Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zur 2. Sitzung des Deutschen Bundestages in
der 18. Legislaturperiode.
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen einige Mitteilungen zu machen.
Ich beginne mit der rundum erfreulichen Mitteilung,
dass die Kollegin Brigitte Zypries am vergangenen
Samstag einen runden Geburtstag feiern konnte.
({0})
Ich gratuliere ihr im Namen des ganzen Hauses auch auf
diesem Wege noch einmal herzlich und wünsche ihr alles Gute für das neue Lebensjahr.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es eine interfraktionelle Verständigung gibt, den bereits am 21. März
dieses Jahres im Ältestenrat vereinbarten vorläufigen
Zeitplan für das Jahr 2014 zu bestätigen. Mit „vorläufiger Zeitplan“ sind selbstverständlich die Sitzungswochen des Bundestages im Jahre 2014 gemeint. - Dazu
gibt es eine Wortmeldung. Herr Kollege Gysi, bitte.
Herr Präsident! Meine Wortmeldung ist natürlich
nicht dazu, sondern ich missbrauche mein Recht. Denn
eines geht nicht, und zwar, dass hier nicht erwähnt wird,
dass Sie am vergangenen Samstag 65 Jahre alt geworden
sind. Meine herzlichen Glückwünsche, ich glaube, im
Namen des ganzen Hauses!
({0})
Herr Kollege Gysi, ich bedanke mich sehr. Es wäre
natürlich schon gegangen. Im Unterschied zu manch anderem bestünde hierfür keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit.
({0})
Umso mehr beeindruckt mich Ihre Kurzintervention.
Wenn wir das während der Legislaturperiode auf diesem
Niveau durchhalten könnten, wäre das schon einmal eine
Perspektive.
({1})
Damit ist jedenfalls der Sitzungsplan für das Jahr
2014 beschlossen. Das schließt im Übrigen natürlich
nicht aus, dass wir durch Vereinbarungen noch einmal
Korrekturen vornehmen könnten. Jeder kann sich aber
darauf einstellen, wann im nächsten Jahr Sitzungswochen einzuplanen sind.
Darüber hinaus gibt es eine interfraktionelle Vereinbarung, die für heute vereinbarte Tagesordnung um die
Anträge der Fraktion Die Linke zur Einsetzung von Ausschüssen sowie zur Bestimmung des Verfahrens für die
Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen auf den
Drucksachen 18/53 und 18/54 zu erweitern. Beide Anträge sollen als Zusatzpunkte im Anschluss an den
Tagesordnungspunkt 2 aufgerufen und dann ohne Aussprache abgestimmt werden. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Tagesordnungspunkt 1 aufrufe, möchte ich auf der Ehrentribüne die Botschafterin der Philippinen, Frau Maria
Natividad, begrüßen
({2})
und unsere Gedanken von den Aufgaben und Herausforderungen im eigenen Land in jenen Teil der Welt lenken,
der am Freitag vor einer Woche vom tropischen Wirbelsturm „Haiyan“ heimgesucht wurde. Dieser Taifun war
einer der stärksten, der jemals von Meteorologen registriert wurde, und hat auf den Philippinen schwerste Verwüstungen angerichtet - ganz besonders auf den Inseln
Samar und Leyte.
Die Bilder, die uns in den letzten Tagen erreicht und
erschüttert haben, zeigen Städte und Landschaften, die in
einem geradezu apokalyptischen Ausmaß zerstört sind.
Besonders schlimm hat es die Stadt Tacloban getroffen,
die völlig zerstört worden ist. Aber auch in anderen
Präsident Dr. Norbert Lammert
Teilen der Philippinen sind Millionen Menschen vom
Sturm betroffen. Nach Schätzungen der Behörden sind
mehrere Tausend Tote zu beklagen. Die materiellen
Schäden sind noch gar nicht abzuschätzen, aber schon
jetzt ist offensichtlich, dass viele, sehr viele Menschen
ihre Existenzgrundlage verloren haben.
Die Menschen auf den Philippinen brauchen jetzt vor
allem Hilfe - schnell und konkret. Schon unmittelbar
nach den ersten Meldungen über die Katastrophe haben
Regierungen und Hilfsorganisationen aus aller Welt ihre
Hilfe zugesagt. Auch die Bundesregierung hat rasch
Hilfsgüter zur Verfügung gestellt, um die erste Not zu
lindern. Zahlreiche Helfer aus Deutschland sind bereits
vor Ort oder auf dem Weg, um den Menschen zu helfen.
Viele Menschen in unserem Land beteiligen sich mit beachtlichen Spenden an den Bemühungen zur Bewältigung der riesigen Probleme und Aufgaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen auf
den Philippinen machen in diesen Tagen eine unendlich
schwere Zeit durch. Wir in Deutschland können das Leid
nur erahnen, aber nicht ermessen. Aber wir wollen Ihnen, Frau Botschafterin, deutlich machen, dass wir in
unseren Gedanken bei Ihnen und bei den Menschen in
Ihrem Land sind und nach Kräften dabei helfen wollen,
Schäden zu beseitigen und Leid zu lindern. Unsere
Trauer und Anteilnahme gilt den Angehörigen der Opfer,
unser Mitgefühl den betroffenen Menschen und unser
Dank und Respekt all denen, die nach Kräften helfen;
manche auch über ihre Kräfte hinaus. Vielen Dank.
({3})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 28./29. November 2013 in Wilna
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor, über den wir am Ende der Debatte befinden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 94 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Botschafterin, auch
im Namen der Bundesregierung möchte ich noch einmal
die herzlichen Wünsche an das philippinische Volk von
diesem Ort aus überbringen. Der Bundesaußenminister
steht in ständigem Kontakt. Ich habe mit dem Präsidenten Aquino persönlich telefoniert. Sie dürfen wissen,
dass wir alles, was in unseren Möglichkeiten steht, tun
werden, um dem philippinischen Volk in dieser schweren Stunde zur Seite zu stehen.
({0})
Meine Damen und Herren, in zehn Tagen wird in Vilnius der dritte Gipfel der Östlichen Partnerschaft stattfinden. Auf Einladung der litauischen Ratspräsidentschaft,
der Präsidentin Dalia Grybauskaite, treffen dort alle Mitgliedstaaten der EU mit den Vertretern der sechs osteuropäischen Partnerländer Moldau, Georgien, Armenien,
Ukraine, Weißrussland und Aserbaidschan zusammen.
Ich werde an diesem Gipfel wie an den beiden früheren
Gipfeln in Prag und Warschau teilnehmen. Mit meiner
Teilnahme möchte ich die Verbundenheit Deutschlands
und der gesamten Europäischen Union mit unseren östlichen Nachbarn unterstreichen. Es ist unser gemeinsames
strategisches Interesse, die Weiterentwicklung dieser
Länder zu fördern, die Transformation in den Bereichen
Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung zu unterstützen und die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder zu stärken.
Ich sehe in der Östlichen Partnerschaft ein großes
Potenzial. Sie ist ein eigenständiges Instrument europäischer Politik, das unseren osteuropäischen Nachbarn
eine völlig neue Qualität der Annäherung ermöglicht.
Sie steht neben anderen strategischen Partnerschaften,
die der Europäischen Union wichtig sind, wie etwa der
Partnerschaft mit Russland oder den Verhandlungen über
ein Freihandelsabkommen wie zum Beispiel mit den
Vereinigten Staaten von Amerika.
An dieser Stelle möchte ich aus aktuellem Anlass
auch wenige Sätze zu Amerika sagen. Die Beratungen
mit Amerika zeigen, dass solche Verhandlungen zum
Beispiel über Freihandelsabkommen immer mehr sind
als Beratungen über Wirtschaft und freien Handel; es
geht bei solchen Verhandlungen immer auch um Vertrauen. Deutschland und Amerika teilen gemeinsame Erfahrungen, Werte und Interessen. Wir stehen gemeinsam
für freiheitliche, offene und demokratisch verfasste Gesellschaften. Das transatlantische Verhältnis und damit
auch die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen werden gegenwärtig ganz ohne Zweifel durch die im Raum stehenden Vorwürfe gegen die
USA um millionenfache Erfassung von Daten auf eine
Probe gestellt. Die Vorwürfe sind gravierend; sie müssen
aufgeklärt werden. Und wichtiger noch: Für die Zukunft
muss neues Vertrauen aufgebaut werden.
({1})
Das kann nur durch Transparenz einerseits und das Bewusstsein andererseits geschehen, dass das transatlantische Verhältnis für beide Partner - ich betone: für beide
Partner -, gerade aber auch für Deutschland wesentlicher Garant unserer Freiheit und unserer Sicherheit ist.
Ich sage deshalb ausdrücklich: Trotz allem sind und bleiben das deutsch-amerikanische und das transatlantische
Verhältnis von überragender Bedeutung für Deutschland
und genauso für Europa.
Meine Damen und Herren, das steht im Übrigen in
keiner Weise im Gegensatz dazu, dass Deutschland und
Europa größtes Interesse an weiteren Instrumenten europäischer Politik haben. Dazu gehört auch die Östliche
Partnerschaft. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die
Östliche Partnerschaft ist kein Instrument der EU-Erweiterungspolitik. Es geht im Rahmen der Östlichen PartBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
nerschaft nicht um EU-Beitrittsperspektiven; es geht vielmehr darum, unsere Partner bei der Demokratisierung und
Modernisierung zu unterstützen, indem wir politische
Annäherung und wirtschaftliche Integration anbieten.
Dabei lassen wir uns von den Grundsätzen der Konditionalität und der Differenzierung leiten. Das heißt, dass
die Länder, die auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaat mehr oder weniger voranschreiten, auch unterschiedlich behandelt werden und damit unterschiedlich
von der EU-Förderung und der Kooperation profitieren
können. Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig: erstens eine erfolgreiche Transformation unserer Partnerländer, zweitens ihre souveräne Entscheidung über ihre politische Ausrichtung und drittens
die Kontakte von Mensch zu Mensch.
Eine gute wirtschaftliche und politische Entwicklung
unserer östlichen Nachbarn ist von großer Bedeutung,
und zwar nicht nur für unsere Partner, sondern auch für
die Stärke und den Wohlstand der Europäischen Union.
Auch deshalb müssen wir unser Engagement für unsere
Nachbarn entschlossen fortsetzen. Unsere Partnerschaft
verpflichtet nämlich beide Seiten: Wir wollen den wirtschaftlichen Austausch und die Kontakte zwischen unseren Gesellschaften, zwischen der EU und ihren Partnern
wie auch zwischen den Partnern untereinander.
Den Zivilgesellschaften in den östlichen Partnerländern kommt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle
zu. Sie müssen diesen Wandel tragen, fordern und fördern. Sie sollen die politische Annäherung ihrer Länder
an die EU und die Chancen der wirtschaftlichen Integration erleben und gestalten können. Dieser besondere
Schwerpunkt nicht nur im Bereich der Regierungszusammenarbeit, sondern ebenso des Zusammenwirkens
der Menschen drückt sich auch darin aus, dass beides,
die wirtschaftliche Kooperation und die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften, elementare Bestandteile
der Östlichen Partnerschaft sind.
Dafür haben wir bestimmte Instrumente in der Hand.
Sie klingen oftmals sehr technisch, aber sie bedeuten in
jedem einzelnen Fall konkrete Verbesserungen des Zusammenlebens. Dazu gehören Assoziierungs- und Freihandelsabkommen ebenso wie Erleichterungen in Visafragen. Wesentlich für das gegenseitige Verständnis ist
die Teilnahme junger Menschen aus den östlichen Partnerländern an EU-Programmen wie ERASMUS und anderen. All diese Elemente tragen zu einer zunehmenden
Orientierung der östlichen Partner an unseren Werten
und unseren Standards bei.
Auf dem kommenden Gipfel wollen wir mit Moldau
und Georgien Assoziierungs- und umfassende Freihandelsabkommen paraphieren. Beide Länder haben in den
vergangenen Jahren eine insgesamt positive Entwicklung genommen. In Georgien kam es zu einem friedlichen Regierungswechsel durch demokratische Wahlen
und einer Verbreiterung des gesellschaftlichen Konsenses über die Ausrichtung des Landes.
Die Republik Moldau hat unter den östlichen Partnern
trotz mancher innenpolitischer Turbulenzen die vielleicht größte Entschlossenheit bei der Verabschiedung
und Umsetzung von Reformen gezeigt. Damit die anstehende Paraphierung der Assoziierungs- und Freihandelsabkommen auch rasch wirksam werden kann, haben wir
uns beim letzten Europäischen Rat in Brüssel dazu verpflichtet, die Voraussetzungen für eine anschließende
Unterzeichnung schnellstmöglich zu schaffen.
Unsere Beziehungen zu Moldau und Georgien werden dadurch enger denn je. Die ausgehandelten Verträge
ermöglichen es diesen Ländern, eine Annäherung an die
EU von bislang einmaliger Tiefe und auch Themenbreite
zu erreichen. Sie gewähren Chancen zur wirtschaftlichen
Entwicklung, zur Modernisierung der Gesellschaften
und der Staatswesen sowie zur Unterstützung beim Aufbau eines modernen Rechtsstaats. Dieser wiederum kann
die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionen
und Handel, aber auch für den Kampf gegen Korruption
stärken. Das sind die Chancen, die der Abschluss eines
Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union für ein Land der Östlichen Partnerschaft bieten kann.
Eine solch enge Anbindung an die EU bringt jedoch
auch Verpflichtungen mit sich. Das ist vor allem die Verpflichtung zur Implementierung dessen, was wir vereinbart haben. Das Freihandelsabkommen verpflichtet unsere Partner zum Beispiel zur Übernahme europäischer
Standards. Dies ist zum Teil eine große Herausforderung
für die Volkswirtschaften der betroffenen Länder, die
- und da dürfen wir uns wirklich nichts vormachen viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Wirtschaft ist dabei
nur ein wichtiges Kapitel in den Assoziierungsabkommen.
Ebenso wichtig ist, dass die Assoziierungsabkommen
ihre Unterzeichner zur Wahrung von Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und Menschenrechten verpflichten.
Das führt uns natürlich zu unseren Beratungen mit der
Ukraine. Allein schon die Größe verleiht der Ukraine besonderes Gewicht innerhalb der Östlichen Partnerschaft.
Mit ihr ist die EU in der Gestaltung ihrer neuen vertraglichen Beziehungen am weitesten fortgeschritten. Wir
haben der Ukraine in der Vergangenheit immer deutlich
gemacht, dass die neue vertragliche Qualität der Zusammenarbeit, dass die gemeinsame Verpflichtung auf europäische Werte wie Demokratie, Rechtsstaat und Bürgerfreiheiten mehr als ein Lippenbekenntnis sein muss.
Die EU-Außenminister haben beim Außenrat im Dezember 2012 insbesondere drei Bereiche genannt, in
denen Fortschritte nötig sind: erstens bei der Reform der
Wahlgesetzgebung, zweitens bei Schritten zur Beendigung der sogenannten selektiven Justiz, wofür symbolhaft der Fall von Julija Timoschenko steht, und drittens
bei der Implementierung der Assoziierungsagenda. Ich
möchte an dieser Stelle erneut betonen: Wir erwarten
von der Ukraine glaubhafte Schritte zur Erfüllung der
Voraussetzungen für eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens. Wir erwarten, dass dieser Prozess
nachhaltig und unumkehrbar umgesetzt wird.
Es steht außer Zweifel, dass die Ukraine weiterhin vor
großen Reformanstrengungen im Innern steht. Eine zusätzliche enorme Herausforderung für die Ukraine ist die
Haushaltskonsolidierung. Ohne solide Finanzen wird es
das Beistandsabkommen mit dem IWF nicht geben kön26
nen. Wir glauben, dass ein solches Beistandsabkommen
mit der Ukraine dringend notwendig wäre. Daran hängen auch die substanziellen bilateralen Kredite der EU
als Makrofinanzhilfe, insgesamt mehr als eine halbe
Milliarde Euro. Hier ist unser stetiger Rat an die
Ukraine, die nötigen Reformen zu unternehmen. Diese
Schritte können wir der ukrainischen Regierung nicht
abnehmen. Sie müssen auch unabhängig von der Unterzeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens unternommen werden. Wir wissen, dass Reformen
nicht von heute auf morgen vollständig umgesetzt werden können. Wir möchten auch die Ukraine bei ihren Reformen mit Kooperationsangeboten und mit finanziellen
Mitteln der Europäischen Nachbarschaftspolitik unterstützen, aber die Voraussetzungen dafür muss die
Ukraine selbst schaffen, und zwar nicht irgendwann,
sondern jetzt.
In diesen Tagen - ich sagte ja, es sind noch zehn Tage
bis zu dem Gipfel - findet eine Vielzahl von Gesprächen
statt, ebenso Beratungen im ukrainischen Parlament.
Heute muss ich Ihnen hier sagen: Es ist noch nicht abzusehen, ob die Ukraine willens ist, die Voraussetzungen
für eine mögliche Unterzeichnung zu schaffen. Heute
und morgen debattiert auch der Außenministerrat in
Brüssel über genau dieses Thema. Wenn die Ukraine unsere Erwartungen erfüllt und wir somit unterzeichnen
können, dann könnten wir der Ukraine nicht zuletzt über
eine breite vorläufige Anwendbarkeit des Abkommens
auch für den Fall den Rücken stärken, dass sie sich mit
Nachteilen seitens Russlands konfrontiert sieht.
Wir wissen, dass die Entscheidung für die Anbindung
an die Europäische Union nicht nur der Ukraine, sondern
unseren Partnern insgesamt nicht leichtfällt. In den letzten Monaten sahen sich einige von ihnen zum Teil erheblichem Druck ausgesetzt. Ich werde mich deshalb auch
in Vilnius dafür einsetzen, dass die EU diesem Druck
konkrete Chancen und gelebte Solidarität entgegensetzt,
sei es durch zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Produkte unserer Partner, die zum Beispiel nicht nach Russland eingeführt werden dürfen, oder durch Hilfe bei der
breiteren Aufstellung ihrer Energieversorgung.
Um es klar zu sagen: Die Länder entscheiden allein
über ihre zukünftige Ausrichtung. Ein Vetorecht Dritter
kann es nicht geben. Das ist unser Verständnis der uneingeschränkten gegenseitigen Achtung der Entscheidungsfreiheit, wie sie in der OSZE-Charta festgeschrieben ist.
Ich habe diese Frage auch in meinen Gesprächen mit
dem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer wieder thematisiert. Ich habe wiederholt deutlich gemacht,
dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die bilateralen vertraglichen Beziehungen, die die EU mit
ihren Partnern abschließen will, gegen Russland richten.
Im Gegenteil: Von der Stärkung und Modernisierung der
Volkswirtschaften unserer osteuropäischen Partner würde,
so ist unser Verständnis, auch Russland profitieren. Die
EU hat immer wieder Gesprächsangebote an Russland
gerichtet, um die beiderseitigen Vorteile einer Kooperation herauszuarbeiten. Wir müssen - das ist meine tiefe
Überzeugung - weiter daran arbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen einer Annäherung der Länder der
Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen
Bemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern geben sollte. Die EU hat Russland dafür Vorschläge
unterbreitet, über die wir schnellstmöglich sprechen
müssen.
Armenien hat sich in dieser Situation für den Beitritt
zur Zollunion Russlands, Weißrusslands und Kasachstans und damit gegen die Paraphierung des ausgehandelten Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit
der EU entschieden. Selbstverständlich akzeptieren wir
diese Entscheidung. Gleichzeitig werden wir Wege für
eine künftige Zusammenarbeit der EU mit Armenien finden. Sie wird nicht die besondere Qualität der Kooperation mit Georgien oder Moldau haben, aber Armenien
bleibt ein wichtiger östlicher Partner.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zu
Weißrussland sagen: Dies ist und bleibt das schwierigste
Kapitel im Bereich der Östlichen Partnerschaft. Seit der
erneuten Repression im Zuge der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 sind unverändert politische Gefangene in Haft. Bürger, die sich um Pluralität in dieser
Gesellschaft bemühen, wurden hinter Gitter gebracht.
Ich denke unter anderem an Ales Beljazki, den Träger
des Menschenrechtspreises des Europarates. Wir alle
stehen dafür ein, dass diese Menschen wieder frei reden,
handeln und agieren können.
({2})
Auch mit Weißrussland wollen wir die Zusammenarbeit
wieder vertiefen, aber das kann nur gelingen, wenn die
politischen Gefangenen freigelassen und rehabilitiert
werden. Es wäre sehr bedeutend, wenn der Gipfel in Vilnius hier ein Hoffnungszeichen setzen könnte.
Meine Damen und Herren, dieser Gipfel ist eine
wichtige Bestätigung unseres Angebots der politischen
Anbindung und wirtschaftlichen Integration an die östlichen Partner. Mindestens ebenso wichtig ist, dass wir in
der Folge gemeinsam das Potenzial nutzen, das uns diese
Partnerschaft bietet. Wir haben viele Kooperationsfelder
aufgeschlossen, aber wir müssen weiter nachhaltige
Fortschritte erreichen. Der möglichen Unterschrift bzw.
Paraphierung eines Assoziierungs- und Freihandelsabkommens müssen konsequente Umsetzungen folgen.
Die Visaaktionspläne zeigen auf, was nötig ist, um langfristig das Ziel der Befreiung von der Visumpflicht zu erreichen. Die regionale Kooperation bietet viele Möglichkeiten, voneinander zu lernen.
