Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur Fortsetzung unserer Haushalts-
debatte.
Bevor ich den nächsten Einzeletat aufrufe, möchte
ich Ihnen mitteilen, dass es eine interfraktionelle Ver-
einbarung gibt, die Tagesordnung um die in der Zusatz-
punkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes
Drucksache 18/10378
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Julia Verlinden,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Atomkosten verursachergerecht anlasten Kernbrennstoffsteuer beibehalten und
anheben
Drucksache 18/10034
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Federführung strittig
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.
Tagesordnungspunkt V c soll abgesetzt werden.
Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 20. Oktober 2016 ({3}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
({4}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung
der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten ({5})
Drucksache 18/9982
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Der am 10. November 2016 ({7}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau
verzichtbarer Anordnungen der Schriftform
im Verwaltungsrecht des Bundes
Drucksache 18/10183
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({9})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Der am 10. November 2016 ({10}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Kultur und Medien ({11}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Drucksache 18/10207
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({12})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Der am 11. November 2016 ({13}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit ({14}) zur Mitberatung
überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen
in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und
in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
Drucksache 18/10211
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({15})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Der am 20. Oktober 2016 ({16}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({17}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften
Drucksachen 18/9986, 18/10348
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({18})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. - Das
ist offenkundig der Fall.
Wir setzen nun unsere Haushaltsberatungen - Tages-
ordnungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2017 ({19})
Drucksachen 18/9200, 18/9202
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({20}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020
Drucksachen 18/9201, 18/9202, 18/9827
Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I.13 auf:
Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Drucksachen 18/9809, 18/9824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,
Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk.
Zum Einzelplan 09 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 125 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Also verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({21})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Bundesminister Sigmar Gabriel wird uns in etwa
einer halben Stunde wieder die gute wirtschaftliche Situation in Deutschland erklären in Bezug auf Arbeitsmarkt,
Steuereinnahmen, Wachstumsraten.
({0})
- Das habe ich auch nicht bestritten, Herr Kollege. - Im
September hat der Minister diese Betrachtung mit der
Einschätzung abgerundet - ich zitiere ihn -:
In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik muss
die Bundesregierung also irgendetwas richtig gemacht haben.
Bescheiden wie wir ihn kennen! Nun frage ich einmal
andersherum: Kann es nicht vielleicht auch sein, dass die
Opposition in Deutschland etwas richtig gemacht hat,
({1})
weil sie die Regierung regelmäßig von noch größeren
Fehlern abhält?
({2})
Wäre das nicht auch einmal einen Dank wert, meine Damen und Herren? Sie müssen sich darüber gar nicht so
aufregen; denn ich denke nicht nur an die Opposition im
Bundestag, sondern zum Beispiel auch an die CDU-Opposition in Nordrhein-Westfalen. Sie von der Union haPräsident Dr. Norbert Lammert
ben doch immer den Hauptfeind in Düsseldorf ausgemacht.
Zurück zu den wirtschaftlichen Leistungen. Leider
sind die Früchte des Erfolgs sehr ungleich verteilt. Für
Millionen von Beschäftigten und deren Kinder gilt leider:
arm trotz Arbeit. Wer von seinem Lohn nicht leben kann
und noch staatliche Hilfe braucht, wird verwaltungsmäßig „Aufstocker“ genannt. Das ist diskriminierend. Herr
Bundesminister und Parteivorsitzender, das kann Sie
doch nicht kaltlassen. Da muss ein Wirtschaftsminister
doch etwas tun. Dafür gibt ihm das Parlament ja den Etat
in die Hand.
Mit diesem Etat bedient das Bundeswirtschafts- und
-energieministerium erneut staatsnahe Monopolisten,
zum Beispiel Flugzeugbauer. Das kritisieren wir regelmäßig; das kennen Sie von uns. Aber mit diesem Etat tut
das Ministerium auch etwas für die Förderung des Mittelstandes. Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, ist ein solches Programm, das von uns allen
unterstützt wird. Insofern beantragt die Linke hier, die
Mittel für dieses Programm im nächsten Jahr um 80 Millionen Euro zu erhöhen.
({3})
Das ist ein Vorschlag, dem Sie sich anschließen sollten.
Dass das Geld in diesem Lande da ist, sehen Sie doch
allein daran, dass das Kabinett schon in der nächsten Woche einen Nachtragshaushalt für 2016 beschließen wird,
über den wiederum Geld verteilt wird.
Das Bundeswirtschaftsministerium fördert bekanntlich auch die internationalen Wirtschaftsbeziehungen,
unter anderem durch Zuschüsse an etwa 130 Außenhandelskammern in aller Welt. Gerade von diesen Handelskammern ergeht seit Jahren die Botschaft an das Ministerium: Macht Schluss mit den Wirtschaftssanktionen
gegen Russland, unter denen insbesondere ostdeutsche
kleine und mittelständische Unternehmen leiden! Erfreulich ist, dass der Außenhandel zwischen Deutschland und
Russland 2016 wahrscheinlich wieder anwachsen wird;
aber noch immer beschäftigen Sie sich mit diesen Sanktionen.
Das Bundeswirtschaftsministerium ist auch das Ostministerium der Bundesregierung. Die Parlamentarische
Staatssekretärin Gleicke fungiert als Beauftragte der Bundesregierung für die sogenannten - so der Begriff - neuen Länder; mit dem komischen Begriff muss man auch
irgendwann mal aufräumen. Ein völlig falsches Signal
aber setzen Sie nun mit diesem Haushalt, in dem die Mittel für die Ostbeauftragte um exakt ein Viertel abgesenkt
werden. Das ist doch ein absurdes Signal. Wenn man das
auf den Kalender von 2017 umrechnet, heißt das: Im Vergleich zu 2016 reicht das Geld dann gerade mal bis zum
September 2017, also bis zur Wahl. Und da wundern Sie
sich, wenn manche Kritiker daraus ableiten, dass hier
womöglich die Abschaffung einer Ostverantwortung in
der Bundesregierung etatisiert wird. Das haben Sie vom
Wirtschaftsministerium bei der Beratung zwar vehement
dementiert. Aber warum, frage ich Sie, gibt es dann einen solchen Dilettantismus beim Haushalt? Auch hierzu
stellen wir einen Änderungsantrag. Das lässt sich ändern;
da geht es nicht um so viel Geld. Folgen Sie unserem
Vorschlag, meine Damen und Herren!
({4})
Eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Energiepolitik
ist mit diesem Etat nicht möglich. Das weiß wohl auch
Bundesminister Gabriel. Eine andere Wirtschafts- und
Energiepolitik ist nötig, und sie ist auch möglich.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie abschließend um Verständnis bitten: Ich kann der Debatte nicht
bis zum Schluss folgen, weil ich zu einer Trauerfeier für
den verstorbenen langjährigen Stadtvorsitzenden meiner
Partei in Halle, Frank Baier, fahren möchte. Ich bitte Sie
um Verständnis dafür und danke Ihnen.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen: Es steht einem sozialdemokratischen Minister gut zu Gesicht, wenn er sich auch unter schwierigen
Rahmenbedingungen für den Erhalt von Arbeitsplätzen
einsetzt. Ich meine aktuell das Engagement von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel beim Streit um die
Zukunft der Filialen von Kaiser’s Tengelmann. Denn es
ist nicht selbstverständlich, nach all den Rückschlägen
und trotz massiven Gegenwinds weiter am Ball zu bleiben und mit den Gewerkschaften und unserem Altkanzler Gerhard Schröder eine Schlichtung auf den Weg zu
bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die
Einigung wird nun hoffentlich die Arbeitsplätze von
15 000 Beschäftigten sichern. Herzlichen Dank für Ihren
Einsatz, Herr Minister.
({0})
Auf die allgemeine wirtschaftliche Lage will ich hier
nur kurz eingehen. Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft befindet sich auf einem soliden Wachstumskurs. Die Erwerbstätigkeit liegt auf hohem Niveau, und die Arbeitslosigkeit sinkt kontinuierlich. Ich verschweige nicht, dass
leider immer noch viel zu viele Menschen trotz harter
Arbeit einen zu geringen Lohn beziehen. Dennoch: Die
Löhne und Renten steigen, auch dank des von der SPD
durchgesetzten gesetzlichen Mindestlohnes, weshalb
die wirtschaftliche Entwicklung derzeit ganz wesentlich
vom privaten Konsum getragen wird.
Wenn wir über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums, kurz: BMWi, sprechen, geht es immer
darum, wie wir mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln die deutsche Wirtschaft weiter stärken, Innovationen vorantreiben, unsere Fachkräftebasis sichern
und stärker investieren. Kurz gesagt: Es geht darum, wie
wir heute die Grundlagen für unseren Wohlstand von
morgen sichern.
Wir beraten in dieser Woche den letzten regulären
Haushalt dieser Wahlperiode. Das ist ein guter Anlass,
eine Bilanz über die Entwicklung des BMWi-Haushaltes seit 2013 zu ziehen. An unseren Haushaltszahlen lässt
sich dies ja auch ganz gut ablesen. Danach haben wir in
dieser Wahlperiode im Wirtschaftsetat ganz zweifellos
die notwendigen Schwerpunkte bei Innovation und Digitalisierung gesetzt.
Eine zentrale Aufgabe unserer Wirtschaftspolitik ist
es, die Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungsund Innovationssystems sicherzustellen. Deshalb haben
wir im Einzelplan 09 die Ausgaben für anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung von 3 Milliarden
Euro um rund 600 Millionen Euro auf 3,6 Milliarden
Euro erhöht. Das ist eine Steigerung von 20 Prozent in
nur einer Wahlperiode.
({1})
Das ist eine beachtliche Leistung, die zeigt, dass wir es
mit der Modernisierung unserer Volkswirtschaft ernst
meinen - wie ernst, das zeigt sich insbesondere bei der
Industriellen Gemeinschaftsforschung, IGF, und dem
Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, die
wir massiv gestärkt haben. Für die IGF stehen im kommenden Jahr nun 169 Millionen Euro bereit; das sind
35 Millionen Euro mehr als im Jahre 2013.
({2})
Auch beim ZIM haben wir noch eine Schippe draufgelegt. Mit einem Titelansatz von 548,5 Millionen Euro sowie dem Verstärkungsvermerk über weitere 20 Millionen
Euro können 2017 für das ZIM bis zu 568,5 Millionen
Euro eingesetzt werden.
({3})
- Der Beifall ist völlig richtig, Kollege Kahrs und liebe
Freunde von der SPD-Fraktion; damit stehen im kommenden Jahr beim ZIM etwa 58 Millionen Euro mehr
zur Verfügung als zu Beginn dieser Wahlperiode. Daran
möchte ich noch einmal ausdrücklich erinnern.
({4})
- Ich freue mich auch über den Beifall von der rechten
Seite hier; denn das sind doch beachtliche Steigerungen,
welche den hohen Stellenwert unterstreichen, den die
Große Koalition der Förderung von Forschung und Entwicklung in kleinen und mittelständischen Unternehmen
einräumt.
({5})
Damit Deutschland ein wettbewerbsfähiger Industrie- und Produktionsstandort bleibt, müssen wir die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben. Die dafür zur
Verfügung stehenden Fördermittel haben wir deshalb
in dieser Wahlperiode massiv erhöht, von 60 Millionen
Euro im Jahre 2013 auf immerhin 173 Millionen Euro für
das Jahr 2017. Davon profitieren nicht zuletzt kleine und
mittlere Unternehmen und das Handwerk.
Ich verweise hier beispielsweise auf das sehr erfolgreiche Modellvorhaben „go-digital“, welches wir 2017
zu einem bundesweiten Förderprogramm ausbauen werden. Mit „go-digital“ können kleine und mittlere Unternehmen und das Handwerk externe Beratungsleistungen
in Anspruch nehmen, um fit für die digitalen Herausforderungen zu sein.
({6})
Zudem werden wir im kommenden Jahr eine bundesweite Abdeckung mit Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren
erreichen. Diese Kompetenzzentren sind eine große Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen bei der
Digitalisierung.
({7})
Die Fördermittel für die Digitale Agenda werden wir
in den kommenden Jahren deutlich erhöhen, steigen wir
doch mit diesem Haushalt massiv in die strategische Förderung von Neuentwicklungen in der Mikroelektronik
ein. Hier sollen in den nächsten Jahren allein im Etat des
BMWi bis zu 1 Milliarde Euro bereitstehen.
Wenn wir von Innovationen sprechen, darf die Luftund Raumfahrt nicht fehlen, die ein wichtiger Innovationstreiber für die gesamte Wirtschaft ist. Wir geben im
kommenden Jahr für diesen Bereich 214 Millionen Euro
mehr aus als 2013. Besonders freut es mich, dass es uns
gelungen ist, für den Betrieb von sechs neuen Instituten
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt an verschiedenen Standorten zusätzlich dauerhaft 42 Millionen
Euro jährlich bereitzustellen;
({8})
denn dies ist ein überaus wichtiger Beitrag zum Aufbau
Ost, werden doch erstmals zwei neue DLR-Institute in
den neuen Ländern angesiedelt.
({9})
Auch die maritime Wirtschaft statten wir finanziell
besser aus. Insgesamt stehen hier 2017 mehr als 17 Millionen Euro bzw. 37 Prozent mehr Mittel als 2013 zur
Verfügung. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen für
eine starke und innovative maritime Wirtschaft bei uns
im Land.
({10})
In meiner gestrigen Rede sprach ich davon, dass wir
den Zusammenhalt in Deutschland stärken müssen. Dazu
haben wir im Etat des BMWi einen wichtigen Beitrag
geleistet. Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz: GRW, dem wichtigsten Förderprogramm für
strukturschwache Regionen, insbesondere in Ostdeutschland, auf 624 Millionen Euro erhöht. Gegenüber der Finanzplanung der Vorgängerregierung sind das sage und
schreibe 55 Millionen Euro mehr. Auch das gehört zu
unserer Leistungsbilanz dieser Wahlperiode.
({11})
Selbstverständlich haben wir den Mittelstand fest im
Blick behalten: Für die Fachkräftesicherung der kleinen
und mittleren Unternehmen steht im Vergleich zu 2013
mehr als doppelt so viel Geld bereit. Wir haben die Mittel
für die immer bedeutsamer werdende Kultur- und Kreativwirtschaft um 5 Millionen Euro angehoben, und bei
den Investitionen in überbetriebliche Fortbildungseinrichtungen haben wir den Ansatz um 8 Millionen Euro erhöht. Weil die Existenzgründer von heute der Mittelstand
von morgen sind, haben wir in diesem Bereich die Mittel
seit 2013 massiv erhöht: beim Investitionszuschuss Wagniskapital um 16 Millionen Euro auf 46 Millionen Euro
und bei den Existenzgründungen aus der Wissenschaft,
bekannt unter „EXIST“, um knapp 7 Millionen Euro auf
55 Millionen Euro.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir die
Kompetenzen zur Energiewende im BMWi gebündelt,
für eine Politik aus einem Guss und eine bessere Verzahnung der einzelnen Förderinstrumente. Wir haben seitdem nicht nur das Strommarktgesetz verabschiedet und
das EEG weiterentwickelt. Wir haben auch die Ausgaben
im Energiebereich deutlich erhöht. Neben den Mitteln
aus dem Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums
bewirtschaftet das Ministerium auch Mittel aus dem
Energie- und Klimafonds. Das sind im Haushalt 2017
für den Bereich der Energieforschung über 540 Millionen Euro, für die erneuerbaren Energien über 455 Millionen Euro und für die Energieeffizienz sage und schreibe
2,43 Milliarden Euro; darin enthalten sind insbesondere
Mittel für die CO2-Gebäudesanierung, aber auch für das
Anreizprogramm Energieeffizienz.
({12})
Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf den Antrag der Linken eingehen;
({13})
Kollege Claus hat ihn gerade begründet. Beantragt wird
eine Erhöhung der Mittel für „Schwerpunktaufgaben der
Beauftragten für die neuen Länder“ um 950 000 Euro.
({14})
Der Sachverhalt - darauf hat Herr Claus richtigerweise
hingewiesen - wurde bereits im Rahmen der Haushaltsberatungen hinreichend diskutiert. Kurz zusammengefasst: Bei Bedarf stehen ausreichend Haushaltsreste zur
Verfügung.
({15})
Aber Sie wollen ja den Eindruck erwecken, wir würden
im Wirtschaftsetat nicht genug für den Osten tun. Deshalb möchte ich die Fakten kurz zusammenfassen: Allein beim ZIM und der IGF stehen für die neuen Länder
in dieser Wahlperiode insgesamt mehr als 80 Millionen
Euro zusätzlich bereit, und für die GRW stellen wir zusätzlich mehr als 123 Millionen Euro zur Verfügung.
({16})
Nicht zu vergessen die Förderung der Mikroelektronik,
bei der voraussichtlich 80 Prozent der Investitionszuschüsse in die neuen Länder fließen werden.
({17})
Bis 2020 sind das immerhin 800 Millionen Euro. Zur Bedeutung der DLR-Institute für den Osten habe ich schon
genug gesagt. - Vor diesem Hintergrund hält sich mein
Verständnis für Ihr kleines Karo nun wirklich in Grenzen.
({18})
Ehe mich der Präsident rügt, komme ich zum Schluss.
Ich kann zusammenfassend feststellen: Unsere Bilanz
nach vier Jahren fällt sehr positiv aus. Wir haben wichtige Weichenstellungen vorgenommen und den Etat des
Bundeswirtschaftsministeriums zu einem echten Zukunftshaushalt umgestaltet.
({19})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
die Kollegin Anja Hajduk das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sprechen hier über den Haushalt des Wirtschafts- und Energieministers. Ein Energieminister im
21. Jahrhundert hat sicherlich die Verantwortung dafür,
dass auch und gerade ein Industrieland wie Deutschland
seine eigenen Klimaschutzziele erreicht.
({0})
Da ist es schon ein großer Makel, Herr Minister, dass sich
die Experten bei der Verantwortungszuschreibung einig
sind: Der Klimaschutz in Deutschland scheitert vor allem
an der Kohlepolitik von Minister Gabriel.
({1})
Sie, der zuständige Minister, haben eine klare Zielsetzung für den Kohleausstieg verhindert und Frau
Hendricks mit einem entkernten Klimaschutzplan nach
Marrakesch geschickt. Ich betone da Ihre Verantwortung,
weil es schon interessant ist, dass gerade ein SPD-Minister, der für Energie verantwortlich ist, dies zulässt. Ich
sage dazu: Man kann über den Zeitpunkt des Kohleausstiegs wahrlich streiten, und man muss ihn industrie- und
arbeitsmarktpolitisch verantwortlich organisieren; das
wissen auch wir Grünen, und wir werden deswegen über
den richtigen Zeitpunkt streiten. Aber dass man den Zeitpunkt ganz killt und das Thema Kohleausstieg nicht als
Ziel formuliert, ist keine richtige Politik im 21. Jahrhundert.
({2})
Herr Gabriel, ich muss Ihnen sagen: Gerade Sie als Sozialdemokrat haben da wirklich die Chance verpasst,
einmal mutig und überraschend ein Innovationsziel zu
setzen. Dazu fehlt Ihnen offensichtlich die Kraft. Da machen Sie den Rücken nicht gerade.
({3})
Ich sage das vor dem Hintergrund, dass sich andere Länder solche Ziele gesetzt haben; in der Folge ist
Deutschland im Klimaschutz-Index von Platz 22 auf
Platz 29 abgerutscht, hinter Indien, Indonesien und
Ägypten. Die kanadische Regierung zum Beispiel hat
sich Anfang dieser Woche das Ziel gesetzt, 2030 aus der
Kohle auszusteigen. Offensichtlich brauchen wir in der
nächsten Legislaturperiode eine andere Regierung, um
hier auf einen Zukunftspfad zu kommen.
({4})
Aber, Herr Minister, es wird auch nicht besser, wenn
wir uns einmal genauer anschauen, wie es mit der Energieeffizienz und der Wende dort aussieht; dieser Bereich
ist ja eigentlich der Riese der Energiewende. Da müssen
wir feststellen, dass das, was Sie vorschlagen, im Grunde gar nicht funktioniert. Mehr als eine halbe Milliarde
Euro bleibt in 2016 ungenutzt, weil Ihr Energieeffizienzfonds nicht funktioniert und weil die Mittel des Gebäudesanierungsprogramms nicht richtig abfließen. Auch beim
Anreizprogramm Energieeffizienz bleiben weit über
100 Millionen Euro übrig.
({5})
500 Millionen Euro bleiben ungenutzt. Es gibt ein
Wirrwarr an Zuständigkeiten und Programmen. Das
lähmt die Energieeinsparung und die Unternehmen, die
daran Interesse haben. Natürlich gibt es aufgrund des
Niedrigzinsumfeldes schwierige Rahmenbedingungen;
aber das ist doch lange bekannt. Wenn also die Kampagnen und die Programme nicht wirken, dann muss man
doch einmal über die Instrumentenwahl nachdenken.
({6})
Da sagen wir ganz klar: Hier braucht es mehr Markt.
Ausschreibungen zur Steigerung der Effizienz werden
langsam - viel zu langsam - angegangen. Wir schlagen
seit zwei Jahren vor, ein 800-Millionen-Euro-Programm
aufzulegen. Sie fangen in diesem Jahr ganz zögerlich an.
Von den geplanten 50 Millionen Euro sind 1,6 Millionen
Euro in Anspruch genommen worden. Das ist doch ein
Armutszeugnis. Sie bekommen beim Thema Energieeffizienz keinen richtigen Drive hinein.
({7})
Ich will Ihnen ein kleines Beispiel nicht ersparen.
Kanzlerin Merkel hat gestern gesagt, dass wir bei der
Batterieherstellung grundsätzlich einen Nachholbedarf
haben. Aber das wirklich gut laufende Photovoltaik-Batteriespeicherprogramm bremsen Sie aus.
({8})
Die KfW kann von Oktober dieses Jahres bis Januar
nächsten Jahres keine Förderung betreiben. In anderen
Bereichen des Ministeriums liegt das Geld unverbraucht
herum. Was ist das denn für eine Steuerung? Das ist doch
ein Armutszeugnis. Herr Jurk, da brauchen Sie sich überhaupt nicht auf die Schulter zu klopfen.
({9})
Wenn Sie dann einmal ein Programm auflegen und fördern, dann ist es das falsche. Geht es um umweltschädliche Subventionen und die Förderung fossiler Energieträger, sind Sie immer ganz fröhlich und stramm dabei. Es
fließen weiterhin Förderungen von über 280 Millionen
Euro für Heizsysteme mit fossilen Brennstoffen, für Gasund Ölheizungen. Wir behaupten ja nicht, dass wir auf
solche Heizungen sofort verzichten könnten;
({10})
der Markt läuft wirklich gut. Aber dass Sie hier Fördergeld hineinstecken, zeigt, dass Sie eine völlig falsche
Steuerung betreiben. Innovation und Zukunft erkennen
Sie nicht. Auch das sind große verpasste Chancen beim
Thema Energieeffizienz.
({11})
Jetzt möchte ich noch etwas zum Thema Mittelstand
sagen. Darüber haben wir ja auch in der ersten Lesung
gesprochen. Herr Minister, Sie haben noch viele Tage
später behauptet, ich hätte Sie da mit falschen Zahlen
konfrontiert. Nein, ich habe Sie mit Ihren eigenen Zielen
aus der Digitalen Strategie 2025 konfrontiert, dass nämlich die Mittel für das Zentrale Innovationsprogramm
Mittelstand, ZIM, auf 700 Millionen Euro gesteigert
werden sollen, während 200 Millionen Euro für die Industrielle Gemeinschaftsforschung bereitgestellt werden
sollen. Die Zahlen sind und bleiben richtig. Sie haben
dann gesagt: Nein, ich habe die Priorität in meiner Förderung - hin zur Mikroelektronik - verschoben. - So weit,
so gut. Auch das ist ein richtig wichtiger Bereich. Aber
auf meine Frage hin, wie hoch der Anteil der kleinen und
mittleren Unternehmen bei der Mikroelektronikförderung ist - die Sie jetzt als die Priorität haben, welche die
anderen Ziele, zeitlich gesehen, ersetzen soll -, mussten
Sie zugestehen: Es sind weniger als 5 Prozent, die diese
Förderung in Anspruch nehmen. Deswegen bleiben wir
dabei: Industrielle Gemeinschaftsforschung muss besser
gefördert werden. Sie haben es am Ende der Beratungen
auch eingestanden und wenigstens 30 Millionen Euro
hierfür draufgelegt. Das ist so gut wie gar nichts. Und
auch beim ZIM sind Sie von Ihrem selbstgesteckten Ziel,
dafür 100 Millionen Euro mehr bereitzustellen, weit entfernt.
({12})
Deswegen sage ich Ihnen: Auch da besteht dringende
Handlungsnotwendigkeit. Gerade bei der Industriellen
Gemeinschaftsforschung - ich komme zum Schluss Anja Hajduk
handelt es sich um ein Programm mit einem qualitativ
hochwertigen Bewertungsverfahren. 70 Prozent der bewilligungsfähigen Projekte werden dort mangels Geld
abgelehnt.
({13})
Es bleibt dabei: Wir brauchen eine andere Regierung
für eine erfolgreiche Doppelstrategie für den Mittelstand,
für steuerliche Forschungsförderung und wirkliche Projektförderung. Das muss vorankommen. Herr Gabriel,
dies sind Sie in dieser Legislaturperiode leider schuldig
geblieben.
Schönen Dank.
({14})
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die CDU/
CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Hajduk, auch wenn die Rollen zwischen Koalition und
Opposition gerade bei Plenardebatten eindeutig geregelt
sind, kann es nicht schaden, wenn Sie als Opposition ab
und an auch einmal die Wirklichkeit in Deutschland betrachten und sich ganz gelassen die Frage stellen: Woran
liegt es, dass Deutschland - vor allem auch im Vergleich
zu unseren europäischen Nachbarn - um so viel besser
dasteht als andere?
Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland ein kontinuierliches, ja mittlerweile beständiges
wirtschaftliches Wachstum, und wir sind eine der führenden Exportnationen weltweit. Wenn mir jemand vor
zehn Jahren gesagt hätte, dass wir im Jahr 2016 mit rund
2,5 Millionen Arbeitslosen die niedrigste Arbeitslosenzahl seit 25 Jahren haben, dann hätte ich zumindest zu
dieser Zeit nur ungläubig den Kopf geschüttelt.
Diese guten Daten sind nicht über Nacht und auch
nicht von allein gekommen. Ich sage häufig ein wenig
flapsig, dass bei hoher Arbeitslosigkeit und schlechten
wirtschaftlichen Daten in Deutschland immer und ausschließlich - Sie haben das ja deutlich gemacht, Frau
Hajduk - die Regierungskoalition verantwortlich ist,
während bei guten Arbeitsmarktdaten und hohem Wirtschaftswachstum die Regierungskoalition hingegen - gerade aus Sicht der Opposition - überhaupt keinen Anteil
daran hat. Das ist natürlich nicht richtig. Kluge und vorausschauende Entscheidungen, die wir in der vergangenen und in dieser Legislaturperiode unter Führung der
Union mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin getroffen
haben, sind für die gute wirtschaftliche Lage - nicht nur,
aber zu einem ganz großen Teil - verantwortlich. Deshalb ist es gut, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, auch für
eine weitere Kanzlerschaft zur Verfügung stehen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade in
wirtschaftlich starken Zeiten tragen wir eine sehr große
Verantwortung. Gerade jetzt ist es unsere Pflicht, günstige Rahmenbedingungen zu erhalten, damit wir mit
zukünftigen Herausforderungen auch in schlechteren
Zeiten besser zurechtkommen als vielleicht andere. Wir
sollten dies auch tun - das ist mir sehr wichtig -, um den
kommenden Generationen, die eben auch noch gestalten
und nicht bloß Schulden verwalten wollen, Raum für
eigene Entscheidungen und vor allen Dingen für eigene
Visionen zu lassen. Darum ist es absolut richtig, in der
jetzt guten konjunkturellen Lage keine neuen Schulden
aufzunehmen und sogar Schulden zurückzuzahlen.
Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, gerade in diesen Haushaltsberatungen, Herr Kollege Claus, bei Ihren milliardenschweren Ausgabeanträgen
gemerkt, dass Ihnen die schwarze Null überhaupt nicht
gefällt. Warum Ihnen das nicht gefällt, ist mir ein wenig schleierhaft, aber nach Ihrer Interpretation gehört das
Schuldenmachen wohl zur Politik dazu.
Wir als Union sehen das anders. Ich bin es auch ganz
persönlich meinen eigenen Kindern schuldig, dass unsere Politikergeneration dauerhaft mit dem vermaledeiten
Schuldenmachen aufhört.
({1})
Deutschland geht es vor allen Dingen auch deshalb
besser als anderen Ländern, weil Deutschland von einem
starken Mittelstand geprägt ist. Diese mittelständischen
Unternehmen haben einen großen Anteil an der wirtschaftlichen Stabilität Deutschlands, an unserer Innovationsfähigkeit und unserer Technologieführerschaft in sehr
vielen Bereichen. Auch im Exportbereich ist der Mittelstand ein starker Partner für ausländische Unternehmen.
Er genießt mit seinen qualitativ hochwertigen Produkten
höchste Anerkennung. Die Marke „made in Germany“ das erleben wir Parlamentarier gerade auf Auslandsreisen immer wieder - steht nach wie vor für Qualität und
Verlässlichkeit, und sie verkauft sich ausgesprochen gut.
Dennoch können wir in diesem Bereich, wie ich meine, noch viel für kleine und mittelständische Unternehmen machen, was nicht immer mit Haushaltsmitteln
zu tun haben muss. So haben wir zum Beispiel mit der
Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit Kanada
einen ersten Schritt getan, um exporthemmende Regularien abzubauen und unsere Wirtschaft damit zu stärken.
Gerade für eine Exportnation wie Deutschland sind
solche Freihandelsabkommen von größter Wichtigkeit.
({2})
Sie erleichtern in besonderem Maße den Zugang zu neuen
Märkten. Außerdem können wir so gemeinsam mit Partnern in der Europäischen Union und unseren transatlantischen Partnern in Zeiten der Globalisierung, die wirklich
häufig nicht einfach sind, aktiv weltweite Standards und
unsere Vorstellungen von Freihandel, Umweltschutz,
Datensicherheit und Verbraucherschutz gegenüber Staaten wie zum Beispiel Russland und China durchsetzen.
Ich sage deutlich: Weitere Abkommen sind aus deutscher Sicht zwingend erforderlich, wenn wir unseren
hohen Lebensstandard auch in Zukunft - mit enormen
Ausgaben für Soziales und Umwelt - halten wollen.
({3})
Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass gerade Sie
von den Linken und insbesondere auch Sie von den Grünen - das gilt leider auch für Teile der SPD - das Abkommen mit den Vereinigten Staaten bekämpft haben. Liebe
Kollegen der Grünen, in ganz ferner Zukunft mögen Sie
auch einmal wieder Regierungsverantwortung tragen,
und spätestens dann werden Sie lernen, dass man das,
was man verteilen möchte, vorher erst erarbeitet haben
muss.
({4})
Das wird, so leid es mir tut, nur mit einer ganz starken
Wirtschaft gehen. Ich bin mir ganz sicher: Irgendwann
in der Zukunft blicken Sie nicht mehr selbstverliebt auf
Ihren Kampf gegen TTIP zurück; denn dieses heute noch
nicht umgesetzt zu haben - da bin ich mir ganz sicher -,
wird uns in der Zukunft erheblich belasten.
({5})
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu den
Rahmendaten des Etats. Sehr vieles hat der Kollege Jurk
richtigerweise ja schon vorgestellt. Der Haushalt des
Wirtschaftsministeriums ist mit 7,73 Milliarden Euro
ausgestattet.
Mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand,
das angesprochen wurde, und der industriellen Gemeinschaftsforschung haben wir - da bin ich mir sicher - hervorragende Instrumentarien, um den Mittelstand zu fördern und zu unterstützen. Diese Programme werden sehr
stark nachgefragt, sodass wir regelmäßig natürlich nicht
alle Anträge bewilligen können und - das mag ja auch
gar nicht verkehrt sein - die besten auswählen müssen.
({6})
Diese Programme helfen dem Mittelstand, Produkte
zu entwickeln und gegebenenfalls auch Spielräume zu
schaffen, damit diese Produkte auch erfolgreich vermarktet werden können. Das ZIM kann nach unseren Beratungen mit dem Haushaltsvermerk über 10 Millionen
Euro mehr verfügen, und auch den Titel für die industrielle Gemeinschaftsforschung haben wir in den Beratungen von 210 Millionen Euro um 30 Millionen Euro
angehoben. Das ist schon eine stattliche Summe.
Ein weiteres Instrument für die Förderung von kleinen
und mittelständischen Unternehmen sind die Auslandsmessen. Viele Unternehmen haben oft nicht die finanziellen und vor allen Dingen nicht die personellen Ressourcen, um sich Auslandsmärkte gezielt zu erschließen. Die
Beteiligung an Ausstellungen und Messen ist für viele
Unternehmen aber ein ganz wichtiger Vertriebsfaktor,
um mit den qualitativ hochwertigen Produkten, die unser
Mittelstand herstellt, auch Umsätze zu generieren. Darum haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Mittel für
das Auslandsmesseprogramm in diesem Jahr noch einmal um 1,5 Millionen Euro heraufgesetzt wurden.
Einen ganz neuen und, wie ich meine, mutigen Schritt
gehen wir, um große Auslandsprojekte strategisch besser
zu begleiten. Wir werden im kommenden Jahr einen Koordinator der Bundesregierung für strategische Auslandsprojekte einsetzen. Er wird Großprojekte und vor allem
auch Aufträge bei Infrastruktur- und Industrieprojekten
mit herausragender Bedeutung für unsere Wirtschaft
begleiten. Dies tun wir vor allem, um unsere deutsche
Wettbewerbsfähigkeit auszubauen sowie Markanteile auf
ausländischen Märkten zu erschließen; denn entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Angebote
in strategisch relevanten Bereichen ist - das mussten wir
bei einem nicht erhaltenen U-Boot-Auftrag schmerzhaft
lernen - heute mehr denn je die gezielte politische Begleitung. Deshalb, Herr Minister, müssen Großprojekte
heute stärker politisch flankiert werden, als wir dies in
der Vergangenheit getan haben. Ich bin froh, dass wir das
mit der Einsetzung eines Koordinators und einer kleinen,
aber feinen Geschäftsstelle nun tun.
Meine Damen und Herren, ich sprach anfangs von
klugen und vorausschauenden Entscheidungen, die wir
für zukünftige Generationen treffen müssen. Darum
bin ich froh darüber, dass wir auch in den diesjährigen
Haushaltsberatungen mit der Einrichtung von sechs Forschungsinstituten unter dem Dach des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt die Forschungslandschaft
in Deutschland weiter stärken werden. Für diese sechs
neuen Institute stellen wir zusätzlich 42 Millionen Euro
bereit. Die Institute werden so wichtige Themen wie das
virtuelle Flugzeug - unter dem Stichpunkt Industrie 4.0 oder den Schutz maritimer Infrastrukturen mittels Satellitentechnologie bearbeiten.
Als Niedersachse - das sei mir abschließend erlaubt - möchte ich die maritime Wirtschaft natürlich
nicht vergessen. Sie ist für uns ein großer und wichtiger
Wirtschaftszweig und schafft vor allen Dingen hochqualifizierte und sehr gut bezahlte Arbeitsplätze gerade bei
uns in der Region.
({7})
Deutschland ist vor allen Dingen im Spezial- und Kreuzfahrtschiffbau weltweit führend. Deshalb ist es richtig
gewesen, dass wir den Ansatz des Regierungsentwurfes
für den innovativen Schiffbau von 15 Millionen Euro
wieder auf 25 Millionen Euro heraufgesetzt haben.
Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, zum Schluss
möchte ich mich für die - müssen wir jetzt schon sagen sehr gute Zusammenarbeit in den vergangenen vier Jahren bei Ihnen persönlich, ganz besonders aber bei Ihrem
Staatssekretär Herrn Rainer Sontowski bedanken. Auch
beim gesamten Haushaltsreferat möchte ich mich für die
gute, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit
bedanken.
({8})
Wir haben für das Jahr 2017 - wie auch in den vergangenen Jahren - einen sehr verantwortungsbewussten
und zukunftsweisenden Haushaltsplan aufgestellt, dem
jeder - das sage ich auch deutlich mit Blick in Richtung
Opposition - in diesem Haus zustimmen könnte, und ich
werbe um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt ist sozusagen in Zahlen geronnene Politik.
Deswegen macht es auch Sinn, über die politischen Zusammenhänge zu sprechen, die hinter diesem Zahlenwerk stehen.
Wir alle merken ja, dass die Welt in ganz unterschiedlicher Hinsicht gerade neu vermessen wird. Wir erleben
das an der rasanten Veränderung der Digitalisierung. Wir
erleben es in der Auseinandersetzung zwischen sozialen
und liberalen Demokratien auf der einen Seite und dem
Anwachsen autoritärer Antworten auf der anderen Seite,
nicht nur in anderen Teilen der Welt, sondern auch mitten bei uns in Europa. Wir erleben es auch im eigenen
Land, indem wir trotz einer sehr guten wirtschaftlichen
Entwicklung auch feststellen, dass die Nervosität, die
Sorge von Menschen über ihre Zukunft gestiegen ist. Ich
glaube, dass wir mit dem Bundeshaushalt jedenfalls eine
ganze Reihe von Angeboten geschaffen haben, um darauf zu reagieren.
Auf Deutschland kommt sehr viel Verantwortung zu.
Wir sind ein Anker der Stabilität, der seine Stabilität auch
nutzt, um andere zu stabilisieren. Deutschlands Aufgabe ist eben auch die einer gefestigten Demokratie: Menschen zu zeigen, dass sie trotz dieser Veränderungen in
der Welt in unserem Land sicher und gut leben können.
Ich will am Anfang sagen: Trotz allem, was wir in diesen Monaten an Schwierigkeiten beobachten, trotz mancher Dinge, die in unserer Gesellschaft an den Rändern
passieren, der Gewalt in der Sprache und der Gewalt im
Alltag, die wir erleben: Dies ist nach wie vor eines der
friedlichsten, eines der sichersten und eines der demokratischsten Länder der Welt. Die Menschen dieses Landes
in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit gehen jeden Tag
fleißig arbeiten, lesen ihren Kindern abends Bücher am
Bett vor, engagieren sich in Sportvereinen, für Flüchtlinge, für Kultur und in Wirtschaftsverbänden. Das ist das
Deutschland, finde ich, dessen Bild wir in der Öffentlichkeit stärken müssen, und nicht das, was wir ansonsten
erleben.
({0})
Dieser Anker der Stabilität hat natürlich etwas mit der
wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes zu tun. Es
stimmt: Sie ist ausgesprochen gut. Seit drei Jahren ermöglichen die Wachstumsraten, eine Beschäftigtenzahl
in Deutschland zu erreichen, die es noch nie gegeben
hat: 43,5 Millionen Menschen - im nächsten Jahr möglicherweise 44 Millionen Menschen -, die in Deutschland
Arbeit und Beschäftigung bekommen, und zwar nicht,
wie manche behaupten, steigend in prekärer Beschäftigung, sondern, im Gegenteil, in steigender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, verbunden mit einer
Abnahme prekärer Beschäftigung, mit steigenden Reallöhnen, mit einer Rentenerhöhung, die wir gerade hatten, der höchsten seit 20 Jahren, und mit der niedrigsten
Arbeitslosigkeit seit 26 Jahren. Das ist das Pfund, mit
dem wir wuchern und das es uns erlaubt, die gewaltige
Aufgabe der Flüchtlingsintegration ohne Steuererhöhungen und ohne große Verteilungskämpfe, jedenfalls bisher, zu bewältigen.
Das zeigt auch, wie wichtig es ist, dass wir uns über die
Frage unterhalten: Was können wir tun, damit das nicht
nur jetzt so gut ist, sondern auch in zehn Jahren noch
so gut ist? Das, glaube ich, bedeutet, dass wir vor allen
Dingen mehr investieren müssen. Mit diesem Haushalt
tun wir das schon. Das Investitionsvolumen des Bundeshaushaltes hat sich in den Jahren, in denen wir Haushalte
beschlossen haben, um ein Drittel erhöht.
Wir haben eine gewaltige Entlastung, zum Beispiel
der kommunalen Haushalte, mit Größenordnungen erreicht, die es in der Geschichte der Republik bisher nicht
gegeben hat. Länder und Kommunen haben wir in dieser
Legislaturperiode mit 70 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt entlastet. Das ist deshalb wichtig, weil die
große Investitionstätigkeit in der Regel in den Kommunen stattfindet: früher zu fast drei Viertel, heute gerade
noch zu 50 Prozent. Deswegen war es gut, dass wir die
Kommunen entlastet haben. Daran müssen wir weiter
festhalten.
({1})
Übrigens wird da eine Aufgabe auf uns zukommen, die
wir, glaube ich, in der Gegenwart noch nicht richtig im
Blick haben. Wir haben für vieles in unserer kommunalen Entwicklung Parameter: Zahlen, wie viele Menschen
in einem Ort leben müssen, damit bestimmte Einrichtungen der Daseinsvorsorge existieren; Zahlen für Kliniken,
geburtshilfliche Abteilungen; Zahlen für Ämter, für Gerichte vor Ort. Diese Zahlen wenden wir derzeit an. Das
führt dazu, dass wir Ämter schließen, Gerichte schließen,
Kliniken schließen, geburtshilfliche Abteilungen dort
schließen, wo der demografische Wandel dazu führt, dass
die Orte kleiner werden.
({2})
Ich glaube, dass wir so nicht weitermachen können.
Ich glaube, dass über die kommunale Entlastung hinaus,
die wir jetzt erreicht haben, sichergestellt werden muss,
dass die öffentliche Daseinsvorsorge auch in kleiner werdenden Gemeinden existiert. Nicht nur die Kirche muss
im Dorf bleiben, sondern zum Beispiel auch die Grundschule.
({3})
Ich sage das wirklich, weil es keine soziale und liberale Demokratie ohne soziale und offene Gemeinden und
Dörfer gibt. Verwahrloste Städte und Gemeinden schaffen verwahrloste Köpfe und Seelen. Deswegen wird es
sehr darauf ankommen, die Kraft der Dörfer, der Gemeinden, der Stadtteile und der Städte auch außerhalb
der Ballungszentren deutlich zu stärken, damit Menschen
wissen: Wir wissen, dass sie dort leben und auch leben
wollen, sodass sie dort eine Heimat finden. - Heimat ist
ein moderner Begriff.
({4})
In einer Zeit, in der das Große wichtiger wird, wird
auch das Kleine wieder wichtiger. Menschen brauchen
sicheren Grund unter den Füßen, weil sie wissen, dass
die Veränderungen, mit denen sie konfrontiert sind, nicht
aufhören werden. Deshalb war es so wichtig, in dieser
Periode die kommunale Finanzkraft und die kommunale
Investitionskraft zu stärken.
({5})
Ich glaube, dass wir bei dieser Investitionstätigkeit
diese Herausforderungen in den kommenden Jahren weiter annehmen müssen. Im Bereich der Digitalisierung hat
der Kollege Dobrindt schon vieles auf den Weg gebracht.
Die digitale Infrastruktur wird sich aber noch weiter entwickeln müssen. Das gilt nicht nur für die Fläche, sondern
vor allen Dingen auch für die Geschwindigkeit. Dort, wo
Unternehmen sie brauchen, um neue Geschäftsfelder zu
entwickeln und wettbewerbsfähig zu bleiben, werden wir
sie weiter ausbauen müssen.
Wir haben einen gigantischen Sanierungsstau von
34 Milliarden Euro im Bereich unserer Schulen. Wir
brauchen mehr Geld. Es ist gut, dass es mithilfe der
Bund-Länder-Finanzverhandlungen gelungen ist, das
Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der
Bildung wenigstens im Investitionsbereich zu lockern.
Wir wollen dort in den nächsten Jahren mehr investieren.
({6})
Ich glaube übrigens, das ganze Thema Fachkräftemangel kann man nicht nur durch Zuwanderung lösen, sondern man muss es vor allen Dingen auch dadurch lösen,
dass wir da, wo wir immer noch Bildungsferne vererben,
in den schwierigen Stadtteilen, mehr dafür tun, dass junge Leute in unserem Land besser gefördert werden. Die
besten Schulen müssen in den schwierigsten Stadtteilen
stehen. Da müssen sie Leuchttürme unserer Gesellschaft
sein.
({7})
Auch da schaffen wir einiges. Ich bin dem Kollegen
Schäuble sehr dankbar dafür. Denn sozusagen ein bisschen angehängt an den Haushalt jetzt machen wir den
Nachtragshaushalt. Dort erweitern wir noch einmal das
kommunale Investitionsprogramm für finanzschwache
Kommunen. Das soll gerade den Einstieg in die Sanierung von Schulen in schwierigen Stadtteilen mit verbinden.
Das heißt, wir zeigen in dem Haushalt überall, dass
Investitionen im Mittelpunkt stehen. Aber lassen Sie uns
auch offen sagen, dass wir, gerade weil wir vor einem
Wahljahr stehen, alle miteinander aufpassen müssen,
dass wir in diesem Wahljahr durch die unterschiedlichen
Möglichkeiten, die man hat - um es einmal zurückhaltend zu sagen -, nicht die Investitionsmöglichkeiten im
nächsten und übernächsten Haushalt reduzieren. Denn
die Wahrheit ist, dass es uns auch deshalb finanziell so
gut geht, weil wir eine Niedrigzinsphase haben. Wir sparen 20 Milliarden Euro pro Jahr durch niedrige Zinsen.
Ich glaube nicht, dass man davon ausgehen kann, dass
das dauerhaft so bleibt. Im Übrigen wollen wir sogar höhere Zinsen, wegen anderer Themen, die uns auch belasten.
Deswegen verbieten sich zwei Dinge. Ich sage das
auch an die Adresse meiner eigenen Fraktion. Es verbieten sich zu schnelle und zu große konsumtive Versprechungen neuer Ausgabenpakete, die man nicht nachhaltig finanzieren kann.
({8})
- Ich wusste, dass die Kollegen aus der Union da klatschen. - Aber wissen Sie, was sich auch verbietet? Gigantische Steuersenkungsversprechen, von denen man
nicht weiß, ob man sie bezahlen kann.
({9})
Noch gefährlicher wird es, wenn wir uns - ausgelöst
durch die Probleme in Großbritannien - in Europa auf
eine neue Runde der Senkung von Unternehmensteuern
einlassen.
({10})
Ich lese Ihnen einmal etwas aus der Süddeutschen Zeitung von gestern vor. Da heißt es:
Der Wettbewerb um Niedrigsteuern ist auch ein
Wettbewerb um das richtige gesellschaftspolitische Konzept. Die Regierungen in Washington
und London wollen Unternehmen und Kapital
ins Land holen, um zu beweisen, dass es richtig
ist, sich ins Nationale zurückzuziehen. Es ist an
den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mit einem gemeinsamen Steuerkonzept ihrerseits zu beweisen, dass die Bürger davon profitieren, wenn sie einer Gemeinschaft angehören.
Statt Deutschland zum Steuerparadies auszubauen … Die Steuerpläne in den USA sollten die Europäer motivieren, sich endlich auf eine einheitliche
Grundlage zur Besteuerung von Unternehmen zu
einigen. Es wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit.
Mehr muss man zu diesem Thema eigentlich nicht sagen.
({11})
Hier ist in den unterschiedlichsten Reden oft von Maß
und Mitte gesprochen worden. Ich finde, Maß und Mitte heißt auch, mit den guten Zahlen, die wir jetzt haben,
vorsichtig umzugehen, auch was konsumtive Ausgabenversprechungen angeht. Ich finde zum Beispiel, dass die
Koalition gerade auf einem guten Weg ist, in der Rentenpolitik Maß und Mitte zu behalten. Das liegt an Andrea
Nahles, aber auch an dem Bewusstsein in der Koalition,
dass da manches getan werden muss, aber dass wir nicht
alles versprechen können.
Maß und Mitte müssen wir aber auch in der Frage behalten, wie wir mit Steuersenkungen umgehen. Statt mit
der Gießkanne durch die Lande zu ziehen, ist es besser,
Familien und Alleinerziehende gezielt zu entlasten, zum
Beispiel durch die bundesweite Abschaffung von Kindertagesstättengebühren. Das ist besser für die Familien
und bringt mehr als manches andere.
({12})
Ich sage das immer wieder vor dem Hintergrund,
dass wir die Stabilität im Land bewahren müssen. Das
geht nur durch Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Der Kollege Mattfeldt hat eben
gesagt - das wurde ein bisschen belächelt -: Offenbar
muss zuerst die Wirtschaft florieren, bevor wir über andere Fragen reden. - Da hat er recht. Wo wären wir jetzt
in der Flüchtlingsdebatte bei steigender Arbeitslosigkeit
oder schlechtem Wirtschaftswachstum? Deswegen ist
es kein Widerspruch, gleichzeitig von wirtschaftlichem
Erfolg und sozialer Stabilität zu reden. Beides gehört zusammen; da hat er völlig recht. Das ist sehr wichtig; denn
wir merken, dass es Abstiegsängste in Deutschland gibt,
selbst bei denjenigen, denen es gut geht.
Die FAZ hat vor ein paar Tagen etwas Richtiges geschrieben:
Wenn es also etwas ernst zu nehmen gibt am Ressentiment der Zukurzgekommenen, dann ist es nicht
das Ressentiment; es ist die Zukurzgekommenheit.
Wir können trotz guter Entwicklung nicht übersehen,
dass es Menschen bei uns gibt, die sich nicht beachtet
fühlen, die nicht den Traum ihrer Eltern erleben, dass
man durch Arbeit für sich und seine Kinder ein besseres
Leben bekommt, sondern die kleine Einkommen haben,
prekär beschäftigt sind und erleben, dass ihre Kinder
trotz guter Ausbildung nur in Zeitarbeit sind, sowie, Frau
Kollegin Hajduk, die Sorge haben, dass die gemeinsame
Politik der hier im Bundestag vertretenen Parteien sie gar
nicht mehr beachtet.
Ja, ich habe mit Absicht das Datum für den Kohleausstieg nicht genannt. Dazu bekenne ich mich ausdrücklich. Wissen Sie, warum? Weil ich es für anständig halte,
denen, die davon betroffen sind, zuerst eine reale Perspektive für sich und ihre Kinder zu geben und sie nicht
mit Gutachten zu vertrösten, um gleichzeitig den Tag
festzustellen, an dem sie ihren Job los sind. Das will ich
nicht.
({13})
Sie können das hier im Bundestag und im Wahlkampf
noch ein paarmal behaupten. Jeder weiß, dass die Klimaschutzziele bei der bisherigen Höhe der Kohleverstromung in Deutschland nicht zu erreichen sind. Das wissen
auch die Betroffenen. Sie wissen, dass die Bedeutung
der Kohle abnehmen wird. Aber ich, der ich aus einem
Gebiet komme, in dem ein Strukturwandel in den 70erund 80er-Jahren stattgefunden hat, habe die Erfahrung
gemacht, dass man von der Politik immer Versprechungen bekommt, wie viele Ersatzarbeitsplätze geschaffen
werden. Ich kann Ihnen die entsprechenden Stichworte
dazu nennen. „Man muss die regionalen Potenziale heben“ und andere theoretische Formulierungen sind dann
zu hören. Prognos und andere erstellen dann bändeweise
Gutachten und verdienen sich daran eine goldene Nase.
Aber am Ende passiert nur eines: Die Jobs sind weg, und
die Perspektiven sind auf dem Papier geblieben.
({14})
- Sie reden doch gleich, Herr Kollege. Dann höre ich
Ihnen wieder geduldig zu. Versuchen Sie es doch umgekehrt auch einmal. Wir müssen ja nicht einer Meinung
sein. Im Gegenteil: In dieser Frage ist es ganz gut, wenn
wir nicht einer Meinung sind.
Wir haben in der Koalition deswegen sehr präzise beschrieben, was wir machen wollen, und haben eine Kommission eingesetzt, um zu klären, wie die realistischen
Perspektiven für Ersatzarbeitsplätze aussehen. Da steht
nicht, dass wir aus der Kohle aussteigen. Aber die Reihenfolge ist wichtig.
Ich sage Ihnen: Ich kenne zu viele Potenziale in der
deutschen Bevölkerung, die sich von uns nicht mehr
wahrgenommen fühlen und deshalb in andere Richtungen
schauen. Ich will nicht, dass diese Potenziale zunehmen.
Die Arbeitsplätze, über die wir derzeit reden, sind sicher,
tarifvertraglich gut bezahlt und in der Mitbestimmung
verankert. Den betroffenen Menschen will ich nicht signalisieren: Ihr interessiert uns gar nicht; uns interessiert
ausschließlich das Datum des Kohleausstiegs. - Deswegen habe ich das Datum herausgestrichen.
({15})
Sie haben noch gesagt, Kanada sei viel besser. Aber
dann sagen Sie auch, dass Kanada für Fracking ist
({16})
- genau, auch für CCS - und dass in Kanada eine Energiepolitik betrieben wird, die Sie hier - übrigens aus guten Gründen - bekämpfen. Die Alternative in Kanada zur
Kohle sind nicht die Erneuerbaren, sondern die unkonventionelle Gasförderung und Ölsande. Das verschweigen Sie in der Debatte. Im Übrigen gibt es kein Land der
Erde, das einen solchen detaillierten Klimaschutzplan
auf den Tisch gelegt hat, wie wir ihn in der vorletzten
Woche im Kabinett beschlossen haben - kein Land der
Erde! Wir sind die Einzigen, die das machen.
({17})
Frau Kollegin Hajduk, ja, das birgt ein Risiko. Wenn
man sich auf klare Ziele festlegt - Deutschland hat das in
jeder Regierung getan -, birgt das das Risiko, dass man
die Ziele auch verfehlt. Dann muss man - da haben Sie
völlig recht, das ist auch Ihr Argument - darüber streiten:
Ist das richtig gemacht worden? Sind die richtigen Maßnahmen eingesetzt worden? Aber tun Sie nicht immer so,
als würden wir uns keine Ziele setzen. Wir sind beim Klimaschutz nicht so pflaumenweich in unseren Formulierungen wie der Rest der Welt. Wir müssen schon darauf
achten, dass in diesem Land industrielle Arbeitsplätze
erhalten bleiben.
Es gibt noch eine Gruppe, um die wir uns kümmern
müssen, auch im Zusammenhang mit dem Thema ETS,
also Emissionshandel in Europa: Ich will nicht, dass die
Stahlarbeiter in Deutschland den Eindruck haben, die
offenen Märkte und der Klimaschutz seien uns wichtig,
aber nicht ihre Jobs in der deutschen Stahlindustrie. Das
will ich nicht, dazu bekenne ich mich.
({18})
Ich finde, dass wir mit dem, was wir in der Regierung
jetzt getan haben, beides auf den Weg bringen. Wir bringen auf den Weg, dass wir wirtschaftlichen Erfolg sichern oder jedenfalls Bedingungen dafür schaffen wollen
und gleichzeitig sozialen Zusammenhalt. Die Regierung
hat hier in dieser Periode eben beides geschafft: Sie hat
die Investitionen ausgebaut. Frau Kollegin Hajduk, wir
geben übrigens in der Digitalisierung über 1 Milliarde
Euro bis 2020 aus. Da sagen Sie, das gehe nicht an die
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wissen Sie
eigentlich, was passiert, wenn dieses Land in der Mikroelektronik - ({19})
- Ja, wissen Sie, der Unterschied zwischen uns beiden
ist: Wir schauen ab und zu hin, ob die Politik mit der
Praxis in Einklang zu bringen ist. Wenn wir merken, dass
sich die Praxis ändert, dann ändern wir das. So einfach
ist das.
({20})
- Ja, das stimmt, wir haben die Prioritäten geändert. Wissen Sie, warum? Wenn uns die Mikroelektronik verloren geht, dann haben auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Bereich der Digitalisierung keine
Chance mehr. Dann werden wir verlängerte Werkbank.
Das ist der Grund, warum wir über 1 Milliarde Euro in
den nächsten Jahren dort investieren.
({21})
Wenn Sie sagen: Da haben Sie Ihre Prioritäten gewechselt, dann sage ich: Wissen Sie was, Sie haben recht,
weil es nötig war, haben wir es gemacht.
Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk eine Zwischenfrage stellen?
Selbstverständlich.
({0})
Dass Moorburg nicht so ein Zukunftsprojekt ist, wie
Sie als SPD immer behauptet haben, das können Sie jetzt
auch nicht mehr laut sagen. Deswegen ist dieser Zwischenruf sowieso ein bisschen seltsam.
Herr Minister, ich lege Wert darauf, dass Sie das auch
ernst nehmen, wenn ich sage, dass das mit der Mikroelektronik wichtig ist und dass ich nicht kritisiert habe,
dass es auch einmal sein kann, dass man die Prioritäten
ändert. Ich habe Sie nur mit Blick auf die kleinen und
mittleren Unternehmen damit konfrontiert, dass Ihr eigenes Ministerium auf meine Nachfrage gesagt hat: Richtig
ist aber, dass diese sogar milliardenschwere Förderung
nur zu unter 5 Prozent kleine und mittlere Unternehmen
erreicht. - Deswegen habe ich gesagt, dass es nicht als
Ersatzmaßnahme für die Förderung von kleinen und
mittleren Unternehmen taugt. Ich bitte Sie, diese Argumentation auch so zu verstehen, wie ich es gesagt habe.
Dass das in Zukunft auch für die kleinen und mittleren Unternehmen Potenzial hat, wenn wir bei der Mikroelektronik stärker werden, das erkenne ich an. Aber Sie
haben auf diesen Umstand auch noch zu reagieren: Was
erreichen wir eigentlich in den Jahren 2016/2017 an Förderungen für kleine und mittlere Unternehmen, wenn wir
wissen, dass dort über 70 Prozent von förderfähigen Anträgen liegen bleiben?
({0})
Der Grund, warum wir die dafür vorhandenen Förderprogramme ausgebaut haben, ist, dass beides notwendig
ist. Wenn Sie sagen, Sie finden es auch vernünftig für die
Kleinen und Mittleren, sich in der Mikroelektronik nicht
abhängen zu lassen - ({0})
- Das hat sie vorher nicht gesagt.
({1})
- Sie dürfen jetzt nicht glauben, dass das alte Sprichwort
meiner Großmutter: „Was ich denk und tu, das trau ich
jedem andern zu“, auch auf mich zutrifft.
({2})
Das war das, was Sie da versucht haben.
Aber lassen Sie uns doch einfach feststellen: Wir beide sind uns einig: Die Förderung der Mikroelektronik
ist sinnvoll. Wir beide sind uns einig: Das hilft kleinen
und mittleren Unternehmen. Und wir beide sind uns auch
einig: Es wäre gut, wenn wir die mittelständischen Förderprogramme noch mehr, als es diese Koalition bereits
getan hat, ausbauen würden.
({3})
- Na, gucken Sie mal,
({4})
Sie nähern sich mit rasanter Geschwindigkeit wirtschaftspolitisch meinen Auffassungen. Das finde ich gut.
({5})
- Ein bisschen Humor geht doch auch. Ihr habt doch
gleich noch die Möglichkeit, mich zu beschimpfen, und
werdet sie auch nutzen.
Ich will noch zwei Bemerkungen machen. Eines ist
hier etwas zu kurz gekommen, aber wir haben an anderer
Stelle Gelegenheit, das auszuführen. Wir haben Gewaltiges in der Energiewende geleistet. Übrigens ist keine
der Prognosen, die zum Thema Windenergie aufgestellt
wurden, eingetroffen - Ende des Ausbaus, Stopp der erneuerbaren Energien -, als wir das EEG novelliert haben. Wir nähern uns wieder Rekordjahren, zum Ärger
von Michael Fuchs. Ich finde, wir haben gerade dort den
Markt fit für die erneuerbaren Energien gemacht und die
erneuerbaren fit für den Markt.
Übrigens, Frau Kollegin, ich bin deshalb gegen große Förderprogramme für Speichertechnologien, weil sie
nur eine Flexibilitätsoption darstellen. Sie haben sich
an einer Stelle in Ihrer Rede massiv widersprochen. Sie
können nicht für den Markt plädieren und dann mit einer
Technologie Markteingriffe machen. Damit befördern
Sie möglicherweise die falsche Technologie. Deswegen
glaube ich, dass wir vieles richtig gemacht haben.
({6})
Der letzte Punkt. Ich glaube, dass es auch richtig war,
mit Mindestlohn und vielen anderen Dingen zu zeigen,
dass wir die soziale Marktwirtschaft in unserem Land erneuern. Das stimmt, und das ist der Grund, warum ich für
die 15 000 Beschäftigten bei Kaiser’s Tengelmann kämpfe - offensichtlich jetzt mit ziemlich großem Erfolg.
({7})
Am Ende - das wird Frau Dröge nicht gefallen - ist
all das, was wir jetzt erreichen, nur durch die Ministererlaubnis überhaupt erreichbar gewesen; sonst würden die
nicht einmal miteinander reden. Sie würden sich weiter
zulasten der Beschäftigten bekämpfen. Ich glaube, dass
das auch die Antwort auf die Verunsicherung in der Welt
ist. Die Menschen bekommen zwei Angebote. Das eine
Angebot lautet: Pass dich an, die Globalisierung ist eben
so. - Das andere Angebot besteht darin, Mauern hochzuziehen.
Wir geben ein drittes Angebot. Dazu zählt übrigens
auch CETA. Wir geben das Angebot, für Rahmenbedingungen der sozialen Marktwirtschaft zu kämpfen, und
zwar nicht nur national, sondern europäisch und international. Das ist die beste Antwort, die in der Geschichte
der Industrialisierung, in der Geschichte Europas und in
der Geschichte unseres Landes überhaupt gegeben wurde. Sie ist nicht aus dem 20. Jahrhundert; sie ist eine ganz
moderne Antwort auch auf die Herausforderungen des
21. Jahrhunderts. Aber wir müssen unter Beweis stellen,
dass wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt
und Sicherheit in unserem Land geleistet werden, damit
andere diesem Versprechen trauen und ihm folgen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Schlecht für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Minister, wenn die 28-jährige Frau, die ein Studium hervorragend absolviert hat und nach dem Studium zum
dritten, vierten Mal nur in einem befristeten Job arbeiten
kann, Ihre Rede gehört hätte, wenn der Leiharbeiter bei
VW, dem wie 5 000 anderen Leiharbeitern in Aussicht
gestellt worden ist, dass er demnächst bei VW über die
Klinge springen kann, unter anderem auch wegen des
Dieselskandals, Ihre Rede gehört hätte, in der Sie die Situation hier in Deutschland so rosig malen, dann würden
die sich veräppelt fühlen oder in der Sprache der Betroffenen: Die würden sich verarscht fühlen.
({0})
Entschuldigung, das ist jetzt nicht besonders parlamentarisch, aber das ist die Sprache der Menschen draußen,
oder das ist die Denke da draußen.
Es wird immer mit großer Betroffenheit viel über die
Rechtsverschiebung in unserem Lande geredet. Es wird
auch gesehen, dass Leute Ängste haben usw., aber wenn
man sich dann immer wieder nur hinstellt und alles, was
hier in diesem Lande geschieht, beschönigt und so tut,
als ob wir in der besten aller Welten leben würden, dann
ist das selbst ein Beitrag, um dieser Rechtsverschiebung
Vorschub zu leisten und Wasser auf die Mühlen der rechten Populisten zu lenken.
({1})
Aber das viel größere Problem bei dieser ganzen Debatte, auf das ich aufgrund der Zeit nur begrenzt eingehen
kann, ist die Rechtsverschiebung, die wir in Europa haben, und der Erfolg rechtspopulistischer Rattenfänger in
anderen europäischen Ländern; denn diese Entwicklung
bedroht die Idee eines friedlichen und sozialen und vereinten Europas am meisten.
Es wird immer wieder so getan - vor allen Dingen
wird eine von Frankreich ausgehende Bedrohung gesehen, dass dort möglicherweise ein weiblicher Trump auf
den Schild gehoben wird -, als wäre das alles ein Problem der anderen. Hier wird immer nur gesagt, unsere
wirtschaftliche Entwicklung sei so hervorragend. Warum
ist unsere wirtschaftliche Entwicklung denn so hervorragend? Sie basiert zentral darauf, dass seit 15 Jahren, politisch veranlasst, durch Deregulierung am Arbeitsmarkt,
durch die Agenda 2010 Befristungen eingeführt worden
sind, dass Leiharbeit, Werkverträge und vieles andere
mehr ermöglicht worden sind und dass Deutschland in
der Folge ein Land des Lohndumpings geworden ist.
Trotz der verbesserten Lohnentwicklung der letzten
zwei, drei Jahre, die Sie immer nur isoliert herausstellen,
ist die Lohnentwicklung hierzulande heute nach wie vor
katastrophal. Im Vergleich zum Jahre 2000 ist das Reallohnniveau bezogen auf den einzelnen Beschäftigten
gerade einmal 1 bis 2 Prozent höher als damals. Auf der
anderen Seite hatten wir in diesen 15 Jahren aber einen
Anstieg der Profite von 60, 70 Prozent. Das ist ein ganz
eklatantes Auseinandergehen. Das kommt natürlich auch
bei den Menschen an; aber das hat auch etwas damit zu
tun, dass die vermeintliche ökonomische Stabilität auf
einer sehr fragilen und auf einer sehr zynischen Konstruktion basiert, die wirklich skandalös ist.
({2})
Diese Entwicklung des Lohndumpings ist die zentrale Ursache dafür, dass es vielen hier in Deutschland
zwar scheinbar gut geht, dass es aber gleichzeitig genügend Abgehängte gibt, über die Sie nur in Sonntagsreden
sprechen, ohne recht zu wissen, was man für sie machen
kann. Der entscheidende Punkt ist, dass diese Lohnentwicklung zentral dafür verantwortlich ist, dass Deutschland mit seiner überbordenden Konkurrenzfähigkeit die
Ökonomien anderer europäischer Länder niederkonkurriert hat. Gleichzeitig ist mit der Beschneidung der Lohnentwicklung hier in Deutschland die Binnennachfrage
stranguliert worden. Damit sind die Möglichkeiten von
Unternehmen anderer Länder, in Deutschland Absatz zu
finden, deutlich beschnitten worden. Das Ganze drückt
sich in einem Leistungsbilanzüberschuss aus, der mittlerweile skandalöse 9 Prozent beträgt usw. Ich kann darauf
jetzt hier nicht weiter eingehen.
Die scheinbare Stabilität in Deutschland hat also sehr
viel damit zu tun; sie geht zulasten anderer Länder. Wenn
das so weitergeht, dann ist die Stabilität dieses Europas
hochgradig gefährdet, und wir leisten damit einen Beitrag, Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten in den
anderen Ländern zu lenken. Das wird hier in Deutschland komplett ausgeblendet, und es wird auch komplett
negiert.
Dabei wäre es so einfach, die Entwicklung hier zu
ändern. Wir müssten hier in Deutschland endlich, um
unserer europäischen Verantwortung gerecht zu werden,
eine solidarische Wirtschaftspolitik betreiben. Um aber
auch den Abgehängten hier in Deutschland wieder in
einer positiven Weise zu begegnen, müssten wir all die
Lohndumping-Maßnahmen wie Befristungen, Leiharbeit
wieder zurückdrängen. Die Bundesregierung und auch
der Herr Minister - er ist gerade nicht da - brüsten sich
ja damit, man habe so viel getan. Aber in den Ohren der
Betroffenen klingt das doch nur wie Hohn. Die Lage auf
dem Leiharbeitsmarkt ist schlechter geworden, das heißt,
die Situation im Leiharbeitsbereich ist deutlich prekärer geworden. Wir bräuchten dringend eine Beendigung
dieses Regimes der Leiharbeit; sie müsste eigentlich
verboten sein. Ich finde, Sklavenarbeit gehört nicht ins
21. Jahrhundert.
({3})
Sie müsste aber zumindest deutlich reguliert werden.
Wir bräuchten endlich auch ein Verbot der sachgrundlosen Befristung, damit junge Leute selbst nach hervorragenden Berufsabschlüssen nicht mehr in Perspektivlosigkeit, in Planlosigkeit geschickt werden. Das sind
Maßnahmen, über die hier geredet werden muss, wenn
es darum geht, Rechtspopulismus in Deutschland zu bekämpfen und vor allen Dingen den drohenden Machtverschiebungen in Europa zu begegnen.
Danke schön.
({4})
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Joachim Pfeiffer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland
geht es in schwieriger werdendem Umfeld immer noch
erstaunlich gut; das ist heute Morgen und auch gestern in
der Debatte bereits deutlich geworden. Wir haben kontinuierliches Wachstum, höchste Beschäftigung, höchste
Renten, höchste Einkommen. Das, was Sie gerade skizziert haben, Kollege Schlecht, hat nicht nur nichts mit den
Fakten zu tun, sondern das ist wirklich aus einer anderen
Welt. Diese Rede hätten Sie vielleicht vor 10, 15 Jahren
halten können, in die heutige Zeit passt sie nicht mehr.
({0})
Warum geht es uns so gut? Wir haben innovative
Unternehmer, die diversifizierte Produkte entwickeln.
Wir haben engagierte Unternehmer, die investieren. Wir
haben gut ausgebildete und produktive Arbeitnehmer.
Unternehmer und Arbeitnehmer schaffen attraktive Produkte und Dienstleistungen, die wir in Deutschland und
weltweit vermarkten. Das ist das Geheimnis unseres Erfolgs.
Die Politik versucht, Rahmenbedingungen zu schaffen, so auch mit diesem Haushalt, indem sie - die Kollegen haben es schon vorgetragen - in vielfältigster Weise
Innovation, Forschung und Entwicklung sowie die Digitalisierung fördert, die Infrastruktur ausbaut und kleine
und mittlere Unternehmen und Weiteres mehr fördert.
All die guten Produkte und Dienstleistungen helfen
uns aber nicht, wenn wir keinen Markt haben, auf dem
wir sie verkaufen können. Der deutsche Markt ist zu
klein. 80 Millionen Menschen reichen nicht aus, um unserer Volkswirtschaft mit den Produkten und Dienstleistungen, mit unserer Wertschöpfung als Markt zu dienen.
Deshalb ist Deutschland nicht nur auf den Binnenmarkt
angewiesen - der im Übrigen sehr gut läuft, der Binnenmarkt war einer der Wachstumsfaktoren in den letzten
Jahren, aber allein reicht er eben nicht -, sondern wir
brauchen auch andere Märkte, in Europa und in der Welt.
Ich möchte Ihnen das gerne anhand einiger Zahlen darlegen: Die Exporte Deutschlands haben nach der Wiedervereinigung 1991 bei 1,5 Billionen Euro Bruttoinlandsprodukt rund 340 Milliarden Euro betragen. Das waren
rund 25 Prozent. 2012 betrugen die Exporte 1,1 Billionen
Euro bei einem Bruttoinlandsprodukt von 2,7 Billionen
Euro. Das waren 41 Prozent, also knapp doppelt so viel.
Jeder vierte Arbeitsplatz ist direkt vom Export abhängig,
in der Industrie jeder zweite.
Im Jahr 2016 wird Deutschland mit 1,3 Billionen Euro
und vielleicht sogar noch mehr wiederum Exportweltmeister vor China, und zwar nicht nur relativ, sondern
auch in absoluten Zahlen. Dem stehen aber auch Importe in Höhe von rund 1 Billion Euro gegenüber. Handel
und offene Märkte führen zu gegenseitigen, komparativen Vorteilen und internationaler Arbeitsteilung. Es ist
eben nicht fix und eine Verteilung, so wie Herr Kollege
Schlecht uns hier weiszumachen versucht, dass der eine
nur etwas mehr haben kann, wenn er dem anderen etwas wegnimmt. Das Gegenteil ist der Fall. Nur mit Produkten und Vorleistungen, Dienstleistungen aus anderen
Ländern sind unsere deutschen Produkte so gut und so
wettbewerbsfähig, dass wir sie wiederum exportieren
können. Deshalb brauchen wir freie, offene Märkte in
Europa und in der Welt.
({1})
Deshalb ist die Rolle des Freihandels so wichtig. Abschottung, Protektionismus und nationale Lösungen sind
keine Lösungen im 21. Jahrhundert.
({2})
Wenn wir es historisch betrachten, dann stellen wir
fest: In Zeiten, in denen die Märkte offen waren, in denen
die internationale Arbeitsteilung begonnen hat - ich will
nur 100 Jahre zurückblicken, ins Zeitalter der Industrialisierung bis zum Ersten Weltkrieg -, war die Welt so verflochten wie nie zuvor. Dann kam der Erste Weltkrieg mit
all seinen Folgen. In den 1920er-, 1930er-, 1940er-Jahren waren Abschottung, Protektionismus, Nationalismus,
Zurückziehen, Isolationismus das Maß der Dinge - etwas, das wir jetzt zum Teil wieder sehen.
({3})
- Ich komme gleich zu Ihnen; denn Sie sind da mit im
gleichen Boot. - Heute sehen wir zum Teil wieder ähnliche Tendenzen. Wozu das geführt hat, haben wir erlebt.
Deshalb: Was ist zu tun? Ich glaube, zuerst brauchen
wir geostrategische Sicherheit und auch Ruhe. Das heißt,
wir als Deutschland, als Europa müssen unsere Rolle in
der Welt spielen. Es geht nicht nur darum, dass Seewege
für den Handel gesichert sind und werden, sondern auch
darum, dass Frieden erhalten bleibt; denn ohne Frieden
gibt es keine wirtschaftliche Entwicklung, keine Nachfrage, keinen Export, sondern Flüchtlinge, wie wir an
anderer Stelle gesehen haben. Deshalb ist das sicher die
erste Aufgabe.
Die zweite Aufgabe ist, multilaterale Ansätze möglichst wiederzubeleben oder zu forcieren. Die WTO hat
dies versucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Bretton Woods, GATT, die Doha-Runde, anderes mehr diesen
Fortschritt, diese Wohlstandsentwicklung insbesondere
für uns in Deutschland ermöglicht. Die WTO ist multilateral aufgestellt, aber seit Jahren in der Krise. Deshalb
müssen wir alles unternehmen, dass diese multilateralen
Ansätze wieder an Gewicht gewinnen.
Dort, wo wir multilateral bisher nicht weiterkamen,
gibt es bilaterale Lösungen wie CETA. Das ist Gott sei
Dank das beste Abkommen, glaube ich, das wir weltweit
als Vorbild haben. Das gilt es jetzt zügig zu ratifizieren.
Es ist ja noch nicht ratifiziert, sondern dieser Prozess
geht erst los. Da bin ich mal gespannt. Die Grünen haben angekündigt, im Bundesrat dagegenzustimmen. Sie
sind diejenigen, die gegen Freihandel, gegen Gestaltung
der Globalisierung sind. Sie setzen sich mit den Linken
zusammen in dasselbe Boot wie Le Pen und Trump. Das
ist das, was Sie tun.
({4})
- Doch! Mit dem, was Sie in den letzten Jahren in
Deutschland betrieben haben, setzen Sie sich in dasselbe
Boot.
({5})
- Ja genau, da kennen Sie sich aus; denn Sie sind ein
Bestandteil davon.
({6})
Ansonsten gilt es - das ist angesprochen worden -,
TTIP, Handelsabkommen mit China, ASEAN zu nutzen,
dranzubleiben; denn auch dort gilt es, die Globalisierung
zu gestalten. Wir müssen neue Chancen nutzen. Wir als
Koalitionsfraktionen - nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Europa - haben in der nächsten Woche ein
Gespräch mit dem neuseeländischen Botschafter. Neuseeland hat ein Interesse an einem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union.
({7})
Neuseeland hat zwar nur ein Außenhandelsvolumen von
rund 3 Milliarden Euro, aber es ist bereit, etwas zu tun.
Das müssen wir nutzen und gestalten. Das ist die Antwort
auf das Fallenlassen von TPP, das Donald Trump angekündigt hat. Es gilt, mehr miteinander zu reden, mehr
miteinander zu machen und nicht in Nationalismus und
Protektionismus zurückzufallen.
({8})
Der Kollege Ernst möchte eine Zwischenfrage stellen. - Bitte schön.
Danke, Herr Pfeiffer, dass Sie die Frage zulassen. Bleiben wir beim ersten Punkt: CETA und TTIP. Wir haben erlebt, dass eine Region wie die Wallonie berechtigt
fragt: „Welche Folgen hat dieses Freihandelsabkommen
zum Beispiel für uns?“, sich sperrt und dann, ich sage
mal, mehr oder weniger überrollt wird.
Ich stimme Ihnen zu, dass es notwendig ist, ein vernünftiges Europa zu organisieren, sodass vernünftige
Verhältnisse entstehen, Frieden entsteht. Glauben Sie
nicht, dass diese, ich sage mal, Haltung des Restes von
Europa - nicht der Menschen, sondern der Regierungen,
übrigens auch des Präsidenten des Europäischen Parlaments - dazu führt, dass die Menschen sagen: „Moment
mal! Wollen wir wirklich so ein Europa, wie uns da vorgeschrieben wird? Wollen wir wirklich, dass unsere regionalen Bedürfnisse vollkommen außer Acht bleiben?“?
Ich kann mich daran erinnern, dass die CSU einmal vom
Europa der Regionen gesprochen hat. Was wird mit diesem Europa der Regionen, wenn die Interessen einer Region, wenn die Interessen der Menschen in Diskrepanz
zu diesem Handelsabkommen geraten, die Menschen
dies spüren und ihnen dieses Abkommen trotzdem übergestülpt wird? - Sie wissen, wie der Prozess war.
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, Herr
Pfeiffer. Sie haben gerade von den tollen Entwicklungen
im internationalen Außenhandel gesprochen. Ich gebe Ihnen einmal zu bedenken: Stellen Sie sich einmal vor, Sie
sind Deutschland und Herr Fuchs ist der Rest der Welt.
Sie verkaufen Herrn Fuchs dauernd mehr, als Herr Fuchs
bei Ihnen kauft.
({0})
Plötzlich haben Sie das Problem, dass Herr Fuchs - ich
will es ihm nicht andienen - pleite ist, weil er andauernd
bei Ihnen kauft, Sie aber ihm nichts abkaufen. Deshalb
steht im Stabilitätsgesetz: ausgeglichene Handelsbilanzen. Die haben wir nicht. Also, wenn Sie nicht Herrn
Fuchs bzw. den Rest der Welt in eine Krise führen wollen, dann müssen wir als Bundesrepublik Deutschland
dazu beitragen, dass wir ausgeglichene Handelsbilanzen
haben, Herr Pfeiffer.
({1})
Herr Kollege Ernst, darf ich noch einmal daran erinnern, dass sich eine Kurzintervention von einer Regierungserklärung auch durch die Prägnanz der Fragestellung unterscheiden sollte?
Bitte schön, Herr Kollege Pfeiffer.
({0})
Aber sie bedarf natürlich einer gebotenen Antwort darauf. Die wollen wir dann nicht abkürzen.
Was es mit dem Kollegen Fuchs zu tun hat, weiß ich
nicht. Den lassen wir jetzt einmal außen vor.
({0})
Es ist eindeutig, dass internationale Arbeitsteilung allen Vorteile bringt. Es ist nicht nur so, dass wir exportieren, sondern wir importieren auch. Wir importieren
Vorleistungen. Andere Länder können andere Dinge besser als wir. Deshalb haben wir nachher ein gegenseitiges Mehr. Zwei plus zwei ist im internationalen Handel
nicht vier, sondern fünf. Das sind die Synergieeffekte,
die wir dadurch erzielen. Es ist so, dass Deutschland
oder die Europäische Union zu unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Handelsbilanzen haben. Auch wir
haben beispielsweise zu China oder Ländern, von denen
wir Energie importieren, eine negative Handelsbilanz.
