde, und was es darüber hinaus bedeuten würde, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gingen, die Jahrgänge, die also jetzt noch im Arbeitsleben sind, während nach ihnen relativ wenig junge Menschen ins Arbeitsleben eintreten werden . Dabei kamen Rentenversicherungsbeiträge von deutlich über 30 Prozent heraus. ({7}) Sie müssen sich das vorstellen: Der Rentenversicherungsbeitrag steigt auf 30 Prozent, ein hoher Krankenversicherungsbeitrag, ein hoher Pflegeversicherungsbeitrag und - mit einem steigenden Rentenversicherungsbeitrag steigt auch der Zuschuss aus Steuern - hohe Steuern . Was werden die jungen Leute, die eines Tages dank linker Politik vor diesem Ergebnis stehen, sagen? Sie werden sagen: Entschuldigung, bei dieser Steuer- und Abgabenbelastung lohnt sich Arbeiten schlichtweg nicht mehr . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Matthias W . Birkwald?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja . Er muss ja seine Redezeit verlängern . Bitte sehr .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das ist jetzt aber Ihre Redezeit . - Also, Herr Birkwald, bitte .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie das klargestellt haben . Das verlängert die Redezeit von Herrn Weiß . Peter Weiß ({0}) Herr Weiß, ich hätte mich nicht gemeldet, wenn Sie nicht gerade sozusagen nach der Zwischenfrage gegiert hätten . Ich will Ihnen einmal Folgendes erläutern: In Ihren Beiträgen kommen die Begriffe Wirtschaftswachstum und Produktivitätsfortschritt niemals vor. Jetzt machen wir das einmal ganz konkret; denn ich ahnte schon, dass Sie so etwas sagen würden . Im Jahr 1960 betrug der Durchschnittsverdienst umgerechnet 260 Euro . Damals hatten wir einen Beitragssatz von insgesamt 14 Prozent, also je 7 Prozent für Arbeitnehmer und Arbeitgeber . Der Beitrag zur Rentenversicherung betrug 18,20 Euro . Wenn man die von dem damaligen Gehalt abzieht, blieben 241,80 Euro übrig . Jetzt machen wir zwei Schritte: 2016 sind bei einem Gehalt von 3 022 Euro brutto und einem Beitragssatz von 9,35 Prozent 283 Euro als Beitrag zu zahlen. Übrig bleiben 2 739 Euro . Jetzt gehen wir ins Jahr 2030 . Dann wird das Durchschnittseinkommen 4 502 Euro betragen . Wenn man dann einen Beitragssatz von 29 Prozent paritätisch finanziert, bleiben 3 849 Euro übrig . Anders ausgedrückt: Der Kuchen wächst, und selbst wenn die Beitragssätze steigen, bleibt hinterher für die Beschäftigten wesentlich mehr übrig . Für die Finanzierung brauchen wir nur die Rückkehr zur Parität, dass sich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber endlich wieder vollständig paritätisch an der Finanzierung der Alterssicherung beteiligen . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Weiß, bitte .

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Birkwald, Norbert Blüm, seine Nachfolger und auch diejenigen, die den Rentenversicherungsbericht erstellen, haben all das, was Sie vortragen - Produktivitätssteigerungen, Wirtschaftswachstum und Zuwanderung nach Deutschland -, bereits mit eingepreist . Deswegen, Entschuldigung, stimmen Ihre Beispiele alle nicht . Dass auch die Lebenserhaltungskosten steigen usw . usf ., kommt bei Ihnen gar nicht vor . ({0}) Es ist doch selbstverständlich: Jeder Arbeitnehmer heute und genauso in 10, 20 oder 30 Jahren wird die Frage „Ist das, was ich als Lohn verdiene, ausreichend?“ danach beantworten, was ihm nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge übrig bleibt . So wie mich heute junge Leute fragen, die gerade einen neuen Job angetreten haben, ob es richtig ist, dass sie auf jeden Euro, den sie mehr verdienen, so hohe zusätzliche Steuern und Abgaben zahlen, werden auch die jungen Leute in 10, 20 oder 30 Jahren dieselbe Frage stellen . Auf diese Frage können Sie aber keine Antwort geben . ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, richtig ist, dass 2001 unter rot-grüner Verantwortung - es war nicht unter der Verantwortung der CDU/CSU - eine Gesetzesreform beschlossen worden ist, die schlichtweg so aussieht, dass sie den jungen Leuten eine Garantie gibt, was die Höhe des Beitrags anbelangt . Bis 2030 darf der Beitrag nicht über 22 Prozent steigen. Wenn man das einhalten will, ist es logisch - das ist einfache Mathematik -, dass das Rentenniveau ein bisschen niedriger ist . Der Fehler von 2001 ist, dass man nur bis 2030 gerechnet hat . Deswegen möchte ich betonen: Auch aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass wir als Gesetzgeber auf die Zukunft hin eine klare Festlegung treffen, welches Mindestrentenniveau erreicht werden muss und wo der Höchstbeitrag liegt, der eines Tages für die Rente gezahlt werden soll . Denn die junge Generation fragt zu Recht: Lohnt es sich für mich, noch in dieses System einzuzahlen? ({2}) Deswegen werden wir nicht umhinkommen, gemeinsam eine solche Festlegung zu treffen. Aber in einer Situation wie zurzeit, in der wir es mit einem steigenden Rentenniveau zu tun haben, ist es verrückt, die Menschen schalu zu machen . Zum anderen haben wir die Zeit, um in Ruhe eine solche Gesetzgebung hinzubekommen, die ich für notwendig halte . Wir brauchen Mindestsicherungsziele in der Rentenversicherung, sowohl was das Niveau als auch was den Beitrag anbelangt, aber wir können froh sein, dass wir in einer Zeit leben, in der dank starker Wirtschaft und Beschäftigung das Rentenniveau in Deutschland steigt . ({3}) Mit der Reform von 2001 war zudem die Vorstellung verbunden, dass das, was die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland durchaus schon gemacht haben, künftig fest zum Gesamtversorgungsniveau der Rentnerinnen und Rentner gehören muss, nämlich eine Zusatzrente, die nicht umlagefinanziert ist, sondern die jeder für die Zukunft anspart . Das versteht die Linke übrigens überhaupt nicht bzw. will es nicht verstehen. Aber über 85 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreiben so kann man es dem Altersvorsorgebericht der Bundesregierung entnehmen, der gestern verabschiedet wurde zusätzliche Altersvorsorge . ({4}) Das ist auch vernünftig . Das Unvernünftigste ist, unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das Richtige tun, das auszureden . Das Gegenteil ist richtig . Sie sollten darin bestärkt werden, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben . ({5}) Wir als Große Koalition werden in dieser Legislaturperiode etwas umsetzen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich das Betriebsrentenstärkungsgesetz, über dessen Entwurf am 14 . Dezember im Bundeskabinett beraten werden soll . Dieses Gesetz enthält etwas, was eine echte Revolution des deutschen Sozialrechts darstellt . Bisher sagen gerade viele Geringverdiener: Warum soll ich mir ein zusätzliches Sparvermögen abknapsen und anlegen, wenn am Schluss alles verrechnet wird und dann weg ist, weil ich auf Grundsicherung im Alter angewiesen bin . - Damit haben die Geringverdiener recht . Deswegen werden wir in der Grundsicherung eine Revolution vornehmen . ({6}) Künftig werden mindestens 100 Euro bzw . maximal 200 Euro als zusätzliches Alterseinkommen nicht auf die Grundsicherung angerechnet . Andersherum ausgedrückt: Ich muss mir zuerst Mühe geben und mich anstrengen, um zusätzlich etwas für das Alter anzusparen, weil ich weiß, dass das nicht mehr verrechnet wird, sondern auf die Grundsicherung obendrauf kommt . Das ist eine wirklich starke Ansage an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land . ({7}) Es ist richtig: Wer wenig verdient, hat wenig übrig, um zusätzlich etwas für das Alter anzusparen . Deswegen werden wir im Betriebsrentenrecht eine zusätzliche Förderung in Höhe von 480 Euro jährlich ({8}) für Geringverdiener einführen . Auch das ist ein starkes Zeichen . Wer wenig verdient, bekommt von uns zusätzliche Hilfe, damit er eine zusätzliche Altersversorgung ansparen kann, die ihm nachher bei der Grundsicherung nicht angerechnet wird . Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz machen wir deutlich: Ja, wir wissen, dass wir für die Zukunft der Altersversorgung mehr brauchen als die gesetzliche Rente . Damit alle mitmachen wollen, stellen wir die Stellschrauben so, dass es sich sowohl für die Unternehmen als auch für die Arbeitnehmer lohnt, in die betriebliche Altersversorgung zu investieren . Dank des Freibetrags lohnt es sich für jeden, zusätzlich Altersversorgung zu betreiben; denn freigestellt werden bei der Grundsicherung nicht nur die betriebliche Altersversorgung, sondern zum Beispiel auch das Riester-Sparen, das Rürup-Sparen und Lebensversicherungen . Unsere Botschaft an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lautet: Wir stärken die Altersversorgung durch zusätzliche Anreize . Wir wollen durch ein starkes Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung dafür sorgen, dass das Rentenniveau auch in Zukunft stabil bleibt . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Peter Weiß. - Nächster Redner: Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Matthias Birkwald, eines muss man Ihnen lassen: Sie lassen keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, was man Ihnen nicht zu Weihnachten schenken muss, nämlich einen Taschenrechner . Gerechnet haben Sie hier schon oft . Wenn Sie einmal nicht mehr als Abgeordneter aufgestellt werden, dann haben Sie vielleicht noch eine zweite Karriere als Double von Graf Zahl in der Sesamstraße vor sich . ({0}) Ich habe Ihnen aber schon oft gesagt, dass Politik nicht die Fortsetzung der Mathematik mit anderen Mitteln ist . Vielmehr geht es darum, Mehrheiten zu organisieren, Gesamtkonzepte zu erarbeiten und keine Rechenexempel zu statuieren . ({1}) - Ich gehe gleich darauf ein . Einen Punkt will ich vorwegnehmen: Es ist vordergründig richtig, wenn Sie sagen ({2}) - ja -, dass wir, wenn wir den Beitragssatz um 2,4 Prozentpunkte anheben - das bedeutet das -, auf ein Rentenniveau von 53 Prozent kommen. Das gilt für heute, aber das gilt nicht für das Jahr 2030 . ({3}) Dann sind wir in anderen Dimensionen . Das haben Sie gestern im Ausschuss noch bestätigt . Dann sind wir bei einem Beitragssatz von 25 Prozent, und so geht es immer weiter nach oben . ({4}) Das ist doch der entscheidende Punkt. Sie sollten doch nicht so tun, als ob man, wenn man heute 30 Euro einzahlt, umstandslos 300 Euro mehr Rente im Jahr 2035 bekommt . So einfach ist es leider nicht . ({5}) Ich glaube, wir sollten die Debatte nutzen, um auf die letzte Woche zurückzublicken, in der Andrea Nahles - ich weiß nicht genau, ob als Bundesarbeitsministerin oder als SPD-Generalsekretärin - das Gesamtkonzept vorgestellt hat . Das war sowohl von der Art und Weise als auch vom Zeitpunkt her denkwürdig . Am Donnerstagabend haben Sie Ihren Rentengipfel und verabschieden drei Punkte drei Pünktchen, drei kleine, auf die ich noch eingehe. Das ist typisch: die Politik des kleinsten gemeinsamen NenPeter Weiß ({6}) ners . Am Freitag, um 10 .30 Uhr, setzt sich Andrea Nahles in die Bundespressekonferenz und sagt: Gestern ist eine große Chance vertan worden . - Dann stellt sie plötzlich acht andere Punkte vor. ({7}) In der Talkshow bei Anne Will am Sonntag sagte sie dann: Die Union ist jetzt blank . Sie hat nämlich keine Antwort . - Herr Weiß, wie fühlt man sich denn als Koalitionspartner, wenn man in der Art und Weise zusammenarbeiten muss? ({8}) Das ist, finde ich, interessant. ({9}) Interessant ist auch, dass Volker Kauder im Nachhinein sagt, über das Rentenniveau sei doch gar nicht geredet worden . Es scheint auch noch Uneinigkeit darüber zu herrschen, wie Sie die Ost-West-Rentenangleichung finanzieren wollen, ob über Steuern oder Beiträge . Da geht es wieder hin und her . Das ist symptomatisch für den Zustand der Rentenpolitik der Großen Koalition . Blockade, wechselseitige Missgunst, Sie gönnen sich nicht das Schwarze unter dem Fingernagel, und was herauskommt, ist eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das ist kläglich . ({10}) Ein Beispiel konnten wir jüngst bei der Flexirente besichtigen . Es gab minimale Änderungen, die das längere Arbeiten im Alter nicht wirklich befördern werden . Auch Ihr Rentengipfel ist ein Beispiel für den Befund, den ich eben genannt habe . Bei der Erwerbsminderungsrente sind wir uns über die Fraktionsgrenzen einig, dass wir Verbesserungen brauchen . Das hätte man aber schon damals beim Rentenpaket viel besser machen können . Bei der Betriebsrente, die Sie gerade so gelobt haben, verschweigen Sie, dass Sie nur oder vorwiegend auf die tarifgebundenen Beschäftigten abzielen und die ganzen Beschäftigten, die nicht tarifgebunden sind, besonders die in kleinen und mittelständischen Unternehmen, im Regen stehen lassen . Sie schaffen neue Subventionstatbestände. Im Grunde genommen ist das ein ähnliches Muster wie das, das bei der sogenannten Rente mit 63 verfolgt worden ist . Für diejenigen, die in den tarifgebundenen Großbetrieben sind, wurden Veränderungen gemacht, aber für die anderen nicht . Die Rentenangleichung von Ost und West schieben Sie über viele Jahre hinweg . Wir wollen eine sofortige Rentenangleichung von Ost und West, rechtlich alles klarstellen, den Rentenwert angleichen und die Höherwertung abschaffen. Wenn wir das machen würden, hätten wir das Thema im nächsten Jahr vom Tisch . ({11}) Jetzt möchte ich kurz etwas zum Thema Rentenniveau sagen, worauf sich der Antrag der Linken richtet . Klar ist, dass die Höhe des Rentenniveaus natürlich von zwei Seiten betrachtet werden muss, einmal von der Seite der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, aber auch von der Seite der jetzt Jüngeren, die später für ihre Beiträge ein Rentenniveau haben wollen, das klar ein Leben oberhalb der Armutsgrenze ermöglicht . Das nenne ich Generationengerechtigkeit 2 .0 . Der Ausgleichsmechanismus über die Riester-Rente - da sind wir uns auch einig - funktioniert in der Breite nicht . Darum diskutieren wir in allen Fraktionen, wie man mit dem Rentenniveau weiter umgeht . ({12}) Ihr Vorschlag funktioniert in dieser Form nicht . Wir sagen: Wir streben eine Stabilisierung auf heutigem Niveau an . Wir wollen uns bei der Finanzierung allerdings nicht gleich auf die Beiträge fokussieren, sondern sie in ein Gesamtkonzept einbetten . Das heißt - das könnte man sofort machen - erstens einmal: eine Steuerfinanzierung der Mütterrente . ({13}) Zweitens . Wir wollen die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen . Das geht nicht mit zusätzlichen Mütterrentenpunkten, sondern durch eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Neuaufteilung bei der Zeitpolitik . ({14}) Wir wollen die Beitragsgrundlagen durch die Bürgerversicherung verbessern . Durch die Bürgerversicherung sollen natürlich in erster Linie Sicherungslücken gerade bei Selbstständigen geschlossen werden . Aber wir schaffen es auch, einen Teil des demografischen Buckels durch die damit verbundene Verbreiterung der Beitragsgrundlage abzumildern. Qualifizierte und gesteuerte Zuwanderung - wir haben einen Gesetzentwurf zum Einwanderungsgesetz vorgelegt - ist ein weiterer Baustein, um die Grundlage der Rentenversicherung zu verbessern . Als Ultima Ratio schließen wir auch eine Beitragssatzerhöhung nicht aus, aber weit entfernt von den lichten Höhen, die Sie dort anstreben . ({15}) Diese zusammengesetzten Komponenten machen erst Sinn in einem Gesamtkonzept und nicht durch eine scheuklappenartige Verengung, wie sie die Linkspartei vornimmt, und auch nicht durch eine verkürzte und holzschnittartige Verengung eines Generationengerechtigkeitsbegriffs, wie ihn Herr Spahn ja gern benutzt, der aber am Ende des Tages nur dazu führt, dass die junge Generation keine verlässlichen Renten mehr bekommt . Das durchschaut die junge Generation im Übrigen schon heute, und das kann auch deswegen keine Antwort sein . ({16}) Zu einer langfristigen Sicherung des Rentenniveaus und der Umlagefinanzierung gehört natürlich auch, dass wir über längeres Arbeiten sprechen . Das bedeutet, dass wir an die belasteten Beschäftigten denken müssen, die Ausstiegsmöglichkeiten und Ausgleiche bekommen müssen . Aber natürlich werden wir auch darüber debattieren, wie diejenigen, die können, auch länger arbeiten können . Auch das ist eine Möglichkeit, das Rentenniveau zu stabilisieren . ({17}) - Jetzt kommt der Zwischenruf: „Sag das mal den Gerüstbauern!“ - Herr Birkwald, wenn Sie eben zugehört haben, wissen Sie, dass ich gesagt habe: Für belastete Beschäftigte müssen wir besondere Regelungen finden. ({18}) Wir als Bündnis 90/Die Grünen sind nämlich diejenigen, die sich individuelle Lebenssituationen anschauen . Wenn man keine individuellen Lösungen schafft, wird man bei der Verlängerung der Lebensarbeitszeit auch nicht weiterkommen . Wir nehmen die Ängste der Beschäftigten an dieser Stelle sehr ernst . ({19}) Ich kann allen nur empfehlen, sich den Bericht der Rentenkommission von Bündnis 90/Die Grünen und unsere Beschlüsse vom Parteitag vor drei Wochen anzusehen . Das können die Zuhörerinnen und Zuschauer auch im Internet sehr einfach tun . Da ist eine Reihe von interessanten anderen Aspekten, wie zum Beispiel unsere Garantierente gegen Armut, enthalten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das führt jetzt aber zu weit .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Sie war ja offensichtlich auch in weiten Teilen Vorlage für das Rentenkonzept von Frau Nahles . Sie hat unsere Vorschläge nicht ganz eins zu eins übernommen, sonst wäre es sogar noch besser geworden . Vielen Dank .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Markus Kurth . - Nächste Rednerin: Katja Mast für die SPD-Fraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 15 Jahre nach der letzten Rentenreform hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles letzten Freitag ein Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgelegt . Dieses Konzept ist mutig, vorausschauend und bereitet den Weg für eine zukunftsfeste und verlässliche Alterssicherung, und zwar weit über das Jahr 2030 hinaus - mit klaren, doppelten Haltelinien: für ein dauerhaft garantiertes Rentenniveau von mindestens 46 Prozent, für einen maximalen Beitragssatz von 22 Prozent bis 2030 und 25 Prozent bis 2045 und für eine politische Ziellinie von 48 Prozent Rentenniveau und maximal 24 Prozent Rentenbeitrag. An der Stelle will ich meinem Kollegen Peter Weiß zurufen: Peter, wenn die CDU/CSU bereit ist, Leitplanken beim Rentenniveau und bei Beitragssätzen einzuziehen, warum haben wir das im Koalitionsausschuss nicht hinbekommen? ({0}) Ich habe das Gefühl, dass deine Kanzlerin und dein Ministerpräsident aus Bayern deiner Haltung an der Stelle nicht ganz gefolgt sind . Außerdem ist in dem Rentenkonzept auch noch viel drin, was das Thema „Kampf gegen Altersarmut“ angeht, von dem ich finde, dass es in der Debatte gerade teilweise nicht so stark war. Wir haben die Punkte Solidarrente - das heißt, dass diejenigen, die lang gearbeitet und einbezahlt haben, mehr haben sollen als andere -, Versicherungspflicht für Selbstständige, die heute besonders von Altersarmut betroffen sind, Verbesserungen für die Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner und Freibeträge, über die auch schon gesprochen worden ist, aufgegriffen. Gesamtkonzept heißt also nicht, dass eine Sache isoliert angeschaut wird; vielmehr wird die gesamte Altersvorsorge in den Blick genommen, und man nimmt auch den Kampf gegen die Altersarmut auf . Keine andere hier vertretene Partei hat ein Konzept vorgelegt, das so mutig ist wie das, das Bundesministerin Andrea Nahles vorgelegt hat . ({1}) Niemand hier im Raum - keine andere Partei - schaut bis zum Jahr 2045 ({2}) da können Sie dazwischenrufen, was Sie wollen -; bei niemandem von Ihnen steht dazu irgendetwas aufgeschrieben . Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Man hätte sich auch einen schlanken Fuß machen können . Auch Bundesarbeitsministerin Nahles hätte das tun können - einige hier tun das auch -; denn die Zahlen bis 2030 sind noch ganz akzeptabel . Deshalb ist es einfach, nur bis 2030 zu rechnen . Danach gehen aber die letzten Babyboomer-Jahrgänge in Rente .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Mast, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich noch einen Satz sagen . - Dann haben wir in der Rentenversicherung keinen Demografieberg vor uns, wie viele behaupten, sondern ein richtiges Demografieplateau.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbrochen habe . Erlauben Sie eine Bemerkung - das ist nämlich auch möglich - oder eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn er gerne möchte . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das scheint so; sonst hätte er ja nicht darum gebeten .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau . Ich möchte gerne eine Zwischenfrage stellen . - Danke, dass Sie sie zulassen, Frau Mast . Sie haben gerade gesagt, dass niemand in der Rentenpolitik so mutig wie die SPD ist.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Niemand ist so mutig wie Andrea Nahles .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Moment, den Fragesteller müssen Sie schon ausreden lassen .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt stelle ich mir die Frage - Sie haben gerade davon gesprochen, die SPD plane eine Solidarrente -: Wo hat Sie der Mut verlassen, als Sie eine Woche vor dem Rentengipfel die sogenannte solidarische Lebensleistungsrente schlichtweg beerdigt haben, die doch schon im Koalitionsvertrag vereinbart war? Wieso verkündet die SPD jetzt eigentlich eine Solidarrente, und warum machen Sie sich nicht daran, einfach eine Absicherung für langjährig Arbeitende, deren Rente unter dem Grundsicherungsniveau ist, einzuführen? Dafür hätten Sie doch als Grundlage sowohl eine im Koalitionsvertrag festgehaltene Vereinbarung als auch eine satte Mehrheit hier im Parlament. Wo bleibt denn da der Mut? ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Kurth, für diese Zwischenfrage . Sie macht es mir noch einmal möglich, den Unterschied zwischen einer Solidarrente und der sogenannten solidarischen Lebensleistungsrente zu erklären . ({0}) - Nur durch den Unterschied wird klar, warum man manche Dinge nicht umsetzt: weil man damit Themen verbrennt . Das weiß Herr Kurth genauso gut wie ich, und deshalb möchte ich das Ganze gern erklären, indem ich den Unterschied aufzeige . Die SPD ist, übrigens schon im letzten Wahlkampf, angetreten mit dem Vorhaben, die Zahlung einer Solidarrente an das langjährige Einzahlen in die Rentenversicherung - mindestens 35 Jahre - zu koppeln . - Unser Koalitionspartner, angetrieben auch durch die frühere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, die ja eine Lebensleistungsrente einführen wollte, will unbedingt eine Kopplung an die private Altersvorsorge . Genau an diesem Punkt wird es schwierig; denn diejenigen Menschen, die wenig verdienen, sorgen in der Regel auch nicht privat vor . ({1}) - Ja, klar . - Deshalb ist diese Kopplung mit einem weiteren Faktor zu einem großen Ausschlusskriterium für Menschen geworden, die lange eingezahlt haben . Daher sagen wir: Es ist sinnvoll, nicht etwas Schlechtes für die Menschen umzusetzen, sondern in diesem Fall tatsächlich etwas Gutes, das viele Menschen betrifft und nicht nur wenige . Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Nein zur solidarischen Lebensleistungsrente, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist, und Ja zur steuerfinanzierten Solidarrente . -Vielen Dank . ({2}) Aus meiner Sicht ist die zentrale Zukunftsfrage: Wie geht es in der Rentenversicherung nach 2030 generationengerecht weiter? Sie von der Linken werfen uns von der SPD - ich zitiere - „Beitragsdogmatismus“ vor. ({3}) Das ist zumindest intellektuell unredlich; denn uns geht es doch gerade um zwei Dinge, nicht nur um eine Sache: auf der einen Seite das Rentenniveau zu sichern und auf der anderen Seite auch eine klare Beitragssatzzusage zu machen . Da kommt noch etwas hinzu . Beim Thema Beitragssätze dürfen Sie auch nicht vergessen: Wir dürfen über die Beiträge zur Rentenversicherung nicht isoliert diskutieren . Die Frage, wie sich die Beitragssätze in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung entwickeln, muss auch gesamtgesellschaftlich eine Rolle spielen . Ich fände es viel spannender, mit Ihnen darüber zu diskutieren, ob wir neben einem vorausschauenden Rentenversicherungsbericht - den haben wir ja in der Bundesrepublik Deutschland - nicht endlich auch zu einem vorausschauenden Bericht bei der Kranken- und Pflegeversicherung kommen könnten . Denn dann könnten wir an der Stelle eine echte Belastung des Faktors Arbeit diskutieren . ({4}) Da Demografie aber nicht nur eine Frage von Beitragssätzen und Rentenniveau ist, schlagen wir einen steuerfinanzierten Demografiezuschuss in der gesetzlichen Rentenversicherung vor, den alle bezahlen, und nicht nur die abhängig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber . Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass die Linke heute hier sagt: Jawohl, die SPD schlägt mehr Steuermittel für die Rentenversicherung vor; da gehen wir mit . - Das habe ich aber leider nicht gehört . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Eigentlich ist Ihre Redezeit seit geraumer Zeit zu Ende .

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch einen Schlusssatz . - Ich will an die Bürgerinnen und Bürger appellieren, in der Rentendebatte, die wir in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich munter führen werden, genau zuzuhören . Hören Sie nicht nur immer auf die einfachen Antworten; denn die sind in der Rentenversicherung meistens nicht umsetzbar - und wenn doch, dann sind sie extrem teuer . ({0}) Schauen Sie einfach, wer Ihnen echte Zahlen bis 2045 vorlegt, und dann diskutieren Sie darüber mit Ihren Abgeordneten und anderen Akteuren . Ich freue mich auf diese Debatte . Vielen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin Mast . Ich bitte Sie wirklich, tendenziell die Redezeit einzuhalten . Wir sind zwar in der Adventszeit, aber auch unglaublich weit im Zeitplan zurück . Ich bitte Sie, das Blinken am Redepult ernst zu nehmen . Sonst wird den anderen Kollegen Zeit abgezogen . Der nächste Redner ist Stephan Stracke für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzungen, die wir im nächsten Jahr erwarten dürfen . Der Rentenwahlkampf ist eröffnet. Die Oppositionsparteien und die SPD scheint ja eines bei dieser heutigen Debatte zu einen: Sie liefern sich einen Überbietungswettbewerb - einen Wettbewerb darum, wer den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch zusätzliche Beiträge tiefer in die Tasche greifen will . ({0}) Das eint Sie . Der Ansatz der Union ist in diesem Bereich ein ganz anderer . Wir wollen an dem Beschäftigungsniveau, das wir derzeit haben, festhalten . Wir sehen derzeit nicht diesen Handlungsbedarf mit Blick auf das Rentenniveau, sondern meinen, dass wir alles für die richtigen politischen Weichenstellungen für die Zukunft tun müssen . Das bedeutet vor allem, die richtige Arbeitsmarktpolitik zu machen . Und bei der Beschäftigung, bei den Arbeitslosenzahlen sind wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich; da haben wir sehr viel erreicht . Drei von vier Frauen sind heute erwerbstätig, und auch die älteren Beschäftigten verbleiben länger im Arbeitsleben . Das ist eine sehr gute Entwicklung . Dennoch verschließen wir natürlich auch nicht die Augen vor den demografischen Entwicklungen, die auf uns zukommen . ({1}) Es wird wirklich tiefgreifende Veränderungen geben, wenn sich die Anzahl derjenigen im Erwerbstätigenalter in der Bevölkerung Mitte der 2030er-Jahre von 50 Millionen auf 36 Millionen reduzieren wird und es 40 Prozent mehr Rentner als heute geben wird . Das bedeutet, dass wir einer stabilen Demografiebrücke bedürfen . Deswegen bedarf es eines Gesamtpakets . Und dazu gehören auch gute Löhne . Deswegen sind die Tarifbindung und die Anbindung von tariflich abgeschlossenen Lohnvereinbarungen so notwendig . Dazu trägt auch der Mindestlohn ein Stück weit bei . Natürlich müssen wir auch alles tun, damit das Beschäftigungsniveau so lange wie möglich auf dem jetzigen Stand gehalten werden kann . Deswegen tun wir auch alles, um die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen . All das tun wir, weil die Rente letztlich das Spiegelbild des Erwerbslebens darstellt . Deswegen gehört zu einer guten Sozialpolitik, die Bildungspolitik weiter in den Mittelpunkt zu stellen - das tut Bayern beispielsweise vorbildlich -, aber auch die Gesundheitsförderung, die Prävention und die Reha . Wir dürfen es nicht zulassen, dass Arbeitsplätze Menschen krank und kaputtmachen . Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen das Renteneintrittsalter tatsächlich erreichen können . Auch dafür hat diese Große Koalition schon sehr viel getan . Was das Rentenniveau angeht: Wenn man sich das einmal ansieht, stellt man fest: Es ist weitaus besser, als alle Prognosen besagen. Das hat viel mit der derzeit guten wirtschaftlichen Lage und mit der Anzahl an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zu tun. Deshalb ist es so wichtig, genau darauf den Akzent zu setzen . Tendenziell wird ein viel zu niedriges Rentenniveau ausgewiesen . Darauf weist beispielsweise die Deutsche Bundesbank in ihrem Bericht vom August dieses Jahres hin . Zum einen wird die Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht wirklich abgebildet . Das Rentenniveau wird also eher weit weniger sinken, als wir überall lesen . Zum anderen wird das Gesamtversorgungsniveau sehr wohl stabilisiert, und zwar durch die Riester-Rente . Auch darauf weist die Deutsche Bundesbank hin . Das gilt auch im Zeitalter der Niedrigzinspolitik . ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen vor allem da an, wo typische Armutsrisiken bestehen. Das betrifft die Erwerbsgeminderten. Derzeit sind 500 000 Erwerbsgeminderte auf Grundsicherung im Alter angewiesen; dies ist ein schwerwiegendes Thema . Es sind im Übrigen 320 000 mehr als 2003 . Deswegen hat diese Große Koalition bereits in ihrem Rentenpaket mit der Erhöhung der Zurechnungszeit reagiert . Wir werden dies nochmals tun . ({3}) Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, um gerade in diesem Bereich zu helfen . Deswegen machen wir hier entsprechend weiter . Bei der Rentenleistung im Alter wollen wir diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet und auch vorgesorgt haben, besserstellen als diejenigen, die nicht gearbeitet haben und sich nicht um ihre Altersvorsorge gekümmert haben . Arbeit und Vorsorge müssen sich im Alter auszahlen . Das heißt aber auch: Die Zugangsvoraussetzung für eine Besserstellung muss ein kapitalgedecktes Standbein sein . - Das sieht der Koalitionsvertrag auch so vor . Frau Nahles möchte mit ihrer Solidarrente bereits die langjährige Zahlung von Beiträgen in die gesetzliche Rente genügen lassen . Das ist ein zentraler Webfehler dieses Konzepts . Deswegen lehnen wir die Vorschläge in diesem Bereich ab . ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die gesamte Diskussion, die wir führen, konzentriert sich auf die Rente . Dabei spielt natürlich auch die Frage der richtigen Balance zwischen denen, die derzeit in Rente sind, und denen, die für die Rentenzahlung aufkommen, eine erhebliche Rolle . Deswegen müssen wir da ganz genau aufpassen . Ich vermisse in dieser Debatte eines . Wir konzentrieren uns ausschließlich auf den Bereich der Rente . Wir sollten aber die Entwicklungen in der Pflege und in der gesetzlichen Krankenversicherung genauso in den Blick nehmen . Nur wenn wir alle drei Sozialversicherungssysteme in den Blick nehmen, führen wir hier eine solide Debatte über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme . Das darf nicht isoliert betrachtet werden, weil man sonst nur einen begrenzten Blickwinkel hat . Wir treten dafür ein, dass wir Pflegeversicherung, Krankenversicherung und Rentenversicherung zusammen in den Blick nehmen . Dafür bietet sich das an, was wir in den letzten Jahren so erfolgreich gemacht haben, nämlich eine breite gesamtgesellschaftliche Debatte, flankiert durch entsprechende Kommissionen . Das halte ich in diesem Bereich für geboten . Ein herzliches Dankeschön . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Stephan Stracke . - Nächster Redner: Dr. Martin Rosemann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute ein Zwischenfazit nach drei Jahren Großer Koalition ziehen, dann können wir sagen: In der Rentenpolitik hat diese Regierung nur Verbesserungen geschafft: den vorzeitigen Rentenzugang für besonders langjährig Versicherte, die Mütterrente, ({0}) Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, Stärkung von Prävention und Rehabilitation. Hinzu kommt die höchste Rentenerhöhung, die es jemals im vereinigten Deutschland gegeben hat . ({1}) Jetzt kommt auch noch die West-Ost-Angleichung dazu, meine Damen und Herren . ({2}) Also in Richtung Linke: Während Sie hier schöne Anträge schreiben, sind wir im Maschinenraum und arbeiten an wirklichen Verbesserungen für die Menschen in Deutschland . ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles für zwei Dinge danken: erstens für ihr Gesamtkonzept, weil dieses Konzept endlich Klarheit schafft, endlich verlässliche Zahlen über die Kosten von verschiedenen politischen Maßnahmen auch in der Zukunft liefert. Damit findet die Debatte über Rentenpolitik nicht mehr im luftleeren Raum statt, auch wenn ich, ehrlich gesagt, wenig Hoffnung habe, dass sich die Populisten von links und rechts daran orientieren werden . ({4}) Zweitens . Ich möchte Andrea Nahles dafür danken, dass sie beim Thema „Vermeidung von Altersarmut“ so gekämpft hat . Dass wir nach der ersten Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente jetzt noch einmal eine Schippe drauflegen, ist so wichtig; denn Erwerbsminderung ist ein großes Risiko für Altersarmut in unserem Land . In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich es sehr bedauerlich finde, dass sich CDU und CSU bei der Solidarrente verweigert haben . Das wäre auch ein zielgenauer Schritt zur Verhinderung von Altersarmut gewesen . ({5}) Denn für uns Sozialdemokraten gilt: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, darf nicht zum Sozialamt geschickt werden . ({6}) Bedauerlich ist auch die Verweigerung der Union bei der doppelten Haltelinie. Diese hätte für mehr Planungssicherheit gesorgt, und das hätte das Vertrauen in die Rentenpolitik und in die Politik insgesamt gestärkt. Offenbar fehlt es bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, an Mut zu Entscheidungen . Was wir aber nicht durchgehen lassen werden, ist, dass manche von Ihnen vor der Absenkung des Rentenniveaus warnen und die anderen jede Beitragserhöhung und jede Ausweitung des Steuerzuschusses ablehnen oder am besten wie Horst Seehofer gleich beides . Erst im April forderte er die Stabilisierung des Rentenniveaus . Jetzt spricht er davon, es dürfe keine Beitragserhöhung geben und auch nicht mehr Steuermittel . ({7}) Für uns ist klar: Es geht um ein Leben in Würde, auch im Alter . Es geht um Teilhabe, es geht darum, Altersarmut zu verhindern, aber auch sozialen Abstieg . Deshalb gilt für uns: Erstens . Die gesetzliche Rente ist und bleibt die zentrale Altersvorsorge in Deutschland . ({8}) Zweitens. Der demografische Wandel ist nur zu bewältigen, wenn die Lasten gerecht zwischen den Generationen verteilt werden . Deswegen brauchen wir bei der Alterssicherung mehr als nur ein Standbein . Lieber Matthias Birkwald, ich habe gestern im Ausschuss am Beispiel Ihrer eigenen Zahlen erklärt, wie man mit Kapitaldeckung die Lasten zwischen den Generationen gerechter verteilen kann. Sie haben offenbar nicht ausreichend zugehört . ({9}) Wir machen dann im nächsten Ausschuss noch einmal eine Lehrstunde . Drittens . Soziale Sicherung im Alter muss unabhängig von der Erwerbsform sein . Deshalb wollen wir Selbstständige Schritt für Schritt in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen, aber der Besonderheit der Einkommenserzielung bei Selbstständigen bei der Beitragserhebung Rechnung tragen und Selbstständige an anderer Stelle entlasten . Viertens . Wir brauchen keine Diskussion über die weitere Erhöhung einer starren Regelaltersgrenze, sondern müssen den Weg flexibler und individueller Übergänge, die sich an der jeweiligen Erwerbsbiografie orientieren, fortsetzen, wie wir es mit dem Flexigesetz begonnen haben . ({10}) Fünftens. Klar ist auch: Nicht alle Probleme lassen sich in der Rentenpolitik lösen . Rente ist immer ein Spiegelbild der Erwerbsbiografie. Deswegen kommt dem Zusammenhang von guter Arbeit, guten Löhnen und guter Rente eine große Bedeutung zu . Deswegen beginnt Rentenpolitik bei der Bildung, geht weiter über Ordnung auf dem Arbeitsmarkt . Es geht ferner um eine bessere Bezahlung von Frauen und eine bessere Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben . ({11}) Und es geht darum, dass wir gerade in einer Zeit, in der die Umbrüche im Erwerbsleben zunehmen, die Beschäftigten bei diesen Umbrüchen durch präventive unterstützende Sozialpolitik während des Arbeitslebens besser begleiten, und zwar durch Prävention, Rehabilitation, Weiterbildung und Beratung . Auch da sind wir im Maschinenraum unterwegs . Vielen Dank . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Martin Rosemann . - Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wurde kürzlich von einem Schülerpraktikanten der neunten Klasse gefragt, wie ich bei meiner politischen Arbeit für Generationengerechtigkeit sorge . Schließlich sei das, so sagte er, angesichts so mancher Vorschläge, aber auch Entscheidungen der Vergangenheit ja nicht so leicht . In meiner Antwort machte ich dann deutlich, dass es natürlich darauf ankomme, bei Gesetzgebungsvorhaben die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen. Ich sagte ihm aber auch, dass die Sicherstellung von Generationengerechtigkeit auch bedeute, hier im Deutschen Bundestag einen täglichen politischen Abwehrkampf zu fechten . ({0}) Wogegen? ({1}) Gegen jene politischen Kräfte, die den durch tiefgreifende Reformen erarbeiteten Wohlstand schlichtweg verfrühstücken wollen ({2}) und unseren Sozialstaat als Selbstbedienungsladen verstehen, oder - um es kurz zu machen - gegen Anträge wie jenen, der hier heute diskutiert wird . Da heißt es: „Zeit für einen Kurswechsel“ . ({3}) Allerdings stelle ich mir unter einem Kurswechsel etwas anderes vor, als Politik von gestern und auf Kosten künftiger Generationen zu machen . ({4}) Die Linke fordert in ihrem Antrag, jene Faktoren, die die Rente bisher bezahlbar machen, zugunsten eines hohen Rentenniveaus aufzugeben . Konkret soll dazu die im Gesetz festgeschriebene Deckelung des Beitragssatzes aufgehoben werden . Das bedeutet aber, der von den Arbeitnehmern zu erbringende Beitrag zur Rentenversicherung könnte beliebig steigen, um die Renten auf einem bestimmten Niveau zu halten . ({5}) Dass aber ein umlagefinanziertes System, das von den Beiträgen der Beschäftigten lebt, ({6}) immer auch Solidarität in beide Richtungen erfordert, genau aus dem Grunde, dass es sonst die Gesellschaft nicht mitträgt, lassen Sie dabei außer Acht . Es ist erschreckend, meine Damen und Herren, für wie selbstverständlich die Linke die Beiträge und die Leistungen jener erachtet, die unseren Sozialstaat tragen . ({7}) Wenn wir Generationengerechtigkeit wollen und den Generationenvertrag achten, dann müssen wir auch jene im Blick behalten, die dafür heute mit ihren Beiträgen geradestehen . ({8}) Der willkürliche Umgang mit dem Beitragssatz lässt das Vertrauen in unseren Sozialstaat und seine Akzeptanz schwinden . Solche Forderungen lassen sich nur damit erklären, dass man entweder die demografische Entwicklung in unserem Land vollends ignoriert und die gesetzliche Rente in der Zukunft mit noch mehr Steuergeldern bezuschussen, also die gute Haushaltspolitik der letzten Jahre über Bord werfen will, oder die Steuerzahler mit noch höheren Beiträgen zur Rentenversicherung belasten will . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie machen Politik auf Kosten anderer, auf Kosten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ({10}) und insbesondere der jungen Menschen in unserem Land . ({11}) Sie werden nach Ihren Plänen künftig ({12}) exorbitant mehr zahlen und am Ende weniger Netto in der Tasche haben . ({13}) Jeder zusätzliche Prozentpunkt bei den Beiträgen zur Sozialversicherung kostet aber Jobs und Geld . „Herzlichen Glückwunsch!“ kann man dazu nur sagen . ({14}) Mit der Forderung nach Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors legen Sie auch die Axt an jenes Element bei der Rente, das jüngeren Generationen einen natürlichen Schutz vor den Begehrlichkeiten auch der Politik bietet. Der Nachhaltigkeitsfaktor ist deshalb so wichtig, meine Damen und Herren, weil er bei der jährlichen Rentenanpassung das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenbeziehern berücksichtigt . Dort rangehen zu wollen, bestätigt, dass Sie schlichtweg keine anderen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft haben . Sie schieben Probleme vor sich her und vergrößern sie damit zusätzlich . Wir reden ja viel von Nachhaltigkeit - in der Umwelt, in der Bildung und in der Wirtschaft . In der Renten- und Sozialpolitik aber erhält Nachhaltigkeit eine existenzielle Bedeutung . Das muss man können und wollen . Sie, verehrte Kollegen der Linken, können und wollen es nicht . ({15}) Deshalb ist es gut, dass Sie im Bund nicht über die Geschicke unseres Landes bestimmen . Meine Damen und Herren, ich glaube, wir brauchen andere Lösungen . Fakt ist auch: In Zeiten einer älter werdenden Gesellschaft kann die Antwort eben nicht lauten, dass die gesetzliche Rente allein es schon richten wird . Ich würde behaupten, dass die Mehrzahl der Menschen in meiner Generation das auch so sieht . Wir müssen deswegen den Menschen vielmehr die Möglichkeit geben, ihre Rente noch stärker auch durch das eigene Erwerbsverhalten zu beeinflussen. Genau das berücksichtigen die Beschlüsse und Maßnahmen der vergangenen Monate . Mit der Einführung der Flexirente, die heute schon mehrfach angesprochen wurde, haben wir Anreize dafür gesetzt, dass sich längeres Arbeiten lohnt, für Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitgeber. Wir schaffen dadurch mehr Flexibilität und mehr Freiheit, und wir stärken die Eigenverantwortung der Menschen . Wir müssen den Menschen aber auch den Raum lassen und die Möglichkeit geben, mit ihrem Einkommen in alternative Anlageformen zu investieren . Niedrige Steuern und angemessene Sozialbeiträge sind dafür zunächst die Voraussetzung . ({16}) Darauf aufbauend wollen wir künftig wieder den Erwerb von Grundeigentum unterstützen; denn Grundeigentum ist Garant für soziale Stabilität, vor allen Dingen im Alter . ({17}) Doch die Niedrigzinsphase führt nicht nur dazu, dass traditionelle Anlageprodukte immer weniger attraktiv sind, sie führt auch dazu, dass junge Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen sich infolge steigender Grundstücks- und Baupreise eben kein Eigenheim mehr leisten können . Das Budget ist oftmals schon mit dem Erwerb des Grundstücks aufgebraucht . Deshalb ist es wichtig, in diesem Bereich mehr politische Unterstützung zu geben . Und: Wir wollen auch die zweite und dritte Säule in unserem Vorsorgesystem stärken; das wurde heute auch schon mehrfach angesprochen . Die Linke würde das alles am liebsten abschaffen, ({18}) aber wir halten daran fest, weil es sich bewährt hat . Gut die Hälfte der heutigen Rentner haben Einkommen aus betrieblicher und privater Vorsorge . In Deutschland gibt es mehr als 20 Millionen aktive Anwartschaften aus der betrieblichen Altersvorsorge . ({19}) Mehr als 70 Prozent der heutigen Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf eine Zusatzrente . Diese Zahlen zeigen, meine Damen und Herren, dass die Menschen in unserem Land erkannt haben, dass für eine auskömmliche Altersvorsorge Zusatzrenten wichtig und richtig sind . Dazu - um einen letzten Gedanken zu äußern - liegt mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz ein Vorschlag auf dem Tisch, den wir in den kommenden Wochen beraten werden . Die größte Herausforderung ist dabei zweifelsohne, herauszufinden, wie es uns gelingen kann, mit dem Gesetz eben nicht nur tarifgebundene Unternehmen zu erreichen. Unser Ziel ist und bleibt, Politik für alle Menschen in Deutschland zu machen, und dazu zählt der größte Teil der Unternehmen in unserem Land, ebenjene, die nicht tarifgebunden sind und keinen Tarifvertrag anwenden . Einen wahrlichen Kurswechsel im Vorschlag zur betrieblichen Altersvorsorge stellt auch der Übergang zu einer Zielrente bzw . einer reinen Beitragszusage dar . Diese hat sich bereits im europäischen Ausland bewährt, und damit gäbe es in der Tat eine denkbare Alternative zur Garantierente, die immer weniger für die Versicherten abwirft und Unternehmen in die Haftung nimmt . Betriebliche Altersvorsorge könnte damit auch künftig auf andere Anlageformen zurückgreifen . ({20}) Meine Damen und Herren, wir neigen in vielen Bereichen der Politik dazu, Freiheit und Eigenverantwortung zugunsten von Sicherheit und Garantien zu opfern . Damit entgehen uns aber auch Chancen, die wir angesichts demografischer Veränderungen und der Ausgestaltung der europäischen Zinspolitik angehalten sind zu nutzen . Lassen Sie uns über den Tellerrand hinwegschauen . Unsere Kinder und späteren Enkel werden es uns danken . Vielen Dank . ({21})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jana Schimke . - Nächster Redner: Ralf Kapschack für die SPD-Fraktion. ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Eine Bemerkung vorweg: Ich könnte mir Markus Kurth sehr gut als Supergrobi in der Sesamstraße vorstellen . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns, für die Sozialdemokraten, ist die gesetzliche Rente die zentrale Säule der Altersversorgung, und sie soll es bleiben . Das hat Andrea Nahles vor einer Woche noch einmal sehr deutlich gemacht . Sie hat ein Konzept vorgelegt und eben nicht bloß die Forderung nach Einführung der Rente mit 70 in die Welt gesetzt, wie manch einer unserer politischen Lebensabschnittspartner aus der CDU/CSU ({1}) - irgendwo muss ich hingucken -, als sei mit der Rente mit 70 ein Problem gelöst. Kein einziges Problem ist gelöst, ganz im Gegenteil . ({2}) Viele schaffen es jetzt schon nicht, bis 65 durchzuhalten . Deshalb haben wir erst vor ein paar Wochen hier mit den Möglichkeiten zum flexiblen Übergang neue Wege eröffnet, um den Übergang vom Job in die Rente für ältere Beschäftigte leichter zu machen, um es ihnen zu erleichtern, das normale Renteneintrittsalter zu erreichen . Und jetzt sollen sie gleich bis 70 weitermachen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Eine flotte Forderung nach der Rente mit 70 bringt sicher Schlagzeilen, eine Lösung bringt sie nicht . Und: Solche simplen Parolen erschüttern das Vertrauen vieler Menschen in den Sozialstaat, und das ist das Letzte, was wir im Moment gebrauchen können . ({3}) Deshalb bin ich froh, dass die Arbeits- und Sozialministerin es sich nicht so leicht gemacht hat und nur auf kurze Sicht gefahren ist, wie manche empfohlen haben . Sie hat klare Vorstellungen formuliert, wie mit einer Solidarrente - das ist schon gesagt worden - Menschen, die lange gearbeitet haben, der Weg in die Grundsicherung erspart bleibt . Sie hat klar formuliert, dass bei den Erwerbsminderungsrenten weitere Verbesserungen dringend notwendig sind . ({4}) Der erste große Schritt zu einer Erwerbstätigenversicherung ist ebenfalls klar formuliert worden . Ja, Andrea Nahles hat auch deutlich gemacht - ich will mich da gar nicht drum herumdrücken -, dass das Niveau der gesetzlichen Rente nicht so stark sinken soll, wie ursprünglich vorgesehen . Ich persönlich bin der Meinung: Das Niveau der gesetzlichen Rente darf nicht weiter sinken . ({5}) Deshalb habe ich persönlich sehr große Sympathien für die Forderung der Gewerkschaften nach einer Stabilisierung des aktuellen Niveaus und einer langfristigen Anhebung . Natürlich gibt es konkrete Vorschläge, wie das generationengerecht finanziert werden kann. Darüber wird auch in meiner Partei sehr intensiv diskutiert. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir da eine gute Lösung finden werden. ({6}) Ich sage aber auch ganz klar: Das, was im Antrag der Linken steht - mindestens 53 Prozent -, hört sich ein bisschen so an wie: Wir können auch noch mehr . ({7}) Die beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente ist für die SPD die betriebliche Altersversorgung als private und zugleich kollektive Vorsorge . ({8}) Sie ist Ergänzung, um das klar zu sagen, kein Ersatz . Anders als die Linke wollen wir nicht einfach darauf verzichten . Die betriebliche Altersversorgung ist ein eingeführtes, bewährtes Instrument . Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz wird die Ministerin dem Parlament demnächst ihren Vorschlag präsentieren, wie die Altersversorgung ausgebaut werden kann . Aus unserer Sicht muss es darum gehen, gerade Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen einen besseren Zugang zu Betriebsrenten zu ermöglichen - tarifvertraglich, wo es geht, aber auch dort, wo es keine Tarifverträge gibt . Es muss auch darum gehen, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen eine Betriebsrente selbstverständlich wird . Deshalb soll es einen speziellen Förderbetrag für Geringverdiener geben, und - das ist auch schon angesprochen worden Betriebsrenten sollen künftig nicht mehr vollständig auf die Grundsicherung angerechnet werden . Ich würde das nicht eine Revolution nennen, aber das ist ein Riesenfortschritt . ({9}) Auch das hat etwas mit Gerechtigkeit und mit Vertrauen zu tun; denn es ist richtig, diejenigen besserzustellen, die trotz kleinem Einkommen für das Alter vorsorgen, als andere, die eben nicht vorsorgen . All dies könnte mehr Frauen und Männern helfen, als Ergänzung zur gesetzlichen Rente auch eine Betriebsrente zu erwerben - als Ergänzung, nicht als Ersatz .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit?

