Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich.
Ich rufe unseren ersten Tagesordnungspunkt für diese
Woche auf - Tagesordnungspunkt 1 -:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens
in der Stadt.
Dazu erhält die zuständige Bundesministerin für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau
Hendricks, gleich das Wort für den einführenden Bericht.
Wenn Sie mir schon signalisieren könnten, wer dazu Fragen stellen will, können wir das schon einmal zu sortieren beginnen.
Frau Hendricks, bitte schön.
Danke schön. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute das Maßnahmenpaket „Neues Zusammenleben in der Stadt“
beschlossen. Das Paket besteht vor allem aus der Umsetzung der Novellierung des Bauplanungsrechts sowie
den Änderungen der TA Lärm und der Sportanlagenlärmschutzverordnung.
Wir erleben seit Jahren eine Renaissance der Städte.
Das Leben in den Städten und Ballungsräumen ist aus
vielen guten Gründen attraktiv und erfreut sich anhaltend
hohen Zuspruchs. Es ist ganz sicher nicht die Aufgabe
von Politik, in die Lebensentscheidungen der Menschen
einzugreifen und ihnen etwa vorschreiben zu wollen, wie
und wo sie zu leben haben. Aber es ist sehr wohl eine
politische Aufgabe, das Zusammenleben zu organisieren
und den sozialen Zusammenhalt in den Kommunen, in
den Vierteln, in den Kiezen und Quartieren, zu stärken.
Die Bundesregierung nimmt diese Herausforderung sehr
ernst, gerade in den Städten, die wachsen. Wir wollen
alle zivilgesellschaftlichen Initiativen stärken und unterstützen, die sich für das Gemeinwohl engagieren.
Gerade die Kommunen sind dringend auf die Neuregelung des Städtebaurechts angewiesen. Ich freue mich
deshalb sehr, dass die Verhandlungen nun abgeschlossen
werden konnten. Mit der neuen Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ geben wir den Kommunen ein In strument
an die Hand, mit dem sie insbesondere in innerstädtischen
Gebieten eine nutzungsgemischte Stadt mit kurzen Wegen verwirklichen können. Konkret ermöglichen wir so
zum Beispiel eine höhere Bebauungsdichte und erleichtern die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum.
Das ist ein ganz zentraler Punkt. Gleichzeitig passen wir
die TA Lärm den Änderungen der Baunutzungsverordnung an.
Auch die Ausübung von Sport gehört zum Zusammenleben in der Stadt. Sport hat ja eine herausragende
gesellschaftspolitische Bedeutung. Um den Spielbetrieb
auf Sportanlagen zu fördern, enthält die Änderungsverordnung zur Sportanlagenlärmschutzverordnung folgende Neuregelungen:
Erstens. Wir erhöhen die Immissionsrichtwerte für die
abendliche Ruhezeit sowie die nachmittägliche Ruhezeit
an Sonn- und Feiertagen um 5 Dezibel. Das bedeutet,
dass die Richtwerte während der Ruhezeiten den tagsüber geltenden Werten angeglichen werden. Um es zu
erläutern: Es muss also dann der Spielbetrieb nicht mehr
unterbrochen werden. Bisher gab es an Sonn- und Feiertagen eine Ruhezeit zwischen 13 und 15 Uhr, und es gibt
eine abendliche Ruhezeit von 20 bis 22 Uhr. Jetzt darf
der Sportbetrieb den ganzen Tag und bis in die Abendstunden hinein fortgeführt werden, aber selbstverständlich nicht nach 22 Uhr.
Wir gestalten außerdem den sogenannten Altanlagenbonus neu. Das sichert den Sportbetrieb auf Anlagen
besser ab, die vor 1991 errichtet worden sind. Damit ist
jetzt klar: Auch nach einem Einbau, zum Beispiel von
Kunstrasen oder von Flutlichtanlagen, oder nach generellen Modernisierungsmaßnahmen gelten die alten Immissionsgrenzwerte fort und muss der Sportbetrieb nicht
eingeschränkt werden. Die Renovierung bestehender
Sportanlagen, die vor 1991 errichtet worden sind, führt
also nicht dazu, dass man anschließend weniger Sport betreiben kann als vorher, sondern der Bonus dieser Anlage
bleibt erhalten. Ich bin ganz sicher: Das wird zu einem
Aufatmen in unzähligen Sportvereinen unseres Landes
führen.
Ein weiteres Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist die Regelung zu Ferienwohnungen. Hier ist aufgrund
von Rechtsprechung bei vielen Kommunen und bei privaten Ferienwohnungsbetreibern Unsicherheit aufgekommen, ob Ferienwohnungen in klassischen Baugebieten bauplanungsrechtlich überhaupt zulässig sind. Das
regeln wir in unserem Gesetzentwurf klarstellend und
weiten zudem die Steuerungsmöglichkeiten der Kommunen aus. Damit wird die jahrelange Rechtsunsicherheit
an dieser Stelle beendet.
Ich glaube, dass wir mit dem Maßnahmenpaket wichtige neue Impulse für ein gutes Zusammenleben geben
können, und ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Unterstützung im Gesetzgebungsverfahren.
Herzlichen Dank.
Ich bedanke mich für die vorbildliche Unterbietung
der zur Verfügung stehenden Zeit. Das kommt bei Regierungsbefragungen nicht allzu häufig vor.
Ich habe jetzt Wortmeldungen von nahezu allen anwesenden Grünenmitgliedern notiert und von niemandem
sonst. - Das wird jetzt auf erfreuliche Weise ergänzt. Dann beginnen wir mit dem Kollegen Meiwald, der die
erste Zusatzfrage stellen kann.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin,
vielen Dank. Das, was Sie gerade zur Sportanlagenlärmschutzverordnung gesagt haben, lässt mich sehr hoffen.
Ich finde es gut, dass sich da etwas bewegt. Ich denke,
wir werden uns das im Detail angucken müssen. Aber
erst einmal ist es schön, dass sich in der Richtung etwas
bewegt. Das beschäftigt uns ja nun schon seit einigen
Jahren.
Meine Frage wollte ich aber zu einem Punkt stellen,
den Sie nicht angesprochen haben. Wenn man an Städtebau herangeht und wir uns gleichzeitig mit der Klimakrise auseinandersetzen, ist die Frage: Wird es für kommunale Vertretungen, aber auch Städteplaner Möglichkeiten
geben, im Rahmen der Städteplanung eine integrierte
konkrete Energieplanung für eine Stadt zu entwickeln, da
einzugreifen, das also nicht nur im Gebäude oder kleinteilig im Quartier zu versuchen, sondern übergreifend?
Die Planungshoheit liegt selbstverständlich bei den
Kommunen, und sie sind in der Lage, auch solche integrierten Konzepte zu entwickeln. Wir unterstützen
sie durchaus dabei, auch durch Fördermaßnahmen im
Rahmen der Kommunalrichtlinie. Darüber hinaus wissen Sie natürlich auch, dass wir energetische Sanierung
in Quartieren fördern und dass wir im Rahmen unserer
Städtebauförderung besondere Fördermaßnahmen unter
dem Stichwort „Grün in die Stadt“, um es mal verkürzt
zu sagen, haben. Das hat natürlich auch positive klimatische Folgen.
Frau Bluhm, die nächste Frage.
Danke schön, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen. - Sie haben die Zeit, die Sie hatten, um das Projekt
auf den rund 50 Seiten des Gesetzentwurfs vorzustellen,
unterboten. Deswegen würde ich Sie als Erstes fragen
wollen, wie die neuen Regelungen zu Ferienwohnungen aussehen. Sie haben davon gesprochen, dass sie
klarstellend sind und dass das den Kommunen größeren
Handlungsspielraum in der Einzelabwägung geben soll.
Vielleicht nutzen wir jetzt die Zeit, indem Sie dazu noch
etwas ausführen, damit die allgemeine Öffentlichkeit
auch weiß, was da geregelt wird.
Gern, Frau Kollegin Bluhm. - Insbesondere wegen
eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Greifswald
hatte es Probleme in der Auslegung gegeben. Sie sehen
daran schon: Es war das Ostseegebiet betroffen.
Das Oberverwaltungsgericht Greifswald hatte, wenn
ich es knapp zusammenfasse, entschieden, Ferienwohnungen, die in dem Sinne gewerblich vermietet werden,
also immer wiederkehrend vermietet werden, bei denen
es also unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten um eine
gewerbliche Vermietung geht, dürfe es in Wohngebieten
oder auch in allgemeinen Mischgebieten nicht mehr geben. Das ist natürlich völlig verrückt; denn im Umkehrschluss dürften Ferienwohnungen dann nur noch in Gewerbegebieten erlaubt werden; da wiederum dürfen aber
keine Wohnungen sein. Deswegen wurde es zwingend
nötig, für eine Klarstellung zu sorgen.
Das gibt den Kommunen jetzt die Möglichkeit an die
Hand, zu sagen: In Wohngebieten und auch in Mischgebieten dürfen Ferienwohnungen sein. - Andererseits
haben die Kommunen auch das Recht, Beschränkungen
aufzuerlegen, dies also für bestimmte Straßenzüge zum
Beispiel nicht zuzulassen. Es geht also im Wesentlichen
darum, die Planungshoheit der Kommunen auch in diesem Fall zu stärken.
Herr Kollege Kühn.
Danke, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen. - In
den Ausführungen habe ich einen Punkt vermisst, und
zwar die Neuregelung durch § 13b in Ihrem Gesetzentwurf. Wir begrüßen die Einführung des urbanen Gebietes. Ich glaube, es ist unerlässlich, dass wir zu einer
stärkeren Innenentwicklung kommen und dass wir den
Kommunen hier mehr Instrumente geben. Deswegen
verstehe ich nicht, warum in diesem Gesetzesvorhaben
gleichzeitig durch § 13b neu geregelt wird, dass es sozusagen Ausnahmen im Außenbereich geben soll, dass im
Außenbereich leichter entwickelt werden kann. Ich glaube, das konterkariert das eigentliche Gesetzesvorhaben
zum urbanen Gebiet, wo es darum geht, Innenentwicklung zu ermöglichen und zu erleichtern. Das passt nicht
zusammen; es ist nicht konsistent.
Ich frage mich auch, wie angesichts dieser Maßnahme das Flächenverbrauchsziel von 30 Hektar pro Tag bis
2020 erreicht werden soll. Innenentwicklungspotenziale
heben zu wollen und gleichzeitig Ausnahmen für den Außenbereich zuzulassen, das passt nicht zusammen, und
das passt auch nicht zu einer Umwelt- und Baupolitik,
wie ich sie verstehe. Dazu würde ich gerne Ihre Meinung
hören.
Herr Kollege Kühn, da kann man in der Tat geteilter
Meinung sein. Die ursprüngliche Intention des Gesetzentwurfes hat sich tatsächlich auf die Innenentwicklung
der Städte gerichtet; das haben Sie völlig richtig dargestellt. Es gab und gibt aber auch andere Ansprüche in
Bezug auf Entwicklungsmöglichkeiten, im Sinne einer
Zurverfügungstellung von Baugrund. Deswegen haben
wir uns im Gesetzgebungsverfahren darauf eingelassen,
auch, wenngleich befristet auf drei Jahre, vorzusehen,
dass sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließende Flächen bis zu 10 000 Quadratmeter, also
10 Hektar, im beschleunigten Verfahren als Baugebiet
ausgewiesen werden dürfen. Das Interesse daran war vor
allem im Süden unseres Landes besonders ausgeprägt.
({0})
Frau Lay.
Vielen Dank auch von meiner Seite, Frau Ministerin,
für die Ausführungen. - Ich würde meine Frage gerne
zum Themenkomplex „Urbanes Gebiet“ stellen. Nun
sind wir uns, denke ich, als Wohnungspolitiker und Wohnungspolitikerinnen einig, dass eine Innenverdichtung
das Mittel der Wahl ist. Darüber hinaus konzentrieren
sich viele der Diskussionen über den Gesetzentwurf auf
das Thema Lärm. Sie schreiben im Vorblatt Ihres Gesetzentwurfes, dass das grundsätzlich hohe Lärmschutzniveau nicht verlassen wird. Gleichzeitig sollen die
TA Lärm geändert und, wenn wir das richtig verstehen,
die Werte angehoben werden.
Vielleicht können Sie uns noch einmal erläutern, was
Sie genau planen, was zu dieser Entscheidung geführt hat
und warum Sie nicht die Option gezogen haben, andere
Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise den Messpunkt
zu verändern und dadurch passive Lärmschutzmaßnahmen zuzulassen, sondern sich stattdessen für eine Anhebung der Werte in der TA Lärm entschieden haben.
Ja, Frau Kollegin Lay, Sie berichten das richtig. Wir
wollen in der Tat im Zusammenhang mit der Ausweisung
des urbanen Gebietes die Möglichkeit schaffen, dass dort
ein um 3 Dezibel höherer Lärm, sowohl zu Tages- als
auch zu Nachtzeiten, als in bestehenden Mischgebieten
zulässig ist. Es liegt natürlich in der Verantwortung der
Kommunen, ein urbanes Gebiet auszuweisen oder nicht;
niemand ist dazu gezwungen, das ist vollkommen klar.
Die Kommunen werden einschätzen, ob sie das für sinnvoll, notwendig und richtig halten.
Aber - und deswegen ist die Aussage im Vorblatt des
Gesetzentwurfes, die Sie richtig zitieren, zutreffend - das
hohe Lärmschutzniveau als solches bleibt in der Weise
erhalten, dass die Verursacher von Lärm weiterhin natürlich mindestens diese Grenzwerte einhalten müssen. Sie
können also nicht einfach ad infinitum Lärm machen, obwohl in dem neuen urbanen Gebiet Arbeiten, Wirtschaften und Wohnen nebeneinander möglich werden sollen.
Zur Frage des Messpunktes und des passiven Lärmschutzes: Das kehrt das Prinzip um. Dann würde nämlich das Vorsorgeprinzip nicht mehr eingehalten werden.
Also derjenige, der den Lärm verursacht, wäre dann nicht
mehr dafür verantwortlich, sondern derjenige, der in der
Wohnung lebt, müsste zusehen, dass er den Lärm aussperrt. Das widerspricht allen Prinzipien des Umweltrechtes, weil wir auf diese Weise das Vorsorgeprinzip
aushebeln. Ich weiß, dass es in manchen Fällen gar nicht
anders geht, zum Beispiel in der Nähe von Flughäfen.
Da machen wir passiven Lärmschutz, weil es anders gar
nicht geht. Aber wir wollen vermeiden, dass das in innerstädtische Bereiche übergreift.
Frau Höhn.
Frau Ministerin, die Bundesregierung hat das Ziel, bis
2020 zu erreichen, dass der Flächenverbrauch pro Tag
30 Hektar nicht überschreitet. Davon sind wir noch weit
entfernt. Warum nutzen Sie jetzt nicht diese Novellierung, um zum Beispiel das Ausufern von Privilegien im
Außenbereich endlich einzudämmen? Sie haben in diese
Richtung auch andere Vorschläge gemacht. Warum nutzen Sie das in diesem Fall nicht? Das wäre der beste und
einfachste Hebel, um Nutzungen im Außenbereich nicht
mehr zuzulassen, die von der Gesellschaft nicht gewollt
sind und dieses Privileg auch nicht verdienen.
Frau Kollegin, Sie sprechen das Thema an, das ich sozusagen parallel auf den Weg gebracht habe, nämlich die
Privilegierung von Tiermastanlagen im Außenbereich.
Wir sind dort in Vorbesprechungen. Das wird jetzt nicht
Christian Kühn ({0})
in diesem Gesetzentwurf geregelt. Aber wir sind innerhalb der Bundesregierung im Gespräch.
({1})
- Das 30-Hektar-Ziel wird bis zum Jahr 2020 nicht mehr
erreicht werden. Das ist unbestritten.
Sie wissen es, aber ich darf den Kolleginnen und
Kollegen insgesamt sagen, wann das 30-Hektar-Ziel in
der Bundesregierung beschlossen worden ist. Es ist ein
Verdienst der damaligen Umweltministerin Dr. Angela
Merkel, die zu Beginn des Jahres 1998 dieses 30-Hektar-Ziel für das Jahr 2020 vorgegeben hat. Damals haben
wir pro Tag fast 130 Hektar verbraucht. Jetzt verbrauchen wir - versiegeln wir neu; wir verbrauchen nicht;
vielmehr versiegeln wir neu; also aus Grünland wird
etwas anderes, Bauland oder Straße, um es vereinfacht
zu sagen - 69 Hektar. Wir werden bis 2020 30 Hektar
nicht erreichen. Immerhin haben wir schon die Hälfte geschafft, von 140 Hektar auf knapp 70 Hektar.
Frau Bluhm.
Frau Ministerin, in dem Vorblatt zum Gesetzentwurf
greifen Sie einen Gedanken auf, den wir mit 196 Staaten
auf der Habitat-Konferenz von Quito diskutiert haben.
Es muss in den Städten neue Problemlösungen für neue
Anforderungen geben. Wir möchten wieder mehr soziale
Gerechtigkeit und Teilhabe haben. Ich würde Sie bitten
wollen, hier ganz kurz darzustellen, wie Gerechtigkeit
und Teilhabe mit diesem Gesetzentwurf umgesetzt werden sollen und ob die Bürgerinnen und Bürger in ihren
Städten tatsächlich auch mehr Teilhabe bei der Mitbestimmung darüber haben, was in ihren Städten passiert.
Frau Kollegin Bluhm, Teilhabe wird dadurch nicht erhöht, aber ich darf darauf hinweisen, dass wir natürlich
Teilnahme bei den kommunalen Entscheidungen haben.
Wenn also ein neues Baugebiet ausgewiesen wird, dann
wird dieses zunächst als Entwurf veröffentlicht. Dann
muss eine kommunale Satzung beschlossen werden. Es
ist ein kommunaler Planungsprozess, der öffentlich stattfindet, bei dem die Bürgerinnen und Bürger, jedenfalls
in Deutschland, die Möglichkeit haben, sich in den Bürgerausschüssen der städtischen und gemeindlichen Vertretungen zu Wort zu melden. Natürlich können sie auch
Einwendungen erheben. Erst danach wird im kommunalen Rat, also im Gemeinderat oder Stadtrat, darüber entschieden. Ich glaube, dass die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik
Deutschland, was das anbelangt, gut ausgebildet sind,
was aber nicht für alle 196 Länder zutrifft, die in Quito
zusammengekommen sind.
Frau Paus.
Frau Ministerin, Sie haben gerade selber gesagt, dass
Sie das Flächenverbrauchsziel 2020 nicht mehr schaffen
werden. Könnten Sie noch einmal erläutern, inwieweit
Sie Anstrengungen unternommen haben, dieses Ziel in
diesem Gesetzgebungsverfahren doch zu erreichen? Mit
welchen Maßnahmen, glauben Sie, könnte es erreicht
werden? Welche Gründe waren in der Bundesregierung
dafür maßgeblich, dass dieses Ziel nicht Teil des Gesetzes ist? Denn damit reißen wir selbstgesteckte Ziele, die
seit langem feststehen, noch einmal offiziell.
Ferner: Können Sie einen Termin nennen? Sie haben
gesagt, es gibt zum Thema „Mastställe im Außenbereich“
einen weiteren Abstimmungsprozess in der Bundesregierung. Dieses Thema findet sich ja nicht in diesem Gesetzentwurf wieder. Können Sie uns eine Terminplanung
nennen, wann die Bundesregierung das abschließen wird
und wir mit einem Gesetz rechnen können?
Zunächst einmal ist die Intention des vorliegenden
Gesetzes, durch Verdichtung dafür zu sorgen, dass weniger Flächen verbraucht werden. Es handelt sich bei den
neu ausgewiesenen urbanen Gebieten um Flächen, die in
innerstädtischen Bereichen liegen, die möglicherweise
Industriebrachen sind oder waren, also schon einmal genutzt und zum Teil versiegelt waren. Zum Beispiel können es auch aufgelassene Flächen von Güterbahnhöfen
sein, die wir in vielen Städten finden. Da wird ja nicht
Fläche neu verbraucht, sondern sozusagen Fläche genutzt, die sowieso schon in der Nutzung war, jetzt aber
anderer Nutzung zugeführt wird.
Außerdem erlaubt die Einstufung als urbanes Gebiet
mehr Geschossflächen. Das bedeutet natürlich auch, dass
man tendenziell weniger Fläche verbraucht, um mehr
Wohnungen zu errichten. Das ist genau die Intention
dieses Gesetzes; sie ist ihm nicht abzusprechen. Deswegen machen wir genau das: Wir versuchen, zusätzlichen
Wohnraum in den Städten zu schaffen, ohne dafür zusätzlichen Freiraum außerhalb der Städte zu verwenden.
In der Tat - der Kollege Kühn hat zu Recht darauf hingewiesen -, der § 13b scheint dem auf den ersten Blick
zu widersprechen. Allerdings ist es, wenn Sie so wollen,
ein Probelauf, der auf drei Jahre begrenzt ist. Das wird
also nicht auf Dauer zu Flächenverbrauch im Außenbereich führen.
Volkmar Vogel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
haben es bereits angesprochen: die verbesserte Baulandbereitstellung im Außenbereich oder, ich sage besser,
im Randbereich von Kommunen. Kann sie auch dazu
führen, dass zum Beispiel Familien mit Kindern, Familien mit einem geringeren Einkommen auf diese Art und
Weise besser zu Bauland kommen können, und löst das
zumindest zu einem kleinen Teil die soziale Frage des
Wohnens?
Die zweite Frage bezieht sich auf den Innenbereich.
Wir wollen mehr verdichten, was zwangsläufig natürlich
auch zu Problemen des Zusammenlebens führen könnte.
Hilft hier das von uns neugeschaffene Programm „Grün
in der Stadt“, und was hat das Ministerium in diesem Bereich vor, wenn es um Lärmminderung und Minderung
der Staubentwicklung geht?
Sie haben recht, Herr Kollege Vogel: Es ist Familien
gewöhnlich eher im ländlichen Raum möglich, Eigentum
zu errichten, weil dort die Grundstückspreise niedriger
sind als im städtischen Verdichtungsraum. Insofern ist
das nicht von der Hand zu weisen; das ist vollkommen
klar. Aber es ist natürlich auch für den ländlichen Raum
gut, sich zunächst die Innenentwicklung der Dörfer anzusehen. Auch dort gibt es häufig Möglichkeiten, zusätzliche Grundstücke bereitzustellen. Das gelingt nicht
immer, weil nicht alle, denen Grundstücke gehören, sie
auch verkaufen wollen; das ist einfach so.
Was Ihre zweite Frage anbelangt: Ja, „Grün in der
Stadt“ ist etwas, was uns im Zusammenhang mit dem
verdichteten Raum hilft. Was Feinstaub und andere Belastungen anbelangt, so werde ich demnächst Vorschläge
vorlegen, um es den Kommunen zu ermöglichen, damit
umzugehen.
Frau Lay.
Ich möchte gerne an meine vorherige Frage anknüpfen. Sie haben ausgeführt, dass Sie sich beim Thema
Lärm wegen des Vorsorgeprinzips für diese Variante
entschieden haben. Es ist ja so, dass die Kritiker sagen,
dass gerade durch die Anhebung der Richtwerte der TA
Lärm das Vorsorgeprinzip insofern, ich will nicht sagen,
ausgehebelt, aber aufgeweicht wird, weil es für Gewerbebetriebe zum Beispiel bedeutet, dass sie technische
Möglichkeiten, die sie zur Lärmreduktion nutzen könnten, eben nicht mehr nutzen müssen, weil die Richtwerte
der TA Lärm angehoben werden. Vielleicht können Sie
darauf eingehen, wie Sie dieser Kritik begegnen.