Insgesamt ist es aber trotzdem eine positive Entwicklung
für beide Seiten, weil wir die Energie beziehen, mit der
wir hier Wertschöpfung schaffen und wiederum Produkte und Dienstleistungen, die in diesen Ländern weitere
Entwicklungen ermöglichen. Das ist das Einmaleins des
Handels und einer internationalen Arbeitsteilung.
Herr Ernst, es ist in Europa überhaupt niemandem etwas aufgestülpt worden. Wir haben im Vertrag von Lissabon eine Arbeitsteilung verabredet. Wir haben gesagt, es
gibt Aufgaben, die die Europäische Union wahrnimmt.
Es war vorher von Klimaschutz die Rede. Da kritisierte
es niemand. Die Europäische Union verhandelt für EuDr. Joachim Pfeiffer
ropa den Klimaschutz. Genauso verhandelt die Europäische Union Handelsverträge. Selbst bei der WTO vertritt
die Kommission die Europäische Union. Sie hat einen
Auftrag der Länder bekommen, ein Verhandlungsmandat. Dieses Verhandlungsmandat führt sie aus. Wo wird
etwas aufgestülpt? Das versuchen Sie zusammen mit der
Empörungsindustrie den Leuten einzureden. Sie reden es
den Leuten ein. Sie sagen, dass die Demokratie ausgehebelt wird von Geheimverhandlungen, von Paralleljustiz.
Wo sind denn die Paralleljustiz und die Geheimverträge
bei CETA? Da liegt es auf dem Tisch. Es ist das modernste Abkommen, das wir haben. Deshalb wollen wir weitere solche Abkommen. Das Gegenteil ist kein Abkommen.
Das Gegenteil ist keine Gestaltung der Globalisierung.
Es ist ein Zurückfallen in Abschottung, in Protektionismus und die Haltung, den anderen die Gestaltung zu
überlassen. Das ist nicht die Politik der Union.
({1})
Es wird hoffentlich nicht die Politik Deutschlands und
der Europäischen Union.
Was ist weiter zu tun? Neue Chancen nutzen - Neuseeland habe ich gerade angesprochen -, eine Koalition
der Willigen zu bilden, mit denen wir die Globalisierung
gestalten müssen und wollen. Wir müssen alte Märkte
neu erschließen. Ich nenne beispielsweise den Iran, der
sich aus der Welt abgemeldet hatte, der jetzt aber zurückwill, traditionell mit besten Beziehungen zu Deutschland.
Dieses Potenzial müssen wir nutzen. Es gilt, neue Märkte
zu erschließen. Ich nenne hier Afrika. Afrika ist nicht nur
ein amorpher Kontinent, wo es nur Flüchtlinge und Probleme gibt. Es gibt Länder in Afrika, die befinden sich
in Bezug auf Korruption vor Ländern der Europäischen
Union. Die haben hohe Wachstumsraten. Wir waren in
diesem Jahr mit dem Ausschuss in Südafrika. Wir waren in Mosambik und haben gesehen, welcher Wille zur
Gestaltung vorhanden ist. Deshalb - Kollege Mattfeldt
hat es ausgeführt - stärken wir die Auslandshandelskammern, die Instrumente, mit denen wir neue Märkte
erschließen. Afrika wird das Asien des 21. Jahrhunderts.
Im Jahr 2100 werden in Afrika über 5 Milliarden Menschen leben. Diesen Markt müssen wir uns ebenfalls erschließen.
({2})
Wir müssen den europäischen Binnenmarkt stärken.
Wir geben mit diesem Haushalt allein für Außenhandels- und Außenwirtschaftsförderung und wirtschaftliche Zusammenarbeit beim Auswärtigen Amt, beim
Wirtschaftsministerium und beim Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit - die Instrumente wurden
genannt - rund 6 Milliarden Euro direkt aus. Um das
einmal in eine Relation zu setzen: Das sind bei einem
Haushaltsvolumen von gut 300 Milliarden Euro, genauer
gesagt 330 Milliarden Euro, gut 5 Prozent, die wir dafür
ausgeben.
({3})
- Haben Sie aufgepasst? Sehr gut!
({4})
- Also wie viel Prozent? 2 Prozent. - Wir geben also
2 Prozent der Haushaltsmittel dafür aus. Das kann sich
sehen lassen.
Herr Kollege.
Wir sorgen auch für eine Hebelwirkung: Beispielsweise setzen wir für Hermesbürgschaften, Exportkredite,
dreistellige Milliardenbeträge ein.
Mit den genannten Punkten stärken wir den Freihandel, stärken wir unser Engagement. Ich glaube, das ist die
Zukunft: Über Offenheit, Austausch und internationale
Arbeitsteilung können wir unseren Wohlstand nicht nur
sichern, sondern auch weiter stärken. Dafür brauchen wir
einen starken Binnenmarkt. Wir brauchen freie Märkte,
freien Welthandel, Offenheit, um auch in Zukunft Frieden und Wohlstand für uns und in der Welt zu schaffen.
Vielen Dank.
({0})
Kerstin Andreae ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist nicht meine Aufgabe und auch nicht mein Wunsch,
das Land schlechtzureden. Es ist richtig, dass die Arbeitslosenzahlen gut sind und dass wir in der Europäischen
Union im Vergleich wirtschaftlich gut dastehen. Aber wir
müssen doch konstatieren, dass wir eine Gesellschaft der
zwei Gesichter haben: Wir haben auf der einen Seite gute
Arbeitslosenzahlen, aber auf der anderen Seite eine sehr
verfestigte Struktur bei den Langzeitarbeitslosen. Wir haben die reichste Rentnergeneration und auf der anderen
Seite immer mehr alte Menschen, die von Armut bedroht
sind. Wir haben die Situation, dass wir viele Milliarden
Euro für die Familienförderung ausgeben, aber trotzdem
jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist. Und wir haben die
Situation, dass die Digitalisierung eine der notwendigen
industriepolitischen Strategien ist und auf der anderen
Seite menschliche Arbeitskraft entwertet wird und sich
Arbeitsplatzsituationen verändern. Das ist die Gesellschaft der zwei Gesichter, und da müssen Sie Antworten
geben.
({0})
Ich frage mich schon, ob sich diese Bundesregierung
den Herausforderungen eigentlich wirklich stellt. Nehmen wir die Digitalisierung: Innovationszyklen werden
immer kürzer, die Arbeitswelt verändert sich. Wir haben
bezüglich dieser Veränderungsprozesse offene Fragen:
Sind unsere sozialen Sicherungssysteme angesichts globaler Arbeitsmärkte überhaupt noch in der Lage, Antworten zu geben?
Es gibt aber auch schon Lösungen, die wir immer wieder diskutieren. Eine der Fragen ist - wir werden Ihnen
morgen einen entsprechenden Antrag vorlegen -: Schaffen wir es, neben der Projektförderung endlich die steuerliche Forschungsförderung zu etablieren? Heute darf ich
im Handelsblatt lesen, dass Sie dort laut Staatssekretär
Machnig einen Vorschlag machen, nämlich „eine Zulage von zehn Prozent auf die Personalkosten“ erreichen
wollen, weil die Innovationsausgaben des Mittelstandes,
wie er sagt, Jahr für Jahr sinken. Dann frage ich Sie:
Kommen Sie morgen endlich zum Schwur und stimmen einem grünen Entschließungsantrag zu, der da sagt:
„Bringt endlich die steuerliche Forschungsförderung auf
den Weg“? Wir müssen das Innovationspotenzial des
Mittelstandes nutzen. Kreativität lebt davon, dass sie sich
frei entfalten kann. Ich hoffe, dass Sie morgen - es wäre
dringend an der Zeit - endlich mal zu Ihren Ankündigungen stehen und der steuerlichen Forschungsförderung
den Weg frei machen.
({1})
Ungeduldig werden wir wirklich auch beim Thema
Klimawandel. Es ist ja richtig, dass man Fragen des Klimaschutzes und der ökologischen Industriepolitik nicht
mit Zeiten und Zeitpunkten beantwortet.
({2})
Und es ist richtig, dass das Ganze natürlich in eine Strategie eingebunden sein muss, die die Menschen mitnimmt
und die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes sehr ernst
nimmt. Aber seit 2010 gibt es die Nationale Plattform
Elektromobilität, damals mit dem Ziel, bis 2020 1 Million Elektrofahrzeuge, bis 2030 potenziell 6 Millionen,
auf die Straße zu bringen. Davon sind wir meilenweit
entfernt.
Meilenweit entfernt sind wir auch von vielem anderem; denn es geht ja nicht nur darum, Autos zu bauen,
sondern es geht auch darum, darum herum eine Strategie
zu entwickeln: Ausbau der Stromnetze, Batteriezellproduktion, Aufbau von Ladeinfrastruktur, Rohstoffsicherung. Natürlich geht es auch um die Frage der Beschäftigung. Aber eine so umfassende Strategie ist von der
Nationalen Plattform Elektromobilität überhaupt nicht
angefasst worden. Wir dagegen haben eine Vision, wir
haben ein Ziel. Deswegen ist es richtig, dass meine Partei
gesagt hat: Wir schaffen Planungssicherheit. Und diese
Planungssicherheit beinhaltet: Ab 2030 werden nur noch
emissionsfreie Autos zugelassen. Und was passiert? Die
Industrie fängt an zu handeln. Sie braucht solche Visionen und Ziele. Und Planungssicherheit dafür muss auch
vom Wirtschaftsminister kommen.
({3})
Natürlich erwarten wir eine ökologische Finanzreform. Wir erwarten, dass Sie im wahrsten Sinne des Wortes umsteuern. Es werden jedes Jahr 52 Milliarden Euro
für umweltschädliche Subventionen ausgegeben. Es geht
hier gar nicht darum, Subventionen abzubauen, um mehr
Geld für den Haushalt zu bekommen. Vielmehr geht es
darum, dass wir endlich umsteuern, dass wir ökologisch
schädliches Verhalten besteuern und dass wir ökologisch
kluges und vernünftiges Verhalten fördern. Wir müssen
hier etwas anbieten. Ich nenne nur die Bereiche Dienstwagenbesteuerung, Kerosinsteuer, Brennelementesteuer
und Industrierabatte. Es gäbe so viel zu tun, aber diese
Bundesregierung packt nichts davon an, gar nichts! Mit
ökologischer Industriepolitik hat das überhaupt nichts
mehr zu tun.
({4})
Die dritte Herausforderung ist schließlich die demografische Entwicklung. Wenn Sie sich mit Unternehmern
unterhalten, dann sagen diese: Wir haben zwei große Probleme: Bürokratie und Fachkräftemangel. Dass die Rente
mit 63, die Sie am Anfang der Legislatur hier verabschiedet haben, ein ziemlicher GAU war, darüber haben wir
zur Genüge diskutiert. Auch dass die Mütterrente, die
jetzt wieder von der CSU thematisiert wird, uns ein weiteres Loch in der Rentenkasse bringen wird, ist auch ein
Thema.
({5})
Ich konzentriere mich aber darauf, zu sagen: Wir müssen
den Arbeitsmarkt so gestalten, dass er für Frauen zugänglicher wird, dass er für Migranten zugänglicher wird,
dass es Aufstiegsmobilität gibt.
Wir werden auch ein Einwanderungsgesetz brauchen.
({6})
Die Botschaft ins Ausland muss doch sein: Fachkräfte sind hier willkommen. Wir machen es euch einfach.
Ihr könnt hierherkommen, und dann könnt ihr euch um
einen Job bemühen - und zwar nicht aus dem Ausland
heraus, sondern dann, wenn ihr hier seid, könnt ihr euch
hier einen Arbeitsplatz suchen. - Bringen Sie ein Einwanderungsgesetz auf den Weg! Ich bin ja froh, dass die
SPD sich an dieser Stelle bewegt. Aber auch Sie von der
Union müssen Ihre Position zu diesem Thema endlich
ändern. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und wir
brauchen ein vernünftiges Einwanderungsgesetz.
({7})
Angesichts der Herausforderungen Klimawandel, Digitalisierung und Demografie müssen wir uns im Übrigen
auch über die haushalterische Situation in den kommenden Jahren Gedanken machen. Wenn Sie von der Union
ernsthaft glauben, wir könnten es uns leisten, 30 Milliarden Euro nach dem Gießkannenprinzip auf die Steuerzahler zu verteilen, und nicht in der Lage sind, zu überlegen: „Wer braucht wirklich Unterstützung? Wo sind die
Menschen, die unsere Hilfe brauchen?“, dann machen
Sie genau den Fehler, der letztlich zu Politikverdrossenheit führt: Sie versprechen irgendetwas, was Sie nie einhalten werden, was Sie auch nicht einhalten können und
was Sie auch nicht einhalten sollten.
({8})
Frau Kollegin.
Machen Sie eine Politik, die sich tatsächlich an den
Menschen orientiert, die Unterstützung brauchen. Machen Sie eine Politik, die Antworten auf die Herausforderungen durch Klimawandel, Digitalisierung und Demografie gibt. Das wäre zukunftsgewandte Politik, die
dieses Land wirklich nach vorne bringt.
Frau Kollegin!
Was Sie machen, ist rückschrittlich, und das machen
wir nicht mit. Ich hoffe, dass wir beim nächsten Haushalt
mit grüner Regierungsbeteiligung hier andere Schwerpunkte setzen.
Vielen Dank.
({0})
Hubertus Heil ist für die SPD-Fraktion der nächste
Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Tage vor der Wahl in den Vereinigten Staaten von Amerika gab es eine, wie ich finde, leider sehr
hellsichtige Dokumentation in der ARD mit dem Titel
„Warum Trump Clinton schlagen kann“. In dieser Dokumentation - das war eine Reise durch die Vereinigten
Staaten von Amerika - wurden Szenen aus dem sogenannten Rust Belt gezeigt, aus den Staaten an den Appalachen, in denen früher dank der Kohleförderung, der
Montanindustrie und vor allen Dingen der Stahlindustrie
das industrielle Herz Amerikas schlug. Die Bilder von
den zerfallenden Industriebrachen waren eine Antwort
darauf, warum viele Menschen, die früher aus Überzeugung demokratisch gewählt haben, die sogar 1980, als
Reagan kandidierte, immer noch Carter gewählt haben,
weil ihre Gewerkschaften gesagt haben: „Wählt demokratisch, das ist besser für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, dieses Mal Trump gewählt haben.
Deindustrialisierung, meine Damen und Herren, ist
etwas, was uns in Deutschland aus guten Gründen nicht
passieren darf. Sie ist Nährboden für Radikalismus, für
Rechtspopulismus. Deshalb setzen wir auf Industriepolitik.
({0})
Das heißt allerdings, wir dürfen uns auf den guten Daten - wir haben derzeit einen Anteil der Industrie in Höhe
von 22 Prozent an der Wertschöpfung - nicht ausruhen;
denn der Strukturwandel wird weitergehen. Ich kann es
am Beispiel meiner Heimatregion, die Sigmar Gabriel
vorhin angesprochen hat, weil das auch seine Heimatregion ist, des Südostens Niedersachsens, sagen: Wir
haben in den 70er-, 80er-Jahren einen Strukturwandel
in der Stahlindustrie erlebt. In den nächsten Jahren wird
er aber noch beschleunigt durch die Digitalisierung und
neue Antriebe, beispielsweise in der Automobilindustrie.
Die Ankündigung des Unternehmens Volkswagen, bis
2025 24 000 Stellen abzubauen - Gott sei Dank nicht
durch betriebsbedingte Kündigungen in den Stammbelegschaften,
({1})
aber bei den Leiharbeitern - warten Sie doch mal einen
Moment ab -, ist für meine Region ein ziemlich harter
Schlag, und für andere VW-Standorte auch. Gleichzeitig
kündigt VW Gott sei Dank auch an, 9 000 neue Stellen zu
schaffen. Diese Ankündigung ist aber nicht nur eine Konsequenz aus dem Dieselgate, sondern auch bedingt durch
die Tatsache, dass die Automobilindustrie durch die Digitalisierung und neue Antriebe - Stichwort „Elektromobilität“, Stichwort „Wasserstoff“ - vor einem massiven
Strukturwandel steht. Das gilt für die ganze industrielle
Basis unseres Landes.
Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Strukturwandel ist nicht aufzuhalten, Strukturwandel darf auch
nicht aufgehalten werden durch konservierende Politik,
({2})
Strukturwandel muss vielmehr gestaltet werden, und deswegen bedingt Strukturwandel auch Strukturpolitik.
({3})
Ich will Ihnen sagen, was ich damit meine: Es geht
beispielsweise um die Frage, welche Qualifikationen
gebraucht werden. Wenn die Bedeutung des Verbrennungsmotors in den Wertschöpfungsketten der deutschen
Automobilindustrie zurückgeht, ist das nicht nur für die
Automobilhersteller, sondern auch für die gesamte Zulieferkette eine ziemliche Herausforderung, auf die man
sich einstellen muss. An dieser Stelle geht es ja zum Beispiel um Getriebe, um die Motorenproduktion oder die
Teileproduktion. Wir werden uns den Fragen widmen
müssen: Welche Qualifikationen werden zukünftig gebraucht? Was kann getan werden, damit kleine und mittelständische Unternehmen, die Teil der Zuliefererkette
sind, sich auf den Weg machen können?
Bei all dem geht es um Forschung und Entwicklung.
Deshalb ist es richtig, dass wir mit diesem Bundeshaushalt die notwendigen Investitionsmittel bereitstellen. Die
Investitionsquote des Bundeshaushalts ist seit 2013 kräftig gestiegen, und zwar um 45 Prozent. Ich sage es Ihnen
auch in Beträgen ausgedrückt: von 24,8 Milliarden Euro
auf 36 Milliarden Euro.
Ich will zunächst ein Beispiel nennen, das mit Qualifikationen zu tun hat: Es ist jetzt endlich gelungen, das
Kooperationsverbot im Bereich der schulischen Bildung durch die Bund-Länder-Finanzvereinbarung aufzubrechen. Wir stellen noch in dieser Legislaturperiode
3,5 Milliarden Euro zusätzlich für die Schulsanierung
und -modernisierung bereit. Deshalb habe ich eine herzliche Bitte an Sie, Frau Kollegin Andreae - Sie kommen
ja aus Baden-Württemberg -:
({4})
Helfen Sie mit, dass der Ministerpräsident von Baden-Württemberg dieses Vorhaben nicht weiter blockiert
und damit kaputtmacht; denn wir brauchen Qualifikationen in Deutschland.
({5})
Es kann ja nicht sein, dass Sie hier schöne Reden halten,
aber dort, wo die Grünen regieren, genau das nicht gemacht wird. Das geht nicht.
({6})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir müssen zusehen,
dass wir im Bereich der Bildung, der Qualifikationen, die
in dieser neuen Zeit gebraucht werden, vorankommen.
Nun komme ich zu dem, was Sie zum Bereich Forschung und Entwicklung gesagt haben, Frau Andreae. Da
bin ich ja ganz bei Ihnen. Wir haben - das muss man sagen; das können Sie auch mal loben - im Bundeshaushalt
für die anwendungsorientierte Forschung, beispielsweise
in den Fraunhofer-Instituten oder in den DLR-Zentren im
Bereich Mikroelektronik, eine ganze Menge geschaffen,
um die Industriepolitik im Sinne einer modernen Industriepolitik voranzubringen. Es geht dabei um Dinge, die
wir dringend brauchen, wie die Digitalisierung der Mikroelektronik oder die Erforschung von Batteriezellentechnologien. Wenn wir über Elektromobilität sprechen,
dann wissen wir, dass ein großer Teil der Wertschöpfung
über die Batteriezellentechnik erfolgt. Daher muss es
unser Ziel sein, eine Batteriezellenproduktion der neuen
Generation in Deutschland hinzubekommen; denn das
ist der wesentliche Teil der Wertschöpfung. Es ist auch
wichtig, dass wir in der Mikroelektronik nicht den Anschluss verlieren. Daher müssen wir als Staat Anstöße
geben, damit es vorangeht. Genau das tut die Bundesregierung. Da wäre ein bisschen Lob von Ihnen großzügig
gewesen.
({7})
- Man kann ja auch über Gutes reden.
Zum Schluss will ich Folgendes sagen: Diese Bundesregierung hat im Bereich der Wirtschafts- und Energiepolitik eine ganze Menge vorangebracht. Der zuständige Minister hat sich wirklich für vieles reingehängt: für
ein faires Handelsabkommen, für eine kluge Energiepolitik, für die Beschäftigten im Einzelhandel. Aber er setzt
in seinem Haushalt auch Schwerpunkte im Hinblick auf
eine moderne, zukunftsgerichtete Industriepolitik. Es ist
notwendig, sich dieser Aufgabe zu stellen, meine Damen
und Herren, um einen Zustand, den es bei uns in Deutschland leider gibt, zu überwinden, nämlich den komischen
Widerspruch zwischen einer guten wirtschaftlichen Lage
und wahnsinnigen Zukunftsängsten in diesem Land.
Herr Kollege.
Wir wollen, dass sich die Menschen auch morgen wieder freuen können. Dafür stellen wir die Weichen, auch
in der Wirtschaftspolitik.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, wir stehen vor dem Ende des fossilen Energiezeitalters. Ich denke auch, dass uns allen das eigentlich klar
ist. Vielleicht kommt das Ende schneller, als wir es uns,
als Sie es sich wünschen.
({0})
Einige von Ihnen, die das steinzeitliche Energiezeitalter
hinauszögern wollen, sind auf die eine oder andere Art
mit der fossilen Energieindustrie verbandelt. Wir sprechen davon, dass viele Menschen vor Ort schlicht und
einfach Angst vor dem Wandel haben. Das wissen auch
wir; das ist heute schon angesprochen worden. Ich kenne
diese Angst. Wir, die Linken, nehmen sie ernst.
({1})
Das hat aber auch etwas mit Unwissen und Misstrauen gegenüber Ihrer Politik zu tun. Ich kann mich noch
erinnern, dass ich kurz vor meiner Zeit im Bundestag auf
einer IG-Metall-Schulung war.
({2})
Da ging es um die Verhinderung bzw. Vernichtung von
Arbeitsplätzen durch nicht betriebenen Umweltschutz.
({3})
Heute haben regenerative Energien im Strombereich einen Anteil in Höhe von 33 Prozent.
Ich habe Herrn Gabriel gerade genau zugehört und
muss sagen: Natürlich sind uns Jobs wichtig
({4})
Hubertus Heil ({5})
- Sie sollten uns nicht immer das Gegenteil unterstellen -, und natürlich wollen wir keine Deindustrialisierung. Aber ich sage an dieser Stelle auch: Wir wollen
existenzsichernde Arbeitsplätze. Wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wir wollen keine Minijobs, und
wir wollen nicht solche Jobs, wie es sie bei bestimmten
Zulieferern gibt, bei denen alle Beschäftigten Aufstocker
sind. Wir wollen so auch Altersarmut verhindern. Ich
denke, es gibt genug Möglichkeiten, entsprechende Jobs
zu schaffen, gerade im regenerativen Bereich.
({6})
Wenn wir über die Entwicklung und das Potenzial der erneuerbaren Energien sprechen, dann sprechen
wir wahrscheinlich über die innovativste, wachstumsfreudigste und kreativste Branche, die wir haben. Die
Branche der erneuerbaren Energien könnte in den kommenden Jahrzehnten zusätzlich - ich betone: zusätzlich 230 000 Arbeitsplätze schaffen - dazu gibt es Studien -,
und dabei handelt es sich um zurückhaltende Berechnungen. Natürlich sollen diese Arbeitsplätze unter Tarif fallen, und natürlich muss es einen Betriebsrat geben; das
ist doch gar keine Frage.
({7})
Dabei sind übrigens die zusätzlichen Arbeitsplätze in der
Baubranche - Stichwort „Gebäudesanierung“ -, in der
Energiedienstleistungsbranche und in der Effizienzbranche noch nicht einberechnet.
Ich sagte „könnte“, weil die Bundesregierung alles tut,
um dies zu verhindern. Sie bremsen, Sie blockieren den
Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor; dabei
brauchen wir den Stromsektor künftig auch für Mobilität
und Wärme. Sie gefährden auch bestehende Arbeitsplätze bei der Kraft-Wärme-Kopplung, wo wahrscheinlich
durch die überstürzte Einführung von Ausschreibungen
ein Fadenriss entsteht; das haben auch die Anhörungen
gezeigt.
Wir stehen im Energiebereich, auch im Verkehrsbereich vor einem gewaltigen ökologischen Umbau. Im
Automobilbereich steckt Innovationspotenzial in der
Umstellung auf ökologische Antriebe. Deutschland
könnte hier Vorreiter sein. Das gilt übrigens auch für
die Klimakiller Luftfahrt und Schifffahrt, wo noch viel
passieren muss. Ich frage mich halt: Wo ist denn da die
Bundesregierung, die den Rahmen für eine umweltverträgliche Mobilität vorgibt? Aber was soll man von einem CSU-Verkehrsminister erwarten, der noch immer
seine schützende Hand über die Manipulationen der heimischen Autoindustrie legt? Aber vielleicht gehört das ja
schon zur Vorstufe zum Paradies; das könnte auch sein.
({8})
Jetzt ist der VW-Konzern durch die Abgasaffäre offenbar aufgewacht, will verstärkt in die Elektromobilität
einsteigen - und das ist gut so. Aber mit dem angekündigten Abbau von 23 000 Stellen allein in Deutschland
lässt der Konzern die Beschäftigten für die Verluste
durch den Abgasskandal bluten. Das ist nicht fair. Die
Kolleginnen und Kollegen fühlen sich verkauft. Dabei
handelt es sich nicht nur um die Kernmann- und -frauschaften, sondern natürlich auch um all die Leiharbeiter
und die Zulieferer, deren Einkünfte man sowieso immer
drückt. Herr Gabriel, dazu, zu VW, habe ich von Ihnen
gar nichts gehört.
Die Braunkohlewirtschaft hat ja den gravierenden
Stellenabbau schon hinter sich. Gerade deshalb sollte nun
ein Kohleausstieg ohne weitere Strukturbrüche erreicht
werden. Dazu haben wir Anträge zum Haushalt gestellt.
Wir wollen 250 Millionen Euro im Jahr für einen Strukturfonds; der ist notwendig, damit dieser Strukturwandel
eingeleitet werden kann.
Frau Bulling-Schröter, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
Wir wollen ja nicht sofort aus der Kohle aussteigen,
aber wir wollen den Strukturwandel befördern.
({0})
Hier geht es um Arbeitsplätze, hier geht es um den Klimaschutzplan, und hier geht es um die Zukunft von ganz
vielen Menschen, auch um die Zukunft der Kindeskinder.
Des Weiteren geht es auch um gute Arbeitsplätze sowie
um armutsfeste Renten. All das gehört zusammen. Soziales und Ökologie können nicht mehr getrennt werden.
({1})
Das Wort erhält nun die Kollegin Barbara Lanzinger
für die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Haushalt 2017: wiederum keine Neuverschuldung,
stark steigende Investitionen. Ich sage einfach nur: Chapeau! Das ist keineswegs selbstverständlich bei durchaus
vielen Begehrlichkeiten und Forderungen. Dahinter stecken harte Arbeit und ein hartes Ringen um die richtigen
Weichenstellungen und die richtigen Inhalte.
Die Kunst dabei ist es immer, zu sparen, zu investieren, das dringend Notwendige nicht zu vergessen und
eine gesunde Balance zu halten - so wie es jedes Unternehmen beständig tun muss, um, wie vor allem unsere
mittelständischen Betriebe, ausgezeichnete Arbeit abzuliefern mit dem wichtigsten Potenzial, das sie haben,
mit gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
und somit gut für die Zukunft aufgestellt zu sein und
jederzeit auf der Basis solider Finanzen bereit zu sein,
zu investieren. Dort wie hier bei unserem Haushalt gilt:
Wachstum auf Pump funktioniert nicht.
Ich denke schon, dass wir sehr selbstbewusst sagen
können, dass dies ein sehr solider Haushalt ist. Ebenso
gilt auch für den gut aufgestellten Mittelstand, dass er
sich beständig darum kümmern muss, starke und nachhaltige Investitionen zu tätigen, gerade im Bereich der
innovativen Technologien, in Digitalisierung und Fortschritt, um gut für den Wettbewerb aufgestellt zu sein.
Deswegen - ich wiederhole dies heute noch einmal sehr
bewusst - liegt die Investitionsquote des kommenden
Haushalts so hoch wie seit 16 Jahren nicht mehr, nämlich
bei rund 11 Prozent der Gesamtausgaben. Allein im Vergleich zu 2016 investieren wir 4,6 Milliarden Euro mehr,
insgesamt 36 Milliarden Euro.
({0})
Wir setzen mit unseren Haushaltsmitteln ein starkes
Zeichen für das Zugpferd Mittelstand und Handwerk in
Deutschland. Sie sind das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Allein in Bayern zählen zum Mittelstand über
600 000 Unternehmen mit mehr als 3,6 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Dazu kommen
190 000 Ausbildungsstellen in Stadt und Land. Unser
Ziel dabei muss es sein, die Investitionskraft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Mittelstands
zu befördern, um dieses hohe Niveau der Arbeitsplätze,
der Ausbildung sowie bei Innovationen halten zu können. Der Bereich Forschung und Entwicklung ist hierbei
besonders wichtig. Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen - auch das wurde heute schon
gesagt - fehlt hierzu oftmals das notwendige Kapital.
Deshalb haben wir im Haushalt darauf hingewirkt, noch
einmal 40 Millionen Euro mehr zur Verfügung zu stellen,
als es im letzten Haushalt der Fall war.
Nicht vergessen dürfen wir dabei auch unseren Tourismus. Der Tourismus schafft mehr Arbeitsplätze als die
Automobilindustrie.
({1})
Mit 32 Millionen Euro dafür haben wir einen, wie ich
denke, sehr gesunden Ansatz. Der Tourismus in Deutschland boomt. Diese Wirtschaftsbranche wächst ohne Ende.
({2})
Das Programm ZIM wurde schon erwähnt. Ich nenne
es „Zugpferd im Mittelstand“. Es ist eines der am meisten nachgefragten Programme für marktorientierte Forschung, für Technologietransfer und für die Vernetzung
von Wissenschaft und Wirtschaft.
Daneben nenne ich auch noch einmal das Programm
„Industrielle Gemeinschaftsforschung“ - kurz: IGF. Gerade für die KMU, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, ist es enorm wichtig, die Forschung voranzutreiben, die der Produktentwicklung vorgelagert ist, um
mit neuen Trends auf den Markt gehen zu können.
Aufgestockt wurden auch die Mittel für „go-digital“.
Vor allem unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen müssen sich der Digitalisierung stellen. Für sie
kann dieses Programm ein ganz toller Unterstützungsfaktor sein, sich im Bereich der Informationstechnik fit
zu machen.
Ich denke, eines sollten wir heute hier auch festhalten:
Neben der Industrie sind es gerade unsere kleinen und
mittelständischen Unternehmen bzw. unsere Handwerksbetriebe, die mit ihren Mitarbeitern bzw. ihren Familien
das Rückgrat, den Mittelbau unserer Gesellschaft bilden.
Bei all unseren Überlegungen gilt es, auch diesen Mittelbau zu fördern und zu fordern, damit hier wirklich keine
Probleme entstehen; denn diese Betriebe tragen die Last
der Herausforderungen, die vor uns liegen, am allermeisten auf ihren Schultern.
({3})
Sie warten darauf, dass wir das, was wir ihnen versprochen haben, auch angehen, zum Beispiel Steuersenkungen. Wenn es nach dem Haushalt möglich ist, sollten wir
dafür sorgen. Dies ist auch ganz wichtig für unsere künftige Arbeit.
Eines muss für uns auch glasklar sein: Investitionsprogramme, vor allem für Gründerinnen und Gründer, sind
nur dann effizient und hilfreich, wenn damit keine neuen
und oftmals unnötigen Anforderungen geschaffen werden. Das Unwort heißt hier für mich „Bürokratieschaffung“. Unser Fraktionsvorsitzender Kauder hat es gestern sehr schön gesagt: Bürokratie liegt manchmal wie
Mehltau über allem; macht es klebrig und lässt einfach
keinen Schwung zu. - Ich denke, mit unseren Bürokratieentlastungsgesetzen gehen wir hier erste wichtige Schritte. Sie reichen aber noch lange nicht aus.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der Haushalt setzt die richtigen Prioritäten - ohne neue Schulden und mit Investitionen in die Zukunft. Wir gestalten
Zukunft. Unsere bisherige Bilanz - das wurde schon
erwähnt, und ich denke, das müssen wir immer wieder
ganz selbstbewusst wiederholen, damit es bei den Menschen auch ankommt - lautet: Wir haben Rekordbeschäftigung, wir haben eine so niedrige Arbeitslosigkeit wie
nie seit der Wiedervereinigung, wir haben solides Wachstum der Wirtschaft, es gibt massive Investitionen in die
Infrastruktur, es gibt einen stärkeren Anstieg von Löhnen, Gehältern und Renten.
All das ist nicht gottgegeben; das ist nicht selbstverständlich. Wir können und dürfen uns darauf auch nicht
ausruhen. Wir stellen uns nicht hin und reden einfach alles schön, aber wir reden auch nicht alles schlecht, Herr
Schlecht.
({4})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns ein klares
Profil und klare Ansagen, die Orientierung geben. Dieser
Haushalt ist eine klare Ansage hinsichtlich Handlungsfähigkeit, Kompetenz und Zuverlässigkeit. Ich würde mir
wünschen, dass wir alle sagen: Wir sind dafür und nicht
dagegen.
In diesem Sinne: Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Julia Verlinden ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Es sind viele Investitionen in die Infrastruktur
unserer Energieversorgung notwendig. Die Energieversorgung wird zukünftig dezentraler, sie wird vielfältiger,
es gibt mehr Akteure - und das ist gut so. Aber diese
Akteure brauchen Orientierung und Planungssicherheit.
Sie wollen sehr viel Geld in die Hand nehmen, um die
Energieinfrastruktur zu modernisieren. Das sind Investitionen, die für lange Zeiträume getätigt werden. Bei
der Erdgasinfrastruktur zum Beispiel spricht man von
Investitionszyklen von über 40 Jahren. Deswegen ist
es zum Beispiel wichtig, vorher zu entscheiden, welche
Rolle das Erdgasnetz in Zukunft haben wird. Solch eine
Planungssicherheit müsste die Bundesregierung geben
durch Klarheit in den Zielen, die sie wirklich gemeinsam - und damit meine ich mit allen Ressorts gemeinsam - erreichen will.
({0})
Das Klimaschutzabkommen von Paris verlangt noch
mehr Anstrengungen als bisher. Doch Sie, Herr Gabriel,
verweigern eine konsequente Klimaschutzpolitik. Oder
warum sonst sind Sie erneut vor der Kohlelobby eingeknickt und haben den Klimaschutzplan Ihrer Kollegin
Hendricks bis zur Unkenntlichkeit zerfleddert?
({1})
Sie haben eben gesagt, die Arbeitsplätze seien Ihnen wichtig. Ich glaube, die sind Ihrer Parteikollegin
Hendricks ebenfalls äußerst wichtig. Deswegen verschließt Ihre Kollegin Hendricks eben nicht die Augen
davor, dass sich die Welt verändert.
({2})
Letztes Jahr gab es mehr Investitionen in erneuerbare
als in fossile Energien. Sehr viele Unternehmen - Rockefeller, der Allianz-Konzern und viele andere - ziehen
Geld aus den fossilen Energieträgern ab; das nennt man
Divestment. Damit verändern sie die Energieversorgung,
damit verändern sie die Richtung von Geldströmen. Und
ja, genau dafür - für den Strukturwandel, für eine moderne Industriepolitik - muss man Konzepte erarbeiten
und sie auch arbeitsmarktpolitisch begleiten. Aber einfach darauf zu hoffen, dass wir noch jahrzehntelang Zeit
hätten, weil Sie sich das so wünschen, geht nicht.
({3})
Zur Planungssicherheit für Investitionen gehört auch
eine Konsistenz von verlässlichen energiepolitischen
Rahmenbedingungen. Dazu gehört zum Beispiel ein
Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, das die richtigen Investitionen anreizt. Leider haben Sie auch dieses Thema
nun wieder auf die lange Bank geschoben, nachdem die
Anträge bereits zehn Monate herumlagen und Unternehmen Arbeitsplätze abbauen und Investitionen abschreiben mussten. Erst in einem halben Jahr sollen die Details für die Ausschreibung von KWK-Anlagen von 1 bis
50 Megawatt vorliegen.
Außerdem müsste die Bundesregierung mit ihrer
Haushaltspolitik und ihren Förderprogrammen konsequent die richtigen Signale setzen. Aber Sie verpassen
dieses Mal schon wieder die Chance, die Energiewende
endlich in allen Bereichen beherzt anzupacken.
Sie haben die wettbewerblichen Ausschreibungen
für Energiesparmaßnahmen eingeführt, stellen aber im
Haushalt viel zu wenig Mittel dafür zur Verfügung. Und
dann gestalten Sie die Regeln für diese wettbewerblichen
Ausschreibungen auch noch so kompliziert, dass Unternehmen abgeschreckt werden. Das Ergebnis sieht dann
so aus: In der ersten Ausschreibungsrunde gab es gerade
einmal 18 Anträge. 18 Anträge! Das ist eine Ohrfeige für
Ihr Ausschreibungsverfahren.
({4})
Ihre Politik ist ebenso widersprüchlich, wenn es um
den Umstieg auf Erneuerbare im Wärmesektor geht. Es
nützt doch zum Beispiel nichts, wenn Sie den Leuten
einen roten Aufkleber auf die alte Heizung packen und
gleichzeitig das Heizöl niedriger besteuern, als es in fast
jedem anderen EU-Land besteuert wird.
({5})
Damit benachteiligen Sie im Übrigen auch die Erdgasindustrie. Woher soll da der Impuls kommen, die ineffiziente alte Ölheizung durch eine Heizung auf der Basis
erneuerbarer Energien zu ersetzen? Damit nicht genug.
Sie halten sogar an Fehlanreizen fest. Wenn die alte Ölheizung dann kaputtgeht, bekommt man für den Einbau
einer neuen Ölheizung auch noch Steuergelder über die
KfW.
Wer jetzt noch fossile Heizungen fördert, zementiert klimaschädliche Strukturen für die nächsten 20 bis
30 Jahre. Die Energiewende darf aber nicht im Heizungskeller stecken bleiben. Deswegen fordern wir: Stecken
Sie das Geld lieber in den Ausbau von erneuerbaren Heizungstechnologien! Dann bewegt sich endlich mal was
im Wärmemarkt.
({6})
Mein letzter Punkt: Viele Menschen wollen bei der
Energiewende mitmachen. Sie können aber nicht, weil
ihnen die Gebäude, in denen sie wohnen, nicht gehören,
weil sie den Strom, den sie nutzen, nicht selbst erzeugen
können, und weil sie die Gebäude, in denen sie leben,
nicht selbst sanieren können. Hier muss die Bundesregierung endlich liefern. Sie, Herr Gabriel, haben es in der
Hand, vernünftige Bedingungen für Mieterstrommodelle
zu schaffen. Sie haben es in der Hand, die energetische
Sanierung ganzer Quartiere mit einem entsprechenden
Förderprogramm voranzutreiben.
Frau Kollegin.
Und Sie haben es in der Hand, mehr Möglichkeiten für
die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Sanierungen und dem Ausbau Erneuerbarer zu schaffen. Eine
erfolgreiche Energiewende kann nur gelingen, wenn wir
sie gemeinsam mit den Menschen gestalten.
Also, legen Sie endlich los!
Frau Kollegin.
Legen Sie uns einen Haushaltsplan vor, der für die Investition in die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung klare Anreize setzt.
Vielen Dank.
({0})
Wenn Sie noch viel schneller geredet hätten, wäre es,
glaube ich, unverständlich geworden.
({0})
So aber haben unsere bewährten Stenografinnen und
Stenografen den Text im Protokoll sicher präzise erfasst. - Nun ist der Kollege Mark Hauptmann der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Verehrte Gäste! Mit dem Bundeshaushalt 2017 legen wir
zum vierten Mal in Folge einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vor. Sehr geschätzte Kollegin Andreae, wir machen hier nicht etwa falsche Versprechen und posaunen
etwas hinaus, was wir am Ende nicht halten können.
({0})
Wir sind angetreten und haben gesagt: Wir wollen einen
nachhaltigen Bundeshaushalt, wir wollen einen generationengerechten Haushalt.
Wir wissen, dass unsere Kinder nicht auf Schuldenbergen spielen können. Deswegen wollen wir dafür sorgen, dass wir endlich einen Paradigmenwechsel vollziehen - den ersten seit 1969 in diesem Land. Wir wollen
uns daran halten, woran sich auch jeder private Konsument hält: Er kann einfach nicht mehr ausgeben, als er
selber in der Tasche hat. Für diesen Paradigmenwechsel
steht diese Bundesregierung.
Mein Dank gilt dem Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble und der gesamten Bundesregierung, die dafür
sorgen, dass wir diese schwarze Null haben. Das ist eine
vorausschauende Finanzpolitik und kein Sparzwang als
Selbstzweck, sondern uns geht es darum, die Bedürfnisse
der künftigen Generation in Deutschland zu berücksichtigen.
({1})
Sehr geehrte Frau Kollegin Verlinden, Sie haben wahrscheinlich dem Minister Sigmar Gabriel gerade nicht zugehört. Er hat doch gesagt: Natürlich gehen wir diesen
Weg der Energiewende in Deutschland. - Ich glaube, wir
haben einen gesellschaftlichen Konsens in diesem Haus,
in Zukunft aus der Kernenergie und den fossilen Energieträgern Schritt für Schritt auszusteigen und stattdessen in
die erneuerbaren Energieformen einzusteigen.
Doch der Unterschied zwischen unseren Parteien ist
vielleicht der, wie wir diesen Weg beschreiten. Unser Ansatz ist: Wir wollen diesen Weg mit Augenmaß beschreiten, um die Wirtschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, um
durch diesen strukturellen Umbruch nicht eine ganze
Region und die darin lebenden Menschen, die wir dann
nicht auffangen können, zurückzulassen. Wir wollen
stattdessen die Menschen mitnehmen und ihnen Angebote machen. Wir wollen sie im 21. Jahrhundert in Lohn
und Arbeit haben. Wir wollen die Zahl von 43 Millionen
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Zukunft erhöhen und nicht reduzieren.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann war das
gerade von Ihnen ein Plädoyer für höhere Steuern. Sie
haben gesagt: Heizöl muss stärker besteuert werden. Da frage ich mich schon, ob Sie Ihr Ohr wirklich bei den
Menschen haben, die das am Ende des Monats bezahlen
müssen. Das ist genau der Grund, warum diese Bundesregierung hier maßvoll vorgeht.
Wir sagen: Die Energiewende muss bezahlbar sein.
Sie muss sozial verträglich sein, und sie muss wirtschaftlich verkraftbar sein; denn wir wollen in der Zukunft
nicht nur noch die Einsen und Nullen im Finanzplan verschieben, sondern wir wollen industrielle Wertschöpfung
in unserem Land halten. Deswegen, glaube ich, sind Sie
auf dem falschen Weg, wenn Sie wieder einmal höhere
Steuern und höhere Abgaben fordern - was vor allem für
sozial Schwächere mehr Belastung bedeutet -,
({2})
aber nicht berücksichtigen, dass das am Ende des Tages
jemand bezahlen muss.
Herr Kollege Hauptmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Verlinden?
Gerne.
Danke, Herr Hauptmann, dass Sie die Zwischenfrage
zulassen. - Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich wortwörtlich gesagt habe, dass derzeit das Heizöl in Deutschland
niedriger besteuert wird als in fast jedem anderen EULand? Tatsache ist: 6 Cent pro Liter beträgt derzeit die
Heizölsteuer für leichtes Heizöl in Deutschland; 18 Cent
ist der Durchschnitt in den EU-Ländern.
Vor allen Dingen habe ich darauf hingewiesen, dass es
eine interessante Ungleichbesteuerung zwischen Heizöl
und Erdgas gibt. Wenn Sie umrechnen, wie viel Heizöl
derzeit pro Tonne CO2 an Steuern kostet und wie viel
Erdgas pro Tonne CO2 an Steuern kostet, dann gibt es da
einen Unterschied. Auf diese Differenz habe ich hingewiesen. Wenn man eine konsistente Klimaschutzpolitik
machen möchte, dann wäre es meiner Ansicht nach klug,
eine einheitliche Steuer bezogen auf den CO2-Ausstoß
anzustreben, weil damit der Anreiz entsteht, dass die
Brennstoffe, die weniger CO2 emittieren, stärker nachgefragt werden.
({0})
Frau Kollegin, ich habe Ihre Punkte sehr wohl zur
Kenntnis genommen. Aber bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir in Deutschland 30 Prozent höhere Energiekosten als Frankreich und 50 Prozent höhere Energiekosten als die USA haben. Mit diesen Ländern stehen wir
im Wettbewerb. Hier geht es uns darum, überhaupt noch
wirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein.
({0})
- Geschätzter Kollege, wer schreit, hat immer unrecht.
({1})
Es lohnt sich, jenseits der Heizölkosten sich die Gesamtbilanz anzuschauen. In der Gesamtbilanz der Energiekosten gab es in den letzten Jahren - bedingt durch die
Energiewende, die wir wohl alle in diesem Hause mittragen - einen stetigen Anstieg für private Verbraucher
und für Industrieunternehmen. Deswegen müssen wir
das maßvoll gestalten, wie wir das auf Regierungsseite
auch wollen, statt mit übertriebenen Forderungen seitens
der Opposition.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren, seitens der Opposition kommt immer wieder der Vorwurf, dieser Bundeshaushalt investiere nicht genug. Ich frage mich, wie Sie
zu diesem Schluss kommen. Denn in den relevanten Politikbereichen in unserem Land haben wir die Investitionen des Bundes seit 2013 kontinuierlich gesteigert, und
das wird bis 2020 fortgesetzt.
Wir haben allein in diesem Jahr die Investitionen um
4,6 Milliarden Euro auf 36 Milliarden Euro erhöht, und
das alles - noch einmal - ohne neue Schulden. Wir haben darauf geachtet, dass wir besonders die Bereiche der
Wirtschaft unterstützen, die in dem Prozess der Transformation in eine neue Zukunft starten möchten, und zwar
durch eine kluge Investitionspolitik für den technischen
Fortschritt.
Wir greifen dabei auch unserem forschenden Mittelstand unter die Arme. Wir haben die Mittel für die Industrielle Gemeinschaftsforschung um 30 Millionen
Euro erhöht und das ZIM-Programm um 10 Millionen
Euro erweitert. Informieren Sie sich doch einmal in Ihren
Wahlkreisen darüber, wie die Förderung des Bundes bei
den Unternehmen vor Ort ankommt! Ich finde das immer
wieder phänomenal. Ich habe mir die Mühe gemacht, mir
in meinem südthüringischen Wahlkreis vor Ort ein Bild
davon zu machen. Es gibt 248 geförderte Projekte. Über
30 Millionen Euro an ZIM-Mitteln gehen an die Unternehmen, und die Unternehmen verdoppeln diesen Anteil
noch einmal. Das heißt, hier entsteht, angetrieben durch
den Mittelstand, wirklich Forschung „made in Germany“, die uns international wettbewerbsfähig macht.
({3})
Das ist, glaube ich, ein sehr vernünftiger Ansatz, den wir
hier verfolgen.
Aber wir setzen noch einen anderen Schwerpunkt,
und zwar mit einem Dreiklang: Wir wollen die Digitalisierung, die Automatisierung und Internationalisierung.
Was den ersten Punkt, die Digitalisierung, angeht, ist,
glaube ich, jedem klar, dass wir in ein neues Zeitalter
übergehen, wobei wir es in Deutschland nicht geschafft
haben, Weltmarktführer bei den Plattformanwendungen
zu werden. Sie werden alle durch die USA betrieben.
Hier sind wir nicht dabei.
Aber jetzt stehen wir vor der Frage, wie wir bei einer hohen Industriedichte und einem unglaublich großen
Know-how in unseren Hochschulen ansetzen können,
um die Industrie mit den Plattformen der Zukunft und
der Digitalisierung verknüpfen zu können, und wie wir
zukunftsfähige Modelle schaffen können, um in Zukunft
auf einer globalen Ebene wettbewerbsfähig zu sein.
Der zweite Punkt - Automatisierung - ist nicht minder spannend. Auch hier lohnt ein Blick in die mittelständische Unternehmenskultur. Ich spreche also nicht von
den großen DAX-30-Konzernen, sondern von Familienunternehmen mit 20 oder 30 Beschäftigten, die vor den
Herausforderungen des demografischen Wandels und
des Fachkräftemangels in unserem Land stehen und die
Automatisierung nutzen wollen, um zusätzlich Wettbewerbsfähigkeit zu generieren.
Der dritte Punkt ist ein Thema, das dieses Haus in den
Debatten immer wieder sehr emotional berührt, nämlich
die Internationalisierung. Wir von der Union - ich bin
dankbar, dass die Bundesregierung das genauso sieht sagen: Wir wollen uns nicht international abschotten. Wir
wollen nicht, wie es aktuell der neugewählte amerikanische Präsident als erste Maßnahme der neuen Regierung
vorgeschlagen hat, Mauern hochziehen, Zölle einführen
und uns vor dem internationalen Handel verstecken.
Wir glauben an die Mehrwirtschaft. Im internationalen Handel ist zwei plus zwei nicht gleich vier, sondern
gleich fünf. Ich nenne ein praktisches Beispiel dafür.
Schauen wir uns das Freihandelsabkommen zwischen
der Europäischen Union und Südkorea an. Der Zuwachs
beim Handelsvolumen beträgt 55 Prozent, und das auf
beiden Seiten, getrieben durch Export und Import. Wir
verkaufen mehr nach Südkorea, kaufen aber auch mehr
aus Südkorea. Das ist ein Benefit, ein Zugewinn für Südkorea, aber auch für Deutschland und die EU. Der größte
Bedenkenträger im Vorfeld, die deutsche Automobilindustrie, gehört nun zu denjenigen, die am meisten davon
profitieren. Es lohnt sich also, ins Detail zu gehen.
Wir sind mit unseren 1 600 Hidden Champions im
Mittelstand besser gerüstet als jedes andere Land der
Welt, nicht nur um den Prozess der Globalisierung aktiv zu gestalten, sondern auch um im Wettbewerb zu bestehen. Deswegen wollen wir fairen Handel. Aber fairer
Handel bedingt freien Handel. Mit Zollschranken und
Abschottung lässt sich kein fairer Handel auf der Welt
generieren. Wir stehen auf der Seite derjenigen, die weltweit für fairen und gerechten Handel einstehen.
Wir wollen internationale Freihandelsabkommen. Wir
wollen unsere hohen europäischen Standards zu goldenen Standards auf der Welt machen. Deswegen kämpfen
wir auf der Seite der Bundesregierung mit der EU-Kommissarin Cecilia Malmström so vehement um eine sozial
gerechte Definition der Regeln des 21. Jahrhunderts. Wir
nehmen aber auch unsere Unternehmen mit und geben
ihnen die besten Chancen im internationalen Wettbewerb. Dafür sorgen diese Bundesregierung und dieser
Haushalt. Deswegen verdient er volle Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege
Peter Stein.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Wirtschaftlich stehen wir in Deutschland nach nun elf Jahren CDU/CSU-geführter Regierung
unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel so gut da wie
noch nie. Besonders nach den letzten drei Jahren in einer Großen Koalition mit der SPD lässt sich festhalten:
Die Beschäftigung ist so hoch wie noch nie. Die Lohnsteigerungen sind so hoch wie noch nie in den letzten
25 Jahren. Gleiches gilt für die Rentenerhöhungen. Die
Steuereinnahmen sind auf allen Ebenen - Bund, Länder
und Gemeinden - auf einem mehr als gesunden Niveau.
Hinzu kommt eine ganze Legislaturperiode ohne Neuverschuldung. Mit diesem Ergebnis können wir in das
Wahljahr 2017 sehr selbstbewusst starten.
Im Gegensatz zu anderen Ländern um uns herum haben wir stabile politische, soziale und wirtschaftliche
Verhältnisse. Wir leben und praktizieren eine freiheitliche und tolerante Demokratie sowie eine soziale Marktwirtschaft mit einem stabilen, zukunftsfesten und voll
ausfinanzierten Sozialsystem. Damit das so bleibt, setzen
wir auf eine starke Wirtschaft. Wir stärken unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen, insbesondere
die Handwerksbetriebe. Wir investieren aber auch so viel
wie noch nie in Ausbildung, Bildung und Hochschulen.
Wir haben einen guten, starken Wirtschaftsstandort mit
einer weltweit einzigartig guten Infrastruktur und besonders hochqualifizierten Menschen.
Beim Blick in den Haushalt des Ministeriums für
Wirtschaft und Energie lassen sich für die Zukunft viele
neue, gute Ansätze erkennen. Ich möchte als Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern mit der maritimen
Wirtschaft beginnen. Die Koalition unterstützt die maritime Branche in diesem Haushalt zusätzlich mit 1,9 Milliarden Euro. Wir, die Union, erweisen uns einmal mehr
als verlässlichster Partner der maritimen Branche in
Deutschland.
({0})
Den ehemals geplanten Kürzungen im Investitionsförderungsprogramm für den Schiffbau setzen wir eine Erhöhung der Mittel für dieses Programm um 10 Millionen
Euro entgegen. Nur so können wir unsere Werften und
Zulieferer stärken. Das ist die maritime Handschrift der
Union.
({1})
Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich und besonders unseren Haushältern rund um Eckhardt Rehberg.
Wir zeigen hier einmal mehr gemeinsam, dass sich die
maritime Wirtschaft auf die Union verlassen kann. Wir
setzen auch in der maritimen Branche auf Innovationsund Technologieführerschaft. Genau deshalb werden die
Haushaltsmittel in der Innovationsförderung im Bereich
Schiffbau und Meerestechnik auf hohem Niveau verstetigt. Übrigens befindet sich ein nicht unerheblicher Teil
der Zulieferbranche der maritimen Industrie im Süden
der Republik. Das ist also keineswegs nur ein Küstenthema.
({2})
Flankiert werden diese Investitionen in unsere Wirtschaft durch Investitionen in die Infrastruktur. Dazu
möchte ich beispielhaft die doch mit über 750 Millionen
Euro sehr gut ausgefallene Ausstattung des Bundesverkehrswegeplanes für den Nordosten erwähnen. Wir finden darin die Seekanalvertiefung des Seehafens Rostock
ebenso wie die Fahrrinnenvertiefung des Hafens Wismar.
Das sind wesentliche Voraussetzungen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Seehäfen zu erhalten und die
Position als Logistikdrehscheibe in der südlichen Ostsee
und im gesamten Ostseeraum zu erhalten und zu stärken.
Ich nehme auch das Thema Klimaschutz nicht aus.
Der Bund übernimmt beispielsweise bezüglich des Baus
von LNG-betriebenen Schiffen eine Vorbildfunktion im
Hinblick auf die Erfüllung der zukünftig strengeren Werte in Nord- und Ostsee. Bei diesem Projekt arbeiten das
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie Industriepartner, aber auch die Endnutzer - übrigens schon seit
2012 - erfolgreich zusammen. Gemeinsam mit dem Beschluss zur Gründung des neuen DLR-Instituts für den
Schutz maritimer Infrastrukturen in Bremerhaven erhält
dieses wichtige Thema ein neues, zukunftsfähiges Fundament.
Auch im Bereich Forschung und Entwicklung hat sich
einiges getan. Auch hier hat sich wieder die Union als
zukunftsorientierter Impulsgeber in den Haushaltsberatungen gezeigt. Mit der Erhöhung der Grundfinanzierung
bei der Fraunhofer-Gesellschaft um 60 Millionen Euro
stärken wir die anwendungsorientierte Forschung der
Fraunhofer-Institute. Wir werden die Weichen stellen für
die zukünftige Entwicklung beispielsweise der selbstständigen Fraunhofer-Einrichtung in der Hansestadt
Rostock, wo man sich mit dem Thema Großstrukturen
in der Produktionstechnik beschäftigt. Professor Wanner leistet da unglaublich gute Arbeit, besitzt hoch anerkannte Expertise und wird mittlerweile in der gesamten
deutschen Industrie geschätzt. Das ist dann - darauf können wir ein bisschen stolz sein - die erste selbstständige
Fraunhofer-Einrichtung in Mecklenburg-Vorpommern.
Hier geht mein ganz herzlicher Dank an die Haushälter,
die das ermöglicht haben.
({3})
Der Ausbau der wirtschaftsnahen Forschung in meiner Heimatstadt Rostock ist vor dem Hintergrund der
in Mecklenburg-Vorpommern immer noch nicht ausreichend vorhandenen Großindustrie und des hohen Stellenwerts der maritimen Industrie im Norden Deutschlands von immenser Bedeutung. Es ist gelungen, die
Innovationsförderung für die neuen Bundesländer auf
insgesamt 159 Millionen Euro anzuheben. Das ist ein
sehr gutes Signal - gerade auch in die ostdeutsche Industrielandschaft.
Gut ist auch, dass wir dem forschenden Mittelstand
insgesamt weitere 40 Millionen Euro zur Verfügung stellen können. Dabei erhält die Industrielle Gemeinschaftsforschung, mit der auch kleine und mittlere Unternehmen
durch Forschungseinrichtungen in ihrer Forschungs- und
Entwicklungsarbeit unterstützt werden, einen Aufwuchs
von 30 Millionen Euro. Im ZIM, im Zentralen Investitionsprogramm Mittelstand - dazu ist heute schon einiges
gesagt worden, deshalb kann ich das abkürzen -, stellen
wir ebenfalls mehr Geld zur Verfügung - seit Beginn dieser Legislatur fast 60 Millionen Euro zusätzlich.
({4})
Zusammengerechnet kann unser forschender Mittelstand
damit über insgesamt 35 Millionen Euro mehr verfügen
als ursprünglich vom Minister selbst beantragt. Auch hier
geht mein ganz herzlicher Dank an unsere Haushälter,
die das im Haushalt ermöglicht haben und entsprechende
Prioritäten gesetzt haben.
({5})
An dieser Stelle auch ein ganz herzlicher Dank an den
Kollegen Mattfeldt, der sich für diese Erhöhung ganz besonders stark eingesetzt hat. Wir haben oft darüber geredet. Das ist wie ein roter Faden in deiner Arbeit. Herzlichen Dank!
In einem Bereich muss ich allerdings auch etwas
Wasser in den Wein gießen, da hätte ich mir mehr Mut
gewünscht. Das ist das Thema Elektromobilität. Dieses
Thema umfasst wahrscheinlich den Bereich, bei dem gerade im etablierten industriellen Kern um die Automobilindustrie herum die stärksten Veränderungen passieren
werden - und das unaufhaltsam.
Ich mache kein Geheimnis daraus, dass mir persönlich
die Kaufanreizregelung für E-Mobilität nicht besonders
positiv erscheint. Ich halte sie für ungeeignet, um an dieser Stelle den richtigen Hebel anzusetzen. Wir brauchen
viel dringender Investitionen in Ladestellen-Infrastruktur. Wir müssen rechtliche - auch baurechtliche - und
soziale Hemmnisse beseitigen, um in Innenstädten oder
auch in Mietwohnungsanlagen diese elektrischen Ladestellen möglich zu machen und zu erlauben. Es kann
nicht sein, dass Wohnungsgemeinschaften in Mietwohnungsanlagen mehrheitlich entscheiden können, dass ein
einzelner Elektrofahrzeugbesitzer keine Ladestelle in seine Tiefgarage bauen kann. Das muss erleichtert werden.
Da ist sicherlich der rechtliche Rahmen zu verändern.
({6})
Wir müssen nicht zuletzt in Forschung und Entwicklung im Bereich der Batterie- und Wasserstofftechnik investieren. Da hängt, nebenbei bemerkt, unsere gesamte
Zulieferindustrie dran, weil in einem Elektroauto bis zu
50 Prozent weniger Bauteile verbaut sind. Wir müssen
uns in Deutschland über den Zulieferer der Zukunft Gedanken machen; denn es sind nicht gerade wenige Arbeitsplätze, die da auf dem Spiel stehen. Bei uns, bei unseren deutschen Unternehmen, kauft momentan noch die
gesamte internationale Automobilbranche viele Bauteile
ein. Das darf sich nicht grundlegend ändern, das müssen
wir erhalten.
Abschließend möchte ich sagen: Wir haben seit 2005,
also seit elf Jahren, eine CDU/CSU-geführte Regierung.
Seitdem sind 5 Millionen zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse geschaffen worden.
In der Zusammenarbeit mit der SPD in den letzten drei
Jahren ist ein erheblicher Teil davon zustande gekommen. Daher ein ganz herzlicher Dank für die gute Zusammenarbeit in den letzten drei Jahren im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik und der Arbeitsmarktpolitik.
({7})
Das ist ein starker Ausdruck dessen, dass sich in Deutschland die gesamte Situation der Beschäftigung und damit
auch der Einkommensverhältnisse durch gute Regierungsarbeit der CDU/CSU gemeinsam mit der SPD verbessert haben.
Eine starke Wirtschaft und gute Arbeitsplätze sind das
beste sozialpolitische Fundament, auf dem wir auch in
Zukunft bestehen können. Unser aktueller wirtschaftlicher Erfolg gibt uns nämlich die Spielräume im Haushalt,
die wir nun nutzen, um den strukturellen Herausforderungen zu begegnen. Eine gute und soziale Wirtschaftspolitik gestaltet die eigene Zukunft stärker und nachhaltiger als die meisten anderen Politikfelder.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Abschließender Redner zum Einzelplan 09 ist der
Kollege Professor Dr. Heinz Riesenhuber für die CDU/
CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Debatte hat mir schon Freude gemacht. Das
war ein wohlerwogener Streit. Auf zwei Punkte werde
ich noch eingehen, liebe Frau Andreae.
Ich habe mich besonders über die Rede des Vizekanzlers gefreut. Das war eine schöne Ergänzung zur Rede
der Kanzlerin. Bei den meisten Stellen konnten wir mit
Fröhlichkeit mitklatschen - ein Zeichen für die brüderliche Einmütigkeit dieser vorzüglichen Regierung.
({0})
An einem einzigen Punkt haben wir vielleicht eine
kleine Differenz. Aber vielleicht streiten wir uns darüber im Wahlkampf. Steuersenkungen macht man nicht
deshalb, um Menschen glücklich zu machen - wir haben
nicht vor, Menschen glücklich zu machen -, aber wir haben gelernt, dass das Geld, das bei den Leuten bleibt, die
es erarbeitet haben, am klügsten, am effizientesten und
am besten von ebendiesen Leuten eingesetzt wird.
({1})
Wenn das Geld bei den Leuten bleibt, dann läuft der Laden. Insofern war es eine großartige Sache, dass wir in
dieser Periode keine Abgaben erhöht haben, außer denen
für die Pflegeversicherung, die wir vereinbart hatten. Wir
haben keine Steuern erhöht. Die Leute atmen ein bisschen leichter. Wenn die Fröhlichkeit der Menschen zunimmt, dann wächst das Land.
({2})
Wolfgang Schäuble - Entschuldigung: der hochverehrte Herr Bundesfinanzminister - hat zu Beginn der
Woche gesagt: Wir müssen unsere Zukunftsfähigkeit bewahren. - Jawohl, das ist in vielen Bereichen der Fall.
Auch die Fröhlichkeit der Menschen gehört dazu. Dazu
gehören die Arbeit und die Arbeitsplätze, die uns zuwachsen. Dazu gehören tüchtige Familien, die fröhliche
Kinder heranziehen. Dazu gehört der Frieden im Land.
Aber dazu gehören auch der Wohlstand und die Zuversicht, dass er weiter wachsen kann. Dafür ist der stärkste
Anker in unserem Land in einer immer noch und, wie
wir hoffen, auch weiterhin offenen Welt ein Vorsprung
in Wissenschaft und Technik und in der Gestaltung der
Zukunft mit Blick auf Arbeit und Umwelt. Da haben wir
in den letzten fast zwölf Jahren eine großartige und stetige Arbeit hingelegt. Die entsprechenden Forschungsausgaben des Bundes sind gestiegen - das wurde mehrfach
gepriesen -, sie wurden fast verdoppelt in dieser Zeit.
Schön. Aber das Geld wurde auch ziemlich intelligent
eingesetzt. Geld ersetzt Intelligenz nur begrenzt, aber
wenn man Geld und Intelligenz zusammenbringt, dann
kann das hilfreich sein.
({3})
Ich sehe, welche Schwerpunkte wir gesetzt haben,
auch in diesem Haushalt. Mehrere Kollegen haben zu
Recht gepriesen, dass der Mittelstand eine Säule unserer
Wirtschaft ist. Mark Hauptmann sprach von den Hidden
Champions. Aber es gibt eben auch ein breites Feld derer,
die die Sorge haben - auch dies ist kurz angesprochen
worden -, dass die Innovationsfähigkeit des Mittelstandes nachlässt. Es ist richtig, dass wir für die Industrielle Gemeinschaftsforschung 2017 30 Millionen Euro
zusätzlich bereitgestellt haben. Fast noch wichtiger ist,
dass wir die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen um 48 Millionen Euro erhöht haben. Ich sage „wir“,
obwohl ich kein Mitglied des Haushaltsausschusses bin.
Andreas Mattfeldt und Thomas Jurk sind kluge Berichterstatter.
({4})
Sie denken im gleichen Geist wie die Fachpolitiker hier,
und das ist gut für Deutschland. Wir haben die Sache also
durchaus ausgebaut.
Frau Andreae, Sie mahnen die steuerliche Forschungsförderung an.
({5})
- Schön, dass Sie mir applaudieren. Sie wissen, dass ich
im Herzen dabei bin.
({6})
- Sie auch? - Das wird schon sehr gut. Dann wollen wir
es einmal alle in unsere Wahlprogramme schreiben.
({7})
Wer auch immer nach der Wahl koaliert, wird hier ein
interessantes Arbeitsfeld in den Verhandlungen mit dem
Finanzminister haben.
({8})
Jetzt ist dafür nicht der Kairos, der rechte Moment.
Wir haben aber jetzt - das läuft leise, aber es ist
wahr - mit Zustimmung des Finanzministers den Erhalt
der Verlustvorträge für die Wagniskapitalgesellschaften
bei Beteiligungen an jungen Technologieunternehmen
in einen vernünftigen Arbeitsprozess gebracht. Der Finanzminister sagt: 600 Millionen Euro mag das im Jahr
kosten. - Daran haben wir seit mittlerweile zehn Jahren
gearbeitet. Mit dem früheren Finanzminister Steinbrück
waren wir uns hier schon einmal einig gewesen. Alle haben uns gesagt: Das ist europafest. - Das war aber nicht
ganz der Fall.
Dass wir bei allem, was wir tun, die Schwerpunkte
in der Zusammenarbeit mit Europa sinnvoll abstimmen,
ist auch eine wichtige Sache. Vom Mikroelektronikprogramm sehen wir im jetzigen Haushalt nur die Spitze des
Rüssels.
({9})
Dessen Anfinanzierung umfasst Mittel in Höhe von
50 Millionen Euro - viel Geld. Aber der Wirtschaftsminister hat insgesamt rund 1 Milliarde Euro bis 2020 vorgesehen, und das ist nur ein Teil des gesamten Elefanten.
Die deutsche Wirtschaft wird zusätzlich 2,4 Milliarden
Euro bereitstellen. Die anderen Partner in Europa wollen
das Ganze auf 6,5 Milliarden Euro aufstocken. Das geschieht auf einem Feld, auf dem wir noch ziemlich stark
sind und stark engagiert sind, etwa bei Aktoren, Sensoren, Leistungselektronik, Halbleiterelektronik. Es ist also
ein großer Bereich.
Hier hat die Europäische Kommission, über die wir
uns bei den Verlustvorträgen herzlich geärgert haben, als
politische Kommission durchaus politische Intelligenz
gezeigt; denn sie hat wichtige Projekte gemeinsamen europäischen Interesses - dieser gehört dazu - definiert, bei
denen die Frage der Beihilfeprüfung nach anderen vernünftigen Kriterien erfolgt. Europa stand sich manchmal
selbst im Weg.
({10})
Das ist schade, auch weil es die Leidenschaft der Menschen für Europa nicht immer hinreichend befeuert.
({11})
Dennoch: In kritischen Situationen einen politischen
Konsens über wichtige Dinge zu erreichen, das ist eine
gute Sache.
Es gibt viele wunderbare Themen. Wir müssten hier
über die Industrie 4.0 sprechen - eine geniale Vision. Die
Idee ist, dass man hier eine Spitzmarke setzt, um das, was
digital in der Produktion geschehen muss, wirklich zu einem Thema zu machen, bei dem sich jeder einzelne Unternehmer überlegt: Was bedeutet das? Was bedeutet das
für meinen Zugang zum Markt, für mein Verhältnis zu
den Zulieferern und für meine Vernetzung? Wie kann ich
meine Strategien anlegen? Dies wächst jetzt erst langsam
heran. Dass wir noch Rahmenbedingungen setzen müssen, dass wir internationale Standards bekommen müssen, dass wir gemeinsame Infrastrukturen erhalten, dass
wir hier Plattformen aufbauen - wir haben neun Plattformen und zwei Foren -, die Gesellschaft, Wirtschaft und
Wissenschaft wirklich zu einem gemeinsamen Verständnis und zu einem gemeinsamen Handeln heranziehen,
das gehört entscheidend dazu.
Dies alles wird auch in den nächsten Jahren ziemlich
viel kosten. Wir haben unsere Aufwendungen für Forschung - ich sagte es zu Beginn - in den vergangenen
zwölf Jahren nahezu verdoppelt, und die Wirtschaft hat
mitgezogen. Was passiert, wenn wir vorangehen und uns
niemand folgt? Herr Vizekanzler, Sie sprachen davon,
dass wir uns ein Beispiel an Korea nehmen sollten, wo
heute 4,3 oder 4,4 Prozent des Bruttosozialprodukts für
die Forschung ausgegeben werden. Im Innovationsprogramm Ihrer Partei, der Sie ja angehören ({12})
ich spreche sonst nicht parteipolitisch zu Ihnen -, steht,
dass wir im Jahr 2025 auf 4,0 Prozent kommen müssen.
Solche Ziele bedeuten, dass der Bund mit seinem Budget
Schritt hält, sonst funktioniert es nicht. Das sind enorme
Beträge. Dies hier klarzumachen, bevor wir in die nächste
Periode gehen, sodass jeder weiß, welche Schwerpunkte
zu setzen sind, das wird eine der großen Aufgaben sein.
Das dürfen wir nicht leise machen, das muss durch die
Faszinationskraft der Zukunft erkennbar werden.
Die Kanzlerin sprach von der digitalen Welt, in die
wir gehen. Hierbei die Menschen mitzunehmen, ist eine
der großen Aufgaben. Es geht nicht nur darum, technisch
erfolgreich zu sein. Der Digitalpakt, den die Bildungsministerin andenkt, ist ein wichtiges Element. Wir hoffen, dass die Länder dabei mitziehen. Dies alles muss zu
einer einzigen Strategie zusammenfließen, die deutlich
macht, dass wir mit Vernunft und Augenmaß die Zukunft
bewältigen können, in der jeder sein Leben aus Freude
an den eigenen Aufgaben gestalten kann. Wir alle zusammen sind eine Gemeinschaft mit unterschiedlichen Meinungen, über die wir uns in einem fröhlichen Streit im
Parlament austauschen und dann Entscheidungen treffen,
zu denen wir stehen. Das ist die Grundlage dafür, dass
die Menschen auch in Zukunft glücklich in diesem Land
leben.
({13})
Herzlichen Dank, auch dafür, dass der Fröhlichkeitsfaktor in diesem Hohen Hause nachprüfbar gehoben worden ist. Ich darf versichern, dass weiterhin mit Hochtechnologie am Redepult gearbeitet wird.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09 - Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor.
Wir beginnen mit zwei Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke. Zunächst der Änderungsantrag auf Drucksache 18/10401. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/10402. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt,
den bitte ich um das Handzeichen - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10403.
Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung. Wer für diesen Einzelplan stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist
damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.14 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Drucksachen 18/9821, 18/9824
Berichterstatter sind die Kollegen Swen Schulz,
Anette Hübinger, Roland Claus und Ekin Deligöz.
Zu dem Einzelplan 30 liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir morgen nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner. Dann ist das somit beschlossen.
Deshalb eröffne ich auch sofort die Aussprache und
erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Nicole
Gohlke für die Fraktion Die Linke.
({1})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schon komisch: Da wirft die Koalition
mit Eigenlob und Superlativen in den Beratungen zum
Bildungshaushalt nur so um sich und scheint doch selbst
ganz genau zu wissen, dass ihre eigene Bildungspolitik
die großen Probleme im Kern ungelöst lässt. Oder wie
sonst ist es eigentlich zu verstehen, dass wir seit Wochen
eine Debatte darüber haben, in welchem Bildungsbereich
mehr Geld fehlt, ob jetzt die Ausstattung der Schulen mit
IT Priorität hat oder zum Beispiel die Sanierung von maroden Schulbauten? Offenbar sind die jahrelangen Versäumnisse im Bildungsbereich mittlerweile so gravierend, dass nicht einmal mehr die Union sie leugnen kann,
und offenbar löst dieser Bildungshaushalt, den wir heute
in zweiter Lesung beraten, die großen Probleme in der
Bildung nicht. Das wirkt sich für die Menschen, insbesondere für die junge Generation, fatal aus. Diese Politik
der dauerhaften Unterlassung macht die Linke nicht mit.
Diese Politik muss sich endlich ändern.
({0})
Sie haben in den letzten Wochen mit der Digitalisierung und der Schulsanierung zwei sehr wichtige Themen angesprochen. Es ist, ehrlich gesagt, auch höchste
Eisenbahn, dass die Koalition mal die Bildung für sich
entdeckt. Bei den letzten Reden von Ministerin Wanka
oder auch bei der Schwerpunktsetzung im Haushalt hatte
man das Gefühl, dass sie sich eigentlich nur und einseitig als Forschungsministerin sieht. Schule, frühkindliche
Bildung, Weiterbildung, das alles scheint für sie Nebensache zu sein. Das taucht bei Ihnen so gut wie gar nicht
mehr auf.
({1})
Jetzt, pünktlich zum Wahljahr, fällt Ihnen ein, was es
noch so zu tun gäbe. Aber so durchsichtig die Wahl des
Zeitpunktes auch sein mag: Wir sagen natürlich: besser
eine späte Erkenntnis als gar keine.
({2})
Aber das Problem ist: Ihrer neuen Entdeckung von
wichtigen Themen folgt wenig Konkretes. Eventuell
sollen jetzt 3,5 Milliarden Euro für Schulsanierung über
einen Nachtragshaushalt zur Verfügung gestellt werden.
Aber weil Sie ideologisch zu verbohrt sind,
({3})
um das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung aufzuheben, muss dieses Geld über
ein Sondervermögen abgewickelt werden und soll nur
finanzschwachen Kommunen zur Verfügung stehen. Aus
ideologischen Gründen gehen Sie schon wieder den Weg
der Sonderfinanzierung und nicht der Regelfinanzierung.
Dafür gibt es nicht ein Argument auf Ihrer Seite.
({4})
Legen Sie endlich die ideologischen Scheuklappen ab,
({5})
und schaffen Sie das Kooperationsverbot ab!
({6})
Auch zum großangekündigten Digitalpakt von Frau
Wanka findet man im Haushalt keine Angaben. Es heißt,
die Ministerin hoffe auf die kommenden Koalitionsverhandlungen, damit es in der nächsten Legislaturperiode
losgehen kann. Das sind wirklich Wahlkampfplattitüden
in Reinkultur. Das hat nichts damit zu tun, dass man die
drängenden Aufgaben jetzt anpackt. Verschieben Sie das
Politikmachen nicht auf PR im Wahlkampf oder auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern machen Sie eine Bildungspolitik, die den Menschen jetzt zugutekommt und
von der die Menschen jetzt etwas haben!
({7})
Die aktuelle Debatte verweist doch auch auf eines: Die
Missstände quer über alle Bildungsbereiche sind enorm.
Die Unterfinanzierung der letzten Jahre, die Sie politisch zu verantworten haben, hat an vielen Stellen eine
Vizepräsident Johannes Singhammer
dramatische - das ist keine sprachliche Übertreibung Situation hinterlassen. Ich kann der Digitalisierung und
Schulsanierung noch eine lange Liste von unerledigten
Aufgaben hinzufügen. Wir brauchen dringend mehr Geld
für die Ausbildung und vor allem eine bessere Bezahlung
von Erzieherinnen und Erziehern. Wir brauchen gebührenfreie Kitas, damit man anfangen kann, ernsthaft von
Wahlfreiheit zu sprechen.
({8})
Wir brauchen eine Lösung dafür, wie der Ausbau von
Ganztagsschulen vom Bund gefördert werden kann und
wie wir endlich zur Umstellung auf barrierefreie und
inklusive Bildungseinrichtungen kommen. Die soziale
Schere in der Bildung muss endlich überwunden werden.
({9})
Es kann doch nicht sein, dass dieser Bundesregierung
nichts dazu einfällt, dass Kinder aus finanziell schwachen Familien nach wie vor so viel schlechtere Chancen
haben, ein Abitur zu machen und zu studieren, als Kinder
aus Akademikerhaushalten.
({10})
Die Baustellen beim BAföG fassen Sie nicht an, aber
am unsinnigen Deutschlandstipendium und der Elitenförderung halten Sie fest. Das ist ein Unding.
({11})
Die prekären Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern müssen beendet
werden. Wir brauchen endlich mehr feste Stellen in der
Wissenschaft, vor allem neben der Professur.
Eines ist auch klar: Es muss endlich etwas anderes aus
dem Ministerium kommen als die Politik von befristeten Pakten und Programmen. Es wird beim Digitalpakt
auch nicht ausreichen, die Hardware in einem einmaligen Kraftakt zur Verfügung zu stellen, aber dann die
Wartung und Erneuerung den Kommunen zu überlassen.
Der Bund muss sich endlich dauerhaft an solchen Aufgaben beteiligen können und wollen. Im Falle der Digitalisierung ist es Ihnen jetzt schon möglich. Artikel 91c
des Grundgesetzes erlaubt die Beteiligung des Bundes
beim Betrieb informationstechnischer Systeme. Nutzen
Sie das. Lassen Sie die Kommunen und die jungen Menschen nicht im Regen stehen.
({12})
Ich finde, es ist endlich an der Zeit, einen Rahmen
zu schaffen, in dem gute Bildung nicht am Geldbeutel
der Eltern, nicht an Schuldenbremsen und nicht an der
schwarzen Null von Herrn Schäuble scheitert. Wenn
Sie jetzt wieder nicht wissen, woher das Geld kommen
soll, dann gebe ich Ihnen gerne einen Hinweis zu den
Dimensionen, mit denen wir es hier zu tun haben. Das
reichste Promille in Deutschland - das sind 40 000 Haushalte - besitzt 17 Prozent des Vermögens. Allein mit dem
geschätzten Privatvermögen der Familie Quandt, die
der Union regelmäßig Hunderttausende Euros Spenden
beschert, ließe sich der Investitionsstau an Schulen und
Hochschulen auf einen Schlag auflösen. Familie Quandt
hätte dann immer noch 10 Milliarden Euro übrig. Es ist
höchste Zeit, dass Sie sich einmal an eine Millionär- und
ordentliche Erbschaftsteuer herantrauen. Es geht nämlich
um das Wohl und die Zukunft aller und nicht nur um die
von Quandt und Co. Das und nichts weniger ist die Aufgabe einer Regierung.