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss . - Denn im Mittelpunkt bleibt für uns die gesetzliche Rente, ohne Wenn und Aber . Vielen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kapschack . - Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Kerstin Griese für die SPD-Fraktion . ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Was kann ich zum Ende dieser Debatte sagen? Immer wenn die Bundesregierung Verbesserungen macht - sei es die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, die Mütterrente oder die Rente für Erwerbsgeminderte - oder, wie die Ministerin es jetzt tut, ein gutes, durchgerechnetes Konzept für die Rente vorstellt, dann holt die Linke ihr altes Konzept heraus, packt es in einen neuen Antrag, schreibt eine neue Überschrift darüber und sagt: Das Rentenniveau von 53 Prozent wird angehoben. Sie sagt aber kein Wort dazu, wie das richtig finanziert werden soll . ({0}) Damit bleibt die Rente nicht sicher . ({1}) Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es so einfach nicht ist . Es ist auch unverantwortlich, immer einfach nur mehr zu fordern . Die Menschen wissen, dass wir nicht einfach so weitermachen können; denn würden wir es einfach so weiterlaufen lassen - das können Sie in den Berechnungen von Frau Ministerin Nahles nachlesen -, würde das Rentenniveau im Jahr 2045 auf 41,7 Prozent sinken, die Beiträge aber auf über 25 Prozent steigen, und das wäre unverantwortlich . ({2}) Wir haben ganz andere Probleme, und die Menschen wissen das. Ich finde, man kann über Generationengerechtigkeit auch in einem Grundton reden, der davon zeugt, dass wir uns das solidarische Miteinander der Generationen und die soziale Gerechtigkeit zum Ziel nehmen . Wir wissen, dass wir da etwas tun müssen . 1950 haben noch sechs Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Rentner finanziert, heute sind es drei, und 2030 werden es zwei sein . Darauf muss man eine verantwortungsvolle und zukunftsweisende Antwort finden. ({3}) Unsere Politik und übrigens der hervorragende Arbeitsmarkt, der ja auch etwas mit unserer Politik zu tun hat, haben dazu beigetragen, dass wir in diesem Jahr die höchste Rentenerhöhung seit über 25 Jahren hatten . Der Beitragssatz liegt bei 18,7 Prozent und das Rentenniveau bei 47,7 Prozent. Das sind gute Zahlen. Das zeigt, dass gute Rentenpolitik und gute Arbeitsmarktpolitik zusammengehören . ({4}) Mir geht es um die Wahrung der Generationengerechtigkeit, um das solidarische Miteinander . Wir sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten machen keine wolkigen Rentenversprechungen zulasten der jungen Generation . ({5}) Ich höre immer wieder: Ach, das macht ja nichts, wenn die Beiträge um 1, 2 oder 3 Prozent steigen. ({6}) Aber das ist netto wirklich weniger für die Menschen . Die Menschen merken das, auch wenn sich Mitglieder der Linkenfraktion das scheinbar nicht vorstellen können . Menschen merken das, wenn eine niedrigere Zahl auf dem Gehaltszettel steht . ({7}) Wir wollen einen Ausgleich zwischen den Generationen. Denn das ist verantwortungsvolle Politik. Auch ich danke Ministerin Nahles, dass sie ein umfassendes Konzept zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung vorgelegt hat . - Denn wir kümmern uns um alle Generationen: um gute Renten für die Älteren und um bezahlbare Beiträge für die Jüngeren, die heute arbeiten . Damit ist dies auch ein gutes und wichtiges Konzept gegen Altersarmut . ({8}) Das Konzept bedeutet Verbesserungen für alle Menschen . Das wichtigste Versprechen des Sozialstaates ist, dass man auch im Alter sicher leben kann . Wir tun etwas gegen Altersarmut und sorgen dafür, dass der Lebensstandard gesichert ist. Deshalb finde ich es so gut, dass wir gezielt schauen, wo man etwas gegen Altersarmut tun muss . Wir haben bei den Erwerbsminderungsrenten schon einiges verbessert und gehen jetzt in dieser Koalition weitere Schritte, damit die betroffenen Menschen monatlich etwa 100 Euro mehr in der Hand haben werden . Das hilft echt gegen Altersarmut . Das hilft den erwerbsgeminderten Menschen wirklich . Das ist verantwortungsvolle Rentenpolitik . ({9}) Wir wollen auch für die Selbstständigen etwas tun . Wir haben gesehen, dass auch die Selbstständigen in Gefahr sind, im Alter arm zu werden . Deshalb ist es aus Sicht der SPD wichtig, auch die Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen . Das stärkt die Rentenversicherung, und das hilft den Selbstständigen dabei, eine gesicherte Altersversorgung zu haben . Deshalb ist das ein wichtiges Thema, eine wichtige Komponente in der Rentenpolitik . Mit der Solidarrente, einer Alterssicherung oberhalb der Grundsicherung für diejenigen, die 35 Jahre eingezahlt haben, machen wir einen weiteren Vorschlag, der für Sicherheit im Alter sorgt; dadurch wird anerkannt, dass Menschen gearbeitet haben. Ich finde, das ist eine richtig gute Sache, um Altersarmut gezielt vorzubeugen . Der Vorschlag, den Frau Nahles vorgelegt hat, ist im Gegensatz zu dem von den Linken klar durchgerechnet . ({10}) Er ist nachhaltig, er ist umsetzbar, und er würde Verbesserungen für alle Menschen bedeuten . Das ist das Gute daran . Damit gehen wir gezielt gegen Altersarmut vor . Wir helfen denen, die es wirklich brauchen, und wir sorgen für ein solidarisches und nachhaltiges Gesamtkonzept . Ich freue mich auf weitere Diskussionen dazu . Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kerstin Griese . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10471 an den in der Tagesordnung auf- geführten Ausschuss vorgeschlagen . Sie sind damit ein- verstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen . Tagesordnungspunkt 5 b . Wir kommen zur Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rentenni- veau anheben - Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/10517, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6878 abzuleh- nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann wird sich niemand mehr ent- halten . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zu- gestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . Dagegen war die Linke . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 b und 35 c sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 d auf: 35 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die digitale Welt verstehen und mitgestalten - Lernen und Lehren digitalisieren Drucksache 18/6203 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate WalterRosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bildungseinrichtungen fit für die digitale Gesellschaft und die Zukunft machen Drucksache 18/10474 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss ZP 2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes Drucksache 18/10456 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren Drucksache 18/7657 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms, Beate WalterRosenheimer, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachhaltigkeit im politischen Prozess verankern Drucksache 18/10475 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur d) Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Conterganstiftungsgesetzes sowie über die gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung dieser Vorschriften Drucksache 18/8780 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 l auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Tagesordnungspunkt 36 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung der Bundespolizei in den Anwendungsbereich des Bundesgebührengesetzes Drucksache 18/9759 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6}) Drucksache 18/10276 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10276, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9759 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Was macht die Linke? Gar nichts! ({7}) - Gut . Dann habe ich links nicht richtig geguckt . Dann gibt es keine Enthaltungen . - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, enthalten haben sich die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben die Linke, die SPD, die CDU/CSU, enthalten haben sich die Grünen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 b auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/55/EU über die elektronische Rechnungsstellung im öffentlichen Auftragswesen Drucksache 18/9945 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8}) Drucksache 18/10287 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10287, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9945 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, enthalten haben sich die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, enthalten haben sich die Grünen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 c auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/9532, 18/9834 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9}) Drucksache 18/10512 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10512, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9532 und 18/9834 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10529 vor . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Es enthält sich niemand . Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/CSU und die SPD. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Grünen, und enthalten hat sich die Linke . Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 d auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 7. April 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über den grenzüberVizepräsidentin Claudia Roth schreitenden Einsatz von Luftfahrzeugen zur Ergänzung des Abkommens vom 9. Oktober 1997 über die Zusammenarbeit der Polizeiund Zollbehörden in den Grenzgebieten Drucksache 18/9988 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10}) Drucksache 18/10492 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10492, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9988 anzunehmen . Zweite Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD, dagegen war niemand, und die Linke hat sich enthalten . Sie haben geguckt, warum Sie gleich aufstehen mussten . Das ist so, weil es sich um ein Vertragsgesetz handelt und es dazu nur eine zweite Lesung gibt . Das habe ich auch gerade gelernt . Ich übergebe an Edelgard Bulmahn und wünsche einen weiteren schönen Nachmittag .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Es geht weiter mit Tagesordnungspunkt 36 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Freiheit für Mumia Abu-Jamal Drucksachen 18/4722, 18/7349 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7349, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4722 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 f auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({1}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Antibiotika-Resistenzen vermindern - Erfolgreichen Weg bei Antibiotikaminimierung in der Human- und Tiermedizin gemeinsam weitergehen Drucksachen 18/9789, 18/10308 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10308, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9789 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 36 g bis 36 l . Tagesordnungspunkt 36 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 382 zu Petitionen Drucksache 18/10421 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Stimmt jemand dagegen? - Damit ist Sammelübersicht 382 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 36 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 383 zu Petitionen Drucksache 18/10422 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 383 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Tagesordnungspunkt 36 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 384 zu Petitionen Drucksache 18/10423 Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 384 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 36 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 385 zu Petitionen Drucksache 18/10424 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 385 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 36 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 386 zu Petitionen Drucksache 18/10425 Vizepräsidentin Claudia Roth Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken angenommen worden . Tagesordnungspunkt 36 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 387 zu Petitionen Drucksache 18/10426 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist auch diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 6 . Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksachen 18/10353, 18/10482 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({8}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksache 18/10469 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat Hubertus Heil für die SPD-Fraktion das Wort . ({10})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land über Jahrzehnte so tief gespalten wie die Auseinandersetzung um die Kernkraft in Deutschland beginnend mit den Protesten 1973/1974 in Wyhl am Kaiserstuhl bis hin zu heftigen Debatten der 70er-, 80er-, 90er- und frühen 2000er-Jahre mit frühen Mahnern wie beispielsweise Erhard Eppler oder Robert Jungk . Jeder Einzelne von uns und jede einzelne Partei in diesem Haus hat im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung eine eigene Geschichte . Bündnis 90/Die Grünen sind darüber 1980 als grüne Partei entstanden. Sie waren als erste Partei - seit ihrer Wiege sozusagen - klare Kernkraftgegner . Die deutsche Sozialdemokratie hat sich trotz der Tatsache, dass es auch in der SPD in den 70er- und 80er-Jahren schon massiven Widerstand gab, erst 1986 auf dem Nürnberger Parteitag für den geordneten Ausstieg aus der Kernkraft ausgesprochen . Die Vorgängerparteien der Linkspartei waren seit 1989/1990 Gegner der Kernkraft, und CDU/CSU ist seit 2011, seit dem furchtbaren Unglück in Fukushima, auch entschieden dagegen . - Was will ich damit sagen? Eine übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ist am Ende dieser Auseinandersetzung zu Kernkraftgegnern geworden. Alle demokratischen Parteien in Deutschland sind mittlerweile für den Ausstieg aus der Atomkraft . Das ist ein gutes Zeichen . Deshalb ist es Zeit, diese gesellschaftliche Auseinandersetzung ein für alle Mal zu beenden . ({0}) Wir werden im Jahre 2022 erleben, dass das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz geht . Unsere Generation muss dafür sorgen, dass die Abwicklung der Erblasten des atomaren Zeitalters auf den Weg gebracht wird . Das heißt ganz konkret, dass wir durch Regelungen in zwei Bereichen dafür sorgen müssen - das tun wir mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute einbringen -, dass wir den zukünftigen Generationen das ihnen Zustehende hinterlassen . Dazu gehört, die Verantwortung für die Atomabfälle neu zu regeln . Die Betreiber der Kernkraftwerke sind auch in Zukunft für die gesamte Abwicklung und die Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und Verpackung der radioaktiven Abfälle zuständig; das liegt in ihrer Verantwortung . Der Bund übernimmt allerdings die klare Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung . Finanziell bedeutet das, dass die Betreiber der Atomkraftwerke 17,3 Milliarden Euro dafür zur Verfügung stellen; das sind die Rückstellungen . Hinzu kommt ein Risikozuschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro . Diese insgesamt 23,4 Milliarden Euro wird der Staat in einem Fonds sichern, der diesem Ziel gewidmet ist . Es gilt aber nach wie vor - im Sinne des Verursacherprinzips - die Nachhaftung . Der Atomausstieg und die gesamte Energiewende bedingen einen Strukturwandel in der Energiewirtschaft . Diese veränderten Strukturen erleben wir gerade in diesen Tagen bei den großen EVUs . Es muss deshalb klar sein, dass der Staat weiterhin diejenigen in Verantwortung nimmt, die in den Unternehmen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Verantwortung tragen . Auch hier gilt der Satz: Eltern haften für ihre Kinder . - Bei Zahlungsunfähigkeit von Kernkraftwerksbetreibern müssen deren Mütterunternehmen die Kosten für Rückbau und Entsorgung tragen . Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist kein Regierungsentwurf, sondern ein gemeinsamer Fraktionsentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . Ich bin sehr dankbar, dass das möglich war . Die Basis für diesen Gesetzentwurf wurde in einer Kommission gelegt, die gründlich, kompetent und, wie ich finde, sehr umsichtig gearbeitet hat. Ihre Mitglieder haben mit ihren unterschiedlichsten persönlichen Historien und Interessen dafür gesorgt, dass jetzt Vorschläge vorliegen, die wir in Gesetzesform umsetzen können . Ich möchte für die Arbeit dieser Kommission einmal ganz herzlich danken . Viele waren daran beteiligt: viele Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen dieses Hauses, kompetente Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften . Namentlich möchte ich denjenigen danken, die diese Kommission geleitet haben: Ole von Beust, Matthias Platzeck und nicht zuletzt Jürgen Trittin . Sie haben dazu beigetragen, dass es ein einstimmiges Votum gegeben hat, auf dessen Basis wir diesen Gesetzentwurf vorlegen konnten . ({1}) Ich möchte den Kollegen Trittin persönlich ansprechen und ihm herzlich danken, weil er wie wenige andere einen Beitrag dazu geleistet hat, diese gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht nur heftig zu führen, sondern auch zu einem guten Ende zu bringen . Das hat er als zuständiger Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Regierungszeit von Gerhard Schröder getan, als Gerhard Schröder, Jürgen Trittin und Werner Müller gemeinsam mit den Energieversorgungsunternehmen den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft im Jahre 2000 vereinbart hatten . Das hat er als Vertreter der Opposition getan, und das tut er auch im Rahmen seiner parlamentarischen Arbeit in der Kommission . Jürgen Trittin, ich hoffe, es schadet dir in deiner Fraktion nicht zu sehr, wenn ich ganz herzlich Danke sage für das, was du jetzt getan hast und was du in der Vergangenheit getan hast . ({2}) Das Ergebnis dieser KFK ist eine wirklich gute Grundlage für den heute vorliegenden Gesetzentwurf . Ich gebe aber zu, dass in nächster Zeit noch heftige Arbeit vor uns liegt . Wir wollen unverzüglich, also ohne schadhaftes Verzögern, aber auch gründlich dafür sorgen, dass das ein guter Gesetzentwurf ist . Wir werden deshalb an der einen oder anderen Stelle noch darüber diskutieren müssen . Eines ist mir ganz wichtig: Wenn es notwendig ist, für dieses Gesetz einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen den EVUs und dem Staat zu schließen, damit alle Rechtsfolgen bedacht sind, dann habe ich die klare Erwartung an die Energieversorgungsunternehmen in Deutschland, dass sie die Klagen, die im Zuge des Atomausstieges gegen den Staat eingereicht worden sind, zurückziehen . ({3}) Wenn wir die Risiken nicht im Sinne einer Staatsbeihilfe - das darf es auch nach EU-Recht nicht sein -, sondern im Sinne von Verantwortungssicherung in die eben beschriebene Form überführen, dann muss klar sein, dass alle den Krieg um die Atomkraft beenden müssen, auch diejenigen, die ihn verloren haben . Das heißt, es darf kein Nachtreten geben . Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass wir nicht nur einen gesellschaftlichen, sondern auch einen Rechtsfrieden haben . Meine Damen und Herren, wir brauchen genug Kraft, um gemeinsam nach vorne zu schauen und die Energiewende zum Erfolg zu führen, und dürfen deshalb nicht in Schlachten der Vergangenheit stecken bleiben . Gesellschaftliche Auseinandersetzungen sind verantwortungsvoll zu beenden, gerade in diesen Zeiten . Wir müssen in Deutschland nach vorne gucken und das atomare Zeitalter hinter uns lassen . Mit diesem Gesetz leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Finanzierung dessen möglich ist . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Hubertus Zdebel von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die Atomkonzerne Eon, Vattenfall, RWE und EnBW ein Problem haben, springt nicht nur die Bundesregierung, sondern dieses Mal sogar fast das gesamte Parlament. Was unter dem verharmlosenden Titel einer Neuordnung der Atommüllentsorgung beschlossen werden soll, hat offensichtlich nur einen Grund: Den Atomkonzernen soll ein richtig großes, fettes Weihnachtsgeschenk unter den Tannenbaum gelegt werden . ({0}) Die Verantwortung für den Rückbau der Atommeiler soll zwar bei den Konzernen bleiben; aber gegen eine Einmalzahlung von etwas über 23 Milliarden Euro - mein Vorredner hat darauf hingewiesen - sollen die Atombarone von sämtlicher Verantwortung für ihren Atommüll befreit werden . Sie hatten die Gewinne; für die Bürger bleiben die Atommüllberge und die Kosten . Seit vorgestern liegt der Gesetzentwurf von CDU/ CSU, SPD und Grünen vor. Heute findet die erste Lesung dieses äußerst komplexen Artikelgesetzes im Plenum statt . Morgen ist die Anhörung mit den Experten, die den Entwurf bestenfalls überfliegen konnten. Schon in der Hubertus Heil ({1}) nächsten Sitzungswoche wollen Sie dieses Artikelgesetz mit seinen kostspieligen Folgen verabschieden . Die ganz große Mehrheit des Parlaments macht sich selbst zur bloßen Abnickmaschine und veranstaltet so eine Farce . Das ist erschreckend . ({2}) CDU/CSU und SPD und unter Trittin als Umweltminister auch die Grünen hatten Jahrzehnte Zeit, um die Probleme bei der Finanzierung der Atommülllagerung zu regeln . Das haben sie verpennt . Heute sagen sie - wir werden es sicherlich noch hören -, man müsse jetzt handeln, weil man einem nackten Mann, den Konzernen, nicht in die Tasche greifen könne, bzw . wenn man jetzt nichts tue, wäre das Geld weg . Unglaublich, was hier abgezogen wird! Die Konzerne stecken sicher in einer Strukturkrise; aber sie sind potent genug und haben genügend Substanz . Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie aus der Nachschusspflicht und ihrer Verantwortung für die Kostenrisiken für die Atommülllagerung zu befreien . ({3}) Jahrzehntelang galt als Versprechen: Die Atomkonzerne zahlen die Atomzeche auch für die Atommülllagerung und den Rückbau der Meiler . ({4}) Dieses Versprechen wird nun wie so viele in der miesen Geschichte der Atomenergienutzung gebrochen, erneut zum Schaden und auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger . Es ist erschreckend, dass es hierfür einen Schulterschluss der Großen Koalition mit den Grünen gibt . Sie wetten auf die Zukunft und setzen das Verursacherprinzip außer Kraft . Die dem Gesetzentwurf zugrundeliegende Kostenschätzung ist auf Sand gebaut . Nach allen Erfahrungen werden die Kosten der Entsorgung steigen . Das zeigt ganz aktuell die Asse; das wissen Sie alle . Auch der Bundesrat hat sich in der letzten Woche klar geäußert . ({5}) Ich habe sehr genau verfolgt, was insbesondere die grünen Minister dort vorgetragen haben . Die Länder wollen nicht auf den Mehrkosten sitzen bleiben und fordern, im Gesetz klipp und klar zu regeln, dass der Bund die Kostenverantwortung ohne Wenn und Aber übernimmt . Das ist eine sehr deutliche Aussage . Ob die prognostizierte langfristige vierprozentige Verzinsung der in den Fonds einzuzahlenden 23 Milliarden Euro tatsächlich eintritt, weiß zum jetzigen Zeitpunkt niemand. Dabei geht es allerdings nicht um Peanuts, sondern um riesige Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe . Es kann also für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler richtig dicke kommen. Eine Nachschusspflicht der AKW-Betreiber oder die Pflicht, Rücklagen zu bilden - das wäre eine Alternative dazu; wir reden bisher immer nur über die vermaledeiten Rückstellungen statt über Rücklagen -, besteht nicht und ist im Gesetzentwurf auch nicht vorgesehen . Einmal zahlen, und der Atommüll ist in den Bilanzen der Konzerne für immer vergessen . Hinzu kommt, dass jetzt die Brennelementesteuer ausläuft, wodurch die Konzerne zusätzlich entlastet werden sollen. Was mit der Trittin-Kommission anfing, wird hier fortgesetzt . Es ist unglaublich dreist und skandalös, wie eine ganz große Koalition sehenden Auges das nächste Milliardengeschenk für die Stromkonzerne vorbereitet . Seien Sie gewiss: Mit uns ist eine Verlagerung der Kosten für den Atommüll auf die Bürgerinnen und Bürger nicht zu machen . ({6}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat Dr . Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir haben vor etwas mehr als einem Jahr mit der Arbeit der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomenergieausstiegs begonnen, und wir haben sehr intensiv zusammengearbeitet . Als ich die Liste der 19 Kommissionsmitglieder zum ersten Mal gesehen habe, war mein Gedanke: Das wird ja eine muntere gruppendynamische Übung. Da saß nämlich der Präsident des BDI neben der Direktorin des WWF und 30 Jahren Kernenergiegeschichte in Deutschland - namentlich mir gegenübersitzend -; Pro und Kontra waren in einem Raum versammelt, Schreckgespenster der Kernenergiegegner wie auch Schreckgespenster der Kernenergiebefürworter . Wir hatten auch - das war wahrscheinlich gut so - einen leibhaftigen Bischof unter uns, der am Ende dafür gesorgt hat, dass wir himmlischen Beistand hatten . Deswegen war es möglich, dass diese Kommission zu einem einvernehmlichen Konzept gekommen ist, das wir einstimmig beschlossen haben . Entscheidend war: Wir haben in der Kommissionsarbeit eben nicht die Schlachten der Vergangenheit geschlagen . Wir haben die Ideologie außen vor gelassen, und das war richtig so . Uns ging es um eine sichere und - Hubertus Heil hat es schon gesagt - zukunftsfeste Lösung, die vor allen Dingen dem Verursacherprinzip Rechnung trägt und die eine Vielzahl von Streitereien im Bereich der Kernenergie rechtlich und politisch befrieden und beenden soll . Alles in allem glaube ich, dass die Kommission eine vernünftige Arbeit abgeliefert hat . Mein Dank geht daher an die Mitglieder der Kommission, vorrangig aber an die drei Vorsitzenden - Hubertus Heil hat sie schon erwähnt -: Ole von Beust, Matthias Platzeck und Jürgen Trittin . Lieber Herr Trittin, ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob Ihnen das schadet . Ich habe es auch nie für möglich gehalten, dass ich in diesem Hause mal einen Grünen lobe . Aber wenn es Ihnen schadet, ist es ja gut so . ({0}) Mein herzliches Dankeschön also besonders an Sie . Ich muss ehrlich zugeben: Ich habe mir am Anfang der Kommissionsarbeit eine so vernünftige Zusammenarbeit nicht vorstellen können . Klar ist aber auch: Die Kommissionsarbeit war nur das Vorspiel . Das Entscheidende kommt jetzt . Wir beginnen damit heute . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eine ordentliche Grundlage . Er zeichnet wesentliche Weichenstellungen der Kommissionarbeit nach . Mit diesem Gesetzentwurf können wir weiterarbeiten . Erstens . Die Betreiber der Kernkraftwerke bleiben für die Stilllegung und den sicheren Rückbau zu 100 Prozent verantwortlich und auch in der Zahlungsverpflichtung. Zweitens . Für die Zwischen- und Endlagerung übertragen die Energieversorger die Finanzmittel auf einen Fonds beim Bundesfinanzminister. Grundlage sind rund 17,4 Milliarden Euro, die die Energieversorger hierfür zurückgestellt haben, wie man in den Bilanzen sehen kann . Die Kommissionsarbeit hat gezeigt, dass diese Rückstellungen - das sollte die Linke zumindest wahrnehmen - im internationalen Vergleich eher konservativ als zu hoch berechnet sind . Hinzu kommt ein gemeinsam von uns berechneter Risikozuschlag in Höhe von rund 6 Milliarden Euro . Das sind immerhin noch einmal 35 Prozent obendrauf. Am Ende beläuft sich der Gesamtbetrag auf annähernd 23,5 Milliarden Euro . Dieser wurde auch von unabhängigen Gutachtern der Bundesregierung als sachgerecht bestätigt . Umgekehrt werden die Energieversorger nach Zahlung dieses Betrags von einer Nachschusspflicht befreit. Dieser Ansatz ist für mich sachgerecht . Er setzt das Verursacherprinzip strikt um und sorgt dafür, dass die Mittel für Zwischen- und Endlagerung in Zukunft nicht mehr bei den Unternehmen, sondern beim Staat sind . Umgekehrt gewinnen die Energieversorger Planungssicherheit und ein Stück weit Bilanzsicherheit, was meiner Meinung nach dringend notwendig ist; denn man kann wahrlich nicht behaupten, dass es ihnen gerade in letzter Zeit gut geht . Man schaue sich nur die Verlustbilanzen an . Am wichtigsten ist für mich aber die dritte zentrale Weichenstellung der KFK-Empfehlung . Die operative und die finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung werden zukünftig beim Bund zusammengeführt, und zwar für den schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfall . Das heißt aber auch: Der Staat hat es in Zukunft allein in der Hand, mit den Geldern für die Zwischen- und Endlagerung effizient zu wirtschaften. Es gibt jetzt keine Ausreden mehr . Das muss schnell gemacht werden . Wie kann es schnell gehen? Das kann man in Finnland sehen . Vor zwei Tagen hat im Südwesten Finnlands der Bau des Endlagers Olkiluoto begonnen . Ich gebe zu, dass Finnland etwas weniger stark besiedelt ist als Deutschland . Aber man hat vor, bis 2023 dieses Endlager so weit fertiggestellt zu haben, dass es beschickt werden kann, dass also Abfälle eingelagert werden können . Das ist der richtige Weg . Wir haben ein Budget von 23,5 Milliarden Euro, das seit dem Frühjahr dieses Jahres dem BMF zur Verfügung steht . Damit muss gehaushaltet werden . Das liegt im Interesse des Steuerzahlers . Dass es bei einem vernünftigen Verfahren möglich ist, innerhalb eines absehbaren Zeitraums ein Endlager zu finden, ist klar. Wir dürfen dann aber keine Endlosdiskussion in diesem Hohen Hause beginnen und permanent darüber nachdenken, wo sich überall ein Loch bohren lässt . Wir dürfen nach Gorleben nicht weitere Löcher im Bayerischen Wald, im Schwarzwald, im Hunsrück oder irgendwo in der Heide bohren . Wir müssen uns irgendwann entscheiden . Das muss dann politisch durchgesetzt werden . Das muss dieses Hohe Haus verantworten . ({1}) Dann werden wir mit diesen Summen sicherlich hinkommen . Anders werden wir das nicht geregelt bekommen . Wichtig ist auch, dass wir für den schwach- und mittelradioaktiven Abfall endlich den Knoten bei Schacht Konrad durchschlagen; denn hiervon hängt ein Stück weit der Rückbau der Kernkraftwerke ab . Ich halte es für notwendig, dort voranzukommen . Deshalb ist es wichtig, dass wir auf einen effizienten Fluss der Finanzmittel zwischen Fonds und Betreibergesellschaft achten . Genauso wichtig ist, dass der effiziente Mitteleinsatz ständig überwacht wird . Wir haben eine Kommission gebildet, die dies tun wird . Ich gehe davon aus, dass wir das in großer Verantwortung gemeinsam machen werden . Wichtig ist mir auch, dass wir nach dem international festgelegten Trennungsprinzip aus dem Euratom-Vertrag zwischen atomrechtlicher Aufsicht und Betrieb klar trennen und den Sicherheitsfragen sauber Rechnung tragen . Sicherheitsfragen dürfen mit nichts anderem vermischt werden . Die richtigen Strukturen und Vorkehrungen hierfür zu schaffen, das ist unsere Aufgabe im parlamentarischen Verfahren . Ich gehe davon aus, dass wir das in Kürze machen werden und dass wir mit dem nächsten Jahr das Kernkraftzeitalter in Deutschland in geordneten Bahnen abwickeln werden . Danke . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2001 heißt das Atomgesetz „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung … “, und seit 2011 haben wir hierüber einen Konsens . Seit 2009 - übrigens, Kollege Fuchs, da sollten Sie noch einmal in das von Ihnen mit verabschiedete Standortauswahlgesetz schauen haben wir auch einen Konsens in diesem Hause darüber, wie man ein entsprechendes Endlager für den Müll findet; denn mit der Beendigung des atomaren Leistungsbetriebs ist das Atomzeitalter nicht vorbei . Heute sprechen wir über die Chance zu einem dritten Konsens, nämlich dem Konsens darüber, wie man die Mittel für die Kosten, die dafür anfallen - das sind bis zu 170 Milliarden Euro bis 2099 -, entsprechend sichert . Ich sage Ihnen deutlich: Dieses Gesetz kommt mit 15 Jahren Verspätung . Ich erinnere mich noch gut, wie zum Zeitpunkt des Ausstiegs die Unternehmen sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, dass sie diese Mittel in einen Zweckverband übertragen . Der Grund war einfach: Sie wollten mit hohen Rückstellungen Steuern sparen . Sie wollten diese als eine Kriegskasse im Konkurrenzkampf nutzen . Das ist ihnen nicht gut bekommen, und das ist übrigens der Gesellschaft nicht gut bekommen . Nach zehn Jahren Blockade sieht es so aus, dass Eon, RWE, Vattenfall und EnBW keine EEG-Anlagen haben und mit ihren Kohle- und Atomkraftwerken kein nennenswertes Geld mehr verdienen . Erst jüngst musste Eon 9,3 Milliarden Euro abschreiben . Ihre Börsenkurse haben sich halbiert . Aus dieser schönen Kriegskasse, die man einmal hatte in Form der Rückstellungen, ist eine Belastung ihrer Kreditwürdigkeit geworden . Sie haben dann versucht, sich dessen zu entledigen: durch Umbau, Umstrukturierung und Enthaftung. Plötzlich haftete der schwedische Staat nicht mehr für Vattenfall . Genau diesem Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen, schieben wir heute gemeinschaftlich einen Riegel vor . ({0}) Wir haben als Grüne immer dafür plädiert, dass man das über einen öffentlich-rechtlichen Fonds macht. Die Bundesregierung hat lange geleugnet, dass das überhaupt nötig sei . Nun hat Ihnen Ihr eigener Gutachter von Warth & Klein ins Stammbuch geschrieben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass, wenn die Beträge fällig werden, die Erlöse der Unternehmen diese noch decken: 50 Prozent. 50 Prozent, das ist, als würden Sie eine Münze werfen, nur dass das in diesem Falle eine 170-Milliarden-Euro-Münze ist. Ich finde, mit diesem Risiko sollten wir alle nicht mehr leben wollen . ({1}) Es drohte nämlich, dass die Unternehmen sich aus ihrer Verantwortung stehlen und dass die Steuerzahler das bezahlen, was sie als Stromkunden schon einmal bezahlt haben . Es drohte die Aushebelung des Verursacherprinzips, und dem beugen wir mit diesem Gesetzentwurf vor . Wir haben das sehr gründlich in dieser Kommission geprüft . Wir haben Bürgerinitiativen, Sachverständige, Wirtschaftsprüfer und Ratingagenturen, also alle, die irgendetwas dazu sagen konnten, zu öffentlichen Anhörungen eingeladen . Das Ergebnis ist: Die Höhe der heutigen Rückstellungen ist international vergleichbar, eher am oberen Rand, und sie ist - so das Ergebnis der Kommission - angemessen, um die Kosten von insgesamt 170 Milliarden Euro am Ende zu sichern. Das Problem ist nicht die Höhe. Das Problem, vor dem wir stehen, ist, dass diese Mittel nicht mehr sicher sind . Darum geht es . Deswegen schlagen wir vor, CDU/CSU, BDI, DGB, WWF, alle diejenigen, die dort vertreten waren, dass künftig wie folgt verfahren wird: Die Unternehmen müssen bis 2040 60 Milliarden Euro aufbringen, um rückzubauen und zu verpacken . Dafür müssen sie künftig ihre Rückstellungen mit Aktiva unterlegen . Das wird von der Bundesregierung unter Kontrolle des Bundestages kontrolliert . Sie müssen unverzüglich mit dem Rückbau anfangen . Das andere ist: Sie müssen die Mittel für die Zwischen- und Endlagerung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen das sind die 17 Milliarden Euro -, und sie müssen, wenn sie sich enthaften wollen, noch einmal über 6 Milliarden Euro als Risikozuschlag obendrauf legen, den sie bisher nicht hatten . Ein schönes Weihnachtsgeschenk übrigens, wenn ich eben einmal 23 Milliarden Euro, die ich bisher nur in den Büchern stehen hatte, ausreiche . Ich habe mir ein Geschenk bisher anders vorgestellt, liebe Kollegen von der Linken . Wir haben erwartet, dass die Unternehmen alle Klagen, die sich auf die Entsorgung beziehen, fallen lassen . Ich finde, dass damit das Verursacherprinzip sehr viel besser gesichert ist. Wir schaffen mehr Sicherheit. Wir müssen nicht mehr bangen oder - wie die Linkspartei hoffen, dass die Konzerne bis 2099 nicht pleitegehen und nicht an irgendwelche Hedgefonds verkauft werden, und wir hätten dann tatsächlich so etwas wie einen neuen Konsens . Ich will aber eines zum Abschluss in aller Deutlichkeit sagen: Zu einem solchen Konsens passt es nicht, wenn die Unternehmen weiterhin gegen den ersten Konsens, gegen den Ausstieg, Schadensersatzklagen erheben, sei es vor Oberlandesgerichten, sei es vor Schiedsgerichten in Washington . Konsens bedarf des Rechtsfriedens . Deswegen erwarten wir, dass auch solche Klagen zurückgenommen werden . Dann wird aus dem Ausstiegskonsens ein Entsorgungskonsens . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht Dr . Nina Scheer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit der Frage anfangen, wie wir überhaupt in diese Situation kommen konnten . Man muss konstatieren, dass im Grunde genommen die Fragen, die wir jetzt klären, schon zu Beginn der Atomenergienutzung hätten geklärt werden müssen . Man hätte eigentlich die Betriebsgenehmigung für Atomkraftwerke gar nicht erteilen dürfen, wenn genau die Dinge, die wir jetzt - Jahrzehnte später - klären, damals schon geklärt worden wären. Man hätte damit eine Verpflichtung formuliert, die wahrscheinlich verhindert hätte, dass wir je Atomenergie genutzt hätten . Ich will damit sagen: Es wurde damals unterlassen, und es war eine politische Entscheidung, das zu unterlassen . Und genau dieses lässt sich nach Jahrzehnten nicht mehr zurückschrauben . Genau darin liegt jetzt auch die politische Verantwortung, noch das an Möglichkeiten der Vermögenssicherung zu nutzen, was durch politische Entscheidungen stattfinden kann, um zu vermeiden - was gerade eben schon geschildert wurde -, dass Geld für die Nachsorge und die ganze Abwicklung der Atomenergienutzung und die Endlagerung verloren geht . Ich denke, es ist ein überfälliger Prozess, der jetzt eingeleitet wird und eingeleitet werden muss . Diese Zäsur, die mit dem Gesetzentwurf vorgenommen wird, hat natürlich in starkem Maße das Verursacherprinzip zu berücksichtigen . Das Verursacherprinzip sagt im Grunde genommen, dass die Verantwortlichkeit komplett bei den Atomkraftwerksbetreibern liegt . Natürlich ist das auch die Erwartungshaltung, die in der Öffentlichkeit zu sehr viel Misstrauen führt, wenn es darum geht, dass wir mit der Fondslösung und den Abwicklungsmöglichkeiten jetzt quasi eine Enthaftungsregelung schaffen. Ich denke, wir müssen in der Öffentlichkeit ganz klar deutlich machen, dass uns das sehr bewusst ist, dass wir hier über das Verursacherprinzip eine grundsätzliche Verantwortung der Betreiber haben, aber gleichwohl auch damit umgehen müssen, dass wir, wenn wir keine Regelung treffen, möglicherweise eine Gesamtlast beim Steuerzahler haben . ({0}) Insofern bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Lösung jetzt sobald wie möglich zu gestalten, natürlich möglichst auch mit parlamentarischer Beteiligung . Die Kommission hat eine sehr gute Vorarbeit geleistet, und wir müssen jetzt dafür sorgen, dass im parlamentarischen Prozess noch weitere Veränderungen vorgenommen werden . Ich sehe zum Beispiel - das wurde auch schon erwähnt - eine ganz große Aufgabe darin, dass natürlich die Klagen zurückgenommen werden . Es kann nicht sein, dass wir hier verhandeln - es ist eine Verhandlung notwendig, in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag müssen die Details geklärt werden, die können wir gesetzlich nicht regeln - und uns mit den Konzernen an einen Tisch setzen, die gleichzeitig die Bundesrepublik Deutschland verklagen . Das geht nicht . Deswegen müssen wir unbedingt zu einer Klagerücknahme kommen . ({1}) Ich möchte so weit gehen, zu sagen: Die Betreiber sollten sich vergegenwärtigen, dass wir durchaus Gestaltungsmöglichkeiten haben, wenn sie ihre Klagen nicht zurückziehen . Natürlich könnte man darüber nachdenken, ob die konsensual gefundene Vermögensbemessung noch so stichhaltig ist, wenn sich die Vermögensmasse im Nachhinein noch zulasten des Staates verschieben würde . Das könnte man ja noch machen . Insofern möchte ich an dieser Stelle einen Appell an die Konzerne richten, dass sie sich gut überlegen, ob sie in diesen Prozess hineingehen, ohne ihre Klagen zurückgenommen zu haben . ({2}) Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, den wir uns für die parlamentarischen Beratungen vornehmen sollten . Es gibt verschiedene Segmente der Haftungsregelungen . Es gibt einmal den Bereich des Rückbaus, der Verpackung . Dieser Bereich liegt weiterhin in der Verantwortlichkeit der Betreiber; insofern ist nicht ganz richtig, was hier vorhin dargestellt wurde . Darüber hinaus gibt es den Bereich der Zwischenlagerung und der Endlagerung . Wir haben mit dem Nachhaftungsgesetz schon im letzten Jahr versucht - das ist übrigens von der Union damals leider blockiert worden -, zu regeln, dass Vermögen weder durch die Insolvenz noch durch die Aufspaltung von Unternehmen verloren gehen kann . Durch Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs würde gesichert, dass weder durch Aufspaltung noch durch Pleitegehen von Konzernen ein Vermögensverlust stattfindet. Für einen kleinen Teilbereich haben wir das aber noch nicht sicherstellen können. Er betrifft den Rückbau und die Verpackung . Was das Risiko angeht, dass in diesem Bereich etwas passiert, sollten wir als Parlamentarier noch einmal genau hinschauen, ob wir da nicht noch nachbessern können . Die Kommission konnte diesen Gesichtspunkt nicht in vollem Umfang aufgreifen, weil sie gearbeitet hat, als das Nachhaftungsgesetz noch im parlamentarischen Prozess war. Als allerletzten Punkt möchte ich sagen, dass mir sehr daran gelegen ist, dass man darauf achtet, dass die aus den Fondsmitteln getätigten Geldanlagen nachhaltig sind . Diese Mittel sollten nicht auf verstecktem Weg zur Finanzierung von irgendwelchen Kernenergiegewinnungsvorhaben oder anderweitigen nicht nachhaltigen Energiegewinnungsmöglichkeiten eingesetzt werden . Ich finde, wir sollten Wert darauf legen, dass dafür eine Regelung getroffen wird. Vielen Dank . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dr . Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der Ausstieg aus der Kernenergie steht fest . Wir alle erleben momentan auch politisch, wie schwierig es ist, die Kernkraftwerke unter den Restriktionen des Klimaschutzes in einer verlässlichen und kostengünstigen Art und Weise zu ersetzen . Neben dieser Großbaustelle gibt es eine andere mit dem Kernenergieausstieg in Zusammenhang stehende Großbaustelle, nämlich die Frage des Rückbaus, der Zwischenlager und der Endlager . Wie alle meine Vorredner möchte ich betonen, wie wichtig in diesem Zusammenhang der gefundene Konsens ist . Ich spüre schon manchmal - übrigens hat es sich ganz am Anfang der Rede der Kollegin Scheer auch so angedeutet -, wie uns noch die alten Kampflinien beschäftigen. ({0}) - Das gilt für beide Seiten; keine Sorge. Da differenziere ich nicht . Auch wenn man sich unsere Energiepolitik ansieht, erlebt man, wie stark wir oft nur auf das Thema Strom fixiert sind. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir die Themen Wärme, Verkehr usw . etwas vernachlässigen . Aus der alten Kampfposition heraus haben wir eine Energiedebatte immer unter dem Gesichtspunkt „Strom durch Kernenergienutzung“ geführt . Ich würde mir wünschen, dass wir da bei der Behandlung des Gesamtthemas mit dem heutigen Tag nach und nach herausfinden. Natürlich ist es schwierig, einen solchen Konsens zu finden. Es gab zwei Dinge, die uns von Anfang an vereint haben, Michael Fuchs: erstens, dass uns allen miteinander in der Kommission klar war, dass das Verursacherprinzip nicht infrage gestellt wird, und, zweitens, dass es darum geht, die Verursacher tatsächlich in die Haftung zu nehmen, und zwar dauerhaft, und durchsetzen zu können, dass der Ausstieg nicht zulasten des Steuerzahlers geht, wie es uns die Linke jetzt an dieser Stelle gern unterjubeln möchte. Ich finde, Ihre Weitsicht, die Sie in wirtschaftspolitischen Fragen sonst nicht so unter Beweis stellen, schon bemerkenswert . Sie stellen sich hierhin und sagen, Sie hätten ganz klare Erkenntnisse, dass die Energieversorger für die Zukunft substanziell ausreichend gut aufgestellt sind . So habe ich Sie jedenfalls verstanden, und so haben Sie es auch formuliert . Das halte ich für falsch . Ich glaube, dass wir hier zu Recht Handlungsbedarf gesehen haben . ({1}) Nun ist es aber eine komplizierte Materie, und zwar sowohl was den Diskontierungszinssatz angeht - da spielt uns der Herr Draghi manches an Tragik in die Bilanzen, übrigens auch in andere Bilanzen - als auch hinsichtlich der Frage, wie groß so ein Risikoaufschlag ist . Umso bemerkenswerter ist es, dass wir uns - auch wenn das nicht mathematisch genau geht, weil es keine unumstößlichen Dinge gibt - am Schluss auf den Konsens geeinigt haben, der hier so wichtig ist . Nun ist das in der Tat - das möchte ich betonen - ein Verdienst von Herrn Trittin, auch wenn es sein kann, dass das ein Totalschaden für einen Grünen ist, wenn sich die CSU dem Lob anschließt . Aber Sie haben natürlich sehr integrativ Ihre Seite mit zur Verantwortung gezogen das fand ich bemerkenswert -, und das kann man in einer solchen Debatte nicht oft genug herausstellen, meine Damen und Herren . Ich sage Ihnen auch: Für mich hat diese Thematik natürlich auch eine regionale Bedeutung . In meinem Wahlkreis ist nicht nur das Kernkraftwerk Gundremmingen, sondern damit auch ein Zwischenlager . Da könnte ich zu der Rolle von Herrn Trittin seinerzeit etwas anderes, weniger Gutes sagen . Wir haben uns das Zwischenlager an dieser Stelle jedenfalls nicht gewünscht . Ich will nicht sagen, dass das bei mir akzeptiert wird, aber es wird als unvermeidbares Übel hingenommen . Ich sage Ihnen auch da muss man kein Prophet sein -: Es wird hingenommen, solange das Kernkraftwerk läuft . Ich bin sicher, dass sich die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf das Zwischenlager in der Sekunde des Abschaltens komplett ändern wird . Deshalb ist es, glaube ich, ein guter Ansatz, dass wir uns nicht nur um das Geld kümmern, sondern auch um die Verantwortlichkeit des Staates und klarmachen: Für dieses Zwischenlager ist am Ende der Staat zuständig, und zwar insbesondere auch für die Sicherheit dieses Zwischenlagers . Das ist, glaube ich, eine vertrauensbildende Maßnahme für die Menschen . ({2}) Natürlich haben die Menschen auch die Erwartung, dass das Zwischenlager das ist, was der Name andeutet, nämlich eine Zwischen-, eine Übergangslösung, und nicht ein faktisches Endlager . Deshalb wächst natürlich mit der Übernahme durch den Staat unsere Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass es am Schluss tatsächlich diese Endlagermöglichkeit gibt, noch mehr . Da bin ich noch einmal beim Verursacherprinzip: Natürlich sind die Konzerne verantwortlich für das, was sie verursacht haben . Aber sie sind nicht dafür verantwortlich zu machen, meine Damen und Herren, wenn es in Zukunft Ränkespiele bei der Thematik Endlagersuche geben sollte . Auch das haben wir bei dem, was wir hier beschließen wollen, sehr weise mit eingeplant: dass die Konzerne nicht für politische Schwierigkeiten zur Verantwortung gezogen werden . Das, meine ich, sollten und dürfen wir unserer Wirtschaft nicht antun . Ich glaube umgekehrt aber auch, dass wir mit ihnen das Thema Klageverzicht - dazu haben wir heute einiges gehört - durchaus offen und offensiv diskutieren müssen . Natürlich gehört es auch zu einem gemeinsamen Konsens, keine gerichtlichen Auseinandersetzungen von gestern und vorgestern zu führen . Deshalb halte ich es für entscheidend, dass wir in dieses Gesetz die Möglichkeit einbauen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abzuschließen . Das ist auch deshalb wichtig, weil sich die Konzernführungen nach dem Aktienrecht gar nicht so leicht tun, auf Klagen zu verzichten - übrigens auch nicht vor dem Hintergrund einer Gesetzeslage, wie wir sie hier beschließen wollen . Auch hier geht es ja um die Frage, wenn wir ihnen das aufoktroyieren, ob es ihnen möglich ist, einfach zu sagen: Das machen wir nicht . - Es stellt sich die Frage, ob es einen Ansatz gibt, aus der Thematik aktienrechtlich herauszukommen . Ich glaube, da ist der öffentlich-rechtliche Vertrag ein entscheidender Ansatz, um das noch einmal anzugehen . Ob wir die Anlagestrategie, Frau Kollegin Scheer, also was das Bundesfinanzministerium mit dem ihm zuwachsenden Geld tun soll, schon gemeinschaftlich im Gesetz beschließen müssen: Mir wäre es wichtig, dass das Geld so intelligent angelegt wird, dass der Diskontierungszinssatz in Zukunft tatsächlich etwas mit der Realität zu tun hat . Das ist schwer genug .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Nüßlein, ich habe verzweifelt auf eine Atempause gewartet, weil die Kollegin Kotting-Uhl Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen möchte . Lassen Sie das zu?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die Kollegin selber kein Rederecht hatte, dann kann sie jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wunderbar .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich werde schon noch dazu reden; keine Sorge . - Der Punkt, zu dem ich Sie etwas fragen möchte, liegt schon ein bisschen zurück, aber Sie haben Ihre Rede noch im Kopf . Sie haben vorhin gesagt, man dürfe die Konzerne nicht in die finanzielle Verantwortung nehmen, wenn es um politische Schwierigkeiten bei der Endlagersuche geht . Ich habe mir jetzt überlegt, was für politische Schwierigkeiten bei der Endlagersuche Sie denn meinen könnten . Ich möchte Sie daher fragen: Meinen Sie zum Beispiel, dass Bayern, das vorab schon einmal erklärt hat, dass in Bayern überhaupt nichts für ein Endlager infrage kommt, sich weigert, es zu akzeptieren, wenn man bei der Suche in Bayern zu Ergebnissen kommt? „Politische Schwierigkeiten“, ist das in diesem Sinne gemeint?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegin, die Einschätzung Bayerns fußt auf einer Würdigung der geologischen Situation, die das aus unserer Sicht an der Stelle unmöglich macht . ({0}) Was ich mit politischen Ränkespielen gemeint habe, ist das, was wir bei Gorleben schon einmal erlebt haben, nämlich dass es bis zum heutigen Tag und nach hohen Investitionen keine technischen Einwendungen gegen Gorleben gibt, unter anderem Sie aber alles dafür getan haben, Gorleben aus der Endlagersuche komplett herauszuhalten . ({1}) Das ist das, was ich meine: dass man nicht am Schluss die Konzerne zur Kasse bitten kann, nur weil die einen oder anderen an der einen oder anderen Stelle unwillig sind . ({2}) - Warten Sie doch einmal ab, ob wir mit unserer geologischen Einschätzung an dieser Stelle tatsächlich recht haben . Das wird sich erweisen . Jetzt haben wir immerhin die Hoffnung, dass wir dieses Gesamtthema zügig so voranbringen, wie es unserer Verantwortung entspricht . Wir halten die Konzerne in der Verantwortung . Wir tun alles dafür, dass an dieser Stelle keine neuen Kampflinien aufbrechen. Ich wünsche mir auf allen Ebenen Rechtsfrieden . Das würde der Thematik guttun . Wie ich einleitend gesagt habe: Wir haben genügend andere Schwierigkeiten . Wir müssen uns jetzt etwas einfallen lassen, wie man dieses Land klimaschutzgerecht, aber auch so, dass Versorgungssicherheit besteht und der Preis passt, mit Strom versorgt. Das wäre unsere eigentliche Aufgabe . In diesem Sinne herzlichen Dank fürs Zuhören . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/10353, 18/10482 und 18/10469 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften Drucksachen 18/9986, 18/10348, 18/10444 Nr. 1.7 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) Drucksache 18/10495 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10504 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Dr. Philipp Murmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({2})

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier liegt ein gutes Gesetz vor, auf das viele von uns schon lange gewartet haben . Ich denke, es ist auch eine gute Nachricht für den Unternehmensstandort Deutschland, dass wir heute in dieser Diskussion zum Schluss kommen und das Gesetz verabschieden . Was ist das Ziel? Das Ziel ist die Stärkung junger und innovativer Unternehmen durch die Möglichkeit, neue Investoren aufzunehmen, ohne dadurch die steuerlich nicht genutzten Verluste zu verlieren . Es soll die Möglichkeit bestehen, Verluste, die in frühen Phasen angefallen sind, mit späteren Gewinnen zu verrechnen und dadurch Eigenkapital zu bilden . Ich denke, genau dieses Ziel können wir mit diesem Gesetz erreichen . ({0}) - Genau . Ich denke auch, es lohnt sich . Wie können wir das Ziel erreichen? Wir schaffen ein neues Instrument, nämlich § 8d Körperschaftsteuergesetz. Er eröffnet sozusagen ein neues Gebäude. Er gibt den Unternehmen die Möglichkeit, auf Antrag von dem Gebäude des bisherigen § 8c in das neue Gebäude des § 8d zu wechseln, um die Verluste, die bisher angefallen sind, mit zukünftigen Gewinnen verrechnen zu können, wie ich es eben schon ausgeführt habe . Dazu müssen die Unternehmen entweder neu sein oder seit drei Jahren denselben Geschäftsbetrieb geführt haben . Damit wollen wir verhindern, dass nicht irgendwelche alten Verluste aus Geschäftsbetrieben, die damit nichts zu tun haben, auch noch mit verrechnet werden können . Ich denke, die Möglichkeit, das mit diesem neuen Gebäude zu lösen, ist eine sehr gute Idee . Wer immer die Idee im BMF hatte, dem müssen wir herzlich dafür danken . ({1}) - Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war das Finanzministerium NRW! Aber wunderbar! Wir verteilen Lorbeeren an alle, die es verdienen!) - Aus dem Finanzministerium NRW . Normalerweise sind es nicht Einzelne, die solche Ideen generieren, sondern sie werden in einem Dialog entwickelt und dann zu Papier gebracht, was dann immer noch eine besondere Leistung darstellt . Was heißt „Geschäftsbetrieb“? Das heißt, dieser Geschäftsbetrieb muss bestimmte Anforderungen erfüllen . Er darf nicht ruhend gestellt werden, er darf keiner anderen Zweckbestimmung zugeführt werden, er darf keinen zusätzlichen Geschäftsbetrieb aufnehmen, er darf keine Beteiligung an Mitunternehmerschaften eingehen, und er darf keine Wirtschaftsgüter zu einem geringeren als dem gemeinen Wert übertragen bekommen . Warum ist das alles so? Das klingt kompliziert . Das ist so, um zu vermeiden, dass irgendwelche Verluste aus anderen Geschäften, die vielleicht vorhanden sind, in den neuen § 8d Körperschaftsteuergesetz hineinwandern . So wollen wir Steuerverluste eindämmen, die früher durch Mantelkäufe - man kauft eine GmbH, die nur Verluste, aber keinen Geschäftsbetrieb mehr hat, und nutzt die Verluste, um irgendetwas anderes zu machen - möglich waren . Das wollen wir verhindern . Wir haben lange darüber diskutiert: Was bedeutet „Geschäftsbetrieb“, und was bedeutet es, diesen fortzuführen? Wie attraktiv ist der neue § 8d Körperschaftsteuergesetz für junge Unternehmen? Die jungen Unternehmer haben uns in der Anhörung gesagt: Es sei überfällig, dass das Gesetz kommt; denn die großen Unternehmen können Verluste aus ihrem Unternehmen schon immer innerhalb des Unternehmens mit Gewinnen verrechnen . Kleine und junge Unternehmen können das nicht . - Insofern haben wir damit ein Tor für die jungen Unternehmen geöffnet, neue Investoren aufzunehmen. Das ist der wichtigste Aspekt . Wir haben mit dem BMF und in den Berichterstattergesprächen lange diskutiert . Natürlich ist es bei jungen Unternehmen so, dass der Geschäftsbetrieb nicht geradlinig verläuft, sondern es gibt auch Veränderungen . Am Anfang hat man eine Idee, mit der man beginnt . Diese verändert sich dann leicht . Diese Veränderung muss und wird auch möglich sein . Aber die Unternehmensidentität darf nicht geändert werden . Das ist ein wichtiges Merkmal, an das man sich halten sollte . Die Grünen werden sich leider kraftvoll enthalten, obwohl wir lange darüber diskutiert haben . Sie sind der Meinung, diese Regelung im Gesetzentwurf sei zu eng gefasst . Darüber kann man reden . Sie meinen, man sollte sie breiter fassen . Die Linken stimmen dagegen . Ihnen ist es zu weit gefasst . Also, man sieht, die Diskussion ist durchaus unterschiedlich . Insofern haben wir einen guten Kompromiss gefunden, den wir jetzt in die Tat umsetzen wollen, um endlich zu beginnen . Das Thema „EU-Konformität“ haben wir auch intensiv diskutiert . Wir haben keinen Comfort Letter bekommen . Das BMF und das BMWi haben keinen Comfort Letter bekommen . Insofern gibt es ein gewisses Risiko . Wir denken aber, das Risiko ist vertretbar; denn der geplante § 8d Körperschaftsteuergesetz gilt grundsätzlich für alle Unternehmen . Es ist auch ein formelles Bestreben der EU-Kommission, dass gerade junge Wachstumsunternehmen durch alle möglichen Maßnahmen gestärkt werden . Genau dem tragen wir mit diesem Gesetz Rechnung . Also setzen wir es auch ohne Vorbehalt in Kraft . Ich denke, das ist auch gut so . Ganz zum Schluss noch vier kurze Aspekte . Erstens: Wirkung zum 1 . Januar 2016 . Dies hat den Vorteil, dass alle Anteilsübertragungen schon in diesem Jahr mit eingehen . Zweitens: Evaluierung nach drei Jahren . Nach drei Jahren werden wir uns das noch einmal ansehen und prüfen: Wie attraktiv ist das Gesetz überhaupt? Wie viele Anträge sind gestellt worden? Müssen wir vielleicht noch einmal nachjustieren? Drittens . Die Kommunalpolitiker schauen immer besonders auf ihre Zahlen . In der kleinen Tabelle steht: 235 Millionen Euro Steuerausfälle bei den Kommunen . Dabei muss man nur immer schauen, welche Kommunen es denn trifft. Es sind natürlich die Kommunen, in denen es junge Wachstumsunternehmen gibt, die neue Investoren finden und damit in den Genuss des neuen § 8d Körperschaftsteuergesetz kommen, also nicht die Kommunen, die vielleicht sowieso finanziell extrem unter Druck stehen . Es sind in der Regel Kommunen, die Gewerbebetriebe haben, die Körperschaften haben, die überhaupt in der Lage sind, den neuen Paragrafen anzuwenden. Der vierte und letzte Punkt: ein herzliches Dankeschön an alle, die daran mitgewirkt haben . Heinz Riesenhuber hat heute nicht nur Geburtstag, sondern ist auch einer der Väter zumindest des Antriebs dieses Gesetzes . Insbesondere gilt der Dank den Mitarbeitern des BMF, auch Ihnen, Herr Dr . Meister, aber auch den Mitarbeitern des Wirtschaftsministeriums sowie Helge Braun vom Bundeskanzleramt, der das Ganze positiv koordiniert hat; denn am Ende ist etwas Gutes herausgekommen . Insofern möchte ich Sie bitten, ein positives Zeichen zu setzen und diesem guten Gesetz zuzustimmen . Herzlichen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke . ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Stellen wir uns mal klischeehaft vor, eine Gruppe junger, dynamischer Studentinnen und Studenten hat eine innovative Geschäftsidee und gründet ein Unternehmen, ein sogenanntes Start-up . Dazu brauchen sie zu Anfang und in den ersten Jahren immer wieder frisches Geld, vielleicht auch, weil nicht alles gleich so läuft, wie sie es sich vorgestellt haben, und weil das neugeborene Unternehmen erst einmal nur Verluste einfährt . Das ist bekanntlich eine schwierige Phase. So . Und nun kommt die Bundesregierung mit einem Gesetz daher, das etwas sperrig heißt: „Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“ . Damit wollen Sie nach Ihren Bekundungen Unternehmen, insbesondere auch Start-ups, unter die Arme greifen . Die potenziellen Geldgeber sollen nämlich in unser Start-up-Unternehmen investieren und dafür die Verluste, die das Start-up in den ersten Jahren gemacht hat, vereinfacht gesagt, steuerlich verrechnen können . So weit, so gut . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass junge kleine und mittlere Unternehmen in ihrer Gründungsphase gefördert werden sollen, klingt ja erst mal sehr nett . Ich habe wirklich angenommen, dass der Großen Koalition endlich mal ein vernünftiges Gesetz gelungen ist . Aber für die Ausführung bekommen Sie von mir eine saftige Fünf; denn das Gesetz hat enorme Schwachstellen . Ich will Ihnen drei davon nennen . Erstens . Es ist gestaltungsanfällig, soll heißen, es eröffnet wieder einmal Spielraum für ein gezieltes Investieren findiger Spekulanten, die Unternehmensverluste nur für steuerliche Vorteile nutzen wollen . Darauf hat übrigens auch der Bundesrat hingewiesen und gar von „erheblichem Gestaltungspotenzial“ gesprochen . Das hängt auch damit zusammen, dass die Bundesregierung hier wieder einmal eine so komplizierte Regelung vorlegt, dass sogar den Juristen bereits nach kurzer Zeit die Augen wehtun . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wir von der Linken haben es wirklich satt, dass Sie immer wieder Gesetze verabschieden, die den Konzernen stets neue Steuerumgehungsmöglichkeiten bieten . ({1}) Zweitens . Der Gesetzentwurf geht mit erheblichen Steuermindereinnahmen einher . Im Entwurf selbst werden die Mindereinnahmen auf insgesamt 600 Millionen Euro jährlich beziffert. Das trifft vor allem die Kommunen eiskalt - wir haben es schon gehört -: 235 Millionen Euro werden den Gemeinden für Straßen, Schulen und Krankenhäuser fehlen . Das ist bei weitem nicht das Schlimmste. In der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf wurde vom Sachverständigen Professor Jarass erörtert, dass es bei voller Nutzung aller Verlustvorträge durch die deutschen Kapitalgesellschaften knüppeldick käme; denn dann könnten in den nächsten Jahren Steuerausfälle von insgesamt bis zu 150 Milliarden Euro drohen . ({2}) Meine Damen und Herren, das ist schlichtweg eine Katastrophe auf Kosten der Gemeinschaft der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Dritter und letzter Punkt und sozusagen das i-Tüpfelchen: Insbesondere Start-ups werden wahrscheinlich überhaupt nicht von den Regelungen profitieren. Die Möglichkeit der steuerlichen Verlustverrechnung ist nämlich an die Voraussetzung gebunden, dass das Unternehmen seit mindestens drei Jahren bzw . seit seiner Gründung ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhält . Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere in den ersten Jahren nach Gründung gibt es bei Start-up-Unternehmen noch laufend Anpassungsbedarf und entsprechende Umstrukturierungen . Zum Beispiel kann es sein, dass Abläufe in der Produktion oder vielleicht auch das Produkt selber geändert werden müssen, um am Markt die richtige Nische zu finden. Genau das wäre dann aber möglicherweise ein Ausschlussgrund, um in den Genuss Ihres Steuergeschenkes zu kommen . ({3}) Wenn aber insbesondere die, die von einem Gesetzentwurf explizit profitieren sollen, am Ende gar nichts davon haben, dann ist das ganz, ganz schlechte Gesetzgebungsarbeit . ({4}) Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, mit diesem Gesetz werden Sie nicht den kleinen Startups helfen, sondern wieder einmal unter Inkaufnahme erheblicher Steuermindereinnahmen Tür und Tor für die großen Zocker öffnen. Die Linke kann dieses Gesetz nur ablehnen . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist ein kompliziertes Gesetz . Normalerweise ist es ja so: Sie bekommen Lohn und zahlen Lohnsteuer . Jemand macht Gewinn mit einem Unternehmen, dann zahlt er Gewinnsteuer . Hat er im letzten Jahr Verlust gemacht, dann kann er die Verluste in diesem Jahr mit dem Gewinn verrechnen . ({0}) Das ist auch fair; denn so kann man den Gewinn über die Jahre korrekt versteuern . Bis dahin ist alles in Ordnung . Nun gab es in der Vergangenheit Menschen, die angefangen haben, Verluste zu sammeln und so zu sortieren, dass sie, wann immer ein Gewinn eingefahren wurde, diesen Gewinn aus steuerlichen Gründen vernichtet haben, um Steuern zu sparen . Das nannten wir Mantelkauf . Die Leute haben „Mäntel“ gekauft, die alte Verluste enthalten haben, um sie über junge Gewinne zu legen, sodass man keine Steuern mehr bezahlt . Das wollen wir verhindern . Das hat bei uns einen kurzen Namen: Es heißt Körperschaftsteuergesetz § 8c . Er hat auch richtig gut funktioniert . Natürlich hatte das alte Gesetz Schwachstellen . Kollege Pitterle hat jetzt gesagt: Das neue Gesetz hat auch Schwachstellen. Ich muss ihm in allen drei Punkten, die er aufgeführt hat, recht geben . Es ist gestaltungsanfällig, wie im Übrigen jedes Gesetz . Wir kennen kein Gesetz, das nicht gestaltungsanfällig ist; denn kaum gibt es ein Hindernis auf der Straße, suchen wir einen kleinen Umweg . Es wird auch Steuermindereinnahmen geben, allerdings gezielt; denn wenn ich die Hilfe von jemandem benötige, dann kann es sein, dass die Hilfe etwas kostet; das kann auch hier der Fall sein . Das regeln wir ganz bewusst so . Wir sagen: Vielleicht erwischt es die Kommunen eiskalt, vielleicht hilft es aber auch den Kommunen sehr viel weiter, wenn neue Unternehmen bei ihnen eine wirtschaftliche Dynamik entfalten und dann Gewinne erzeugen, die fair versteuert werden . Insofern ist die neue Regelung etwas sehr Gutes . ({1}) Eine absolute Zielgenauigkeit hat das Gesetz auch nicht, weil es auch für Unternehmen gilt, die keine Start-ups sind . Es stimmt, dass die Zielgenauigkeit dadurch ein bisschen leidet . Allerdings müssen wir uns über den Unterschied zwischen Behauptung und Beweis unterhalten . Wenn ein Professor in einer Anhörung etwas behauptet, könnte es klug sein, dies auch zu beweisen . Leider hat Professor Jarass vergessen, das zu tun; aber es wäre klug gewesen . Wir suchen schon lange nach Möglichkeiten, innovative Unternehmen zu fördern . Aber was ist eigentlich ein innovatives Unternehmen? Sie machen etwas Neues, sie suchen nach neuen Produkten, sie wollen am Markt etwas Neues entwickeln . Gerade aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre wissen wir, dass viel Neues entstanden ist, oft zu unserem Besten; manchmal auch nicht immer nur zu unserem Besten . Jedenfalls hat das uns und unsere Wirtschaft vorangebracht . Wir sagen zu diesen Unternehmen auch Start-ups . Start-up, das heißt ja eigentlich „anspringen“ . Ich hatte einen VW-Bus, der damit einige Probleme hatte, und deswegen mussten immer Leute kommen und helfen . Das kann auch hier sein: Ein neues Unternehmen hat Probleme, „anzuspringen“, und dann braucht man fremde Menschen, die helfen . Genau das soll dieses Gesetz leisten . Warum haben wir diesen Bereich in den Blick genommen? Eigentlich fühlen wir uns doch ganz wohl in unserer unternehmerischen Landschaft . Wir haben aber gesehen, dass in den USA - gut, die USA sind größer als Deutschland - ungefähr 60 Milliarden Dollar über eine entsprechende Förderung in die Start-up-Unternehmen fließen. Jetzt haben wir gedacht: In Deutschland werden das vielleicht 15 oder 20 Milliarden Euro sein, es sind aber nur 1,3 Milliarden Euro . Das hat uns doch zu denken gegeben . Wir haben gesagt: Das ist im Vergleich irgendwie zu wenig . Ich will hinzufügen, dass durch den von mir eben genannten Paragrafen schon sehr viel möglich war, nur eben kein Mantelkauf . Wenn zum Beispiel ein Business Angel Geld in ein Start-up, in ein neues Unternehmen gibt, dann ist es bisher so, dass er oft sehr viel mehr bezahlt hat, als die Buchwerte in diesem Unternehmen ausmachen . Er hat also eigentlich mehr bezahlt, als er dafür bekommt. Warum? Weil er hofft, dass das Unternehmen eines Tages Gewinn macht und er an diesem Gewinn teilhat. Er hat sozusagen die Hoffnung auf Patente. Er glaubt an die Idee . Bisher war es so, dass dieser Mehrpreis, den er bezahlt hat, stille Reserve war . Jetzt kommt das Besondere: Das war für ganz viele Unternehmen, auch für Start-ups, eine gute Lösung, weil der Verlust, der möglicherweise entstand, genutzt werden konnte, solange er diese stillen Reserven nicht überstieg . Also: Wenn jemand große stille Reserven erzeugt hat, hatte er die Möglichkeit, auch große Verluste zu nutzen, selbst bei, wie wir sagen, schädlichem Beteiligungserwerb . Das war eine sehr gute Möglichkeit in § 8c Körperschaftsteuergesetz . Bei einem Gesellschafterwechsel passierte bei einem Übertrag von bis zu 25 Prozent gar nichts, bei einem Übertrag von 25 bis 50 Prozent waren die Verluste ratierlich oder quotal zu verwerten, und erst ab einem Übertrag von mehr als 50 Prozent der Anteile konnten die Verluste komplett nicht mehr genutzt werden . § 8c war also, wie gesagt, eine gute Lösung für viele, aber nicht für alle . Um diejenigen, für die es in § 8c Körperschaftsteuergesetz keine gute Lösung gab, kümmern wir uns heute . In einem jungen Unternehmen - Kollege Murmann hat das schon angedeutet - besteht eine hohe Dynamik . Es gibt oft Eigentümerwechsel, die Leute kommen und gehen, sie wollen Geld geben oder es zurückhaben . Das ist kein ganz gerader Pfad; das ist ja auch klar, weil eine unbekannte Strecke begangen wird . Deshalb muss man besondere Hilfen bereitstellen . Die zweite Besonderheit ist, dass die Finanzierung solcher Unternehmen oft nicht über einen normalen Bankkredit läuft, sondern häufig über Beteiligungskapital . Das ist eine etwas andere Landschaft als die, mit der wir uns üblicherweise beschäftigen . Deshalb waren wir froh, dass das BMWi und die AG Wirtschaft ihre Gedanken dazu eingebracht haben . - Deshalb spricht heute auch Matthias Ilgen zu diesem Thema . Wir danken dir übrigens für deinen Brief, der eine Initialzündung war . Es gibt ja immer mehrere Väter für gute Ideen . - Das BMWi und die AG Wirtschaft haben eine Lösung entwickelt, die wir in § 8d Körperschaftsteuergesetz gießen . Gewundert hat uns nicht, was das BMF und das BMWi uns aufgeschrieben haben, sondern, dass trotz wissenschaftlicher Betreuung - wir haben ja mit den Wissenschaftlern gesprochen - in dem Gesetzentwurf ein riesiges Schlupfloch formuliert war, durch das Altverluste hätten aktiviert werden können . Und dabei reden wir über einen richtig hohen dreistelligen Milliardenbetrag; er liegt sogar über 150 Milliarden Euro, und das ist sogar bewiesen . Damit hätte man das gesamte Gesetz zunichtemachen können . Dank der Expertise von BMF und der Kollegen aus Nordrhein-Westfalen konnten wir dieses Schlupfloch im Gesetzentwurf schließen. Davon versprechen wir uns sehr viel . ({2}) - Das Schlupfloch war nicht gewollt, sondern das Schließen der Schlupflöcher ist gewollt. Es ist ja unsere Aufgabe als Finanzpolitiker, solche Schlupflöcher zu schließen. Wir kennen aber die Kreativität auf dem Markt . Es gibt immer wieder neue Schlupflöcher. Es ist gut, jetzt ein Regime mit starken Restriktionen zu schaffen, in das man auf Antrag kommt. Kollege Murmann hat schon vorgetragen, was alles erfüllt sein muss, damit man überhaupt in den Genuss von § 8d Körperschaftsteuergesetz kommt . Insofern denken wir: § 8d Körperschaftsteuergesetz ist ein Erfolg . Er hat aber einen kleinen Nachteil, und das ist seine Zielgenauigkeit . Er gilt für alle Unternehmen, auch für diejenigen, die wir gar nicht gemeint haben . Das ist ein Wermutstropfen, den wir in Kauf nehmen müssen, weil die Regelung ansonsten nicht europarechtskonform wäre . Ich fasse zusammen: § 8c Körperschaftsteuergesetz hemmt die Start-up-Unternehmen, und § 8d begünstigt gelegentlich die Falschen . Angesichts dieses ewigen Zielkonflikts ist die Evaluierung eine gute Lösung. So wissen wir in drei Jahren, ob wir entspannt Weihnachten feiern können oder nicht . Ich glaube, auf dieser Basis sollten wir den Gesetzentwurf heute beschließen und in drei oder vier Jahren noch einmal nachschauen . Schönen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Dr . Thomas Gambke .