Vielleicht können Sie in diesem Zusammenhang zur
Klarstellung sagen, wie Sie sich jetzt entschieden haben,
ob das urbane Gebiet nur für neu ausgewiesene innerstädtische Brachen gelten soll oder ob bestehende Gebiete dann auch zu urbanen Gebieten umgewidmet werden
können. Das ist für die bestehende Wohnbevölkerung
wichtig zu wissen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ja, die Kommunen können
natürlich auch bestehende Gebiete in urbane Gebiete umwandeln. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass zum
Beispiel ein bestehendes Mischgebiet in ein urbanes Gebiet umgewandelt wird, weil man dann zum Beispiel höher bauen darf als bisher im Mischgebiet oder weil man
tatsächlich mehr verdichten kann, also zum Beispiel die
Grundstücksgrößen anders ausgenutzt werden können.
Das halte ich für eine Möglichkeit. Es ist aber jeweils
in der kommunalen Verantwortung, zu entscheiden, ob
man das tut. Wir gehen zunächst einmal davon aus, dass
eher Brachen und auch Baulücken infrage kommen. Um
Baulücken in bestehenden Zusammenhängen überhaupt
nutzen zu können - auch dafür kann die Ausweisung eines urbanen Gebietes hilfreich sein.
Was den Lärmschutz anbelangt, so sind mir die Kritikpunkte bekannt. Ich habe mich gleichwohl für diesen
Vorschlag entschieden.
Kollege Kühn.
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu dem neuen
§ 13b. Ich hätte ja noch dafür Verständnis gehabt, wenn
man seinen Geltungsbereich auf Gebiete mit Wohnraummangel beschränkt. Jetzt soll er aber - so wie ich das
verstanden habe - überall gelten, also auch im ländlichen
Raum und auch in den Bereichen, in denen es keinen
Druck in Innenstädten gibt. Deshalb meine Frage: Gab es
Überlegungen im Ministerium, diesen Passus auf Gebiete mit Wohnraummangel zu begrenzen?
Wenn man fragt: „In welchen Fällen wird diese Regelung angewendet werden, wenn man das in den nächsten
drei Jahren generell erlaubt?“, dann heißt es zum einen,
dass dadurch die Flüchtlingsunterbringung organisiert
wird. Aber das halte ich für falsch, weil man so die Menschen nicht integriert, sondern an den Stadtrand schiebt.
Zweitens wird man im ländlichen Bereich den Wettlauf
der Kommunen bei der Ausweisung von Baugebieten
weiter vorantreiben. Beides halte ich für falsch, und deswegen ist der neue § 13b auch so falsch. Ich kann nicht
verstehen, warum dieser Paragraf in diesem Gesetz enthalten sein muss.
Ihrer Einschätzung, dass damit die Flüchtlingsunterbringung geregelt werden soll, stimme ich ausdrücklich
nicht zu. Das halte ich nicht für den Impetus, der hinter
diesem Wunsch steht, der mir im vorbereitenden Gesetzgebungsverfahren vorgetragen worden ist. Ich weiß - das
sagte ich eben schon -, man kann das kritisch sehen. Ich
gehe aber davon aus, dass die Anzahl der Fälle wegen
der Beschränkung auf drei Jahre überschaubar sein wird.
Volkmar Vogel ({0})
Frau Höhn.
Frau Ministerin, Sie haben eben beschrieben, dass Sie
sich beim Lärmschutz für eine Variante entschieden haben, die durchaus strittig ist. 3 Dezibel - das hört sich
nach nicht viel an. Aber weil es sich dabei um eine logarithmische Größe handelt, muss man sagen: Der Zuwachs ist extrem hoch, und in vielen Fällen wird dann die
Schwelle zum umweltgefährdenden Lärm überschritten.
Die Kommunen haben vermehrt flexiblere Lösungen gefordert, zum Beispiel das „Hamburger Fenster“. Warum
haben Sie das nicht in Betracht gezogen?
Frau Kollegin Höhn, ich möchte darauf hinweisen,
dass wir, wenn wir das „Hamburger Fenster“ vorsehen
würden, das Verursacherprinzip aushebeln. Das heißt,
man darf draußen so viel Lärm machen, wie man will,
und drinnen muss man sich selber schützen gegen den
Lärm, den jemand anders verursacht. Das ist nicht die
Regelung, die wir im Umweltrecht normalerweise vorsehen. Ich sagte eben schon: In Ausnahmefällen, zum Beispiel im Umfeld von Flughäfen, lässt es sich nicht anders
regeln - das ist mir schon klar -, aber wir wollen nicht
das Vorsorgeprinzip in Innenstädten gleichsam aushebeln. Deswegen kommt es uns darauf an, dass diejenigen,
die den Lärm verursachen, auch in Zukunft dafür verantwortlich sind, den Lärm zu begrenzen. Damit bleibt das
hohe Schutzniveau erhalten.
Frau Paus.
Vorab möchte ich als Berlinerin sagen, dass wir es
ausdrücklich begrüßen, dass das Gesetz diese urbanen
Gebiete vorsieht. Wir haben es im Vorgriff zu diesem Gesetz in den Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün in Berlin
aufgenommen.
Nichtsdestotrotz geht es jetzt darum, zu überlegen,
inwieweit man das Gesetz nutzen kann, um den Flächenverbrauch zu reduzieren. Deswegen möchte ich die Frage
vom Kollegen Kühn noch einmal wiederholen: Warum
haben Sie die Anwendungsmöglichkeit nicht auf Gebiete mit Wohnraummangel beschränkt? Denn es geht doch
zentral darum, bezahlbaren Wohnraum, insbesondere für
Familien, zu schaffen.
Eine weitere Fragen ist auch noch offen geblieben:
Wann wird es in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zur
Beschränkung von Mastbetrieben in Außenbereichen geben?
Meine dritte Frage lautet: Wie sieht es aus mit dem
Flächenverbrauch? Hat die Bundesregierung überhaupt
noch das Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren?
Zunächst zu Ihrer letzten Frage. Selbstverständlich
besteht das Ziel der Bundesregierung fort, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Die Ausweisung von urbanen
Gebieten ist einer der wichtigen Punkte, der dabei helfen
wird. Gleichwohl: Auch wenn wir dieses Ziel bis zum
Jahr 2020 nicht erreichen, so streben wir es weiterhin
an, und wir wollen es natürlich nicht außer Acht lassen.
Aber, ja, ich räume ein: Es wird nicht bis zum Jahr 2020
erreichbar sein.
Ich kann Ihnen nicht zusichern, ob es in dieser Legislaturperiode tatsächlich noch gelingt, die Privilegierung
von Tiermastställen im Außenbereich zu begrenzen. Ich
bin aber in guten Gesprächen mit den Ministerkollegen.
Wie lautete Ihre erste Frage noch gleich?
({0})
- Ja. - Dies ist ein Regierungsentwurf. Sollte sich in diesem Haus eine Mehrheit dafür finden, dieses Gesetz auf
Gebiete mit besonderem Wohnungsbedarf zu beschränken, dann wird das so sein. Ich sehe allerdings nicht, dass
es dazu kommt.
Kollege Vogel noch einmal.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, „Urbanes Gebiet“
klingt sehr nach Großstadt; aber die Baunutzungsverordnung gilt in jeder Kommune. Insofern stellt sich die
Frage, ob die von uns vorgesehene Definition von einem „urbanen Gebiet“ auch kleinen Kommunen und
Dörfern hilft. Man muss ja bedenken, dass auch sie attraktiv bleiben müssen, vor allen Dingen durch vor Ort
angesiedeltes Gewerbe; denn wenn die Gewerbebetriebe im Ort bleiben können, können auch die Menschen
ihre Existenz vor Ort sichern und müssen dafür nicht in
die großen Städte gehen. Die Habitat-III-Konferenz hat
ja gezeigt, dass der Zuzug in die Metropolen Probleme
mit sich bringt. Die mit dem Zuzug in die großen Städte
verbundenen Probleme wollen wir vermeiden, indem wir
den Zuzug, der nicht unbedingt notwendig ist, vermeiden. Wie sehen Sie das?
Herr Kollege Vogel, Sie haben vollkommen recht mit
Ihrer Einschätzung. Die Definition „urbane Gebiete“ ist
selbstverständlich auch interessant für kleinere Städte,
nicht gerade für Dörfer, für kleinere Städte aber durchaus. Es geht uns um die Nutzungsmischung. Wir haben
ja ein neues Leitbild für die europäische Stadt. Leitbild
der europäischen Stadt ist nicht mehr die „autogerechte Stadt“, sondern seit der Leipzig-Charta die „Stadt der
kurzen Wege“. Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Punkt,
der in diesem Zusammenhang zu beachten ist. Selbstverständlich ist es auch für kleinere Städte interessant, auf
die neue Baugebietskategorie zurückzugreifen.
Zu diesem Thema liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich frage, ob es Fragen zu anderen Themen der
Kabinettssitzung gibt. - Herr Kollege Meiwald.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage
an die Bundesregierung: War die Haltung der Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission zum Thema
„hormonell wirksame Stoffe/Biozid- und Pestizidverordnung“ Thema der heutigen Kabinettssitzung? Wenn nein,
wann ist eine Befassung mit diesem Thema geplant?
Wenn ja, wie sieht das weitere Vorgehen der Bundesregierung in Brüssel aus, wie sieht der Zeitplan aus, und
in welcher Form wird das Kabinett sich damit befassen?
Das Kabinett hat sich heute nicht mit dem Thema befasst. Allerdings sind die fachlich zuständigen Ministerien, zum Beispiel das Gesundheitsministerium und das
Umweltministerium, in guten Abstimmungsgesprächen.
Wir werden unsere abgestimmte Position selbstverständlich in Brüssel vortragen. Das Kabinett wird sich höchstwahrscheinlich nicht eigens damit befassen müssen.
Eine Nachfrage?
Es ist nett, dass ich nachfragen darf. - Gibt es einen
Zeitplan? Wissen Sie schon, wann Sie das in Brüssel vortragen werden?
Selbstverständlich rechtzeitig.
({0})
Die Verblüffung ist allgemein, Frau Ministerin. - Andere Fragen zur Kabinettssitzung sehe ich nicht. Ich frage, ob es sonstige Fragen an die Bundesregierung gibt. Herr Kollege Mutlu, dann der Kollege Kühn.
Danke, Herr Präsident. - Meine Frage richtet sich an
die Bundesregierung. Es geht um die Reform des Spitzensports. In der vergangenen Woche hat der Bundesinnenminister gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbunds die Eckpunkte bzw. das
Konzept als solches vorgestellt. In diesem Zusammenhang war die Rede von einer umfangreichen Umfrage
unter Athletinnen und Athleten sowie einem Manifest der
Athletinnen und Athleten. Meine Frage an die Bundesregierung lautet: Kennen Sie dieses Manifest und diese
Umfrage, und wie schätzen Sie dieses Manifest und diese
Umfrage unter den Athletinnen und Athleten ein?
Herr Kollege Mutlu, Herr Präsident, ich bitte, damit
einverstanden zu sein, dass der Kollege Schröder die Beantwortung übernimmt, der gerade rechtzeitig das Spielfeld betreten hat.
({0})
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank dafür, dass wir als zuständiges Bundesministerium des Innern diese Frage beantworten dürfen. - Uns ist eine solche Umfrage nicht bekannt. Das ist
ja auch Sache des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Eine Nachfrage? - Bitte schön, Herr Mutlu.
Danke, Herr Präsident. - Ich hätte eine weitere Frage.
Wenn Ihnen dieses Manifest, das in einer Pressekonferenz in Anwesenheit des Bundesinnenministers, der zugleich Bundessportminister ist, vorgestellt worden ist,
nicht bekannt ist und die Existenz einer solchen Umfrage
bislang auch nicht vom DOSB nachgewiesen worden ist,
möchte ich gerne wissen: Wie ist denn das Vertrauensverhältnis zwischen Ihrem Hause und dem DOSB, wenn
in einer Angelegenheit des deutschen Spitzensports, bei
der der deutsche Steuerzahler mehrere 100 Millionen
Euro investiert, jetzt so etwas ohne Grundlage in die Öffentlichkeit gebracht wird?
Herr Staatssekretär.
Wir arbeiten mit dem Deutschen Olympischen Sportbund sehr vertrauensvoll zusammen. Wir haben die Reform des Spitzensports in den Gremien zusammen erarbeitet und haben eine Projektstruktur entwickelt, bei der
es darum geht, auch externe Experten hinzuzuziehen.
Diese Projektgruppen haben das Ergebnis jetzt auf den
Weg gebracht. Es erfährt auch sehr große Unterstützung
von den Sportverbänden. Aber wie über das Ganze jetzt
innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbundes diskutiert wird, gerade auch in der Mitgliederversammlung,
ist Sache des Sports. Da mischt sich die Bundesregierung
natürlich nicht ein.
Herr Kollege Kühn.
Auch wenn es jetzt um allgemeine Fragen an die
Bundesregierung geht, stelle ich eine Frage, die den Bereich von Ihnen, Frau Hendricks, betrifft. Herr Kauder
hatte die Einführung eines Baukindergeldes vorgeschlagen. Daraufhin kamen Sie mit dem Vorschlag für einen
staatlichen Zuschuss zum Eigenheim für Familien um
die Ecke. Wir haben heute das urbane Gebiet behandelt.
Wenn ich mir den Zeitplan unseres Ausschusses anschaue, sehe ich, dass wir die Kategorie „Urbanes Gebiet“ wahrscheinlich irgendwann im Mai beschließen
werden. Deswegen ist meine Frage: Rechnen Sie mit der
Umsetzung eines staatlichen Zuschusses zum Eigenheim
für Familien noch in dieser Legislaturperiode? Gibt es einen Zeitplan im Kabinett, wann sozusagen ein Vorschlag
der Bundesregierung für diese Eigenheimförderung für
Familien umgesetzt wird? Haben Sie eine Abschätzung
der Kosten? Was wird die Umsetzung Ihres Vorschlages,
den Sie medial sehr breit verkündet haben - auch heute
wird er, glaube ich, in allen großen Medien erwähnt -,
den Bund am Ende kosten?
Zunächst, Herr Kollege: Meine Einschätzung ist, dass
wir das Verfahren für den heute vorgelegten Gesetzesvorschlag und die Verordnungen zum 31. März abschließen können, wenn alle guten Willen zeigen. Es muss also
nicht Mai werden.
Was die Einführung eines Zuschusses zum Eigenheim
für Familien anbelangt, so bin ich mit dem Kollegen
Schäuble im Gespräch, und zwar schon seit einiger Zeit.
Allerdings kann ich nicht zusichern, dass das noch in dieser Legislaturperiode gelingt. Die Interessenlage in den
beiden Koalitionsfraktionen ist allerdings sehr ähnlich.
Gibt es noch sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Das ist zwar offenkundig im Prinzip vorstellbar,
aber konkret im Augenblick nicht erkennbar. Dann beende ich hiermit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe unseren nächsten Tagesordnungspunkt auf,
und zwar Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksache 18/10442
Nach dem üblichen Verfahren werden die eingereichten Fragen, so sie nicht schriftlich beantwortet werden, in
der Reihenfolge der Geschäftsbereiche der Bundesregierung aufgerufen, die Ihnen mitgeteilt worden ist.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Caren Lay
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 3 des Kollegen Hubertus
Zdebel auf:
Wann ist die Bundesregierung über die eingesetzte
deutsch-belgische Arbeitsgruppe zu Fragen der kerntechnischen Sicherheit oder andere Wege über die vom Chef der
belgischen Atomaufsichtsbehörde ({0}), Jan Bens, an die
Betreiber der belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel,
Electrabel und ENGIE, in den durch die belgische Zeitung La
Libre veröffentlichten Briefen vom Juli und September 2016
adressierte Kritik an der fehlenden Sicherheitskultur und
Warnung vor einer „alarmierenden Wahrscheinlichkeit einer
Kernschmelze“ ({1}) informiert worden, und welche Maßnahmen wird die
Bundesregierung im Zusammenhang damit ergreifen?
Ich bitte die Staatssekretärin, Frau SchwarzelührSutter, um Beantwortung.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrter Herr Kollege Zdebel, die Bundesregierung hat Kenntnis über die Schreiben der belgischen
Aufsichtsbehörde FANC. Die Schreiben aus dem Sommer 2016 sind im Rahmen des aufsichtlichen Handelns
der Atomaufsicht erstellt und von der belgischen Presse
jüngst veröffentlicht worden. In dem ersten Schreiben
mahnt FANC an, dass der Betreiber die Ergebnisse einer Brandrisikostudie nicht mit sicherheitsbezogener
Ernsthaftigkeit behandeln würde. Das zweite Schreiben
bemängelt aufgrund einer Häufung von Ereignissen in
den belgischen Atomkraftwerken eine unzureichende Sicherheitskultur des Betreibers. Auch sei die Umsetzung
der von FANC geforderten Maßnahmen nicht zufriedenstellend.
Auch wenn die FANC mit Pressemitteilung vom
24. November 2016 bestätigt, dass der Betreiber seit
den Schreiben Maßnahmen ergriffen hat und Fortschritte
festzustellen sind, nimmt die Bundesregierung die Informationen und Bedenken von FANC sehr ernst. Die
Schreiben bestätigen die Bundesregierung in ihrer Sorge
über die Sicherheitsmängel, die die Bundesministerin bereits mehrfach gegenüber der belgischen Regierung zum
Ausdruck gebracht hatte.
Die Bundesregierung hatte schon im Januar an FANC
eine Liste mit 15 offenen Fragen zur Sicherheit der
Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 übergeben. Die
Schreiben kommentierte die Bundesministerin daher
auch kritisch. Sie forderte die belgische Regierung erneut
zum Handeln auf:
Es geschieht nicht alle Tage, dass die zuständige
Aufsichtsbehörde einen AKW-Betreiber auffordert,
Mängel in der Sicherheitskultur und in der Organisationsstruktur des Unternehmens zu beseitigen.
Dass die belgische Atomaufsicht vor dem Hintergrund einer Häufung von Ereignissen insbesondere
am AKW-Standort Tihange sogar von Lässigkeit
des Betreibers beim Handeln mit der Sicherheit
spricht, finde ich gravierend. Das ist für mich ein
klares Zeichen von mangelnder Sicherheitskultur,
das nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.
So hat die Ministerin es übermittelt.
http://www.lalibre.be/actu/belgique/surete-nucleaire-deux-lettres-accablantes-et-alarmantes-destinees-a-electrabel-582f70d6cd70735194a3ed84
http://www.lalibre.be/actu/belgique/surete-nucleaire-deux-lettres-accablantes-et-alarmantes-destinees-a-electrabel-582f70d6cd70735194a3ed84
http://www.lalibre.be/actu/belgique/surete-nucleaire-deux-lettres-accablantes-et-alarmantes-destinees-a-electrabel-582f70d6cd70735194a3ed84
http://www.heise.de/tp/news/Alarmierende-Wahrscheinlichkeit-eines-Supergaus-in-belgischen-Atomkraftwerken-3494478.html
http://www.heise.de/tp/news/Alarmierende-Wahrscheinlichkeit-eines-Supergaus-in-belgischen-Atomkraftwerken-3494478.html
http://www.heise.de/tp/news/Alarmierende-Wahrscheinlichkeit-eines-Supergaus-in-belgischen-Atomkraftwerken-3494478.html
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Danke, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, für
die Antwort. - Eine Zusatzfrage: Mich würde interessieren, über welchen Weg Sie Kenntnis davon bekommen
haben. Hat Sie die belgische Atomaufsicht selbst darüber
informiert, haben Sie das nur aus Presse erfahren, oder
war es möglicherweise auch Thema in der deutsch-belgischen Arbeitsgruppe, die vor einiger Zeit eingerichtet
worden ist?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Ich beginne mit dem Ende. Die deutsch-belgische
Arbeitsgruppe trifft sich morgen; morgen ist der 1. Dezember. Dort wird das noch einmal thematisiert werden.
Natürlich gibt es im Rahmen der Treffen auch einen Austausch. Wie gesagt: Morgen ist das Thema in der Arbeitsgruppe.
Eine weitere Zusatzfrage?
Danke, Herr Präsident. - Frau Schwarzelühr-Sutter,
noch eine Nachfrage. Das, was Sie gerade vorgetragen
haben, ist in der Tat alarmierend, nämlich die fehlende
Sicherheitskultur, die in diesen Briefen ausgerechnet
vom Chef der FANC festgestellt worden ist. Er spricht
darin von einer „alarmierenden Wahrscheinlichkeit einer
Kernschmelze“ in Tihange, und das an einem Ort, der
etwa 70 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt ist.
Wir alle wissen, welche Konsequenzen eine Kernschmelze für ganz Nordrhein-Westfalen haben würde.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Es gibt nach
wie vor Exporte von Kernbrennstoffen von deutschem
Boden aus an die belgischen Atommeiler. Wir hatten das
schon einmal thematisiert. Sehen Sie jetzt verstärkt eine
Veranlassung, tatsächlich zu einer Maßnahme zu kommen, die den weiteren Export von Brennstoffen an belgische Atommeiler ausschließt?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Es ist Sache der Aufsichtsbehörde, die für den sicheren
Betrieb der Anlagen zuständig ist, die Anlage vorübergehend stillzulegen. Das können wir nicht mitentscheiden.
Wie, mit welchen Brennstoffen das Kernkraftwerk in
Belgien arbeitet, das wird die Entscheidung des jeweiligen Betreibers sein.
Kollege Hunko.
Vielen Dank. - Als Abgeordneter aus Aachen, das
direkt östlich von dem Kernkraftwerk in Tihange liegt,
möchte ich nur einmal übermitteln, welche Sorgen und
auch welche Empörung es zum Teil in der Stadt gibt, dass
das Atomkraftwerk Tihange, insbesondere Tihange 2,
weiter am Netz ist. Ich will nur daran erinnern: Der Chef
der belgischen Sicherheitsbehörde sagt, es gebe eine
„alarmierende Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze“,
und mehr als das, was wir bis jetzt gehört haben, passiert
nicht. Da es eine alarmierende Wahrscheinlichkeit einer
Kernschmelze gibt, möchte ich Sie fragen: Wie würden
Sie darauf reagieren, wenn diese Kernschmelze eintreten
würde, und wie würden Sie die Stadt Aachen und die angrenzende Region dann evakuieren wollen?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrter Herr Kollege, ich kann Ihre Sorge gut
nachvollziehen; denn ich wohne im Umkreis eines ausländischen Kernkraftwerks von weniger als 5 Kilometern. Diese Sorgen sind mir daher sehr wohl bekannt. Sie
wissen aber, dass immer nur die jeweilige Aufsichts- und
Sicherheitsbehörde die nötigen Schlussfolgerungen in
Bezug auf die Sicherheitsmängel ziehen kann. Wir werden diese Problematik aber bei dem Arbeitstreffen mit
der belgischen Sicherheitsbehörde morgen noch einmal
thematisieren.
Frau Kotting-Uhl hat das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich möchte gerne ganz
konkret an die Frage von Hubertus Zdebel nach der Lieferung von Brennelementen auch für Tihange anknüpfen.