Vielen Dank.
({13})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Anette
Hübinger.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau
Gohlke, ich komme jetzt einmal zur Realität und lasse
die Ideologie fernab.
({0})
Heute beraten wir zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode den Einzelplan 30 für Bildung und Forschung.
Ich denke, wir können mit dem Geld, das wir zur Verfügung haben, zufrieden sein: 17,6 Milliarden Euro. Als
ich 2005 in den Bundestag kam, standen uns 7,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Jetzt sind es 10 Milliarden
Euro mehr. Der Haushaltsausschuss hat in seiner Bereinigungssitzung sogar noch etwas draufgelegt, nämlich
86 Millionen Euro.
Dies darf man nicht als Normalität ansehen; denn die
stetig wachsenden Investitionen in Bildung und Forschung sind eine bewusste Priorisierung dieser Bundesregierung, die es auch in künftigen Jahren fortzusetzen
gilt.
({1})
Die außen- und innenpolitischen Herausforderungen,
denen Deutschland gegenübersteht, bedürfen dieser besonderen Anstrengung in Bildung und Forschung, um
die Wettbewerbsfähigkeit, die Konkurrenzfähigkeit und
die Wachstumsmöglichkeiten unserer Wirtschaft zu generieren. Dabei ist Bildung das beste Rüstzeug, das wir
unserer jungen Generation mitgeben können.
({2})
Der Bund hat - das sage ich auch in Richtung der
Fraktion Die Linke - enorme neue finanzielle Verantwortung übernommen. Es geht dabei auch um Aufgaben, die
ursprünglich den Ländern zugeteilt waren, so im Haushalt für Bildung und Forschung zum Beispiel die gänzliche Übernahme der Kosten des BAföGs oder auch die
Zusage, dass die Kosten des Aufwuchses der Mittel zur
Finanzierung der Forschungsinstitutionen um 3 Prozent
gänzlich vom Bund getragen werden.
Insofern müssen wir als Haushälter - da schaue ich
mal zu meinen Kolleginnen und Kollegen - in Zukunft
stärker darauf achten, dass der Bund auch seine Kernaufgaben im Bereich Bildung und Forschung, für die
der Steuerzahler ihm Gelder zur Verfügung stellt, erfüllen kann. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir, wenn
Geld an die Länder weitergegeben wurde, hinsichtlich
der Verwendung der Mittel eine gewisse Kontrollfunktion übernehmen dürfen und können, damit die Mittel
dann auch zweckgebunden - also für den Zweck, für den
wir sie an die Länder oder auch an die Kommunen weitergegeben haben - eingesetzt werden.
({3})
Der Bereich Bildung und Forschung ist nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich sehr gut aufgestellt; wir
haben zwar noch einige wenige Veränderungen vorgenommen, die meisten beziehen sich allerdings auf den
Forschungsbereich. Dafür möchte ich der Ministerin in
Abwesenheit - Frau Ministerin Wanka ist erkrankt; von
dieser Stelle unsere besten Genesungswünsche ({4})
ganz herzlich danken.
Ein zentrales Anliegen der Unionsparteien ist die Bildungsgerechtigkeit. Beim Thema Bildungsgerechtigkeit
muss man auch die Erwachsenen im Blick haben, die aus welchen Gründen auch immer - einer Grundbildung
im Bereich der Lese- und Schreibfähigkeit bedürfen.
Deswegen haben wir die Mittel für den entsprechenden
Ansatz im Rahmen der nationalen Dekade für Alphabetisierung um 2 Millionen Euro angehoben.
Mit dem Konzept „Chance Beruf“ wird das berufliche Bildungssystem verbessert und seine intensive Berufs- und Bildungsorientierung ausgebaut. Damit wollen
wir die immer noch zu hohe Zahl von Ausbildungs- und
Studienabbrüchen reduzieren und jungen Menschen an
ihren Potenzialen orientiert den Weg in das Berufsleben
ermöglichen.
({5})
Auch eine Integration von Menschen, die in den letzten Monaten zu uns gekommen sind, klappt am besten
über Bildung. Das BMBF hat im vergangenen Jahr bestehende Programme ausgebaut und entsprechend den Erfordernissen der Flüchtlinge modifiziert. Dazu gehören
unter anderem das Programm „Berufsorientierung für
Flüchtlinge“, Projekte von „Kultur macht stark“ und das
Programm „Integra“ des DAAD für Studierende. Diese
Programme sind sehr gut angelaufen und werden auch
bedarfsgerecht weiter finanziert.
In der Bildung wertschätzen wir die akademische und
die duale Ausbildung gleichermaßen.
({6})
Gerade unter dem Aspekt des Fachkräftemangels müssen wir dafür sorgen, dass die berufliche duale Ausbildung weiter gestärkt wird. Denn Handwerk und Industrie bieten den Absolventen sichere Arbeitsplätze mit
Zukunftsperspektiven, wie gerade die Regionaldirektion
Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit
bestätigt hat.
Weil die berufliche Ausbildung mit der Digitalisierung
Schritt halten muss, haben wir den digitalen Ausbau der
überbetrieblichen Bildungsstätten mit 10 Millionen Euro
weiter gestärkt.
({7})
Ich danke Ministerin Wanka auch dafür, dass sie die Stärkung der beruflichen Ausbildung mit zu ihrem Thema gemacht hat. Denn wir sehen, es ist für unsere Jugend ein
sehr wichtiges Thema.
Langjährige Schwerpunkte wie die Verstärkung von internationalen Forschungskooperationen und Hochschulkooperationen, wie beispielsweise DAAD-Programme
zum Studierenden- und Wissenschaftleraustausch, bleiben bestehen, und der Dreiklang von Exzellenzinitiative,
Hochschulpakt und Pakt für Forschung und Innovation
ist weiterhin zentraler Ankerpunkt. Erst dieses Jahr wurden beispielsweise durch die Humboldt-Professur internationale Spitzenforscher aus den Bereichen Mathematik, Ökologie und Physik für Deutschland gewonnen.
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
bleibt ein Kernanliegen der Unionsparteien und der Bundesregierung.
({8})
- Auch der SPD, genau. - Die Zeiten, in denen es vorrangig Meldungen gab, dass deutsche Spitzenforscher
ihrer Heimat den Rücken kehren, sind Gott sei Dank
vorbei. Mit einem neuen Bund-Länder-Programm werden ab nächstem Jahr, also ab 2017, 1 000 neue Te nureTrack-Professuren in Deutschland strukturell verankert.
Konkret in Zahlen heißt das, dass über eine Laufzeit von
15 Jahren 1 Milliarde Euro dafür eingesetzt wird.
({9})
Ich möchte an die Hochschulen den Appell richten, diese
Möglichkeit auch zur Verbesserung der Frauenquote zu
nutzen.
({10})
Wie der Bereich Bildung, ist auch der Bereich Forschung gut aufgestellt, dennoch haben wir einige Veränderungen vorgenommen, sei es durch Umschichtung
oder durch Aufstockung der Mittel. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft haben wir zum Beispiel die Mittel um
60 Millionen Euro aufgestockt, die in deren Grundfinanzierung fließen sollen. Das ist gut angelegtes Geld; denn
die angewandte Forschung ist sehr stark nachgefragt und
leistet einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen
Wachstum, aber auch zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit.
({11})
Das Programm „Unternehmen Region“, das die Innovationsförderung in den neuen Ländern zum Inhalt hat,
wird um 2 Millionen Euro auf 161 Millionen Euro aufgestockt. Auch die Leibniz-Forschungsmuseen - ein Anliegen meines Kollegen Swen Schulz - wurden berücksichtigt. Sie bekommen 5 Millionen Euro zur Umsetzung des
„Aktionsplans Forschungsmuseen - Orte von Bildung
und Wissenstransfer“. 3 Millionen Euro gehen an das
Museum für Naturkunde in Berlin für eine Kooperation
mit der Fossilienlagerstätte Bromacker.
({12})
Neu in den Einzelplan 30 wurde die Einrichtung eines Forschungsverbundes zum Thema SED-Unrecht
aufgenommen, mit dem Ziel, für die zeitgeschichtliche
Forschung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine neue
Struktur zu schaffen.
({13})
Finanziert wird dies mit 5 Millionen Euro. Für die Gründung eines Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt
wird 1 Million Euro bereitgestellt.
Die sehr gute Gesamtstruktur des Bundeshaushaltes
sowie die gute Einnahmesituation ermöglichen es, unser
Land zu modernisieren und Zukunftsthemen wie zum
Beispiel die Digitalisierung noch stärker anzupacken.
Letzte Woche war ich auf dem Nationalen IT-Gipfel,
der in meinem Wahlkreis Saarbrücken stattgefunden hat.
Bei diesem IT-Gipfel ging es vor allem um die digitale
Bildung. Es war beeindruckend, zu sehen, was das Bundesministerium für Bildung und Forschung hier bereits
leistet - mit den Smart Schools, mit den neuen Lehrerprogrammen, mit den Forschungsthemen zur Bedeutung
von IT im Arbeits- und Alltagsleben der Bürgerinnen und
Bürger. Für diese Zukunftsperspektive wurde unter anderem ein neuer Titel mit über 70 Millionen Euro angelegt.
Auch das neu zu gründende Deutsche Internet-Institut
sowie das Programm „Digitales Lernen in der beruflichen Bildung“ fallen darunter.
({14})
Aber nicht nur die digitalen Herausforderungen, auch
die Herausforderungen des globalen Wandels, bei denen
wir unsere Forschungsanstrengungen vertiefen müssen,
werden in diesem Haushalt berücksichtigt. Die Mittel für
den gesamten Forschungsbereich Klima und Nachhaltigkeit wurden in den letzten acht Jahren kontinuierlich um
über 220 Millionen Euro auf knapp 548 Millionen Euro
aufgestockt.
Im Forschungsfeld Gesundheit hat sich auch vieles
getan. Ganz besonders glücklich bin ich, dass wir eine
nationale Wirkstoffinitiative verankern konnten, gefördert über die nächsten vier Jahre mit 21 Millionen Euro.
Bei der Initiative geht es darum, Bedrohungen durch Antibiotikaresistenzen und Krankenhauskeime zu bekämpfen. Dafür sollen neue Wirkstoffe erforscht werden.
So steht fest: Mit diesem Haushalt für Bildung und
Forschung können wir gut in das neue Haushaltsjahr blicken, da alle wichtigen und zukunftsweisenden Themen
adressiert und finanziert sind. Das BMBF hat die Priorisierung, die wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben,
gut umgesetzt.
({15})
Zum Schluss danke ich unserem Hauptberichterstatter Swen Schulz und meinen Mitberichterstattern Ekin
Deligöz und Roland Claus - er ist leider aus persönlichen
Gründen nicht anwesend - für die gute Zusammenarbeit.
Ich bedanke mich ebenso sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer AGs, die immer Nachtschichten einlegen mussten, als auch bei unserem Haus
für die konstruktive Kooperation.
Vielen Dank.
({16})
Nächster Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Staatssekretär Rachel, bitte richten Sie auch
von uns die besten Genesungswünsche an die Ministerin
aus. - Dem Dank meiner Kollegin Hübinger an die Berichterstatter des Bildungs- und Forschungsetats schließe
ich mich natürlich an. Das war wie immer ein sehr gutes
Zusammenarbeiten. Insbesondere unser Hauptberichterstatter, Herr Schulz, hat mit gewohnter Professionalität
moderiert. - Danke schön.
({0})
Seit der ersten Lesung des Bildungsetats hat sich im
Wesentlichen nur eines verändert, und das betrifft die
Schulen. Der Ehrlichkeit halber müssen wir aber sagen,
dass das Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlungen über
die Schulen nicht vom Bundesbildungsministerium eingebracht wurde, sondern der Hartnäckigkeit der rot-grün
regierten Länder und auch der SPD-Fraktion zu verdanken ist.
({1})
Insofern ist das ein Erfolg. Wir von der grünen Bundestagsfraktion tragen das absolut mit. Wir finden, dass die
maroden Schulgebäude der Vergangenheit angehören
müssen, dass unsere Kinder die besten Bedingungen fürs
Lernen verdienen. Wir sind übrigens auch der Meinung,
dass wir dabei nicht stehen bleiben dürfen, sondern eine
komplette Abschaffung des Kooperationsverbots brauAnette Hübinger
chen, damit wir auch seitens des Bundes endlich wieder
in die Bildung in diesem Land investieren können.
({2})
- Darauf habe ich jetzt gehofft. Noch besser wäre es, Sie
würden mir eine Frage stellen; dann hätte ich eine Redezeitverlängerung.
({3})
- Aber das gönnen Sie mir nicht.
Sie sagen jetzt: Was sagt Ministerpräsident
Kretschmann?
({4})
Wissen Sie, Herr Kretschmann und wir sind uns einig,
dass die Länder Planungssicherheit brauchen. Es ist ihm
und uns wichtig, dass wir die Länder nicht von Programm zu Programm hoppeln lassen, ohne eine gewisse
Planungssicherheit zu gewährleisten. Herr Kretschmann
und ich bzw. wir als Fraktion sind uns auch einig,
({5})
dass wir in die Strukturen von Bildung und Wissenschaft investieren müssen. Dafür arbeitet auch er als baden-württembergischer Ministerpräsident.
({6})
Über den Weg, wie wir dahin kommen, gibt es tatsächlich eine Differenz; aber die gibt es nicht nur zwischen
den Grünen und dem Ministerpräsidenten, sondern die
gibt es generell zwischen Bund und Ländern. Es ist unser
Auftrag, das gemeinsam zu verhandeln und den besten
Weg zu suchen.
({7})
Darüber müssen wir streiten. Die Art und Weise, wie Sie
diese Debatte blockieren, bringt uns nicht weiter. Das
Kooperationsverbot haben wir übrigens Ihrer Fraktion zu
verdanken. Und jetzt versuchen Sie, die Scherbenhaufen,
die Sie angerichtet haben, irgendwie wieder zusammenzusetzen. Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung.
Manchmal fliegt einem das auch um die Ohren, Herr
Kollege.
({8})
Wir sind uns mit den Ländern übrigens auch darüber
einig, dass es selbstverständlich im Kompetenzbereich
der Länder liegt, über Inhalte und das Funktionieren der
Schulsysteme zu bestimmen. Eine Differenz gibt es an
folgender Stelle: Wir von der Bundestagsfraktion betonen immer wieder, dass der Bund auch mit Finanzmitteln in die Schulfinanzierung in den Ländern hineingehen
muss. Warum fordern wir das? Weil wir in diesem Land
dringend eine Dynamik des sozialen Aufstiegs durch Bildung brauchen.
({9})
Diese Dynamik des sozialen Aufstiegs durch Bildung
muss unabhängig vom Elternhaus, also vom Einkommen
der Eltern und von der Herkunft der Kinder, funktionieren.
({10})
Für viele Kinder ist das die einzige Möglichkeit, später
erwerbstätig zu sein, den Armutskreislauf zu durchbrechen und teilzuhaben an dieser Gesellschaft. Das ist eine
hohe Verantwortung. Hätten Sie es 2006 nicht verbockt,
hätten Sie mit Ihrer Grundgesetzänderung damals Kooperationen zwischen Bund und Ländern nicht verhindert, wären wir schon viel weiter. Ihnen haben wir die
verpassten Chancen der vergangenen Jahre zu verdanken, und zwar Ihnen alleine.
({11})
Fast alle Reden von Vertretern der Koalition begannen
in dieser Woche damit, wie toll es ist, dass die Mittel für
den Etat des Bildungsministeriums gesteigert wurden.
({12})
Ja, das finde ich wichtig. Das ist richtig. Aber es geht
nicht nur darum, mehr Geld auszugeben und mehr Leute
zu bedienen, sondern auch darum, wie das Geld, das ausgegeben wird, wirkt.
({13})
In diesem Zusammenhang ist es interessant, Bundesrechnungshofberichte zu lesen. Der Bundesrechnungshof
sagt, dass er große Zweifel daran hat, dass die Ausgabe der vielen Fördermillionen vom Ministerium ausreichend überwacht und kontrolliert wird, dass messbare
Ziele formuliert werden. Auch bei den Großprojekten,
bei denen viel Geld draufgeht - die Stilllegung atomarer Forschungsanlagen, der Teilchenbeschleuniger FAIR
in Darmstadt -, gibt es große Versäumnisse, und die
bleiben. Das sind die Hausaufgaben, die Sie erledigen
müssen. Noch schlimmer kommt es, wenn man sich die
Situation beim Kernfusionsreaktor ITER anschaut. Da
fließen Milliarden hinein. Jetzt sagen Sie: Wir vom Bildungs- und Forschungsministerium sind dafür gar nicht
direkt verantwortlich.
({14})
Aber das Ministerium ist maßgeblich dafür verantwortlich, welche Position die Bundesregierung diesbeEkin Deligöz
züglich einnimmt. Sie wollen das Projekt politisch unterstützen. Ob ITER jemals Energie erzeugt, steht aber
in den Sternen. Es gibt inzwischen sogar den Witz von
der Fusionskonstante; ich weiß nicht, ob Sie den kennen.
({15})
Egal welchen Experten Sie fragen, ab wann mit ITER
Strom produziert wird, kommt immer die Antwort: In 40
bis 50 Jahren. - Bis dahin kostet das Geld.
({16})
Es werden jetzt 5 Milliarden Euro zusätzlich vom europäischen Steuerzahler dafür erbracht werden müssen,
dass es womöglich auch in 40 Jahren noch heißt: In
40 Jahren. - Hier müssen Sie dringend umsteuern.
({17})
Wenn Sie die Debatte zum Wirtschafts- und Energieetat
vorhin gehört hätten, wüssten Sie, dass wir dieses Geld
eigentlich viel dringender in die erneuerbaren Energien und in innovative Technologien investieren müssten,
auch hier in Deutschland, damit wir da mithalten können.
Diese Chance für unser Land haben Sie verpasst.
({18})
Inhaltlich haben wir einen Dissens, und wir teilen auch
Ihre Prioritätensetzung nicht. Ich frage mich manchmal,
von wem das Haus und die Ministerin sich eigentlich beraten lassen.
({19})
Interessanterweise frage das nicht nur ich, sondern das
fragt inzwischen auch der Bundesrechnungshof. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, warum nennt das Bildungsministerium die Namen seiner externen Beratungsunternehmen eigentlich nicht? Wir wollen wissen: Wer sind
die Einflüsterer?
({20})
Was für Eigeninteresse haben diese Unternehmen, von
denen Sie sich beraten lassen? Wer sind diese Berater?
({21})
Ich frage Sie: Was verschweigen Sie?
({22})
Warum fällt es Ihnen so schwer, zu klären und uns mitzuteilen, wie viele Beratungsverträge Sie wirklich an wen
vergeben haben?
({23})
Der Bundesrechnungshof schreibt in seinem Bericht,
dass diese Strukturen im Beraterwesen potenziell geeignet sind, die Integrität der Bundesverwaltung zu beeinträchtigen. Sie schulden der Öffentlichkeit, den Abgeordneten, den Menschen hier eine Antwort. Transparenz
dient der Herstellung von Akzeptanz.
({24})
Aber so, wie Sie vorgehen, unterstützen Sie dieses Anliegen mit der Politik Ihres Hauses nicht. Das ist ein Haushalt der verpassten Chancen. Deshalb werden wir nicht
zustimmen.
({25})
Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz für die
SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat in den letzten Jahren im Rahmen der Haushaltsberatungen immer wieder einiges am Regierungsentwurf
geändert. Wir haben, wie man so schön sagt, einen guten
Entwurf noch verbessert. Doch in diesem Jahr haben wir
uns selbst übertroffen.
({0})
Es ist wirklich außergewöhnlich und - das kann man so
sagen - krass, was wir geschafft haben.
Schon der Regierungsentwurf sah eine Erhöhung der
Mittel für Bildung und Forschung um über 1 Milliarde
Euro vor.
({1})
Wir haben noch fast 100 Millionen Euro für das nächste
Jahr obendrauf gepackt.
({2})
Zusammengerechnet mit den zusätzlichen Mitteln für die
Folgejahre ist das ein Vielfaches. Diese Koalition setzt
einen klaren Schwerpunkt bei Bildung und Forschung
und damit bei den wichtigsten Zukunftsinvestitionen
überhaupt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Es ist gesagt worden: Dies ist der letzte reguläre Haushaltsplan in dieser Legislaturperiode; darum kann man
schon einmal Bilanz ziehen. Die Entwicklung des Haushalts in den letzten Jahren ist beeindruckend und geht
deutlich - wirklich deutlich - über das hinaus, was die
Vorgängerregierung von CDU/CSU und FDP ursprünglich geplant hatte.
({4})
2013 sah die Finanzplanung von Schwarz-Gelb für das
Jahr 2017 Ausgaben für Bildung und Forschung in Höhe
von 13,5 Milliarden Euro vor. Ich wiederhole: 13,5 Milliarden Euro.
({5})
Jetzt sind es 17,6 Milliarden Euro.
({6})
Das sind über 4 Milliarden Euro mehr.
({7})
Ich will nun nicht behaupten, dass das alles auf die SPD
zurückgeht,
({8})
aber das meiste schon, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({9})
Einige Bereiche will ich ansprechen. Deutschlands
Wirtschaft ist stark. Das ist sie im internationalen Wettbewerb nur mit Forschung und Entwicklung. Der Staat
leistet dabei mit den Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen unverzichtbare Beiträge. Wir haben
mit der Exzellenzinitiative, mit der Initiative für Nachwuchswissenschaftler, mit dem Pakt für Forschung und
Innovation, mit der Hightech-Strategie usw. usf. Jahr
für Jahr die Finanzierung verbessert, in diesem Haushalt
zum Beispiel durch die zusätzliche Erhöhung der Mittel
für die Fraunhofer-Gesellschaft, damit sie ihre anwendungsorientierte Forschung ausbauen kann.
({10})
Es spricht zwar kaum jemand darüber, aber es liegt auf
der Hand: Ohne die Forschung stünden wir bei weitem
nicht so gut da. Das ist das Verdienst der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und wir schaffen die Voraussetzungen dafür. Dass das so gut klappt, ist auch ein
großer Erfolg der Politik - unserer Politik, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
Uns geht es aber nicht ausschließlich um die Wirtschaft. Darum fördern wir die Wissenschaft in ihrer
ganzen Vielfalt und Breite. Es geht eben auch zum Beispiel um Gesundheit, um die Bekämpfung von Krankheiten und Seuchen. Insbesondere meine Kollegin Anette
Hübinger hat erneut darauf geachtet, dass da in den
nächsten Jahren so viel wie möglich gemacht wird.
Weiter geht es um gesellschaftliche Fragen bei den
Geistes- und Sozialwissenschaften, die wir auch in diesem Jahr noch einmal gestärkt haben, insbesondere mit
Blick auf die Migrations- und Friedensforschung - kleine
Fächer - und auf neue Zentren für Islamische Theologie.
Wir finanzieren auch ein neues Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt in Sachsen.
({11})
Das ist wirklich nötig und dort sicher auch gut angelegt
und gut angesiedelt, meine sehr verehrten Damen und
Herren. Bei der Forschungsförderung geht es auch um
Themen wie Klima und Umwelt, Energie, Zukunft der
Arbeit, soziale Innovation, Sicherheit usw. Es geht um
die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die
wir ohne Wissenschaft nicht bewältigen können.
Natürlich kümmern wir uns auch um die Bildung.
Auch in diesem Bereich sind wir deutlich über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und
SPD hinausgegangen. Von einer BAföG-Erhöhung stand
darin nämlich nichts. Wir haben das im Deutschen Bundestag trotzdem geschafft.
({12})
Gerade uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist Chancengleichheit wichtig. Dazu gehört eben,
dass alle - unabhängig vom Geldbeutel der Eltern - die
gleiche Bildung erhalten können. Wir fördern akademische Bildung mit Studierenden-BAföG, Hochschulpakt,
Begabtenförderung usw. Genauso wichtig ist uns aber
die berufliche Bildung. Darum haben wir in der Koalition das Meister-BAföG, die Begabtenförderung berufliche Bildung, die Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten und anderes mehr verbessert. Wir kümmern
uns aber auch - das betone ich ausdrücklich - um die, die
ganz grundlegende Angebote brauchen. Darum fördern
wir Alphabetisierung und Grundbildung. Wir haben die
Mittel für das Programm „Kultur macht stark“ verstetigt,
und wir machen Angebote für Geflüchtete.
Von der Grundbildung bis zum Nobelpreis, von der
Kita bis zur Universität, vom kleinen Unternehmen etwa
in Sachsen-Anhalt bis zur Sozialwissenschaft in der Subsahara: Hier wird großartige Arbeit geleistet. Ich danke
heute allen herzlich für ihr Engagement in diesem Feld.
({13})
Wir haben es in der Großen Koalition - bei allen unterschiedlichen Auffassungen - immer vermocht, zusamSwen Schulz ({14})
menzukommen und die Sache voranzubringen. Und doch
gibt es eben Unterschiede zwischen den Parteien, und die
zu benennen ist wichtig für unsere parlamentarische Demokratie. Deutlich wird das etwa bei dem Thema Schule.
Wir von der SPD wollen eine Grundgesetzänderung, die
es Bund und Ländern ermöglicht, gemeinsam die Schulen zu verbessern, sie zu sanieren, gute Ganztagsangebote zu schaffen und Schulsozialarbeit zu organisieren. Es
kann doch nicht sein, dass die Schulen herunterkommen,
wir aber zum tatenlosen Zuschauen verdonnert sind. Das
kann so nicht bleiben.
({15})
Ministerin Wanka hat immerhin einen Impuls für einen
Digitalpakt gegeben. Allerdings habe ich in den Haushaltsberatungen eine konkrete Initiative der Bundesregierung vermisst.
Trotzdem scheinen wir auf der Zielgeraden dieser
Wahlperiode immerhin für die Schulsanierung etwas
hinzubekommen. Dafür gibt es 3,5 Milliarden Euro vom
Bund. Das ist großartig. Allerdings gibt es noch ein paar
Unwägbarkeiten. Der größte Gegner dieser Politik - das
kann ich Ihnen, liebe Frau Deligöz, nun nicht ersparen ist der grüne Ministerpräsident Kretschmann aus Baden-Württemberg.
({16})
Der will ja auch, lieber Kai Gehring, Studiengebühren.
Ich kann nur sagen: Eine moderne Bildungspolitik geht
anders als bei Grün-Schwarz.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt für
Bildung und Forschung ist wirklich gut, und dennoch
braucht es in der nächsten Dekade sehr viel mehr. Ich
spreche über eine Größenordnung von mindestens
10 Milliarden Euro jährlich, die wir für eine bessere
Bildung aufwenden müssten. Bessere Kitas, Schulen,
Berufsschulen und Hochschulen benötigen eben qualifiziertes Personal und eine entsprechende Ausstattung. Es
gibt sehr viele Studien darüber, was verbessert werden
müsste. Das alles ist erörtert worden.
Lassen Sie mich das einmal ein bisschen persönlich
ausdrücken: Ich habe Kinder. Die bekommen gute Förderung. Sie haben beste Chancen. Denn wir, ihre Eltern,
haben Geld, Bildung und Interessen - alle Möglichkeiten. Meine kleine Tochter - sie ist drei Jahre alt - hat zu
Hause fast schon eine ganze Bibliothek mit Büchern, aus
denen sie morgens, nachmittags und abends vorgelesen
bekommt. Das ist nicht in allen Familien so. Und für meine große Tochter sind Klassenreisen, Sprachaufenthalte,
Sportaktivitäten oder Anschaffung von technischen Geräten kein Problem. Den meisten Familien sind hier jedoch ganz andere Grenzen gesetzt.
Hier entstehen Belastungen, Ungerechtigkeiten und
Benachteiligungen. Dies wollen wir durch eine entsprechende Unterstützung und Angebote für alle Kinder, Jugendlichen und Familien so gut es geht verhindern.
({18})
Dafür brauchen wir einen ganz neuen Angang, eine neue
Bildungsoffensive für Deutschland, die nicht an Geld
und auch nicht an einem Zuständigkeitsgerangel im Föderalismus scheitert.
({19})
Zum guten Schluss bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bei den
Mitarbeitern des Bundestages und bei meinen Kolleginnen und Kollegen für ihre jeweiligen Beiträge zum Gelingen des Haushaltsplans 2017.
Danke schön.
({20})
Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir befinden uns inmitten großer Veränderungsprozesse: Globalisierung, Digitalisierung, großes
Bevölkerungswachstum, Flüchtlingsbewegungen, Klimawandel. - Dies sind einige der Stichworte, die für Unsicherheiten in unserer Bevölkerung sorgen.
Brauchen wir in diesem Zusammenhang Wissen? Ist
es vielleicht ein menschliches Grundbedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen?
Gestern hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den großen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zitiert, der damals formulierte:
Wir sind umso freier, je mehr wir der Vernunft gemäß handeln, und umso mehr geknechtet, je mehr
wir uns von der Leidenschaft regieren lassen.
({0})
Vielleicht hat dieses Zitat eine größere Aktualität, als
man auf den ersten Blick erkennt;
({1})
denn gerade in diesen Monaten erleben wir auch in unserem Lande eine stark emotionalisierte und selektive
Wahrnehmung. Erleben wir hier den Übergang von der
lange gepriesenen Wissensgesellschaft zur emotionalisierten Gesellschaft, die vornehmlich selektiv Fakten zur
Kenntnis nimmt? Es gibt zwar das „Recht auf eine eigene
Meinung“, aber eben nicht das „Recht auf eigene TatsaSwen Schulz ({2})
chen“, wie es vor einiger Zeit in einem klugen Kommentar formuliert wurde.
({3})
Nicht der emotionale Reflex, sondern die Wahrnehmung der Realität, der Dinge, wie sie sind, und die faktenbasierte Analyse sind geeignete Basis, um Veränderungen nicht einfach hinzunehmen, sondern zu gestalten.
Offenheit für Sichtweisen, Erfahrungen und Erkenntnisse, die sachorientiert in unserer Gesellschaft diskutiert
werden: Das zeichnet eine Wissenschaftsgesellschaft und
eine Wissensgesellschaft aus. Ob diese Offenheit unser
Land auch künftig prägen wird, haben wir alle gemeinsam in der Hand.
Die Wissenschaft liefert Antworten und Innovationen, damit wir die beschriebenen Veränderungsprozesse
faktenbasiert und mit Vernunft gestalten können. Wissenschaft zum Wohle von Menschen und um Fortschritt
zu ermöglichen, ist für unser Land hochrelevant; denn
in Deutschland lebt zwar nur rund 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber wenn es um die global wettbewerbsfähigsten Staaten geht, liegen wir in der Spitzengruppe,
nämlich auf Platz vier.
Die Fähigkeit, Wohlstand zu generieren, hängt immer
stärker von Innovationen ab. Im globalen Wettbewerb
wird in absehbarer Zeit nicht mehr zwischen Industriestaaten auf der einen Seite und weniger entwickelten
Ländern auf der anderen Seite unterschieden, sondern
stattdessen zwischen den innovationsreichen und den innovationsärmeren Ländern.
Wettbewerbsfähigkeit lässt sich auch an Investitionen
in Forschung und Entwicklung und das Bildungswesen
ermessen. Hier stehen wir gut da. Bildung und Forschung
sind Prioritäten dieser Bundesregierung.
({4})
Seit 2005, seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, ist der Etat für Bildung und Forschung mehr als
verdoppelt worden. Auch im nächsten Jahr wird er um
sage und schreibe 1,2 Milliarden Euro steigen. Deswegen
fand ich die Bewertung dieses Haushalts durch die grüne
Fraktion, ehrlich gesagt, ein Stück vermessen.
({5})
Die Forschungsförderung des BMBF steht auch für
Verlässlichkeit. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation steigen die Mittel für die beteiligten Wissenschaftsorganisationen Jahr für Jahr um 3 Prozent. Wir übernehmen als Bund den Aufwuchs der finanziellen Mittel
allein, um die Länder zu entlasten.
Die Hightech-Strategie haben wir zu einer ressortübergreifenden Innovationsstrategie ausgearbeitet. Allein aus dem Forschungsetat stehen dafür 2,7 Milliarden
Euro bereit. Im Rahmen dieser Strategie werden technologische Innovationsfreude und Themen von besonderer
gesellschaftlicher Bedeutung gebündelt. Beispielhaft
nenne ich nur die Kopernikus-Projekte für die Energiewende, das Förderkonzept Medizininformatik oder das
neue Rahmenprogramm zur Mikroelektronik für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Wir wollen die Hochschulen in ihrer wichtigen Rolle als Treiber technologischer und sozialer Innovationen
stärken. Wir nutzen die neuen Kooperationsmöglichkeiten des Artikels 91b Grundgesetz gemeinsam mit den
Ländern. Auf Initiative von Forschungsministerin Frau
Professor Wanka haben wir gemeinsam mit den Ländern
eine neue Exzellenzstrategie vorgelegt. Auf Initiative
von Frau Professor Wanka legen wir die Förderinitiative „Innovative Hochschule“ vor und das Programm zur
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mit
diesem Tenure-Track-Programm eröffnen wir endlich
verlässliche Karrierechancen und steigern damit auch die
Attraktivität des Standorts Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Neben Spitzenforschung und Spitzenuniversitäten haben wir natürlich auch die kleineren Hochschulen und
Fachhochschulen im Blick; denn wir wollen flächendeckend für gute Bildungs- und auch Karrierechancen
sorgen. All das dient dazu, die internationale Spitzenstellung des deutschen Wissenschaftssystems weiter auszubauen. Ja, Deutschland gehört zu den leistungsstärksten
und innovativsten Ländern dieser Welt. Aber damit das
so bleibt, gilt es, weiter am Forschungsfortschritt zu arbeiten, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf die Chancen, die sich aus der weltweiten Digitalisierung ergeben.
Schließlich beeinflusst der digitale Wandel sämtliche
unserer Lebensbereiche: wie wir arbeiten, wie wir Freizeit genießen, wie wir forschen, wie wir reisen, wie wir
Gesundheit organisieren, wie wir uns miteinander austauschen.
Beim IT-Gipfel in Saarbrücken hat Bildungsministerin Frau Professor Wanka den Startschuss für eine Smart
School gegeben. Diese setzt verstärkt auf digitale Technologien im Schulalltag und kann Beispiel für andere
sein. Das Programmieren wird Schülern künftig eine
ganz neue Welt eröffnen.
Nun ist Schulbildung Ländersache, aber mit dem Digitalpakt bieten wir als Bundesregierung den Ländern an,
sie bei der digitalen Ausstattung der Schulen zu unterstützen.
({7})
Im Mittelpunkt des digitalen Wandels muss weiterhin
der Mensch stehen: der Lernende und der Lehrende. Sie
stehen im Mittelpunkt des staatlichen Bildungsauftrags.
Das bedeutet, dass das Primat der Pädagogik vor der digitalen Technik gilt. Ausstattung ist nach unserem Verständnis im Bildungs- und Forschungsministerium zwar
wichtig, aber kein Selbstzweck. Ohne passende Inhalte
und Konzepte wird die digitale Technik nicht leisten können, was wir zu Recht erhoffen.
({8})
Souverän und selbstbestimmt mit digitalen Medien
umgehen zu können, gehört heute einfach dazu, meine
Damen und Herren, das ist eine Basiskompetenz wie
Schreiben, Lesen und Rechnen. Diese Basiskompetenz
entscheidet künftig auch über berufliche und gesellschaftliche Teilhabe.
Digitalisierung heißt eigentlich, einzugestehen, dass
wir alle hinzulernen müssen. Schulen und Bildungseinrichtungen werden sich darauf einstellen müssen. Sie
müssen jüngeren wie auch älteren Menschen den Schlüssel zur digitalen Welt in die Hand geben, damit sie dort
ihren Platz finden können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Bildungschancen für alle zu erschließen, und
zwar auch Integration durch Bildung zu ermöglichen und zwar heute -, ist sehr wichtig. Wenn die Integration der nach Deutschland Geflüchteten nicht ernst genug
genommen oder auf morgen verschoben wird, dann ist
das ein großes Problem für die betroffenen Menschen.
Im Übrigen wird das dann für unsere Gesellschaft teurer.
Wir müssen heute in die Integration durch Bildung
investieren und haben deshalb ein umfassendes Maßnahmenpaket aufgelegt, mit dem wir zweierlei unterstützen:
den Erwerb der deutschen Sprache und die Integration in
Ausbildung, in Studium und Beruf, indem wir auf den
vorhandenen Potenzialen und Kompetenzen der betroffenen Menschen aufbauen und sie fördern.
Über ein Jahrzehnt sind die Ausgaben für Bildung und
Forschung kontinuierlich gestiegen, ein Aufwuchs, wie
wir ihn in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie erlebt haben, meine Damen und Herren.
({9})
Deutschland steht auch dank dieser Prioritätensetzung
hervorragend da. Diese doch positive Erfahrung sollten
wir auch für die Zukunft nutzen. Wissenschaft darf eben
nicht abseitsstehen und nur beobachten, was in der Gesellschaft, gerade auch in diesen Wochen, passiert. Nein,
nach meinem Verständnis muss Wissenschaft ein aktiver
Teil dieses diskursiven Prozesses in der Gesellschaft sein.
Statt Vorgaben oder geistigen Fesseln von Autokraten
in anderen Staaten wollen wir hier in der Bundesrepublik
Deutschland auch künftig Freiheit der Forschung ermöglichen. Statt Abschottung wollen wir auch die Sichtweise
und die Neugier anderer in unserem Land willkommen
heißen.
({10})
Hier gilt die Feststellung von
„Gelebte Vielfalt ist die logische Konsequenz
von Freiheit.“ - Recht hat sie.
Faktenbasierter Diskurs und Respekt vor Erfahrungen
und Kenntnissen anderer: Das formt eine demokratische
und eine offene Gesellschaft. Für diese lohnt es sich einzustehen.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Reicht das, was dieser Haushalt für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung beinhaltet, wirklich aus? Ich denke, nein.
({0})
Müssen wir uns nicht fragen, welche Folgen zu wenig oder falsch eingesetztes Geld bei Bildung und Forschung für unsere Gesellschaft haben? Welche Folgen
hat es, wenn sich viele Bürgerinnen und Bürger im demokratischen System ausgegrenzt fühlen? Wieso haben
sie Angst und fürchten die Zukunft? Wieso wählten viele
Menschen in den USA aus Verzweiflung oder Überzeugung Donald Trump und in Deutschland AfD?
({1})
Trump gewann in Regionen mit Abwanderung und
Resignation, mit maroden Schulen und Hochschulen. Er
gewann bei Menschen, die Hilfe brauchen, aber sie nicht
erhalten.
({2})
Da wächst auch bei uns die Zahl der Rechtspopulisten
am stärksten.
({3})
Woher kommt die Bereitschaft, Fakten zu verdrängen
und menschenverachtenden Heilsverkündigungen zu folgen?
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn nicht jetzt,
wann dann müssen wir selbstkritisch hinterfragen: Haben wir Fehler gemacht? Was müssen wir tun, um glaubwürdige Antworten und Veränderungen anzubieten?
({5})
Vermitteln wir zu viel reines Faktenwissen statt Anregungen zum Denken? Sprechen wir die Sprache der
Menschen? Werden wir verstanden, und verstehen wir?
Dabei spielt das Internet eine wachsende Rolle. Wie
gehen wir mit den Gruppendynamiken des Internet um?
Im Internet bleiben Gruppen unter sich. Dank der Algorithmen von Google und Facebook finden sie im Netz
ständige Selbstbestätigung. Immer mehr Menschen klicken weg, was nicht ins eigene Weltbild passt - auch
manche Abgeordnete -, oder verunglimpfen anonym im
Netz.
Einer der fatalen Fehler ist die Fixierung auf Leuchttürme und das Abschreiben des Restes des Landes.
({6})
Die derzeitige Verteilung von Exzellenz- und Forschungsmitteln verschärft die Spannung zwischen den
Leuchttürmen und dem Rest. Die Fortschreibung der
Exzellenzinitiative dient längst nicht mehr der Förderung
neuer Exzellenz, sondern wird zum Dauerzuschuss für
die derzeitigen Nutznießer. Diese planen jetzt langfristiger, aber die anderen Hochschulen haben Pech gehabt.
In Zahlen bedeutet dies: Baden-Württemberg erhält
pro Jahr und Einwohner 8,16 Euro Exzellenzmittel,
Sachsen-Anhalt dagegen 0,0. Und meine Heimat Thüringen kann je Einwohner und Jahr ganze 69 Cent Exzellenzmittel nutzen.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schipanski?
Ja.
({0})
Nein, Herr Kollege, ich komme nicht mit Thüringen. - Aber wenn Sie von Leuchttürmen sprechen und
sagen, dass Sachsen-Anhalt nichts bekommt, frage ich
mich, ob Sie die Zahlen kennen und wissen, dass wir ein
Programm „Unternehmen Region“ haben, dessen Mittel
in Höhe von 161 Millionen Euro in diesem Haushaltsjahr
nur in die neuen Länder fließen,
({0})
und dass wir Hochschulen haben, die primär vom sogenannten ZIM-Programm profitieren, das in diesem Jahr
mit 558 Millionen Euro gefördert wird. Das Gleiche gilt
für das Programm „INNO-KOM“, für das 71 Millionen
Euro vorgesehen sind.
({1})
- Hören Sie ruhig zu! Das bildet auch die Grünen.
Des Weiteren bekommt Jena, Ihr Wahlkreis, ein neues DLR-Institut mit der ersehnten 90-Prozent-Förderung
und 7 Millionen Euro im ersten Jahr.
Wieso verschweigt man das? Ist das kein Geld, das in
die neuen Länder fließt, wo vielleicht nicht so viel Exzellenz ausgelebt wird?
({2})
Sehr geehrter Herr Kollege Schipanski, das ZIM-Programm steht allen Bundesländern offen und wird in allen
Bundesländern reichlich und gut genutzt.
({0})
Es ist ein hervorragendes Programm. Zu Ihrer Information: Wir reden gerade über die Exzellenzinitiative des
Forschungsministeriums. Das ZIM-Programm ist aber
ein - sehr gutes - Programm des Wirtschaftsministeriums.
Zum nächsten Punkt: Selbst wenn jetzt in Jena das
DLR-Zentrum eingerichtet wird, dann steigt der Thüringer Anteil an den Exzellenzmitteln von 69 Cent auf
72 Cent pro Jahr und Einwohner. Das ist schon etwas,
aber es ist bei weitem noch kein Ausgleich der Nachteile.
Wenn Sie meiner Rede weiter folgen, dann werden
Sie merken, dass mit diesen derzeitigen Maßnahmen die
Ungleichgewichte in der Bundesrepublik verschärft werden statt verringert. Und - das ist das Problem - diese
Ungleichgewichte sorgen dafür, dass sich Regionen abgehängt fühlen und dass dort eben nicht mehr mit Argumenten gearbeitet werden kann, sondern dass das Gefühl
der Benachteiligung gegenüber allem anderen überhandnimmt.
({1})
Die Strukturierung von Forschungsgeldern für Max
Planck, Fraunhofer, Leibniz und Helmholtz ist ähnlich.
Das starke Baden-Württemberg musste 2014 nur 30 Cent
Eigenmittel einsetzen, um 1 Euro Bundesforschungsgeld zu erhalten. Das wirtschaftlich schwächere Rheinland-Pfalz braucht 91 Cent Eigenmittel für 1 Euro Bundesgeld. Thüringen benötigt 79 Cent. Diese Nachteile
müssen abgeschwächt werden, statt sie zu verschärfen.
({2})
Die Linke fordert: weniger Exzellenzförderung und
stattdessen mehr Grundfinanzierung für die Hochschulen.
({3})
So macht es das rot-rot-grün regierte Thüringen vor. Es
steigert jetzt die Grundfinanzierung seiner Hochschulen
um jährlich 4 Prozent: ein Vorbild für die Bundesrepublik.
({4})
Wir fordern zusätzliche Forschungsmittel für die Forschung in benachteiligten Regionen. Außerhalb der Ballungszentren unserer Republik ist Landwirtschaft oft die
einzige Einnahmequelle. Das zeigt ein ausführliches Beispiel aus diesem Bereich.
Alle Leibniz-Landwirtschaftsforschungseinrichtungen sind außerhalb der großen Zentren: In Dummerstorf/
Mecklenburg ist das Institut für Nutztierbiologie, in Potsdam-Bornim das Institut für Agrartechnik und Bioökonomie, in Müncheberg/Brandenburg das Zentrum für
Agrarlandschaftsforschung, und das Institut für Gemüseund Zierpflanzenbau, IGZ, ist in Großbeeren/Brandenburg und Erfurt/Thüringen. 1998 wurden alle in Leibniz
integriert. Leider ist die Agrarforschung nicht nobelpreisverdächtig, und das ist ein Problem. All diese Institute
stehen wegen nicht ausreichender wissenschaftlicher Bedeutung für die Leibniz-Gemeinschaft auf der Kippe.
({5})
Das IGZ in Erfurt wird bereits abgewickelt. Die Bauernhöfe, der Gartenbau und die Agrarunternehmen brauchen
wissenschaftliche Unterstützung bei der Anpassung an
den Klimawandel, für neue Anbaumethoden ohne Gentechnik und mit weniger Chemie sowie für eine artgerechte Tierhaltung.
({6})
Die genannten Institute leisten genau dies hervorragend.
Aber gerade deshalb erfüllen sie nicht die Evaluierungsauflagen der Leibniz-Gemeinschaft.
({7})
Bevor Deutschland die Agrarforschung verliert, sollten
wir den Vorschlag meiner Kollegin Tackmann umsetzen:
Befreien wir die Leibniz-Gemeinschaft von der Agrarforschung! Überführen wir die genannten Institute inklusive deren Budgets in eine neu zu gründende Akademie
für Landwirtschaft!
({8})
Thüringen wird die Bundesregierung bei der Überführung des IGZ unterstützen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wenn
Sie den Klimaplan und die Energiepolitik der Bundesregierung mittragen, dann wird spätestens 2050 eine Erdgasnutzung unmöglich und Fracking überflüssig.
Herr Kollege Lenkert, gestatten Sie zum Schluss Ihrer
Redezeit eine Zwischenfrage des Kollegen Lengsfeld?
Nein. Es reicht.
({0})
Abgesehen von den Gefahren der Frack-Chemikalien
für Grundwasser und anderen Risiken ergibt es keinen
Sinn, 4,75 Millionen Euro für eine Geschäftsstelle zur
Fracking-Bewertung und Bürgerkommunikation auszugeben. Streichen wir diesen Posten und nutzen das Geld
für die Gründung einer Akademie für Landwirtschaft.
Bildung ist mehr als Wissen. Sorgen wir dafür, dass
nicht das reine Eintrichtern, sondern Bildung mehr Raum
gewinnt.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Lengsfeld hat die Gelegenheit zu einer
Kurzintervention.
({0})
Überhaupt nicht. - Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Lenkert, es ist sogar besser, dass ich meine Bemerkung am Ende Ihrer Rede machen kann. Ich
verstehe zwar, dass Negativismus zur DNA der Linkspartei gehört. Aber ich hätte mir schon gewünscht, dass
der Abgeordnete Ralph Lenkert als Mitberichterstatter
für den Bereich Technikfolgenabschätzung wenigstens
erwähnt hätte, dass wir nach 25 Jahren und intensiven
Diskussionen - das war keine leichte Übung - beim Etat
des Büros für Technikfolgen-Abschätzung eine deutliche
Anpassung vorgenommen haben, und zwar im Konsens
und über alle Fraktionsgrenzen hinweg.
({0})
Obwohl es formal nicht zu diesem Etat gehört, ist es doch
unser Bereich. Ich hätte mich gefreut, wenn es erwähnt
worden wäre. Aber vielleicht ist das zu positiv für die
Linkspartei.
({1})
Herr Kollege Lenkert, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern.
Vielen Dank, Herr Kollege Lengsfeld, für Ihre Kurzintervention, die mir Gelegenheit gibt, Ihnen an dieser
Stelle zuzustimmen. Meine Redezeit war leider zu Ende
bzw. zu knapp bemessen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Haushältern danken für die Aufstockung des Etats des Büros für
Technikfolgen-Abschätzung, das sich unter anderem mit
dem Thema befasst, wie über künstliche Computerprogramme im Internet, über Social Bots, Meinungen beeinflusst werden können und wie wir damit umgehen sollen.
Es gab eine sehr gute Zusammenarbeit der Kolleginnen
und Kollegen. Dafür möchte ich den Kolleginnen und
Kollegen sowie insbesondere den Haushältern danken.
Ich danke auch Ihnen, Herr Lengsfeld, für Ihre Kurzintervention, die mir Gelegenheit gegeben hat, diesen Dank
auszusprechen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ernst Dieter
Rossmann für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
macht den Reiz von Haushaltsberatungen aus, dass sie
zwischen dem ganz Konkreten und dem sehr Grundsätzlichen hin- und herwechseln können. Ich gehe nun
mehr auf das Grundsätzliche ein. Ich möchte an das anknüpfen, was die Regierung und die Koalition bei ihrer
Gewichtung zugunsten von Bildung und Forschung in
den letzten vier Jahren getragen hat, und vier Grundsätze
nennen.
Der erste Grundsatz ist: Wir sind deshalb so stark in
Bildung und Forschung, weil wir es nicht nur im Bildungs- und Forschungshaushalt sind. Vielmehr handelt
es sich hier um eine Aufgabe der gesamten Regierung.
Um aufzunehmen, was Kollege Schipanski gesagt hat:
Das Wirtschaftsministerium hat über das DLR sechs zusätzliche Forschungsinstitute angestoßen, zwei im Osten,
drei im Norden, eines im Süden. Das hat zudem eine ausgleichende Funktion.
Weil wir Frau Kramme dort sehen: Frau Nahles ist aktiv in der Weiterbildung, was sehr wichtig ist, ebenso wie
in der Flüchtlingsintegration und in nachgeholter Bildung
für bis dahin nicht mit der zweiten, dritten Chance positiv
Identifizierte. Frau Ferner, Sie haben bei Flüchtlingen in
Sachen C1 dafür gesorgt, dass sie den Hochschulzugang
bekommen. Sie machen sehr viel in Bezug auf Bildung
und Sprachförderung für Kinder, die in der Kindertagesstätte sind. Diese Ganzheitlichkeit macht diese Regierung und die Bildungs- und Forschungspolitik so stark,
weil sie in alle Ressorts hineinspielt und alle Ressorts sie
aufnehmen,
({0})
und unser Haushalt trägt das dann mit 3,7 Milliarden
Euro obendrauf als Haushalt des Leit-Ministeriums nach
vorn.
Das Zweite. Es muss nachhaltig, verlässlich und dynamisch sein. Deshalb zur Größe des Pakts für Forschung
und Innovation - 3 Prozent Zuwachs, 5 Prozent Zuwachs, 3 Prozent Zuwachs -: Wenn wir ihn durchfinanziert haben, dann geben wir 5,8 Milliarden Euro in eine
verlässliche Gestaltung - zwar nicht durch das Ministerium. Jedenfalls schaffen wir dort auch eine Dynamik.
Da gebe ich Frau Hübinger und Herrn Schulz recht: Das
muss weitergeführt werden. Da können wir nicht auf 1
oder 2 Prozent zurückgehen, da müssen wir mindestens
weiter bei 3 Prozent für die Zukunft liegen. Wenn wir den
Hochschulpakt ins Auge fassen: Da geben wir 20 Milliarden Euro seitens des Bundes, 2,4 Milliarden Euro im
Jahr. Und wenn der Hochschulpakt ausläuft, müssen wir
alle wissen: Jedenfalls die SPD will es konstant fortgesetzt haben. Es darf nicht in den Sollüberschuss oder
anderswo hineinfließen, sondern es muss an den Hochschulen bleiben können - zur Stabilisierung, zur verlässlichen, dynamischen Stärkung des Hochschulwesens in
Deutschland.
({1})
Mein dritter Punkt. Da muss man auch mit anderen
zusammenarbeiten können, und man muss auch gönnen
können. Herr Rachel, deshalb freuen wir uns über den
Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs. Da darf sich an
erster Stelle das Parlament freuen, weil es dazu die Initiative ergriffen hat. Dass die Ministerin es gut umgesetzt
hat, freut uns auch.
({2})
Dieser Geist, auch gönnen zu können und kooperativ miteinander umzugehen, ist wichtig in Bezug auf die
Bund-Länder-Gestaltung; denn das macht auch die Stärkung der Bildungs- und Forschungspolitik mit aus. Haushälter haben ausgerechnet - Frau Hübinger, ich glaube,
bei Ihnen habe ich die Zahl gehört -: 43 Milliarden Euro
sind in dieser Legislaturperiode als Entlastung an die
Länder und Kommunen geflossen. Mit dem, was jetzt die
Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin vereinbart haben,
sollen noch einmal 10 Milliarden Euro an die Länder
fließen. Das ist doch auch gut für Bildung und für Forschung; denn wenn wir uns ehrlich machen, dann wissen
wir, wo die entscheidenden Finanzierungen für Bildung
und Forschung in der Breite stattfinden. Um es nur noch
einmal bei Bildung in Erinnerung zu rufen: 53 Prozent
der Aufwendungen übernehmen die Länder, 19 Prozent
Private und Wirtschaft, 15 Prozent Kommunen, 13 Prozent Bund.
All das, was wir an die Länder und Kommunen geben,
wird von denen ja auch anteilig in mehr Lehrerstellen, in
mehr Strukturförderung, auch in die Bildungseinrichtungen hinein, umgesetzt. Deshalb ist es gut - da greife ich
den vierten Punkt auf -, dass jetzt die Bundesregierung
in Sachen Gestaltung etwas sehr Konkretes aufgegriffen
hat. Wir müssen bei der Bildungs- und Forschungspolitik
auch immer die Bundesgestaltung hochhalten, weil sie zu
zielgerichteter Politik führt.
Aber nun hat mich eines gewundert: Gestern haben
wir hier eine Debatte erlebt - die Grünen wissen, was
kommen könnte -, zu der unser Fraktionsvorsitzender alles Wesentliche gesagt hat, was Herr Kauder dann noch
einmal getoppt hat, indem er gesagt hat, es wundere ihn
doch, dass die Grünen nicht ihren einzigen Ministerpräsidenten mit verteidigen würden. Mich wundert bei der
heutigen Debatte, dass die Vertreter von CDU/CSU - sei
es aus Regierung oder Parlament - nicht mit einem Wort
das verteidigen, was diese Bundesregierung mit 3,5 Milliarden Euro gezielter Förderung für Bildung und Schulinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen machen
will. Herr Kauder, Sie dürfen sich auch selbst verteidigen
für das, was Sie jetzt gut mit auf den Weg bringen wollen:
({3})
3,5 Milliarden Euro als Investitionsförderung für finanzschwache Kommunen, damit dort Schulinfrastruktur verbessert werden kann. Wenn Sie es nicht verteidigen - uns
macht es nichts aus; denn es wird auf jeden Fall kommen.
({4})
Es wird kommen. Es wird den Gesichtspunkt sozialer
Gerechtigkeit in die Bildungsförderung hineinbringen.
In diesem Sinne ganz selbstbewusst: Die SPD hat
diese vier Jahre Haushaltspolitik mitgestalten können.
Wir werden ganz sicher auch weiter Haushaltspolitik für
Bildung und Forschung in Deutschland mitgestalten können, und wir verteidigen auch alles Gute, was wir dort
machen.
Danke schön.
({5})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Kai Gehring.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Letzte Woche war ich in einer Grundschule in meiner
Heimat Essen anlässlich des bundesweiten Vorlesetags,
der alljährlich großartigen Aktion der Stiftung Lesen. Ein
Pferd namens Milchmann habe ich vorgelesen. Die Viertklässler waren begeistert und haben mich mit Fragen gelöchert: Was tun Sie für den Tierschutz? Was macht der
Bundestag für Flüchtlinge? Wie sieht Ihr Arbeitsalltag
aus? Bei den Kids waren mir gute und ehrliche Antworten ganz besonders wichtig.
Bei einer Frage war das besonders schwer, nämlich:
Was macht der Bundestag für Schulen? Der eine oder
andere hier im Haus hätte wohl mit ordnungspolitischen
Grundsätzen oder föderaler Prinzipienreiterei geantwortet. In leichter Sprache: Is’ nicht meine Aufgabe. - Aber
das ist aus meiner Sicht weder eine gute noch eine ehrliche Antwort.
({0})
34 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsstau an den
Schulen, schätzt der Deutsche Städte- und Gemeindebund - eine gewaltige Summe, zweimal so viel wie der
Bund 2017 für Bildung und Forschung insgesamt ausgeben will. Allein schon vor diesem Hintergrund verblassen die großen Aufwüchse der Bildungs- und Forschungsausgaben der letzten 15 Jahre.
({1})
Dieser krasse Sanierungsstau treibt mich um, und das
muss auch eine Bundesbildungsministerin Wanka endlich umtreiben, sonst soll sie sich nur noch Forschungsministerin nennen.
({2})
Die erwähnte Grundschule in Essen war auch dank
Schüler-, Eltern- und Lehrerengagements durchaus gut in
Schuss. Aber anderenorts wird in Räumen unterrichtet, in
die es hineinregnet, in denen der Schimmel blüht und wo
die Kinder sich ekeln, auf die Toilette zu gehen. So etwas
muss schnell geändert werden.
({3})
Wenn das Problem so flächendeckend und so milliardenschwer ist, dann bringt man Eltern und alle Steuerzahler mit Aussagen wie „Das ist nicht meine Aufgabe“
zu Recht in Rage. Mit einem Investitionsstau in dieser
Größe wird Deutschland kein Innovationsspitzenreiter.
({4})
Wir müssen mehr investieren in gute Bildungsinfrastruktur von der Kita bis zur Volkshochschule.
Wir haben konjunkturelles Glück: keine Massenarbeitslosigkeit und Steuerüberschüsse. Das ist eine gute
Ausgangslage, Deutschland zu modernisieren und die
krasse soziale Kluft auch durch mehr Bildungsgerechtigkeit endlich zu kitten.
({5})
Umso enttäuschender ist es, dass Union und SPD diese gute Ausgangslage wenig nutzen; sie versemmeln
vielmehr eine Chance nach der nächsten. Sie haben die
Chance verpasst, mit uns gemeinsam das unsägliche
Kooperationsverbot in der Bildung gänzlich abzuschaffen. Entscheidend ist doch, dass Kinder und Jugendliche
bundesweit von guter Bildung profitieren, unabhängig
von ihrer sozialen und regionalen Herkunft, ob mit deutschem Pass oder mit Fluchterfahrung.
({6})
Deswegen wollen wir, dass Bund, Länder und Kommunen für die Bildung unter Wahrung der Länderhoheit
gemeinsam Verantwortung übernehmen können, kooperativ statt konfrontativ. Bildung integriert und stimuliert;
daher dürfen Chancen nicht von der Postleitzahl abhängen.
({7})
Sie haben die Chance verpasst, für bessere Infrastrukturen in Bildung, Ausbildung und Hochschulen zu sorgen. Wir wollen gute Infrastrukturen für die Wissensgesellschaft und stärker in diese investieren. Wir haben im
Haushalt ein 10-Milliarden-Euro-Sanierungsprogramm
für die Schulen und ein Sanierungsprogramm in gleicher
Höhe für die Universitäten und Fachhochschulen vorgeschlagen. Das sollte gemacht werden, das brächte Fortschritt.
({8})
Sie haben die Chance verpasst, das BAföG nachhaltig
zu stärken. Ihre Reform hat jahrelanges Nichtstun und
Nullrunden lediglich leidlich kompensiert. Ein Plus für
Studierende und ein Plus für Bildungsgerechtigkeit, das
geht anders. Wir wollen dagegen das BAföG noch 2017
um 10 Prozent erhöhen und danach regelmäßig und automatisch. Das muss jetzt kommen.
({9})
Sie haben die Chance verpasst, die Forschung von kleinen und mittleren Unternehmen zu stimulieren. Die Investitionsaktivität der KMU fällt seit Jahren. Wir wollen
ihnen einen Steuerbonus gewähren. Das wollen auch Ihre
Wahlprogramme, Ihre Expertenkommission Forschung
und Entwicklung und auch unser aller Alterspräsident,
Herr Riesenhuber. Die steuerliche Forschungsförderung
endlich zu beschließen, wäre ein Push für F-und-E von
KMU und eine Weihnachtsfeier für uns Grüne und Herrn
Riesenhuber.
({10})
Es ist eine verpasste Chance, bei der Forschungsförderung alleine auf Hightech zu fokussieren anstatt auf die
großen globalen Herausforderungen. Demografie, Klimakrise, Energiewende sind im vollen Gange, und das
beschäftigt die Leute. Von Digitalisierung bis Dekarbonisierung: Wir brauchen mehr kreative Antworten aus der
Wissenschaft. Wir wollen die Chancen dieser Veränderung herausarbeiten und Deutschland ökologisch, nachhaltig und sozial modernisieren.
({11})
Im letzten Haushalt dieser Koalition gibt es nix extra für bessere Studienbedingungen oder sichere Karrierewege für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
sondern Ministerin Wanka hangelt sich von Pakt zu Pakt.
Das Problem der stagnierenden Grundfinanzierung der
Hochschulen lässt sie aber ungelöst. Auch das ist eine
verpasste Chance.
({12})
Zurück in meine Essener Grundschule. Ein Neunjähriger fragte mich: Wie ändert sich die Welt mit Präsident
Trump? - Ich kann nur mutmaßen, war meine Antwort,
und ich versuchte, ihn zu beruhigen: Im Bundestag sitzt
keine Fraktion, die sich von Vorurteilen leiten lässt und
Fakten komplett leugnet.
({13})
In der Tat, diesen Konsens haben wir weitestgehend. Wir
werden nicht zulassen, dass unter der Parole „Lügenwissenschaft“ Wissenschaftsfeindlichkeit und postfaktische
Diffamierung von Forscherinnen und Forschern um sich
greifen; denn das macht unser Land kaputt. Wissenschaftsfreiheit ist ein Wert und ein Kennzeichen einer
freien und demokratischen Gesellschaft hierzulande und
weltweit.
({14})
Wir stehen inmitten dieser fundamentalen Auseinandersetzung, und wir stehen vor der Herausforderung,
unser Land gemeinsam zusammenzuhalten. Wir müssen
der klaffenden sozialen Spaltung mit einem neuen Wohlstands- und Aufstiegsversprechen entgegenwirken. Der
dafür notwendige Bildungsaufbruch steht noch aus. Wir
wollen ihn 2017 einläuten, damit unser Land weniger
Abgehängte und mehr Dichter und Denker hervorbringt
und damit wir eine starke Demokratie und eine starke soziale Marktwirtschaft bleiben.
Vielen Dank.
({15})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Albert
Rupprecht.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! An dieser Stelle auch von unserer Seite
ein herzliches Dankeschön an das Haus für den Haushalt 2017, verbunden mit einem Dank an die Ministerin.
Auch von mir an sie die besten Genesungswünsche! Ich
bedanke mich auch bei den Berichterstattern aller Fraktionen. Ganz besonders bedanke ich mich am heutigen
Tag bei Anette Hübinger, unserer Haushaltsberichterstatterin. Sie hat angekündigt, nicht mehr für den Deutschen
Bundestag zu kandidieren. Das ist heute sicherlich ihre
letzte Haushaltsberatung. Liebe Anette, es war immer
superschön und angenehm, mit dir als Haushaltsberichterstatterin und als Fachpolitikerin zusammenzuarbeiten.
Ein herzliches Dankeschön an dich!
({0})
Es ist heute eine besondere Debatte, weil es die letzte
in dieser Legislatur ist. Es ist aus der Sicht der Unionsfraktion aber auch eine Debatte, in der wir - 2005 kamen
wir in die Regierung - auf elf Jahre zurückschauen und
in diesem zeitlichen Horizont darstellen können, welche
Prinzipien, welche dominanten Elemente und Bausteine
wir hatten. Das möchte ich in dieser Debatte über die
aktuelle Situation des Haushalts 2017 hinaus machen.
Darüber hinaus möchte ich in die Zukunft schauen. Wir
haben als Fachpolitiker der Unionsfraktion seit der Klausur im Frühjahr ein „Ideenpapier 2018“ vorgelegt, das
inzwischen 40 Seiten umfasst und sich tagtäglich weiterentwickelt. Darin legen wir als Fachpolitiker unsere Vorstellungen dar, wie wir diesen Bereich in den nächsten
Jahren gestalten wollen.
Zu den Schwerpunkten, zu den prägenden Merkmalen dieses Haushalts gehört natürlich, dass wir im Forschungs- und Bildungsbereich einen massiven finanziellen Aufwuchs haben - die Zahl wurde genannt -: Der
BMBF-Etat ist seit 2005 - ich beziehe mich auf den
langen zeitlichen Horizont, seit wir an der Regierung
sind - von 7,5 Milliarden Euro auf 17,6 Milliarden Euro
gestiegen. Das heißt, er hat sich mehr als verdoppelt: Die
Steigerung liegt bei 133 Prozent.
({1})
Ich finde, das ist ein herausragendes Ergebnis.
Bevor ich einen Vergleich mit anderen Ländern, aber
auch mit einzelnen Bundesländern ziehe, zunächst ein
Vergleich mit den USA, dem Maßstabsland, wenn es um
Innovationskraft geht: Die USA forschen in der Tat auf
sehr hohem Niveau, auch was die Finanzausstattung betrifft. Richtig ist aber auch - das erkennt man, wenn man
sich die Zahlen anschaut -, dass die Ausgaben im Bundeshaushalt der USA von 2005 bis 2016, also im besagten Zeitraum, um 13 Milliarden Euro gesunken und nicht
gestiegen sind; das heißt, sie sind um fast 10 Prozent
zurückgegangen. Also: Bei uns sind sie um 133 Prozent
gestiegen, in den USA sind sie um 10 Prozent gesunken.
Insofern ist es schon eine klare Ansage, wenn wir in
Gesprächen mit Wissenschaftlern in den USA erfahren,
dass sie dort zwar sehr gut forschen können und dass das
Niveau dort hoch ist, dass sie aber mit Neid und Bewunderung nach Deutschland schauen und sagen: Die Dynamik, die ihr habt, haben wir bei uns nicht. - Ich glaube,
das kann uns ermutigen.
({2})
Zum Vergleich mit den Bundesländern - nur für den
Bildungsbereich; Frau Gohlke, Sie sagen, wir tun nichts
für die Bildung -, die originär für die Bildung zuständig
sind: In den Jahren 2005 bis 2015 ist der Bundeshaushalt
um 112 Prozent gestiegen. Ihrer Meinung nach ist das
nichts. 112 Prozent Steigerung sind nichts? Diejenigen,
die originär dafür zuständig wären, die Bundesländer,
hatten im selben Zeitraum lediglich eine Steigerung um
36 Prozent.
({3})
Inzwischen sind Sie im postrealistischen Zeitalter angekommen.
({4})
Es gibt auch Unterschiede zwischen den Bundesländern. In meinem Heimatland Bayern ist die Welt noch ein
ganzes Stück in Ordnung.
({5})
Dort gab es eine überdurchschnittliche Steigerung um
54 Prozent, in Nordrhein-Westfalen hingegen eine unterdurchschnittliche Steigerung um lediglich 35 Prozent.
({6})
Wer behauptet, die Länder und Kommunen seien
klamm, der Bund hätte ja das Geld, der sollte die Realitäten und Fakten zur Kenntnis nehmen; das führt zu einer
realistischen Sicht. Ja, die Steuereinnahmen des Bundes
sind in diesem Zeitraum um 45 Prozent gestiegen; das
war ein erheblicher Zuwachs aufgrund der wirtschaftlich
starken Situation. Aber die Einnahmen der Länder sind
um 51 Prozent und die Einnahmen der Kommunen sogar
um 53 Prozent gestiegen. Deswegen ist es nicht primär
eine Frage der Steuereinnahmen der jeweiligen Länder,
sondern es ist eine Frage des politischen Willens und der
Prioritätensetzung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Die Zahlen beweisen auch, dass das ständige Geschrei
des linken Blocks hier im Haus,
({8})
der Bund müsse endlich etwas für Bildung machen und
deswegen müsse das angebliche Kooperationsverbot
endlich weggeräumt werden, nichts anderes als ideologischer Blödsinn ist, der mit der Realität überhaupt nichts
zu tun hat.
({9})
Die Fakten zeigen, dass es im Nachkriegsdeutschland
materiell nachweislich noch nie so viel Kooperation zwischen Bund und Ländern gab.
({10})
Die Zahlen, die der Bund für die Bereiche zur Verfügung
stellt, in denen er Länderaufgaben in Milliardenumfang
übernimmt - ({11})
- Ja, habe ich schon, und zwar gute bayerische Schulen.
({12})
Was wollen wir - das „Ideenpapier 2018“ werden wir
Ihnen in den nächsten Wochen gern zum Lesen und zur
Ideenanreicherung zur Verfügung stellen - in der nächsten Legislaturperiode machen? Wir werden Forschung
und Bildung auch künftig, so unsere Vorstellung, stärken.
Wir haben lange darüber diskutiert.
({13})
- Zuhören, es ist spannend.
Bis 2025 wollen wir die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 3,5 Prozent des BIP steigern. Das
würde in der Konsequenz für die nächste Legislatur einen zusätzlichen Betrag für Forschung - allein im Bundeshaushalt - von 8 bis 10 Milliarden Euro bedeuten.
({14})
Der zweite prägende Baustein in den letzten elf Jahren
war die massive Expansion in die Breite. Herr Lenkert,
wenn Sie hier das Szenario malen „Nur Spitze und keine
Breite“, dann ist das wider jegliche Realität. Dann kennen Sie schlicht die Fakten nicht. Die Zahlen belegen es:
Seit 2005 ist die Zahl der Studierenden in Deutschland
um 40 Prozent angestiegen, von 1,9 auf 2,7 Millionen.
Die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter an den
Hochschulen ist in dieser Zeit um 60 Prozent gewachsen,
({15})
und das in der Breite des Landes, nicht an wenigen Exzellenzuniversitäten. An den außeruniversitären Forschungseinrichtungen betrug der Zuwachs bei den
wissenschaftlichen Mitarbeitern im selben Zeitraum
42 Prozent.
({16})
Dieser Anstieg in der Breite unseres Landes wäre nie und
nimmer möglich gewesen - wiederum Stichwort: Kooperation -, wenn der Bund nicht in den letzten Jahren
mit Milliarden Euro Unterstützung geleistet hätte.
({17})
Was wollen wir in den nächsten Jahren machen? Der
Hochschulpakt läuft 2020 aus. Künftig kann es nicht
mehr darum gehen, mit Bundesmitteln neue Studienplätze zu finanzieren, sondern die freiwerdenden Mittel müssen anderweitig verwendet werden:
Erstes Motto: Qualität statt Quantität an den Hochschulen.
({18})
Zweitens. Wir wollen ein dem Tenure-Track-Programm für die Universitäten analoges Programm für die
Fachhochschulen.
({19})
Dritter Punkt. Ein Teil der Gelder muss zur Stärkung
der beruflichen Bildung umgeschichtet werden.
({20})
Wer von Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung redet, jedoch die eine mit Milliarden unterstützt und zu der anderen sagt: „Ihr kriegt noch ein paar
Krümel ab“, der meint es nicht ernst. So geht das nicht.
Deswegen muss man da auch klare Kante zeigen und sagen: Was machen wir, wenn der Hochschulpakt ausläuft,
mit den freiwerdenden Mitteln?
({21})
Sehr geehrte Damen und Herren, der dritte prägende Baustein war die Exzellenz. Denn wir brauchen Exzellenz. Ohne wissenschaftliche Spitzenleistung gibt es
keinen Wohlstand. Ohne führende Hochschulen wie Harvard, MIT oder Stanford gäbe es Facebook, Google und
viele andere Unternehmen in den USA nicht. Deswegen
braucht Deutschland wissenschaftliche Breite, ja, aber
auch wissenschaftliche Spitze. Sie ist notwendig, wenn
wir den Wohlstand in Deutschland sichern und erhalten
wollen.
({22})
- Das außerdem.
Mit der Exzellenzinitiative haben wir 2005 eine Dynamik angestoßen, und trotzdem stellen wir 2016 fest, dass
keine deutsche Universität bei den namhaften weltweiten
Rankings auf einem der ersten 40 Plätze ist.
({23})
Lediglich die Max-Planck-Gesellschaft als außeruniversitäre Forschungseinrichtung spielt ganz vorn in der
Weltspitze mit.
Deswegen war es richtig, die zeitlich befristete Exzellenzinitiative zur dauerhaften Exzellenzstrategie weiterzuentwickeln. Deswegen war es richtig, dass wir 2009
die Alexander-von-Humboldt-Professuren eingerichtet
haben und viele andere Maßnahmen ergriffen haben.
({24})
Was heißt das für die nächste Legislatur? Um nur wenige Punkte zu nennen: Wir brauchen weitere Formate, um
diese Exzellenz auszubauen oder an der Weltspitze mitzumarschieren, und bestehende Formate müssen gestärkt
werden. Deswegen wollen wir die Zahl der AvH-Professuren verdoppeln. Wir unterstützen die Einrichtung von
Max-Planck-Schools. Wir wollen ein Spitzeninstitut zur
Entwicklung von Algorithmen in gemeinsamer Trägerschaft mehrerer außeruniversitärer und universitärer Einrichtungen.
({25})
Das sind drei Beispiele für Formate, die wir brauchen,
um in den einzelnen Fachbereichen auch an der Weltspitze dabei zu sein.
Abschließend, sehr geehrte Damen und Herren: Es
gab eine Befragung der britischen Regierung zu der Frage: Welches Land bietet jungen Menschen die meisten
Chancen?
({26})
Wir erinnern uns an die Situation von vor zehn Jahren:
5 Millionen Arbeitslose in Deutschland, Jugendarbeitslosigkeit bei 15 Prozent. Wir haben die Jugendarbeitslosigkeit auf 6 Prozent im Jahr 2016 gesenkt. Bei der Frage
„Welches Land bietet Jugendlichen die meisten Chancen:
auf dem Arbeitsmarkt, bei Freiheit, bei demokratischer
Teilhabe, bei Aufstiegsmöglichkeiten und im Bildungssystem?“ hat Deutschland in dieser Befragung den Platz
eins erreicht.
({27})
Das hat mit den Menschen im Land zu tun, sehr geehrte Damen und Herren, aber das hat sehr wohl auch
mit dem zu tun, was wir in diesem Haus politisch, auch
bildungspolitisch, machen, und darauf können wir stolz
sein.
Danke schön.
({28})
Der Kollege Martin Rabanus spricht als Nächster für
die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ein bisschen
ist man versucht, etwas Ähnliches zu machen, nämlich
die Haushaltsberatung hier mit einem Parteitag zu verwechseln,
({0})
sei es von der CSU oder von der Linkspartei. Nun sagt
Oscar Wilde: Widerstehe nie einer Versuchung. Du weißt
nicht, ob sie wiederkommt. - Ich ahne, dass, je näher
wir an die Bundestagswahl kommen, diese Versuchungen wieder entstehen. Deshalb will ich ihr heute nicht
erliegen, sondern ich möchte gern fokussieren, und zwar
auf einen Bereich der Bildungspolitik, der mir besonders
am Herzen liegt, der uns auch als Fraktion in besonderer
Weise am Herzen liegt. Das ist die Weiterbildung.
({1})
Es stimmt nicht, liebe Frau Gohlke, dass da nichts
passiert sei. Ganz im Gegenteil: Die Weiterbildung ist
ein wichtiger Teil des Bildungsbereichs; klar. Stichworte
wie: „Wirtschaft 4.0“, „Dynamik des Wissens“ legen das
nahe und machen es zur Binsenweisheit, dass wir in dem
Bereich arbeiten müssen. Wir haben das getan - als Fraktion und als Koalition, und zwar in allen Bereichen der
Weiterbildung: von der Einstiegsqualifizierung, der Alphabetisierung, der Grundbildung - die Stichworte sind
genannt worden - bis hin zur Aufstiegsfortbildung. Mit
der substanziellen Reform des Meister-BAföGs haben
wir einen wichtigen Beitrag geleistet.
({2})
Ich will daran erinnern: 2015 hat der Bundeshaushalt
181 Millionen Euro für diesen Bereich vorgesehen; 2017
sieht er 264 Millionen Euro vor. Das ist eine Steigerung
um 40 Prozent. Das ist nicht nichts, liebe Frau Gohlke.
Auch in der Einstiegsqualifizierung wurde vieles getan - darauf hat mein Kollege Ernst Dieter Rossmann
schon hingewiesen -, und zwar über Ressortgrenzen
hinweg. Das Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz ist ein wichtiger Beitrag zur
Stärkung der Weiterbildung im Rahmen der Einstiegsqualifizierung. Dafür haben wir zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt, die Jahr für Jahr ansteigen
und nach Lage der Dinge im Jahre 2019 die 200-Millionen-Euro-Marke überschreiten werden.
({3})
Das ist für die Weiterbildung ein großer Schritt nach vorne.
({4})
Ich könnte weitere Beispiele anführen, will aber nur signalisieren: Wir sind auf dem Weg, und zwar auf einem
guten Weg.
Ich will stichwortartig drei Punkte für künftige Aktivitäten im Bereich der Weiterbildung nennen, die uns als
SPD-Fraktion und mir persönlich sehr wichtig sind:
Erstens. In einer sozialdemokratisch gestalteten Zukunft sind nicht nur die Studierenden an den Hochschulen von Studiengebühren befreit. In einer solchen Zukunft sind auch Meisterschülerinnen und Meisterschüler
von den Gebühren für die Meisterkurse befreit.
({5})
Zweitens. In einer sozialdemokratisch gestalteten Zukunft sind die Förderbedingungen von BAföG und Meister-BAföG nicht nur einander angenähert - das haben wir
in dieser Wahlperiode geschafft -, sondern tatsächlich
gleich.
({6})
Das wollen wir gerne in der nächsten Wahlperiode erreichen.
Drittens. In einer sozialdemokratisch gestalteten Zukunft schaffen wir es, über die Feststellung von Berufsqualifizierungen - auch über informell erworbene - allen Menschen eine Weiterbildung anzubieten und sie in
Weiterbildung zu bringen, die ihnen ein selbstbestimmtes
und unabhängiges Leben ermöglicht. Ich betone dabei:
alle Menschen, nicht die eine oder die andere Gruppe,
schon gar nicht die eine Gruppe gegen die andere GrupAlbert Rupprecht
pe. Wir brauchen weniger Gegeneinander und mehr Miteinander.
({7})
Das ist die Aufgabe, die wir in diesem Land erledigen
müssen. Dann haben wir eine Perspektive, die uns weiterbringt.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU spricht jetzt Sven
Volmering.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Dramatiker Christian Friedrich Hebbel
sagte einmal:
Es gibt Leute, die nur aus dem Grunde in jeder Suppe ein Haar finden, weil sie, wenn sie davor sitzen,
so lange den Kopf schütteln, bis eins hineinfällt.
Diese Weisheit passt zur heutigen Oppositionsvorstellung, wie ich nun, liebe Frau Gohlke, am Beispiel der
digitalen Bildung zeigen werde.