Der Gipfel in Vilnius wird ein wichtiger Meilenstein
auf dem Transformationspfad unserer Partner im Osten
sein. Er wird einen Weg in die Zukunft zeigen, aber er
wird auch deutlich machen, welche Arbeit noch vor uns
liegt. Die Schatten des Kalten Krieges sind nach wie vor
existent, und es ist unsere Aufgabe - gerade auch die
Aufgabe Deutschlands -, einen Beitrag dazu zu leisten,
dass der Kalte Krieg für alle vorbei ist, auch für unsere
östlichen Partner.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({3})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, für meine Fraktion auf die Bundeskanzlerin
antworten zu können. Die Reihenfolge der Redner ist
schon so, wie sie bei einer eventuellen Großen Koalition
sein wird. Offensichtlich gehen CDU/CSU und SPD davon aus, dass ihre Verhandlungen wie auch der Mitgliederentscheid der SPD erfolgreich sein werden, obwohl
man im Moment vom Koalitionsvertrag vor allen Dingen viel Nebel kennt. Die Oppositionsführerschaft bringt
für die Fraktion Die Linke eine besondere Verantwortung. Ich kann den Menschen in unserem Land versprechen, dass wir alles daransetzen werden, dieser Verantwortung gerecht zu werden.
({0})
Beginnen will ich damit, dass es ein Unding ist, dass
wir heute die erste Sitzung des Bundestages - einmal abgesehen von der Wahl des Präsidiums - seit Juni haben.
({1})
Ja, wir hatten eine Bundestagswahl. Ich hoffe, dass das
Gerücht nicht stimmt, dass die Frau Bundeskanzlerin
eine geheime Absprache mit der FDP hat, so lange zu
verhandeln, bis die Legislaturperiode zu Ende ist. Ich
hoffe, dass das wirklich nicht den Tatsachen entspricht.
({2})
Fakt ist: Sie machen mit Ihren Koalitionsverhandlungen das Parlament zur Geisel. Sind das bereits die Vorboten der Großen Koalition? Wir erwarten nichts anderes als Respekt gegenüber dem Parlament. Nicht die
amtierende Bundesregierung und auch nicht eine Bundesregierung in spe, sondern der Deutschen Bundestag
ist der Souverän.
({3})
Wie wollen Sie den Menschen, die uns gewählt haben,
erklären, dass Sie uns nicht arbeiten lassen? Dies trifft
im Übrigen auf die Oppositionsabgeordneten wie auch
auf die meisten Regierungsabgeordneten zu. Wir alle
werden hier nicht fürs Rumsitzen bezahlt. Ich sehe nicht,
dass der heutige Sitzungstag dem Anspruch, als Parlamentarier aktiv zu werden, gerecht wird.
Es ist gut, vor dem Gipfel über die osteuropäische
Partnerschaft zu sprechen.
({4})
Es muss jedoch die Frage erlaubt sein, warum wir uns
heute damit beschäftigen, jedoch nicht mit den Themen,
die vielen, vielen Menschen noch viel mehr auf den Nägeln brennen, abgesehen von der NSA-Debatte, die ja,
seitdem es das Handy der Bundeskanzlerin betrifft, von
der Regierung nicht mehr totgeschwiegen oder für beendet erklärt werden kann. Das ist aber bei weitem nicht
das einzige Thema, dem wir uns widmen müssen.
Dringend wäre geboten, die schwache Binnenkonjunktur in Deutschland zu behandeln, die Gefahr einer
dauerhaften Depression oder Deflation in Europa, die
Enteignung der Kleinsparer durch negative Realzinsen,
die Bankenunion oder - die Bundeskanzlerin hat ein
paar Worte dazu gesagt - das Freihandelsabkommen mit
den USA. Darüber müssen wir wirklich einmal reden,
und zwar auch kontrovers. Das alles sind Themen, die
die Mehrheit der Menschen in Deutschland bewegen.
Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Euro-Krise
vorbei ist, wenn sich Irland und Spanien demnächst das
Geld wieder teuer auf dem Finanzmarkt leihen müssen!
Das vermehrt vielleicht sichere Profite für Banken, die
sich das Geld momentan quasi umsonst von der Europäischen Zentralbank leihen können. Aber die Krise macht
doch keine Pause. Sie wird derzeit nur mit billigem Geld
zugeschüttet.
Morgen soll eine neue Kredittranche aus dem sogenannten Rettungsschirm an Portugal freigegeben werden. Wollen Sie das den Menschen verschweigen? Wollen Sie verhindern, dass Ihre Europapolitik debattiert
wird? Darüber muss geredet werden! Aus diesem Grund
haben wir eine etwas kreative Aufsetzungsarbeit betrieben und einen Entschließungsantrag zur Krisenpolitik
gegenüber Portugal in die heutige Debatte eingebracht,
zu dem ich gleich noch ein paar Worte sagen werde.
Aber nun zur europäischen Partnerschaft
({5})
und zum diesbezüglichen Gipfel in Vilnius. Natürlich
begrüßen wir als Linke eine engere Zusammenarbeit
({6})
mit den östlichen Nachbarn der EU. Ja, vielleicht muss
man auch im deutschen Parlament noch einmal deutlich
sagen, dass Europa bis zum Ural geht und dass viele ehemalige Sowjetrepubliken und Russland genauso zu Europa gehören wie Frankreich, Spanien oder Griechenland.
({7})
Deshalb ist es gut, dass es mehr Handel, mehr Austausch
geben soll, dass diese Beziehungen den Menschen in
ganz Europa zugutekommen sollen.
Ja, Frau Bundeskanzlerin, wir aus den neuen Ländern
haben da eine besondere Verantwortung. Für die neuen
Länder ist das auch eine Chance. Wir wissen, dass viele
traditionelle Verbindungen in diese Länder zusammengebrochen sind. Es gibt sie aber noch. Vor allen Dingen
- das wissen wir beide - gibt es einen Erfahrungsvorsprung, insbesondere was Sprachkenntnisse und kulturelle Beziehungen betrifft. Entscheidend wird aber sein,
dass bei der osteuropäischen Partnerschaft nicht die
Dinge, die Europa in die Krise gezwungen haben, ganz
oben stehen: wie die Liberalisierung des Kapitalver28
kehrs, der Freihandel, die Konkurrenz um Löhne nach
unten oder die Konkurrenz um die schlechtesten Arbeitsbedingungen. Nein, das wäre der falsche Weg.
({8})
Es muss vor allen Dingen um Integration gehen; es
darf nicht nur um knallharte Interessenpolitik und nicht
nur um mehr Export aus der EU in diese Länder gehen.
Ein sehr, sehr wichtiger Punkt wären zum Beispiel erleichterte Visabedingungen für die Menschen aus der
Ukraine, aus Belarus, Moldau, Georgien, Armenien und
Aserbaidschan.
({9})
Wenn es für Menschen, die zum Beispiel unter
Lukaschenko leiden müssen - Sie haben das geschildert -,
nur ganz schwer möglich ist, ein Visum erteilt zu bekommen, dann ist das ein Problem. Wir können durch
mehr Offenheit dabei helfen, dass dort Mauern fallen.
Deswegen ist die Visafrage eine zentrale Frage. Tun Sie
etwas, damit diese Menschen leichter nach Deutschland
kommen können!
({10})
Verbessern Sie die Visabedingungen, Frau Bundeskanzlerin! Wenn ich mich recht entsinne, regieren Sie seit
acht Jahren. Jetzt fordern Sie Verbesserungen ein. Das ist
aus meiner Sicht etwas komisch.
({11})
- Immerhin.
Ein sehr wesentlicher Punkt bei diesem Gipfel ist natürlich - Sie haben darauf hingewiesen - das Verhältnis
zu Russland. Es kann nicht das Ziel sein, die osteuropäischen Länder dem Einfluss Russlands zu entziehen und
die traditionsreichen Sonderbeziehungen zu kappen. Gegenteiliges muss das Ziel sein, nämlich gleichzeitig die
Beziehungen zu Russland auszubauen und gemeinsam
mit Russland die Beziehungen zu den osteuropäischen
Ländern zu entwickeln. Das sollte einhergehen mit deutlichen Positionen, zum Beispiel zum unsäglichen Agieren der Putin-Regierung gegenüber Schwulen und Lesben.
({12})
Es ist doch klar, dass Russland dieses Projekt mit Argusaugen beobachtet. Es passt zur NATO-Osterweiterung. Es ist ein Baustein zur Unterstützung transatlantischer Eliten. Es geht der EU offensichtlich nicht um eine
Partnerschaft auf Augenhöhe. Eine Beitrittsperspektive
steht im Moment überhaupt nicht zur Debatte. Man
möchte die eigenen Regeln durchsetzen, wo es günstig
ist, jedoch keine Einflussnahme der anderen Seite riskieren. Es geht darum, beste Bedingungen fürs Kapital zu
schaffen und die Absatzmärkte für die eigenen Produkte
zu erweitern, gerne auch auf Kosten der Wirtschaft der
Partnerländer. Die vielgepriesene Demokratieförderung
dient der EU als Mittel, ihre neoliberale Hegemonialpolitik in den osteuropäischen Ländern fortzuführen.
Das schulmeisterliche Auftreten der EU gegenüber den
osteuropäischen Partnern würde man sich andersherum
selbstverständlich verbitten. Es geht der EU viel zu wenig um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie
({13})
und viel zu viel um Einflussnahme und Machtpolitik.
({14})
Das bedeutet dann auch, dass die EU kein Interesse daran hat, etwa soziale oder ökologische Standards auf hohem Niveau festzuschreiben. So wird eine große Chance
verpasst.
Mir scheint, dass die EU auch bei der osteuropäischen
Partnerschaft unverdrossen weiter auf genau die Rezepte
setzt, die uns in die Krise geführt haben: Liberalisierung,
Freihandel, Lohnkonkurrenz. Im Ergebnis sind zahlreiche Volkswirtschaften Osteuropas der Deindustrialisierung und spekulativen Kapitalflüssen ausgesetzt.
Eine wahrhaftige Östliche Partnerschaft, die diesen
Namen verdient, muss den osteuropäischen Staaten ermöglichen, ihre Wirtschaft zu schützen und sie zu entwickeln, und sollte nicht gegen Russland gerichtet sein.
({15})
Nun ein paar Bemerkungen zu unserem Entschließungsantrag. Die Euro-Krise ist, wie ich gesagt habe,
nicht verschwunden und erst recht nicht überwunden. In
Kürze soll eine neue Kredittranche für Portugal in Höhe
von 5,6 Milliarden Euro, davon 3,7 Milliarden Euro
durch die EFSF, bewilligt werden. Dafür haften auch die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Unser Steuergeld wird verbrannt, weil Portugal aufgrund
der Schuldenlast und der wachstumsfeindlichen Kürzungsdiktate diese Kredite niemals wird bedienen können. Das Memorandum of Understanding sieht gar vor,
dass die Unternehmensbesteuerung in Portugal sinken
soll. Das ist doch alles nicht mehr zu fassen! Portugal
wird nicht gerettet, sondern die Banken und Gläubiger
werden freigekauft; Demokratie und Sozialstaat werden
zerstört. Darum geht es in Wahrheit. Seit Beginn der sogenannten Euro-Rettung stieg die Staatsverschuldung
Portugals auf etwa 128 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist das Niveau, das die Staatsverschuldung in
Griechenland bei Ausbruch der Krise hatte. Die Arbeitslosigkeit ist in Portugal auf über 17 Prozent gestiegen.
Dass die bisherige Europapolitik gescheitert ist, erkennt man, wenn man sich einmal anschaut, wie sich die
Arbeitslosenquote in den europäischen Ländern bei jungen Menschen unter 24 Jahren entwickelt hat: Sie liegt
in Portugal bei 42 Prozent, in Griechenland bei erschreckenden 57,3 Prozent, in Spanien bei 56,5 Prozent. Aber
auch in den Ländern, die später dazugekommen sind, ist
die Situation katastrophal: In Bulgarien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 28,3 Prozent, in der Slowakei bei
31,1 Prozent, in Kroatien bei sagenhaften 52,8 Prozent.
Das alles sind Fakten, die in der Politik einen Aufschrei
hervorrufen müssten
({16})
und zu einem Nachdenken über die bisherige Politik führen müssten. Vor allem darf das kein Muster für die osteuropäische Partnerschaft sein, meine Damen und Herren.
Die Linke fordert daher eine andere, eine verantwortungsvolle Europapolitik. Wir beantragen mit unserem
Entschließungsantrag, dass der deutsche Vertreter im Direktorium der EFSF der Bewilligung der Kredite seine
Zustimmung versagt.
({17})
Wir wollen die privaten Gläubiger Portugals durch einen
Schuldenschnitt in die Pflicht nehmen. Die Eigentümer
der Banken, die Inhaber der Bankanleihen sowie die
Einlagen von ausländischen Banken und Geldmarktfonds sind für die Verluste der Banken heranzuziehen.
({18})
Nur die Einlagen der Kleinsparer und das gewerbliche
Kreditgeschäft müssen abgesichert werden.
Portugal braucht Investitionsprogramme statt Bankenrettungspakete.
({19})
Dafür brauchen wir eine EU-weite Vermögensabgabe für
Millionäre. Allein das Vermögen der europäischen Millionäre - 14 Billionen Euro - übertrifft die gesamte
Staatsverschuldung aller 28 EU-Mitgliedstaaten.
Korrigieren Sie diese Europapolitik! Weisen Sie beim
Gipfel in Vilnius darauf hin, dass diese Fehler nicht wiederholt werden dürfen, sondern dass es eine Kehrtwende
in der Europapolitik geben muss!
Herzlichen Dank.
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Gernot Erler für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Mit Ihrer Genehmigung komme ich
gleich auf den Tagesordnungspunkt „Östliche Partnerschaft“ zu sprechen; ich habe auch vor, dabei zu bleiben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Östliche Partnerschaft hat sich aus der EU-Strategie der ENP, der Europäischen Nachbarschaftspolitik, heraus entwickelt, die
ihren Beginn 2003 hatte. Damit ordnet sich die ÖP in
eine der wichtigsten EU-Strategien neben der EU-Erweiterung ein, nämlich die Schaffung von Regionen kooperierender Staaten rund um die Europäische Union mit
dem Ziel, Stabilität in der EU-Nachbarschaft vor allem
durch gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit und Vertrauensbildung zu erreichen. Zu diesem Programm gehörten und gehören neben der Östlichen Partnerschaft
die Ostseekooperation, der Stabilitätspakt für Südosteuropa, die EMP, der Barcelona-Prozess, die Union für
das Mittelmeer, die Black Sea Synergy und die Zentralasienstrategie der EU, zuletzt auch die Donauraumstrategie.
Der Ansatz ist immer derselbe: Die EU prämiert
- auch mit finanzierten Programmen und Projekten - die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit und wirbt dabei
auch für europäische Werte und Verhaltensweisen. So
steht das auch in dem Programm der Östlichen Partnerschaft, die im Mai 2009 auf dem Gipfel in Prag auf den
Weg gebracht wurde.
Hier war sehr deutlich, dass es da ein besonderes Interesse von Polen gab, das auch noch etwas anderes im
Sinn hatte, nämlich möglichst die Ukraine, das Nachbarland von Polen, näher an die europäische Integration heranzuführen. Offiziell sollte die Östliche Partnerschaft
aber eben gerade nicht eine Beitrittsperspektive für die
sechs beteiligten Länder schaffen. Das haben Sie, Frau
Bundeskanzlerin, eben auch noch einmal unterstrichen.
Es gibt einen Arbeitsrhythmus der ÖP mit Gipfeln
alle zwei Jahre und jährlichen Außenministertreffen. Es
gab schon zwei Gipfel, und wir stehen jetzt vor dem dritten in Vilnius. Viereinhalb Jahre sind jetzt vergangen.
Deshalb ist es vielleicht sinnvoll, einmal eine kritische
Zwischenbilanz zu ziehen, und das will ich versuchen.
Dabei will ich zunächst die regionalen Konflikte betrachten. Es war ein Anspruch der Östlichen Partnerschaft, diese Konflikte zumindest zu entschärfen. Ich
muss feststellen, dass die Probleme bei den drei sogenannten Frozen Conflicts weiter virulent sind: Das gilt
für Nagornij Karabach, wo die beiden Konfliktpartner
Armenien und Aserbaidschan eher auf Aufrüstung setzen, als dass es Fortschritte bei dem sogenannten MinskProzess gegeben hätte. Das gilt leider auch für Abchasien und Südossetien, wo es nach wie vor starre
Fronten zwischen Russland und Georgien gibt; vielleicht
können wir jetzt Hoffnung haben, dass sich durch die
Veränderungen in Georgien im Verhältnis der beiden
Länder etwas ändert. Das gilt auch für den TransnistrienKonflikt, in den die Meseberg-Initiative zunächst Bewegung gebracht hat - es hat auch wieder die Fünf-plusZwei-Verhandlungen gegeben -; die meisten Beobachter
sind sich jedoch darin einig, dass das Momentum der
Meseberg-Initiative allmählich ausläuft, aber zumindest
war das ein Teilerfolg.
In der Summe kann man bezogen auf die Konflikte
nicht sagen, dass die regionale Zusammenarbeit besonders gestärkt wurde.
Ganz anders sieht das bei der Heranführung an die
EU aus: Hier setzt Brüssel auf eine Verbindung von Assoziationsagreements mit Freihandelsabkommen, über
die jahrelang verhandelt wurde, verbunden mit einer verlockenden Zugabe, nämlich der Visaliberalisierung. Herr
Bartsch, das, was Sie hier fordern, gehört also ganz offiziell längst zur EU-Politik vor Ort. Daneben gibt es auch
eine vertiefte Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften,
der Civil Societies, der beteiligten Länder. Näheres dazu
wird gleich meine Kollegin Katarina Barley sagen.
Von Anfang an war Belarus wegen der innenpolitischen Situation und auch wegen der Zugehörigkeit zur
Zollunion aus diesen Angeboten ausgenommen. Aserbaidschan musste als Nicht-WTO-Land zunächst auch in
den Wartestand und bekommt jetzt so etwas wie eine
strategische Modernisierungspartnerschaft. Mit den anderen vier Ländern - Ukraine, Moldova, Georgien und
Armenien - wurden erfolgreich entsprechende Assoziierungsabkommen ausgehandelt. Armenien entschied sich
allerdings kürzlich, im Oktober, doch dafür, der Zollunion von Putin beizutreten.
Der Höhepunkt des Gipfels sollte die Unterzeichnung
des Abkommens mit der Ukraine sein. Dieser Erfolg
- das wissen wir leider aus den aktuellen Mitteilungen ist im Augenblick alles andere als gesichert, weil nicht
klar ist, ob die Werchowna Rada, also das ukrainische
Parlament, in letzter Minute noch über einige wichtige
Gesetze, zum Beispiel ein Gesetz über die Reform des
Wahlrechts und ein Gesetz über die Reform der Staatsanwaltschaft, sowie eine Lösung für Frau Timoschenko
entscheidet. Es gibt eigentlich nur noch den morgigen
Tag als Chance dafür, und die Außenminister in Brüssel
schauen im Augenblick tatsächlich nach Kiew, ob das
noch gelingt.
Wie konnte die Östliche Partnerschaft in eine solch
kritische Situation geraten, und wie lässt sich erklären,
dass wir hier womöglich vor einem regelrechten Scheitern der Ostpolitik der EU stehen, wenn morgen in Kiew
nicht noch ein kleines Wunder passiert?
Bei dieser Frage stößt man sehr schnell auf den Faktor Russland. Viereinhalb Jahre nach dem verheißungsvollen Auftakt der Östlichen Partnerschaft muss man
feststellen: Die EU ist nicht müde geworden, zu versichern, dass sich ihre Annäherungspolitik gegenüber den
sechs östlichen Nachbarn nicht gegen die Interessen
Russlands richtet - Frau Bundeskanzlerin, auch Sie haben das eben noch einmal bestätigt -, aber es ist leider
nicht gelungen, die russische Führung davon zu überzeugen. Diese hat sich in einem Denken in geopolitischen
Einflusskonkurrenzen als Nullsummenspiel verfestigt.
Danach versucht die EU ganz einfach, den russischen
Einfluss in dieser Region zulasten von Russland zurückzudrängen.
Der EU ist es auch nicht gelungen, die Russische Föderation von Anfang an in die Aktivitäten der Östlichen
Partnerschaft zum eigenen Nutzen einzubinden. Insofern
steht hier die Zollunion in einer Konkurrenz zu den Assoziationsabkommen der EU. Vielleicht ist es auch nicht
immer von Anfang an klar geworden, dass es hierbei einen logischen Unterschied bzw. ein logisches Entwederoder gibt: Man kann nicht beiden Organisationen angehören.
Dieser Konflikt wurde durch das verstärkt, was
Wladimir Putin im Wahlkampf mit der sogenannten
Eurasischen Union und dem Plan entwickelt hat, bis
2015 eine erweiterte Zollunion zu schaffen und dafür
weitere Mitglieder zu gewinnen. Das ist zwar vielleicht
jetzt mit Armenien und Kirgistan gelungen, aber es ist
völlig klar: Die Ukraine spielt eine entscheidende Rolle
dabei, ob diese Idee einer Neuorganisation des postsowjetischen Raumes gelingen kann oder nicht.
Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass sich tatsächlich eine Art geopolitisches Ringen zwischen Russland und der EU entwickelt hat. Wir sehen auch mit großem Bedauern, in welcher Weise Russland hier Druck
ausübt. Es gibt eine Person namens Gennadij Onischenko,
die es zu einer traurigen Berühmtheit gebracht hat. Das
ist der oberste russische Lebensmittelkontrolleur. Er hat
plötzlich festgestellt, dass es bei ukrainischer Schokolade, bei Wein aus Moldova und bei Milchprodukten aus
Litauen schwerwiegende Probleme gibt, die allerdings
bisher kein anderer Lebensmittelkontrolleur weltweit
festgestellt hat. Natürlich hat das zu Embargosituationen
geführt. Das Signal ist klar: Wer mit der EU kooperiert,
hat Nachteile im Handel mit Russland.