Sie sagten eben, die Betreiber würden entscheiden, mit
welchen Brennelementen sie arbeiten. Die Bundesregierung trägt jedoch Verantwortung für die einzige Urananreicherungsanlage bei uns in Deutschland, die zu einem
Drittel RWE und Eon gehört, und sie trägt natürlich auch
einen gewissen Teil Verantwortung für die Brennelementefertigung bei uns in Deutschland. Stimmen Sie nicht
mit mir überein, Frau Schwarzelühr-Sutter, dass es nicht
der richtige Umgang mit der Sorge ist, die ich hier zum
Ausdruck gebracht habe und die zu Recht sehr gravierend ist - ich finde, Frau Hendricks verhält sich hier absolut richtig -, wenn man genau dieses Atomkraftwerk
mit Lieferungen aus Deutschland mit in Betrieb hält?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Die Anlage in Gronau, die Sie ansprechen, hat eine
Betriebsbewilligung. Insofern müsste man die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass kein Betrieb
mehr möglich ist, sodass keine Lieferungen mehr erfolgen können. Das steht im Moment bei uns nicht zur Debatte.
Die Frage 4 des Kollegen Oliver Krischer wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 5 der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu zwei Briefen
der belgischen Atomaufsicht FANC an den Atomkraftwerksbetreiber Electrabel vom Juli und September 2016, in denen die
Sicherheitskultur des Atomkraftwerks Tihange nicht nur stark
kritisiert wird, sondern auch - basierend auf der Studie zum
Brandschutz „Fire PSA“ - für die Atomkraftwerke Doel 3 und 4
sowie Tihange 1, 2 und 3 die „alarmierende Wahrscheinlichkeit
einer Kernschmelze“ untermauert wird, und was hat die Bundesregierung hinsichtlich dieser besorgniserregenden Erkenntnisse konkret unternommen ({0})?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Die Antwort wird sich nicht groß von der vorherigen
Antwort unterscheiden, weil es die gleiche Frage ist,
Frau Kotting-Uhl. Es geht wieder um unsere Kenntnisse in diesem Zusammenhang. - Ich werde das aber noch
einmal aufnehmen.
Die Schreiben aus dem Sommer 2016 sind im Rahmen
des aufsichtlichen Handelns der Atomaufsicht erstellt
und von der belgischen Presse jüngst veröffentlicht worden. Die Sicherheitsmängel habe ich schon beschrieben.
Sie ergeben sich zum Teil aus der Brandrisikostudie. Außerdem ist aufgrund der Häufung von Ereignissen eine
unzureichende Sicherheitskultur zu bemängeln.
Wenn Sie einverstanden sind, können wir uns den
Rest der Antwort ersparen und gleich zu den Nachfragen
kommen.
Frau Kotting-Uhl.
Damit bin ich sehr einverstanden, Frau Staatssekretärin; diese Zeit können wir dem Plenum sparen. Sie sehen,
wie sehr die Opposition dieses Problem in Tihange umtreibt, weil wir fast deckungsgleiche Fragen dazu stellen.
Aus diesen Briefen geht ganz deutlich hervor, dass
Electrabel die Kritik der Atomaufsicht ganz offensichtlich
nicht ernst genug nimmt. Ich gehe einmal davon aus - so
habe ich es auch erlebt -, dass bei uns in Deutschland
andere Maßnahmen ergriffen würden, als den Betreiber
noch einmal anzusprechen und ihm zu sagen, dass wir
es nicht in Ordnung finden, dass er das nicht ernst genug
nimmt. In Belgien wird von Zwangsmaßnahmen gesprochen, wobei sich mir nicht erschließt, worum es dabei
geht, und Pläne verlangt, aus denen hervorgeht, wann
das Problem behoben sein soll, während Electrabel aber
einfach nichts macht. Deswegen die Frage: Ist das auch
Gesprächsthema in der bilateralen Atomkommission, die
jetzt eingerichtet werden soll? Man kann ja auch im Vorfeld schon reden. Haben Sie vor, auch von Atomaufsicht
zu Atomaufsicht einmal darüber zu reden, wie man einen
solchen Vollzug durchsetzen und umsetzen kann?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sie wissen natürlich - das ist auch bei ausländischen
Aufsichtsbehörden so -, dass es immer erst Aufgabe und
Angelegenheit der ausländischen Aufsichtsbehörde ist,
die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Teilweise
wird vorübergehend stillgelegt, bis die Vorgaben umgesetzt bzw. die Fehler entsprechend korrigiert und die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen vollzogen wurden.
Ich bin überzeugt, dass das Thema „Alterung der AKWs“
und die Frage der Sicherheitskultur bei den Kommissionssitzungen im Mittelpunkt stehen werden. Solange die
Kommission noch nicht eingerichtet ist, wird dieses Thema im Arbeitskreis in Belgien angesprochen werden.
Frau Kotting-Uhl.
Ich habe noch eine zweite Frage; danke. - Ich teile
Ihre Überzeugung absolut, Frau Staatssekretärin, dass
diese Themen uns in Deutschland, auch im Parlament,
immer wieder beschäftigen werden. Mit der Alterung der
AKWs werden die Probleme zunehmen. Sind Sie denn
in Ihrem Haus bereit, in der EU endlich einmal vorstellig zu werden mit dem Vorschlag, Anrainerstaaten, die
von dem GAU eines Atomkraftwerkes im Nachbarland
in Grenznähe betroffen wären - so wie wir bei den Atomkraftwerken Tihange und Beznau -, in Fragen der Sicherheit von Atomkraftwerken im Rahmen entsprechender
Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Neuvorhaben ein
Mitspracherecht einzuräumen, um so dem Grenzen missachtenden Risiko von Atomkraftwerken und der Gefahr
von Unfällen gerecht zu werden?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Liebe Frau Kotting-Uhl, Sie wissen, dass wir das im
Zusammenhang mit Laufzeitverlängerungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen angesprochen haben. Es
wäre sicherlich begrüßenswert, wenn wir das Thema auf
EU-Ebene noch stärker voranbringen könnten. In den
nächsten Tagen findet die internationale Konferenz der
Atomaufsichtsbehörden in Wien statt; da wird das sicherlich Thema sein. Unser Haus hat die Frage der Sicherheitskultur auf EU-Ebene immer wieder thematisiert.
Herr Kollege Zdebel.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau SchwarzelührSutter, ich komme auf den Export von Brennstäben und
http://www.lalibre.be/actu/belgique/surete-nucleaire-deux-lettres-acclablantes-et-alarmantes-destinees-a-electrabel-582f70d6cd70735194a3ed84
http://www.lalibre.be/actu/belgique/surete-nucleaire-deux-lettres-acclablantes-et-alarmantes-destinees-a-electrabel-582f70d6cd70735194a3ed84
http://www.lalibre.be/actu/belgique/surete-nucleaire-deux-lettres-acclablantes-et-alarmantes-destinees-a-electrabel-582f70d6cd70735194a3ed84
Brennstoffen aus Deutschland nach Belgien für deren
Atommeiler zurück. Wir haben diese Diskussion schon
einmal geführt, auch im Zusammenhang mit dem für
Exporte zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Auf meine Kleine Anfrage wurde mir geantwortet, es entspräche nicht der Rechtssystematik des
Atomgesetzes, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle dafür in Anspruch zu nehmen.
Exporte können ausgeschlossen werden, wenn die
innere Sicherheit Deutschlands bedroht ist. Meines Erachtens ist die innere Sicherheit durch den Zustand des
Atomkraftwerks Tihange bedroht, wenn es dort zu einer
Kernschmelze kommen könnte. Wären Sie denn bereit, auf dem Weg mitzugehen und die Systematik des
Atomgesetzes in der Form zu ändern? Ein Export von in
Deutschland hergestellten Brennstäben könnte verboten
werden, wenn das gesetzlich möglich wäre, und durch
den Entzug von Brennstoffen könnte der Gefahr einer
Kernschmelze entgegengewirkt werden.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrter Herr Kollege Zdebel, Sie unterstellen
jetzt, dass die Kernschmelze eine akute Gefahr ist. Das
ist von der logischen Abfolge seitens FANC kein Thema. Die Rechtssystematik hat sich, wie Sie wissen, nicht
verändert. Wir werden uns das aber natürlich genau anschauen und es prüfen.
Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Sylvia KottingUhl auf:
Wie stark wird nach Kenntnis der Bundesregierung in
Deutschland und dem europäischen Ausland das Notkühlwasser von Reaktoren aufgeheizt ({0}),
und welcher Wert gilt nach Kenntnis der Bundesregierung
in den jeweiligen Ländern als Limit/Höchsttemperatur, über
dem/der eine Notfallkühlung des Reaktorkerns nicht mehr gewährleistet ist?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Die Notkühlbehälter befinden sich bei den deutschen
Kernkraftwerken, wie Sie sicherlich wissen - Frau
Kotting-Uhl, Sie sind ja Expertin -, im Unterschied zu
einem Teil der ausländischen Anlagen im Reaktorgebäude. Anforderungen an die Notkühlwassertemperaturen
ergeben sich anlagenspezifisch aus dem Zusammenwirken der nach dem kerntechnischen Regelwerk zu unterstellenden Ereignisse und den dabei zu unterstellenden
Randbedingungen zum Erreichen der geforderten Nachweisziele. Die Bewertung der Nachweise zum Erreichen
der geforderten Nachweisziele unterliegt der für eine Anlage zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde;
so ist das auch hier.
Der Bundesregierung ist bekannt, dass die Vorwärmung des Notkühlwassers in einer Reihe von ausländischen Anlagen realisiert wird. In den finnischen, slowakischen, tschechischen und ungarischen Anlagen
des Typs WWER zum Beispiel liegen die Notkühlwassertemperaturen zwischen 50 und 60 Grad Celsius; in
der belgischen Anlage Doel 3 wurde aufgrund des im
Jahr 2012 bekanntgewordenen Werkstoffzustandes des
Reaktordruckbehälters eine Vorwärmung des Notkühlwassers auf mindestens 40 Grad festgelegt. Dann gibt es
noch einige französische Anlagen, bei denen sich die Behälter für Notkühlwasser außerhalb des Reaktorgebäudes
befinden. Dort gibt es eine Vorwärmung auf eine Mindesttemperatur.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass den zuständigen Aufsichtsbehörden die anlagenspezifischen Nachweise zur Gewährleistung der Kernkühlung unter diesen
Bedingungen vorliegen.
Frau Kotting-Uhl.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, bleiben wir bei Tihange. Sie haben mir auf eine schriftliche
Frage vom Februar 2016 geantwortet, dass nach Kenntnis der Bundesregierung für Tihange 2 bisher keine
Festlegung zur Erhöhung der Temperatur des Notkühlwassers getroffen wurde. Würden Sie mir diese Antwort
immer noch so geben? Ist es nach Ihrer Kenntnis nach
wie vor so? Das würde mich sehr wundern, weil gerade
in Tihange 2 aufgrund der Risse im Reaktordruckbehälter erhebliche Probleme mit dem Sprödbruchsicherheitsnachweis bestehen.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Bei Doel und Tihange haben wir aufgrund des Werkstoffzustands die Vorwärmung des Notkühlwassers. Insofern ist das von den belgischen Aufsichtsbehörden entsprechend zu prüfen.
Frau Kotting-Uhl.
Danke schön. - Das haben Sie mir im Februar schriftlich anders beantwortet, nämlich dass es nach Ihrer
Kenntnis keine Erhöhung der Temperatur des Notkühlwassers in Tihange 2 gebe.
Aber ich möchte Sie noch etwas Fachliches fragen:
Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung bei der
Erwärmung des Notkühlwassers die Gefahr, dass die
Kühlung des Reaktorkerns im Notkühlfall nicht mehr
gewährleistet ist, und wenn ja, ab spätestens welchem
Erwärmungsgrad sehen Sie als Bundesregierung dieses
Problem?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Das hängt einerseits vom Reaktor ab und andererseits
vom Materialzustand, also davon, wie alt und versprödet
der Reaktordruckbehälter ist. Dafür zuständig sind die
ausländischen Aufsichts- und Sicherheitsbehörden. Sie
wissen auch, dass wir in Deutschland kein Notkühlwasser erwärmen.
Herr Kollege Zdebel.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich komme auch
noch einmal auf Tihange 2 im Zusammenhang mit
dem Kühlwasser zurück. Sie haben gerade gesagt, Frau
Schwarzelühr-Sutter, dass Sie sich am 1. Dezember, also
morgen, wieder in der deutsch-belgischen Arbeitsgruppe
treffen. Würden Sie dort den belgischen Kolleginnen und
Kollegen diese Frage stellen und uns das Ergebnis, ob
es da tatsächlich nicht zu einer Kühlwassererwärmung
kommt, dann im Bundestag mitteilen?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Ich werde das in meinem Haus weitergeben. Ich nehme es mit, Herr Zdebel.
Dann rufe ich die Frage 7 des Abgeordneten Christian
Kühn auf:
Plant die Bundesregierung eine Beteiligung der Produzenten von HBCD-haltigen Dämmstoffen an den Entsorgungskosten, und wenn nicht, wer soll sie tragen?
Frau Staatssekretärin.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Lieber Kollege Kühn, die Bundesregierung plant nicht,
die Produzenten der HBCD-haltigen Wärmedämmplatten an den Entsorgungskosten zu beteiligen. Nach den
§§ 6 bis 8 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sind die Abfallerzeuger für die ordnungsgemäße und schadlose Entsorgung verantwortlich. Insoweit müssen diese auch die
Kosten für die Entsorgung tragen.
Herr Kühn, wünschen Sie eine Nachfrage?
Ja, sehr gerne.
Dann haben Sie jetzt die Gelegenheit.
Das Thema HBCD-belastete Polystyrol-Dämmplatten
im Wärmedämmverbundsystem beschäftigt uns gerade im Baubereich und im Umweltbereich sehr. Es gab
Schlagzeilen wie „Baustellen in Deutschland stehen
still“, „Dachdecker und Stuckateure in Kurzarbeit“ und
anderes. Wie sieht die Bundesregierung die derzeitige Situation auf den Baustellen? Ist es nicht an der Zeit, dass
die Bundesbauministerin sich noch einmal selbst dieses
Themas als Chefsache annimmt, statt, wie mehrfach berichtet wurde, den Ländern den Schwarzen Peter zuzuschieben?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sie bevorzugen das Verursacherprinzip. Fakt ist aber
nun einmal, dass im Bundesrat die Länder diese Maßgabe beschlossen haben und es dadurch zu Problemen kam.
Wir hatten ursprünglich einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der nicht zu dieser Situation geführt hätte. Jetzt
geht es darum, eine praktikable Lösung zu finden. Da hat
sich die Bundesministerin entsprechend eingesetzt. Auf
der in dieser Woche stattfindenden Umweltministerkonferenz werden wir das noch einmal aufgreifen.
Herr Kühn.
Noch eine Frage dazu. Wenn Sie eine andere Auffassung hatten und als Bundesministerium gesagt haben:
„Hier gibt es eine Problematik“, und diese auch erkannt
haben: Warum haben Sie dann dies verkündet? Sie hätten
als Bundesministerium von Ihrem Recht Gebrauch machen können und das nicht verkünden müssen, sondern
zurückhalten können - das wäre durchaus möglich gewesen -, um dann noch einmal auf die Probleme hinzuweisen. Duckt sich das Bundesministerium bei diesem
Problem auf deutschen Baustellen nicht eher weg? Hätte
es diesen Prozess nicht viel früher in die Hand nehmen
und ihn moderieren müssen?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Bevor wir anfangen, das Schwarze-Peter-Spiel zu
spielen, verweise ich darauf, dass der Vollzug des Abfallrechts nach der verfassungsgemäßen Kompetenzzuweisung den Ländern in eigener Verantwortung obliegt.
Das gilt auch im Zusammenhang mit der Entsorgung der
in Rede stehenden Abfälle, den sogenannten HBCD-haltigen Dämmplatten. Aus Sicht der Bundesregierung
sollten die Länder weiterhin darauf hinwirken, dass die
Betreiber von Müllverbrennungsanlagen - das ist der
Knackpunkt - ihre Genehmigungen erweitern, um diese
Abfälle thermisch zu behandeln. Die Betreiber der Müllverbrennungsanlagen haben sich der Maßgabe entsprechend dann anders verhalten. Dem Vernehmen nach sind
die Kosten der Entsorgung der Dämmplatten gestiegen,
weil es nur noch sehr wenige Müllverbrennungsanlagen
gibt, die diese entsorgen. Insofern ist es wichtig, dass
wir gemeinsam eine praktikable Lösung finden. Das ist
durchaus aussichtsreich. Ich glaube, das bekommen wir
zusammen mit den Ländern auch hin.
Mit liegen keine weiteren Fragen für diesen Geschäftsbereich vor.
Wir wechseln zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Fragen wird Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Joachim Fuchtel beantworten.
Als Erstes rufe ich die Frage 8 des Abgeordneten
Niema Movassat auf:
Welche Kooperation ist im Rahmen des GIZ-geführten
Regionalvorhabens „Better Migration Management“, welches
unter anderem auch eine Zusammenarbeit mit dem Südsudan
vorsieht, mit der Regierung bzw. den Behörden des Südsudan
angedacht und unter den derzeitigen bürgerkriegsartigen Zuständen im Land überhaupt möglich ({0}), und warum hält die Bundesregierung die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit
dem Südsudan aufrecht, obwohl das Regime von Präsident
Salva Kiir sowohl als äußerst gewalttätig als auch korrupt gilt
({1})?
Herr Staatssekretär.
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Ich darf antworten, dass aufgrund der andauernden
Krise bislang keine offiziellen Kontakte mit der Regierung des Südsudans gegeben sind, auch nicht im Rahmen
der im Mai/Juni durchgeführten Prüfmission.
Herr Movassat.
Danke, Herr Staatssekretär. - Das ist zuerst einmal
eine beruhigende Antwort. Mich interessiert, ob es bereits Planungen gibt, wann man eine Zusammenarbeit
aufnehmen möchte, oder ob eine Zusammenarbeit nicht
mehr stattfinden wird.
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Herr Kollege, es gibt zwei Implementierungspartner des „Better Migration Management“-Programms.
Das sind zum einen die Internationale Organisation für
Migration und zum anderen das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, welche
im Rahmen ihrer Regionalprogramme Maßnahmen im
Südsudan durchführen. Auf deren Erkenntnisse und Expertisen wird aufgebaut. Dann wird über die Umsetzung
potenzieller Aktivitäten entschieden.
Herr Movassat.
Meine zweite Nachfrage. Herr Staatssekretär, die GIZ
ist nach Auskunft der Bundesregierung bis 2018 in einem
Polizeiprogramm „Afrika“ aktiv; das haben Sie bestätigt
als Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir und meiner
Fraktion auf Drucksache 18/9246. Dieses Polizeiprogramm ist auch im Südsudan aktiv. Ziel des Programms
sind insbesondere der Auf- und Ausbau von Polizeistrukturen. Da dieses Projekt laut Ihrer Antwort auch im Südsudan stattfindet, interessiert mich, was ich mir darunter konkret vorzustellen habe. Was läuft da? Findet eine
Ausbildung von Polizisten statt, und wenn ja, wie sieht
sie aus? Das interessiert mich sehr.
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Wenn ich mich richtig erinnere, Herr Kollege, ist in
letzter Zeit über diese Frage in verschiedenen Gremien
herauf und herunter debattiert worden. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass im Augenblick ausschließlich Ortskräfte
der GIZ vor Ort sind und so etwas nur in diesem Rahmen
geschehen könnte. Ich kann Ihnen jetzt im Augenblick
nicht bestätigen, dass das Programm aktiv von diesen
Leuten betrieben wird.
Wir wechseln zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Beantwortung
der Fragen wird Staatsminister Dr. Helge Braun übernehmen.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Christian Kühn
auf:
Plant die Bundesregierung, für ihre G-20-Präsidentschaft
2017 die Umsetzung der Forderung des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen ({0}), das Thema „Urbanisierung und
Transformation“ dauerhaft zu einem Tagesordnungspunkt der
G 20 aufzuwerten, und, wenn nicht, warum nicht?
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege, die Bundesregierung
wird während der deutschen G-20-Präsidentschaft das
Thema „Urbanisierung und Transformation“ im Kontext
der Agenda 2030 in geeigneter Weise aufgreifen. Die
G 20 wird durch nationale und gemeinsame Maßnahmen
nachdrücklich für die rasche und umfassende Umsetzung
der Agenda 2030 mit ihren globalen Zielen für die nachhaltige Entwicklung arbeiten.
Wie in dem von Ihnen erwähnten WBGU-Gutachten
dargestellt, ist die nachhaltige Gestaltung der Urbanisierung dabei von einer besonderen Bedeutung. Im Rahmen
der Übernahme der Präsidentschaft am morgigen 1. Dezember wird auch das G-20-Programm der deutschen
Präsidentschaft veröffentlicht.
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
http://www.nytimes.com/2016/09/13/world/africa/south-sudan-salva-kiir-riek-machar-corruption.html?_r=0
http://www.nytimes.com/2016/09/13/world/africa/south-sudan-salva-kiir-riek-machar-corruption.html?_r=0
Herr Kühn.
Könnten Sie kurz darlegen, was „in geeigneter Weise“
aus Ihrer Sicht oder der Sicht des Bundeskanzleramtes
bedeutet?
Sie wissen, dass der Bereich Urbanisierung im Kontext der Agenda 2030, die Gegenstand der Beratungen
der G 20 sein wird, einen ganz zentralen Punkt einnimmt.
Deshalb können Sie davon ausgehen, dass darüber gesprochen wird und dass sich auch in dem Maßnahmenpaket sowohl national als auch gemeinschaftlich im
Rahmen der G 20 entsprechende Antworten auf diese
wichtige Herausforderung finden werden. Aber den Verhandlungen von G 20 können wir einen Tag, bevor wir
überhaupt die Präsidentschaft übernommen haben, und
ein halbes Jahr, bevor die entscheidende Sitzung ist, nicht
vorgreifen.
Herr Kühn.
Darf ich noch einmal nachfragen: Deutschland will
im Rahmen der Präsidentschaft der G 20 das Thema der
Urbanisierung wirklich auf die Tagesordnung setzen und
nicht als einen Punkt unter vielen hinten runterfallen lassen?
Das Thema wird sicherlich nicht hinten runterfallen.
Es wird in geeigneter Weise im Rahmen der Behandlung
der Agenda 2030 aufgegriffen.
Danke schön.
Zu diesem Geschäftsbereich liegen mir keine weiteren
Fragen vor.
Deshalb leiten wir über zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Die
Frage 10 des Abgeordneten Özcan Mutlu zu Rüstungsexporten in die Türkei wird schriftlich beantwortet.
Damit wechseln wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Hier wird Staatsminister Michael Roth
die Antworten übernehmen.
Die Frage 11 der Abgeordneten Brigitte Pothmer, die
Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Sevim Dağdelen
und die Frage 14 der Abgeordneten Heike Hänsel werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Movassat auf:
Welche sollen die Schwerpunkte der Migrationspartnerschaft mit Ägypten sein, die die Bundesregierung und die EU
nach Aussagen der Bundesregierung im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen
Bundestages vom 9. November 2016 zusätzlich zu den bestehenden Partnerschaften mit Äthiopien, Mali, dem Niger, Nigeria und dem Senegal anstreben, und inwiefern teilt die Bundesregierung die Befürchtung von Gerald Knaus, die er bei
einer Veranstaltung des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft am 5. Oktober 2016 in Anwesenheit etlicher Mitarbeiter
des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung äußerte ({0}), nämlich dass Flüchtlingsdeals mit afrikanischen Migrationstransitländern menschenrechtlich nicht zu verantworten seien?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Movassat, Ziel der Bundesregierung ist es, die Lebensbedingungen der Flüchtlinge sowohl in ihren Herkunftsländern als auch in den Transitländern zu verbessern, die
Schleusung und den Menschenhandel zu bekämpfen,
Migration besser zu gestalten und zu steuern. Dafür ist
es nach Ansicht der Bundesregierung notwendig, mit den
Nachbarländern einen Dialog zu führen und vor allem
die migrationspolitische Zusammenarbeit zu verstärken.