Letztes Jahr haben die Grünen beispielsweise behauptet, dass der Bund gar kein Interesse habe, Konsequenzen aus der Computerstudie ICILS zu ziehen. Nach der
Vorstellung des Digitalpakts durch Frau Wanka vor dem
IT-Gipfel wurde es noch ein bisschen grotesker. Da hieß
es, Deutschland sei ein Entwicklungsland beim Lernen in
der digitalen Welt, alles sei verfrühtes Wahlkampfgetöse
und die Bildungsministerin lasse die Länder allein.
({0})
Zum allerersten Mal, seitdem ich nicht mehr in der Schule unterrichte, habe ich mich ernsthaft gefragt, ob Sie
überhaupt aufgepasst haben, was der Bund und die Große
Koalition in diesem Bereich alles getan haben.
({1})
Nach Herrn Kretschmann steht nun auch Frau Löhrmann
auf der Liste der Grünen, auf die die eigene Bundestagsfraktion nicht hört; denn Frau Löhrmann hat den Digitalpakt von Frau Wanka gelobt.
Zur Erinnerung: Im Juli 2015 hat der Bundestag auf
Antrag der Koalition Bund und Länder beauftragt, eine
Strategie „Digitales Lernen“ zu entwickeln. Professor
Eickelmann, eine der Hauptverantwortlichen für diese
internationale Computerstudie, sagte bei der entsprechenden Anhörung im Ausschuss dazu:
Die Maßnahmen, die in dem Antrag verschriftlicht
worden sind, sind wirklich zielführend und zum
großen Teil wirklich das, was wir aus der Wissenschaft auch genauso empfehlen würden.
Auf dieser Grundlage haben dann Bund und Länder
gearbeitet. Nachdem Frau Wanka ihre Offensive vorgestellt hat, werden die Länder am 8. Dezember nachziehen. Diese Konzepte müssen nun in Einklang gebracht
werden. Frau Bogedan beispielsweise setzt eine Zielmarke, indem sie vom Jahr 2018 spricht. Von daher sind wir
jetzt in der Situation, dass die Bundesländer unabhängig
von der Bundestagswahl 2017 aufgefordert sind, den
Ball, den Frau Wanka ihnen butterweich zugespielt hat,
im Tor zu versenken.
Die Bedingungen sind klar: Sie müssen pädagogische
Konzepte liefern, die Aus- und Fortbildung von Lehrern
muss gestärkt werden, und sie müssen gemeinsame technische Standards umsetzen. Die CDU/CSU legt dabei
sehr großen Wert darauf, dass es Bundesgeld nur dann
gibt, wenn klare Kriterien, Verfahren sowie Kontrollund Sanktionsmöglichkeiten mit den Ländern festgelegt
werden. Dass die Länder, wie beim BAföG, die Gelder
zum Stopfen von Haushaltslöchern zweckentfremden,
werden wir beim Digitalpakt nicht zulassen.
({2})
Das Geld soll nicht für die Länderfinanzminister, sondern
für die Schulen und die Zukunft unserer Kinder sein.
Nun, da wir erkannt haben, dass die Digitalisierung
des Bildungssystems eine sehr notwendige Maßnahme
für unser Land, für unsere Zukunftsfähigkeit ist, darf es
nicht dazu kommen, dass die Debatte zur Umsetzung als
Steigbügelhalter genutzt wird, um weitere Milliardenpakete für andere Bereiche der Bildungspolitik zu fordern.
Die Länder müssen schon noch ihre eigenen Hausaufgaben machen.
({3})
So können sie beispielsweise jedem Schulkollegium zumindest mal eine Digitalfortbildung finanzieren. Eine
vernünftige Fortbildung in diesem Bereich kostet zwischen 1 500 und 2 000 Euro. Die Länder müssten in der
Lage sein, die 60 bis 80 Millionen Euro, die das kosten
würde, zu stemmen. Im Übrigen weist beispielsweise
auch das SPD-geführte Wirtschaftsministerium in seiner
Bildungsbroschüre darauf hin, dass es bereits jetzt möglich ist, Bundesgelder aus dem 4-Milliarden-Euro-Breitbandförderprogramm sowie aus der Digitalen Dividende II - in Höhe von 600 Millionen Euro - für digitale
Bildung zu erhalten. Die 3,5 Milliarden Euro für Schulsanierungen hat Herr Rossmann gerade erwähnt. Das
alles geht ohne Grundgesetzänderung, die hier wie ein
Fetisch wirklich in jeder Debatte angeführt wird.
Jedem Skeptiker, der wirklich meint, es passiere zu
wenig, sei ein Blick in die BMBF-Broschüre zur digitalen Bildungsoffensive empfohlen. Es sind wirklich alle
Bildungsbereiche abgedeckt. Digitale Bildung spielt eine
Rolle beim Programm „Kultur macht stark“; sie wird bei
der Qualitätsoffensive Lehrerbildung ausgebaut. Es gibt
zahlreiche Wettbewerbe. Es gibt die Förderbekanntmachung „Erfahrbares Lernen“. Die Initiative Berufsbildung 4.0 ist schon mehrmals erwähnt worden. Es gibt das
F-und-E-Programm „Zukunft der Arbeit“; es wird dauerMartin Rabanus
haft mit über 1 Milliarde Euro gefördert. Das Hochschulforum Digitalisierung legt nächste Woche Vorschläge vor.
Es gibt die Förderbekanntmachung „Medienbildung 2“,
den Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“. Digitale Bildung wird in den Bildungsbericht
aufgenommen. Wir fördern eine OER-Informationsstelle. Wir starten ein Schul-Cloud-Pilotprojekt. Es wird ein
Internetinstitut geben. Wir werden bis zu 20 Kompetenzzentren für Digitalisierung einrichten. - Diese Maßnahmen, verehrte Kollegen der Opposition, haben doch
nichts mit einem Entwicklungsland zu tun, sondern sind
Ausdruck unseres Ziels, die Chancen der Digitalisierung
in Deutschland erfolgreich zu gestalten.
({4})
Ja, manches dauert seine Zeit; aber Gründlichkeit geht
vor Schnelligkeit.
({5})
Wenn Sie den Digitalpakt kritisieren, dann stellen Sie
sich in eine Reihe mit Herrn Spitzer, der gesagt hat, das
sei eine Maßnahme zur Verdummung. Wenn Sie mit
Herrn Spitzer in einer Reihe stehen wollen - herzlich
willkommen in dieser Reihe! Wir, die CDU/CSU, stehen
für Zukunft; Sie stehen für Herrn Spitzer.
Zum Abschluss eine Anmerkung in Richtung Herrn
Heil, der am Sonntag getwittert hat: „16 Jahre Merkel?
Warum eigentlich? Und wofür?“ Die Antwort ist auch
aus bildungs- und forschungspolitischer Sicht sehr einfach: Damit wir weitere vier Jahre einen ausgeglichenen,
generationengerechten Bundeshaushalt mit steigenden
Bildungs- und Forschungsausgaben haben. Rot-RotGrün wird das nämlich mit Sicherheit nicht hinbekommen.
({6})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Dr. Simone Raatz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist ja schön, dass wir eine sehr lebendige
und teilweise auch sehr laute Debatte haben. Ich denke,
dass mein Redebeitrag ein bisschen zur Ruhe beitragen
wird.
Ich starte mit einem Satz aus dem aktuellen Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, der uns kürzlich
von Iris Gleicke vorgelegt worden ist:
Der Erfolg von Volkswirtschaften, Regionen und
Unternehmen hängt im 21. Jahrhundert wesentlich
von der Innovationskraft ab.
Ich denke, das ist keine ganz neue Weisheit, aber ein
wichtiger Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn
gerade wir in Deutschland sind in hohem Maße vom
technologischen Fortschritt abhängig. Doch wenn wir
uns die Innovationsintensität unserer kleinen und mittelständischen Unternehmen anschauen - Herr Rachel, aber
auch Herr Gehring sind teilweise darauf eingegangen -,
dann stellen wir fest, dass sie seit Jahren rückläufig ist.
Insbesondere bei jungen KMUs sanken die Innovationsausgaben in den letzten Jahren deutlich. An dieser Stelle
hat unser Bildungs- und Forschungsetat die sehr wichtige Funktion, diesem Negativtrend etwas entgegenzusetzen. Ich denke, dass die eben von Herrn Gehring angesprochene steuerliche Forschungsförderung nicht das
Nonplusultra ist,
({0})
auch wenn das Thema immer wieder angeführt wird, um
die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen zu gewährleisten.
({1})
- Ich möchte jetzt nicht lauter sprechen; ich habe auf die
sehr laute Debatte verwiesen. Lassen Sie uns in künftigen
Debatten sachliche Argumente austauschen.
({2})
Rein quantitativ geht unser Haushalt in die richtige
Richtung. Viele haben die Zahl schon erwähnt: Wir stellen mehr als 17,6 Milliarden Euro allein für Bildung und
Forschung zur Verfügung. Das ist einfach großartig. Ich
finde, das kann man an dieser Stelle ruhig noch einmal
sagen.
({3})
Doch wir müssen die Mittel auch so einsetzen, dass die
gewünschten Innovationsprozesse angeschoben werden
und auch bei den Menschen in unserem Land ankommen.
Was wir meines Erachtens in Zukunft brauchen, ist
ein klares Bekenntnis zur sogenannten Third Mission,
der dritten Aufgabe unserer Wissenschaft. Neben Lehre und Forschung muss der Transfer von Innovationen
in Wirtschaft und Gesellschaft zur selbstverständlichen
Aufgabe unserer Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen werden. Hier gibt es nicht nur
Nachholbedarf; vielmehr braucht es einen grundlegenden Kulturwandel. Wenn die durchschnittliche Unternehmensgröße in Ostdeutschland - das muss man sich
wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen - neun
Personen beträgt und die Unternehmen seit über 15 JahSven Volmering
ren nicht wachsen, dann macht das doch deutlich, wie
wichtig an dieser Stelle der Wissenstransfer ist.
({4})
Der vorliegende Haushalt versucht, dem an wichtigen Stellen mit deutlichen Mittelaufwüchsen Rechnung
zu tragen. So erhöhen wir die Mittelansätze für besonders transferfreundliche und anwendungsbezogene Forschung. Allein die Fraunhofer-Gesellschaft wird in den
nächsten Jahren 68 Millionen Euro mehr bekommen,
nicht nur 60 Millionen Euro, wie viele Kollegen hier
gesagt haben, da wir den Pakt für Forschung und Innovation und den automatischen Aufwuchs von 3 Prozent
mit berücksichtigen müssen. 68 Millionen Euro mehr pro
Jahr, das ist doch was. Ich denke, damit kann man etwas
anfangen.
({5})
So sollen aktuelle Forschungsthemen wie zum Beispiel
die Batterieforschung nachhaltig gestärkt und der Wissenstransfer gesichert werden. Ich glaube, es ist ganz
wichtig, den Fraunhofer-Instituten mehr auf die Finger
zu schauen, als wir das bisher gemacht haben.
Darüber hinaus wird auch das Wirtschaftsministerium
im kommenden Jahr seine Programme zur Forschungsförderung ausweiten. Mein Kollege Schipanski wird darauf noch eingehen; er hatte ja schon in seiner Frage dazu
einiges untergebracht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tragen mit
diesem Haushalt nicht nur dem Bedarf an technischem
Fortschritt Rechnung. Vielmehr müssen wir auch im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften den Transfer
ausbauen. Es ist sicher nicht nur für uns zutiefst beunruhigend, dass wissenschaftliche Erkenntnisse scheinbar
nicht mehr zu allen Menschen durchdringen und platten
Parolen mehr Glauben geschenkt wird; Herr Rachel hat
dazu schon einiges gesagt. Daher begrüße ich es außerordentlich, dass wir mit diesem Haushalt auch Mittel
bereitstellen, um die gesellschafts- und sozialpolitische
Forschung durch den Aufbau eines neuen Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt in Sachsen zu stärken; ich
möchte nicht vertiefen, warum ich das gerade in Bezug
auf Sachsen als sehr zielführend erachte. Im kommenden
Jahr werden 1 Million Euro zur Verfügung gestellt - das
ist ein guter Start -, in den Folgejahren 36 Millionen
Euro. Ich glaube, da kann etwas draus werden. Im Übrigen: Wenn wir das Konzept für dieses Institut demnächst
erhalten könnten - ich blicke in Richtung BMBF -, dann
wäre das sehr schön.
Frau Kollegin Raatz, es wäre jetzt auch schön, wenn
Sie zum Schluss kommen würden.
Ja, ich komme zum Schluss. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir sind auf dem richtigen Weg zu mehr Transfer von Innovationen in Gesellschaft und Wirtschaft. Wir
müssen diesen Weg in Zukunft weitergehen und noch etwas entschlossener agieren.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Tankred
Schipanski, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Rossmann hat es gesagt:
Die Haushaltsdebatte ist dazu da, um auch einmal etwas
grundsätzlicher auszuführen. Das will ich tun, und zwar
bei zwei Themen: Chancengerechtigkeit und Bund-Länder-Finanzvereinbarung, die schon angesprochen wurde.
Zu Beginn muss ich aber auf das „postfaktische Zeitalter“ eingehen. Ich dachte, wir hätten das gestern mit
Sahra Wagenknecht erlebt, aber heute haben wir das von
Ihrer Seite, liebe Frau Gohlke und Herr Lenkert, wieder
erleben müssen. Ich kann Sie nur ermahnen, nicht wie
die AfD mit Populismus und Propaganda Unsicherheit
bei den Leuten zu schüren. Das, was da betrieben wird,
ist unmöglich. Ich glaube, die Redner aller anderen Fraktionen haben die Fakten zum Bereich „Bildung und Forschung“ hier dargelegt.
({0})
Noch etwas in Richtung der Linken. Herr Schulz hat
gesagt, dass wir die Forschung im Bereich der Sozialund Geisteswissenschaften stärken. Heute wurde aber
noch nicht betont, dass wir ganz bewusst einen Forschungsverbund zum Thema SED-Unrecht auflegen. Wir
starten mit 5 Millionen Euro. Das Volumen soll in den
nächsten Jahren auf 25 Millionen Euro steigen. Ich halte
es für sehr notwendig, dass wir diesen Forschungsverbund auflegen, insbesondere wenn man sich vor Augen
führt, dass die von Rot-Rot-Grün in Thüringen versprochene Aufarbeitung nicht stattfindet.
({1})
Zum Thema Chancengerechtigkeit. Bei allen Maßnahmen, die wir im Bildungs- und Forschungsbereich ergreifen, haben wir die Chancengerechtigkeit aller Bürgerinnen und Bürger im Blick. Das bedeutet, dass wir allen
gleichermaßen den Zugang zu einem Bildungsangebot
ermöglichen wollen, den sozial Benachteiligten eine besondere Förderung zuteilwerden lassen, aber eben auch
den Begabten. Dass das Ganze gelingt, hat unser Nationaler Bildungsbericht 2016, über den wir in der letzten
Plenarwoche debattiert haben, gezeigt.
Wir streben nach Chancengerechtigkeit für alle. Das
heißt aber nicht Ergebnisgleichheit, wie das von RotRot-Grün sehr oft propagiert wird.
({2})
Alles Ungleiche abschaffen zu wollen, kann nicht das
Ziel von demokratischer Politik sein. In unserer Gesellschaft spielt das Individuum mit seinen EntfaltungsmögDr. Simone Raatz
lichkeiten glücklicherweise eine große Rolle. Dem werden wir in der Bildungspolitik gerecht.
({3})
Wer die Ungleichheiten unter den Menschen von
Staats wegen beseitigen will, landet zwangsläufig in Unterdrückung und Diktatur.
({4})
Das stellte Hubertus Knabe in einem Tweet sehr treffend
fest. Im Übrigen twitterte er das zum Bundesparteitag der
Grünen.
({5})
Es muss uns vielmehr darum gehen, die Menschen mit
ihren individuellen Fähigkeiten bestmöglich zu fördern.
Dazu haben wir ein vielseitiges Bildungssystem, bei
dem es um optimale Bildung geht, aber nicht um gleiche
Abschlüsse für jeden. Es geht um Wahlmöglichkeiten. Es
geht um verschiedene Bildungswege. Unser Stichwort
lautet: „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Dass das Ganze funktioniert, zeigen - Kollege Rupprecht hat es angesprochen - die Studierendenzahlen. Der Bund hat sich in
der dritten Phase des Hochschulpakts noch einmal beteiligt und freiwillig 9,9 Milliarden Euro in den Hochschulpakt investiert. Auch die Mittel für das BAföG erhöhen
wir jetzt noch einmal. 2017 geben wir 2,6 Milliarden Euro
dafür aus. Auch die Mittel für das Aufstiegs-BAföG, das
ehemalige Meister-BAföG, werden um rund ein Viertel
auf 265 Millionen Euro erhöht. Das verdeutlicht, was
auch die OECD festgestellt hat: In Deutschland ist Bildung für Privatpersonen so erschwinglich wie in kaum
einem anderen OECD-Land. - Das ist ein gutes und
wichtiges Zeichen.
({6})
Der nächste Themenblock betrifft die Bund-Länder-Finanzvereinbarung vom 14. Oktober 2016. Da gibt
es in der Tat Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern. Ich kann für die Union nur feststellen: Unkonditioniertes Geben von Geld ist falsch. „Unkonditioniert“
meint: ohne konkrete Bedingungen, ohne konkrete Ziele.
Unkonditioniertes Geld kennen wir aus dem Bürgerlichen Recht. Da heißt es Taschengeld, § 110 BGB. Wir
sagen ganz deutlich: Bundesgeld ist kein Taschengeld.
({7})
Von daher kann man nicht über jede Entscheidung vom
14. Oktober 2016 froh sein. Wir sagen: Geld des Bundes
muss zielgerichtet eingesetzt werden und einen Mehrwert bringen. Es darf nicht mit der Gießkanne ausgeschüttet werden.
Zur Umsetzung dieser Bund-Länder-Vereinbarung
bedarf es einer Änderung des Grundgesetzes. Nun wird
viel darüber spekuliert, ob das etwas mit der generellen
Frage nach der Zuständigkeit des Bundes für den Bildungsbereich zu tun hat, und es wird die Frage nach dem
vermeintlichen Kooperationsverbot aufgeworfen. Das ist
ein völlig falsches Wort, das Rot-Rot-Grün in dieser Debatte verwendet.
({8})
Ein Kooperationsverbot steht nicht im Grundgesetz, aber
Zuständigkeitsregelungen und eine Aufgabenverteilung.
Und „Bundesstaat“ bedeutet kooperatives Zusammenwirken im Rahmen der Zuständigkeiten und der Aufgaben. Der Bund kooperiert in einem hohen Maße. Albert
Rupprecht hat aufgezeigt, bei wie vielen Pakten der Bund
dabei ist. Wir kooperieren also, und da gibt es keine Verbote. Aber wir haben Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.
Die Menschen in Deutschland, meine Damen und
Herren, sehen ein ganz anderes großes Defizit, nämlich
bei Schulabschlüssen und Schulausbildung. Da fehlt es
an einer Vergleichbarkeit der Abschlüsse, an verbindlichen Bildungsstandards, an Mobilität zwischen den
Bundesländern. Dieses Defizit kann man nicht mit Taschengeld des Bundes beseitigen, sondern nur mit einer
reformierten Kultusministerkonferenz bzw. mit einem
Länderstaatsvertrag, den wir seit vielen Jahren fordern,
um endlich vergleichbare Abschlüsse zu schaffen und gemeinsame Prüfungsaufgaben und verbindliche Bildungsstandards festzulegen.
({9})
- Da kann man klatschen; das ist sehr richtig. - In diesem
Bereich sind dem Bund nämlich die Hände gebunden. Da
hilft auch keine Grundgesetzänderung, um dieses Defizit zu beseitigen; das sollten Sie den Menschen ehrlich
sagen. Wir brauchen keine Grundgesetzänderung, um
in diesen Bereichen besser zu werden. Es braucht einen
Länderstaatsvertrag und weiterhin eine koordinierende
Rolle des Bundes.
({10})
Meine Damen und Herren, am Ende noch eine positive Nachricht, auch mit Blick auf die Bund-Länder-Vereinbarung: Der Bund hat aus dem BAföG-Desaster
gelernt und in den Verhandlungen mit den Ländern ein
Kontrollrecht bei der Mitfinanzierung von Länderaufgaben erstritten. Der Bundesrechnungshof soll künftig auch
die Länderhaushalte prüfen können. Das ist wichtig, und
das ist gut. Da hat die Politik einmal gelernt.
In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Rainer Spiering,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer! Vorab - auch nach diesen teilweise sehr rhetorischen Ausflügen -: Ich glaube,
man muss diesem Haushalt ein großes Kompliment machen. Es ist ein gelungener Entwurf. Ich werde gleich auf
ein paar Kritikpunkte zu sprechen kommen. Sie gehören,
finde ich, dazu; aber man kann sie gemäßigt und in Ruhe
ansprechen.
Eine Gruppe von uns ist in Argentinien und Chile unterwegs gewesen; auch Herr Lenkert und Herr Gehring
waren dabei. Ich glaube, die Komplimente, die wir vom
Ausland im Hinblick auf die deutsche Forschung bekommen haben, waren so gewaltig, dass wir ganz glücklich
sein können, wie wir da aufgestellt sind. So sollten wir
dieses Thema auch behandeln.
({0})
Wenn ich noch eine Bemerkung loswerden darf: Herr
Rupprecht, das ständige Länder-Bashing, vor allen Dingen mit dem Fokus auf Nordrhein-Westfalen, ist in einer
Debatte zum Bundeshaushalt nicht unbedingt dienlich.
Ich finde es schade, dass wir uns auf diese Ebene begeben.
({1})
Heute haben wir den Fokus vor allen Dingen auf die
Forschung gelegt; das ist auch gut so. Aber der Ausschuss heißt ja nicht „Ausschuss für Forschung“, sondern
„Ausschuss für Bildung und Forschung“. Ich möchte mit
Ihnen einen Ausflug in die Berufsbildung mit dem Fokus
auf Berufsschulen wagen.
Die Berufsschule ist mit 2,5 Millionen Schülern die
größte eigenständige Sek-II-Schulform, die wir haben.
Mich wundert immer wieder, dass wir sie so wenig im
Fokus haben. Berufsschulen haben einige Hundert bis
etliche Tausend Schüler. Die Schule, von der ich komme, ein reines Technikum, hat 4 500 Schüler. Ohne dieses Technikum wäre meine Region wirtschaftlich nicht
denkbar.
Übrigens, Herr Rupprecht: Es gibt auch außerhalb
Bayerns erfolgreiche Regionen in Deutschland. Wir zum
Beispiel haben eine Jugendarbeitslosenquote von 3 Prozent und eine Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent; bei
uns herrscht damit Vollbeschäftigung. Wissen Sie, wodurch das möglich wurde? Wir haben eine Kooperation
zwischen SPD und CDU; seitdem funktioniert das. Ich
wäre also sehr vorsichtig, immer Bayern als Vorbild zu
bezeichnen.
({2})
Die Schulform Berufsschule umfasst Berufsfachschule, Berufsvorbereitungsschule, Berufsschule, Fachoberschule, Fachgymnasium, Technikerschule und einiges
mehr. Der große Vorteil einer Berufsschule ist, dass sie
ein sozialer Raum ist, der nicht abgegrenzt ist. Wir haben
viele Schulformen, in denen soziale Ausgrenzungen oder
Abgrenzungen stattfinden. Das ist in Berufsschulen nicht
der Fall. Sie ist ein Campus, auf dem sich alle Menschen
mit all ihren Betroffenheiten und allen Vorteilen treffen.
Die Berufsschule ist von Hause aus integrativ, interaktiv
und häufig übrigens auch inklusiv, und das tradierend.
Ich würde mich freuen, wenn wir der Berufsschule ein
bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken würden. Wir
können das allerdings nur dann richtig tun - bei allem
Respekt -, wenn wir das Kooperationsverbot abschaffen.
({3})
- Ja, das ist schon einen Applaus wert.
({4})
Bei der Debatte um Bildung habe ich mit Verwunderung festgestellt, dass Frau Wanka jetzt doch den Ansatz
zeigt, in die allgemeinbildenden Schulen Geld zu investieren. Das ist eine richtige Entscheidung. Der Finanzminister hat das unterstützt. Erstaunlich aber ist, dass dies
der Wirtschaftsminister dieses Landes in der Funktion
seines Amtes für einen zentralen Bereich der deutschen
Bildung einfordern muss. Ich glaube, dass man Frau
Wanka bei ihren Gedankengängen durchaus noch helfen
kann, ihren Fokus mehr auf die Berufsschulen zu legen,
weil wir sie als Bildungsstandard brauchen.
({5})
Die Berufsschule steht übrigens im Gegensatz zu den
anderen Schulformen, die wir haben, in direktem Kontext mit dem Bundesgesetzgeber. Die Berufsschule hängt
direkt am Berufsbildungsgesetz. Ich kann überhaupt
nicht verstehen, dass wir in einem zentralen Bereich, in
dem wir Gesetzeskompetenz haben, nicht dazu in der
Lage sind, dies dann vor Ort materiell und immateriell
zu unterlegen. Da machen wir Fehler, Kolleginnen und
Kollegen.
({6})
„Dual“ bedeutet immer „zwei“. Wir haben hier in allen
Diskussionen den Fokus auf den wirtschaftlichen Zweig
gelegt. Die materielle Leistung kommt vom Staat. Was
wäre eigentlich Berufsausbildung in Deutschland ohne
Berufsschulen? Das muss man sich einmal vergegenwärtigen. Es würde überhaupt nicht funktionieren. Deswegen appelliere ich an dieser Stelle an den Staat bzw. an
den Bundesgesetzgeber und die Bundeshaushälter: Nehmen Sie Ihre Aufgabe gegenüber den Berufsschulen in
Deutschland ernst! Wertschätzen Sie die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen dort! Helfen Sie den Schulen in
den schwächeren Regionen mit materiellen Zuweisungen
des Bundes, damit diese sowohl im IT-Bereich als auch
bei der räumlichen Ausstattung klarkommen!
Lassen Sie mich zum Ende kommen. Stärken Sie Berufsbildungsforschung! Fördern Sie die Qualitätsoffensive für Berufsschullehrer! Verbessern Sie endlich die
technischen Ausstattungen! Fördern Sie Schulsozialarbeit! Die Berufsschulen sind das Aushängeschild unseres
Berufsbildungswesens. Bringen Sie es durch Taten dazu,
dass das auch zur Kenntnis genommen wird!
Danke schön.
({7})
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Oliver Kaczmarek,
SPD-Fraktion, die Gelegenheit, die Debatte zu diesem
Einzelplan abzuschließen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich dokumentiert der Haushalt die großartigen Leistungen der Großen Koalition in dieser Wahlperiode. Dazu
gibt es unterschiedliche Bewertungen. Ich möchte aber
darauf hinaus, dass er auch Entscheidungen für die Zukunft aufzeigt. Dazu möchte ich wenige Beispiele nennen.
Erstens. Natürlich ist die Lockerung des Kooperationsverbots für die Wissenschaft ein Meilenstein in dieser
Wahlperiode gewesen. Wir sind jetzt in der Tat - Herr
Rupprecht hat es angesprochen - an der Stelle, wo wir
darüber nachdenken müssen, wie wir die entsprechende
Grundgesetzänderung ausgestalten. Dabei geht der Blick
in das Jahr 2020: Der Hochschulpakt sowie der Pakt für
Forschung und Innovation laufen aus. Da ist viel Geld
im Topf. Wir müssen Klarheit darüber schaffen, wie es
eigentlich weitergehen soll. Das ist eine politische Entscheidung, eine Entscheidung, die nicht in den Ministerien fällt, sondern die Parlamente treffen müssen.
({0})
Die Vorstellung der SPD-Fraktion ist, dieses Geld
bzw. diese Instrumente in eine dauerhafte, vielleicht
leicht geänderte Finanzierungsarchitektur zu überführen;
denn die Botschaft muss sein: Dieses Geld ist Geld für
die Wissenschaft und muss Geld für die Wissenschaft
bleiben. Ich war bei Ihrer Ankündigung, Herr Rupprecht,
nicht mehr Quantität, sondern nur noch Qualität zu fördern, etwas verwundert; denn ich glaube, dass das Unsicherheit an den Hochschulen schafft, die in den nächsten
Jahren mit genau diesen Einnahmen planen müssen.
({1})
Für die SPD-Fraktion ist klar: Wir wollen nicht nur Exzellenz fördern. Wir haben die Exzellenzinitiative. Sie
ist wichtig; sie wird weiter gefördert und ist dauerhaft
gesichert. Aber es braucht doch einen Beitrag zur Breitenförderung. Der Bund darf sich nicht aus seiner Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse verabschieden.
({2})
Zweitens. Ich habe mich, ehrlich gesagt, über die Debatte bezüglich der Lockerung des Kooperationsverbotes
in der Bildung gewundert. Ich glaube, dass die Möglichkeit, in Schulen zu investieren, ein großer Durchbruch
ist, und frage mich, warum alle anderen Fraktionen - außer der SPD-Fraktion - versuchen, das kleinzureden. Das
ist ein großer Durchbruch.
({3})
Wir werden noch in dieser Wahlperiode darüber entscheiden, das Grundgesetz zu ändern, weil alle Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin das miteinander
besprochen und verabschiedet haben. Dann werden wir
die Möglichkeit haben, auch finanzschwache Kommunen bei ihren Investitionen in Bildungsinfrastruktur zu
unterstützen. Damit verbunden sind 3,5 Milliarden Euro,
die wir zusätzlich für die Schulsanierung mobilisieren
wollen.
({4})
Angesichts der Debatte, die ich hier gehört habe, frage
ich mich manchmal, ob dieses Geld eigentlich irgendwer
nicht haben will. Ich glaube, es ist gut angelegtes Geld.
Investitionen in Bildungsinfrastruktur bedeuten Investitionen in Ganztagsschulen, in das Schaffen von Barrierefreiheit sowie in digitale Infrastruktur in den Schulräumen. Das sind Zukunftsinvestitionen. Das ist eine
weitreichende Entscheidung, und ich bin froh, dass der
Bund da zukünftig mithelfen darf.
({5})
Dritter Punkt. Ich glaube, in dieser Wahlperiode ist
deutlich geworden - das wird auch im Haushalt dokumentiert -, Chancengleichheit ist wieder ein Schwerpunkt der Bundesbildungspolitik. Das zeigt sich insbesondere an der BAföG-Novelle, die in diesem Haushalt
ja erstmals ihre volle Wirkung entfaltet und ganz real
bei den Studierenden ankommt. Es war nötig, dass wir
das gemacht haben, weil die Vorgängerregierung beim
BAföG nicht - zumindest nicht substanziell - tätig geworden ist.
({6})
Wir müssen nun aber auch schauen, wie wir das in
die Zukunft transportiert bekommen. Das BAföG ist
das wichtigste Instrument zur Herstellung von Chancengleichheit, das der Bund hat,
({7})
und wir müssen es jetzt noch besser darauf ausrichten,
veränderte Lebenslagen und veränderte Bildungsbiografien zu berücksichtigen. Es geht hier um die Berücksichtigung von vollzeitschulischen Ausbildungen und auch
Teilzeitstudien. Die Hochschulrektorenkonferenz hat
dazu eine Empfehlung ausgesprochen. Daneben geht es
auch um die Altersgrenzen.
({8})
All das soll deutlich machen: Das BAföG ist und
bleibt das wichtigste Instrument für Chancengleichheit.
Deswegen müssen wir es auch prioritär und zeitgemäß
weiterentwickeln. Das ist die Aufgabe für die nächste
Wahlperiode.
({9})
Ich würde gerne auch noch etwas zu den Fachhochschulen sagen, weil ich mich über die Ankündigung der
Ministerin gefreut habe, sie zum Schwerpunkt der letzten
Etappe dieser Wahlperiode zu machen. Das werden wir
als SPD-Fraktion am nächsten Montag auf einem Kongress diskutieren, zu dem ich Sie alle herzlich einlade.
Die Fachhochschulen sind ein Qualitätsmerkmal unseres
Wissenschaftssystems.
({10})
Am Ende ist folgende Botschaft wichtig - wenn ich
das noch eben sagen darf, Frau Präsidentin -: Ich glaube,
es nützt nichts, wenn wir uns einfach nur auf dem Erfolg,
den wir in dieser Wahlperiode erreicht haben, ausruhen
und ihn immer wieder betonen. Wir müssen uns auch den
Herausforderungen der Zukunft stellen. Vielleicht schaffen wir das in der nächsten Debatte.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Damit ist die Aussprache beendet.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30 - Bundesministerium für Bildung und Forschung - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich brauche jetzt noch einmal Ihre Konzentration, weil
wir eine Reihe von Abstimmungen durchzuführen haben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV sowie die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:
IV. Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen der Kommission für
zwei Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung
endokrinschädigender Eigenschaften im
Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten (C({0}) 3751,
C({1}) 3752)
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
Schutz vor Hormongiften verbessern - Die
Kriterien für endokrine Disruptoren müssen dem Vorsorgeprinzip entsprechen
Drucksache 18/10382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
ZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes
Drucksache 18/10378
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Julia Verlinden,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Atomkosten verursachergerecht anlasten Kernbrennstoffsteuer beibehalten und
anheben
Drucksache 18/10034
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Federführung strittig
Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen: Tagesordnungspunkt IV sowie Zusatzpunkt 1 a.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/10382 - Tagesordnungspunkt IV - soll federführend an den Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist: Zusatzpunkt 1 b. Interfraktionell
wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/10034 mit dem Titel
„Atomkosten verursachergerecht anlasten - Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anheben“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
Ich lasse nun zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung durch den Rest des
Hauses abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen CDU/CSU und SPD, Federführung beim
Finanzausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte V a und b sowie d
bis j auf. Es handelt sich hierbei um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt V a:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. Juni
1997 zur Neufassung des Internationalen
Übereinkommens vom 13. Dezember 1960
über Zusammenarbeit zur Sicherung der
Luftfahrt „EUROCONTROL“
Drucksache 18/9877
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
8. Oktober 2002 über den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zum Internationalen Übereinkommen vom 13. Dezember
1960 über Zusammenarbeit zur Sicherung
der Luftfahrt „EUROCONTROL“ entsprechend den verschiedenen vorgenommenen Änderungen in der Neufassung des
Protokolls vom 27. Juni 1997
Drucksache 18/9878
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({6})
Drucksache 18/10314
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10314, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9877 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Damit kommen wir zur
dritten Beratung
und zur Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den
Plätzen zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem
gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Protokoll vom 8. Oktober 2002 über den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zum Internationalen Übereinkommen vom 13. Dezember 1960 über Zusammenarbeit
zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ entsprechend den verschiedenen vorgenommenen Änderungen in der Neufassung des Protokolls vom 27. Juni 1997.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10314 empfiehlt der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/9878 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt V b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beteiligung des Bundes an den Kosten
der Integration und zur weiteren Entlastung
von Ländern und Kommunen
Drucksachen 18/9980, 18/10264, 18/10307
Nr. 12
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({7})
Drucksache 18/10397
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Bevor wir zu den weiteren Abstimmungen kommen,
erteile ich das Wort zu einer Erklärung gemäß § 31 der
Geschäftsordnung dem Kollegen Eckhardt Rehberg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mein Abstimmungsverhalten zum Gesetz zur
Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration
und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen für meine Fraktion wie folgt erklären.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Paket umfasst gut 20 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre, die Integrationspauschale von dreimal 2 Milliarden
Euro. Das sind keine verbesserten Steuereinnahmen. Ich
erkläre für meine Fraktion, dass wir schon erwarten, dass
diese 2 Milliarden dort, wo es keine Spitzabrechnung bei
den Flüchtlingskosten zwischen Bund und Ländern gibt,
dazu dienen, die Kommunen vor Ort zu entlasten.
({0})
Wenn ich mir die Debatte in dieser Woche anhöre, gewinne ich den Eindruck, dass der Bund die Finanzverantwortung für die Kommunen trägt. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, nach Artikel 28 des Grundgesetzes tragen
die Länder die Finanzverantwortung für die Kommunen.
({1})
Inhalt ist die Spitzabrechnung: dieses Jahr - 2016 2,6 Milliarden Euro, für nächstes Jahr ein Abschlag von
1,2 Milliarden Euro und insgesamt die Übernahme der
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Kosten der Unterkunft für asylberechtigte Flüchtlinge
von 2,6 Milliarden Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute ein
Interview in der Ostsee-Zeitung gelesen, in dem der
Kämmerer von Oberhausen, Herr Apostolos Tsalastras,
SPD-Mitglied, zu Wort kommt. Er beklagt sich darüber,
dass der Bund - Stichwort: Flüchtlingskosten, Stichwort:
Grundsicherung im Alter, Stichwort: Unterhaltsvorschuss - keine Kosten der Kommunen trägt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn so argumentiert wird wie
von diesem Kämmerer, dann muss ich annehmen, dass
in Nordrhein-Westfalen die Gelder nicht durchgereicht
werden.
({2})
- Entschuldigung. - Wisst Ihr, warum ich das sage und
warum ich das anführe?
({3})
Wir reden über Folgendes: Wir reden unter anderem darüber, dass in dieser Legislaturperiode, wie es Sigmar
Gabriel heute Morgen gesagt hat, 70 Milliarden Euro an
Entlastungen für Länder und Kommunen auf dem Tisch
liegen. Meine Berechnungen liegen bei 90 Milliarden
Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer wie dieser
Kämmerer so tut, als ob der Bund die Kommunen im Regen stehen ließe, der nährt Verdruss vor Ort. Diese Behauptung entspricht auch nicht den Tatsachen.
({4})
In diesem Gesetz ist auch das 5-Milliarden-Euro-Paket für das Jahr 2018 zur Entlastung der Kommunen enthalten. Jetzt haben sich die Länder da 1 Milliarde Euro
abgezwackt. Thomas Oppermann hat gestern gesagt, er
habe den Kampf mit den Ländern aufgenommen. Es gibt
dabei nur ein Problem: Dieses Gesetz ist zustimmungspflichtig. Ich habe den SPD-Kollegen gesagt: Wenn ihr
mir die Unterschriften der Ministerpräsidenten gebt, dass
die 1 Milliarde Euro wieder an die Kommunen zurückkommt, habe ich nichts dagegen. - Die Unterschriften
habe ich nicht bekommen.
Eine zweite Anmerkung zu diesem 5-Milliarden-Euro-Paket. Die Bundesarbeitsministerin sitzt hier im
Raum. Ich rate jedem, der leichtfertig in die Bundesauftragsverwaltung gehen will, indem wir mehr als 50 Prozent der Kosten für die Unterkunft übernehmen, sich mit
ihr darüber zu unterhalten, was das für Folgen hat.
Die Kosten für die Unterkunft belaufen sich aktuell
auf 1,24 Milliarden Euro, der Umsatzsteueranteil liegt
bei 2,76 Milliarden Euro. Auch mir wäre eine andere Verteilung als über die Umsatzsteuer lieber. Aber ich muss
dann natürlich wissen, bevor ich eine solche Verteilung
vornehme: Muss ich dafür das Grundgesetz ändern?
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine triviale
Geschichte.
({6})
Letzte Bemerkung. Wir werden das 3,5-Milliarden-Euro-Programm noch debattieren müssen. Wir haben die Kosten für die Grundsicherung im Alter komplett
übernommen. Von den 3,5 Milliarden Euro für das kommunale Investitionsprogramm sind bis zum heutigen Tag
nicht einmal 50 Millionen Euro abgeflossen. Die Laufzeit ist um zwei Jahre verlängert. Die Laufzeit des Programms für Investitionen in Kindergärten in Höhe von
780 Millionen Euro haben wir um ein Jahr verlängert,
obwohl auch da der Abfluss sehr mangelhaft war, usw.
usf. Die pauschale Entlastung der Kommunen in den Jahren 2016, 2017 und 2018 beträgt 8,5 Milliarden Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man anfängt,
darüber zu reden, der Bund tue hier nichts und der Bund
tue da nichts, dann kann ich Ihnen sagen: Mit den 7 Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter und die
Kommunalentlastung hätte man Schwimmhallen, Schulen und Kindergärten sanieren können. Der Bund hat
noch nie so viel für Länder und Kommunen getan wie in
dieser Legislaturperiode.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Sevim Dağdelen
das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich möchte hier eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten meiner Fraktion zum Integrationskostenbeteiligungsgesetz abgeben. In der ersten Lesung
des Gesetzentwurfs sagte der Bundesfinanzminister, die
Bundesregierung habe vom ersten Moment an alles getan, um die Herausforderungen im Zusammenhang mit
den nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen zu
meistern. Diese Aufgabe habe oberste Priorität für die
Bundesregierung, und sie werde entsprechend finanziert.
Herr Innenminister de Maizière sagte, dass dies bisher
gut gelungen sei.
Ich muss für meine Fraktion sagen: Die Bundesregierung redet sich die Welt schön. Die Wahrheit ist nämlich:
Der Bund und auch ein Teil der Bundesländer haben sich
aus der Verantwortung gestohlen. Monatelang haben sie
über die Verteilung der Kosten gestritten und die Kommunen sich selbst überlassen. Die Kommunen haben sich
vielerorts nach Kräften um Lösungen bemüht und auch
bemühen müssen. Dass ihnen das halbwegs gelungen ist,
liegt gerade auch an den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern vor Ort. Deshalb gebührt ihnen an dieser
Stelle unser großer Dank.
({0})
Dass es nun eine Vereinbarung gibt, ist beileibe kein
Verdienst dieser Bundesregierung. Sie kommt, weil die
Kommunen und auch die Bundesländer Druck gemacht
haben. Doch was die Bundesregierung anbietet, ist der
Situation unseres Erachtens nicht angemessen. Zu Recht
nennt der Finanzminister des Landes Brandenburg,
Christian Görke, diesen Kompromiss lediglich eine Arbeitsgrundlage, welche noch ausgebaut werden muss.
({1})
Jetzt schlagen die Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen erneut Alarm. Mein Vorredner hat darauf hingewiesen. Die Städte an Rhein und Ruhr sind mit der Aufgabe,
Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren, vollkommen überfordert. So sagt beispielsweise der Vorsitzende des Städtetages Nordrhein-Westfalen, Pit Clausen - übrigens ein
SPD-Mitglied -: „Die besten Integrationspläne werden
Makulatur, wenn das Geld fehlt, sie zu verwirklichen.“
({2})
In Essen beispielsweise lebten Anfang 2015 rund
1 350 Syrer. Heute sind es mehr als 8 000. Der Oberbürgermeister der Stadt Essen, Thomas Kufen von der CDU,
sagt: „Essen allein hat mehr Flüchtlinge aufgenommen
als ganz Polen.“ Es liegt auf der Hand: Essen kann das
so nicht schaffen.
({3})
In einem Brandbrief warnen Kufen und die anderen Bürgermeister in NRW, die Kommunen seien nicht in der
Lage, für die notwendigen Investitionen in Kinderbetreuung, Schulen, für Sprachkurse und im Wohnungsbau aufzukommen. Die Integrationspauschale reicht nicht, und
sie kommt auch leider nicht immer vor Ort an.
So schafft man das nicht, meine Damen und Herren.
Deshalb glaube ich, dass der Bund sich auf Nachbesserungsforderungen der Länder einstellen muss, je früher,
desto besser.
({4})
Die Linksfraktion wird diese Forderungen auf jeden Fall
unterstützen. Wir fordern vom Bund, beispielsweise die
Hälfte der Integrationskosten pauschal zu übernehmen.
Das käme der Problematik, zu helfen, am nächsten.
({5})
Ich möchte noch einen letzten Punkt erwähnen. Das
Problem bei der Integration ist nicht nur die Finanzierung; ein Problem sind auch unsinnige Gesetze wie das
Integrationsgesetz, das am 1. August 2016 in Kraft getreten ist; einige Neuregelungen treten am 1. Januar in
Kraft. So wollen Sie beispielsweise mit diesem Integrationsgesetz eine neue Wohnsitzauflage für Flüchtlinge
umsetzen. Davon sind vor allem Menschen betroffen, die
vor längerem in ein anderes Bundesland gezogen sind,
wo sie Verwandte oder Freunde und ein soziales Netzwerk haben, und deren Kinder inzwischen in Schulen
und Kindergärten gehen. Sie besuchen Integrationskurse
und haben einen eigenen Wohnraum gefunden. Jetzt werden sie aber durch das von Ihnen verabschiedete Gesetz
gezwungen, in das Bundesland zurückzukehren, das ihnen für die Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen worden ist. Viele Familien nehmen das Gesetz als
chaotisch wahr. Erste Städte in Nordrhein-Westfalen beispielsweise rücken von diesem Gesetz ab. Dazu gehören
auch Städte, die von der SPD regiert werden. Mülheim
an der Ruhr zum Beispiel lehnt dieses Gesetz generell ab.
Gelsenkirchen will es nicht umsetzen, weil man meint,
das schaffe nur Chaos.
Also, meine Damen und Herren, es geht nicht nur um
die Finanzierung. Hören Sie auch auf, unsinnige Gesetze
wie das Integrationsgesetz mit der Wohnsitzauflage zu
verabschieden! Denn das fördert die Integration in unserem Land nicht, sondern es erschwert die Integration.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Weil einige Kollegen Zwischenfragen
stellen wollten: Es handelt sich hierbei um Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung. - Jetzt hat der Kollege Bernhard Daldrup das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will auch für meine Fraktion eine Erklärung abgeben. - Ich muss etwas ausholen, Herr Rehberg. Sie brauchen ja diese Feindbildnummer. Aber der Kämmerer von
Oberhausen, ein Sozialdemokrat, ist in der Frage der Bewältigung von Integrationsaufgaben genauso zuverlässig
wie der Oberbürgermeister von der CDU. Es hat gar keinen Sinn, dass Sie diese Leute beschimpfen.
({0})
- Ja, doch. Ich komme darauf zurück.
Wir beschließen zum heutigen Zeitpunkt im Bund
ein Gesetz - das ist das eigentlich Wichtige -, das die
Länder und Kommunen um round about 20 Milliarden
Euro entlastet. Dabei geht es um Punkte, die zum Teil
einen akuten Bedarf auslösen: dreimal 2 Milliarden Euro
zur Deckung der Integrationskosten, 2,6 Milliarden Euro
zur Deckung der Unterkunftskosten bei Flüchtlingen und
zusätzlich 1 Milliarde Euro für den Wohnungsbau. Das
alles sind gute und vernünftige Sachen. Vor allem treffen
wir eine Entscheidung - es ist wichtig, dass wir darüber
diskutieren und das noch einmal erklären -, die auf Dauer angelegt ist, nämlich die Entlastung der Kommunen
um 5 Milliarden Euro jährlich. Mit dieser Entscheidung
setzen wir ein wichtiges Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Wir können also gemeinsam feststellen: Wir
halten Wort.
({1})
Unser besonderes Augenmerk gilt dabei finanzschwachen Kommunen wie Oberhausen. Anders als der Bund
können sie ihre Situation kaum eigenständig ändern. Sie
brauchen den Bund.
({2})
- Darauf komme ich zurück. - Die Hilfen des Bundes
könnten vielleicht etwas günstiger ausfallen, wenn wir
eine strukturell auskömmlichere Kommunalfinanzierung
hätten. Das hat nicht nur etwas mit den Ländern zu tun.
Wir leisten sehr oft programmorientierte Hilfen, durch
die die Kommunen teilweise von dem entlastet werden,
was wir ihnen zuvor als Belastung in den Rucksack gepackt haben.
({3})
Das ist auch jetzt der Fall. Dann beschweren wir uns
über Umsetzungsdefizite. Man muss die gesamte Situation wahrnehmen. Bei dem Schritt hin zu einer besseren
strukturellen Finanzierung der Kommunen ist eine dauerhafte Unterstützung der Kommunen immens wichtig.
Mit anderen Worten: Wir machen seitens der Koalition
etwas Gutes, um die Investitionsmöglichkeiten und -fähigkeiten der Kommunen jedenfalls ein bisschen zu verstärken.
Wir haben den Schlüssel kritisiert. Wir haben gesagt,
dass die Verteilung der 5 Milliarden Euro nicht zielgenau
erfolgt; ich habe schon in der Vergangenheit darauf hingewiesen. In der Tat hätte es bessere Wege gegeben, unter anderem eine anteilige oder vollständige Übernahme
der KdU, wie es im sogenannten Scholz/Schäuble-Papier
steht.
({4})
Andere Vorschläge betrafen eine Bundesauftragsverwaltung oder eine Änderung des Grundgesetzes. Wir Sozialdemokraten wären viele Wege mitgegangen und hätten
dementsprechend entschieden. Aber leider konnten wir
uns mit Ihnen, unserem Koalitionspartner, nicht verständigen.
Gestern hat die Bundeskanzlerin gesagt, das Geld solle besser nach Bedürftigkeit als mit der Gießkanne verteilt werden. Sie hat recht. Aber warum entscheiden wir
es dann nicht anders?
({5})
Herr Rehberg, Sie sagen: Bringt mir die Unterschriften!
Weil nicht alle Länder einverstanden sind, machen wir
das nicht. - Welches Selbstbewusstsein als Parlamentarier haben wir eigentlich?
({6})
Der Bundestag ist genauso ein Verfassungsorgan wie der
Bundesrat. Aber die Ministerpräsidentenkonferenz ist es
nicht. Ich bin fest davon überzeugt - Thomas Oppermann
hat recht -: Wenn wir heute eine andere Entscheidung
treffen würden, dann würde sie vom Bundesrat akzeptiert, weil sonst die Länder Finanzierungsprobleme bekämen.
({7})
Viele stellen sich hierhin und sagen - Herr Rehberg
ist ein Musterbeispiel dafür -: Die Länder haben klebrige Finger. - Sie tun so, als ob die Länder keine Finanzierungsprobleme hätten. Wer so redet, muss aber auch
seine eigenen Entscheidungsspielräume nutzen. Es nutzt
nichts, nur den Mund zu spitzen. Man muss auch pfeifen,
Herr Rehberg, wenn es dazu eine Möglichkeit gibt. Diese
Möglichkeit hätte es gegeben.
({8})
Dieses alte Länder-Bashing zu betreiben, hilft uns nicht
weiter.
Nordrhein-Westfalen hat längst beschlossen, die kommunale Finanzmasse um die anteiligen Mittel des Bundes
zu verstärken. Diese Mittel hat das schwarz-grüne Hessen schon früher kassiert. Das macht das grün-schwarze Baden-Württemberg zum gegenwärtigen Zeitpunkt
ebenfalls. Hier muss man etwas genauer hinschauen.
Vorsicht an der Bahnsteigkante!
({9})
Wenn der Bundestag nur so entscheidet, wie die MPK es
vorgibt, dann können wir es lassen. Unser Maßstab war
Hilfe nach Bedürftigkeit und nicht das Wunschkonzert
der Länder.
({10})
Die Länder haben von den 5 Milliarden Euro 1 Milliarde
Euro für sich beansprucht und wollen sie den Kommunen
geben. Allerdings sage ich in Richtung der Länder: Wer
das Recht haben will, hat auch die Pflicht. Wir werden
nachprüfen, wo die Milliarde landet. Am besten machen
wir Sie, Herr Rehberg, zum Beauftragten dafür, und zwar
in Hessen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern.
({11})
- Ja, auch in Nordrhein-Westfalen.
Apropos Pflichten. Nicht alle Länder geben die Integrationspauschale vollumfänglich weiter. Bayern zum
Beispiel will die Mittel nicht an die Kommunen weitergeben. Ich kann auch andere Länder nennen.
({12})
- Es gefällt Ihnen nicht, wenn Sie eine Antwort auf Ihr
klassisches NRW-Bashing bekommen. Aber dieses Bashing lassen wir uns nicht bieten. Merken Sie sich das!
({13})
In allen Ländern leisten die Kommunen Integrationsarbeit. Deshalb ist es richtig, zu fordern, dass die KomBernhard Daldrup
munen seitens der Länder an der Integrationspauschale
beteiligt werden.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen, Kollege
Daldrup.
Ja, sofort. - Ich will trotz aller kritischen Bemerkungen feststellen, dass wir hier gemeinsam ein gutes Gesetz
auf den Weg bringen, das für eine wichtige und dauerhafte Entlastung sorgt, auch wenn wir im Detail unterschiedlicher Auffassung sind.
Wir Sozialdemokraten wollen gleichwertige Lebensbedingungen durch mehr Chancengleichheit, durch mehr
Teilnahme und Teilhabe der Bevölkerung in allen Teilen
des Landes.
({0})
Darauf hat auch Sigmar Gabriel heute hingewiesen. Deswegen werden wir diesem Gesetz selbstverständlich trotz
der Mängel zustimmen.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Als Letzte hat jetzt die Kollegin Britta
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Da einige vorhin fragten: Warum jetzt mit
Aussprache? - Ich meine, dass die Aussprache in der Tat
bisher deutlich gemacht hat, warum es zwingend notwendig ist, dass dazu zwei oder drei Sätze verloren werden.
({0})
Ich fand es ein bisschen schade, dass zuerst nur wir
darauf drängen mussten, dass das stattfindet; denn es ist
ein Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung, der natürlich für die Länder, für die Kommunen und für uns
alle von ganz großer Bedeutung ist, da er zwei Elemente
beinhaltet: die Frage der Entlastung der Kommunen insgesamt und die Frage der Leistungen des Bundes für die
Beteiligung an den Kosten der Integration. Es ist ganz
zentral, dass der Bund hier seine Verantwortung gegenüber den Ländern und Kommunen übernimmt.
({1})
Ich will heute deutlich machen, warum ich trotz erheblicher Bedenken, was die Frage des Verteilungsschlüssels
angeht - die sind massiv, und die sind in diesem Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, nicht gut geregelt -, dennoch
meiner Fraktion die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen habe und wir deshalb heute auch
in zweiter und dritter Lesung zustimmen. Es ist einfach
überfällig. Schon im Jahr 2012 haben sich Bund und
Länder darauf verständigt, bei der Verabschiedung des
Fiskalpaktes zu sagen: Wir wollen alle gemeinsam dafür
sorgen, dass die Kommunen um 5 Milliarden Euro über so sagten wir damals noch - die Eingliederungshilfe entlastet werden. Daraus wurde bis heute faktisch nichts.
Das muss man deutlich sagen. Diese Vereinbarung halten
Sie mit diesem Gesetzentwurf auch nicht ein.
Zum einen redet niemand mehr über die notwendige
Entlastung durch den Bund bei der Eingliederungshilfe,
({2})
sondern wir reden nur noch über das Bundesteilhabegesetz - ohne Finanzierungsfragen vonseiten des Bundes.
Zum anderen reden wir hier inzwischen nicht mehr über
5 Milliarden Euro für die kommunale Ebene, sondern
plötzlich nur noch über 4 Milliarden Euro. Das ist ein
Punkt, bei dem - das haben wir doch so vereinbart - dieses Parlament ein Wörtchen mitzureden hat.
({3})
Da kann man doch nicht einfach sagen: Das haben die
Ministerpräsidentinnen und -präsidenten auf der MPK
mit der Kanzlerin nun einmal so verhandelt. - Klammheimlich werden jetzt aus den 5 Milliarden Euro nur
noch 4 Milliarden Euro für die Kommunen. Das halte ich
für falsch, dafür gibt es keine sachliche Begründung.
({4})
Das war so vereinbart, und das halten wir an dieser Stelle
nicht ein.
Zweiter Punkt: Gestern in der Generaldebatte zum
Bundeshaushalt hat die Bundeskanzlerin selbst in Bezug
auf die kommunale Ebene noch gefragt, Herr Rehberg:
Wie können wir eigentlich punktgenau helfen? - Jeder
und jede von uns, der oder die hier sitzt und sich mit dem
Thema kommunale Entlastung und Weitergabe von Bundesmitteln an die Kommunen befasst, weiß ganz genau,
dass Ihr Verteilschlüssel keine punktgenaue Hilfe ist;
({5})
denn für die finanzschwachen Kommunen findet mit Ihrem Verteilschlüssel weniger Entlastung statt als für die
finanzstarken Kommunen. Wie wollen Sie den finanzschwachen Kommunen denn diesen Finanzschlüssel erklären?
({6})
Wir haben nach dem Verteilungsschlüssel, den Sie
hier vorschlagen, die Situation, dass Frankfurt am
Main - ich nenne nur ein paar Beispiele, wir könnten
auch viele andere Städte erwähnen - mit 127 Euro pro
Einwohnerin und Einwohner entlastet wird. Düsseldorf
wird mit 102 Euro pro Einwohnerin und Einwohner entlastet, während zum Beispiel strukturschwache Städte
wie Gelsenkirchen oder Herne mit 75 oder 62 Euro entlastet werden. Wo sind denn da punktgenaue Hilfen, Herr
Rehberg? Wo ist das denn?
({7})
- Doch, das stimmt; denn Sie legen ja viel mehr Wert
auf den Umsatzsteueranteil als auf den Kosten-der-Unterkunft-Anteil. Deshalb ist es genau so, wie ich sage.
Wir können das auf alle anderen Städte und Gemeinden beziehen. Die Städte und Gemeinden, die es wirklich
nötig hätten, die strukturschwach sind, in denen Arbeitslosigkeit herrscht, die besondere Strukturhärten und hohe
Kosten der Unterkunft haben, werden weniger entlastet
als diejenigen, die gewerbesteuer- und einkommensteuerstark sind. Das ist Fakt, und das ist ein Fehler in diesem
Gesetz und im Verteilschlüssel.
({8})
Da nützen auch alle Appelle der Kanzlerin, dass wir kein
Gießkannenprinzip wollen, nichts; denn faktisch setzen
Sie das im Verteilschlüssel um.
Dennoch wird meine Fraktion heute zustimmen; denn
es geht um eine Entlastung der kommunalen Ebene.
({9})
Deshalb haben wir gesagt: Es ist wichtig, dass der Bund
seine Verantwortung übernimmt, sowohl bei den Kosten
der Integration als auch bei der Entlastung der Kommunen, auch wenn der Verteilschlüssel falsch ist und
es mich ärgert, dass wir als Parlament nicht so selbstbewusst waren, die Auseinandersetzung mit der Ministerpräsidentenkonferenz zu suchen. Die kommunalen
Spitzenverbände werden sich jetzt im Hinblick auf den
Verteilschlüssel an die Länder wenden müssen.
({10})
Vielen Dank. - Damit kommen wir zur Abstimmung.
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10397, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9980 und
18/10264 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10398. Wer stimmt dafür? - Die Grünen
und die Linken. Wer stimmt dagegen? - SPD und CDU/
CSU. Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte V d bis j auf. Wir
kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt V d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 375 zu Petitionen
Drucksache 18/10266
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 375 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt V e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 376 zu Petitionen
Drucksache 18/10267
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 376 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt V f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 377 zu Petitionen
Drucksache 18/10268
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 377 ist bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt V g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 378 zu Petitionen
Drucksache 18/10269
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 378 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt V h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 379 zu Petitionen
Drucksache 18/10270
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 379 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt V i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 380 zu Petitionen
Drucksache 18/10271
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 380 ist gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt V j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 381 zu Petitionen
Drucksache 18/10272
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 381 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:
Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wahl der Mitglieder des Nationalen Begleitgremiums gemäß § 8 Absatz 3 des Standortauswahlgesetzes
Drucksache 18/10377
Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10377 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.
Wir können die Haushaltsberatungen fortsetzen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Drucksachen 18/9811, 18/9824
Berichterstatter zu diesem Einzelplan sind die Abgeordneten Ekin Deligöz, Axel E. Fischer, Ewald Schurer
und Dr. Gesine Lötzsch.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen.
Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Gesine Lötzsch,
Fraktion Die Linke.
({7})
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, Frau Ministerin Nahles,
haben gerade in den Medien davor gewarnt, unhaltbare
Rentenversprechungen zu machen, und Sie haben schon
einmal kräftig in Richtung Linke ausgeteilt.
({0})
dpa zitiert Sie:
Das kann sich nur die Linkspartei leisten, die sich
einen feuchten Kehricht darum kümmert, was es
kostet.
({1})
- Gut, dass Sie dazu klatschen. - Ich sage Ihnen, Frau
Nahles: Das ist eine grandiose Fehleinschätzung. Wir
Linke haben ein durchgerechnetes Rentenkonzept.
({2})
Außerdem müssen wir noch einmal betonen: Die Grundlage für eine gute Rente sind gute Löhne.
({3})
Sorgen wir endlich gemeinsam dafür, dass die Menschen
nicht mehr in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen
werden.
Die Kanzlerin hat in den vergangenen Wahlkämpfen
den Ostdeutschen immer wieder gerechte Renten versprochen. Auch dieses Rentenversprechen ist gebrochen
worden, und das ist nicht hinnehmbar.
({4})
Im Jahr 2013 hat der Spitzenkandidat der SPD, Herr
Steinbrück - er ist damals gescheitert -, die Angleichung
der Ostrenten an das Westniveau versprochen. Es wäre
Ihre Aufgabe gewesen, Frau Nahles, dieses Versprechen
endlich umzusetzen.
({5})
Schon über ein Vierteljahrhundert werden die Menschen
im Osten hingehalten. Ich kann Ihnen sagen, wie sie das
empfinden: Die Menschen empfinden das als permanenten Wahlbetrug, und das sollte sich hier niemand leisten.
({6})
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein solidarisches Netz, das vor Altersarmut schützt. Deshalb sagt die
Linke: Wir brauchen eine solidarische Mindestrente von
1 050 Euro im Monat. Das wäre der richtige Weg. Stimmen Sie zu. Beschließen wir gemeinsam die solidarische
Mindestrente.
({7})
Wir müssen zuerst das Rentenniveau stabilisieren und es
danach wieder auf lebensstandardsichernde 53 Prozent
anheben.
({8})
- Zur Finanzierung will ich Ihnen noch Folgendes sagen:
Eine solidarische Rente gibt es nur, wenn wir endlich
auch den Reichtum in unserem Land anfassen.
({9})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Diese Erkenntnis hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor der Bundestagswahl 2013; aber danach haben
Sie sie nicht umgesetzt. Frau Nahles, für Ihre Vergesslichkeit können Sie die Linke nicht kritisieren.
({10})
Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Aufgaben, und lassen
Sie bitte unfaire Unterstellungen.
({11})
Eigentlich hatten Sie angekündigt, noch vor Ende der
Haushaltsberatungen, Ihre Rentenvorschläge auf den
Tisch zu legen. Ich glaube, es ist Taktik, dass das verschoben wurde; denn andernfalls hätten wir diese Vorschläge hier besser, konkreter und auf den Haushalt bezogen diskutieren können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung betont gern - das werden wir gleich wieder hören -, wie
viel Geld im Bereich Arbeit und Soziales ausgegeben
wird. Machen wir einmal ein Gedankenexperiment.
Schauen wir uns einmal den Haushalt Ihres Ministeriums
ohne den Rentenzuschuss an, und vergleichen wir dann
das, was übrig bleibt, mit dem Rüstungshaushalt.
({12})
- Man muss ja im Zusammenhang denken. Das ist unsere
Aufgabe als Politikerinnen und Politiker: sich nicht nur
mit Einzelfragen zu beschäftigen.
({13})
Der Etat des Verteidigungsministeriums umfasst
37 Milliarden Euro. Das ist wirklich ein Ausgabenrekord. Damit ist es der zweitgrößte Haushalt aller Ministerien. Wenn wir, wie gesagt, den Rentenzuschuss
he rausrechnen, ist im Haushalt von Arbeit und Soziales
nur noch wenig mehr drin. Der Höhepunkt war für mich
in der Schlussrunde, in der Bereinigungssitzung, dass im
Bereich Arbeit und Soziales noch einmal um 1 Milliarde
Euro gekürzt wurde, während bei Frau von der Leyen für
die Bundeswehr 1,5 Milliarden Euro draufgelegt wurden.
Das ist eine völlige Fehlgewichtung. Das ist die Höhe.
Das können wir nicht hinnehmen.
({14})
In einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung haben die Autoren festgestellt - ich zitiere mit Erlaubnis
der Präsidentin -:
Wir waren überrascht, dass trotz steigender Beschäftigung in Europa das Armutsrisiko, auch in
Deutschland, nicht geringer wird.
Meine Damen und Herren, wir alle müssen uns doch
ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, warum Ihre
Politik trotz Wachstums eben nicht das Armutsrisiko verringert. Das hängt doch mit prekären Arbeitsverhältnissen zusammen, mit zu niedrigen Löhnen und damit, dass
die Menschen nicht planen können. Gerade junge Menschen stolpern von einem Minijob oder Praktikum in das
andere. Damit muss endlich Schluss sein. Die Menschen
müssen ihr Leben wieder planen können.
({15})
Abschließend: Wir haben im Rahmen der Haushaltsdebatte auch über die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes gesprochen. Völlig klar ist: Dieser Satz ist zu niedrig.
({16})
Die Linke fordert in einem ersten Schritt, den Betrag auf
560 Euro anzuheben.
({17})
Das Zweite, was uns ungeheuer wichtig ist: Es muss
endlich Schluss mit den Sanktionen für Arbeitslose sein.
Die Sanktionen, die immer noch ausgeübt werden, widersprechen unserem Menschenbild.
({18})
Hartz IV ist das Mindestniveau. Wer vom Mindestniveau
noch etwas heruntersanktioniert, der handelt gegen das
Grundgesetz. Darum sind wir der Auffassung: Die Sanktionen verstoßen gegen das Grundgesetz. Hier müssen
wir endlich wieder grundgesetzkonform handeln.
({19})
Sie erinnern sich vielleicht, Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, dass der damalige Minister Müntefering im
Januar 2010 während Ihrer Fraktionssitzung gesagt hat:
Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. - Die Aufregung
in Ihrer Fraktion war damals groß.
({20})
Diese Aufregung sollte nicht nur verbal sein. Setzen Sie
es endlich um! Machen Sie Schluss mit der Sanktionspraxis!
Vielen Dank.
({21})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesministerin Andrea Nahles das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
puncto Arbeitsmarkt stehen wir in Deutschland hervorragend da. Die Beschäftigung ist auf Rekordniveau. Nie in
den letzten 25 Jahren war die Arbeitslosigkeit so niedrig.
Die soziale Sicherung ist für dieses und auch das nächste
Jahrzehnt fest und verlässlich aufgestellt.
({0})
- Ich muss sagen: Dass Sie schon das Ansehen der Wahrheit aufregt, sollte Ihnen zu denken geben. Sie haben offensichtlich ein schräges Bild von unserem Land.
({1})
Denn ich habe hier nichts als die Wahrheit gesagt. Das
heißt ja nicht, dass wir nichts zu tun hätten. Wir ruhen
uns darauf nicht aus; das ist nicht unser Selbstverständnis. Wir gehen die Zukunftsaufgaben an, damit wir auch
weiter in Wohlstand und sozialem Frieden leben, damit
in Zukunft alle - ich betone: alle, auch die, die jetzt noch
nicht die Chance dazu haben - am Arbeitsmarkt teilhaben können. Das ist das Herzstück des Haushalts, den wir
heute vorlegen, sein Charakter. Mit rund 138 Milliarden
Euro setzen wir einen erheblichen Teil des Gesamthaushalts dafür ein, das Leben der Menschen zu verbessern.
Es ist geradezu ein Witz, wenn Sie, Frau Lötzsch, einfach mal den Rentenzuschuss herausrechnen. Sollen wir
den jetzt ein Jahr lang nicht auszahlen, oder was meinen
Sie?
({2})
Das ist doch ein ganz wesentlicher Punkt des Haushalts,
der die soziale Sicherheit in diesem Land gewährleistet.
Deswegen ist es gut, dass wir so viel Geld in die Hand
nehmen. Das sorgt gerade bei den Kernversprechen des
Sozialstaates, nämlich bei der Rente und bei der Integration derjenigen, die zurzeit noch nicht die volle Teilhabe
genießen können, für Verlässlichkeit.
Es ist uns gelungen, gerade die Mittel, die wir für das
Programm „Soziale Teilhabe“ ausgeben, das gezielt für
die besonders Benachteiligten am deutschen Arbeitsmarkt eingesetzt wird, noch einmal massiv aufzustocken.
Darüber freue ich mich ganz persönlich. Das wird vielen
Menschen eine echte Chance geben.
({3})
Mehr und bessere Arbeit, das ist unser Ziel. Die Digitalisierung bietet uns auch Chancen dazu. Das ist für
mich die eigentliche Zukunftsaufgabe, auch im Hinblick
auf die Rente. Da, wo die Wirtschaft Arbeit schafft, wo
die guten Löhne entstehen müssen, damit wir am Ende
auch gute Renten auszahlen können, spielt jetzt eine
Menge Musik, die wir in Dur begleiten müssen und nicht
in Moll.
Ich sage Ihnen ganz klar: Das Weißbuch „Arbeiten 4.0“, das ich in der nächsten Woche vorlegen werde,
nach einem langen Dialogprozess, der mit dem Grünbuch begonnen hat, in dem wir viele Fragen gestellt haben, wird vielleicht wegweisende Antworten darauf geben. Eine der wegweisenden Antworten ist, massiv in die
Qualifizierung und die Weiterbildung der Menschen in
diesem Land zu investieren.
Es ist gut, dass es uns gelungen ist, Frau Wanka und
mir, durch die Bildungsketten genau an dieser Stelle,
auch in den Schulen schon für eine ordentliche Berufsorientierung zu sorgen. Darauf müssen wir weiter aufbauen. Wir brauchen eine umfassende Weiterbildungsstrategie für dieses Land, um den Transformationsprozess
„Arbeiten 4.0“ erfolgreich zu gestalten.
({4})
Das zweite große Thema, das sich in diesem Dialogprozess zu „Arbeiten 4.0“ herauskristallisiert hat, ist die
Arbeitszeit. Wie kommen wir da eigentlich zu Arrangements, die einerseits die Flexibilisierungsbedürfnisse in
den Unternehmen, die vorhanden sind, die in der globalisierten arbeitsteiligen Welt auch erwartbar sind, mit mehr
selbstbestimmter Zeit für die Beschäftigten andererseits
verbinden? Die Beschäftigten haben nämlich auch andere
Arbeitszeitwünsche als in der Vergangenheit. Das erkennen wir insbesondere, wenn wir uns angucken, wie die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Familien im
Alltag gemanagt wird. Deswegen - das will ich an dieser
Stelle klar sagen - brauchen wir mehr selbstbestimmte
Zeit, brauchen wir auch das Gesetz zur Rückkehr aus
Teilzeit in Vollzeit; das werde ich hier in Kürze vorlegen.
({5})
Wir wollen gemeinsam gesellschaftliche Anstrengungen für mehr Weiterbildung unternehmen; das ist gar keine Frage. Übrigens: Da machen wir schon vieles. Man
wundert sich manchmal, dass es kaum Beachtung findet.
Das AWStG - so hieß das Gesetz in schönster Abkürzung - haben wir hier mal eben so durchgeschoben. Es
gibt jetzt eine Weiterbildungsprämie. Da haben wir eine
sehr wichtige Sache miteinander verabredet, nämlich
dass die Bundesagentur jetzt auch fördern kann, wenn
die berufliche Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit
erfolgt. Das war für den Mittelstand eine ganz wichtige
Verabredung. Sie sehen also: Wir kündigen nicht nur für
die Zukunft an; wir haben hier auch schon einiges beschlossen. Darüber freue ich mich.
({6})
Hinzu kommt: Was die Zukunft der Arbeit angeht, haben wir wahrscheinlich mit mehr Formen selbstständiger
Arbeit zu tun, mit neuen Formen, die durch die Plattformisierung der Ökonomie entstehen, die die Konsumenten
nutzen; darüber kann man klagen, wie man will. Airbnb
ist auch in Deutschland eine Erfolgsgeschichte, Helpling
und andere ebenso. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Ob wir das alles gut oder schlecht finden, ist erst
die zweite Frage.
Es wird genutzt. Das bedeutet: Viele Arbeitnehmer
müssen in dieser Form ihr Einkommen erzielen. Da gibt
es Schutzlücken; das sage ich ganz klar. Wir brauchen
deswegen für Selbstständige Zugänge zu einer anständigen Altersversorgung. Das werden wir auch vorschlagen.
Da gibt es für mich noch eine Menge zu tun. Ich wäre
froh, wenn wir an dieser Stelle in der Koalition noch gemeinsam etwas anpacken könnten.
({7})
Die Integration der Flüchtlinge wird in diesem Haushalt natürlich in zentraler Weise abgebildet. Wir haben
ganz klar darauf gesetzt, dass wir den Spracherwerb verbessern und dass die Angebote, die Kapazitäten für die
Sprachkurse nach oben gefahren werden. Das ist eine
gemeinsame Anstrengung des BMI, das für die Integrationskurse zuständig ist, und des BMAS, das für die berufsbezogenen Sprachkurse zuständig ist. Das baut aufeinander auf. Ich will sagen: Wir sind hier schon enorm
vorangekommen, aber wir sind noch nicht ganz am Ziel.
Wir bauen weiter Kapazitäten auf. Es lohnt sich.
Es gibt zum ersten Mal seit langem eine valide Untersuchung des IAB. Die hat uns Fachleuten Hoffnung gemacht. Die Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass viele,
die zu uns gekommen sind, keinen formalen Abschluss,
wie wir ihn hier gewohnt sind, aber Berufserfahrung haben. Hier können wir aufsetzen. Das tun wir auch. Es gibt
zum Zweiten auch ganz viele junge Menschen, für die es
sich allemal lohnt, eine Tür aufzustoßen, um hier eine
ordentliche Ausbildung zu machen. Mit diesem Haushalt
stellen wir die nötigen Mittel zur Verfügung. Das ist eine
ganz wichtige Integrationsanstrengung, die in den nächsten Jahren vor uns liegt.
Es sei gesagt: Gemeinsam können wir das schultern,
aber es ist nicht im Sprint zu schaffen. Deswegen werden
auch die Passivleistungen in diesem Haushalt angehoben
werden müssen; denn wir müssen die Leute unterstützen.
Aber es ist eine Erkenntnis, dass wir wissen: Wir schaffen es, aber es dauert. Das ist ganz simpel. Das müssen
wir ehrlich sagen. Es ist eine Anstrengung, die vor uns
liegt. Aber ich mache mir, seitdem ich die Ergebnisse
vom IAB gehört habe, große Hoffnung, dass uns das erfolgreich gelingen wird.
({8})
Wenn ich „uns“ sage, dann lassen Sie mich sagen:
Damit ist nicht nur die politische Seite gemeint, sondern
damit sind auch die Unternehmen, die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern, diejenigen,
die vor Ort ehrenamtliche Patenschaften übernommen
haben, und viele Sozialverbände, die sich kümmern, gemeint. Wir alle sehen, dass das nur gemeinsam zu schaffen ist.
In der nächsten Woche beraten wir das BTHG. Das
ist ein großer Schritt hin zu mehr Teilhabe für Menschen
mit Behinderung. An dieser Stelle ist auch zu diskutieren - hier müssen Sie sich keine Sorgen machen -, dass
wir die parlamentarischen Wünsche, die noch in Arbeit
sind, finanziell absichern müssen. Das ist ganz klar, das
werden wir auch tun.
Schließlich ist die Rentenpolitik ein großes Thema.
Morgen werde ich mein Gesamtkonzept vorstellen. Ich
möchte Ihnen an dieser Stelle nur sagen: Wir brauchen
aus meiner Sicht Verlässlichkeit. Wir müssen etwas gegen Altersarmut tun. Wir müssen vor allem aber auch
Verlässlichkeit bei den Beiträgen schaffen. Das ist genauso wichtig. Wir müssen auch Verlässlichkeit beim Sicherungsniveau schaffen. Das ist für alle wichtig. Deshalb
spreche ich von einer doppelten Haltelinie und werde an
dieser Stelle ganz konkrete Vorschläge unterbreiten, die
wir dann selbstverständlich im parlamentarischen Raum
diskutieren werden.
Sie sehen also, diese Bundesregierung legt mit diesem
Haushalt gerade im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eine wesentliche Grundlage für eine verlässliche Sozialpolitik, für eine gute Integration der Menschen
und vor allem für die Zukunft der Arbeit. Das ist für mich
der Dreh- und Angelpunkt, damit wir eine ausgesprochen
gute Arbeitsmarktlage, die wir jetzt haben, auch in Zukunft ermöglichen können. Daran machen sich dann auch
verteilungspolitische Wünsche, die wir haben, fest. Das
eine hängt mit dem anderen zusammen. Deswegen bin
ich auch froh, anders als es bei vielen anderen Ländern
der Welt ist, in denen es einen Arbeits- und einen Sozialminister gibt, dass ich das bei all den Schwierigkeiten in
Kombination sein darf. Das passt und gehört zusammen.
Mit diesem Haushalt legen wir für die Zukunft einen guten Grundstein.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Nächster Redner für Bündnis 90/Die
Grünen ist Markus Kurth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Nahles, ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie angesichts einer guten Beschäftigungslage das betonen und ein Stück weit für sich vereinnahmen, obwohl man trefflich darüber streiten kann,
ob die gute Beschäftigungslage trotz oder wegen Ihrer
Politik da ist.
({0})
Ich finde es problematisch, wenn man einfach so tut,
als ob die Zahl der arbeitenden Armen nicht angestiegen
sei, was sie nämlich ist, als ob trotz der guten Beschäftigungslage die Zahl der Langzeitarbeitslosen und die Zahl
von armen Kindern nicht auf einem erschreckend hohen
Niveau verbleiben. Wenn man das nicht sieht und es einfach ausblendet, weil man sich an guten Zahlen berauschen möchte, dann trägt man leider einen Gutteil dazu
bei, dass viele Menschen in diesem Land der Auffassung
sind, die Politik nehme Probleme nicht wahr, und das
sollten wir vermeiden.
({1})
Dann nimmt man auch Handlungsnotwendigkeiten und
auch Chancen nicht wahr. Das ist der Grund, warum wir
hier von einem Haushalt der verpassten Chancen sprechen müssen.
({2})
Wann, wenn nicht jetzt, wäre zum Beispiel die Zeit,
um massiv gegen Langzeitarbeitslosigkeit vorzugehen?
Die Konjunktur ist gut, die Steuereinnahmen sind nicht
gerade schlecht, der Arbeitsmarkt einigermaßen aufnahmefähig. Warum wird nicht einmal im Rahmen eines
Modellprojekts der Versuch unternommen, das Arbeitslosengeld in einen Arbeitskostenzuschuss umzuwandeln
und den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer für besonders schwer vermittelbare Arbeitslose zu fördern? Wann,
wenn nicht jetzt, wäre die Zeit, um so etwas wenigstens
mal auszuprobieren ({3})
in den Regionen, die besonders betroffen sind?
Meine Damen und Herren, das Ende der Wahlperiode
ist so langsam absehbar, und mit diesem Haushalt ist klar,
dass auch diese Legislaturperiode als eine der verpassten
Chancen in die Geschichte eingehen wird. Abgesehen
von einer Ausnahme, der Einführung des gesetzlichen
Mindestlohns, bleibt von der Großen Koalition der Jahre 2013 bis 2017 inhaltlich nichts,
({4})
was diese Zeit überdauern und die nächsten Jahre prägen
wird.
({5})
Das Einzige, was diese Zeit - leider - überdauern wird,
sind die dicken Kostenverpflichtungen aus dem Rentenpaket, das die Koalition zu Anfang geschnürt hat: 10 Milliarden Euro pro Jahr, die noch dem nächsten und überübernächsten Bundestag Kopfschmerzen bereiten werden.