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Verlustverrechnung ist ein Thema, mit dem wir Grüne uns schon lange beschäftigen . Schon vor vier Jahren haben wir in unser Wahlprogramm geschrieben: Wir wollen den Verlustuntergang bei innovativen Unternehmen nicht zulassen . Warum? ({0}) Weil innovative Unternehmen erst einmal investieren das ist Forschung und Entwicklung - und diese Gelder später mit Gewinnen verrechnen wollen, so wie das in einem Konzern passiert; Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Nicht, weil Sie so sympathisch darum geworben haben, lieber Kollege Murmann, sondern weil die Inhalte stimmen, ist uns dieses Thema ein großes Anliegen . Das Ziel wird von uns absolut unterstützt . Wie könnte man die ökologische Wende der Wirtschaft, die Energiewende und die Verkehrswende ohne Innovationen erreichen? Seit zweieinhalb Jahren wird über das Thema nachgedacht . Im September dieses Jahres wurde ein Entwurf, wie das Problem zu lösen sei, vorgelegt. Die Ziele waren klar: Wir wollen nicht allgemein, sondern wir wollen Innovationen fördern . Wir wollen es gestaltungssicher machen, sodass die ursprünglichen Themen des Mantelkaufs nicht berührt sind . ({1}) Wir wollten auch eine hinreichende Flexibilität - das ist ein ganz wichtiges Ziel - für unternehmerische Entscheidungen haben . Wir mussten und wollten das im Rahmen der beihilferechtlichen Vorgaben der EU machen . Lassen Sie mich ein Wort dazu sagen . Das klingt immer so, als ob die böse EU uns Grenzen setzt . Warum macht die EU das? Wir stehen hoffentlich dazu, dass wir Wettbewerb durch singuläre Maßnahmen in den nationalen Gesetzgebungen nicht eindämmen wollen . Das heißt also, dass etwas beihilferechtlich unproblematisch sein soll, ist im Grunde genommen ein vernünftiges und richtiges Ziel, das man sehr ernst nehmen muss . ({2}) Ich verhehle nicht, dass das keine einfache Angelegenheit war . Aber wir müssen jetzt kritisch darauf schauen, ob denn die Ziele wirklich erreicht wurden oder einigermaßen erreicht wurden . Wir wissen, dass es nie ein wirklich gestaltungssicheres Gesetz gibt . Aber die Frage ist, in welchem Umfang Gestaltungen möglich sind . Wir konnten uns nicht - das muss ich Ihnen sagen - für eine Zustimmung in der Bewertung entscheiden, obwohl wir es gerne gemacht hätten . Warum nicht? Zum einen geht es dabei um das EU-Recht . Das Berichterstattergespräch Lothar Binding ({3}) fand leider erst vorgestern statt . Wir hatten nur zwei Monate Zeit, im Parlament über diese doch sehr komplexe Sachlage zu beraten . ({4}) - Ja, aber nicht die Lösung . - Ich fragte Herrn Murmann noch vor zwei Monaten: Was sind denn nun die Rahmenbedingungen? Er sagte: Ich weiß es noch nicht . Das BMF hat noch nicht gesprochen . - Das BMF hat erst Ende August gesprochen und den Gesetzentwurf erst Mitte September vorgelegt . Auf die Frage nach dem Beihilferecht hat man ganz lapidar gesagt: Na ja, das Wirtschaftsministerium hat uns sozusagen einen Freibrief gegeben . - Ich meine, das ist zu dürftig . ({5}) Wir bekommen keinen Comfort Letter - das ist richtig -, aber nach unserer Auffassung hätte man noch einmal intensiv darüber nachdenken und sprechen müssen, um zu schauen, ob es wirklich beihilferechtlich unproblematisch ist . Warum? Weil die Unternehmen Rechtssicherheit brauchen . Wir haben ja gerade festgestellt, dass, wenn man aus § 8d Körperschaftsteuergesetz fällt, der Verlustuntergang wirklich komplett ist . Es gibt keine Heilungsmöglichkeiten . Das Gleiche gilt - jetzt komme ich auf den zweiten wesentlichen Punkt zu sprechen -, wenn es eine Veränderung des Geschäftsbetriebes gibt . Ich glaube, wir Grüne haben Ihnen sehr eindrucksvolle Beispiele nennen können . Sie sind auch in der Anhörung genannt worden, zum Beispiel von dem Vertreter des BITKOM . BITKOM hatte mit uns eine vernünftige Lösung gesucht und gesagt: Wir brauchen gerade für innovative Unternehmen einen größeren Bewegungsspielraum, als wir jetzt in dem Gesetzentwurf - übrigens auch mit unsicheren Rechtsbegriffen - haben. ({6}) - Es hätte eine bessere Lösung gegeben, Herr Kollege Binding . Wir hatten einen Gesetzentwurf vorgelegt, um steuerliche Forschungsförderung zu ermöglichen . Das wäre sicher gewesen . Dazu habe ich überall große Zustimmung gesehen . ({7}) Das wurde in die nächste Legislaturperiode verschoben . Ich bedaure das . Uns Grünen hätte es besser gefallen, wenn wir das in dieser Legislaturperiode gemacht hätten . Ein entsprechender Gesetzentwurf war vorbereitet . Wenn wir uns hier ein wenig mehr Zeit genommen hätten, um es gestaltungssicher und mit EU-Recht konform zu machen, dann hätten wir ein gutes Gesetz gemacht . Wir können uns heute leider nur enthalten . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat Dr . h . c . Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Innovationen sind das Gebot der Stunde . An ausgezeichneten Ideen mangelt es in Deutschland ja nicht . Vielmehr haben wir ein Problem bei der Umsetzung der Ideen in die Praxis. Wie aber gelingt es, hervorragende Ideen zu marktreifen Produkten zu machen? Wie kann die Politik dafür sorgen, dass die guten Ideen nicht in der Schublade landen, sondern zur Grundlage eines Unternehmens werden, um damit auf der einen Seite Geld zu verdienen und auf der anderen Seite neue Arbeitsplätze zu schaffen? Das sind die entscheidenden Fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir uns für eine erfolgreiche Wirtschaftsund Standortpolitik stellen müssen . 2015 gab es 388 000 Existenzgründungen . Allerdings ist die Zahl leider rückläufig. Das ist ein gefährlicher Trend, den wir stoppen wollen, liebe Freunde; denn wir werden unseren Wohlstand nur sichern können, wenn wir unseren Unternehmen die besten Finanzierungsmöglichkeiten bieten . Unser Wirtschaftsstandort ist auf eine funktionierende Generationenbrücke, eine stetige Erneuerung dringend angewiesen . Deshalb ist es gut, dass wir heute eine Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung auf den Weg bringen . Für deutsche Unternehmen und speziell für Start-ups entsteht mit der Einführung des § 8d des Körperschaftsteuergesetzes eine wichtige steuerliche Verbesserung, meine Damen und Herren . Das wollen wir heute festhalten . ({0}) Das bedeutet mehr Steuergerechtigkeit für die Zukunft, mehr Planungssicherheit, mehr Wachstumsperspektiven mit Wagniskapital, mehr Liquidität, mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze . Das ist das Ziel, und das ist der Erfolg dieses Gesetzes, meine Damen und Herren . ({1}) Das ist nicht nur ein gutes Zeichen für die Handlungsfähigkeit unserer Großen Koalition, sondern insbesondere ein gutes Zeichen für die deutsche Wirtschaft . Bisher hat der § 8c Körperschaftsteuergesetz vielmals zu einem Verlustuntergang geführt und zu einem erheblichen unternehmerischen Risiko beigetragen . Die Verluste sind nur dann nicht weggefallen, wenn die Körperschaft die Stille-Reserve-Klausel oder die Konzernklausel erfüllt hat. Die Praxis hat aber gezeigt, dass diese Maßnahmen zu eng gefasst waren . Deshalb müssen wir in der Steuerpolitik immer wieder auf den Grundsatz des Nettoprinzips schauen . Der Verlust in einem Unternehmen ist in Wirklichkeit kein Missbrauch, sondern ein Verlust von Liquidität, die besser in eine Neuentwicklung gesteckt wird . Verluste sind in Unternehmen echte und werthaltige Vermögensgegenstände, da sie bei der Erzielung von ertragsteuerlichen Einkünften entstanden sind . Natürlich muss man Missbrauch eindämmen . Das haben wir auch getan . Bisher hat der Einstieg eines neuen oder weiteren Gesellschafters oftmals zu einem Wegfall von Verlustverrechnungspotenzial geführt . Das ist nun mal eine Ressourcen-, eine Investitions-, eine Liquiditätsvernichtung, die wir uns nicht leisten sollten . Deswegen wollen wir das heute beseitigen . Das ist der erfolgreiche Weg für die Zukunft, meine Damen und Herren . ({2}) Wenn bei der Einkünfteerzielung echte Vermögensverluste entstanden sind, sollten nach dem verfassungsrechtlichen Nettoprinzip steuerliche Verluste eigentlich grundsätzlich Berücksichtigung finden. Deshalb erhalten mit dem heutigen Gesetz vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe neue Steuergerechtigkeit und zukünftig neue Impulse, um in neue Produkte, um in Digitalisierung investieren zu können . Vor allem ist es essenziell, den Wagniskapitalmarkt um die Gründerszene zu stärken . Wir vereinfachen den Zugang zu privatem Beteiligungskapital und schaffen damit die Grundlage für Wachstum und neue Arbeitsplätze . Ihnen wird es mit dem heutigen Gesetz zukünftig besser gelingen, Investoren für Geschäftsmodelle zu gewinnen . Die neue Ausrichtung ist an verschiedenen Konditionen ausgerichtet; das ist richtig . Wir haben hier bewusst Missbrauchsmöglichkeiten eingedämmt . Ich glaube, unter dem Strich war das ein erfolgreicher Verhandlungsweg, der von unserem Berichterstatter Philipp Murmann und seinen Partnern gegangen wurde. Zum Abschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Professor Dr. Heinz Riesenhuber herzlichen Dank sagen . Er hat viele Jahre für mehr Wagniskapital gekämpft und dafür in der Politik geworben. Lieber Heinz, zu deinem heutigen 81 . Geburtstag liefern wir nicht unbedingt pünktlich, aber wir liefern - und gratulieren dir . Vielen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Matthias Ilgen das Wort . ({0})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dann muss ich zunächst dem Kollegen Riesenhuber gratulieren - natürlich zuerst zum Geburtstag -; denn wir haben uns in den letzten Jahren viele Male im Ausschuss über dieses Thema unterhalten . Wie Sie wissen, hat der Erfolg sehr viele Väter. Peer Steinbrück und ich haben für unsere Fraktion einmal ein Papier mit 29 Thesen geschrieben, wie das im Steuerrecht vereinfacht werden kann, was man tun könnte, um praktische Probleme zu lösen. Einer der ganz dicken Kernpunkte war die Körperschaftsteuer - § 8c . Nun ist der Kollege Pitterle von den Linken leider schon entschwunden; er musste in einen wichtigen Untersuchungsausschuss . Das ist schade; denn ich hätte ihm gern selbst gesagt, dass er nicht verstanden hat, was wir mit diesem Gesetz tun wollen . Er hat es nämlich kritisiert und gesagt, das sei quasi ein neues Steuerschlupflochmodell und lade die Konzerne ein, neue Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln . Was er aber nicht verstanden hat, ist, dass wir gerade mit diesem Gesetz versuchen, kleine junge und innovative Unternehmen - das mögen rechtlich GmbHs sein -, die am Anfang nicht in Konzernstrukturen unterwegs sind, sondern in der Regel von den Gründern, den Eigentümern geführt werden -, gleichzustellen . Wir reden in Europa und auch hier im Deutschen Bundestag immer so schön vom Level Playing Field, also von den gleichen Rahmenbedingungen, und die wollen wir hier endlich auch für die Start-up-Szene schaffen, damit sie ihre Verluste, wenn dies berechtigt ist, genauso loswerden können wie andere . ({0}) Herr Kollege Gambke, ich finde es in Ordnung, dass wir über steuerliche Forschungsförderung reden wollen . Das braucht sicherlich ein Extragesetz . Man darf das nicht mit der Fragestellung in einen Topf werfen: Wie gehen wir mit berechtigten Verlusten um, die am Beginn eines Unternehmens entstehen, wenn investiert wird und noch kein Gewinn erzielt werden kann, weil noch keine Produkte am Markt sind, weil das Geschäftsmodell noch nicht vollständig ausgereift ist? Das darf man nicht in einen Topf werfen und sagen: Wir können dem einen nicht zustimmen, weil wir das andere auch wollen . - Stimmen Sie dem einen zu, dann machen wir gemeinsam das andere auch noch . Das wäre die Lösung an dieser Stelle . ({1}) Wir Wirtschaftspolitiker stellen täglich bei unseren Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern insbesondere der jungen und innovativen Unternehmen in diesem Land fest, dass wir viele Hemmnisse haben, die wir Politiker manchmal gar nicht sehen, weil wir all unsere Gesetze - das hat Kollege Binding so schön gesagt - in bester Absicht hier im Deutschen Bundestag machen, weil wir Lösungen und Rahmenvorschläge so zu gestalten versuchen, dass der Staat und auch die Wirtschaft funktionieren können . Auf der anderen Seite gibt es manchmal eben auch Paragrafen, die dem einen oder anderen hinderlich sind bei dem, was er tun will . Wenn man das feststellt, muss man die Ehrlichkeit aufbringen und sagen: „Wir gucken uns an, was das bedeuten würde, wenn man das machte“, und dann einen Lösungsvorschlag unterbreiten . Das ist ein Weg, den man gehen kann . Natürlich ist Gesetzgebung auch immer Trial and Error. Das wissen wir, und deswegen begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion eindeutig die Evaluierung nach drei Jahren . Dann werden wir nämlich Zahlen an der Hand haben und schauen können, wie sich das entwickelt hat . Aber die hier an die Wand gemalten Horrorszenarien von Milliarden und Abermilliarden werden nicht stattfinden, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({2}) Und das wissen Sie auch . Sie sagen das hier wider besseres Wissen . ({3}) Da sind wir alle miteinander gespannt . Der Bereich Wagniskapital muss auch in den kommenden Jahren weiter genau angeschaut werden . Wir müssen aufholen . Lothar Binding hat hier die Vereinigten Staaten von Amerika genannt, die sozusagen Vorzeigeland bei dieser Entwicklung sind . Aber auch ein Blick in die europäische Nachbarschaft lohnt sich . Großbritannien ist zwar ein schlechtes Beispiel - wir hatten gerade den Brexit -, aber wir können einmal nach Holland gucken . Wenn ich sehe, dass man dort das x-Fache an Wagniskapitalinvestitionen pro Kopf wie in der Bundesrepublik Deutschland hat, weiß ich doch: Man kann da besser werden, auch ohne dass man alle Rahmenbedingungen und Gesetzgebungen in diesem Bereich aufgeben muss und sozusagen nur noch den amerikanischen Wilden Westen hat . Ich glaube nicht, dass die Holländer den haben, sondern es lohnt sich, in die Nachbarschaft zu gucken und in Deutschland in den kommenden Jahren weiter Projekte in dieser Richtung umzusetzen. Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als besonderes Geburtstagsgeschenk erhält jetzt der Kollege Professor Dr. Heinz Riesenhuber die Gelegenheit, diese Debatte abzuschließen . ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Es ist sicher nur ein Zufall, dass dieses Gesetz ausgerechnet an meinem Geburtstag beschlossen werden soll . Aber ich gebe zu, dass ich mich freue . Hans, du hast das zusammen mit Philipp Murmann mit großer Herzlichkeit und Beharrlichkeit im Finanzausschuss vorangebracht . Herzlichen Dank an alle unsere Finanzer . Herr Binding, Sie waren mit genau solch einer Entschlossenheit dabei . Sonst wäre es uns nicht gelungen . In nobler Beiläufigkeit hat Herr Gambke angesprochen, dass die Debatte über die Europatauglichkeit ein bisschen spröde ist . Ich freue mich, dass Sie seit vier Jahren daran arbeiten . Wir haben es vor zwölf Jahren schon einmal versucht . Damals hatten wir auch eine prachtvolle Große Koalition, mit der wir alle glücklich waren . Steinbrück war Finanzminister . Wir haben das MoRaKG geschrieben, und jeder sagte uns - einschließlich des Finanzministers -: Europafest, europafest! - An Europa ist es aber gescheitert . Jetzt haben wir mithilfe von Michael Meister und Helge Braun und den Staatssekretären des Wirtschaftsministeriums die Sache so hingekriegt, dass uns die Leute sagen: „Das müsste stehen“, und darauf bauen wir . Einige Dinge werden wir uns in zwei, drei Jahren noch einmal anschauen; dann evaluieren wir die Sache mit dem „Geschäftsbetrieb“. Der Begriff ist zum Glück ziemlich vage . Bei jungen Unternehmen gibt es nun einmal Dynamiken, die nicht ganz leicht juristisch einzufangen sind . Die Juristen unterstützen uns aber, und damit wird die Weisheit zunehmen . ({0}) Dass diese Sache hier wirklich dauerhaft grundsätzlich ist, haben uns die USA vorgemacht . Die größten Unternehmen der Welt sind sehr jung, vielleicht 20 Jahre alt; manche sind noch jünger: Google, Facebook . Microsoft ist nur wenig älter . Sie können sie durchdeklinieren . Das alles waren Start-ups . Diese Start-ups sind nicht plötzlich entstanden, weil die Zeit reif war, sondern das war der Erfolg einer langjährigen Arbeit in Richtung einer enormen Innovationskultur, die in den USA entstanden ist, seitdem sie damals - 1958 war es - die SBICs gegründet haben, die Small Business Investment Corporations . Das hat sich entwickelt . Flankierend hat man dann die Kapitalertragsteuer, die Capital Gains Tax, halbiert, und die Sache blühte und gedieh . Inzwischen haben SBICs in 2 100 Fonds investiert und insgesamt über 166 000 Investments in kleinere Unternehmen getätigt . Das heißt, wir sehen da eine breite Dynamik . Einige sind dann durchgebrochen und sehr erfolgreich gewesen . - Genau diese Landschaft brauchen wir auch für die nächste Runde unserer Arbeit hier . ({1}) Wenn Sie heute über den Campus des MIT gehen, dann sehen Sie, dass die jungen Leute an einem schönen Sommertag da sitzen . Die Jungs quatschen dann natürlich über die Mädchen, und die Mädchen quatschen über die Jungs, ({2}) aber sie quatschen auch über die Ideen, die sie haben, um einmal reich zu werden . Einige werden auch reich, und wenn sie reich werden, dann ist das ungemein anregend für die anderen . ({3}) Wenn wir an einigen Stellen wirklich einen Durchbruch erzielen und das Ergebnis vorzeigen können, wird die Welt anders . Als aus dem von Günter Spur geleiteMatthias Ilgen ten Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik Mitte der 80er-Jahre hier in Berlin zwei, drei Gründer herauskamen, haben die anderen Kollegen gelächelt . Ein sicheres Beamtenverhältnis, und der Mensch gründet! Sie waren aber erfolgreich . Innerhalb weniger Jahre hatten wir plötzlich anderthalb Dutzend Gründungen, die sich fröhlich im Markt bewegt haben . Das jetzt wieder hinzukriegen, das wird die große Aufgabe sein . ({4}) Es wäre faszinierend, wenn Sie mir noch eine Viertelstunde Redezeit geben würden, Frau Präsidentin. Dann würde ich das im Einzelnen erläutern ({5}) und zeigen, wie wir seit dem Programm von 1983 zur Förderung von Technologisch Orientierten Unternehmensgründungen, TOU, systematisch weitere Programme zur finanziellen Beteiligung an jungen Technologieunternehmen aufgebaut haben: BJTU in 1989, BTU in 1995. Der Staat hat sich dabei finanziell immer weiter zurückgezogen: Darlehen statt Zuschüsse, dann Bürgschaften statt Darlehen . Der Staat hat Gründerzentren und Technologieparks gegründet . Es ist damals eine prachtvolle Landschaft entstanden, bis der Neue Markt hier funktioniert hat und ein entsprechendes Segment an der Börse eingerichtet wurde . Dann platzte im Jahr 2000 die Blase . Seitdem sind die Menschen ein bisschen deprimiert . Aus einer Depression entsteht wenig Dynamik . Es ging darum, wieder Schwung in den Markt zu bringen . Der Staat hat mit vielen Fonds geholfen: EIF/ERP-Dachfonds, ERP-Startfonds, High-Tech Gründerfonds . Er hat auch mit dem Programm EXIST und anderen Programmen geholfen. Das sind wunderbare Sachen, alle in Ordnung . Aber damit konnte man nicht die Zukunft gewinnen . Die Zukunft entsteht aus Wagniskapitalgesellschaften, deren Gründer für ihr eigenes Geld mit einer Innovationskraft und Entschlossenheit kämpfen, die ein Beamter nicht immer aufbringen sollte . ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute liegt ein großes Gesetz vor . Ich bin zuversichtlich, dass es auf große Zustimmung stößt . ({7}) In der nächsten Runde wird es dann besser gehen; denn wir haben noch einiges vor uns . Wolfgang Schäuble, ein ungemein dynamischer und innovationsfreudiger Bundesfinanzminister, hat uns angekündigt, in den nächsten zehn Jahren 10 Milliarden Euro an Krediten über einen Tech Growth Fund für Start-ups bereitzustellen . Das ist schon einmal ganz beachtlich . Manche erreichen mit ihrer Firma einen Marktwert von vielleicht 20 Millionen Euro, aber dann fehlt ihnen das Geld für weiteres Wachstum . Wir kommen jetzt mit beachtlichen Beträgen . Ich bin voller Dankbarkeit und Bewunderung für den Finanzminister . Es gibt auch weitere Themen, um die wir uns kümmern müssen. Die Abschaffung der Umsatzsteuer auf die Management-Fee ist eine Zehnerpotenz weniger als das, was wir heute mit diesem Gesetz beschließen . Trotzdem ist es ein Riesenhebel, weil das Geld direkt in die Kassen der Unternehmer fließt. Wenn jemand die Wahl hat, hier ein Unternehmen zu gründen und damit erfolgreich zu sein oder in Luxemburg zu arbeiten und dort 20 Prozent mehr zu verdienen, dann ist das eine große Versuchung . Wir müssen zudem sehen, ob wir die Transparenz der Vermögensverwaltung gesetzlich regeln . Wir haben also noch einiges Schöne vor uns . Aber heute freuen wir uns über das, was uns mit diesem Gesetz gelingt . Es ist ein großer Schritt mit einer breiten Unterstützung dieses dynamischen Parlaments. Auch Herr Gambke will sich nur aus Höflichkeit enthalten. ({8}) Mit diesem Gesetz erreichen wir, dass die Menschen, die etwas selber machen wollen, ein bisschen mehr Luft zum Atmen haben; Menschen, die nicht darauf versessen sind, 38 Stunden in der Woche zu arbeiten, sondern entschlossen sind, mehr zu arbeiten und erfolgreich zu sein . Die Aufgabe eines stolzen und zugleich demütigen Abgeordneten ist es, dafür zu arbeiten, dass andere glücklich und erfolgreich sind - ohne Rücksicht auf unsere 38-Stunden-Woche . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften . Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10495, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9986 und 18/10348 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Damit kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte all diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Damit rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Luise Amtsberg, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parteiensponsoring regeln Drucksache 18/10476 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, möglichst schnell Ihre Plätze einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiterzuführen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Antrag vorgelegt, in dem wir Sie auffordern, noch in dieser Legislaturperiode eine Regelung zum Parteiensponsoring zu machen . Warum tun wir das? Weil wir wollen, dass Sponsoring endlich den gleichen Transparenzpflichten unterworfen wird, welche im Parteiengesetz für Geldspenden bestehen . ({0}) Diese Forderung ist überfällig . Dies endlich einzulösen, ist auch überfällig . Das zeigen die jüngsten Skandale um das Thema „Rent a Sozi“ . Wer es nicht mitbekommen hat: Wir reden seit 2010 darüber, dass eine Einnahmequelle der Parteien neben der staatlichen Parteienfinanzierung, neben der Frage von Geldspenden einen immer größeren Stellenwert bekommt, und das ist das Thema Sponsoring . Das Sponsoring ist aber im Parteiengesetz bisher nicht geregelt. Deshalb bedarf es dringend Klarheit und einer transparenten Darstellung gegenüber der Öffentlichkeit darüber: Wie viele Sponsoringeinnahmen haben eigentlich Parteien, worüber verfügen sie da, und in welchem Verhältnis stehen Geld und Zuwendung zu einer Leistung? Darüber gibt es aber überhaupt keine Klarheit, meine Damen und Herren . ({1}) Nun passiert Folgendes: Wechselseitig werfen sich Parteien Skandale und Unterstellungen vor, aber ändern tun wir letztlich nichts . Im Jahr 2010, als die CDU in Nordrhein-Westfalen auf die Idee gekommen war, dass man Herrn Rüttgers für relativ viel Geld mieten kann, gab es eine riesige Empörungswelle . Es gab Diskussionen hier im Deutschen Bundestag . Damals gehörte ich dem Deutschen Bundestag seit einer Legislaturperiode und einem Jahr an . Deshalb habe ich das noch genau in Erinnerung. Seitens der SPD beispielsweise wurde hier im Parlament eine wahnsinnige Empörung an den Tag gelegt und gesagt: Wir brauchen jetzt im Parteiengesetz dringend die Verankerung zum Sponsoring . - Was ist daraus geworden? Bis heute, 2016, nichts . Weder in der alten Regierungskonstellation noch in dieser Regierungszeit waren Sie bereit, zum Sponsoring etwas zu machen . Jetzt, im Jahr 2016, ist die Lage plötzlich andersherum . Jetzt fängt eine Untergesellschaft des Vorwärts an, Termine mit Ministerinnen und Ministern zu vergeben und diese quasi zu vermieten . Unter dem Stichwort „Rent a Sozi“ finden wir alle das im Netz. Jetzt wird wieder erklärt: Wir brauchen dringend eine Regelung zum Sponsoring . - Nur, meine Damen und Herren: Es passiert nichts, weil keine der großen Parteien Bereitschaft zeigt, endlich im Parteiengesetz eine Regelung zum Sponsoring vorzunehmen . Dazu fordern wir Sie heute auf . Wir haben auch gesagt: Wir könnten hier im Bundestag eine sofortige Abstimmung machen; denn die Argumente sind doch ausgetauscht . Jeder weiß sogar, an welcher Stelle im Parteiengesetz wir eine solche gesetzliche Regelung platzieren müssten . Aber uns wurde schon erklärt, es bestehe Beratungsbedarf . Wir müssen das erst einmal wieder in den Ausschüssen versenken, weil keine Bereitschaft besteht, heute zu einer gesetzlichen Regelung im Parteiengesetz in Sachen Sponsoring zu kommen. Meine Damen und Herren von der SPD, wenn ich dann von Ihrer Seite das Argument höre, Ihnen würde der Antrag nicht weit genug gehen, kann ich dazu nur sagen: Das schlägt dem Fass den Boden aus . ({2}) Außerdem höre ich von Ihrer Seite, man könne heute nicht über unseren Antrag abstimmen, weil Sie weitgehendere Vorstellungen haben und einen Gesetzentwurf vorbereiten wollen . Meine Damen und Herren, haben Sie noch nicht gemerkt, dass es im Interesse von uns allen ist, wenn wir das schnell regeln und klar regeln, mit Transparenzpflichten wie bei Geldspenden im Parteiengesetz? Die §§ 23, 24 und 25 haben uns hierzu die Vorlage geliefert . Sie können sich auch gerne unserem Gesetzentwurf anschließen . Er liegt vor . Da braucht man gar keine Beratung bis zum Frühjahr . Wir können ihn gern in der nächsten Woche gemeinsam wieder einbringen . Ich habe das Gefühl, dass Sie mit diesen Vorwänden einfach vernebeln wollen, dass Sie, also Union und SPD, letztlich nicht bereit sind, zu einer klaren Regelung zum Sponsoring zu kommen . Dabei wäre es für uns alle wichtig. Für alle Parteien würde das nach außen mehr Transparenz und Klarheit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern bringen . ({3}) Nichtregierungsorganisationen wie LobbyControl und Transparency sowie Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler fordern uns genauso wie der Bundestagspräsident seit 2010/11 in seinem Bericht über die Rechenschaftsberichte 2010 und 2011 der Parteien zur Parteienfinanzierung dazu auf, endlich eine Transparenzpflicht und Darlegungspflicht für Sponsoring zu schaffen . Ich zitiere den Bundestagspräsidenten und seinen Bericht: Die damit verbundene Transparenz liegt „im Vizepräsidentin Ulla Schmidt wohlverstandenen Eigeninteresse der Parteien“. Das hat Herr Lammert formuliert . ({4}) Warum um alles in der Welt weigern Sie sich bis heute, mit uns zusammen für mehr Transparenz zu sorgen? Es geht doch nicht um wechselseitige Vorwürfe, sondern darum, endlich im Gesetz klar zu regeln, dass wir als Parteien beim Sponsoring die gleichen Darlegungspflichten haben wie bei Geldspenden, da das Thema eine so große Bedeutung hat . Lassen Sie mich zuletzt noch etwas zu Ihrem Ausweichargument sagen, Sie wollten einen Gesetzentwurf erarbeiten . Wir haben in der 17 . Legislaturperiode einen Antrag zum Parteiensponsoring eingebracht, der zum Ziel hatte, das Ganze transparenter zu gestalten . Die Botschaft war: Beratungsbedarf! - Wir haben in der 17 . Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht . Dieser wurde monatelang im Ausschuss versenkt - Beratungsbedarf! - und letztlich abgelehnt . Wir haben in der 18 . Legislaturperiode einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht und sogar das Parteiengesetz geändert, nur nicht bezüglich Sponsoring . Heute beraten wir wieder über einen von uns eingebrachten Antrag . Ich fordere Sie abschließend auf: Lassen Sie uns das im Interesse aller Parteien klar und eindeutig regeln! Wir brauchen mehr Transparenzpflichten beim Sponsoring. Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Philipp Murmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt hat sich Frau Haßelmann so aufgeregt . Dabei muss ich sagen: Eine schlechte Idee wird natürlich nicht dadurch besser, wenn man sie nur oft genug hier vorträgt . ({0}) Die Forderung der Grünen nach einer weiteren zusätzlichen Regelung im Parteiengesetz ist unseres Erachtens aus mehreren Gründen nicht zielführend . Erstens. Das Sponsoring für Parteien ist rechtlich zulässig und bereits heute geregelt . Die Einnahmen sind nach § 24 des Parteiengesetzes im Rechenschaftsbericht der Parteien zu erfassen. ({1}) Das gilt übrigens auch für andere Bereiche des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes . Warum wollen Sie eigentlich jetzt eine einzelne Einnahmeart herausgreifen? Das ist völlig unsystematisch . ({2}) Wenn, dann müssten doch alle Einnahmen individuell und nach ihrer Herkunft ausgewiesen und zugeordnet werden . ({3}) Zweitens . Sponsoring ist per se bereits ein transparenter Vorgang . ({4}) Der Sponsor bezahlt dafür, dass er für sich wirbt, und zwar offen und publikumswirksam. ({5}) Sonst würde es auch gar keinen Sinn machen . Der Vorgang ist für jeden sichtbar . ({6}) Sie können das auf fast jeder größeren Veranstaltung beobachten. Ich lade Sie gerne auch einmal zum Parteitag der CDU ein . Dort werden alle Aussteller und Sponsoren öffentlich genannt, ({7}) und Sie können sich ein Bild davon machen . Das Gleiche gilt übrigens auch für die Grünen. Wir veröffentlichen das, wie ich Ihnen sagte, ja auch und die SPD, soweit ich das weiß, auch . Bei den Linken bin ich mir nicht ganz sicher . Aber darüber wollen wir jetzt einmal hinwegsehen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Murmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Volker Beck?

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte die Gedanken gerne zu Ende führen . Wenn Sie, Herr Beck, am Ende noch Lust haben, können wir noch einmal schauen . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Am Ende geht das nicht, nur mittendrin . - Gut .

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke . ({0}) - Lehnen Sie sich ein bisschen zurück, und hören Sie erst einmal zu! ({1}) Wenn Ihnen das noch nicht ausreicht, dann beantworten wir Ihnen alle Fragen zum Sponsoring . Auch unsere Ausstellerunternehmen werden häufig von Journalisten deswegen angesprochen und beantworten entsprechende Fragen . Es gibt an diesem ganzen Vorgang überhaupt gar nichts zu beanstanden . ({2}) Im Gegenteil: Sponsoring ist transparent und hilft den Parteien auch, ihren verfassungsmäßigen Auftrag zu erfüllen, nämlich in die Gesellschaft hineinzuwirken . ({3}) Drittens . Wir lehnen eine weitere Bürokratisierung im Parteienrecht ab. Die bestehenden Transparenzregeln im Parteiengesetz sind auch im internationalen Vergleich weitreichend und haben sich bewährt . Die Transparenz unserer Parteienfinanzierung ist nämlich viel höher als irgendeine sonst . Weder Vereine noch irgendeine von all den NGOs, die uns sonst natürlich immer gerne mit erhobenem Zeigefinger begegnen, erfüllen solche Transparenzregeln wie wir in den Parteien. Das ist so. Allerdings führen diese Standards bereits heute dazu, dass ein erheblicher administrativer und auch finanzieller Aufwand getrieben wird. Die Parteien aber und damit wir alle leben vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder . Das gilt besonders für die vielen Schatzmeister in unseren Parteien. Mit immer mehr Bürokratie frustrieren Sie nur diejenigen, die noch bereit sind, solche Ämter zu übernehmen, und sich damit für unsere Demokratie einsetzen . Es ist bereits heute nicht einfach, Kandidaten für die Schatzmeisterämter zu finden. ({4}) Wir sollten das nicht durch noch mehr Bürokratie weiter erschweren . Viertens. Ihr Antrag zielt ja ganz offensichtlich auf einen aktuellen Fall im Umfeld der SPD. Dazu muss ich Ihnen aber sagen: Thema verfehlt, denn die von Ihnen vorgeschlagene Regulierung im Parteiengesetz würde diesen Fall gar nicht erfassen. - Es wurde in der Presse sogar der Vorwurf erhoben, die CDU sei an den Vorfällen schuld, weil wir bei der letzten Novelle des Parteiengesetzes gegen eine Sponsoringvorschrift gestimmt hätten . Das ist zwar ein netter Versuch, aber auch ein ziemlich plumpes Ablenkungsmanöver weg vom eigentlichen Vorgang . Bitte erlauben Sie mir, dass ich hier die Parteienrechtlerin Frau Professor Schönberger aus Konstanz zitiere, die die Sponsoringpraxis der SPD im ZDF als - ich zitiere eine sehr intelligente, aber im Endeffekt trotzdem rechtswidrige Umgehung der Parteienfinanzierung bezeichnet hat . Sie ergänzte dazu, es könne nicht sein, dass - ich zitiere nochmals durch die Zwischenschaltung einer GmbH legal wird, was sonst illegal wäre . Es ging also gar nicht um das Parteiengesetz, sondern um die Umgehung des Parteiengesetzes. Liebe Kollegen von der SPD, die Verantwortung für diese Vorgänge müssen Sie natürlich selber tragen. Ich finde es auch gut und richtig, dass Sie klipp und klar gesagt haben, dass diese Praxis jetzt beendet wird; denn natürlich schadet sie uns allen . Fünftens und letztens . Liebe Grüne, Regulierungen und Verbote sind ja Ihre Spezialität . ({5}) Aber Sie drangsalieren natürlich vor allem die vielen Ehrenamtlichen, die für eine gute Sache werben, nämlich für unsere parlamentarische Demokratie . Die Unionsfraktion wird diesen Antrag deswegen ablehnen . Lassen Sie uns stattdessen lieber gemeinsam überlegen, wie wir unsere Demokratie und auch unser Land voranbringen, ({6}) wie wir mehr Ehrenamtliche für unsere Parteien gewinnen können . ({7}) Transparenz ist für uns alle wichtig . ({8}) Sie ist ein hohes Gut . ({9}) Wir haben, wie ich finde, auch einige sehr gute Vorschläge in den Schatzmeisterrunden - Frau Haßelmann, wir waren an der einen oder anderen Stelle ja auch zusammen - gefunden . Ob man die wirklich gleich in ein Gesetz gießen muss und damit zusätzliche Bürokratie auslöst, das möchte ich allerdings infrage stellen . Lassen Sie uns lieber Regelungen finden, die keine Bürokratie auf den unteren Ebenen auslösen . Für praktische und angemessene Vorschläge sind wir offen. Vielen Dank . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Volker Beck um die Gelegenheit zu einer Kurzintervention gebeten . Die Betonung liegt auf „kurz“ .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will es auch ganz kurz machen . - Soweit ich mich erinnere, geht aus den Rechenschaftsberichten der Parteien nicht hervor, welches Unternehmen mit welchem Zahlbetrag für welche Sponsoringleistung einsteht . ({0}) Deshalb frage ich Sie einfach einmal probeweise: Können Sie mir sagen, welche Zahlungen in diesem oder im letzten Jahr - das dürfen Sie sich aussuchen -, ausgehend von den drei besten Sponsorverträgen, von wem in welcher Höhe an die CDU geleistet wurden? Das ist in den Drucksachen des Bundestages, in den Rechenschaftsberichten, nicht nachzuvollziehen . Deshalb würde ich das gerne von Ihnen wissen . Sie haben ja behauptet, das sei transparent . ({1}) So viel Transparenz können wir uns ja heute hier einmal leisten . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Murmann .

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur ganz kurz: Die Sponsoringeinnahmen werden in den Rechenschaftsberichten ausgewiesen, ({0}) und Sie sehen bei jedem Parteitag die Liste der Sponsoren . Sie können auch nachfragen, was die Standgebühr kostet . Das alles ist völlig transparent . ({1}) Dieser Antrag ist komplett überflüssig. ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Murmann hat jetzt Stellung genommen . Jetzt hat die Kollegin Dr. Petra Sitte die Möglichkeit, hier vorne für die Fraktion Die Linke Stellung zu nehmen . - Bitte schön . ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Es ist ja schon gesagt worden: Das Thema Parteiensponsoring beschäftigt uns jetzt nicht zum ersten Mal . Nach den beeindruckenden Worten von Herrn Murmann traut man sich ja schon fast gar nicht mehr, das wieder aufzurufen . Wir hatten 2014 auch schon einen entsprechenden Antrag eingebracht; in ihm wurde gefordert, neben den Unternehmensspenden an Parteien auch das Parteiensponsoring zu verbieten. Das haben damals allerdings alle anderen Fraktionen abgelehnt . Das halte ich für fragwürdig; denn Sponsoring bedeutet im Gegensatz zu Spenden immer: Gegenleistungen . Wer sponsert, will dafür eine Gegenleistung . Da geht es bei weitem nicht nur um die Frage, ob man sich dort darstellt . ({0}) Das ist eben anders als bei Spenden . Herr Murmann, es ist eben auch nicht so, dass in den Rechenschaftsberichten die Sponsoren im Einzelnen nachvollziehbar sind . Im Gegenteil: Es gibt eine Gesamtsumme, und der Rest kann sich tapfer dahinter verstecken . ({1}) Worum geht es? Auch ich will das noch einmal sagen, damit der Bogen etwas weiter gespannt wird: Parteien müssen - das ist so vom Grundgesetz vorgeschrieben auch Spenden einwerben . „Huch?“, mag der eine oder andere staunen . Wieso das denn? Der Hintergedanke dabei war, dass Parteien nicht gänzlich vom Staat finanziert werden sollen, um nicht gänzlich von ihm abhängig zu sein . Aber: Nicht nur Geld vom Staat kann abhängig machen, sondern eben auch Geld von Spendern . Insbesondere bei großzügigen Spendern könnte schon der Eindruck entstehen, als solle die bedachte Partei ebenjenem Spender mit der einen oder anderen Entscheidung besonders entgegenkommen . Wir haben das hier auch schon erlebt; ich nenne nur das breitgelatschte Beispiel Mövenpick . Dieses Dilemma löst das geltende Recht durch Offenlegung möglicher Beeinflussung. Es gibt also Veröffentlichungspflichten für bestimmte Spenden, und es gibt Spendenannahmeverbote . Auch das haben wir geregelt . Aber das ist uns zu wenig . Im Gegensatz zu Spenden gibt es in diesem Feld der Sponsoringeinnahmen von Parteien, für die es keine besonderen Anforderungen zur Veröffentlichung der Sponsoren gibt - das habe ich vorhin ausdrücklich gesagt -, immer eine Grauzone . Die Rechenschaftsberichte bieten diese Grauzone . Sponsoring ist dann eben nicht öffentlich nachvollziehbar. Und Sie wollen ja wohl nicht, dass ich zu jedem CDU-Parteitag komme, um mir auf Ihrer Wand anzugucken, wer Sie dort im Einzelnen sponsert, ({2}) damit im Endeffekt der Parteitag überhaupt stattfinden kann, weil Parteitage nun einmal unverschämt teuer sind. ({3}) Was in letzter Zeit bei der SPD mit der Agentur Network Media GmbH passiert ist, ist natürlich schon eine höchst fragwürdige Praxis und stellt genau die Grenzüberschreitung dar, die wir hier vermeiden müssen . Dass diese Agentur zu dem zur SPD gehörenden Vorwärts-Verlag gehört, ist relativ nebensächlich . Fakt ist, dass die Agentur versucht hat, Unternehmen und Lobbygruppen anzusprechen, um dann eben für Beträge zwischen 3 000 und 7 000 Euro Termine mit SPD-Bundesministern, mit ministerialen Beamten oder eben auch mit einzelnen Staatssekretären zu verkaufen . In den Medien war dann schnell, wie wir das schon festgestellt haben, „Rent a Sozi“ als Schlagwort zu hören . Es gab natürlich auch sofort das Remake: Ah, da war doch was mit Herrn Rüttgers . - Der hat das ja schon vor einigen Jahren - ich glaube, es waren sechs - aktiv betrieben, wobei ich finde, dass die Beträge, die damals Herrn Rüttgers bzw . der CDU zugegangen sind, weit über Wert lagen . ({4}) 2010 bestand dann auch Anlass, über diese Fragen immer wieder zu reden . Es war von Werbebriefen an potenzielle Sponsoren usw . die Rede . Es war die Rede von Partnerpaketen und Ähnlichem mehr. Und es war natürlich von exklusiven Gesprächen die Rede . Das ist das, was ich vorhin umschrieben habe mit den Worten: Der Sponsor will eine Gegenleistung . ({5}) Da kommt nicht bloß ein Plakat hin, sondern da geht es um Vernetzung . Genau dieser Eindruck sollte aus dem Bundestag heraus verhindert werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Vermieten von Amtsträgern mit Parteibuch ist eben genau der Punkt, der an die strafrechtliche Grenze heranreicht . Dass nun einige SPD-Kollegen - jeder von uns hat sich ja zwischenzeitlich den halbstündigen Bericht angesehen - ziemlich glaubhaft versichert haben, dass sie das nicht gewusst haben, ändert nichts daran . Allein, dass es möglich erscheint, zu Amtsträgern ebensolche Verbindungen aufbauen zu können oder sich zu erkaufen, ist sozusagen fast ein Totalschaden für die Demokratie . Da wir im Ranking der Liste der beliebtesten Berufe nicht gerade ganz oben stehen, ist eine solche Praxis ganz besonders problematisch . ({6}) Meine Kollegin hat es gesagt: Wenn es nicht so problematisch wäre, würde es nicht regelmäßig im Bericht des Bundestagspräsidenten auftauchen . Der hat ja die Angelegenheit immer wieder an das Parlament zurückgegeben und für eine Regelung geworben . Wir meinen, dass Transparenz allein nicht ausreicht . Wir meinen, dass man die gesamte Praxis unterbinden sollte. ({7}) Insofern würde man vonseiten der Parteien gar nicht erst in den Geruch kommen, solche Gegenleistungen erbringen zu müssen. Parteienfinanzierung soll demokratisch sein, und demokratisch geht es vor allem dann zu, wenn Bürgerinnen und Bürger genau die gleichen Rechte auf Zugang zu Politikerinnen und Politikern haben, wenn nicht über bestimmte Brücken gegangen werden muss, wenn keine Sonderzugänge für Lobbygruppen und für Firmen geschaffen werden. Ich hoffe, dass diese Debatte vielleicht ein ganz kleines bisschen zum Umdenken beiträgt . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - An dieser Stelle darf ich der Kollegin Sitte noch zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren . Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Jetzt hat die Kollegin Gabriele Fograscher, SPD-Fraktion, das Wort . ({1})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Transparenz - das ist wahr - ist unverzichtbar in einer parlamentarischen Demokratie . Sie ist essenziell für die Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger und damit für eine informierte Wahlentscheidung . Für uns ist Transparenz mehr als das, was Sie von den Grünen heute zum Thema Sponsoring vorlegen . Wir haben uns in den vergangenen Jahren immer wieder für mehr Transparenz eingesetzt, und wir konnten auch einiges erreichen: Wir haben die Bestechung von Abgeordneten neu geregelt und diese unter Strafe gestellt . Wir haben klare Regeln für den Wechsel von Politikern in die Wirtschaft geschaffen. Wir haben die Zahl der Hausausweise des Deutschen Bundestages für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter stark begrenzt . Und wir erhalten regelmäßig halbjährlich einen Bericht der Bundesregierung über externe Berater in den obersten Bundesbehörden . Wir als SPD-Bundestagsfraktion würden gerne noch weiter gehende Regelungen schaffen. Damit Entscheidungsprozesse nachvollziehbar sind, wollen wir ein verpflichtendes Lobbyregister auf gesetzlicher Grundlage beim Deutschen Bundestag einrichten . Dieses soll darüber Auskunft geben, welcher Interessenvertreter mit welchem Budget für welchen Auftraggeber tätig ist . Auch der Einsatz von externen Beratern in den obersten Bundesbehörden muss nachvollziehbar sein . ({0}) Wir wollen deshalb eine legislative Fußspur einführen, aus der hervorgeht, welchen Beitrag externe Berater und Interessenvertreter bei der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes geleistet haben . Wir wollen, dass alle Bundestagsabgeordneten vollständig ihre Einkünfte aus Nebentätigkeiten offenlegen, und das auf Euro und Cent . Die derzeitige Stufenregelung bringt immer noch keine vollständige Transparenz . Auch bei der Parteienfinanzierung haben wir bereits mehr Transparenz geschaffen. Ende vergangenen Jahres haben wir die Saldierung wieder eingeführt . Damit wird transparenter, welche Einnahmen und Ausgaben eine Partei hat und worauf sich die staatliche Teilfinanzierung stützt . Das haben wir beschlossen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Grünen bei Enthaltung der Linken . Wir können uns auch hier durchaus noch mehr vorstellen . So fordern wir zum Beispiel immer wieder - leider bis jetzt ergebnislos - ein Verbot von Verbandsspenden, die Einführung einer jährlichen Obergrenze von 100 000 Euro pro Spender und eine Herabsetzung der Sofortveröffentlichungsgrenze bei Großspenden . Auch wir wollen eine gesonderte Ausweisung von Sponsoring in den Rechenschaftsberichten der Parteien . Das haben wir auch in unserem Regierungsprogramm von 2013 festgeschrieben . Zu diesem Thema gab es bereits zahlreiche Berichterstattergespräche und Diskussionsrunden . Doch leider - das haben wir heute ja gehört - sehen CDU und CSU keinen Handlungsbedarf . Sponsoringeinnahmen werden derzeit unter der Rubrik „Einnahmen aus Veranstaltungen, Vertrieb von Druckschriften und Veröffentlichungen und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeit“ ausgewiesen . Jetzt möchte ich einmal auf die Größenordnung eingehen, die dieser Einnahmeposten hat: bei der CDU und der SPD beträgt er jeweils 8 Prozent der Gesamteinnahmen, bei den Grünen sind es 1,6 Prozent und bei den Linken 0,9 Prozent. ({1}) Wenn es in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einer gesetzlichen Regelung zur gesonderten Ausweisung des Sponsorings kommt, werden wir als SPD auf freiwilliger Basis ab dem nächsten Parteitag die Aussteller und Sponsoren inklusive der gezahlten Nettosumme auf unserer Homepage veröffentlichen. ({2}) Die Grünen stellen heute den Antrag, Sponsoringeinnahmen ebenso zu behandeln wie Spenden . Spenden werden über alle Gliederungen hinweg im Rechenschaftsbericht der Bundespartei zusammengeführt . Egal an wen, an welche Gliederung jemand spendet - alle diese Spenden werden für den Rechenschaftsbericht addiert . Für das Sponsoring ist das nicht so einfach . Auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene ist eine separate Ausweisung machbar . Für die zahlreichen Ortsvereine, Unterbezirke, Kreisverbände mit Tausenden von ehrenamtlichen Kassiererinnen und Kassierern halte ich eine separate Ausweisung von Sponsoring aber nicht für zielführend . ({3}) Die Ehrenamtlichen müssen einen immensen bürokratischen Aufwand leisten, um zum Beispiel die Brötchen für 40 Euro, die der regionale Bäcker zum Kinderfest geschenkt hat, und die Würstchen für 90 Euro, die der regionale Metzger zum Sommerfest unentgeltlich geliefert hat, auszuweisen . Ich meine, dieser Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn durch solche Aufstellungen . Das zeigt, dass die bestehenden Regelungen für Spenden eben nicht eins zu eins auf das Sponsoring übertragen werden können . Wenn Sie von den Grünen wirklich eine praxistaugliche Regelung wollen, sollten Sie Ihren Antrag auf sofortige Abstimmung zurückziehen und mit uns in ernsthafte Gespräche eintreten . Frau Haßelmann, Ausschussberatungen und Berichterstattergespräche als ein „Versenken“ zu bezeichnen, entwertet auch unsere Arbeit im Parlament. ({4}) Ich fordere Sie gerne zu ernsthaften Gesprächen auf, um eine Lösung für dieses Problem zu finden. Danke schön . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Michael Frieser das Wort . ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben eine Sternstunde: Immer dann, wenn in der Presse mit entsprechenden Schlagzeilen von einer Verfehlung berichtet wird, muss das grundsätzliche Regel- und Gesetzeswerk herangezogen werden . - Frau Kollegin Fograscher: „Tapfer!“, würde ich mal sagen . Dass die SPD nach diesem „Lapsus“ - ich bezeichne das ganz vorsichtig mal so - genau das nicht weiter tut, nämlich einen Minister zu vermieten, versteht sich von selbst . Dazu brauche ich kein Gesetz und kein Regelwerk . ({0}) Deshalb halte ich es auch für etwas schwierig, im Augenblick vor dem Hintergrund dieser Frage einen Hase-und-Igel-Wettbewerb zu veranstalten in dem Sinne: Der eine will etwas zum Thema Sponsoring, und der andere will etwas zum Thema Lobbyismus machen . - Das, was passiert ist, hat nichts mit Sponsoring oder Parteienfinanzierung im Rahmen von Spenden zu tun. Ich bitte darum, das im Sinne der Demokratie fein säuberlich auseinanderzuhalten . ({1}) Sponsoring bedeutet, dass sich Menschen innerhalb eines Rechtsstaates, einer Demokratie dem politischen Prozess zuwenden und erkennbar machen, dass sie wirklich daran teilhaben wollen . Alle Einnahmen aus diesen Geschäften - das gilt nicht nur für Parteitage - können eingesehen werden . Die Rechenschaftsberichte liegen beim Bundestagspräsidenten . Auf Ersuchen sind wir selbstverständlich auch persönlich bereit, darüber Bericht zu erstatten . Wir laden jeweils auch gegenseitig zu den Parteitagen ein. Ich habe Verständnis dafür, dass die SPD, die diesen Fehler eingesteht und auch Besserung lobt, jetzt nicht nur sagt, dass sie das nicht mehr tut, sondern auch versucht, mit einem eigenen Vorschlag politisch in die Vorhand zu geraten . Ich glaube nur, dass wir uns damit in dieser Frage, um die es im Zentrum geht, keinen Gefallen tun . Denn weder eine Änderung beim Thema Lobbyismus noch beim Thema Sponsoring wird etwas daran ändern, dass man vor falsches Verhalten bei der Frage, wie man Einfluss auf die Politik gewinnen kann, keine Regeln setzen kann; denn in diesem Parlament ist jeder Einzelne von uns seinem Gewissen unterworfen - sofern der Einzelne denn eines hat . Aber im Ergebnis muss doch jeder selbst verantworten, wie er sich in dieser Frage verhält . Und ich bin darüber erstaunt, dass es doch immer wieder jemanden gibt, der sich tatsächlich für eine solche Aktion hergibt - egal mit welchen gesellschaftspolitischen, gesellschaftsrechtlichen Verschachtelungen man versucht, das in irgendeiner Weise zu camouflieren. Aber es bleibt dabei: Der Anteil des Sponsorings wir haben es gehört - ist wirklich verschwindend gering . Deshalb kann man nur sagen: Die Ordnung, die wir in § 24 des Parteiengesetzes gefunden haben, beinhaltet auch die Pflicht, alle Sponsoringleistungen auszuweisen. Das bedeutet eindeutig, dass man das ablesen kann . Nicht umsonst hat die europäische Staatengruppe GRECO zum Thema Parteienfinanzierung gesagt: Dies ist in Ordnung. Es ist in Deutschland ordnungsgemäß - wie in anderen europäischen Staaten auch - geregelt . Das sagt übrigens auch die in diesem Land immer noch verbindliche Rechtsprechung: Alles, was zu dem Thema Sponsoring an Ausweisung notwendig ist, ist geleistet worden . Ich verstehe, dass man in so einer aufgeheizten Diskussion versucht, mit tollen Vorschlägen wieder nach vorn zu kommen . Aber ich kann nur sagen: Wir haben zwei Jahre zum Thema Parteienfinanzierung verhandelt. Erst in der letzten Sitzung haben die Grünen gesagt: Zum Thema Sponsoring könnten wir noch etwas machen . Die entscheidende Botschaft muss doch sein, dass wir in der Demokratie dankbar sein müssen für Menschen, für Firmen, die sich nicht nur zu Parteien bekennen, sondern auch zur Funktion von Parteien, nämlich an der Willensbildung teilzunehmen . Das bedeutet, dass sie sich nicht hinter Masken verbergen . Das bedeutet, dass man sich nicht im Hinterzimmer trifft, wo es keiner mitbekommt, sondern das bedeutet, dass man mit offenem Visier sagt, welche Firma an welcher Stelle Parteien mit einer Art von Sponsoring unterstützt . ({2}) Darum geht es . Deshalb: Am Ende des Tages hilft alles Gerede nicht . Am Ende des Tages geht es darum, ob wir das, was wir an Regeln für die Parteienfinanzierung haben, anwenden. Es geht darum, dass wir als Parlamentarier in den Parlamenten, als Funktionäre in den Parteien - und das geht bis hinunter zu den Ehrenamtlichen uns rechtstreu verhalten . Es muss gelten: Wir füllen diese Funktionen aus und versuchen dabei, unsere Arbeit aufrechtzuerhalten . Natürlich ist Sponsoring bei zurückgehenden Einnahmen ein zunehmend wichtig werdender Aspekt . Wer wüsste das besser als Parteienvertreter? Gegen dieses Problem im Zusammenhang mit Sponsoring helfen keine neuen Gesetze und auch kein neues Regelwerk; da hilft nur ein funktionierender moralischer Kompass . Vielen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Jetzt hat für die SPD-Fraktion der Kollege Dietmar Nietan das Wort . ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gar nicht darum herumreden: Das in der Berichterstattung der Sendung Frontal 21 geschilderte Geschäftsgebaren innerhalb der SPD-eigenen Medienagentur Network Media ist unakzeptabel und mit sozialdemokratischen Prinzipien nicht vereinbar. Damit wurde nicht nur dem Ansehen meiner eigenen Partei, sondern auch der Politik insgesamt großer Schaden zugefügt . ({0}) Ich habe deshalb als Schatzmeister der SPD veranlasst, dass dieser Vorgang intern untersucht wird, um dann aus den gewonnenen Erkenntnissen auch Konsequenzen zu ziehen . Unabhängig von dieser Aufarbeitung habe ich umgehend sichergestellt, dass es die sogenannten Vorwärts-Gespräche nicht mehr geben wird . Ich weiß, dass wir uns nicht nur der berechtigten Kritik an dem, was passiert ist, sondern auch unberechtigMichael Frieser ten Unterstellungen stellen müssen . Deshalb will ich es hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Trotz der Berichterstattung über unsere Agentur bleibt es für die SPD weiter dabei: Mit Sponsoringleistungen kann kein Zugang zu Amtsträgern, Abgeordneten oder Parteifunktionären erkauft werden . ({1}) Ich will hier noch einmal betonen, dass die Politikerinnen und Politiker, die in der Vergangenheit an Vorwärts-Gesprächen teilgenommen haben, nicht über Details etwaiger Absprachen zwischen Sponsoren und der Agentur ins Bild gesetzt wurden; ihnen war auch die Höhe etwaiger Zahlungen nicht bekannt . Auch wenn wir davon ausgehen können, dass in dem in Rede stehenden Fall kein Verstoß gegen das Parteiengesetz vorliegt, hat Bundestagspräsident Lammert recht, wenn er sagt: Völlig unabhängig von der Frage, ob das rechtlich relevant ist oder nicht, es ist jedenfalls selten dämlich . ({2}) Ich weiß, dass das, was hier geschehen ist, zu einem weiteren Vertrauensverlust bei den Menschen in unserem Land geführt hat . Aber ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen: Auch wenn es ein langer und schwerer Weg sein wird, sollten wir jetzt gemeinsam im Bundestag alles dafür tun, das verlorengegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen . Aus diesem Grund begrüße ich die hier eingebrachte Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich . ({3}) Es wäre aus meiner Sicht ein gutes Signal, wenn wir noch in dieser Legislaturperiode Regelungen in das Parteiengesetz aufnehmen, die das Parteiensponsoring transparenter machen . ({4}) Wir hätten dem vorliegenden Antrag heute gerne zugestimmt . Da aber unser Koalitionspartner bisher nicht dafür zu gewinnen war, werden wir zu Beginn des kommenden Jahres unsere eigenen Vorschläge für mehr Transparenz beim Sponsoring vorlegen . ({5}) Ich will es hier sehr deutlich sagen, weil ich es auch belegen kann: Die Vorschläge, die wir machen, fordern wir als SPD seit 2010. Sie können das in unseren Wahlprogrammen, in den Statements meiner Vorgängerin, Dr. Barbara Hendricks, nachlesen. Es ist keine Erfindung, die uns jetzt einfällt, weil wir Mist gebaut haben . Ich will kurz schildern, was aus unserer Sicht wichtig wäre und was, ohne eine überbordende Bürokratie aufzubauen, getan werden könnte . Erstens. Wir brauchen im Parteiengesetz eine sehr präzise Definition davon, was wir unter Sponsoring verstehen, damit es keine Missverständnisse gibt . Ich glaube, dass die Definition, wie sie im Erlass des Bundesfinanzministeriums zur steuerlichen Behandlung von Sponsoring zu finden ist, eine gute Orientierung wäre. Zweitens. In den Rechenschaftsberichten der Parteien sollten Einnahmen aus Sponsoring mit einer neuen eigenen Einnahmeposition ausgewiesen werden und nicht wie bisher in eine Sammelposition eingehen, die einen, wie ich finde, schönen Titel hat. ({6}) Er lautet: „Einnahmen aus Veranstaltungen, Vertrieb von Druckschriften und Veröffentlichungen und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeit“ . Ich glaube, es ist sinnvoll, im Sinne der Transparenz Sponsoring nicht in einer solchen Sammelposition zu verstecken, sondern deutlich auszuweisen . ({7}) Drittens. Es ist auch sinnvoll, eine Veröffentlichungspflicht, vergleichbar mit den Regelungen zu Parteispenden im jetzigen Parteiengesetz, zu verankern. Viertens . Hier gebe ich allen recht, die es angesprochen haben . Wir sollten uns darüber verständigen, dass wir, wenn wir eine neue Regelung schaffen, uns überlegen, wie wir sie so ausgestalten können, dass wir örtliche, lokale Parteiorganisationen vor einer überbordenden Bürokratie bewahren . Wenn Sie zum Beispiel vom örtlichen Metzger die Grillwürstchen für ein Sommerfest gesponsert bekommen, dann müssen Sie nicht ellenlange bürokratische Wege auf sich nehmen . Unabhängig von der Frage, wie wir uns hier im Parlament einigen, haben wir - meine Kollegin Fograscher hat das schon gesagt - uns auf freiwilliger Basis entschieden, ab dem nächsten Jahr sicherzustellen, dass wir nicht nur wie bisher die Liste der Sponsoren unserer Parteitage veröffentlichen, sondern für jede SPD-Veranstaltung die exakte Höhe des Betrages des jeweiligen Sponsors veröffentlichen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können mir wirklich glauben: Die jetzt bekanntgewordenen Vorfälle sind nicht nur peinlich . Sie ärgern mich deshalb, weil sie Wasser auf die Mühlen von Populisten sind, deren Parteien selbst mit dubiosesten Methoden zur Geldbeschaffung auffällig geworden sind. ({9}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit es keinen Zweifel gibt, will ich noch einmal betonen: Für das, was bei Network Media passiert sein soll oder passiert ist - wir untersuchen es -, tragen wir als SPD eine Verantwortung . Wir müssen dieser Verantwortung zukünftig durch ein besseres Handeln gerecht werden . Auf der anderen Seite halte ich es für richtig, dass wir für die Verteidigung einer pluralistischen, an den Werten unseres Grundgesetzes orientierten Parteiendemokratie hier in diesem Hause eine gemeinsame Verantwortung tragen . Wir sollten deshalb das Anliegen in dem hier vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht nur ernst nehmen, sondern auch sicherstellen, dass wir eine entsprechende Regelung möglichst in großer Gemeinsamkeit noch in dieser Legislaturperiode umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({10}) Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, dass an der SPD-Fraktion die Verabschiedung einer guten Regelung zum Sponsoring im Parteiengesetz noch in dieser Legislaturperiode nicht scheitern wird . Hier müssen jetzt andere Farbe bekennen . Vielen Dank . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt die Kollegin Barbara Woltmann, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr - es war auch Adventszeit - haben wir schon einmal nach zweijähriger sehr intensiver und heftiger Debatte eine Änderung des Parteiengesetzes verabschiedet, und in dieser Debatte war auch ein wichtiger Punkt, dass wir mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung schaffen. Ich denke - Kollege Frieser hat das schon ausgeführt -, das ist uns mit den Änderungen, die wir seinerzeit ins Gesetz hineingebracht haben, auch durchaus gelungen . ({0}) Dass wir jetzt erneut über das Thema Transparenz und die Frage, ob wir genügend Transparenz in der Parteienfinanzierung haben, sprechen müssen, ist einem aktuellen Anlass geschuldet . Kollege Nietan, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier so offen angesprochen haben, dass das ein Fehler war und sich so etwas auch nicht wiederholen darf . Ich glaube schon, es kann Ihnen nur peinlich sein, eine Überschrift wie „Rent a Sozi“ in den Medien zu lesen . ({1}) Die Überschrift in der taz vom gestrigen Tag lautet: „Schluss mit Rent-a-Sozi“ . Das macht es auch nicht wirklich besser, weil diese Art von Überschrift, wenn es denn so ist, immer eine Art von Käuflichkeit suggeriert. Ich bin von jeder Art von Schadenfreude weit entfernt . Denn seien wir doch mal ehrlich: Es fällt doch auf uns alle zurück, auf die gesamte politische Klasse . Wir alle müssen dem Eindruck entgegentreten, dass Politik in irgendeiner Art und Weise käuflich sein könnte. ({2}) Politiker stehen sowieso schon in der Beliebtheitsskala ganz unten . Insofern sind die Aktivitäten Ihrer Werbeagentur, die Sie vorhin erwähnt haben - Network Media -, absolut kontraproduktiv und insgesamt schädlich . Dass die betroffenen Politiker - Herr Oppermann hat teilgenommen, Frau Lambrecht hat teilgenommen, Olaf Lies, der niedersächsische Wirtschaftsminister von der SPD, hat teilgenommen - von den Geldzahlungen keine Kenntnis hatten, macht es ja nicht wirklich besser . Der Negativeindruck ist erst mal da . Insofern müssen wir alles tun, damit sich dies nicht wiederholt . Ich möchte an die Worte des Kollegen Frieser erinnern, der vorhin gesagt hat: Dieser Vorgang hat absolut nichts mit dem normalen Sponsoring zu tun, sondern da ist gesagt worden, Ihre Politiker, Ihre Führungskräfte kämen nur, wenn eine Summe X gezahlt wird . Auch andere Parteien haben Fehler gemacht. Ich will uns da nicht ausnehmen: Das, was wir 2010 gemacht haben, war auch ein Fehler. Ich bezeichne es bei jeder Partei als Fehler, wenn der Eindruck vermittelt wird, mit einem Politiker könne man nur sprechen, wenn man vorher dafür bezahlt habe . Das möchte ich nicht . Ansonsten kann ich zur Parteienfinanzierung insgesamt nur sagen: Das ist in Artikel 21 Grundgesetz schon geregelt: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung … mit . … Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen … Rechenschaft geben . Das haben wir ja auch mit der Novellierung im letzten Jahr gewährleistet . Da gibt es die einschlägige Vorschrift in § 24 Parteiengesetz.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Woltmann, das ist eine gute Stelle, um Sie mal zu unterbrechen . Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolff?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, wir sind schon jetzt in Zeitverzug . ({0}) Ich möchte gerne weitermachen . ({1}) Es gibt viele Möglichkeiten, wie sich Parteien finanzieren können: über Mitgliedsbeiträge und Spenden, aber natürlich auch über Sponsoring . Sponsoring ist ein legaDietmar Nietan les mögliches Mittel; es ist überprüft worden . GRECO hat gesagt, es sei verfassungsgemäß, es sei alles in Ordnung, wir könnten das so machen . Der werte, geschätzte Kollege Helmut Brandt, der jetzt nicht mehr da ist, hat in seiner Rede am 17 . Dezember letzten Jahres - er ist ja bei uns der zuständige Berichterstatter - schon dazu ausgeführt, dass § 24 Parteiengesetz das auch mit erfasst. Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich betonen: Selbst wenn wir wie auch immer geartete Offenlegungs- und Transparenzregelungen bezüglich des Sponsorings hätten, wäre dieser Fall nicht davon erfasst gewesen . Ich möchte auch daran erinnern, dass sich jeder Abgeordnete - es gibt einen Verhaltenskodex, über den wir diskutiert haben und den wir uns am Anfang dieser Legislaturperiode gegeben haben - fragen muss: Was tue ich? Ist das politisch korrekt? Handle ich richtig? Daran müssen wir uns ausrichten . Wir halten eine weiter gehende Regelung nicht für erforderlich, weil wir glauben, dass § 24 Parteiengesetz das abdeckt . Wenn es gute Vorschläge gibt, wäre ich die Letzte, die darüber nicht noch einmal gerne redet . Aber wie gesagt: Dieser Vorgang wäre davon nicht erfasst gewesen . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . Damit sind wir am Ende der Debatte an- gelangt . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- che 18/10476 mit dem Titel „Parteiensponsoring regeln“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstim- mung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführen- den Beratung an den Innenausschuss und zur Mitbera- tung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz . Nach ständiger Übung stimmen wir zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition beschlossen . Deshalb stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 18/10476 nicht in der Sache ab . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes Drucksachen 18/9985, 18/10351, 18/10444 Nr. 1.9 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) Drucksache 18/10521 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10522 b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Drucksachen 18/9984, 18/10349, 18/10444 Nr. 1.8 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) Drucksache 18/10519 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10520 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen Drucksachen 18/10250, 18/10519 Zu beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ermittlung von Regelbedarfen werden wir später namentlich abstimmen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller . ({5})