Es gibt bislang keinen Beschluss der Europäischen
Union, mit weiteren Herkunfts- und Transitstaaten Verhandlungen über eine EU-Migrationspartnerschaft aufzunehmen. Sie wissen, dass bislang fünf Länder in diese Migrationspartnerschaften einbezogen worden sind:
Niger, Mali, Senegal, Äthiopien und Nigeria. Perspektivisch setzt sich die Bundesregierung im EU-Kreis für
eine Ausweitung der migrationspolitischen Zusammenarbeit mit anderen Staaten ein. Dazu gehört auch Ägypten. Erst wenn hierüber im EU-Kreis Einigkeit erzielt
wurde, können wir über die Form und mögliche Schwerpunkte einer solchen Zusammenarbeit reden bzw. sie beschließen. Dabei ist die Einhaltung menschenrechtlicher
Standards eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen
jeglicher migrationspolitischen Zusammenarbeit.
Herr Movassat.
Danke schön. - Es ist natürlich sehr gut, Herr Staatsminister, dass Sie die Frage der Menschenrechte sehr
hoch aufhängen und zur Bedingung für diese Partnerschaft machen, weil Sie selber ja in einer Antwort auf
eine Kleine Anfrage der Grünen relativ klar sagen, dass
die Situation hinsichtlich der Menschenrechte in Ägypten besorgniserregend ist. Es gibt glaubhafte Berichte
über Folter und Misshandlung in Ägypten und darüber,
dass eben auch Flüchtlinge aus Ägypten in den Sudan
abgeschoben werden. Das heißt, sowohl die Situation
der Ägypter im Hinblick auf die Menschenrechte ist sehr
http://www.afrikaverein.de/fileadmin/user_upload/Pressemitteilungen/Africa%20Insight%20-%20Der%20Merkel-Plan.pdf
http://www.afrikaverein.de/fileadmin/user_upload/Pressemitteilungen/Africa%20Insight%20-%20Der%20Merkel-Plan.pdf
http://www.afrikaverein.de/fileadmin/user_upload/Pressemitteilungen/Africa%20Insight%20-%20Der%20Merkel-Plan.pdf
schlecht als auch die Situation der Flüchtlinge in Ägypten.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob es wirklich
sein kann, dass man erwägt - das haben Sie ja gerade
noch einmal bestätigt -, die Migrationszusammenarbeit mit Ägypten auszubauen; denn ich kann mir kaum
vorstellen, dass Sie erreichen, dass dies dort menschenrechtsbasiert funktionieren kann. Vielmehr haben wir
dort ein diktatorisches Regime, das Menschenrechte mit
Füßen tritt und das im Bereich der Migrationspartnerschaft sicherlich nicht anders agieren würde.
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Movassat, die migrationspolitische Zusammenarbeit, die sogenannten Migrationspartnerschaften, dienen den Migrantinnen und
Migranten und sind nicht auf Einzelinteressen von Regimen und von Staaten ausgerichtet. Wir wollen nicht
Flüchtlinge bekämpfen, wir wollen die Ursachen von
Flucht bekämpfen, und wir wollen die Lage der Geflüchteten dort verbessern, wo sie leben. Das tun wir im Übrigen im Libanon, in Jordanien und in vielen anderen Staaten, das tun wir auch in der Türkei. Genau darauf sind die
Migrationspartnerschaften ausgerichtet.
Es geht natürlich auch noch um eine Reihe von anderen Aspekten, die ich eingangs schon erwähnt habe.
Ich kann mich dabei nur noch einmal wiederholen: Sie
haben völlig recht, derzeit ist die Menschenrechtslage in
Ägypten besorgniserregend, und gerade deshalb, weil sie
besorgniserregend ist, richten wir ja auch unsere migrationspolitische Zusammenarbeit auf die Verbesserung der
Menschenrechtslage aus.
Herr Movassat.
Sie müssten ja, wenn Sie mit Ägypten im Bereich
der Migration zusammenarbeiten wollen, mit dem
ägyptischen Staat zusammenarbeiten. Es ist ein offenes
Geheimnis, dass das Schlepperwesen in Ägypten im
Wesentlichen von zehn Familien organisiert wird, die
engste Kontakte in höchste Regierungs- und Militärkreise haben. Mir ist zum Beispiel vor kurzem berichtet worden, dass im Hafen von Alexandria zwei neue, moderne
Kliniken entstehen, in denen fortlaufend Transplantationen von Nieren etc. vorgenommen werden, womit die
Flüchtlinge ihre Schleuser bezahlen können. Solche Operationen in einem Krankenhaus können natürlich nur mit
Wissen der Behörden, der offiziellen staatlichen Institutionen, stattfinden. Mich würde interessieren: Was weiß
die Bundesregierung über derartige Verflechtungen zwischen Schleusern und dem ägyptischen Staat, und wie
stellen Sie sich vor, mit demselben ägyptischen Staat,
der diese Schleuserbanden deckt, sie unterstützt und mit
ihnen zusammenarbeitet, nun das Schleuserwesen bekämpfen zu wollen?
Herr Staatsminister.
Ich habe schon deutlich gemacht, worum es uns
geht. Erstens. Wir sind der Verbesserung der Menschenrechtslage verpflichtet, gerade auch durch die Migrationspartnerschaften, und selbstverständlich ist einer der
wesentlichen Schwerpunkte die Bekämpfung des Menschenschmuggels. Insofern liegen wir da auf einer Linie.
Ich könnte Ihnen jetzt für die Bundesregierung eine
Fülle von Beispielen benennen, wo aus unserer Sicht Anlass zu großer Sorge besteht: Es gibt willkürliche Verhaftungen; sie treffen nicht nur Anhänger der Muslimbrüder.
Vielmehr geraten zunehmend auch Menschenrechtsverteidiger, Gewerkschaftsvertreter, Journalisten, Wissenschaftler und friedliche Demonstranten in den Fokus der
Sicherheitsdienste; Menschenrechtsorganisationen werden ausgegrenzt und diskriminiert.
Das sind nur einige wenige Beispiele, die belegen,
dass die Menschenrechtssituation in Ägypten dezidiert
nicht gut ist, im Gegenteil. Zu den von Ihnen konkret benannten Fällen kann ich Ihnen derzeit nichts sagen; dazu
liegen mir keine weiteren Informationen vor. Ich bin aber
gerne bereit, mich darüber noch einmal entsprechend
kundig zu machen. Danke auch für Ihren Hinweis.
Frau Keul.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
mich würde in diesem Zusammenhang einmal interessieren, welche Rolle bei Ihren Überlegungen die Tatsache spielt, dass Ägypten nach wie vor General Haftar in
Libyen militärisch unterstützt und Libyen destabilisiert.
Das ist für uns eines der größten Probleme. Dort sitzen
noch Hunderttausende von Flüchtlingen. Wie gehen Sie
damit um? Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Bundesregierung, auf Ägypten einzuwirken, diese Destabilisierung einzustellen?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, Sie wissen ja, dass
wir in den vergangenen Monaten und auch Jahren sehr
intensiv daran gearbeitet haben, die Verhältnisse in Libyen zu stabilisieren, auch durch die konkrete Unterstützung der Regierung der Nationalen Einheit. Derzeit sind
wir noch weit von den Verhältnissen entfernt, die wünschenswert sind. Ich gebe Ihnen recht, dass die Lage der
Flüchtlinge in Libyen dramatisch ist.
Aber bezogen auf Ägypten geht es uns vor allem auch
darum - ich will das wiederholen -, die Situation der Geflüchteten, der Migrantinnen und Migranten zu verbessern. Von den rund 160 000 Geflüchteten, die seit Anfang
dieses Jahres - Stand ungefähr Oktober - insbesondere
nach Italien gekommen sind, haben ungefähr 10 Prozent
den Seeweg über das Mittelmeer von Ägypten aus gestartet. Also ist Ägypten weniger ein Herkunftsland für
Migration als vielmehr ein Transitland. Insofern spielt es
für uns eine ganz besonders wichtige Rolle. Die wichtigste Rolle dabei spielt Libyen. Aber die Verhältnisse sind
dort deutlich fragiler und schlechter als in Ägypten.
Herr Hunko.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister Roth, ungeachtet
der jetzt auch von Ihnen beschriebenen Verletzungen der
Menschenrechte in Ägypten hat die Bundesregierung
auch einen Polizeivertrag mit Ägypten unterzeichnet.
In diesem Polizeivertrag ist auch die Kooperation mit
dem berüchtigten Staatssicherheitsdienst NSS vorgesehen. Das ist faktisch ein Geheimdienst. Wir wissen,
dass das Bundeskriminalamt mit dem NSS kooperiert.
Aber die Inhalte dieses Polizeivertrages, dieses Abkommens, blieben gegenüber uns Abgeordneten, gegenüber
der Bevölkerung bislang geheim. Wie können Sie diese
Geheimhaltung angesichts dieser Situation in Ägypten
rechtfertigen?
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Hunko, mit einer
Reihe von Staaten pflegen wir eine sicherheitspolitische
Zusammenarbeit, die vor allem darauf ausgerichtet ist,
die Sicherheitsdienste und insbesondere die Polizei auf
rechtsstaatliches Verhalten, auf die Achtung menschenrechtlicher Aspekte zu verpflichten. Wir wollen dabei
helfen. Wir wollen dabei konkret unterstützen. Die Maßstäbe, die ich jetzt genannt habe, gelten selbstverständlich
auch für die Sicherheitszusammenarbeit mit Ägypten.
({0})
Sie hatten nur eine Zusatzfrage, Herr Hunko; tut mir
leid.
({0})
Herr Ströbele.
Danke. - Herr Staatsminister, Sie haben mich jetzt
hier auf den Plan gerufen, weil Sie von der Anerkennung
der Regierung der Nationalen Einheit gesprochen und
auch erwähnt haben, dass die Bundesregierung diese Regierung unterstützt; Sie haben sich auch darauf berufen.
Wie kommen Sie eigentlich dazu, diese Regierung der
Nationalen Einheit zu rechtfertigen, die von niemandem
im Land legitimiert ist - außer von auswärtigen Stellen?
Herr Staatsminister.
All das, was wir tun, tun wir natürlich in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen. Auch Sie wissen,
dass Herr Kobler in Libyen eine wichtige Arbeit leistet.
Wir tun das natürlich auch in engster Abstimmung mit der
Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, und damit auch in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union. Insofern ist das kein Alleingang, sondern das ist
eine abgestimmte Position, um ein fragiles Land - das ist
noch sehr diplomatisch formuliert - im Interesse der dort
lebenden Menschen zu stabilisieren.
({0})
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Hunko auf:
Welchen Stand hat die seit April 2014 ausstehende Beantwortung eines Fragenkatalogs der Bundesregierung an
die US-Regierung zur Beteiligung von US-Anlagen in Ramstein oder Stuttgart als Relaisstation am US-Drohnenkrieg
({0}), an die das
Auswärtige Amt zunächst „fortgesetzt“, dann „eindringlich“
und „mit Nachdruck“, zwischenzeitlich „fortgesetzt eindringlich“ und nunmehr „wiederholt nachdrücklich“ erinnert haben
will ({1}), obwohl die zuständige Staatsministerin
Dr. Maria Böhmer mir auf meine mündliche Frage 3, Plenarprotokoll 18/45, vor zweieinhalb Jahren die Beantwortung
„innerhalb weniger Wochen“ versprach, und inwiefern rechnet
die Bundesregierung während der Amtszeit des US-Präsidenten Barack Obama überhaupt noch mit einer Beantwortung
bzw. sonstigen finalen Klärung ihrer offenen Fragen, zumal
die Angelegenheit ({2}) offensichtlich nicht beim jüngsten Besuch des noch
amtierenden US-Präsidenten in Berlin in der 46. Kalenderwoche dieses Jahres zur Sprache kam?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Hunko,
die Bundesregierung hat sich zu dem Themenbereich,
den Sie jetzt in Ihrer Frage angesprochen haben, bereits
am 28. September 2016 im Rahmen der PSK-Unterrichtung der Obleute des Auswärtigen Ausschusses geäußert.
Die Unterrichtung wurde damals von meinem Kollegen,
dem Politischen Direktor des Auswärtigen Amts, vorgenommen.
Der Politische Direktor unterrichtete damals die Obleute des Auswärtigen Ausschusses über ein am 26. August 2016 erfolgtes Gespräch mit Vertretern der US-Botschaft im Auswärtigen Amt. Die US-Seite hat in dem
damals stattgefundenen Gespräch bestätigt - abermals
bestätigt -, dass unbemannte Luftfahrzeuge von Ramstein aus weder gestartet noch gesteuert würden. Sie teilte überdies mit, dass die globalen Kommunikationswege
der USA zur Unterstützung unbemannter Luftfahrzeuge
Fernmeldepräsenzpunkte auch in Deutschland einschlössen, von denen aus die Signale weitergeleitet würden.
Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge würden von verschiedenen Standorten aus geflogen, unter Nutzung diverser Fernmelderelaisschaltungen, von denen einige
auch in Ramstein laufen würden. Außerdem teilte sie mit,
dass im Jahr 2015 in Ramstein eine Vorrichtung zur Verbesserung der bereits zuvor vorhandenen Fernmeldeausstattung fertiggestellt worden sei, und sie hat uns darüber
informiert, dass Ramstein eine Reihe weiterer Aufgaben
unterstütze, darunter die Planung, Überwachung, Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen.
In Reaktion auf diese neuen Informationen haben wir
hochrangige Gespräche in Washington Mitte September
geführt, wiederum über unseren Politischen Direktor,
und wir werden dazu selbstverständlich auch weiterhin
mit der amerikanischen Seite in Kontakt bleiben.
Für uns, Herr Abgeordneter Hunko, ist aber ein Punkt
ganz entscheidend: Es gilt weiterhin die Zusicherung der
Vereinigten Staaten, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgen.
({0})
Herr Hunko.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister Roth, das ist jetzt
interessant. Wir haben über Jahre nachgefragt, ob Ramstein eine Relaisstation für den völkerrechtswidrigen
US-Drohnenkrieg ist.
({0})
Es ist jetzt zum ersten Mal die Bestätigung auch durch
die Bundesregierung gekommen, dass Ramstein eine Relaisstation ist. Vielen Dank dafür.
Mich würde schon interessieren, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen. Sie sagen: Na ja, es ist nicht völkerrechtswidrig, weil die USA sagen: Es ist nicht völkerrechtswidrig. - Wie ist denn Ihre Einschätzung des
US-Drohnenkriegs, für den Ramstein eine zentrale Relaisstation ist?
Herr Staatsminister.
Ich habe Ihnen schon die Stellungnahme der Bundesregierung dazu übermittelt. Die Informationen, die für
Sie jetzt offenkundig neu sind, Herr Hunko, haben wir
bereits vor Monaten dem Auswärtigen Ausschuss gegeben. Aus der bloßen Tatsache, dass Deutschland den
USA Gelände für die Luftwaffenbasis Ramstein zur Verfügung stellt, folgt keine allgemeine Verantwortung für
alle Einsätze, nur weil für diese relevante Steuerungssignale möglicherweise auch über Ramstein geleitet werden könnten. Für uns gilt die Zusicherung der Vereinigten Staaten, und diese Zusicherung habe ich Ihnen noch
einmal übermittelt.
Herr Hunko.
Vielen Dank. - Herr Roth, ich will sagen: Das ist keine neue Information für uns. Aber neu ist, dass die Bundesregierung das hier zum ersten Mal öffentlich macht.
Ich will trotzdem noch einmal nachfragen. Sie sagen,
die Zusicherung der USA sei für Sie maßgeblich. Wie
ist denn die eigene Einschätzung der Bundesregierung
bezüglich der Völkerrechtskonformität oder -nichtkonformität des US-Drohnenkriegs, der offenbar auch über
Ramstein läuft?
Noch einmal: Zu der Frage, ob solche Einsätze auch
ohne die Relaisstation in Ramstein durchgeführt werden
könnten, hat sich die US-Regierung ja nicht geäußert. Es
ist auch ausgesprochen unwahrscheinlich, Herr Kollege,
dass sich die amerikanische Regierung überhaupt zu operativen Details einschließlich solcher, zu denen Operationen unbemannter Luftfahrzeuge gehören, äußern wird.
Für die Vereinigten Staaten von Amerika ist dies kein
völkerrechtswidriger Vorgang.
({0})
Insofern ist Ihnen die Position bekannt.
Es ist auch aus unserer Sicht so allgemein kein völkerrechtswidriger Vorgang, weil wir uns - auch das zeichnet
die Rechtsprechung aus - nur den genauen und konkreten Einzelfall veranschaulichen können. Ich kann nicht
generell von einem völkerrechtswidrigen Verhalten sprechen; wir können das nur auf den Einzelfall bezogen tun.
Insofern kann ich darüber auch nichts sagen; denn ich
vermag die Verantwortlichkeiten, die sich aus Ramstein
heraus ergeben, nicht zu beurteilen.
Herr Movassat.
Danke. - Herr Staatsminister, ich glaube, die Völkerrechtsliteratur, zumindest hier in Europa, ist sich
weitgehend einig, dass der sogenannte Krieg gegen den
Terror - unter diesem Label finden ja auch die US-Drohneneinsätze statt - aus völkerrechtlicher Sicht nicht einen
bewaffneten Konflikt darstellt. Man ist sich gleichzeitig
einig, dass außerhalb bewaffneter Konflikte die Tötung
von Menschen völkerrechtswidrig ist und damit natürlich
auch gegen das Grundgesetz verstößt, weil die Regeln
des Völkerrechts über das Grundgesetz Anwendung in
Deutschland finden.
Insofern muss die Erkenntnis, dass über Ramstein die
Funksignale an die Drohnen übermittelt werden, für die
Bundesregierung ein Grund sein, das völkerrechtlich
intensivst zu prüfen und daraus Schlüsse zu ziehen. Ich
erinnere hier an eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln, das, weil ihm ein Nachweis auf der Tatsachenebene nicht möglich war, die Klage von Jemeniten,
die hier geklagt hatten, abgewiesen hat. Aber das, was
Sie hier sagen, ändert natürlich schon die Tatsachengrundlage.
Daher meine Frage: Welche völkerrechtliche Prüfung
plant die Bundesregierung zu diesem Thema? Oder wollen Sie sich ausschließlich auf das verlassen, was die
US-Regierung Ihnen mitteilt?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Movassat, wir
verlassen uns ja nicht alleine auf die Aussagen, sondern
wir bleiben mit den Vereinigten Staaten im regelmäßigen
Gespräch. Wir bleiben da am Ball, um die notwendigen
Informationen zu erhalten.
Ich habe aber schon deutlich gemacht, dass die Bewertung von Einsätzen unbemannter Luftfahrzeuge aus
Sicht der Bundesregierung immer von den Umständen
des Einzelfalls abhängig ist. Wir können deshalb keine
pauschalen Äußerungen und Bewertungen darüber treffen.
Herr Ströbele.
Herr Staatsminister, es ist doch immer wieder wichtig,
dass man in die Fragestunde kommt; Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Stimmt.
- denn da bekommt man tatsächlich auch mal neue
Informationen. - Ich gehe davon aus, dass dem Außenministerium und auch Ihnen bekannt ist, dass ein ausgewachsener Untersuchungsausschuss des Deutschen
Bundestages sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt,
insbesondere mit dem, was über Ramstein geschieht.
Jetzt meine konkrete Frage: Ist der Bundesregierung
bzw. dem Außenministerium bekannt, dass im Untersuchungsausschuss ein Zeuge aus den USA, Brandon
Bryant, ausgesagt hat, dass er selber ein solcher Drohnenpilot gewesen ist, der die Drohnen von den USA in
Ziele etwa in Somalia gelenkt hat, dass die Befehle, die
er dazu bekommen hat, und die Leitungen immer über
Ramstein gelaufen sind, dass er weit über 1 000 solcher
Einsätze - also von den USA aus gelenkt - geflogen hat,
dass dabei viele Menschen umgekommen sind und dass
er für diese Tätigkeit sogar einen Orden in den USA bekommen hat? Ist das nicht Anlass genug für die Bundesregierung, der Frage nachzugehen, ob die Einsätze, die
über Ramstein laufen, nicht tatsächlich auch gegen deutsches Recht verstoßen - die einzelnen Einsätze?
Frau Präsidentin! Herr Ströbele, auch ich freue mich
immer sehr, wenn Sie hier sind; das ist für mich gewinnbringend, sehr häufig zumindest.
Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir uns
nicht einfach nur auf irgendwelche Informationen verlassen, sondern Ansprechpartner für uns ist die Regierung
der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Aussagen sind
für uns die Informationen, die ich an Sie und an Kolleginnen und Kollegen des Bundestages weiterleite. Das
habe ich heute getan. Das haben die Kolleginnen und
Kollegen bereits im Sommer getan, unmittelbar nach
den neuen Erkenntnissen, die uns seitens der Vereinigten
Staaten übermittelt worden sind.
Ich will noch hinzufügen, dass die Vereinigten Staaten
für die Drohneneinsätze konkrete, am Völkerrecht orientierte Regeln entwickelt haben, die kürzlich öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Im Juli und August dieses
Jahres wurden neue und bestehende US-Richtlinien zu
Einsätzen unbemannter Luftfahrzeuge veröffentlicht. Ich
sage das noch einmal, weil selbstverständlich auch für
uns das Völkerrecht strikt gilt. Die Vereinigten Staaten
haben uns gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass diese
Maßstäbe selbstverständlich auch für sie gelten.
Dr. Neu.
Vor gut einem Jahr waren Kollege Ströbele und ich
unter anderem in Ramstein. Wir haben den dortigen
Kommandanten gefragt, ob es irgendeine Verbindung
zwischen Ramstein und den Drohneneinsätzen gibt. Das
hat er aufgrund der militärischen Signalerfassung ausgeschlossen. Das heißt, der dortige Kommandant hat uns,
Kollegen Ströbele und mich, offensichtlich belogen. So
ist der Stand, den Sie uns gerade mitgeteilt haben, dass
durchaus die Relaisstation Ramstein eine wesentliche
Rolle spielt. Wir halten fest: Der US-amerikanische
Kommandant in Ramstein hat die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages im Oktober 2015 bezüglich der
Frage, inwiefern Ramstein eine Rolle im Drohnenkrieg
spielt, belogen.
Nun zu meiner Frage: Der Bundesgerichtshof in
Leipzig hat infolge des Irakkrieges 2003 das Urteil gefällt, dass auch die Zurverfügungstellung des eigenen
Territoriums - in diesem Fall Deutschland -, sei es der
Luftraum, sei es der Boden, für Dritte - in diesem Fall die
USA - für völkerrechtswidrige Kriege eine Beteiligung
an einem völkerrechtswidrigen Einsatz darstellt. Meine
Frage ist: Wie bewerten Sie dieses Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2003 vor dem Hintergrund Ihrer
Interpretation?
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Neu, ich kann mich
nur noch einmal wiederholen: Es gilt nach wie vor die
strikte Zusicherung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, dass in Deutschland geltendes Recht
eingehalten wird.
({0})
Darüber hinaus kann ich zu Ihrer Spekulation, dass jemand die Unwahrheit gesagt hat, nichts sagen, weil ich
die Aussagen des Repräsentanten der US-Armee, den Sie
und Herr Ströbele getroffen haben, nicht kenne.