Ansonsten bringen Sie von Union und SPD keine
Strukturentwicklung in sozialpolitischer Hinsicht wirklich voran. Die Regierungsfraktionen haben leider in
etwa die Dynamik einer Herde satter Wasserbüffel: Bräsig stehen Sie im Brackwasser Ihrer unambitionierten
Vorhaben.
({6})
Dabei wäre jetzt die Zeit der Chancen.
({7})
Verpasste Chancen gibt es auch in der Rentenpolitik.
Jetzt wäre die Zeit, um ein wichtiges Sicherungsversprechen der Rentenversicherung zu erneuern. Wir Grüne haben es vor zehn Tagen in einem Parteitagsbeschluss formuliert: Wer über Jahrzehnte gearbeitet, Kinder erzogen,
Eltern gepflegt hat, soll im Alter eine Rente erhalten, die
vor Armut schützt. - Wir nennen es Garantierente.
({8})
Und wir sagen auch: Wer es in Jahrzehnten trotz kleiner
Verdienste und Erwerbsunterbrechungen geschafft hat,
privat etwas fürs Alter zurückzulegen, zum Beispiel über
einen Riester-Vertrag oder eine Betriebsrente mit Eigenbeteiligung, soll diese Sparleistung im Alter auch behalten dürfen.
({9})
Und das geht mit unserem Modell der Garantierente, weil
diese keine nachrangige Sozialhilfeleistung darstellt,
sondern eine echte Rente, die durch Mitgliedschaft in der
Rentenversicherung entstanden ist. Das ist für uns eine
zentrale Frage der Gerechtigkeit.
Was macht diese Regierung? Nichts. Im Gegenteil:
Sie gibt sogar ein Vorhaben auf, das wenigstens dem Anspruch nach die Zielsetzung gehabt hätte, den beschriebenen jahrzehntelang Arbeitenden, die dann trotzdem in
die Grundsicherung fallen, unter die Arme zu greifen:
Ihre solidarische Lebensleistungsrente.
({10})
- Na ja, Sie von der Koalition haben sie immer hervorgezogen, um denen, die trotz eines langen Arbeitslebens
nur Grundsicherung erhalten, das künftige soziale Ruhekissen zu zeigen. Dabei wissen Sie selbst, dass die
Lebensleistungsrente unrealistisch hohe Zugangsvoraussetzungen hat, dass sie in Wirklichkeit den Charme
einer verschimmelten Matratze hat und nicht den eines
Ruhekissens.
({11})
Darum kann man ja auch froh sein, dass Sie sie jetzt entsorgt haben.
({12})
Ich glaube nicht, dass Sie in dieser Legislaturperiode
noch etwas Belastbares vorlegen - außer Versprechungen
für die nächste Legislaturperiode.
Leider muss ich jetzt zum Schluss kommen; meine
Redezeit steht in keinem Verhältnis zur Zahl der verpassten Chancen dieser Koalition, über die ich noch reden
müsste.
({13})
Wir können nur hoffen, dass nach der nächsten Bundestagswahl weniger träge Büffel hier sind und mehr Platz
für die schnelle grüne Gazelle bleibt.
Danke.
({14})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Axel E. Fischer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Kompliment! Kompliment an
die Bundesregierung für diesen Haushaltsentwurf für den
Bundeshaushalt 2017, der in guter Zusammenarbeit der
verschiedenen Ministerien, vor allem unter Führung des
Finanzministeriums, zusammengestellt wurde. Kompliment aber auch an das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales für eine gute Zusammenarbeit bei der Erstellung
des Entwurfs des Einzelplanes 11 zum Thema Arbeit und
Soziales. In der Haushaltsberatung hat sich für uns da gar
kein so großer Änderungsbedarf ergeben; denn wir konnten schon im Vorfeld in einer guten Zusammenarbeit
mit den Arbeitsgruppen Arbeit und Soziales der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion die Dinge vorbereiten. Jetzt werden wir den vorliegenden Haushaltsentwurf
der Bundesregierung noch ein bisschen besser machen.
Der Entwurf, über den wir heute diskutieren, zeigt
deutlich die Früchte der von der Großen Koalition eingeleiteten Modernisierung am Arbeitsmarkt und im
Bereich sozialer Sicherung. Er ist zukunftsgerichtet, er
zeigt Wege zur besseren Teilhabe behinderter Menschen
sowie zur Bewältigung des durch die Flüchtlingsströme
einhergehenden Integrationsbedarfs auf. Zugleich ist er
ein weiterer Schritt zur Fortsetzung des Konsolidierungspfades, den Finanzminister Schäuble nach überwundener
Wirtschafts- und Finanzkrise eingeleitet und vor allem
durchgehalten hat; und das war nicht einfach. Deshalb
richte ich meinen Glückwunsch auch an Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble.
Ein paar Zahlen müssen sein, das gehört einfach mit
dazu. Der Sollansatz für den Einzelplan 11 für das kommende Jahr lag bei den Ausgaben bei 138,6 Milliarden
Euro. Wir sind in der Einzelplanberatung auf 137,6 Milliarden Euro gekommen. Das sind 42 Prozent der gesamten Ausgaben des Bundes im kommenden Jahr. Diese
Mittel, meine Damen und Herren, sollen für Hartz IV, für
die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, für die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und
Verpflegung, für Zuschüsse zur Rentenversicherung, für
die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
sowie für die Förderung der Inklusion von Menschen mit
Behinderungen im kommenden Jahr ausgegeben werden.
Aus dem parlamentarischen Verfahren ergibt sich damit gegenüber dem Regierungsentwurf eine Absenkung
um rund 1 Milliarde Euro. Das ist unser Beitrag für einen ausgeglichenen Bundeshaushalt, für eine verantwortungsvolle Ausgabenpolitik ohne Neuverschuldung,
mit der wir finanzielle Lasten heute ausgleichen und sie
eben nicht einseitig auf den jüngeren Bevölkerungsteil
und deren Nachkommen abwälzen. Dass dies möglich
geworden ist, liegt vor allem an zwei Faktoren: Einerseits brummt der Arbeitsmarkt - Kollege Mattfeldt hat
darauf bereits hingewiesen -, und andererseits verursachen die Flüchtlinge deutlich weniger Kosten als bislang
angenommen.
Zum Arbeitsmarkt. Auch dank der guten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre und natürlich - auch das
muss man offen ansprechen - des freundlichen Zinsumfelds ist die Zahl der Erwerbstätigen auf das Rekordniveau von knapp 44 Millionen gestiegen. Allein in den
vergangenen drei Jahren stieg die Zahl der Erwerbstätigen um weit über 1 Million Menschen, von 42,5 Millionen im September 2013 auf nunmehr 43,7 Millionen.
Und der Ausblick auf die weitere Entwicklung am Arbeitsmarkt
({0})
ist weiterhin gut. Nach den aktuellen Erwartungen der
Bundesregierung aus der Herbstprojektion wird die Zahl
der Erwerbstätigen im Jahr 2017 bis auf 44 Millionen
Menschen ansteigen. Das ist doch etwas!
Die positive Entwicklung resultiert aber allein aus
dem Anstieg der Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten, die in den letzten Jahren um 1,6 Millionen
angewachsen ist. Dies kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden; denn nur allzu oft höre ich - auch
hier im Hause, so vorhin schon mehrfach - ungerechtfertigte Klagen über vermeintliche Fehlentwicklungen
am Arbeitsmarkt. Diese sind aber derzeit überhaupt nicht
angebracht. Im Gegenteil: Spiegelbildlich zu den neuen
Beschäftigungsrekorden ist selbstverständlich auch die
Arbeitslosigkeit gesunken, wenn auch nicht im gleichen
Umfang. Im Oktober dieses Jahres jedoch lag die Zahl
der Arbeitslosen mit 2,5 Millionen auf dem niedrigsten
Stand seit der Wiedervereinigung. In den letzten drei
Jahren ist sie um 260 000 gesunken. Auch hier sind die
weiteren Aussichten derzeit rosig. Wir gehen von einem weiteren Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um
100 000 Personen im Jahr 2016 aus.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser positiven Entwicklungen konnten wir in unseren Haushaltsberatungen in den vergangenen Wochen deutlich weniger
Ausgaben für Arbeitslose veranschlagen, als noch im
Regierungsentwurf vorgesehen war. Im Gegenzug haben
wir die Mittel für das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, das insbesondere auf die Integration arbeitsmarktferner Personen ausgerichtet ist, um
weitere 150 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro im
nächsten Jahr verdoppelt. Damit haben wir ein Zeichen
für die Integration von Langzeitarbeitslosen gesetzt.
Auch wenn jemand lange arbeitslos war, gilt: Wer den
Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt finden will, dem
helfen wir dabei. Wir unterstützen ihn nach Kräften. Wollen muss er aber selbst.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum
zweiten Faktor, der uns die Einsparungen ermöglicht hat: die seit der Schließung der Balkanroute im
März 2016 und dem EU-Türkei-Abkommen von Ende
März 2016 deutlich gebremste Flüchtlingszuwanderung.
Im Regierungsentwurf vom Frühjahr, als man noch von
400 000 Flüchtlingen im Jahr 2017 ausgegangen war, waren noch Flüchtlingsmehrbedarfe in Höhe von 1,2 Milliarden Euro gegenüber dem alten Finanzplan für das
Gesamtbudget SGB II vorgesehen. Aufgrund der neuen
Annahmen zur Flüchtlingszuwanderung ist der Bedarf
natürlich nach unten angepasst worden. Nunmehr werden 900 Millionen Euro zur Entlastung der Kommunen
und Länder zur Übernahme flüchtlingsbedingter Kosten
der Unterkunft bereitgestellt.
Meine Damen und Herren, der brummende Arbeitsmarkt sowie die insgesamt positiven wirtschaftlichen
Eckdaten haben sich auch bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung bemerkbar gemacht. Trotz erheblicher
Rentenerhöhungen im Sommer konnten wir im Saldo die
Ausgaben hier um rund 150 Millionen Euro verringern.
Auch den Ansatz für die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung konnten wir um gut 40 Millionen
Euro vermindern. Vorgesehen sind jetzt an Leistungen an
die Rentenversicherung gut 91 Milliarden Euro sowie gut
7 Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung. Zusammen sind das rund 30 Prozent der vorgesehenen Ausgaben des Bundes oder, anders
formuliert: Fast jeden dritten Euro werden wir im kommenden Jahr für Rente und Grundsicherung ausgeben.
Das ist doch neben den enormen Beitragsleistungen der
Arbeitnehmer eine sehr beachtliche Leistung des aktiven
Bevölkerungsteils für das Wohlergehen der älteren Generation in unserem Land, die man durchaus würdigen
sollte.
Meine Damen und Herren, bei den Beratungen haben
wir auch über andere Einsparpotenziale gesprochen, zum
Beispiel bei der Datenverarbeitung. In Zukunft sollten
wir uns auch über neue Finanzierungsformen Gedanken
machen. Die klassische Form des Kaufes könnte mit
alternativen Preismodellen verglichen werden. Aus Unternehmen gibt es Beispiele, die zeigen, dass eine Kostensenkung im Bereich der IT-Bereitstellung durchaus
erreichbar sein könnte.
Darüber hinaus haben wir gemeinsam dafür gesorgt,
dass wir die Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen stärken.
({1})
Wir haben strukturelle Änderungen vorgenommen, weil
wir glauben, dass dies eine wichtige Aufgabe ist, die
durchgeführt werden muss. Ich danke hier allen Berichterstattern, weil wir das im Konsens über alle Fraktionen
hinweg gemacht haben.
Zum Abschluss möchte ich Ekin Deligöz Dank sagen,
die als Hauptberichterstatterin die Hauptarbeit bei der
Vorbereitung unserer Sitzungen getragen hat, meinem
Freund und Kollegen Ewald Schurer und auch Gesine
Lötzsch. Gemeinsam haben wir, glaube ich, gute und
faire Beratungen durchgeführt. Ich bin sicher, dass dieser Haushalt eine gute Richtung für das kommende Jahr
vorgibt.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Jetzt hat Ewald Schurer, SPD-Fraktion, die Gelegenheit, das Wort zu ergreifen. Bitte schön.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird heute vor dem
Hintergrund einer extrem guten Arbeitsmarktsituation
beraten.
Erster Punkt. Nachdem ich die ersten Beiträge von
Frau Dr. Lötzsch und Herrn Kurth gehört habe, würde
ich mich spontan bereitfinden, Sie beide nächste Woche
einzuladen - ich habe da noch ein bisschen Zeit -, um
den Haushalt gemeinsam mit Ihnen durchzugehen
({0})
und Ihnen die Erfolge, die wir erzielt haben, noch einmal
auf eine nette Art und Weise zu erklären. Ich glaube, das
würde uns allen helfen.
({1})
- Das war ein nettes Angebot, das Sie annehmen sollten.
Ich zahle auch den Kaffee usw.
({2})
Zweiter Punkt. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind noch arbeitslos. Diese Zahl lag schon einmal
bei 5 Millionen und höher. Frau Ministerin, mit Recht
haben Sie betont, dass dies der Bestwert im letzten Vierteljahrhundert ist.
({3})
Das sollte man sagen dürfen, und das muss man auch
betonen, weil es das Ergebnis einer Interaktion, einer
Zusammenarbeit ist: zwischen Bundesagentur für Arbeit,
Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und allen anderen, die
daran beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund können wir
einigermaßen zufrieden sein. Allerdings wissen wir, dass
es immer noch viele langzeitarbeitslose Menschen gibt
und wir im Hinblick auf die Aufgaben im Zusammenhang mit Flucht und Migration in den nächsten Monaten und Jahren eine Menge Leistungen werden erbringen
müssen.
Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland hat mit
43,8 Millionen einen Höchstwert erreicht; auch das ist
einsame Spitze. Davon sind 31,5 Millionen Menschen
sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Am Arbeitsmarkt, werte Kolleginnen und Kollegen, gibt es Schätzungen zufolge im Augenblick einen Bedarf an über
1 Million Facharbeitskräften. Alleine von der Agentur für
Arbeit werden etwa 750 000 Facharbeitskräfte gesucht,
aber es gibt noch weitere Nachfrage. 1 Million Menschen
werden in gewissen Segmenten der Wirtschaft derzeit
schon gesucht, um Facharbeitsplätze, die offen sind, zu
besetzen.
Eine ganz große Herausforderung ist natürlich die
Integration der geflüchteten Menschen. Die öffentliche
Diskussion darüber wird ja zum Teil sehr schrill und
sehr populistisch geführt. Ganz klar ist: Wir brauchen
Axel E. Fischer ({4})
eine Beschleunigung der Asylverfahren. Ein bisschen hat
das in diesem Jahr mit dem BAMF schon geklappt - ich
sage das etwas hintergründig -, aber nicht so gut wie prognostiziert.
Wir müssen die Sprachförderung - Frau Ministerin,
Sie haben es gesagt: 410 Millionen Euro werden dafür
allein im Haushalt für 2017 zur Verfügung gestellt - intensivieren. Ohne Sprache geht nichts. Die berufliche
Qualifizierung, die Arbeits- und Ausbildungsvermittlung
und natürlich auch die Bereitschaft der Firmen und Betriebe, also der Wirtschaft draußen, sind entscheidend dafür, dass wir diese Aufgabe wirklich bewältigen können.
Die Herausforderung ist groß. Wir haben deshalb den
Ansatz für 2017 im Hinblick auf die Unterbringung der
Flüchtlinge um 1,4 Milliarden Euro auf 6,5 Milliarden
Euro erhöht, um für eine Entlastung der Länder und Kommunen zu sorgen und sie bei der Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen. Auch mit Blick auf die
Jobcenter und die flüchtlingsbedingten Mehrausgaben
und Mehraufwendungen haben wir eine Menge gemacht.
Künftig werden mit den bereitgestellten 300 Millionen
Euro zum Beispiel 90 zusätzliche Jobcenter bedient, um
den von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen zu helfen,
Integrationskurse anzubieten und Angebote zu machen.
({5})
Liebe Freundinnen und Freunde - hier im Parlament
zähle ich ja fast alle dazu -,
({6})
der soziale Zusammenhalt dieser Gesellschaft ist auch
der Grund, wieso wir Sozial- und Rentenpolitik machen.
Die rentenpolitische Debatte ist eine ganz wichtige. Die
Rente ist für die Menschen ein Indikator für soziale Gerechtigkeit; das muss man sehen. In diesem Zusammenhang hat Frau Lötzsch eine wichtige Zahl vergessen: Was
den Rententitel betrifft, mussten die Zuführungen aufgrund der guten Arbeitsmarktsituation gekürzt werden.
Das war also überhaupt nicht politisch induziert. Der Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherung im Haushalt 2017 beträgt 91 Milliarden Euro; zusätzlich werden
7,1 Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung zur Verfügung gestellt. Was die
mittelfristige Finanzplanung angeht, so wird prognostiziert, dass dieser Zuschuss von rund 98 Milliarden Euro
auf circa 110 Milliarden Euro im Jahr 2020 steigen wird.
Zum realen Rentenniveau - die Zukunftsfrage der
Rente - wird die Frau Ministerin morgen der Öffentlichkeit Bausteine aufzeigen. Ich bin gespannt. Ich kann mir
vorstellen, dass dabei Verbesserungen bei der Sicherung
gegen Altersarmut oder auch der letzten Haltelinie beim
Rentenniveau, indem sie sich an den Nettolöhnen der
Menschen in der Volkswirtschaft orientiert, eine Rolle
spielen werden.
Meine letzte Aussage, meine Damen und Herren, ist:
Rente ist eine Grundsatzfrage der Gesellschaft. Das Thema fällt in den Bereich „Arbeit und Soziales“. Es geht
aber auch um politische Grundsatzentscheidungen, die
die Bereiche Wirtschaft, Gesundheit und Pflege betreffen
und damit die Bundeskanzlerin und das gesamte Parlament angehen. Will ich, dass die gesetzliche Rente künftig gestärkt wird? Und verstehe ich endlich, dass Rente
nicht irgendwie vom Wesen her ein fremdes Staatssystem
ist, sondern darauf beruht, dass sich die Menschen ihre
Rentenanteile ein Leben lang erarbeiten, und zwar sehr
hart?
({7})
Mit Bundeszuschüssen kann ich gewisse soziale Faktoren - eben eine Mütterrente; aber auch Maßnahmen im
Kampf gegen Armut - induzieren und die Rente somit
leistungsmäßig so verbessern, dass die Menschen im Alter ein lebenswertes Dasein haben. Das geht nur mit einer
stabilisierten gesetzlichen Rente.
Deswegen spreche ich mich zum Schluss explizit dafür aus, dass die Rentenformel in Zukunft so verändert
wird, dass sich die Produktivitätsgewinne der Volkswirtschaft in der Rente wiederfinden.
({8})
Das ist meine persönliche Vision. Dies ist eine politische
Aufgabe für uns alle.
({9})
Ich bin für eine gesetzliche Rente, die den Menschen das
Leben ermöglicht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wenn man Ihnen hier zuhört, denkt man, Sie leben in einer anderen Welt. Ich als Gewerkschafterin erfahre täglich, dass die Wirklichkeit ganz vieler Menschen
völlig anders ist.
Frau Nahles, ich muss Ihnen hier einige andere Zahlen
nennen, die Sie immer gerne weglassen, weil sie nicht
in Ihr Bild hineinpassen: Jeder zehnte Beschäftigte in
Deutschland arbeitet zu einem Armutslohn. Jeder Sechste über 65 Jahre ist von Armut bedroht.
({0})
Jedes siebte Kind lebt von Hartz IV. In Ostdeutschland
ist es sogar jedes fünfte Kind. Mindestens 14,5 Millionen
Menschen haben seit Einführung von Hartz IV mindesEwald Schurer
tens einmal diese Leistung bezogen. Viele dieser Menschen können sich ab Mitte des Monats kein warmes
Mittagessen mehr leisten. Sie haben Angst, am Ende des
Monats die Stromrechnung nicht bezahlen zu können.
Sie fühlen sich in ihrer Würde verletzt. Sie sind verletzt,
meine Damen und Herren. Und Sie? Sie tun überhaupt
nichts dagegen!
({1})
Wenn Sie hier immer so schön davon reden und anpreisen, dass es 43 Millionen Beschäftigungsverhältnisse gibt, kann ich Ihnen nur entgegnen: Erzählen Sie das
einmal meinem Kollegen Leiharbeiter in Zwickau - der
arbeitet nämlich bei einem Automobilzulieferer, weil wir
ein VW-Standort sind -, der drei Jobs hat. Er sagt immer
zu mir: Sabine, von den 43 Millionen Jobs gehören mir
allein drei. Das finde ich so ungerecht. Und da stellen
Sie sich hier hin und sagen, dass Sie es geschafft haben,
dass es 43 Millionen Beschäftigungsverhältnisse gibt.
Deutschland bedeutet bei uns, dass viele in einem Zweitjob arbeiten müssen.
({2})
Es gibt nämlich in Deutschland 2,6 Millionen Menschen,
die noch in einem Zweitjob arbeiten. Das ist ihre Realität! So sieht es nämlich aus.
({3})
Fest steht: Deutschland ist wie nie zuvor in Arm und
Reich gespalten.
Die Tafeln, die Kleiderkammern, die Suppenküchen Herr Weiß, Sie können ja einmal dort hingehen und sich
anschauen, was dort für ein Andrang herrscht -, die haben Hochkonjunktur und haben sogar Probleme, den Bedarf zu decken. Das ist die Realität!
Es ärgert mich hier an dieser Stelle, dass Sie die Armut
nicht sehen wollen. Sie können da nicht weggucken. Sie
können sich da auch nicht verstecken. Die Armut ist da
in Deutschland! Sie aber sehen zu, wie die Rentnerinnen
und Rentner mit 500 Euro nach Hause gehen und damit
ihren Lebensabend bestreiten müssen,
({4})
wenn Kinder kein Geld haben, um am Klassenausflug
teilzunehmen, weil die Eltern das eben nicht finanzieren können, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
trotz Vollzeitjob am Ende des Monats nicht mehr wissen,
wie sie über die Runden kommen sollen. Und Sie? Sie
sehen da einfach zu. Sie sehen zu, wie 1 Million Langzeitarbeitslose schon seit vier Jahren oder länger in der
Erwerbslosigkeit gefangen sind.
Denken Sie allen Ernstes, dass das Einzelfälle sind?
Ich sage Ihnen, Sie irren sich ganz gewaltig. Das sind
keine Einzelfälle, es handelt sich hier um Millionen von
Menschen, die keine Perspektive mehr haben.
({5})
Sie lassen diese Menschen einfach in der Statistik verschwinden. Das ist das Resultat Ihrer Politik in den letzten Jahren.
({6})
Dass sich diese Bundesregierung beharrlich weigert,
etwas gegen diesen Missstand zu tun, finde ich unerträglich.
({7})
Der linke Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten,
Professor Dr. Christoph Butterwegge, sagte,
({8})
dass die Bundesregierung Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung betreibt; recht hat er. Er hat auch recht,
wenn er sagt:
Seit der „Agenda 2010“ und den sog. Hartz-Gesetzen herrscht soziale Eiseskälte in Deutschland.
({9})
Frau Ministerin Nahles, Sie sind mit dem Versprechen
angetreten, deutlich mehr für langzeiterwerbslose Menschen zu tun und sie eher und schneller in Arbeit zu bringen. Was haben Sie erreicht? Nichts haben Sie erreicht.
({10})
Die Langzeiterwerbslosigkeit stagniert auf einem hohen
Niveau; es sind immer noch knapp 1 Million Menschen.
Wir brauchen endlich deutlich mehr Mittel für Unterstützungsleistungen. Wir brauchen eine Vermittlung auf
Augenhöhe, sodass die Erwerbslosen eben nicht als Bittsteller in die Jobcenter kommen,
({11})
und wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Zudem fordern wir immer noch die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors; andere
sagen „sozialer Arbeitsmarkt“ dazu.
({12})
Das entwürdigende Hartz-IV-System muss abgeschafft
werden. Wir brauchen eine sanktionsfreie Mindestsicherung. All das fordert die Linke.
({13})
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik muss den Menschen
wieder in den Mittelpunkt stellen. Warum haben die
Rechtspopulisten solchen Zulauf? Die Motive, rechtspopulistisch zu wählen - ob nun in Deutschland, in anderen EU-Ländern oder in den USA -, sind soziale Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Abstiegsängste. Diese
Bundesregierung hat nicht verstanden, was die meisten
Menschen in Deutschland bewegt. Sie haben wertvolle
Sabine Zimmermann ({14})
Zeit verschenkt. Kein zentrales Problem haben Sie gelöst. Die Spaltung zwischen Arm und Reich wird immer
größer.
({15})
Auch der Mindestlohn kam zu spät und ist viel zu
niedrig. 12 Euro ohne Ausnahmen: Das wäre hier der
richtige Schritt.
({16})
Und: Schaffen Sie die Leiharbeit ab! Gute Arbeit,
unbefristete Beschäftigung und Löhne, von denen man
leben und seine Familie ernähren kann: Das fordert die
Linke. Nur so würde es gehen.
Stärken Sie die gesetzliche Rente! Sie muss armutsfest sein.
({17})
Das Rentenniveau muss wieder angehoben werden. Raus
mit den Kürzungsfaktoren! Weg mit der Rente ab 67!
({18})
Wir brauchen eine solidarische Mindestrente von
1 050 Euro;
({19})
denn ich finde, unsere Rentnerinnen und Rentner haben
es verdient, nach einem harten Arbeitsleben keine Zeitungen austragen oder in Müllcontainern wühlen zu müssen, um die Flaschen dort einzusammeln.
({20})
Eine Riesenschande ist die zunehmende Kinderarmut.
Aber auch hier tun Sie nichts. Lediglich eine Kindergelderhöhung um 2 Euro pro Monat waren Ihnen die Kinder
wert.
({21})
Die Linke fordert Sofortmaßnahmen, um diesen unwürdigen Zustand zu beenden.
({22})
Ja, all das kostet Geld, aber dieses Geld ist im System.
Es muss nur ordentlich verteilt werden. Sie verteilen es
falsch. Wir brauchen unbedingt eine Vermögensteuer.
({23})
Ich komme zum Schluss. Nachdem die Kanzlerin nun
gesagt hat: „Ich mache weiter“, wissen wir, dass alles so
bleibt, wie es ist. Dazu sagen wir: Nein! Sozial geht anders. Was wir brauchen, ist ein Politikwechsel, und der
geht nur mit der Linken.
Danke schön.
({24})
Danke. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Karl Schiewerling.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Zimmermann,
ich bin fast geneigt, auf Ihre Rede einzugehen,
({0})
aber ich werde dem widerstehen. Ich habe nur gerade einmal nachgeguckt, wie viele Nebenjobs Frau
Dr. Wagenknecht hat. Ich glaube, wir müssen da doch
noch etwas an den Diäten tun. Es ist ja doch eine schwierige Angelegenheit, wenn sie noch so viel nebenbei verdienen muss.
({1})
Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Union hat folgende Prinzipien der Christlichen Soziallehre zur Grundlage: die Personalität, wonach
die Würde des Menschen im Mittelpunkt stehen soll, die
Subsidiarität, wonach zunächst jeder das tun soll, was er
kann, um mit seiner Hände Arbeit den Lebensunterhalt
für sich und die Seinen zu verdienen, und die Solidarität,
wonach jeder, der dringend auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen ist, sie auch erhält. Es geht aus unserer Sicht um Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Der
Haushalt, den die Bundesarbeitsministerin vorgelegt hat,
der Haushalt, den wir jetzt verabschieden, spiegelt dies in
zahlreichen Punkten sehr konkret wider.
({2})
Meine Damen und Herren, in der letzten Zeit hat das
Thema Alterssicherung hohe Wellen geschlagen und
schlägt sie immer noch. Die Bundesarbeitsministerin
wird ja morgen ihr Konzept vorstellen. Dann werden wir
sehen, wohin der Weg aus ihrer Sicht gehen kann.
Ich sage Ihnen: Die Grundlagen der Alterssicherung ob es die umlagefinanzierte Rente, die private Altersvorsorge oder die betriebliche Altersvorsorge ist, bei der
wir übrigens gerade dabei sind, viel zu unternehmen stehen unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der
Wirtschaft, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Demografie. Diesen Gesichtspunkten kann sich kein Altersrentensystem - egal wie man es organisiert - entziehen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben, dass wir gute Arbeitsmarktzahlen - solche, wie wir jetzt haben - vorlegen können,
dass wir gute Perspektiven eröffnen. Kollege Fischer hat
vorhin darauf hingewiesen: Das sind Perspektiven, unter
Sabine Zimmermann ({3})
denen man Arbeitsmarkt und Sozialpolitik gut organisieren kann.
({4})
Weil wir hohe Beschäftigung und hohe Einnahmen
und übrigens auch exzellente Tarifabschlüsse haben, haben wir auch entsprechende Einnahmen und Rücklagen
im Bereich der Rentenversicherung und damit ein relativ
gutes und stabiles System.
Die Diskussion um die Altersvorsorge, die Diskussion darüber, wie denn die Menschen in Zukunft im Alter
werden leben können, wird im Augenblick in einem Stil
geführt, als sei die Rentenversicherung völlig durch den
Wind.
({5})
Das ist unerträglich. Wir machen den Menschen Angst.
Das stimmt hinten und vorne nicht. Bis 2030 sind die
Dinge geregelt. Alle Zahlen sind besser, als sie prognostiziert wurden,
({6})
und zwar sowohl die Rücklage als auch der Beitragssatz
als auch das Rentenniveau, das jetzt auf 48 bzw. perspektivisch auf 48,1 Prozent ansteigt. Die Kolleginnen und
Kollegen von der Linken rechnen immer die heutige Situation hoch, als würde sich nichts tun, als gäbe es keine
Dynamik in dem System.
({7})
Und Sie stellen das Ganze nur deshalb immer so grausig
dar, damit es in Ihr unerträgliches Weltbild passt.
({8})
Meine Damen und Herren, wir haben innerhalb der
Rentenversicherung klare Grundlagen. Ich will sehr
deutlich sagen: Die umlagefinanzierte Rente ist kein Instrument zur Bekämpfung der Altersarmut. Die umlagefinanzierte Rente ist ein Versicherungssystem,
({9})
in das man Beiträge einzahlt und aus dem man seine Rente erhält. All das, was Menschen brauchen, um später von
ihren Alterseinkünften leben zu können, wird nicht in der
Rente grundgelegt. Es wird grundgelegt in der Erziehung,
es wird grundgelegt in der Bildung. Es wird grundgelegt
in einer guten Qualifizierung und damit verbunden guten
Arbeitsplätzen, die zu Einnahmen führen, von denen man
dann im Alter leben kann.
({10})
Meine Damen und Herren, wir haben zur Sicherung
der Rente im Rahmen der Diskussionen, die wir im Augenblick führen, natürlich viele Fragen zu lösen, und
zwar für die Zeit ab 2030 bis 2045 oder 2050, sofern man
die Dinge so weit vorausschauend betrachten kann. Was
aber in der gesamten Debatte nicht geht, ist eine Diskussion unter der Hauptüberschrift „Auf keinen Fall!“, also:
Auf keinen Fall darf das Rentenniveau sinken! Auf keinen Fall darf der Beitragssatz steigen!
({11})
Auf keinen Fall darf der Zuschuss zur Rentenversicherung steigen! Auf keinen Fall darf das Regeleintrittsalter
in die Rente steigen. - Mit einer solchen Herangehensweise bekommen wir das System der Deutschen Rentenversicherung nicht in den Griff.
({12})
Deswegen rate ich dringend dazu, diese Frage orientiert
am Aspekt der Generationengerechtigkeit anzugehen,
ohne Schaum vor dem Mund, mit vernünftigen Annahmen, damit es finanzierbar bleibt für alle: für die zukünftige, die jüngere Generation, die den Beitrag erbringt, für
die ältere Generation, die davon leben können soll, für
alle an diesem System Beteiligten. Ich bin sicher, dass
wir dieses Problem ordentlich lösen können, und zwar
zusammen mit der Frage der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge.
({13})
Meine Damen und Herren, ich will einige Sätze zum
Zuschuss zur Rentenversicherung sagen. Wir geben in
der Tat circa 98 Milliarden Euro - so steht es im Haushalt - als Zuschuss für die Rentenkasse aus, davon entfallen 7,2 Milliarden Euro auf die Kosten für die Grundsicherung im Alter. Diese ziehe ich einmal ab. Ein Blick
auf den Haushaltsplan für die Rente - daran liegt mir
sehr viel - zeigt die Zahl von 13,2 Milliarden Euro für
die Kindererziehungszeiten einschließlich des Entgeltpunktes im Zusammenhang mit der Mütterrente. Diese
13,2 Milliarden Euro decken im Jahr 2017 die Ausgaben.
Die Behauptung, dass die Mütterrente und der zusätzliche Entgeltpunkt ausschließlich von Beitragszahlern,
also von den Arbeitgebern und den Versicherten, finanziert würden, ist eine Mär. Auch dafür stellen wir Bundeszuschüsse bereit.
({14})
Diese Zuschüsse werden wir im Jahr 2018 - so ist es
vereinbart - um weitere 2 Milliarden Euro anheben. Das
haben wir festgelegt, und so wird es kommen.
Meine Damen und Herren, im Bereich der Arbeitsmarktpolitik stellt sich die Frage: Was werden wir tun,
damit die Menschen weiterhin gut in Beschäftigung bleiben? Ich darf darauf verweisen, dass wir im Rahmen der
Flexirente in der Tat Instrumente - Stichworte: Prävention und Rehabilitation - verabschiedet haben, mit deren
Hilfe es den Menschen ermöglicht werden soll, in Beschäftigung zu bleiben. Hierbei wollen wir die Menschen
unterstützen.
Uns treibt natürlich die Frage um: Was machen wir
mit den Langzeitarbeitslosen, und was ist zu tun, damit
diese Menschen wieder in Arbeit kommen? Die Bundesarbeitsministerin hat vorhin völlig zu Recht auf die
Instrumente hingewiesen, die jetzt greifen. Eines dieser
Instrumente, mit denen wir den Menschen helfen, ist
die soziale Teilhabe. Die Frage, ob hier ein Aktiv-Passiv-Tausch, wie wir so schön sagen, oder eher ein verfestigter sozialer Arbeitsmarkt hilft, lässt sich vielleicht auf
dem Papier theoretisch beantworten. Aber die anderen
Fragen, die wir ebenfalls beantworten müssen, sind: Was
tun wir, damit Menschen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt finden? Wie halten wir die Situation so dynamisch,
dass die Menschen den Weg dahin finden?
Wir erleben, dass viele Menschen, die langzeitarbeitslos sind, den Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden.
Unsere Aufgabe besteht darin, gerade diejenigen, die
lange arbeitslos sind, mit Assistenz und Unterstützung
zu begleiten, damit sie diesen Weg tatsächlich gehen und
damit sie möglichst lange in Beschäftigung bleiben.
({15})
An diesem Punkt arbeiten wir. Die Instrumente wirken.
Ich hoffe sehr, dass das Ganze auf Dauer funktioniert und
entsprechende Früchte trägt.
({16})
Mit Blick auf die Gesamtentwicklung will ich auf
zwei Punkte hinweisen. Erster Punkt: In der Tat befinden
wir uns in der Debatte um die Arbeit 4.0. Es geht um die
Digitalisierung. Keiner kann richtig abschätzen, welche
Wirkungen sie de facto in welchen Bereichen hat. Nur
eins ist klar: Es wird nicht ohne Weiterbildung und Qualifizierung gehen. Da tragen nicht nur der Staat, sondern
auch der Betrieb und der Tarifpartner Verantwortung. An
diesem Punkt müssen wir alle zusammenarbeiten. Deswegen glaube ich, dass wir diese Entwicklung nicht nur
gut begleiten, sondern auch deutliche Akzente setzen
sollten.
Der zweite Punkt, der mich umtreibt. Wir diskutieren
zurzeit intern das Bundesteilhabegesetz. Der Gesetzentwurf wird bald in zweiter und dritter Lesung vom Parlament behandelt werden. In diesem Zusammenhang
diskutieren wir die steigende Zahl von Menschen mit
Behinderung. Was mich umtreibt, ist die Frage der Zunahme der Zahl der psychischen und seelischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Das betrifft nicht nur Betriebe und die Arbeitswelt.
Das ist eine Frage der Entwicklung unserer Gesellschaft.
In dieser Situation will ich, weil wir uns immerhin kurz
vor dem ersten Advent und damit vor der Begehrlichkeit
befinden, möglichst jeden Sonntag alle Geschäfte lange
zu öffnen, auf Folgendes hinweisen: Ich halte es für unerträglich, wie wir in unserer Gesellschaft Leitplanken
niederreißen, die den Menschen Hilfe und Orientierung
geben. Ich habe, unabhängig von der Verfassungsfrage,
kein Verständnis dafür, die Sonntage nach Beliebigkeit
zur Disposition zu stellen.
({17})
Herr Kollege.
Ich glaube, dass es sich lohnt, in dieser Frage gezielt
weiterzuarbeiten.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und bin
sicher, dass wir im nächsten Jahr den erfolgreichen Kurs
der Bundesregierung mit diesen Koalitionsfraktionen
fortsetzen.
({0})
Das ist ein wichtiger Aspekt, Herr Kollege, den Sie
zum Schluss angesprochen haben. Trotzdem muss ich ein
bisschen auf die Zeit drängen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Matthias W.
Birkwald gewünscht. - Herr Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Schiewerling, Sie haben eben den Eindruck erweckt, die
Linke könne nicht rechnen und wir seien gegen Beitragserhöhungen bei der Rentenversicherung.
({0})
Ministerin Nahles hat behauptet, die Linke schere sich
einen feuchten Kehricht darum, was Leistungsverbesserungen in der Rente kosten, und der Finanzstaatssekretär
Spahn behauptet in der Presse die Unwahrheit, wenn es
um Kinderarmut und Altersarmut geht.
Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen jetzt
noch einmal vorzurechnen, wie man das Rentenniveau
auf lebensstandardsichernde 53 Prozent anheben kann
und wie man es hinbekommt, dass die Beschäftigten
dabei sogar weniger Geld ausgeben müssen. Das geht
so: Aktuell haben wir ein Rentenniveau von 48 Prozent. Wenn man das jetzt auf 53 Prozent anhöbe, dann
müssten durchschnittlich verdienende Beschäftigte mit
3 022 Euro brutto 33 Euro mehr im Monat in die RenKarl Schiewerling
tenkasse einzahlen, ihr Arbeitgeber ebenso, und dann
hätte eine Standardrentnerin oder ein Eckrentner heute
127 Euro mehr.
Dazu muss man aber wissen: Sie gehen mit Ihrem
unsäglichen Dreisäulenmodell davon aus, dass dieser
oder diese durchschnittlich verdienende Beschäftigte
120 Euro im Monat in die Riester-Rente steckt. Davon
muss man die steuerlichen Zulagen abziehen - ja, Herr
Spahn, ich denke daran -; dann bleiben 108 Euro übrig.
Diese 108 Euro braucht der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer oder die durchschnittlich verdienende
Arbeitnehmerin dann nicht mehr auszugeben, muss dann
aber 33 Euro mehr in die gesetzliche Rente zahlen.
Das heißt auf Deutsch: Die Beschäftigten hätten
75 Euro mehr im Monat, die sie ausgeben können.
({1})
Das wäre erstens ein gutes Konjunkturprogramm, und
zweitens hätten wir wieder eine lebensstandardsichernde
Rente.
Wenn ich die Zeit hätte, dann könnte ich Ihnen vorrechnen, dass das auch im Jahr 2029 funktioniert. Da
liegen die Zahlen nämlich bei 99 Euro für den Arbeitnehmer und 99 Euro für den Arbeitgeber, und man spart sich
164 Euro für die Riester-Rente.
({2})
- Kollege Stegemann, ich habe drei Minuten Redezeit. Das heißt, wir haben ein durchgerechnetes Rentenkonzept.
Herr Spahn vertritt hier nicht die Interessen der jungen
Menschen, sondern die seines Ministers, der Wirtschaft,
der Arbeitgeber und der Versicherungswirtschaft. Deswegen darf man ihm das nicht durchgehen lassen.
({3})
Wir haben hier eine Möglichkeit, die gesetzliche Rente zu retten. Tun Sie das, statt nur zu reden!
Danke schön.
({4})
Herr Schiewerling, wünschen Sie das Wort zur Erwiderung?
Nur einige Sätze dazu. - Erstens. Dass Sie rechnen
können, haben Sie gerade mit Zahlen belegt. Aber Sie
müssen dazusagen: Auch wenn die Menschen mehr in
der Tasche haben, muss das Geld irgendwo herkommen.
Das bezahlen in dem Fall die Arbeitgeber und andere;
das bezahlt letztlich der Steuerzahler.
Zweitens. Sie haben Ihr Modell durchgerechnet, ohne
die demografische Entwicklung zu berücksichtigen. Sie
gehen von der jetzigen Situation aus und rechnen, wie
Sie es immer tun, die jetzige Situation hoch. Das machen
Sie bei der Armutsdiskussion, bei der Rentendiskussion
und bei allem anderen.
Drittens. Ihre Aussage ist falsch: Die Altersarmut
liegt bei 3 Prozent; die Kinderarmut hochgerechnet bei
14 Prozent.
({0})
- Doch, das haben wir wohl, Herr Birkwald. Deswegen sind Ihre Annahmen unter dem Gesichtspunkt auch
falsch.
Den Linken passt die Lebenswirklichkeit in Deutschland mit dem Aufwuchs an Beschäftigung, der gut ausgestatteten Rentenkasse und der guten Entwicklung im
Rentensystem in der derzeitigen Situation vielleicht
nicht in die politische Argumentation, weil die Menschen
dann nicht so richtig dazu zu bewegen sind, dagegen anzugehen. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die
Annahmen, von denen Sie ausgehen, nur unter ganz bestimmten Kautelen zutreffen, während wir die Aufgabe
haben, für alle Menschen in Deutschland für eine gute
Grundlage zu sorgen.
({1})
Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielen Dank für das Vertrauen, das Sie mir als Hauptberichterstatterin entgegengebracht haben. Ich gebe den
Dank zurück an meine Mitberichterstatter.
138 Milliarden Euro standen zur Beratung an. Diese
hat viele Stunden gedauert und war sehr intensiv. Wie
ich gerade gehört habe, kann Herr Schurer davon nicht
genug bekommen und will noch eine Runde drehen.
({0})
So kann man das zwar machen. Aber ich denke, dass
wir bereits sehr verantwortungsvoll und intensiv beraten
haben. Im Verfahren hat es einige Änderungen gegeben.
Diese betreffen im Wesentlichen die Anpassungen an die
Herbstprognose und die Steuerschätzung. Damit komme
ich zu meiner politischen Beurteilung.
Leider hat sich an vielen Stellen, wo dringender Handlungsbedarf besteht, wenig bewegt. Ich nenne als Beispiele Langzeitarbeitslosigkeit, Jobcenterfinanzierung,
Altersarmut und angemessener Regelsatz. Das alles sind
Baustellen, die wir bereits vor vier Jahren hatten. Die
schwarz-rote Regierung ist, obwohl die Rahmenbedingungen, Frau Ministerin, wirklich gut sind, keine der Herausforderungen angegangen, um etwas zu verbessern.
Sie haben die Chance vertan. Das werfen wir Ihnen vor.
({1})
Ich will einen Punkt aus dem Rentendisput herausgreifen und veranschaulichen. Wir diskutieren gerade darüber, ob es Altersarmut gibt oder nicht. Natürlich gibt es
Altersarmut. Die einen verweisen darauf, dass die AltersMatthias W. Birkwald
armutsquote bei nur 3 Prozent liege. Andere behaupten,
die Zahl der in Altersarmut Lebenden sei deutlich höher.
Aber darum geht es nicht. Vielmehr geht es um den Fakt,
dass die Mittel für die Grundsicherung im Alter jährlich
um 8 Prozent ansteigen werden. Wir als Haushälter wissen das, weil so viel Geld in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist. Das ist ein Hinweis darauf, dass
Menschen in diesem Land nicht nur dann in Altersarmut
leben, wenn sie kein kontinuierliches Erwerbsleben aufweisen können, sondern unter Umständen auch dann,
wenn sie regelmäßig gearbeitet haben. Arm trotz Arbeit,
das ist ein Problem. Deshalb schlagen wir eine Garantierente vor. Wir müssen hier beherzter vorgehen.
({2})
Frau Ministerin, Sie kündigen für morgen wieder Ergebnisse weiterer Rentengespräche an. Die Lebensleistungsrente, die hier einmal in Rede gestanden hat, wurde immer wieder ins Gespräch gebracht. Aber uns fehlt
inzwischen der Glaube, dass am Ende etwas mehr herauskommt als nur eine kosmetische Veränderung. Wenn
Sie das wirklich gewollt hätten, wären Sie das viel früher
angegangen. Das haben Sie aber nicht getan. Entweder
können Sie sich nicht einigen, oder Sie sehen die Notwendigkeit nicht. Am Ende werden die von Altersarmut bedrohten Menschen verlieren. Die Altersarmut ist,
selbst wenn sie geringer vorkommt als die Kinder- und
Familienarmut, ein dringendes Thema. Wir müssen jetzt
die Chancen nutzen und zugunsten der Menschen umsteuern.
({3})
Kommen wir zum Arbeitsmarkt. Die Jobcenterfinanzierung bleibt ein Dauerthema, weil die entsprechenden
Mittel aus politischen Gründen gedeckelt sind. Sie passen
zwar die Mittel für die Flüchtlingsintegration an. Aber
darüber hinaus bleibt die Unterfinanzierung der Jobcenter
im Grundsatz bestehen. Was bedeutet das? Das bedeutet,
dass auch im nächsten Jahr knapp eine halbe Milliarde
Euro aus den Eingliederungsmitteln auf den Ansatz zur
Deckung der Verwaltungskosten übertragen wird. Das
braucht die Verwaltung, um die bestehenden Kosten aufzufangen. Nun sagen manche, diesen Verschiebebahnhof
gebe es nur, weil das Ganze personalintensiv sei. Nachdem wir aber Jahr für Jahr dieses Spielchen spielen, fehlt
langsam nicht nur mir, sondern auch vielen Experten und
Praktikern der Glaube, dass das stimmt.
({4})
Unterfinanzierung ist nun einmal Unterfinanzierung.
Diesen deutlichen Hinweis bekommen Sie inzwischen
nicht nur von uns. Auch der Bundesrechnungshof verweist darauf, dass hier eine Unterfinanzierung vorliegt.
In seinem neuen Bericht, der am 17. November in der
Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, steht, die
Vermittlung sei „noch deutlich verbesserungswürdig“,
und die Förderprogramme seien „oft nur zufällig erfolgreich“. Das bedeutet: Entweder machen die Jobcenter
ihre Arbeit schlampig, oder sie haben nicht die notwendigen Mittel, um die Arbeit so zu leisten und die Vermittlung so voranzubringen, wie man es in unserer Gesellschaft tun müsste.
({5})
Kommen wir zum sozialen Arbeitsmarkt. Herr
Schiewerling, mir hat einiges von dem, was Sie gesagt
haben, gut gefallen. Wenn Sie das ernst meinen: Warum
haben Sie kein einziges Modellprojekt im Bereich des
sozialen Arbeitsmarktes durchgeführt? Das wäre doch
eine Gelegenheit gewesen, um sich ehrlich zu machen.
({6})
- Ja, es geht um eine sinnvolle Teilhabe. - Es geht darum,
Menschen Möglichkeiten zu eröffnen, sodass sie nicht
mehr komplett abgehängt sind. Aber Sie haben nichts
getan. Ich wünsche mir, dass Sie sich den Rat des geschätzten Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für
Arbeit, Herrn Weise, zu Herzen nehmen. Er hat gesagt:
Da müssen wir dringend etwas tun; hier besteht Handlungsbedarf. - Sie aber zeigen sich beratungsresistent Chance vertan!
({7})
Eine wirkliche, ehrliche Entbürokratisierung der
Grundsicherung haben Sie in der Koalition übrigens auch
nicht hinbekommen. Sie haben eine Scheinänderung gemacht, aber die Arbeit in den Jobcentern bleibt damit immer noch bürokratisch und damit belastet. Auch hier gilt:
Chance vertan!
({8})
Ich will zum Schluss noch auf den Regelsatz eingehen. Die Regelbedarfsermittlung befindet sich jetzt in der
Beratung, und wir werden darüber noch intensiv reden.
Meine Fraktion hat den Antrag eingebracht, dass wir zumindest die Referenzgruppe für die Bedarfsermittlung
von 15 auf 20 Prozent der unteren Einkommensgruppen
erweitern müssen. Das klingt jetzt tatsächlich etwas technisch, ist es aber gar nicht. Es geht darum: Wie berechnen wir ein realistisches Existenzminimum? Was heißt
eigentlich Existenzminimum in diesem Land?
Existenzminimum sollte immer auch mit fairer Teilhabe zusammengehen. Was Sie machen, ist, den Regelsatz
kleinzurechnen. Wenn Sie alle einzelnen Posten bis zur
Unkenntlichkeit minimieren, dann werden die Zahlen am
Ende stimmen, aber die Menschen werden die Teilhabechancen nicht erhalten. Genau darum muss es am Ende
gehen: dass wir in diesem Land auch Menschen in sozial
schwierigen Situationen die soziale Teilhabe ermöglichen. Das hat übrigens auch ganz viel mit Demokratiefähigkeit eines Landes zu tun.
({9})
Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
haben in den ganzen Debatten dieser Tage sehr viel über
die auseinanderfallende Gesellschaft, über Armut und
Reichtum geredet. Wir haben über die soziale Spaltung
und darüber geredet, was die Ursprünge von Populismus
sind. Ich finde, dass Demokratie auch davon lebt, dass
wir in diesem Land sozialen Ausgleich ermöglichen. Dafür müssen wir handeln. In diesem Haushalt wären viele
Baustellen gewesen, bei denen wir hätten handeln können. Sie haben die Chance vertan. Den Preis dafür, dass
wir nichts ändern, werden wir alle gemeinsam zahlen.
Ich setze darauf, dass in der nächsten Wahlperiode
mehr gehandelt wird, und das ernsthaft.
Vielen Dank.
({10})
Als nächste Rednerin hat Dr. Carola Reimann das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Heute reden wir hier über den erfreulichsten
Haushalt dieser Legislaturperiode. Ich glaube, das ist
in vielen Redebeiträgen in dieser Haushaltswoche auch
schon deutlich geworden.
Ich möchte im Bereich Arbeit und Soziales ein besonderes Projekt herausgreifen: Mit der Verabschiedung
des Bundeshaushaltes schaffen wir die Grundlage für die
Finanzierung einer der umfangreichsten Sozialrechtsreformen der letzten Jahrzehnte. Ich rede vom Bundesteilhabegesetz. Es geht um einen neuen Blick auf Menschen
mit Behinderung - nicht auf das, was sie nicht können,
sondern auf das, was wir tun können, damit sie teilhaben
können.
Das Bundesteilhabegesetz wird neben der Reform der
Eingliederungshilfe auch die Leistungsseite der Betroffenen einbeziehen. Die deutliche Verbesserung bei der
Einkommens- und Vermögensanrechnung wird durch die
Herausführung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem ermöglicht.
({0})
Damit entfällt zum Beispiel auch die Anrechnung von
Einkommen und Vermögen der Partner - ein langgehegter Wunsch der Betroffenen. Durch das Gesetz wird
darüber hinaus das Verfahrensrecht des Sozialgesetzbuches IX endlich den Bedürfnissen der Menschen angepasst. Das wird dazu führen, dass Rehabilitationsleistungen wie aus einer Hand erbracht werden und dabei
passgenau den individuellen Gesamtbedarf abdecken.
Es wird neue unabhängige Beratungsstellen geben, in
denen vor allem Beratung auch durch behinderte Menschen stattfinden wird. Das stärkt deren Position und
wird dazu führen, dass die Leistungsberechtigten, wie
wir sie technisch nennen, mehr als Experten in eigener
Sache wahrgenommen werden und mehr mit ihnen statt
über sie geredet wird.
Dafür sieht der Bundeshaushalt im kommenden Jahr
Mehrausgaben von 160 Millionen Euro vor. Dieser
vom Bund aufzubringende Beitrag wird bis 2020 rund
700 Millionen Euro betragen. Ich finde, das ist eine sehr
beachtliche Summe. Wenn man in diesem Zusammenhang hört, dass es sich um ein Spargesetz handele, wie
das behauptet wird, dann darf man auch mal den Kopf
schütteln.
Es gibt viel Kritik, auch von Verbänden, an diesem
Gesetz. Dazu möchte ich ausdrücklich feststellen: Diese
Bedenken werden von uns sehr ernst genommen.
({1})
Wir haben mit unserem Koalitionspartner in den letzten
Wochen und bis in die letzten Stunden, will ich sagen,
mit sehr großem Engagement und mit sehr großer Kollegialität die offenen Punkte im Sinne der Betroffenen
beraten. Wir werden nächste Woche die erarbeiteten Änderungen hier vorstellen.
Zum Inhalt nur zwei Anmerkungen. Wir werden sicherstellen, dass niemand schlechtergestellt wird. Auch
wenn sich mit dieser Reform vieles verändern wird: Wir
werden den Kreis der anspruchsberechtigten Personen
definitiv nicht einschränken.
({2})
Dafür werden wir den gesamten Umsetzungsprozess
dieses Gesetzes aufwendig wissenschaftlich begleiten
lassen und evaluieren. Hierzu sind in der Bereinigungssitzung der Haushälter die finanziellen Mittel merklich
aufgestockt worden. Deshalb will ich an dieser Stelle
unseren Haushältern einen ganz herzlichen Dank sagen.
({3})
Wenn wir über den Einzelplan 11 reden, kommen
wir alle an einem Thema nicht vorbei, der Rente. Hier
werden nicht Millionen, sondern Milliarden ausgegeben.
Das ist viel Geld, auch aus dem Bundeshaushalt, aber es
ist sinnvoll eingesetztes Geld, damit Menschen im Alter
gut leben können. Die Debatte darüber, wie dieses auch
in Zukunft gewährleistet werden kann, welchen Preis
bzw. welchen Beitragssatz wir alle dafür zu zahlen bereit
sind, ist in vollem Gange. Ich kann nur sagen: Ich hoffe
sehr, dass wir eine rationale, maßvolle und generationengerechte Lösung finden - und das, wenn ich das wünschen darf, möglichst parteiübergreifend.
({4})
Ich will in diesem Zusammenhang auf zwei Personengruppen besonders hinweisen, bei denen ausgesprochener Handlungsbedarf besteht. Das sind zum einen
die Erwerbsgeminderten. Für die erwerbsgeminderten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben wir bereits
mit dem Rentenpaket I einiges getan. Das war gut, aber
da müssen wir jetzt nachlegen.
Zum anderen geht es um die Selbstständigen. Ja, es
gibt Selbstständige, die im Alter gut abgesichert sind. Wir
dürfen aber die Augen nicht davor verschließen, dass wir
eine zunehmende Zahl von Selbstständigen haben, die
nicht in der Lage sind, ohne staatliche Hilfe auszukommen, geschweige denn, für ihr Alter vorzusorgen. Aus
meiner Perspektive geht da an einer Pflichtversicherung
in der gesetzlichen Rente eigentlich kein Weg vorbei.
({5})
Ich hoffe, Kollege, dass wir das im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das in Kürze vorgestellt wird, bald hier in
diesem Hause intensiv beraten können.
({6})
Ich danke fürs Zuhören.
({7})
Als nächster Redner hat Mark Helfrich für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wie immer in
den letzten Novemberwochen: Wir debattieren und beschließen den Bundeshaushalt für das kommende Jahr
mit seinen Einzelplänen für die Ressorts. Wie immer
weist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dabei den größten und umfangreichsten Einzeletat auf. Wie
immer sind der Opposition die vorgesehenen Leistungsansätze zu niedrig. Wie immer wähnt sie wieder einmal
unseren Sozialstaat am Ende. Same Procedure as every
Year.
({0})
Unsere Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage ist seit Jahren unverändert gut. Wir haben ein gesundes Wirtschaftswachstum, zuletzt von 1,8 Prozent. Das Ergebnis sind
fast 43,8 Millionen Beschäftigte - Rekord. Gleichzeitig
geht der Stellenaufbau weiter. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik waren mehr als 31,4 Millionen
Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die
Zahl der Erwerbslosen hat sich in den letzten zehn Jahren halbiert, und das ist ein Vierteljahrhunderttief. Nur
dank dieser guten Ausgangslage können wir heute darüber debattieren, wofür wir Geld in der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik einsetzen.
Wir müssen uns aber auch ins Gedächtnis rufen, dass
eine solche gute Arbeitsmarktlage alles andere als ein
Selbstläufer ist. Grundlage dafür ist und bleibt eine stabile Wirtschaft. Ich erinnere an die Zeit vor gut zehn Jahren, als es 5 Millionen Arbeitslose gab und die Situation
in der Wirtschaft und bei den Sozialversicherungsträgern
katastrophal war. Niemand möchte diese Zeiten wieder.
Also lassen Sie uns gemeinsam darauf achten, dass diese
gute Entwicklung so bleibt, wie sie ist. Lassen Sie uns
endlich aufhören, richtige Arbeitsmarktreformen der
vergangenen Jahre peu à peu zurückzudrehen, zum Beispiel durch die Frühverrentung gut qualifizierter älterer
Arbeitnehmer.
Im Sommer habe ich mich in meinem Wahlkreis bei
Unternehmen und Betrieben umgeschaut. Die Stimmung
ist gut. Die Auftragsbücher sind voll. Doch die Sorge,
Stellen in Zukunft nicht mehr besetzen zu können, treibt
alle um. Der Fachkräftemangel ist das Hauptproblem
der Betriebe und setzt die Wirtschaft weiter unter Druck.
Deutschlandweit haben nach einer aktuellen Studie
49 Prozent der Unternehmen massive Probleme, offene
Stellen zu besetzen.
Klar ist inzwischen: Das Gros der Flüchtlinge kann
aufgrund mangelnder Bildung und auch mangelnder
Sprachkenntnisse auf absehbare Zeit unser Problem des
Fachkräftemangels nicht lösen. Damit das aber mittelfristig gelingt, ist es umso wichtiger, dass wir im nächsten Jahr zusätzlich 4,3 Milliarden Euro für die Integration der Flüchtlinge ausgeben. 1,6 Milliarden Euro davon
entfallen auf die aktive Eingliederung der Flüchtlinge in
den Arbeitsmarkt. Deutsch lernen ist für die Integration
der Flüchtlinge der Dreh- und Angelpunkt. Darüber sind
wir uns in diesem Hause einig. Deshalb werden wir die
Anzahl der berufsbezogenen Sprachkurse von derzeit
20 000 auf 200 000 verzehnfachen.
Innerhalb der Union sind wir uns darüber im Klaren:
Es darf keine Wiederholung der Flüchtlingszuwanderung
nach Deutschland wie im letzten Jahr geben; vielmehr
müssen wir uns auch weiterhin gezielt um hochqualifizierte Fachkräfte aus Europa und Drittländern bemühen. Aus der ganzen Welt können seit 2013 bei einem
Jobangebot Facharbeiter mit einer abgeschlossenen Ausbildung in einem Mangelberuf in Deutschland arbeiten.
Auch Hochqualifizierte in den MINT-Berufen sowie
Hochschulabsolventen können bei einem entsprechenden Mindesteinkommen in Deutschland arbeiten. Wir
verfügen damit bereits heute im internationalen Vergleich
über sehr offene und liberale Zuwanderungsregelungen.
Deutschland ist nach den USA bereits das zweitgrößte
Einwanderungsland der Welt.
Den Befürwortern eines Einwanderungsgesetzes mit
einem Punktesystem kann ich in diesem Zusammenhang
nur eines sagen: Wir brauchen eine passgenaue Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und nicht in die Arbeitslosigkeit.
({1})
Wer Menschen nach Deutschland holen will, ohne vorher die Arbeitsplatzfrage zu klären, der ignoriert die Interessen unseres Landes und vor allem auch die Sorgen
und Bedürfnisse der Menschen. Für die meisten Bürger
stehen derzeit eher Fragen von Recht und Ordnung im
Mittelpunkt, etwa die Frage, wie sich die Ausreise von
200 000 Menschen, die kein Bleiberecht in Deutschland
haben, organisieren und durchsetzen lässt.
Vor allem die links regierten Bundesländer tun sich
damit schwer. Sie verfahren leider nach dem Motto: Einmal in Deutschland, immer in Deutschland. Die den Berliner Senat tragende Koalition hat den Abschiebestopp
für Ausreisepflichtige sogar im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
({2})
Das ist rot-rot-grüne Politik.
Nein, geltendes Abschieberecht muss konsequent
durchgesetzt werden - jetzt hören Sie bitte zu -, auch um
die Akzeptanz für Arbeitsmigration in der Bevölkerung
nicht zu gefährden.
({3})
Wir müssen unseren Blick aber genauso auf die Situation der Menschen richten, die schon lange ohne Arbeit
sind. Für Eingliederung in Arbeit und für die Betreuung
und Vermittlung stellen wir knapp 8,9 Milliarden Euro
zur Verfügung. Es ist auch gut, dass wir in diesem Haushalt diesen Ansatz für das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ um 150 Millionen Euro auf dann
300 Millionen Euro verdoppeln. Auch das ist ein wichtiges Signal, dass wir angesichts der Flüchtlinge die Langzeitarbeitslosen nicht vergessen.
Unerwähnt bleiben darf auch nicht das Bundesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit, für das
wir im nächsten Jahr 160 Millionen Euro zur Verfügung
stellen. Ich habe mich in meinem Wahlkreis davon überzeugen können, dass dieses Programm gut funktioniert
und bei den Menschen ankommt.
Bei mir in Schleswig-Holstein hat das Jobcenter Dithmarschen mit großem Einsatz tolle Erfolge erzielt. Es
konnten mehr Langzeitarbeitslose in Arbeit vermittelt
werden als geplant. Deshalb hat das BMAS auch noch
zusätzliche Mittel bereitgestellt. - Herzlichen Dank nach
Dithmarschen und herzlichen Dank an das BMAS.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist ein
reiches Land. Kein Mensch mit Herz und Verstand will,
dass Senioren ihren Lebensabend in Altersarmut verbringen. Und doch zwingen ein paar Fakten zum Handeln.
Die Menschen werden immer älter. Dadurch beziehen sie
immer länger Rente.
({5})
Die Jüngeren, die mit ihren Beiträgen und Steuern die
Renten bezahlen, werden immer weniger. Das ist das
eigentliche Problem, vor dem wir die Augen nicht verschließen dürfen. Es lässt sich auch nicht ideologisch
lösen.
({6})
Franz Müntefering brachte es bereits 2006 auf den
Punkt - Zitat -:
Da muss man kein Mathematiker sein, da reicht
Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen
irgendetwas machen.
Ja, meine Damen und Herren, das müssen wir.
({7})
Ziel muss es aber sein, dass künftig weder die Versicherungsbeiträge noch die Steuerzuschüsse in die Rentenversicherung durch die Decke schießen. Also hören Sie
auf mit dem Überbietungswettbewerb zulasten jüngerer
Generationen.
({8})
Wichtig ist doch, dass die Beiträge zur Rentenversicherung auch für Jüngere bezahlbar bleiben müssen. Deshalb
braucht Deutschland ein atmendes Rentensystem, das die
steigende Lebenserwartung berücksichtigt. Ich sage denjenigen, die das nicht akzeptieren können, wollen oder
dürfen: Das ist kein sozialpolitischer Unfug, sondern aus
gutem Grund in vielen europäischen Ländern sozialpolitische Realität.
({9})
Sehr verehrte Damen und Herren, wir müssen aufpassen, dass aus der Rentenkomödie der jetzigen Rentnergeneration keine Tragödie für die Jüngeren wird. Deshalb
lassen Sie uns auch beim Thema Rente Politik für Generationen machen.
Herzlichen Dank.
({10})
Als nächste Rednerin hat Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion das Wort
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Arbeits- und Sozialetat ist groß. Es sind fast 138 Milliarden Euro; wir haben es schon gehört. Das sind 42 Prozent des gesamten Bundesetats. Das zeigt, wie wichtig
uns die Aufgabe des sozialen Zusammenhalts unserer
Gesellschaft ist; denn zur öffentlichen Sicherheit, über
die in dieser Haushaltsdebatte viel diskutiert wird, gehört
eben auch die soziale Sicherheit. Deshalb investieren wir
da so viel.
Gerade angesichts unserer Debatten über Rechtspopulismus, über irrationale Diskurse, über Ängste ist es
umso wichtiger, keine Ängste zu schüren, damit sich die
Menschen sicher fühlen. Wir wollen sie vor den großen
Lebensrisiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit schützen. Sie sollen auch im Alter gut leben können. Genau das tun wir. Darum kümmern wir uns
im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Deshalb investieren wir hier viel, und das ist gut so.
({0})
Wir Politikerinnen und Politiker sind doch allesamt
dafür verantwortlich, etwas gegen die allgemeine Verunsicherung zu tun; denn wir sorgen dafür, dass Menschen
sicher und gut miteinander leben können, auch was ihre
soziale Situation und ihren Arbeitsplatz angeht. Daran
arbeiten wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales sehr
fleißig, zusammen mit dem Ministerium. Neun Gesetze
haben wir 2014 verabschiedet, darunter so wichtige Dinge wie den Mindestlohn und das Rentenpaket. Neun Gesetze waren es 2015, und neun haben wir auch in diesem
Jahr schon geschafft. Mit dem Bundesteilhabegesetz, den
SGB-II-Regelsätzen und der großen und wichtigen Rentendebatte liegen noch viele wichtige Themen vor uns.
Die Rente ist uns wichtig und teuer. Dafür stehen in
diesem Haushalt 98,4 Milliarden Euro zur Verfügung.
Das zeigt noch einmal, wie wichtig uns soziale Sicherung ist.
({1})
Der Arbeitsmarkt - auch das haben wir schon gehört ist in sehr guter Verfassung. 5,8 Prozent Arbeitslosigkeit
ist ein neuer Niedrigstand, der beste Stand seit 25 Jahren.
Das zeigt, dass wir hier gute Politik machen. Dafür danke
ich zuallererst unserer Ministerin Andrea Nahles sowie
allen, die im Ausschuss durch konstruktive Zusammenarbeit daran mitwirken, aber auch durch Kritik; denn
auch dadurch kann man besser werden.
Fast 900 000 Menschen sind zu uns geflohen. Gerade
weil der Arbeitsmarkt in so guter Verfassung ist, hatten
wir die Chance, hierauf gut zu reagieren. Nicht immer
ging alles sofort oder schnell genug, aber mit dem Integrationsgesetz konnten wir wichtige Weichen stellen,
damit sich die Menschen durch das Lernen der Sprache,
durch Arbeit, durch Ausbildung integrieren können. Ich
glaube, das A und O ist, dass sie in Arbeit kommen.
Aus einer aktuellen Studie will ich Ihnen eine sehr ermunternde, gute Zahl zitieren: 96 Prozent der Flüchtlinge sagen: Wir wollen in einem demokratischen System
leben, wir wollen freie Wahlen, die Gleichberechtigung
von Frauen und Männern und die Bürgerrechte. - Das
zeigt, dass Integration bei uns gut gelingen kann. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
({2})
Integration kostet Geld, und das stellen wir in diesem
Haushalt bereit: Erhöhung der Mittel für die Sprachkurse,
für die Integrationskurse, für die Jobcenter. Mir ist sehr
wichtig, zu sagen: Deswegen wurde keinem Arbeitslosen, keinem Stadtteilprojekt, keiner sozialen Maßnahme
Geld gestrichen. Im Gegenteil: Wir erhöhen die Mittel,
um Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben. Wir
verdoppeln die Mittel für das Programm „Soziale Teilhabe“, bei dem es gerade darum geht, Langzeitarbeitslosen
die Möglichkeit zu geben, in Arbeit zu kommen. Auch
das schafft Sicherheit; auch das schafft Integration.
({3})
Beides gehört zusammen: die Integration der Menschen, die zu uns kommen, aber auch das Kümmern um
die Menschen bei uns, die hier aufgewachsen sind und
sich abgehängt fühlen. Beides gehört zusammen; beides
schafft soziale Sicherheit. Deshalb noch einmal: Es ist so
wichtig, dass wir gerade in einer Situation, wo es wirtschaftlich gut geht, viel für die Menschen tun, die sich
abgehängt fühlen, gerade für die Langzeitarbeitslosen.
Ich will allen ganz herzlich danken, die im Ausschuss - ich will das ausdrücklich sagen - außerordentlich konstruktiv und in guter Atmosphäre zusammenarbeiten. Das werden wir weiter tun - für den sozialen
Zusammenhalt in unserem Land.
Vielen Dank.
({4})
Tobias Zech hat als nächster Redner für die CDU/CSU
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Zimmermann, wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, dann haben Sie eine andere Wahrnehmung
der Realität in diesem Land als ich. Wenn man Ihre Rede
verfolgt hat, dann muss man davon ausgehen, dass wir
Tristessen haben, leere Ladenzeilen, Arbeitslose, die
ganze Stadtteile beherrschen, dass wir in einem Land des
sozialen Abstiegs leben, in einem Land, dessen soziale
Sicherungssysteme komplett versagt haben. Entschuldigung, Frau Zimmermann, Sie arbeiten hier populistisch
mit Angst. Das hat mit der Realität und mit der Situation
in diesem Land überhaupt nichts zu tun. Man darf nicht
zulassen, dass so etwas hier behauptet wird.
({0})
Die Wahrheit ist, dass wir eine Rekordbeschäftigung
haben - Rekordbeschäftigung! Noch nie seit der Wende
waren so wenige arbeitslos.
({1})
Vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele.
Wir haben hohe Renten. Die Rentenerhöhung in diesem Jahr, meine Damen und Herren, war die höchste seit
23 Jahren. Auch das gehört zur sozialen Sicherung.
({2})
Das können Sie zu Hause auch mal erzählen.
Und wir haben Rekordsteuereinnahmen. Wir haben
noch nie so viel Geld eingenommen wie jetzt und haben
somit auch gut gefüllte Sozialkassen.
({3})
- Frau Zimmermann? Ach so. Ich dachte, Sie winken mir.
({4})
Zum vierten Mal haben wir einen ausgeglichenen
Haushalt. Dieser ausgeglichene Haushalt ist generationengerecht. Das ist ein Erfolg. Kollege Kurth, Sie haben
das vorhin angesprochen: Trotz oder wegen der Politik
der Arbeitsministerin? - Wir sollten uns hier schon einig
sein, dass wir eines nicht zulassen, nämlich dass gesagt
wird: Immer dann, wenn es in Deutschland gut läuft, ist
die Wirtschaft dafür verantwortlich. Immer dann, wenn
es schlecht läuft, sind wir schuld. ({5})
Sowohl zum einen wie zum anderen gehören beide.
Herr Kollege Zech, wenn Sie mal einen Moment
({0})
Luft holen - genau! -, dann kann ich Sie fragen, ob Sie
eine Zwischenfrage zulassen.
Frau Zimmermann wahrscheinlich.
Ja, Frau Zimmermann.
Ja, klar. Bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen,
Herr Zech.
Herr Zech, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Statistiken des Statistischen Bundesamts bzw. meine Anfragen
an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mir
die Zahlen geliefert haben, dass 2,6 Millionen Menschen
auch noch in einem Zweitjob arbeiten,
({0})
weil sie mit dem Einkommen aus dem ersten Job nicht
klarkommen, dass über 500 000 Menschen in der Grundsicherung sind? Sie erzählen immer, dass ich hier so ein
dunkles Bild von Deutschland male.
Das ist auch so.
Das sind die Zahlen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass
2,5 Millionen Kinder in Armut leben? Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass 3,5 Millionen Kinder im Sommer nicht
mal eine Woche Urlaub machen können, weil ihre Eltern
so arm sind? Das sind nicht Zahlen, die die Linke erfindet, sondern das sind Zahlen, die mir von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt worden sind.
({0})
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das die realen Zahlen von
Deutschland sind, oder denken Sie wirklich, dass wir diese Zahlen erfinden?
({1})
Wissen Sie, Frau Zimmermann, ich möchte Ihnen eines sagen:
({0})
- Okay, die nehme ich noch mit. - Wir leben aus meiner
Sicht im besten Sozialstaat dieser Welt. Es ist unbestritten: Auch wir haben Probleme. Wenn wir über Altersarmut sprechen, dann können Sie nicht nur der Statistik
glauben, sondern dann müssen wir auch über verschämte
Armut sprechen,
({1})
also über diejenigen, die nicht zum Amt gehen und eben
nichts sagen.
({2})
Das ist uns alles bewusst. Nur: Ein Bild zu zeichnen ist
immer eine Komplettaufnahme. Sie beschreiben jedoch
nur Probleme und bringen keine Lösungen.
({3})
Sie zeichnen kein Gesamtbild. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt. Machen Sie den Menschen in diesem Land keine Angst.
({4})
Wir sind auf einem guten Weg, und wir sehen die Probleme. Wir arbeiten daran. Ich bin noch nicht am Ende
meiner Rede. Ich komme noch auf einige Lösungsansätze zu sprechen.
Was die Langzeitarbeitslosen betrifft, sehen Sie, dass
die Mittel im Bundeshaushalt stabil sind. Mit diesem
Thema beschäftigen wir uns seit Jahrzehnten in diesem
Land.
({5})
Wir werden auch nicht aufhören, uns mit diesem Thema
zu beschäftigen.
({6})
Ich darf fortfahren. Die Steuereinnahmen, über die
wir jetzt sprechen, sind verdient worden von den Arbeitnehmern in diesem Land. Sie haben sie mit ihrem Fleiß,
ihrer Innovationskraft und ihrer Leistung möglich gemacht. Denen gilt es Dank zu sagen. Der gilt aber auch
den Arbeitgebern in diesem Land. Ich spreche jetzt bewusst den Mittelstand, das Handwerk und den Handel
an, aber natürlich auch die Familienunternehmen, die
durch nachhaltiges Wirtschaften in ihren Unternehmen
für Pros perität sorgen. Denen müssen wir auch die MögTobias Zech
lichkeit geben, weiterhin in diesem Land gute Geschäfte
zu machen.
({7})
Das heißt, dass wir mit unserer Politik - lieber Peter
Ramsauer, ich bitte, es nicht falsch zu verstehen - auch
sehr viel Wirtschaftspolitik machen. Deswegen ist es
richtig, dass Arbeit und Soziales zusammengehören. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales hat wahrscheinlich die
größten Nebenwirkungen in allen Ausschüssen im Deutschen Bundestag. Vernünftiges Wirtschaften in Deutschland muss möglich sein im Spannungsfeld zwischen
Sicherheit und Flexibilität. Also, wir sind gut gerüstet.
Gut gerüstet müssen wir auch sein; denn wir haben viele
Herausforderungen zu bewältigen.
Wir haben heute schon einige Male über den demografischen Wandel gesprochen. Wir werden immer älter
und immer weniger.
({8})
Darauf müssen wir reagieren. Die Veränderungen spielen sowohl bei der sozialen Sicherung als auch bei der
Arbeitsmarktpolitik eine Rolle. Wir haben heute schon
mehrmals über die Rente gesprochen. Man kann den
demografischen Wandel natürlich nicht in unserem Rentensystem negieren. Auf der anderen Seite hat die Deutsche Rentenversicherung zwei Weltkriege überstanden.
Deswegen, Herr Kollege Birkwald, den demografischen
Wandel werden wir auch gut begleiten, wenn wir kluge Politik machen, aber im Gegensatz zu Ihrer Position
nicht mit Revolution, sondern mit Evolution. Das ist ein
Unterschied. An dieser Evolution, an dieser Weiterentwicklung arbeiten wir.
Hier muss ich zwei Fragen beantworten.
({9})
Niemand, der sein ganzes Leben lang in die soziale Sicherung in Deutschland eingezahlt hat, darf von Altersarmut bedroht sein. Frage eins: Wie schaffen wir das?
Frage zwei: Wie schaffen wir es, Beiträge nicht so festzulegen, dass niemand mehr von seinem Netto leben kann,
weil die Beiträge zu hoch sind? Beides ist gleich wichtig.
({10})
Wir brauchen somit - die Ministerin und auch die
Kanzlerin haben es angesprochen - eine doppelte Haltelinie, die nicht nur die Rente nach unten begrenzt, sondern die Beiträge auch nach oben.
({11})
Das eine bedingt das andere. Das eine ohne das andere
ist unmöglich und wäre generationenfeindlich und somit
nicht zukunftsfähig. Daher gibt es nur diese eine Möglichkeit. An der werden wir arbeiten.
Ein weiteres Thema: Wir haben natürlich jetzt auch
vor, die dritte Säule, der betrieblichen Altersvorsorge,
weiterzuentwickeln. Die BAV - das haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben - soll erweitert werden. Das
ist richtig. Wir brauchen eine starke dritte Säule. Allerdings müssen wir darüber nachdenken, ob der steuerliche Freibetrag, Herr Finanzstaatssekretär, von 7 Prozent
nicht noch Luft nach oben hat.
({12})
Hier müssen wir richtig ansetzen.
Wir müssen auch über die Enthaftung sprechen. Eine
grundsätzliche Enthaftung ist anzustreben. Allerdings
sage ich Ihnen auch: Wenn wir einmal zu dem Punkt
kommen, dass wir die Enthaftung brauchen und die großen Versicherungsunternehmen nicht mehr zahlungsfähig sind und der Protektor zusammengebrochen ist, dann
haben wir in diesem Land ganz andere Dinge zu besprechen.
Wir haben auch das Thema Solo-Selbstständige angesprochen. Hier sind wir wieder bei dem großen Widerspruch zwischen Freiheit auf der einen Seite und
Sicherheit auf der anderen Seite. Frau Dr. Reimann, Sie
haben die Notwendigkeit angesprochen, für Solo-Selbstständige, die nicht in dem Maße für sich vorsorgen können und von Altersarmut bedroht sind, eine Verpflichtung
zur Vorsorge festzuschreiben. Da bin ich bei Ihnen. Ich
bin nicht bei Ihnen - darüber haben wir schon vor ein
paar Wochen diskutiert -, wenn Sie fordern, dass dies
zwangsweise über die Deutsche Rentenversicherung
geschehen soll. Ich glaube, wir können den Menschen
in diesem Land schon zutrauen, dass sie selber für sich
entscheiden, welche Vorsorgemöglichkeiten sie nutzen.
({13})
Das kann neben einer Einzahlung in die Deutsche Rentenversicherung, die man ermöglichen sollte, auch der
Erwerb privaten Immobilienbesitzes oder eine andere
eigenständige Vorsorge aus dem Angebot der deutschen
Versicherungswirtschaft sein. Es ist nicht notwendig,
dass wir immer alles bis zum letzten Punkt und Komma
für die Menschen in diesem Land regeln. Sie sind in der
Regel klug genug, für sich selbst zu sorgen.
Ich möchte auch noch auf den Bereich Arbeitsmarkt
zu sprechen kommen. Wir werden im Zusammenhang
mit Arbeit 4.0 vielen Herausforderungen gegenüberstehen; wir warten jetzt gespannt auf das Weißbuch. Insbesondere sollten wir das Thema Arbeitszeit nicht wie eine
Monstranz vor uns hertragen, sondern - da bin ich dem
BMAS dankbar - offen darüber sprechen. Wir brauchen
mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit, wir brauchen mehr
Flexibilität beim Arbeitsort, wir müssen den Menschen
in diesem Land die Möglichkeit zum lebenslangen Lernen geben und die Betriebe beim Know-how-Transfer
besser unterstützen. Das ist notwendig, weil wir als soziales Land, als soziale Marktwirtschaft im internationalen
Vergleich und in Europa wettbewerbsfähig bleiben wollen; das ist unser Ziel.