Es gibt auch ein zweites Instrument: den Gaspreis.
Ganz plötzlich hat Armenien, als es sich für die Zollunion entschieden hat, eine Reduktion des Gaspreises in
erheblichem Umfang gewährt bekommen. Der stellvertretende Ministerpräsident Rogosin hat dem kleinen
Land Moldova, nebenbei bemerkt dem ärmsten Land in
ganz Europa, mit einem kalten Winter gedroht. Dieser
Hebel wird also ebenso eingesetzt wie schließlich auch
der Sicherheitshebel. Armenien hat sich auch deshalb so
entschieden, weil es nicht weiß, wie es anders zu einer
größeren Sicherheit in Bezug auf den Konkurrenten
Aserbaidschan kommen soll. Es gibt auch Angebote für
erhebliche Waffenlieferungen an Kiew von russischer
Seite.
Nach viereinhalb Jahren Östlicher Partnerschaft steht
also die EU leider vor einer ziemlich deprimierenden Alternative: Entweder es gibt einen Rückschlag für die
Ostpolitik der EU, oder es gibt einen Dauerkonflikt zwischen Russland und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, die dann auch zu Konflikten mit der EU werden.
Insofern brauchen wir tatsächlich eine Initiative auch
von Deutschland aus, uns kreativ mit dieser Entwicklung
auseinanderzusetzen. Wir brauchen Ideen, wie wir aus
dieser Konfliktlage herauskommen. Denn die Östliche
Partnerschaft ist wertvoll. Sie muss unterstützt werden,
und sie braucht Unterstützung in dieser schwierigen Situation.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, dass die Europäische Union auch jenseits der Euro-Krise vor wichtigen Entscheidungen steht,
die nicht aus dem Blick geraten dürfen. Das Verhältnis
zu unseren Nachbarn im Osten und im Süden ist von
zentraler Bedeutung für ein starkes Europa. Hier wird
sich entscheiden, welche Rolle Europa zukünftig auf der
internationalen Bühne spielen wird. Allerdings wird sich
die Rolle Europas auch daran entscheiden, wie wir mit
dem Freihandelsabkommen mit den USA umgehen. Wir
sind der festen Überzeugung, dass wir, solange die bestehenden Vorwürfe nicht aufgeklärt sind, die Verhandlungen mit den USA aussetzen müssen; denn wir können
schlecht mit jemandem verhandeln, der gleichzeitig unsere Position ausspäht. Dann handelt es sich fast um ein
Verhandeln der anderen Seite mit sich selbst. Das macht
keinen Sinn.
({0})
Noch eine kleine Anmerkung zur Linken. Herr
Bartsch, Sie haben beklagt, dass das Parlament nicht
häufiger tagt. Heute tagt das Parlament, und wir beraten
über das wichtige Thema Östliche Partnerschaft. Und
was machen Sie? Anstatt über dieses Thema zu sprechen, nutzen Sie diese Debatte für Klamauk.
({1})
Sie führen Ihre eigene Forderung, eine vernünftige Debatte im Parlament zu führen, ad absurdum, wenn Sie die
erste Gelegenheit dafür missbrauchen.
({2})
Die Menschen südlich und östlich von uns setzen
große Hoffnungen in die Europäische Union. Sie sehnen
sich nach einer europäischen Perspektive und wünschen
sich ein entsprechendes Signal von Europa; denn diese
Menschen kennen die großen Vorteile, die Europa bietet.
Aber sie dürfen sie nicht selbst erfahren, zum Beispiel
die Reisefreiheit. Deshalb wünschen sich diese Menschen, Teil Europas, Teil der Europäischen Union zu
werden.
Nehmen wir als Beispiel die Visapolitik. Frau Kanzlerin, Sie haben angedeutet, dass eine Vereinfachung bei
der Visaerteilung das Leben der Menschen östlich der
EU erleichtern würde. Frau Kanzlerin, dann setzen Sie
sich doch dafür ein! Die Liberalisierung der Visapolitik
ist der Schlüssel für Reformen und gesellschaftlichen
Wandel.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geplante Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist von zentraler
Bedeutung. Wir Europäer dürfen uns gegenüber der
Ukraine nicht verschließen. Wir müssen das Bedürfnis
der Menschen in der Ukraine nach einer Anbindung an
die EU ernst nehmen und signalisieren: Wir wollen eine
Partnerschaft und eine enge Zusammenarbeit, weil sie
im Interesse der Menschen in der Ukraine und der Menschen in der EU liegt. Aber Sie, Frau Bundeskanzlerin,
bleiben auf halbem Wege stehen. Natürlich geht es langfristig auch um eine EU-Beitrittsperspektive unserer östlichen Nachbarn.
({4})
Es ist richtig, dass die Europäische Union dabei hohe
Ansprüche an den Annäherungsprozess der östlichen
Nachbarn stellt. Die EU beruht auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Diese Werte sind
nicht verhandelbar. Wer näher an die EU heranrücken
will, muss diese Werte teilen. Darin stimmen wir alle
hier im Hause sicherlich überein.
({5})
Herr Janukowitsch ist weit davon entfernt, unseren
Standards zu genügen. Die ukrainische Regierung mauert
nicht nur im Fall Julija Timoschenko. Wichtige Reformen
in den Bereichen des Wahlrechts und des Justizsystems
wurden noch nicht umgesetzt. Janukowitsch muss zeigen,
wofür er steht: für Rechtsstaatlichkeit und damit für eine
Hinwendung nach Europa - das will die Mehrheit der
Ukrainerinnen und Ukrainer - oder für eine reaktionäre
Politik der Unfreiheit, was bedeuten würde, dass er sich
endgültig in die Abhängigkeit von Putin begibt. Frau
Bundeskanzlerin, es reicht nicht, Julija Timoschenko nur
symbolhaft zu erwähnen. Das geht so nicht. Wir sollten
uns alle doch einig sein: Präsident Janukowitsch muss
Julija Timoschenko freilassen.
({6})
Bei bloßen Appellen darf es aber nicht bleiben. Wenn
es in Vilnius zu Unterschriften kommt, ist die Gefahr
groß, dass Putin die östlichen Partner unter Druck setzen
wird. Putin könnte - genauso wie in der Vergangenheit den Druck auf die Ukraine erhöhen und mit Handelsbarrieren oder ruinösen Gaspreisen versuchen, die Daumenschrauben anzuziehen. Wird Deutschland in den kommenden Wochen deutliche Worte gegenüber Moskau
finden? Wird Deutschland in einem solchen Fall helfen
und Solidarität zeigen? Das wird dann die Herausforderung sein. Wir hoffen, dass es keinen Rückfall in die
Russlandpolitik der letzten Großen Koalition geben
wird. Wenn Putin der Ukraine den Erdgashahn zudreht,
werden die Menschen nicht mit warmen Worten durch
den Winter kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir die
Einigkeit dieser Debatte auch in einer weiteren Herausforderung der Europapolitik wünschen. Es geht kein Gespenst in Europa um, es ist eine reale Gefahr: Sie heißt
Rechtspopulismus. Wilders, Le Pen und andere wollen
sich in einer unheiligen Allianz gegen die europäischen
Werte der Solidarität und der Freiheit verbünden. Wem
diese Werte wichtig sind, der muss sich gegen diese Gefahr stemmen. Ich finde, das sollten wir alle tun.
({7})
Aber das muss sich dann auch im Handeln widerspiegeln. Wer den Antieuropäern die Stirn bieten will, der
darf nicht per Protokollerklärung gleichzeitig europäischen Krisenstaaten mit dem Rausschmiss drohen, wie
das die CSU gemacht hat. Kaum feiert die AfD erste Erfolge, wird die CSU nervös und bringt sich selbst in die
Nähe des Rechtspopulismus.
({8})
Der Populismus Seehofer’scher Prägung ist schon in der
Mautdebatte schwer zu ertragen, aber in der Europapolitik ist er schlicht und einfach unverantwortlich.
({9})
Wir erwarten von Ihnen, Frau Kanzlerin, diesem Treiben
endlich ein Ende zu setzen. Das sind Sie Deutschland
und Europa schuldig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir eines aus
unserer gemeinsamen Geschichte wissen, dann ist es
dies: Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit
sind ein Nährboden für Ressentiments und Extremismus.
Wer Europas Zusammenhalt bewahren will, der muss
mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa tun, der
muss den Menschen, gerade den jungen, wieder Zukunft
bieten. Die Krisenpolitik der Bundesregierung hat diese
Zustände auch mit verursacht, nicht weil Sie auf Konsolidierung und Reformen gedrängt haben, sondern weil
Sie die andere Seite der Medaille ignoriert haben. Wir
müssen den Ländern in der Krise helfen, zu investieren,
ihnen einen Green New Deal bieten, ihnen neue Perspektiven bieten, auch neue wirtschaftliche Perspektiven - und
das muss jetzt getan werden.
({10})
Stattdessen haben Sie Symbolpolitik gemacht, wie so
oft. Eine Jugendgarantie haben Sie ausgesprochen, aber
dann kam nichts mehr hinterher. Das ist peinlich. Leider
sieht es sehr danach aus, dass sich daran wenig ändert.
Der Zwischenstand Ihrer Koalitionsberatung für die
Große Koalition ist zwar ein schönes Stück - manchmal
auch ein weniger schönes Stück - deutscher Prosa, aber
ehrliche, entschlossene Lösungen für die Massenarbeitslosigkeit Europas finden sich bisher nicht darin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre
Wende in der Krisenpolitik beschränkt sich bis jetzt auf
ein paar schöne Überschriften. Das reicht nicht. Ich wünsche Ihnen, aber vor allem Europa, dass Sie in den kommenden zwei Wochen diese Kraft noch finden.
Vielen Dank.
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Volker Kauder das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Ja, wir reden heute über die Östliche Partnerschaft. Die
Bundeskanzlerin hat dazu, so wie es auch vorgesehen
und gewünscht ist, dem Deutschen Bundestag vor einem
solchen Gipfel einen Bericht gegeben, damit wir darüber
diskutieren. Natürlich, Herr Kollege Bartsch, kann man
es auch so machen wie Sie und noch einige andere
Punkte mit in die Debatte hineinnehmen. Das will ich
jetzt gar nicht einmal kritisieren.
({0})
Aber ich finde schon: Wenn man das macht, sollte
man nicht an mehreren Stellen Falsches sagen. Sonst erweckt man den Eindruck, wie Sie es gemacht haben,
dass man nicht auf der Höhe der Zeit ist. Jetzt will ich
Ihnen einmal Folgendes sagen:
({1})
Sie haben gesagt, seit Juli habe es keine Sitzung des
Deutschen Bundestages mehr gegeben. Ich möchte doch
einmal wissen, wo Sie am 2. und 3. September waren.
Da hatten wir nämlich Sitzungen des Deutschen Bundestages.
({2})
Waren Sie vielleicht nicht da? Oder haben Sie das nicht
zur Kenntnis genommen? Damals haben wir beispielsweise über den Haushalt diskutiert und auch über
Europa.
Dann haben Sie Kroatien angesprochen und gesagt,
dass es in Kroatien eine Jugendarbeitslosigkeit von
52 Prozent gibt. Das stimmt,
({3})
aber Sie haben damit den Eindruck erweckt, dass diese
Jugendarbeitslosigkeit entstanden sei, weil Kroatien in
die EU eingetreten ist. Kroatien ist aber gerade einmal
ein paar Monate in der EU. Sie sind mit den 52 Prozent
Jugendarbeitslosigkeit in die EU gekommen, Herr
Bartsch,
({4})
und wollen jetzt eine bessere Situation erreichen. Es ist
nicht so, wie Sie es erzählt haben. Also, in zwei Punkten
liegen Sie völlig daneben.
({5})
Das legt den Verdacht nahe, dass auch Ihre anderen
Punkte nicht stimmen.
({6})
Angesichts dessen, dass Sie für die führende Oppositionsfraktion gesprochen haben, müssen Sie schon noch
ein bisschen üben. Das war noch nicht so, wie es normalerweise sein soll.
({7})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ja, völlig
richtig: Man kann jetzt das Thema „Was passiert in
Europa?“ behandeln. Wir haben, wie es vorgesehen ist,
den Deutschen Bundestag über die Situation in Portugal
und über die Auszahlungen, die dort stattfinden, informiert. Die Troika hat, wie es das Gesetz vorsieht, ihren
Bericht vorgelegt. Sie hat empfohlen, die Tranchen ausVolker Kauder
zubezahlen. Der Deutsche Bundestag kann dazu eine Erklärung abgeben. Die Tranchen werden nun ausbezahlt.
Eines, Herr Kollege Bartsch, dürfen Sie nicht machen: Sie dürfen hier nicht den Eindruck erwecken, dass
die Menschen in den europäischen Ländern, die es
schwer haben, sich nicht so angestrengt hätten, um dort
zu Erfolgen zu kommen. Ich will Ihnen noch etwas sagen: Es zeigt sich doch, dass wir auf einem guten Weg
sind. Ich sage: Glückwunsch nach Irland und nach Spanien dafür, dass sie mit ihren Anstrengungen so weit gekommen sind, dass sie den Rettungsschirm verlassen
können.
({8})
Sie sollten sich nicht hierhinstellen und so tun, als ob da
nichts geschehen sei.
Wenn man sich die Zinsen anschaut, muss man sagen:
Die Situation hat sich auch in den Ländern, die unter
dem Rettungsschirm sind, erheblich verbessert. Der jetzige Stand unserer Koalitionsverhandlungen ist so, dass
wir uns einig sind, diesen Weg fortzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden auch über
die Östliche Partnerschaft. Das ist ein Thema, das eine
große Bedeutung hat. Es ist völlig richtig, dass sich
Europa nicht allein darauf konzentriert, neue Staaten
aufzunehmen, sondern dass es auch einen Weg sucht,
mit solchen Nachbarn politisch zu kooperieren, die keine
Perspektive haben, in den nächsten Jahren in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Herr Kollege
Erler, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Ja, es muss nun
ein Weg gefunden werden, diese Partnerschaft so auszugestalten, dass sie in erster Linie nicht unter geopolitischen Gesichtspunkten ausgerichtet wird.
Die Bundeskanzlerin hat deshalb zu Recht gesagt:
Wir müssen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft endlich Wege finden, die Politik des Kalten Krieges vollständig zu überwinden. Dabei kommt es darauf an, Russland klarzumachen, dass eine vertiefte, eine nähere
Beziehung zu unseren östlichen Partnern nicht gegen
Russland gerichtet ist. Das kann vielleicht dadurch gelingen, dass wir auch klarmachen, dass es auf der Welt
eine ganze Reihe von Herausforderungen und Gefahren
gibt, die auch uns hier in Europa und in Deutschland bedrohen, und dass es daher notwendig ist, dass Russland
und wir zusammenarbeiten, um an diesen Punkten voranzukommen; ich nenne als Beispiel nur das Stichwort
„Iran“. Es gibt also Aufgaben, die eine solche Dimension haben, dass ich finde, es wirkt geradezu politisch
kleinkariert, wenn Russland meint, es sei eine geopolitische Frage, wie wir in Zukunft unsere Probleme in der
Welt lösen.
Es gibt beispielsweise das Problem des Terrorismus;
dagegen müssen wir miteinander etwas unternehmen. Es
gibt das Problem der Sicherheit der Weltmeere und vieles andere. Ich wäre dankbar, Frau Bundeskanzlerin,
wenn es Ihnen in Ihren Gesprächen mit Putin gelingen
könnte, auch einmal darauf hinzuweisen, dass er der
Welt einen Dienst leisten kann, wenn er einmal ein bisschen weiter als über unsere Östliche Partnerschaft hinausblickt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
hat diese Zusammenarbeit, die Östliche Partnerschaft,
eine ganz zentrale Bedeutung. Es ist angesprochen worden, dass es natürlich um wirtschaftliche Fragen geht.
Zur gleichen Zeit hat die Bundeskanzlerin aber auch
darauf hingewiesen, dass es ebenfalls - gerade in der
Diskussion jetzt mit der Ukraine - um Werte geht, um
Menschenrechte, Demokratie, eine unbestechliche Justiz
beispielsweise. Da wird schon etwas deutlich, was wir
gerade in der heutigen Zeit immer wieder formulieren
müssen, damit die Menschen in unserem Land auch
Orientierung haben: Dieses Europa ist nicht nur eine
Veranstaltung von Euro und Cent, liebe Kolleginnen und
Kollegen; dieses Europa ist vor Euro und Cent zunächst
einmal eine Wertegemeinschaft.
({9})
Das müssen wir auch in der Zusammenarbeit mit anderen deutlich machen. Da, finde ich schon, muss klar
sein, dass wir uns bei der Östlichen Partnerschaft nicht
ausschließlich um wirtschaftliche Dinge kümmern sollten, sondern dass wir auch unsere Werte entsprechend
einfordern müssen.
Ich sage - ich weiß, dass es da auch andere Auffassungen gibt; aber in diesem Saal kann man ja auch einmal unterschiedliche Positionen darstellen -: Wir sind
umso glaubwürdiger darin, dass wir eine Wertegemeinschaft sind, wenn wir diese Werte in Europa auch dann
ernst nehmen, wenn wir wirtschaftliche Interessen haben
und Freihandelsabkommen abschließen, und wenn wir
diese Werte in Verhandlungen mit Ländern einfordern,
die in die Europäische Union kommen wollen.
Das gilt gerade auch in unseren Gesprächen mit der
Türkei. Die Menschenrechte, die Religionsfreiheit etwa,
sind ein Teil unserer Wertegemeinschaft, der umgesetzt
werden muss, bevor wir in Europa ganz zueinander gehören können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({10})
Da hilft es relativ wenig, zu sagen: Ja, wenn es dann mal
so weit ist, wenn dann alle dabei sind, wird das auch so
kommen. - Wenn man diese Auffassung hat, dann kann
man auch vertreten, dass es vorher geklärt werden muss;
denn wir sehen ja in dem einen oder anderen Fall, wie
schwer wir uns tun, unsere Positionen in Ländern, die
zur EU gekommen sind, durchzusetzen. Deswegen halte
ich es für richtig, notwendig und zentral, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie nicht nur das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch diesen Wertetransfer
berücksichtigen.
Dann habe ich noch einen Punkt, den wir uns in diesem Parlament immer wieder vor Augen führen müssen:
Sowohl in der Östlichen Partnerschaft als auch in anderen Bereichen haben wir ein Instrument - neben denen,
die die Bundeskanzlerin angesprochen hat -, das wir
nicht zu klein darstellen dürfen, und das ist unser Instrument der Auswärtigen Kulturpolitik. Deswegen rate ich
dringend, dass wir in den Haushaltsberatungen darauf
Wert legen. Nichts ist im Augenblick erfolgreicher als
Deutsch-Sprachkurse, die unter anderem von unseren
Goethe-Instituten in der ganzen Welt angeboten werden.
({11})
Deswegen glaube ich schon, dass das Thema „Kultur,
Werte, Präsenz in einem Land“ von einer zentralen Bedeutung ist.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihren Gesprächen und Verhandlungen viel Erfolg. Wir brauchen Partner in unserer Region, in Europa. Wir brauchen Partner
auch in der Welt. Gerade im Hinblick auf das, was wir
nachher noch diskutieren, kann ich nur sagen: Was da
von Amerika ausgehend passiert ist, ist nicht schön. Aber ich muss auch sagen: Die Zusammenarbeit mit
Amerika, die Freundschaft mit Amerika wird zwingend
notwendig sein, gerade wenn wir die Östliche Partnerschaft weiter ausbauen wollen.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Roth für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte gibt uns Gelegenheit, eines deutlich zu machen: Europa ist mehr als
diese Krise.
Lieber Kollege Toni Hofreiter, ich will all denjenigen
hier in diesem Saal, die den Koalitionsverhandlungen
skeptisch gegenüberstehen, sagen: Eines ist für uns als
Sozialdemokratie zentral: Wir wollen, dass der Kampf
gegen die Massenarbeitslosigkeit junger Menschen in
Europa ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt wird,
({0})
dass Europa wieder zu sozialer Stabilität zurückfindet
und dass wir die Spaltung in Europa überwinden. Darum
geht es uns. Sie können sich darauf verlassen: Dafür
kämpfen wir, nicht nur in den nächsten Wochen, sondern
über vier Jahre hinweg!
({1})
Aber es ist auch wichtig, dass wir deutlich machen:
Europa ist eben nicht nur die Krise. Europa ist ein faszinierendes Projekt für Frieden, Freiheit, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit. Wenn wir manchmal in Zweifel geraten, ist es gut, den Blick nach außen zu richten und zu
sehen, wie neidisch und fasziniert die Menschen außerhalb der Europäischen Union, gerade in unseren Nachbar- und Anrainerstaaten, auf uns blicken und sagen:
Toll! Was denen gelungen ist, das wollen auch wir erreichen. Diese Werte wollen auch wir für unsere Bürgerinnen und Bürger erstreiten und erkämpfen.
Das sollten wir uns gerade in diesen Wochen und Monaten, in denen wir uns wegen der Krise in Europa
schwertun, immer wieder in Erinnerung rufen; denn
diese Werte sind das eigentliche Fundament Europas. Ich
kann dem Kollegen Kauder nur zustimmen: Es geht
nicht in erster Linie um Euro und um Cent. Es geht um
die Verteidigung von Werten, für die Generationen von
Menschen vieles haben riskieren müssen. Wir haben sie
jetzt. Aber es ist eben auch wichtig, dass wir die Universalität dieser Ideen immer wieder in den Mittelpunkt unserer politischen Arbeit rücken.