Damit ist der Geschäftsbereich beendet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Beantwortung übernimmt
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schröder.
Ich rufe Frage 17 des Abgeordneten Andrej Hunko
auf:
Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob die
EU-Polizeiausbildungsmission EUBAM Libyen, an der auch
die deutsche Bundespolizei beteiligt ist, die libysche Einheitsregierung dazu berät, wohin Geflüchtete zu verbringen wären, wenn die libysche Küstenwache ({0}) Geflüchtete in Hoheitsgewässern aufgreift, und was kann die Bundesregierung
zu Plänen oder Maßnahmen mitteilen, die Voraussetzungen für
den Übergang von EUNAVFOR MED zur „Phase 3“ zu schaffen, was laut der taz.die tageszeitung vom 24. November 2016
unter anderem bedeutet, dass Libyen Migranten nach internationalen Standards aufnehmen können muss, wozu die Zeitung
schreibt, es gebe unter den 24 libyschen Internierungslagern
auch solche, die der Regierung unterstehen?
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Hunko, ich beantworte
Ihre Frage wie folgt: Nach Kenntnis der Bundesregierung
gibt es keine Beratung libyscher Behörden durch die zivile Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik,
Mission EUBAM, European Union Border Assistance
Mission Libyen, zur Verbringung von aufgegriffenen
Migranten. Eine solche Beratung ist auch nicht vorgesehen.
Die militärische GSVP-Mission EUNAVFOR MED
Operation Sophia befindet sich derzeit in der gemäß
Ratsbeschluss vom 18. Mai 2015 vorgesehenen Phase 2i.
Das umfasst das An-Bord-Gehen, Durchsuchen, Beschlagnahmen und Umleiten von Schleuserschiffen.
Am 23. Mai 2016 wurde das Mandat der Operation
um die zusätzlichen Aufgaben „Unterstützung der libyschen Küstenwache und Marine durch Ausbildung und
Kapazitätsaufbau“ sowie „Maßnahmen auf Hoher See
zur Durchsetzung des Waffenembargos von und nach Libyen“ erweitert. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis von Plänen oder Maßnahmen zur Vorbereitung eines
Übergangs in Phase 3 der Operation.
Herr Hunko.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Schröder,
welche der nach meiner Kenntnis 18 libyschen Gefängnisse oder sonstigen geschlossenen Verwahranstalten,
in denen Migranten festgehalten werden, unterstehen
jetzt der libyschen Einheitsregierung, und welche dieser
Anstalten werden von den Milizen geführt, die sich nur
manchmal der Einheitsregierung gegenüber loyal erklären?
In einer früheren Antwort hatten Sie mir bestätigt,
dass Migranten in libyschen Gefängnissen misshandelt
und gefoltert werden. Ich gehe auch davon aus, dass
sich das nicht geändert hat; Berichte von Human Rights
Watch und Amnesty International bestätigen das. Haben
Sie einen Überblick über die 18 Gefängnisse, in denen
Migranten festgehalten werden?
Herr Staatssekretär.
Darüber haben wir keinen Überblick. Diese Polizeimission befindet sich zurzeit auch nicht in Libyen, sondern außerhalb Libyens, und ist, nur wenn es die Sicherheitslage zulässt, tageweise in Libyen.
Herr Hunko.
Vielen Dank. - Eine Studie des Overseas Development
Institute vom September dieses Jahres zählt mindestens
3 500 afrikanische Migranten, die in überfüllten libyschen Gefängnissen interniert sind. Über welche Zahlen
verfügt die Bundesregierung? Trifft es zu, dass die Gefangenen weder Zugang zu einem ordentlichen Verfahren
haben noch von ihren Familien besucht werden können,
und wie wollen Sie einwirken, um das zu ändern?
Herr Staatssekretär.
Hierzu besitzt die Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse.
({0})
Die Fragen 18 und 19 der Abgeordneten Ulla Jelpke
werden schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich jetzt die Frage 20 des Abgeordneten
Beck auf:
Wie viele homo- bzw. transphob motivierte Straf- und
Gewalttaten ({0}) wurden nach Kenntnis
der Bundesregierung im ersten Halbjahr bzw. den ersten drei
Quartalen 2016 im Vergleich zum Vorjahr erfasst, und welche
Aussagen lassen sich über die Tatverdächtigen treffen ({1})?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Für
das Jahr 2016 wurden bis Ende September 205 politisch
motivierte Straftaten mit der Nennung des Unterthemas
sexuelle Orientierung gemeldet. Zu diesen 205 politisch motivierten Straftaten konnten 99 Tatverdächtige
ermittelt werden. Im vergangenen Jahr, 2015, waren es
bis Ende September 171 entsprechende Straftaten und
86 Tatverdächtige.
In dieser Kategorie werden nicht nur homo- und transphobe Straftaten erfasst, sondern alle gegen Lesben,
Schwule, Trans- und Intersexuelle motivierten Straftaten. Zu beachten ist außerdem, dass es sich um vorläufige Fallzahlen handelt, die sich bis zum Meldeschluss am
31. Januar 2017 noch verändern können, weil es sich hier
um eine Verlaufsstatistik handelt.
Herr Beck.
Der Anstieg, den Sie aber vermelden können, deckt
sich mit Beobachtungen der Polizei in Berlin, die von einem noch dramatischeren Anstieg in diesem Jahr ausgeht.
Danach sind im ersten Dreivierteljahr so viele homo- und
transphobe Straftaten begangen worden wie im ganzen
letzten Jahr. Das wäre ein Anstieg um über 30 Prozent.
Ich wollte Sie fragen, wie die Bundesregierung auf diese
dramatische Erhöhung der Zahl der Straftaten in diesem
Bereich reagiert und wie sie sich diese Erhöhung erklärt.
Herr Staatssekretär.
Wir haben es mit einer Erhöhung zu tun. Soweit wir
es beurteilen, sind es aber Schwankungen, die sich im
Rahmen der letzten Jahre abgespielt haben. Aber natürlich müssen wir da sehr wachsam sein und insbesondere
auch berücksichtigen, dass nicht alle Straftaten gemeldet
werden.
Herr Beck.
Sie haben ja aufgeführt, dass laut Statistik 99 Tatverdächtige ermittelt wurden. Mich interessiert auch, inwiefern man diese Täter - ich glaube, das hatte ich in der
Ausgangsfrage eigentlich auch gefragt - den verschiedenen Kategorien der politisch motivierten Kriminalität „links“, „rechts“, „Ausländerkriminalität“ und „sonstige“ - zuordnen kann.
Herr Staatssekretär.
Das wird aufgeführt. Ich würde Ihnen die Zahlen gerne schriftlich zur Verfügung stellen, wenn es Ihnen recht
ist.
({0})
Damit rufe ich jetzt die Frage 21 ebenfalls des Abgeordneten Beck auf:
Wie viele islamfeindliche Gewalt- und Straftaten wurden
nach Kenntnis der Bundesregierung seit Jahresbeginn 2016
erfasst, und wie viele Menschen waren von diesen Taten betroffen?
Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
Bislang werden im Rahmen des Kriminalpolizeilichen
Meldedienstes politisch motivierte Kriminalität und islamfeindliche Straftaten als Teilmenge der Hasskriminalität erfasst. Diese Straftaten sind aber nicht gesondert
bezifferbar.
Ab dem 1. Januar 2017 werden wir islamfeindliche
Straftaten als eigenständige Kategorie in der Statistik
erfassen. Das hat die Innenministerkonferenz auf ihrer
Frühjahrssitzung beschlossen. Im kommenden Jahr werden wir dann einen noch genaueren Überblick über die
Lage haben. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund
der Flüchtlingsdebatte und der anstehenden Bundestagswahl sehr zu begrüßen.
Herr Beck.
Das heißt, Ihnen liegen keine Erkenntnisse vor über
das Ausmaß von islamfeindlichen Straftaten sowohl gegen Personen als auch gegen Einrichtungen. Denn der
Eindruck, der uns insbesondere von den islamischen Verbänden vermittelt wird, ist, dass in letzter Zeit zumindest
die Zahl der Anschläge auf Moscheen und Einrichtungen - Schmierereien, Hassparolen und dergleichen - zugenommen hat. Man hätte natürlich gerne ein valides
Gesamtbild.
Herr Staatssekretär.
Wie gesagt: Islamfeindliche Straftaten werden ab dem
1. Januar 2017 als eigenständige Kategorie erfasst. Erst
dann können wir die entsprechenden Zahlen liefern.
Es gibt Zahlen über das Angriffsziel Moschee. Bis
Ende September 2016 wurden dem Bundeskriminalamt
insgesamt 65 Straftaten gemeldet, davon 4 Gewaltdelikte, 2 Brandstiftungen, 1 Sprengstoffdelikt und 1 Körperverletzung, bei der eine Person verletzt wurde. Im
Jahr 2015 gab es bis Ende September erst 50 Straftaten,
eine dieser Straftaten war ein Gewaltdelikt. Glücklicherweise kam bei dem Gewaltdelikt im Jahr 2015 keine Person zu Schaden.
Herr Beck.
Die Tendenz bei beiden Fragen - vorhin Homo- und
Transphobie und jetzt Islamfeindlichkeit - scheint darauf
hinzudeuten, dass Straftaten, die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motiviert sind, zunehmen.
Das entspricht auch den Ergebnissen der Untersuchungen der Universität Leipzig bezüglich autoritärer und
rechtsextremer Einstellungen in Deutschland - Stichwort
„Mitte“-Studie - und dergleichen mehr. Welche Konsequenzen will die Bundesregierung ziehen, um dieser Entwicklung sowohl hinsichtlich der Einstellungen als auch
hinsichtlich der Taten, die aus den Einstellungen folgen,
präventiv entgegenzusteuern?
Herr Staatssekretär.
Es gibt einen entsprechenden Aktionsplan der Bundesregierung, der Anfang 2017 verabschiedet werden soll.
Ich habe noch die Zahlen der homo- bzw. transphob
motivierten Straftaten gefunden, nach denen Sie eben gefragt haben. Sie fragten auch, durch wen Straftaten begangen wurden. Mir liegen die Zahlen für das Jahr 2015 vor:
aus dem Bereich „links“: 3, aus dem Bereich „rechts“:
98, aus dem Bereich „Ausländer“: 22, „sonstige“: 99. Ich
kann die Zahlen aber gerne auch noch schriftlich nachreichen.
({0})
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Christian Ströbele auf:
Haben Nachrichtendienste des Bundes seit 1985 entgegen
den Vorgaben auch des Deutschen Bundestages ({0}) ihre Ausgaben teils aus anderen als Bundessteuermitteln bestritten, etwa
durch ergänzende Zuwendungen privater Dritter oder aus
sogenannten Briefkastenfirmen ({1}), und
wie lauten - bejahendenfalls - die Einzelheiten ({2})?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestreitet seine
Ausgaben vollständig aus dem Bundeshaushalt. Die Ausgaben des BfV werden gemäß § 10a Absatz 3 der Bundeshaushaltsordnung jährlich vom Bundesrechnungshof
geprüft. Der Bundesrechnungshof unterrichtet das Vertrauensgremium und das Parlamentarische Kontrollgremium über das Ergebnis der Prüfung. Ein Verstoß gegen
den Haushaltsgrundsatz der Vollständigkeit wurde für
das BfV dabei nicht festgestellt.
Zum Militärischen Abschirmdienst. Er bestreitet seine
Ausgaben ebenfalls ausschließlich aus Haushaltsmitteln
des Bundes. Seine Ausgaben sind im Einzelplan 14 des
Bundeshaushalts entsprechend veranschlagt.
Der Bundesnachrichtendienst hat seit 1985 ebenfalls
keine Ausgaben entgegen der zitierten Drucksache des
Bundestages bestritten.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es uns angesichts
des sehr langen Zeitraums, der hier abgefragt wird, nämlich seit 1985, nicht möglich war, eine intensivere Suche
über die 30 Jahre zurückliegenden Sachverhalte durchzuführen. Dazu hat die Zeit einfach nicht ausgereicht.
Herr Ströbele.
Herr Staatssekretär, das, was Sie mir jetzt gesagt haben, war mir schon bekannt. - Mich wundert übrigens,
dass Sie die Frage beantworten. Soweit ich informiert
bin, liegt die Koordination der Nachrichtendienste in den
Händen des Bundeskanzleramtes und nicht in den Händen des Innenministeriums; aber wenn Sie sich kundig
gemacht haben, nehme ich das zur Kenntnis. - Eines ist
mir nicht bekannt, und deshalb frage ich ganz konkret
nach - ich weiß nicht, ob Sie die Frage beantworten
können, auch für den Bundesnachrichtendienst -: Hatte
ein Nachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland
in dieser Zeit jemals Firmen - danach habe ich ja auch
gefragt - selber oder über Vertrauenspersonen, Mittelspersonen, wie auch immer, gegründet, die finanzielle Geschäfte getätigt haben?
Herr Staatssekretär.
Jedenfalls hat sich der Bundesnachrichtendienst nach
1985 so verhalten, wie es in der entsprechenden Drucksache von ihm verlangt wurde.
Na, das beantwortet meine Frage natürlich wieder
nicht. - Meine letzte Frage, ganz konkret - unter anderem darauf zielt die ganze Frage -: Hat der Bundesnachrichtendienst oder der Verfassungsschutz - der Bundesnachrichtendienst liegt da wesentlich näher - jemals von
dem Mitarbeiter Herr Mauss, der mit Klarnamen Mauss
heißt, aber mit den verschiedensten Namen unterwegs
gewesen ist, gegen den derzeit ein Strafprozess wegen
solcher finanzieller - möglicherweise - Manipulationen,
direkt oder indirekt über seine Anwälte Geld bezogen?
Herr Staatssekretär.
Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben.
({0})
Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Wenn das Bundesinnenministerium dazu aus Zuständigkeitsgründen keine Aussage treffen kann, würde ich
das Bundeskanzleramt bitten, zu antworten.
({0})
Es geht ja nicht um die Zuständigkeit. Gefragt wurde
ja in der ursprünglichen Frage nach dem Zeitraum nach
1985. Ob irgendwann vor 1985 so etwas stattgefunden
hat - der Kollege Ströbele hat ja gefragt, ob „jemals“ so
etwas stattgefunden hat -, darüber habe ich einfach keine
Kenntnisse.
Ich würde jetzt trotzdem den Staatsminister fragen, ob
er die Frage der Kollegin Lemke beantworten kann.
Frau Präsidentin! Ich kann den Aussagen des Kollegen Schröder nichts hinzufügen.
({0})
Sie können keine zweite Frage stellen. Sorry. - Herr
Kollege Beck.
Ich wollte die Bundesregierung fragen, ab welchem
Zeitraum sie garantieren kann, dass diese Praxis, die vom
Kollegen Ströbele abgefragt wurde, definitiv nicht mehr
stattgefunden hat oder nicht stattgefunden hat.
Herr Staatssekretär.
In dem Zeitraum, der von ihm in der ursprünglichen
Frage abgefragt wird, nämlich seit 1985.
({0})
- Herr Ströbele hat ja gefragt, ob „jemals“ so etwas
stattgefunden hat. Da kann ich nur wiederholen, dass
der Bundesnachrichtendienst seit 1985 keine Ausgaben
entgegen den Angaben in der zitierten Drucksache des
Bundestages bestritten hat.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie
wirklich bitten. Wir haben hier eine Fragestunde. Sie
müssen Ihre Fragen schon präzise stellen.
({0})
- Das haben Sie ja auch gemacht.
({1})
- Das hat er auch getan, soweit ich ihn verstanden habe,
Herr Beck.
({2})
- Ich bin immer daran interessiert, dass die Kollegen eine
Antwort erhalten. - Herr Schröder.
Ich habe für die anderen Dienste bereits geantwortet.
Daraus ergibt sich, dass auch für die anderen Dienste für
den Zeitraum nach 1985 solche Ausgaben nicht getätigt
wurden. Das können Sie im Protokoll noch einmal nachlesen.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Justiz und für Verbraucherschutz. Die Frage 23 des Abgeordneten Özcan Mutlu wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Finanzen. Die Frage 24 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele sowie die Fragen 25
und 26 der Abgeordneten Sabine Zimmermann werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 27 der
Abgeordneten Brigitte Pothmer sowie die Fragen 28 und
29 der Abgeordneten Katrin Werner werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Ich rufe die Frage 30 des
Abgeordneten Dr. Alexander Neu auf:
Welche Erkenntnisse besitzen die Bundesregierung und
nachgeordnete Behörden/Stellen über die Anwesenheit von
Angehörigen der Bundeswehr und deutscher Nachrichtendienste auf syrischem Staatsgebiet ({0}) zu welchen Zeitpunkten seit Juli 2015?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Neu, ich antworte Ihnen wie folgt: Seit
Juli 2015 befanden und befinden sich keine Angehörigen
der Bundeswehr in staatlicher Funktion oder im Auftrag
einer internationalen Organisation auf syrischem Staatsgebiet. Über die Anwesenheit von Angehörigen deutscher
Nachrichtendienste kann aus Gründen des Staatswohls
nicht offen informiert werden. Arbeitsmethoden und
Vorgehensweisen der Nachrichtendienste des Bundes
sind im Hinblick auf die künftige Erfüllung des gesetzlichen Auftrags aus § 1 Absatz 2 des Gesetzes über den
Bundesnachrichtendienst besonders schutzwürdig. Diesbezüglich wird auf die Bundestagsdrucksache 18/9876
verwiesen, in der eine Teilantwort der Bundesregierung
als Verschlusssache gemäß § 3 Nummer 2 Verschlusssachenanweisung mit dem Geheimhaltungsgrad Geheim
eingestuft und zur Einsichtnahme bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegt ist.
Herr Neu.
Sehr verehrter Herr Staatssekretär Brauksiepe, ich
möchte die Frage ergänzen: Liegen der Bundesregierung
oder nachgeordneten Instanzen Erkenntnisse vor, dass
deutsche Staatsbürger im Dienst von Söldnerfirmen, von
Sicherheitsfirmen, seien es deutsche, seien es ausländische Sicherheitsfirmen, auf syrischem Territorium tätig
sind?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Neu, Sie haben die Frage gestellt in
Bezug auf Angehörige der Bundeswehr und deutscher
Nachrichtendienste.
({0})
Diese Frage habe ich Ihnen beantwortet. Darüber hinaus
habe ich zu der von Ihnen jetzt aufgeworfenen Zusatzfrage keine Erkenntnisse.
({1})
Herr Neu, noch eine weitere Frage?
Wir werden die Frage nachreichen.
Die Frage 31 der Abgeordneten Heike Hänsel wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die
Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Stephan Kühn, die
Frage 34 des Abgeordneten Oliver Krischer, die Fragen 35 und 36 der Abgeordneten Katrin Kunert sowie die
Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Achim Post werden
schriftlich beantwortet.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich unterbreche die Sitzung. Wir setzen die Sitzung
um 15.35 Uhr fort mit der Aktuellen Stunde zur aktuellen
Lage in Aleppo und Syrien.
({0})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere
unterbrochene Sitzung fort. Ich rufe den Zusatzpunkt 1
auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Aktuelle Lage in Aleppo und Syrien
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Lassen Sie mich eingangs ein Wort
direkt an das syrische Volk richten: Ajjuha al-Schaab
al-Suri, nahnu nufakkiru bi-kum. - Verehrtes syrisches
Volk, wir denken an euch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir können in dieser Woche nicht hier im Parlament sitzen, ohne über Aleppo zu sprechen. 250 000 Menschen
leben derzeit in der belagerten Stadt - so viele wie in Kiel
oder Erfurt. Sie werden täglich von Flugzeugen des syrischen Regimes und von Russland bombardiert. Ein normales Leben hat es seit 2012 nicht mehr gegeben. Vier
Jahre Krieg. Jeden Tag. Die Bewohner Aleppos haben
kaum noch Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser
und keine funktionierenden Krankenhäuser mehr. Krankenhäuser wurden bombardiert.
Allein in den letzten sechs Monaten hat sich die Zahl
der belagerten Menschen in Syrien auf über eine Million verdoppelt. Das alles ist schlimm genug, aber das ist
nicht alles. Dazu kommen bunkerbrechende Bomben,
Fassbomben, Angriffe mit Giftgas, wie erst diese Woche
in Aleppo. Das alles sind Kriegsverbrechen, und wir sollten sie auch so nennen.
({0})
Jeden Tag bergen die Weißhelme und die verbliebenen Zivilisten tote und verletzte Menschen, tote und verletzte Kinder aus den zerbombten Häusern. Das passiert
in Aleppo. Aber genauso können wir auch über Madaja,
Duma, Sabadani oder Jarmuk reden. In all diesen Städten
gibt es weiterhin Menschen, die leben wollen, die jedes
Recht auf Leben haben, Menschen, die unsere Nachbarn
und Freunde sein könnten, Menschen, die mit der halben
Million Syrerinnen und Syrer in unserem Land verwandt
oder befreundet sind. Auch an die denke ich, wenn ich
jeden Tag die furchtbaren Nachrichten sehe.
Was dieser Tage in Aleppo, in Syrien passiert, wird
sich historisch in eine Reihe finden mit Ruanda, Grosny
und Srebrenica. Wie damals gibt es bei den meisten von
uns ein Gefühl der Ohnmacht. Wie damals sind wir der
Schutzverantwortung nicht gerecht geworden. Und gerade darum will ich die Regierung fragen, will ich aber
auch uns alle fragen: Tun Sie, tun wir wirklich genug
für den Frieden? Tun Sie, tun wir wirklich genug, um
wenigstens ein bisschen mehr Humanität nach Syrien zu
bringen? Tun Sie, tun wir wirklich genug, um die, die den
Horror verantworten, nicht straffrei aus diesem Krieg gehen zu lassen? - Das klingt nach drei einfachen Fragen.
Aber ich frage Sie und auch uns noch einmal: Tun wir
wirklich genug? Ich denke, man kann nie genug tun.
Eine Syrerin hat am Montagabend auf einer Veranstaltung zur Ehrung der Weißhelme hier in Berlin gesagt: Ich
weiß auch nicht genau, was man tun kann. Aber wenn
ich nichts tun kann, dann kann ich wenigstens Lärm machen. - Insofern ist es das Mindeste, was wir tun können,
in dieser Woche hier und weiter und immer weiter über
Syrien zu reden, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns
nicht wegzuducken, sondern weiter nachzudenken.
({1})
Ich bin auch der Meinung, dass wir und Sie von der
Bundesregierung mehr tun können und müssen.
Erstens. Wie steht es um die humanitäre Versorgung
der Menschen in Syrien? Können wir nicht doch mehr
tun, um die Versorgung vom Boden oder aus der Luft
zu gewährleisten? Meine Damen und Herren, doch, ich
denke, wir können!
({2})
Und liebe Koalitionsfraktionen, können Sie nicht noch
einmal überlegen, ob es wirklich angemessen ist, den
Familiennachzug weiter auszusetzen? Heute sind 70 000
weitere Menschen auf der Flucht in Aleppo. Ich finde,
das ist ein Gebot der Humanität in diesen Tagen, an diesem Tag.
({3})
Zweitens. Wie sieht es aus mit den belagerten Städten,
wenn sie aufgeben müssen? Übernehmen Assad, Russland und Iran anders als bei Daraja die Verantwortung für
die Sicherheit der Zivilbevölkerung? Stellen sie sicher,
dass es nicht zu ethnischen Säuberungen kommt? Gibt es
ausreichend Druck auf sie? Drei Fragezeichen!