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eines ist klar: Die existenzsichernden Leistungen müssen sich an den allgemeinen Lebensverhältnissen und der Wohlstandsentwicklung orientieren; denn Teilhabe muss auch bei Leistungsbezug möglich sein . Deshalb ist der Gesetzgeber zu Recht verpflichtet, regelmäßig die Leistungssätze sowohl im SGB II und im SGB XII als auch im Asylbewerberleistungsgesetz anzupassen . Mit beiden Gesetzen, die wir heute abschließend beraten, kommen wir dieser Verpflichtung nach. Schon der ursprüngliche Entwurf des RegelbedarfsErmittlungsgesetzes sah vor, das soziokulturelle Existenzminimum auf Grundlage des bewährten Statistikmodells erneut zu bemessen . Ich halte fest: Im Ergebnis führt das Gesetz unter anderem zu deutlich höheren Regelbedarfen für Kinder in der mittleren Altersstufe sowie zu moderaten Erhöhungen bei Alleinstehenden und Partnern in Paarhaushalten. Ich begrüße es sehr, dass wir uns im parlamentarischen Verfahren auf weitere Punkte verständigen konnten, von denen viele Menschen in unserem Land profitieren werden . So haben wir zum Beispiel das sogenannte Erstrentenproblem gelöst . Viele Leistungsberechtigte, die keine bedarfsdeckende Rente haben, mussten bislang im ersten Rentenzahlmonat von ihrem Grundsicherungsanspruch leben, weil die Rente erst am Monatsende überwiesen wird. Dadurch konnten Betroffene in der Vergangenheit in eine Notlage geraten . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass Leistungsberechtigte künftig für den entsprechenden Monat ein Überbrückungsdarlehen erhalten, das nur in zumutbarer Höhe zurückgezahlt werden muss . ({0}) Gestern im Ausschuss haben die Oppositionsfraktionen erhebliche Zweifel an der Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts geäußert . Diese Kritik wird auch heute zu hören sein . Dazu sage ich ganz klar: Der Gesetzgeber könnte es sich bei der Bewertung, an welchem Lebensniveau sich das Existenzminimum bemisst, natürlich leicht machen und die Referenzgruppe ganz großzügig bemessen . Dann drückte er sich zwar vor wertenden Entscheidungen in der Sache, erntete jedoch den meisten Applaus . Oder er stellt sich wie die Bundesregierung der Verantwortung und bekennt Farbe bei der Frage: Wie viel braucht ein Mensch zum würdevollen Leben? Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Gesetzentwurf für eine verantwortliche und verantwortbare Neubemessung der Regelbedarfe entschieden . Grundlage ist das bewährte und vom Bundesverfassungsgericht im Kern bestätigte Verfahren unter Beachtung der höchstrichterlichen Urteile . Auch mit dem zweiten heute vorliegenden Gesetzentwurf, dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, nehmen wir verantwortungsvoll notwendige Anpassungen vor . Ich bitte Sie um Zustimmung zu beiden Gesetzentwürfen, damit die Gesetze am 1 . Januar 2017 in Kraft treten können . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Katja Kipping . ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Gewerkschaftsbund sagt zu dem vorliegenden Gesetzentwurf aus dem Hause von Andrea Nahles - Zitat -: Aus unserer Sicht sind die Defizite so schwerwiegend und vielfältig, dass wir fordern, noch einmal ganz neu zu rechnen . - Zitat Ende . ({0}) Recht hat er . Was Andrea Nahles hier vorgelegt hat, ist nichts anderes als das gezielte Kleinrechnen des soziokulturellen Existenzminimums . Und dazu sagen wir als Linke geschlossen Nein . ({1}) Zur Erläuterung: „Soziokulturelles Existenzminimum“ meint, dass der Mensch nicht nur körperlich überleben soll, sondern auch als soziales Wesen überleben muss . Das heißt eben, dass man nicht nur Geld zum Essen braucht, sondern auch, um Freunde zu treffen, zu einem Verein zu fahren oder sich den Bezug einer Tageszeitung leisten zu können . Beim soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich um ein Grundrecht . Hier ist also besondere Sorgfalt gefragt . ({2}) Doch Andrea Nahles hat alle Tricks ihrer Vorgängerin mit CDU-Parteibuch faktisch fortgesetzt. Nur zur Erinnerung, wie der Regelsatz berechnet wird: Mehrere Haushalte halten über drei Monate ihre Konsumausgaben fest, und dann wird von den Ausgaben der ärmeren dieser Haushalte - es sind die unteren 15 Prozent - das Existenzminimum abgeleitet . Sie haben die unteren 15 Prozent der Einkommenshierarchie genommen. Nur, um eine Ahnung davon zu vermitteln, wie arm die Leute sind, von deren Ausgaben wir die Regelsätze ableiten, sage ich: Das durchschnittliche Einkommen dieser Haushalte beträgt 764 Euro . Das heißt, diejenigen, von deren Ausgaben wir das ableiten, leben weit unter der Armutsgrenze . In dieser Gruppe sind verdeckt Arme enthalten . Hinzu kommt, dass Sie jede Menge Abschläge zusätzlich vornehmen . Um einige Beispiele zu nennen: Die Haftpflichtversicherung, die Malstifte für die Kinder in der Freizeit, die Kugel Eis im Sommer, der Grabschmuck, der Weihnachtsbaum, das Glas Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt - das alles und vieles mehr gestehen Sie Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, nicht zu . Ich muss ganz klar sagen: Das, was CDU/CSU und SPD hier machen, ist eine große Bevormundung durch die materielle Daumenschraube, und das ist übel . ({3}) Wenn man nur die offensichtlichen Tricks weglassen würde, müsste der Regelsatz bei mindestens 560 Euro liegen . Nun ist es ja neuerdings Mode geworden, das Problem Armut zu relativieren und zu sagen: Das ist ja nur ein statistischer Effekt. - Ich möchte klar festhalten: Es ist sehr sinnvoll, Armut im Verhältnis zum gesamtgesellschaftlichen Standard zu bemessen . ({4}) Darüber hinaus müssen wir aber auch klar sagen: Hartz-IV-Betroffene hierzulande sind wirklich von materieller Unterversorgung betroffen. Dazu nur einige Zahlen: 34 Prozent - das ist also jeder Dritte - sagen, sie können sich keine notwendigen medizinischen Zusatzleistungen leisten; 59 Prozent sagen, sie können nicht einmal abgenutzte Möbel ersetzen; 69 Prozent der Hartz-IV-Betroffenen sagen, dass sie sich nicht einmal eine Woche Urlaub auf niedrigstem Niveau mit ihrer Familie leisten können; 29 Prozent sagen, dass sie es sich nicht leisten können, Freunde zu sich nach Hause einzuladen . Um es zusammenzufassen: Für viele Menschen hierzulande ist Armut wahrlich kein abstraktes Problem, sondern bittere Realität . Daran muss man etwas ändern . ({5}) Unter diesem Tagesordnungspunkt wird auch der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes behandelt . Das, was Schwarz-Rot hier vorschlägt, ist schäbig . Es ist Ausdruck einer wirklichen Ignoranz gegenüber höchstrichterlicher Rechtsprechung . Ich kann aus Zeitgründen nur auf einen Punkt eingehen. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, die Leistungen um 10 Prozent gekürzt werden sollen. Sie unterstellen damit, dass all diese Menschen quasi in einer eheähnlichen Einstandsgemeinschaft leben . Der Vertreter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes hatte dafür nur ein Wort . Er sagte: Das, was Schwarz-Rot hier macht, ist faktische Zwangsverpartnerung . - Deshalb sagen wir zu diesem Gesetzentwurf ganz klar und entschieden Nein . ({6}) Wir haben angeregt, dass über diesen Gesetzentwurf namentlich abgestimmt wird, und das aus gutem Grund . Ich habe in der Vergangenheit auf so mancher Diskussionsveranstaltung vor Wahlen immer wieder den Eindruck gehabt: Mensch, in der SPD sitzen echt vernünftige Leute, die verstanden haben, dass Hartz IV, dass die Agenda 2010 ein Fehler war, und die kritische Punkte einräumen. - Das Problem ist: Am Tag nach der Wahl ist das offensichtlich nichts mehr wert. Deswegen steht heute jeder von Ihnen ganz persönlich in der Verantwortung . Das, was hier vorliegt, bedeutet ganz klar Armut und materielle Ausgrenzung per Gesetz . Jeder, der diesem Gesetzentwurf zustimmt, sagt Ja zu Armut und Ausgrenzung . Wir als Linke sagen Nein dazu . Wir sagen Ja zu den wirklichen Alternativen . Das sind für uns gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von mindestens 1 050 Euro . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke . - Jetzt hat die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend Gesetzentwürfe, bei denen es um die Neufestsetzung der Regelbedarfe im SGB II und im SGB XII sowie im Asylbewerberleistungsgesetz geht . Es geht also um jene Bereiche unseres Unterstützungssystems, mit denen das Existenzminimum bedürftiger Menschen in Deutschland sichergestellt wird . Uns wurde die Verantwortung zuteil, Wünschenswertes zu berücksichtigen, vor allem aber auch im Rahmen des Machbaren zu bleiben . Schließlich geht es um sehr unterschiedliche Gruppen von Menschen: Die einen sind dazu aufgerufen, für ihren Lebensunterhalt möglichst bald wieder alleine zu sorgen . Die anderen können das aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen nicht mehr . Wenn es ums Geld geht, ist es fast nie möglich, alle Beteiligten - dazu zähle ich Parteien, Interessensverbände oder auch die Bundesländer - zufriedenzustellen . Deshalb hat eine Reihe von Forderungen keinen Zugang ins Gesetz gefunden . Das ist auch gut so . Gleichwohl schaffen wir heute die Grundlage, dass die Hilfebedürftigen in unserem Land weiterhin ausreichende Leistungen im Sinne des Existenzminimums erhalten . Bedürftige können weiterhin darauf vertrauen, durch den Staat und durch die Gemeinschaft unterstützt zu werden . Maßgeblich dafür ist die aktuelle Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2013 . Sie spiegelt die Lebensverhältnisse der Haushalte und Menschen in Deutschland wider und ist damit eine der wichtigsten amtlichen Statistiken . Wir bleiben ganz bewusst bei dieser Methodik zur Berechnung des Regelsatzes, weil sie sich bewährt hat und den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht . Dies haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die Sachverständigen in der erst kürzlich stattgefundenen öffentlichen Anhörung noch einmal bestätigt . Die positiven Signale dieses Gesetzes an die Bürger zeigen sich einmal mehr in mehrfacher Hinsicht . Zum einen profitieren Bedürftige von der guten gesamtwirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Lage in unserem Land . So steigen die Regelsätze im Sozialgesetzbuch II und im Sozialgesetzbuch XII um durchschnittlich 5 Euro und für Kinder im Alter von 7 bis 14 Jahren sogar um 21 Euro. Hier kommen wir den Preissteigerungen der letzten Jahre in vielen Bereichen nach, beispielsweise in den Bereichen Nahrung, Kleidung und auch Energie . Zum anderen sind diese Erhöhungen moderat . Sie sind ein Signal an die vielen Menschen in unserem Land, die diese Leistungen mit ihren Steuern und Einkommen finanzieren . Wir als politische Verantwortungsträger zeigen, dass wir verantwortungsvoll mit den Steuergeldern umgehen . Sozialpolitik ist aber auch oft eine Gratwanderung zwischen Anreiz und Fehlanreiz . Deshalb werden wir als Union unsere Ziele von Sozialpolitik nicht aus dem Blick verlieren. Konkret ist damit das Prinzip von Hilfe zur Selbsthilfe gemeint . Ausufernde Regelsätze und Zusatzleistungen hier und da können dazu führen, dass Hilfe zu Abhängigkeit führt . Das wollen wir vermeiden . Es geht aber auch darum, zu prüfen, ob Leistungen noch zeitgemäß und in der Sache begründet sind . Dies zeigt sich auch bei den Regelsätzen im Asylbewerberleistungsgesetz . Hier kommen wir den vielen Asylrechtsänderungen des vergangenen Jahres nach, und wir entsprechen unserem Anspruch, vorrangig Sach- statt Geldleistungen auszugeben. Dies betrifft die Berechnung der Regelbedarfe . Danach werden wir den notwendigen Bedarf, zu dem Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheitspflege oder auch Haushaltsprodukte zählen, um durchschnittlich 17 Euro reduzieren . Wir führen ebenfalls eine neue, niedrigere Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften ein. Diese Personen teilen sich durch den gemeinschaftlichen Wohnraum die Kosten . Das werden wir künftig im Regelsatz berücksichtigen. Hier schaffen wir in vielerlei Hinsicht Klarheit und auch mehr Gerechtigkeit im Sinne aller, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind . Weiter schaffen wir Klarheit bei den Menschen mit Behinderung, die in einer Wohngemeinschaft leben, zum Beispiel bei den Eltern, bei Freunden oder bei Verwandten . Sie wurden vorher durch die Regelbedarfsstufe 3 erfasst und damit wie Menschen in stationären Einrichtungen behandelt . Das Bundessozialgericht hat uns beauftragt, das zu ändern . Diese Menschen erhalten künftig einen höheren Regelsatz . Meine Damen und Herren, jeder in unserem Land kann darauf vertrauen, dass er in der Not die notwendige Unterstützung bekommt . Wir haben deshalb im Beratungsverlauf die Problematik der Erstrentner ausführlich thematisiert und eine Lösung gefunden . Diese durch Maß und Mitte geprägten Entscheidungen stehen für eine finanzierbare, nachhaltige und damit auch gute Sozialpolitik . Eine Gesellschaft muss sich ihre Standards, die sie sich selbst setzt, auch immer leisten können im Sinne kommender Generationen und des sozialen Friedens innerhalb der Gesellschaft . Genau das setzen wir mit diesem Gesetz um . Vielen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute ein sehr wichtiges Gesetz . Es geht um das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das betrifft die 8 Millionen Menschen, die in Deutschland Mindestsicherungsleistungen beziehen, und eigentlich uns alle, auch die, die Steuern zahlen, weil sich auch der Steuerfreibetrag letztlich aus diesen Berechnungen ableitet . Es ist also ein Gesetz, das uns alle betrifft. Das Existenzminimum wird alle fünf Jahre neu berechnet . Grundlage ist ein sogenanntes Statistikmodell . Es geht aber nicht darum, das Existenzminimum objektiv zu bestimmen, sondern dahinter stecken immer normative Entscheidungen . Die Grundidee ist eigentlich, dass man eine Referenzgruppe, die ein existenzsicherndes Einkommen hat, und deren Ausgaben betrachtet und daraus den Regelsatz ableitet . Was die Bundesregierung jetzt allerdings macht, ist Folgendes: Sie betrachtet eine Referenzgruppe, die sie so ausgesucht hat, dass das Einkommen gerade etwas über dem Grundsicherungsniveau liegt . In dieser Referenzgruppe sind zudem viele Menschen, die weniger als die Grundsicherung haben . Dadurch entstehen Zirkelschlüsse . Ihr Einkommen beträgt gerade einmal 764 Euro . Eigentlich müssten zumindest die Gesamtausgaben der Menschen in dieser Gruppe als Referenzwert genommen werden, aber selbst das macht die Bundesregierung nicht . Von den Ausgaben, die diese Gruppe hat, rechnet sie 140 Euro herunter und rechnet damit das Existenzminimum künstlich klein . Es ist eindeutig, dass das Existenzminimum, das die Bundesregierung hat berechnen lassen, nicht existenzsichernd ist . Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen . ({0}) Ich könnte relativ lange darüber reden, was an der Berechnung der Bundesregierung problematisch ist, und unsere Alternativen ausführlich darstellen . Ich mache das jetzt nicht, weil die drei Minuten, die ich noch habe, dazu nicht ausreichen und ich vermutlich keine zusätzliche Redezeit bekomme. Frau Präsidentin, ich würde das gern machen, lasse das aber und verweise auf die Stellungnahmen der Sozialverbände und den Alternativvorschlag in unserem Antrag, der hier heute auch behandelt wird . Darin steht, wie man das Existenzminimum methodisch vernünftig und existenzsichernd berechnen könnte . Ich empfehle das zum Nachlesen . ({1}) Ich möchte die Zeit nutzen, um auf zwei aus meiner Sicht wichtige Punkte hinzuweisen, die in der Debatte ein Rolle gespielt haben und interessanterweise aus den Reihen der Unionsfraktion angesprochen worden sind, die ich für den sozialen Zusammenhalt bei uns für relevant halte, bei denen ich aber andere Schlussfolgerungen ziehen würde als die Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion . Der eine Punkt ist: Wir haben diese Woche gerade die neuen Zahlen vom Statistischen Bundesamt erhalten, wonach 8 Millionen Menschen in Deutschland Grundsicherungsleistungen beziehen - 8 Millionen, also fast 10 Prozent der Bevölkerung. Nimmt man noch Leistungen nach dem BAföG hinzu, sind es schon 9 Millionen Menschen, die Grundsicherungsleistungen oder ähnliche Leistungen in Deutschland beziehen . Kollege Zimmer hat in der ersten Lesung hier im Plenum sowie gestern im Ausschuss noch einmal betont: Wenn man das Existenzminimum ordentlich berechnete - wie wir das vorschlagen - oder wir dem Vorschlag der Linken folgten, hätten wir nicht 8 oder 9 Millionen, sondern 10 Millionen, 11 Millionen oder noch mehr Menschen, die Grundsicherungsleistungen beziehen . Damit stieße das bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherungssystem an seine Grenzen, was durchaus problematisch wäre . Deswegen ist es aus meiner Sicht wichtig, auch über Alternativen wie das Grundeinkommen nachzudenken und zu diskutieren . ({2}) Man muss aber mindestens dafür sorgen, dass die Menschen, die eigentlich nicht in das Hartz-IV-System, nicht in die Grundsicherung gehören, dort herauskommen . Dafür haben wir in unserem Rentenkonzept Vorschläge unterbreitet - vor allen Dingen die grüne Garantierente -, um Menschen, die lange rentenversicherungspflichtig beschäftigt waren, nicht in die Grundsicherung abrutschen zu lassen . ({3}) Und wir werden morgen Vormittag die grüne Kindergrundsicherung diskutieren, mit der wir es erreichen, dass ein großer Teil der jetzt auf Hartz IV angewiesenen Kinder aus dem Hartz-IV-Bezug herauskommt . Das wäre das Mindeste, was man an der Stelle tun müsste . ({4}) Ich möchte aber auf eine weitere Gruppe verweisen, und damit bin ich bei dem zweiten Punkt, der in der gestrigen Debatte eine Rolle gespielt hat, nämlich: Was ist mit den Erwerbstätigen? Müsste es nicht einen Abstand geben zwischen denen, die erwerbstätig sind, und denen, die das Existenzminimum erhalten? Ja, ich finde schon. Auch wenn das Lohnabstandsgebot nicht mehr gilt und für die Berechnung des Existenzminimums laut Bundesverfassungsgericht keine Rolle mehr spielen darf, müssen wir dafür sorgen, dass Menschen, die erwerbstätig sind, ein höheres Einkommen haben als das Existenzminimum . ({5}) Da sind wir alle gefordert, noch einmal über Maßnahmen nachzudenken, mit denen wir das erreichen . Denn ich glaube, auch der soziale Zusammenhalt ist gefährdet, wenn es nicht möglich ist, durch eigene Arbeit mehr zu bekommen als das Existenzminimum . Das gilt auch für Teilzeiterwerbstätige und Selbstständige . Ich glaube, dass da noch eine wichtige Aufgabe vor uns liegt . ({6}) Auch da könnte ich Vorschläge unterbreiten . Da aber meine Redezeit um ist, ein kurzes Fazit: Wir müssen also an zwei Stellen ansetzen . Wir brauchen auf der einen Seite eine Grundsicherung, die existenzsichernd ist, vor Armut schützt und deren Regelsatz vernünftig berechnet ist . Auf der anderen Seite müssen wir aber dafür sorgen, dass möglichst wenig Menschen in die Grundsicherung abrutschen, und dabei vor allem an die Alten, die Kinder und an die Erwerbstätigen denken . So wird ein Schuh daraus . Die Bundesregierung macht beides nicht, es wäre aber beides dringend notwendig, um den sozialen Zusammenhalt bei uns wiederherzustellen . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön . - Jetzt hat Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und entspricht auch dem gesunden Menschenverstand, dass wir uns die Höhe der Leistungssätze regelmäßig anschauen und den tatsächlichen Lebenshaltungskosten anpassen . Es ist logisch: Wenn die Preise steigen, müssen auch die Sozialleistungen steigen. Deswegen wird regelmäßig eine EVS durchgeführt Herr Strengmann-Kuhn hat ein paar grundsätzliche Dinge dazu gesagt -, die eine statistische Grundlage dafür bietet, sich ein Bild zu machen, was man in Deutschland braucht, um ein würdevolles Leben zu finanzieren und teilhaben zu können . ({0}) Aber Sie haben völlig recht: Es ist eine normative Entscheidung, es gibt nicht den objektiv richtigen Wert dafür . Deswegen führen wir, wenn wir uns ehrlich machen, diese wichtige und auch schwierige Diskussion miteinander . Dieses soziokulturelle Minimum ist in Deutschland Gott sei Dank verbrieftes Recht, und zwar nicht nur für die Empfängerinnen und Empfänger von SGB-II- und SGB-XII-Leistungen, sondern auch für diejenigen Menschen in Deutschland, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten . Dazu möchte ich ein paar Sätze sagen . Auch nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz steigen die Leistungen, weil die Preise gestiegen sind. Wenn Sie sich den Gesetzentwurf anschauen, dann werden Sie allerdings feststellen, dass die Auszahlungsbeträge sinken . Das liegt unter anderem daran, dass nach einer Einigung der Koalitionsfraktionen einige Dinge zukünftig als Sachleistungen erbracht werden, die deshalb aus dem Leistungssatz herausgenommen werden . Dazu sage ich gleich noch mehr . Wir gleichen das Asylbewerberleistungsgesetz an einigen Punkten auch an das SGB XII bzw. das SGB II an. Dadurch gibt es hier eine größere Parallelität; das finde ich auch gut und richtig . Unser System der Sozialgesetzgebung ist sehr kompliziert . Deshalb macht es Sinn, an der einen oder anderen Stelle gleichlaufende Regelungen zu haben . Ich freue mich sehr, dass wir es endlich hinbekommen haben, eine solche gleichlaufende Regelung im Bereich des Ehrenamtes einzuführen. Zukünftig - ich finde das vollkommen richtig - werden bis zu 200 Euro anrechnungsfrei sein, die ein Geflüchteter, der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält, dafür erhält, dass er sich ehrenamtlich einbringt . Das ist genau die gleiche Regelung, die auch schon im SGB XII gilt, und wir freuen uns, dass das jetzt endlich auch für diesen Bereich in Kraft treten wird . ({1}) Wir wertschätzen damit das bürgerschaftliche Engagement von Geflüchteten, das viele von uns auch aus ihren Wahlkreisen kennen . Wir fördern den Optimalfall der Integration und senden das Signal: Liebe Geflüchtete, ihr seid nicht zur Passivität in diesem Land verdammt, sondern wir wollen, dass ihr euch einbringt, dass ihr ein Teil dieser Gesellschaft seid und dass ihr euer Wissen und Können im Sportverein - oder wo immer ihr das mögt - teilt . Das ist die herzliche Einladung, die auch von diesem Gesetzentwurf ausgeht . ({2}) Wir gliedern durch diesen Gesetzentwurf zwei Teile aus und erbringen sie zukünftig als Sachleistungen, und zwar die Leistungen für Strom und für Wohnungsinstandhaltung . Das ist für verschiedenste Konstellationen prinzipiell durchaus sinnvoll, etwa für Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften, die nicht renovieren, wenn sie ausziehen, und wo auch nicht jedes Zimmer einen Stromzähler hat . Diese Ausgliederung steht jetzt im Gesetzentwurf . Wir haben in der Anhörung aber auch durchaus kritische Stimmen gehört; denn das Leben ist bunt . Es leben eben nicht alle Bezieherinnen und Bezieher in Gemeinschaftsunterkünften, sondern manche leben auch in einer privaten Wohnung . Die Kommunen, die genau das fördern, dass Geflüchtete nämlich in privaten Wohnungen untergebracht werden, fürchten zukünftig einen höheren Verwaltungsaufwand, weil sie Stromrechnungen einsammeln und die Renovierungen klären müssen, und das nehmen wir sehr ernst . Außerdem müssen die Betroffenen wissen, dass sie zukünftig ein Recht darauf haben, die Stromkosten und die Kosten für die Wohnungsinstandsetzung abzurechnen . Womöglich wäre hier eine Kannregelung sinnvoller gewesen; denn das Leben ist nun einmal bunt . Wir haben aber etwas anderes getan: Wir werden uns die Regelung und ihre Wirkungen 2018 noch einmal anschauen und genau prüfen, ob wir hiermit den Kommunen einen Gefallen oder ob wir etwas Kontraproduktives tun . Ich denke, wir werden diese Debatte sowieso stets weiterführen, und das werden wir auch an dieser Stelle tun . Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt loswerden, weil das in der Debatte manchmal ein bisschen schräg anklingt: Wir Sozis glauben nicht, dass man durch Leistungskürzungen Geflüchtete abschrecken ({3}) oder davon abbringen kann, nach Deutschland zu kommen . Es gibt auch aktuelle Studien, die genau das belegen . Die Leute kommen wegen der Demokratie, wegen der Freiheit und wegen der Rechtsstaatlichkeit hierher . Wir finden, dass das Bundesverfassungsgericht hier einen wichtigen Rechtsgrundsatz formuliert hat, nämlich, dass die Festlegung des Existenzminimums eben nicht migrationspolitisch motiviert sein darf, und dabei sollte es auch bleiben . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Als Nächstes hat Professor Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ermittlung der Regelbedarfe nach SGB XII ist ein kompliziertes Verfahren . ({0}) Darüber zu streiten, ob das alles trennscharf ist und welche Gruppen hereingerechnet, herausgerechnet, zu welchem Prozentsatz berücksichtigt werden sollen, ist ein unendliches Feld der Freude für die Fachwissenschaftler . ({1}) Der Kollege Strengmann-Kuhn, der ja Fachwissenschaftler ist, hat uns gerade und auch gestern im Ausschuss gezeigt: Das ist auch ein unendliches Feld der Leidenschaft . ({2}) Man kann es anders machen, als wir es gemacht haben, man muss es aber nicht . Mir reicht es, dass das Statistische Bundesamt in der Anhörung bestätigt hat, dass die Berechnung fachlich in Ordnung ist . ({3}) Ähnliches gilt für die Frage der Vereinbarkeit mit der Verfassung . Der Vorwurf der mangelnden Konformität mit der Verfassung ist immer schnell bei der Hand . Jedoch ist das Verfahren 2011 ähnlich durchgeführt worden, ganz ohne Beanstandungen . Für mich bedeutet dies: Die Ermittlung der Regelsätze ist sachgemäß und verfassungskonform . ({4}) Wir als Union haben uns - auch dies sei gesagt - einigen Wünschen des Koalitionspartners verweigert . Aber wir haben das mit guten Gründen getan . Drei Bereiche will ich einmal aufgreifen . Erstens . Unser Koalitionspartner hätte gerne gesehen, wenn wir für sogenannte Weiße Ware den Erwerb über Darlehen bzw . Zuschuss möglich gemacht hätten, also ganz ähnlich, wie es früher nach dem alten Bundessozialhilfegesetz möglich war . Nun ist die Weiße Ware schon Bestandteil des Regelsatzes . Mir ist aber auch klar, dass der dafür vorgesehene Anteil höchst selten zurückgelegt und gespart wird, wie übrigens auch bei den Haushalten, deren Einkommen über dem Niveau von Hartz IV liegt . Ich finde es schwer, zu begründen, dass wir den einen helfen und den anderen sagen: Schaut ihr einmal selbst zu, wie ihr das finanziert. Zweitens: die Frage des Umgangsmehrbedarfs . Ja, es ist richtig: Das ist ein schwieriges Thema . Besonders das Argument des Kindeswohls wiegt schwer . Jedoch gibt es schon heute einen Mehrbedarf für Alleinerziehende; sie sind in der höheren Regelbedarfsstufe 1 eingeordnet . Sie erhalten also mehr Leistungen als verheiratete Paare mit Kindern . Dies jetzt noch einmal auszuweiten, scheint mir zu Unwuchten zu führen, die schwer zu rechtfertigen sind, ({5}) zumal unsere Bedenken, was die systematische Benachteiligung von Familien und eingetragenen Partnerschaften durch die unterschiedlichen Regelbedarfsstufen betrifft, nicht ausgeräumt sind. Drittens: die Ausweitung des Bildungs- und Teilhabepakets auch auf Nachhilfe zum Bildungsaufstieg . Ich sage offen: Hier hat es bei uns sehr kontroverse Diskussionen gegeben . Richtig ist: Der Zusammenhang von sozialer Lage und Bildungschancen muss durchbrochen werden. Richtig ist aber auch: Die Förderung von Potenzialen im Bildungsbereich ist eine Aufgabe der Schulen, mithin eine öffentliche Aufgabe. Warum soll ich eine genuin öffentliche Aufgabe privatisieren? Warum sollte ich hier Anreize für eine Nachhilfeindustrie setzen? Nein, ich jedenfalls halte dies für falsch . Bildung ist Aufgabe der Schulen, nicht das Geschäft der Nachhilfe . Die Schulen sollen ihren Job richtig machen . Bildungspolitik ist die Aufgabe der Länder . Den Bund durch die Hintertür in diese Aufgabe mit hineinzubringen, halte ich für falsch . ({6}) Ein letzter Gedanke . Transferleistungen müssen erwirtschaftet werden . Sie werden auch von denjenigen erwirtschaftet, deren Einkommen nur einen Wimpernschlag über der Grenze für den Bezug der Sozialleistungen liegt . Die Legitimität des solidarischen Miteinanders in unserer Gesellschaft hängt aber wesentlich davon ab, dass wir nicht die Ränder stärken, sondern die Mitte der Gesellschaft, dass wir den Menschen, die arbeiten und keine Transferleistungen erhalten, das Gefühl geben: Ihr seid uns wichtig, und zwar nicht nur als Zahlmeister für gesellschaftliche Randgruppen . ({7}) Wenn wir den Populismus bekämpfen wollen, müssen wir deutlich machen: Wir wollen nicht die gesellschaftlichen Ränder auf Kosten der Mitte stärken, sondern die Randgruppen in die Mitte integrieren . ({8}) Über das, was dies bedeutet, waren wir in der Koalition durchaus unterschiedlicher Meinung. Ich finde es richtig, diese Differenzen deutlich zu machen. Sozialpolitische Probleme sind aus unserer Sicht manchmal eben auch ordnungspolitische Probleme und nicht, wie es manch einer denken mag, lediglich finanzpolitische Probleme. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die gesellschaftliche Ressource Solidarität nicht überstrapazieren dürfen, wenn wir sie erhalten wollen. Der Populismus dieser Tage nährt sich nämlich gerade von der Zersetzung und der Delegitimierung dieser Ressource . „Wehret den Anfängen“ könnte dann nämlich auch heißen, auch und gerade in schwierigen Diskussionen über Bedarfe den Blick auf das Gemeinwohl und die Gesamtgesellschaft nicht zu verlieren . Vielen Dank . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über Gesetze, die mehr als 8 Millionen Menschen in Deutschland betreffen, davon allein 2 Millionen Kinder und noch einmal 260 000, die über den Kinderzuschlag von dem betroffen sind, was wir hier und heute beschließen . Wir haben uns bei der Methodik für das sogenannte Statistikmodell entschieden . Ich gebe allen Rednerinnen und Rednern recht, die heute gesagt haben: Wir müssen an dieser Stelle ganz besondere Sorgfalt walten lassen, weil es um viele Menschen geht . Es geht nicht nur um diejenigen, die im Leistungsbezug nach dem SGB II sind, die Arbeitslosengeld bekommen, die manchmal jung sind und an ihrer Situation noch etwas verändern könnten, sondern es geht auch um diejenigen, die alt und krank sind, die mit einer Behinderung leben und denen es deswegen nicht mehr möglich ist, an ihrer Situation etwas zu ändern . Genau deswegen müssen wir eine besondere Sorgfalt an den Tag legen . ({0}) Auch müssen wir eine besondere Sorgfalt walten lassen, weil es um viele Kinder geht . Frau Lösekrug-Möller hat es gesagt: Wir erhöhen die Regelbedarfsstufe 5 um 21 Euro . Das ist super für all diejenigen, die jetzt diese 21 Euro mehr bekommen . ({1}) Aber dies ist auch ein Hinweis darauf, dass wir uns vielleicht noch einmal genau angucken müssen, ob unsere Methodik wirklich ein valides Verfahren darstellt, um gerade für die Kinder angemessene Regelsätze zu ermitteln . Ich glaube, da haben wir eine Aufgabe für die Zukunft . ({2}) Die SPD hat es sich zur Aufgabe gemacht, die konkreten Probleme zu lösen, die uns in unseren Bürgersprechstunden, bei Gesprächen, die wir führen, auf den Tisch gelegt werden . Das war zunächst einmal die Frage der sogenannten Erstrenten, zu denen auch die Staatssekretärin schon etwas gesagt hat . Wer Arbeitslosengeld bezieht und dann in Rente geht, der hat bislang zu Beginn des Monats sein Geld bekommen, bekommt es dann zum Ende des Monats und hat einen Zeitraum vor sich liegen, in dem er sehen muss, wie er zurechtkommt . Das wollen wir jetzt mit einem Darlehen unterstützen, das nicht vollständig abbezahlt werden muss . Ich glaube, diese Problemlösung ist mehr als angemessen angesichts einer solchen Lücke im sozialen System . ({3}) Wir hätten gerne dasselbe Prinzip, nämlich dass wir die Menschen nicht aus der Verantwortung lassen, ihnen aber auch nichts aufbürden, was sie am Ende des Tages nicht leisten und nicht stemmen können, auch für die sogenannte Weiße Ware oder für unerwartet steigende Stromkosten angewandt . Leider hatten wir die Kraft in dieser Koalition nicht, das auch umzusetzen . ({4}) Wir haben eine weitere Diskussion geführt . Dabei ging es um die Frage der Mobilität . Auch da haben wir im Vergleich zu der Regelbedarfsermittlung der letzten Legislatur eine deutliche Verbesserung erzielt . Aber wir haben noch immer nicht das Problem gelöst, das Menschen haben, die im ländlichen Raum leben . Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist . Ich komme aus dem ländlichen Raum . Nicht alles, was man zum Leben an Mobilität haben muss, ist über den öffentlichen Personennahverkehr gewährleistet . Ab einem bestimmten Alter und auch ab einer bestimmten Steigung ist auch nicht mehr alles wirklich zwingend mit dem Fahrrad zu erledigen . ({5}) Ich bin froh, dass wir mit einem Gesetz, das wir heute Morgen beschlossen haben, wenigstens erreichen konnten, das Schonvermögen im SGB XII so zu erhöhen, dass ein günstiger Pkw darunterfällt. Das ist zumindest ein kleiner Schritt . ({6}) Ich bin besonders traurig darüber, dass wir Folgendes nicht geschafft haben - Ordnungspolitik hin oder her; die Debatte hätten Sie schon mit Frau von der Leyen führen müssen, als Sie das Grundprinzip eingeführt haben -: Die jetzige Situation, dass Lernförderung in Form von Nachhilfe nur für diejenigen Kinder gilt, die akut davon betroffen sind, sitzen zu bleiben, und ich keine Möglichkeit habe, denjenigen Kindern Nachhilfe zu geben, die das Potenzial, das Talent und den Willen haben, sich zu verbessern, vom B- in den A-Kurs, von der Hauptschule in die Realschule zu kommen, ist etwas, was ich schon ziemlich bitter finde und was wir uns hätten leisten müssen . ({7}) Ein weiterer Punkt war die Frage des Umgangsmehrbedarfs . Auch dazu haben wir eine lange Diskussion geführt . Dabei geht es darum, dass Menschen, die ihre Kinder in zwei Haushalten aufziehen, weil sie getrennt leben, einfach höhere Kosten haben, und diese an dieser Stelle auch berücksichtigt werden müssten . Dazu, das durchzusetzen, hatten wir ebenfalls nicht die Kraft - ich hoffe, dass wir auch das irgendwann wieder auf die Tagesordnung setzen können -; ({8}) das ist sehr schade . Auch das wäre eine wichtige sozialpolitische Maßnahme gewesen . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Schmidt, denken Sie bitte an die Zeit .