So wichtig es ist, dass wir uns derzeit mit uns selbst
beschäftigen, um die Probleme innerhalb der Europäischen Union zu lösen, so wichtig ist es auch, unseren
Partnern im Süden, im Osten und im Westen die Hand
zur gemeinsamen Arbeit zu reichen. Da sind die Herausforderungen in Osteuropa sicherlich besonders groß. Dafür hat jede Bundesregierung unsere volle Unterstützung
verdient.
Dies ist für uns mit einer großen Chance verbunden.
Wir wissen, manches in der Europapolitik stößt bei unseren Bürgerinnen und Bürgern auf große Skepsis. Aber
die Bürgerinnen und Bürger erwarten - das zeigen auch
die jüngsten Umfragen -, dass wir es schaffen, dass
Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer
Stimme zu sprechen vermag. 65 Prozent der Bürgerinnen und Bürger erwarten in Europa mehr Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, mehr
Zusammenarbeit in der Außen- und Entwicklungspolitik. Das sollte für uns ein Auftrag sein, hier etwas ambitionierter zu arbeiten, als das vielleicht in den vergangenen Jahren der Fall war.
({2})
Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier sehr weit auseinander. Ich weiß, in vielen außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist es innerhalb der Europäischen Union
sehr schwierig, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ich nenne in diesem Zusammenhang den Nahen
Osten, den Mittleren Osten und unser Verhältnis zu Israel. Aber trotz der Schwierigkeiten wäre es wichtig,
wenn es die Europäische Union schaffte, sich auf einige
zentrale außen- und sicherheitspolitische Projekte zu
verständigen, und es uns gelänge, dort endlich einmal
voranzukommen.
({3})
Da sehe ich für uns auch Potenzial im Bereich der Östlichen Partnerschaft. Da kann sich etwas bewegen; da
kann sich etwas tun. Dabei geht es nicht alleine um die
Visaerleichterung, die eben zu Recht angesprochen
wurde.
Wir müssen eine weitere Frage klären. In den vergangenen Jahrzehnten war der Umgang mit unseren Nachbarn, die geografisch zu Europa gehören, relativ einfach:
Wir haben, wenn diese Länder einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestellt haben,
das Angebot des Beitritts eröffnet. Hier hat die Bundeskanzlerin sicherlich recht: Es geht bei der Östlichen Partnerschaft nicht um Beitritte. Es muss uns dennoch gelingen, diesen Staaten ein attraktives Angebot auf
Augenhöhe zu eröffnen, bei dem sie spüren: Sie sind
nicht etwa ein Wurmfortsatz Europas, sondern sie gehören zu Europa. Wir haben ein Interesse daran, dass diese
Staaten zu der Stabilität, zu der demokratischen Reife
und zu der Form von Rechtsstaatlichkeit kommen, wie
Michael Roth ({4})
sie in der Europäischen Union, zumindest meistens,
selbstverständlich sind. In dieser Frage müssen wir ambitionierter werden.
Gleiches gilt für den Dialog mit einem für uns ganz
besonders wichtigen Partner, nämlich Polen. Diejenigen
von uns, die sich intensiver mit unseren polnischen Partnern beschäftigen, wissen, dass der Blick unserer polnischen Freunde natürlich auch nach Osten gerichtet ist.
Da wäre es auch in Anbetracht der herausragenden Bedeutung der Verantwortung Deutschlands zentral, wenn
Deutschland und Polen in der Frage, wie mehr Stabilität
für unsere östlichen Nachbarn erreicht werden kann, vorangingen und gemeinsame Initiativen entwickelten.
Diese Initiativen müssten so attraktiv sein, dass alle anderen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union bereit
und in der Lage sind, mitzumachen.
Eines hat mich dann doch ein bisschen überrascht,
Herr Kollege Kauder. Sie haben eben etwas angesprochen, was für meine Fraktion in den vergangenen Jahren
zentral war: unsere Glaubwürdigkeit im Umgang mit
Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten. Wir sind in erster
Linie eine Werteunion. Es ist daher wichtig, wie wir die
Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundwerte innerhalb der Europäischen Union vertreten.
({5})
Ich habe allerdings in den vergangenen Jahren nicht
immer den Eindruck gehabt, dass fraktionsübergreifend
gehandelt wurde, wenn die Wahrung der Grundwerte innerhalb der Europäischen Union infrage gestellt wurde.
({6})
Hier gibt es keine Rabatte; hier darf nichts relativiert
werden. Wir können unsere Werte nur dann glaubhaft
nach außen vertreten, wenn niemand den Anlass hat, daran zu zweifeln, dass wir in unseren eigenen Reihen
ernsthaft und konsequent mit diesen Werten umgehen.
({7})
Ich möchte ganz bewusst einzelne Länder jetzt gar
nicht erwähnen; denn ich will keine kleinkarierte Debatte führen.
({8})
- Ja. Rumänien, Ungarn und auch Italien. Ich könnte
eine ganze Reihe anderer Staaten nennen. Der Antisemitismus in Deutschland gehört selbstverständlich auch
dazu.
({9})
Die Grundrechteagentur hat uns allen ins Stammbuch
geschrieben, dass auch wir, wenn es um die Verteidigung
der Freiheitswerte geht, noch etwas lernen können und
dass bei uns nicht alles nur rosarot ist. Da haben Sie
recht, Herr Kauder. Umso wichtiger ist es, dass wir diese
Werte konsequent verteidigen. Das wäre ein gemeinsames Projekt für diese Legislaturperiode. Ich würde mich
darüber freuen, wenn möglichst viele Fraktionen, vielleicht sogar alle, bereit wären, die SPD in diesem engagierten Kampf zu unterstützen.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Marieluise Beck für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Gipfel von Vilnius erinnert uns daran, dass die Vereinigung Europas noch lange nicht vollendet ist und dass wir
gerade im Westen immer noch Gefahr laufen, Europa
mit der Europäischen Union gleichzusetzen. Aber Europa ist größer. Dieser vielfältige Kontinent ist immer
noch dabei, die Wunden des vergangenen Jahrhunderts
zu schließen. Im kommenden Jahr, im Jahre 2014, werden wir sicherlich noch häufig Gelegenheit haben, über
dieses katastrophale vergangene Jahrhundert zu sprechen, in dem Europa für viele Jahre gespalten war.
Wir können diese Spaltung nun überwinden. Aber
viele von uns müssen das ganze geografische Europa
erst wieder kennenlernen. Ich verkneife mir jetzt einen
Kommentar zu der Linken, die, wo wir doch über den
Osten sprechen, einen Antrag zu Portugal einbringt.
23 Jahre nachdem diese Spaltung begonnen hat, sich
aufzulösen, sind Warschau, Prag und Riga wieder bekannte Namen. Für Städte wie Baku und Kischinau gilt
das weniger. Aber Europa reicht auch bis dorthin. Deswegen, Frau Bundeskanzlerin, widerspreche ich Ihnen
entschieden, wenn Sie sagen, die Östliche Partnerschaft
enthalte keine EU-Beitrittsperspektive.
({0})
Sie nehmen damit die Gründungserklärung der Östlichen
Partnerschaft von 2009 zurück, die diese Frage explizit
offengelassen hat. Auch Sie, Herr Roth, haben eben gesagt, es sei keine Beitrittsperspektive enthalten. Das ist
in der Sache nicht richtig.
({1})
Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Art. 49
des EU-Vertrages ganz klar festhält, dass alle europäischen Staaten das Recht haben, einen Antrag auf Aufnahme zu stellen, sofern sie dem Wertekanon der EU
entsprechen. Ich meine auch, dass Sie mit dieser Aussage, Frau Bundeskanzlerin, die Instrumente der Östlichen Partnerschaft schwach machen - man möchte fast
sagen: noch schwächer, als sie schon sind.
Es kann bei der Östlichen Partnerschaft nicht darum
gehen, die betroffenen Länder zwischen Brüssel und
Moskau zu zerreiben. Mit Blick auf Moskau sage ich:
Alle sechs Länder der Östlichen Partnerschaft sind souverän. Sie haben das Recht, selbst zu entscheiden, welche Verträge sie schließen wollen und welche sie nicht
schließen wollen.
({2})
Marieluise Beck ({3})
Da verbieten sich massiver Druck, wie ihn Russland derzeit ausübt, und eine Erpressung mithilfe von Gaspreisen
und Handelskriegen, um die Länder in einen eurasischen
Block zu zwingen und sie vom Zugang zur EU fernzuhalten. Das ist inakzeptabel, und das müssen wir sehr
deutlich sagen.
({4})
Aber Nachbarschaft hat auch eine Geschäftsgrundlage. Unsere Geschäftsgrundlage heißt: Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Vielfalt.
Das ist gerade auch bei den Entwicklungen in Russland
sehr wichtig.
Wir haben gelernt, dass demokratische Gesellschaften, wenn sie Bestand haben sollen - von Ungarn und
Rumänien war eben die Rede -, nicht von oben eingeführt werden können. Demokratie muss wachsen und
braucht dazu aktive Bürgerinnen und Bürger. Ja, in Belarus herrscht der letzte Diktator Europas. Ich füge hinzu:
In Aserbaidschan sieht es nicht sehr viel besser aus.
Aber die Menschen dort wollen Freiheit. Sie wollen reisen. Deswegen ist die Visumfreiheit eines der wenigen
wirklich wirkungsvollen Instrumente, das wir in der
Hand haben. Wir dürfen dem Präsidenten Lukaschenko
nicht mehr helfen, seine Menschen einzusperren, indem
wir 60 Euro für ein Visum verlangen. 60 Euro sind in einem Land wie Belarus nämlich sehr viel Geld.
({5})
Also muss der erste große wirkungsvolle Schritt sein:
Aufgabe der Zögerlichkeit bei Visumfreiheit. Das gilt
natürlich auch mit Blick auf die Ukraine.
Die EU ist derzeit nicht in bester Verfassung. Das ist
richtig. Aber es ist ein wunderbares Ziel, das ganze Europa zu vereinen. Das braucht Geduld, Klugheit und eine
echte Mitgliedsperspektive für alle Länder Europas. Ich
wünsche mir, dass das ganze Haus in der 18. Legislaturperiode bei dieser Herausforderung zusammenarbeitet.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
Beginn meiner Rede möchte ich Folgendes mitteilen:
Mehrere Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die
Europäische Kommission am 24. Oktober die Auszahlung der nächsten Kredittranche in Höhe von insgesamt
5,6 Milliarden Euro an Portugal vorgeschlagen hat.
Unsere Parlamentsbeteiligungsrechte geben dem Haushaltsausschuss das Recht, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Da wir derzeit noch keinen neuen Haushaltsausschuss haben, fällt das Recht zur Stellungnahme in
diesem Fall dem Plenum zu. Wir haben uns in der CDU/
CSU-Fraktion eingehend mit dem Umsetzungsbericht
beschäftigt. Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die
Auszahlung der nächsten Tranche. Portugal ist insgesamt auf dem richtigen Weg.
({0})
Nun zur Östlichen Partnerschaft. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Überwindung der Teilung gibt es in
Europa noch zwei Regionen, in denen Sicherheit und
Stabilität - und das heißt vor allem Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung - weiter
gestärkt werden müssen; denn je mehr das gelingt, desto
besser kann sich Europa auf die wachsenden Herausforderungen konzentrieren, die von außerhalb unseres Kontinents kommen. Ich nenne nur die Entwicklungen in
Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten.
Eine dieser Regionen ist der westliche Balkan. Hier
sind wir mit dem Assoziierungs- und Erweiterungsprozess auf einem guten Weg. Die andere Region sind die
Länder in unserer östlichen Nachbarschaft. Dort darf es
kein Zwischeneuropa geben. Welche fatalen Folgen die
Entstehung eines Zwischeneuropas hat, wissen wir aus
der Geschichte. Deshalb liegt es im vitalen Interesse der
Europäischen Union, dass diese östlichen Länder eine
klare europäische Orientierung und Verankerung haben
und nicht zwischen ihren großen Nachbarn hin- und hergerissen sind.
Das zu erreichen, ist die große strategische Aufgabe
der Östlichen Partnerschaft. Sie muss ein wirksames Instrument zur Vermeidung eines neuen Zwischeneuropas
und zur Stabilisierung und Stärkung dieser Nachbarschaftsländer sein. Angesichts dieses vitalen Interesses
und dieser großen Aufgabe wünsche ich mir für die Zukunft ein stärkeres Engagement und eine bessere Wahrnehmung dieser Länder durch die Europäische Union.
Einige dieser Nachbarn haben ein starkes Interesse an
einer möglichst engen Zusammenarbeit mit der EU. Andere zeigen zurzeit ein eher geringeres Interesse. Dritte
sind zwischen der EU und Russland hin- und hergerissen. Dennoch ist es richtig, dass die EU allen Ländern
dieser Region auch weiterhin eine möglichst enge Zusammenarbeit anbietet. Assoziierungs-, Freihandels- und
Visaerleichterungsabkommen und eine stärkere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sind und bleiben dafür die besten Instrumente. Aber es ist wichtig, dass die
EU dabei differenzierter vorgeht, nach dem Prinzip:
more for more, less for less.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Gipfel
der Östlichen Partnerschaft Ende des Monats ist - die
Bundeskanzlerin hat es erwähnt - die Unterzeichnung
bzw. Paraphierung einer neuen Generation von Assoziierungsabkommen mit drei Ländern vorgesehen. Diese
sind mit einem sogenannten tiefen und umfassenden
Freihandelsabkommen verbunden. Diese Verträge markieren nicht nur den Weg hin zu einem neuen Niveau
wirtschaftlicher Zusammenarbeit und einer neuen Öffnung auf die europäischen und globalen Märkte. Sie bedeuten auch die schrittweise Annäherung an europäische
Normen und Werte.
Nicht zuletzt eröffnen diese Abkommen den Ländern
die europäische Perspektive einer Teilhabe am Europäischen Wirtschaftsraum - mit allen Vorteilen, wie die
Schweiz oder Norwegen sie haben. Die Eröffnung dieser
Perspektive ist die Kernbotschaft, die von der Unterzeichnung bzw. Paraphierung der Abkommen beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft ausgeht. Die Menschen in
diesen Ländern verbinden damit große Hoffnungen. Das
muss auch der ukrainische Präsident Janukowitsch bedenken, wenn er über den Fall von Julija Timoschenko
entscheidet.
Lassen Sie mich dazu in aller Klarheit sagen: Wir
wollen, dass die Ukraine enger an die EU angebunden
wird. Wir wünschen uns eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens beim Gipfel. Aber es liegt allein in
den Händen der Ukraine, die gemeinsam abgesprochenen Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Das gilt auch mit
Blick auf Frau Timoschenko.
Wir sehen sehr genau, wie Russland versucht, eine
Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der
Ukraine mit allen Mitteln zu verhindern: Neben der altbekannten Energiewaffe werden Handelsembargos,
Boykotts, Importstopps oder gar der totale Zusammenbruch der Ukraine angedroht. Diese Versuche Russlands,
nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Staaten der
Östlichen Partnerschaft, etwa Moldau, unter Druck zu
setzen, weil sie einen anderen Weg gehen wollen, als
Moskau es will, sind eine gravierende Verletzung der
Prinzipien der OSZE-Charta von Paris. Solche Eingriffe
in die Souveränität einzelner Länder sind völlig inakzeptabel. Russland verstößt damit eklatant gegen sein eigenes Konzept eines gemeinsamen wirtschaftlichen und
humanitären Raums Europa.
Auch deshalb ist die Zeit für einen weiteren Schlingerkurs vorbei. Kiew muss jetzt eine klare Entscheidung
treffen. Das heißt auch: Ohne eine Ausreise von Frau
Timoschenko für eine medizinische Behandlung im
Ausland kann es keine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen geben.
Mit Blick auf die angedrohten russischen Vergeltungsmaßnahmen sage ich aber auch: Die EU wird sich
auf jeden Fall mit dem Partner Ukraine solidarisch zeigen. Dafür gibt es bereits die notwendigen Instrumente.
Sie werden umso besser genutzt werden können, je mehr
Kiew die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Östliche
Partnerschaft ist nicht exklusiv oder konfrontativ, und
sie ist vor allem nicht gegen Russland gerichtet. Es
bleibt den östlichen Partnern unbenommen, gute politische und wirtschaftliche Beziehungen mit Russland und
mit der Zollunion zu wahren und gleichzeitig mit weiteren Partnern Freihandel zu treiben. Von einer Modernisierung und wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nachbarstaaten, die durch diese Assoziierungsabkommen
bewirkt werden können, kann auch Russland profitieren.
Das liegt auch in unserem Interesse.
Präsident Putin hat das Projekt eines gemeinsamen
europäischen Wirtschaftsraumes vorgeschlagen. Sein
neues außenpolitisches Konzept wiederholt die Idee eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären
Raums zwischen Atlantik und Pazifik. Ist die Vision gemeinsamer Räume nicht am ehesten über solche Abkommen zu erzielen, die der wachsenden Kooperation und
Annäherung dienen?
Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genau
das Gegenteil des alten Nullsummendenkens, welches in
einer vertraglichen Bindung der Staaten der Östlichen
Partnerschaft an die EU einen Machtverlust sieht statt
die Chance, eine gemeinsame neue Ordnung - auch eine
gemeinsame neue Sicherheitsordnung - zu schaffen.
Deshalb müssen wir mit Russland nicht nur über die unterschiedlichen Konzepte einer Modernisierungspartnerschaft reden, sondern auch über den Umgang mit der
Souveränität der Länder in unserer gemeinsamen Nachbarschaft.
Auf eines möchte ich schon heute hinweisen: Die Unterzeichnung und Paraphierung neuer Abkommen in Vilnius ist nur ein erster Schritt. Danach stellt die Implementierung alle Seiten, auch die EU, vor eine vielleicht
noch größere Herausforderung. Es wird ein langer Weg
werden. Umso wichtiger ist es, dass die Implementierung nach dem Gipfel zügig und im Geiste der Partnerschaft erfolgt und nicht verzögert wird. Eine zügige und
erfolgreiche Umsetzung ist der einzige Weg, um einem
„Zwischeneuropa“ entgegenzuarbeiten.
Herzlichen Dank.
({1})
Als erstem der neu gewählten Mitglieder im Deutschen Bundestag erteile ich jetzt der Kollegin Katarina
Barley das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Sozialdemokratin
kann man die erste Rede im Deutschen Bundestag, vor
allem, wenn es um Osteuropa geht, wahrscheinlich nicht
halten, ohne auf Willy Brandt Bezug zu nehmen, der
nächsten Monat 100 Jahre alt geworden wäre. Willy
Brandt hat 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ostund Entspannungspolitik erhalten. „Wandel durch Annäherung“ war sein großes Thema, und das bedeutete eine
Verständigung auf gemeinsame Ziele und Werte, auf
Ausgleich und Entspannung, insbesondere mit Osteuropa.
Übertragen auf die heutige Debatte heißt das: Die Europäische Union trägt Verantwortung gegenüber ihren
östlichen Nachbarstaaten und der dort lebenden Bevölkerung. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich den in der
nächsten Woche stattfindenden EU-Gipfel zur Östlichen
Partnerschaft in Vilnius. Das Ziel der Politik der Östlichen Partnerschaft ist die Beförderung von Stabilität und
Wohlstand sowie Frieden und Sicherheit in der unmittelbaren Nachbarschaft. Achtung der Menschenrechte, freiheitlich-demokratische Grundordnung, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft sind die Prinzipien, die es zu
stärken und auszubauen gilt.
Die Östliche Partnerschaft zielt auf eine politische
und wirtschaftliche Annäherung der Europäischen
Union an die Ukraine, Georgien, Moldova, Aserbaidschan, Armenien und Belarus.
Es gibt keinen Automatismus für einen Beitritt zur
Europäischen Union. Es geht aber auch nicht um die
Wahl zwischen Russland oder der Europäischen Union.
Alle Länder der Östlichen Partnerschaft haben das souveräne Recht, selbstständig zu entscheiden, mit wem sie
Handelsverträge schließen und Teil welchen Wirtschaftsraums sie werden wollen.
In der Östlichen Partnerschaft haben wir es mit sehr
verschiedenen Partnern zu tun. Ihr Verständnis von
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten
ist teilweise sehr problematisch. Das gilt vor allen Dingen für Belarus. Durch das harte Vorgehen des Präsidenten Lukaschenko gegen die Opposition nach den letzten
Präsidentschaftswahlen im Jahre 2010 sind die Beziehungen mit der Europäischen Union sehr angespannt.
Auch die im letzten Jahr durchgeführten Parlamentswahlen waren mit internationalen Standards nicht vereinbar.
Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und
Belarus befinden sich in einer Sackgasse. Die Europäische Union ist zu einer Politik des kritischen Engagements gegenüber Belarus verpflichtet. Dabei geht es vor
allem um die Unterstützung von Oppositionellen, die
verfolgt werden.
({0})
Hier kann eine Politik der kleinen Schritte oftmals auf
anderer Ebene mehr erreichen, vor allem dann, wenn dadurch auch kritische Kräfte sowie die Bevölkerung eingebunden werden. Wandel entsteht durch Annäherung
auf breiter Basis. Wirtschaftlicher, politischer, kultureller
und gesellschaftlicher Austausch ist gleichermaßen wichtig. Wir müssen Foren schaffen, in denen dieser Austausch stattfinden kann. Erfolgreiche EU-Programme
müssen dafür bedarfsgerecht auf die Partnerländer ausgeweitet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Unterstützung der Zusammenarbeit von Städten und Gemeinden, Erleichterungen bei der Visumvergabe - das
haben wir heute schon mehrfach gehört - und die Verbesserung der Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten
in den Bereichen Hochschulbildung, außerschulische
Bildung und Erwachsenenbildung. Das Haus Europa
bauen die Menschen, die hier leben. Wir müssen Kooperationen auf kommunaler Ebene und zwischenmenschliche Kontakte fördern. Die Partnerschaften müssen in der
Lebenswirklichkeit spürbar sein.