Drittens. Wie aktiv redet die Bundesregierung mit den
Akteuren im Konflikt? Gibt es genug Druck? Gibt es Gespräche mit der iranischen Regierung, mit der saudi-arabischen, mit der katarischen? Ich weiß, es ist kompliziert,
Druck auszuüben und etwas zu erreichen, aber ich weiß
auch: Wir dürfen nicht nachlassen, und Sie dürfen nicht
nachlassen, meine Damen und Herren.
({4})
Und Russland? Staffan de Mistura hat uns letzte Woche berichtet, dass aus seiner Sicht derzeit in Moskau der
Schlüssel zum Frieden liegt. Das Bomben muss aufhören.
Der Schutz der Zivilbevölkerung muss endlich garantiert
werden. Das zerstörte Land muss auch wiederaufgebaut
werden. Putin muss Verantwortung übernehmen, und daraus dürfen wir ihn nicht entlassen, meine Damen und
Herren.
({5})
Wir dürfen die Menschen in Syrien nicht vergessen.
Es sind unsere Nachbarn. Es geht darum, ob es Ost-Aleppo in ein paar Wochen, in ein paar Tagen überhaupt noch
geben wird. Es geht um unsere Verantwortung. Zuschauen ist keine Option, und Zurückhaltung ist keine Möglichkeit. Es ist an uns, wenigstens laut zu sein und jeden
Tag - jeden Tag! - neu zu überlegen: Tun Sie als Regierung genug? Tun wir alle wirklich genug?
Nahnu nufakkiru bi-kum. - Wir denken an euch.
Vielen Dank.
({6})
Als nächster Redner hat Dr. Norbert Röttgen für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin, Kollegin Göring-Eckardt, hat,
so gut es geht, den Horror in Aleppo in Worte gefasst.
Ich glaube, nachempfinden kann man es nicht, wenn man
die Hölle dort nicht selbst erlebt hat. Es sind auch die
Verantwortlichen genannt worden: das Assad-Regime,
Russland - eine aktive Kriegspartei -, Iran, das schiitische Milizen finanziert und steuert, und auch dschihadistische Terroristen.
Aus dem ganzen Komplex, den man hier benennen
müsste, möchte ich einen Aspekt herausgreifen. Ich
möchte über uns reden - mit „uns“ meine ich Deutschland, Europa, die USA, den Westen.
Nach meiner Einschätzung steht Aleppo für das größte Desaster westlicher Außenpolitik in den letzten Jahrzehnten. Eine Erscheinungsform des Desasters ist unsere
Ohnmacht angesichts des Leids, der Hunderttausenden
von Toten, der brutalen Gewalt, des Kriegsverbrechens
als Alltag. Ich möchte mich mit dieser Ohnmacht beschäftigen: Was sind die Einflüsse, auf die wir nicht
einwirken können? Sind wir wirklich ohnmächtig, oder
könnten wir etwas tun?
Das Erste, was ich sagen möchte, ist: Die Ohnmacht
zu überwinden, beginnt damit, dass wir die Realität unserer Einflusslosigkeit aussprechen, statt uns immer wieder
in eine ritualisierte Appell- und Betroffenheitsrhetorik zu
flüchten, die so tut, als würden wir Politik machen, die
aber eigentlich nur der Schein von Politik ist.
Wer einen Zweifel an europäischer Einflusslosigkeit
hat, der kann nach Lausanne gucken, wo Staaten zusammensitzen, um zu verhandeln, um eine politische Lösung
zu erreichen. An diesem Verhandlungstisch sitzt die Türkei, und an diesem Verhandlungstisch sitzt aus guten
Gründen auch Katar, ein Land mit 300 000 Einwohnern.
Von den 28 Mitgliedsländern der Europäischen Union
sitzt kein einziges an diesem Tisch, auch die Europäische
Union selbst nicht. Wir sind die Nachbarregion, die wie
keine zweite Weltregion von diesem Elend betroffen ist.
Es ist unsere Nachbarregion, aber wir als Europäer sitzen
noch nicht einmal am Tisch.
Wie ist es zu dieser Ohnmacht gekommen? Das ist
sehr komplex. Dazu gibt es eine lange Vorgeschichte; die
kann man im Rahmen dieser Aktuellen Stunde nicht aufarbeiten. Darum möchte ich nur den Zeitpunkt benennen,
ab dem die Katastrophe definitiv ihren Lauf nahm. Das
war, als endgültig klar war, dass es keinen militärischen
Schutz durch die USA geben würde - kein anderes Land
wäre dafür infrage gekommen -, weder in der Luft noch
am Boden. Es war klar: Es gibt keine Flugverbotszone, es
gibt keine militärisch geschützte humanitäre Schutzzone
am Boden. Damit war der Weg frei für den russischen
Militäreinsatz, den wir nun seit Monaten sehen und auch
noch für Wochen und vielleicht Monate sehen werden.
Hier ist erneut nicht der Zeitpunkt bzw. die Gelegenheit,
über das Für und Wider dieser Maßnahmen zu sprechen.
Ich möchte nur sagen: Man kann durch Tun schuldig
werden, aber Nichttun schützt nicht davor, schuldig zu
werden.
Wir sagen oft: Es gibt keine militärischen Lösungen. Der Satz ist richtig. Aber Präsident Putin denkt und handelt genau gegenteilig. Für ihn ist die militärische Lösung die Voraussetzung, der Boden für nachfolgende
Diplomatie und Politik. Das müssen wir sehen. Eine
Außenpolitik, die immer nur die eigene Logik vorträgt,
aber die ganz gegenteilige Logik entscheidender Akteure
ignoriert, mag zwar heimischen Beifall finden, aber sie
erzeugt auch eigene politische Ohnmacht.
Aleppo ist kein Endpunkt. Das Leiden wird weitergehen. Aleppo wird fallen. Das Sterben, das Bombardement, der Terrorismus - es wird weitergehen, meine
Damen und Herren. Darum stellt sich auch die Frage:
Bleibt es bei unserer Ohnmacht? Sind wir zur Ohnmacht
verpflichtet, oder können wir etwas tun? Ich glaube, so
wenig wir tun können, es gibt etwas, was wir tun könnten, und ich möchte zwei Dinge benennen.
Der erste Punkt ist, dass wir wirtschaftliche Sanktionen als nichtmilitärisches Mittel gegenüber Kriegsverbrechen und Kriegsverbrechern anwenden. Wir, die Europäische Union und die USA, haben als Reaktion auf
die völkerrechtswidrige Annexion der Krim Wirtschaftssanktionen verhängt. Heute sind in Aleppo Kriegsverbrechen an der Tagesordnung. Wir müssen uns fragen, was
wir tun könnten. Diejenigen, die das kritisieren, frage ich
zurück: Was ist die Alternative? Wenn das Nichttun die
Alternative ist, dann müssen wir zu diesem nichtmilitärischen Entgegenstemmen gegen Kriegsverbrechen als
dem Instrument, das wir haben, greifen, meine Damen
und Herren, jedenfalls wenn es kein anderes und kein
besseres Instrument gibt. Es wäre der Ausdruck, dass wir
die Kriegsverbrechen, die unzweifelhaft da sind, nicht
hinnehmen, sondern dass wir uns denen entgegenstemmen und sie verurteilen.
({0})
Der zweite und letzte Punkt: Es handelt sich um
Kriegsverbrechen. Darum müssen wir bzw. die Vereinten
Nationen damit anfangen, die Kriegsverbrechen zu dokumentieren, damit wir schon heute den Tätern sagen: Ihr
werdet nicht davonkommen, sondern die internationale
Gemeinschaft dokumentiert und sammelt die Grundlagen und tatsächlichen Umstände eurer Verbrechen. Es
wird euch ein Gerichtsverfahren von der internationalen Gemeinschaft gemacht werden. - Auch das ist heute
schon möglich.
Wir dürfen nicht einfach nur willenlos, nur betroffen
sein, sondern die wenigen Möglichkeiten, die wir haben,
müssen wir wahrnehmen, meine Damen und Herren.
({1})
Darüber müssen wir zumindest debattieren. Darum ist es
gut, dass wir das hier tun.
Mein letzter Satz. Es ist richtig, zu sagen: Es gibt keine militärischen Lösungen. - Aber es reicht nicht, zu sagen: Es gibt keine militärischen Lösungen. - Wir müssen
etwas dagegen tun, dass andere militärische Lösungen
praktizieren.
Vielen Dank.
({2})
Als nächste Rednerin hat Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Göring-Eckardt, wir denken heute an die Menschen
in Syrien. Wir denken aber auch an die Menschen im Irak,
im umkämpften Mosul. Wir denken an die Menschen im
Jemen, im ausgehungerten Jemen, an die Menschen im
zerschlagenen Libyen, an die Menschen in den zerstörten
kurdischen Städten. Menschliches Leid ist unteilbar, und
Krieg ist immer ein Verbrechen.
({0})
Die Lage im Osten Aleppos ist dramatisch: zahlreiche Tote - wir kennen nicht die genaue Zahl - und über
30 000 Menschen, die vor den erneuten Kämpfen zwischen syrischen Regierungstruppen und den Milizen der
al-Qaida und der Ahrar al-Scham fliehen müssen. Genau
deswegen fordern wir einen sofortigen Waffenstillstand,
an den sich alle Seiten - ausnahmslos alle Seiten! - zu
halten haben. Dazu gibt es keine Alternative,
({1})
damit die Menschen in Aleppo endlich mit Lebensmitteln und Medikamenten unterstützt werden können und
damit es überhaupt wieder Raum für Gespräche gibt. Wir
begrüßen ausdrücklich alle Bemühungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, genau dies zu erreichen.
({2})
Eines kann ich Ihnen aber nicht ersparen: Die Empörung darüber, was in Aleppo passiert, und die Forderung
nach einem sofortigen Waffenstillstand wären glaubwürdiger, wenn die Bundesregierung und die Fraktionen der
Großen Koalition auch eine sofortige Waffenruhe gefordert hätten, als die Al-Qaida-Milizen vor wenigen Monaten in Syrien auf dem Vormarsch waren - denn auch das
war eine Katastrophe für die Menschen vor Ort -, wenn
Sie deutliche Kritik an der islamistischen Terrormiliz
Ahrar al-Scham geübt hätten, als sie sich geweigert hatte,
sich an einem Waffenstillstand zu beteiligen, oder wenn
Sie den Syrien-Beauftragten de Mistura unterstützt hätten, als er eindringlich an die Rebellentruppen in Aleppo
appelliert hat, unter UN-Begleitschutz aus den Stadtteilen abzuziehen.
({3})
All das wären humanitäre Lösungen für die Menschen
vor Ort gewesen.
({4})
Es ist auch widersprüchlich, dass Sie die Bombardierungen und Kämpfe in Ost-Aleppo verurteilen - was
zwingend ist -, aber dass das Bombardieren und Abriegeln der Millionenstadt Mosul vonseiten der US-geführten Allianz von Ihnen begrüßt und unterstützt wird.
Dabei werden auch zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, und auch die humanitäre Lage
der Menschen wird immer dramatischer. Die UN-Koordinatorin für den Irak, Lise Grande, warnt eindrücklich:
Wir stehen vor einer humanitären Katastrophe. Die gesamte Wasserversorgung ist zusammengebrochen, und
die Kämpfe können noch über Monate andauern.
Menschliches Leid ist unteilbar, und Krieg ist immer
ein Verbrechen und das Scheitern von Politik.
({5})
Deswegen fordern wir auch eine deutliche Wende in der
deutschen Syrien-Politik.
Es ist ein richtiger Schritt, endlich von einer verheerenden Regime-Change-Politik Abstand zu nehmen, die
wir in so vielen Ländern - in Syrien und anderswo - erleben und die nur dazu beigetragen hat, dass ganze Regionen in Schutt und Asche gelegt wurden.
Es ist richtig, dass das Grauen des Krieges beendet
werden soll, wie Herr Steinmeier sagt, und erneut Verhandlungen aufgenommen werden sollen. Das unterstützen wir ausdrücklich. Auch hier gilt es, viel mehr Menschen in einen neuen Anlauf einzubeziehen. Es gibt zum
Beispiel die zivile Friedensinitiative „Peace in Syria“,
die über breite Schichten der syrischen Zivilgesellschaft
hinweg eine föderale Verfassung erarbeitet hat. Solche
Initiativen müssen doch viel stärker unterstützt und als
Angebote in den Mittelpunkt gestellt werden.
Lassen Sie uns auch ein gemeinsames Zeichen für die
Verbesserung der Situation vor Ort setzen: Heben Sie
endlich die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien auf!
({6})
Sie treffen hauptsächlich die Bevölkerung in Syrien, und
sie sind fatal in ihren Auswirkungen. Es dient niemandem, wenn es in Syrien keine Medikamente und nicht
mehr das Nötigste zum Überleben gibt. All das bewirken
die Wirtschaftssanktionen. Und diese haben die islamistischen Terrormilizen noch gestärkt. Denn dadurch ist ein
Schwarzmarkt entstanden, von dem allein diese Gruppen
profitieren können.
Wir halten auch nichts von dem verbalen Säbelrasseln, Herr Röttgen, das Sie, Herr Kauder und andere des
rechten Flügels Ihrer Fraktion betreiben, indem Sie immer gegen Russland hetzen
({7})
und neue Sanktionen fordern. Aber zum Glück setzen
Sie sich damit in Ihrer Fraktion bisher nicht durch. Wir
brauchen nämlich nicht noch mehr Falken, sondern mehr
Friedenstauben in der deutschen Außenpolitik.
({8})
Wir fordern eine Waffenruhe für alle eingeschlossenen Gebiete in Syrien, auch für die von islamistischen
Milizen eingeschlossenen. Alle Waffen müssen schweigen. Darauf müssen unsere diplomatischen Bemühungen
gerichtet sein. Und, Herr Röttgen, Sie haben durchaus
Einfluss auf Ihre Partner, die Türkei und Saudi-Arabien,
({9})
die leider die islamistischen Milizen nach wie vor mit
Waffen und Geld logistisch unterstützen. Hier haben Sie
einen großen Einfluss. Nutzen Sie ihn!
({10})
Vielen Dank.
({11})
Als nächster Redner hat Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich muss ehrlich sagen: Ich hätte mir angesichts
der dramatischen Bilder aus Aleppo und Syrien eine andere Debatte hier gewünscht.
Auch der angemessene Ton täuscht am Ende diejenigen, die heute unserer Debatte lauschen, nicht darüber hinweg, dass all die Fragen, die Sie, Frau GöringEckardt, gestellt haben, hier von diesem Podium aus vom
Bundesaußenminister längst beantwortet worden sind. Es
ist schon fast eine Unterstellung, hier die Frage zu stellen: „Tun wir genug?“, weil man diese Frage natürlich
immer mit Nein beantworten kann, sie so wahrscheinlich
sogar beantworten muss, wenn man sich die Bilder anschaut. Aber Sie unterstellen hiermit doch indirekt, dass
wir uns nicht um Frieden in Syrien bemühten. Deshalb
will ich Ihrem Gedächtnis einmal ein bisschen auf die
Sprünge helfen. Ich muss das leider auch zu meinem
Kollegen Norbert Röttgen sagen, der, soweit ich weiß, ja
die Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses geleitet hat,
in denen systematisch und regelmäßig darüber berichtet
wurde, was wir gemacht haben. Ich will Sie deswegen
daran erinnern, was wir gemacht haben.
Es war Außenminister Steinmeier, der sich vom ersten Tag an, nachdem er in das Amt zurückgekehrt ist,
um das Dossier gekümmert hat, der sich darum bemüht
hat, ja darum gekämpft hat, dass die unterschiedlichen
ausländischen Mächte, die dort Einfluss nehmen, endlich
an einem Tisch Platz nehmen. Das haben wir am Ende
auch erreicht. Es sind Abgeordnete aus allen Fraktionen
dieses Hauses dabei gewesen: bei schwierigen Reisen in
den Iran, nach Saudi-Arabien, bei Gesprächen auf internationalen Konferenzen.
Nun kann man sich natürlich hinstellen - das würde
ich ja vielleicht auch tun - und sagen: Das war insgesamt
noch nicht genug. - Aber wir sind ein Teil der Weltgemeinschaft. Wir sind keine Militärmacht in der Region,
und wir wollen das auch nicht sein.
Dann habe ich auch die schöne Frage hier gehört:
Tun wir humanitär genug? Frau Göring-Eckardt, als Sie
die Frage gestellt haben, hätten Sie auch einmal darauf
hinweisen können, dass dieser Bundestag gerade einen
Haushalt beschlossen hat, der uns zur größten Gebernation für die Flüchtlinge in Syrien und in den syrischen
Nachbarländern macht.
({0})
Sie haben auch nicht darüber gesprochen, was wir alle in
unseren Gemeinden und Kommunen bei der Aufnahme
von Flüchtlingen leisten.
Ich glaube, dass diese Debatte, die wir mit einer Mischung aus Ohnmacht und Wut führen - einer Wut, die
wir alle empfinden -, nicht dazu führen darf, dass wir uns
hier auf ein hohes moralisches Podest stellen und uns gegenseitig Vorwürfe machen. Das hilft übrigens auch den
Menschen in Syrien nicht weiter. Ich will Sie stattdessen
noch einmal daran erinnern, dass wir viele der Punkte,
die hier indirekt in Vorwurfsform formuliert worden sind,
längst umsetzen:
Das Außenministerium unterstützt, seit Frank-Walter
Steinmeier wieder Außenminister ist, die juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, die in Syrien begangen
werden, Herr Kollege Röttgen. Wir finanzieren einen
Großteil der Arbeit der Commission for International
Justice and Accountability, die mit Kontaktleuten in der
Region, mit zivilen Organisationen, die unter unfassbaren Bedingungen noch immer in Syrien arbeiten können,
Kriegsverbrechen dokumentiert. Deswegen ist die Botschaft an Diktator Assad und seine russischen Verbündeten, aber auch - da muss ich Frau Hänsel zustimmen - an
einige der islamistischen Milizen, die dort Verbrechen
begehen, ganz eindeutig: Wir wollen alles dafür tun,
dass es ein politisches Arrangement gibt. - Wir haben
die Erfahrung im Bürgerkrieg in Jugoslawien gemacht,
dass beides möglich ist: ein politisches Arrangement und
trotzdem zu einem späteren Zeitpunkt die juristische Verfolgung von schweren und schwersten Straftaten. Das,
meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Politik
der Bundesregierung. Ich finde das richtig.
Da hier einige meiner Kollegen die Gespräche mit den
Weißhelmen erwähnt haben: Auch ich habe solche Gespräche gemeinsam mit der Kollegin Brantner geführt.
Seit Frank-Walter Steinmeier wieder Außenminister unseres Landes ist, unterstützt das Auswärtige Amt die Arbeit der Weißhelme mit relevanten finanziellen Mitteln.
Wir haben die Vertreter der Weißhelme hier gemeinsam
und hochrangig empfangen und zugesagt, wir werden
deren Arbeit weiter unterstützen. Hier duckt sich also
niemand weg.
Ich empfinde es auch als einen infamen Vorwurf, hier
indirekt zu suggerieren, es werde nicht über den Krieg in
Syrien gesprochen. Wir schweigen auch nicht über den
Krieg in Syrien. Aber über eines müssen wir uns, glaube
ich, im Klaren sein: Wenn wir uns als Abgeordnete des
Deutschen Bundestages hierhinstellen und unsere eigene
Ohnmacht zelebrieren und nicht über das reden, was wir
in unglaublich mühsamen, schwierigen Verhandlungen
an fragilen Netzwerken zur Lösung dieses Konfliktes
auf den Weg gebracht haben, dann dürfen wir uns auch
nicht wundern, wenn die Bürgerinnen und Bürger, die
möglicherweise dieser Debatte zuschauen, den Eindruck
haben: Da kann man eh nichts machen. - Ich bin nicht
dieser Meinung. Ich bin deswegen auch nicht der Meinung, dass es das richtige Signal ist, auf der einen Seite
zu sagen: „Wir brauchen eine politische Lösung“, und
mit dem nächsten Satz zu sagen: Wir müssen jetzt zusätzliche Sanktionen verhängen.
({1})
Ich möchte denjenigen sehen, der das Gespräch mit
der russischen Seite führt, wenn das die erste Botschaft
ist. Es ist ein Teil der Ehrlichkeit, die hier eingefordert
wird - auch mir gefällt das nicht -, ganz nüchtern darauf hinzuweisen, dass sich ohne Russland dieser Konflikt nicht wird lösen lassen. Deswegen müssen wir diesen Gesprächsdraht zwischen Frank-Walter Steinmeier
und Herrn Lawrow aufrechterhalten, ohne dabei über
die Verbrechen, für die Moskau mitverantwortlich ist, zu
schweigen, und das tun wir auch nicht.
({2})
Das Wort hat der Kollege Roderich Kiesewetter für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
schon wahr: Auch die heutige Debatte zeigt, dass Aleppo
unbarmherzig unsere Handlungsohnmacht offenbart. Das
einzig Erfreuliche an dieser Debatte ist, dass wir fraktionsübergreifend versuchen, Auswege aufzuzeigen.
Ja, wir hatten letzte Woche zwei bemerkenswerte Vertreter der Weißhelme, die in Ost-Aleppo gearbeitet haben
und jetzt in Aleppo arbeiten, zu Gast im Bundestag. Wir
haben mit ihnen gesprochen. Es war sehr bewegend, ihnen zuzuhören. Was mich am meisten bewegt hat, war
ihre Bereitschaft, ihre quasi zu spürende Eile, sofort wieder - letzte Woche Donnerstag war das - zurückzureisen,
nicht hier zu bleiben und die Ruhe des freien Westens
zu genießen, nicht Asyl zu beantragen, sondern vor Ort
zu helfen und uns aufzurütteln. Dieses Aufrütteln muss
auch dazu führen, dass wir deutlich stärker über unsere
werte- und interessengeleitete Außenpolitik nachdenken.
Ich will das an drei Beispielen deutlich machen.
Erstens. Humanitäre Hilfe, die wir leisten - der Kollege Annen hat es angesprochen, auch Kollege Röttgen -,
muss ankommen. Es ist natürlich schön, wenn wir hohe
Summen an Geldern zur Verfügung stellen, aber schlecht,
wenn wir diese nicht den Menschen vor Ort zugutekommen lassen können. Da gibt es natürlich Überlegungen,
die heikel sind. Aber wir dürfen hier keine Denkverbote
haben und müssen auch darüber nachdenken, ob es möglich ist - und wenn ja, in welcher Weise -, mittels Airdrops Hilfsgüter unmittelbar abzuwerfen. Ist es möglich,
Russland zu überzeugen, dass wir da wirken können?
Humanitäre Hilfe muss auch ankommen, und es darf uns
nicht beruhigen, dass wir Mittel dafür bereitstellen.
Zweitens. Haben wir die richtigen Prioritäten? Ist es
richtig, dass wir dem russischen Rational folgen und die
Macht von Assad zementieren? Führt das nicht geradezu
dazu, dass ein Großteil der syrischen Bevölkerung sich
mit den IS-Extremisten, mit Daesh, solidarisiert, weil
nun einmal Assad einen Großteil der eigenen Bevölkerung in die Flucht und ins Elend getrieben hat? Das ist
der entscheidende Punkt. Die Kollegen von der Linken,
insbesondere die Fraktionsvorsitzende, fordern öffentlich
auch noch einen Interessenausgleich mit Russland. Das
ist das Bittere. Diese Form von Machtpolitik stützen wir
nicht. Die Lage ist viel zu ernst, als dass wir das zementieren lassen dürfen.