Dass wir hier Diskussionen über die Verteilung von
Mitteln führen können, verdanken wir den Menschen
in diesem Land, die täglich zur Arbeit gehen und Steuern zahlen. Wir müssen somit diesen Menschen und den
Betrieben in diesem Land die Möglichkeit geben, weiter Geld zu verdienen. In der Arbeits- und Sozialpolitik
gibt es keine All-inclusive-Pakete. Das heißt, wir werden
immer zwischen verschiedenen Interessen abwägen müssen. Aber wir haben nicht nur große Herausforderungen
vor uns, sondern auch die Mittel, um sie mit einer klugen Politik anzugehen. Die schwarze Null, die wir jetzt
haben, ist da nicht nur ein Ziel, sondern die notwendige
Bedingung für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Lassen Sie uns für diese Bedingung auch in den nächsten
Jahren kämpfen. Dann mache ich mir weder um die soziale Sicherung noch um den Wohlstand der Menschen in
diesem Land Sorgen, trotz aller Probleme, über die wir
hier mehr als gut Bescheid wissen und die wir auch in
Zukunft lösen wollen.
Herzlichen Dank.
({14})
Als nächste Rednerin hat Katja Mast für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Haushalt 2017 des Bundesarbeitsministeriums ist ein
Haushalt für Zusammenhalt und Solidarität in Deutschland.
({0})
Im Gegensatz zu dem, was meine grünen Kolleginnen
und Kollegen die ganze Zeit erzählen, ist das, was in
diesem Haushalt steht, was wir in der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik machen, ein Chancenfinder- und Chancenumsetzerprogramm.
({1})
Natürlich hätten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns an der einen oder der anderen Stelle
mehr vorstellen können; das liegt in der Natur der Sache.
({2})
Natürlich hätten wir uns darüber gefreut, wenn wir es
hingekriegt hätten, beim Thema Langzeitarbeitslosigkeit
endlich den Passiv-Aktiv-Transfer,
({3})
also die Finanzierung von Arbeit anstatt von Arbeitslosigkeit, umzusetzen oder zumindest zu erproben. Aber
dafür haben wir ja bald wieder Wahlkampf und können
uns darüber auseinandersetzen, und wir hoffen, dass wir
für dieses Konzept 50 Prozent der Stimmen bekommen.
({4})
Aber ich sage ganz klar: In der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik haben wir in dieser Legislaturperiode eine
ganze Menge hinbekommen, viel mehr als in anderen
Legislaturperioden, und auch viel mehr als das, was wir
hier als in Haushaltszahlen gegossene Politik debattieren.
({5})
Wir haben nämlich die Würde und den Wert der Arbeit
in den Mittelpunkt der Arbeitsmarktpolitik zurückgeholt.
Ich will es ganz klar sagen: Wir haben den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn endlich eingeführt.
Wir sind die Stärkung der Tarifautonomie und damit
langfristig auch der Tarifbindung angegangen. Wir bekämpfen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen. Wir haben die berufliche Weiterbildung und Bildung
massiv gestärkt und ausgebaut. Wir haben mit dem Rentenpaket I die erste Leistungsverbesserung für Rentnerinnen und Rentner seit Jahrzehnten zusammen auf den Weg
gebracht. Wir haben mit den flexiblen Übergängen eine
kluge Antwort darauf gegeben, dass Menschen länger arbeiten können, wenn sie wollen; aber sie müssen eben
auch nicht. Und wir haben mit dem Integrationsgesetz
endlich Regelungen geschaffen, die wir gerne anderthalb
Jahre früher auf den Weg gebracht hätten: Wir setzen darauf, dass Menschen durch Spracherwerb, Bildung und
Arbeit in Deutschland integriert werden. Das alles haben
wir gemeinsam auf den Weg gebracht.
({6})
Wir haben noch mehr vor. Wir werden wahrscheinlich
in der nächsten Sitzungswoche gemeinsam über das Bundesteilhabegesetz diskutieren. Es geht um eine riesengroße Sozialreform, um Menschen mit Behinderung mehr
Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Wir
werden das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit
gesetzlich verankern; es geht darum, dass Frauen nicht in
der elendigen Teilzeitfalle landen. Wir werden gemeinsam die betriebliche Alterssicherung stärken, und wir
werden auch die gesetzliche Rentenversicherung stärken;
zumindest werden wir eine Debatte darüber führen.
({7})
Ich hoffe, dass wir gemeinsam so mutig sind, weitere Schritte im Kampf gegen Altersarmut zu gehen. Wir
werden über die zentralen Fragen des Wandels in der
Arbeitswelt durch die Digitalisierung diskutieren und
entsprechende Regelungen in Bezug auf Arbeiten 4.0 auf
den Weg bringen.
All das sind wichtige Debatten, um den Wert und die
Würde der Arbeit zu schützen. Deshalb kann ich nur
sagen: Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist in unseren Händen und in den
Händen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles gut
aufgehoben.
({8})
Antje Lezius hat als letzte Rednerin in dieser Aussprache das Wort für die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als letzte
Rednerin muss man ein bisschen zusammenfassen, aber
gerne möchte ich auch ein paar Akzente setzen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Bundeshaushalt 2017 ist zunächst eine überaus gute Nachricht
verbunden: Zum dritten Mal in Folge legen wir einen
Haushalt ohne neue Schulden vor. Gleichzeitig tätigen
wir wichtige Investitionen: in die Sicherheit, in die Integration, in den Arbeitsmarkt, in Bildung und in Infrastruktur. Der Haushalt hat die Zukunft unseres Landes
im Blick. Unser Staat bleibt bei allen Herausforderungen handlungsfähig. Der aktuelle Haushalt stellt erneut
unter Beweis, dass eine aktiv gestaltende Politik und
Haushaltskonsolidierung sehr wohl Hand in Hand gehen
können.
In meinem Wahlkreis in Rheinland-Pfalz gibt es zahlreiche strukturschwache Kommunen. Deswegen ist es
mir wichtig, dass diese im Bundeshaushalt auch bedacht
werden. Auch in diesem Haushalt dient fast jeder fünfte
Euro der Entlastung von Ländern und Kommunen. Trotzdem wird bis 2020 die schwarze Null fortgeführt. Das ist
nicht selbstverständlich, meine Damen und Herren, das
ist das Resultat der unionsgeführten soliden Haushaltpolitik, die mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein
handelt. An dieser Stelle möchte ich Herrn Bundesminister Schäuble und den Kollegen im Haushaltsausschuss
für ihre hervorragende Arbeit herzlich danken.
({0})
Ein wesentlicher Aspekt in Haushaltsberatungen ist
die Frage der Gerechtigkeit. Was gerecht ist, darüber
wird intensiv debattiert. Besonders die Linke dieses Hauses verweist häufig auf die Gerechtigkeitsfrage als Argumentationsmuster. Aber Gerechtigkeit ist beileibe kein
linker Gesinnungsbegriff. Gerechtigkeit ist auch Leitbild
für christdemokratische Politik. Wir als CDU lassen uns
diesen Begriff nicht von den Linken wegnehmen.
({1})
Wir haben die Belastungen im Blick, und wir gehen damit verantwortungsbewusst um.
Im Bereich Arbeit und Soziales treibt uns besonders
die Frage der Generationengerechtigkeit an. Der demografische Wandel ist eine Tatsache: Die Bevölkerungspyramide wird auf den Kopf gestellt. So kommen im
Jahr 2050 nur noch zwei Personen im erwerbsfähigen
Alter auf einen Rentner. Generationengerechtigkeit ist
das Gebot aus dieser Entwicklung.
Arbeit und Soziales weist den höchsten Einzeletat auf.
Hier lässt sich bereits heute der demografische Wandel
ablesen: Für das Jahr 2017 sieht der Bundeshaushalt
91,2 Milliarden Euro für Rentenzahlungen vor. Das ist
eine stattliche Summe. So wichtig und selbstverständlich soziale Sicherung ist: Wir müssen sie aber auch
zukunftsfähig halten. Im Zeichen der Generationengerechtigkeit müssen wir diejenigen achten, die die Renten
erwirtschaften. Weder die aktuelle noch die zukünftigen
Generationen der Beitragszahler dürfen wir über Gebühr belasten. Das sind wir unseren Kindern und Enkeln
schuldig.
Auch die andere Seite müssen wir im Blick behalten: die Unternehmen. Sie erwirtschaften diese Beträge
gemeinsam mit ihren Beschäftigten. 59 Prozent aller
regulär Beschäftigten arbeiten in kleinen und mittleren
Unternehmen. Das Vermögen der Unternehmer ist oft in
den Betrieben gebunden. Die rot-rot-grüne Lieblingsidee
einer Vermögensteuer ist Gift für die KMUs. Selbst ein
Thorsten Schäfer-Gümbel erkennt, dass sie die Unternehmen in ihrer Substanz gefährden würde. Es bleibt zu
hoffen, dass sich diese Einsicht in der SPD durchsetzt.
({2})
Im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales ist aber nicht nur Soziales enthalten. Das vergessen manche Parteien gerne. Dabei ist die Arbeit essenziell für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Uns geht es
um mehr als um kurzfristige Erfolge bei den Kennzahlen
des Arbeitsmarktes. Wir stellen mit dem vorliegenden
Haushalt die Weichen für die Zukunft der Arbeit. Wir diskutieren vor dem Hintergrund des demografischen Wandels über ein neues Leitbild der Arbeit. Auch das macht
Generationengerechtigkeit aus. Das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales und wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind seit längerem mit diesem Thema befasst. Gemeinsam mit den Tarifpartnern entwerfen wir an
einem Tisch die Strategien dazu. Unter dem Schlagwort
„Arbeit 4.0“ erarbeiten wir Ideen für die Arbeitswelt der
Zukunft. Dabei geht es um neue Arbeitszeitmodelle, um
die Frage der Work-Life-Balance, um neue AnforderunKatja Mast
gen an soziale Absicherung von Arbeit oder auch den
Stellenwert von Arbeit, die nicht Erwerbsarbeit ist; dazu
zählt die Pflege von Angehörigen, aber auch die ehrenamtliche Tätigkeit.
Der Betrieb der Zukunft stellt nicht nur Fragen an
grundsätzliche Anforderungen wie flexible Arbeitszeiten,
verbesserten Arbeitsschutz und intelligente Netzwerke,
sondern es geht auch darum, wie wir den Fachkräftenachwuchs sichern können. Wie gelingt uns die Integration
von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive? Wie motivieren
wir ältere Menschen, ihren Erfahrungsschatz länger den
Betrieben zur Verfügung zu stellen, Stichwort „Flexirente“? Wie ermöglichen wir Frauen bessere Aufstiegschancen? Und wie verbessern wir die Work-Life-Balance und
die Schnittstelle zwischen Familie und Beruf?
({3})
Wir gehen einen Schritt in diese Richtung, indem wir
den Fokus auf gute Bildung und gute Ausbildung legen.
Ich freue mich sehr darüber, dass im vorliegenden Haushaltsentwurf der Bereich der beruflichen Bildung einen
großen Stellenwert einnimmt.
({4})
Wir stellen über die Initiative „Bildungsketten bis zum
Ausbildungsabschluss“ Mittel zur Verfügung. So unterstützen wir gemeinsam mit den Ländern mit 70 Millionen Euro Jugendliche in der Orientierungsphase vor
Eintritt in den Beruf. Ich habe selbst als Unternehmerin
junge Menschen ausgebildet. Deswegen weiß ich, was
benötigt wird. Kleine und mittelständische Unternehmen
brauchen speziell auf sie zugeschnittene Weiterbildungsangebote, Beratung und weniger Bürokratie. Wir fördern überbetriebliche Berufsbildungsstätten in 2017 mit
62 Millionen Euro.
Darüber hinaus bleibt der Fachkräftemangel eine
grundlegende Fragestellung für uns.
({5})
Mit dem Meister-BAföG geben wir darauf eine Antwort.
Aus dem Etat des BMBF fördern wir 170 000 junge
Menschen mit 265 Millionen Euro.
Dann gibt es die Studienabbrecher. Ihr Potenzial dürfen wir nicht verschenken. Hier weist die Initiative zur
Gewinnung von Studienabbrechern für die berufliche
Bildung eine neue Perspektive auf. So stärken wir unser
System der dualen Ausbildung und eröffnen mehr Jugendlichen den Weg zu einer Berufsausbildung.
({6})
Frau Ekin Deligöz muss ich leider widersprechen. Ich
habe in dieser Woche ein Gespräch mit Vertretern der regionalen BA in meiner Heimat geführt. Es freut mich, zu
hören, dass für die Arbeit vor Ort, sowohl für die Ausstattung der Arbeitsagenturen als auch für die Integration
in den Arbeitsmarkt, zurzeit genügend Mittel vorhanden
sind, um Menschen in Arbeit zu bringen.
({7})
Wir können es uns nicht leisten, Potenziale zu verschenken. Deswegen erhalten all diejenigen Unterstützung, die
sie benötigen. Auch das trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.
({8})
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, der Bundeshaushalt 2017 ist gut und solide finanziert. Er beweist,
dass sich Konsolidierung und Investitionen nicht ausschließen. Gerade im Bereich Arbeit und Soziales stärken wir die Talente, die unser Land voranbringen. Wir
finden gemeinsam eine Balance zwischen Stabilität und
Wachstum, und wir stärken den Gedanken der Gerechtigkeit zwischen den Generationen; denn das macht die
CDU als Partei der Mitte aus.
Danke schön.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales - in
der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist der Einzelplan 11 in der Ausschussfassung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Drucksachen 18/9816, 18/9824
Berichterstatter für diesen Einzelplan sind die Abgeordneten Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike
Gottschalck und Ekin Deligöz.
Zu dem Einzelplan 17 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über diesen Entschließungsantrag werden wir morgen nach der
Schlussabstimmung abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Michael Leutert von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, wir beraten heute abschließend den
Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. Der Begriff „Kinder“ taucht im Titel nicht auf. Aber Kinder sind natürlich elementarer Bestandteil vieler Familien. Das ist auch ein Grund dafür,
dass viele Leistungen für Kinder in Ihrem Haushalt angesiedelt sind. Eine Leistung, die alle Familien mit Kindern
kennen, ist das Kindergeld bzw. der Kinderfreibetrag.
Dort gibt es eine Schieflage. Ich möchte jetzt dafür werben, dass wir diese Schieflage beseitigen.
({0})
Es geht um zweierlei:
Erstens. Kindergeld bekommen alle Familien, auch
diejenigen mit höherem Einkommen, zum Beispiel wir
Abgeordneten. Da bei uns aber die Freibeträge ziehen,
müssen wir das Kindergeld in der Steuererklärung angeben und es zurückzahlen. Das hat trotzdem den Effekt,
dass diejenigen mit höherem Einkommen aufgrund der
Freibeträge vom Staat besser behandelt werden als diejenigen, die ein geringeres Einkommen haben und nur das
Kindergeld beziehen. Das sollten wir nicht so lassen. Ich
bin schon der Meinung, dass uns alle Kinder gleich viel
wert sein sollten.
({1})
Die zweite Schieflage ist: Beim Kindergeld gibt es
eine Differenzierung. Für das erste und zweite Kind gibt
es 190 Euro, für das dritte Kind 196 Euro und ab dem
vierten Kind 221 Euro. Es ist unklar, warum es für die
ersten zwei Kinder weniger Kindergeld gibt als für das
dritte und vierte Kind. Ich möchte allerdings darauf hinweisen: Bei den Freibeträgen gibt es diese Differenzierung nicht. Es ist also nicht etwa so, dass es für das erste
Kind einen Freibetrag von 5 000 Euro, für das zweite
einen Freibetrag von 6 000 Euro und für das dritte einen
Freibetrag von 7 000 Euro gibt, sondern die Freibeträge
sind für alle Kinder gleich hoch und belaufen sich auf
etwas mehr als 7 000 Euro. Auch diese Schieflage muss
beseitigt werden.
({2})
Wir brauchen also ein höheres Kindergeld, und die beschriebene Differenzierung muss abgeschafft werden,
weil uns alle Kinder gleich viel wert sein müssen.
Es gibt aber auch Kinder, die es ein wenig schwerer
haben. Ich spreche von Kindern, die mit nur einem Elternteil aufwachsen müssen; meistens ist es der Vater, der
nicht mehr da ist. Es ist schon eine schwierige Situation,
ohne Vater aufzuwachsen; auch für die alleinerziehende
Mutter ist die Situation schwierig. Aber wenn der Vater zudem auch nicht zahlt, wird die Sache noch etwas
schwieriger.
Um das auszugleichen, gibt es den Unterhaltsvorschuss. Der Unterhaltsvorschuss wird für Kinder bis
maximal zum Ende des zwölften Lebensjahres und für
maximal sechs Jahre gezahlt. Man könnte auch sagen: Er
wird gezahlt, bis das Kind 13 oder 14 Jahre alt ist, und
die Bezahlung erfolgt maximal über einen Zeitraum von
7 der 8 Jahren. Diese Grenzziehung ist völlig willkürlich.
Niemand kann das erklären.
Wir sind der Meinung, dass der Unterhaltsvorschuss
reformiert werden soll. Es gibt nun einen Gesetzentwurf.
Danach wird gezahlt, bis die Kinder 18 Jahre alt sind, und
die Zahlung erfolgt maximal 18 Jahre lang. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, man liest ja jetzt von
Ihnen hin und wieder, dass es da noch Gesprächsbedarf
geben würde oder dass dieser Gesetzentwurf handwerklich schlecht gemacht wäre. Ich kann nicht sehen, was
man da handwerklich schlecht machen kann. Ich möchte
Sie auffordern, hier - auch was die Länder betrifft - nicht
zu blockieren.
({3})
Denn niemand kann erklären, dass wir im Bundestag bereit sind, Milliardenbeträge für Banken- und Euro-Rettung oder auch für Sicherheit - gestern haben wir den
Verteidigungshaushalt mit einem Plus von 2,3 Milliarden
Euro beschlossen - auszugeben, während bei der sozialen Sicherheit gespart wird. Auch soziale Sicherheit
ist eine wichtige Sicherheit. Diese Reform würde uns
100 Millionen Euro kosten. Das sollte es uns wert sein.
({4})
Wir beschließen mit diesem Haushalt auch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Dieses Bundesprogramm ist in den letzten Jahren - was auf unsere Zustimmung stößt - immer weiter ausgebaut worden. Wir haben
jetzt dafür im Haushalt einen Betrag von über 100 Millionen Euro verankert. Ich möchte noch einmal daran erinnern, wie wichtig das ist.
In dieser Woche ist der Sachsen-Monitor öffentlich
vorgestellt worden, der die Ergebnisse einer Umfrage
umfasst. Mit Sachsen beschäftigen wir uns, was diese
Frage angeht, ja immer wieder. Ich möchte hier zwei
Zahlen daraus nennen: Auf die Frage „Ist die Bundesrepublik Deutschland durch Ausländer überfremdet?“ antworteten in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt
18 Prozent der Befragten mit Ja. In Sachsen waren es
58 Prozent.
({5})
Die Frage „Braucht Deutschland eine starke Partei, die
die Interessen der Volksgemeinschaft insgesamt vertritt?“ wird in der gesamten Bundesrepublik Deutschland
von 23 Prozent der Befragten mit Ja beantwortet. Das ist
schon ein Wert, der mich bedenklich stimmt. In Sachsen
haben auf diese Frage 62 Prozent mit Ja geantwortet. Daran sieht man, dass das Programm wichtig ist und dass
wir es weiter ausbauen müssen.
Im Übrigen zeigen die Zahlen auch noch etwas anderes: dass nämlich nicht nur die sogenannten Abgehängten
solche Meinungen vertreten. Vielmehr ist es so, dass das
leider in der breiten Mitte der Gesellschaft salonfähig ist.
Dem müssen wir etwas entgegensetzen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das muss auf eine
verlässliche Grundlage gestellt werden. Deshalb brauchen wir ein sogenanntes Demokratieförderungsgesetz.
Ich hoffe doch, dass dieses Demokratieförderungsgesetz
noch in dieser Legislaturperiode hier im Plenum behandelt wird.
({7})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft
das Personal. Frau Ministerin, es ist meines Erachtens
extrem wichtig, dass gerade in Ihrem Haus und den
nachgeordneten Behörden die Menschen möglichst unbefristet beschäftigt werden. In einigen nachgeordneten
Behörden - zum Beispiel im Bundesamt für Familie und
zivilgesellschaftliche Aufgaben - sind 30 Prozent der Arbeitsverhältnisse befristet. Das ist natürlich ein wesentlich zu hoher Prozentsatz. Dort bessern wir derzeit nach.
Vielleicht werden wir auf 25 Prozent kommen. Das wäre
schon mal nicht schlecht.
Ich möchte in dem Zusammenhang aber auch darauf
hinweisen, dass es Institute - zum Beispiel das Deutsche
Jugendinstitut; es begleitet viele Programme wissenschaftlich - gibt, wo 66 Prozent der Arbeitsverhältnisse
befristet sind. Bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beträgt der entsprechende Prozentsatz 75 Prozent, selbst bei den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern sind es noch 38 Prozent. Das sind im Übrigen
meistens junge Frauen. Und genau denen wollen wir eine
Perspektive geben, um eine Familie gründen zu können.
Ich bitte darum, an diesem Punkt noch Abhilfe zu schaffen.
Vielen Dank.
({8})
Als nächste Rednerin hat die Bundesministerin
Manuela Schwesig für die Bundesregierung das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Es gibt ja eine gute Regel in
diesem Haus, wonach kein Gesetz dieses Haus so verlässt, wie es hier hineingekommen ist - auch nicht das
Haushaltsgesetz. Das freut mich aus Sicht des Bundesfamilienministeriums natürlich besonders; denn in den
Haushaltsberatungen wurden zusätzlich zu den Mitteln,
die ich schon in den regierungsinternen Beratungen verhandelt habe, weitere Mittel bewilligt. Das ist ein sehr
gutes Signal. Im Zuge der parlamentarischen Haushaltsberatungen haben wir für das Bundesfamilienministerium eine Aufstockung auf 9,5 Milliarden Euro erreicht.
Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der
Legislaturperiode und zeigt eines: Uns sind die Familien
im Land wichtig. Das ist ein gutes Signal für die Familien in unserem Land.
({0})
Die Mehrmittel kommen unter anderem dadurch
zustande, dass in Deutschland nach 15 Jahren endlich
wieder mehr Kinder geboren wurden. Das ist eine gute
Nachricht. Auch eine in den letzten Wochen veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in unserem Land sagt: Unser Land ist
familienfreundlicher geworden. - Das ist gut und freut
uns.
Darauf wollen wir uns aber nicht ausruhen; wir wollen
noch mehr für die Familien tun. Wir wollen insbesondere, dass die Familien mehr Zeit füreinander haben, dass
sie eine gute Infrastruktur für ihre Kinder vorfinden zum Beispiel Ganztagskitas - und dass sie natürlich auch
mehr Geld bekommen. Diese drei Dinge gehören zu einer guten Familienpolitik, und dafür sorgen wir auch.
Erstens. Wir geben mehr Geld aus, damit die Familien
mehr Zeit füreinander haben. Dafür sorgen wir insbesondere mit dem Elterngeld. Auch das neue Elterngeld Plus
wird viel besser angenommen, als wir es gedacht haben.
Deswegen stocken wir die Mittel dafür auf.
Zweitens. Wir geben mehr Mittel denn je für die Infrastruktur aus. Während wir als Bund in 2013 noch
1,5 Milliarden Euro für die Kindertagesbetreuung ausgegeben haben, sind es in 2017 2,5 Milliarden Euro für
den Bau von Kitas und für die Verbesserung der Qualität
in den Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege.
Wie Sie alle wissen, haben wir uns mit den Ländern
auf eine Qualitätsoffensive verständigt. Alle Länder bis
auf das Land Hessen sind dabei.
({1})
Deshalb freut es mich auch, dass wir mit diesem Haushalt
einen ersten richtigen Schritt in diese Richtung gehen.
Wir geben nämlich erstmalig auch für die Finanzierung
von Plätzen für über Dreijährige Geld aus. Außerdem
geben wir Geld für die Verbesserung der Sprachförderung in den Kitas aus; denn Sprache ist der Schlüssel für
Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das
fängt schon bei den Kleinsten an.
({2})
Ich freue mich deshalb, dass wir die Anzahl der sogenannten Sprach-Kitas verdoppeln können. 3 500 weitere
Kitas werden zukünftig zusätzliche Erzieherinnen und
Erzieher für die Sprachförderung bekommen.
Drittens. Natürlich sollen die Familien auch finanziell
gut unterstützt werden. Das Kindergeld ist hier die beliebteste Leistung. Es gibt aber Familien, bei denen die
Eltern jeden Tag arbeiten gehen, aber ein so kleines Einkommen haben, dass sie selbst mit dem Lohn und dem
Kindergeld nicht klarkommen und zum Amt müssen, um
Sozialleistungen zu beantragen. Gerade diesen Eltern
müssen wir besser helfen.
Deshalb freue ich mich, dass wir schon in diesem Jahr
den Kinderzuschlag um 20 Euro aufgestockt haben und
in 2017 noch einmal nachlegen werden. Diese Familien
werden zukünftig mit dem erhöhten Kindergeld und dem
erhöhten Kinderzuschlag 360 Euro im Jahr mehr haben.
Das ist ganz wichtig; denn das ist ein wichtiger Beitrag
zur Bekämpfung der Kinderarmut. Kinder, deren Eltern
arbeiten gehen, dürfen nicht erleben, dass die Eltern und
Kinder trotz Arbeit arm bleiben.
({3})
In einer aktuellen Diskussion geht es um die Verbesserung des Unterhaltsvorschusses. Ich weiß, dass sich
alle Fraktionen für dieses Thema einsetzen, und ich freue
mich sehr, dass sich Bund und Länder im Rahmen der
doch sehr komplizierten Bund-Länder-Finanzbeziehungen darauf verständigt haben, dass wir den Unterhaltsvorschuss verbessern wollen.
Sie alle kennen die Situation. Eine alleinerziehende
Mutter hat mir vor kurzem ihre Situation beschrieben:
Erst hat sich mein Partner aus dem Staub gemacht - er
hat noch nicht einmal für das Kind gezahlt -, und jetzt,
da mein Kind 13 Jahre alt wird, macht sich der Staat aus
dem Staub, weil der Staat eben nur bis zur Vollendung
des zwölften Lebensjahres und maximal sechs Jahre lang
für den Unterhalt einspringt. - Jeder von uns, der Kinder
hat, weiß: Gerade zu dieser Jahreszeit braucht man eine
neue Winterjacke und ein Paar neue Winterschuhe. Dadurch sind ganz schnell 100 bis 200 Euro weg, und damit
hat man das Geld noch nicht einmal sozusagen verprasst.
Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir diesen Unterhaltsvorschuss ausbauen und auch nicht mehr begrenzen.
Und ja, wir müssen uns dazu noch mit den Ländern
über die Finanzen verständigen. Der Finanzminister und
ich sind uns mit dem Kanzleramt einig, dass der Vorschlag des Finanzministers gut ist, das, was der Bund
zukünftig bei Sozialleistungen einspart - weil wir damit
alleinerziehende Mütter und Väter aus dem Sozialleistungsbezug herausholen -, an die Länder weiterzugeben.
Wir wollen auch Verbesserungen beim Eintreiben des
Unterhaltsvorschusses. An der Stelle stehe ich an der Seite des Finanzministers, dass dieses Angebot im Rahmen
der Gesamtfinanzbeziehungen, wo der Bund ja zukünftig
rund 10 Milliarden Euro pro Jahr geben soll, gut ist. Deshalb wollen wir an der Stelle weiterverhandeln.
({4})
Ich verstehe auch die Kommunen, die sagen: Wir brauchen Zeit für die Umsetzung. - Das ist richtig. Deshalb
wollen wir mit den Kommunen auch über eine gewisse
Übergangszeit für die Bearbeitung sprechen. Die Leistung kann auch rückwirkend gewährt werden. Niemand
erwartet, dass alle sofort am 2. Januar den Bescheid und
das Geld bekommen. Was wir aber nicht machen sollten,
ist, das Inkrafttreten infrage zu stellen; denn dann würde den Alleinerziehenden die Leistung verloren gehen.
Keine Alleinerziehende, kein Alleinerziehender darf die
Leistung verlieren. Darum geht es bei einer Lösung.
({5})
Deshalb werbe ich sehr dafür, dass wir jetzt mit Kommunen und Ländern sprechen, damit wir hier gemeinsam
eine gute Lösung für die Alleinerziehenden hinbekommen, die viel leisten, jeden Tag für ihre Kinder da sind oft allein -, aber finanzielle Probleme haben. Sie haben
unsere Unterstützung besonders verdient.
Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Dörner zu?
Ja, selbstverständlich. - Geht das von meiner Redezeit
ab?
Nein, keine Sorge.
Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Sie haben richtigerweise gesagt - das
kann ich auch für die Grünen sagen -, dass wir die Inhalte der Reform im Sinne der Alleinerziehenden uneingeschränkt unterstützen. Wir haben aber leider erleben müssen, dass das Unterhaltsvorschussgesetz in dieser Woche
von der Tagesordnung genommen wurde und - jedenfalls
ausweislich der mir vorliegenden Planung - auch nicht
auf der Tagesordnung der nächsten Woche steht. Können
Sie uns erläutern, wie jetzt noch - auch mit Blick auf die
notwendigen Beratungen im Bundesrat - ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2017 gelingen soll?
({0})
Es wäre ja möglich, es nächste Woche noch zu beschließen. Ich bin sicher, dass, nachdem Bundestag
und Bundesrat mehrfach bewiesen haben, dass milliardenschwere Bankenrettungspakete hier ganz schnell
durchgehen, die Beratung dieses Gesetzentwurfes für die
Alleinerziehenden genauso zügig durchgeführt werden
kann.
({0})
Dies wäre eine große Unterstützung. Ich bin mir ganz sicher, dass die Koalitionsfraktionen diese Sache auf den
Weg bringen; denn wir sind uns ja auch in der Bundesregierung einig.
Der Finanzminister und ich haben die Formulierungshilfe gemeinsam ins Kabinett eingebracht, und sie ist dort
beschlossen worden. Aber an der Stelle - ich weiß, dass
die Grünen die Idee auch unterstützen - wäre es natürlich
super, wenn ich mich nicht nur auf die Koalitionsfraktionen verlassen könnte, sondern wenn Sie - und auch die
Linken - dort, wo Sie in den Ländern Regierungsverantwortung tragen, darum bitten würden, den Prozess der
Verhandlungen zu beschleunigen. Dann würden wir ein
großes Stück vorankommen.
({1})
Bisher gibt es von keinem einzigen Land ein Go. Das ist
das Problem.
({2})
Letzter Punkt, den ich gern ansprechen möchte: Sie
wissen, dass unser Haus auch ein Gesellschaftsministerium ist, das insbesondere das Ehrenamt und die zivilgesellschaftlichen Kräfte unterstützt, die unser Land zusammenhalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,
wir alle erleben eine Verrohung in unserer Gesellschaft.
Wir alle erleben, dass mittlerweile Hass und Hetze das
Netz und die Straße bestimmen. Wir müssen daher gemeinsam dafür sorgen, dass die große Mehrheit, die
diesen Hass und diese Hetze nicht will, die sich deshalb
vielleicht auch zurückzieht, stark gemacht wird. Denn
wer Hass und Hetze im Wort betreibt, schürt letztendlich auch Gewalttaten, und dagegen müssen wir uns gemeinsam stellen. Wir müssen die vielen Ehrenamtlichen
und Hauptamtlichen, die in diesen Bereichen arbeiten, in
unseren Vereinen, in den Verbänden, besser unterstützen.
({3})
Dieses Zeichen haben Sie mit dem Etat gesetzt, den wir
heute hier beraten und dann auch verabschieden.
Wir werden die Mehrgenerationenhäuser besser unterstützen. Die Mittel werden nicht nur verstetigt, sondern
es können auch 100 neue Mehrgenerationenhäuser entstehen. Dort wird Zusammenhalt gelebt, und dies müssen
wir stärken.
({4})
Wir haben gemeinsam dafür gesorgt, dass es für das
Programm „Demokratie leben!“ jetzt zu einer Verdoppelung der Mittel gekommen ist, und dass wir gerade auch
für die Jugendarbeit die notwendige Mittelaufstockung
erreicht haben. Das ist ein wichtiges Signal an die jungen
Menschen in unserem Land.
Wer daran glaubt, dass es trotz aller Kritik an der
Demokratie und in der Demokratie besser ist, friedlich,
freiheitlich und solidarisch zusammenzuleben, wer daran
glaubt und sich in unserem Land in Vereinen, in Verbänden, in Mehrgenerationenhäusern, in Nachbarschaftshilfen engagiert, der hat uns an seiner Seite, der wird von
uns unterstützt - nicht nur mit Worten, sondern auch ganz
konkret materiell. Das ist ein ganz wichtiges Signal, das
wir heute hier gemeinsam senden. Wir wollen mit den
Menschen, die an unser Land glauben und sich dafür einsetzen, dieses Land gegen Hass, Hetze und Gewalt weiter
stark machen.
({5})
Sie sehen also, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir haben hier einen Haushalt, mit dem es möglich
ist, auch im nächsten Jahr Familien zu stärken und für
den Zusammenhalt in unserem Land zu sorgen.
Deshalb noch einmal herzlichen Dank für die guten
Beratungen. Ich freue mich auf die Umsetzung im nächsten Jahr.
({6})
Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin! Erst einmal herzlichen Dank für
die guten Beratungen, vor allem an unseren Hauptberichterstatter Michael Leutert, der uns durch das Verfahren geführt hat. Wir sind am Ende des vierten Haushaltsverfahrens dieser Legislaturperiode. Als Kurzbilanz ist
zu sagen: Grundsätzlich schätze ich die inhaltliche Ausrichtung des Familienministeriums und die Programme,
die hier vorgestellt wurden. Auch fachpolitisch ist das
Haus an sich gut aufgestellt.
Aber es gibt ein sehr gravierendes Problem, Frau
Ministerin: Sie werden zunehmend zu einer Ankündigungsministerin. Zwei Tage vor der Bereinigungssitzung
haben Sie einen längeren Gastbeitrag in der Frankfurter
Rundschau herausgebracht, in dem steht, was familienpolitisch alles möglich und nötig wäre. Nur bleibt Ihr
Handeln weit hinter dem zurück, was Sie dort angekündigt haben.
In dem Gastbeitrag steht zum Beispiel, dass mehr zur
Zeitpolitik für Familien geschehen muss. Die Regierung
aber liefert nicht. In dem Artikel steht: Das Familiengeld
muss her. Die Regierung aber liefert nicht. Da steht, dass
ein Rechtsanspruch auf Schulkindbetreuung geschaffen
werden müsste. Die Regierung aber liefert nicht. In dem
Artikel steht auch, dass eine Reform der Familienförderung dringend notwendig ist. Die Regierung aber liefert
nicht.
Dann versprechen Sie zum 1. Januar 2017 die Entfristung des Unterhaltsvorschusses. Die entscheidenden
Regelungen zur Finanzierung hätten Sie aber schon viel
früher mit den Ländern angehen und besprechen können - haben Sie aber nicht. Sie sind eine Ankündigungsministerin.
({0})
Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
Wir als Grüne haben mehrere Anträge eingebracht,
unter anderem auch zum Bereich Zeitpolitik. Uns geht es
darum, zu zeigen, wie man die Chancen nutzen kann, um
gesellschaftspolitisch voranzukommen, selbstverständlich auch - aber nicht nur - im Sinne der Alleinerziehenden. Vielmehr müssen wir alle gemeinsam etwas tun.
Zur Familienarbeitszeit haben Sie zum Beispiel in
dem Artikel geschrieben, sie müsste eingeführt werden,
auch weil das Elterngeld Plus nicht flexibel und weitgehend genug ist. Sie bleiben da aber im Konjunktiv. Wir
haben ein Papier vorgelegt, in dem steht, wie man es machen kann. Unser zeitpolitisches Paket besteht aus drei
Punkten: erstens Flexibilität in der gemeinsamen Kindererziehung, zweitens eine vernünftige Pflegezeit, drittens
die Bildungszeit. Machbar, konkret, sofort umsetzbar!
Liefern Sie!
({1})
Zur Kindertagesbetreuung. Das, was Sie mit dem
Sprach-Kita-Programm machen - das ist auch ausgeweitet worden -, unterstütze ich ausdrücklich. Das finde ich
gut. Sie und auch wir alle wissen, dass das nur ein Baustein ist. Wenn wir wirklich etwas nach vorne bringen
wollen, dann brauchen wir bundesgesetzlich geregelte
Qualitätsstandards. Diese brauchen wir nicht übermorgen, sondern diese brauchen wir jetzt, und zwar flächendeckend und mit einer Finanzierungsgrundlage.
Jetzt reden Sie davon, dass eine Initiative mit den Ländern zur Kinderbetreuung ab 2020 entstehen könnte. Wie
das erfolgen soll, wie das finanziell unterlegt ist und in
welchem Kostenrahmen das geschehen soll, ist noch ungewiss. Es kommt zu spät und gleicht einem ungedeckten Scheck. Sie liefern nicht.
({2})
Sie schreiben, dass wir dringend etwas gegen Familienarmut tun müssten. In diesem Zusammenhang sprechen Sie explizit von „Kindergeld, Kinderzuschlag“ und
„Steuern“. Da sind wir ganz bei Ihnen. Das müssen wir
tatsächlich angehen. Aber wo ist die Initiative? Wie sieht
es bei Ihnen konkret aus? Wo bleibt denn die Reform von
Familien- und Eheförderung? Über die Jahre hinweg haben Sie in Ihrem Haus Evaluationen durchführen lassen.
Die Ergebnisse sind glasklar, aber die Konsequenzen liegen verschleiert in weiter Ferne. Es nur anzukündigen,
heißt noch lange nicht, es auch gut zu machen. Das reicht
uns nicht; Sie müssen auch liefern und konkret werden.
({3})
Jetzt komme ich zum Unterhaltsvorschuss. Die Entfristung des Unterhaltsvorschusses wäre tatsächlich
eine überfällige Maßnahme gegen Armut. Dass wir die
Alleinerziehenden, die primär von Armut bedroht sind,
nicht alleine lassen, fordert meine Fraktion übrigens seit
zwei Jahren. Wir haben dazu - auch im Haushaltsausschuss - mehrere Anträge eingebracht. In den letzten
zwei Jahren wurden all diese Anträge von Ihnen brüsk
zurückgewiesen.
Jetzt kommen Sie selber kurz vor Jahresende mit
diesem Thema daher. Ein Schelm, wer an das Wahljahr
denkt! Das tun wir gar nicht, sondern wir sind total begeistert über dieses Umdenken und darüber, dass die Argumente bei Ihnen angekommen sind. Das freut uns, und
wir unterstützen Sie gerne dabei. Die Sache hat nur einen
Haken: Haben Sie denn vorher ein einziges Mal mit den
Ländern, die die Hauptkosten zu tragen haben, geredet?
({4})
Haben Sie ein einziges Mal mit ihnen verhandelt? Warum kommen Sie eigentlich erst dann, wenn sämtliche
Länder ihre Haushaltsverfahren eigentlich schon abgeschlossen haben, statt dann, wenn sie noch laufen?
({5})
Sie wissen genau wie ich: Der Bund wird dadurch Entlastungen haben. Da die Systeme unterschiedlich sind,
werden viele Kommunen, aber insbesondere die Länder
die Kosten tragen müssen. Was die Länder beschlossen
haben, läuft ab 2020. Die Finanzierungsgrundlage haben
Sie aber nicht beschlossen. Mir ist kein Protokoll oder
Ähnliches darüber bekannt. Das hätten Sie tun sollen;
das wäre Ihre Hausaufgabe gewesen. Sie haben es aber
nicht getan.
({6})
Deshalb wissen wir jetzt nicht, ob das tatsächlich zum
1. Januar in Kraft treten kann. Selbst wenn es so wäre:
Die Kommunen müssen auch eine realistische Chance
bekommen, das Ganze umzusetzen und dafür Mitarbeiter
einzustellen. Wenn Sie es wirklich von ganzem Herzen
ernst gemeint hätten, dann hätten Sie in den letzten drei
Jahren sehr viel Zeit gehabt, das zu verhandeln und umzusetzen. Das haben Sie aber nicht getan.
({7})
SPD und Union wollen nächstes Jahr als Parteien der
Familien auftreten. Sie haben aber in den Haushaltsvorschlägen, die Sie vorgelegt haben, diese Chance vertan.
Sie haben mehr angekündigt, als Sie tatsächlich umsetzen.
({8})
Alois Rainer hat als nächster Redner für die CDU/
CSU das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hinter uns liegen lange, harte, aber auch faire Haushaltsberatungen.
Deshalb gleich zu Beginn ein herzliches Dankeschön an
meine Mitberichterstatter Michael Leutert, Ekin Deligöz
und Ulrike Gottschalck. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit!
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen,
dass wir mit dem Ergebnis zufrieden sein können. Auch
in diesem Jahr und damit das dritte Jahr in Folge einen
Haushaltsplan ohne neue Schulden vorzulegen, ist alles
andere als eine Selbstverständlichkeit.
({0})
Das heißt, dass der Bund im nächsten Jahr erneut mit den
Einnahmen seine Verpflichtungen erfüllt und ohne Neuverschuldung auskommen wird. Durchaus stolz dürfen
wir auch sagen, dass das richtig und gut ist und dass die
Koalition die Finanzen fest im Griff hat.
In den nächsten Jahren steht die Finanzpolitik gesamtstaatlich dennoch vor großen Herausforderungen. Um
die finanziellen Belastungen der nächsten Jahre tragen zu
können, bedarf es deshalb auch weiterhin ein Stück weit
Haushaltsdisziplin.
Wer in den letzten Tagen an den Plenarsitzungen teilgenommen hat, hat vieles gehört, darunter hier und da
die Aussage: Wir investieren in Deutschland zu wenig.
Tatsächlich investieren wir so viel wie nie zuvor. Die gesamtstaatliche Investitionsquote liegt bei 11 Prozent. Das
spiegelt sich auch im Einzelplan 17 wider. Trotz vieler
gesetzlicher Aufgaben wird investiert. Wir investieren
weit über 2 Milliarden Euro in die Kitas und die Kindertagesbetreuung; die Ministerin hat das gerade angesprochen. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass dies eigentlich originäre Länderaufgaben sind.
Wir unterstützen die Länder und Kommunen dabei. Wir
machen das gern. Wir investieren hier in unsere Zukunft,
in unsere Kinder und unsere Jugendlichen.
Das Volumen des Einzelplans 17 beläuft sich auf circa
9,5 Milliarden Euro. Vom Finanzvolumen her ist er damit
der siebtgrößte Etat des Bundes. Das ist nicht ohne; das
kann sich sehen lassen. Im Vergleich zum Regierungsentwurf wurden die Mittel für diesen Einzelplan um circa 330 Millionen Euro angehoben. Der Aufwuchs des
Einzelplans geht im Wesentlichen auf Verbesserungen
der gesetzlichen Leistungen und der Inanspruchnahme
bei Kinder- und Elterngeld zurück. Das Elterngeld ist
wahrlich ein Erfolgsmodell. Man kann freudig feststellen, dass die Geburtenrate in Deutschland steigt. Darüber freuen wir uns, genauso wie über die Tatsache, dass
der betreffende Ansatz auf 6,4 Milliarden Euro angehoben wurde. Ich freue mich, dass wir bei den gesetzlichen
Leistungen nachbessern konnten - und auch nachbessern
mussten -; denn das zeigt eindrucksvoll, dass die gesetzlichen Leistungen, die wir anbieten, wirken.
Weiterhin ist es im parlamentarischen Verfahren gelungen, zusätzliche Impulse für bürgerschaftliches Engagement zu geben und im Rahmen der vielfältigen
Programme weitere Akzente zu setzen. Uns alle hat besonders gefreut, dass wir bei der Jugendverbandsarbeit
den Stand des letzten Jahres wiederherstellen konnten.
({1})
Dies war uns Berichterstattern besonders wichtig. Uns ist
es bewusst, aber vielen Menschen außerhalb des Parlaments ist es nicht bewusst, welch gute Arbeit die Jugendverbände in unserem Land leisten. Sie unterstützen nicht
nur, sondern schaffen auch Vertrauen und geben Halt und
vor allem Kameradschaft.
({2})
Nicht nur die Jugendverbandsarbeit wurde aufgewertet. Vielmehr erfährt der gesamte Kinder- und Jugendplan
eine Erhöhung von circa 30 Millionen Euro im Vergleich
zum Regierungsentwurf. Damit steht ein Gesamtvolumen von circa 178 Millionen Euro in diesem Bereich
zur Verfügung. Mit diesen Mitteln konnten beispielsweise - wie gewünscht - die Erhöhung der Mittel für die Jugendmigrationsdienste oder die dringend notwendige Erhöhung der Mittel für die C1-Sprachkurse durchgeführt
werden. Zudem ist es uns gelungen, die Bundesstiftung
Mutter und Kind weiterhin zu unterstützen.
Als viertem Redner ist es mir natürlich wichtig - das
wird heute noch oft angesprochen werden -, zum Unterhaltsvorschussgesetz zu sprechen. Ich denke, wir alle
sind uns einig: Eine Verbesserung muss her. Wir wollen
die Alleinstehenden weiterhin unterstützen. Wir alle sind
uns einig, dass eine Begrenzung der Dauer auf sechs Jahre und eine Beendigung ab dem zwölften Lebensjahr des
Kindes fast antiquiert erscheinen.
Über die finanzielle Belastung der Länder wurde gerade schon gesprochen. Es gibt anscheinend eine Einigung.
Aber mir geht es explizit um die Belastung derjenigen,
die das Unterhaltsvorschussgesetz vollziehen müssen,
nämlich um die Kommunen. Überlegen wir es mal: Wir
haben bereits Ende November. Wenn es schnell geht,
kommen wir Mitte Dezember zur Beschlussfassung. Ab
Januar nächsten Jahres soll das wirken. Die Kommunen
müssen es dann umsetzen. Es fehlt vor allem am notwendigen Personal. Ich bin absolut dabei. Es geht mir nicht
um die 100 Millionen Euro, die hier investiert werden
müssen. Das tun wir sehr gerne.
Aber ich habe Bedenken, ob das in der Kürze der Zeit
durchzuführen ist. Bei aller Wertschätzung, Frau Ministerin, selbst wenn die Kommunen das rückwirkend durchführen, werden Erwartungen bei denjenigen geweckt, die
den Unterhaltsvorschuss erhalten sollen. Wenn die Kommunen es erst innerhalb eines Vierteljahres oder eines
halben Jahres rückwirkend auszahlen, dann verursacht
das riesengroßen Ärger, der auf uns zurückfällt.
({3})
Darum bitte ich, hier noch einmal neu zu überlegen.
Vor allem müssen wir - es ist ein Unterhaltsvorschuss über die Rückholquote nachdenken. Da steht noch gar
nichts. Ich habe das jedes Mal angesprochen. Bei einer
Rückholquote in Bayern von 36 Prozent und in Bremen
von 11 Prozent sehen wir, dass es in unserem Land irgendwo einen Verbesserungsbedarf gibt, meine lieben
Freunde.
({4})
Das muss einfach geregelt werden, und dann sind wir uns
alle einig. Dann sind wir mit dabei, diese Verbesserungen
durchzuführen.
Zum Programm „Demokratie leben!“: Lieber Michael,
natürlich sind wir da beieinander. Es ist immer notwendiger: Der Extremismus kommt von allen Seiten auf uns
zu. Hier müssen wir dieses Programm „Demokratie leben!“ mit weiteren guten Programmen im wahrsten Sinne des Wortes mit Leben erfüllen. Dann sehe ich eine
gute Chance für dieses Programm.
Ich sagte eingangs, dass wir mit diesem Ergebnis zufrieden sein können. Aber wenn wir über den Etat des
Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
sprechen, dann müssen wir auch ein Stück weit über Generationengerechtigkeit sprechen. Generationengerechtigkeit bedeutet für mich auch, auf Dauer - so lange es
geht - nur das Geld auszugeben, das uns zur Verfügung
steht. Das heißt: keine neuen Schulden. Es ist auch so
festgehalten. Für mich persönlich wäre es gut, wenn wir
in den Schuldenabbau ein Stück weit tiefer einsteigen
würden: Wenn wir uns verpflichten, jährlich eine gewisse
Summe einzustellen, dann geht das. Das wäre machbar.
Natürlich gehört ein Stück weit eine Steuerentlastung
mit dazu, aber auch eine Rücklagenbildung. Irgendwann
müssen wir damit anfangen, dass wir das Geld, das der
deutsche Steuerzahler erwirtschaftet hat und über das wir
verfügen dürfen, anlegen, damit wir nicht, wenn es absehbar ist, dass es uns in einem oder zwei Jahren schlechter geht, sofort wieder mit Steuererhöhungen kommen
müssen. Es wäre angesagt, das ein Stück weit auszugleichen. Das ist für mich generationengerechte Politik für
unsere Zukunft, für unsere Jugend.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen in Deutschland wollen eine stabile Politik, sie
wollen eine stabile Finanzpolitik, die einen nachhaltigen,
maßgeblichen Beitrag für die Gesellschaft bei uns leistet. Für eine solche stabile Finanzpolitik steht die jetzige
Regierungskoalition. Ich bedanke mich nochmals für die
gute Zusammenarbeit und sage vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke schön.
({6})
Als nächste Rednerin spricht Ulrike Gottschalck für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sie sehen mich heute ein wenig wehmütig, weil
dies der letzte Haushalt ist, den ich für das Familienministerium verhandeln konnte.
2014 hatte unser Etat 7,9 Milliarden Euro; wir haben
es schon gehört. Heute, nach drei Jahren guter Arbeit der
Ministerin und der Großen Koalition, ist er mit 9,5 Milliarden Euro so groß wie nie zuvor. Und das ist gut so;
denn viele Menschen profitieren, und jeder Cent ist gut
angelegt.
({0})
Ekin Deligöz, auch wenn du gerade nicht zuhörst:
„Ankündigungsministerin“ weise ich mit Ekel und Abscheu zurück. Schau dir alleine diese 2 Milliarden Euro
Aufwuchs an. Das haben wir einer taffen Ministerin zu
verdanken, die mit vielen Initiativen nach vorne gegangen ist und umgesetzt hat.
({1})
Weitere Stichworte: Elterngeld Plus, „Demokratie leben!“ - all das haben wir der Ministerin zu verdanken.
Ekin Deligöz, vielleicht redest du auch mal mit deinen
grünen Freunden in den Ländern: Diese Kitaqualitätsoffensive - das betrifft die Qualitätsstandards - wird zum
Beispiel in Hessen und in Baden-Württemberg abgelehnt, in Baden-Württemberg sogar vom grünen Frauenministerium.
({2})
Vielleicht müsstet ihr euch da einmal ein bisschen einmischen.
({3})
Das Elterngeld mit 6,4 Milliarden Euro ist uns lieb
und teuer, aber es wirkt. Die Geburtenziffer steigt wieder.
Hurra, wir haben endlich wieder mehr Babys in Deutschland, und das freut mich als siebenfache Großmutter natürlich ganz besonders; denn Kinder sind einfach nur toll.
({4})
Deshalb ist es klar, dass wir Mütter und Väter in der
Rushhour ihres Lebens auch zukünftig unterstützen und
weiter in Familie investieren müssen. Kinder großziehen,
Eltern betreuen, das Haus abbezahlen und dann noch zackig Karriere machen funktioniert eben nicht so nebenbei.
({5})
Deshalb ist der Vorstoß der Ministerin nach einer Familienarbeitszeit richtig und sinnvoll. Hier ist aber auch die
Wirtschaft gefordert; denn auch die muss moderne Arbeitszeitkonzepte anbieten, anstatt immer nur über Fachkräftemangel zu jammern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinder sind
einfach nur toll. Deshalb muss man ihnen den besten
Start ins Leben ermöglichen. Ich bin sehr froh darüber,
dass wir die Bundesstiftung Mutter und Kind, die dazu
beiträgt, die Lebenslage von schwangeren Frauen in Not
zu verbessern und ungeborenes Leben zu schützen, besser fördern können. Wir haben für diese wertvolle Arbeit
in der Bereinigungssitzung gemeinsam 4 Millionen Euro
zusätzlich bereitgestellt.
Den besten Start für Kinder ermöglichen wir und die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen wir
insbesondere mit dem Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“, welches wir um weitere 450 Millionen
Euro anheben. Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“
wird ebenfalls aufgestockt.
Sehr dankbar bin ich auch, dass die Initiative der Ministerin, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten - wieder
eine Initiative von ihr -, zwischenzeitlich Realität wird.
260 000 Kinder können davon profitieren. Es ist, anders
als eben dargestellt, nicht mehr die Frage des Ob, sondern
eine Frage der Zeitschiene. Wir haben das so beschlossen
und mit den Ländern verhandelt. Übrigens gab es bei den
Ministerpräsidenten der Länder einen 16 : 0-Beschluss.
Die Ministerpräsidenten sind - das wissen Sie alle im Moment ein bisschen als moderne Raubritter unterwegs. In den Vereinbarungen zu den Finanzbeziehungen
wurde beschlossen, dass dafür die Länder den Unterhaltsvorschuss hinnehmen müssen. An Vereinbarungen
hat man sich zu halten. Auch da empfehle ich den Grünen, vielleicht einmal mit ihrem grünen Ministerpräsidenten zu reden.
({6})
Kinder sind einfach toll, aber aus Kindern werden
eben auch schnell Jugendliche. Daher ist der Kinder- und
Jugendplan des Bundes das zentrale Förderinstrument.
Bei der Einbringung des Haushalts - ich erinnere daran - waren wir alle wirklich sehr erschrocken, dass uns
wichtige Maßnahmen im KJP, die die Haushälter im letzten Jahr erstritten hatten, fehlten, weil sie nicht vom Finanzministerium in den Haushaltsentwurf übernommen
wurden. Nach einem engagierten Einsatz der Haushälter - danke auch an Alois Rainer, an Michael Leutert und
Ekin Deligöz - konnten wir erreichen, dass wir wieder
Erfolge verkünden können. Wir Haushälter haben das
bereinigt. Ich liebe das Wort „bereinigt“. In der Bereinigungssitzung sorgten wir dafür, dass alle Kürzungen
für 2017 zurückgenommen wurden: 2 Millionen Euro für
Jugendverbände,
({7})
8 Millionen Euro für die Jugendmigrationsdienste und
15 Millionen Euro für die wichtigen C1-Sprachkurse für
besser gebildete Flüchtlinge.
Auch die Träger der freien Wohlfahrtspflege sind
über die Ergebnisse der Bereinigungssitzung sehr erfreut; denn die Wohlfahrtsverbände vor Ort erhalten auch
weiterhin 2 Millionen Euro extra. Mit dem Bundesprogramm werden die Wohlfahrtsverbände für die Beratung
und Betreuung von Flüchtlingen und damit die wichtigen
Folteropferzentren auch zukünftig mit 6 Millionen Euro
mehr gefördert.
({8})
Ein weiteres positives Signal im Bereich der Kinderund Jugendpolitik ist die Erhöhung für das Deutsch-Polnische Jugendwerk um 1 Million Euro auf 6 Millionen
Euro. Nachdem wir den Bundesfreiwilligendienst bereits
im letzten Jahr sehr gestärkt haben, freue ich mich besonders, dass wir nun auch die anderen Jugendfreiwilligendienste gut ausstatten können, weil damit das ehrenamtliche Engagement der jungen Leute noch weiter gefördert
wird. Dazu wird die Kollegin noch etwas sagen.
({9})
Angesichts der Radikalisierungstendenzen müssen
Jugendliche natürlich auch gestärkt und geschützt werden. Daher werden die Mittel für das Bundesprogramm
„Demokratie leben!“ auf über 100 Millionen Euro verdoppelt. Ich denke, besser geht es kaum noch. Bereits bei
der ersten Beratung dieses Einzelplans konnten wir uns
auf eine Förderung von zusätzlich 100 Mehrgenerationenhäusern einigen, was dazu führt, dass wir jetzt bundesweit 550 wichtige Mehrgenerationenhäuser fördern.
Wir verabschieden heute einen Haushalt, der sich meiner Meinung nach wirklich sehen lassen kann. Auch der
Opposition empfehle ich dringend, ihm zuzustimmen.
Die Opposition hat ja auch allen Anträgen, die wir vorgelegt haben, zugestimmt. Deswegen wundert es mich,
dass jetzt hier das große Messer herausgeholt wird, jedenfalls von einer Oppositionsfraktion.
({10})
Familien, Kinder und Jugendliche werden profitieren,
und der gesellschaftliche Zusammenhalt wird gestärkt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich lade Sie
ein: Stimmen Sie unserem Haushalt zu. Ich danke allen,
die an diesem Haushalt konstruktiv mitgearbeitet haben,
und bedanke mich sehr für die gute Zusammenarbeit
bei Alois Rainer, bei Michael Leutert, bei Ekin Deligöz,
beim ganzen Team des Ministeriums, und ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
({11})
Jörn Wunderlich hat als nächster Redner für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich hatte heute Morgen noch einen Bürger
in meinem Büro zu Gast. Wir kamen auch auf den Haushalt zu sprechen. Da sagte ich beiläufig: Heute steht noch
die Debatte zum Haushalt der Familienministerin auf der
Tagesordnung. - Daraufhin sagte er zu mir: Na, es gibt
doch Schlimmeres.
({0})
Dazu sage ich: Recht hat der Mann - es gibt Schlimmeres.
({1})
Gleichwohl müssen wir den Haushalt einmal unter die
Lupe nehmen - wir haben es ja jetzt mehrfach gehört -:
Dies ist der neuntgrößte Einzelplan. Er wurde aufgestockt um 400 Millionen Euro. Er umfasst jetzt 2 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der Legislatur. - Es reicht
nicht aus, immer nur zu sagen: Wir geben mehr dafür
aus. - Wir müssen auch schauen, wofür. Es wird nicht
automatisch alles gut.
Es gibt positive Signale im Einzelplan 17; das will ich
gar nicht bestreiten. Unsere Forderungen hier im Hause
nach Rückgängigmachung der Kürzungen in der Jugendverbandsarbeit - das sind gar nicht einmal nur Forderungen der Linken - sind in der Bereinigungssitzung, wie
bereits gesagt, umgesetzt worden - zum Glück, muss
man sagen.
({2})
Mein Kollege Müller hat in der ersten Lesung des Einzelplanes schon ausführlich ausgeführt, wie mit der Jugendverbandsarbeit umgegangen wird. Das ist nun zum
Glück geändert worden. Wir wissen doch fraktionsübergreifend alle, welche Parteien in die Breschen springen,
die wir durch aufgegebene Jugendverbandsarbeit entstehen lassen. Ich gehe davon aus, dass wir alle in diesem
Haus solche Jugendarbeit nicht wollen.
({3})
Gut. Das wurde in der Bereinigungssitzung geklärt.
Was positiv zu erwähnen ist - auch das ist schon angesprochen worden -, ist der Ausbau des Unterhaltsvorschusses als eines wichtigen Schrittes im Kampf gegen
Kinderarmut. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz
wurde, wie schon gesagt, im Rahmen dieses Gesamtpakets ein entsprechender Beschluss mit 16 : 0 gefasst. Es
ist auch im Kabinett beschlossen worden. Letzte Woche
sollte der betreffende Gesetzentwurf hier auf die Tagesordnung. Jetzt fehlt er immer noch im Parlament; er ist
zurückgezogen worden.
({4})
Nach meiner Kenntnis blockt im Moment die CDU/
CSU-Fraktion - weil Kinderarmut vielleicht doch nicht
so ihr Thema ist -,
({5})
mit der Begründung: Diesen Gesetzentwurf bringen wir
wegen Schlampigkeit nicht ein. Jetzt frage ich mich: Was
ist dabei schlampig zu machen?
({6})
- Ja, Herr Grund passen Sie einmal auf: Ich ersetze die
Zahl 12 durch die Zahl 18. Ich erweitere die Bezugnahme
von Ziffer 1 und 2 auf Ziffer 3 und lasse den einen Paragrafen entfallen, der das Ganze begrenzt.
Frau Schwesig hat ja auch schon auf die Finanzen verwiesen.
({7})
- Herr Grund, regen Sie sich doch nicht so auf. Meine
Güte! Lebenslanges Lernen - hören Sie zu!
({8})
Man kann letztlich den Kommunen und den Ländern
noch Angebote machen im Rahmen dieser Verhandlungen. Wesentlich ist, dass der Anspruch jetzt kommt. Alois
Rainer sagt ja auch: Bevor wir rückwirkend zahlen, zahlen wir lieber nichts. - Das ist CDU-Politik.
({9})
Wie sieht es mit der SGB-XIII-Reform aus? Dieses
Jahr sollte noch ein Referentenentwurf vorgelegt werden, und das Gesetzesvorhaben soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Wir wissen doch
auch, dass bei dieser Reform, wenn sie nicht zulasten von
Kindern und Jugendlichen gehen soll, ordentlich Geld in
die Hand genommen werden muss. Aber diese Investitionen finden sich im Haushalt nicht wieder. Oder geht es
doch nur darum, im Rahmen dieser Reform Gelder auf
Kosten der Qualität einzusparen? Das legten die diversen
Arbeitsentwürfe, die im Sommer kursierten, nahe. Um es
kurz zusammenzufassen: unterschiedliche Qualitätsstandards nach Kassenlage der Länder.
Ebenso ist es beim Kitaausbau: Es kommt eben nicht
nur auf Quantität, sondern auch auf Qualität an. Frühkindliche Bildung ist ein Rädchen im Gesamtmechanismus, um Kinderarmut zu verhindern. Hier ist der Bund
in der Verantwortung, um eine qualitativ gleichwertige
Betreuung und Bildung zu gewährleisten.
({10})
Das kann nicht auf Länder und Kommunen abgewälzt
werden. Letztlich wird es dann auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen.
Ich möchte etwas zitieren:
Dafür müssen wir auch weiterhin zusätzliche Kita-Plätze schaffen, da die Nachfrage der Eltern
steigt, mehr Kinder geboren werden und auch die
zu uns geflüchteten Kinder einen Kita-Platz zur
schnellen Integration benötigen. ... Daher werden
wir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung
von Kita- und Grundschulkindern einführen - mit
finanzieller Beteiligung des Bundes und einer sicheren Entlastung der Kommunen. Wir wollen mehr in
die Qualität von Kitas und in qualifiziertes Personal
investieren. Durch ein bundesweites Qualitätsgesetz
wollen wir die Qualität der frühkindlichen Bildung
verbessern. Wir werden schrittweise die Kita-Gebühren in Deutschland abschaffen.
Das ist aus dem SPD-Programmpapier „Fortschritt und
Gerechtigkeit - Chancen für alle“, verfasst im Vorgriff
auf den nächsten Bundestagswahlkampf. Sind es wieder
nur Versprechungen, die dann aufgrund von Koalitionszwängen nicht gehalten werden können?
Wenn wir über ein Kitaqualitätsgesetz bundeseinheitlich frühkindliche Bildung intensiv fördern, die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und den Betreuungsschlüssel verbessern, die Elterngebühren entfallen lassen
und ein kostenloses Mittagessen gewährleisten wollen,
dann reichen die aufgeführten Investitionsprogramme
oder Sprachprogramme - bei allem Respekt vor diesen,
das muss man anerkennen - nicht aus. Aber im Haushalt
für 2017 findet sich das nicht wieder.
Die Haushaltsmittel aus dem Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ reichen eben nicht aus. Wenn wir
den Auftrag der frühkindlichen Bildung ernst nehmen,
dann kann sie nur beitragsfrei sein. Das ändert auch nichts
an der Wertschätzung von Kindertagesstätten, nach dem
Motto: „Was nichts kostet, kann nichts wert sein“; denn
dann wären unsere Schulen ja auch nichts wert.
Schlimm ist es auch, was die Frauenhäuser betrifft.
Traurig, dass sie erforderlich sind, aber das ist im Moment noch so. Die Linke fordert eine bundesweit einheitliche und bedarfsgerechte Finanzierung der Schutzhäuser
und Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen
ein.
({11})
Es muss endlich eine Pflichtaufgabe von Bund, Ländern
und Kommunen sein, diese Einrichtungen personell und
finanziell in ausreichendem Maße zu finanzieren. Aber
auch dazu findet sich im Haushalt leider nichts. Wenn
man das Haushaltsgesetz elektronisch nach dem Wort
„Frauenhaus“ abscannt, gibt es null Treffer.
({12})
- Machen Sie mich nicht nervös; ich bin gerade erst über
der Zeit.
Wir wollen den Menschen eine Zukunft ermöglichen,
in der sie frei von Sorgen vor Arbeitslosigkeit, Altersarmut oder Krankheit leben können. Damit müssen wir von
Anfang an beginnen, und dafür müssen wir auch Investitionen tätigen. Das sind keine Kosten, sondern das ist gut
angelegtes Geld mit einer Dividende, die unbezahlbar ist,
nämlich glücklichen, zufriedenen Menschen in einer sozialen Gesellschaft. Daran können wir mitwirken. Aber
dafür müssen wir umdenken. Einige gute Ansätze sind
im Einzelplan 17 enthalten - unbestritten -, aber es fehlt
auch noch Etliches, und zwar Wichtiges.
Die Linke ist bereit, in die Zukunft dieses Landes, in
seine Menschen zu investieren, um eine gesicherte Zukunft zu gewährleisten. Die Antwort dazu liefert der Einzelplan 17 leider nur partiell. Schade!
({13})
Lieber Herr Kollege Wunderlich, es mag ja für den
einzelnen Redner immer wenig erscheinen, das kann ich
nachvollziehen. Aber wenn es sich summiert - alleine bei
dieser Debatte sind es 13 Minuten, und wir haben mehrere Haushalte -, sind wir ganz schnell bei Stunden.
({0})
Es werden alle gleichbehandelt. Jeder bekommt das Zeichen der Präsidentin, wenn die Redezeit überschritten
ist. Wenn es danach noch zu lange dauert, gibt es auch
eine Ermahnung der Präsidentin. - Jetzt hat die Kollegin
Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der letzten Haushaltsdebatte und auch
in den letzten Wochen haben wir angesichts politischer
Ereignisse auch in anderen Ländern viel über den Zusammenhalt der Gesellschaft gesprochen. Wir stellen uns
die Frage: Wie sichern wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer Zeit, in der unsere Wirtschaft schnellen
Entwicklungen wie der Digitalisierung ausgesetzt ist, in
der es Terror und in vielen Ländern Krieg gibt, in der
die Welt globaler und komplexer geworden ist? Für viele
Menschen ist das nicht einfach. Wir wollen deshalb mit
diesem Haushalt ein besonderes Zeichen setzen, dass uns
der Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist. Das fängt
bei der kleinsten Zelle der Gesellschaft an, nämlich der
Familie. Denn geht es den Familien in unserem Land gut,
dann geht es auch der Gesellschaft gut.
Deshalb fördern wir mit unserem Haushalt in nie zuvor dagewesener Höhe Familien in ihrem tagtäglichen
Leben und Zusammenleben. Das fängt beim Finanziellen
an; denn wirtschaftliche Sicherheit und Stabilität sind die
Grundlage eines guten Familienlebens.
Die Mittel für das Elterngeld steigen um 200 Millionen Euro auf über 6,4 Milliarden Euro.
Wir haben den Kinderzuschlag zum 1. Juli erhöht, und
er wird zum 1. Januar noch einmal erhöht. Der Kinderzuschlag ist für Familien, die arbeiten, sehr wichtig, damit
sie nicht wegen der Kinder in Hartz IV fallen. Das ist
ein wichtiges Signal an alle, gerade an die Familien, deren Einkommen knapp oberhalb der Hartz-IV-Schwelle
liegt und die es wirklich besonders schwer haben, weil
die Eltern arbeiten, weil sie jeden Morgen aufstehen, ihre
Kinder zum Kindergarten, zur Schule bringen, dann zur
Arbeit fahren und diesen Spagat tagtäglich leisten müssen - und das bei geringem Einkommen. Deshalb ist es
wichtig, dass wir den Kinderzuschlag deutlich angehoben haben.
({0})
Wir haben das Kindergeld und den Kinderfreibetrag in
dieser Legislaturperiode erhöht, auch den Freibetrag für
Alleinerziehende.
Was heute in der Debatte schon öfter genannt wurde: Auch der Unterhaltsvorschuss ist uns ein wichtiges
Anliegen. Marcus Weinberg wird nachher noch darauf
eingehen. Herr Wunderlich, nur zwei Sätze. Wenn man
so eine Reform macht, ist es natürlich wichtig, dass sie
gut vorbereitet und auch besprochen ist. Das betrifft die
Finanzierung, und das betrifft die Umsetzung. Sie sagen:
Da sind nur zwei Ziffern im Gesetz zu ändern. - Das ist
wirklich ein Hohn.
({1})
Wichtig ist, dass das, wenn wir es ins Gesetz schreiben,
vor Ort auch umzusetzen ist. Wenn sich die Zahl der Antragsteller durch die Änderung verdoppelt, dann heißt
das, dass wir in den Kommunen doppelt so viele Leute
brauchen, die diese Fälle bearbeiten.
({2})
Da sitzen ja nicht Leute, die nur darauf warten, dass sie
endlich mal Arbeit bekommen und Anträge bearbeiten
können, sondern Personal muss eingestellt werden. Die
Anträge müssen bearbeitet werden. Deshalb gehen wir
davon aus, dass Bundesregierung und Länder gemeinsam
zu einem Konzept finden, das genau das ermöglicht.
({3})
- Bitte?
({4})
- Das ist noch einmal typisch Linke. Sie sagen, dass wir
Personal einsparen. Der Unterhaltsvorschuss wird in den
Kommunen vor Ort bearbeitet und nicht vom Bund.
({5})
Das heißt, selbst wenn wir im Familienministerium noch
100 Menschen einstellen würden, dürften die nicht die
Anträge zum Unterhaltsvorschuss bearbeiten.
({6})
Das ist Föderalismus. Deshalb muss man alles, was man
hier ankündigt, proklamiert und mit stolzgeschwellter
Brust ins Gesetzblatt schreiben will, so machen, dass es
vor Ort umgesetzt werden kann, und daran arbeiten wir.
Wir verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dadurch, dass wir die Betreuungsinfrastruktur weiter
ausbauen. Wir haben mehr Kitaplätze. Wir haben bessere
Kitaplätze. Wir haben die Sprachprogramme in den Kindergärten. Ich bin sehr froh, dass wir mit der Änderung
beim Kitasprachprogramm jetzt endlich auch die Kitas
im ländlichen Raum erreichen, die bisher nur sehr schwer
zu erreichen waren.
({7})
Mit dem Elterngeld Plus schaffen wir Zeit für Familien, und auch das ist wichtig.
Insgesamt fördern wir mit diesen Maßnahmen die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft und fördern somit das gesellschaftliche Miteinander.
Miteinander wird aber auch an anderer Stelle gelebt.
Damit spreche ich das Miteinander der Generationen an,
das Miteinander in der Bevölkerung. In vielfältiger Weise tritt man selbstverständlich, oft auch ehrenamtlich,
füreinander ein, hilft sich gegenseitig dort, wo es fehlt,
ist man ehrenamtlich füreinander da.
Stichwort „Jugendverbände“. Hier wird genau das
gelebt. In Jugendverbänden engagieren sich Jugendliche
ehrenamtlich, engagieren sich auch Erwachsene für Jugendliche. Deshalb ist es total richtig, dass wir die Mittel für die Jugendverbände in den letzten Jahren immer
aufgestockt haben. Wir haben im letzten Haushalt 2 Millionen Euro draufgelegt, und wir haben das im parlamentarischen Verfahren zu diesem Haushalt noch einmal
gemacht. Es ist sehr schade - da gebe ich Ihnen recht -,
dass das nicht bereits im Regierungsentwurf stand. Aber
wir haben es gemeinsam geschafft, die Gelder noch einmal aufzustocken. Das haben die Jugendverbände verdient; denn hier wird wirklich großartige Arbeit geleistet.
({8})
Wir fördern die politischen Jugendorganisationen mit
1,5 Millionen Euro und unterstützen so, dass sich junge
Menschen politisch engagieren. Was mir besonders am
Herzen liegt, ist der Bundesfreiwilligendienst, bei dem
sich Menschen jeder Generation für andere engagieren
können. Hier investieren wir rund 200 Millionen Euro.
Bei den normalen Freiwilligendiensten investieren wir
rund 92,6 Millionen Euro. Auch da geht es um Engagement, insbesondere von Jugendlichen, aber auch über
die Generationen hinweg. Das ist gelebtes Miteinander
ebenso wie bei den Mehrgenerationenhäusern, wo wir
die Mittel verstetigen und zusätzliche Häuser einrichten. Überall dort wird Demokratie, wird Gemeinschaft,
gesellschaftlicher Zusammenhalt gelebt. Deshalb ist es
wichtig und gut, dass wir an diesen Stellen den Schwerpunkt unserer Förderung setzen.
Das Stichwort „Extremismusprävention“ ist oft genannt worden. Wir haben dafür über 100 Millionen Euro
in den Haushalt eingestellt. Ich will einen Punkt erwähnen, der mir sehr wichtig ist: Es ist gut, wenn wir vor
Ort tätig sind. Aber wir alle wissen, dass Extremismus,
dass Radikalisierung, dass Gewalt zunehmend auch im
Netz stattfinden. Deshalb ist mir wichtig, dass von den
100 Millionen Euro möglichst viel Geld in Angebote im
Netz fließt; denn im Internet entsteht Radikalität, entsteht
Hass. Über das Stichwort „Hate Speech“ diskutieren wir
in diesen Tagen viel. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns
mit diesen Programmen zur Extremismusprävention auf
das Internet konzentrieren und mit unseren Angeboten
die Menschen erreichen, die sich im Netz bewegen. Wir
müssen dafür Sorge tragen, dass mit diesen Geldern Modelle entwickelt werden, um Extremismus im Netz zu bekämpfen, aber auch Modelle, wie man lernt, Zivilcourage im normalen Leben wie auch im Netz zu zeigen. Das
ist gar nicht so einfach. Das erfordert Mut. Das erfordert,
dass wir die Augen nicht zumachen, sondern hinsehen,
Lösungsstrategien entwickeln und die Menschen stark
machen.
Ich will vom Internet nicht nur als bösen Ort sprechen,
wo viel Schlimmes passiert; das Internet bietet auch
Nadine Schön ({9})
Chancen. Das Netz ist ein Ort, an dem man auch Hilfe
findet. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir mit diesem
Haushalt neue Projekte fördern können. Meine Berliner
Kollegin Christina Schwarzer hat sich unter anderem
sehr für das Projekt gewaltlos.de eingesetzt, ein Angebot
im Internet, wo Mädchen und Frauen, die von häuslicher
Gewalt betroffen sind, Hilfe bekommen, wo sie sich mit
Experten austauschen können, ein Chat, der rund um die
Uhr zur Verfügung steht. Es ist wichtig, dass wir diese
Angebote im Netz ausbauen. Ich bin sehr dankbar, dass
wir in diesem Haushalt gewaltlos.de erstmalig mit einer
guten Summe fördern. Das gilt auch für [U25], die Onlineberatung für suizidgefährdete Jugendliche. All das
brauchen wir viel mehr als bisher; denn Jugendliche bewegen sich tagtäglich im Netz. Wir müssen mit unseren
Hilfs- und Unterstützungsangeboten dort sein, wo sich
die Jugendlichen bewegen, und deshalb brauchen wir
verstärkt Angebote im Netz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar,
dass wir das mit diesem Haushalt realisieren. Wir fördern damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der
Familie, aber auch in der Zivilgesellschaft. Ich danke
für die guten Beratungen und auch dafür, dass wir in den
Haushaltsberatungen vieles erreichen konnten. Ich danke
Ihnen für die konstruktive Arbeit, die wir nicht nur in den
letzten Wochen, sondern das ganze Jahr über gemeinsam
geleistet haben - für die Familien in unserem Land und
für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
({10})
Vielen Dank, Nadine Schön. - Schönen Nachmittag,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben Sie es eine
Weile mit mir zu tun.
({0})
In diesem Sinn gebe ich das Wort an Dr. Franziska
Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Wir haben jetzt oft gehört, wie sehr wir es feiern,
dass es in diesem Einzelplan einen Aufwuchs gibt. Ich
möchte doch darauf hinweisen, dass der größte Batzen
davon auf eine gesetzliche Leistung zurückzuführen ist.
({0})
- Sie ist auch gut, und wir tragen sie mit. Trotzdem ist
der Aufwuchs nicht unbedingt das Verdienst einer Ministerin, sondern eher all der Kinder, die in diesem Land
geboren sind, und der Väter, die sich entschieden haben,
mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Es ist eine
gesetzliche Leistung. Belassen wir es doch einfach bei
den Fakten. Dann ist es immer noch etwas Positives; aber
man muss es nicht hochjubeln.
({1})
Sie alle haben erwähnt, dass im Nachhinein - darüber sind wir sehr froh - doch wieder mehr Mittel für Jugendmigrationsdienste und die entsprechenden Verbände
in den Haushalt aufgenommen wurden. Ich muss sagen,
ich finde es erst mal ganz schön krass, dass diese Mittel
vorher herausgestrichen worden sind. Wo ist denn da die
starke Ministerin, die Herrn Schäuble klar sagt: „Sorry,
aber die Jungendmigrationsdienste brauchen die Gelder
für ihre Arbeit, die gerade in diesen Zeiten extrem wichtig ist“? Gut, dass wir es geschafft haben, die Mittel wieder aufzunehmen.
Erlauben Sie mir eine Anmerkung zum Unterhaltsvorschuss. Wir stehen da inhaltlich komplett an Ihrer Seite.
Frau Gottschalck, Sie haben es erwähnt: Wir müssen in allen Ländern daran arbeiten, weil bis jetzt noch kein Land
zugestimmt hat. Von daher sind wir alle in der Pflicht,
uns dafür einzusetzen. Egal ob Ramelow, Kretschmann
oder wie sie alle heißen, wir werden gemeinsam daran
arbeiten müssen. Aber wir müssen festhalten, dass jetzt
Ende November ist, in fast allen Ländern die Haushalte
verabschiedet sind und es für sie extrem schwierig ist,
das jetzt noch hinzubekommen. Die zeitliche Verzögerung war nicht notwendig, und das fällt schon auf diese
Regierung zurück.
({2})
Frau Schön, vorhin wurde erwähnt, dass es doppelt so
viele Anträge auf Unterhaltsvorschuss geben wird. Das
ist ja nicht wahr. In den meisten Fällen kann der Bezug
weiterlaufen; das ist genau der Punkt. Es geht darum,
dass man den Bezug nicht unterbricht und sagt: Jetzt ist
Ihr Kind aber leider zu alt, deswegen gibt es kein Geld
mehr. - Man braucht keinen neuen Antrag zu stellen,
sondern der Bezug läuft weiter.
({3})
Deswegen ist es nicht korrekt, zu sagen, dass sich die
Zahl der Anträge verdoppelt. Man muss aufpassen, welche Zahlen man da benutzt.