Ich komme aus einem der schönsten Wahlkreise der
Republik, ganz sicher.
({1})
- Damit habe ich gerechnet, trotz Welpenschutz.
Anträge liegen mir dazu nicht vor. Wir werden darüber jetzt keine Kampfabstimmung durchführen.
({0})
Mein Wahlkreis, Trier, weist aber noch eine Besonderheit auf: Trier liegt in der Mitte Europas, und man
kann, wenn man es will und es schafft, mit dem Fahrrad
an einem Tag durch vier europäische Länder fahren.
({0})
In Trier kann ich das Miteinander täglich erleben. In
meiner Heimat ist es eine Selbstverständlichkeit, dass
sich Franzosen, Luxemburger, Belgier, Deutsche und
auch Menschen anderer Nationen jeden Tag auf der Arbeit, in der Freizeit oder an der Universität begegnen.
Aus diesen Begegnungen erwächst Vertrauen, und aus
Vertrauen erwächst Frieden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen solchen Weg auch mit den östlichen Partnerschaften gehen
könnten. Ende Oktober hat das erste Jugendforum der
Östlichen Partnerschaft stattgefunden. Mehr als 200 Jugendliche aus der Europäischen Union und den sechs
Partnerländern trafen sich in Litauen. Dieses Projekt ist
ein vielversprechender Schritt in die richtige Richtung.
Wir brauchen mehr solcher Projekte.
Im Mittelpunkt der Debatte mit unseren Partnern stehen deshalb drei zentrale Punkte:
Erstens. Die bestehenden Kooperationsformen auf europäischer Ebene müssen vertieft werden. Hier bestehen
mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik und der
gemeinsamen Parlamentarischen Versammlung EURONEST gute Ansätze. Gerade in den Staaten Osteuropas
ist die Stärkung demokratischer Institutionen ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses.
Zweitens. Die Schaffung von sozialer Stabilität ist die
Grundvoraussetzung für die Schaffung von Frieden und
Wohlstand in der gesamten Region.
Drittens. Die Kooperation im Rahmen der Östlichen
Partnerschaft muss die Zivilgesellschaft und die Bevölkerung mit einbeziehen.
Das alles bedeutet aber auch: Wenn wir unseren östlichen Partnerländern Standards vorgeben, verpflichtet
uns das gleichzeitig, unsere eigenen Standards fortwährend zu überprüfen. Auch die Europäische Union selbst
muss sich stetig weiterentwickeln. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der EU den nächsten Schritt wagen, den
Schritt zu einem Europa, das die soziale Dimension
gleichberechtigt zur wirtschaftlichen Integration voranbringt.
({1})
Dieses soziale Europa, wie wir Sozialdemokraten es
schon lange fordern, ist deshalb das europäische Projekt
der nächsten Jahre.
Danke schön.
({2})
Frau Kollegin Barley, ich gratuliere Ihnen herzlich zu
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag,
({0})
auch zu dem seltenen Kunststück, beim ersten Mal mit
der knappen Redezeit nicht nur ausgekommen zu sein,
sondern eine virtuelle Reserve angelegt zu haben,
({1})
was ich allen weiteren Rednern als leuchtendes Beispiel
für die Legislaturperiode empfehlen möchte.
({2})
Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Frau Bundeskanzlerin hat einen Ausblick auf den nächsten Gipfel in Wilna zur Östlichen Partnerschaft gegeben.
Wir als CSU vertrauen ganz auf ihre große Routine
({0})
und ihr ebenso großes Geschick, das sie auf vielen Gipfeln unter Beweis gestellt hat. Sie wird unsere Interessen
dort gut vertreten und den Blick auf die ganze Europäische Union bewahren.
Meine Damen und Herren, bei der Östlichen Partnerschaft geht es um eine strategische Ausrichtung der Europäischen Union bezüglich folgender Länder im Osten:
Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Wir reden nicht nur über Handelserleichterungen, über Visaerleichterungen, sondern wir
müssen insbesondere über die grundsätzliche Richtung
dieser Staaten reden. Wir wollen, dass sie den Weg zu
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden. Dafür bieten
wir unsere Unterstützung konkret an.
Diese Länder haben noch einen weiten Weg vor sich.
Deswegen ist es richtig, dass wir diese Östliche Partnerschaft nicht in Verbindung mit einer Beitrittsperspektive
bringen. Für die Zukunft ist nichts ausgeschlossen, aber
wir sollten uns auch nicht mit zu großen Erwartungen
überfrachten. Vielmehr sollten wir die nächsten gangbaren Schritte gehen.
Es gibt Länder, die möglicherweise eine Entwicklung
in die andere Richtung vollziehen wollen, was uns mit
Sorge erfüllen muss. Deswegen müssen wir sehr klar darauf hinwirken, dass Erleichterungen im Handel und bei
Visa klare Voraussetzungen haben. Wir wollen sichtbare
Fortschritte bei der Einhaltung der Menschenrechte, bei
unabhängiger Justiz, bei freier Presse, bei alldem, was
insgesamt den Bewegungsspielraum der Zivilgesellschaft angeht. Wir können auf das Ausbleiben von Reformen oder sogar auf verschärfte Repressionen nicht
dadurch antworten, dass wir fröhlich Abkommen schließen, sondern wir müssen dort, wo es Fortschritte gibt,
positiv reagieren und die Entwicklung unterstützen.
Dort, wo Fortschritte nicht in dem von uns gewünschten
Umfang möglich sind, weil die Bedingungen eben nicht
vorliegen, müssen wir aber immerhin den Gesprächsfaden aufrechterhalten und weiter zeigen, dass wir an einer
konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Europäische Union unterbreitet ganz konkrete Angebote der
Zusammenarbeit. Das steht in einem bemerkenswerten
Kontrast zu der Vorgehensweise Russlands. Dass Russland mehr oder weniger offen versucht, diesen Prozess
zu torpedieren, ist hier schon angesprochen worden. Wir
müssen nicht nur klarmachen, dass wir ein Veto von dritter Seite für den Prozess der Europäischen Union nicht
akzeptieren können, sondern dass Drohgebärden und
Druck auch keine geeigneten Instrumente für Partnerschaften sind. Russland wird sich die Frage stellen müssen, ob es nicht andere Handlungsmöglichkeiten hat, als
mehr oder weniger stark am Gashahn zu drehen oder Lebensmitteleinfuhren zu kontrollieren.
Wir in der Europäischen Union unterbreiten daher ein
Angebot für eine umfassende Partnerschaft auf der Basis
eines solidarischen Miteinanders. Wir sollten Russland
allerdings auch davon überzeugen, dass diese Östliche
Partnerschaft nicht gegen Russland gerichtet ist. Wir
müssen den Gesprächsfaden auch mit Russland aufrechterhalten. Wir müssen uns über die geplanten Projekte
kontinuierlich austauschen und informieren. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, der in der Zukunft entstehen könnte, kann durchaus auch Russland offenstehen.
Deswegen sind die Freihandelsabkommen, über die wir
gerade im Rahmen der Östlichen Partnerschaft diskutieren und verhandeln, nicht ausschließend gemeint.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Hinblick
auf die Östliche Partnerschaft will ich darauf hinweisen,
dass auch die Projekte der transeuropäischen Verkehrsnetze von großer Bedeutung sind. Sie erschließen nicht
nur die Peripherie, sondern sie sollen auch den gesamten
Binnenmarkt in der Europäischen Union stärken. Gerade
mit Blick auf unsere östlichen Nachbarn können die
transeuropäischen Netze die Handelschancen deutlich
verbessern. Deutschland liegt im Zentrum der meisten
dieser geplanten Verkehrswege. Deshalb profitieren wir
als Tor zu Osteuropa in ganz besonderem Maße von diesen transeuropäischen Verkehrsnetzen.
Ein zentrales Thema in der Europäischen Union
bleibt freilich weiter die Bekämpfung der Schulden- und
Finanzkrise. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dafür zu sorgen, dass alle Länder in der Euro-Zone wettbewerbsfähig werden und bleiben. Wir müssen unsere
Wettbewerbsfähigkeit aber auch im globalen Maßstab
definieren. Es hilft uns in der Europäischen Union
nichts, wenn man versucht, die Stärkeren schwächer zu
machen - damit ist niemandem gedient -, sondern wir
müssen gemeinsam als Europäische Union, als Binnenmarkt im globalen Wettbewerb wettbewerbsfähig sein.
({1})
Meine Damen und Herren, Haushaltsdisziplin, die damit verbundenen Strukturreformen und die Sanierung
der nationalen Haushalte bleiben Anker unserer Politik.
Es geht dabei auch darum, dass Gerechtigkeit zwischen
den Generationen geübt wird. Denn gerade dort, wo
durch Schulden die Lasten auf die nächste Generation
übertragen werden, wird der Spielraum für diese nächste
Generation immer kleiner. Deswegen führt kurzfristige
Nachsicht bei Reformanstrengungen nicht zum Ziel. Wir
müssen hier klar Kurs halten.
Dass einige Länder das Schlimmste überstanden haben und mittlerweile wieder besser dastehen, ist gerade
diesem Beharren auf strikte Haushaltskonsolidierung zu
verdanken. Es sind erhebliche Reformmaßnahmen umgesetzt worden; das zeigen die Ergebnisse in Irland und
Portugal. Die Kommission hat die Defizitverfahren für
viele Länder aufgeschoben oder ganz aufgehoben. Irland
wird den Rettungsschirm im Dezember dieses Jahres
nach nur drei Jahren verlassen. Auch Portugal erfüllt
nach den jüngsten Berichten der Kommission in den relevanten Bereichen die vereinbarten Auflagen. Deswegen hat der Bundestag allen Grund, nach Unterrichtung
durch den Bundesfinanzminister einen positiven Beschluss zur Auszahlung der nächsten Kredittranche mitzutragen, der im Direktorium der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität für nächsten Dienstag vorgesehen
ist.
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Bitte schön.
Herr Kollege Silberhorn, Sie nutzen ja, wie auch unser Redner, Dietmar Bartsch, die Gelegenheit, auch über
Portugal zu sprechen; das finde ich sehr gut. Daran
möchte ich anknüpfen und Ihnen eine Frage stellen. Die
CSU hat ja den Vorschlag gemacht, einige Länder sollten die Europäische Union verlassen können. Darüber
gab es, wie den Medien zu entnehmen war, allerlei Debatten. Vielleicht können Sie, da Sie ja Mitglied der CSU
sind, diese Gelegenheit nutzen, diesen Vorschlag hier im
Parlament ein bisschen zu erläutern.
({0})
Vielen Dank für diese Zwischenfrage, die mir die Gelegenheit gibt, klarzustellen, dass die CSU keineswegs
den Vorschlag unterbreitet hat, dass Länder die Europäische Union verlassen sollen;
({0})
das war nie unser Anliegen. Hinweise darauf findet man
in entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Das haben wir nie zum Thema gemacht.
Die Frage ist: Wie gehen wir mit einem Land um, das
auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, dem
Wettbewerbsdruck in der Euro-Zone standzuhalten? In
einem solchen Fall muss man Staatsschulden restrukturieren, wie es am Beispiel Griechenlands bereits einmal
vollzogen worden ist. Wir treten dafür ein, für einen solchen Fall Verfahren zu entwickeln, die sicherstellen,
dass man nicht ad hoc entscheiden muss, was zu tun ist.
Denn dann würde man feststellen, dass man, wie im
Falle Griechenlands, gar nicht alle Gläubiger einbinden
kann, sondern darauf angewiesen ist, dass die Gläubiger
eine Vereinbarung treffen; diejenigen, die sie nicht treffen wollen, sind dann nicht mit im Boot.
Vor diesem Hintergrund brauchen wir entsprechende
Verfahren. Dazu gibt es Vorschläge, zum Beispiel einen
Vorschlag des Internationalen Währungsfonds. Wir wollen, dass die Euro-Zone für einen solchen Fall im Vorfeld selbst Regelungen trifft. Wir haben in der Tat erneut
einen Vorschlag markiert, den der CSU-Parteitag im Oktober letzten Jahres einstimmig beschlossen hat.
({1})
Auch in anderen Parteien gibt es klare Beschlüsse dahin
gehend, dass über das Thema, wie man die Euro-Zone
insgesamt zusammenhalten kann, sehr grundsätzlich
nachgedacht werden muss. Das haben wir getan. Wir
wissen sehr wohl, dass die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Adressat ist, wenn es darum
geht, diese Debatte zu führen; denn es sind Entscheidungen getroffen worden, deren Umsetzung jetzt ansteht.
Ich will durchaus anerkennen, dass wir am Beispiel Portugal sehen können, dass die vereinbarten Reformmaßnahmen greifen. Darauf sollten wir uns konzentrieren.
Wissen Sie, Herr Kollege Liebich, ich gehöre zu denen, die in der letzten Legislaturperiode hin und wieder
differenziert abgestimmt haben. Ich habe dem Hilfspaket
für Portugal zugestimmt, und ich sehe mich durch die
Entwicklung in Portugal bestätigt,
({2})
dass die Ziele bei strikten Auflagen auch erreicht werden
können. Ich habe auch dem Reformpaket für Irland zugestimmt, und ich sehe mich auch da durch die Entwicklung bestätigt. Deswegen lege ich weiterhin Wert darauf,
festzustellen, dass wir zwar einerseits bereit sind, solidarisch zu helfen, aber andererseits auch klare Anforderungen formuliert werden müssen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Deswegen, meine Damen und Herren, bleibt solide
Haushaltsführung bedeutsam. Auch auf EU-Ebene haben wir das jetzt in einem großen Schritt verwirklicht:
Im mehrjährigen Finanzrahmen muss erstmals die europäische Ebene selbst Haushaltsdisziplin üben. Wir haben
also einiges erreicht.
Wir wollen auf diesem Weg weitergehen. Wir wollen
keine Haftungsunion, wir wollen Schulden nicht vergemeinschaften, weder Staatsschulden noch Bankenschulden. Mit Rücksicht auf kommende Generationen lehnen
wir eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa
ab. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Haushaltsstabilität und wirtschaftliche Dynamik gehören zusammen.
Schuldentilgung und Wachstum führen gemeinsam zum
Erfolg.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kommt
immer wieder die Forderung, dass Europa jetzt bürgernäher und transparenter werden müsse. In dieser Allgemeinheit kann man das teilen; aber wir müssen auch
konkret überlegen, was wir tun können, um die Bürger
wieder für Europa zu gewinnen. Dafür ist es notwendig,
dass sich die Europäische Union klare Ziele setzt. Dafür
ist es notwendig, dass die Bürger stärker beteiligt
werden. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Regionalität sind die Schlüssel dafür. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen regionalen, nationalen und europäischen
Interessen. Das Prinzip der Subsidiarität ist der Violinschlüssel dafür, dass dieser Ausgleich in angemessener
Form gelingen kann.
({4})
Wir brauchen eine starke Europäische Union, wenn es
darum geht, das Gewicht Europas in der Welt zur Geltung zu bringen. Aber wir brauchen eine schlanke Europäische Union, wenn es darum geht, den Alltag von
Bürgern und Betrieben zu regulieren. Durch beides zusammen wird ein Schuh daraus. Themen wie die Energiewende oder die Digitale Agenda müssen wir stärker
europäisch angehen. Es gibt aber auch Kompetenzen, bei
denen wir die Frage stellen müssen, ob diese Kompetenzen auf regionaler Ebene nicht besser angesiedelt wären wie wir das ganz konkret für die Daseinsvorsorge vorschlagen.
Herr Präsident, ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen.
Mir wurde gesagt, dass die Kollegen Kauder und
Schockenhoff noch viele Minuten für mich übrig gelassen hätten. Vielleicht lässt sich das klären?
Die sind wahrscheinlich für weitere Debatten vorgesehen.
({0})
Dann will ich damit schließen, dass die Mitarbeit an
der europäischen Integration eine der zentralen Aufgaben der neuen Bundesregierung und dieses Bundestages
bleibt. Solange wir uns über den richtigen Kurs für die
europäische Integration heftig streiten können, so lange
machen wir auch deutlich, dass uns die europäische Integration wichtig ist. Daran will ich gerne mitwirken.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Im Zusammenhang mit den Verhandlungen
über die Östliche Partnerschaft beraten wir über ein
wichtiges Instrument der europäischen Außenpolitik.
Nachdem meine Fraktionskollegen schon ausführlich
dazu Stellung bezogen haben, möchte ich mich in meinen Ausführungen darauf beschränken, drei Länder konkret anzusprechen.
Zunächst möchte ich etwas zu Weißrussland sagen.
Wir haben Weißrussland 2009 die Tür zur Teilnahme an
der Östlichen Partnerschaft offen gehalten, dabei aber
die Erwartung geäußert, dass sich die Lage der Menschen in Weißrussland verbessert.
Wie vorhin schon in der Debatte gesagt worden ist:
Lukaschenko ist der letzte Diktator auf dem europäischen Kontinent. Die Situation in diesem Land ist nicht
besser, sondern schlechter geworden. Deshalb möchte
ich auch bei dieser Debatte wie schon oft hier im Deutschen Bundestag für meine Fraktion die Gelegenheit
nutzen, das Engagement des Deutschen Bundestages,
aber auch der Regierung für die Opposition in Weißrussland hervorzuheben und deutlich zu machen, dass wir
das Vorgehen Lukaschenkos gegen die Zivilgesellschaft
nicht dulden, sondern die Opposition weiter massiv unterstützen wollen.
({0})
Viele Abgeordnete hier haben Patenschaften für politische Gefangene übernommen. Der junge Mann, für den
ich seit Jahren die Patenschaft übernommen habe, ist
Vorsitzender einer politischen Jugendorganisation. Herr
Dashkevich ist vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen
worden, und nur weil er erneut unter dem Verdacht
stand, politisch aktiv zu sein, ist er wieder in Untersuchungshaft gekommen. Vor diesem Hintergrund appelliere ich daran, dass Lukaschenko in sich geht und überlegt, ob das der richtige Weg ist. Ansonsten müssen wir
mit all den uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen
darum werben, dass Weißrussland den politischen,
diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der westlichen Gemeinschaft zu spüren bekommt.
({1})
Gerade unser Kanzleramtschef Ronald Pofalla setzt sich
dort sehr stark ein. Ich möchte ihm an dieser Stelle dafür
danken; denn Weißrussland steht nicht jeden Tag im Fokus der Debatte.
Auch zur Ukraine haben meine Vorredner schon etwas gesagt. Bei der Ukraine erwarten wir natürlich mit
Spannung, wie es im Fall Timoschenko weitergeht. Aber
ich möchte das nicht nur an diesem Fall festmachen;
Julija Timoschenko steht ja nur als Pars pro Toto für
große Unregelmäßigkeiten, die es im ukrainischen
Rechts- und Justizwesen gibt.
Es gibt Signale aus der Ukraine, dass das Parlament
uns morgen eventuell eine Lösung präsentieren und am
Donnerstag weiter gehende Schritte, die wir als Prinzipien und Entscheidungsparameter für unseren Findungsprozess deutlich gemacht haben, auf den Weg bringen
könnte. Ich formuliere das extra vorsichtig, weil ich mir
nicht sicher bin, inwiefern das, was uns kürzlich und
auch am heutigen Tag präsentiert worden ist, von Dauer
sein wird. Die Ukraine hat lange genug Zeit gehabt, all
die Kriterien zu erfüllen, die in mühsamen Verhandlungen immer wieder auf die Tagesordnung gebracht worden sind. Deshalb glaube ich nicht, dass die Situation in
der Ukraine durch einen einfachen Parlamentsbeschluss
besser wird, sondern wir müssen erst einmal abwarten,
was in dem Land tatsächlich langfristig passiert.
Aber auch hier sage ich: Die Östliche Partnerschaft ist
nicht nur auf kurzfristige Entwicklungen in den betroffenen Ländern ausgerichtet, sondern sie ist für uns langfristig ein strategisches Instrument, um über den Rahmen
der Europäischen Union hinaus Offenheit gegenüber den
östlichen Partnern zu zeigen. Deshalb ist die Frage der
Partnerschaft, egal wie schwierig die Situation in der
Ukraine auch sein mag, für uns nicht ganz einfach zu beantworten; denn wir wollen dieses Land auch nicht aufgeben. Mit Blick auf den Interessenausgleich, den die
Bundeskanzlerin gegenüber Russland angesprochen hat,
wollen wir gleichzeitig deutlich machen, dass auch die
Europäische Union ein geopolitisches Interesse hat,
wenn es um die früheren Länder der Sowjetunion insgesamt geht.
Zum Abschluss möchte ich auf ein Land eingehen,
das insbesondere in unserer Fraktion sehr viel Aufmerksamkeit genießt, nämlich die Republik Moldau.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat Moldau vor einem Jahr besucht. Wir befinden uns in einer Situation, in der ich darauf hinweisen muss, dass unsere Partner in diesem Land
gerade jetzt unsere Unterstützung brauchen; denn der
ökonomische Druck und der politische Druck innerhalb
des Landes werden immer größer, und der engagierte
Vorwahlkampf, der durch die Kommunisten dort gerade
betrieben wird, setzt der Regierung massiv zu. Deshalb
müssen wir gerade diesem Land die europäische Perspektive aufzeigen und dafür sorgen, dass die Regierung
ihrer eigenen Bevölkerung auch Erfolge vorweisen
kann.