({0})
Der dritte Punkt ist: Neben vielleicht einer Neuorientierung der Priorisierung, dass Assad ein Mann des Übergangs ist, der bald abgelöst werden muss, ist natürlich
eine bessere Koordinierung des Kampfes gegen den IS
nötig. Auch hier gibt es noch viel zu tun. Aber die Zementierung, die Russland gerade leistet, führt zu tschetschenischen Verhältnissen. Wir wollen keinen Frieden
von Grosny, weder in Damaskus noch in Aleppo. DageNiels Annen
gen müssen wir uns alle wehren, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({1})
Deshalb abschließend vielleicht einige Folgerungen unsere Kollegen haben es bereits angesprochen -: Das
Sterben wird weitergehen, die Flucht wird weitergehen.
Was bedeutet das für uns Europäer? Der erste Aspekt:
Wir sollten alle diplomatischen Anstrengungen darauf
richten, dass Iran und Saudi-Arabien weiter miteinander
verhandeln, dass das, was letztes Jahr unter unserem Außenminister in Genf erreicht wurde, endlich in die Praxis
umgesetzt wird. Damals ist es ihm und anderen gelungen, Saudi-Arabien und Iran an einen Tisch zu bringen.
Das muss so bleiben, und das muss verstärkt werden;
denn die beiden Staaten führen dort Stellvertreterkriege,
nicht nur im Jemen, nicht nur im Irak, sondern gerade in
Syrien.
Der zweite wichtige Aspekt: Wir haben nächste Woche den Europäischen Rat; der Bratislava-Prozess soll
fortgesetzt werden. Das bedeutet, dass wir Europäer uns
im europäischen Umfeld für Stabilität und für die Ertüchtigung auch ziviler Strukturen einsetzen: Bildung
und Ausbildung, Schulen, Rahmenbedingen für eine gute
Lebensführung, sauberes Wasser, bessere medizinische
Behandlung.
All dies müssen wir fortsetzen; da sind wir bis jetzt zu
schwach. Hier brauchen wir mehr europäische Beherztheit, und man kann nur hoffen, dass die Abstimmungen
am 4. Dezember in Österreich und in Italien im Sinne des
Zusammenhalts der Europäischen Union ausgehen. Hier
müssen wir ganz schnell handeln, wenn diese Abstimmungen erfolgt sind.
Noch ein anderer Gedanke: Wir Europäer brauchen
gute Partner in unserem Umfeld. Die Brexit-Verhandlungen sollten zu einem Drittstaatenabkommen führen,
das die Türkei auch an die Gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik der EU heranführt, vielleicht auch
die Maghreb-Staaten und andere. Wir müssen schauen,
dass wir Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in diesen
Drittstaatenabkommen durchsetzen.
Deshalb unterstütze und begrüße ich die vorhin angesprochene Initiative, die vorrangig von Kanada vorangetrieben wird, dass wir in der Generalversammlung
der Vereinten Nationen, die durch den Weltsicherheitsrat
gelähmt sind, dieses Amt eines Sonderbeauftragten beantragen, der die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, damit dies dazu führt, dass beim Internationalen
Strafgerichtshof dereinst die Verbrechen in Syrien wie
seinerzeit die Verbrechen in Srebrenica angesprochen
und gesühnt werden.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Bomben schaffen keinen Frieden, weder
russische Bomben noch US-amerikanische Bomben.
({0})
Und ebenso schafft - das muss man hier sagen - die Beihilfe der Bundeswehr zum Bombenkrieg in Syrien keinen Frieden.
({1})
Immer werden eben auch Zivilisten getroffen, und das
stärkt den Terror, weil es neuen Hass schürt, ob im syrischen Aleppo oder eben auch im irakischen Mosul. Deshalb treten wir Linke dafür ein, dass die Waffen in Syrien
sofort schweigen.
Ich muss dazusagen: Wir haben dies gefordert und gesagt, als die Terrormilizen al-Qaida und Ahrar al-Scham
auf dem Vormarsch waren, und wir sagen es jetzt, da sie,
diese Milizen, zurückgedrängt werden.
({2})
Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass es einen sofortigen Waffenstillstand gibt und die Menschen im von islamistischen Terrorbanden kontrollierten Ostteil Aleppos
endlich auch mit humanitären Gütern versorgt werden.
Aber bei der humanitären Hilfe dürfen wir keine Politik der doppelten Standards betreiben.
({3})
Auch deshalb müssen wir endlich die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufheben; denn diese treffen lediglich
die syrische Bevölkerung, meine Damen und Herren,
({4})
und nicht irgendwelche Eliten, die es immer wieder vermeiden, getroffen zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich aus dem an die
Europäische Union gerichteten Appell kirchlicher Würdenträger aus Syrien, die Sanktionen aufzuheben, der vor
kurzem veröffentlicht wurde, zitieren:
In diesen fünf Jahren haben die Sanktionen gegen
Syrien dazu beigetragen, die syrische Gesellschaft
zu zerstören: Sie lieferten sie dem Hunger, Epidemien und Elend aus und arbeiten somit den Milizen
von Integralisten und Terroristen, die heute auch in
Europa zuschlagen, in die Hand.
Weiter wird gesagt:
Das Gerede über die Kriegsflüchtlinge aus Syrien
sieht nach purer Heuchelei aus, solange man gleichzeitig diejenigen, die in Syrien bleiben, weiter aushungert, ihnen die medizinische Versorgung, Trinkwasser, Arbeit, Sicherheit und die elementarsten
Rechte verweigert.
So weit aus dem Appell der kirchlichen Würdenträger.
({5})
Ich möchte Sie fragen, ob angesichts des Nahrungsund Medikamentenmangels, den man aufgrund dieser
Sanktionen zu verantworten hat, tatsächlich eine politische Lösung des Konflikts gefördert werden kann. Diese
Wirtschaftssanktionen nehmen die einfache syrische Bevölkerung kollektiv in Haftung. Was glauben Sie denn,
was man damit bewirken kann, wenn es eben keine Medikamente mehr gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
gegen Krebs, gegen Diabetes oder wenn es weniger Nahrungsmittel gibt? Wer Wirtschaftssanktionen gegenüber
Syrien beibehalten will, straft alle Erklärungen hier Lügen, dass man den Menschen in Syrien wirklich helfen
will. So sehen es auch die kirchlichen Würdenträger.
({6})
Was die humanitäre Hilfe angeht, müssen wir auch
Berichten nachgehen, dass offenbar viel weniger Hilfe
in von syrischen Regierungstruppen kontrollierten Gebieten ankommt, so zum Beispiel in Deir al-Sor, das ja
vom „Islamischen Staat“ eingeschlossen und belagert ist
und wo über 200 000 Menschen leben. Das Gleiche gilt
für al-Fuaa oder Kifraja, wo über 50 000 Menschen von
der al-Qaida eingeschlossen sind. Wir brauchen Hilfe in
Ost-Aleppo - jawohl -, aber auch in den anderen belagerten Enklaven. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung hier aktiv wird, damit endlich humanitäre
Hilfe in alle eingeschlossenen Städte und auch Stadtteile
in Syrien gelangen kann.
({7})
Zum Schluss frage ich mich natürlich auch: Wenn man
es denn mit der Forderung nach einem Ende des Krieges
in Syrien ernst nimmt, warum liefert man dann weiter
Waffen an Staaten wie die Türkei oder Saudi-Arabien,
von denen man weiß, dass sie weiter Waffen liefern an
islamistische Terrorbanden?
({8})
Sie von der Bundesregierung konnten bis heute in Ihren Antworten auf mehrere Anfragen von uns nicht ausschließen, dass Waffen, die an den türkischen Diktator
Erdogan geliefert worden sind, in seinem Krieg gegen
die Kurden benutzt werden oder an islamistische Mörderbanden in Syrien weitergereicht werden. Ich finde
diese Politik wirklich unverantwortlich.
({9})
Wir brauchen dringend ein Waffenembargo für den
Nahen und Mittleren Osten, und das muss eben die Türkei und Saudi-Arabien umfassen.
({10})
Wir brauchen hier auch keine Scharfmacherei in Sachen Forderung nach mehr Sanktionen, sondern wir
brauchen, wie ich finde, die Bündelung aller Kräfte, um
einen Waffenstillstand in Aleppo wie auch den Zugang
zu humanitärer Hilfe in Syrien zu gewährleisten. Mit der
Aufhebung der Wirtschaftssanktionen, nicht der Maßnahmen gegen die Person Assad und sein Umfeld - das
möchte ich betonen -, könnten Sie hier direkt einen Beitrag leisten, die Lage der Bevölkerung in Syrien gerade angesichts des nahenden Winters zu verbessern. Das
wäre ein Beitrag für die humanitäre Hilfe.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren oben auf den Tribünen!
Frau Dağdelen, ich habe mir eben gerade noch einmal
die Sanktionsliste der EU für Syrien angeschaut: Darauf
stehen weder Lebensmittel noch Medikamente.
({0})
Das Einzige, was darauf steht und was nur ganz indirekt
mit landwirtschaftlicher Produktion zu tun haben könnte,
sind Erdöl und Erdölprodukte. Es sind auch keine Industriegüter für die Medikamentenindustrie auf der Sanktionsliste. Insofern haben Sie hier eine unsinnige Aussage
gemacht, und ich finde, das ist unserer Debatte nicht angemessen.
({1})
Was ich wichtig finde, ist, dass wir uns alle gemeinsam
überlegen, was von dem, was wir schon getan haben,
hilfreich war bzw. nicht hilfreich war. Was zum Beispiel
nur begrenzt hilfreich war, war, dass 2012 eine Gruppe
von Regimegegnern als legitime Vertretung Syriens anerkannt wurde. Damit hat man sich bestimmte Verhandlungsmöglichkeiten verbaut.
Hilfreich war, glaube ich, alles, was im Bereich
der humanitären Hilfe gemacht wurde. Da war und ist
Deutschland einer der ganz großen Geber und versucht
immer, mit den Partnern zusammenzuarbeiten, die in den
unterschiedlichen Regionen Syriens noch aktiv sein können. Das sind in manchen Gegenden eher NGOs. Zum
Teil läuft es über Partner von medico international; es
sind die Weißhelme, die, was eben noch nicht erwähnt
wurde, gerade den Alternativen Nobelpreis erhalten haben - zu Recht. Wir haben mit der Parlamentargruppe
„Alternativer Nobelpreis“ fraktionsübergreifend gestern
Abend Preisträger und Preisträgerinnen, aber auch Vertreter eingeladen. Wir waren, glaube ich, alle von dem
beeindruckt, was der Vertreter der Weißhelme uns berichtet hat.
Als wir im UN-Menschenrechtsrat 2015 den Vorsitz
hatten, unter Botschafter Rücker, haben wir das Thema
„Sonderbeauftragter für die Menschenrechtssituation in
Syrien“ auf die Tagesordnung gesetzt. Das heißt, wir
haben uns im Rahmen der deutschen Außenpolitik bereits dafür eingesetzt, dass Menschenrechtsverletzungen,
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dokumentiert werden.
SevimDağdelen
Die AG Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion war am 19. September in Genf beim UN-Menschenrechtsrat. Wir haben dort die Entgegennahme eines solchen Berichtes live erlebt. Insofern ist das nichts, was mit
dem Ende des deutschen Vorsitzes im Menschenrechtsrat
wieder in der Versenkung verschwunden ist. Das ist von
anderen aufgegriffen und fortgeführt worden, und das ist
auch gut so.
({2})
In der letzten Woche hat Staffan de Mistura hier in
Berlin die Dag-Hammarskjöld-Medaille der Deutschen
Gesellschaft für die Vereinten Nationen erhalten, und er
hat in einem sehr nachdenklichen Beitrag geäußert, wie
komplex die Verhandlungssituation in Syrien ist, wie
viel Kraft er brauchte, wie viel Unterstützung er brauchte, um da nicht einfach aufzugeben. Er hat auch deutlich gemacht, dass, egal welchen Blickwinkel man auf
die Situation dort hat, das Verhandeln mit allen, die dort
im Augenblick militärisch oder politisch Einfluss nehmen, die einzige Lösung ist, die den Menschen in Syrien
wenigstens mittelfristig helfen kann. Er bekommt dafür
Unterstützung aus dem Auswärtigen Amt, von vielen
EU-Staaten, vom Auswärtigen Dienst der Europäischen
Union, und das ist auch gut und richtig so.
({3})
Insofern können und müssen wir uns tatsächlich jeden Tag neu fragen, was wir noch tun können, um den
Menschen in Syrien zu helfen. Wir können etwas auf der
Basis dessen tun, was schon versucht wurde. Wir können
etwas in Anerkenntnis dessen tun, dass manches nicht
zielführend war. Wir können zusammen mit vielen Unterstützern und Verbündeten etwas tun, und wir sollten
das weiter tun. Wir sollten das auch selber immer wieder
positiv reflektieren.
Danke schön.
({4})
Der Kollege Omid Nouripour hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Aleppo fällt. Der Außenminister hat dieser Tage gesagt:
Wenn Ost-Aleppo fällt, dann ist das noch nicht das Ende
des Krieges in Syrien. - Er hat recht.
Aber man darf nicht verschweigen, dass die militärische Lage sich danach massiv verändern würde. Das
wäre eine gewaltige Verschiebung der militärischen
Kräfte - hin zu viel mehr Asymmetrie, zu viel mehr Guerillakriegen. Es würde am Ende mittel- und langfristig
einen Gewinner geben, und das wären die dschihadistischen Bewegungen. Das muss man auch den Russen
klarmachen.
Ich habe in dieser Woche auch einen der Weißhelme
getroffen, einen jungen Mann, 31 Jahre alt, Arzt. Er war
verzweifelt, aber unglaublich mutig, und er hat nicht
nachgelassen, drei Dinge zu fordern: erstens Druck auf
Russland, damit wenigstens Schulen und Krankenhäuser
nicht mehr bombardiert werden; zweitens humanitäre
Korridore, damit die Menschen aus den belagerten Gebieten rauskönnen; und drittens irgendeine Möglichkeit,
dass humanitäre Güter wieder reinkommen.
Reden wir über Druck auf Russland. Kollege Annen,
ich bin ein wenig verwirrt. Sie haben völlig zu Recht gesagt, wir brauchen einen anderen Ton in der Diskussion.
Wenn meine Fraktionsvorsitzende sich die bei den Bildern aus Aleppo am ehesten aufdrängende Frage stellt,
ob wir nicht mehr tun können, so getan wird, als wäre das
Majetätsbeleidigung in Richtung Außenminister, dann ist
das genau der Ton, der in der Diskussion gerade nicht zu
einer Lösung führt.
({0})
Ich will die Schulen als Beispiel nennen. Wenn wir
wollen, dass Schulen nicht mehr bombardiert werden,
dann sollten wir doch mit gutem Beispiel vorangehen. Es
gibt eine Lucens-Erklärung, in der sich Länder verpflichten, dass ihre Armeen in Kriegen Schulen nicht mehr
bombardieren und Schulen nicht mehr verwenden. Diese
Bundesregierung unterschreibt diese Erklärung einfach
nicht. Wollen wir Druck machen auf Russland, sollten
wir das ändern.
({1})
Hilfslieferungen: 90 Prozent der Hilfslieferungen
kommen in Gebiete, in denen Assad die Kontrolle hat,
und 75 Prozent der Anfragen, ob sie woandershin geliefert werden können, werden erst gar nicht beantwortet.
Aber reden Sie weiter über die Sanktionen, die ja angeblich schuld an allem sind.
Resolution 2139 ({2}), Resolution 2165 ({3}),
Resolution 2191 ({4}), Resolution 2258 ({5}) - alles
Resolutionen der Vereinten Nationen, die verabschiedet
worden sind mit den Stimmen Russlands im Sicherheitsrat, mit dem Ziel, dass alle, die Hilfe brauchen, Hilfe bekommen, unabhängig davon, unter welcher Kontrolle sie
leben.
Resolution 2254 ({6}): mit den Stimmen Russlands
verabschiedet. In dieser Resolution geht es um den politischen Prozess und darum, dass keine Fassbomben mehr
fliegen. Aber sie fliegen weiterhin, obwohl die Russen in
vielen Teilen des Landes die Lufthoheit haben.
Resolution 2118 ({7}), Vernichtung aller Chemiewaffen: mit den Stimmen Russlands verabschiedet. Wir
wissen von den Vereinten Nationen, dass danach über
100 Chemiewaffenangriffe vom Assad-Regime durchgeführt worden sind. Wenn die Russen sich nicht einmal
an ihre eigenen Worte erinnern, dann ist das ein großes
Problem.
Da wiederum, Herr Kollege Annen, muss ich sagen:
Wir müssen natürlich darüber streiten, welche Druckmittel die richtigen sind. Auch bei uns gibt es darüber eine
Diskussion. Aber wenn alles so perfekt ist in der Sozialdemokratie, dann stelle ich mir die Frage, ob das auch
bei den Saunabesuchen des Vizekanzlers ein Thema war
({8})
und ob das auch mit den Ministerpräsidenten besprochen
wird, die grundsätzlich jedes Thema nehmen, um zu erklären, warum man größere Geschäfte mit Russland machen sollte.
({9})
Russland müssen wir daran erinnern, dass dieser Wiederaufbau teuer wird. 180 Milliarden Dollar, sagt die
Weltbank, beträgt der bisher entstandene Schaden. Nach
dem Motto „You break it, you own it“ ist offenkundig,
dass die Russen die Verantwortung dafür werden tragen
müssen. Wir müssen Druckmittel finden. Aber wir sollten vielleicht auch darüber nachdenken - bei dem Thema
können wir mehr tun -, ob wir nicht auch darüber reden,
wie wir uns am Wiederaufbau beteiligen. Vielleicht ist
das ein Weg - von dem ich nicht weiß, ob er zum Erfolg
führen wird -, den wir einschlagen sollten.
Korridore: Viele Menschen fliehen nicht aus den belagerten Städten, weil sie Angst haben und weil sie nicht
wissen, ob mit ihnen dasselbe geschieht wie in Daraja,
wo es eine ethnische Säuberung gegeben hat. Sollten wir
nicht die Vereinten Nationen in die Lage versetzen, die
Registrierung durchzuführen?
Luftbrücke: De Mistura hat dieser Tage gesagt, dass
die Airdrops keine gute Möglichkeit sind, aber die beste
aller schlechten, um den Menschen zu helfen. Ein Jahr
lang hat uns die Bundesregierung in allen Ausschüssen
gesagt, der Landweg wäre besser. Das wissen wir. Aber
die Leute sind belagert; die Konvois kommen einfach
nicht durch. Und die Vereinten Nationen haben doch oft
darum gebeten, dass wir ihnen helfen, dass wir unseren
Beitrag leisten. Wenn alles so perfekt ist, was die Bundesregierung tut, frage ich mich: Warum ist das nicht erfolgt?
Der Kollege Kiesewetter hat dieser Tage gesagt, das
sei alles möglich und das solle man doch einfach machen.
Da kann ich nur sagen: Reden ist einfach, damit in die
Zeitung zu kommen auch. Aber wir hatten am 20. Oktober eine Abstimmung darüber im Deutschen Bundestag,
und da haben Sie dagegen gestimmt.
({10})
Ich flehe Sie an: Nehmen Sie einfach unseren Antrag,
schreiben Sie Ihren Namen darüber, vergessen Sie die
Grünen, bringen Sie ihn selber ein, und Sie haben dann
unsere Stimme. Das ist notwendig, damit endlich etwas
passiert, damit endlich wieder Hilfslieferungen ins Land
kommen können.
({11})
Wir müssen ins Tun kommen und dürfen uns nicht immer nur gegenseitig erklären, wie toll wir sind. Es gibt
neue Dynamik, hoffentlich, durch den Brief vieler Kolleginnen und Kollegen im britischen Parlament an Theresa
May. Die Franzosen wollen das Thema jetzt in den Sicherheitsrat bringen. Wir sollten das nutzen.
Ich will schließen mit dem Tweet einer Siebenjährigen, Bana al-Abed, die zusammen mit ihrer Mutter,
Fatima al-Abed, zurzeit aus Aleppo twittert. Ich kann
jedem nur empfehlen, sich das anzuschauen; das ist herzzerreißend. Sie schreibt vor wenigen Tagen: Lasst Nahrungsmittel rein, bitte, für die Tausenden Verhungernden.
Warum ist das ein Problem?
Diese Frage müssen diejenigen beantworten, die die
Lebensmittel nicht reinlassen - aber auch diejenigen, die
nicht alles tun, was in ihrer Macht steht.
({12})
Das Wort hat der Kollege Tobias Zech für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zeitgleich mit uns tagt der UN-Sicherheitsrat zu dem
gleichen Thema. Zeitgleich passieren in Aleppo Gräueltaten. Man kann die Situation in Aleppo nur mit einem
Wort beschreiben: katastrophal, und zwar nicht nur in den
letzten zwei, drei Wochen, sondern seit über 50 Monaten.
Seit über vier Jahren wird in Syrien massiv gekämpft,
seit sechs Jahren herrscht Krieg, seit vier Jahren wird in
Aleppo gekämpft, vor allem um Aleppo gekämpft. Es
gibt dort seit zwei Wochen keine Nahrung mehr. Es gibt
seit ein paar Tagen in Ost-Aleppo kein einziges Krankenhaus mehr. Über die hygienische Situation, glaube ich,
kann sich jeder von uns selber Gedanken machen.
20 000 Menschen sind auf der Flucht. Wir haben
eine doppelte Geiselhaft der Zivilisten, der Menschen in
Aleppo:
Zum einen werden sie vom Regime durch Fassbomben, durch Kriegsverbrechen, durch Angriffe auf Kinderheime, durch Angriffe auf Kinderkrankenhäuser, durch
Angriffe auf die White Helmets in Geiselhaft genommen.
Ich selber habe mit der Hilfsorganisation Feuerwehrautos
nach Syrien, nach Aleppo gebracht. Diese sind mittlerweile alle zerstört. Sie waren bewusst Ziel der Luftangriffe.
Zum anderen werden die Menschen in Aleppo - das
muss man hier auch erwähnen - durch die islamistischen
Terroristen in Geiselhaft genommen. Diese sitzen immer noch in Aleppo, sie schießen und morden. Mit Sniper-Angriffen, mit Scharfschützenangriffen, werden die
Menschen gezielt an der Flucht gehindert. Besonders
betroffen sind die Menschen aus Ost-Aleppo. Beides ist
Mord. Beides sind Kriegsverbrechen. Keines ist besser
als das andere. Für beides brauchen wir eine Lösung.
Die Menschen in Aleppo haben keine Hoffnung mehr;
die Menschen in Aleppo verlieren jeden Tag mehr an
Raum. Wenn die Weltgemeinschaft nicht bald eine Lösung findet, wird es Aleppo nicht mehr geben. Vor allem
Ost-Aleppo wird dem Boden gleichgemacht. Darüber
haben wir schon mehrmals diskutiert. Das letzte Mal
im Oktober. Kollege Nouripour hat es angesprochen.
Wir haben es aber auch im September diskutiert. Die Situation hat sich seitdem massiv verändert; sie ist noch
schlechter geworden.
Da wir über Auseinandersetzungen sprechen, erlauben
Sie mir, dass ich als jemand, der von der CSU ist, einmal
einen Linken zitiere. Brecht hat einmal geschrieben:
Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte.
Die im Dunkeln sieht man nicht.