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke an die Zeit, habe aber noch einen grundsätzlichen Punkt, den ich gerne loswerden möchte. Da hier immer nur über die Höhe der Transferleistungen geredet wird: Es geht nicht nur um die Höhe der Transferleistungen, sondern auch um eine soziale Infrastruktur, die wir für alle Menschen ausbauen müssen . Wenn ich mir anschaue, was diese Koalition für die Kommunen auf den Weg gebracht und geleistet hat, dann kann ich nur feststellen, dass das ein wichtiger sozialpolitischer Beitrag ist . ({0}) Dagmar Schmidt ({1}) Wir dürfen diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, nicht vernachlässigen . In diesem Sinne: Glück auf und noch einen schönen Abend! ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Tobias Zech das Wort . ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist unser gesetzlicher Auftrag, über die Regelbedarfe zu entscheiden . Deshalb sind wir heute hier . Ich möchte Sie aber auch daran erinnern, dass wir aufgrund unseres christlichen, wertegeleiteten Menschenbildes die Aufgabe haben, Regelsätze zu bestimmen, die eine gesellschaftliche und kulturelle Teilnahme am Leben ermöglichen . Das ist uns hiermit gelungen . In der katholischen Soziallehre geht es um Solidarität und Subsidiarität, aber auch um die Achtung des Gemeinwohls . Alle drei stehen nebeneinander . Alle drei sind gleich wichtig . Alle drei erfüllen wir mit den beiden Gesetzen . Die Gesetze sind sachlich richtig und verfassungsgemäß . Die Berechnungen stimmen . Somit können wir ohne Weiteres zustimmen . Wir stimmen heute über den Entwurf eines Gesetzes ab, das in der Regel höhere Regelbedarfe vorsieht . Meine Vorredner haben schon erwähnt, dass die Regelbedarfserhöhung bei Kindern zwischen 14 und 17 Jahre 21 Euro beträgt . Natürlich nutzen wir die Einkommensund Verbrauchsstichprobe, um beide Gesetze, sowohl das Asylbewerberleistungsgesetz als auch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen, zu evaluieren und weiterzuentwickeln . Wenn wir an die Diskussionen in den 80er-Jahren zurückdenken, als es noch darum ging, ob eine Kinokarte oder eine Zugfahrkarte zum Warenkorb gehören, dann können wir feststellen, dass die Methodik, die wir jetzt anwenden, wesentlich transparenter, ehrlicher und näher an den Menschen ist . ({0}) Wir haben auch Änderungen vorgenommen . Liebe Dagmar Schmidt, es sind sicherlich nicht alle Änderungen berücksichtigt worden, die wünschenswert gewesen wären . Aber wir haben das Gesetz geändert, und zwar in die richtige Richtung . Wir haben die Überbrückung der Erstrenten eingeführt; das ist wichtig . Kollegin Mast, das, was wir nun korrigieren, hat Rot-Grün eingeführt . Wir haben es nun gemeinsam repariert . Es gibt allerdings noch viel zu reparieren . Seien Sie doch einmal zufrieden mit dem, was wir geändert haben . Der Teufel steckt bekanntlich im Detail . Die Nachhilfe wurde bereits als Beispiel genannt . Der Kollege Zimmer hat sehr eindrucksvoll dargelegt, wo überall Schwierigkeiten bestehen . ({1}) - Das sehen Sie anders als ich . Aber Sie erlauben mir sicherlich meine eigene Meinung . Ich gestehe Ihnen Ihre eigene auch zu . So schwierig das alles im Detail ist - wir haben das in der Anhörung und in der sehr emotionalen und guten Ausschusssitzung erlebt -, so wichtig ist, dass wir die Grundpfeiler Solidarität, Gemeinwohl und Subsidiarität nicht vernachlässigen . Bildung ist in diesem Land Ländersache . Daher dürfen wir die Länder auch nicht der Exkulpation zuführen . Die Länder haben sich darum zu kümmern, dass jedem Kind - gleich welcher sozialen Herkunft und gleich welcher finanziellen Verhältnisse Bildungschancen eröffnet werden. Wir müssen die Länder in die Pflicht nehmen und dürfen nicht in vorauseilendem Gehorsam finanzieren. Wir beschließen zudem Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes . Diese sind folgerichtig . Wir folgen somit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom April dieses Jahres . Wir werden alles dafür tun, um die Sachleistungen in den Vordergrund zu stellen . Sie dürfen mit Geldleistungen verrechnet werden; das ist richtig . Kollege Strengmann-Kuhn, das ist auch verfassungskonform und ist somit nicht zu kritisieren . Wir müssen das Asylbewerberleistungsgesetz aufgrund der Diskussionen in unserem Land und aufgrund des Populismus, der über das Thema Asyl über uns alle hereinbricht, offen und transparent debattieren. Das tun wir heute . Dazu ist die Änderung im Gesetz notwendig . Wir haben neben dem Fokus auf Sachleistungen statt Geldleistungen mit der Adaption der Regelung über die Steuerfreiheit von ehrenamtlichen Bezügen analog zum SGB XII auch Erleichterungen geschaffen. Diese Erleichterungen können für eine bessere Integration genutzt werden . Es ist ein schwieriges Thema . Der Teufel liegt im Detail . Man kann über jede einzelne Ausgabe länger streiten . Ich bin mir aber sicher, dass wir hier zwei Gesetze verabschieden, die den Grundgedanken der Werte der sozialen Marktwirtschaft in diesem Land gerecht werden . Wir dürfen und müssen uns bei unserer Politik an den Rändern orientieren, aber wir müssen immer die Mitte im Fokus haben. Das schaffen wir damit. Ich bitte um Zustimmung . Herzlichen Dank . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen nun zu den Abstimmungen . Zunächst kommen wir unter Tagesordnungspunkt 9 a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10521, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Ihnen bekannten Drucksachen in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejeDagmar Schmidt ({0}) nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Wer dem Gesetzentwurf in dieser Ausschussfassung zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Das läuft auf ein ähnliches Abstimmungsergebnis hinaus . Wer ist dagegen? ({1}) - Ja, der Hinweis ist völlig richtig . - Wer nicht gegen das Gesetz stimmen will, der möge sich von den noch gar nicht freigegebenen Urnen entfernen . ({2}) Selbst wenn ich jetzt zugunsten der Opposition eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die immerhin am Rande des Plenums hinten stehen, den abgegebenen Neinstimmen hinzurechnen würde, wäre das Erste immer noch die Mehrheit . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . ({3}) - Der Versuch war zulässig . Er ist auch mit dem entspre- chenden Ergebnis abgewickelt worden . Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/10531 ab . Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei umgekehrter Stim- menverteilung ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt . Unter dem Tagesordnungspunkt 9 b geht es um die Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10519, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschussfas- sung anzunehmen . Diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen - - Da gibt es schon wieder das gleiche Problem. Ich ma- che schon vorher darauf aufmerksam: Es beschleunigt das Verfahren nicht, wenn sich alle um die noch nicht vorhandenen Abstimmungsurnen drängen . Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Gesetzent- wurf in zweiter Beratung angenommen . Jetzt muss sich jeder, der steht, überlegen, wofür er stimmen will . Jedenfalls können Sie nicht gleichzeitig für und gegen den gleichen Gesetzentwurf stimmen . Es gibt auch noch ein paar einzelne Plätze. Insofern ist es zumutbar, sich zu setzen . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion Die Linke über den Gesetzentwurf namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist offenkundig der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei- ne Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis teilen wir dann anschließend mit .1) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/10532 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Leichte Irritation bei der Fraktion der Grünen? - Seid ihr wieder sortiert? ({4}) - Gut . - Wer stimmt dafür? - Die Antragsteller . Wer stimmt dagegen? - Die Koalition . Wer enthält sich? Die Grünen . Ja, passt doch . Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt . Tagesordnungspunkt 9 c . Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 18/10519 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Mit den Stimmen der Koalition ist die Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche Interessenvertretung sicherstellen - zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Katja Keul, Dr . Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Betriebsrätinnen und Betriebsräte braucht das Land Drucksachen 18/5327, 18/2750, 18/7595 1) Ergebnis Seite 20587 C Präsident Dr. Norbert Lammert Das soll in 38 Minuten abgehandelt werden . Hat jemand weiter gehende Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall . Dann versuchen wir das einmal . Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Bernd Rützel für die SPD-Fraktion das Wort. ({6})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Es ist mir völlig unverständlich, dass die Mitbestimmung trotz ihrer wirklich großen Erfolge so in die Defensive geraten ist - ja, das ist sie - ; deshalb bin ich den Linken und den Grünen wirklich dankbar, dass sie dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen . ({0}) Sie stoßen bei uns auf offene Ohren. Gleichwohl will ich Ihnen sagen, dass Ihre Anträge zwar grundsätzlich in die richtige Richtung gehen, von uns aber nicht angenommen werden können . Das liegt einerseits an manchem Unausgegorenem, aber andererseits auch daran - das ist kein Geheimnis -, dass wir mit unserem Koalitionspartner nicht allzu viel aus dem Bereich Mitbestimmung in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln konnten . Kaum jemand hier im Hause wird wohl bestreiten, dass die Mitbestimmung seit Jahrzehnten eine tragende Säule der deutschen Sozial- und Wirtschaftspolitik ist, dass sie Ausgleich und sozialen Frieden schafft. ({1}) Die Mitbestimmung hat uns Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktionsfortschritt und Planungssicherheit für die Unternehmen gesichert. Selbst Michael Rogowski, der noch 2004 als Präsident des BDI die Mitbestimmung als „Irrtum der Geschichte“ bezeichnet hat, dürfte spätestens seit der Finanzkrise bekehrt sein; ich hoffe es zumindest. Dank der Mitbestimmung ist Deutschland so gut wie kein anderes Land durch die Finanzkrise 2008/2009 gekommen . ({2}) Dank ihr gibt es ein seit Jahrzehnten erprobtes Vertrauensverhältnis zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern . Eben durch dieses Vertrauensverhältnis konnten Beschäftigte und Arbeitgeber gemeinsam Massenentlassungen und Betriebsschließungen oftmals verhindern . Auch Gerhard Cromme, der damalige Aufsichtsratsvorsitzende von ThyssenKrupp und von Siemens bestätigte im März 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Die Mitbestimmung in Deutschland hat in der Krise enorm geholfen . Dennoch haben nur 42 Prozent aller Betriebe in Westdeutschland und nur 33 Prozent aller Betriebe in Ostdeutschland eine betriebliche Interessensvertretung . ({3}) Deswegen müssen wir die Mitbestimmung stärken . Übrigens, neulich hatte ich in meinem Wahlkreisbüro die Gewerkschaft der Profifußballer zu Gast. ({4}) - „Oh!“ - Sie sind organisiert; sie haben sich organisiert . Das sollte manchem vielleicht zu denken geben. Ich finde es sehr gut, dass sich die Profifußballer organisieren. Das sollte ein Beispiel für viele andere sein . Einige Arbeitgeber fürchten aber Betriebsratsgründungen wie der Teufel das Weihwasser . ({5}) Sie wehren sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, teilweise am Rande der Legalität und oftmals auch darüber hinaus . Sie bekämpfen systematisch die Gründung von Betriebsräten . Dementsprechend ist mittlerweile ein juristisches Beratungsfachgebiet entstanden . Wo man früher vielleicht noch versuchte, den einen oder anderen Vorgang einer Betriebsratsgründung durch Zugeständnisse oder durch eine Schönrednerei aus dem Weg zu räumen, so beauftragt man heute sofort Kanzleien - sehr teure Kanzleien - und greift auch sofort zur Kündigung . Man heizt das Union Busting deutlich an . Erst letzte Woche habe ich mit Vertretern der IG Metall zusammengesessen . Die Geschichten, die ich dort über Schikanen, Benachteiligungen, Verdächtigungen und Abmahnungen hörte, waren haarsträubend . ({6}) Wir brauchen eine bessere Lösung mit Blick auf die Strafverfolgung . Ich habe das selber in meinem Wahlkreis miterlebt, als eine Großbäckerei - ich habe das an dieser Stelle schon einmal ausgeführt - ihren gewählten Betriebsratsvorsitzenden entlassen hat - trotz der Unterstützung durch die Gewerkschaft NGG, trotz riesengroßer Medienkampagnen und Berichterstattungen in der Zeitung und im Fernsehen, trotz aller Interventionen von Mandatsträgerinnen, von Abgeordneten . Der Mann war raus . Er hat verloren, ist zermürbt und kann auch nicht mehr zurück . Für Unternehmen, die solche Methoden anwenden, fehlen mir die Worte . Sie werden jedenfalls nicht erfolgreich sein . Ich war lange selber Betriebsrat . Ich war Jugendvertreter, später Personal- und dann Betriebsrat. Ich weiß, dass die Politik die Mitbestimmung - da hast du vollPräsident Dr. Norbert Lammert kommen recht, Beate - und damit die Personal- und Betriebsräte stärken muss. Die Politik ist hier gefordert. ({7}) Die Mitbestimmung ist ein Erfolgsmodell, auch wenn das nicht oder vielleicht noch nicht allen Arbeitgebern klar ist . Deutschland geht es gut - nicht trotz der Mitbestimmung, sondern wegen der Mitbestimmung . Vielen Dank . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jutta Krellmann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke . ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was fangen wir damit jetzt an? ({0}) Arbeitgeber, die Betriebsräte systematisch behindern, gehören ins Gefängnis! - Das ist eine von 300 Antworten auf die Frage, wie Betriebsräte besser geschützt werden können . ({1}) - Da steht: Gefängnisstrafen für Geschäftsführer und Vorstände . ({2}) - Das will ich gerade erzählen . Zuhören! Darüber hat Die Linke letzten Freitag mit 250 Betriebs- und Personalräten im Bundestag diskutiert. Die Schärfe der Forderung zeigt die tiefe Empörung der Betroffenen. ({3}) Im Gegensatz zu bezahlten Managern werden Betriebsräte von der Mehrheit der Beschäftigten im Betrieb gewählt . Aber wer sich für Demokratie im Betrieb einsetzt, der lebt gefährlich . Denn Betriebsräte oder Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, werden zunehmend eingeschüchtert, systematisch kaltgestellt oder direkt gekündigt . Ob im Einzelhandel, der Systemgastronomie oder anderswo: Einige Arbeitgeber wollen betriebsrats- und gewerkschaftsfreie Zonen schaffen, und dazu scheint ihnen jedes Mittel recht . Dazu engagieren sie Anwälte, die die Betroffenen mit Kündigungen überziehen, egal, ob berechtigt oder nicht . Dazu beschäftigen sie Detektive, die die Betroffene ausspionieren. Im Kern geht es darum, die Betroffenen mürbe zu machen und sie zu brechen . Dieses System nennt sich Union Busting und wird in Deutschland immer salonfähiger . Demokratie darf aber nicht am Werkstor enden! ({4}) Richtig ist: Verstöße gegen die Betriebsverfassung sind kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat . Im Betriebsverfassungsgesetz heißt es in § 119: „Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Wahl des Betriebsrats ... beeinflusst“ oder dessen Tätigkeit „behindert oder stört“ . Ich bin seit 30 Jahren Gewerkschaftssekretärin, aber ich kenne keinen Arbeitgeber, der wegen Betriebsratsbehinderung wirklich im Knast gelandet ist . Um Straftaten festzustellen, bräuchten die Arbeitsgerichte Ermittlungskompetenzen wie jedes andere Gerichte auch . Hier muss der Gesetzgeber handeln: ({5}) Wir brauchen Schwerpunktstaatsanwaltschaften, um solche Vergehen gezielt zu verfolgen . ({6}) Aber der Gesetzgeber kann oder könnte noch mehr tun . Die Linke fordert ein einheitliches Wahlverfahren und fordert, dass der Kündigungsschutz für alle Kandidierenden ausgeweitet und verlängert wird . ({7}) Der Einsatz von externem Sachverstand muss erleichtert werden . Genauso muss die Freistellung an heutige Anforderungen angepasst werden . Wir fordern eine Beweislastumkehr bei der Feststellung der Erforderlichkeit von Betriebsratsarbeit . Es kann doch nicht sein, dass beispielsweise bei H&M eine Teilzeitbeschäftigte durch Gehaltskürzung wegen ihrer Betriebsratstätigkeit in ihrer Existenz bedroht wird . ({8}) Den Bundesregierungen der letzten 20 Jahre verdanken wir neben zwei Klassen von Belegschaften auch zwei Klassen von Betriebsräten: Betriebsräte, die seit Jahrzehnten verankert sind - der Kollege Rützel hat dazu schon etwas gesagt -, und Betriebsräte in Betrieben, in denen es bisher keine Mitbestimmung gab und die den Allmachtsfantasien ihrer Arbeitgeber schutzlos ausgeliefert sind. Politik muss diejenigen schützen, die von ihren Arbeitgebern zum Abschuss freigegeben werden . ({9}) Die Arbeitswelt verändert sich, aber der Konflikt bleibt der alte: der Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital . Auch bei der Arbeit der Zukunft ist die entscheidende Frage, ob diejenigen, die die Werte erarbeiten, mitentscheiden können oder nicht . Unser Antrag ist heute nur der Anfang . Wir streiten auch 2017 im Bundestag für die Rechte der Betriebsräte . Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie könnten heute schon etwas machen. Ich wundere mich sehr, dass Sie einerseits Betriebsräte unterstütBernd Rützel zen, aber heute vermutlich gegen unseren Antrag stimmen werden . Das ist doch einfach nicht glaubwürdig . ({10}) Ziehen Sie die Korsettstangen ein, und stimmen Sie gemeinsam mit uns für den Antrag, damit für die Betriebsräte da draußen endlich etwas passiert, damit sie ihren Glauben an die Politik wiederfinden und sehen, dass für sie etwas gemacht wird . Vielen Dank . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Unionsfraktion hat jetzt der Kollege Wilfried Oellers das Wort . ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist nicht nur ein wirtschaftlich starkes Land, sondern wir leben hier auch die weltweit ausgeprägteste Form der Beziehung zwischen Unternehmer und Mitarbeiter . Das ist, auch was die Gesetzgebung betrifft, maßgeblich auf unionsgeführte Regierungen zurückzuführen . ({0}) Sie wird getragen von der Tarifautonomie und der betrieblichen Mitbestimmung . ({1}) Neben dem erfolgreichen Unternehmertum in Deutschland mit den vielen mittelständischen und familiengeprägten Unternehmen, den Groß- und Kleinbetrieben mit ihren klugen Köpfen sind es aber gerade auch diese beiden Säulen der industriellen Beziehung, die Deutschland und die Menschen zu Wohlstand gebracht haben . Wie wichtig dies für eine erfolgreiche und funktionierende Wirtschaft ist, dafür, wie gut und verlässlich sie funktioniert, das sieht man insbesondere in Krisenzeiten; Bernd Rützel hat es schon angesprochen . Gerade die Erinnerungen an 2009 zeigen, wie wichtig es war, dass man auf diese beiden Säulen zurückgreifen konnte . Gerade diese beiden Säulen waren es, die uns weitgehend schadlos durch die Krise geführt haben, aber vor allen Dingen anschließend noch viel stärker aus der Krise haben herauskommen lassen . Das sehen wir heute insbesondere an dem historischen Tiefststand der Arbeitslosenzahl - circa 2,5 Millionen Arbeitslose - und an der Rekordbeschäftigungszahl . ({2}) In dieser Beziehung ist es wichtig, dass Verständnis für die Situation des jeweils anderen aufgebracht wird und dass Lösungen gefunden werden, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen . Das ist natürlich nicht immer einfach . Es führt zu intensiven und kontroversen Diskussionen . Schließlich wollen beide Seiten vorankommen: Die Unternehmer wollen auf der einen Seite bestimmte Vorstellungen umsetzen, wie man den Betrieb erfolgreich weiterentwickeln kann . Auf der anderen Seite möchten die Mitarbeiter eine Teilhabe an den Erfolgen erhalten, insbesondere aber auch in bestimmten Angelegenheiten mitreden können, Einfluss nehmen können und Ideen einbringen können . Wichtig erscheint mir in diesem Verhältnis, dass beide Seiten bei ihrem Handeln stets im Auge behalten, was der jeweils andere tut . Da, wo es funktioniert, funktioniert es wirklich richtig gut . Dort sind auch die Betriebe erfolgreich . ({3}) Natürlich ist es wünschenswert, dass von diesem erfolgreichen Modell, so gut es geht und so viel es geht, Gebrauch gemacht wird . Die Beschäftigtenzahlen, die durch die heute in Rede stehenden Betriebsräte vertreten werden, sind, wenn man die letzten 15 Jahre betrachtet, leider leicht rückläufig. Dabei ist festzustellen, dass mit zunehmender Betriebsgröße der Organisationsgrad zunimmt . Kleinere Betriebe - das verwundert natürlich nicht - haben oft keinen so großen Organisationsgrad . Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass dort engerer Kontakt zu dem Unternehmen besteht und dass das Näheverhältnis dazu führt, dass Probleme konkreter angegangen werden . Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass es neben den Betriebsräten auch weitere Einrichtungen gibt, wie zum Beispiel die Schwerbehindertenvertretung oder die Frauenbeauftragten in Unternehmen, die Interessen wahrnehmen . Sicherlich ist zu berücksichtigen, dass die Mitbestimmung in den unterschiedlichsten Branchen auch unterschiedlich stark verankert ist . Das hat aber auch zum Teil historische Gründe . Zu betonen ist allerdings, dass die Rechte der Betriebsräte im Betriebsverfassungsgesetz umfassend geregelt sind . Bereits ab fünf Mitarbeitern kann ein Betriebsrat gegründet werden . Er hat dann umfangreiche Rechte wie Unterrichtungsrechte, Anhörungsrechte, Informationsrechte, Mitbestimmungsrechte, Beratungsrechte usw . Sie beziehen sich nicht nur auf Personalangelegenheiten, sondern unter anderem auch auf die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsabläufen . Betriebsräte genießen auch einen speziellen Kündigungsschutz . Deswegen kann ich das Beispiel, das du, Bernd, zitiert hast, nicht nachvollziehen; aber das scheint es ja zu geben . ({4}) Zu erwähnen ist, dass in dem Gesetzespaket zu den Werkverträgen und zur Zeitarbeit die Informationsrechte der Betriebsräte konkretisiert worden sind . ({5}) Darüber hinaus erlaube ich mir auch, darauf hinzuweisen, dass wir heute Morgen mit dem BundesteilhabegeJutta Krellmann setz auch die Rechte der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt haben . Das ist sicher ein anderes Thema, ({6}) aber ich möchte es trotzdem an dieser Stelle erwähnt haben . Insgesamt denke ich, dass die derzeitige Rechtslage umfangreich ist und viele Schutzmechanismen hat . Sie stellt ein ausgewogenes Konstrukt dar . Schaue ich mir die Anträge an, die heute zu diskutieren sind, so möchte ich dazu sagen, dass sie entweder nicht nötig - ich erläutere das gleich näher - oder vielleicht etwas unverhältnismäßig sind . Ich komme zu dem Beispiel, dass Mitglieder in Wahlvorständen und Beschäftigte, die erstmals die Wahl eines Betriebsrats einleiten wollen, dem Schutz des § 119 Betriebsverfassungsgesetz unterstellt werden sollen . Hier geht es um die Ahndung von Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder . Nach meiner Auffassung haben wir an dieser Stelle eine Regelung, wenn wir § 20 Betriebsverfassungsgesetz mit § 119 Betriebsverfassungsgesetz in Verbindung bringen . Eine weitere Forderung ist, befristet Beschäftigte, die in einen Betriebsrat gewählt werden, dem umfassenden Schutz des § 78a Betriebsverfassungsgesetz zu unterstellen . Das hätte zur Konsequenz, dass aus einem befristeten Arbeitsverhältnis im Ergebnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis werden würde . Das allerdings verstößt gegen § 78 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz - für die Zuhörer mag das alles jetzt sehr juristisch sein, aber ich bin nun einmal Jurist -, in dem geregelt ist, dass Betriebsratsmitglieder weder benachteiligt, aber auch nicht bevorteilt werden dürfen . Wenn jemand, der befristet beschäftigt ist, in den Betriebsrat gewählt wird und dann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bekommt, ist das eine Bevorteilung dieser Person, was zumindest nach dieser Norm nicht zulässig ist . Dann müsste man konsequenterweise hingehen und diese Norm auch abschaffen, aber das fordern Sie hier nicht . ({7}) Deswegen ist der Antrag an dieser Stelle etwas unschlüssig . ({8}) Dabei sei auch erwähnt, dass man, wenn man eine solche Forderung stellt, konsequent sein muss und keine Rosinenpickerei betreiben sollte . ({9}) Darüber hinaus werden weitere Kündigungsschutzrechte verlangt . Ich habe eben erwähnt, dass der Kündigungsschutz für Betriebsräte eigentlich schon umfassend ist . Außerdem wird eine Meldepflicht bei Verstößen gefordert. Da soll eine entsprechende Einrichtung geschaffen werden, bei der sie dann gemeldet werden sollen . In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hinweis, dass sämtliche Verstöße, die im Ergebnis festgestellt werden, natürlich auch gerichtlich festgestellt werden müssen . ({10}) - Doch. - Die Verhandlungen sind öffentlich. Deswegen hat jeder im Ergebnis Zugang zu den Entscheidungen, sodass ich denke, dass eine Meldepflicht an dieser Stelle nicht nötig ist . - Daher lehnen wir die Anträge ab . Abschließend möchte ich vielleicht noch folgende Anmerkung machen: Auch wir von der Unionsfraktion sind der Auffassung, dass es sehr wünschenswert ist, wenn wir eine hohe Zahl von Betriebsräten haben . Das haben wir auch nie in Abrede gestellt . Aber es muss im Ergebnis auch die Entscheidung der Mitarbeiterschaft eines Unternehmens sein, ob sie es machen will oder nicht . ({11}) Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zitate aus der letzten Debatte nennen . Da wurde zum Beispiel gesagt - ich zitiere -: „Nur mitbestimmte Arbeit ist gute Arbeit .“ Ich persönlich würde das nicht unterschreiben, weil man damit der Freiheit der Mitarbeiterschaft bei der Entscheidung darüber, ob man einen Betriebsrat gründet, doch etwas widerspricht . Darüber hinaus wurde in der letzten Sitzung - es wurde heute nicht erwähnt, aber ich erwähne es trotzdem - „eine kämpferische Mitbestimmung in den Betrieben“ gefordert . Da muss ich sagen: Das sind Formulierungen, die eher auf Konfrontation ausgerichtet sind und so ein bisschen zum Klassenkampf aufrufen. Ich finde, in solch einer Diskussion und bei solch einem sensiblen Thema, vor allen Dingen bei solch einem erfolgreichen Modell sollten wir bei der Wortwahl doch etwas behutsamer vorgehen . ({12}) Im Ergebnis darf ich feststellen, dass wir zurzeit Rekordzahlen am Arbeitsmarkt haben, Rekordbeschäftigtenzahlen haben, geringe Arbeitslosenzahlen haben . Dies ist maßgeblich auf das hier in Rede stehende Modell zurückzuführen . Deswegen sollten wir es bei der derzeitigen Rechtslage belassen . Herzlichen Dank . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Fraktionen hier betonen immer wieder die wichtige Funktion von Betriebsräten; wir haben es gerade beim Kollegen Rützel gehört . In der Beschlussempfehlung spricht die Union von einem „Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft“, es sei „grundsätzlich sinnvoll“, Betriebsräte zu stärken . Der Kollege Paschke von der SPD hat bei der ersten Lesung sogar analog zu unserem Antrag gesagt: „Ja, mehr Betriebsrätinnen und Betriebsräte braucht das Land!“ Das hört sich alles gut an; aber ich kann diese Sonntagsreden einfach nicht mehr hören . Das Motto „Gut, dass wir mal darüber geredet haben“ ist zu wenig . Was fehlt, ist konkretes Handeln . ({0}) Die Fakten sind doch wirklich bekannt: Die weißen Flecken bei der Mitbestimmung sind groß . Die Arbeit von Betriebsräten und Betriebsratswahlen werden behindert; Kollege Oellers, darum geht es . Die Mitbestimmung wird sogar in Teilen der Wirtschaft, wie in den USA, systematisch bekämpft . Es besteht also Handlungsbedarf; denn dieser Trend muss gestoppt werden . ({1}) Drei Problemfelder sind mir ein besonderes Anliegen: Erstens. Die schwierigste Phase ist ja, wenn sich die Beschäftigten auf den Weg machen, einen Betriebsrat zu gründen . Sie sind dann besonders von Benachteiligungen und auch Kündigungen bedroht . Deshalb wollen wir, dass diese aktiven Beschäftigten einen besonderen Schutz bekommen . Wenn Arbeitgeber Betriebsräte verhindern wollen, dann müssen wir ganz eindeutig auf der Seite der Beschäftigten stehen . ({2}) Zweitens . In Betrieben mit einem hohen Anteil an Befristungen ist eine kontinuierliche Betriebsratsarbeit extrem schwierig, aber gerade dort ist ein gut aufgestellter Betriebsrat bitter nötig . Deshalb wollen wir, dass auch befristet angestellte Betriebsräte einen Schutz erhalten analog zu § 78a Betriebsverfassungsgesetz . Herr Oellers, wenn das bei Auszubildenden funktioniert, dann geht das auch bei Befristungen; denn die Betriebsratsarbeit lebt von Kontinuität . ({3}) Drittens . Wir hören immer wieder von Kündigungen, von Abmahnungen, Schikanen und Drohungen, wenn Betriebsräte in Betrieben nicht erwünscht sind . Das alles sind Straftaten nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz, und doch haben diese Arbeitgeber in der Regel nichts zu befürchten . Da läuft etwas gewaltig schief . Dagegen muss etwas getan werden . Es darf keine rechtsfreien Räume geben; denn die Mitbestimmung ist gelebte Demokratie, und das sollten Sie endlich ernst nehmen . ({4}) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die großen Herausforderungen, die Globalisierung und jetzt auch die Digitalisierung, zu meistern, das schaffen die Unternehmen nur gemeinsam mit engagierten Belegschaften . Die Mitbestimmung schafft dafür die Voraussetzung; denn nur so entsteht Augenhöhe zwischen Beschäftigten und den Arbeitgebern . ({5}) Die Vorteile der betrieblichen Mitbestimmung sind bekannt, und doch wird die Akzeptanz brüchig . Deshalb brauchen die Beschäftigten Unterstützung . Sie brauchen auch Rückendeckung, damit sie sich auch zukünftig engagieren und damit sie sich auch trauen, einen neuen Betriebsrat zu gründen, vor allem wenn die Arbeitgeber die Mitbestimmung verhindern wollen . Notwendig ist ein klares Bekenntnis, dass Betriebsräte erwünscht sind . Deshalb muss die Mitbestimmung gestärkt werden . ({6}) Heute wird über zwei Anträge abgestimmt . Der Antrag der Linken - das ist bekannt - geht uns an manchen Stellen zu weit, und deshalb werden wir uns enthalten . Wir Grünen haben bewusst moderate und umsetzbare Vorschläge vorgelegt . Es ist zwar nachvollziehbar, dass Sie, die Regierungsfraktionen, einen grünen Antrag ablehnen - das ist schon klar -, aber Sie hatten seit der ersten Lesung fast zwei Jahre Zeit, selber etwas auf den Tisch zu legen, und bis heute ist nichts passiert . Und verweisen Sie in diesem Zusammenhang nicht immer nur auf den Koalitionsvertrag . ({7}) Denn dort steht ganz klar - ich zitiere -: Die Mitbestimmung ist „ein hohes Gut“ . Sie könnten jetzt ganz spontan gemeinsam die Mitbestimmung stärken . Gute Ideen liegen ja jetzt auf dem Tisch . ({8}) Gerade in der heutigen Zeit müssen die Beschäftigten beteiligt werden . Wenn sie sich einmischen und mitreden können, wenn sie ihre Arbeitswelt aktiv mitgestalten können, wenn ihre Anliegen gehört werden und wenn sie sich gut durch Betriebsräte vertreten fühlen, dann entsteht ein Gefühl von Wertschätzung, und das stärkt auch den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft . Notwendig ist nicht weniger, sondern mehr Demokratie, und das gilt auch für die Arbeitswelt . Machen Sie sich endlich auf den Weg! Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich möchte das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bekannt geben: abgegebene Stimmen 540 . Mit Ja haben gestimmt 440, mit Nein haben gestimmt 99, Enthaltungen 1 . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 542; davon ja: 442 nein: 99 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Axel E . Fischer ({1}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Rainer Hajek Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({3}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({4}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Uwe Lagosky Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({5}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Dr . h . c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Julia Obermeier Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Sylvia Pantel Martin Patzelt Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr . Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer ({8}) Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({9}) Gabriele Schmidt ({10}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({11}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({14}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr . h . c . Albert Weiler Marcus Weinberg ({15}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({16}) Sabine Weiss ({17}) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({18}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Tobias Zech Heinrich Zertik Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Dr . Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({19}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . h . c . Edelgard Bulmahn Dr . Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h . c . Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({20}) Dirk Heidenblut Marcus Held Dr . Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr . Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({21}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({22}) Aydan Özoğuz Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({23}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({24}) Susann Rüthrich Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({25}) Matthias Schmidt ({26}) Dagmar Schmidt ({27}) Carsten Schneider ({28}) Ursula Schulte Swen Schulz ({29}) Ewald Schurer Frank Schwabe Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Carsten Träger Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese ({30}) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein DIE LINKE Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Nicole Gohlke Dr . Gregor Gysi Dr. André Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Niema Movassat Norbert Müller ({31}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({32}) Martina Renner Kersten Steinke Frank Tempel Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann ({33}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Volker Beck ({34}) Dr . Franziska Brantner Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Stephan Kühn ({35}) Christian Kühn ({36}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Rüdiger Veit Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ({37}) aufgeführt . Jetzt erhält der Kollege Markus Paschke das Wort für die SPD-Fraktion. ({38}) - Tragen Sie das vor, was Sie für richtig halten, und nicht, was Ihnen jetzt durch Zurufe angedient wird . ({39}))

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe ja mittlerweile gelernt, dass man sich durch Zwischenrufe nicht aus dem Konzept bringen lässt . Damit meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken das vielleicht doch noch begreifen, will ich damit anfangen, kurz zu erklären, wie eine Koalition funktioniert: ({0}) Man schließt am Beginn einer Legislaturperiode einen Vertrag . Darin ist geregelt, was man zusammen regeln will. Ich finde, wir haben viele gute Sachen in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, ({1}) leider nichts zum Thema Mitbestimmung . ({2}) Aber - und das erwarte ich auch nach der nächsten Wahl von der Koalition, die sich dann bilden wird - man hat einen Vertrag abgeschlossen, und der ist verlässlich und wird von allen Seiten eingehalten . Das hat auch etwas mit Seriosität zu tun . ({3}) Vor zwei Tagen hat Bundesministerin Andrea Nahles das Weißbuch „Arbeiten 4 .0“ vorgestellt . Darin heißt es: Sozialpartnerschaft, Mitbestimmung und demokratische Teilhabe bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen sind ein Kernelement der deutschen sozialen Marktwirtschaft, Stabilitätsanker in Krisen und Erfolgsfaktor auch im internationalen Wettbewerb . ({4}) Bei der Veranstaltung wurde deutlich, dass die Arbeit der Zukunft gar nicht ohne Mitbestimmung geht . Mit Betriebsrat gibt es nämlich immer einen Interessenausgleich zum Vorteil des Unternehmens und der Beschäftigten . ({5}) Auch deshalb finde ich, dass die Anträge der Opposition in die richtige Richtung gehen . ({6}) Sie haben recht: Die Zahl der Unternehmen mit Betriebsrat ist rückläufig; die Behinderung von Betriebsratsarbeit bis hin zum Betriebsratsbashing nimmt zu . Das ist eine Entwicklung, die mich mit Sorge erfüllt, wo wir politisch gegensteuern müssen; denn das bedeutet, dass immer weniger Beschäftigte Mitspracherechte im Unternehmen haben. Ich finde, das ist schlichtweg nicht zukunftsfähig. ({7}) Die Veränderung der Arbeitswelt von heute und morgen braucht mehr Mitbestimmung, nicht weniger . Wenn wir mehr Flexibilität wollen, dann kann das nicht zulasten einer Seite, zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gehen, sondern dann braucht man einen gerechten Ausgleich . ({8}) Dazu braucht es eine starke Stimme - und diese starke Stimme sind die Betriebsräte und die Gewerkschaften -; denn die Aufgaben werden nicht weniger, sondern mehr und vielfältiger . Wir brauchen in Zukunft Lösungen für Fragen der Digitalisierung der Arbeitswelt, ({9}) des Arbeitnehmerdatenschutzes und der Arbeitszeit, um nur einige wenige Beispiele zu nennen . All diese Fragen können nicht einseitig geregelt werden . Sie machen es unumgänglich, dass die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt werden: flexible Produktion oder Dienstleistung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Möglichkeit zum Ausfüllen eines Ehrenamtes . ({10}) Hier haben wir als Gesetzgeber zwei Möglichkeiten das als Anregung zum Nachdenken für unseren Koalitionspartner -: ({11}) Die eine Möglichkeit ist: Man sorgt auf gesetzlicher Ebene für einen Interessenausgleich . Dann wird man sehr enge Regelungen fassen müssen, was entweder für die Flexibilität oder für den Arbeitsschutz nicht gut ist . Beides finde ich nicht besonders klug; im Zweifel muss aber das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Vorrang haben . Die andere Möglichkeit ist: Wir schaffen einen flexiblen gesetzlichen Rahmen, der durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen an die Bedürfnisse der Branche oder des Betriebes angepasst werden kann . ({12}) Dazu brauchen wir aber mehr Mitbestimmung, mehr Mitsprache im Betrieb, mehr Betriebsräte, mehr Rechte der Betriebsräte . ({13}) Kluge Unternehmer werden begreifen, dass bei solchen Rahmenbedingungen Betriebsräte und Gewerkschaften Problemlöser sind und nicht Problemmacher. ({14}) Zu den genannten Herausforderungen habe ich in den vorliegenden Anträgen keine ausreichenden Vorschläge gesehen . ({15}) Deswegen werden wir den Anträgen heute nicht zustimmen . Vielen Dank . ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Martin Pätzold für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Pätzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004373, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte heute zeigt, dass es gut ist, dass es Anträge der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen gibt . ({0}) So können wir an dieser Stelle über betriebliche Mitbestimmung, über betriebliche Interessensvertretung diskutieren und uns noch einmal vergewissern, wer eigentlich die Grundlage dafür gelegt hat, ({1}) dass solche Werte in der sozialen Marktwirtschaft nach 1949 eine bedeutende und entscheidende Rolle gespielt haben . Die Wurzeln dieser Überzeugung stammen aus der katholischen Soziallehre . ({2}) Unterschiedliche Interessen werden ausgeglichen . Es gibt die Säule der Solidarität - diese Säule ist bei Ihnen vermeintlich besonders stark ausgeprägt -, die Säule der Menschenwürde, der Personalität, aber auch die Säule der Subsidiarität und der Eigenverantwortung . Wenn es um betriebliche Mitbestimmung und Betriebsräte geht, dann geht es auch immer um Eigenverantwortung und Subsidiarität . ({3}) Dieses Thema ist uns wichtig . Es geht auch darum, die soziale Marktwirtschaft ständig weiterzuentwickeln und unsere Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wettbewerb zu erhalten und - am besten natürlich - auszubauen. In einer modernen Welt, in der - Herr Paschke hat es angesprochen - die Digitalisierung, die Arbeitswelt 4 .0, das Berufsleben, die Berufsfelder und die Art und Weise, wie gearbeitet wird, komplett verändern wird, wird es auch darum gehen, moderne Formen abzubilden, nicht nur durch rechtliche Gegebenheiten, sondern auch durch gesellschaftliche Diskussionen . So sind die Einzelfälle, die hier genannt wurden ({4}) - nicht immer nur Einzelfälle; das ist richtig -, ({5}) differenziert zu bewerten. Letztendlich ist es Auftrag für den Gesetzgeber, festzustellen, ob er handeln muss oder nicht . Mein Kollege Wilfried Oellers hat ja deutlich gemacht, welche Vorlagen Sie machen und welche Initiativen Sie in Ihren Anträgen formulieren . Wir hatten die Möglichkeit, fast zwei Jahre darüber zu diskutieren . Es gab auch eine Anhörung zu diesem Thema . Wenn man sich noch einmal in die Protokolle einarbeitet und sich damit beschäftigt, dann wird auch dort sichtbar, dass es eben nicht nur eine Auffassung dazu gab, sondern sich durchaus ein differenziertes Bild gezeigt hat. Sie von Bündnis 90/Die Grünen schreiben in Ihrem Antrag, dass wir durch unsere Form der Mitbestimmung sehr erfolgreich durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen sind . ({6}) Wir erleben auf der anderen Seite die Entwicklung, dass die Zahl der Betriebsräte abnimmt. In circa 40 Prozent der Unternehmen im Westen gibt es einen; im Osten ist die Zahl deutlich niedriger . Man muss auch hier wieder festhalten: In Unternehmen, in denen es einen Betriebsrat gibt, gibt es nicht unbedingt weniger Probleme als in Unternehmen, in denen es keinen gibt . Aber wenn in einem Unternehmen Probleme entstehen, kann ein Betriebsrat natürlich auch für die Arbeitnehmer sehr hilfreich sein, um die unterschiedlichen Interessen vernünftig auszugleichen . Das, was wir in der Diskussion hier, aber auch in den Ausschusssitzungen und in der Anhörung bisher an Argumenten gehört haben, hat dazu geführt, dass bei uns die Überzeugung entstanden ist, dass wir beim Interessensausgleich nicht handeln müssen, ({7}) sondern dass sich die Mitbestimmung in der Form, wie sie bisher gegeben ist, bewährt hat . ({8}) Es gibt im Antrag der Linken einige Punkte, die wir sehr deutlich ablehnen: das vereinfachte Wahlverfahren, das Sie beschrieben haben, die Ausweitung von Strafgeldern - Wilfried Oellers hat das schon angesprochen; es ist ein grundsätzlicher Reflex bei Ihnen, immer dann Strafen erhöhen zu wollen, wenn Fehlverhalten vorliegt - und auch die Ausweitung des Kündigungsschutzes . Das führt dazu, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können . Ich komme zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen . Sie listen sieben Punkte auf. Ich möchte exemplarisch auf Punkt Nummer 4 eingehen, bei dem es darum geht, wer die zu schützenden Personen sind. Bei diesem Punkt können wir nicht mit Ihnen gehen, genauso wenig wie bei Punkt 7, mit dem Sie die Frage der Behinderung und Verhinderung von Betriebsratswahlen regeln wollen . So ist am Ende unsere Überzeugung, dass sich die Mitbestimmung in der jetzigen Form bewährt hat, dass wir den Anträgen der Opposition nicht zustimmen können und dass wir uns weiter dafür einsetzen werden, dass wir einen starken Arbeitsmarkt haben, weil wir damit die größten gesellschaftlichen Wirkungen erzielen können . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf der Drucksache 18/7595 . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche Interessenvertretung sicherstellen“ . Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mehr Betriebsrätinnen und Betriebsräte braucht das Land“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksache 18/10347 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch ist nicht erkennbar . Also verfahren wir so . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen . ({1})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Abend des 10 . November hat uns die Nachricht von einem schweren Anschlag auf das Konsulat in Masar-i-Scharif ereilt . Wir haben stundenlang gebangt, gehofft, dass nicht das Schlimmste eintritt. Gott sei Dank konnte verhindert werden, dass es Opfer unter dem Personal des Konsulates gibt, aber wir betrauern gemeinsam mit den Afghanen sechs afghanische Sicherheitskräfte, die ihr Leben lassen mussten . Unsere Gedanken sind heute Abend bei ihren Familien . Wir wünschen den vielen Verwundeten, die es durch diesen Anschlag gegeben hat, Genesung und gute Besserung auch von dieser Stelle . ({0}) Dass der schwere Anschlag im Endeffekt so glimpflich ausgegangen ist, haben wir vor allen Dingen zu verdanken - dafür möchte ich unseren hohen Respekt und Dank aussprechen - den Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vor Ort, den afghanischen Sicherheitskräften, den Soldatinnen und Soldaten, die aus Camp Marmal zu Hilfe geeilt sind, Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, aber ganz voran auch ihren Kameradinnen und Kameraden aus Georgien, aus Lettland und aus Estland . Ohne sie wäre es nicht so glimpflich ausgegangen. Sie verdienen unseren Dank dafür . ({1}) Dieser Anschlag, der sehr gezielt war, der sehr geplant war, zeigt aber auch, wie fragil und volatil die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor ist . Das zu Ende gehende Jahr, das Jahr 2016, ist ein schwieriges Jahr für die Regierung gewesen . Es war ein sehr schwieriges Jahr für die afghanischen Sicherheitskräfte . Man muss in der Bilanz sagen: Die afghanischen Sicherheitskräfte haben aus den Ereignissen des Jahres 2015 ihre Lehren gezogen . Sie sind besser geworden . Sie haben nach wie vor sehr hohe Verluste - das muss man an dieser Stelle auch erwähnen -, doch sie kämpfen, sie agieren aktiver, erfolgreicher, als das im vergangenen Jahr der Fall gewesen ist . Es ist den Taliban zum Beispiel nicht gelungen, ihr Ziel zu erreichen, eine der Provinzhauptstädte zu erobern . Den afghanischen Sicherheitskräften ist es gelungen, diese Angriffe abzuwehren, so auch den erneuten Angriff auf Kunduz-Stadt im Oktober 2016, und so sind die afghanischen Sicherheitskräfte zumindest in der Lage, eine strategische Pattsituation mehr oder minder zu halten . Aber es gibt noch viel zu tun, insbesondere mit Blick auf das Thema Ausbildung . Wir haben deshalb im Frühjahr dieses Jahres unseren Ansatz für Ausbildung, Beratung und Unterstützung weiter angepasst . In allererster Linie allerdings bedarf es politischer Reformen seitens der afghanischen Regierung . Wir erwarten mehr Aktivität . Die Regierung muss politisch enger zusammenstehen . Insbesondere müssen Staatspräsident Ghani und der CEO Abdullah Abdullah gemeinsam in dieselbe Richtung arbeiten . Wir erwarten, dass die Regierung echte Reformen anstößt und sie auch gegen Widerstände durchsetzt . Wir haben Erwartungen an die afghanische Regierung, und diese finden zurzeit zu wenig Widerhall . Hier muss sich in erster Linie etwas ändern; ({2}) denn eines ist uns allen in diesem Hohen Hause klar: Keine noch so gute militärische Ausbildung, kein noch so fundierter Rat, keine noch so umsichtige Unterstützung können die unverzichtbare Rolle einer Regierung ersetzen . Die Regierung muss aktiver werden, zum Beispiel mit Blick auf die Besetzung vakanter Ministerposten . Sie muss Motor für Reformen sein; damit lenke ich den Blick auf die längst überfällige Parlamentswahl. Nur wenn die Regierung aktiv ist, kann das geschehen, was unverzichtbar notwendig ist, damit die militärischen Erfolge auf Dauer stabilisiert werden: der wirtschaftliche Aufbau des Landes und damit die Schaffung einer Perspektive für die Menschen, die in diesem Land leben . Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Länder haben sich im Juli dieses Jahres in Warschau darauf geeinigt, den Aufbau Afghanistans weiterhin zu unterstützen . Die NATO hat ihre Einsatzrahmenbedingungen und Abläufe angepasst . Es ging darum, wie man die afghanischen Partner im Einzelfall durch Aufklärung, durch Lufttransport, durch Verwundetentransport besser unterstützen kann . Das jetzt vorliegende Mandat nimmt diese Konkretisierungen der NATO durch textliche Klarstellungen auf, wird aber ansonsten vollständig inhaltsgleich fortgeschrieben . Das heißt, Niveau und Aufgaben der Bundeswehr bleiben ebenso unverändert wie die Obergrenze von 980 Soldatinnen und Soldaten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nach wie vor viel Schatten, viele Probleme in Afghanistan. Es gibt aber auch Fortschritte, die wir unter dem Berg der Probleme oft nicht sehen . Ich will ein kleines Beispiel nennen: Es wurden gerade in etwa der Hälfte des Landes Wahlen zu den Provincial Councils - gewissermaßen Kommunalwahlen - durchgeführt . Immerhin ist die Hälfte der Gewählten Frauen . Das wäre unter den Taliban niemals möglich gewesen . Wenn wir auf unsere eigenen Wahlen schauen, dann wissen wir, wie schwer es ist, eine Quote von 50 Prozent für Frauen zu erreichen. ({3}) - Sehr gut! Sie haben fast das afghanische Niveau erreicht . ({4}) Deshalb ist es auch richtig, dass wir unser Engagement ein weiteres Jahr fortsetzen . Aber wir werden - das muss uns auch klar sein - durch unser Engagement den Afghanen nur Zeit verschaffen, Zeit, die Probleme anzupacken, Zeit, die erforderlichen Reformen auf allen Ebenen konsequent zu verfolgen . Sie müssen die hart errungenen Fortschritte und Erfolge, die es im Land unzweifelhaft gibt, auf die Dauer selbst sichern können . Genau in diesem Sinne ist das Mandat angelegt, für das wir um wohlwollende Beratung und dann Zustimmung werben . Danke schön . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächste spricht die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke . ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 15 Jahre führt die NATO in Afghanistan nun Krieg unter deutscher Beteiligung . George Bush rief 2001 mit seinen Bündnispartnern den globalen Krieg gegen den Terror aus, und Millionen Menschen bezahlten das mit ihrem Leben, Frau von der Leyen; auch Hundertausende Frauen waren unter diesen Toten . Laut einer Studie der Ärzteorganisation IPPNW sind allein in Afghanistan mindestens 220 000 Menschen getötet worden, in Pakistan 80 000; im Irak ist über 1 Million Menschen direkt getötet worden oder an den Kriegsfolgen gestorben . Dieser sogenannte Krieg gegen den Terror ist selbst Terror für Millionen Menschen und hat nur neuen Terror erzeugt, und dafür sind Sie hier mitverantwortlich . ({0}) Die Bilanz Ihres Afghanistan-Feldzuges fällt erschütternd aus: Die Welt ist nicht sicherer geworden, die Anschlagsgefahr auch hier in Deutschland ist gestiegen, geschweige denn, dass Afghanistan stabilisiert wurde . ({1}) 2,7 Millionen Afghaninnen und Afghanen sind ins Ausland geflohen, 1,2 Millionen Menschen sind innerhalb Afghanistans auf der Flucht . Afghanistan zählt weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde mit einer der korruptesten Regierungen der Welt . Die Sicherheitslage im Land ist besorgniserregend . Die Bundesregierung selbst bezeichnete 2015 nur 9 von 123 Distrikten als kontrollierbar . Das hat eine Große Anfrage unserer Fraktion ergeben . Das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif ist nach einem Taliban-Angriff, wie erwähnt, geschlossen worden; die Diplomaten wurden abgezogen . In dieses Land wollen Sie nun bis zu 80 000 Afghaninnen und Afghanen aus der EU abschieben . Was für eine menschenverachtende Politik! ({2}) Was für ein schäbiger Deal mit der korrupten afghanischen Regierung, die im Gegenzug dafür mehr als 13 Milliarden Euro kassiert! Mit dieser Politik betreiben Sie auch ein Taliban-Aufbauprogramm; denn viele junge Afghanen, die Sie abschieben wollen, werden in den Fängen der Taliban und von IS-Milizen landen . ({3}) Sie zahlen bis zu 1 000 Dollar monatlich und sind so die einzige Einnahmequelle . Wir fordern, dass dieses Abschiebeprogramm sofort gestoppt wird . Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland . ({4}) Investieren Sie dieses Geld lieber in demokratische Kräfte und Strukturen, die den Menschen direkt zugutekommen . Sie könnten damit sogar alle Milizen auf einmal wegkaufen und ihnen einen Arbeitsplatz anbieten, statt weiterhin korrupte Multimillionäre in Kabul zu finanzieren . Zur Rekrutierung neuer Kämpfer für islamistische Gruppen tragen maßgeblich auch die US-Drohnenmorde in Afghanistan und Pakistan bei, weil sie den Hass weiter schüren, und hier kommt nun der eigentliche Skandal . Gestern bestätigte die Bundesregierung auf Anfrage meines Kollegen Andrej Hunko, dass die Drohneneinsätze der USA über die US-Militärbasis Ramstein hier in Deutschland geplant, überwacht und ausgewertet werden . Damit ist die Bundesregierung an völkerrechtswidrigen extralegalen Tötungen beteiligt . Ich nenne das Beihilfe zum Mord . Schließen Sie Ramstein sofort! ({5}) Das verstößt auch gegen das Grundgesetz, und dies muss strafrechtliche Konsequenzen haben . Die Drohnenmorde stärken die Taliban und den IS . Gleichzeitig schicken Sie, Frau von der Leyen, und Ihre Regierung aber Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan, um junge Afghanen auszubilden, damit sie gegen die Taliban kämpfen. Was für eine perverse Politik! ({6}) Die Afghanen sind dabei nur das Kanonenfutter . Allein zwischen 2013 und 2016 wurden über 19 000 afghanische Soldaten getötet . Wir werden gegen dieses Mandat stimmen . In dieser Woche hatten wir eine junge Afghanin, Selay Ghaffar, Vorsitzende der Solidaritätspartei, in den Bundestag eingeladen . Sie gehört zur jungen Generation, die genug hat von der NATO-Besatzung und einer korrupten Drogenregierung . Sie demonstriert mutig mit ihren Anhängerinnen und Anhängern . Sie vernetzen sich in sozialen Medien und suchen den internationalen Austausch . Diese jungen Leute brauchen unsere Solidarität und unsere Unterstützung . ({7}) Sie können aber nicht einmal ohne Gefahr demonstrieren, weil die Regierung, die Sie finanzieren, sie mit allen Mitteln bekämpft, sodass sie teilweise nur im Untergrund arbeiten können . ({8}) Ziehen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab! Stärken Sie endlich demokratische Kräfte statt korrupte Warlords! ({9}) Die Friedensgruppen rufen in vielen Städten - unter anderem auch in Stuttgart - zu Demonstrationen am 10 . Dezember 2016, dem Tag der Menschenrechte, für ein Menschenrecht auf Frieden auf . Es ist wichtig, ein Zeichen gegen diese Kriegspolitik zu setzen . Frieden statt NATO! Vielen Dank . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung spricht jetzt Staatsminister Michael Roth . ({0})

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Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hänsel, Ihre Simplifizierung ist beschämend . Wer von „Feldzug“ spricht, der hat an einer ernsthaften Debatte kein wirkliches Interesse . ({0}) Ich gehe fest davon aus - da spreche ich sicherlich nicht nur für meine Fraktion -, dass es sich hier keine Fraktion einfach macht . Wir überprüfen jedes Mandat kritisch . Wir sprechen mit den Kolleginnen und Kollegen der internationalen Gemeinschaft im Rahmen der NATO und schauen: Was können wir besser machen? Wo können wir unserer Verantwortung gerecht werden? - Wir wissen doch alle, dass das eine Generationenaufgabe ist . Wir sind seit 15 Jahren in Afghanistan engagiert, ({1}) aber eben nicht nur militärisch . Wir engagieren uns im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit . Wir engagieren uns im Bereich der humanitären Hilfe, im Bereich der Stabilisierung . ({2}) Wer ein solch undifferenziertes Bild von Afghanistan zeichnet, der handelt verantwortungslos . ({3}) Wer so redet, der erkennt nicht an, dass inzwischen Schulen gebaut wurden, ({4}) dass viele Mädchen wieder eine Schule besuchen können, dass es mehr Studierende gibt als jemals zuvor in der Geschichte, dass die Infrastruktur deutlich verbessert wurde, dass Krankenhäuser errichtet werden konnten, dass die Kindersterblichkeit deutlich gesunken ist, dass Kabul eine Stadt ist, die überhaupt nicht mit den Verhältnissen zu vergleichen ist, die wir noch vor 15 Jahren vorgefunden haben . ({5}) Das muss man bei objektiver Betrachtung doch zumindest einmal zur Kenntnis nehmen . Keiner zeichnet hier ein einseitiges Bild von Afghanistan. Gerade weil wir um die Defizite wissen, sind wir bereit, Afghanistan in den kommenden Jahren auf seinem schwierigen Weg weiterhin zu unterstützen . ({6}) Am Ende dieses Weges steht für uns ein klares Ziel: Afghanistan muss sicherer und stabiler werden, damit die Menschen in ihrer Heimat endlich wieder Hoffnung schöpfen können, Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit, Hoffnung auf einen Job und ein bisschen Freiheit. Ich finde es mehr als legitim, dass uns Bürgerinnen und Bürger in unseren Sprechstunden fragen: Was tut ihr ganz konkret in Afghanistan? - Die Verlängerung der NATO-Ausbildungs- und Beratungsmission Resolute Support ist eben nur ein Baustein, wenn auch ein wichtiger . Daneben bringt die Bundesregierung in Afghanistan die gesamte Bandbreite des außenpolitischen Instrumentariums zum Einsatz . Insgesamt beläuft sich unsere finanzielle Unterstützung auf 510 Millionen Euro jährlich, davon 80 Millionen Euro für die Ausbildung und für die Unterstützung der afghanischen Armee, 70 Millionen Euro für die Ausbildung und Ertüchtigung der afghanischen Polizei; 250 Millionen Euro werden in die Entwicklungszusammenarbeit investiert und 110 Millionen Euro in weitere Stabilisierungsprojekte . In keinem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen, engagieren wir uns stärker . ({7}) Im Rahmen dieses Engagements fördert die Bundesregierung unter anderem den Polizeiaufbau in Afghanistan, berät sie die afghanische Regierung im Flüchtlingsrecht und unterstützt Binnenvertriebene in Nordafghanistan, beteiligt sich am Aufbau staatlicher Strukturen und natürlich der Infrastruktur; davon habe ich bereits gesprochen . Wer unser Engagement beim Bau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen einfordert, und zwar zu Recht, kann sich der Verlängerung von RSM nicht verschließen . Deutschland ist damit nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte bilaterale Geldgeber in Afghanistan . Aber - das ist schon von der Kollegin von der Leyen zum Ausdruck gebracht worden; ich habe das auch Gesprächen mit vielen Kolleginnen und Kollegen entnommen wir stellen Afghanistan mitnichten Blankoschecks aus . Die Bundesregierung hat die finanzielle Unterstützung ausdrücklich an ganz strenge Bedingungen geknüpft . Wir erwarten, dass die afghanische Regierung ihren Teil der Abmachung einhält, etwa bei der Beachtung von Menschenrechten oder bei der Bekämpfung von Korruption . ({8}) Auch in Migrationsfragen erwarten wir eine bessere Zusammenarbeit . Das geschieht bisher noch unzureichend . Wir werden das in Kabul mit Nachdruck weiter einfordern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afghanistan bedarf weiterhin unserer Unterstützung, damit die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte nicht zurückgedreht werden. Wir befinden uns an dem Punkt, an dem noch nicht einmal klar ist, ob das, was wir mühselig haben aufbauen und unterstützen können, gesichert werden kann . Die Menschen in Afghanistan müssen endlich wieder eine Perspektive für ein Leben in Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Sicherheit haben. Diese Perspektive müssen sie in ihrem eigenen Land sehen . Dass diese Perspektive derzeit leider nicht überall in Afghanistan gegeben ist, belegen auch die aktuellen Zahlen aus Deutschland: Seit Beginn des Jahres 2016 haben allein in Deutschland mehr als 120 000 Afghaninnen und Afghanen einen Asylantrag gestellt . Deutschland reagiert mit großer Hilfsbereitschaft . Die Hälfte der Antragsteller aus Afghanistan hat Anspruch auf internationalen Schutz . Fakt ist aber auch, dass viele Afghaninnen und Afghanen ihr Land aus wirtschaftlichen Motiven, aus Perspektivlosigkeit verlassen. Ich will das Dilemma offen ansprechen: Einerseits versuchen wir seit 15 Jahren, in Afghanistan Stabilität zu schaffen und das Vertrauen in die staatlichen Strukturen zu erhöhen . Andererseits kann aber kein Vertrauen entstehen, wenn immer mehr junge Menschen das Land verlassen . Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir können nur in die Zukunft Afghanistans investieren, wenn auch das afghanische Volk an diese Zukunft glaubt . Auch hier engagieren wir uns mit vielen konkreten Projekten vor Ort . Wir lassen doch niemanden allein . Bisweilen sind es die kleinen Dinge des Alltags, die Hoffnung machen. So ist es bewegend, zu sehen, wie mit der Eröffnung einer einzigen Schule Hunderten von Kindern und Jugendlichen wieder eine Perspektive geschenkt wird oder wie mit Mikrokrediten Hunderte von neuen Start-ups entstehen, die den Menschen vor Ort wieder Arbeit geben . Jede dieser kleinen Erfolgsgeschichten bringt das Land und die Menschen unserem gemeinsamen Ziel ein Stück näher: ein Land, das auf eigenen Füßen steht und das endlich zur Normalität zurückkehren kann . Ja, es geht um die Stabilisierung und um die Befriedung Afghanistans . Ich gebe zu: Das ist eine Generationenaufgabe . Aber das ist keine Einbahnstraße . Wir haben auch die klare Erwartungshaltung, dass die afghanische Regierung Schritt für Schritt wieder die Verantwortung für Stabilität und Sicherheit im eigenen Land übernimmt . Die Bundesverteidigungsministerin hat eben dargestellt, wo die Defizite liegen. Es gibt durchaus auch Erfolge, aber viel viel zu wenig . Wir können damit nicht zufrieden sein . Seit dem Ende der ISAF-Mission 2014 tragen die afghanischen Sicherheitskräfte die alleinige Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land . Die afghanischen Streitkräfte hatten es vor allem durch den Wegfall der Luftnahunterstützung schwer und mussten hohe Verluste beklagen . Militante Gruppen, insbesondere die Taliban, liefern sich an vielen Orten immer wieder Gefechte mit den staatlichen Sicherheitskräften oder begehen Anschläge . Aber wir sollten auch anerkennen: Insgesamt hat die afghanische Armee bisher besser als erwartet standgehalten . Den Taliban ist es trotz mehrfacher erbitterter Versuche nicht gelungen, auch nur eine einzige Provinzhauptstadt dauerhaft einzunehmen . Dennoch: Wie angespannt die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor ist, hat uns auch der Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif vor wenigen Tagen gezeigt . Dies hat alle erschüttert . Alle haben sich die Frage gestellt: Können wir einfach so weitermachen? Müssen wir das Mandat im Lichte dieses Anschlags noch einmal kritisch überprüfen? - Ich finde, wir haben das verantwortungsvoll getan . Ich rate jedem von Ihnen, wenn einmal die Gelegenheit besteht, mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Generalkonsulat zu sprechen . Da kann einem nur himmelangst werden, wenn man sich einmal vor Augen führt, was die Menschen dort erlebt haben, nicht zu sprechen auch von den vielen unschuldigen afghanischen Opfern . Die Gewalt, die auch noch heute von den Taliban in Afghanistan ausgeht, und das Leid der Bevölkerung können rein militärisch nicht beendet werden . Frau Hänsel, das behauptet doch auch überhaupt niemand . Der Weg zu einem friedlichen Afghanistan kann letztlich nur über einen innerafghanischen Friedensprozess führen, ({9}) an dem alle gesellschaftlichen Gruppen teilhaben, die für eine politische Lösung bereit sind . Der Abschluss eines Friedensabkommens mit der Hisb-i-Islami von Gulbuddin Hekmatjar zeigt, dass ein Friedensabschluss möglich ist . Die Regierung wird nun beweisen müssen, dass sie in der Lage ist, die ehemaligen Kämpfer der Hisb-i-Islami einzubinden und so ein positives Beispiel für weitere Abkommen zu setzen . Die internationale Gemeinschaft unterstützt diesen Prozess. Auch aufseiten der Taliban mehren sich Stimmen, die diesen Weg befürworten . Wie umstritten war das noch vor Jahren, als es die Forderung gab, mit den Taliban zu sprechen! Man tut das nun . Jeder versucht im Rahmen seiner Verantwortlichkeit, etwas Konkretes zu leisten, sodass wir hier zu dauerhaften Friedensschlüssen kommen. Am Ende eines solchen Prozesses müssen sich die Afghanen auf ein Ende der Gewalt einigen, alle Verbindungen zum internationalen Terrorismus kappen und sich zur Einhaltung der afghanischen Verfassung verpflichten. Ein solcher Friedensprozess wird im besten Fall noch Jahre dauern . Entscheidend wird sein, dass die Staaten der gesamten Region an einem Strang ziehen . Auch hierfür setzen wir uns ein . Deutschland hat beispielsweise den Vorsitz der Internationalen Afghanistan-Kontaktgruppe inne . Auch hier übernehmen wir ganz konkret Verantwortung . Der Mandatsantrag regelt die weitere Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Resolute Support, und zwar gemeinsam mit unseren Partnern. Das Mandat bleibt im Grundsatz unverändert . Resolute Support wird auch 2017 kein Kampfeinsatz sein . An dieser Stelle möchte ich nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Auslandsvertretungen sowie den Polizistinnen und Polizisten in Afghanistan danken. Ihr Einsatz unter schwierigsten Bedingungen verdient unseren größten Respekt . Jeder von uns, der sich nach schwieriger innerer Abwägung dazu entscheiden kann, dieser Mission zuzustimmen, stärkt das Vertrauen in unsere Sicherheit und in unsere Sicherheitskräfte, die in Afghanistan verantwortlich zeichnen und sich nach Kräften im Interesse von Sicherheit und Stabilität bemühen . Wir sollten sie dabei nicht alleine lassen . Deshalb freue ich mich über jeden Einzelnen und jede Einzelne von Ihnen, der bzw . die dieser Mission und diesem Mandat zuzustimmen vermag . Vielen Dank . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen .

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben trotz der Meinungsunterschiede, die es zwischen uns gibt, gehofft, dass die Gewalt nach so vielen Jahren des Leids in Afghanistan endlich ein Ende findet. Die Lage ist zurzeit so düster wie schon lange nicht mehr . In den letzten 15 Jahren haben weder der ISAF-Einsatz mit all seinen unterschiedlichen Phasen, mit Luftbombardierung, Offensiven, Antiterrormaßnahmen und schwerem Gerät, noch die Ausbildungsmission, die dem nachgefolgt ist und über deren Fortsetzung wir heute beraten, die angestrebten Ziele erreicht . Es ist notwendig, dass Sie von der Bundesregierung und der Koalition sich ein paar Tatsachen stellen, ihnen ins Auge sehen und ein paar Fragen beantworten . Welches sind Ihre Kriterien für ein Ende, einen Erfolg bzw . einen Exit bei diesem Ausbildungseinsatz, der einmal auf zwei Jahre angelegt war, nun aber viel länger laufen soll und dessen Schwerpunkte von reiner Ausbildung Richtung Unterstützung und Begleitung verschoben werden? Außer Hinhalteparolen hört man nicht besonders viel . Was hier fehlt, ist ein realistisches Konzept . Wie kann denn die Ausbildung von Sicherheitskräften überhaupt gelingen, wenn eine Regierung durch Zerrissenheit und Klientelpolitik einen Großteil des Vertrauens in der Bevölkerung verspielt hat? Wenn es keine gute politische Führung gibt, dann kann auch die Ausbildung von Sicherheitskräften keinen Erfolg haben . Frau Ministerin, Sie selbst haben das gerade angesprochen . Aber ich hatte in den letzten Monaten den Eindruck, dass man immer, wenn man nachgefragt hat, wie die Bundesregierung zum Beispiel darauf reagiert, dass es über Monate hinweg keinen Verteidigungsminister in Afghanistan gab, nur ein Schulterzucken geerntet hat . Wie reagieren Sie darauf, dass es trotz langjähriger intensiver Ausbildungsbemühungen immer wieder Hinweise - und zwar nicht allzu wenige - auf Korruption, Desertion und Gewalt inStaatsminister Michael Roth nerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte gibt oder dass es immer wieder zu gravierenden militärischen Fehlentscheidungen kommt? Was ist Ihre Antwort darauf, dass nach wie vor die schlimmsten Menschenrechtsverletzer und Warlords die Bevölkerung drangsalieren und unterdrücken? Hier kann doch nicht das Prinzip gelten: Der Feind unseres Feindes, der Taliban, ist unser Freund . All das sind doch riesige Probleme und ist eine riesige Hürde für eine friedliche Zukunft in Afghanistan; denn das beschert den Taliban Zulauf . Aber bei allen Fragen bleibt die Bundesregierung Antworten schuldig . Es gibt große Leerstellen . Stattdessen legen Sie Jahr für Jahr ein Mandat vor und vermitteln uns den Eindruck: Nur noch ein bisschen länger und nur noch ein bisschen mehr, dann wird es endlich besser! - Das ist sehr dürftig, und, ehrlich gesagt, mir fehlt da der Glaube . ({0}) Sicherlich hat das mit Ignoranz zu tun; aber ich glaube, es hat auch mit einer gewissen Rat- und Hilflosigkeit zu tun. Ich sage ganz ehrlich: Diese Rat- und Hilflosigkeit spüre ich auch selbst als jemand, der, wie viele meiner grünen Kolleginnen und Kollegen, gegen die Mandate gestimmt hat . Niemand hat den Masterplan, wie man Frieden, Stabilität und Sicherheit in den nächsten Jahren in Afghanistan mit Sicherheit schaffen kann. Aber aus meiner Sicht gibt es drei Schlussfolgerungen, die man ziehen kann, wenn man trotz der deprimierenden Lage im Land die Menschen nicht alleine lassen will und wenn man möchte, dass das langjährige, auch durchaus schwierige und umstrittene Engagement nicht vergebens sein soll . Erstens ist eine ehrliche und kritische Bilanz dieser Militäreinsätze mehr als überfällig . Die Bundesregierung darf sich hier nicht weiter wegducken . Nicht nur wir Grüne fordern das seit Jahren; das haben auch andere Kolleginnen und Kollegen immer wieder eingefordert . Aber dann haben wir vor kurzem aus der Presse erfahren, dass im März 2015 ein Bericht im Verteidigungsministerium geschrieben wurde - Nachbetrachtung Afghanistan-Einsatz -, der unter Verschluss gehalten wurde . Ich muss sagen: Die Debatte muss hier im Parlament geführt werden. Wir müssen uns damit beschäftigen, wenn man aus Fehlern für die Zukunft lernen will . Sie können Ergebnisse nicht unter den Teppich kehren, nur weil sie Ihnen nicht genehm sind . ({1}) Dazu gehört auch die Frage, was man mit einem solchen Einsatz realistisch überhaupt erreichen kann . Ich denke, es ist für das zukünftige Engagement extrem wichtig, sich damit auseinanderzusetzen . Zweitens . Ja, es ist nicht alles schlecht in Afghanistan . Deutschland hat in den Bereichen Wiederaufbau, Entwicklungszusammenarbeit oder auch Bildung durchaus viel geleistet . Das muss weitergehen, und das muss gestärkt werden; denn das ist das, was den Menschen in Afghanistan neue Hoffnung und Zukunftsperspektiven gibt. Bei meiner dritten Schlussfolgerung sind wir Grüne ganz klar in Opposition zur Bundesregierung . Sie widersprechen sich an dieser Stelle wirklich massiv selbst . Eine halbe Million neuer Binnenvertriebener ist gerade von den Vereinten Nationen in Afghanistan registriert worden . Das zeigt die Dramatik der Lage . Einerseits erklären Sie uns hier, dass es so schwierig und gefährlich in Afghanistan ist und man deshalb den Militäreinsatz verlängern muss . Andererseits sprechen Sie von sicheren Zonen, wollen Abschiebungen und Rückführungen verstärken und verfolgen obendrein die Strategie, dass es nur dann, wenn Afghanistan mehr Flüchtlinge zurücknimmt, in Zukunft Entwicklungszusammenarbeit gibt . Meine Damen und Herren, das passt vorne und hinten nicht zusammen . Das ist zynisch und herzlos . So lässt man die Menschen in Afghanistan nämlich wirklich allein . Vielen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Jürgen Hardt spricht jetzt für die CDU/ CSU . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gehen mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und der Entscheidung über dieses Mandat in das 16 . Jahr . Deswegen sind die Fragen völlig berechtigt: Was hat dieser Einsatz bisher gebracht? Wie weit haben wir uns den Zielen angenähert, die wir formuliert haben? Wohin wird dieser Einsatz führen? Wann können wir ihn beenden? Wir haben im Zusammenhang mit unserem Einsatz in Afghanistan eine ganze Reihe von Erfahrungen gemacht, die meines Erachtens gut aufbereitet worden sind und die in die RSM-Mission eingeflossen sind. Wir haben vor zwei Jahren entschieden, dass wir nicht mehr an Kampfhandlungen in Afghanistan teilnehmen und dass wir uns auf Beratung, Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Streitkräfte konzentrieren . Das konnten wir deshalb tun, weil wir es in den Jahren zuvor tatsächlich geschafft haben, sowohl bei der Polizei als auch bei der afghanischen Armee einen Ausbildungs- und Ausrüstungsstand zu erreichen, der es den afghanischen Streitkräften erlaubt, die Verantwortung Stück für Stück selbst zu übernehmen . Blicken wir auf das zurückliegende Jahr zurück und vergleichen wir es mit früheren Monaten . Blicken Sie zum Beispiel auf den neuerlichen Versuch der Taliban, die Stadt Kunduz im Norden von Afghanistan, im Verantwortungsbereich der Bundeswehr im Rahmen des alten ISAF-Mandats, einzunehmen. Dieser Angriff konnte, anders als noch wenige Monate zuvor, erfolgreich zurückgeschlagen werden; außer ein paar Handybildern der Taliban war nichts von einer Besetzung dieser Stadt zu verspüren . Den einheimischen Kräften ist es gelungen, die Sicherheit und Ordnung weitestgehend wiederherzustellen . Das zeigt, dass wir gut vorankommen, wenngleich wir natürlich noch nicht am Ziel sind . Wir haben alle das Interview des Kommandeurs des deutschen Verbandes gelesen: Die Bevölkerung wünscht sich dieses Engagement der deutschen Bundeswehr und dankt dafür. Wir werden mit offenen Armen empfangen, eben auch, weil die Bundeswehr nicht nur in kaki Uniform und mit der Waffe dort steht, sondern weil die Bundeswehr eben auch zivile Hilfe möglich macht . Was sich im Land an Infrastruktur entwickelt und an Bildungsmöglichkeiten offenbart - darüber hat die Ministerin gesprochen -, ist ganz beachtlich . Wenn wir auf die konkreten Defizite dieses Einsatzes blicken, müssen wir natürlich auch nüchtern feststellen: Die Zahl der getöteten Zivilisten in Afghanistan in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ist im Vergleich zu den ersten drei Quartalen des letzten Jahres leider nicht zurückgegangen . Es sind jeweils rund 2 500 Zivilisten getötet worden . Die Terrorgefahr ist tatsächlich überall präsent, wie wir am Generalkonsulat in Masar schmerzlich erleben mussten . Ich schließe mich ausdrücklich dem Dank der Ministerin an . Wir Obleute haben alle stündlich verfolgt, wie sich die Situation in Masar entwickelt hat, und wir haben den Eindruck, dass die Bundeswehr und ihre verbündeten Streitkräfte da sehr umfassend und sehr gut reagiert haben . Leider hat es Opfer unter der Zivilbevölkerung und unter den einheimischen Sicherheitskräften gegeben, die natürlich in Zukunft unter allen Umständen verhindert werden müssen . Es gibt natürlich ein Defizit an Good Governance in der Hauptstadt . Die Regierung mit der Doppelspitze funktioniert nur höchst unvollkommen - ein echter Hemmschuh für eine schnellere und bessere Entwicklung . Wir haben Pakistan, das nach wie vor ein Rückzugsort für die Taliban und terroristische Kräfte ist. Der pakistanische Premierminister muss aus unserer Sicht erst beweisen, dass er ein „terrific guy“ ist. Wir sehen ihn nicht als wirklichen Erfolgsfaktor in der Region an, sondern wir mahnen die pakistanische Regierung an, auch mehr gegen den Terrorismus im eigenen Land zu machen . Ich bin der Meinung, dass wir uns natürlich mit Blick auf die vielen, insbesondere jungen Afghanen, die gegenwärtig außerhalb Afghanistans leben, die Frage stellen müssen: Was können wir tun, um diese jungen Menschen zu bewegen, in ihr Heimatland zurückzukehren und dort am Aufbau des Landes mitzuwirken? Es macht ja keinen Sinn, wenn die ganzen Jungen und im Zweifel auch die besser Ausgebildeten, zum Beispiel die, die Englisch beherrschen, dann in anderen Ländern, zum Beispiel in Deutschland, wo es 250 000 Afghanen gibt, leben . Wenn wir von denen sprechen, die abgeschoben oder zurückgeführt werden können und müssen, dann sprechen wir nur von einem kleinen Teil . Ich glaube aber, dass es unter den anderen auch viele gibt, die bei entsprechenden Anreizen bereit und in der Lage sind, den Aufbau ihres Landes zu fördern und zu betreiben . Da würde ich mir wünschen, dass wir da noch mehr Fantasie und Kreativität entwickeln, dass mehr von diesen Menschen auch tatsächlich ihr eigenes Land mit aufbauen . Wir werden in die Beratung dieses Antrags mit großer Sorgfalt einsteigen . Wir werden in den Ausschüssen darüber reden, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Ende der Verlängerung des RSM-Mandats auch zustimmen wird . Herzlichen Dank . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 15 Jahre sind wir mittlerweile in Afghanistan . Diese 15 Jahre, die für uns wie eine Ewigkeit wirken, sind für ein Land, das seit der sowjetischen Invasion 1979 in einem zermürbenden Zustand aus Krieg und Gewalt versinkt, nicht genug . Klar ist: Afghanistan braucht noch mehr Zeit . Für uns heißt das: Wir brauchen einen langen Atem, die sogenannte strategische Geduld, um das Land weiter zu stabilisieren, erreichte Fortschritte zu sichern und zu verhindern, dass Afghanistan noch einmal zu einem sicheren Hafen für islamistischen Terror wird . Dazu ist es entscheidend, der Situation im Land am Hindukusch mit genügend Pragmatismus zu begegnen. Wir dürfen bei der Analyse der Gefährdungslage keine Augenwischerei betreiben, sondern müssen gerade auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten klar und ehrlich die Realität beschreiben . Das Glas ist weder halb voll noch halb leer . Was heißt das? Der Angriff auf das deutsche Konsulat in Masar stellt für uns natürlich ein dickes Ausrufezeichen dar . Eines wird damit deutlich: Die Taliban werden auch weiterhin versuchen, mit gezielten Anschlägen den Einsatzwillen der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft zu brechen . Diese Strategie darf nicht aufgehen . 2015 war für die Taliban das erfolgreichste Jahr seit der westlichen Militärintervention 2001 . Trotz interner Machtkämpfe stellen sie auch in diesem Jahr für mehr als die Hälfte der rund 34 Provinzen des Landes eine ernsthafte Bedrohung dar. Trotzdem: Über 68 Prozent der Bevölkerung stehen unter dem Schutz der Regierung . Keine Stadt ist in diesem Jahr an die Taliban gefallen . Die afghanischen Sicherheitskräfte haben mit den rund 320 000 Männern 90 Prozent ihrer Sollstärke erreicht. Ein Großteil ist weiterhin mangelhaft ausgebildet . Es fehlt an Führungsfähigkeiten . 2015 haben sie fast ein Drittel ihrer Stärke durch Tod, durch Verwundung, durch Desertion verloren . Ein solcher Verlust bewegt sich in einer Größenordnung, die eine Armee kaum verkraften kann . Und doch: Der Ausbau der afghanischen Luftwaffe geht voran . Eine eigene Luftnahunterstützung kann häufiger selbstständig geleistet werden. Auch haben die afghanischen Spezialkräfte mittlerweile ein professionelles Niveau erreicht . Aber Vetternwirtschaft, ethnische AufJürgen Hardt splitterung in Fraktionen und Korruption sind im Militär und in der Polizei weiterhin verbreitet. Aber auch hier gibt es einige positive Zeichen: Präsident Ghani hat gemeinsam mit Abdullah Abdullah mehr als 70 ineffiziente Militäroffiziere entlassen. Diese Strukturreformen müssen weitergehen und dürfen nicht, wie in diesem Jahr, wieder nachlassen . Sicher ist: Militärisch allein ist der Konflikt nicht lösbar. Es muss daher auch eines offen ausgesprochen werden: Unser Engagement ist noch lange notwendig . An die Taliban gerichtet, heißt das, sie können uns auch nicht aussitzen . In den Kategorien von „Sieg“ oder „Niederlage“ sind langfristige Stabilisierungsmissionen nicht zu fassen . . . . Die internationale Gemeinschaft aber darf „nicht siegen“ deshalb nicht als Scheitern interpretieren . So lautet eine Bewertung des deutschen Engagements durch den Wehrbeauftragten, Hans-Peter Bartels, den ehemaligen General Klaus Wittmann und den Vorsitzenden des BundeswehrVerbandes, Oberstleutnant André Wüstner . Wichtig ist den drei Analysten vor allem eins: Wir müssen aus Afghanistan lernen . Das heißt, wir müssen die ressortübergreifende Zusammenarbeit weiter verbessern, sprich: die interdisziplinäre Führungsstruktur in aktuellen und künftigen Einsätzen noch stärker harmonisieren. Gerade in asymmetrischen Konflikten müssen wir daran arbeiten, mit genügend regionaler Flexibilität auf Lageentwicklungen zu reagieren . Entscheidend ist aber auch, dass die Einheitsregierung unter Präsident Ghani in Afghanistan in Zukunft noch stärker zu ihren Reformbemühungen steht . Frau Bundesministerin hat das ja bereits sehr richtig und sehr ausführlich ausgeführt . Die politischen Akteure müssen ihren Anteil übernehmen, um Regierungshandeln, Frauenrechte, Wirtschaftskraft in Afghanistan zu verbessern und damit die Unterstützung der Bevölkerung zu vergrößern . Willkür und Unrecht sind die gefährlichsten Brandbeschleuniger für radikales Gedankengut und erfolgreiche Rekrutierungshelfer der Taliban . Die Botschaft der Afghanistan-Konferenz in Brüssel Anfang Oktober dieses Jahres war daher sehr deutlich: Die internationale Unterstützung ist an klare Fortschritte bei der Umsetzung von Reformen geknüpft . Heute konkurriert Afghanistan mehr denn je um Ressourcen und Aufmerksamkeit mit anderen Konfliktgebieten . Umso wichtiger ist es, dass sich die Afghanen nicht in die Zeit nach dem sowjetischen Abzug 1989 zurückversetzt fühlen, in der das Land in Vergessenheit geriet . Mit dem fortgesetzten Mandat zeigen wir sehr deutlich, dass wir Afghanistan in der schwierigen Übergangsphase nicht im Stich lassen . „Geduld bedeutet, dass man immer weitblickend das Ziel im Auge behält“, so ein berühmter afghanischer Denker . Daran sollten wir uns halten und die entsprechende Geduld weiter aufbringen . Herzlichen Dank . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10347 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung somit beschlossen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen Drucksachen 18/5099, 18/10076 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Johannes Fechner für die SPD das Wort . ({2})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Tribünen! Das Angehörigenschmerzensgeld kommt endlich . Gestern ging nach langen und intensiven Diskussionen der Referentenentwurf in die Ressortabstimmung . Damit können wir noch in dieser Legislaturperiode eine Rechtsgrundlage beschließen, damit die Hinterbliebenen einen eigenen Anspruch auf Schmerzensgeld erhalten, wenn sie einen Angehörigen verloren haben . Vor meiner Wahl in den Bundestag habe ich als Rechtsanwalt Eltern vertreten, die durch einen tragischen Verkehrsunfall ihr kleines Kind verloren hatten, was unermessliches Leid über die Familie gebracht hat . Natürlich können wir dieses große seelische Leid Hinterbliebener durch den Verlust nahestehender Menschen niemals mit Geld ausgleichen . Aber zumindest ein Stück weit können wir das Leid von Hinterbliebenen durch eine Geldzahlung lindern . Dafür ist im BGB eine eigene Anspruchsgrundlage für Hinterbliebene erforderlich . Nach heutiger Rechtslage haben Angehörige nur dann einen Anspruch, wenn die hohen Anforderungen des BGH hierfür erfüllt sind . Der BGH fordert eine über das Maß der normalen Trauer hinausgehende seelische Beeinträchtigung, und das ist im Einzelfall immer nur sehr schwer nachweisbar . Es war mir persönlich - ich habe Ihnen den entsprechenden Fall geschildert -, aber auch der SPD deshalb ein großes Anliegen, dass wir für die Angehörigen und Hinterbliebenen eine klare Rechtsgrundlage für ihre eigenen Ansprüche schaffen. ({0}) Wir wollen deshalb in einem neuen Absatz 3 des § 844 BGB Personen einen Entschädigungsanspruch gegen den Schädiger gewähren, die einen nahestehenden - nicht notwendigerweise verwandten - Menschen durch eine Straftat oder einen Unfall verloren haben . Auch Mitglieder von Patchworkfamilien und unverheiratete Partner sind so erfasst. Denn ich finde, auch ein unverheirateter Hinterbliebener kann einem Verstorbenen so nahegestanden sein, dass wir ihm oder ihr zum Ausgleich ihres bzw . seines Leides einen eigenen Anspruch gewähren sollten . Was die Höhe angeht, so haben wir Koalitionsfraktionen uns dafür entschieden, dies im Einzelfall der Rechtsprechung zu überlassen, allerdings mit dem klaren Hinweis auf die Rechtsprechung in Deutschland und Europa . Es wurden hier Zahlungen von bis zu 25 000 Euro zugesprochen . Aus meiner Sicht könnte sich diese Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwickeln, dass auch noch höhere Beträge zugesprochen werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage und einen eigenen Rechtsanspruch auf Entschädigungszahlungen haben müssen . Es darf nicht sein, dass Angehörige in der schweren Zeit der Trauer in ein unwürdiges Geschacher um ihre Entschädigungszahlungen gegen den Schädiger oder dessen Versicherung eintreten müssen . Das müssen wir verhindern . ({1}) Den Grünenantrag, über den wir heute diskutieren und abstimmen, will ich ausdrücklich loben; die Forderungen in diesem Antrag sind berechtigt . Aber das Bundesjustizministerium hat jetzt ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren gestartet; der Schmerzensgeldanspruch im BGB sowie in weiteren Gesetzen und die Gefährdungshaftung werden kommen . Weil also den berechtigten Anliegen des Grünenantrags nachgekommen wird, müssen wir diesen Antrag nicht mehr verabschieden . Die Aufforderung an die Bundesregierung, tätig zu werden, ist schlicht nicht mehr nötig . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Angehörige brauchen eine klare Rechtsgrundlage für ihre Ansprüche . Lassen Sie uns diese hier möglichst rasch beschließen . Vielen Dank . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold, Fraktion Die Linke . ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Der Kollege Fechner hat es angesprochen: Nach dem Absturz der Germanwings-Passagiermaschine im März 2015 haben die Fluggesellschaften Germanwings und Lufthansa den Hinterbliebenen der Opfer eine finanzielle Überbrückungshilfe von jeweils bis zu 50 000 Euro gezahlt . Vorausgegangen waren sehr schmerzhafte - ich will es trotzdem einmal so nennen - Verhandlungen, weil die Opfer eben keinen Rechtsanspruch auf ein Angehörigenschmerzensgeld hatten - und das, obwohl Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag eigentlich dazu verpflichtet haben, Folgendes zu regeln - ich zitiere -: Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt . Weil nichts passiert war, hat die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen - das hatten Sie damals so begründet - in der 124 . Sitzung unseres Bundestages den Antrag eingebracht, den wir heute erneut behandeln und der die Bundesregierung auffordert, einen eigenen gesetzlichen Schmerzensgeldanspruch für Hinterbliebene zu schaffen. Dazu sollen entsprechende Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch geändert werden . Im Falle der Gefährdungshaftung soll der gesetzliche Schadensersatzanspruch um ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene erweitert werden . Im Opferentschädigungsgesetz soll ergänzt werden, dass Hinterbliebene im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Verursachers einen Anspruch gegen den Staat geltend machen können . In diesem Antrag wird letztlich nur das gefordert, was Sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben . Deswegen ist es unverständlich, wieso bis zum heutigen Tag bis auf Ankündigungen nichts passiert ist . ({0}) Nachdem sich der Justizminister als Ankündigungsminister genügend profiliert hat, entwickeln Sie sich, Herr Kollege Fechner, muss ich ganz ehrlich sagen, in der SPD-Bundestagsfraktion zum Ankündigungsabgeordneten vom Dienst . ({1}) In jeder Sitzung des Ausschusses, in der von Ihnen die Vertagung oder Absetzung oder Nichtbehandlung dieses Antrags beantragt worden ist, ist immer wieder angekünDr. Johannes Fechner digt worden: Wir machen das, weil wir selbst an einer Lösung arbeiten . Wir arbeiten selbst daran . ({2}) Heute kündigen Sie wieder nur an und sagen: Der Referentenentwurf ist jetzt fertig . ({3}) Damit können die Opfer und die Hinterbliebenen nichts anfangen . Davon können sie sich nichts kaufen . Deswegen wird es Zeit, dass Sie endlich liefern . ({4}) Ich kann Sie nur auffordern, alle die Dinge nachzulesen und zu berücksichtigen, die mein Kollege Jörn Wunderlich in der ersten Lesung vorgetragen hat; denn die Problemlage ist längst klar. Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass es darum gehen muss, eine Regelung zu treffen, nach der dieses Angehörigenschmerzensgeld nicht auf andere Leistungen angerechnet wird; sonst haben wir eine neue Ungerechtigkeit . ({5}) Ich fordere Sie auf, noch in dieser Legislaturperiode es sind noch zehn Monate bis zur nächsten Wahl - etwas vorzulegen, das tatsächlich beschlossen werden kann . Ich kann nicht nachvollziehen, wieso Sie hier sagen: „Der Antrag der Grünen ist gut“, dann aber nicht die Größe besitzen, ihn wenigstens zu behandeln und hier eine Zustimmung dazu herbeizuführen . ({6}) Es passierte ja auch nicht mehr, als dass die Bundesregierung aufgefordert wird, endlich zu liefern . Das wird höchste Zeit . Vielen Dank, meine Damen und Herren . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Dr . Hendrik Hoppenstedt spricht jetzt für die CDU/CSU . ({0})

Dr. Hendrik Hoppenstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004305, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor über einem Jahr, am 24 . September 2015, haben wir über den Grünenantrag hier schon einmal beraten . Jetzt ist es wieder so weit . ({0}) In dem Antrag zitieren Sie aus dem Koalitionsvertrag: Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt . Dazu darf ich erneut feststellen: Ich begrüße, wenn die Opposition sich mit unserem Koalitionsvertrag auseinandersetzt, und wenn sie ihn auch noch inhaltlich unterstützt, umso schöner . Das Abschreiben aus dem Koalitionsvertrag ist möglicherweise keine intellektuelle Höchstleistung, für unser Land möglicherweise aber immer noch besser als die Verwirklichung eigener Ideen . ({1}) Normalerweise werden Ihre Anträge von der Koalition stets aus guten Gründen zurückgewiesen . ({2}) Das werden wir auch dieses Mal tun müssen, dieses Mal mit etwas schwererem Herzen . Aber wir glauben, dass die Ergänzung des Opferentschädigungsgesetzes inhaltlich zu weitgehend ist . Allerdings haben Sie recht, dass es nicht angehen kann, dass wir nach drei Jahren immer noch nicht die erste Lesung eines Gesetzentwurfs dazu hier im Plenum haben . ({3}) Der Grund dafür ist relativ einfach: Bundesminister Heiko Maas hat uns tatsächlich erst am letzten Donnerstag einen ersten Referentenentwurf übermittelt . ({4}) Ich könnte jetzt auf eine Vielzahl von Briefen und Gesprächen mit dem BMJV verweisen, in denen ich und andere versucht haben, das Ministerium ein Stück weit zur Eile zu treiben . Das hat leider alles wenig genutzt . ({5}) Wahrscheinlich hätte ich mich heute hierhingestellt und hätte irgendetwas Freundliches, etwas Entschuldigendes oder etwas Relativierendes über das Ministerium gesagt, ({6}) wenn die SPD-Bundestagsfraktion nicht am letzten Samstag eine Pressemitteilung herausgegeben hätte, aus der ich kurz zitieren darf: Die Koalitionsfraktionen haben sich in den vergangenen Tagen endlich auf eine gesetzliche Regelung zum Hinterbliebenengeld geeinigt . Damit kann der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode eine Rechtsgrundlage beschließen, ({7}) Harald Petzold ({8}) mit der das seelische Leid Hinterbliebener durch den Verlust nahestehender Menschen ausgeglichen werden kann . In Absatz 4 heißt es: Hinterbliebene dürfen nicht mit geringen Summen abgespeist werden . Wir hätten deshalb gern in der Gesetzesbegründung einen Korridor von 30 000 bis 60 000 Euro benannt . Dieses wollte die Union nicht . Immerhin wird nun aber auf unseren Vorschlag hin in der Gesetzesbegründung als Orientierung auf Urteile verwiesen, in denen bis zu 25 000 Euro zugesprochen wurden . Meine Damen und Herren, dazu gestatten Sie mir zwei Bemerkungen . Bemerkung eins . Sie erwecken den Eindruck, dass die Koalitionsfraktionen monatelang über diese Eckpunkte gestritten hätten . ({9}) Das ist erkennbar nicht der Fall . Wir hatten zwei Themen, die uns beschäftigt haben, nämlich der Kreis der Anspruchsberechtigten zum einen und zum anderen die Anspruchshöhe . Beides haben wir in einem 30-minütigen Gespräch in Form eines Kompromisses beigelegt . Deswegen noch einmal: Für die Verzögerung ursächlich ist die Priorisierung im Hause Maas. Dort wird als Allererstes das aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet, was die SPD hineinverhandelt hat. ({10}) Dann wird sich um die Dinge gekümmert, die im Zweifelsfall gar nicht - Frau Künast, hören Sie doch kurz zu! - im Koalitionsvertrag stehen, wie zum Beispiel die Reform des Mordparagrafen . Dann erst kommen unsere Belange . Da in diesem Fall das Gesetzesvorhaben auch von der CSU kommt, ist es natürlich ein besonderes Schmuddelkind . ({11}) Zweite Bemerkung: die Sache mit der Anspruchshöhe . Das Ministerium war zwar unendlich langsam, aber wenigstens kann es lesen . ({12}) Im Koalitionsvertrag steht, dass sich der Anspruch in das deutsche System des Schadenersatzrechtes einfügen muss . Wenn der schlimmere Schockschaden mit circa bis zu 15 000 Euro entschädigt wird, dann kann der Hinterbliebenenschmerz schwerlich 60 000 Euro nach sich ziehen, Herr Fechner. Das trieft vor Populismus, jedenfalls meines Erachtens . Das scheinen selbst die Grünen so zu sehen; denn im Antrag heißt es: Die bislang üblicherweise angewandten Schmerzensgeldtabellen haben sich bewährt . Wer das ändern will, soll das offen so sagen. Er bekommt dann nämlich amerikanische Schadensersatzverhältnisse, die jedenfalls ich nicht will, weil sie auch für die Versichertengemeinschaft riesige Mehrkosten nach sich ziehen würden . ({13}) Deswegen, meine Damen und Herren von der SPD, glaube ich, war es vielleicht nicht die beste Idee, diese Pressemitteilung zu schreiben. Wenn Sie doch eine Pressemitteilung schreiben möchten, dann rate ich Ihnen zum Schluss, zwei Dinge dort hineinzuschreiben: Punkt eins. „Die SPD-Bundestagsfraktion bedauert, dass der zuständige Minister drei Jahre lang gebraucht hat, um einmal einen Referentenentwurf zu schreiben .“ ({14}) Punkt zwei. „Die SPD-Bundestagsfraktion entschuldigt sich bei den Hunderten von Menschen in unserem Land, die möglicherweise in den letzten zwei Jahren einen nahen Angehörigen verloren haben durch Verschulden oder Tötung durch einen Dritten, ({15}) weil sie es nicht geschafft hat, einen entsprechenden Gesetzesentwurf rechtzeitig vorzulegen .“ Hier möchte ich sagen: Das ist ausschließlich ein SPD-Thema. Deswegen würde ich mich freuen, wenn Sie zukünftig dafür Sorge tragen, dass Ihre Pressemitteilungen der Realität entsprechen . Danke schön . ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist es nicht schön, dass wir alle ({0}) wunderbar für das Angehörigenschmerzensgeld sind? Dass Sie jetzt in der Debatte über irgendetwas herziehen, um unseren Antrag abzulehnen, ist nicht neu, nicht überraschend und auch nicht ungewöhnlich . ({1}) Aber ungewöhnlich ist durchaus die hartnäckige Untätigkeit des Justizministeriums . Ich rufe noch einmal in Erinnerung: Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine am 24 . März 2015 wurde noch einmal offenbar, dass im deutschen Recht immer noch kein Schadensersatzanspruch für den Verlust eines nahen Angehörigen besteht . Wir haben diesen Anlass genutzt, uns noch einmal über eine konkrete gesetzliche Lösung Gedanken zu machen . Am 2 . Juni 2015 hat meine Fraktion den heute zur Abstimmung stehenden Antrag auf Vorlage eines entsprechenden Gesetzes beschlossen und in den Bundestag eingebracht . Drei Monate später, im September 2015, fand die erste Lesung statt, und da kündigten Sie schon an, es sei ja alles schon so gut wie eingetütet . Positiv überrascht war ich in der Debatte, dass wir sogar bei den Einzelheiten dieses Vorhabens tatsächlich zu den gleichen sinnvollen Ergebnissen gekommen waren, nämlich Einschränkung auf die Todesfälle, aber Anwendung auch auf die Gefährdungshaftung . Wenn wir schon einmal unabhängig zueinander zu dem gleichen Ergebnis kommen, ist das ja erst einmal positiv . Vonseiten der SPD hörte ich, der Gesetzentwurf solle noch vor Weihnachten - ich betone: Weihnachten 2015 sicher vorliegen . In der Dezemberausgabe der Richterzeitung konnte ich dann einen Artikel des Kollegen Fechner lesen . Da hieß es: Das Angehörigenschmerzensgeld gehört für mich persönlich zu den wichtigsten rechtspolitischen Vorhaben in dieser Legislaturperiode . ({2}) Aha, dachte ich, das macht Hoffnung. Am 16 . Dezember haben wir im Rechtsausschuss auf unseren Antrag hin beschlossen, eine Expertenanhörung durchzuführen . Das wäre ja auch gerade im Hinblick auf die angeblichen Arbeiten im Ministerium durchaus sinnvoll gewesen . Stattdessen wurde aber dann die Terminierung der Anhörung immer wieder abgesetzt, mal mit der Begründung, man habe keine Zeit, und mal mit dem Hinweis, der Gesetzentwurf aus dem Ministerium würde ja jeden Moment vorliegen . Nach zehn Sitzungswochen haben wir dann einen Bericht nach § 62 der Geschäftsordnung angefordert, der aber weder Sie noch das Ministerium in irgendeiner Weise beeindruckt hat . Nachdem Sie jetzt fast ein Jahr lang unser Minderheitenrecht auf Durchführung einer Anhörung boykottiert haben, geht die Legislatur langsam, aber sicher dem Ende entgegen . Und jeder weiß: Was bis Weihnachten nicht durch ist, wird auch nichts mehr . ({3}) Ich habe den Antrag auf Expertenanhörung jetzt aufgegeben, damit wir wenigstens diese zweite Lesung unseres Antrages hier heute noch durchführen können . Als ich Anfang der Woche dann die erwähnte PM las, machte ich mir schon Sorgen, und ich dachte, wir müssten den Tagesordnungspunkt zurückziehen, weil jetzt etwas vorliegt . Aber siehe da: In der Kabinettssitzung gestern stand es nicht auf der Tagesordnung, und als ich heute auf die Tagesordnung der nächsten Sitzungswoche schaute - das ist übrigens die letzte Sitzungswoche vor Weihnachten -, war auch da vom Schmerzensgeld nichts zu sehen . Wenn Ihnen das Schmerzensgeld wirklich so wichtig ist, dann bringen Sie Ihr eigenes Ministerium jetzt auf Trab und stimmen Sie unserem Antrag zu . ({4}) Das Thema wird ja nicht erst beim nächsten Flugzeugabsturz relevant . Jeden Tag sterben Menschen bei Verkehrsunfällen oder werden Opfer einer Gewalttat . Ich vermag den Angehörigen nicht zu erklären, warum zwar der Schmerz bei Verlust eines Körperteils bezifferbar ist, aber nicht der Schmerz bei Verlust eines Kindes . Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir die Bemessung des Schmerzensgeldes in Deutschland in das Ermessen des Gerichts stellen; denn jeder Fall ist individuell unterschiedlich . Wir sollten es als Gesetzgeber dabei belassen, keine Zahlen in das Gesetz zu schreiben . Die Ergänzung der Paragrafen - wir hatten vorgeschlagen, § 253 BGB zu ergänzen - kann ja nicht so komplex sein, dass das Ministerium dafür zwei Jahre braucht . Wenn ich einmal vergleiche, wie schnell Sie die Interessen der Deutschen Bank beim Insolvenzrecht, beim sogenannten Liquidationsnetting, ({5}) über das wir heute Nacht noch reden werden, gesichert und in Gesetzesform gegossen haben, dann komme ich zu dem Schluss, dass Sie diese kleine, aber wichtige Änderung des BGB im Schadensrecht dreimal hätten fertig machen können . ({6}) Tun Sie also bei der Abstimmung, was Sie meinen tun zu müssen . Meine Fraktion wird jedenfalls heute für ein Angehörigenschmerzensgeld stimmen . Vielen Dank . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Matthias Bartke . ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde bereits gesagt: Im März 2015 hat der Kopilot Andreas Lubitz sein Flugzeug absichtlich gegen die Felsen der französischen Alpen gesteuert . Die Folgen dieses schrecklichen Absturzes sind uns allen bekannt . Unter dem Eindruck dieser Katastrophe haben Sie, liebe Bündnisgrüne, den vorliegenden Antrag im vergangenen Jahr vorgelegt . ({0}) Meine Damen und Herren, wir, die Koalition, haben bereits im Koalitionsvertrag einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch für Angehörige vereinbart; ({1}) Sie haben eben durchaus zutreffend darauf hingewiesen. Der Absturz des Flugzeugs war für uns also eine Bestätigung unseres eigenen Handlungsauftrages . Anlass waren aber vor allem die Einzelschicksale, die keine mediale Aufmerksamkeit bekommen . Immer wieder kommen Menschen durch eine Straftat oder einen fremdverschuldeten Unfall ums Leben . Wird ein Kind auf seinem Fahrrad von einem Auto überfahren, bekommen die Eltern Schadensersatz für das Fahrrad und für die Beerdigung . Ihr jahrzehntelanges seelisches Leid nimmt das bürgerliche Recht nicht zur Kenntnis . Es ist aber die Trauer, die eine tiefe Kerbe schlägt . Hinterbliebenen steht zwar jetzt schon Schadensersatz für seelisches Leid zu; das ist aber nur dann der Fall, wenn sie eine schwere seelische Erschütterung über normale Trauer hinaus nachweisen können . Man spricht dann von einem sogenannten Schockschaden . Die einfache Trauer ist entschädigungslos; sie wird als hinzunehmendes Schicksal angesehen . Das wollen wir so nicht länger stehen lassen . Ich bin daher sehr froh, dass wir uns in der Regierungskoalition endlich auf eine gesetzliche Regelung zur Einführung eines Hinterbliebenengeldes geeinigt haben . ({2}) Der Verlust eines geliebten Menschen kann niemals mit Geld aufgewogen werden . Diesem Anspruch muss ein Schmerzensgeld aber auch nicht genügen . Mit der geplanten Einführung eines Hinterbliebenengeldes wird das seelische Leid der Angehörigen anerkannt, und wir bekunden unsere Solidarität . Ausschlaggebend für den seelischen Schmerz ist nicht der Verwandtschaftsgrad, sondern das Näheverhältnis . Deswegen ist es nur folgerichtig, dass all jene Anspruch auf die Entschädigungszahlung haben sollen, die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zum Getöteten standen . Erfasst sind damit zum Beispiel Patchworkfamilien oder unverheiratete Partner. Lieber Herr Hoppenstedt, ({3}) das, was Sie eben gesagt haben, war zum Teil peinlich ({4}) und zum Teil unterste Schublade . Wir Sozialdemokraten sollen uns bei Opfern entschuldigen, weil wir das Gesetz nicht schnell genug gemacht haben? Herr Hoppenstedt, ich kann Ihnen nur anraten, bei den nächsten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen Ihre Koalitionsaufträge mit einer Zeitleiste zu versehen, aus der hervorgeht, wann Sie was abhandeln wollen . ({5}) Liebe Grüne, Ihre Kritik ist im Wesentlichen die gewesen, dass die Koalitionsfraktionen ihren Koalitionsvertrag nicht schnell genug abarbeiten. Ich finde das ehrlicherweise eine bemerkenswerte Oppositionsarbeit, dass Sie der Regierung vorwerfen, nicht schnell genug die eigenen Vorhaben abzuarbeiten . Ich habe mir Oppositionsarbeit immer etwas anders vorgestellt. Ich finde es aber super, dass Sie uns so bei unserer Arbeit unterstützen, und danke Ihnen . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU das Wort. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Rechtsstaat hat zwei Wege, wie er auf eine Körperverletzung oder auf die Tötung eines Menschen reagiert . Da ist zum einen die strafrechtliche Seite . Hier steht die Strafe - die Freiheitsstrafe auf Bewährung, die Geldstrafe - im Mittelpunkt, und es geht um Schuld, Sühne, ja Vergeltung . Der Staat erhebt hier seinen Strafanspruch, und dieser Strafanspruch schützt letztendlich das Rechtsgut Leben, die körperliche Unversehrtheit . Ich will ins Gespräch bringen, dass bereits diese Seite für das Opfer bzw . die Hinterbliebenen unglaublich wichtig ist; denn diese strafrechtliche Abwicklung - so will ich es einmal nennen - zeigt dem Opfer, den Hinterbliebenen: Ihr seid nicht allein . Sie signalisiert: Der Täter steht außerhalb des rechtsstaatlichen Systems und nicht das Opfer . Sie vermittelt auch Sicherheit, weil die Hinterbliebenen merken: Der Rechtsstaat springt mir zur Seite . Es gibt aber auch eine zweite Seite, und zwar die zivilrechtliche Seite; das ist heute schon angeklungen . Da geht es zunächst um die sehr banal klingende Frage: Inwieweit kann der Schmerz, das Leid, das ein Mensch durch den Verlust eines anderen Menschen oder durch eine Körperverletzung erleidet, monetär aufgewogen werden? Ich denke, wir wissen alle, dass es Konstellationen gibt, in denen das Leid nie mit Geld aufzuwiegen sein wird. Materielle Schäden sind gut zu beziffern, aber bei immateriellen Schäden ist das so gut wie unmöglich . Und dennoch ist es so, dass auch diese zweite Seite für das Opfer, für die Hinterbliebenen unglaublich wichtig ist; denn sie hat Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion . Und gerade weil diese Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das Opfer bzw . die Hinterbliebenen von erheblicher Bedeutung ist, darf es den Rechtsstaat nicht kaltlassen, dass wir hier eine Regelungslücke haben, ich möchte sagen: einen blinden Fleck . Der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat diesen blinden Fleck vor einigen Jahren sehr gut beschrieben . Er hat gesagt: Wenn Eltern ihr Kind durch einen Unfall verlieren - das Kind wird auf dem Fahrrad sitzend auf dem Schulweg von einem Auto angefahren -, dann hat der Rechtsstaat nur unbefriedigende Antworten . Denn er antwortet: Wir können euch sehr wohl materiellen Ersatz für das zerstörte Fahrrad geben, aber es ist nicht vorgesehen, dass auch nur ansatzweise ein Ersatz für das Leid und für den Schmerz geleistet wird, den ihr durch den Verlust eures Kindes erlitten habt . - Da wird das Problem offensichtlich. Das deutsche Zivilrecht kennt kein Schmerzensgeld für nahe Angehörige . Auch die Rechtsprechung über die Schockschäden, die sehr dezidiert und differenziert ist, hilft - das ist heute schon angeklungen - in dem Moment nicht weiter; denn sie fordert dramatische Auswirkungen von einigem Gewicht und von einiger Dauer . Die bloße Trauer, der bloße Schmerz, so tragisch das klingt, genügt nicht . Das war der Grund, warum die CSU im Jahr 2013 darauf gedrungen hat, dass dieser Punkt unmittelbar im Koalitionsvertrag Berücksichtigung findet. ({0}) Da sich dann - das muss man so offen ansprechen - im Justizministerium über Jahre hinweg nichts getan hat, war ich sehr dankbar, als das bayerische Justizministerium Anfang 2015, im Januar, einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat, um diese Problematik sachgerecht abzubilden . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich will in einer gewissen großkoalitionären Verbundenheit zumindest so viel sagen: ({1}) Ich war in der heutigen Debatte schon etwas amüsiert, ({2}) dass Sie tatsächlich den Versuch unternommen haben, sich als Fahnenträger, ja sogar als Erfinder des Angehörigenschmerzensgeldes feiern zu lassen, und das, nachdem Sie drei Jahre lang nichts unternommen haben, ({3}) nachdem Ihr Minister auf diesem Feld drei Jahre lang nichts unternommen hat . Deswegen würde ich vorschlagen: ({4}) Weniger feiern lassen, weniger reden; wir sollten bei diesem Thema endlich einfach einmal machen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10076, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5099 abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes Drucksache 18/9466 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0}) Drucksache 18/10496 Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen . Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 unserer Verfassung die absolute Mehrheit, das heißt 315 Stimmen, erforderlich ist . Das ist die sogenannte Kanzlermehrheit . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Ingrid Pahlmann. ({1}) Liebe Frau Kollegin, Sie nutzen Ihren heutigen Geburtstag für diese Rede . Sie feiern Ihren Geburtstag hier im Hohen Hause . Ich möchte Ihnen für dieses außerordentlich hohe Maß an Pflichterfüllung danken, vor allem aber zu Ihrem Geburtstag herzlich im Namen der Kolleginnen und Kollegen gratulieren . ({2})

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Recht herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir beraten heute den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes. Mir ist bewusst, dass Fischereithemen nicht bei allen Kollegen ganz oben auf der Agenda stehen . Daher möchte ich mit einigen grundlegenden Anmerkungen beginnen . Das Seefischereigesetz ist die Grundlage im deutschen Recht für den gewerbsmäßigen Fischfang auf See . Außerdem regelt es Aufgaben und Zuständigkeiten bei der behördlichen Überwachung der Seefischerei. Kernanliegen des Seefischereigesetzes ist es, die Fischbestände zu schützen . Daher sieht die Gemeinsame Fischereipolitik der EU ein geregeltes Bewirtschaftungssystem vor, das die Reproduktionsfähigkeit der Bestände langfristig sichert, die Fangmöglichkeiten gerecht aufteilt, insgesamt den Erhalt von Meeresressourcen garantiert und damit natürlich auch den Fischern einen wirtschaftlich ausreichenden Ertrag sichert . Die Fischer werden auf verschiedenste Weise kontrolliert und überwacht . Sie sind über ein Satellitensystem jederzeit zu orten . Sie müssen die Quoten der einzelnen Fischarten einhalten, jeden Hol ins Logbuch eintragen und aufgrund des Rückwurfverbotes auch alle Beifänge in den Häfen anlanden . Darüber hinaus gibt es Modellversuche mit einer Kameraüberwachung an Bord, um jegliche Manipulation auszuschließen . Die Erfassung der Daten und die strikte Kontrolle spielen also eine große Rolle . Mit der Änderung des Seefischereigesetzes, über die wir hier heute diskutieren, werden einzelne Vorschriften im deutschen Recht an das geltende Fischereirecht der EU angepasst. Viele Passagen im Gesetz waren absolut unstrittig . Strittig war allerdings in den letzten Wochen das Ansinnen der Bundesregierung, das BMEL zu ermächtigen, die seewärtige Fischereiaufsicht auf den Zoll und die Bundespolizei auszuweiten . Sie könnten dann neben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, der BLE, auch wieder Aufgaben in der Fischereiaufsicht wahrnehmen, wie sie das bis 2011 auch getan haben . Darüber, wie sinnvoll nun diese Zusammenführung von verschiedenen Kontrollinstanzen ist, welche Vorteile, aber vor allem auch welche Nachteile sich dadurch für unsere Fischer ergeben, haben wir in den letzten Wochen viel diskutiert . ({0}) Es ist sicherlich sinnvoll, die gute Zusammenarbeit der drei schiffsführenden Ressorts BMF, BMI und BMEL zu stärken und die enge Zusammenarbeit der BLE und der Zollverwaltung im Maritimen Sicherheitszentrum in Cuxhaven zu vertiefen . Andererseits befürchten aber nun vor allem die Fischer ausufernde zusätzliche Kontrollen . Wir haben diese Sorge sehr ernst genommen und haben in den Verhandlungen mehrfach darüber debattiert . So ging es hauptsächlich um die Frage: Sind der Zoll und die Bundespolizei bei diesen dezidiert fischereirechtlichen Fragen in der Lage, die vielschichtigen und komplexen Kontrollen an Bord versiert durchzuführen? Es geht um die Beurteilung von Fischarten, von Fischmengen, von Fischgrößen, von Netzarten, von Maschengrößen und vielem mehr . Ich muss sagen: Auf diese Frage haben mein Kollege Saathoff und ich keine zufriedenstellende Antwort bekommen . ({1}) Andererseits ist diese Kompetenzverteilung auf Zoll und Bundespolizei keine neue Errungenschaft . Seit den 90er-Jahren gab es bereits eine Rechtsgrundlage für eine solche Tätigkeit . Sie wurde auch ausgeübt . Wohl versehentlich wurde dieser Passus dann im Jahre 2011 im Rahmen der letzten Änderung des Seefischereigesetzes gestrichen . Seitdem wurden vom Zoll mangels tragfähiger Rechtsgrundlage keine Fischereivollkontrollen mehr vorgenommen . Im Jahr 2014 haben dann BMEL und BMF aufgrund einer Verordnung vereinbart, dass die Zollverwaltung bis zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes, also bis zum heutigen Tag, wieder Kontrollen durchführen kann. Um diese Praxis nun auf eine ordentliche Rechtsgrundlage zurückzuführen, soll die Streichung von 2011 rückgängig gemacht werden . Das war ein absolut kurzer Abriss der durchaus hitzig geführten Diskussion . Ich habe es mir selbst nicht leicht gemacht, den viel diskutierten § 2 Absatz 7 des Seefischereigesetzes, um den es hier geht, wieder im Gesetz zu verankern . Aber ich möchte an dieser Stelle eines ganz deutlich machen: Nach allen Restriktionen, die den Fischern vor allem in letzter Zeit auferlegt wurden - ich denke an die extreme Absenkung der Dorschfangquoten in der Ostsee -, können wir uns keine weitere Verzögerung der Verabschiedung des Gesetzentwurfs erlauben . ({2}) Denn wenn wir noch weiter debattieren, geht es nicht mehr nur um den Unmut unserer Fischer über zusätzliche Kontrollen, sondern schlichtweg um ihre Existenz . ({3}) Können wir den Gesetzentwurf heute nicht verabschieden, werden die Gelder aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds nicht ausgezahlt, die an die Erfüllung der Gesetzesvorhaben gebunden sind . Wir sollten Vizepräsident Johannes Singhammer also nicht länger die nötigen EU-Zahlungen blockieren . Mein Plädoyer, bevor wir gleich über die Änderungen abstimmen, ist hoffentlich deutlich geworden: Es darf keine unnötige Verlängerung der Diskussion geben . Vielmehr müssen wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden . Denn damit bringen wir das Geld für die Fischer auf den Weg . Ich kann Sie nur eindringlich darum bitten: Stimmen Sie dem vorgelegten Gesetzentwurf zu! Ich danke Ihnen . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Birgit Menz . ({0})

Birgit Menz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004619, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Meere und Ozeane unseres Planeten sind Heimat für unzählige Tiere und Pflanzen und ernähren Millionen von Menschen in allen Teilen der Erde . Klimawandel, Umweltverschmutzung und Überfischung stellen das Ökosystem Meer vor noch nie dagewesene Herausforderungen . Die intensive Bewirtschaftung der Gewässer der letzten Jahre trägt unweigerlich dazu bei, dass nicht nur die Ernährungssicherheit vieler Menschen auf dem Spiel steht, sondern ganze Ökosysteme zu kollabieren drohen . Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Seefischereigesetzes soll dem Ziel der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union, die Fischpopulationen zu stabilisieren und eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meere zu erreichen, Rechnung getragen werden . Dabei spielt die Kontrolle einer Anlandungsverpflichtung eine wichtige Rolle; denn pro Jahr landen unter anderem durch umweltgefährdende Fangmethoden viele Millionen Tonnen Meereslebewesen unbeabsichtigt - sprich: zusätzlich - in den Netzen, der sogenannte Beifang . Dass dieser vor 2015 einfach über Bord geworfen werden durfte, führte zu einer riesigen Verschwendung von Meereslebewesen aus rein wirtschaftlichen Gründen; denn die meisten der zurückgeworfenen Fische überlebten diese Strapaze nicht . Mit dem Rückwurfverbot schob die EU dieser verschwenderischen Praxis endlich einen Riegel vor . ({0}) Entsprechend der Anlandungsverpflichtung muss nun der gesamte Fang an Bord verbleiben und auf die Quoten angerechnet werden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Einhaltung des Rückwurfverbotes sicherzustellen und die detaillierten Dokumentationen aller Fangreisen zu kontrollieren . Im Rahmen einer Bewertung werden dabei verschiedene Kriterien wie der Schadenswert, die wirtschaftliche Lage der Täterin und der Täter oder Ausmaß oder Wiederholung des Verstoßes berücksichtigt . Aus dem Gesetzentwurf geht nicht hervor, dass ab 2017 auch ein strengerer Maßstab für die Bewertung des Anlandungsgebots in Kraft tritt . Zwar ist geregelt, welches Bußgeld zu verhängen oder welches Strafverfahren im Falle eines schweren Verstoßes einzuleiten ist, jedoch ist nicht erklärt, worin dieser schwere Verstoß besteht . Im Sinne der Transparenz sollten die inhaltlichen Kriterien für die Bewertung von Verstößen aufgeführt werden, um Klarheit für die Fischerinnen und Fischer zu schaffen. ({1}) Auch die im Gesetz vorgesehene Ermächtigung des Landwirtschaftsministeriums, die Überwachung und die Fischereiaufsicht auf die Behörden der Zollverwaltung und der Bundespolizei zu übertragen, ist zumindest kritisch zu hinterfragen . Zwar sind solche Amtshilfen in vielen Bereichen üblich, ({2}) jedoch sehen wir hier derzeit das Problem, ob überhaupt ausreichende personelle und technische Ressourcen vorhanden sind, die eine effektive und verlässliche Kontrolle garantieren und nicht zur Überlastung der zuständigen Beamten und Beamtinnen führen . Neben der ökologischen Entwicklung muss die aktuelle sowie die zukünftige Fischereipolitik sozial gerecht ausgestaltet werden . ({3}) Vor allem kleine und mittlere Betriebe sehen durch Fangquoten und Schonzeiten ihre Existenz bedroht . Um die maritime Umwelt ebenso wie die Existenz der Küstenfischerei zu schützen, braucht es ein vernünftiges, existenzsicherndes Modell, welches ein Fortbestehen dieses Berufsstandes garantiert . ({4}) Um Fischpopulationen zu stabilisieren und eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meere zu erreichen, kann ein konsequentes Umsetzen des Rückwurfverbotes jedoch nur der Anfang sein . Die Linke fordert deshalb, die Fangquoten streng nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen festzulegen, gänzlich auf Grund- und Schleppnetze zu verzichten und alternative Fangmethoden, die den sogenannten Beifang vermeiden und die Meeresumwelt schonen, zu fördern . Danke . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Johann Saathoff, SPD. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es bei dieser Änderung des Seefischereigesetzes? Im Kern geht es um die Umsetzung von zahlreichen Bestimmungen des EU-Rechtes . Zum Beispiel geht es darum, Sanktionierungen bei Fehlverhalten zu regeln, und zwar nicht nur bei Fehlverhalten von Fischern, sondern auch bei Fehlverhalten von Inhabern von Fischereilizenzen, also den Fischereibetrieben . Es geht darum, die Zuständigkeit für Fragen jeglicher Art hinsichtlich Fangerlaubnissen auf das Verwaltungsgericht Hamburg zu übertragen, damit Rechtsklarheit besteht . Es geht darum, dass Kapitäne Auskunftsrechte hinsichtlich möglicher Strafpunkte erhalten . Das ist da genauso wie mit Flensburg . Dafür müssen sie das Recht haben, die Auskunft zu bekommen . Man kann das alles mittragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das will ich an dieser Stelle sagen . Wichtig ist, dass das Gesetz zügig - also noch in diesem Jahr - verabschiedet wird; denn die Konformität mit EU-Recht ist die Voraussetzung für die Auszahlung von Fördermitteln aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds, dem EMFF . Der EMFF ist für die Fischerei besonders jetzt von enormer Bedeutung . Das liegt an den Stilllegeprämien, die sonst nicht möglich wären . Was ist das eigentlich? Fischer verpflichten sich freiwillig, nicht rauszufahren und damit die Bestände zu schonen . Dabei verdienen sie natürlich kein Geld, und damit sie Geld verdienen, bekommen sie eine Entschädigung aus EMFF-Mitteln . Wir haben ein aktuelles Problem - wir haben miteinander darüber gesprochen -, müssen wir 2017 doch eine starke Kürzung der Fangquote - von weit über 50 Prozent beim Ostseedorsch hinnehmen, weil unter anderem der Nachwuchs des Ostseedorsches 2015 komplett ausgefallen ist . Die Gründe dafür können vielfältig sein, sie sind auf jeden Fall nicht bei den Fischern zu suchen . Die Fischerei ist auf die Stilllegeprämie mindestens so lange angewiesen, bis die Dorschquote wieder auskömmlich ist . ({0}) Ohne EMFF, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Nachhaltigkeit der Fischerei gefährdet . Wer nachhaltige Fischerei will, muss auch sicherstellen, dass die Fischerei selber eine nachhaltige Grundlage hat . Allerdings gibt es einen deutlichen Webfehler im Gesetz - das will ich an dieser Stelle noch einmal ausführen -, nämlich die Übertragung von Aufgaben der Fischereiaufsicht von der BLE auf die Bundespolizei bzw . den Zoll . „Laat de Kaat man lopen, Melk gifft de doch neet!“, sagt man in Ostfriesland, wenn ein eigentlich Unzuständiger sich für zuständig erklärt . Ich habe die Handreichung der BLE einmal mitgebracht . Das ist übrigens nur das Kerncurriculum, dazu gibt es noch weitere Dinge, doppelseitig bedruckt, in Englisch - lauter Fachchinesisch und lauter Fachlatein . Der Zoll soll zum Beispiel Fangkontrollen durchführen . Er muss also in der Lage sein, den Rundnasengrenadier vom Schwarzen Degenfisch zu unterscheiden. Fragt mich, wer von uns das kann! Es gibt Vorschriften hinsichtlich der Beifänge, hinsichtlich der Fangmethoden, Netzgröße, Netzform, Maschenweite, Maschenform und, und, und . Viel Spaß, Kolleginnen und Kollegen, kann ich da nur sagen . ({1}) Diese Kontrollen sollen für Zoll und Bundespolizei möglich werden in einer Zeit der Diskussion über Kameras an Bord, in einer Zeit, wo man mittels AIS-Daten von der Badewanne aus sehen kann, wo sich die Fischereifahrzeuge gerade befinden, mit Vessel-Monitoring-Systemen, in einer Zeit, wo die Fangdaten je Hol in das Logbuch einzutragen sind, und einer Zeit, in der wir gerade dabei sind, neue Schiffe für die BLE bauen zu wollen. Wofür eigentlich, wenn der Zoll das alles kann? Warum gibt es das nicht eigentlich auch umgekehrt? Das heißt, die BLE kontrolliert neben den Belangen der Fischereiaufsicht mit, ob eventuell Zigaretten geschmuggelt worden sind . ({2}) Ich glaube, das ist dann viel einfacher . Ein Argument für die Kompetenzübertragung auf Zoll und Bundespolizei war, dass es diese Grundlage früher bereits gegeben habe und dies nur aus Versehen herausgefallen sei . Es war aber auch in der Vergangenheit nicht sinnvoll . Es gab 1 100 Sichtkontrollen in fünf Jahren . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sichtkontrolle heißt, am Schiff vorbeifahren und gucken, ob eine Flagge gehisst ist, ob sozusagen die Kennzeichnung dran ist mehr nicht . Keine wesentlichen fachlichen Kontrollen hat es gegeben . Es gab früher nur den Anschein besserer Kontrollen . Die Staatssekretärin sagte im Ausschuss: Die Kontrollkompetenzen der BLE werden nicht eingeschränkt . Faktisch wird es aber keine besseren weiteren Kontrollen durch Zoll und Bundespolizei geben können, wie die Vergangenheit gezeigt hat . Also ist der Sinn, ein Gefühl von mehr und besseren Kontrollen zu vermitteln - quasi Potemkin’sche Kontrollen, wenn man so will. ({3}) Es wird der Anschein von mehr Kontrollen für die Bürgerinnen und Bürger und von mehr Kontrollen für die Fischer erweckt . Als neues Argument kommt hinzu, dass dadurch die Erhöhung der Achtsamkeit der Fischer eintrete . Fischerei wird über die gefährliche Tätigkeit - und glauben Sie mir, ich kenne Menschen, die auf See geblieben sind - hinaus zur gefahrengeneigten Tätigkeit . Man muss nicht nur aufpassen, nicht unterzugehen, sondern auch aufpassen, nicht bestraft zu werden . Zollkontrollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind an Land - im landwirtschaftlichen Sektor - schon enorm schwierig . Mir leuchtet einfach nicht ein, warum das auf See einfacher sein soll . Wenn es um zusätzliche Aufgaben für den Zoll gehen soll, dann hätte ich eine Idee, nämlich den illegalen Welpenhandel . ({4}) Ich finde, das wäre als Aufgabe für den Zoll angebracht; da muss etwas gemacht werden . Das ist nicht kompliziert, und hier besteht dringender Handlungsbedarf . Die betroffenen Bundesländer haben für sich ein Anhörungsrecht bei der Umsetzung der Kompetenzen für den Zoll eingefordert . Grundsätzlich - das kann man daraus lesen - sehen die Bundesländer das aus, wie ich gerade dargelegt habe, nachvollziehbaren Gründen also ebenfalls kritisch . Da gibt es eine Gelegenheit, noch einmal über das Ganze nachzudenken; denn nicht jede Ermächtigung muss auch unbedingt umgesetzt werden . Wenn das dann doch gemacht wird, dann sagt mir mein Gefühl, dass das Seefischereigesetz noch weitere Änderungen erfahren wird . Dann wird diese Kompetenzregelung immer wieder diskutiert werden müssen . Ich freue mich schon auf die entsprechenden Erfahrungsberichte darüber, wie ineffektiv diese Kontrolle tatsächlich stattgefunden hat . Wer sich um illegale Fischerei kümmert, der sollte sich nicht auf Nord- und Ostsee kaprizieren, sondern lieber im südostasiatischen Raum suchen . Dort gibt es Schiffe, die über ein Jahr lang nicht nach Hause kommen. Dort gibt es Sklaverei und Menschenhandel . Dort gibt es Trash-Fishing; da wird alles rausgefischt, durch die Wurstmühle gedreht und anschließend als Shrimpsfutter verkauft. Dort liegen die wirklichen Probleme. An diesen Problemen können weder BLE noch Zoll oder Bundespolizei etwas ändern, aber wir sollten intensiv darüber diskutieren . ({5}) Trotzdem bekommen Sie, da die Fischer dringend unsere Unterstützung brauchen und die EMFF-Mittel ausgezahlt werden müssen, unsere Zustimmung . Frau Pahlmann, Ihnen danke ich noch einmal ganz herzlich auch für Ihre Worte gerade . Es war eine konstruktive Diskussion, die wir miteinander geführt haben . Dafür herzlichen Dank! ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bevor ich gleich dem Kollegen Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen das Wort erteile, möchte ich bitten, die ganz unaufschiebbaren Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen, damit wir dem Kollegen zuhören können. - Herr Kollege Ostendorff, jetzt haben Sie das Wort .