Daher spreche ich mich nachdrücklich dafür aus, dass
wir dort gerade beim Thema Visaliberalisierung Offenheit zeigen; denn ich glaube, gerade die Regierung in
Moldau, in Chisinau, hat zum jetzigen Zeitpunkt unsere
Unterstützung verdient.
({3})
Eine Zwischenfrage der Kollegin Beck, bitte schön.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne noch zwei
Minuten Redezeit verschaffen, weil Sie nichts zu Aserbaidschan gesagt haben. Über Aserbeidschan zu sprechen, halte ich aber auch deswegen für wichtig, weil gerade aus Ihrer Fraktion heraus der Verlauf der Wahlen in
Aserbaidschan als durchaus annehmbar bezeichnet worden ist, die Menschenrechtslage dort katastrophal ist und
wir davon ausgehen müssen, dass es viele politische Gefangene gibt, wobei aus der CDU/CSU-Fraktion immer
wieder eine gewisse Unschärfe kommt, um es vorsichtig
zu formulieren.
Was Aserbaidschan angeht, glaube ich, dass auch aus
unserer Fraktion Wahlbeobachter vor Ort waren. Ich
müsste mich erst einmal schlaumachen, wer das tatsächlich war. Aber soweit ich weiß, ist der Bericht, der durch
die Delegation der OSZE vorgelegt worden ist, sehr kritisch gewesen. Wir sind natürlich auch jederzeit bereit,
uns damit auseinanderzusetzen.
Ich finde, angesichts der Situation in Armenien, das
sich bewusst für die russisch dominierte Zollunion entschieden hat, und der Tatsache, dass in Baku kaum
Nachdruck an den Tag gelegt wird, damit Aserbaidschan
ein Teil der Östlichen Partnerschaft - außer der wirtschaftlichen Seite - werden kann, muss man die Entwicklung der Östlichen Partnerschaft mit großem Interesse betrachten. Wir haben für alle diese Länder die Tür
geöffnet: Aus unterschiedlichen Gründen sind sie entweder bereit, durch diese Tür hindurchzugehen, wie die Republik Moldau, oder eben nicht, wie Armenien und zum
Teil Aserbaidschan. Aus unserer Sicht stellt sich die
Frage, inwieweit es die Länder der Östlichen Partnerschaft ernst meinen, bei diesem Vehikel mitarbeiten zu
wollen.
Was die Menschenrechtssituation angeht - wir haben
darüber schon oft diskutiert; ich glaube, vor einigen Jahren ist auch eine Resolution des Deutschen Bundestages
zu diesem Thema verfasst worden -, scheint die Situation etwas besser geworden zu sein, zumindest wenn ich
den Bericht richtig gelesen habe. Ich selber war nicht als
Wahlbeobachter bei der Wahl in Baku. Deswegen kann
ich dazu nichts sagen. Mir ist aber auch keine Äußerung
aus meiner Fraktion dazu bekannt; das muss ich ganz offen sagen.
({0})
- Ja. Für ein Mitglied unserer Fraktion gab es ein Einreiseverbot.
({1})
- Man kann doch Nachfragen stellen.
Nein. Wir sind jetzt langsam am Ende der vereinbarten Gesamtredezeit, Herr Kollege Mißfelder. Das kann
nicht durch bilaterale Vereinbarungen außer Kraft gesetzt werden.
Die Zeit läuft noch. Aber ich komme zum Schluss.
Wir legen großen Wert darauf, das Instrument der
Östlichen Partnerschaft im Ausgleich mit den Interessen
der Russischen Föderation auszubauen. Aber ich will
auch deutlich machen: Wir sind als CDU/CSU-Bundestagsfraktion massiv daran interessiert, dass die Europäische Union nicht nur als ökonomischer Raum gesehen
wird, sondern dass die Wertegemeinschaft der Europäischen Union auch tatsächlich deutlich macht, dass dieses
Angebot nicht nur auf Freihandel, Handel und Transportwegen beruht, sondern auch mit Demokratisierung,
Justizwesen und Antikorruption einhergehen muss. Das
sind die Eckpfeiler, die für uns neben den ökonomischen
Aspekten wichtig sind.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor ich über den Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf der Drucksache 18/64 abstimmen lasse,
will ich noch einmal darauf hinweisen, dass aus guten
Gründen in dieser Diskussion außer der Aussprache über
die Regierungserklärung zum EU-Gipfel die Frage der
Auszahlung der EU-Tranche an Portugal eine Rolle gespielt hat. Das ist deswegen von Bedeutung, weil die
nach unseren gesetzlichen Regelungen jederzeit mögliche Stellungnahme des Bundestages, wenn sie denn gewünscht wäre, heute hätte erfolgen müssen, weil die dafür vorgesehenen Fristen heute auslaufen. Dies hat aber
in der Diskussion und offenkundig auch in den Fraktionsberatungen eine breite Rolle gespielt. Auch der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke nimmt darauf
ausdrücklich Bezug.
Ich komme nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
18/64. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
dieser Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit aller
übrigen Fraktionen außer den Antragstellern abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Vereinbarte Debatte:zu den Abhöraktivitäten der NSA und den
Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen
Hierzu liegen wiederum ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke und ein weiterer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Auch hier haben die Fraktionen
eine Gesamtdebattenzeit von 94 Minuten vereinbart.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter
Friedrich.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Kollegen! Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind seit Bestehen der Bundesrepublik eng. Sie sind freundschaftlich und partnerschaftlich.
Wir haben enge wirtschaftliche Beziehungen. Wir haben, Herr Ströbele, seit vielen Jahrzehnten auch enge außenpolitische Beziehungen. Wir haben eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Es gilt auch die
innere Sicherheit in Deutschland und Europa gemeinsam
zu schützen. Aber über allem steht - ich glaube, das ist
noch sehr viel wichtiger -, dass wir, Deutsche, Europäer
und Amerikaner, eine Wertegemeinschaft bilden. Wir
bekennen uns in dieser Wertegemeinschaft zu Demokratie und Freiheit. Das unterscheidet uns von manch anderer Region in der Welt. Auch das darf man in der Diskussion hin und wieder erwähnen und vielleicht zur
Kenntnis nehmen.
Wahr ist aber auch, dass jedes gute Verhältnis immer
wieder erneuert, erarbeitet und gestärkt werden muss.
Die Veröffentlichungen der angeblichen Dokumente des
US-amerikanischen Staatsbürgers Snowden vom Juni
2013 waren mehr als irritierend. Sie waren beunruhigend. Was aber noch beunruhigender und irritierender
ist, ist, dass seit der ersten Veröffentlichung am 5. Juni
2013 die Informationspolitik unserer amerikanischen
Freunde leider zu wünschen übrig lässt, und das auch
zum Schaden der Vereinigten Staaten selbst. So konnte
beispielsweise - das ist heute schon kurz angeklungen im Sommer über Wochen in der europäischen Öffentlichkeit behauptet werden, dass Millionen Daten monatlich von der NSA in Deutschland erhoben werden. Das
hat natürlich zu großer Aufregung geführt; denn impliziert war der Vorwurf, Millionen Bürger in Deutschland
würden ausgespäht. Dann hat sich im Laufe des Augusts
herausgestellt, dass es sich bei den 500 Millionen Datensätzen pro Monat, die in Rede standen, um Daten handelte, die der Bundesnachrichtendienst aufgrund von
Gesetzen, die von diesem Parlament verabschiedet worden waren, erhoben hat, und zwar in Krisengebieten, unter anderem in Afghanistan. Dabei ging es auch darum,
den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten sowie unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sicherzustellen. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe,
das zu tun; denn wenn wir schon Frauen und Männer in
solche Krisengebiete schicken, um dort Frieden herzustellen und die Interessen Deutschlands, Europas und der
ganzen freien westlichen Welt zu vertreten, dann müssen
wir sie auch entsprechend schützen. Das ist dadurch geschehen, dass der Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten in diesen Krisengebieten erhoben hat und
gemeinsam mit den amerikanischen Freunden und Partnern ausgewertet hat.
Ich sage ausdrücklich: Das alles hat stattgefunden auf
der Grundlage von Gesetzen. Unsere Behörden, sowohl
der Verfassungsschutz als auch der Bundesnachrichtendienst, handeln aufgrund gesetzlicher Vorschriften.
Wenn der Bundesdatenschutzbeauftragte heute sagt, es
gebe so etwas wie einen kontrollfreien Raum der Nachrichtendienste, dann muss ich dem ausdrücklich widersprechen. Der Bundestag hat durch ein sehr enges Geflecht aus Kontrollmöglichkeiten sichergestellt, dass zu
jeder Zeit die Geheimdienste in diesem Land kontrolliert
werden.
({0})
- Da können Sie lachen, so viel Sie wollen. - Die Kollegen, die Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind und sich stundenlang hinter verschlossenen
Türen die Berichte der Präsidenten der Nachrichtendienste anhören, haben auf jeden Fall den Respekt dieses
Hauses verdient. Die Kollegen gehen ihrer Aufgabe
nach.
({1})
Des Weiteren gibt es die G-10-Kommission, eingesetzt vom Deutschen Bundestag. Sie befasst sich ausführlich und detailliert mit der Fragestellung, wann und
unter welchen Umständen Nachrichtendienste handeln
können. Deswegen irrt der Bundesdatenschutzbeauftragte, wenn er glaubt, dass seine Behörde die Überkontrollbehörde sei.
({2})
Nein, neben dem PKGr und neben der G 10 gibt es auch
den Bundesdatenschutzbeauftragten. Das wollte ich nur
sagen, weil die Kritik heute von den Agenturen verbreitet wurde, die aber meines Erachtens nicht gerechtfertigt
ist.
({3})
Aber nun zum Schweigen unserer amerikanischen
Freunde, das leider dazu führt, dass es allerhand Verschwörungstheorien
({4})
und in der Zwischenzeit ein Misstrauen sowohl in der
Wirtschaft als auch in der Politik und in der Bevölkerung
gibt.
({5})
Deswegen kann man mit Fug und Recht davon sprechen,
dass das Vertrauen, das notwendig ist, damit Deutschland und Amerika auf guter Basis auch in der Zukunft
weiter zusammenarbeiten, gestört ist und wiederhergestellt werden muss. Die Amerikaner müssen aufklären.
Sie dürfen sich nicht in Widersprüche verstricken. Das
gilt im Übrigen auch für die Vorwürfe, die in den Raum
gestellt worden sind und die das angebliche Abhören des
Handys der Frau Bundeskanzlerin angehen.
({6})
Ich möchte an der Stelle sagen, dass es auch dazu bisher
keine ausreichenden Einlassungen und Informationen
der amerikanischen Partner gibt. Ich kann Ihnen aber
auch sagen, dass sich jeder, der ein Handy oder Kommunikation in Deutschland abhört, egal ob es die Kommunikation von Bürgern oder die Kommunikation von Behörden oder Regierungsmitgliedern ist, strafbar macht.
Wann immer strafbares Handeln im Raum steht bzw. ein
hinreichender Anfangsverdacht besteht, gehen unsere
Ermittlungsbehörden diesen strafbaren Handlungen nach
und nehmen Ermittlungen auf.
Deswegen werden auch in der Frage, ob das Handy
der Bundeskanzlerin abgehört worden ist, die zuständige
Staatsanwaltschaft oder die Generalbundesanwaltschaft
entscheiden, wie zu ermitteln ist. Das ist in einem
Rechtsstaat so vorgesehen. Das macht nicht die Politik,
sondern das machen rechtsstaatliche Stellen - Staatsanwälte, Generalstaatsanwälte -, wenn sie einen Verdacht
haben. Sie vernehmen auch Zeugen, wenn von diesen
Zeugen etwas zu erwarten ist.
Die Aufklärungsbemühungen der Bundesregierung
ebenso wie die der Europäischen Union sind umfangreich. Wir, sowohl die Justizministerin als auch ich, haben schriftliche Anfragen gestellt, und zwar schon im
Juni. Es wurde uns bisher nur ein Teil dieser Anfragen
beantwortet. Es wurde eine Vielzahl von Delegationsreisen in die eine wie in die andere Richtung durchgeführt;
hochrangige Gespräche fanden statt. Die amerikanische
Regierung ist hierdurch sehr frühzeitig problembewusst
geworden.
({7})
Wenn der amerikanische Außenminister heute eine
Reise nach Europa plant, dann ist das, glaube ich, ein
Zeichen dafür, dass die Gespräche gewirkt haben.
Wir haben eine umfangreiche technische Sonderprüfung durch unseren Bundesverfassungsschutz vornehmen lassen. Wo immer irgendwelche Vorwürfe im Raum
standen, hat der Verfassungsschutz umgehend Ermittlungen aufgenommen. Wir haben die Provider informiert
und versucht, herauszufinden, ob es an irgendwelchen
Knoten tatsächlich unerlaubte Zugriffe gegeben hat. All
diese Dinge sind erfolgt.
Die Demokratie kennt aber noch weitere Mechanismen. Wir sehen das derzeit in den Vereinigten Staaten.
Im amerikanischen Parlament, im amerikanischen Kongress, genauso wie in der Öffentlichkeit gibt es eine
breite Diskussion, und es werden die Fragen gestellt,
was die amerikanischen Geheimdienste dürfen - dieselbe Frage stellen auch wir im Deutschen Bundestag -,
ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und wie man mit
Freunden umgeht. Daran können Sie erkennen, dass Demokratien verschiedene Wege und Mechanismen haben,
diesen Selbstreinigungsprozess, wo er notwendig ist,
durchzuführen. Dass der amerikanische Präsident
höchstpersönlich einen Bericht über die Spionagetätigkeit seiner Behörden angeordnet hat und dieser Bericht
am 15. Dezember vorliegen soll, ist, glaube ich, ein
wichtiger Punkt. Auch wir erwarten umfangreiche Informationen aus diesem Bericht.
Was haben wir veranlasst, und was planen wir, um die
Spionageabwehr zu verstärken? Zum Ersten: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Rahmen eines Reformprozesses, der im Frühjahr angestoßen wurde,
schon im April und Mai angefangen, die Spionageabwehr personell, organisatorisch und technologisch zu
verstärken. Wir haben dafür gesorgt, dass in einem engen Dialog mit der Internetwirtschaft, angestoßen durch
die Bundeskanzlerin in einem IT-Gipfelprozess, seit vielen Jahren die Fragen der Sicherheit im Internet erörtert
werden und auch auf ihre technologische Machbarkeit
hin überprüft werden.
Wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselungen;
das ist ein wichtiger Punkt. Dafür brauchen wir aber
auch vertrauenswürdige Hersteller und Dienstleister.
Das Ganze ist eine zentrale Aufgabe, die wir gemeinsam
angehen müssen. Wir können die digitale Souveränität
Europas nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, in der
Zukunft die technologische Souveränität über die Netzinfrastruktur und die Netztechnik zu erlangen und zu
verstärken.
({8})
Hier liegt im Übrigen eine wichtige Aufgabe für die
Europäische Union. Wenn man nach den großen europäischen Themen und Aufgaben fragt, dann bekommt
man zur Antwort, dass es eine wichtige Aufgabe ist,
auch in der Netzpolitik die technologische Souveränität
Europas herzustellen, um sicherzustellen, dass wir in der
digitalen Welt ebenfalls souverän bleiben. Wir müssen
das Vertrauen der Wirtschaft stärken. Die Allianz für Cyber-Sicherheit hat dafür gesorgt, dass wir mit den mittelständischen und mit den großen Unternehmen pragmatische Lösungen finden können.
Ich habe bereits zu Beginn des Jahres den Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt, bei dem es darum
geht, zusammen mit den Betreibern kritischer Infrastruktur jederzeit ein Lagebild über Angriffe auf die Netze
und Sabotage der Netze erstellen zu können. Ich hoffe,
dass wir diesen Entwurf eines Sicherheitsgesetzes
schnell in diesem Hause verabschieden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir prüfen,
in welchem Maße es möglich und unter Kostengesichtspunkten sinnvoll ist, dass wir in der Zukunft die Möglichkeit eines europäischen Routings, also des Durchleitens von Daten nur über europäische Netze, anbieten. Ich
glaube, dass das wichtig ist. Ich habe mich in der vergangenen Woche mit der EU-Kommissarin Kroes über die
Frage einer europäischen Cloud, also einer sicheren
Cloud für die Aufbewahrung von Daten europäischer
Bürger, unterhalten. Ich meine, dass es eine wichtige
Aufgabe der Europäischen Union in der Zukunft sein
kann, einen Rechtsraum, einen Wirtschaftsraum, einen
Sicherheitsraum zum Schutz der Daten herzustellen.
Wir müssen auf europäischer Ebene die DatenschutzGrundverordnung sehr schnell umsetzen. Ein wichtiger
Punkt in dieser Datenschutz-Grundverordnung ist für
uns, dass sichergestellt sein muss, dass, wann immer Daten europäischer Bürger an Behörden ausländischer
Staaten ausgeliefert werden, Transparenz gewährleistet
wird. Jeder Bürger muss das Recht haben, gegen eine
solche Auslieferung vorgehen zu können.
Schließlich ist es wichtig, dass wir auch im Verhältnis
mit unseren amerikanischen Freunden, insbesondere
hinsichtlich unserer Beziehungen in wirtschaftlicher und
sicherheitspolitischer Hinsicht, deutlich machen, dass
wir ein gemeinsames Verständnis von Datenschutz und
Datensicherheit entwickeln müssen.
Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Ende. - Deswegen ist es wichtig,
dass wir eine Art digitale Grundrechtscharta auf den
Weg bringen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln.
Aber über allem, meine sehr verehrten Damen und
Herren, steht, dass wir die enge Partnerschaft mit unseren amerikanischen Freunden und Partnern brauchen,
auch um die Sicherheit der Bürger in diesem Land in der
Zukunft gewährleisten zu können.
Vielen Dank.
({0})
Der nächste Redner ist Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin, vorab wünsche ich Ihnen für Ihre
neue Aufgabe eine glückliche Hand.
({0})
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kaum Vorstellbares ist geschehen. Ich hätte mir jedenfalls bis vor einigen Wochen nicht vorstellen können,
dass Mobiltelefone deutscher Regierungschefs systematisch und über Jahre hinweg abgehört worden sind, und
zwar von Freunden. Wir müssen inzwischen wohl leider
davon ausgehen, dass vorhandene Hinweise der Wahrheit entsprechen. Ich bin nicht bereit, mit allfälligen Formeln wie „Das machen doch alle“ darüber hinwegzugehen. Ich hoffe, es machen eben nicht alle unserer
Freunde. Ich hoffe vor allem, dass es denjenigen, die
nicht zu unseren Freunden zählen, nicht gelingt. Vor allem gibt es keine Rechtfertigung, die notwendige Aufklärung - wir alle sehen das so - in eine ferne Zukunft
zu verschieben. Wir brauchen diese Aufklärung, weil
schlicht und einfach Vertrauen verloren gegangen ist. Eines kann man mir abnehmen: Ich habe keine Freude an
diesem transatlantischen Streit; ganz im Gegenteil. Aber
ich sage Ihnen auch: Alle Versuche diesseits und jenseits
des Atlantiks, das Geschehene zu banalisieren, zum Kavaliersdelikt herunterzuspielen, dürfen wir nicht akzeptieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Deutschland ist fester Bestandteil des transatlantischen Bündnisses, und das ist nicht nur ein Bündnis, das
auf Dauer angelegt ist, sondern, wie wir alle miteinander
immer wieder sagen - die Frau Bundeskanzlerin hat es
in ihrer Regierungserklärung auch noch einmal gesagt -,
auch ein Bündnis, das sich auf gemeinsame Werte grün46
det. Ein solches Bündnis kann nur bestehen, wenn man
die Regeln des Umgangs in einem solchen Bündnis miteinander und untereinander tatsächlich beachtet. Eine
dieser Regeln heißt doch wohl, dass Spionage unter
Freunden sich nicht gehört. Sie ist überflüssig, liebe
Freunde, und gehört sich einfach nicht.
({1})
Schon deshalb müssen wir auf Aufklärung dringen.
„Wie lange gibt es diese Praxis schon?“, ist die erste
Frage. Wann hat sie begonnen? Was war der Anlass?
Wurden nur Regierungschefs ausgespäht? Oder bezieht
sich das auch auf andere? Wenn ja, wer wurde von der
NSA ins Visier genommen? Wer hat die Daten ausgewertet? Wie wurden sie genutzt? War das Weiße Haus
über Ausspähaktionen informiert? Haben sie in der amerikanischen Deutschlandpolitik eine Rolle gespielt? Das
muss man doch wissen, meine Damen und Herren, bevor
man in den Alltag des deutsch-amerikanischen Geschäfts zurückkehrt. Wir müssen wieder Grund unter den
Füßen bekommen, weil wir alle miteinander wissen, aus
der nationalen Politik wie aus der internationalen Politik:
Auf Misstrauen jedenfalls lässt sich keine Zukunft gründen. - Das gilt auch hier.
({2})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, das, was ich Ihnen vorgetragen habe, ist im
Grunde genommen dramatisch genug. Aber natürlich:
Es geht nicht nur um Politiker und Spionage im politischen Raum; vor allen Dingen geht es um die Fragen,
die mindestens genauso offen sind: In welchem Umfang
ist der Internetverkehr deutscher Bürgerinnen und Bürger überwacht worden, in welchem Umfang wurde möglicherweise auch deutschen Unternehmen hinterherspioniert?