Trotzdem müssen sich die Kommunen natürlich darauf einstellen. Deswegen kritisieren wir, dass es erst so
spät zu einer Regelung kommt. Aber auch dort gilt: Bleiben wir bei den Fakten! Gehen wir die Punkte wirklich
an! Schauen wir, was da bezogen auf den Bundeshaushalt möglich ist, und geben wir damit ein klares Signal
an die Länder! Man kann auch in einem Gesetz festlegen,
dass die Kosten nicht mehr im Verhältnis zwei Drittel
zu einem Drittel verteilt werden, sondern im Verhältnis
50 : 50. Man kann auch kreativ sein und sich überlegen:
Wie können wir die Länder bis 2020 auch da entlasten?
({4})
Nadine Schön ({5})
- In den Vereinbarungen steht ja nichts zur Finanzierung;
da sind wir uns wohl alle einig. Da steht: „Wir wollen das
machen“; aber es steht kein Satz zur Finanzierung drin.
Das ist ja, wie wir jetzt alle erkennen, das Manko. Man
hätte das damals verhandeln sollen. Vielleicht wurde es
ja auch hinter verschlossenen Türen mitverhandelt; aber
es steht eben nicht drin. Das ist natürlich ein Problem.
Erlauben Sie mir, noch ein Thema anzusprechen, das
uns sehr wichtig ist und zu dem wir auch Anträge gestellt haben. Uns geht es darum, wie wir die Kinder und
Jugendlichen, die in den letzten Monaten zu uns gekommen sind, wirklich integrieren und wie wir es den Kitas
und Schulen ermöglichen, sich darauf einzustellen und
gut damit umzugehen. Denn es ist nicht immer einfach,
wenn in der Kita oder in der Schule auf einmal eine größere Vielfalt da ist, wenn andere Sprachen gesprochen
werden, wenn Kinder da sind, die Schwieriges erlebt und
durchgemacht haben. Wir möchten Gelder zur Verfügung
stellen, um den Erzieherinnen und Erziehern, den Lehrerinnen und Lehrern dabei zu helfen, mit dieser schwierigen Situation umzugehen, und zu ermöglichen, Vielfalt
vor Ort so zu leben, dass es ein Gewinn für uns alle wird.
Dafür fordern wir in unseren Anträgen 125 Millionen
Euro. Schade, dass Sie nicht zugestimmt haben!
({6})
Eine Sache, die wir Grüne schon lange thematisiert
haben: Der Bund hatte die Gelder für die Betreuung während der Integrationskurse gestrichen. Das war absolut
bescheuert, weil es dazu geführt hat, dass viele Mütter
de facto nicht an den Integrationskursen teilgenommen
haben. Jetzt wird das zum Teil rückgängig gemacht. Aber
aus welchem Topf kommt das Geld? Aus dem Topf mit
den Kitageldern, die eigentlich für die Flexibilisierung
der Öffnungszeiten gedacht sind. Ich finde es schade,
dass wir dieses Geld, das notwendig ist - es braucht eine
Betreuung während der Integrationskurse -, aus diesem
Topf nehmen und nicht extra zur Verfügung stellen. Das
heißt, ein Fehler wird korrigiert, aber mit einem neuen
Fehler. Schade, dass man es hier nicht richtig gemacht
hat.
({7})
Ganz zum Schluss jetzt mal kein Haushaltsthema. Ich
hoffe, dass wir da als Kinder- und Familienpolitiker vielleicht gemeinsam etwas gestalten können. Wir alle haben
die Bilder und Nachrichten aus Syrien aus den letzten
Tagen vor Augen. Es gibt kein einziges funktionierendes
Krankenhaus mehr in Aleppo. In vielen Städten stehen
insgesamt 1 Million Menschen unter Belagerung. Und
wir haben es immer noch nicht ermöglicht, dass die Syrer, die hier in Deutschland sind, ihre Kinder nachholen
können. Sie müssen zwei Jahre warten, bis sie einen
Antrag stellen dürfen, dass ihre Kinder nachkommen
können. Wenn wir diesen Krieg schon nicht verhindern
können, könnten wir dann nicht wenigstens gemeinsam
dafür sorgen, dass die Kinder aus dieser Hölle herauskommen? Können wir da nicht eine Veränderung auf den
Weg bringen? Ich finde, das wäre im Sinne der christlichen Vorweihnachtszeit angebracht.
({8})
Vielen Dank, Franziska Brantner. - Die nächste Rednerin: Svenja Stadler für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute über den Haushaltsplan
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Dieses Ministerium ist übrigens auch das
federführende „Engagementministerium“.
Wissen Sie, ich wurde durch die Kirche sozialisiert.
Als junges Mädchen habe ich in unserer Kirchengemeinde Kinder- und Jugendkreise geleitet, Familienfreizeiten
betreut, und ich war Ansprechpartnerin in der Kinderund Jugendseelsorge. In dieser Zeit ist mir eines sehr
deutlich geworden - ich habe es sozusagen selbst erfahren -: Wer anpackt, will auch mitbestimmen. Dieser Satz
drückt aus, dass Menschen, die sich für das Gemeinwesen einsetzen, einen Mitgestaltungsanspruch einfordern.
Sie wollen aktiv gestalten. Mich persönlich macht es
sehr stolz, zu sehen, wie sich Menschen für Menschen
einsetzen - eigensinnig, freiwillig und unentgeltlich. Sie
beweisen nicht nur Mitgefühl, sondern auch Vertrauen in
unsere freien demokratischen Werte.
({0})
Wer anpackt, will auch mitbestimmen. Dieser Satz drückt
auch aus, welche Bedeutung bürgerschaftliches Engagement für unsere Gesellschaft, für unsere Demokratie hat.
All den Millionen in Deutschland bürgerschaftlich Engagierten möchte ich an dieser Stelle danken: Danke, dass
es Sie gibt, danke für Ihren Einsatz.
({1})
Mit dem Haushalt zum Einzelplan 17 senden wir ein
starkes Signal an die aktive Zivilgesellschaft. Wir erhöhen die Mittel für die Mehrgenerationenhäuser um
3,5 Millionen Euro. Das heißt, zukünftig können rund
550 Einrichtungen gefördert werden.
({2})
Wir schreiben die Erhöhung der Mittel für die Jugendverbände in Höhe von 2 Millionen Euro und die für die
Jugendmigrationsdienste in Höhe von 8 Millionen Euro
fort. Wir stellen zusätzliche Mittel für die Wohlfahrtsverbände zur Verfügung. Ihr besonderes Potenzial liegt in
der Verknüpfung von Haupt- und Ehrenamt. Ihre Arbeit
ist daher unschätzbar wertvoll. Wir verdoppeln die Gelder für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auf
über 100 Millionen Euro für das Jahr 2017. Damit fördern wir Demokratiezentren, kommunale Partnerschaften für Demokratie und zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer Arbeit für Demokratieförderung und die
Prävention von Extremismus. Denn Demokratie ist nicht
selbstverständlich. Am Bestand der Demokratie gilt es
unablässig zu arbeiten. Demokratie muss immer wieder
erläutert, erlernt und erfahren werden.
({3})
Die Demokratie kann mitunter nerven, ja, und sie kann
auch anstrengend sein; aber ohne sie wären wir unfrei
und der Willkür von Macht bedingungslos ausgeliefert.
Was mir besonders am Herzen lag, war der Ausbau der
Jugendfreiwilligendienste. Gerade deshalb freut es mich
umso mehr, dass es gelungen ist, die Mittel für das Freiwillige Soziale Jahr um 2 Millionen Euro zu erhöhen. Für
das Freiwillige Ökologische Jahr und den Internationalen
Freiwilligendienst gibt es zusätzlich jeweils eine halbe
Million Euro. Warum diese Form des bürgerschaftlichen
Engagements besondere Aufmerksamkeit verdient? Bestimmt konnte jeder von Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, in seinem Wahlkreis oder in einem anderen
Zusammenhang mit jungen Menschen zusammentreffen, die einen Freiwilligendienst absolvieren oder absolviert haben. Wenn ja, dann wissen Sie, warum wir
uns so massiv für die Mittelerhöhung eingesetzt haben:
Junge Menschen, die einen Freiwilligendienst gemacht
haben oder machen, sind in vielen Fällen der Inbegriff
von Mitgliedern einer aktiven Bürgerschaft. Dabei spielt
es kaum eine Rolle, ob sie sich in einem Pflegeheim, in
der Flüchtlingshilfe oder in einem Kindergarten engagieren. Sie wollen anpacken, sie wollen mitbestimmen, sie
wollen mitreden, sie wollen sich einmischen - sie wollen
unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten.
({4})
Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit ist es, die das
Beste in diesen jungen Menschen hervorholt, sie dazu
bringt, sich noch mehr als vorher für die Menschen um
sie herum zu interessieren und sich für sie einzusetzen.
Diese Erfahrung ist es, die in vielen Fällen aus Freiwilligendienstleistenden und anderen Engagierten echte Stützen für unsere Gesellschaft macht. Aber dafür braucht es
handfeste Unterstützung. Diese haben wir, wie ich finde,
mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf geleistet. Dafür
möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei unserer Haushälterin Ulrike Gottschalk, aber auch bei ihren
Mitstreiterinnen und Mitstreitern bedanken.
({5})
Sie sehen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 17 bietet uns die
besten Voraussetzungen, die moderne Politik für unsere
Gesellschaft fortzusetzen; denn wir bieten mehr jungen
Menschen die Gelegenheit, Engagement, Beteiligung
und Selbstwirksamkeit aus erster Hand zu erfahren. Wir
unterstützen die bunte und solidarische Zivilgesellschaft
sowie die Engagierten in unserem Land. Wir stärken auf
diesem Weg die Selbstheilungskräfte der demokratischen
Gesellschaft gegenüber antidemokratischen Tendenzen,
damit unsere Gesellschaft das bleibt, was sie heute ist:
engagiert, solidarisch und weltoffen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Svenja Stadler. - Der nächste Redner:
Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Brantner, ein bisschen Euphorie müssen Sie uns heute schon gönnen. Sie haben Ihre
heimliche Liebe zur Großen Koalition ja in Ihrer Bekleidung ausgedrückt: in Schwarz und Rot.
({0})
Ich glaube, es ist wichtig, in einer Haushaltsdebatte
Folgendes zu sagen: Die wesentliche Botschaft für die
Nachkommenden, für die Kinder und Jugendlichen, ist,
dass wir keine neuen Schulden machen. Das ist das beste
Ergebnis für die Kinder und Jugendlichen. Damit eröffnen wir Handlungsspielräume und Gestaltungsspielräume; denn die Familienpolitik muss sich weiterentwickeln, weil sich die Familien weiterentwickeln, weil die
Vielfalt an Familien sich ändert. Deshalb brauchen wir
dringend Gestaltungsspielräume, und zwar für große
Maßnahmen - ich darf daran erinnern, dass wir 6,4 Milliarden Euro für das Elterngeld ausgeben, also noch einmal
400 Millionen Euro mehr; dieses Geld muss da sein -,
aber auch für wichtige kleine Maßnahmen - ich schaue
unseren Haushaltspolitiker Alois Rainer an -, die wir
durchgesetzt haben, weil uns diese Themen wichtig sind.
Diesen Gestaltungsspielraum müssen wir uns erhalten.
Deshalb ist eine Neuverschuldung von null richtig und
wichtig.
Weil alle Zahlen präsentieren, tue ich das jetzt auch wir haben die Erhöhung schon angesprochen -: 420 Millionen Euro mehr als 2016, 327 Millionen Euro mehr
als im Entwurf - wir haben also gut nachverhandelt -;
insgesamt sind es 9,5 Milliarden Euro. Wenn ich zurückschaue, stelle ich fest, dass wir 2005 4,5 Milliarden Euro
im Haushalt hatten. Wir haben den Haushalt also mehr
als verdoppelt. Natürlich zählt nicht nur das Geld. Nein,
wir haben auch spezifiziert. Unsere Maßnahmen sind
zielgenauer. Wir schauen: Was brauchen Familien? Wo
brauchen sie mehr Freiheit? Wir sagen: Das Elterngeld
war eine zentrale Maßnahme, die zielgenau ist. - Ich
komme nachher noch zum Unterhaltsvorschuss; Herr
Wunderlich, keine Angst, ich habe Sie nicht vergessen.
Wichtig ist die Botschaft, dass wir von der Großen Koalition es geschafft haben, mit diesem Haushalt die Teilhabe, die Selbstständigkeit der Familien zu stärken, damit
sie ihre Fähigkeiten entfalten können. Im Hintergrund
aller Maßnahmen steht, dass wir die Freiheit der Familie gewährleisten wollen. Wir, der Staat bzw. der Nachtwächterstaat muss dann eingreifen, wenn es notwendig
ist; aber im Kern müssen wir Familien in ihrer Freiheit
stärken. Das heißt, wir brauchen eine gerechte und solidarische Gesellschaft.
Damit bin ich bei der Zielgenauigkeit und den Fragen
nach Gerechtigkeit und Solidarität. Herr Wunderlich, wir
als Union haben immer gesagt - CDU und CSU haben
dazu schon vor Jahren auf ihren Parteitagen Beschlüsse gefasst -: Der Unterhaltsvorschuss muss ausgeweitet
werden. Dazu stehen wir auch heute ganz klar, weil das
für uns ein wichtiges Thema ist.
({1})
Auch aus unserer Sicht ist es ein gesellschaftlicher Skandal, dass über 70 Prozent der Partner - in der Regel sind
das Männer - sich aus dem Staub machen und nicht für
den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen. Daran müssen
wir arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rückholquote erhöht wird. Eine Rückholquote zwischen 11 bis
36 Prozent ist auch ein Skandal. Auch daran muss gearbeitet werden, und das werden wir tun.
({2})
Herr Wunderlich, jetzt reden wir einmal über Politikverdrossenheit in diesem Land. Sie erklären uns hier, das
sei ganz einfach, man müsse nur die „12“ streichen und
stattdessen eine „18“ einfügen.
({3})
Nein, Politik ist etwas komplexer. Ich sage es Ihnen ganz
deutlich: Sie sehen die „begeisterten“ Ländervertreter.
Richtig ist: Es fand eine Sitzung des Koalitionsausschusses statt, und es gibt einen Beschluss der Länder und des
Bundes, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. Deswegen stehen die Länder genauso in der Verantwortung wie
der Bund.
Aber eines ist uns wichtig: Was ich nicht möchte und
was wir nicht möchten - das wurde unter dem Begriff der
Erwartungshaltung angesprochen -, ist, dass irgendwann
ein schlechtgelaunter Mitarbeiter eines Jugendamtes einer mit einer gewissen Erwartungshaltung ausgestatteten
Alleinerziehenden sagen muss: Ich habe eine deutlich
erhöhte Zahl von Anträgen zu bearbeiten - wenn es vielleicht nicht die doppelte Zahl ist, Frau Brantner -; bis
dein Antrag bearbeitet ist, dauert es vielleicht zwei, drei
oder vier Monate. - Dann kommt nämlich eine bestimmte Stimmungslage auf, und es heißt: Die da in Berlin haben es zwar groß angekündigt; aber um die Umsetzung
haben sie sich nicht gekümmert. - Es ist wichtig, dass
wir bei allen noch so guten und richtigen Maßnahmen,
die wir ergreifen, klare Strukturen schaffen und sowohl
die Finanzierung als auch die Umsetzung gut vorbereiten. Deswegen ist uns am Ergebnis eines wichtig: Dieser
Schritt wird kommen. Bei allem Respekt: Alois Rainer
hat nie gesagt, dass es nicht zum 1. Januar nächsten Jahres kommt. Das Geld kann allerdings auch nachgezahlt
werden; das ist uns wichtig. Wir müssen aber darauf achten, dass die Kommunen in der Lage sind, diese Maßnahme umzusetzen, und darauf werden wir tunlichst achten.
Wir werden die Länder bei den nächsten Gesprächen
bitten, eigene Angebote zu machen. Ich weiß ja nicht,
was Thüringen empfohlen hat. Thüringen hätte den Unterhaltsvorschuss auch von sich aus schon lange ausweiten können. Ich weiß nicht, warum das nicht passiert ist;
aber das können Sie ja interpretieren.
({4})
Ich finde, es ist schon ein skandalöser Vorwurf, wir gemeint sind die CDU/CSU und die Große Koalition würden nichts für Alleinerziehende tun. Allein der Ausbau der Kindertagesbetreuung ist für Alleinerziehende
ein zentraler Punkt; denn damit eröffnen wir ihnen die
Möglichkeit, wieder in die Erwerbstätigkeit zu kommen.
Außerdem haben wir den Entlastungsbetrag deutlich erhöht. Dieser Schritt kam zehn Jahre zu spät - das ist sicherlich richtig -; aber die Erhöhung von 1 308 Euro auf
1 908 Euro war in diesem Zusammenhang ein richtiges
und wichtiges Signal. Das heißt, wir kümmern uns um
die Familien.
({5})
Ich will noch einmal ausdrücklich betonen: Dabei diskutieren wir nicht darüber, wie die Familien leben. Die
Menschen, die morgens aufstehen, ihre Kinder in die Kita
oder Schule bringen, den ganzen Tag hart arbeiten, ihre
Kinder abholen, sich um ihre Kinder kümmern und dann
möglicherweise noch ehrenamtlich beim Fußballverein
oder bei der Flüchtlingshilfe aktiv sind, sind diejenigen,
für die wir Politik machen. Das sind die Familien, die wir
stärken. Ob sie verheiratet sind, alleinerziehend sind oder
ohne Trauschein zusammenleben, hat dabei nicht oberste
Priorität, sondern es geht darum, diejenigen zu stärken,
die etwas für Kinder und für diese Gesellschaft tun. Der
Haushalt spiegelt das auch deutlich wider.
Ein Hauptpunkt ist natürlich das Elterngeld. Es ist
eine Erfolgsgeschichte. Hierfür stellen wir 6,4 Milliarden Euro und damit 400 Millionen Euro zusätzlich zur
Verfügung. Das ist viel, viel Geld. Aber das Ergebnis ist
durchaus positiv. Dass der Herr Staatssekretär im Finanzministerium immer unterschreiben muss, wenn von uns
wieder einmal ein bisschen mehr gefordert wird, macht
uns natürlich glücklich; denn das heißt, dass in Deutschland mehr Kinder zur Welt kommen. Auch das war ein
Punkt, der uns immer wichtig war.
Ich will auf zwei, drei weitere wichtige Punkte zu
sprechen kommen, sowohl auf das Elterngeld und das
Elterngeld Plus als auch auf das Programm „KitaPlus“.
Viele Eltern, gerade solche, die wie ein Polizist im
Schichtdienst tätig sind - das war immer ein Problem -,
haben uns gefragt: Wie soll ich denn abends die Kinderbetreuung mit meiner Arbeit vereinbaren? - Mit dem
Programm „KitaPlus“ zeigen wir ganz deutlich: Wir wissen, wo eure Probleme sind; jetzt habt ihr punktuell und
temporär mehr Möglichkeiten. - Auch der Ausbau der
Marcus Weinberg ({6})
Kindertagesbetreuung war, wie ich glaube, mit Blick auf
die Zukunft ein sehr wichtiger Schritt.
Die Politik wird sich verändern müssen, und auch die
Familienpolitik wird sich verändern müssen. Es geht dabei insbesondere um die Frage: Wie können wir Familien
mit Kindern stärken, zum Beispiel unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten oder bei der Zielgenauigkeit von
Leistungen? Wir müssen uns die Effizienz der Leistungen anschauen; auch das wird eine Aufgabe der nächsten
Jahre sein. Hinzu kommt die Schnittstellenproblematik.
Es gibt, wie Sie wissen, deutlich mehr als 156 familienund ehepolitische Leistungen. Wir werden uns fragen
müssen: Welche Leistung hat eigentlich welchen Mehrwert, und wo kommt das Geld zielgenau an? Was den
Unterhaltsvorschuss angeht, habe ich gesagt: Er ist eine
der zielgenauesten Leistungen, die es gibt. Aber auch
andere Leistungen müssen überprüft werden. Wir werden uns auch Gedanken darüber machen müssen, welche
Erwartungshaltung Familien haben. Ein Beispiel ist die
selbstgenutzte Wohnimmobilie. Es geht nicht nur darum,
dass wir sagen: Das ist für Familien gut. - Vielmehr ist es
auch mit Blick auf die Alterssicherung denkbar, dass wir
hier weitere Vorschläge erarbeiten.
Nun noch einmal zu den Geldern für Jugend und Prävention. Es ist richtig: Wir haben wahrgenommen - das
fanden wir negativ -, dass wir in dem von der Bundesregierung eingebrachten Haushaltsentwurf gewisse Themen nicht wiedergefunden haben, bei denen wir vorher
klar adressiert hatten, dass sie uns wichtig sind. Beispiele
sind die Jugendverbandsarbeit und die Jugendmigrationsdienste. Ein herzliches Dankeschön an die Haushälter - an alle, aber natürlich insbesondere an unsere -, die
diese Fehler Gott sei Dank behoben haben.
({7})
Ich sage ganz deutlich: Wir können durchaus ein bisschen stolz darauf sein, dass wir es geschafft haben, für
die Jugendverbandsarbeit wieder 2 Millionen Euro bereitzustellen und dass wir die Mittel für die Jugendmigrationsdienste gerade in dieser Zeit in einem solchen Umfang aufstocken konnten, dass sie an der richtigen Stelle
ankommen.
Sie sehen also: Dieser Haushalt lebt davon, dass wir
Handlungs- und Gestaltungsspielräume haben. Deswegen ist die Grundsatzfrage der Neuverschuldung für uns
zentral. Wenn wir eines Tages wieder in eine Situation
kommen sollten, in der wir nicht die gleiche wirtschaftliche Stabilität wie heute haben, in der es kein Wachstum
gibt und in der wir nicht über finanzielle Zuflüsse wie
derzeit verfügen, dann müssen wir uns Gestaltungs- und
Handlungsspielraum möglicherweise hart erstreiten.
({8})
Ich sage ganz deutlich: Wir geben gerne möglichst viel
Geld aus. Aber andere müssen das erwirtschaften. Wir
sollten uns daher sorgsam überlegen, wie wir das Geld
ausgeben. Deswegen muss man Politik ernsthaft gestalten, Herr Wunderlich. Ihr Politikverständnis nach dem
Motto, mal ganz schnell irgendetwas zu machen, ist nicht
das unsere.
({9})
Wir wollen etwas für die Familien tun, wir wollen sie
stärken. Insbesondere die Kinder und Jugendlichen wollen wir für die Zukunft stärken. Das machen wir auch,
aber verantwortungsbewusst. Nichts wäre schlimmer ich komme noch einmal auf den Unterhaltsvorschuss
zurück -, wenn eines Tages eine richtige und wichtige
Maßnahme, die wir alle gewollt haben, deshalb nicht bei
den Menschen ankommt, weil wir sie schlecht vorbereitet haben. Politik lebt auch davon, dass in der Struktur
vorbereitet wird. Ich gehe fest davon aus, dass wir das
mit dem Unterhaltsvorschuss hinbekommen werden,
weil Länder und Kommunen auch ein Interesse daran
haben, dass es den Familien gut geht. Deshalb bin und
bleibe ich da guter Hoffnung.
Insgesamt ist das ein toller Haushalt. Ich kann nur
noch einmal sagen: Vielen Dank für das Nacharbeiten,
mit dem gelungen ist, was vor ein paar Wochen noch in
der Vorbereitung war.
Danke.
({10})
Vielen Dank, Marcus Weinberg. - Nächster Redner ist
Sönke Rix für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich bin Mitglied im ersten
NSU-Untersuchungsausschuss gewesen. Jetzt bin ich
stellvertretendes Mitglied im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss. Heute hatte ich wieder die Ehre, dabei
zu sein und einen Kollegen zu vertreten. Die Beamten
des BKA sowie andere haben noch einmal genauestens
geschildert, wie dieses Trio gearbeitet hat, welche Verbrechen es begangen hat und mit welcher Skrupellosigkeit dabei vorgegangen wurde. Bei der Gelegenheit habe
ich aber auch wieder mitbekommen, wie wichtig es ist,
dass die Gesellschaft um solche Personen herum aufmerksam ist, damit so etwas eben nicht passiert.
({0})
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass die Gesellschaft - das gilt auch für die Medien - immer alarmiert
ist und darauf achtet, dass die Werte unserer Verfassung,
unseres Grundgesetzes beachtet werden.
Wir erleben gerade im rechtspopulistischen Bereich,
zum Beispiel bei der AfD, dramatische Entwicklungen,
die deutlich machen, dass wir in diesen Punkten aufholen
und immer wieder deutlich machen müssen, wie wichtig
Marcus Weinberg ({1})
die Werte unserer Demokratie und unserer Verfassung
sind. Deshalb begrüße ich sehr, dass wir die Mittel für
Demokratieförderung auf das Maß erhöht haben, das
wir schon im Abschlussbericht des ersten NSU-Untersuchungsausschusses als erforderlich festgehalten haben.
Dieses Geld ist wertvolles Geld zur Stärkung unserer
gemeinsamen Demokratie und unserer Werte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Mein Dank gilt an dieser Stelle dem ganzen Haus. Das
betrifft die überfraktionelle Arbeit in dem Untersuchungsausschuss, aber auch die Unterstützung, die es
jetzt für die Demokratieförderung gibt. Wir müssen gerade in dieser Frage deutlich machen, dass die Demokraten
sich da nicht auseinanderdividieren lassen.
Ich war auch lange Zeit im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement tätig. Peter Struck, ein wertgeschätzter ehemaliger Vorsitzender unserer Fraktion - er
schaut uns vielleicht von oben zu -, der übrigens den
Spruch geprägt hat, den Sie, Frau Schwesig, vorhin
vorgetragen haben - kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist! -, hat mir einmal auf
die Frage, was eigentlich Engagementpolitik ist, geantwortet: Sind wir nicht eigentlich alle als Politiker engagiert? - Ja, natürlich. Immer dann, wenn wir vor Ort bei
unseren Ortsvereinen und ehrenamtlichen Kommunalpolitikern vorbeischauen, dann sehen wir die Kärrnerarbeit
der Demokratie. Diese Menschen - Frau Stadler hat sie
vorhin erwähnt - bewirken mehr als diejenigen, die sich
nur aktiv in Verbänden, Parteien und Gewerkschaften organisieren. Sie arbeiten frei, emanzipiert, projektorientiert und selbstständig in vielen Bereichen. Deswegen bin
ich froh, dass wir auch im Bereich der Freiwilligendienste eine Erhöhung hinbekommen haben. Auch dafür sage
ich herzlichen Dank an den Haushaltsausschuss.
({3})
In dieser Debatte hat auch der Föderalismus eine Rolle
gespielt. Jörn Wunderlich hat uns zum Beispiel vorgeworfen, dass im gesamten Text des Haushalts das Wort
„Frauenhäuser“ nicht auftaucht. Ein Blick auf die Gesetzeslage würde deutlich machen, dass wir dafür auch nicht
zuständig sind. Das liegt nicht an uns.
({4})
- Wir sind nicht allein der Gesetzgeber, lieber Jörn
Wunderlich. Auch der Bundesrat ist Gesetzgeber, und
der lehnt es mit 16 : 0 Stimmen ab, dass wir als Bund dafür zuständig sind. Man sollte also immer auch mit dem
Finger in die eigene Richtung zeigen. Ihr seid auch an
Landesregierungen beteiligt.
({5})
Ich komme zum Thema Unterhaltsvorschuss. Auch
hier nützt es nichts, wenn wir uns gegenseitig vorwerfen,
dass wir blockieren. Damit spielen wir doch genau denen
in die Karten, die sowieso sagen, dass wir es nicht auf die
Reihe bekommen. Es gibt einen eindeutigen Beschluss
von 16 Ministerpräsidenten, die alle aus unterschiedlichen Landesregierungen kommen. Sie haben gemeinsam
mit der Bundesregierung beschlossen, dass es zum 1. Januar 2017 Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss
geben soll. Ich finde, daran darf auch nicht gezweifelt
werden. Es wäre fatal, wenn wir einen solchen von so
wichtigen und demokratisch gewählten Persönlichkeiten
einstimmig gefassten Beschluss zum 1. Januar 2017 einfach nicht umsetzen würden. Deshalb ist es auch unsere
Verantwortung, das zu tun.
({6})
Frau Schwesig hat von der Frau gesprochen, die ihr
geschrieben hat: Erst hat mich der Mann verlassen, dann
hat er mir das notwendige Geld nicht zur Verfügung gestellt, und nun verlässt mich der Staat. - Wenn sie jetzt
auch noch sagen muss: „Jetzt hat der Staat mich auch
noch beschissen, indem er mir nur versprochen hat, dass
der Unterhaltsvorschuss zum 1. Januar 2017 neu geregelt
wird“, dann wird diese Frau ein viertes Mal enttäuscht,
und dagegen sollten wir angehen.
({7})
Im Ganzen ist es ein Haushalt, der wieder zeigt, dass
wir unserer gesamten Bandbreite gerecht werden: Wir
unterstützen die Zivilgesellschaft, die Integrationsarbeit
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier sind
wir auf einem sehr guten Wege.
Ich will es an dieser Stelle auch noch einmal sagen:
Herzlichen Dank nicht nur für den guten Entwurf, den wir
zu bearbeiten hatten, sondern besonders auch ans Parlament, das diesen guten Entwurf noch besser gemacht hat.
Ganz besonders danke ich auch den Haushältern und speziell dir, liebe Ulrike. Du hast ja leider gesagt, dass dies
dein letzter Haushalt ist, den du bearbeitest. Selbst wenn
du noch einmal antreten würdest, würdest du nicht noch
einmal für den Familienhaushalt zuständig sein können,
weil ja das Rotationsprinzip gilt. Wir bedauern das aber
auf jeden Fall sehr.
Ganz herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Sönke Rix. - Die nächste Rednerin:
Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht als Erstes: Bevor man etwas verkündet, sollte man
auch alles in trockenen Tüchern haben. Dann hätten wir
hier jetzt auch nicht das Problem mit den Zahlungen an
die Alleinerziehenden;
({0})
denn in der Sache sind wir uns hier ja alle einig.
({1})
Sie haben von meinen Vorrednern schon viel über die
hohen Summen, die wir hier in Familien investieren,
über die Projekte unserer Familienpolitik und darüber
gehört, wie wir unsere finanziellen Spielräume im Haushalt 2017 nutzen. Als Familienpolitikerin freue ich mich,
dass wir auch Projekte unterstützen können, die einen
niederschwelligen Zugang zu Hilfsangeboten bieten.
Eine gute Ergänzung zum Hilfetelefon gegen Gewalt
ist nun die Möglichkeit der Beratung für Gewaltopfer
über das Internet. Hier können die Opfer in einem Onlinechat niederschwellige Beratungen von Fachleuten
bekommen.
Ein anderes Beispiel ist das Projekt „U25“, durch das
junge Leute im Alter von 16 bis 25 Jahren ausgebildet
werden, um anderen jungen Menschen zu helfen, die sich
mit Selbstmordgedanken quälen. Da Verständnis und Zugang unter Gleichaltrigen oft einfacher sind, versprechen
sich die Experten von diesem Ansatz eine wirkungsvollere Hilfe. Gerade junge Leute, die sich so einer belastenden Aufgabe stellen, verdienen besonderen Dank.
Mit 17,5 Millionen Euro fördern wir 560 Mehrgenerationenhäuser in ganz Deutschland. Wir setzen damit ein
Zeichen dafür, dass wir den Zusammenhalt der Generationen stärken wollen.
Den Zusammenhalt der Generationen stärken wir aber
auch in den Familien. Die Familienpflegezeit hilft Menschen, sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen zu
kümmern. Die Mittel für Darlehen während der Familienpflegezeit werden nun um 1,5 Millionen Euro auf
8,1 Millionen Euro weiter erhöht.
Die Jugendverbandsarbeit wird im kommenden Jahr
mit 18,7 Millionen Euro gefördert. Dadurch stärken wir
die Jugendarbeit vor Ort in den Städten und Gemeinden.
Der Etat für den Garantiefonds Hochschule bleibt
auch 2017 mit 22,9 Millionen Euro auf einem sehr hohen
Niveau.
Durch qualifizierte Beratungsangebote und die nötigen Sprachkurse ermöglichen wir bereits gut ausgebildeten Flüchtlingen, sich weiterzuqualifizieren. Sie können dadurch ein Studium aufnehmen und so möglichst
schnell auf eigenen Beinen stehen.
Auch die Jugendmigrationsdienste können ihre gute
Arbeit fortsetzen und werden in diesem Haushalt mit gut
50 Millionen Euro finanziert.
Bereits in meiner Rede zum vergangenen Haushalt
hatte ich betont, dass das Programm „Demokratie leben!“ Gelder mitunter an die falschen Projekte vergibt.
Mit 104,5 Millionen Euro kann man viele Demokratieprojekte fördern. Es wird aber immer wieder berichtet,
dass islamische Verbände wie die DITIB oder islamistische Vereinigungen, die junge Menschen zum radikalen
Islam bekehren wollen, dadurch eine Bühne bekommen
und dort Projekte gefördert werden, die wir nicht gefördert wissen wollen. Zum Beispiel gab es die Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Islamischen Vereinsverband
Rhein-Main in Hessen. Diese wurde nach Medienrecherchen glücklicherweise im Sommer gestoppt. Mit DITIB
bekam in diesem Jahr in Hamburg und Schleswig-Holstein eine Organisation über eine viertel Million Euro,
die direkt dem Religionsministerium des türkischen Präsidenten Erdogan untersteht. Solche finanziellen Unterstützungen darf es nicht geben.
({2})
Diese Projekte sollen schließlich von Radikalisierung abhalten und unsere demokratischen Werte vermitteln und
fördern. Ich hoffe, dass das Ministerium bessere Kontrollmechanismen gewährleistet und dass zukünftig keine Mittel mehr an solche Träger vergeben werden.
Ich möchte noch auf eine Erfolgsgeschichte hinweisen, bei der wir durch die Finanzierung sprichwörtlich
Leben retten. Sie alle können sich noch an die Argumente für und gegen die vertrauliche Geburt erinnern. Am
1. Mai 2014 ist das Gesetz zum Ausbau der Hilfen für
Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt in Kraft getreten. Dadurch erhalten Schwangere die
Möglichkeit, ihr Kind anonym und sicher in einer Klinik
oder bei einer Hebamme auf die Welt zu bringen. Während der Schwangerschaft und danach werden sie von
Schwangerschaftsberatungsstellen und Fachpersonal betreut und begleitet.
Mit diesem Gesetz haben wir Schwangeren in Extremsituationen einen Ausweg aufgezeigt. Wir haben Kinderleben retten können, Kinder, die womöglich ausgesetzt
oder - schlimmer noch - getötet worden wären. Seit Inkrafttreten des Gesetzes sind 262 Kinder vertraulich geboren worden. Allein in diesem Jahr sind 99 Kinder in
dieser Form - sauber und gut - geboren worden, und wir
haben damit Leben retten können.
({3})
Ich habe bei der Polizei in meinem Wahlkreis nachgefragt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes gab es im Umkreis
Düsseldorfs nicht ein totes Baby. Ich freue mich sehr,
dass 262 Kinder dank des Gesetzes gerettet worden sind.
Wir können alle gemeinsam stolz darauf sein, dass wir
das damals hier gegen viele Argumente auf den Weg gebracht haben.
({4})
Schwangeren in Konfliktsituationen zur Seite zu stehen, ist eine wichtige Aufgabe. Es freut mich sehr, dass
wir auch im kommenden Jahr die Projektförderung von
Donum Vitae für schwangere Frauen auf der Flucht mit
1,2 Millionen Euro unterstützen.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch auf etwas
Grundsätzliches hinweisen. Für mich ist die Familiengestaltungsfreiheit der Eltern das zentrale Ziel einer modernen Familienpolitik. Wir wollen Eltern die Möglichkeit
geben, ihre Familien individuell nach ihren Bedürfnissen
auszugestalten.
Im neuen Haushalt werden wir auch die Sprach-Kitas
weiter fördern. Wir erhöhen den Ansatz dafür noch einmal um 150 Millionen Euro. Mit insgesamt 278 MillioSylvia Pantel
nen Euro fördern wir dann die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern.
Mit dem Elterngeld und dem Elterngeld Plus haben
wir zwei erfolgreiche Programme, die Eltern darin unterstützen, den für sie richtigen Weg zu finden. Für 2017
haben wir mit 6,4 Milliarden Euro die Grundlage dafür
geschaffen.
Wenn ich mit Eltern spreche, berichten sie mir häufig,
dass sie sich gern mehr selbst um die Betreuung ihrer
Kinder kümmern würden. Dieser Wunsch scheitert aber
häufig an der wirtschaftlichen Situation der Eltern. Mit
unseren Förderungsmechanismen unterstützen wir derzeit zu einseitig den Kitabesuch. Stellen wir damit wirklich das Wohl des Kindes an die erste Stelle? Sollte unsere Politik nicht viel mehr darauf abzielen, den Eltern
beides, sowohl die Eigen- als auch die Fremdbetreuung,
gleichermaßen zu ermöglichen? Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld des Bundes aus formalen
Gründen gekippt, weil es in die Zuständigkeit der Länder
gehört. Die obersten Richter haben aber auch eindeutig
geklärt, dass der Staat keine Kinderbetreuungsform bevorzugen darf. Es geht um Wahlfreiheit. Damit hat uns
das Bundesverfassungsgericht einen Handlungsauftrag
gegeben.
({5})
Die Bayerische Staatsregierung hat das verstanden
und eine Vorreiterrolle übernommen. Das Landesbetreuungsgeld des Freistaates Bayern ist ein großer Erfolg.
({6})
Schon 100 000 Eltern haben es beantragt.
({7})
Es ist in der öffentliche Debatte kaum präsent, dass der
Kitabesuch im Schnitt zwischen 900 und 1 200 Euro im
Monat pro Kind vom Staat bezuschusst wird. So gesehen
ist das eine sehr ungleiche staatliche Förderung nur eines
bestimmten Erziehungsmodells. Für uns sollte das Kindeswohl immer an erster Stelle stehen.
({8})
Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen.
({9})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es ist so, dass wir einen sehr guten Haushalt aufgestellt haben, dass wir zusätzliche Modelle entwickeln
müssen, die weiter gehen, sodass Eltern wählen können.
({0})
Frau Kollegin.
An dieser Stelle möchte ich mich bei unserem Haushälter, Alois Rainer, für seine hervorragende Arbeit herzlich bedanken.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin, auch wenn es viel länger
war. - Christina Schwarzer ist die letzte Rednerin in dieser Debatte für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Wunderlich, lassen Sie mich zwei Sätze zum Unterhaltsvorschussgesetz sagen, weil mir das sehr wichtig ist. Ich
weiß nicht, ob Sie sich einmal den Spaß gemacht haben
und sich von dem Jugendamt Ihrer Kommune die Zahlen
haben ausrechnen lassen. Mein Jugendamt hat mir die
Zahlen mitgeteilt: In meiner Kommune ({0})
- das ist kein Spaß, richtig - mit 320 000 Einwohnern
gibt es derzeit 2 300 Fälle. Sie werden von knapp 17 Mitarbeiterstellen bearbeitet. Wenn das Gesetz in Kraft tritt,
wovon wir alle ausgehen, ist mit einem Aufwuchs auf
4 800 Fälle zu rechnen. Damit wäre ein Zuwachs auf
35 Mitarbeiter verbunden, um diese Fälle zu bearbeiten.
Das ist derzeit nicht zu leisten. Deswegen müssen wir
uns die Rahmenbedingungen genau anschauen.
({1})
Aber wir sprechen jetzt über den Haushalt. Über den
vielen Gesprächen, langen Verhandlungen und guten
Diskussionen einer langen Haushaltsdebatte - sie ist für
heute gleich zu Ende - schwebt im Kern eine konkrete
Frage: Was ist eigentlich eine gute Politik für Familien,
Senioren, Frauen und Jugend in unserem Land? Oder anders ausgedrückt: Wie investieren wir denn das Geld, das
uns zur Verfügung steht? Was wollen wir mit unserer Politik erreichen? Welche Leistungen sind nötig, um diese
übergeordneten Ziele zu erreichen?
Eine erste Antwort gibt der hier vorgelegte Haushalt:
Erneut investieren wir mehr als im vergangenen Jahr.
Aber einfach nur mehr Geld ausgeben, reicht bekanntlich
nicht. Die wichtige Frage lautet: Wofür geben wir es aus?
Und vor allen Dingen: Welche Botschaft vermitteln wir
damit?
Meines Erachtens lautet eine wichtige Antwort: Wir
müssen Politik so gestalten und finanzieren, dass es unseren Familien ermöglicht wird, ihr Leben so zu organisieren, wie sie es sich wünschen. Wie sie ihr Zusammenleben für sich organisiert, weiß eine Familie in der
Regel am besten. Der Staat darf nur Unterstützer und
Notfallhelfer sein. Das gilt für die Aufteilung von Arbeit,
Familie und Freizeit ebenso wie für die Kindererziehung
und die Pflege von Angehörigen. Die Familie priorisiert
ihr persönliches Lebensmodell, nicht die Politik.
Die zweite Antwort auf die Frage, wofür wir das Geld
unserer Bürger ausgeben dürfen, lautet meines Erachtens:
zur Unterstützung derer, die Unterstützung brauchen. Für
unseren Bereich haben wir dabei eine ganz besondere
Verantwortung. Daher bin ich sehr froh, dass wir mit
diesem Haushalt drei Projekte fördern, die sich auf ganz
unterschiedliche Art und Weise die Unterstützung von
Hilfsbedürftigen auf die Fahne geschrieben haben. Alois
Rainer, noch einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie sich
für diese drei Projekte eingesetzt haben! Der Dank kam
heute sozusagen auch schon in Ihr Büro.
({2})
- Da müssen Sie Herrn Rainer fragen. Die Neuköllner
Blutwurstmanufaktur hat Leckeres geliefert. - Dank
dieses Einsatzes werden aus dem Bundeshaushalt unter
anderem die Projekte „gewaltlos.de“, „U25“ und eine
Kampagne gegen häusliche Gewalt an Kindern finanziert. Aber was steckt konkret dahinter?
Beim Projekt „gewaltlos.de“ - Kollegin Schön hat es
schon angesprochen - erhalten Mädchen und Frauen, die
von häuslicher Gewalt und Stalking betroffen sind, Beratung und Hilfe in Krisensituationen. Das ist eine wichtige
Aufgabe; denn Mädchen und Frauen machen Gewalterfahrungen überwiegend im häuslichen Bereich. Auch
vom Phänomen Stalking sind immer mehr betroffen. Die
Zahl derer, die sich an Beratungsstellen oder die Polizei
wenden, ist sehr gering. Gerade bei solchen Problemen
scheint die Hemmschwelle, um Hilfe zu bitten, besonders groß zu sein. „gewaltlos.de“ schafft einen einfachen
Zugang zum Hilfesystem. Die Beratung findet nämlich
im Internet statt, das sozusagen rund um die Uhr geöffnet
ist; man kann dort mit Beratern chatten. Darüber hinaus
werden Fragen und Themen in einem Forum besprochen.
Seit 2005 haben insgesamt 14 000 Mädchen und Frauen
dieses Angebot genutzt.
Sehr geehrte Kollegen, morgen ist der Internationale
Tag gegen Gewalt an Frauen, ohne Zweifel ein wichtiges Datum. Ich habe mir vorgestern den Spaß erlaubt,
ein nettes Foto von Paul Lehrieder und mir zu posten,
und ich habe meine Follower gefragt, wer die Telefonnummer vom Hilfetelefon kennt. Es gab eine Antwort,
nämlich die von Paul Lehrieder. Er wusste nämlich die
Antwort.
({3})
- Genau, sehr vorbildlich. - Ich glaube, es liegt an uns,
das Hilfetelefon und auch „gewaltlos.de“ noch viel stärker bekannt zu machen, dass mehr Frauen dieses Angebot nutzen können.
({4})
Gleiches gilt aber auch für das Projekt „U25-online-Suizidprävention“, das sich an eine Zielgruppe
wendet, die ebenfalls schwer Zugang zum Hilfesystem
findet, nämlich suizidgefährdete Jugendliche. Die Kollegin Pantel hat schon darauf verwiesen. Alle fünf Minuten
versucht in Deutschland ein Mensch, sich das Leben zu
nehmen. Bei jungen Menschen ist die Zahl noch viel höher. Ich hoffe, dass wir einen kleinen Anteil daran haben,
den jungen Menschen helfen zu können.
Mit „gewaltlos.de“ und „U25“ werden zwei Onlineberatungsprojekte gefördert, was ich als Digitalpolitikerin für einen wichtigen Schritt halte. Angebote im Netz
sind für viele Betroffene ein wichtiger Einstieg, um aus
ihrem Teufelskreis herauszukommen. Mir ist es besonders wichtig, dass zwei so großartige Projekte in Zukunft
eine regelmäßige Förderung bekommen.
Ein drittes Projekt, das wir im Bundeshaushalt nun
fördern, ist eine Kampagne gegen häusliche Gewalt an
Kindern. Diese ist in Deutschland immer noch trauriger
Alltag. Ursache ist oft eine Überforderung der Eltern mit
der häuslichen Situation. Es kommt zu Stresssituationen,
und manche Eltern sind sich gar nicht bewusst, was sie
ihrem Baby schon dann antun, wenn sie es nur einmal
ganz kurz schütteln. Deswegen wünsche ich mir eine
flächendeckende Kampagne sozusagen gegen das Babyschütteln, in der darauf hingewiesen wird, dass man ein
Baby auch nicht aus Wut, Aggression oder vielleicht auch
aus einer Überlastungssituation heraus schütteln darf.
Es gibt gute Projekte in den Kommunen. Auch darauf
kann eine flächendeckende Kampagne in ganz Deutschland hinweisen. In meinem Bezirk in Berlin-Neukölln
gibt es eine Schreibabyambulanz. Ich persönlich war nur
zwei Stunden mit einem schreienden Baby dort und bin
schwitzend und sozusagen mit grauen Haaren herausgegangen. Es gibt Babys, die schreien 24 Stunden lang.
Diese Eltern müssen wir abholen und ihnen sagen, dass
sie ihre Kinder nicht schütteln dürfen.
({5})
So können wir im Übrigen nicht nur die Eltern sensibilisieren, sondern auch Freunde, Nachbarn und sonstige
Bekannte, die ihrerseits die Familien sensibilisieren können.
Diese drei genannten Projekte stehen auf ganz unterschiedliche Art und Weise für den Schutz von Schwächeren ein. Dass die Projekte über den Bundeshaushalt
gefördert werden, ist ein sehr gutes Zeichen. Denn Prävention, ob online oder offline, ist auch haushalterisch
immer eine gute Maßnahme. Alles, was wir durch präventive Projekte abfedern können, wird später nicht ganz
so teuer.
Meine persönliche Bitte an Sie: Machen Sie diese
Projekte bekannt! Sprechen Sie über „gewaltlos.de“, das
Hilfetelefon und „U25“! Dann wird die Welt vielleicht
für viele noch ein kleines Stück besser.
Danke.
({6})
Vielen Dank, Christina Schwarzer. - Damit schließe
ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan
17 - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 17 ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Drucksachen 18/9810, 18/9824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Cajus Caesar,
Ulrich Freese, Heidrun Bluhm und Sven-Christian
Kindler.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich der ersten Rednerin das Wort gebe, begrüße
ich oben auf der Tribüne 22 Schülerinnen und Schüler,
die im Rahmen eines Programms der Landeszentrale für
politische Bildung Baden-Württemberg hierhergekommen sind; sie kommen aus Tübingen. Thema ist „Streitkultur“.
({0})
Ich glaube, Sie sind hier genau richtig. Wenn es um
Landwirtschaftspolitik geht, dann wird immer heftig gestritten. Ich freue mich. Ich bin irgendwie immer diejenige, die hier oben sitzt, wenn es abgeht.
Meine Damen und Herren, jetzt zeigen Sie einmal den
jungen Leuten, wie eine gute Streitkultur aussieht. Die
erste Rednerin ist Heidrun Bluhm für die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Sehr geehrte junge Leute, wollen
wir einmal sehen, ob ich dem Streitkulturthema heute gerecht werde. Das können Sie hinterher vielleicht irgendwie signalisieren, soweit Sie das dürfen.
Dass der Haushalt des Ministeriums für Ernährung
und Landwirtschaft bereits im Entwurf mit über 300 Millionen Euro und nach der Bereinigungssitzung noch einmal mit 100 Millionen Euro auf nun insgesamt 6 Milliarden Euro aufgestockt wird, ist, wie die Linke findet, ein
gutes Zeichen.
({0})
Ich freue mich, dass in der Bereinigungssitzung des
Haushaltsausschusses noch einmal Fortschritte gemacht
werden konnten, insbesondere beim Bundesprogramm
Ländliche Entwicklung; das ist ein Thema, das mich
ganz besonders interessiert. Man sollte am Anfang immer das Positive hervorheben.
Bei genauerem Hinsehen aber ist der Aufwuchs auch
ein Zeichen der Hilflosigkeit der Regierung,
({1}): Oh!)
weil die Maßnahmen insbesondere in der Milchkrise nur die Behandlung von Symptomen sind, Herr
Auernhammer. Der Minister hat in der ersten Haushaltsberatung das Problem eigentlich sehr deutlich angesprochen und geradezu kämpferisch Änderungen bei den
Lieferbeziehungen angemahnt, sie gar zur Bedingung für
seine Hilfen gemacht. Er sagte:
Aber es kann keiner erwarten, dass ich um des lieben Friedens willen nur Geld organisiere und die
Probleme nicht angegangen werden.
Da kann ich ebenfalls nur zustimmen. Aber wo sind
die grundlegenden Veränderungen bei den Vermarktungsstrukturen? Wie sorgen wir dafür, dass nicht bald
die nächste Milchkrise ins Haus steht und am Ende nicht
wieder Steuergelder helfen müssen? Wie sorgen wir also
für nachhaltige und faire Milchpreise? Viele Fragen, Herr
Minister! Aber Sie reden noch nach mir. Ich werde Ihnen
zuhören.
Wenn ich sehe, dass selbst 2015 von 58 Millionen
Euro Bundesmitteln innerhalb der GAK für den Bau von
Milchkuhställen nachweisbar mindestens 51 Millionen
Euro mit Kapazitätserweiterungen verbunden waren so die Zahlen aus Ihrem Ministerium -, wenn man also
davon ausgehen muss, dass mindestens 90 Prozent dieser Bundesmittel in den letzten Jahren das Problem sogar noch verschärft haben, also mit öffentlichen Mitteln,
während wir an anderer Stelle mit vielen Steuermillionen
die Brände löschen, dann fehlt da zumindest bei mir das
Verständnis.
({2})
Die deutliche Kritik, die Herr Priesmeier vor zwei
Wochen am eigenen Hilfsprogramm gefunden hat, war
ebenso bemerkenswert für uns. Offensichtlich scheint
selbst in der Koalition große Uneinigkeit darüber zu bestehen, welche geeignete Medizin angewendet werden
soll, um den kranken Patienten Milchmarkt zu heilen. Sie
haben den Tropf mit den Schmerzmedikamenten etwas
aufgedreht, unterlassen aber Strukturveränderungen und
Ordnungspolitik, die eine wirkliche Heilung versprechen
würden.
({3})
Stattdessen setzen Sie nach wie vor auf alte Rezepte
der Exportlogik. Die Linke will aber eine Abkehr von der
neoliberalen Exportpolitik, die auch im Agrarbereich nur
für menschenunwürdige Gehälter und Einkommen einerseits und Profite in Händen weniger andererseits sorgt.
({4})
Die Linke will die Marktkartelle im Lebensmitteleinzelhandel und in den Vermarktungsketten brechen und die
Konzentration von Marktmacht verhindern. Permanente
Hilfsprogramme sind dafür keine Lösung.
({5})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Die Landwirtschaft hängt mehr und mehr am Subventionstropf der EU, des Bundes und auch der Länder.
Was nicht gefördert wird, rechnet sich in der Landwirtschaft schon längst nicht mehr. Wir sind also meilenweit
entfernt von Marktwirtschaft, vor allem von sozialer
Marktwirtschaft. Das sage ich besonders auch im Hinblick auf die Agrarstrukturen. Wenn am Ende nur noch
große Investoren in Besitz von Land und Betrieben sind
und kleine Familienunternehmen unterliegen, wenn
Wertschöpfung an nicht landwirtschaftliche Investoren
ohne Bindung an die Region abfließt, wenn nur noch
Konzerne und Großbetriebe den Ton angeben, wenn die
Preisspirale am Bodenmarkt immer weiter gedreht wird,
wird am Ende nur Rendite das Maß bestimmen. Dann
wird die Agrarwirtschaft noch weniger Akzeptanz in der
Gesellschaft finden, als sie heute schon hat. Wir wollen
verantwortungsbewusste Landwirte, keine renditegetriebenen Großinvestoren, wir wollen Agrarstrukturen, die
eine ökologisch und sozial nachhaltige Landwirtschaft
ermöglichen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklung der
ländlichen Räume ist vor allem auch eine soziale Frage;
denn der Frust ist greifbar. Ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung zu einem Ort in meinem Bundesland kurz
vor der Landtagswahl. Wie Sie wissen, sind die Ergebnisse für die etablierten Parteien, allerdings auch einschließlich meiner, nicht besonders gut gewesen. Da heißt es:
Wenn man mit Koblentzern spricht,
- so heißt der Ort beschweren sie sich über ignorante Behörden und
ungleiche Verhältnisse. Über den Euro. Über Angela
Merkel. Über den Schulbus ... Über den Umstand,
dass einfach nichts besser werde, nicht mal die alte
Dorfstraße, die ein holpriges Chaos aus Kopfstein,
Asphaltflecken und Sand ist. Und ein Dorfbewohner gibt offen zu: „Ich habe die NPD gewählt. Weil
sonst hier nichts passiert. Wir haben ja nicht aus
Überzeugung die NPD gewählt.“
- Sagt er. „Die sollten mal einen Schrecken bekommen.“ Und
diesmal? ... „Ich wähle die AfD.“
({7})
Hier wird deutlich: Der soziale Zusammenhalt unserer
Gesellschaft zeigt sich sehr konkret in der Lebensrealität
vieler Menschen, vor allem an der alltäglichen Ausgrenzung. Wenn Schulen, Kitas und Krankenhäuser nur noch
in großen Städten gebaut werden und anderswo dafür
schließen müssen, wenn der Staat sich zurückzieht und
soziale Infrastruktur nicht mehr erreichbar ist, wenn Menschen in vielen kleinen Gemeinden weniger Perspektiven
haben als andere, ihre Lebensleistung scheinbar von geringerem Wert ist, wenn Grundstückspreise sinken und
damit viele private Vermögen schmelzen und die eigenen
Kinder nur noch in Stuttgart, Hamburg oder München einen Job finden, wenn Menschen schlicht abgehängt werden und dies nicht ein paar wenige betrifft, sondern breite
Massen, dann schafft das Zukunftsangst und Frust. Dann
ist die Demokratie in Gefahr. Die Grundversorgung muss
in Stadt und Land gesichert sein. Darüber sind wir uns
von der Zielstellung her einig. Nur der Weg dahin trennt
uns ein wenig.
Jetzt werden Sie mir gleich sagen, dass das alles nicht
über den Einzelplan 10 zu leisten sei und damit längst
nicht alle Probleme gelöst werden könnten, die im ländlichen Raum bestehen. Ja, das stimmt. Alle Ressorts
sind in der Pflicht, und alle machen ein bisschen: GAK,
LEADER, ELA, ILE, GRW, Breitbandförderung, BULE,
Förderprogramm „Kleine Städte und Gemeinden“, Landzukunft, Landaufschwung, MORO - ich könnte hier
noch zehn Minuten weitermachen. Wer soll das überblicken? Wer redet eigentlich einmal mit den Bürgermeistern vor Ort und den Bäuerinnen und Bauern kleinerer
Gemeinden und fragt, wie es ihnen eigentlich gelingen
soll, in diesem Förderdschungel noch durchzublicken?
Ich sage: Wir brauchen eine ganzheitliche Politik für den
ländlichen Raum.
({8})
Wir müssen die fachliche Fragmentierung aufheben.
Wir brauchen eine Förderung aus einem Guss, keine
20 Modellvorhaben oder Placebos oder Konkurrenz zwischen Herrn Schmidt und Frau Hendricks oder Profilierungen. Wir brauchen auf ministerialer Ebene eine deutliche Verankerung der ländlichen Entwicklung. Deshalb
fordern wir, mindestens 200 Millionen Euro mehr in die
GAK, in die zweite Säule, für die ländlichen Räume zu
stecken, um einen sichtbaren Anfang zu setzen.
({9})
In Mecklenburg-Vorpommern haben wir seit kurzem
einen Staatssekretär für Vorpommern. Ich finde, es wäre
auch im Bund eine gute Lösung, einen Minister für den
ländlichen Raum zu benennen, der die Strukturförderung
bündelt. Das wäre die richtige Antwort. Vielleicht könnte
das Herr Schmidt sein. Die ländliche Entwicklung darf
kein Nebenprodukt der Agrarpolitik bleiben.
Einen letzten, bedeutenden Aspekt will ich noch ganz
kurz ansprechen.
Aber kurz.
Ganz kurz. - Es darf nicht eindimensional nur um die
Menschen im ländlichen Raum gehen, sondern es muss
auch um die Tiere gehen, die nicht zur einfachen Ware
pervertiert werden dürfen und möglichst renditeträchtig
produziert und vermarktet werden. Uns geht es also letztlich darum - das fordert die Linke -, die Landwirtschaft
sozial und ökologisch auszugestalten, für lebendige Räume, für Mensch, Tier und Natur.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Heidrun Bluhm. - Darf ich die Kolleginnen und Kollegen angesichts der fortgeschrittenen Zeit
bitten, sich wirklich an die Redezeit zu halten? Wir haben
jetzt schon eine irre Verspätung. Daran sind die anderen
schuld, aber ich bitte Sie einfach, wenn das Lichtlein
blinkt, das nicht als freundlichen Gruß zu verstehen, sondern als definitive Aufforderung, die Rede zu beenden.
Jetzt hat Kollege Caesar für die CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein Gruß gilt natürlich auch den jungen Leuten
auf der Tribüne. 650 Millionen Euro mehr in den letzten
beiden Jahren für den Einzelplan 10, für Landwirtschaft,
für Gartenbau, für Forstwirtschaft und für die Fischerei,
ist schon etwas ganz Besonderes. Das kann sich sehen
lassen. Das ist eine auf Zukunft ausgerichtete Politik der
Union und der Koalition.
({0})
In der Bereinigungssitzung haben wir dafür gesorgt,
58 Millionen Euro für das Liquiditätsprogramm, 35 Millionen Euro zusätzlich für die ländliche Entwicklung,
2 Millionen Euro für die Abfederung der Fischereiflotte
und 250 000 Euro für den Bundesverband der Regionalbewegung, aber auch weiteres Geld für Personalkosten
einzusetzen. Ich glaube, hier haben wir Zeichen gesetzt.
Dies sind Zeichen für die vor Ort lebenden und arbeitenden Menschen und für eine Entwicklung des ländlichen
Raums. Das ist Zukunft für die Union.
({1})
Wir wollen auch die Digitalisierung. Im Verkehrsetat
haben wir dafür 4 Milliarden Euro vorgesehen. Aber auch
im Landwirtschaftsetat haben wir für die IT-Plattform
10 Millionen Euro zusätzlich angesetzt. Auch das ist der
richtige Weg. Im Rahmen der Digitalisierung insgesamt
muss auch das schnelle Internet vor Ort ankommen. Da
gibt es Initiativen auch aus meinem Landkreis, aus dem
Kreis Lippe. Wir sind auf einem guten Weg, auch die einzelnen Dörfer anzubinden. Zusammen mit der stellvertretenden Landrätin Kerstin Vieregge haben wir intensive
Gespräche geführt.
Aber die IT-Plattform Landwirtschaft bedeutet auch
passgenaues Ausbringen, und es bedeutet, dass wir Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum gleichermaßen verbinden. Ich glaube, das
ist der richtige Weg. Wir müssen diesen modernen Weg
gehen: schnelles Internet und gleichzeitig IT auch in der
Landwirtschaft.
({2})
Wir wollen insbesondere IT auf den Acker bringen,
aber auch in den Stall. Wir können das Futter dann an das
Tier bringen, wie es benötigt wird. Wir sehen auch, wo
kranke Tiere sind. Wir können also auch dort im Sinne
von Umweltschutz und Tierwohl handeln.
Wir wollen Innovation und Nachhaltigkeit. Wenn
man sich den Haushalt einmal anschaut, dann sieht man,
dass wir dort Akzente gesetzt haben: 619,7 Millionen
Euro plus 53,2 Millionen Euro, das ist doch die richtige
Antwort: auf Nachhaltigkeit setzen, auf Innovation setzen. Franz-Josef Holzenkamp hat das immer gefordert.
Johannes Röring hat gesagt: Cajus, setz dich dafür ein. Wir als Koalition, wir als Union haben das umgesetzt.
Ich glaube, auch das ist der richtige Weg.
({3})
Ich denke, insgesamt muss man sagen: Nicht Parolen
und Ideologien, wie sie an mancher Stelle vorgebracht
werden, sind das Richtige; wir wollen vielmehr auf die
Bäuerinnen und Bauern vor Ort setzen. Deshalb gilt mein
besonderer Dank natürlich unserem Minister Christian
Schmidt, den Staatssekretären an seiner Seite, aber auch
dem Haushaltsreferat, das uns stets unterstützt hat, detaillierte Antworten auf die Fragen zu finden, die sich
aufgetan haben. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank.
In diesen Dank darf ich natürlich insbesondere auch
unsere Arbeitsgruppe - Franz-Josef Holzenkamp, Alois
Gerig und die anderen Vertreter der Union von CDU und
CSU - einbeziehen. Das ist eine tolle Arbeit gewesen,
eine gute Zusammenarbeit. Eine solche Zusammenarbeit
bedeutet eben auch eine erfolgreiche Arbeit.
({4})
Wir haben beispielsweise für das Modellvorhaben
„Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz“
mehr Geld eingesetzt. Hier gibt es 64 Praxisbetriebe, die
davon profitieren. Wir haben für die Früherkennung von
Nitratfrachten 1,2 Millionen Euro eingesetzt, und wir haben zusätzliche Mittel insbesondere dort eingesetzt, wo
landwirtschaftliche Betriebe das für die Abfederung von
besonderen Herausforderungen brauchen.
150 Millionen Euro für ein Bürgschaftsprogramm, ich
denke, das ist richtig. 58 Millionen Euro für das Liquiditätsprogramm - richtig ist auch, die EU-Mittel dafür zu
verdoppeln. 50 Millionen Euro für steuerliche Erleichterungen zu planen, auch das ist richtig. 78 Millionen Euro
für die landwirtschaftliche Unfallversicherung einzusetzen - hier wird der Beitrag um 37 Prozent abgefedert -,
auch das ist richtig.
Außerdem haben wir zentrale Maßnahmen ergriffen,
um Schäden zu vermeiden, beispielsweise beim präventiven Hochwasserschutz. Dort jährlich 100 Millionen Euro
zu verankern, und zwar im Miteinander - Kooperation
und nicht Konfrontation; es geht darum, die dort Wirtschaftenden mitzunehmen und dem Wasser mehr Raum
zu geben -, das ist die Politik seitens der Union und
seitens der Koalition. Wir wollen das Miteinander und
gleichzeitig eine auf Zukunft ausgerichtete Politik. Ich
glaube, das ist die richtige Vorgehensweise.
({5})
Ich möchte unserem Minister noch einmal ausdrücklich dafür danken, dass er sich für das neu eingerichtete
Institut für Kinderernährung beim Max-Rubner-Institut
eingesetzt hat.
({6})
Hier gab es ja beim letzten Mal noch einige Zweifel, ob
es denn mit den Stellen klappt. Wir haben in der Bereinigungssitzung dafür gesorgt; die notwendigen fünf Stellen
sind da. Es stehen die nötigen Mittel zur Deckung der
entsprechenden Personalkosten zur Verfügung. Es stehen
auch die nötigen Mittel zur Deckung der entsprechenden
Sachkosten zur Verfügung. Sämtliche Vermutungen hier
seitens der Opposition, dass es nicht klappt, haben sich
als falsch herausgestellt: Es hat geklappt. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Das gilt auch für die Strategie zur Reduktion
von Zucker, Salz und Fetten. Dafür wurde zusätzliches
Geld eingesetzt. Auch für den Ökolandbau wurde zusätzliches Geld eingesetzt. Wir wollen ja konventionellen
Landbau und Ökolandbau nebeneinander. Wir wollen
eine erfolgreiche, moderne Landwirtschaft.
({7})
Natürlich haben wir uns auch um die Forstwirtschaft
gekümmert; sie ist für immerhin 30 Prozent unserer Fläche verantwortlich. Viele vergessen: Unsere Forstwirtschaft liegt im europäischen Vergleich nach dem Maschinenbau und der Ernährungsindustrie auf dem dritten
Platz. Für die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe
und für andere Projekte in diesem Bereich, zum Beispiel
für Bauen mit Holz, die uns am Herzen liegen, zusätzliches Geld im Sinne des Klimaschutzplanes einzusetzen,
mit bewirtschafteten Wäldern das Klima zu schützen, ich
denke, das ist der richtige Weg auch hier.
({8})
Wir sind sehr dankbar, dass auch die Gespräche mit
den Verbänden in der Landwirtschaft, mit dem Bauernverband und mit anderen Verbänden in der Forstwirtschaft, mit dem Bund Deutscher Forstleute, aber natürlich
auch mit dem Waldbesitzerverband, mit dem Deutschen
Forstwirtschaftsrat, mit all denjenigen, die hier aktive
und gute Arbeit leisten, seitens der Union sehr fruchtbar
verlaufen sind. Wir haben uns austauschen können. Wir
haben auch da unsere Hausaufgaben gemacht, und wir
sind auch dort auf dem richtigen Weg, indem wir nämlich die vor Ort Arbeitenden und gleichzeitig die Wissenschaftler am Thünen-Institut einbinden.
Hier haben wir personell und finanziell vieles geschaffen; denn immerhin kommen die Institute in diesem
Haushalt mit 350 Millionen Euro vor. Wir haben in dieser
Legislaturperiode auch insgesamt im Landwirtschaftsministerium, aber vor allem bei den Instituten 340 neue
Stellen geschaffen, die dort wissenschaftlich begleitet
gute Arbeit für die Land- und Forstwirtschaft, den Gartenbau und die Fischerei leisten. Das ist eine tolle Leistung.
({9})
Wir wollen auch Energieeffizienz und Umweltschutz im
Gartenbau. Deshalb haben wir hier noch einmal einige
Millionen Euro draufgelegt. Das ist uns sehr wichtig.
Ein zentrales Thema für uns ist natürlich der ländliche Raum. Deshalb haben wir, die Union, in besonderer
Weise das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“
betrachtet. Ich bin sehr dankbar, dass unser Sprecher im
Haushaltsausschuss, Eckhardt Rehberg, dieses Thema
vorangetrieben hat. Es war eine tolle Leistung, dass wir
das Programm in dieser Form noch einmal um 35 Millionen Euro haben aufstocken können. Damit können wir
einzelne Projekte vor Ort umsetzen; dort gibt es runde Tische, an denen gute Ideen entwickelt werden. Auch hier
machen wir eine Politik, die auf die Zukunft ausgerichtet
ist,
({10})
die insbesondere das aufnimmt, was die Menschen vor
Ort bedrückt, wenn sich beispielsweise kleine Ortsteile
überlegen, wie sie sich für die Zukunft aufstellen können.
({11})
Wir machen eine Politik für die ländliche Entwicklung.
Damit wollen wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen.
({12})
Wir machen eine Politik, die die Dorfkerne nicht zerstört und alleinlässt, sondern entwickelt. Wir machen eine
Politik, die Wohnraum für Familien und Ältere schafft.
Wir machen eine Politik, die insbesondere die ländliche
Entwicklung voranbringt. Leistungsfähig und lebenswert
wollen wir den ländlichen Raum gestalten. Ich denke, damit sind wir in der Union auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.
({13})
Vielen herzlichen Dank, Cajus Caesar. Sie haben die
Redezeit auf die Sekunde eingehalten. - Nächster Redner
ist Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Landwirtschaftsminister ist ein Teilzeitjob, jedenfalls unter der CSU. - Das habe ich nicht ich gesagt,
das ist ein Zitat von jemandem, der es wissen muss, nämlich von Horst Seehofer. Das hat er vor ein paar Wochen
im Beisein von Ihnen, Herr Schmidt, bei der CSU-Klausur gesagt. Jetzt weiß ich persönlich nicht, wie viel Zeit
Sie für Ihre Arbeit aufbringen. Nach drei Jahren kann ich
nur betonen - es ist ja auch Zeit, Bilanz zu ziehen -: Groß
aufgefallen im Amt sind Sie jedenfalls nicht. Angesichts
der großen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht, war das deutlich zu wenig.
({0})
Drei Jahre Landwirtschaftspolitik unter Ihnen, Herr
Schmidt: Die Bilanz ist leider verheerend. Wir sehen eine
starke Exportorientierung in der Landwirtschaft. Das zerstört regionale, bäuerliche Märkte weltweit. Das führt zu
einer großen Konzentration in der Landschaft, besonders
in der Tierhaltung. Massentierhaltung geschieht unter
schlimmen Bedingungen. Wir sehen, dass immer mehr
Verbraucherinnen und Verbraucher das Vertrauen verlieren. Wir sehen, dass die Natur leidet. Wir sehen, dass die
Milchpreise im Keller sind. Und wir sehen, dass das Höfesterben ungebremst weitergeht.
({1})
Jeden Tag schließen im Durchschnitt zehn Höfe in
Deutschland ihre Pforten. Die Landwirtschaftspolitik der
CSU produziert extrem viele Verlierer. Das waren drei
verlorene Jahre für die Landwirtschaft in Deutschland.
({2})
Herr Schmidt, am Anfang Ihrer Amtszeit haben Sie
gesagt: Am Ende meiner Amtszeit muss es den Tieren
besser gehen als jetzt. - Davon sind wir meilenweit entfernt.
({3})
Im Sommer konnten wir das verschiedenen Medien
entnehmen. In einem Panorama-Bericht war zu sehen,
welche Zustände zum Teil in deutschen Großställen herrschen: übelste Tierquälerei, Tiere mit klaffenden Wunden, tote Tiere, die in Gängen liegen, die nicht entfernt
wurden, Ferkel, die erschlagen wurden, schwerverletzte
Tiere in den Ställen.
Professor Matthias Gauly, Mitglied Ihres Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik im Bundeslandwirtschaftsministerium, hat zu diesen Bildern von Panorama
gesagt:
Zusammengefasst stellt das so die schlechteste
Form der Schweinehaltung dar, die man sich vorstellen kann, mit einem hohen Potenzial an Tierleid
und katastrophalen hygienischen Bedingungen.
Das sagt also Professor Gauly aus Ihrem Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik. Ich sage: Er hat recht. Diese
Form der Tierhaltung ist inakzeptabel.
({4})
Jetzt sagt die Union immer sehr gern, es seien einzelne
schwarze Schafe, bei denen das passiert. In diesem Fall,
über den Panorama berichtet hat, über den der Spiegel
berichtet hat, waren es führende Funktionäre der Agrarindustrie, führende Funktionäre des Bauernverbands und
auch führende Landwirtschaftspolitiker von der CDU
aus dem Deutschen Bundestag.
({5})
Wenn es um die Spitzen der deutschen Agrarindustrie,
die Spitzen der Massentierhaltungsindustrie geht: Das
sind keine schwarzen Schafe. Das zeigt, dass die Tierquälerei in der Landwirtschaft System hat.
({6})
Ich sage: Dieses System ist kaputt. Es muss endlich beendet werden.
({7})
- Getroffene Hunde bellen. Es ist so. Ich finde, für diese
Form der Landwirtschaft muss man sich eigentlich schämen; die sollte man als Union nicht verteidigen.
({8})
Herr Minister Schmidt, was war stattdessen Ihre Maßnahme für den Tierschutz in der Landwirtschaft? Sie haben gesagt, dass Sie ein freiwilliges staatliches Tierwohllabel schaffen wollen. Da ist immer noch nichts passiert.
Wie das passieren soll, wann das passieren soll, das alles
ist nicht klar. Das wird nachher nicht mehr sein als Symbolpolitik.
Ich sage Ihnen: Freiwilligkeit allein wird nicht reichen. Wir brauchen klare, verbindliche Regeln. Wir
brauchen eine grundlegende Wende in der Tierhaltung,
also eine deutliche Überarbeitung des Tierschutzgesetzes, verbindliche statt freiwillige Tierhaltungskennzeichnung, keine Wohlfühlkampagne, sondern endlich harte,
ordentliche Regeln beim Tierschutz.
({9})
Herr Schmidt, während Sie bei vielen großen Herausforderungen, vielen wichtigen Themen nahezu unsichtbar waren, waren Sie bei einem wichtigen Thema
in den letzten Wochen sehr aktiv. Sie haben skrupellos
den Klimaschutzplan von Frau Hendricks zusammengestrichen - und das in einer unheiligen Allianz mit Herrn
Dobrindt, mit Herrn Gabriel und mit Herrn Schäuble.
Was haben Sie herausgestrichen? Ich zitiere: Kritik
an den viel zu geringen Maßnahmen zur Emissionsminderung. Das haben Sie gestrichen. Reduzierung der
Überschüsse bis 2030 auf 50 Kilogramm Stickstoff pro
Hektar. Das haben Sie gestrichen. Stopp des fortwährenden Flächenverbrauchs. Das haben Sie gestrichen. Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft bis 2050. Das haben
Sie gestrichen. Alles Konkrete, alles mit Biss, alle diese
Maßnahmen haben Sie rausgestrichen. Die Frage ist: Wie
soll Klimaschutz in der Landwirtschaft eigentlich funktionieren, wenn Sie das alles herausstreichen? So geht
Klimaschutz nicht. Das ist ein Versagen Ihrer Politik in
der Landwirtschaft.
({10})
Es könnte auch anders gehen. Unsere grünen Landwirtschaftsminister in den Ländern, zum Beispiel
Christian Meyer in Niedersachsen, zeigen, wie es anders
geht, wie man eine Agrarwende mit den Bäuerinnen und
Bauern vor Ort umsetzen kann.
({11})
- Das schmerzt Sie; ich weiß. Aber Niedersachsen und
andere Länder zeigen, wie es gehen kann. Wir sind stolz
auf unsere Landwirtschaftsminister in den Ländern.
({12})
Wir haben in den Haushaltsberatungen gezeigt, wie es
anders gehen kann. Man kann die Mittel für die GAK um
250 Millionen Euro erhöhen, etwa für einen Umbauplan
für bäuerlich-ökologische Landwirtschaft. Wir zeigen,
wie man die Tierhaltung umbauen kann, wie man die
ländlichen Räume stärken kann - durch eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“. So muss man
Landwirtschaftspolitik machen. Wir müssen die bäuerlichen Betriebe und die ländlichen Räume stärken.
({13})
Sie sehen: Es geht anders. Es geht anders in den Ländern. Es geht anders im Haushalt. Wir müssen endlich
aus der Agrarindustrie, aus der Massentierhaltung aussteigen. Wir müssen Politik machen für Bäuerinnen und
Bauern. Wir müssen Politik machen für Verbraucherinnen und Verbraucher, für unsere Umwelt, für die Tiere.
Wir brauchen endlich eine Agrarwende in Deutschland.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Sven-Christian Kindler. - Jetzt sind die
jungen Leute schon weg. Schade.
({0})
Denn jetzt geht hier mal richtig was ab. Das ist lebendiges Parlament. Dazu wird sicher auch der nächste Redner beitragen. Ich gebe das Wort Ulrich Freese für die
SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bühne ist leer, Herr Kindler.
({0})
Das hätten Sie sehen können. Da hätten Sie sich einen
Teil der Rede sparen können.
({1})
Es war wie immer; das will ich Ihnen sagen. Wir haben sehr oft das Vergnügen miteinander.
({2})
Mein Problem mit Ihnen ist: Im Parlament haben wir immer diese Fensterreden; die Sacharbeit im Detail, wenn
wir in den Berichterstattergesprächen sind, wie auch immer, wenn man etwas fordert, Projekte hinterlegt, sich
mit dem Minister auseinandersetzt, das habe ich an den
Abenden, in den Stunden, in denen wir beieinander sitzen, selten erlebt.
({3})
Ich zumindest, Herr Kindler, will mich beim Ministerium für die gute kollegiale Zusammenarbeit in den letzten drei Jahren für vier Haushalte bedanken. Wir haben
am Anfang sehr intensiv miteinander darüber geredet:
Wie gehen wir miteinander um? Welche Karten legen
wir? Welche Projekte und Ziele setzen wir um? Wir haben uns in hohem Maße am Koalitionsvertrag orientiert.
Dass wir all das, was Cajus Caesar vorgetragen hat,
umsetzen konnten, ist die Basis einer vertrauensvollen
Zusammenarbeit. Cajus Caesar hat natürlich immer als
CDU-Chefberichterstatter geredet. Aber 80 oder 90 Prozent dessen, was du hier als Erfolg verkauft hast, war
nicht ein Erfolg der CDU und CSU alleine, sondern es ist
auch ein Teil durch uns getrieben maßgeblich nach vorne
gebracht worden.
({4})
Eckhardt Rehberg klatscht mit Freude. Er erinnert sich
an manche Haushaltssitzung, in der wir aneinandergeraten sind, um Dinge, die uns Sozialdemokraten am Herzen
gelegen haben, voranzutreiben.
Ich sage noch einmal: In diesem Haushalt stehen mittlerweile 6 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber diese
6 Milliarden Euro allein sind nicht alles, was an öffentlichen Mitteln in die Landwirtschaft, in die Entwicklung
ländlicher Regionen hineinfließt. Weitere gut 5 Milliarden Euro - wir liefern sie erst nach Brüssel und holen sie
dann zurück - fließen in die Landwirtschaft hinein. Damit
werden etwa 12 Milliarden Euro in unterschiedlicher Art
und Weise in die Landwirtschaft, in die Forstwirtschaft
hineingegeben, um in Deutschland denen, die für uns das
wichtigste Gut bearbeiten, nämlich unsere Mutter Erde,
die unsere Landschaft pflegen, die unsere Gewässer in
Ordnung halten und sie ordentlich bewirtschaften, auch
ein anständiges und ordentliches Leben zu ermöglichen.
({5})
Wenn ich die Daten und Zahlen richtig begreife, dann
haben wir in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung immer noch 1,5 Millionen angemeldete Betriebe.
Wir haben in der Krankenversicherung immer noch über
600 000 Mitglieder. Es ist nicht so, dass wir von einer
konzentrierten Landwirtschaft in Deutschland dominiert werden. Wir haben noch viele kleine, bäuerliche,
mittelständische Betriebe. Wir haben natürlich auch unSven-Christian Kindler
terschiedliche Unternehmensformen. Dieser Punkt liegt
mir am Herzen, wenn wir über Hilfemaßnahmen, über
Steuerglättung, Gewinnglättung reden. Wir haben Familienbetriebe, die personengeführt sind und Einkommensteuer zahlen. Wir haben aber gerade in Ostdeutschland
aufgrund der historischen Entwicklung auch andere Unternehmensformen, die keine Einkommensteuer zahlen,
die Körperschaftsteuer zahlen und über Gewinnglättung
nicht von dem partizipieren, was wir auf den Weg bringen wollen.