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute sollen wir die novellierte Fassung des Seefischereigesetzes beschließen . Es regelt die Ausübung der Seefischerei im Hinblick auf den Schutz und die Überwachung unserer Fischbestände und damit den Erhalt der biologischen Meeresschätze . Grundsätzlich verfolgt die europäische Fischereipolitik das Ziel, eine Nutzung lebender aquatischer Ressourcen unter nachhaltigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen zu sichern . Mit dieser Gesetzesänderung werden Regelungen des Seefischereigesetzes an das novellierte EU-Recht angepasst und innerstaatliche Zuständigkeiten geändert, um die seewärtige Fischereiaufsicht auf den Zoll oder die Bundespolizei zu übertragen . Dadurch wird der Zollverwaltung oder der Bundespolizei ganz oder teilweise die Kontrolle der Fischerei auf See jenseits der um 3 Seemeilen seewärts erweiterten Basislinie bis zur Landesgrenze der Bundesrepublik Deutschland übertragen . Sie merken, ich stutze da immer etwas . Als bodengebundener Flachländer ist das für mich sehr fremd, aber wir haben uns da durchgekämpft . Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie spüren alle bei diesen wenigen Anmerkungen, was hier an Bürokratievereinfachung gewirkt hat . Das ist sicherlich ein Paradebeispiel von Bürokratievereinfachung der allerfeinsten Art . ({0}) Wie sich im Ausschuss herausgestellt hat und wie wir heute Abend bei meinem Vorredner gerade wieder erlebt haben, haben Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, uns einen Gesetzentwurf vorgelegt, von dem zumindest die SPD nicht überzeugt ist. ({1}) Wundersame Dinge passieren: Sie legen etwas vor, sind aber dagegen; trotzdem stimmen Sie dafür . Ich frage mich, welcher Wähler oder welche Wählerin diesen Wirrwarr noch nachvollziehen kann . ({2}) Wir haben einen Abstimmungswirrwarr und einen Kompetenz- und Kontrollwirrwarr, die ihresgleichen suchen . Warum soll es eigentlich zwei Zuständigkeiten für ein und dieselbe Sache geben? Warum soll die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bis zu dieser Basislinie plus 3 Seemeilen seewärts zuständig sein, und dahinter sind dann der Zoll und die Bundespolizei zuständig? Wie das funktioniert, soll man einmal den Bürgern erklären . Ich frage mich, welches Flaggenmeer wir demnächst haben, was die Basislinie ist, ob die bei Ebbe oder Flut gemessen wird und ob wir uns über die Basislinie überhaupt einig werden . Das wird noch sehr interessant . ({3}) Damit die Kontrolle nicht vorher kentern geht, wie Fischer sagen - das heißt auf Deutsch: zusammenbricht -, sollte das Gesetz unbedingt nochmals überarbeitet werden . Wir Grüne hoffen, dass diesem Gesetz in der praktischen Umsetzung nicht der Wind aus den Segeln genommen wird und unsere Fischbestände im Sinne der Empfehlungen des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung auch nachhaltig erhalten bleiben . Herr Minister, setzen Sie endlich die Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung für die zukünftigen Generationen um . ({4}) Das heute vorliegende, novellierte Seefischereigesetz wird zum Beispiel den Dorschbeständen in der westlichen Ostsee wenig nutzen - auch das habe ich bei der Arbeit gelernt, nämlich dass es die westliche und die östliche Ostsee gibt -: Der Westdorsch durfte zwei Jahrzehnte lang, von den Kontrollen geduldet, überfischt werden. Im Oktober dieses Jahres hätten Sie, Herr Minister, die Chance gehabt, zur nachhaltigen Fischfangpolitik in der Ostsee zurückzukehren . Aber auch diese Chance haben Sie in den Wind geschrieben . Was die See genommen, gibt sie nie zurück - so sagt ein Fischersprichwort . Statt den Vorgaben des Internationalen Rates zu folgen und eine Kürzung der Westdorschfangquote um 87 Prozent zu unterstützen, haben Sie, Herr Minister Schmidt, sich auf EU-Ebene dafür starkgemacht, die Fangquote in der westlichen Ostsee nur um 56 Prozent und in der östlichen Ostsee um 25 Prozent abzusenken . ({5}) Die EU-Fischereiminister haben leider beschlossen, dass die wissenschaftliche Vorgabe um 63 Prozent überschritten werden darf . All das ist legal . Wer Fischern helfen will, meine Damen und Herren, muss dafür sorgen, dass ihnen auch zukünftig noch etwas ins Netz geht . ({6}) Der Nordseeplan ist momentan in der Erarbeitung . Wir Grüne hoffen, dass Sie die Fehler des Ostseeplanes nicht wiederholen . Sorgen Sie dafür, dass unsere Fischerinnen und Fischer endlich verlässliche Planungsgrundlagen haben und wissen, wie es morgen und übermorgen für sie weitergeht . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Kordula Kovac für die CDU/CSU . ({0}) Ich darf alle Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin Wichtiges zu besprechen haben, daran erinnern: Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass auch jemand von uns einmal am Ende einer solchen Aussprache kurz vor einer namentlichen Abstimmung das Wort erteilt bekommt . Ich bitte deshalb, entsprechend aufmerksam zu sein . ({1})

Kordula Kovac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004604, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren oben auf der Tribüne! Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben eigentlich schon alles gesagt . ({0}) Jetzt liegt es an mir, alles zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen. Ich mache es daher kurz: Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf bringen wir im Wesentlichen das deutsche Recht mit dem geltenden Fischereirecht der EU in Einklang und passen es an die Praxis an . Wichtig ist es mir, an dieser Stelle festzuhalten: Die Regelungen gehen nicht über unmittelbar geltendes EURecht hinaus . So kontrovers wir hier auch debattieren mögen: Eigentlich ist das Gesetz in weiten Teilen völlig unumstritten. Meine Kollegin Ingrid Pahlmann - ich möchte dir auch von dieser Stelle heute noch einmal zum Geburtstag gratulieren, liebe Ingrid; ({1}) vielleicht klatschen die Kollegen, die eben geklatscht haben, jetzt noch einmal ({2}) hat es bereits dargestellt. Das Seefischereigesetz dient neben der Regelung der Seefischerei vor allem der Umsetzung von Bestimmungen der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU . Mit der GFP wird die Ausübung der Seefischerei im Hinblick auf Schutz der Bestände und Erhalt der biologischen Vielfalt, Überwachung und Strukturpolitik der Fischwirtschaft geregelt . Durch diese länderübergreifende gemeinsame Politik wird gewährleistet, dass Überfischung verhindert bzw . gemindert wird . Der Nachhaltigkeitsgedanke, den Carl von Carlowitz für den Wald formuliert hat, gilt auch für unsere Meere und Gewässer: Es darf der Natur nur so viel entnommen werden, wie auch wieder nachwachsen kann, in diesem Fall: nachkommen kann . Darüber hinaus regelt das Seefischereigesetz auch die Aufgaben und Zuständigkeiten bei der behördlichen Überwachung der Seefischerei; denn selbst die besten Regeln nützen nichts, wenn ihre Einhaltung nicht kontrolliert wird . Genau hierüber streiten wir uns nun heute, nicht um die Kontrolle per se, sondern darüber, wer sie durchführen soll . Meine Damen und Herren, mit dem heute zu beschließenden Gesetz werden, wie bereits von den Kolleginnen und Kollegen gesagt, im Wesentlichen folgende Dinge geregelt: Erstens . Das Verwaltungsgericht Hamburg ist von nun an zuständig für sämtliche Streitigkeiten, die Fangerlaubnisse betreffen. Das ist ein, wie ich finde, gelungenes Beispiel für Kompetenzbündelung . Zweitens . Mit der Ausdehnung auf eine der drei zuletzt erteilten Fangerlaubnisse wird der BLE mehr Zeit eingeräumt, festzustellen, ob eine Fangerlaubnis wegen erheblicher Überschreitung oder Missbrauchs einer früheren Erlaubnis zu versagen ist . Bessere Kontrolle also sehr schön! Drittens . Ab sofort kann das BMEL die Kompetenz zur Überwachung und Unterstützung der Seefischerei der Zollverwaltung oder der Bundespolizei ganz oder teilweise übertragen . Damit wird die bisherige Kontrollzuständigkeit der BLE auf zwei weitere Behörden ausgeweitet . Jetzt kann man natürlich den Zeigefinger heben. „Kompetenzwirrwarr“ und „Webfehler“ sind ja auch wirklich schöne Worte. Und aus Prinzip dagegen zu sein, ist ein beliebter Sport der Linken und der Grünen, auch von dir, lieber Kollege . ({3}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir doch bitte die Kirche im Dorf . Es ist ja nicht so, als würden wir hier völlig neues Terrain betreten . Dass sich BMEL, BMI und BMF die Zuständigkeiten bei der Kontrolle der Fischerei teilen, ist absolut nichts Neues . Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, der Bundespolizei und dem Zoll in diesem Bereich ist bereits seit Jahrzehnten gängige Praxis. Letztendlich wird diese Praxis durch das heute zu beschließende Gesetz nur gesetzlich verankert . Dass manche daraus einen Staatsakt machen wollen, halte ich für völlig überzogen . Ja, vielleicht kann man über die Kompetenz von Zoll und Bundespolizei im Hinblick auf das nötige Detailwissen streiten . Ja, es mag mehr Kontrollen insgesamt für die Fischer geben . Aber, meine Damen und Herren, es gibt eben auch Geld; und darum geht es heute letztendlich . Wer jetzt weiterhin seine Befindlichkeiten, bezogen auf die Kompetenzübertragung, hochhalten will, tut dies auf dem Rücken der Fischerinnen und Fischer . Das schnelle Verabschieden des Gesetzes ist geboten, damit die Mittel des Europäischen Meeres- und Fischereifonds EMFF an unsere Fischer ausgezahlt werden können . Der EMFF hilft den Fischern unter anderem bei der Umstellung auf die nachhaltige Fischerei . Und das, liebe Freundinnen und Freunde hier im Plenum, eine nachhaltige Fischerei, ist doch unser aller Ziel . Lassen Sie daher doch bitte bei der Abwägung Augenmaß walten, und stellen Sie sich die Frage, ob Ihre Bedenken gegen diese Kompetenzübertragung es wirklich rechtfertigen, gegen das Gesetz zu stimmen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fischerei in Deutschland ist ein traditioneller Bestandteil von Wirtschaft und Kultur, sowohl an der Küste als auch im Binnenland . Helfen Sie mit, dass das auch so bleibt! Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu! Danke schön . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Seefischereigesetzes. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/10496, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9466 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte Sie, noch an Ihren Plätzen zu bleiben, weil wir jetzt bei der zweiten Lesung sind und es erkennbar sein soll, wer für welche Entscheidung verantwortlich zeichnet . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen worden . Jetzt kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit - das sind derzeit 315 Stimmen - er- forderlich . Wir stimmen nun über diesen Gesetzentwurf namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Abstimmungsurnen besetzt? - Ich bitte um Bestätigung durch Handzeichen, ob alle Abstimmungs- urnen besetzt sind. - Ja, alles klar. Dann eröffne ich jetzt die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf . Sind noch Kolleginnen oder Kollegen hier im Saal, die ihre Stimmkarte abgeben möchten, aber das bisher noch nicht geschafft haben? Ich bitte, mir das kundzu- tun . - Das ist jetzt erkennbar nicht mehr der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben .1) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 1) Ergebnis Seite 20614 C Türkei-Politik neu ausrichten Drucksache 18/10472 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch gibt es keinen . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen. ({1})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Die letzten Monate haben uns eindringlich gezeigt, dass wir eine radikale Wende in der Türkei-Politik der Bundesregierung brauchen . Es kann nicht sein, dass der türkische Staatspräsident Erdogan immer mehr Leute verhaften, entlassen und, ja, auch foltern lässt . Aber das Einzige, was der Bundesregierung und vor allem Bundeskanzlerin Merkel dazu einfällt, ist es, sich besorgt, ja bestenfalls alarmiert zu zeigen . Dass diese zur Schau gestellte Besorgnis irgendetwas bewirkt, glauben immer weniger Menschen auch in unserem Land . ({0}) In Umfragen wie der von Infratest dimap im August fordern 88 Prozent der Befragten Konsequenzen in der Türkei-Politik angesichts der verheerenden Entwicklungen in der Türkei . ({1}) Wie die Linke wollen diese 88 Prozent kein Weiter-so in der Politik gegenüber der Türkei. ({2}) Sie haben, wie wir eben auch, kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung außer warmen Worten praktisch nichts unternimmt, um das unterdrückerische islamistische Regime in Ankara zur Freilassung von Akademikern, von Journalisten, von Parteivorsitzenden sowie von mittlerweile über 2 000 inhaftierten Mitgliedern der prokurdischen HDP zu bewegen. Die HDP-Vorsitzenden Demirtas und Yüksekdag sind in akuter, großer Gefahr, auch weil die türkischen Behörden durch die gemeinsame Unterbringung mit Al-Qaida-Mitgliedern im Hochsicherheitsgefängnis von Edirne auf einen Lynchmord spekulieren . Meine Damen und Herren, unternehmen Sie endlich etwas für die Freilassung von Demirtas und Yüksekdag! ({3}) Jetzt stöhnen Sie schon wieder: Ja, was kann man denn schon machen? Ich möchte Ihnen wirklich einige Ideen hier mitgeben, was man konkret machen kann . Beenden Sie die Waffenlieferungen an die Türkei! ({4}) Es ist doch wirklich ein Verbrechen, dass die Türkei im ersten Halbjahr 2016 von Platz 25 auf Platz 8 der Bestimmungsländer deutscher Rüstungsexporte aufgerückt ist, meine Damen und Herren . Frieren Sie die EU-Beitrittsgespräche ein! Und stoppen Sie endlich auch die EU-Beitrittshilfen wie die Vorbeitrittshilfen! ({5}) Ich frage mich auch: Was versprechen Sie sich denn davon, jährlich an eine Diktatur wie die Türkei 630 Millionen Euro an Vorbeitrittshilfen zu bezahlen und damit sozusagen 20 Prozent der aus deutschen Steuergeldern an die EU gezahlten Beiträge an eine Diktatur zu überweisen? Ist es, weil Sie denken, die Türkei sei ein unsinkbarer Flugzeugträger und deshalb brauchten Sie sie? Oder ist es, weil Sie meinen, die Türkei würde uns dann die Flüchtlinge vom Hals halten? Nicht zuletzt fordern wir auch: Stoppen Sie die geplante Erweiterung der Zollunion mit der Türkei! Denn auf der einen Seite zu suggerieren, dass Sie Skepsis bezüglich der EU-Beitrittsgespräche haben, auf der anderen Seite aber durch die Hintertür die Zollunion zu erweitern und damit dieses Regime zu unterstützen, das nenne ich wirklich ein Täuschungsmanöver . Deshalb müssen Sie damit aufhören . ({6}) Es geht aber nicht nur um die Menschen in der Türkei, meine Damen und Herren, es geht auch um die Sicherheit der Menschen hier in Deutschland . Es wird immer deutlicher: Durch Ihre Partnerschaft mit Erdogan haben Sie mit dazu beigetragen, dass sich Mordkommandos der türkischen Geheimdienste hier in Deutschland unbehelligt bewegen können. Presseberichten zufolge tummeln sich über 6 000 Agenten Erdogans hier in Deutschland . Ich finde, das darf so nicht weitergehen. ({7}) Wir als Linke fordern die Ausweisung dieser 6 000 Agenten aus Deutschland . Hören Sie auf, mit Erdogans Diensten zusammenzuarbeiten! Die Bundesregierung steht hier in der Verantwortung, die Menschen in Deutschland vor den Agenten und Schergen des türkischen Geheimdienstes zu schützen . Sorgen Sie endlich für eine Wende in der Türkei-Politik! Wir sind es leid - wie die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland . Es darf kein Weiter-so mit der Türkei geben . Zeigen Sie endlich konkrete Solidarität mit den Verfolgten in der Türkei, indem Sie Ihre Kumpanei mit Erdogan beenden! Jetzt, meine Damen und Herren, ist die Zeit der Worte vorbei . Sie müssen jetzt als Regierung endlich handeln . Vielen Dank . ({8}) Vizepräsident Johannes Singhammer

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht der Kollege Dr . Andreas Nick . ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl Außenminister Steinmeier als auch Staatsministerin Böhmer, meine Berichterstatterkollegin Michelle Müntefering und ich waren in den letzten Wochen zu Gesprächen in Ankara . Über die durchaus schwierigen Eindrücke und Erfahrungen habe ich vor kurzem hier eingehend berichtet . Das will ich nicht noch einmal wiederholen . Für unsere Politik gegenüber der Türkei gilt: Wir haben eine klare Ausrichtung, orientiert an den grundsätzlichen Werten und langfristigen Interessen unseres Landes, und wir reagieren angemessen auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der Türkei . Für uns sind die deutsch-türkischen Beziehungen aber auch zu wichtig, um sie als Instrument der innenpolitischen Auseinandersetzung zu missbrauchen - nicht in der Türkei und schon gar nicht hier in Deutschland . ({0}) Beides kann man vom vorliegenden Antrag der Linkspartei nicht sagen, und deshalb werden wir ihn selbstverständlich ablehnen . ({1}) Zwei unabänderliche Konstanten sind grundlegend für unsere Beziehungen zur Türkei. Die Türkei befindet sich in einer exponierten geostrategischen Lage . Und ob es uns gefällt oder nicht: Kein einziges Problem dieser Region ist ohne oder gar gegen die Türkei leichter zu lösen als mit ihr . Was auch immer sich sonst verändert - die Geografie bleibt. In einer in dieser Woche vorgestellten Umfrage der Körber-Stiftung wurden von den Befragten in Deutschland mit 21 Prozent der Nennungen die Beziehungen zur Türkei auf Rang drei der wichtigsten außenpolitischen Herausforderungen Deutschlands eingestuft, noch vor - durchaus erstaunlich - den Beziehungen zu Russland . Mit kaum einem anderen Land ist Deutschland gesellschaftlich enger verflochten als mit der Türkei. Angesicht von fast 4 Millionen Menschen türkischer Herkunft, die in unserem Land zu Hause sind, ist es eben noch nicht einmal theoretisch eine denkbare Option, sich diesem Land gegenüber in irgendeiner Weise nicht zu verhalten oder sich gar komplett von ihm abzuwenden . Umgekehrt sollten wir aber auch nicht der Versuchung erliegen, unsere Möglichkeiten zur Einwirkung auf die türkische Innenpolitik zu überschätzen . Die Versuchung für einige auch in diesem Hause ist offenbar gelegentlich groß, innenpolitische Auseinandersetzungen der Türkei hier austragen zu wollen . ({2}) Aber ich sage deutlich: Der Deutsche Bundestag ist dafür nicht der geeignete Platz, ({3}) im Übrigen auch nicht die Straßen und Plätze in Deutschland . ({4}) - Hallo! ({5}) - Haben Sie jetzt eigentlich das Wort, Frau Dağdelen? Oder wie sieht das aus, Herr Präsident?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege, Sie haben das Wort .

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Und das bleibt auch bei Ihnen .

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union ist eines aber völlig klar: ({0}) - Wer schreit, hat unrecht, Frau Dağdelen! - Grundlage für den Beitrittsprozess sind die Kopenhagener Kriterien . Ich zitiere: Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben … An diesen Kriterien muss sich auch die Türkei messen lassen . Dabei gibt es keinen Rabatt und keine Kompromisse . Leider führt derzeit kein Weg an der Feststellung vorbei, dass die Türkei davon heute weiter entfernt ist als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn des Beitrittsprozesses . Es war eben nicht unproblematisch, die Beziehungen zur Türkei alleine auf die Fragen des Beitrittsprozesses und der Vollmitgliedschaft zu reduzieren, wie dies die rot-grüne Bundesregierung seinerzeit getan hat, und alternative Modelle wie das Konzept und der Begriff der Privilegierten Partnerschaft von vornherein in Misskredit zu bringen . ({1}) Als Union müssen wir unsere Position in dieser Frage jedenfalls nicht korrigieren . Der beschränkte Blick auf das nicht absehbare Ende eines ergebnisoffenen Prozesses in 10, 15 oder 20 Jahren hat auf beiden Seiten lange Zeit zu sehr den Blick darauf verstellt, das zum jeweiligen Zeitpunkt Mögliche und Notwendige zur Verbesserung der Zusammenarbeit umzusetzen . Es wäre aber umgekehrt heute ebenso ein Fehler, gerade jetzt den Dialog mit der Türkei unsererseits abzubrechen . Diesen Gefallen sollten wir denen in der Türkei gerade nicht tun, die sich von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und von der Perspektive einer nach Westen orientierten Türkei abwenden wollen . Die Entscheidung über den weiteren Weg aber muss die Türkei selbst treffen. Es ist doch gerade die türkische Zivilgesellschaft, die uns eindringlich auffordert, die Tür für eine möglichst enge Anbindung an Europa nicht zuzuschlagen . Und wir haben ein vitales Interesse an einer prosperierenden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft . Dies entspricht nicht nur unseren strategischen Interessen, sondern ebenso den grundlegenden Werten, denen deutsche Außenpolitik verpflichtet ist und bleibt . Vielen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bevor ich gleich dem Kollegen Sarrazin das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 529 . Mit Ja haben gestimmt 434, Neinstimmen gab es keine, Enthaltungen 95 . Der Gesetzentwurf hat damit die erforderliche Mehrheit erreicht . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 529; davon ja: 434 nein: 0 enthalten: 95 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Axel E . Fischer ({1}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Rainer Hajek Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({3}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({4}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Uwe Lagosky Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({5}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Dr . h . c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Martin Patzelt Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr . Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer ({8}) Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({9}) Gabriele Schmidt ({10}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({11}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({14}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Dr . h . c . Albert Weiler Marcus Weinberg ({15}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({16}) Sabine Weiss ({17}) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({18}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Tobias Zech Heinrich Zertik Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Dr . Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({19}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . h . c . Edelgard Bulmahn Dr . Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h . c . Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({20}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({21}) Wolfgang Hellmich Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr . Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({22}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({23}) Aydan Özoğuz Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({24}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({25}) Susann Rüthrich Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({26}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({27}) Matthias Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Carsten Schneider ({30}) Ursula Schulte Swen Schulz ({31}) Ewald Schurer Frank Schwabe Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese ({32}) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Enthalten DIE LINKE Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Dr. André Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Niema Movassat Norbert Müller ({33}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({34}) Martina Renner Kersten Steinke Frank Tempel Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann ({35}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Dr . Franziska Brantner Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn ({36}) Christian Kühn ({37}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({38}) Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ({39}) aufgeführt . Jetzt, Herr Kollege Manuel Sarrazin, haben Sie das Wort für Bündnis 90/Die Grünen .

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Nick, Sie haben jetzt schon eine Vorlage gegeben: ({0}) Wenn Rot-Grün daran schuld ist, dass Herr Erdogan ein Präsidialsystem errichten möchte, weil wir damals zu lieb waren, dann kann man sich fragen, warum Sie den größten Teil Ihrer Rede in ausgezeichneter Diplomatie gegenüber der türkischen Regierung bestritten haben . Tragen nicht vielmehr Sie zu dem bei, was Sie beklagen? Oder muss man sich nicht vielleicht sogar die Frage stellen, ob nicht der Koalitionsvertrag, den Sie geschlossen haben und der wortwörtlich die Schlussfolgerung des Rats von 2005 zu Fragen der Mitgliedschaft der Türkei in der EU enthält, schuld daran ist, dass Herr Erdogan ein Präsidialsystem errichten möchte? Da hinterfragen Sie Ihre Ausführungen doch einmal . Das ist doch Geschichtsklitterung . ({1}) Wenn ich einmal meine Meinung zur Geschichte sagen darf: Hätten wir die Zeit des proeuropäischen Enthusiasmus in den türkisch-europäischen Beziehungen genutzt, um hinter dem Rücken der türkischen Politiker mit Druck aus der türkischen Zivilgesellschaft mehr Reformen zustande zu bringen, dann wäre es für Erdogan jetzt vielleicht schwieriger, das gesamte rechtsstaatliche System umzukrempeln . ({2}) Aber das ist ja egal; denn das, was wir in der Türkei erleben, ist ein Machtkampf, der auf das Schärfste geführt wird . ({3}) Ich denke, dass man klar sagen kann, dass Herr Erdogan offenkundig noch nicht überzeugt ist, diesen Machtkampf absolut gewonnen zu haben . Selbst wenn Herr Erdogan jetzt den Gesetzentwurf ins Parlament einbringt und wenn dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird, ist auch ihm klar, dass die Türkei keine so monolithische Gesellschaft ist, dass es keine Opposition gibt und man einfach durchregieren kann . Deswegen schlägt dieses System um sich. Und in der Folge des Putschversuchs wird nicht nur gegen die als Putschisten vermuteten Kräfte, sondern gegen alle ihm Probleme machenden Kräfte sehr rabiat vorgegangen . Ich denke in der Tat, es ist richtig - das sollten alle Fraktionen in diesem Haus unterschreiben -, dass wir diese klare Analyse vor dem Hintergrund der aktuellen Lage nicht in den Schatten stellen . Das erwarte ich auch von der Bundesregierung . ({4}) Gleichzeitig muss ich sagen, was mich leitet . Wir hatten vor einigen Wochen Can Dündar zu Gast in unserer Fraktionssitzung . Das ist sehr eindrucksvoll gewesen . Er hat uns dazu aufgefordert, die Menschen, die in der Türkei für ihre demokratischen Rechte kämpfen, nicht im Stich zu lassen . ({5}) Wenn man sich daran ausrichtet, dann zeigt sich doch, dass es wahrscheinlich der falsche Weg ist, wenn wir der Türkei den Rücken zukehren, wenn wir sozusagen den Stecker herausziehen, ({6}) was die Chancen für einen EU-Beitritt der Türkei angeht . ({7}) Der falsche Weg ist dann auch, die Vorbeitrittshilfen einfach komplett zu streichen . ({8}) Dies schadet vor allem denen, die überhaupt noch demokratische Kräfte in der Türkei finanzieren können. Viel cleverer wäre es vielmehr, dieses Geld gezielt einzusetzen, indem wir sagen: „An der Stelle zahlen wir nicht mehr; an der anderen Stelle zahlen wir weiterhin“, um so einzelne Fortschritte oder die Verhinderung von Rückschritten in der Türkei über die Verwebungen, die es zwischen der Türkei und der Europäischen Union noch gibt, zu erreichen . ({9}) Das, was ich bei der Linkspartei an dieser Stelle nicht verstehe, ist Folgendes: Ich saß vor einigen Wochen mit dem Kollegen Neu, der im Moment als Schriftführer links hinter mir sitzt, auf einem Podium zum Thema „Putin ist super“. Die deutsche Wirtschaft und Herr Neu waren der Meinung, dass Putin ganz klasse ist; eingeladen hatte Herr Clement . ({10}) Mit ihm habt ihr jetzt ja nichts mehr zu tun; daher kann ich es hier ja sagen . ({11}) Herr Neu hat also die deutsche Wirtschaft dazu aufgerufen, nach Russland zu gehen und dort zu investieren; denn nur das könne die Demokratie in Russland voranbringen . ({12}) Jetzt behauptet die Linksfraktion hier, die Türkei werde zu einer Diktatur, und beantragt deswegen, sofort die Zollunion mit der Türkei zu beenden, weil man die Vizepräsident Johannes Singhammer wirtschaftlichen Beziehungen mit ihr beenden müsse . Entscheidet euch doch einmal: Wollt ihr jetzt Wandel durch Handel, oder wollt ihr, dass wir mit der Türkei wirtschaftlich nichts mehr zu tun haben? Beides geht ja nun wirklich nicht . ({13}) Wir haben vorhin die Meldung vernommen, dass Herr Akinci und Herr Anastasiades gerade beim Mittagessen zusammensitzen. Ich hoffe, dass wir mit Blick auf die aktuellen Beziehungen zur Türkei auch immer daran denken, dass wir vielleicht noch in diesem oder im nächsten Jahr eine Einigung in der Zypern-Frage erreichen können . Ich hoffe, uns in diesem Hohen Hause trägt die gemeinsame Auffassung, dass wir uns aus Fragen der Türkei-Politik nicht einfach heraushalten, dass wir nicht einfach schweigen angesichts dortiger Entwicklungen, die wir mit großer Besorgnis sehen, und dass wir gerade gegenüber den progressiven Kräften in der Türkei klarmachen, dass wir keine Isolation wollen . Deswegen: Nicht trotz, sondern gerade wegen der Entwicklungen in der Türkei ist der Dialog zwischen der EU und der Türkei weiter notwendig . ({14}) Es ist richtig: Im Moment liegen die Beziehungen bzw . die Verhandlungen faktisch auf Eis . Die braucht man gar nicht mehr einzufrieren . Aber von sich aus jetzt den Stecker zu ziehen und die Verhandlungen abzubrechen, halte ich für falsch . Danke sehr . ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Einen schönen Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, und vielen Dank, Manuel Sarrazin . - Nächste Rednerin ist Dr. Dorothee Schlegel für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Dorothee Schlegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Türkei-Politik der EU steckt tatsächlich in einem Dilemma . Alles besser zu wissen, so wie es die Linke mit ihrem Antrag „Türkei-Politik neu ausrichten“ vorgibt, ist für die Opposition leicht und vielleicht auch ihre Aufgabe . Wir kennen unser Ziel mein Kollege Sarrazin hat gerade schon einiges vorgelegt -: Wir wollen eine europäische Bindung der Türkei . Wir wollen eine friedliche Türkei, in der Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit herrschen . Da sind wir uns hier bestimmt alle einig . Ich verwahre mich gegen den Vorwurf der Linken, dass die bisherige Strategie der Bundesregierung und der EU zu einer Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Türkei geführt habe . ({0}) Liebe Linke, Provokation ist keine gute Außenpolitik. Das sehen auch Delegationen von türkischen Studierenden, oppositionelle Parlamentarier und NGO-Vertreter so, mit denen ich in den letzten Wochen Gespräche geführt habe . Aber wir müssen uns ehrlich fragen: Welche wirksamen Mittel haben wir tatsächlich? Angesichts der Verfolgung und Inhaftierung von politisch Andersdenkenden und der Massenentlassungen durch die türkische Regierung befürworte ich die Entscheidung des EU-Parlaments, die Beitrittsgespräche temporär einzufrieren - als Signal an die türkische Regierung und das türkische Parlament, zum demokratischen Prozess zurückzukehren. ({1}) Unsere Normen und Werte sind nämlich nicht verhandelbar . Wir akzeptieren weder Menschenrechts- noch Rechtsstaatsverletzungen . ({2}) Die Türkei entfernt sich von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Laizismus, und die Gesellschaft lebt in einem angespannten Zustand. Seit dem Putsch hat auch die Gewalt gegenüber Frauen drastisch zugenommen . Das Vorgehen gegen Minderheiten, gegen die kurdische Bevölkerung und gegen Andersdenkende sowie das Infragestellen von Ländergrenzen verurteilen wir aufs Schärfste . Die Türkei ist kein sicherer Herkunftsstaat . Diese Einschätzung des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen der EU-Kommission teile ich . Meine Damen und Herren, die letzten zwei Fortschrittsberichte der EU-Kommission zur Bewertung der Beitrittsgespräche waren sehr kritisch . Dennoch wollen wir als SPD-Fraktion und als Europäer den Dialog fortsetzen . Ich bin gegen einen grundsätzlichen Verhandlungsstopp . Der würde vor allem die gemäßigten Kräfte in der Türkei hart treffen. Ich zitiere hierzu die Sprecherin der größten Oppositionspartei, CHP, Selin Sayek Böke, die sagte: Europa sollte verstehen, dass die Türkei mehr als ein Einzelner ist . Die Türkei ist größer als Erdogan . Beitrittskapitel zu öffnen oder Verhandlungen zu den bisherigen Kapiteln weiterzuführen, waren und sind die Möglichkeit, miteinander im Dialog zu bleiben - mit den richtigen Gesprächspartnern und einer echten Gesprächsbereitschaft . ({3}) Ich denke, es gibt auch Leute, mit denen man vernünftig sprechen kann . ({4}) Natürlich sind die Verhandlungen - ohne Wenn und Aber - sofort zu beenden, sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen . Welche Möglichkeiten haben wir? Auch kleine Schritte setzen Zeichen, zum Beispiel das Projekt der Philipp-Schwartz-Initiative, das weiter finanziell unterfüttert wird . Mit diesem vom Auswärtigen Amt und von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung geförderten Programm erhalten gefährdete Wissenschaftler ein Stipendium für 24 Monate an deutschen Universitäten . Oder: 104 Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, darunter auch ich, haben Patenschaften für inhaftierte Abgeordnete übernommen . Oder: Was die Bundeswehrsoldaten am NATO-Stützpunkt Incirlik angeht: Alle Abgeordneten müssen das Recht haben, sich vor Ort ein Bild zu machen . Derzeit prüft die Bundesregierung alternative Standorte wie etwa Kuwait . Die Linke fordert ein Einfrieren der Vorbeitrittshilfen, die auch für die Förderschwerpunkte Demokratie, Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit vorgesehen sind . Doch um sie zu stoppen, müsste zunächst der Beitrittsprozess beendet werden . Davon sind wir weit entfernt . Trotz der aktuell belasteten Beziehungen gibt es von türkischer Seite ein intensives Bemühen, mit der EU zu sprechen . Nach wie vor ist die EU der größte Handelspartner der Türkei . Wirtschaftssanktionen würden auch die Bevölkerung und die Gegner des Regierungskurses treffen. Einen Handelskrieg wollen wir daher nicht . Kolleginnen und Kollegen, wie also weiter in der Zukunft? Wir müssen mit einer europäischen Stimme sprechen - und das viel deutlicher . Das ist allerdings nicht einfach . Wir müssen noch klarer sagen: „Terrorismus definieren wir anders!“, auch im Hinblick auf die Erfüllung der Kriterien zur Visaliberalisierung . Wir fordern: Der Ausnahmezustand muss beendet werden . Wir fordern weiterhin die Freilassung der inhaftierten HDP-Politiker und -Bürgermeister. Wir müssen alle unsere Wege nutzen, die Opposition im Land stärker zusammenzubringen, und wieder mehr mit der kurdischen Bevölkerung in Kontakt treten . Völkerverständigende Möglichkeiten sind zum Beispiel weitere Städtepartnerschaften, die Zusammenarbeit unter NGOs und die Pflege türkisch-deutscher oder europäischer Nachbar- und Freundschaften . Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, gerade in schwierigen Zeiten - Manuel Sarrazin hat es auch gesagt - braucht es mehr denn je den Dialog . Herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dorothee Schlegel . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr . Neu . - Ich muss erklären: Diese bezieht sich nicht auf den Redebeitrag von Frau Schlegel, sondern auf den von Herrn Sarrazin . ({0}) Herr Dr . Neu konnte das als Schriftführer vorhin schlecht von hier oben vom Präsidium aus machen; das schickt sich nicht . Deswegen sind Sie sicher damit einverstanden, dass wir jetzt gedanklich zurückgehen und er sich jetzt auf den Kollegen Sarrazin bezieht .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, zu reagieren . - Kollege Sarrazin, es muss Sie ja schwer getroffen haben, dass Sie an diesem Tag mit Ihren kruden antirussischen Thesen derart baden gegangen sind, wie Sie baden gegangen sind . ({0}) Die dortigen Wirtschaftsvertreter haben in der Tat für eine wirtschaftliche Kooperation mit Russland geworben . Dafür habe ich mein Verständnis geäußert - im Gegensatz zu Ihnen, der Sie nach wie vor eine sehr stark antirussische Position vertreten. Es ist traurig, dass die Menschen in diesem Land, seien sie aus Wirtschaft oder Politik, die eine Verständigung mit Russland, dem größten europäischen Nachbarstaat, suchen, als prorussisch diffamiert werden. Das zeigt aber, wo Sie angekommen sind . Danke . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt hat der Kollege Sarrazin seinerseits das Wort, wenn er will .

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Neu, als ich die Beteiligung an dieser Veranstaltung zugesagt habe, wusste ich, dass ich mit meiner inhaltlichen Position zur Politik Russlands in der Ukraine keinen großen Anklang finden würde, weil die anwesenden Wirtschaftsvertreter dort vor allem auf die Profite ihrer Großkonzerne gucken ({0}) und nicht so sehr auf das, was die Menschen in der Ukraine und in Russland wirklich interessiert . Deswegen habe ich mich an der Stelle für eine linke Position entschieden. Ein, zwei Leute haben mir trotzdem applaudiert . Ich glaube, deswegen, weil ich ein Freund Russlands bin: Ja ljublju Rossiju, Kollege Neu . Danke sehr . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt kommen wir zum Thema Türkei zurück . Der nächste Redner ist Alexander Radwan für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0}) - Überwiegend hat jetzt der Kollege Radwan das Wort . Sind Sie damit einverstanden? - Gut .

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gleich fangen sie an, sich zu raufen . ({0}) - Sie haben Angst, wenn ich mitmache . ({1}) Frau Präsidentin! Wir haben jetzt eine Debatte zum Thema Türkei mit der Überschrift „Ändern Sie die Zustände in der Türkei, und zwar sofort und unmittelbar“ . So kommen mir Ihr Antrag und Ihre Argumentation vor . Ich finde es sehr bemerkenswert, wenn ich aus den verschiedenen Fraktionen die Wortbeiträge zum Thema Türkei erlebe . Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen wir von der CSU kritisiert wurden, weil wir mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei immer gesagt haben: Vorsicht! Ist das der richtige Weg? ({2}) - Genau . Wenn die Türkei heute unter diesen Umständen dabei wäre, dann wäre es sicherlich einfacher innerhalb der EU und mit der Türkei . Das ist ein interessanter Ansatz . Erst mit Enthusiasmus rein und jetzt mit Enthusiasmus verdammen: Das ist nicht die Politik, die uns bezogen auf die Türkei weiterhilft . ({3}) - Habe ich . Ich habe ihn sogar mehrfach gelesen . Ich habe Ihrer Argumentation aber nur schwer folgen können . Ziel muss es sein, dass wir - hier haben wir Konsens unsere Werte gegenüber der Türkei deutlich machen . Wir können in der Türkei keine Innenpolitik machen . Umgekehrt probiert es Erdogan in Deutschland; Erdogan versucht, hier Innenpolitik zu machen . Gleichzeitig wollen wir auch bei all dem, was wir dort erreichen wollen, keine weitere Destabilisierung . Wir müssen auch darüber nachdenken, in welche Richtung sich die Türkei weiterentwickelt. Darum lassen Sie mich drei Punkte aus Ihrem Antrag herausgreifen . ({4}) Was das Thema Beitritt anbelangt, kann ich Ihnen klipp und klar sagen: Aus meiner Sicht war es schon lange notwendig, dass wir zum Realismus übergehen, dass wir ganz klar die Frage stellen - das betrifft ein Land wie die Türkei, aber auch andere Länder -: Ist eine Beitrittsperspektive wirklich real und ehrlich? Oder sind wir heute möglicherweise an einem Punkt angelangt, wo wir in unserem Land und in der Türkei noch über das Ja oder Nein diskutieren, obwohl jeder weiß, dass es eigentlich nicht erreichbar ist? Darum lassen Sie uns endlich einmal gemeinsam debattieren und - in den europäischen Verträgen ist dies angelegt - über eine konstruktive Nachbarschaftspolitik reden . Das wäre möglicherweise ein Modell für die Türkei, das es zu entwickeln gilt und mit dem es dann eine Perspektive für das Land gibt. Jeder weiß im Zusammenhang mit der Frage „Beitritt - ja oder nein?“: Das, was wir hier debattieren, ist nicht mehr das Thema . Wir regen uns hier über Sachen auf, bei denen jeder weiß: Der Kas is bissn . Das zweite Thema ist das Flüchtlingsabkommen . Das Flüchtlingsabkommen ist auch im ureigenen Interesse der Türkei . Dass die Türkei mit Unterstützung der Europäischen Union nicht durch weitere Flüchtlingsströme destabilisiert wird, ist in unserem Interesse . ({5}) - Nein, das ist im Interesse der Türkei, und das ist auch in unserem Interesse, vielleicht nicht in Ihrem Interesse . Es ist aber im Interesse der Regierung, die Destabilisierung der Türkei nicht weiter vorantreiben zu lassen . ({6}) - Jetzt bin ich gerade beim Flüchtlingsabkommen, Frau Dağdelen, dazu haben Sie auch etwas in Ihrem Antrag geschrieben . ({7}) Hätten Sie weniger geschrieben, wäre ich auf den einen oder anderen Punkt schneller gekommen. Es ist also im Interesse der Türkei . Gleichzeitig müssen wir aber auch in Deutschland ganz klar das Signal an Erdogan senden - hier müssen wir unsere Hausaufgaben in Europa machen -, dass schlicht und ergreifend die Außengrenzen der Europäischen Union zur Türkei durch Frontex geschützt werden . Das ist eine weitere zusätzliche Maßnahme, die wir hier ergreifen müssen . Am meisten hat mich dann das Thema „Zoll und Wirtschaft“ gewundert . Die Gruppierungen, die Sie in der Türkei ansprechen, die noch ein Stück weit eine westliche Orientierung haben und die noch durch Handel eine Perspektive haben, wollen Sie sozusagen an die Kandare nehmen . Was passiert dann in dem Land, das wirtschaftlich so eng mit Europa verwoben ist? Wollen wir dann durch ein Kappen der Wirtschaftsbeziehungen, durch ein Absinken der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in diesem Land weitere Instabilität, weitere Radikalisierung produzieren? Sollen die Ärmsten der Armen ein schlechtes Leben haben und dann noch dem jeweiligen Rattenfänger zum Opfer fallen? Nein, hier, im wirtschaftlichen Bereich, muss Europa, müssen wir als Europäische Union verantwortungsvoll weiter zusammenarbeiten . Meine Vorrednerin Frau Dr . Schlegel hat den Satz zitiert: „Die Türkei ist größer als Erdogan .“ Das ist völlig richtig . Neben dem Umgang mit Erdogan gibt es andere Themen; wir müssen bereits heute eine Politik anlegen, die der Türkei eine Perspektive für die Zeit nach Erdogan bietet . Das ist heute unsere Aufgabe . Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab; denn Ihr Antrag würde die Situation in der Türkei nur noch verschlimmern, anstatt sie zu verbessern . Besten Dank und einen schönen Abend . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Radwan . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10472 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sie sind sicher damit einverstanden . - Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu der Verordnung der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen Verordnung zur Förderung der Transparenz auf dem Telekommunikationsmarkt ({1}) Drucksachen 18/8804, 18/8934 Nr. 2, 18/10508 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ihr Einverständnis ist vorhanden .1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen zur Förderung der Transparenz auf dem Telekommunikationsmarkt . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10508, der Verordnung auf Drucksache 18/8804 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist knapp angenommen . Zugestimmt hat die CDU/CSU, dagegen waren die Grünen . Die Linken wussten nicht, worum es geht, und die SPD hat sich mit etwas anderem beschäftigt . ({2}) 1) Anlage 4 Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10525 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie- ßungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bünd- nis 90/Die Grünen, dagegen CDU/CSU und SPD, und enthalten hat sich die Linke . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen - Völkerstrafprozesse in Deutschland voran- bringen Drucksachen 18/6341, 18/10296 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches Drucksache 18/8621 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({4}) Drucksache 18/10509 Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. 2) Tagesordnungspunkt 16 a . Wir kommen zur Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- braucherschutz zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Straflosigkeit bei Kriegs- verbrechen - Völkerstrafprozesse in Deutschland voran- bringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/10296, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6341 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/ Die Grünen und die Linke . Tagesordnungspunkt 16 b . Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches . Der Aus- schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10509, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 18/8621 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- men. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Die Grü- nen haben sich enthalten, und die Linken waren dagegen . 2) Anlage 5 Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linken, und Enthaltungen kommen von Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen Drucksachen 18/9536, 18/9956, 18/10102 Nr. 17 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5}) Drucksache 18/10506 - Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10507 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit Transparenz Steuervermeidung mul- tinationaler Unternehmen eindämmen - Country-by-Country-Reporting einführen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuerschlupflöcher schließen - Gewinn- verlagerung durch Lizenzzahlungen ein- schränken Drucksachen 18/2617, 18/9043, 18/10506 Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.1) Tagesordnungspunkt 17 a . Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen. Der Finanzausschuss empfiehlt un- ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/10506, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9536 und 18/9956 in der Ausschuss- fassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsan- 1) Anlage 6 trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10527 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen, dagegen waren CDU/CSU und SPD, und enthalten hat sich die Linke. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat niemand, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Tagesordnungspunkt 17 b . Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 18/10506 fort . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/2617 mit dem Titel „Mit Transparenz Steuervermeidung multinationaler Unternehmen eindämmen - Country-by-Country-Reporting einführen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linken . Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9043 mit dem Titel „Steuerschlupflöcher schließen - Gewinnverlagerung durch Lizenzzahlungen einschränken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . CDU/CSU und SPD haben dafür gestimmt, dagegen waren Bündnis 90/ Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklusiver Hochschulen fördern Drucksache 18/9127 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden gehen zu Protokoll.2) 2) Anlage7 Vizepräsidentin Claudia Roth Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9127 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsgebundenen Energieversorgung Drucksache 18/8184 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({9}) Drucksache 18/10503 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .1) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10503, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8184 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD, dagegengestimmt haben Linke und Grüne . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch Drucksache 18/10211 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({10}) Drucksache 18/10518 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre eini- ges, aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlos- sen . 1) Anlage 8 Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Anette Kramme für die Bundesregierung . ({11})

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Dass Menschen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu uns kommen und hier arbeiten können, das ist eine große und wichtige Errungenschaft der europäischen Einigung . Europa ist Gott sei Dank mehr als eine Freihandelszone . Nicht nur für Kapital und Handel gilt Freizügigkeit, auch die Bürger der Europäischen Union können sich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union frei bewegen . Meine Damen und Herren, es besteht nach europäischem Recht ein Zusammenhang zwischen dem Freizügigkeitsrecht von Erwerbstätigen und ihren Familienangehörigen einerseits und Ansprüchen auf Sozialleistungen andererseits . Diesem Willen des europäischen Gesetzgebers folgt die gesetzliche Klarstellung, die wir hier und heute beraten . Deutschland profitiert von der Arbeitnehmerfreizügigkeit . Das tun auch die anderen Staaten der Europäischen Union, vor allen Dingen aber die Menschen innerhalb von Europa; das will ich ausdrücklich festhalten . Aber es kann natürlich niemand die Augen davor verschließen, dass es große Unterschiede innerhalb der Europäischen Union gibt, was Lebensstandard, was Löhne und was Sozialleistungen angeht . Und ja, es gibt Armut innerhalb der Europäischen Union . Armutsmigration nimmt nicht nur insgesamt auf der Welt zu, auch in Europa wächst der Druck . Doch - das will ich hier noch einmal bekräftigen - Anreize für Arbeitsmigration sind an dieser Stelle keine Lösung . Armut bekämpfen - das können wir nur gemeinsam in der Europäischen Union . Dabei sollte es unser Ziel sein, dass die jeweiligen Systeme der sozialen Sicherung in den Mitgliedstaaten leistungsfähiger werden . ({0}) Wir brauchen eine Aufwärtskonvergenz der sozialen Verhältnisse in der Europäischen Union mit höheren Löhnen und besserem sozialen Schutz in allen EU-Mitgliedstaaten . ({1}) Es geht nicht, dass wir die Abhängigkeit der Sozialleistungsansprüche von Erwerbstätigkeit einfach auflösen. Es geht auch nicht, dass wir diesen Personen Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch XII zulasten der Kommunen gewähren . Genau das ist aber die Konsequenz der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes vom letzten Jahr, die das vorliegende Gesetz veranlasst hat . Deshalb ist eine Reaktion des Bundesgesetzgebers notwendig . Darum debattieren wir heute über den vorliegenden Gesetzentwurf . Vizepräsidentin Claudia Roth Konkret geht es dabei um Folgendes: Einerseits wird klargestellt, dass Personen ohne Aufenthaltsrecht aus der Freizügigkeitsrichtlinie keine Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII enthalten . Zum anderen enthält der Gesetzentwurf eine Neuerung: Erstmals wird gesetzlich fixiert, wann von einer Verfestigung des tatsächlichen Aufenthalts auszugehen ist und wir aus verfassungsrechtlichen Gründen Leistungen gewähren . Das ist nach fünf Jahren der Fall . Wir wollen, dass die Kommunen in der Lage sind, Zusammenhalt zu sichern und zu stärken . Wir wollen sozialen Fortschritt innerhalb der Europäischen Union . Wir wollen, dass nicht Armut, sondern Arbeit die Menschen in Europa zusammenführt . Dafür kämpfen wir . In diesem Sinne herzlichen Dank . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Anette Kramme . - Nächste Rednerin: Sabine Zimmermann für die Linke . ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während bei der Förderung von Unternehmen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden und nichts zu teuer ist, soll die soziale Absicherung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern auf der Strecke bleiben . Wir sagen: Das Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums muss für alle Menschen in Deutschland gelten . ({0}) - Das habe ich nicht gesagt, Kollege Zimmer . ({1}) Mobilität in Europa muss sozial abgesichert werden . Das Streichen der sozialen Absicherung für EU-Bürgerinnen und -Bürger widerspricht grundsätzlich dem europäischen Gedanken . Daran krankt die EU aber schon seit Anbeginn . Im Mittelpunkt stehen die wirtschaftlichen Interessen, denen sich die Menschen unterzuordnen haben . Das Soziale bleibt auf der Strecke . Dagegen wenden wir uns hier . ({2}) Namenhafte Juristen haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung in Grund und Boden gestampft . ({3}) - Ich sage es Ihnen gleich, Kollege Zimmer . - Deren Gutachten sind mehr als eindeutig: Ihr Gesetzentwurf ist verfassungswidrig . ({4}) Das Grundrecht auf ein Existenzminimum steht allen Menschen in Deutschland zu, ob nun mit deutscher oder ausländischer Staatsangehörigkeit. So stellt Professor Dr . Berlit in seiner Stellungnahme fest: Mit nationalem Verfassungsrecht ist der Entwurf auf der Grundlage der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum . . . unvereinbar . Noch deutlicher formuliert es die Neue Richtervereinigung: Die Abschaffung von Sozialleistungen an besonders schwache Mitmenschen untergräbt die deutsche Rechts- und Verfassungsordnung . Schwerer Schaden droht dem Arbeits- und Sozialrecht . Die Regelung schafft eine Gruppe moderner Sklaven, die alle Arbeitsbedingungen und jedes Lohnniveau akzeptieren müssen, um hier zu überleben . ({5}) - Das sagt die Neue Richtervereinigung . Ich zitiere hier . Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen . ({6}) Dies erhöht den Druck auf diejenigen, die zur Zeit regulären Beschäftigungen im untersten Qualifikations- und Einkommensbereich nachgehen . . . . Bisher galt, dass jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft dasselbe Recht auf ein Leben in Würde in sich trägt . Die Neuregelung ersetzt dieses tragende Prinzip durch sozialrechtliche Apartheid. ({7}) Die Folgen für die deutsche Gesellschaft sind unabsehbar . Ich sage: Dieses Gesetz fügt sich in die unsoziale Politik dieser Bundesregierung ein . ({8}) Dabei müsste es die Bundesregierung doch eigentlich besser wissen . Gerade Rumänen und Bulgaren wird oft unterstellt, sie kämen hierher, um Sozialleistungen abzugreifen . Die Erwerbsquote dieser beiden Gruppen liegt aber bei über 80 Prozent, sodass dieser Vorwurf unhaltbar ist . ({9}) Wir wollen ein Europa für die Menschen . Dazu gehört auch die soziale Absicherung . Die Bundesregierung hat mit ihrer unsozialen Politik und mit ihren SpardikParl. Staatssekretärin Anette Kramme taten schon genug Schaden in Europa angerichtet und für einen dramatischen Vertrauensverlust der EU bei den Menschen gesorgt . Dieser Irrweg muss endlich beendet werden . Danke schön . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sabine Zimmermann . - Nächster Redner: Dr. Martin Pätzold für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Pätzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004373, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, mit dem Gesetz heute leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz der Europäischen Union. Das Parlament hat sich mit diesem Gesetzesvorschlag sehr schnell und in pragmatischer Weise auseinandergesetzt . ({0}) Vor genau drei Wochen haben wir ihn hier das erste Mal debattiert . Am Montag fand die Anhörung statt . Sie hat ein sehr differenziertes Bild gezeichnet. Es gab Sachverständige, Frau Zimmermann, die durchaus einen Hintergrund hatten, der eher bei Ihnen war, die den Gesetzentwurf als nicht verfassungsgemäß und nicht europarechtskonform bezeichnet haben . Dann gab es aber auch Sachverständige - das gehört zur kompletten Wahrheit dazu -, wie ein Dr . Groth und Herr Dollinger, zwei ehrenwerte Persönlichkeiten, ({1}) die gesagt haben: Das Gesetz ist verfassungsgemäß, es ist europarechtskonform . - Deshalb bringen wir das auf den Weg, und es ist auch gut so, dass wir das so tun . ({2}) Wir verfolgen damit drei Ziele . Das erste ist: Wir wollen unser Sozialsystem vor Missbrauch schützen . Es geht darum, dass wir die Kommunen entlasten, die derzeit keine Rechtssicherheit haben und auf die gerade in Ballungsgebieten hohe Kosten zukämen . Auch der Bund, insbesondere mein Kollege Jens Spahn, freut sich darüber, dass er Ausgaben in Zukunft klarer planen kann . Zweitens regeln wir damit, dass der Grundsatz „Fordern und Fördern“ gilt . Nach fünf Jahren Aufenthalt hier gibt es einen Leistungsanspruch . Dies entspricht dem Grundsatz „Fordern und Fördern“ . Das ist eine wichtige und klare Regelung, mit der wir Transparenz und Sicherheit schaffen. Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag ja auch, durch die Gerichtsurteile seien wir dazu verpflichtet. ({3}) Wir schaffen sie anders, als Sie sich das vorstellen, aber aus unserer Sicht absolut nachvollziehbar . Drittens . Mit diesem Gesetz haben wir für die aufstockenden Leistungen noch keine abschließende „glückliche“ Regelung, weil wir sie vermutlich noch nicht europarechtskonform hinbekommen haben . Deswegen hat mein Kollege Matthias Zimmer den Sprecher für Angelegenheiten der Europäischen Union, Michael Stübgen, immer wieder darauf hingewiesen, dass wir natürlich auch darüber diskutieren müssen, wie es uns gelingt, über die aufstockenden Leistungen bei sehr geringfügiger Beschäftigung oder Selbstständigkeit weiter in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen . Wir müssen gucken, ob wir das im nationalen Recht vernünftig lösen können . Das ist eine Herausforderung, die wir aus dieser Gesetzgebung mitnehmen müssen . Im Großen und Ganzen zeigt sich, dass wir die Punkte aus der Anhörung pragmatisch, sehr schnell und zielstrebig in den Gesetzestext aufgenommen haben und damit das Gesetzgebungsverfahren heute abschließen können . Die Sachverständigen, beispielsweise der BDA, aber auch der Agentur für Arbeit, haben deutlich gemacht, dass die Freizügigkeit, der positive Weg nach Deutschland, damit nicht eingeschränkt wird . Der Vorschlag, den wir heute unterbreiten, ist sehr ausgewogen . Vielleicht entscheidet sich die Opposition ja doch, mitzustimmen . Das wäre ein guter Beitrag dazu, die Europäische Union ein Stück sozialer und gerechter zu machen . Vielen Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Pätzold. - Nächster Redner: Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja heute schon über das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums debattiert . In der am Montag durchgeführten Anhörung sind erhebliche Zweifel geäußert worden, ob dieser Gesetzentwurf diesem Grundrecht entspricht, und zwar vonseiten der Diakonie, des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ({0}) Sabine Zimmermann ({1}) in den Expertisen des Deutschen Anwaltsvereins, vonseiten der Neuen Richtervereinigung . Auch die von Ihnen eben genannten Experten sagten, dass das hart an der Grenze sei und man das auch anders beurteilen könne . Zumindest wurden Zweifel geäußert - ganz besonders von Herrn Dollinger, aber auch von Herrn Groth, der sagte: Das geht zumindest an die Grenze dessen, was verfassungsmäßig möglich ist . - Es gab am Montag einen einzigen Sachverständigen, der sagte: Die Härtefallregelung reicht, damit es verfassungskonform ist . ({2}) Eigentlich hätten Sie den Gesetzentwurf nach der Expertenanhörung am Montag zurückziehen müssen . ({3}) Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums war auch die Ursache des schon angesprochenen Urteils des Bundessozialgerichts . Die Lösung, die dort gefunden wurde, finden wir auch problematisch, weil das Bundessozialgericht gesagt hat, dass die Menschen Leistungen nach dem SGB XII bekommen müssten . Erwerbsfähige gehören dort erstens nicht hin, und die Kommunen müssten es zweitens bezahlen. Auch das haben wir kritisiert und finden es falsch. Was an Ihrem Gesetzentwurf neben dieser verfassungsrechtlichen Frage auch problematisch ist: Er löst überhaupt kein Problem. Was ein Ausschluss von Sozialleistungen bedeutet, kann man vor Ort beobachten, zum Beispiel bei mir zu Hause in Frankfurt oder in Offenbach, aber auch, wenn man in den Tiergarten - nicht weit von hier - geht . Am Mittwoch, glaube ich, beschrieb Die Welt die dortigen Zustände in einem Artikel . Die Menschen leben unter menschenunwürdigen Umständen, wenn sie keine Sozialleistungen bekommen . Es droht Ausbeutung . Von irgendetwas müssen die Menschen leben - nach Ihrer Vorstellung ja fünf Jahre lang -, ehe sie Sozialleistungen beziehen können . Die Folgen kann man vor Ort beobachten: Schwarzarbeit, Prostitution, kriminelle Aktivitäten sind die Folge, und das Ganze schürt Ausländerfeindlichkeit und führt zu sozialen Problemen, die letztlich die Kommunen ausbaden müssen . Deswegen ist der Gesetzentwurf auch für die Kommunen maximal eine Scheinlösung . ({4}) Wir haben heute noch einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir eine Alternative darstellen, die rechtssicher ist, den sozialen Maßstäben genügt und auch europapolitisch das richtige Signal sendet . Wir sagen nämlich, dass wir die Menschen, die nach Deutschland kommen, die aktiv nach Arbeit suchen, die eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben - Kollegin Zimmermann hat schon gesagt, dass gerade die Bulgaren und Rumänen eine sehr hohe Erwerbstätigenquote haben, sehr fleißig sind -, unterstützen müssen . Sie brauchen Unterstützung bei den aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen . Und nach drei Monaten bedarf es auch einer finanzieller Unterstützung - sonst funktioniert die Integration in den Arbeitsmarkt nicht -, damit die Menschen, die aktiv nach Arbeit suchen, eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben . Sie brauchen unsere Unterstützung . ({5}) Umgekehrt sagen wir - gerade kam der Zwischenruf „Anreizsysteme“ -, dass wir Menschen, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, die nicht aktiv nach Arbeit suchen - in dem Fall würde eigentlich auch das Freizügigkeitsrecht entfallen -, die Leistung auch verweigern können . Auch das muss man der Wahrheit halber dazusagen, um deutlich zu machen: Das Recht auf Freizügigkeit ist für Menschen gedacht, die aktiv nach Arbeit suchen, die eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben . Gleichzeitig muss man auf europäischer Ebene viel mehr machen, als die Bundesregierung tut . Die Ziele, die Frau Kramme eben nannte, teilen wir, aber die praktische Politik der Bundesregierung geht nicht oder zumindest viel zu wenig in diese Richtung . Wir brauchen kein Gesetz, das verfassungsrechtlich problematisch ist, die Integration erschwert, sozialpolitische Probleme nicht löst, sondern sogar welche schafft und europapolitisch das falsche Signal sendet . Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Wolfgang Strengmann-Kuhn . - Nächste Rednerin: Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Debatte waren wenigstens noch vier Personen auf den Rängen; jetzt ist leider niemand mehr da . ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren, die Idee der europäischen Freizügigkeit ist die Idee, in jedem europäischen Land arbeiten und für seinen Lebensunterhalt sorgen zu können . Es ist nicht die Idee, einfach irgendwo in jedem europäischen Land wohnen zu können . Ich glaube, dass wir an diesem Kern auch nicht rütteln sollten . Die Rechte, die aus dieser Arbeit entstehen, sind - und das ist viel wert - für jeden in Europa, der Arbeit gefunden hat, dieselben . Wer in Deutschland eine Arbeit aufgenommen hat und seine Sozialabgaben zahlt, hat daraus die gleichen Rechte wie die Deutschen . Dieser Zugang zu Sozialleistungen ist sehr niedrigschwellig . Schon nach einem Jahr Arbeit hat man Zugang zu allen Leistungen nach dem SGB II . Wer weniger als ein Jahr hier gearbeitet hat, hat Anspruch auf ein halbes Jahr Unterstützung, um neue Arbeit zu finden. Das alles ist sehr niedrigschwellig . Auch der Vorschlag der Grünen löst das Problem, über das wir ganz am Anfang gesprochen haben und aus dem das resultiert, was wir heute diskutieren, nicht . Ich habe zwar große Sympathien dafür; denn wer arbeiten will, gehört nicht in den Geltungsbereich des SGB XII, sondern des SGB II . Aber wenn am Ende des Tages doch keine Arbeit gefunden wurde, dann bleibt es auch nach dem Lösungsvorschlag der Grünen bei dem Problem: Die Betroffenen bekommen zwar keine Leistungen, sind aber nach wie vor in unserem Land, und die sozialen Probleme verlagern sich auf die Städte und Kommunen . ({1}) Deswegen sind, glaube ich, vor allem drei Dinge notwendig . Wir brauchen erstens ein intensiveres Engagement, um die soziale Integration in Europa voranzutreiben . Wir brauchen europäische Mindeststandards, und wir brauchen - das meine ich sehr ernst - einen kompromisslosen Schutz von Minderheiten . ({2}) Wir brauchen zweitens - ich bin froh, dass auch die Sachverständigen in der Anhörung bestätigt haben, dass der Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, eine sehr breite Härtefallregelung beinhaltet - eine Härtefallregelung, die die Probleme löst, die zum Beispiel dadurch entstehen - das sind leider keine Einzelfälle -, dass Menschen, die hier arbeiten, ihren Lohn nicht ausbezahlt bekommen und ihre Rechte einklagen müssen . Auch in der Zeit, in der sie hier sind, um ihre Rechte einzuklagen, brauchen sie Unterstützung . Es gibt auch Frauen, die mit ihren Familien hierhergekommen sind, deren Mann sich aber von ihnen trennt und woanders Arbeit findet. Oft hat die Familie dann aber schon hier Wurzeln geschlagen, und die Kinder gehen bei uns zur Schule . Auch für diese Fälle brauchen wir Regelungen, vor allem für die Kinder, die hier leben, ihre Ausbildung hier begonnen haben und ihre Heimatländer teilweise gar nicht oder kaum kennen . Für alle die müssen wir eine Härtefallregelung finden. ({3}) Drittens brauchen wir - und das haben wir mit dem Staatssekretärsausschuss und im Nachgang dazu schon gemacht - eine Stärkung der Kommunen . Die Kommunen brauchen mehr Geld, um in den sozialen Brennpunkten und da, wo es nötig ist, Hilfe und Unterstützung leisten zu können . Wir brauchen die Öffnung der Integrationskurse. Auch das haben wir damals schon beschlossen . Alle wissen, dass wir schon dabei sind und dass es in dieser Situation, in der wir auch die Integration der Flüchtlinge bewältigen müssen, nicht so einfach ist, das alles so schnell zur Verfügung zu stellen, wie es nötig ist . Aber auch daran arbeiten wir . Die Freizügigkeit in Europa ist eines der größten Geschenke, die wir bekommen haben . Wenn uns Mitte des letzten Jahrhunderts jemand gesagt hätte, dass man heute frei durch Europa reisen und überall arbeiten kann, dann hätten wir das wahrscheinlich nicht geglaubt . Unsere nächste große Aufgabe ist es,

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das machen wir aber nächstes Mal .