Wenn große amerikanische Internetunternehmen,
Dienstleister in der Internetbranche, jetzt um ihren guten
Ruf fürchten, dann mag das berechtigt sein. Aber die
entscheidende Frage ist doch: Wie gelingt es uns, in einer digital vernetzten Welt und angesichts neuer Bedrohungen, die es ganz offenbar gibt, Freiheit und Sicherheit wieder ins Lot zu bringen? Da ist in den letzten
Jahren doch offenbar ganz vieles aus den Fugen geraten.
Da geht es um mehr als um die Frage, ob Spionage zwischen Freunden erlaubt ist oder nicht; es geht auch um
die Frage: Wie sichern wir im 21. Jahrhundert unter völlig veränderten Kommunikationsbedingungen eigentlich den Schutz der Privatsphäre der Bürger als elementares Grundrecht? Die erste Regel, von der ich sagen
würde, dass sie doch gelten muss, ist: Nicht alles, meine
Damen und Herren, was technisch möglich ist, ist auch
rechtlich erlaubt oder politisch klug.
({3})
Deshalb darf man sich im weiteren Gefolge der Debatten und Verhandlungen, die wir jetzt möglicherweise
mit den amerikanischen Freunden führen werden, am
Ende nicht mit unverbindlichen Absprachen zufriedengeben. Wir brauchen belastbare, überprüfbare Vereinbarungen, sodass massenhaftes Ausspähen, was es
möglicherweise gegeben hat, und Nachspionieren bei
Wirtschaftsunternehmen in Zukunft ausgeschlossen
sind.
({4})
Wir brauchen das nicht nur, meine Damen und Herren, sondern - auch das, lieber Herr Friedrich, ist Teil
von Souveränität - wir werden dafür eintreten müssen
und wir werden dafür kämpfen müssen. Vom Himmel
fällt das nicht.
({5})
Hier geht es nicht um irgendetwas, sondern es geht
eben um das, was ich am Anfang gesagt habe: Wenn sich
dieses Bündnis auf Werte gründet, dann geht es jetzt in
den nächsten Monaten, vielleicht auch Jahren, um die
Glaubwürdigkeit dieser transatlantischen Wertegemeinschaft. Gott sei Dank sind wir nicht die Einzigen, die das
so sehen. Wenn ich die Debatte auf der anderen Seite des
Atlantiks richtig beobachte, dann gibt es inzwischen
auch dort viel Unbehagen, viel Empörung über wildgewordene Dienste, die niemanden oder möglicherweise
nicht die Richtigen in der Politik über das, was sie tun,
informiert haben. Da wächst Entrüstung, auch in den
Parlamenten in den USA. Auch dort wächst das Bewusstsein - davon bin ich fest überzeugt -, dass man
Spionage gegen Freunde nicht schlicht und einfach mit
einem Schulterzucken abtun kann.
({6})
Ich glaube - das gilt für die Menschen bei uns wie
auch in den USA -, dass die Menschen spüren, dass es
hier nicht um eine einmalige Verfehlung geht oder darum, dass jemand über seine Befugnisse hinausgegangen
ist. Ich glaube, dass die Menschen spüren - darum hat
die Debatte in diesem Jahr eine solche Wucht -, dass da
sehr grundsätzliche Fragen berührt sind, dass es darum
geht, wie wir individuelle Freiheitsrechte und damit
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im digitalen Zeitalter gewährleisten können.
Es geht um die Fragen: Welche moralischen, rechtlichen und politischen Leitplanken brauchen wir eigentlich, um in diesem 21. Jahrhundert mit veränderten
Kommunikationsbedingungen, neuen Risiken und dem
Machthunger, etwa von Diensten, umzugehen? Was ist
die Aufgabe von Politik und dieses Deutschen Bundestages? Es geht nicht nur darum, über die moralischen Leitplanken zu reden und zu diskutieren, möglichst auch
streitig, sie am Ende vielleicht zu definieren, sondern es
geht auch darum, dass man aus diesen moralischen Leitplanken wieder geltendes Recht macht.
Ich habe einmal an anderer Stelle gefragt: Was ist eigentlich die große zivilisatorische Leistung des 20. Jahrhunderts gewesen? Was ist mit dem Völkerbund, den
Vereinten Nationen und der UNO-Charta? Man hat aus
Machtungleichgewichten Recht gemacht, man hat Ungleichgewichte in Recht aufgelöst. Im Grunde genommen ist die Aufgabe, die wir jetzt im 21. Jahrhundert vor
uns haben, nicht kleiner. Es geht nicht um Machtungleichgewichte, sondern darum, die Unterschiede bei
den technischen Möglichkeiten, die aber eben nur einigen wenigen auf der Welt zur Verfügung stehen, in Recht
zu übersetzen und Ungleichgewichte durch Recht auszugleichen.
Das wird ohne politische Verhandlungen nicht geschehen können. Ich misstraue ein wenig all den Ankündigungen, die ich gelesen habe, man könne diesen Ausgleich auf technische Art und Weise herstellen. Ich
misstraue dem, weil ich weiß: Wir leben auf keiner Insel,
sondern das Netz ist worldwide. Ich bin sicher, wir alle
miteinander werden die Zeit nicht zurückstellen können.
Die Lösungen hierfür werden wir nicht aus Lösungen
der Vergangenheit ableiten können. Wenn wir in Zukunft
diese Balance von Sicherheit und Freiheit wiederherstellen können, dann werden wir nicht die Übersichtlichkeit
der alten Welt zurückgewinnen, sondern wir werden Regeln für diese neue Welt brauchen. Ich glaube, das wird
am Ende nicht durch technische Abschottung geschehen
können.
Ich habe viel dafür übrig, dass sich deutsche und europäische Dienstleister stärker präsentieren. Ich habe
nichts dagegen, wenn sie sagen: Deutsche Sicherheitsstandards können sogar ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen sein. - Aber ich glaube, helfen wird das
nicht, weil auch deutsche Dienstleister in der Regel internationale Eigentümer haben, weil auch deutsche Unternehmen international vernetzt sind. Deshalb glaube
ich, dass wir es nur politisch gemeinsam schaffen, dieser
Zügellosigkeit der Datenfischerei wieder Einhalt zu gebieten.
({7})
Wir brauchen wirklich so etwas - ich habe das schon angedeutet - wie ein Völkerrecht im Netz. Das müssen wir
hinbekommen. Dafür ist Politik da.
({8})
Bevor wir an die Gestaltung der Zukunft gehen, müssen wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen. Die
Aufklärung ist eben noch lange nicht erledigt, wie manche das im Sommer gehofft haben. Trotzdem bleibt die
Frage, welches Instrument das richtige ist, um Licht in
diese Affäre, um Licht ins Dunkel zu bringen. Es kann
sein - wie viele sagen -, dass das ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuss ist, dass der parlamentarische
Untersuchungsausschuss das schärfste Aufklärungsinstrument ist. Kann sein! Ich rate uns nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob das wirklich auch richtig ist. Mindestens, würde ich sagen,
besteht die Gefahr, dass wir uns in einen Prozess stetiger
parlamentarischer Selbstenttäuschung hineinbringen,
wenn am Anfang einer jeden Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses mitgeteilt werden
muss, dass dieser oder jener Zeuge, den wir aus dem
Ausland eingeladen haben, dass dieses oder jenes Dokument, das wir von den Amerikanern eingefordert haben,
nicht gekommen ist. Weil uns das alles fehlt, könnte die
Folge sein, dass wir uns am Ende mehr mit den Opfern
von staatlichen Überwachungsaktivitäten beschäftigen
als mit denjenigen, die dafür verantwortlich sind. Das ist
am Ende auch nicht der Sinn eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses.
({9})
Herr Kollege Steinmeier, auch Sie müssen zum Ende
kommen.
Ich bin fertig. - Wir müssen uns deshalb gar nicht gegen ein solches Instrument entscheiden. Ich schlage vor,
dass wir uns zu Gesprächen zwischen den Fraktionen zusammensetzen und überlegen, was das richtige Instrument ist unter Einbeziehung der Frage, ob ein institutionell aufgerüstetes Parlamentarisches Kontrollgremium
diese Aufgabe nicht auch, vielleicht sogar besser erledigen kann. Ich hoffe, dass es zu solchen Gesprächen zwischen den Fraktionen kommt.
Herzlichen Dank.
({0})
Der nächste Redner ist Dr. Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Auch von uns alle guten Wünsche
für Sie.
Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einem
Skandal zu tun, der in seinem Ausmaß in dieser Art bisher noch nicht vorgekommen ist. Er bringt die Bevölkerung dazu, sich eine Vielzahl von Fragen zu stellen. Die
erste Pflicht der Regierung wäre gewesen: Aufklärung,
Aufklärung, Aufklärung. Sie haben aber in Wirklichkeit
das Gegenteil betrieben.
({0})
Was haben eigentlich die amerikanischen und britischen Geheimdienste gemacht? Sie nutzen die Internettechnologien, um jedes Land in der Welt auszuspähen,
egal ob Freunde oder Feinde. Das spielt für sie gar keine
Rolle. Es sind fünf Länder, die das machen, die berühmten „Five Eyes“, die fünf Augen: die USA, Großbritan48
nien, Australien, Kanada und Neuseeland. Nur untereinander spionieren sie nicht; aber den ganzen Rest der
Welt spionieren sie aus. „Untereinander“ stimmt allerdings auch nicht ganz - ich werde Ihnen von einem
Trick berichten -: Der NSA ist es nämlich verboten, in
bestimmten Fällen US-Bürgerinnen und US-Bürger abzuhören. Das macht dann für sie der britische Dienst und
schickt ihr die Daten. So wird da getrickst. Das ist die
Realität, um die es geht.
Das Ganze steht unter dem Stichwort Bekämpfung
von Terrorismus, von Drogenkriminalität. Eine flächendeckende, umfassende Überwachung der Bevölkerungen
fast aller Staaten hat etwas mit der Bekämpfung von Terrorismus und Drogenkriminalität zu tun? In welchem
Verdacht steht eigentlich unsere Kanzlerin, wenn auch
deren Handy abgehört wird? Ich glaube, bei dieser Begründung wird es doch grotesk.
({1})
Ich muss ganz klar sagen: Von der Existenz und dem
Umfang dieses Überwachungssystems wissen wir nur
durch Edward Snowden. Es ist sein großes Verdienst. Er
ist kein Krimineller, sondern er will die Weltbevölkerung vor Kriminalität schützen.
({2})
Was hat er schon erreicht? Er hat eine andere Sensibilität
erreicht. Ich hoffe, dass sich vieles ändern wird. Deshalb schulden wir Edward Snowden Dank. Es gibt einen sehr schönen Satz von Christa Wolf in ihrem Roman
Kassandra. Dort heißt es:
Das alte Lied: … Und dass wir lieber den bestrafen,
der die Tat benennt, als den, der sie begeht:
Genau das muss sich ändern.
({3})
Aufgrund der Veränderungen, die wir erlebt haben,
schlage ich vor, Edward Snowden den Friedensnobelpreis zu verleihen. Er hat ihn verdient.
({4})
Ja, er hat ihn verdient.
({5})
- Ob sie sich nach meinem Vorschlag richten, ist eine
andere Frage. Aber vorschlagen darf ich es doch noch.
Oder darf ich das auch nicht mehr?
Was wissen wir? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
US- und der britischen Botschaft haben direkt hier im
Regierungsviertel abgehört. Warum haben Sie - die
Bundesregierung, der Außenminister - nicht den Mut,
jede einzelne dieser Personen zur Persona non grata zu
erklären? Das sieht das Völkerrecht in einem solchen
Falle vor. Dann müssten sie innerhalb einer bestimmten
Frist Deutschland verlassen, und die US-Regierung und
die britische Regierung wüssten: Wir dulden eine solche
Vorgehensweise nicht. Das wäre doch wohl das Mindeste.
({6})
Wir haben es also mit einem massenhaften Abhören
der Bürgerinnen und Bürger - bis zum Handy der Kanzlerin -, aber auch der Unternehmen zu tun. Wir wissen,
dass die britischen und amerikanischen Militärstützpunkte als Horchposten genutzt werden. Und wir wissen,
dass es Industrie- und Wirtschaftsspionage mit Milliardenschäden für Unternehmen in unserem Land gibt.
Nicht mal da werden Sie wach; nicht mal da unternehmen Sie wirklich etwas, um dies auszuschließen.
Die Briten und Amerikaner zapfen Internetkabel an
Knotenpunkten an zum millionenfachen Absaugen von
Daten. Es ist schon gesagt worden: Google, Amazon,
Facebook, Twitter und Microsoft geben auf Anfrage
Daten an die Geheimdienste weiter. Und nun haben
wir gehört, dass auch noch die Server dieser Kommunikationskonzerne angezapft worden seien, ohne dass die
Konzerne es wussten. Es wird immer abstruser. Ich sage
noch einmal: All diese Informationen verdanken wir
Herrn Snowden. Er hat noch nie gelogen. Was er gesagt
hat, hat sich immer als wahr herausgestellt.
({7})
Es gab immer eine Zusammenarbeit des BND mit britischen und amerikanischen Diensten. Der Datenaustausch war immer recht einseitig: Es ging mehr aus
Deutschland dorthin als umgekehrt. Das war vor den
Terroranschlägen vom 11. September so und danach
auch. Das hat sich im Kern gar nicht geändert. Der BND
hat den britischen Geheimdienst mit modernster Spionagetechnologie beliefert.
Es gab schon einmal einen Fall von Wirtschaftsspionage: das Programm Echelon. Da gab es einen Untersuchungsausschuss der Europäischen Union. Er hat dann
festgestellt, dass es keine Zweifel mehr an der Existenz
eines globalen Kommunikationsabhörsystems geben
kann, das von den USA, Großbritannien, Australien,
Neuseeland und Kanada betrieben wird, also wiederum
von den „Five Eyes“; das hat der Untersuchungsausschuss 2001 festgestellt. Jetzt haben wir 2013, und es ist
nichts geschehen.
Herr Bundesminister Friedrich, Sie waren ja in den
USA. Dann kamen Sie wieder und sagten, Sie sind jetzt
vollständig aufgeklärt; es ist alles in Ordnung. Ich muss
Ihnen sagen: Sie haben sich einlullen lassen.
({8})
Oder haben die Ihnen erzählt, dass sie gerade noch dabei
sind, die Kanzlerin abzuhören? Und dann stellt sich der
Kanzleramtschef Pofalla hin und sagt: Das Thema ist erledigt; es ist alles erledigt. - Wann haben Sie sich denn
jetzt mal bei der Bevölkerung entschuldigt und gesagt:
„Wir sind getäuscht worden, wir haben uns geirrt“? Ich
meine, Sie müssten sich doch wenigstens mal dafür entschuldigen.
({9})
Ich will auch noch etwas anderes sagen, das mir wichtig ist: Ich verstehe, dass die USA, Großbritannien und
Frankreich 1949 und danach Deutschland ausspioniert
haben. Es gab ein tiefes Misstrauen gegenüber unserem
Land. Aber wir haben nicht mehr 1949, wir haben 2013.
Inzwischen führen Sie - wenn auch gegen unseren Willen - gemeinsam Kriege wie in Afghanistan. Dann derartig ausspioniert zu werden, ist unverschämt und nicht
hinnehmbar. Dagegen muss man etwas tun, dagegen
muss man sich wehren.
({10})
Ich habe schon gesagt: Jetzt geht es um Aufklärung.
Dazu brauchen wir Edward Snowden. Eine Befragung in
Russland - ich bitte Sie! - ist doch indiskutabel. Stellen
Sie sich mal vor: Ein Staatsanwalt oder Mitglieder des
Untersuchungsausschusses befragen Snowden in Russland.
({11})
Dann macht er sich strafbar, indem er antwortet. Und
dann sagen wir zu Putin: Kümmere dich um seine Sicherheit! - Na, sagen Sie mal, das ist doch wohl grotesk.
({12})
Ich weiß gar nicht, seit wann Ihr Sicherheitsverhältnis zu
Putin so eng ist.
Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Aufklärung.
Und Sie haben recht, Herr Bundesminister. Sie sagen:
Wenn Bürgerinnen und Bürger und die Kanzlerin abgehört wurden, dann sind das Straftaten, dann muss ermittelt werden. - Aber wie wollen Sie das ohne Snowden
ermitteln? Das geht ja überhaupt nur, wenn Sie den Zeugen Snowden hören. Deshalb müssen wir ihm die Sicherheit gewähren.
Ich sage es ganz klar: Deutschland ist erst dann souverän, wenn es Herrn Snowden anhört, ihn schützt, ihm
Asyl gewährt und seinen sicheren Aufenthalt organisiert dann ist Deutschland souverän, vorher nicht.
({13})
Wenn Sie „Wie?“ rufen, dann sage ich Ihnen: Wenn unsere Dienste nicht einmal das können, dann sollen sie
dichtmachen. Das ist ja wohl das Mindeste, was wir gewährleisten können müssen.
({14})
Jetzt komme ich zu der Frage - sie ist auch interessant -,
wie das alles überhaupt rechtlich läuft. Ich habe mich ein
bisschen damit beschäftigt. Es gab die Pariser Verträge,
die 1955 in Kraft getreten sind. Das hat Adenauer gemacht, um der Bevölkerung sagen zu können: Das Besatzungsstatut ist aufgehoben worden. - Das Problem
war bloß, dass die Amis sagten, sie würden gerne ihre alten Rechte behalten. Deshalb sind Geheimverträge abgeschlossen worden. Ich hatte naiverweise erwartet, dass
diese Verträge im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche
aufgehoben wurden. Sie wurden aber nicht aufgehoben,
weil nämlich nur Abkommen mit allen vier Mächten
aufgehoben wurden, nicht aber Abkommen mit drei
Mächten, mit zwei Mächten oder mit einer Macht.
Da war zwar alles, was mit den Russen und den anderen drei Mächten gemeinsam vereinbart war, heraus,
aber der Rest blieb; und das geht nicht. Jetzt haben Sie
erklärt: Im Sommer sind diese Verträge für unwirksam
erklärt worden. - Wie eigentlich? Ich würde gerne einmal die Noten sehen. Was stand da eigentlich drin? Es
gab auch neue Verwaltungsvereinbarungen. Sie sehen:
Das ist alles ein Wirrwarr, der nicht mehr zu erklären ist.
Vergessen Sie auch nicht das Aufenthaltsabkommen und
das NATO-Truppenstatut. Auch hier haben sie Rechte,
die fast an die Besatzungszeit erinnern. Ich kann nur sagen: Auch hier muss sich einiges ändern.
({15})
Ich möchte jetzt wissen: Welche Verträge sind nun aufgehoben, welche gelten noch, und was steht da drin? Ich
finde, die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, das zu erfahren.
Ich möchte, dass eine weitere Frage beantwortet wird.
In Wiesbaden wird gerade ein gigantisches Geheimdienstzentrum der NSA aufgebaut. Wer hat das eigentlich erlaubt? Von wem geht das aus? Was sollen die da
betreiben? Auch hier hat die Bevölkerung doch einen
Anspruch auf Informationen. Möglicherweise muss man
den USA diesen Bau eben versagen.
({16})
Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Herr Bundesinnenminister, ich nenne Ihnen vier Varianten - advokatisch -, wenn es um die Frage geht: Was haben eigentlich unsere Dienste in Bezug auf die Rechtsverletzungen
durch britische und amerikanische Dienste getrieben?
Die erste Möglichkeit ist: Sie haben sie dabei unterstützt. Dann haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen,
sich an Straftaten beteiligt, und das müsste sehr ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.
Die zweite Möglichkeit ist: Sie haben es nur gewusst,
aber nicht unterstützt. Dann müssen sie aber die Bundesregierung informiert haben. Wenn die Bundesregierung
informiert war, aber nichts erklärt hat, dann haben Sie
das Grundgesetz verletzt, dann haben Sie Ihren Amtseid
verletzt, und dann haben Sie großen Schaden angerichtet.
({17})
Wenn die Dienste es gewusst haben und die Bundesregierung nicht informiert haben - dritte Variante -,
dann haben sie wiederum so eine schwere Pflichtverletzung begangen, dass wir schon wieder über ihre Zukunft
diskutieren müssen.
Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Sie haben
es gar nicht gewusst. Aber dann sind sie so was von unfähig, dass man sie auflösen kann. Darauf darf ich doch
hinweisen!
({18})
Ich habe folgende Frage: Gibt es denn Spionageabwehr nur gegen den Osten, nicht gegen den Westen?
Dürfen wir Milliardenschäden, zum Beispiel in der Wirtschaft, zulassen, bloß weil wir uns nicht trauen, gegenüber den USA eine Spionageabwehr zu organisieren?
Auch das geht nicht.
Es gibt immer zwei Einwände, die auch Sie benutzt
haben: Der eine Einwand betrifft die Wertegemeinschaft
und der andere die Freundschaft mit den USA. Es gibt
gemeinsame Werte zwischen den USA und Deutschland,
aber es gibt auch Kriege wie in Vietnam, in Afghanistan
oder im Irak. Es gab den Militärputsch in Chile mit der
Ermordung von Allende. Es gibt das Gefangenenlager
Guantánamo, wo täglich Menschenrechte verletzt werden. Es gibt den Krieg mit Drohnen. - Eine Wertegemeinschaft nutzt nichts, wenn man bei der Verletzung
von Werten nicht deutliche Kritik übt, und genau das
machen Sie nicht.
({19})
Ich bin kein Antiamerikanist, überhaupt nicht. Ich bin
gerne in den USA und spreche gerne dort mit den Menschen. Aber eines sage ich Ihnen: Freundschaft, wie Sie
sie sich vorstellen, gibt es nicht. Mit Duckmäusertum
und Hasenfüßigkeit
({20})
erreicht man keine Freundschaft, sondern das Gegenteil.