({6})
- In Brandenburg werden zwei Drittel der Milchkühe in
diesen Unternehmensformen gehalten. Von daher müssen wir genau überlegen, wenn wir helfen wollen, was
zwingend erforderlich ist. Um Milchwirtschaft auch in
Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen,
in Sachsen-Anhalt und Thüringen zu erhalten, müssen
wir diese Unternehmensformen in unsere Betrachtungen
einbeziehen.
({7})
Meine Kolleginnen und Kollegen, die nach mir reden,
werden aus fachlicher Sicht zu vielen Punkten - zum
Tierwohl, zu ländlicher Entwicklung, zum ökologischen
Landbau - reden.
({8})
Ich will an dieser Stelle, weil es dein letzter Haushalt
ist, Cajus - du hast selbst erklärt, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren -, dir ganz persönlich recht herzlich dafür danken, dass du kollegial, offen, immer bereit
warst, unsere Ideen mitzunehmen und unsere Ideen auch
mit umzusetzen. Ich kann mich als Sozialdemokrat bei
meinem schwarzen Bruder nur herzlich bedanken für die
gute kollegiale Zusammenarbeit.
({9})
Alles Gute! Und hoffen wir, dass wir mit unserer Haushaltspolitik einen Meilenstein für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft in Deutschland gelegt haben.
({10})
Vielen Dank, Ulrich Freese. - Jetzt hat das Wort für
die Bundesregierung der Minister für Ernährung und
Landwirtschaft, Christian Schmidt.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Präsidentin, es steht mir natürlich in keiner Weise
zu, mich über Hinweise der Präsidentin weiter zu äußern.
Aber wenn ich verstehen sollte, dass wir angesichts der
fortgeschrittenen Zeit nicht vergessen sollten, dass eine
ausgewogene und regelmäßige Ernährung auch für Mitglieder des Deutschen Bundestages notwendig ist,
({0})
dann könnte ich der Frau Präsidentin in dieser Ansicht
nur folgen.
({1})
Also, das habe ich jetzt nicht so ganz verstanden.
({0})
Ich stoppe jetzt mal die Redezeit. Was haben Sie gemeint? Dass ich Ihre Lebkuchen essen soll, oder was? Zeit für Lebkuchen.
Frau Präsidentin, Sie haben gesagt: Redet nicht so lange, sodass wir auch noch Zeit haben, etwas zu essen. So
habe ich Sie verstanden.
Nein, das habe ich gedacht; an das Essen habe ich gedacht.
({0})
Aber recht hat er. - So, die Redezeit läuft.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! - Mit dem Bundeshaushalt 2017 erhält mein Ressort die angemessene
Grundlage für eine strategische Ausrichtung der Agrar-,
Forst und Fischereipolitik. Ich werde die sehr bemerkenswerte parlamentarische Unterstützung - den Berichterstattern aus dem Haushaltsauschuss und den Kolleginnen
und Kollegen, die dem Haushalt zustimmen, sei hier gedankt - für den Aus- und Umbau des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu einem Mehrthemenhaus nutzen.
Die wichtigste Botschaft aus den Haushaltsberatungen
lautet: Auf diese Koalition ist in ihrem nachhaltigen Wirken für Bauern, Fischer, Verbraucher, Waldunternehmer,
ja, auch für Bürgerinnen und Bürger im ländlichen Raum
Verlass. Erstmals steigt der Etat meines Hauses - es wurde gesagt - über die Marke von 6 Milliarden Euro; das
ist übrigens im Verhältnis zum Beginn dieser Legislatur
ein Anstieg um 13,9 Prozent. Sehr herzlichen Dank dem
hohen Haus für diesen Weg.
({0})
Bevor ich zu den Schwerpunkten unserer Arbeit 2017
komme, möchte ich auf die aktuelle Herausforderung in
vielen Teilen unseres Landes eingehen: die Geflügelpest.
Wir nehmen den Ausbruch der Geflügelpest in DeutschUlrich Freese
land alle sehr ernst. Es gilt jetzt alle Anstrengungen zu
bündeln, um weitere Einträge aus der Wildvogelpopulation in das Nutzgeflügel möglichst zu verhindern.
Mit der Reform der Geflügelpest-Verordnung, die aus
den Erfahrungen der Jahre 2005, 2006 und folgende resultiert, haben wir den Ländern und dem Bund wirksame
Instrumente an die Hand gegeben, um zielgerichtet und
effektiv gegen die Ausbreitung des Virus vorzugehen.
Ich stelle in der Praxis fest, dass es da und dort immer
noch Verbesserungsbedarf gibt - dem werden wir nachgehen -, aber er hält uns nicht davon ab, dass wir gemeinsam, Bundesländer und Bund, die erforderlichen
Maßnahmen ergreifen und transparent informieren.
Auf Bundesebene habe ich eine ganze Reihe von
Maßnahmen veranlasst. Vorneweg ist unser renommiertes Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit auf der
Insel Riems dabei, die Länder rund um die Uhr mit seiner Analytik und seiner wissenschaftlichen Expertise zu
unterstützen.
Ich habe den Zentralen Krisenstab Tierseuchen einberufen. Die Bund-Länder-Taskforce wurde aktiviert,
und ich habe eine Eilverordnung zur Verschärfung von
Biosicherheits- und Hygienemaßnahmen erlassen. Auch
die Fachleute sind sich einig: Biosicherheitsmaßnahmen,
gerade auch bei den kleinen Geflügelhaltungen, spielen
eine zentrale Rolle zur Vermeidung der Ein- und Verschleppung der Tierseuchen. Im Krisenstab haben wir
uns mit den Ländern auf ein risikoorientiertes Vorgehen
verständigt. Wo es notwendig ist, da handeln wir präventiv und zugleich entschieden. Wir sind im ständigen
Austausch mit den Ländern, den Wissenschaftlern und
weiteren Experten der Branche. Weitere angemessene
Schritte bleiben vorbehalten. Sie werden zur rechten Zeit
dann sofort erfolgen.
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen,
allen Beteiligten Dank zu sagen für die konstruktive Zusammenarbeit nahezu rund um die Uhr.
Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen
gibt es keine Hinweise darauf, dass das Vogelgrippevirus,
das gegenwärtig kursiert, für den Menschen gefährlich
ist. Trotzdem appelliere ich an die Verbraucherinnen und
Verbraucher, beim Umgang mit Geflügelfleisch - wie immer - auf die Einhaltung von Hygieneregeln zu achten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen besonderen
Schwerpunkt im Haushalt setzen wir bei der Förderung
der ländlichen Regionen; das wurde schon angesprochen. Ich blicke auf Ecki Rehberg und manche andere
hier: Das war ein Kraftakt à la bonne heure. Herzlichen
Dank! Wenn ich daran denke, dass das Bundesprogramm
„Ländliche Entwicklung“, das ich vorgeschlagen habe,
vor drei Jahren mit gerade einmal 10 Millionen Euro gestartet ist, muss ich sagen, dass wir hier eine super Entwicklung haben. Danke sehr!
({1})
Die Sicherung der Attraktivität unserer Heimat auf
dem Land wird ein zentrales Thema der nächsten Jahre
sein. Wenn Menschen das Gefühl haben, abgehängt zu
sein, müssen wir darauf Antworten finden, subjektiv und
objektiv, faktisch und auf der Gefühlsebene. Deswegen
brauchen wir eine Trendwende hin zum Land. Unser Ziel
muss es sein, die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland als Verfassungsauftrag zu
verstehen. Daran müssen alle mitarbeiten.
Nicht diese Große Koalition, sondern die in den
60er-Jahren hat mit dem guten Duo Franz Josef Strauß
und Karl Schiller eine Entwicklung in Gang gesetzt, die
in der Idee einer konzertierten Aktion mündete. Der Gedanke ist heute wieder aufzunehmen. Es ist erneut Zeit
für eine konzertierte Aktion für den ländlichen Raum.
Wir werden diese konzertierte Aktion - vernetzt und verbindlich - zur Hebung des Entwicklungspotenzials des
ländlichen Raums beginnen.
({2})
Zu einer aktiven Politik für die ländlichen Räume
gehört natürlich auch, dass wir das Förderspektrum der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ ausbauen und anpassen.
Wir haben seitens des Bundes im kommenden Haushalt
765 Millionen Euro dafür zur Verfügung - so viel wie nie
zuvor. Wir müssen im PLANAK, das ist der Planungsausschuss von Bund und Ländern, natürlich auch über
die Länderprogramme diskutieren. Da wird, Frau Kollegin Bluhm, auch die Frage zu stellen sein, wie wir in der
Milchpolitik dafür sorgen können, dass wir neben den
notwendigen Verbesserungen in Form von technischen
Innovationen den Markt nicht aus den Augen verlieren.
In der Tat wird die Frage lauten: Wie orientieren wir uns?
Orientieren wir uns nur an der Mengenausweitung? Das
kann es nicht sein. Wir müssen uns auch über solche
Punkte offen miteinander unterhalten und die Karten auf
den Tisch legen.
Ein Weiteres: Die Bodenpolitik tut not, selbstverständlich rechtsformneutral. Lieber Kollege Freese, Sie haben
völlig recht, wir können die unterschiedlichen Bedingungen nicht beiseiteschieben. Wenn es aber dazu kommen
sollte, dass durch Abenteurertum und Hedgefonds Strukturen auf Dauer beschädigt werden, dann müssen wir uns
auch darüber unterhalten, was wir wie unterstützen. Dann
müssen wir offen darüber diskutieren, wie wir es schaffen können, dass ein Nutzungswechsel nicht stattfindet.
Dabei geht es auch um die Frage der Kompensationen für
Nutzungen außerhalb der Landwirtschaft und darum, wie
wir diesen Landverbrauch - es waren einmal 70 Hektar
pro Tag; zwischenzeitlich sind es noch 60 Hektar - stärker reduzieren können. Diesbezüglich gehe ich mit der
Kollegin Hendricks übrigens in die gleiche Richtung.
40 Millionen Euro sind speziell für Maßnahmen zur
Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehen. Das ist
gut so. Wir werden ein Ministerium für die ländlichen
Regionen brauchen. Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode sage ich: Das sollten wir auch im Namen des
Ministeriums sichtbar machen.
({3})
Auch damit würden wir ein starkes Signal an die ländlichen Räume senden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir eine Politik für die ländlichen Regionen aus einem Guss wollen,
müssen wir auch das System der Gemeinschaftsaufgaben
strategisch weiterdenken. Wir kommen hier perspektivisch nicht um eine Grundgesetzänderung herum.
({4})
Die zentrale Zukunftsaufgabe ist, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Wir haben einen ersten guten
Schritt in dieser Legislatur gemacht. Aber wir brauchen
eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung und
Demografie“.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesellschaft
verlangt, dass die Landwirtschaft nachhaltig, umweltschonend und tiergerecht arbeitet. Sie verlangt allerdings
auch, lieber Kollege Kindler, dass die wirtschaftliche
Tragfähigkeit der Tierproduktion bei uns nicht aus den
Augen gelassen wird. Ich fand es sehr gut, wie Ihr Kollege Hofreiter gestern in der Haushaltsdebatte in einem
Anflug von Nachdenklichkeit
({6})
sich selbst gefragt hat - ich übersetze das in meine Worte -, ob man die Menschen, wenn man ihnen zunächst
erzählt, dass alles schlecht, falsch und ungut ist, wirklich
dorthin bringt, wo man sie haben will.
({7})
Deswegen sollten Sie meine Idee, das Prinzip der verbindlichen Freiwilligkeit - Freiwilligkeit ist doch das
Ideal der grünen Basisdemokratie -, doch nicht so
schlechtreden.
({8})
Seien Sie dankbar, dass es einen Minister gibt, der gerade
bei Ihnen anknüpft und Sie beim Wort nimmt. Ich warte
auf die „Hofreiterei“ der Zukunft; dann werden wir kräftig darüber streiten. Ich hoffe, dass die Schülergruppe
dann noch einmal da ist und sieht: Konstruktive, sachliche Diskussion ist das, was wir brauchen und wollen.
({9})
Wir werden im Jahr 2017 in diesem Ressort eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen umsetzen können; die
Reduktionsstrategie im Bereich Ernährung sei nur kurz
erwähnt. Vielen Dank, Kollege Freese, für Ihr Insistieren im Hinblick auf die Kinderernährung. Ich glaube, wir
beide können auch in Anbetracht der fünf zusätzlichen
Stellen gemeinsam sagen: Wir haben den richtigen Weg
eingeschlagen.
({10})
- Habe ich „Dortmund“ gehört?
({11})
- Ach so. - Welche Entscheidungen bezüglich der weiteren Strukturen getroffen werden, werden wir dann sehen.
Das Max-Rubner-Institut wird seinen Dienst leisten.
Ich bedanke mich für die große Unterstützung im gesamten Haus und dafür, wie Sie diesen Haushalt ausgestattet haben. Er gibt uns die Möglichkeit, zukunftsorientiert - ich denke da nicht an eine Agrarwende - unser
Verständnis von einer neuen Ausrichtung der Landwirtschaft und der Ernährung fortzuentwickeln.
Herzlichen Dank. Ich freue mich, Frau Präsidentin,
dass ich für die 1:37 Minuten, die ich überzogen habe,
nicht gerügt wurde.
({12})
Das ist wegen der Lebkuchen. - Vielen Dank,
Christian Schmidt.
Nächste Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Von der Landwirtschaft wird ja eine Menge
verlangt. Sie soll sicherstellen, dass wir mit gesunden
und bezahlbaren Lebensmitteln versorgt werden, sie soll
die Energiewende mitgestalten, die Natur schonen und
zu lebendigen Dörfern beitragen. All das ist richtig. Bei
aller notwendigen Kritik, finde ich, sollten wir auch nie
vergessen: Sie schafft unsere Lebensgrundlage, und wir
brauchen sie als Verbündete für alle Veränderungen, die
wir herbeiführen wollen.
({0})
Aber gerade deshalb muss es uns doch alarmieren, wenn
ausgerechnet die Landwirte nicht von ihrer Arbeit leben
können. Hier wäre entschlossenes Handeln der Bundesregierung wirklich notwendig. Aber irgendwie schiebt
sie die Verantwortung immer ab: an die Länder, an die
Wirtschaft oder an wen auch immer. Ich nennen einmal
ein paar Beispiele.
Beispiel Milchviehhalterinnen und -halter. Sie bleiben aufgrund der niedrigen Milchpreise seit anderthalb
Jahren und länger auf mindestens der Hälfte der Produktionskosten sitzen. Sie haben schlicht keine Chance gegen die erpresserische Marktübermacht von Handel und
Molkereien. Seit Jahren weist die Linke auf diese Fehlkonstruktion des Marktes hin. Aber statt diese zu beseitigen, werden millionenschwere sogenannte Hilfspakete
in Brüssel und Berlin geschnürt. Nur, das Geld kommt
gar nicht oder viel zu spät in den Betrieben an. Aus Sicht
der Linken ist es deshalb vor allen Dingen wichtig, die
Macht der Handels- und Molkereikonzerne zu brechen.
({1})
Sie dürfen nicht weiter auf Kosten der Milchviehbetriebe
leben; denn das ist Ausbeutung von Mensch und Tier und
gehört beendet, und zwar sofort.
({2})
Beispiel Herdenschutz. Auch hier entzieht sich der
Bund seiner Mitverantwortung. Hier trifft es die Weidetierhaltung. Sie hat zwar die höchste gesellschaftliche
Akzeptanz und wird für die Pflege der Deiche und der
Kulturlandschaft dringend gebraucht. Trotzdem sind hier
die Einkommen die niedrigsten in der gesamten Landwirtschaft. Hier ist Überlebenskampf Alltag. Gerade
deshalb brauchen diese Landwirte Unterstützung beim
Schutz ihrer Tiere vor dem Wolf. Die Länder allein sind
damit klar überfordert - finanziell, aber auch inhaltlich.
Hier muss der Bund in die Verantwortung,
({3})
weil eine bundeseinheitliche Strategie gebraucht wird,
weil bundeseinheitliche Standards gebraucht werden
und weil Kenntnislücken geschlossen werden müssen,
zum Beispiel: Was schützt die Herden? Was ist unsicher?
Auch müssen Haftungsfragen geklärt werden. Deshalb
fordert die Linke seit 2011 alljährlich ein Herden- und
Wolfsschutzkompetenzzentrum - leider auch dieses Jahr
wieder vergeblich.
Das Umweltministerium hat übrigens unterdessen ein
Informations- und Dokumentationszentrum - aber nur
für den Wolf. Beim BMEL gibt es nicht einmal ein einziges Forschungsprojekt. Das hat mir die Bundesregierung
gerade auf eine parlamentarische Anfrage geantwortet.
Ich finde, das grenzt an unterlassene Hilfeleistung und
muss sich ändern.
({4})
Beispiel drei. Agrarkonzerne sind eine Existenzbedrohung für die ortsansässigen Landwirtschaftsbetriebe.
Die Linke sagt das seit Jahren, unterdessen sagt das auch
die Bundesregierung. Nur hält sie sich auch hier wieder
nicht für zuständig. Dabei geht es aber doch um länderübergreifende Agrarkonzerne. Was soll denn da ein Flickenteppich von Landesregelungen ausrichten? Schlimmer noch: Die Anteilskäufe bei Agrarbetrieben sind auch
noch Steuerschlupflöcher. Jährlich geht ein siebenstelliger Betrag verloren. Das muss endlich beendet werden.
({5})
Übrigens könnte man mit dem Geld das Herdenschutzkompetenzzentrum finanzieren.
Beispiel vier. Das bislang vom Bund und von den
Ländern finanzierte Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Erfurt ist akut gefährdet. Es passt nicht in die
Vorstellung von „Exzellenz“ der Leibniz-Gemeinschaft.
Es wird aber - darin sind sich Thüringen und der Bund
sogar einig - dringend gebraucht. Aber der Bund fühlt
sich wieder nicht zuständig. Er will zwar das Geld zur
Verfügung stellen, Verantwortung soll aber allein Thüringen übernehmen. Als Linke fordern wir dagegen eine
Beibehaltung der Bund-Länder-Zuständigkeit. Und das
geht auch, wenn man will.
({6})
Der Bund darf weder die Beschäftigten in Erfurt im Stich
lassen noch die Gartenbaubetriebe, die auf diese wissenschaftliche Expertise dringend angewiesen sind.
Als Linke machen wir uns auch grundsätzlich Sorgen
um die Agrarforschung. Mein Fraktionskollege Ralph
Lenkert hat heute Vormittag schon darauf hingewiesen.
Sie wird im elitären Wissenschaftsbetrieb unterbewertet
und droht unterzugehen. Ich denke, wir brauchen eine eigene Struktur. Meinetwegen können wir diese auch Akademie der Landwirtschaftswissenschaften nennen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Kirsten Tackmann. - Nächster Redner:
Dr. Wilhelm Priesmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mich überfällt
noch keine Demut, aber es ist die letzte Haushaltsrede,
die ich hier in diesem Deutschen Bundestag halte. Ich
spreche jetzt zu dem 15. Haushalt. Ich glaube, es ist jetzt
Zeit, auch ein bisschen Bilanz zu ziehen. Eine Bilanz besteht immer aus Soll und Haben. Ich meine aber nicht
die Bilanz meiner Tätigkeit hier im Bundestag, sondern
die Bilanz dessen, was wir in diesen Haushalt hineingeschrieben haben.
Über die Größe des Haushaltes - er umfasst knapp
6 Milliarden Euro - ist schon dreimal gesprochen worden. Ich mache aber noch einmal darauf aufmerksam,
dass es die schwarz-rote bzw. rot-schwarze Regierung
war, die den entsprechenden Zuwachs beschlossen hat.
Im Gegensatz zu dem, was die gelb-schwarze Koalition
erreicht hat, handelt es sich - das muss man konstatieren - um einen erheblichen Zuwachs. Das ist natürlich
vor allem der Aufgabenstellung im ländlichen Raum
geschuldet, der wir großes Gewicht beigemessen haben.
Das ist ein klares und deutliches Bekenntnis zur Land-,
Ernährungs- und Forstwirtschaft sowie auch zur Fischerei.
Über eines bin ich ein bisschen traurig. Ich hatte im
September letzten Jahres den Vorschlag gemacht, ein
größeres Bürgschaftsprogramm für die bedrohten bzw.
betroffenen landwirtschaftlichen Unternehmen im Bereich der Veredelung aufzulegen. Das machen wir nun
mit diesem Haushalt. Wir kommen da - weiß Gott! 14 Monate zu spät. Wir hätten in vielen Betrieben vielleicht für Erleichterung sorgen können und denen auch
das Leben einfacher machen können. Wir hätten, wenn
wir das rechtzeitig letztes Jahr gemacht hätten, dafür sorDr. Kirsten Tackmann
gen können, dass Liquidität in diese Betriebe geflossen
wäre.
({0})
Ich glaube aber, es ist noch nicht ganz zu spät. Die Betriebe, die jetzt betroffen sind, werden dieses Programm
noch nutzen können.
Die von den Ländern in diesem Zusammenhang aufgelegten Programme sind bislang nur zögerlich genutzt
worden. Ich hoffe, dass die Bedingungen für dieses
Programm so gestaltet werden, dass all die Betriebe in
der Bonitätsklasse 1 bis 4 dieses Programm - es umfasst immerhin 300 Millionen Euro; 100 Millionen Euro
kommen aus dem Bereich des Bundes, wobei er für die
Hälfte bürgt - nicht zur Umschuldung, sondern eben für
das laufende Geschäft nutzen werden, um so eine neue
Perspektive für ihr weiteres Wirtschaften zu haben. Wir
alle sehen ja, dass die Milchmarktkrise noch nicht überwunden ist.
Den Betrieben fehlen 6 bis 7,5 Milliarden Euro aus
den letzten zwei Jahren. Das ist eine erhebliche Belastung. Die Politik kann das aber nicht zur Gänze ausgleichen. Deshalb freue ich mich, dass wir weitere 58 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt haben, damit wir das
von der EU angebotene und auf nationaler Ebene umzusetzende Milchmengenreduktionsprogramm unterstützen
können. Das ist auch im Hinblick darauf, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Lagerbestände abgebaut werden, sicherlich eine vernünftige und richtige Maßnahme.
Zu den sonstigen Maßnahmen, die zur Erleichterung
angedacht waren, kann ich Ihnen nur sagen: Es ist mühsam, das Einkommensteuerrecht zu nutzen, um damit
Risikovorsorge zu betreiben. Nach vielen und reiflichen
Überlegungen haben wir uns aber zumindest jetzt darauf
verständigen können, dass wir das befristet tun wollen.
Wenn nach der Bewertung im BMJV keine weiteren
verfassungsrechtlichen Probleme auftauchen, werden
wir den entsprechenden Gesetzentwurf in der nächsten
Woche hoffentlich auch hier im Deutschen Bundestag
durchbringen können, damit die Länder dazu Stellung
beziehen können. Die Position der Bundesländer dazu
ist an sich sehr kritisch. Vielleicht gelingt es aber, diese
Regelung auch mit schweren Bedenken durchzubringen.
Zumindest nach den heutigen Gesprächen bin ich hier
recht hoffnungsfroh. Auch das demonstriert, dass die
Koalition handlungsfähig ist.
({1})
Ich glaube, auch bei der Gesetzgebung im Bereich
Gentechnik werden wir einen vernünftigen Konsens finden, der tragfähig ist, indem ich darauf verweise, dass
wir dieses Problem nicht ungelöst lassen können. Die
Bundesländer haben sich ja schon darauf eingestellt, dass
auch dieser Gesetzentwurf in erster Lesung durch den
Bundestag gehen wird, damit die Weiterberatung dazu
im Bundesrat erfolgen kann.
Es ist wichtig und richtig, dass wir vor allen Dingen
für den ländlichen Raum Geld in die Hand nehmen. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass es gelungen ist,
den Ansatz für BULE, das Bundesprogramm „Ländliche
Entwicklung“, auf 55 Millionen Euro anzuheben. Das ist
die Instrumentenkiste, die wir brauchen, um mit Modellvorhaben Dinge auszuprobieren bzw. zu erproben, die
den ländlichen Raum in Gänze voranbringen. Ich bin mir
sicher: Die Erkenntnisse daraus werden die Entwicklung
des ländlichen Raumes auch in Zukunft ganz entscheidend mit beeinflussen. Es geht darum, die Stakeholder so nennt man das ja Neudeutsch - in ihren Bestrebungen
und Bemühungen zu unterstützen. Mit unserer finanziellen Unterstützung werden wir dafür sorgen, dass der
ländliche Raum eine Perspektive behält.
({2})
Aus unserer Sicht betrifft das hier vor allen Dingen die
soziale Infrastruktur, die Arbeitsstrukturen, die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung.
Im Hinblick auf verschiedene Programme, die wir
im Konsens umsetzen wollten und auch noch umsetzen
könnten, hätte ich mir ein bisschen mehr erwartet. Mir
fehlt immer noch etwas im Bereich „Tierschutz und Verbraucherschutz“, mir fehlt ein einheitlicher Rechtsrahmen zur Tierhaltung und zu Tierarzneimitteln, mir fehlt
ein Tierschutz-TÜV, und ich vermisse eine nationale
Nutztierstrategie. All das sind Aufgaben, die wir nur im
Konsens und nicht im Dissens bewältigen können. Ich
glaube, deshalb sollten wir uns hier ans Werk machen
und das nächste halbe Jahr nicht im Streit verschenken,
sondern im Konsens beenden.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Dr. Priesmeier. - Nächster Redner:
Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, das ist
laut Horst Seehofer Ihr letzter Haushalt im BMEL - und
das ist auch gut so.
Kürzlich titelten die Zeitungen „Dramatischer Rückgang: Tiere verschwinden von der Erde“. Laut einer
WWF-Studie gibt es heute nur noch ein Fünftel der Fische und Frösche, die vor 40 Jahren existierten. Bei der
Insektenbiomasse sieht es nicht besser aus. Warum sage
ich das? Der ökologische Zustand unserer Welt hängt
entscheidend auch davon ab, wie wir Landwirtschaft betreiben, unsere Lebensmittel erzeugen und was wir essen.
Aber die Chance, hier etwas zu ändern, verpasst dieser
Haushalt erneut.
({0})
Das gilt auch für den Klimaschutz; Kollege Kindler
hat es schon ausgeführt. Anfang Oktober hatten wir uns
hier im Hohen Haus verpflichtet, die Erderwärmung zu
begrenzen, die Klimakrise aufzuhalten, aber Sie, Herr
Minister Schmidt, haben dann dafür gesorgt, dass die
Landwirtschaft eben nicht den notwendigen Beitrag
zum Klimaschutz leisten muss. Sie haben aus Barbara
Hendricks’ Klimaschutzplan einen Klimaschmutzplan
gemacht.
({1})
So sieht auch dieser Haushalt aus. Es werden schon
wieder keine Investitionen in Zukunftsprojekte gestartet.
Schon wieder werden die Chancen verpasst, umzusteuern, und wie die letzten Jahre verharren Sie im Weiter-so,
das doch schon bisher nichts gebracht hat. Das haben wir
bei der Einbringung des Haushalts kritisiert, und auch
jetzt sind hier keine Fortschritte zu verzeichnen, auch
wenn es die Kolleginnen und Kollegen anders darstellen
wollen. Es bleibt bei Kleckerbeträgen, die nichts mit den
Ankündigungen zu tun haben.
Zum Beispiel beim Ökolandbau: 20 Prozent haben
Sie, Herr Schmidt, angekündigt erreichen zu wollen.
Das klingt gut, das klingt zukunftsgerecht. Die Mittel
für das Bundesprogramm Ökologischer Landbau werden
erhöht - wunderbar -, aber Sie satteln gerade einmal einmalig 3 Millionen Euro drauf, und damit bleibt das Programm mit 20 Millionen Euro bei einem mauen Drittel
der Beträge, die sogar der Bauernverband im letzten Jahr
für den ökologischen Landbau gefordert hat und die auch
wir für sachgerecht halten.
({2})
Viel schlimmer ist aber, dass auch die vorhandenen
Gelder dem Ökolandbau nur zum Teil zugutekommen.
Zwei Drittel der Forschungsmittel im BÖLN sind im
letzten Jahr in andere Formen der nachhaltigen Landwirtschaft geflossen, und das allein zeigt doch schon:
Sie wollen gar nicht, dass da etwas vorangeht. Sie wollen kein funktionierendes Gentechnikgesetz. Sie wollen
nicht mehr Tierschutz, Sie wollen auch keine Stärkung
des Ökolandbaus. Vielmehr reden Sie nur davon.
In anderen europäischen Ländern boomt die Biolebensmittelwirtschaft und verzeichnet Rekordzuwächse,
in Frankreich beispielsweise plus 23 Prozent und in Dänemark plus 34 Prozent. Und Sie haben die letzten zwei
Jahre was gemacht? Eine Debating Society zur Zukunft
des Ökolandbaus gespielt. Jetzt soll bald eine Strategie
fertig sein. Aber schade, zur Umsetzung haben Sie keinen Cent im Haushalt eingeplant.
({3})
Mit dem Umsetzen hapert es da ja immer. Vor zwei
Wochen haben wir hier das Saatgutverkehrsgesetz beschlossen. Ihr Haus, Herr Schmidt, hat die Änderungen
angepriesen: Sie stärke gartenbauliche Betriebe, den
Erhalt alter Obstsorten und den traditionellen Anbau
regionaler Sorten. Gute Ziele - unterstützen wir. Aber
haben Sie eigentlich gemerkt, dass die Umsetzung auch
Geld kostet? Das Gesetz regelt zum Beispiel die Erstellung einer Gesamtliste alter Obstsorten, inklusive Beschreibung. Dazu braucht es Fachwissen, dazu braucht
es viel Arbeit. Es sind vor allem die bürgerschaftlichen
Erhaltungsinitiativen, die diese alten Sorten mit viel Engagement pflegen. Die müssen von uns dabei unterstützt
werden. In Ihrem Haushalt finden wir dafür aber genau
nichts.
({4})
Heute ist schon klar, dass das zuständige Bundessortenamt den hier entstehenden Arbeitsaufwand überhaupt
nicht leisten kann. Und was machen Sie? Sie kürzen dem
Bundessortenamt schon wieder die Mittel, statt sie aufzustocken. Da müssen sich doch sowohl die ehrenamtlichen Aktiven als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundessortenamts verschaukelt vorkommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, mit Verlaub: Die SPD feiert das Bundesprogramm
Biologische Vielfalt im Etat des Umweltministeriums.
Schön, bringt aber wenig, wenn gleichzeitig das BMEL
keine Mittel in die Forschung an nichtchemischem Pflanzenschutz und die Beratung der Landwirte zur Nutzung
alternativer Pflanzenschutzmethoden steckt. Denn der
chemische Pflanzenschutz - das sagen die Wissenschaftler nach wissenschaftlichen Analysen - ist neben Strukturverlusten eine Hauptursache für den Rückgang der
biologischen Vielfalt; und da müssen wir ran.
({5})
Wir begrüßen es, dass es ein Bürgschaftsprogramm für
in ihrer Existenz bedrohte landwirtschaftliche Betriebe in
den Haushalt geschafft hat. 58 Millionen Euro! Rechnen
wir es doch einmal auf die einzelnen Betriebe herunter.
Wenn alle mitmachen wollen, sind das 900 Euro pro Betrieb. Das funktioniert doch nur, wenn Sie einkalkulieren,
dass die Mehrzahl der Betriebe keine Anträge mehr stellt,
weil der Strukturwandel hier schon schneller war. Das
zeigt: Statt nachlaufender Hilfen brauchen wir endlich
politische Rahmenbedingungen, die Betriebe eben nicht
in den ruinösen Kampf um die Preisführerschaft und zum
Export drängen. Wir müssen rechtzeitig vorher grundlegend ansetzen, wenn wir unsere Betriebe erhalten wollen.
({6})
Wir müssen umsteuern. Wir brauchen die Agrarwende sowohl aus ökologischer wie auch aus ökonomischer
Sicht. So müssen wir auch den Haushalt des Ministeriums ausrichten. Im Haushalt müssen Schwerpunkte gesetzt werden, zum Beispiel durch Zweckbindungen im
Budget für Forschung und Innovationen im Ökolandbau, für den nichtchemischen Pflanzenschutz, für mehr
Tierwohl. Wir brauchen mehr Mittel für zukunftsfähige
Tierhaltung und eine bäuerliche Landwirtschaft statt einen steuerlich geförderten Ressourcenverbrauch, eine
bessere Förderung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft - hören Sie doch auch an dieser Stelle
einmal auf den Deutschen Bauernverband - und eine angemessene Mittelausstattung für ländliche Entwicklung
und regionale Vermarktung.
Dieser Haushalt der verpassten Chancen hat wieder
einmal gezeigt: Die Große Koalition mitsamt ihrem
Landwirtschaftsminister will es nicht, und sie kann es
nicht. Es ist höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank, Harald Ebner. Jetzt erst einmal Luft holen. - Der nächste Redner: Johannes Röring für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor
ich einsteige, möchte ich einen herzlichen Dank an Cajus
Caesar loswerden, der sich für diesen Haushalt enorm
eingesetzt hat, will aber großkoalitionär auch Herrn
Freese in meinen Dank einbeziehen.
({0})
Das war gerade gut dargestellt, es geht also doch zusammen.
({1})
Natürlich möchte ich in meinen Dank auch Bundesminister Schmidt einbeziehen. Ich glaube, ein Haushalt mit
einem Volumen von knapp 6 Milliarden Euro, der eine
dicke Steigerung erfahren hat, verbunden mit der Gewissheit, dass das Geld sinnvoll eingesetzt wird,
({2})
ist ein großer Erfolg. Vielen Dank, Cajus, für den letzten
Haushalt, den du als Berichterstatter mitbegleitest.
({3})
Meine Damen und Herren, verschiedene Zahlen des
Haushaltes wurden schon genannt. Ich möchte auf einen
Punkt im Speziellen eingehen, der mir besonders wichtig
ist. Wir spüren, dass sich die Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Gesellschaft, wie man so
schön sagt, in Bezug auf die Landwirtschaft verändern.
Der emotionalste Punkt in diesem Zusammenhang ist
natürlich die Nutztierhaltung. Diesem Punkt tragen wir
im Haushalt deutlich Rechnung: über 33 Millionen Euro
für den Bereich Tierschutz, für Forschungsförderung,
für Modell- und Demonstrationsvorhaben und für die
Entwicklung eines staatlichen Tierwohllabels. Verbraucher sind bereit, mehr zu zahlen für tiergerecht produziertes Fleisch, heißt es in zahlreichen Studien. An der
Ladenkasse zeigt sich dies allerdings leider noch nicht.
({4})
Ein staatliches Tierwohllabel soll die wandelnden
gesellschaftlichen Anforderungen aufgreifen. Minister
Schmidt, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt
und unterstützt Ihr Vorhaben, ein solches Label zu entwickeln. Die Wirtschaft wartet, die Erzeuger wollen es.
Eine solche Initiative schaffen wir aber nur im Schulterschluss mit den Erzeugern, mit unserer heimischen
Landwirtschaft. Die Landwirte sind nämlich diejenigen,
die die Vorgaben eines solchen Labels umsetzen müssen.
Wir brauchen daher ein konstruktives Miteinander und
keine Wahlkampfparolen. Dafür haben wir ja gerade ein
Beispiel gehört. Herr Kindler, bleiben Sie lieber bei den
Zahlen als bei der Landwirtschaft.
({5})
Sie haben mich persönlich angegriffen, und das kreide
ich Ihnen an.
({6})
Wenn mein Vater noch leben würde und das gehört hätte:
Wissen Sie, was er zu Ihnen gesagt hätte? Der ist ja noch
grün hinter den Ohren!
({7})
Noch nie eine Kuh von hinten gesehen und beurteilt von
Berlin aus unsere Tierhaltung; das kann ja wohl nicht
wahr sein.
({8})
Um es Ihnen noch einmal deutlich zu sagen: Das
Landgericht Hamburg hat dem Norddeutschen Rundfunk
verboten, die Bilder aus unserem Stall zu zeigen oder
weiter zu veröffentlichen. Wissen Sie, warum? Weil kein
Verstoß gegen den Tierschutz vorgelegen hat. Deswegen
kann ich Ihnen und auch Herrn Ebner nur empfehlen:
Lassen Sie die pauschale Verunglimpfung der Bauernfamilien in Deutschland, vor allem die der Tierhalter.
({9})
Ich wiederhole das, was ich in meiner letzten Rede gesagt habe: Unterstehen Sie sich, Wahlkampf auf dem Rücken unserer Bauernfamilien zu machen. Das haben sie
wirklich nicht verdient.
({10})
Herr Minister Schmidt, ich kann Sie nur ermutigen:
Gehen Sie beim staatlichen Tierschutzlabel voran. Die
Branche wartet und ist bereit. Der große Zuspruch für
die wirtschaftsgetragene Brancheninitiative Tierwohl hat
bereits eindrucksvoll gezeigt, dass es unsere Landwirte
sind, die an einer Weiterentwicklung der Nutztierhaltung
interessiert sind und sie offensiv und entschlossen angehen. Die Initiative funktioniert und wirkt im Übrigen.
Wir sind zurzeit dabei, die Verträge für die Zeit von 2018
bis 2020 abzuschließen. Die Verträge werden in diesen
Wochen unterschrieben.
Ein staatliches Tierwohllabel darf aber nicht mit der
Brancheninitiative im Wettbewerb stehen. Ich biete Ihnen an, Herr Minister, gemeinsam mit Ihnen die vorhandenen Synergieeffekte und gemeinsame Infrastrukturen
im Bereich von Kontrolle und Organisation zu nutzen.
Bereits zur Grünen Woche in knapp zwei Monaten wollen Sie, Herr Minister Schmidt, erste Eckpunkte vorstellen. Das ist ein ambitionierter Zeitplan. Wir wollen Sie
gerne dabei unterstützen, um das Tierwohl in der Breite
voranzubringen.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 10 steht für
Landwirtschaft und Ernährung, aber auch - das ist mir
wichtig - für den ländlichen Raum. Ich bin selber ein
Junge vom Lande - ich komme aus dem Kreis Borken -,
und ich bin sehr stolz darauf. Manche Stadtmenschen
schauen allerdings etwas überheblich aufs Land, aber zu
Unrecht.
({11})
Ich darf ganz kurz für meine Heimat sprechen: Die
Arbeitslosenquote liegt unter 3 Prozent; das ist fast
Vollbeschäftigung. Wir haben bei uns in der Region
Weltmarktführer im Bereich Landwirtschaft bzw. landwirtschaftliche Lösungen. Wir haben vier schuldenfreie
Städte und Gemeinden. Das ist nicht vom Himmel gefallen. Wir alle haben in unserem Heimatkreis tagtäglich
hart daran gearbeitet und machen das auch weiterhin, damit es dabei bleibt.
Zwar gehören zu einer so guten Lage auch gute Gesamtumstände, aber gute Umstände werden offenbar
von manchen besser genutzt als von anderen. Deswegen
müssen wir bei allem Stolz auf meinen Heimatkreis auch
festhalten, dass es viele Kreise gibt, in denen es weniger
gut zugeht. Hier braucht es konkrete Unterstützung, und
die leisten wir mit dem Haushalt, nicht zuletzt durch das
schon erwähnte Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, das um 45 Millionen Euro auf ein Gesamtvolumen
von 55 Millionen Euro aufgestockt worden ist.
Es ist unser zentrales Anliegen als Unionsfraktion,
den ländlichen Raum als Lebens- und Wirtschaftsraum
weiter zu stärken. Nicht jedem ist nämlich geläufig, wie
wichtig die ländlichen Räume sind. Teilweise mangelt
es an Wertschätzung und vor allen Dingen auch an Verständnis. Eine mangelnde Wertschätzung ländlicher Räume kann zu tiefgreifender Entfremdung führen. Diese
Entwicklung haben wir gerade bei den Präsidentschaftswahlen in Amerika erlebt. Das Wahlergebnis zeigt uns,
wie wichtig der von uns eingeschlagene Weg ist, uns für
den ländlichen Raum und die dortige Landwirtschaft
starkzumachen. Aber gesellschaftliche Wertschätzung
ist das eine; finanzielle Hilfen, erst recht in Krisenzeiten,
sind das andere.
Seit Monaten arbeiten wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Pakt für die Landwirtschaft. Es geht
darum, in einer ökonomisch schwierigen Situation ein
Zeichen der Unterstützung zu geben, zum Beispiel durch
die Verdoppelung des EU-Hilfspakets von 58 Millionen
auf 116 Millionen Euro, durch die Erhöhung der Entlastung bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung auf
178 Millionen Euro und durch 150 Millionen Euro für
das Bürgschaftsprogramm.
Wichtig wäre auch die Gewinnglättung. Ich glaube, die Verantwortlichen wissen, dass nicht in Zukunft,
sondern jetzt Liquidität gebraucht wird. Deswegen kann
ich nur sagen: Macht voran, damit das Paket noch verabschiedet werden kann!
Vor allem aber geht es darum, die Landwirte, die mit
dem Rücken zur Wand stehen, nicht noch zusätzlich zu
belasten. Während wir nämlich an Unterstützungen arbeiten, wird gleichzeitig die Abschaffung der Direktzahlungen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch
und vieles andere gefordert.
Mit anderen Worten: Während die einen den Bauern
das Leben noch schwerer machen wollen, hat die CDU/
CSU konkret gehandelt. Konkretes Handeln, zukunftsgerichtet, stabil und verlässlich, ist das, was sich im Einzelplan 10 und übrigens auch im gesamten Bundeshaushalt
widerspiegelt - das vierte Jahr in Folge ohne neue Schulden. Die CDU/CSU ist der Partner des ländlichen Raums
und der Bauernfamilien.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Kollege Röring. - Ich hoffe, Ihnen ist
nicht so kalt wie mir. Ich finde es heute extrem kalt hier. Sie finden auch, dass es kalt ist. Also frieren nicht nur wir
hier oben. Dann fahren wir schnell fort, damit wir schnell
in die Wärmestube kommen. - Ich komme übrigens auch
vom Land, nur dass das klar ist, aus einem kleinen Ort
mit 4 800 Einwohnern.
Nächste Rednerin: Elvira Drobinski-Weiß, SPD.
({0})
Frau Präsidentin, Sie haben recht: Es ist kalt. - Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen hat die Lebensmittelwirtschaft
eine Studie veröffentlicht, mit der sie wohl beweisen
wollte, wie sehr sich die Menschen durch die Politik
beim Essen bevormundet fühlen. Ampel, Zuckersteuer,
eine Höchstgrenze für Salz in Lebensmitteln, all das wurde abgefragt. In allen Fällen kam heraus - vielleicht zum
Leidwesen der Lebensmittelindustrie -: Die Mehrheit
der Verbraucherinnen und Verbraucher empfindet diese
Dinge gar nicht als Bevormundung. Mich verwundert
das nicht; denn ich mache immer wieder die Erfahrung,
dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher gesund und
nachhaltig essen wollen. Aber das fällt ihnen im Alltag
schlichtweg schwer. Deshalb brauchen wir Maßnahmen,
die das Lebensmittelangebot in der Breite gesünder und
besser machen. Die nationale Strategie zur Reduktion
von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln ist eine davon. Ich freue mich, dass auf Druck der SPD-Fraktion
dafür 2017 insgesamt 3 Millionen Euro, also 1 Million
Euro mehr als im vergangenen Jahr, zur Verfügung stehen.
({0})
Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, das sind beste
Voraussetzungen, um endlich loszulegen. In den nächsten Monaten sollten konkrete Schritte mit der Wirtschaft
vereinbart werden. Wir stellen Ihnen, Herr Minister,
selbstverständlich die Ergebnisse unseres ExpertengeJohannes Röring
sprächs bzw. Fachgesprächs zum Thema Reduktionsstrategie sehr gern zur Verfügung. Die Expertinnen und
Experten auf dem Podium machten deutlich: Vor allem
Zucker und Salz müssen reduziert werden. - Das ist auch
machbar für die Wirtschaft. Beginnen kann man überall:
beim Salzgehalt von Brot, beim Zuckergehalt von Frühstücksflocken oder beim Fettgehalt von Fertigprodukten.
Gerade bei Lebensmitteln für Kinder ist noch viel
Luft zur Rezepturveränderung. Eine gesunde Ernährung
von Anfang an ist eine der wichtigsten Voraussetzungen
für ein gesundes, langes, aktives Leben. Ich kann mich
nur wiederholen: Wir unterstützen Menschen am besten,
wenn wir die gesündere Wahl zur leichteren machen,
wenn wir gesunde Verhältnisse schaffen, statt allenthalben Broschüren mit guten Tipps zu verteilen und gleichzeitig der Lebensmittelindustrie zu erlauben, die größten
Zuckerbomben schon an die Allerkleinsten zu vermarkten.
Selbstverständlich brauchen wir für alles, was wir tun,
solide wissenschaftliche Daten, gerade wenn es um die
Kinderernährung geht. Deshalb bin ich sehr erleichtert,
dass die Finanzierung des Instituts für Kinderernährung
nach langem Hin und Her endlich steht. Die SPD-Fraktion hat mit viel Nachdruck darauf gedrängt.
({1})
Wir erwarten jetzt, dass der schrittweise Aufbau innerhalb des Max-Rubner-Instituts in Karlsruhe - ich betone:
Karlsruhe - über die nächsten Jahre kontinuierlich stattfindet.
Es ist der letzte Haushalt in dieser Legislaturperiode.
Rückblickend hätte ich mir vom Minister eine viel mutigere Ernährungspolitik mit viel mehr Ideen und Gestaltungswillen gewünscht. Aber ein paar Monate verbleiben
noch, genug Zeit, um einige wichtige Vorhaben voranzubringen, Herr Minister.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß. - Nächster Redner: Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin, herzlichen Dank für das Lob für unsere Truppe, dass wir eine so gesunde Streitkultur haben.
Ich kann nur sagen: Wir sollten mit Respekt um die beste
Lösung streiten. Wenn wir uns alle bemühen, tun wir uns
und der Gesellschaft einen großen Gefallen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
Herren! Wir beraten über den letzten Haushalt in dieser
Legislaturperiode. Für mich ist es zugleich die letzte
Haushaltsrede, wie du weißt, Wilhelm Priesmeier. Ich
bin dabei sehr gut gelaunt. Wir können zuerst einmal allgemein feststellen: keine neuen Schulden, keine Steuererhöhungen und freiwerdende Mittel zusätzlich investiv
eingesetzt. So macht man es richtig, damit Deutschland
weiter nach vorne kommt.
({0})
Wir haben insbesondere den investiven Bereich weiterentwickelt. Mit dem Bundeshaushalt 2017 haben wir
die höchste Investitionsquote seit vielen Jahren - ich
glaube, seit 15 oder 16 Jahren - erreicht. Davon profitiert
in besonderem Maße der ländliche Raum. Deshalb geht
an dieser Stelle mein persönlicher Dank - das ist mir ein
Herzensanliegen - an Cajus Caesar und Uli Freese.
Ich will auch Eckhardt Rehberg explizit einbeziehen,
der viel getan hat gerade für die Mittel im ländlichen
Raum in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium,
lieber Christian Schmidt, mit deinem Haus. Das war ein
gutes Stück Arbeit, das war erfolgreich. Herzlichen Dank
dafür.
({1})
Ich will auf drei Schwerpunkte eingehen, zunächst kurz
auf die Stärkung der Landwirtschaft und des ländlichen
Raums. Es ist nicht neu, dass wir uns in dieser Krisensituation vehement für ein Gesamthilfspaket eingesetzt
haben, wissend, dass wir Märkte nicht steuern und auch
Preise nicht festlegen können. Dies spiegelt sich auch im
Haushalt 2017 wider, in dem wir das Bürgschaftsprogramm auf den Weg bringen, den Bundeszuschuss für
die landwirtschaftliche Unfallversicherung noch einmal
verstetigen und vor allen Dingen die GAK-Mittel noch
einmal wesentlich erhöhen. Von den Grünen wurde das
kritisiert. Erinnern Sie sich einmal an die Zeit zurück, in
der Sie Verantwortung hatten. Da war die GAK ein grüner Steinbruch. Mit uns wird das wieder aufgebaut. Das
ist vernünftige Politik, und das ist die Wahrheit.
({2})
Insbesondere das BULE-Programm, das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, zeigt, dass wir im
ländlichen Raum richtig unterwegs sind.
({3})
Wilhelm, du hast darauf hingewiesen: Wir werden
nächste Woche die Tarifglättung vornehmen und auch die
Mittel aus dem zweiten EU-Hilfspaket verdoppeln, damit
wir unseren krisengebeutelten Landwirten insbesondere
in der Milchwirtschaft helfen können. Lieber Uli Freese,
was die Rechtsformneutralität angeht: An uns hat es nicht
gelegen. Das will ich an dieser Stelle auch offen sagen.
Auch das entspricht der Wahrheit.
Meine Damen und Herren von den Grünen, immer
wieder kommt die Mär vom Export. Ich will das noch
einmal deutlich sagen: Die Land- und Ernährungswirtschaft produziert in erster Linie für den heimischen
Markt. Aber die Menschen bei uns essen auch jede Menge Lebensmittel aus allen Ländern der Welt. Und andere
Länder in der Welt freuen sich über Lebensmittel „made
in Germany“.
({4})
Wir müssen doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein,
wenn wir diese Wünsche nicht erfüllen. Das müssen
doch auch Sie endlich einmal verstehen!
({5})
Meine Damen und Herren, zu dem Thema Umweltschutz und Tierschutz: Beim Düngepaket - bestehend
aus Düngegesetz und Düngeverordnung - gilt es noch
eine Frist bis Ende dieses Monats abzuwarten, in der man
Stellungnahmen zum strategischen Umweltgutachten
einbringen kann. Ich gehe davon aus, dass wir es dann
endlich - das sage ich ganz bewusst - zügig umgesetzt
bekommen. Das ist ein ordentlicher Beitrag zum Klimaschutz, zum Umweltschutz und auch zum Wasserschutz.
Ich will aber auch sagen - darüber haben wir lange
hin und her diskutiert und auch manchmal gestritten -:
Gleichzeitig wollen wir natürlich auch gewährleisten,
dass Landwirte ihre Pflanzen vernünftig ernähren können. Deshalb sagen wir auch mit Blick auf die Landwirtschaft: so wenig wie möglich, aber auch so viel wie nötig - eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
({6})
Wir haben die Mittel für den Bereich Forschung, Investitionen, Praxis- und Demonstrationsvorhaben auf
34 Millionen Euro erhöht. Das zeigt, dass wir mit unserem Vorgehen, Lösungen zu suchen statt Verbote auszusprechen, auf dem richtigen Weg sind. So geht es und
nicht mit einer reinen Verbotspolitik.
({7})
Wir wissen natürlich, dass wir uns in einem großen
Veränderungsprozess befinden, was Landwirtschaft angeht, was die Art und Weise der Lebensmittelproduktion
angeht. Da befinden wir uns in einem regelrechten Transformationsprozess. Natürlich spielt auch Ordnungsrecht
eine Rolle. Christina Jantz, wir haben gestern über Pelztiere und über das Verbot der Schlachtung trächtiger Rinder gesprochen, was wir umsetzen wollen und in Kürze
auch werden. Aber wir müssen uns vor allen Dingen um
Lösungen bemühen, die dann auch wirklich in der Praxis
umsetzbar sind. Darauf kommt es an. Meine Damen und
Herren von den Grünen, dazu haben wir von Ihnen leider
überhaupt nichts gehört.
({8})
Deshalb ist es richtig, dass Bundesminister Schmidt
eine Nutztierstrategie entwickelt. Da stehen wir am Anfang eines großen Transformationsprozesses.
({9})
Das ist auch hinsichtlich der Gesetzgebung eine sehr
große Herausforderung. Zunächst geht es um längerfristige Planungssicherheit und um eine umfangreiche und
komplexe Aufgabe. Es geht nämlich nicht nur um Tierschutz, es geht auch um Baurecht, um Umweltrecht, um
Emissionsschutzrecht, und es geht um Flächenverbrauch.
Das alles muss in einem Konsens zu einer gemeinsamen
Lösung hin entwickelt werden. Da gibt es Zielkonflikte.
Mein Wunsch und mein Appell an Sie alle ist: Lassen Sie uns diesen Weg wirklich gemeinsam gehen, und
zwar lösungsorientiert, nicht ideologisch; denn wenn wir
diesen Weg nicht gehen, werden wir Strukturbrüche im
ländlichen Raum erleben, und das wollen wir alle nicht.
({10})
Sie, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, beklagen immer wieder, wir machten hier
und da zu wenig für die Ökologie.
({11})
Wir haben zum Beispiel für den Bereich „Nachhaltigkeit,
Forschung und Innovation“ über 600 Millionen Euro
vorgesehen. Die Mittel für die institutionelle Förderung
unserer Forschungseinrichtungen haben wir um über
50 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für die
Eiweißförderung herausgenommen. Diese Mittel werden
für die Förderung der ökologischen Landwirtschaft eingesetzt. Viele andere Dinge mehr haben wir getan. Dieser Bereich kann sich auch bei den Mitteln für die GAK
bedienen. Es gibt somit vielfältige Möglichkeiten. Daher
ist Ihre Darstellung der Dinge einfach nicht richtig. Weil
Sie immer ausschließlich von ökologischer Förderung
sprechen,
({12})
sage ich Ihnen ganz offen: Da haben wir tatsächlich ein
unterschiedliches Verständnis von Landwirtschaft. Wir
sehen Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft und Forstwirtschaft ganzheitlich,
({13})
Sie hingegen betreiben offensichtlich Klientelpolitik.
Dafür sind wir nicht zu haben.
({14})
Ich finde es richtig, die Arbeit an dem Tierschutzlabel - Johannes Röring ist darauf eingegangen - fortzusetzen. Ich will aber auch ganz offen sagen, Christian: Wir
müssen aufpassen, dass wir unseren eigenen Bauern in
Deutschland, unseren Erzeugern in Deutschland keinen
Bärendienst erweisen. Deshalb muss dieses Labeling von
Standards mit einer Herkunftskennzeichnung einhergehen. Ich hoffe, dass bei der Frage zumindest fraktionsübergreifend Konsens herrscht.
({15})
Abschließend ein Satz zu einer Sache, die uns im
nächsten Jahr sehr beschäftigen wird: Wie finanzieren
wir diesen Transformationsprozess, an dessen Beginn
wir stehen? Da spielen natürlich auch die europäischen
Gelder eine riesengroße Rolle. Ich bekenne, dass die Art
und Weise der Ausgleichszahlungen so nicht zukunftsfähig ist. Die Ausgleichszahlungen erfolgen nicht differenziert genug. Ich finde, so sind sie der Gesellschaft nicht
überzeugend genug vermittelbar. Ob man deshalb von
der ersten zu der zweiten Säule switchen sollte, lasse ich
einmal außen vor. Ich glaube, es gibt vielleicht intelligentere Möglichkeiten, zum Beispiel innerhalb der ersten
Säule. Die Säulen sollten kein Selbstbedienungsladen für
unsere Bundesländer sein.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 2017 ist ein
Grund zur Freude.
({16})
Dank an alle Haushälter. Die Unionsfraktion bekennt
sich - diese Bemerkung ist mir abschließend wichtig - zu
einer modernen und wettbewerbsfähigen, aber vor allen
Dingen familiengeführten Landwirtschaft. So stellen wir
uns Landwirtschaft vor. Wir werden den Veränderungsprozess aktiv gestalten - mit verlässlichen Bedingungen
für die Landwirtschaft, damit die Landwirte wissen, was
in fünf oder zehn Jahren ist,
({17})
und sie Planungssicherheit haben. Zu dieser Gestaltung
lade ich Sie alle ein; denn mit einer einfachen Wende ist
es nicht getan.
Herr Kollege.
Sie müssen sagen, wohin Sie sich wenden wollen. Zurück in die Höhlen, das hilft uns nicht.
Vielen Dank.
({0})
Ich bin gnädig heute. Bitte halten Sie sich zukünftig
an die Redezeit. - Jetzt kommt Christina Jantz-Herrmann
für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Den
Spaß, der gerade hier Einzug gehalten hat, kann ich in
meiner Rede nicht gänzlich aufrechterhalten. Sie können
sich sicherlich vorstellen, dass ich mich als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion insbesondere dem Tierschutz
widmen möchte. Im Haushalt für das nächste Jahr haben
wir hierfür 33 Millionen Euro eingeplant. Das ist wieder ein Anstieg, wie auch schon in den Jahren zuvor, und
zeigt, welchen Wert wir auf dieses Thema legen.
({0})
Wir legen natürlich insbesondere Wert darauf, dass wir
Tierversuche vermeiden. So stützen wir erneut die ZEBET.
Wir legen weiterhin Wert darauf, den Folgen der industriellen Tierhaltung zu begegnen. So stützen wir
beispielsweise weiter die Forschung zum sogenannten
Zweinutzungshuhn, und wir legen weiterhin Wert darauf,
Modell- und Demonstrationsvorhaben zu unterstützten.
Hier werden zum Beispiel gute und innovative Tierhaltungsmethoden erprobt. Der nächste Haushalt ermöglicht
es uns, weiterhin Anreize zu schaffen, die Forschung anzustoßen, Wissensvermittlung zu finanzieren und noch
einiges mehr.
Doch gerade in diesem Bereich sind die Haushaltsmittel nur eine Seite der Medaille. Mit ihnen kann der
Tierschutz vorangetrieben werden. Doch mindestens
genauso wichtig ist - das klang vorhin schon an - die
Rechtsetzung. Deshalb möchte ich hier nicht weiter Zahlen referieren, sondern betonen: Wir müssen das Tierschutzgesetz maßvoll und bedarfsgerecht novellieren.
Wir müssen fehlende Verordnungen auf den Weg bringen, wenn bereits entsprechende Ermächtigungen in den
Gesetzen vorhanden sind. Diese Verordnungen muss das
Ministerium, Herr Schmidt, erlassen. Außerdem müssen
wir endlich auch - gerade da ist das Ministerium gefordert - die Prüf- und Zulassungsverordnung für Haltungssysteme auf den Weg bringen.
({1})
Die SPD-Bundestagsfraktion steht bereit für progressive Veränderungen. Aber wo brauchen wir Gesetzesverbesserungen ganz konkret? Hier möchte ich zwei Beispiele nennen.
Das Töten von Eintagsküken ist das erste Beispiel.
Noch immer werden in Deutschland zig Millionen Eintagsküken getötet. Das ist keine neue Information. Das
Ganze geschieht offensichtlich aus Kostengründen. Minister Schmidt, Sie hatten für Anfang 2017 den Ausstieg
aus dieser grausamen Praxis angekündigt. Viel Geld ist in
die Forschung zur Geschlechterbestimmung im Ei geflossen. Aber der Ausstieg Anfang 2017 ist nicht absehbar.
Von daher möchte ich Sie wirklich bitten, Herr Schmidt:
Ziehen Sie sich nicht weiter hinter die Forschung zurück.
Hier erwarte ich vielmehr mehr Entscheidungsfreude
und ein zuverlässiges Verbot.
({2})
Das zweite Beispiel, das ich ansprechen möchte - Kollege Holzenkamp hat es schon erwähnt -, ist das Verbot
der grausamen Pelztierhaltung und auch der Schlachtung
hochträchtiger Rinder. Auch hier wurde bereits vor einem
Jahr angekündigt, dass die letzten Pelztierfarmen auf
deutschem Boden geschlossen werden und das Schlachten hochträchtiger Rinder unterbunden wird. Das ist
aktuell immer noch erlaubt; man glaubt es kaum. Wenn
trächtige Tiere geschlachtet werden, verendet dabei das
ungeborene Tier aufgrund des Sauerstoffmangels elendig
im Mutterleib. Herr Minister, hier haben Sie in der Tat
einen guten Vorschlag geliefert. Ich hoffe sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, dass Sie nicht weiter
mauern. Ich nehme das Signal von Herrn Holzenkamp
so wahr, dass wir dazu jetzt endlich die entsprechenden
Regelungen auf den Weg bringen.
({3})
Aber bleiben wir bei der Nutztierhaltung. Die landwirtschaftliche Tierhaltung steht unter Druck. Die Landwirtschaft weiß, dass sich die Gesellschaft einfach mehr
Tierschutz wünscht. Aber die Landwirtschaft muss auch
wissen - ich glaube, auch da sind wir uns in der Koalition einig -, wohin die Reise gehen soll; denn sie braucht
Orientierung, sie braucht Planungssicherheit. Gerade
deshalb brauchen wir aus unserer Sicht eine langfristige
Nutztierhaltungsstrategie.
({4})
Leider erleben wir hier noch zu häufig propagierte Stagnation. Vor den Problemen werden die Augen verschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, bitte öffnen Sie Ihren Blick für die notwendigen Veränderungen.
Auch ich habe das Signal von Herrn Röring hinsichtlich
des staatlichen Tierschutzlabels, das ich hier schon vor,
glaube ich, einem Jahr gefordert habe, mit Wohlwollen
aufgenommen. Ich hoffe, dass das kein Lippenbekenntnis bleibt.
({5})
An die Kollegen und Kolleginnen der Opposition, insbesondere der Grünen, gerichtet, möchte ich sagen - wir
haben es heute wieder erlebt -: Bitte zeichnen Sie nicht
weiter so ein verklärtes Bild der Landwirtschaft. Klagen
Sie nicht immer an. Eine übertriebene Zuspitzung hilft
im Ergebnis auch dem Tierschutz nicht weiter.
({6})
Redezeit.
Sie sehen, meine Damen und Herren, wir müssen auf
verschiedene Arten den Tierschutz voranbringen: durch
finanzielle Anreize - ja, selbstverständlich -, aber auch
durch die notwendige Rechtsetzung. Lassen Sie uns die
verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode dazu nutzen, den Tierschutz auch weiterhin zu stärken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Frau Jantz-Herrmann. - Nächster Redner: Alois Gerig für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Schade, einige Kollegen haben heute Abend die Chance verpasst, lobende Worte für eine
gute Politik zu finden.
({0})
Ich sage sehr bewusst: Der Sache wegen wäre es mehr als
angemessen gewesen. Herr Kindler, wie war das mit den
getroffenen Hunden, die bellen?
({1})
Ich möchte den Minister und sein Haus für eine gute
Agrarpolitik loben. Ich möchte unseren Chefhaushälter
Cajus Caesar für seinen Einsatz loben, ebenso seinen
Kollegen Freese. Ich möchte auch Bundesfinanzminister
Dr. Schäuble in dieses Lob einbeziehen, der es geschafft
hat, mit einer soliden Finanzpolitik endlich neue Zeichen
zu setzen.
({2})
Unser Ressort hat einen Aufwuchs von über 300 Millionen Euro erfahren. Das ist auch ein Zeichen der Wertschätzung der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft und
des ländlichen Raums.
Worum geht es, meine Damen und Herren? 50 Prozent der Menschen leben in ländlichen Regionen, welche
90 Prozent der Gesamtfläche umfassen. Ein Drittel ist
Wald. Es geht um das Ausbalancieren, um das Herstellen
gleicher Lebensbedingungen, wie es schon im Grundgesetz steht, und um eine vielfältige Kulturlandschaft. Es
geht aber auch um die Produktion hochwertiger Lebensmittel. Deshalb ist das Geld im Etat des BMEL gut angelegt. Es wird klug und effizient eingesetzt. Ich sage noch
einmal Danke.
({3})
Die Landwirtschaft in Deutschland ist arg gebeutelt: Wetterkapriolen, schlechte Erzeugerpreise und Beschimpfungen. Die Einkommen liegen deutlich hinter
dem Vergleichslohn. Der Strukturwandel ist groß. Gerade einmal 1,5 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der
Land- und Forstwirtschaft. Manche Partei scheint diese
Klientel aufgegeben zu haben. Sehen wir aber das Ganze,
werden wir erkennen, dass es mit den vor- und nachgelagerten Gewerken insgesamt 11 Prozent sind, die eine
mächtige wirtschaftliche Position darstellen.
Ich sehe die Sorge, wenn es um den Verlust der familiengeführten bäuerlichen Betriebe und, genauso
schlimm, um nationale Beschränkungen geht. Eine fehlende finanzielle und moralische Unterstützung kann zu
einer Abwanderung der Produktion führen. Das wäre der
Super-GAU, insbesondere für die Menschen in Deutschland.
Lieber Kollege Kindler, lieber Kollege Ebner und Gesinnungsgenossen, merken Sie sich das.
({4})
Wir brauchen eine ausgewogene Politik mit Augenmaß
und nicht nur mit Verboten.
({5})
Das BMEL mit seinen Maßnahmen und Mitteln hilft
nicht allumfassend, aber es werden sehr gute Signale gesendet. Ich sage sehr bewusst: Auch die Branche muss
ihren Teil dazu beitragen.
({6})
Der zweite Schwerpunkt ist der ländliche Raum. Hier
gibt es ohne Zweifel Problemzonen: den demografischen
Wandel, den Trend hin zum Ballungszentrum, zur Urbanisierung. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass eine
Umkehr möglich ist. Das betrifft nicht nur unser Ministerium, das geht quer durch den gesamten Bundeshaushalt.
Es geht auch um Straße, Schiene und schnelles Internet.
Allein für den Breitbandausbau hat der Bund 4 Milliarden Euro bis 2020 zur Verfügung gestellt. Das ist Förderung des ländlichen Raums. Dort werden diese Mittel
eingesetzt. Das alles sind doch sehr starke Signale, insbesondere aus den unionsgeführten Ressorts.
Natürlich brauchen wir auch Bildung. Es geht um die
medizinische Nahversorgung. Ich glaube daran, dass eine
sich ändernde Mobilität und die Digitalisierung uns bisher ungeahnte Möglichkeiten für den ländlichen Raum
eröffnen werden. Ganz neue Modelle und Chancen wird
es geben. Leben und Arbeiten dort, wo andere Urlaub
machen - und das in einem relativ friedfertigen Umfeld mit Ehrenamt und Vereinskultur. Das ist für mich
der ländliche Raum der Zukunft. Ich freue mich, dass
ich mittendrin sein darf. Wir sehen doch schon jetzt bei
der Integration von Flüchtlingen, dass wir im ländlichen
Raum häufig sehr viel besser in der Lage sind, Probleme
zu lösen, als es in der Stadt machbar ist.
Bauern, Mittelstand und Handwerk, das ist das wirtschaftliche Rückgrat im ländlichen Raum. Die Mittel wurden genannt; ich will jetzt keine Summen mehr
nennen. Liquidation, LUV, GAK, BULE, Hochwasserschutz, Nachhaltigkeit, Forschung, Innovation - das alles sind Programme und Bereiche, die im Sinne auch des
ländlichen Raums besser ausgestattet wurden. Da sage
ich immer noch: Das sind starke Signale. Ich hoffe, dass
wir gemeinsam auch das wichtige Thema Gewinnglättung - wegen der volatilen Einkommen in der Landwirtschaft - lösen können.
Der dritte Block: die Ernährung. Verbraucherschutz,
Lebensmittelsicherheit, Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung wurden ebenfalls gestärkt, und das
ist gut so. Das steht ganz oben auf der Agenda unseres
Ministeriums. Die Finanzmittel, die zum Beispiel in das
Bundeszentrum für Ernährung gesteckt werden oder für
das Forschungsinstitut für Kinderernährung eingesetzt
werden, sind ebenfalls sehr gut angelegt. Schon wegen
der erwarteten präventiven Gesundheitsvorsorge werden
sich diese Mittel nach meiner festen Überzeugung ganz
schnell rechnen; wir werden sie wieder hereinbekommen.
Eine Win-win-Situation, meine Damen und Herren,
entsteht dann, wenn es uns gelingt, Erzeuger, Verbraucher und Handel zusammenzuführen. Etwas mehr finanzielle Wertschätzung für die in Deutschland produzierten
Lebensmittel schafft Luft für weitere positive Veränderungen in der Lebensmittelproduktion. Darauf müssen
wir alle gemeinsam hinarbeiten. Nehmt doch die Bauern
weg vom Pranger! Da gehören sie, weiß Gott, nicht hin,
liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Organisationen,
die ihr draußen unterwegs seid.
({7})
Es liegt doch auf der Hand: Die weltweit besten Lebensmittel werden bei uns produziert. Die kann und darf
es in Zukunft nicht weiterhin zum Schnäppchenpreis geben.
Auch mit unseren Ansätzen zur Ernährungsbildung
sind wir auf dem richtigen Weg. Bei den Kindern müssen
wir anfangen.
Liebes Ministerium und lieber Herr Minister, sehr vieles ist gut gemacht worden. Lassen Sie uns gemeinsam
auf diesem Weg weitergehen! Für mich ist es zweitrangig, ob unser Ministerium in der nächsten Legislaturperiode „Ernährung und Landwirtschaft“ oder „Ländlicher
Raum und Landwirtschaft“ heißt; wichtig ist mir, dass
wir weiter ein Ministerium haben, das die Aufgaben im
ländlichen Raum so gut im Blick hat wie bisher.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank, Alois Gerig. - Nächste Rednerin:
Jeannine Pflugradt für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So eine Haushaltsdebatte bietet uns Rednern immer sehr viele Möglichkeiten, unsere speziellen Themen
in den Fokus zu rücken. Meist fordern wir Abgeordnete
mehr Geld und sind mit dem vorgelegten Entwurf des
Haushalts gar nicht so zufrieden. Ich werde weder für
mehr finanzielle Mittel eintreten noch den Entwurf, den
wir verabschieden werden, im negativen Sinne auseinandernehmen. Mir geht es vielmehr darum, wie immer
bei meinen Reden zum Thema Ernährung etwas Gehör
zu bekommen.
Die Bundesregierung bemüht sich seit Jahren um das
Thema „Kita- und Schulverpflegung“. Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geschaffene Bundeszentrum für Ernährung übernimmt ab 2017
unter anderem die Projekte des Nationalen Aktionsplanes
IN FORM, der seit 2008 auf unterschiedlichen Ebenen
umgesetzt wird, und baut seit Juli dieses Jahres das Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule
auf. Es soll die bereits bestehenden Maßnahmen rund um
Kita- und Schulverpflegung koordinieren. Dafür stehen
der übergeordneten Bundesanstalt für Landwirtschaft
und Ernährung ab 2017 jährlich mehr als 20 Millionen
Euro zur Verfügung. Dass der Nationale Aktionsplan IN
FORM weitergeführt wird, ist erfreulich, wenngleich ich
es mir gewünscht hätte, dass das BMEL die zahlreichen
voneinander unabhängigen Projekte in der Mitte der
Laufzeit auf deren Wirkung bewertet hätte. Dann könnten wir zielführender, zeitiger und vor allem gründlicher
auf das Ziel des Aktionsplanes, nämlich Gesundheitsförderung und Prävention lebensstilbedingter Krankheiten
durch ausgewogene Ernährung, vor allem ausreichend
Bewegung und weniger Stress, eingehen.
({0})
Auf den ersten Blick klingt die Initiative des BMEL
gut. Sie will sich stärker um Qualität ausgewogener Ernährung für Kinder und Jugendliche und deren Wissen
darüber kümmern. Leider orientiert sich das BZE an dem
Ansatz, eher das Verhalten der Menschen ändern zu wollen, anstatt die Verhältnisse der jeweiligen Lebenswelt zu
betrachten.
({1})
Es ist für Kinder leichter, sich ausgewogen zu ernähren,
wenn Kitas und Schulen ausgewogene Mahlzeiten anbieten und ihnen gleichzeitig das Wissen vermitteln, warum
das eine gesünder ist als das andere. Ob Kinder daran
teilnehmen, obliegt allein der Verantwortung der Eltern.
Aber jedes Kind besitzt erst einmal die Möglichkeit, daran zu partizipieren, weil die Verhältnisse in der Schule
geschaffen sind; denn es ist so wichtig, dass Kinder früh
lernen, woraus eine ausgewogene Ernährung besteht.
({2})
Ich werbe deshalb dafür, kostengünstige oder sogar kostenfreie Verpflegung in Kitas und Schulen bei gleichbleibender Qualität zur Verfügung zu stellen. Wir alle wissen
um die hohen Kosten, die auf unser Gesundheitssystem
zukommen werden, wenn wir das Problem ernährungsbedingter Krankheiten nicht positiv beeinflussen können.
Das Nationale Qualitätszentrum wird zusätzlich einen
Qualitätsnachweis für Caterer sowie Anbieter für Kitaund Schulessen entwickeln, der auf der Grundlage der
DGE-Verpflegungsstandards entsteht. Die Verbreitung
der Standards als verpflichtendes Element der Verpflegung wird eine Hauptaufgabe des Nationalen Qualitätszentrums werden. In Zusammenarbeit mit Vernetzungsstellen gäbe es die Möglichkeit für Schulen, sich beraten
zu lassen und ihre Speisepläne diesem Qualitätscheck zu
unterziehen. Leider ist dieses Angebot noch freiwillig.
Freiwilligkeit allein hilft aber nicht immer weiter; das
wissen wir.
Die 16 Vernetzungsstellen der Bundesländer fungieren als Zweigstellen zwischen den durchführenden Partnern - Kommunen, Trägern, Schulen - und dem Nationalen Qualitätszentrum. Daher bleiben sie unberührt in
der Hoheit der Bundesländer. Deshalb sollten wir - hier
spreche ich ganz speziell unseren Koalitionspartner an noch einmal über eine Lockerung des Kooperationsverbotes für den Bereich „Verpflegung und Aufklärung“
nachdenken.
({3})
Es ist doch längst überfällig, Synergien zwischen Bund
und Länderkompetenzen effektiv zu bündeln.
Aber eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt ein
Problem: Es sind die Eltern, die die Verantwortung für
eine gesunde Ernährung ihrer Kinder tragen, aber leider
nicht oft genug wahrnehmen. Wenn ich sehe, wie viele Schulkinder sich beim Bäcker morgens ihr Schulbrot
oder - soll ich lieber sagen? - ihr Schulzuckerbrot kaufen, dann weiß ich, was bei ihnen im Elternhaus los ist. In
der nächsten Legislaturperiode müssen wir deutlich mehr
Geld für Aufklärung in Kitas, Schulen und der Eltern investieren. Das ist leider bitter nötig, aber langfristig kostensparend für unser Gesundheitssystem.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Jeannine Pflugradt. - Der letzte Redner
in der Debatte: Willi Brase für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich gehöre zu
dem Club der heutigen Redner, der zum letzten Mal zum
Haushalt 2017 redet.
Ich möchte zuerst Ulrich Freese, unserem Haushälter,
danken, weil er uns in Fragen ländlicher Entwicklung
durchaus sehr gut unterstützt hat, zum Beispiel wenn wir
versuchten, den Ländern die Möglichkeit zu eröffnen, die
Mittel, die der Haushalt 2016 zur Verfügung gestellt hat,
auch noch im nächsten Jahr abzugreifen. Ich glaube, das
ist richtig.
({0})
Ich bin dem Minister dankbar, dass er den Begriff
„ländliche Entwicklung und Weiterentwicklung des Ministeriums“ ein Stück weit nicht nur heute hier, sondern
auch gestern bei der Konferenz auf den Weg gebracht hat.
Ich will Alois Gerig widersprechen: Es gibt nicht mehr
viele Regionen, in denen die Landwirtschaft das Zentrum
der wirtschaftlichen Stärke ist.
({1})
Dem ist leider so. Ich zum Beispiel komme aus Südwestfalen und kann nur sagen: Die dortige Struktur besteht
aus kleinen und mittelständischen Betrieben. Im wirtschaftlichen Zentrum stehen die KMU. Sie sind das Herz
der Region, und das gilt auch für andere Regionen in
Deutschland.
({2})
Wenn wir über ländliche Regionen sprechen, dann
müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir bei unseren
neu hinzukommenden Programmen wesentlich differenzierter und manchmal sogar kleinteiliger agieren müssen.
Es gibt nicht mehr den großen Rundumschlag. Dafür haJeannine Pflugradt
ben sich die Bereiche zu unterschiedlich entwickelt. Egal
ob ich nach Mecklenburg-Vorpommern, nach Brandenburg, nach Bayern, nach Nordrhein-Westfalen oder nach
Niedersachsen blicke: Ich stelle fest, wie unterschiedlich
sich die einzelnen Regionen entwickelt haben. Wenn der
Minister sagt: „Ich möchte mich in meiner Arbeit auf die
ländlichen Regionen, auf Landwirtschaft und Ernährung
konzentrieren“, dann ist das richtig. Wir stellen fest, dass
Politik für ländliche Regionen auch Querschnittspolitik
ist.
({3})
Im Altenbericht der Bundesregierung, der uns jetzt
vorliegt, steht, dass von Bund und Ländern konzentrierte
Maßnahmen ergriffen werden müssen, um zum Beispiel
die Kommunen zu unterstützen; all diese Punkte sind
von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern in unterschiedlicher Art und Weise schon angesprochen worden.
Ja, die Situation ist sehr differenziert zu betrachten. Und
wenn man sagt: „Politik für ländliche Regionen ist Querschnittspolitik“, dann darf es auch erlaubt sein, nachzufragen: Ist Landwirtschaft eigentlich noch eine besondere wirtschaftliche Produktionsweise?
({4})
- Lassen Sie mich doch ausreden. - Müssen wir die
landwirtschaftliche Erzeugung nicht auch ein Stück weit
gleichsetzen zum Beispiel mit der Automobilindustrie
oder der Stahlindustrie? Ich kann verstehen, dass die
Unionskollegen sagen: Um Gottes willen, das ist unsere
Klientel. Aber wenn der Minister die ländlichen Regionen weiterentwickeln will, dann gibt es erst einmal keine Denkverbote. Dazu gehört es auch, zu überlegen, wie
man die Politik zukünftig strukturiert und wo die Querschnittsbereiche liegen. Wenn man dann zu der Auffassung gelangt: „Ja, die Landwirtschaft gehört auch weiterhin dazu“, dann sollten wir etwas unternehmen. Aber ich
bin absolut dagegen, dass man sagt: „Das geht gar nicht“,
weil man vielleicht Parteiinteressen verfolgt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Ich will auf diejenigen eingehen, die sagen: Wir brauchen nur noch den ökologischen Landbau. - Ja, die Weltbevölkerung wächst, und die Frage ist: Wie schaffen wir
es, alle mit vernünftigen Lebensmitteln zu versorgen?
Das ist ein Riesenproblem. Mir gefällt bei der Debatte,
die von den Grünen ausgeht, nicht, dass völlig vergessen wird, was eigentlich mit den Menschen ist, die in der
Landwirtschaft und in der Ernährungsindustrie beschäftigt sind.
({6})
Diese Koalition hat den Mindestlohn auch auf den Weg
gebracht, um den in der fleischverarbeitenden Industrie
arbeitenden Menschen mehr Rechte einzuräumen und
mehr Geld zu geben.
({7})
Und gute Arbeit ist für meine Fraktion ein wesentlicher
Punkt,
({8})
und wir wollen die Entwicklung, egal in welcher Form,
entsprechend voranbringen.
Ich danke allen, die hier diskutiert haben. Ich danke
den Haushältern, und ich danke auch dem Finanzminister. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, zu sagen: Wir
sind aus der Krise 2008/2009 gekommen, weil es damals
SPD-Minister waren, die die richtigen Pflöcke eingeschlagen haben.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({9})
Vielen Dank, Willi Brase. - Damit schließe ich die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es
keine. Der Einzelplan 10 ist angenommen. Zugestimmt
haben die CDU/CSU und die SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Damit ist der
Einzelplan 10 angenommen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag,
den 25. November 2016, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Jetzt: Guten Appetit!