So ähnlich ist es auch bei diesen kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir schauen immer nur mit dem
Spotlight darauf. Der Krieg in Syrien und alles, was in
Libyen, im Jemen, aber auch in Mosul passiert, findet
zeitgleich statt. Ich glaube, es wäre geboten, dass wir
überall gleichzeitig hingucken und darüber sprechen. Für
mich ist es wichtig, dass wir, wenn wir über die humanitäre Versorgung von Aleppo sprechen, die humanitäre
Versorgung von Mosul mit der gleichen Anstrengung sicherstellen, aber hoffentlich mit mehr Erfolg.
Wir fordern eine politische Lösung. Wir haben - Niels
Annen hat es angesprochen - politisch schon sehr viel auf
den Weg gebracht. Allerdings gehört es auch zur Wahrheit, dass wir in Genf gescheitert sind: nicht nur einmal,
sondern ständig. Außerdem gehört es zur Wahrheit, dass
wir nicht nur einmal, sondern mehrmals Waffenruhen
vereinbart haben, die immer wieder gebrochen worden
sind, und zwar von jeder Seite. Jede Seite in diesem Konflikt hat schon einmal die Waffenruhe gebrochen.
Wir werden jetzt vor Fakten gestellt. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass die Angriffe des Regimes gestoppt
werden können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die
Angriffe des Regimes verhindert werden können, wenn
wir nicht einen kohärenten, einen inklusiven Ansatz
finden können. Die Lösung heißt: mit allen Beteiligten.
Dazu gehören auch die, die die Truppen in Syrien führen. Wir brauchen eine Waffenruhe. Wir brauchen einen
Waffenstillstand, übrigens auch dann, wenn wir Airdrop
oder eine Luftbrücke einsetzen würden. Denn bei einer
Luftbrücke muss es Luftsicherheit geben. Luftsicherheit
bedeutet, dass man auch bereit sein muss, Angriffe auf
Hilfslieferungen abzuwehren.
({0})
Die beste Lösung ist immer noch der Weg über das Land.
Das ist die einzig sinnvolle Lösung. Sie können im urbanen Gelände Airdrops nicht so einfach durchführen.
Wichtig ist, dass wir an der großen Lösung festhalten
sollten. Wir sollten auch den Außenminister bestärken,
für die große Lösung zu kämpfen, aber nicht allein, sondern mit der Europäischen Union. Ich möchte eine EU
sehen - dazu gehört die Außenbeauftragte der Europäischen Union Mogherini und auch der Kommissionspräsident Juncker -, die dieses Thema auf die Tagesordnung
setzt, und zwar ganz oben. Wir sprechen hier über die
Nachbarregion der Europäischen Union. Wir müssen
uns auch auf die Folgen vorbereiten, die sich ergeben
werden. Wir brauchen aus meiner Sicht relativ schnell
einen EU-Flüchtlingskommissar, der sich nur um Angelegenheiten rund um die Flucht kümmert. Wir brauchen
Unterstützung aus der kompletten Europäischen Union
für die Nachbarländer Syriens, viel mehr als noch in der
Vergangenheit. Deutschland ist das Paradebeispiel, mit
dem Entwicklungsminister Gerd Müller an der Spitze;
kein Land gibt mehr aus als wir.
Wir können hier eine Sternstunde europäischer Außenpolitik für unsere Werte erleben, wenn wir jetzt zusammenstehen, wenn wir den Nachbarländern helfen,
mit den Flüchtlingen, die bald ankommen werden, umzugehen. Wir müssen alles daransetzen, dass wir über den
Landweg eine humanitäre Lösung für Aleppo hinbekommen - für die Menschen in dieser Region und für mehr
Sicherheit in diesem Land. Das geht nur politisch. Dafür
braucht man viel Kraft; dafür braucht der Außenminister
viel Kraft und unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({1})
Der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner hat für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und
Kollegen! Mit manchen Tageszeitungen könnte man sagen: Nun ist also auch der Ostteil der Stadt in den Händen des Regimes, in den Händen Assads. Die Zeitungen
sind voll mit Nachrichten darüber. Es wird kolportiert wir haben das heute in der Debatte auch schon gehört -,
dass wir uns nur empören, Kriegsverbrecher anprangern,
mit weit geöffneten Augen durch die Talkshows ziehen,
Schuld, Verantwortung und das Warum definieren und
dann angeblich die Menschen vor Ort hilflos, obdachlos,
perspektivlos zurücklassen und nichts tun. Nichts von
dem ist wahr; denn die Bundesrepublik Deutschland, die
Außenpolitiker der Bundesrepublik und unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ist ununterbrochen
im Einsatz, um den schrecklichsten Bürgerkrieg, den
man sich vorstellen kann, der in einer näheren Region
herrscht, diplomatisch zu lösen - ein Krieg, der über
400 000 Tote gefordert hat und 11 Millionen Menschen
heimatlos gemacht hat, ein Krieg, der sich, meine Kolleginnen und Kollegen, eben nicht auf Begriffe wie „Assad
gegen das Volk“, „Putin für Assad“, „der Iran gegen die
Sunniten“ oder „die USA und die Koalitionäre gegen
Daesh“ reduzieren lässt.
Mir ist persönlich ist zum Heulen, wenn ich die Hilflosigkeit der Menschen vor Ort sehe. Und ich verstehe ihre
Situation, ihren Wunsch, den wir auch vor Ort verspüren: nur noch weg! - Was sollen sie auch tun, wenn sie
überlebt haben? Es gibt wegen der gezielten Zerstörung
von Krankenhäusern keine medizinische Versorgung.
Wer Glück hat, findet noch eine der letzten existierenden
Notkliniken in Kellern, in Löchern. Eine wirkliche medizinische Versorgung ist das jedoch nicht. Ärzte und andere Zivilisten, die in Ost-Aleppo geblieben sind, müssen
Verhaftungen durch das Regime befürchten. Denn wie
soll bei rund 1 200 unterschiedlichen Rebellengruppen
noch zwischen Kämpfern und Zivilisten, zwischen guten
Rebellen und Daesh, zwischen Kriminellen und anderen
Menschen unterschieden werden?
Die Menschen, die heute fliehen, befürchten Racheakte des Regimes; sie fürchten Folter und Tod entweder
durch Assads Regime selbst oder durch den Daesh oder
wen auch immer. Und wir müssen - so wie Ferdinand
Lassalle es einmal sagte - das aussprechen, was ist. Und
wir können nicht abwarten und zuschauen, sondern wir
müssen weiterhin für eine diplomatische Lösung, so
wie dies Frank-Walter Steinmeier, unser Außenminister, bereits macht, den Weg bereiten - für die Menschen
zwischen den Fronten, deren Lebensmittelvorräte aufgebraucht sind, deren Wasserversorgung zusammengebrochen ist, deren Häuser und Straßen in der gesamten Stadt
zerstört sind.
Nicht zuletzt müssen wir das mit der Versorgung verbundene Risiko für uns und für die Menschen mit einpreisen. Es ist viel zu kurz gesprungen, sich für die vermeintlich schnelle und einfache Lösung der Versorgung
über Airdrops auszusprechen und sie der Lösung der
Versorgung über den Landweg gegenüberzustellen, wenn
man weiß, dass die Vereinten Nationen nach umfangreicher Prüfung festgestellt haben, dass das Angriffsrisiko
dabei zu hoch ist.
Ich weiß: Wir, die wir hier im beheizten Reichstagsgebäude sitzen, können uns nicht vorstellen, was die Menschen dort vor Ort erleben. Ich war gestern Abend bei
der von der Kollegin Finckh-Krämer erwähnten Veranstaltung zum Alternativen Nobelpreis, bei der die Vertreter der Syria Civil Defense, der sogenannten Weißhelme,
von ihrer Arbeit berichtet haben. Ich gebe ganz offen zu,
dass mich ein Satz nicht loslässt - es war der letzte -:
Bitte unterstützt uns, bitte helft uns!
Der UN-Sicherheitsrat tagt am heutigen Mittwoch zur
humanitären Notlage in Aleppo. Er befasst sich damit. Es
wird also nicht nichts getan.
({0})
Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura wird die
Weltgemeinschaft über die Situation in Aleppo informieren. Der französische UN-Botschafter warnt, dass das
Kriegsgeschehen in der Stadt zum schlimmsten Massaker an der Zivilbevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg
werden könnte. - Deshalb muss dieser Krieg beendet
werden. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags
hat heute grünes Licht gegeben, das Kriegsstrafrecht zu
verschärfen. Das ist gut, das ist richtig. Der Auswärtige
Ausschuss dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen dort. Wir dürfen nämlich nicht schweigen, sondern
wir müssen sie klar und deutlich benennen.
({1})
Das alles ist gut und richtig. Jedoch frage ich mich:
Wie können wir unserer Verantwortung insgesamt gerecht werden? Denn es geht jetzt nicht um Recht, um
Macht und um Einfluss, sondern es geht um die Menschen. Internationale Hilfslieferungen müssen von der
syrischen Regierung und auch von Russland wieder zu
den Menschen durchgelassen werden, und das geht nur,
wenn man redet, und zwar mit jedem, auch mit denjenigen, mit denen man lieber nicht reden würde.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss
auch den Partner Türkei in die Verantwortung nehmen.
Deshalb hier die klare Aufforderung an die Türkei: Kümmern Sie sich um den Kampf gegen den IS in Syrien!
Treiben Sie den Finanziers die Gedanken aus dem Kopf,
damit die völkerrechtswidrigen Luftangriffe im Norden
Syriens endlich beendet werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Licht
am Rednerpult leuchtet auf. Meine Zeit, die mir gegeben
ist, ist zu Ende.
({3})
- Ja, nur die Redezeit. Stimmt! - Nichtsdestotrotz möchte ich einen Gedanken an die Zukunft gerichtet formulieren. Wir haben den Wiederaufbau des Landes aus den
Augen verloren. Wir werden für die Wiederbesiedlung
Vorbereitungen treffen. Die Frage ist: Welche Hilfe müssen wir durch unsere Peacekeeper leisten? Lasst uns darüber reden, wie wir Leib und Leben unserer Entwicklungshelfer und dann auch der Heimkehrer schützen
können, und zwar in einer Region, die es wert ist, wieder
mit Menschen besiedelt zu werden.
Interessanter Versuch, Kollege, aber Sie müssen jetzt
einen Punkt setzen.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind in der Adventszeit. Sie alle kennen das Lied
„Kling, Glöckchen, klingelingeling“. In der ersten Strophe heißt es:
Lasst mich ein, ihr Kinder, ist so kalt der Winter,
öffnet mir die Türen, lasst mich nicht erfrieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Syrien steht
der Winter bevor. Die Lage wird sich dort noch weiter
verschlechtern. Die Medikamente gehen aus, ebenso die
Lebensmittel. Ich möchte zwei Punkte aus der Debatte
aufgreifen.
Es ist von der „großen Lösung“ gesprochen worden.
Ja, natürlich, jeder wünscht sich die große, die schnelle Lösung, aber wenn die große Lösung nicht möglich
ist, dann muss ich mich um Alternativen kümmern; denn
ansonsten ist in Syrien keiner mehr da, alle sind weggebombt. Deswegen muss sich die Weltgemeinschaft natürlich die Frage nach Airdrops, die Frage nach Korridoren,
die Frage nach einer Schutzzone stellen, und zwar bei all
den Risiken, die das haben kann; wir haben es in Bosnien
erlebt.
({0})
Wir müssen in Alternativen denken und den Mut haben,
über diese konkreten Fragen zu diskutieren und zu entscheiden. Wir müssen eine Antwort auf die Frage finden,
ob wir dazu bereit sind.
Ich möchte einen zweiten Punkt aufgreifen. Die humanitäre Hilfe ist angesprochen worden. In der Tat: Der
Deutsche Bundestag hat in der vergangenen Woche mit
der Verabschiedung des Bundeshaushaltes eine wichtige
Entscheidung gefällt und die Mittel für Hilfe für die Krisenregionen verdreifacht. Das ist notwendig, auch aus eigenem Interesse. Aber die Wahrheit ist, dass die humanitäre Hilfe oftmals genau dort nicht ankommt, wo sie am
dringendsten gebraucht wird. Deswegen sind die Fragen,
die ich eben aufgeworfen habe, Fragen, denen wir uns
jetzt stellen müssen, sonst wird in Syrien niemand mehr
sein, wenn vielleicht mal die große Lösung kommt.
Ich möchte heute etwas Ungewöhnliches tun und meine Stimme Ahmad al-Jussuf geben. Ich muss ehrlich sagen: Es fällt mir schwer, noch Worte zu finden angesichts
des Infernos in Aleppo und in Syrien. Ahmad al-Jussuf
war gestern zu Gast im Deutschen Bundestag. Mit Abgeordneten aus allen Fraktionen haben wir vor wenigen
Wochen erst die Parlamentariergruppe „Alternativer Nobelpreis“ gegründet. Es war gestern Abend eine Premiere
hier im Hohen Haus, dass die Preisträger, wenige Tage
nach der Auszeichnung in Schweden, nach Berlin gekommen sind, um wachzurütteln. Es waren Preisträger dabei
wie die älteste und unabhängige Tageszeitung Cumhuriyet, die ägyptische Frauenrechtlerin Mozn Hassan, die
74-jährige russische Menschenrechtsaktivistin Swetlana
Gannuschkina und eben der „Syrische Zivilschutz“, die
sogenannten „Weißhelme“.
Diese Gruppe von Freiwilligen hat über 70 000 Menschen aus den Trümmern in Syrien gerettet. Sie gehen
dorthin, wo die Bomben fallen. Sie buddeln Verschüttete aus, löschen Brände, versorgen Verletzte. Im Internet
finden Sie Aufnahmen davon, wie sie kleine Kinder und
Babys aus den Trümmern befreien.
Unser Freund aus Syrien hat uns gestern Folgendes
gesagt:
Mein Name ist Ahmad al-Jussuf. Ich bin aus Syrien, repräsentiere hier den syrischen Zivilschutz, die
sogenannten Weißhelme, die einzige Organisation
in Syrien zur Rettung von Zivilisten, die Opfer des
täglichen Bombardements werden. Bei uns arbeiten etwa 3 000 Freiwillige in 120 Stützpunkten in
acht syrischen Provinzen, die sich dafür entschieden
haben, ihr Leben einzusetzen für die Rettung von
Menschenleben an einem der gefährlichsten Orte
der Welt, wo die Moral der Welt angesichts der Barbarei verschwunden ist und angesichts des organisierten Verbrechens, das dem syrischen Volk, aber
auch der ganzen Menschheit angetan wird.
Ganz ehrlich gesagt, ich bin ratlos und stehe hilflos vor Ihnen und hilflos vor meinen Angehörigen
in Syrien, insbesondere in der östlichen Region von
Ghuta bei Damaskus und in Aleppo. Aleppo, wo die
Welt heute zusieht, wie Menschen abgeschlachtet
werden, und wo die Welt zusieht, wie ganze Städte
zerstört werden.
Ehrlich gesagt, ich habe gezögert, bevor ich mich
entschied, hierherzukommen. Ich erinnere mich an
meine Kameraden, meine 150 Kameraden vom Zivilschutz, die bei ihrer Arbeit, bei ihrem Versuch,
Menschenleben zu retten, selbst ums Leben kamen.
Ich habe mit vielen von ihnen gesprochen, und ich
habe sie zurückgelassen. Sie blicken dort dem Tod
ins Auge, und ich weiß nicht, mit welcher Botschaft
ich zu ihnen zurückkommen soll.
Wir schätzen es sehr, dass Sie uns diesen Preis
verliehen haben. Wir bedanken uns für alle Preise;
denn sie sind eine Botschaft der Solidarität, die uns
Hoffnung gibt. Wir bedanken uns auch für die Krankenwagen und die Feuerwehrfahrzeuge, die Sie uns
schicken und die uns dabei helfen, Zivilisten zu retten, bevor sie von syrischen und russischen Flugzeugen bombardiert werden. Gleichzeitig ist es mir
aber auch peinlich, solche Preise entgegenzunehmen, während unsere Angehörigen in Syrien Tag für
Tag getötet werden.
In diesem Moment, während ich zu Ihnen spreche,
werden Zivilisten in Aleppo, in Ost-Aleppo, obdachlos gemacht. Sie fliehen aus der Katastrophe.
Sie laufen durch Trümmer und suchen nach einem
Schutz. Währenddessen verbluten Verwundete angesichts der Ohnmacht der Ärzte, die ihnen keine
Medikamente mehr und keine Behandlung mehr
zuteilwerden lassen können, nachdem syrische und
russische Flugzeuge alle Krankenhäuser und Kliniken zerstört haben.
Stellen Sie sich einmal vor, welch dramatische Situation das ist! Was in Syrien passiert, ist ein unbeschreiblicher und unglaublicher Schrecken, und das
Unvermögen der Welt, Schritte zu unternehmen, um
all das zu beenden und um das Töten zu beenden,
ist ebenso unglaublich! Was sich daraus entwickeln
wird, aus Tragödien, Schmerz und Hass, ist ebenso
unglaublich.
Wir tragen die Botschaft des Lebens an unser Volk
und an die Welt. Wo sind unsere Partner? Wer wird
sich bereiterklären, uns angesichts dieses Todes in
Syrien beizustehen und uns auf dem Weg des Lebens zu begleiten? Stehen Sie zu uns, meine Damen und Herren! Stehen Sie uns bei! Stehen Sie der
Menschlichkeit bei!
({1})
Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Aktuellen Stunde haben zahlreiche meiner Vorredner auf das hingewiesen, was in Aleppo, was in Syrien
passiert. Wir erleben einen totalen Zivilisationsbruch,
den ich kein weiteres Mal beschreiben muss.
Es ist auch darauf hingewiesen worden - das scheint
mir wichtig zu sein, weil es nach vorne gerichtet ist -,
dass das, was wir in Aleppo erleben, als Pars pro toto
letztlich für das ganze Land steht. Nach UN-Angaben
haben fast 1 Million Menschen in Syrien in den unterschiedlichsten Städten und Regionen unter nahezu den
gleichen Bedingungen zu leben. Sie sind abgeschnitten
von humanitären und medizinischen Hilfsleistungen. Sie
sind deshalb genauso ins Licht zu rücken wie die Menschen im Ostteil Aleppos.
Natürlich ist es richtig, zu überlegen: Was können
wir tun, und was tun wir? Auch die Frage, Frau GöringEckardt: „Tun wir genug?“, ist natürlich berechtigt.
Aber wir müssen aus den Antworten letztlich auch
Konsequenzen ziehen. Das heißt für mich, dass wir die
bescheidenen Möglichkeiten, die wir in Syrien haben,
auch tatsächlich nutzen sollten. Es ist weiter an den diplomatischen Initiativen zu arbeiten. Es ist weiter daran
zu arbeiten, dass humanitäre Hilfe auch ankommt. Denn
wir leisten dort in der Tat genug. Deutschland war Mitinitiator der Londoner Geberkonferenz im Februar. Dort
wurde mehr Geld als je zuvor eingesammelt: 10 Milliarden Euro. Deutschland allein hat mit 2,3 Milliarden Euro
mehr als jeder andere gegeben. Jetzt kommt es darauf
an, dass man die Hilfe auch dorthin bringt, wo man sie
benötigt.
Das bedeutet, neue Wege zu gehen. Das bedeutet, riskantere Wege zu gehen. Das bedeutet auch, dass, wenn
die beste Lösung nicht realisierbar ist, die zweitbeste in
Angriff genommen werden muss. Deswegen muss man
die Vorbereitungen für mögliche Airdrops treffen.
({0})
Es bedeutet auch - mein Kollege Röttgen hat es angesprochen -, dass wir uns zumindest ernsthaft darüber Gedanken machen, ob das Verhängen von Sanktionen ein
probates Mittel sein kann. Wir sollten es jedenfalls nicht
pauschal ausschließen und sagen: Sanktionen und Verhandlungen gehen nicht zusammen. Denn dies ist durch
die Geschichte widerlegt. Ich erinnere hier an die Ukraine. Deshalb meine ich: Wir sollten sehr wohl überlegen,
ob wir mehr tun können, als wir derzeit tun.
({1})
Wir haben in dieser Debatte die vielen verschiedenen
Facetten aufgedröselt. Wir haben auch Verantwortlichkeiten benannt und über Russland und seine Verantwortung gesprochen. Daher ist es, glaube ich, wichtig, darauf
hinzuweisen, dass Russland und namentlich Präsident
Putin hier nicht nur Kriegsverbrechen begeht, sondern
letztlich angesichts seiner Politik die Verantwortung dafür zu übernehmen hat, wenn das Morden in Syrien weitergeht. Es könnte sein, dass es am Ende in eine Reihe
mit den Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien zu
stellen ist.
Es könnte etwas entstehen, das man als das neue Somalia bezeichnen muss. Denn über Jahre oder vielleicht
auch Jahrzehnte hinweg ist der Staat dort gescheitert
und nicht in der Lage, Sicherheit und Wohlfahrt für seine Menschen zu gewährleisten. Das muss man klar und
deutlich benennen. Genauso deutlich zu nennen ist die
Verantwortlichkeit des Iran, der seine eigene Agenda
verfolgt und letztlich einen Zugang für Militärbasen am
Mittelmeer möchte. Der Iran betreibt dort seine eigene
schiitische Politik, führt Allianzen und sorgt dafür, dass
in Syrien in der Tat auch ein Stellvertreterkrieg geführt
wird. Das muss man alles klar benennen; das ist vollkommen richtig.
({2})
Aber es ist ja immer so, dass Finger auf einen zurückzeigen, wenn man auf andere zeigt. Ich möchte gerne
einen Schritt weitergehen, als es die Vorredner getan haben. Es ist doch in der Tat so, dass die Rolle, die wir in
Syrien spielen - damit meine ich Deutschland, die Europäische Union und die Gemeinschaft der europäischen
Staaten -, eine jämmerliche ist. Ich will das in dieser
Deutlichkeit formulieren. Das ist jetzt nicht nur ein Verweis nach Brüssel, sondern es ist auch ein Verweis an uns
selbst. Wir sitzen bei Verhandlungen über Syrien nicht
einmal am Katzentisch.
({3})
Es sind Russland und die USA, die verhandeln. Wir sind
es definitiv nicht.
({4})
Trotz aller Bemühungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, sind wir letztlich nicht in der Lage, machtvoller Spieler in diesem Bereich zu sein.
({5})
Wir müssen daraus Konsequenzen ziehen. In Europa
brauchen wir eine stärkere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
({6})
Auch wir Deutschen müssen unsere Hausaufgaben
machen. Die USA wenden zehnmal mehr für Sicherheit
und Verteidigung auf als wir.
({7})
Die 500 Millionen Menschen in den 28 Staaten Europas
kommen zusammen nicht einmal auf die Hälfte der Aufwendungen der USA. Die Aufwendungen sind doppelt
so hoch wie die der Russen. Trotzdem schaffen wir nicht
einmal die Hälfte der Effektivität. Das ist für mich eine
Lehre.
Hier müssen wir etwas ändern. Es gab Ruanda, und
nichts ist passiert. Es gab Srebrenica, und nichts ist passiert. Jetzt stehen wir vor Aleppo und Syrien. Wir sollten
endlich aufwachen und eine Politik betreiben, die auf
europäische Zusammenarbeit setzt! Wir sollten unsere Hausaufgaben machen! Das ist, glaube ich, die Botschaft, die mit diesem Thema für uns verbunden ist.
Vielen Dank.
({8})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich danke Ihnen allen
für diese Debatte.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1. Dezember 2016,
10 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. In diese guten
Wünsche beziehe ich auch all diejenigen ein, die unserer Debatte heute Nachmittag gefolgt sind, einschließlich
der 30 jungen Damen aus Rheinhessen, die mir besonders ans Herz gelegt wurden.
({0})
Die Sitzung ist geschlossen.