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken . Glück auf! ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Es ist nett, dass die Kollegen der CDU/CSU mitstoppen . Das freut mich sehr . ({0}) Das tun Sie jetzt bitte bei Herrn Zech auch . - Der nächste Redner ist der Kollege Tobias Zech für die CDU/ CSU-Fraktion . ({1})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns liegt heute ein Gesetz vor, das ein klares Bekenntnis zu Europa ist, ein klares Bekenntnis zur Freizügigkeit und ein klares Bekenntnis zur Europäischen Gemeinschaft und somit zu europäischen Werten . Wer behauptet, mit diesem Gesetz würde die Freizügigkeit eingeschränkt, hat nicht verstanden, wofür die Europäische Union steht und welche Freizügigkeit wir gewähren . Wir gewähren nämlich Arbeitnehmerfreizügigkeit und nicht die Freizügigkeit, sich das beste Sozialsystem in Europa auszusuchen . ({0}) Das wollen wir nicht . Wir wollen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer . Diese schützen wir mit diesem Gesetz . ({1}) Man könnte sogar sagen, Frau Zimmermann und Herr Strengmann-Kuhn: Wer sich gegen dieses Gesetz stellt, stellt sich gegen die europäische Freizügigkeit ({2}) Dagmar Schmidt ({3}) und vor allem gegen die Akzeptanz dieser Freizügigkeit . Auch auf sie müssen wir Wert legen . ({4}) In einer Zeit, in der die Europäische Union umstritten ist, in der wir nach dem Brexit und nach Diskussionen über Zuständigkeiten und über unsere Grenzen auch darüber debattieren müssen, wie wir Europa weiterentwickeln, dürfen wir nicht noch mehr Kritik provozieren und nicht noch mehr Ängste vor der Europäischen Union schüren, sondern wir brauchen gute Ideen, wie wir Zuwanderung in Europa gestalten . Aber wir regeln die Arbeitnehmerfreizügigkeit und verhindern gleichzeitig den Missbrauch von Sozialsystemen . Das Gesetz ist ein Schutz unserer Sozialsysteme und somit auch ein Schutz der Freizügigkeit in Europa . Mit diesem Gesetz vereinheitlichen wir darüber hinaus die divergierende Rechtsprechung in unserem Land . Dieses Gesetz gibt der Justiz eine Handreichung, damit deutschlandweit die gleichen Urteile gesprochen werden . Wir stellen mit diesem Gesetz auch klar, dass Menschen, die allein zum Zwecke der Arbeitsuche nach Deutschland kommen, keine Unterstützung bekommen . Wir wollen nicht, dass sich jemand in Europa aussuchen kann, wo er Sozialhilfe bezieht . Wir möchten es den guten Arbeitnehmern in ganz Europa ermöglichen, sich ihren Arbeitsort oder den Sitz ihrer Firma auszusuchen . Das machen wir mit diesem Gesetz . Was wir nicht machen - diesen Vorwurf habe ich schon ein paarmal gehört -: Es ist kein Aushungern von Bevölkerungsgruppen, in keiner Weise . ({5}) Es ist ein gutes Gesetz für Deutschland, aber auch ein gutes Gesetz für die Freizügigkeit . Diejenigen, die ernsthaft auf Arbeitsuche sind bzw . die schon auf dem Arbeitsmarkt angekommen sind, werden natürlich weiter unterstützt . ({6}) - Nein, die schließen wir eben nicht aus . ({7}) Es gibt Überbrückungsleistungen . Es gibt sehr weitreichende Härtefallregelungen - Dagmar Schmidt hat das schon dargestellt - mit einem großen Ermessensspielraum. Herr Strengmann-Kuhn, für die Personen, die jetzt schon Arbeitnehmer oder selbstständig sind und die aufgrund von § 2 des Freizügigkeitsgesetzes zu Einreise und Aufenthalt berechtigt sind, machen wir mit diesem Gesetz keine einzige Einschränkung . Das gilt es zu unterstreichen . ({8}) Auch die Verfestigung des Aufenthalts nach fünf Jahren im Land bietet eine bessere Perspektive. Der ordnungspolitische Rahmen, den wir hier setzen, ist gleichzeitig im Sinne von Freizügigkeit, im Sinne von Europarecht und sozialer Gerechtigkeit . Ich kann Ihnen nur eines sagen: Dieses Gesetz ist der Tatsache geschuldet, dass wir uns als CSU 2014 in Kreuth das Thema Freizügigkeit von Arbeitnehmern in Europa im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Sozialleistungen auf die Fahne geschrieben haben . Dafür sind wir hier von vielen Seiten beschimpft worden . Heute wird unser Vorschlag Realität . Wir CSUler sind es gewohnt, dass unsere Vorschläge aufgrund der intellektuellen Tiefe ein paar Monate brauchen, um hier anzukommen . ({9}) Aber ich kann Ihnen sagen: Wir Bayern sind leidensfähig . ({10}) Wir geben allen die Zeit, über unsere guten Vorschläge länger nachzudenken . ({11}) Deswegen bin ich froh, dass wir heute ein gutes Gesetz vorliegen haben, das natürlich verfassungsgemäß ist, das nicht gegen EU-Recht verstößt, und dass die Vorschläge, die wir als CSU vor zwei Jahren in Kreuth gemacht haben, heute zum Gesetz werden . ({12}) Ich kann nur um Zustimmung bitten . Herzlichen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Tobias Zech . Auch ich musste lachen, weil ich weiß, was Sie meinen, wenn Sie über Bayern reden . Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner BeschlussempfehTobias Zech lung auf Drucksache 18/10518, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10211 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linken und Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10533 ab . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen, dagegen waren CDU/CSU, SPD und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes Drucksachen 18/9752, 18/9833 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) Drucksache 18/10493 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .1) War eigentlich jemals jemand dagegen? Ich will jetzt aber keine schlafenden Hunde wecken . ({1}) Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/10493, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9752 und 18/9833 in der Ausschuss- fassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU 1) Anlage 9 und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung Drucksachen 18/9983, 18/10263, 18/10444 Nr. 1.4 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Drucksache 18/10470 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auch Änderungen des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung . Ich bitte jetzt die Sozialpolitiker, sich entweder mit dem Insolvenzrecht bzw . der Insolvenzordnung zu befassen ({3}) oder zu gehen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. ({4})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Besuchergruppen nach Berlin kommen und ich erzähle, dass man erst gegen 22 oder 23 Uhr nach Hause kommt, dann glauben die das nicht ganz . Insofern hätte ich sie heute bei diesem edlen Tagesordnungspunkt zu dem Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung gerne auf den Besucherrängen gehabt . Aber dies ist leider nicht gelungen . ({0}) - Liebe Frau Vorsitzende Künast, das machen wir heute nicht . Bevor wir in die inhaltliche Debatte einsteigen, lassen Sie uns kurz auf den spannenden Begriff „Liquidationsnetting“ zurückkommen . Ich kann mir gut vorstellen, dass nicht jeder hier im Hohen Hause mit diesem Fachbegriff vertraut ist. Worum geht es eigentlich? Wie das Wirtschaftslexikon schreibt, werden unter „Netting“ im Finanzwesen alle Methoden zur Vermeidung von Zahlungs-, Fremdwährungs-, Kredit- oder Liquiditätskrisen zwischen zwei Vertragsparteien innerhalb eines Vizepräsidentin Claudia Roth vertraglich vereinbarten Verrechnungsverfahrens verstanden . Liquidationsnetting ist mit die wichtigste Form des Nettings im Bankwesen . Es handelt sich hierbei um die einheitliche Beendigung von Geschäften durch Kündigung und automatische Auflösung aus wichtigem Grund, einschließlich aus Gründen insolvenzbezogener Tatbestände . Dies hat zur Folge, dass die sich ergebenden Ansprüche durch einen Ausgleichsanspruch in Höhe des Nettomarktwerts des Geschäfts - also die Nettosumme, die sich aus beiden Ansprüchen ergibt - oder des sich daraus ergebenden unrealisierten Gewinns oder Verlusts festgestellt und so die festgestellten Beträge miteinander saldiert werden . Das Insolvenzrisiko wird auf diese Weise erheblich reduziert . Nach der ersten Lesung hatten wir eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema . Dabei wurde aus meiner Sicht festgestellt, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hervorragende Arbeit geleistet hat, auch wenn der eine oder andere Sachverständige wohl die existenzielle Notwendigkeit dieser Maßnahme noch nicht erkannt hatte . Der Rechtsausschuss sah daher in seiner Sondersitzung in dieser Woche trotz der geäußerten Bedenken keine Notwendigkeit, den Gesetzestext zu ändern; er ist schlicht gut . Bei der abschließenden Beratung im Ausschuss haben wir beschlossen, dass alle nötig gewordenen Klarstellungen und Präzisierungen der gesetzlichen Grundlagen für die Abwicklung von Finanzmarktkontrakten in der Insolvenz vorgenommen werden . Die Dringlichkeit des Gesetzes besteht, da die Allgemeinverfügung der BaFin lediglich bis zum 31 . Dezember 2016 gilt . Ohne die Entscheidung des Hohen Hauses über den heutigen Gesetzentwurf droht die Gefahr, die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Kreditinstitute und Marktteilnehmer und damit die Stabilität unseres deutschen Finanzsystems nicht mehr dauerhaft schützen zu können . ({1}) Daher bedarf es gesetzlicher Regelungen, dieser Klarstellung der Insolvenzfestigkeit von Liquidationsnettingklauseln . Ich betone ausdrücklich: Mit dem Gesetz wird nur der ursprünglich gewollte Rechtszustand wiederhergestellt, nichts Neues, kein Dammbruch, wie es einer der Sachverständigen meinte, kein Mehr in § 104 der Insolvenzordnung, nur Klarstellung . ({2}) Es ist absolut richtig, dass sich der Gesetzgeber zügig dieser Frage angenommen hat, da anderenfalls große Schwierigkeiten im Finanzierungs- und Rücklagensystem aller deutschen Banken hätten auftreten können . Dies wird - auch mit Blick auf eine mögliche Belastung des Steuerzahlers - durch das Gesetz vermieden . Dies zum Netting . Nun zu dem dem Gesetzentwurf angefügten Omnibus . Man soll auch über das sprechen, was noch drinsteht, ({3}) Artikel 4 EGZPO, der Einfachheit halber Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, hinsichtlich der Wertgrenzen zur Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof . Der Änderungsantrag ist zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll, die Verlängerung der Geltungsdauer maßvoll . Ob allerdings die Regelung einer Mindestbeschwer in Höhe von 20 000 Euro grundsätzlich die richtige Höhe darstellt, stelle ich persönlich infrage . Gleichwohl teile ich die Einschätzung, dass dieser Komplex insgesamt und grundsätzlich gelöst werden muss, und das endgültig und nicht allein durch Korrekturen an der Wertgrenze . Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen . Warum soll einem Waldbesitzer, dessen Wäldchen zum Zeitpunkt der Klageerhebung 19 000 Euro wert ist, der Rechtsweg versperrt sein, während demjenigen, dessen Aktienpaket im Wert von ursprünglich mehr als 20 000 Euro zum Zeitpunkt des Urteils nur noch 50 Cent wert ist, ein anderes Rechtsschutzinteresse zugebilligt wird? ({4}) An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass die Geltungsdauer der Wertgrenze für den Weg zum Bundesgerichtshof ein letztes Mal verlängert wird . ({5}) Denn ich will keine Kapitalisierung der Rechtsmittel, sondern Recht für alle . Daher darf der Zugang zum Recht nicht allein an der materiellen Höhe der Auseinandersetzung scheitern . Wertgrenzen dürfen schon gar nicht dazu dienen, Personalengpässe bei den Obergerichten auszugleichen . ({6}) Wie gesagt, mit diesem Gesetz machen wir einen richtigen Schritt in Sachen Rechtssicherheit für alle, jedoch nicht den letzten; denn im Insolvenzrecht ist mit diesem Gesetzentwurf noch lange nicht alles abgeschlossen . Konzerninsolvenzrecht, Sicherung von ausbezahlten Arbeitslöhnen, eine Reform der Anfechtungsfristen sowie die Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern bei der Sanierung von Unternehmen stehen noch auf der Agenda . Da haben wir noch einiges zu vereinbaren . ({7}) Wir jedenfalls, die Sozialdemokraten, haben dazu klare Vorstellungen . Wir können diese auch kurzfristig umsetzen, sodass es heißen kann: Wo Sozialdemokratie draufsteht, steckt auch Sozialdemokratie drin . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Ihnen allen einen schönen Abend . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Karl-Heinz Brunner . - Nächster Redner: Richard Pitterle für die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf hat in den Beratungen zu einigen Missverständnissen geführt. Dafür ist auch die Problembeschreibung der Verfasser verantwortlich . Dort heißt es irreführend, der Entwurf sei eine Reaktion auf die Rechtsprechung . Der Bundesgerichtshof hatte in der Finanzwelt übliche Verträge mit dem Insolvenzrecht für unvereinbar erklärt . Mit dem Gesetz solle die Abwicklung von Finanzverträgen in der Insolvenz nach bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen daher klargestellt und präzisiert werden . Bei der genauen Analyse zeigt sich: Die Regelungen gehen weit darüber hinaus . Die Änderung erweitert die Ausnahmevorschriften des § 104 Insolvenzordnung erheblich . In Zukunft können auch Warentermingeschäfte durch Rahmenverträge zusammengefasst werden . Schlicht falsch ist die beiläufige Behauptung der Verfasser, dies sei ohnehin geltende Rechtslage . Nicht alle Verträge über Waren-, Rohstoff- oder Energielieferungen sind Finanzinstrumente . In diesem Bereich mag es der Wunsch von Lobbyisten sein, das Insolvenzrisiko zu verringern . Das ist aber der Wunsch aller Gläubiger . Sachliche Gründe für eine Privilegierung gibt es nicht. Eine Ausweitung gebieten weder das Unionsrecht noch bankenaufsichtsrechtliche Anforderungen . Die Neuregelung präzisiert nichts . Sie stellt auch nichts klar . Die Rahmenbedingungen für vertragliche Vereinbarungen zum sogenannten Liquidationsnetting sind konturlos formuliert . Das erhöht die Rechtsunsicherheit . Das birgt die Gefahr ausufernder Vereinbarungen zulasten der Insolvenzmasse . Das gefährdet die Sanierung der Unternehmen und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen . Begründet wird dies auch mit dem Schutz des Vertragspartners in der Insolvenz . Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Heuchelei ist kaum zu ertragen . Sie verweigern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern seit Monaten durch Untätigkeit den Schutz ihres hart erarbeiteten Lohnes in der Insolvenz . ({0}) Sie verweigern sich auch einer generellen Besserstellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber anderen Gläubigern . Geht es jedoch um das große Finanzkasino und selbstgeschaffene Risiken, steht auf einmal der Schutz des Vertragspartners im Mittelpunkt Ihrer Bemühungen . ({1}) - Das mögen Sie Klassenkampf nennen; das ist Ihr Problem . Wie gewaltig diese Risiken sein müssen, zeigt das völlig kopflose Agieren der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht . Die Tinte auf dem Urteil war kaum trocken, da erließ die BaFin eine Verfügung . Sie erklärte die Rechtsprechung kurzerhand zum Schutz des Finanzmarktes für unbeachtlich . Eine Bundesoberbehörde versucht, durch Notverordnung in die Zuständigkeit von Gesetzgebung und Rechtsprechung überzugreifen . ({2}) Wenn Herr Schäuble hier wäre, müsste ich ihm sagen, als Rechts- und Fachaufsicht über die BaFin sollte er doch vielleicht einen Grundkurs in Staatsorganisationsrecht und zum Thema Gewaltenteilung anbieten . ({3}) Pikant daran ist, dass die BaFin auch im Untersuchungsausschuss Cum/Ex, aus dem ich gerade komme, keine gute Figur macht . Sie will als Aufsichtsbehörde über den Finanzmarkt mehr als zehn Jahre nichts davon mitbekommen haben, wie Banken und Finanzdienstleister Milliarden Euro Steuern hinterzogen haben . Zum Abschluss noch folgende Frage: Was hat die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH mit dem Liquidationsnetting zu tun? Genau: Nichts! Mit Ihrer nachgeschobenen Änderung missachten Sie erneut die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens . ({4}) Auch inhaltlich ist ein Gesetz, das den Zugang zu Gericht wegen Überlastung erschwert, ein Offenbarungseid Ihrer Haushalts- und Justizpolitik und eines Rechtsstaates unwürdig . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Richard Pitterle. - Der Nächste in der Debatte: Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Abend! Herr Kollege, die Aufklärung in Sachen Finanzkasino war daneben . ({0}) Ich kann nur sagen: Was die BaFin gemacht hat, ist richtig . Ich werde das gleich auch erklären . Herr Schäuble braucht auch keinen Grundkurs in Sachen Staatsorganisationsrecht . Auch diese Bemerkung war schlicht daneben . ({1}) Wir reden hier über etwas ganz anderes, nämlich über § 104 Insolvenzordnung, das Close-out Netting . Der Kollege Brunner hat eben schon deutlich gemacht, worum es geht . Close-out heißt, dass bei bestimmten Kreditvertragstypen der Vertrag beendet wird . Er wird zweitens genettet, nämlich aufgerechnet, und zwar in der Weise, dass das Risiko aus verschiedenen Verträgen zusammengefasst wird . Was hier in Rede steht, ist in der Tat ein Riesenvolumen. Der Kollege Christoph Paulus von der Berliner Universität hat uns das in der Anhörung sehr deutlich gemacht: Es geht um ein Gesamtvolumen von 605 Billionen Euro . Davon besteht ein mögliches Insolvenzrisiko in Höhe von 24 Billionen Euro . Es ist richtig, dass wir, weil diese Forderungen und Verbindlichkeiten zusammenhängen, sie dann auf 3,7 Billionen Euro reduzieren . ({2}) - Kollegin Keul, jetzt fragen wir uns: Warum müssen wir das Gesetz reformieren? Da muss man noch einmal gucken, wann das Gesetz in der jetzigen Form geschaffen wurde . ({3}) - Sie können gleich darauf erwidern . - Im Jahr 2004 hat nämlich die damalige rot-grüne Koalition die jetzige Norm geschaffen. ({4}) Da gab es dann Nachfragen von der Bayerischen Staatsregierung . Die hat Ihnen, der rot-grünen Koalition, Fragen gestellt und damit den Eindruck erweckt, dass die rot-grüne Koalition - so heißt es hier in der Ausschussdrucksache aus dem Jahr 2004 mit der Nummer 15/2584 „das Großkapital schützen wolle und die kleinen Firmen zugrunde richte“ . Dann haben wir alle - leider ohne die Linken, aber das ist nicht so überraschend - zusammengearbeitet und haben gemeinsam mit dem BMJ - wie es damals noch hieß - diesen „bodenlosen Behauptungen“, die Sie jetzt bringen, obwohl Sie damals genau das Gegenteil gesagt haben, „die Grundlage entzogen“ . ({5}) Dann hat Ihr Vorgänger Jerzy Montag, ein guter Mann, gesagt, die jetzige Fassung diene „dem Schutz des Bankenplatzes Deutschland“ und stelle auch sicher, dass „in der Insolvenz nicht auf Baumaschinen, nicht auf Forderungen und nicht auf andere Gegenstände“ zurückgegriffen werden könne . „Mit dem Ergebnis des . . . Entwurfs“, über dessen Korrektur wir jetzt heute beraten, „könne man sehr zufrieden sein .“ Der Bundesgerichtshof hat sich mit Ihrem Gesetz auseinandergesetzt und festgestellt, dass manches von dem, was Sie damals wollten, nicht funktionierte . Wir korrigieren Ihre Fehler, und Sie sagen jetzt, wir schützten die Banklobby . Ich halte das für daneben; das muss man wirklich sagen . ({6}) Man kann dann noch einen Schritt weitergehen und nachfragen. Sie haben das in der Pressemitteilung von gestern so schön gesagt: Die Großbanken kriegen Privilegien gesichert, und deshalb müssten wir eine Sondersitzung abhalten . ({7}) - Das ist Ihre Pressemitteilung, die ich hier zitiere. Und deshalb lehnen Sie es ab . - Auch das stimmt nicht . Schauen Sie doch bitte einmal in das Gesetz hinein . Frau Keul, dazu können Sie gleich etwas sagen . § 340 der Insolvenzordnung besagt, dass bei solchen Verträgen das Recht gilt, was vereinbart wurde . Das heißt, man kann der Regelung entfliehen. Es ist also nicht so, dass die Banken dann alle sofort pleitegehen . Sie werden die Verträge ändern, und dann haben wir einen Vertrag nach englischem Recht, der genau das vorsieht, was wir jetzt hier vorschlagen . Ich muss schon sagen: Ich halte es für richtig, dass deutsche Banken auch deutsches Recht nutzen können . Wir stellen noch einen Punkt im Ausschussbericht klar, der in der Anhörung zweifelhaft war, nämlich dass Erfüllungsansprüche dann gegengerechnet werden können . Das halte ich für wichtig . Aber ich möchte zu einem weiteren Punkt noch etwas sagen, zur Streitwertgrenze . Ja, die Überlegung, ob die Streitwertgrenze und die Fortschreibung der Streitwertgrenze der richtige Ansatz ist, den Zugang zum Bundesgerichtshof zu kontrollieren, ist zweifelhaft . Herr Kollege Brunner hat es eben schon gesagt: Da müssen wir ein bisschen grundsätzlicher herangehen . Ich habe in der Ausschusssitzung vorgestern genau das gesagt: Wir sind für eine solche weiter gehende Lösung offen. Wir sind hier in Vorlage gegangen . Wir haben gestern gesagt, dass die Erweiterung des Ansatzes des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes ein Punkt ist, an dem wir weitergehen würden und weitergehen können . Das Justizministerium hat inzwischen nachgezogen. Wir finden das gut . Darüber können wir reden . Dann können wir erwägen, ob wir zum Beispiel bei identischen Sachverhalten, die mehrere Personen betreffen, oder bei Streuschäden eine Regelung treffen, dass der Streitwert, der als Grenze des Zugangs zum Bundesgerichtshof dient, herabgesetzt wird . Da gibt es also Reformbedarf . Wir werden darüber reden . Mit dieser Änderung wird die Zeit überbrückt, bis die wesentlichen Änderungen kommen werden . Der letzte Punkt. Natürlich ist das nicht das Ende der Reformen im Insolvenzrecht . Wir werden das Anfechtungsrecht reformieren . Wir warten auf die Vorschläge und die Antworten der SPD. Wir werden auch das Konzerninsolvenzrecht reformieren . Vielen Dank . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr . Hirte . - Nächste Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich einmal ein paar Dinge klarstellen: Zuerst zur Schuldfrage . Die Sondersitzung haben nicht wir beantragt, sondern Sie, weil Sie die Fristen nicht eingehalten haben und wir auf die Fristeinhaltung nicht verzichtet haben . ({0}) Zweiter Punkt. Sie ändern hier ein Gesetz, das irgendwann einmal unter Rot-Grün, wie Sie sagen, auf den Weg gebracht worden ist - und nicht umgekehrt . ({1}) Außerdem haben Sie aus einem Gesetzgebungsverfahren von 2004 zitiert . Es war vor der Finanzkrise, also bevor wir alle wussten, welche Auswirkungen es hat, dass die Banken alle unterkapitalisiert sind . Dieses Gesetzgebungsverfahren ist in der Tat ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Interessen der Finanzindustrie hier ihren Weg bahnen . Im Juni dieses Jahres entschied der Bundesgerichtshof, dass die Praktiken der Finanzakteure, also der Banken, die mit Derivaten handeln, gegen § 104 Insolvenzordnung verstoßen . Warum? Weil sie die Forderungen aus diesen Risikogeschäften im Insolvenzfall so miteinander verrechnen, dass praktisch keine Insolvenzforderung mehr übrig bleibt . Wir haben ja gerade gehört: Es geht nicht um 3,50 Euro, sondern durchaus um Milliarden . Nach diesem BGH-Urteil legt die Bundesregierung sofort, also quasi über Nacht, einen Entwurf zur Änderung der Rechtslage vor, damit die Banken weitermachen können wie bisher, und erweitert die Norm sogar noch darüber hinaus . ({2}) Nicht einmal eine einzige Sekunde haben die Akteure die Alternative in Betracht gezogen, sich schlicht an das geltende Recht zu halten, als ob die systemische Finanzkrise, in der wir uns seit zehn Jahren befinden, nicht deutlich genug gemacht hätte, dass die Sorglosigkeit dieses Geschäftsbereichs die Ursache des ganzen Elends ist . ({3}) In der Gesetzesbegründung steht ganz schamlos, dass es genau darum geht: den Großbanken zu ersparen, ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen - was sie tun müssten, wenn das Insolvenzrisiko realistisch abgebildet würde . Es ist aber gerade notwendig, dass die Eigenkapitalquoten erhöht werden, um zu verhindern, dass wieder nur die Gewinne bei den Akteuren bleiben, die Verluste aber im Ernstfall die Allgemeinheit tragen muss . Das deutsche Insolvenzrecht ist auf Gleichbehandlung aller Gläubiger ausgerichtet - und das ist auch gut so . Hier wollen einige wieder einmal gleicher sein als andere, und die Bundesregierung steht gehorsam bereit . Das ist wirklich befremdlich, wenn man einmal auf der anderen Seite betrachtet, wie lange der deutsche Mittelstand auf die moderate Reform des Anfechtungsrechtes wartet, das seit zwei Jahren auf Eis liegt . Für die Finanzindustrie geht es plötzlich innerhalb von drei Monaten . Angeblich sollte aus beiden Gesetzen jetzt ein Paket geschnürt werden . Aber warum steht nun doch wieder nur das Interesse der Finanzer auf der Tagesordnung und nicht das des Mittelstandes? Warum sollte die zweite Lesung schon wieder zur nächtlichen Stunde zu Protokoll gegeben werden, obwohl das schon in der ersten Lesung so gelaufen ist? ({4}) Darauf haben wir uns diesmal nicht eingelassen . Ich kann nur hoffen, dass sich die mediale Öffentlichkeit hier nicht an der Nase herumführen lässt . Sie argumentieren damit, dass es ja nicht anders geht, weil diese Regelung doch international überall so gehandhabt wird und daher der Standort Deutschland leiden oder man ins englische Recht ausweichen würde . In der Tat, die Finanzlobby hat ihre Sonderinteressen natürlich nicht nur hier, sondern weltweit durchsetzen können, und weil sie dadurch jetzt in den anderen Ländern dieselben Privilegien hat, sollen wir damit erpresst werden, dass es eben nicht anders geht . Das ist das alte Totschlagargument: Wenn wir es nicht tun, dann tun es die anderen . - Damit werden wir die systemische Krise niemals in den Griff kriegen . ({5}) Ganz im Gegenteil: Die Auswirkungen dieser Machenschaften bringen gerade unsere Welt ins Wanken . Europa fällt auseinander, und ehemals stabile Demokratien stehen im Feuer der Populisten. Als demokratische Volksvertreter dürfen wir uns nicht länger erpressen lassen . Und was ist eigentlich aus der Finanztransaktionsteuer geworden? Wenn die Staaten einmal den Auswüchsen der Finanzindustrie regulierend Einhalt gebieten wollen, dann ist es so mühsam, Mitstreiter zu überzeugen . Wenn aber die Finanzindustrie in einem Land nach dem anderen Privilegien zum Standard machen will, geht das immer ganz schnell . Wir Grüne machen das an genau dieser Stelle nicht mehr mit . Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katja Keul . - Der letzte Redner in der Debatte: Alexander Hoffman für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Thema ist das Dritte Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung . Ich gebe zu, dass diejenigen, die dieser Debatte zu dieser Stunde beiwohnen, das nicht unbedingt als Hauptgewinn begreifen werden - insbesondere dann nicht, wenn sie Ihre Rede gehört haben, Kollege Pitterle. Ich habe versucht, ein Fallbeispiel zu finden, das sehr deutlich macht, worum es im Kern geht . Stellen Sie sich Folgendes vor: Zwei Banken betreiben regelmäßig Geschäfte miteinander . Eines Tages kauft die Bank A von der Bank B Wertpapiere im Wert von 1 Million Euro . Sie bezahlt diese Wertpapiere auch gleich; die Bank B ist aber schon einige Tage später nicht mehr in der Lage, die Wertpapiere zu liefern, weil sie insolvent geht . Dann hat die Bank A eine Forderung in Höhe von 1 Million Euro, die sie im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend machen kann und dort zur Tabelle anmeldet . ({0}) Das hat - Kollege Pitterle, hören Sie zu! - ein maximales Ausfallrisiko zur Konsequenz . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von den Linken - um an dieser Stelle schon dem ersten Missverständnis entgegenzuwirken, das Sie heute sehr gerne skizziert haben -, diese Bank A, die auf dieser 1 Million Euro sitzen bleibt, kann die Deutsche Bank oder eine andere Großbank sein, aber das kann letztendlich auch jede Hausbank eines jeden Bürgers in Deutschland sein . Dann zahlt diese 1 Million Euro am Schluss der Anleger, der Kunde, der Steuerzahler . Genau diese Konstellation sollte § 104 der Insolvenzordnung vermeiden . Er hat nämlich folgende Möglichkeit vorgesehen: Wenn - zurück zu meinem Fall - die Bank B aufgrund eines anderes Geschäfts eine noch offene Forderung gegen die Bank A hat, sagen wir in Höhe von 800 000 Euro, dann sollte die Möglichkeit eröffnet werden, das miteinander zu verrechnen, sodass nur die Differenz von 200 000 Euro ins Saldo gestellt wird mit der Folge, dass das maximale Risiko der Bank A am Ende des Tages 200 000 Euro beträgt . Damit beträgt auch das Ausfallrisiko der Kunden, der Steuerzahler und der Anleger dieser Bank A nur 200 000 Euro . ({1}) Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, war das Ziel von § 104 der Insolvenzordnung . Das sahen - der Kollege Hirte hat es vorhin angesprochen - die Grünen im Übrigen einmal ganz genauso: Im Jahr 2004 wurde diese Norm formuliert . Aber heute wollen Sie davon nichts mehr wissen . Der BGH legt § 104 wir haben es gehört - heute anders aus und begreift solche Aufrechnungsvereinbarungen als unwirksam . ({2}) Auch deswegen, liebe Kollegin Keul, gilt es, schnell zu handeln; denn uns läuft ein Stück weit die Zeit davon . Die zweite Konsequenz, wenn solche Rahmenvereinbarungen nicht mehr getroffen werden können, ist nämlich, dass Banken aufgrund dieses erhöhten Ausfallrisikos letztendlich Finanzrückstellungen in einer Größenordnung machen müssen, wie sie heute einfach nicht mehr darstellbar ist . Sie haben vorhin gesagt: Wir haben durch die Finanzkrise gelernt, und deswegen müssen die Rückstellungen der Banken ohnehin erhöht werden . - Das ist aber insoweit unehrlich, als Sie ganz genau wissen, dass die Erhöhung der Rückstellungen, über die wir hier reden, aufgrund des Anstiegs des Ausfallrisikos komplett aufgefressen wird . Es ist wichtig, dass wir zeitnah darauf reagieren, weil es letztendlich für viele Banken ein Problem darstellen würde, in dieser kurzen Zeit die Rückstellungen auf dieses Maß zu erhöhen . Damit zeigt die Große Koalition, dass sie handlungsfähig ist . Die Große Koalition zeigt, dass sie darauf reagieren kann . Ich glaube, das Beispiel zeigt sehr gut, dass es sich nicht um Geschenke für Großbanken handelt . ({3}) Deswegen bitte ich um Zustimmung . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Hoffmann. - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Insolvenzordnung . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10470, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9983 und 18/10263 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD; dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Ich darf Sie bitten, die Essensverteilung ein bisschen einzuschränken und diese Teile, die wir hier freundlicherweise auch bekommen haben, nicht unbedingt als Wurfgeschosse einzusetzen; sonst lasse ich den Innenausschuss damit befassen . ({0}) Wir haben auch Hunger, aber wir müssen erst noch mit den Kollegen vereinbaren, ab wann hier Bier serviert wird ({1}) und Bratwurst . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes Drucksache 18/9440 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2}) Drucksache 18/10440 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10441 Hierzu liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Die Reden gehen nicht zu Protokoll. Deswegen bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die gleich debattieren werden, Platz zu nehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es keinen Widerspruch . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär . ({4}) Ich bitte die Kollegen, jetzt Platz zu nehmen und Frau Bär zuzuhören . Das gilt für alle, auch für die Kollegen von ihrer Partei.

Dorothee Mantel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003586

Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - So viele sind von meiner Partei gar nicht da. ({0}) - Ich habe die eigene Partei gemeint, natürlich nicht die Schwesterpartei . ({1}) - So viel Unterschied muss sein, Herr Herzog . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag, um über das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes zu sprechen, weil es heute insgesamt ein guter Mauttag in Deutschland ist . ({2}) Deswegen passt es ganz besonders gut, dass wir heute zu diesem Gesetzentwurf noch sprechen können . Wie Sie alle wissen, war und ist es unser Ziel, in dieser Legislaturperiode die Finanzierung der Bundesfernstraßen zu verbessern . Sie alle wissen auch, dass wir das schon in den vergangenen drei Jahren geschafft haben, und wir werden auch im nächsten Jahr bis zur Bundestagswahl in diesem Bemühen nicht nachlassen . Uns ist es wichtig, eine moderne, eine sichere, eine leistungsstarke Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zu gewährleisten. Deswegen treiben wir die Nutzerfinanzierung konsequent voran und schaffen so den wesentlichen Bestandteil des Investitionshochlaufs . Wir stellen dadurch auch die Maßnahmen sicher - auch das ist heute ein wichtiger Schritt -, die sich im Bundesverkehrswegeplan 2030 befinden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Sie behaupten im Ausschuss immer wieder, dass alles, was zum Vordringlichen Bedarf und zum weiteren Bedarf mit Planungsrecht im Gesetzentwurf steht, nicht ausfinanziert ist . ({4}) Allein durch solche Gesetzesinitiativen stellen wir fest, dass es möglich ist, dass alles finanziert werden kann, was wir uns vorgenommen haben . Sie sehen, dass in der Verkehrspolitik insgesamt eine ganzheitliche Politik betrieben wird . ({5}) Aufgrund der besonderen Belastung für die Infrastruktur spielt natürlich die Lkw-Maut eine ganz wesentliche Rolle . Wir haben mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes die ersten beiden Schritte unternommen, haben zum 1 . Juli 2015 die LkwMaut von circa 1 200 Kilometer auf circa 2 300 Kilometer autobahnähnliche Bundesstraßen ausgeweitet und haben zum 1. Oktober 2015 die Mautpflichtgrenze von 12 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht auf 7,5 Tonnen abgesenkt. Auch dadurch schaffen wir mehr Gerechtigkeit. Vizepräsidentin Claudia Roth Jetzt stehen wir vor dem nächsten Schritt und machen mit dem vorliegenden Vierten Gesetz eine Ausweitung der Lkw-Maut ab Mitte 2018 auf alle circa 40 000 Kilometer Bundesstraßen. Auch damit finanzieren und verbessern wir die Finanzierung der Bundesfernstraßen und gewährleisten weiterhin eine sichere und vor allem moderne und leistungsstarke Infrastruktur . Für uns ist die Philosophie - die teilen nicht alle; das werden wir nachher noch hören -, dass Mobilität ein Grundbedürfnis der Menschen in unserem Land ist . ({6}) Wir machen eine Politik, die für diese Grundbedürfnisse steht. Wir machen keine Politik, Frau Wilms, die gegen solche Grundbedürfnisse steht; denn damit stellen Sie sich zu Recht ins Abseits . Ich bin gespannt auf Ihr Gemäkel, was gleich wieder kommen wird, Frau Kollegin . ({7}) Die parlamentarischen Beratungen und die Befassung des Bundestags haben weitere Anregungen zu dem von der Bundesregierung im Mai 2016 beschlossenen Gesetzentwurf gebracht . Beispielsweise sollen landwirtschaftliche Fahrzeuge unter bestimmten Bedingungen von der Maut befreit werden. Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Mautpflicht auch auf bestimmte Strecken von Landes- und Kommunalstraßen auszuweiten . Ein ganz besonderes Anliegen von einigen von uns - auch von mir persönlich; dazu wird der Kollege Jarzombek sicher nachher noch Stellung nehmen - ist die Bereitstellung von Mautdaten in der Datenbank mCLOUD . Das ist ein wichtiger und positiver Schritt, weil der umfangreiche Datenschatz auch für die Verkehrsforschung von ganz besonderer Bedeutung ist . Mit dem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, unterschiedliche Mautsätze für Bundesautobahnen und Bundesstraßen möglichst zu vermeiden . Das ist uns auch wichtig, weil sichergestellt werden soll, dass weniger zentral gelegene Regionen nicht doppelt bestraft werden . Wir wollen eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse . Wir wollen kein Stadt-Land-Gefälle . Das ist ganz besonders für die ländlichen Regionen wichtig . Deswegen müssen wir alles daransetzen, um diese Ungerechtigkeit zu vermeiden . ({8}) Ich darf mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen bedanken, die im Verkehrsausschuss mit Augenmaß Leitlinien für die Zukunft geschaffen haben. Ich glaube, wir alle können konstatieren - wenn wir es ehrlich meinen, wenn wir nicht versuchen, das Ganze populistisch schlechtzureden -, dass wir im Ergebnis heute Abend einen Gesetzentwurf mit einem Änderungs- und einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen verabschieden, die ein absolut gelungenes Gesamtpaket darstellen . Wir haben in dieser Legislaturperiode unsere Ziele bezüglich der Lkw-Maut erreicht. Aber wir haben auch eine sehr gute Position geschaffen für die nächsten Jahre. Abschließend ist es mir noch einmal wichtig, zu betonen: Wir wollen mit unserer Verkehrspolitik Mobilität ermöglichen, nicht Mobilität verhindern . Mobilität braucht Infrastruktur . Unsere wachsende Wirtschaft braucht Infrastruktur . Das ist zumindest für diejenigen, die außerhalb bestimmter ideologischer Kreise sind, eine Binsenweisheit . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dorothee Bär . - Nächster Redner: Herbert Behrens für die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mühsam, unendlich mühsam war dieser Prozess, um zu dem Gesetzentwurf zu kommen, den wir heute vorliegen haben . Es geht um die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen . Schon lange wird die Forderung von verschiedenen Parteien erhoben. Aber das ist auch das Einzige, was erhoben wird . Bislang wird die Maut nicht auf allen Bundesstraßen erhoben . Es könnte eigentlich ein ganz guter Tag sein - das wurde von Ihnen erwähnt, Frau Bär -, deswegen, weil er diese Entscheidung nach sich zieht . Mit der Mautausweitung wird endlich ein Wettbewerbsnachteil der Bahn beim Güterverkehr deutlich verringert; denn die Bahn muss bekanntlich für jeden gefahrenen Kilometer bezahlen . Das war bei den Lkw-Gütertransporten bislang nicht der Fall . Diese Ungleichbehandlung ist einer der Gründe dafür, dass in den letzten Jahren immer mehr Güter auf der Straße transportiert wurden und der Güterverkehr auf der Schiene stagniert . Ich bin sicher, dass wir hier im Parlament diesen Trend umkehren können, und die Mautausweitung ist ein erster Schritt in diese Richtung . Andere müssen noch folgen; das wissen wir, glaube ich . Dass dieser Weg beschritten werden muss, das wird jedem klar sein . Das hat ja die lange Diskussion über dieses Thema gezeigt . Wir wissen: Der massiv wachsende Straßengüterverkehr hat negative Folgen für Mensch und Umwelt; das kann niemand ernsthaft bestreiten . Das müssen wir jetzt ändern, damit wir auf unserem Weg weiterkommen . Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und diese Details trüben dann doch die Genugtuung über den hier vorgelegten Gesetzentwurf . Es gibt eine lange Liste von Einwänden gegen dieses Gesetz und gegen die Mautpolitik der Bundesregierung . Ich will allerdings nur drei ansprechen . Meine Fraktion hat dies mit Anträgen unterlegt . Erstens . Wieder einmal konnte sich die Bundesregierung nicht dazu durchringen, auch die Fernbusse in die Mautpflicht zu übernehmen. Nun hat der Verkehrsminister nicht versucht, ausländische Busse in die Mautpflicht aufzunehmen; zum Glück ist er auf diese Idee nicht gekommen . Die Linke dringt weiterhin entschieden darauf, dass eine Maut für Fernbusse in dieses Gesetz aufgenommen wird . ({0}) Eine Fernbusmaut ist sinnvoll, fair, gerecht und vor allen Dingen längst überfällig. Meine Hoffnung ist, dass unser vorliegender Änderungsantrag heute eine Mehrheit finden könnte - das ist ein Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen der SPD -, wenn man sich auf die eigenen Vorschläge zurückbesinnen würde . ({1}) Zweitens . Man hätte mit dem Gesetzentwurf eine grundsätzliche Schwäche des deutschen Mautgesetzes beseitigen können, nämlich den Finanzierungskreislauf Straße . Dieser besagt, dass jeder Euro an Mauteinnahmen wieder in den Straßenbau zurückfließen soll, und das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, wirklich widersinnig, und es ist zynisch . ({2}) Seit mehr als einem Jahr sind auch die Klimakosten des Lkw-Verkehrs Bestandteil der Lkw-Maut . Es kann nicht angehen, dass der Mautteilsatz für Klimaschäden des Straßengüterverkehrs dazu verwendet werden soll, die Grundlage für noch mehr Güterverkehr auf der Straße zu schaffen. Das ist doch wirklich widersinnig. Güterverkehr muss umweltverträglicher werden, und zwar sofort . ({3}) Ein dritter ganz wesentlicher Punkt bei der Lkw-Maut ist die Frage, wie mit dem Mautbetreiber Toll Collect umgegangen wird . Der Bund hat sich entschieden, nach Vertragsende im Jahr 2018 beim Mautbetrieb wieder auf das private Unternehmen zurückzugreifen . Das ist aus Sicht der Linken völlig falsch . ({4}) Wenn uns die Geschichte der Lkw-Maut eines gelehrt hat, dann das, dass man sich auf eine öffentlich-private Partnerschaft - und genau darum handelt es sich hier ja nicht verlassen kann . Ich rede nicht davon, dass wir uns seit zehn Jahren bemühen, die 7 Milliarden Euro Mautausfall einzuklagen . Ich rede davon, dass Schluss gemacht werden muss mit öffentlich-privaten Partnerschaften . Wir sind der Meinung: Der Bund muss die Maut in Eigenregie übernehmen, damit es hier vorangehen kann . Darum werden wir uns bei der Abstimmung zum Gesetzentwurf, den wir im Kern gut finden und dem wir eigentlich zustimmen wollen, aufgrund der Mängel der Stimme enthalten . Wir können uns nicht durchringen, zuzustimmen . ({5}) Denn aus einem krummen Antrag wird keine gerade Sache . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herbert Behrens . - Nächster Redner: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was lange währt, wird endlich gut . ({0}) Angesichts der Aussagen, die von der Linken kommen, kann man sagen: Eine Enthaltung der Linken ist schon fast eine Zustimmung . ({1}) Sie haben sich ja richtig viel Mühe geben müssen, um überhaupt etwas zu finden, was man kritisieren kann. Nun haben Sie sich für eine kräftige Enthaltung entschieden . Das ist ja richtig mutig in der Verkehrspolitik . Dabei ist Ihr Problem, dass Sie sich nicht einfach hinter den tollen Koalitionsvertrag stellen können . Denn wir haben eines klargemacht: Wir werden in den nächsten vier Jahren die Bundesmittel für die Verkehrsinfrastruktur substanziell erhöhen . Dies werden wir durch zusätzliche Mittel aus der Nutzerfinanzierung durch den Lkw ergänzen. Die bestehende Lkw-Maut wird auf alle Bundesstraßen ausgeweitet . ({2}) Versprochen und gehalten; der Kollege Holmeier bringt es genau auf den Punkt. ({3}) Wir als Große Koalition haben klare Aussagen getroffen, die wir eins zu eins eingehalten haben . Wir stellen neben die starke Säule der Steuerfinanzierung eine starke Säule der Nutzerfinanzierung. Was will man mehr? Sie haben große Mühe gehabt, Kritikpunkte zu finden . Lassen Sie uns doch einmal auf die positiven Seiten schauen: Wir werden in dieser Legislaturperiode so viel in die deutsche Infrastruktur investieren wie noch niemals zuvor . Morgen werden wir in der Debatte über den Bundesverkehrswegeplan deutlich machen, wo überall das Geld in die zukünftigen Infrastrukturen fließen wird. ({4}) - Sie kritisieren, dass das Geld in Wahlkreisen investiert wird . Aber, liebe Frau Kollegin, wir alle werden in Wahlkreisen gewählt oder nicht gewählt, ({5}) und mit diesen Investitionen tun wir etwas für die Infrastruktur vor Ort . Das kann man doch nicht kritisieren . ({6}) Seien Sie froh, dass wir aus den Stauengpässen herauskommen und endlich in eine moderne Infrastruktur investieren können . ({7}) Sie haben sich ja bemüht, bei der Lkw-Maut Kritikpunkte zu finden. Schauen wir einmal auf die positiven Punkte: Wir werden die Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten . Wenn wir diese Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten, dann kommen wir damit unserer Verantwortung nach. Wir werden auch die 8 Prozent der Bundesstraßen, die in der kommunalen Baulast liegen, einbeziehen und die Regelung so ausgestalten, dass die Länder ihren Anteil bekommen und an die Kommunen weiterreichen . Wir haben als Große Koalition den guten Entwurf der Bundesregierung als Ausgangspunkt genommen und ihn noch besser gemacht . Wir haben Daten zur Verfügung gestellt . Die mCLOUD ist von der Frau Staatssekretärin angesprochen worden . Ja, auch mit diesen Daten wird man Verkehre in Zukunft besser lenken können . Wir wissen, welche Daten bei der Lkw-Maut generiert werden, und wir stellen sie dem Verkehrssektor zur Verfügung . Wir haben darüber hinaus das Problem erkannt, dass durch eine ungleiche Anlastung der Kosten möglicherweise Erreichbarkeitsdefizite produziert werden, und zwar an abgelegenen Orten, die nur durch Bundesstraßen zu erreichen sind . Auch da haben wir als Große Koalition sehr deutlich gesagt: Wir wollen durch diese Maut keine falsche Lenkungswirkung erzeugen . Wir haben klar gesagt: Keine unterschiedlichen Mautteilsätze an der Stelle, sondern eine gerechte Anlastung . ({8}) Oppositionsvertreter mögen kritisieren, das sei nicht genügend Internalisierung der externen Kosten . Für alle, die nicht Verkehrspolitikerin oder Verkehrspolitiker sind - ich sehe davon wenige heute Abend im Plenum -, müsste ich jetzt sagen: Dabei geht es um die Frage, ob wir mehr in Sachen Luftschadstoffe und mehr in Sachen Lärm tun können . An dieser Stelle muss ich in Richtung der Linken, die immer behaupten, wir müssten mehr machen, sehr deutlich sagen: Sie müssen in die EU-Richtlinie schauen, die den Rechtsrahmen eindeutig vorgibt . Wir würden an der Stelle gerne weiter gehen, ({9}) und wir wünschen der Bundesregierung in den Verhandlungen mit Brüssel viel Erfolg . Wir wünschen ihr so viel Erfolg, wie sie in anderen Verhandlungen mit Brüssel schon hatte, damit die Lkw-Maut mit Blick auf die Internalisierung externer Kosten deutlich stärker ausgeweitet werden kann, weil man so endlich zu einer echten Vergleichbarkeit der Verkehrsträger Schiene und Straße käme . Das ist der Weg, den wir weitergehen werden . ({10}) Wir werden an der Stelle nicht aufhören; denn es geht nicht darum, den einen Verkehrsträger ideologisch gegen den anderen auszuspielen. Hier kommt der zweite Punkt hinzu: Wir brauchen Verlässlichkeit . Wir führen auf der einen Seite, bei den Lkws, eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung herbei, haben auf der anderen Seite, bei den Fernbussen, aber ein Moratorium für die Ausweitung der Maut zugesagt und klare Zusagen für diese Legislaturperiode gegeben . Wenn man in den Antragstext schaut, stellt man fest, dass es bei dem neuen Wegekostengutachten 2018 bis 2022 auch um die Prüfung der Ausweitung der Nutzerfinanzierung auf andere Verkehrsträger geht. ({11}) Das ist mit dem Gewerbe vereinbart . Daran halten wir uns. Das ist verlässliche Politik. ({12}) Wir sind auch an einem anderen Punkt sehr verlässlich: Wir haben dem Gewerbe mit Blick auf die Nutzerfinanzierung eine Zusage zur Weitergabe der Mautharmonisierungsmittel gegeben . Wenn wir feststellen, dass aufgrund der Richtlinienstruktur möglicherweise nicht jeder Euro bei den Speditionen ankommt, obwohl wir in Deutschland das versprochen haben, dann handeln wir als Große Koalition . Schauen Sie in die Entschließung, die wir formuliert haben . Wir haben dort sehr deutlich formuliert: Jeder Euro, den wir dem Gewerbe zugesagt haben, wird ausgegeben, und wenn die Richtlinie nicht auskömmlich ist, dann wollen wir sie weiterentwickeln . Wir haben der Bundesregierung wichtige Hinweise gegeben und gesagt, was wir uns vorstellen: neue Fördertatbestände und eine einfachere Richtlinienstruktur, damit wir dem Ziel - 450 Millionen Euro für die deutschen Speditionen - immer näherkommen . Das ist eine Aussage; daran werden wir uns messen lassen . ({13}) Damit sichern wir Tarifbeschäftigungsverhältnisse in Deutschland . Das Speditionsgewerbe ist ein gutes Gewerbe, das dazu beiträgt, dass im Industriestaat Deutschland auch zukünftig Waren vernünftig transportiert werden können . Wir kommen unserer Verantwortung nach . Nun wird man es sich als Opposition vielleicht einfach machen können und sagen: Das hätte alles noch schneller sein können . Das hätte noch mehr sein können . ({14}) - Schauen Sie einmal: Wenn Herr Behrens das wirklich gedacht hätte, dann hätte er es ja gesagt . Er hat ja lange gesucht, bis er etwas gefunden hat, das er kritisieren konnte . Er hat nichts gefunden . Sie können doch zufrieden sein . ({15}) Denken Sie noch einmal einen Moment nach . Ändern Sie Ihren Entschluss, sich zu enthalten . Stimmen Sie heute zu . Dann können Sie nachher sagen: Es ist auch mithilfe der Linken geschehen, was die Große Koalition im Zusammenhang mit der Lkw-Maut an guten Sachen vorweggenommen hat . ({16}) Ich glaube, dass es ein guter Tag für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung in Deutschland ist. Wir stellen neben die starke Säule der Steuerfinanzierung eine starke Säule der Nutzerfinanzierung. Das ist verantwortungsvolle Verkehrspolitik . ({17}) - Jetzt bricht schon das Plenum zusammen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Es wird schon randaliert . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber auch das werden wir zukünftig finanzieren können, meine Damen und Herren . Denn so viel Geld wie jetzt stand noch nie zur Verfügung . ({0}) Daher können wir morgen guten Gewissens den Bundesverkehrswegeplan 2030 beschließen . Das Geld ist da . Herzlichen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, lieber Sebastian Hartmann . - Hier gilt das Verursacherprinzip . Ich sage Ihnen: Das wird teuer . ({0}) Nächste Rednerin in der Debatte: Dr . Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem impulsiven Auftritt von Herrn Hartmann bleibt morgen vielleicht noch ein bisschen Geld übrig, um das zu reparieren, was dort auf der Koalitionsseite zerlegt worden ist . ({0}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird durchaus ein Beitrag geleistet, die längerfristige Erhaltung der Verkehrswege in den nächsten Jahren sicherzustellen . Das ist heute tatsächlich mal eine gute Nachricht aus Richtung der Bundesregierung . ({1}) Sonst finden wir da ja nicht allzu viel Gutes. Durch die überfällige Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen bleiben rund 2 Milliarden Euro mehr für den Erhalt des Gemeingutes Straße . So weit, so gut . Doch mit dem heutigen Tag gesellt sich trotz allen Jubels über zusätzliche Einnahmen durch die Lkw-Maut, der hier herrscht, eine schlechte Nachricht für die Finanzierung unserer Infrastruktur hinzu . Die Zeitungen titeln heute, dass die EU-Kommission möglicherweise grünes Licht für die CSU-Maut gibt . ({2}) Manch einer erinnert sich: Das war die bayerische Biertischidee einer Pkw-Maut für Ausländer aus dem letzten Wahlkampf . Doch die Bedenken sind mit dem Segen der EU-Kommission noch nicht ausgeräumt . Es stellen sich weiterhin wichtige Fragen: Wird diese Pkw-Maut ausländische Fahrzeughalter diskriminieren? Wird kein deutscher Fahrzeughalter schlechtergestellt? ({3}) - Kollege Hartmann, ich bin gespannt, wie sich die SPD aus diesem Koalitionsvertrag herauswinden wird . Die Quadratur des Kreises funktioniert nicht . Das werden auch Sie noch erleben . Es heißt weiterhin: Ihre Pkw-Maut bleibt Murks. Die Planungen dazu haben das Ministerium jahrelang für wirklich vernünftige Arbeit blockiert . So kann man keine Regierungsgeschäfte führen . ({4}) Jetzt kommen wir zur Ausweitung der Lkw-Maut . Auch dort legen Sie mal wieder eine halbgare Lösung vor . ({5}) Sie haben es verpasst, die innerörtlichen Ausweichverkehre ernsthaft zu verhindern . Hier brauchen Sie dringend eine echte Lösung. Die finden wir nicht in Ihrem Gesetzentwurf . In Ihrem System gibt es nämlich einen Grundfehler: Sie hören mit der Lkw-Maut nicht vor geschlossenen Ortschaften auf . Sie wollen die Maut auch in der Ortsdurchfahrt auf Bundesstraßen erheben . Die Maut wird dann auf den innerörtlichen Bundesstraßen fällig . Auf Landes- und Gemeindestraßen wird dort keine Maut erhoben. Das führt zwangsläufig zu Ausweichverkehren. Das beste Beispiel dafür habe ich Minister Dobrindt Frau Bär war leider nicht da - im Fall von Hamburg mit der Stresemannstraße, einer Bundesstraße, und der parallel verlaufenden Reeperbahn gezeigt . Viel Spaß! ({6}) Ein Konzept, wie Sie dem wirksam begegnen wollen, ({7}) fehlt komplett . Das hat auch die Anhörung im Ausschuss gezeigt . Sie müssen aufpassen, dass Sie mit Ihrem Schnellschuss sinnvolle Systeme für eine Nutzermitfinanzierung bei kommunalen Straßen nicht von vornherein blockieren . Ein weiterer Aspekt zeigt die Inkonsequenz Ihres Handelns: Da basteln Sie in der Ausschlussberatung noch schnell eine Befreiung für landwirtschaftliche Zugmaschinen im gewerblichen Güterverkehr von der Maut ein . Ich habe das jetzt einmal ziemlich deutlich zitiert . Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Befreiung ist Unfug, echter Unfug . ({8}) Bereits heute werden landwirtschaftliche Fahrzeuge im Baustellenverkehr anstelle von Baustellen-Lkws eingesetzt . Fahren Sie einmal durch die Baustellen, Herr Hartmann, von denen Sie in Nordrhein-Westfalen genug haben müssten . ({9}) Sie schaffen so offenen Auges eine Ungleichbehandlung zulasten der gewerblichen Transportunternehmen . ({10}) Ich bin gespannt, was die in Zukunft dazu sagen werden . Mein Rat: Verlieren Sie vor lauter sinnloser Planung um die Pkw-Maut nicht den Blick auf das Gesamtsystem . - Ich habe den Eindruck, das Ministerium will unseren Rat sowieso nicht hören . Die Mautlücke für Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen muss auch geschlossen werden . Wir müssen auch die Fernbusse in das System einbeziehen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie müssen jetzt an Ihre Zeit denken .

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Frau Präsidentin, die Ausdehnung der LkwMaut auf alle Bundesstraßen ist im Grundsatz richtig . Da gehen wir durchaus mit allen hier mit . Aber aufgrund der handwerklichen Fehler, die ich aufgezeigt habe, ist Schluss mit lustig, und wir werden dem garantiert nicht zustimmen . Danke . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr . Valerie Wilms . Der letzte Redner in dieser Debatte - ich gehe davon aus: des heutigen Abends -: Thomas Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist das Ende eines Tages, der ein sehr trauriger Tag für uns ist. Ich schaue auf den Blumenstrauß. Mit Peter Hintze ist ein Kollege von uns gegangen, der eine Lücke hinterlässt, von der ich noch nicht weiß, wie wir sie füllen wollen . Aber das Leben geht weiter - wie auch immer . Vielleicht mahnt das, in der Debattenkultur ein bisschen auf die Werte zu achten, die Peter Hintze vorgelebt hat, und nicht immer alles zum Klamauk zu machen und nicht immer zu versuchen, aus kleinen Dingen große Skandale zu konstruieren . Das bringt mich jetzt zu der Lkw-Maut, über die wir heute Abend beraten . Die Maut hat bei ihrer Einführung 2003 leider nicht das Vertrauen der Menschen in den Staat gestärkt, weil es nicht funktioniert hat und weil dafür vielleicht das Gleiche gilt wie für so manches andere große Projekt: Man hat zu viel gewollt, ein zu großes Gerät gebaut und einen zu optimistischen Ansatz gehabt, in welcher Zeit man das schaffen kann. Die Lkw-Maut ist aber auch ein Zeichen dafür, dass man die Probleme lösen kann. Daraus ist ein großer Erfolg entstanden . Nach der anfänglichen Verzögerung haben wir seit 2005 ein Mautsystem, das extrem gut ist, extrem zuverlässig funktioniert, das über alle Zweifel erhaben ist und das uns jedes Jahr kontinuierlich gute Einnahmen für unseren Verkehrshaushalt bringt . Sie sind auch richtig . So schön es ist, Frau Kollegin Wilms von den Grünen, dass Sie hier über die Pkw-Maut reden - mit der Lkw-Maut liefern wir den Beitrag dazu, dass unsere Verkehrsinfrastruktur von denjenigen finanziert wird, die den Verschleiß verursachen . Denn der Verschleiß auf der Straße wird im Wesentlichen durch die Lkws verursacht . ({0}) Deshalb ist es gerecht, dass diese zur Refinanzierung herangezogen werden . Wir haben im Jahr 2015 4,4 Milliarden Euro über die Lkw-Maut eingenommen . Wir erwarten jetzt 4,5 Milliarden Euro . Wir haben im letzten Jahr zum 1 . Juli weitere 1 100 Kilometer vierspurige Bundesstraßen für die Mautpflicht vorgesehen. Wir haben seit dem 1. Oktober auch die Lkws ab 7,5 Tonnen einbezogen . Was wir jetzt machen, ist eine Ausweitung auf das gesamte Netz der Bundesfernstraßen . Das bringt uns weitere 2 Milliarden Euro pro Jahr . Das ist ein großer Erfolg . Man kann es sehen . Selbst in Nordrhein-Westfalen mit den sehr rudimentären Planungskapazitäten wird jetzt gebaut . ({1}) Es ist auf einmal Geld im Haushalt vorhanden . Während wir in der letzten Legislaturperiode jedes Jahr darum gerungen haben, die Investitionslinie von 10 MilliDr. Valerie Wilms arden Euro zu halten, sind wir jetzt bei fast 13 Milliarden Euro und haben weitere 5 Milliarden Euro für das ganz neue Breitbandförderprogramm, von dem wir alle inzwischen überzeugt sind, dass das nicht das Ende, sondern der Anfang ist und dass wir - so schreibt es auch der Bundesminister in seiner Agenda - Breitbandausbau weiter finanzieren müssen. Das finde ich sehr richtig. Wir haben bei der Lkw-Maut etwas Weiteres geschafft, nämlich - was die Bundeskanzlerin hier an verschiedener Stelle schon gesagt hat - den falsch verstandenen Datenschutz erfolgreich bekämpft . Neben vielen anderen Aspekten ist es immer so gewesen, dass wir gute Daten für die Entwicklung unserer Verkehrsinfrastruktur aus der Lkw-Maut, von den On-Board-Units, hatten, die nie genutzt wurden, deren weitere Nutzung per Gesetz verboten war, weil immer behauptet wurde, es sei mit dem Datenschutz nicht vereinbar . Da bedanke ich mich bei den Ministerien, dass sie mit vielen konstruktiven Gesprächen mit den Datenschutzbehörden, aber auch mit Anwendern, mit Verkehrsforschern herausgearbeitet haben, dass diese Daten, wenn man sie anonymisiert, sehr wohl für Verkehrsforschung und für Verkehrssteuerung nutzbar sind . Ich finde es wirklich großartig, dass das Verkehrsministerium als das erste Haus beim Thema Open Data richtig vorangegangen ist, mit der mCLOUD ein Portal zur Verfügung gestellt hat, wo Verkehrsdaten, Wetterdaten - alles Mögliche - zur Verfügung gestellt werden für Start-ups, für Hochschulen, für alle, die damit Innovationen machen wollen . Dass jetzt die Daten der Lkw-Maut ebenfalls dort hineinkommen, ist ein großer Erfolg von langer, langer Arbeit und ein Vorbild für alle anderen Projekte des Bundes; denn diese Koalition hat sich in ihrem Vertrag darauf verständigt, ein Open-Data-Gesetz noch in dieser Wahlperiode vorzulegen . Die Bundeskanzlerin hat an dieser Stelle angekündigt, dass wir das noch tun werden . Die Eckpunkte sind bereits da, und ich glaube, dass das, was wir jetzt hier mit den Daten der Lkw-Maut machen, ein gutes Vorbild für alle anderen Daten ist, die der Staat hat, mit denen wir eine Menge neuer Arbeitsplätze schaffen können. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine Studie erstellt, die besagt: 40 000 neue Arbeitsplätze sind damit möglich . - Das ist eines von vielen kleinen Beispielen, mit denen man vielleicht nicht Diskussionen am Stammtisch gewinnen kann, die aber dazu beitragen, dass wir in Deutschland weiter wirtschaftlich erfolgreich bleiben . ({2}) Deshalb freue ich mich, dass unser Paket so gut ist, dass sogar die Opposition nicht dagegen stimmt . Das ist doch ein gutes Zeichen für Zusammenhalt und konstruktive Arbeit . Dafür bedanke ich mich und freue mich, dass wir hier etwas Gutes schaffen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10440, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9440 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen: Änderungsantrag auf Drucksache 18/10497 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren SPD und CDU/CSU. Enthalten haben sich Bündnis 90/ Die Grünen . Änderungsantrag auf Drucksache 18/10498 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben CDU/CSU und SPD gestimmt . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegengestimmt hat niemand . Enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegengestimmt hat niemand. Enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . ({0}) Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10440 empfiehlt der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD. Dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke . Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10499 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung ({1}) Drucksachen 18/9530, 18/9955, 18/10307 Nr. 1 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) Drucksache 18/10501 Die Reden gehen zu Protokoll.1) Wir kommen direkt zur Abstimmung . Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10501, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9530 und 18/9955 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Keine . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Dagegen war die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Dagegen war die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Erlass und zur Änderung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksache 18/10237 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({3}) Drucksache 18/10468 - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10502 Auch dazu gehen die Reden zu Protokoll.2) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/10468, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10237 in der Ausschussfassung anzuneh- men . Die Fraktion Die Linke hat beantragt, über den Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustim- men, und zwar zum einen über Artikel 3 - Änderung des Einkommensteuergesetzes - und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen . 1) Anlage 10 2) Anlage 11 Wir kommen also zunächst zu Artikel 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung . Ich bitte diejenigen, die Artikel 3 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Artikel 3 ist angenommen mit Zustimmung der CDU/CSU und der SPD bei Gegenstimmen von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Niemand hat dagegengestimmt . Damit sind alle Teile des Gesetzentwurfs in zweiter Beratung angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Enthalten haben sich die Linken und Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Energiestatistikgesetzes ({5}) Drucksache 18/10350 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Auch dazu gehen die Reden zu Protokoll.3) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10350 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Heute Abend gibt es sicher keine anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2021 ({7}) Drucksachen 18/10458, 18/10484 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Auch dazu gehen die Reden zu Protokoll.4) 3) Anlage 12 4) Anlage 13 Vizepräsidentin Claudia Roth Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/10458 und 18/10484 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes Drucksache 18/10455 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({9}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Auch hierzu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind alle damit einverstanden .1) 1) Anlage 14 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10455 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 2 . Dezember 2016, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend . Ich bedanke mich bei meinen beiden Schriftführerinnen, bei der Kollegin auf der Regierungsbank; danke, Frau Bär . Vor allem bedanke ich mich bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Hauses, die noch so lange gearbeitet haben, und auch bei den Kameraleuten . Guten Abend!