({21})
Nur dann, wenn wir gegenseitige Achtung und gegenseitigen Respekt herstellen, kann es eine wirkliche Freundschaft geben.
Dazu brauchen Sie als Bundesregierung Mumm. Sie
müssen der US-Regierung sagen: Schluss, aus; wir hören Snowden und schützen ihn. - Dann erst sind wir
wirklich souverän. Sie müssen fordern: Verhandelt mit
uns auf Augenhöhe! - Dann kriegen wir auch eine
Freundschaft mit den USA hin. Was Sie machen, ist
Duckmäusertum. Das kenne ich seit Jahrzehnten, und
ich bin es so was von leid.
({22})
- Ja, haben Sie endlich mal den Mumm! Genau so sind
Sie hier auch. Ist doch nicht zu fassen!
({23})
Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn Sie nichts machen
- Herr Friedrich, Sie haben gesagt, Sie verhandeln mit
denen -, wissen Sie, was Sie diesen fünf Ländern damit
eigentlich sagen? Sie sagen ihnen damit: Macht ruhig
weiter so, von uns habt ihr nicht den geringsten Nachteil
zu erwarten! - Ich wiederhole: Das verletzt schwer den
Eid, den Sie geleistet haben, nämlich Schaden von unserer Bevölkerung abzuwenden.
Ich möchte, dass Sie jetzt den Mumm haben, die Beziehung auf eine andere Grundlage zu stellen, auf die
Grundlage der Gleichberechtigung. Das ist nicht zu viel
und das ist nicht zu wenig verlangt. Die Weltmacht mit
ihren Weltmachtallüren muss endlich begreifen, dass wir
ein gleichberechtigter Partner sind und nicht jemand, mit
dem man machen kann, was man will. Dazu brauchen
Sie eine grundsätzlich andere Haltung, Frau Bundeskanzlerin und Herr Friedrich.
({24})
Als nächster Redner hat der Kollege Christian
Ströbele das Wort.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe eine Frage, Frau Bundeskanzlerin:
({0})
Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich bei Edward
Snowden zu bedanken? Immerhin haben Sie es ihm und
seinen mutigen Enthüllungen zu verdanken, dass Ihr
Handy derzeit wahrscheinlich nicht abgehört wird.
({1})
Immerhin haben Sie es ihm zu verdanken, dass Sie mit
dem US-Präsidenten telefonieren durften, konnten,
({2})
dass Sie Anlass hatten, ihm zu erklären, dass das gar
nicht geht, und dass Sie vom Präsidenten die Zusicherung bekommen haben: Jetzt und in Zukunft hören wir
Sie nicht ab. - Sind Sie überhaupt nicht dankbar? Wäre
es nicht eine menschliche Geste, Herrn Snowden zu sagen: „Danke schön“?
({3})
Frau Bundeskanzlerin, warum reden Sie heute hier nicht,
wo es doch um Ihr Handy geht, um Ihre Aufgabe, die
deutsche Bevölkerung vor millionenfachem Abhören
und Abfangen der Telekommunikationsverbindungen zu
schützen? Warum ducken Sie sich weg? Sie haben in Ihrer Rede zum ersten Tagesordnungspunkt nur eine kleine
Andeutung gemacht und sitzen jetzt hier und hören sich
das an. Das ist nicht mutig. Ich hatte etwas anderes von
Ihnen erwartet.
({4})
Nun komme ich zu Herrn Friedrich. Ich habe ihn im
PKGr erlebt und seine Äußerungen in der Presse gelesen. Herr Friedrich, Sie hätten sich hier einmal hinstellen
und sagen können: Ich habe mich geirrt im August.
({5})
Sie sind aus den USA zurückgekommen und haben gesagt - soll ich es Ihnen vorlesen? -: Alle Vorwürfe haben
sich „in Luft aufgelöst“. - Ich habe immer geguckt, weil
das schon damals nicht richtig war.
({6})
Falsch war auch, was Herr Pofalla erklärt hat: Die Vorwürfe sind „vom Tisch“. - Falsch war auch, was Ihnen
und Ihren Präsidenten die NSA und deren General erklärt haben, nämlich dass sie in Deutschland Gesetz und
Recht einhalten. Das war falsch. Das war die Unwahrheit. Mich interessiert: Was haben Ihre Emissäre, die Sie
dort hingeschickt haben, die Präsidenten der Geheimdienste, ihren Kollegen eigentlich dazu gesagt, dass sie
so reingelegt worden sind, dass sie nämlich nach ihrer
Rückkehr nach Deutschland gesagt haben: „Es ist überhaupt nichts gewesen; die halten sich selbstverständlich
an Gesetz und Recht“?
({7})
Und dann hören sie, dass die Kanzlerin abgehört worden
ist. In welchem deutschen Gesetz, in welchem deutschen
Recht steht, dass man die Bundeskanzlerin abhören
darf?
({8})
Jetzt komme ich auf Ihre Rede von heute zu sprechen,
Herr Friedrich: Sie betonen immer, in Deutschland sind
Millionen Deutsche nicht abgehört worden. Herr
Friedrich, Sie wissen, dass ich Ihnen immer wieder die
Frage stelle: Können Sie sagen, wie viele Millionen
Deutsche über ihre Telekommunikationsverbindungen,
über das Internet, über die Server in den USA, über die
Glasfaserknotenpunkte in Südengland abgehört wurden?
Von wie vielen Millionen Deutschen wurden die Telekommunikationsverbindungen gespeichert und ausgewertet? Sagen Sie einmal etwas dazu! Waren es 1 Million, waren es 20 Millionen, waren es 50 Millionen,
waren es 80 Millionen? Und: Was ist dran an dem Vorwurf - dazu haben Sie sich geäußert, aber das war das
falsche Beispiel -, dass in einem Monat über 400 Millionen Telekommunikationsverbindungen von Deutschen
abgehört worden sind?
({9})
Erklären Sie das doch mal! Beantworten Sie die Frage!
Sie gehen nämlich in die USA und stellen dort nicht einmal konkrete Fragen. Sie haben einen Fragenkatalog
hingeschickt. Die Fragen, die Sie im Juni verschickt haben, sind bis heute nicht beantwortet worden. Eine einzige Frage, nämlich die, was man sich unter Prism vorzustellen hat, ist beantwortet worden, sonst nichts. Was
machen Sie denn da? Sagen Sie Ihren Kollegen: „Das
nehme ich nicht länger hin! So könnt ihr mit mir nicht
umgehen! So geht man mit Freunden nicht um!“? Nein,
Sie machen überhaupt nichts. Sie sind in einem Maße
devot, wie es eines deutschen Bundesinnenministers
nicht würdig ist.
({10})
Wir haben aufzuklären, nicht nur im Interesse der
Kanzlerin, nicht nur im Interesse der deutschen Wirtschaft, sondern vor allem im Interesse der 80 Millionen
Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Es geht um
deren Grundrecht. Es geht um deren Freiheit der Kommunikation über Handy, über E-Mail, über Telefon. Darum geht es. Um das aufzuklären, brauchen wir eine parlamentarische Instanz; denn Sie, die Bundesregierung,
haben in diesem Bereich völlig versagt.
({11})
Der Kollege Grosse-Brömer wird wahrscheinlich gleich
etwas dazu sagen.
Wir brauchen mindestens ein besser ausgerüstetes
PKGr, eher ein noch wirksameres parlamentarisches
Kontrollorgan. Da gibt es in einigen Punkten auch Einigkeit.
({12})
Wir brauchen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die Rechte hat, Zeugen zu befragen.
({13})
Das, was Herr Steinmeier sagt, stimmt. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass General Alexander nach Deutschland kommt und aussagt. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass andere NSA-Leute nach Deutschland kommen und
aussagen. Wir haben das in anderen Untersuchungsausschüssen probiert, und die haben nicht einmal geantwortet. Deshalb brauchen wir Edward Snowden, um hier in
Deutschland aufklären zu können. In Deutschland vor
einem deutschen Untersuchungsausschuss muss er diese
Möglichkeit haben.
Herr Kollege Uhl, Sie haben ja immer wieder betont:
Was kann der uns denn schon sagen? Seine Dokumente
sind doch unterwegs. - Herr Snowden hat diese Dokumente ja nicht ohne Grund ausgewählt. Er kann uns sagen, in welchem Zusammenhang sie stehen. Er kann uns
erklären, was sie bedeuten. Er kann uns die Interpretation geben. Wenn das kein klassischer Kronzeuge ist,
dann kenne ich keine Kronzeugen. Er muss nach
Deutschland kommen können und hier vor der Justiz,
also beim Generalbundesanwalt, aber auch vor einem
parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen.
({14})
Es wird ja immer wieder gefragt: Woher wissen wir
denn, dass der die Wahrheit sagt? Darauf haben Sie ja
zutreffend hingewiesen, Herr Kollege Steinmeier. Ich
habe das genau verfolgt. Ich habe mir das noch einmal
angesehen. Es sind verschiedene Dokumente, die er übrigens nicht aus Moskau schickt, sondern die er schon in
Hongkong an Journalisten weitergegeben hat; diese veröffentlichen die jetzt. Alle Dokumente, die er weitergegeben hat, sind bestätigt. Bei nicht einem einzigen
Dokument davon bestreitet die NSA, dass es echt ist.
Deshalb ist das ein Zeuge, den wir hier brauchen.
Ich sage Ihnen noch etwas zu diesem No-Spy-Abkommen, das Sie vorbereiten. Es kann doch nicht nur darum gehen, dass die Kanzlerin und die deutsche Industrie nicht abgehört werden. Es geht um die 80 Millionen
Deutschen, die nicht abgehört werden dürfen.
({15})
Das heißt, ein No-Spy-Abkommen, das nur Sie schützt,
nur die deutsche Industrie schützt, ist ja ganz schön. Das
sind wichtige Punkte. Auch ich will nicht, dass die
Kanzlerin von der NSA abgehört wird. Aber es geht
letztlich um die ganze deutsche Bevölkerung.
Lassen Sie mich abschließend noch sagen - so lange
habe ich hier noch nie reden dürfen; ich hätte sogar noch
viel mehr zu sagen -:
({16})
Wir, die diese Sitzung beantragt haben, die gesagt haben,
dass das ganze Problem in das Plenum des Deutschen
Bundestages muss, wir, die jetzt Forderungen gestellt
und in unserem Antrag auch aufgelistet haben, vertreten
hier 60 Prozent der deutschen Bevölkerung. Deshalb ist
es notwendig und richtig, dass Sie unseren Verlangen
nachkommen. Wir wollen unsere Aufgabe ernst nehmen.
Wenn wir es nicht in der Regierung können, dann machen wir es in der Opposition hier im Bundestag. Es geht
um unsere Aufgabe, die Telekommunikationsbeziehungen der deutschen Bevölkerung wieder sicher zu machen, es zumindest zu versuchen. Darum geht es uns.
Deshalb hatten wir die heutige Sitzung beantragt.
({17})
Der nächste Redner ist Michael Grosse-Brömer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was mich bei der Debatte immer gestört hat, ist, dass sie
in erster Linie durch Empörung und Aufgeregtheit geprägt wird.
({0})
Glauben Sie, dass irgendjemand in diesem Haus es gut
findet, dass deutsche Staatsangehörige widerrechtlich
abgehört werden?
({1})
Glauben Sie, dass irgendjemand gut findet, dass die
Kanzlerin oder sonstige Regierungsmitglieder abgehört
werden?
({2})
Zu der Debatte gehört nicht nur Aufgeregtheit. Zu der
Debatte gehören auch Aufklärung, notwendige Forderungen, gemeinsames Handeln und im Übrigen Vorschläge, wie alles besser werden kann.
Es ist zu wenig, nur zu fragen: Was sollen denn die internationalen Abkommen? Wenn Ihnen internationale Abkommen von Anfang an als unwirksam erscheinen, dann
können Sie internationale Politik gleich sein lassen.
({3})
Die Debatte um die NSA muss geprägt sein von Lösungsvorschlägen.
({4})
Da, muss ich sagen, waren Sie, von Herrn Steinmeier abgesehen, relativ blank, insbesondere Sie, Herr Gysi.
({5})
Wir und mit uns die Bundesregierung haben uns insbesondere im Rahmen des Parlamentarischen Kontrollgremiums in den letzten Wochen und Monaten intensiv
mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben klare Maßnahmen ergriffen. Es ist deklassifiziert worden; es gab einen
Deklassifizierungsprozess; Herr Ströbele, Sie wissen das
ja alles, weil Sie dabei waren. Wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: „Es ist nichts passiert“, so ist das definitiv
falsch. Das ist eine falsche Behauptung.
Zur notwendigen Aufregung, zur notwendigen Sorge
über möglicherweise ungerechtfertigte Abhörmaßnahmen gehört auch der Hinweis, dass es uns im Rahmen
der Aufklärung gelungen ist, darauf hinzuweisen, dass
die zwischenzeitlich behauptete massenhafte Ausspähung deutscher Staatsangehöriger - das wurde ganz konkret behauptet - so, wie behauptet, nie stattgefunden hat.
({6})
Wenn Sie ehrlich sind, sagen Sie, dass Sie wissen, dass
wir das anhand einer Codierung konkret überprüft und
festgestellt haben: Die Zusammenarbeit, die zwischen
dem BND und der NSA in diesem Fall angeblich stattgefunden hat, war ein Teil der Auslandsaufklärung und hat
nichtdeutsche Staatsangehörige betroffen. Auch so etwas
muss man bei der nüchternen Analyse und Bewertung
des Sachverhaltes sagen können und darf sich nicht nur
aufregen.
({7})
Ich will darauf hinweisen, dass wir gar nicht weit
voneinander entfernt sind. Wir haben doch gesagt: Wir
können Herrn Snowden informatorisch befragen. - Das
Parlamentarische Kontrollgremium hat sogar übereinstimmend darauf hingewiesen, dass es eine Prüfung geben muss, ob und was Herr Snowden noch zur Aufklärung beitragen kann, und das, obwohl er auch nach Ihrer
Auffassung ja gar keine Dokumente mehr hat. Man muss
ganz klar sagen: Wenn es um den Zeugen Snowden geht,
ist der Generalbundesanwalt gefragt. Wird er ein Ermittlungsverfahren einleiten, dann brauchen wir auch Zeugen. Wenn wir kein Ermittlungsverfahren haben, werden
wir auch keine Zeugen haben. Auch das muss ich Ihnen
nicht erklären.
({8})
Wir haben den übereinstimmenden Willen und den
übereinstimmenden Wunsch, aufzuklären und für die
Zukunft Lösungen anzubieten. Zur Ehrlichkeit gehört
dann aber, auch zu sagen: Die Abschöpfung von Daten
im Ausland durch fremde Dienste werden weder das
Parlamentarische Kontrollgremium noch welche Bundesregierung auch immer verhindern können. Ich weiß
nicht, wie Sie glauben, russischen, chinesischen oder
womöglich amerikanischen Geheimdiensten vorschreiben zu können, was sie zu tun haben.
Herr Kollege Grosse-Brömer, Herr Ströbele möchte
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein. Herr Ströbele hat nach eigenem Bekunden so
lange geredet wie seit langem nicht mehr. Ich möchte
jetzt fortfahren.
({0})
- Ich habe im PKGr zu diesem Thema sehr viele Debatten mit Herrn Ströbele geführt, und wir haben sehr viele
Fragen erörtert; das müssen wir jetzt nicht alles öffentlich wiederholen.
({1})
Wir haben festzustellen - das ist das Ergebnis nüchterner Analyse -: Die Verhältnismäßigkeit beim Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel ist, jedenfalls im Zusammenhang mit der NSA, ein Stück weit verloren gegangen. Das mag an 9/11 liegen, das mag an einer Traumatisierung liegen; welches die Gründe sind, können wir nur
vermuten. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie
wir zumindest für Deutschland eine Verbesserung herbeiführen können. Da, glaube ich, müssen wir ganz klar
feststellen: Der Einsatz von Diensten zum Schutz vor
terroristischen Anschlägen und zur Verhinderung
schwerwiegender Kriminalität ist sinnvoll und erforderlich.
({2})
Jeder von uns weiß, dass wir auch durch Hinweise der
amerikanischen Geheimdienste Anschläge in Deutschland verhindern konnten; das gehört als Teil der Wahrheit zu dieser Debatte. Aber wir müssen auch darüber
nachdenken, wie wir ein Abhören künftig verhindern
können. Denn - auch daran besteht kein Zweifel - das
Abhören der Kanzlerin, das Abhören von Ministern, das
Abhören von Bürgerinnen und Bürgern ohne konkreten
Tatverdacht gehört sich nicht, durch gar keinen Dienst
und erst recht nicht durch den amerikanischen Geheimdienst in Deutschland.
({3})
Ich glaube, dass man klar darauf hinarbeiten muss,
Vertrauen zurückzugewinnen. Ich teile die Auffassung
der Bundesregierung, dass wir auch zukünftig in vielfältiger Weise auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern angewiesen sein werden. Dass das transatlantische
Bündnis eine gewisse Bedeutung hat, bestreitet selbst
Herr Gysi nicht.
Ich bekomme in diesen Tagen viele Zuschriften von
Bürgern. Manche fordern - ein bisschen mit der
Gysi’schen Argumentation von vorhin -, dass wir uns
von den Amerikanern rigoros abnabeln. Andere fordern,
dass wir den Amerikanern eine Lektion erteilen, indem
wir das Freihandelsabkommen auf keinen Fall abschließen. Wieder andere fordern - wie Herr Gysi -, dass wir
auf jeden Fall Herrn Snowden Asyl gewähren, um einmal zu verdeutlichen, wie unabhängig wir sind.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie juristisch argumentieren,
dann seien Sie auch konsequent! Im Grundgesetz stehen
die Vorschriften zum Asylrecht. Auf dieser Grundlage
finden Sie keinen Grund dafür, Herrn Snowden Asyl zu
gewähren.
({4})
Jetzt kann man darüber nachdenken, ob es andere Möglichkeiten gibt, etwa nach dem Aufenthaltsgesetz.
({5})
Darüber kann man nachdenken. Man kommt aber nicht
daran vorbei, abzuwägen: Ist es zum Schaden oder zum
Nutzen Deutschlands, Herrn Snowden aufzunehmen?
({6})
- Nein, ich bringe das jetzt eben zu Ende. - Sie werden
jetzt argumentieren: Ja, das ist genau richtig für
Deutschland; denn dadurch emanzipieren wir uns von
den Vereinigten Staaten von Amerika.
Ich habe eine andere Auffassung; ich halte keinen dieser Wege für richtig. Ich glaube, Verärgerung und Wut
sind verständlich, aber sie sind keine guten Ratgeber.
Lösungen finden wir nur zusammen mit den Vereinigten
Staaten von Amerika.
({7})
Das ist jedenfalls unser Ansatz. Um Missstände zu beheben, reicht es nicht, die anderen zu beschimpfen, sondern man muss gemeinsam Lösungen suchen.
Ich finde es gut, dass sich Außenminister Kerry entschieden hat, eine Versöhnungsreise anzutreten. Er wird
ausreichend Zeit haben, sich in Deutschland aufhalten.
Ich glaube, das ist das richtige Signal in dieser Debatte.
Ich will zum Abschluss sagen: Ich glaube, dass die intensiven Bemühungen der Bundesregierung, Datenschutz und Datensicherheit auf europäischer und internationaler Ebene zu stärken, richtig sind. Dafür muss man
sich weiter einsetzen, und dieser Einsatz lohnt sich. Aber
auch wir Parlamentarier sollten uns an dem Versuch beteiligen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Deswegen hat die Union im Parlamentarischen
Kontrollgremium vorgeschlagen - ich glaube, das findet
sogar die Zustimmung Herrn Ströbeles -, dass wir uns
mit den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen im
Senat, im Repräsentantenhaus zusammensetzen, insbesondere mit denen, die den amerikanischen Geheimdienst kontrollieren. Dann kommen wir ein bisschen
runter, dann empören wir uns nicht nur, dann sind wir
nicht nur aufgeregt, sondern dann arbeiten wir konkret
an einer Lösung.
({8})
Ich glaube, es ist der wesentlich sinnvollere Weg, daran
zu arbeiten, dass wir besser werden, dass wir Skandale
vermeiden und gemeinsam wieder gut zusammenarbeiten. Das ist der Punkt.
Was die konkrete Umsetzung betrifft, haben mein
Kollege Dr. Krings und mein Kollege Michael
Kretschmer klare Vorgaben erarbeitet, wie IT-Sicherheit,
wie Datensicherheit gewährleistet werden kann und wie
Sicherheitsforschung, wie Aufklärung, Transparenz
stattfinden kann. Der Kollege Dr. Krings wird dazu
nachher noch etwas sagen.
Herr Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie jetzt noch
eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ja, bitte - aber nur, weil meine Redezeit gerade zu
Ende ist.
Ich wollte Ihnen die Möglichkeit verschaffen, noch
etwas ausführlicher zu werden.
Herr Grosse-Brömer, Sie haben gerade die Forderung
nach Aufnahme von Herrn Snowden mit dem Hinweis
auf das Asylrecht abgebügelt, allerdings eingeräumt, es
gebe natürlich eine andere Möglichkeit nach dem Aufenthaltsgesetz. Nach § 22 Aufenthaltsgesetz gibt es die
Möglichkeit, Einzelpersonen aufzunehmen, und zwar
aus zwei Gründen: entweder wenn es den politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht oder
wenn es aus humanitären Gründen geboten ist.
Würden Sie nicht sagen, dass es den politischen Interessen Deutschlands entsprach, dass wir von Herrn
Snowden Informationen über die Abhörpraxis der NSA
gegen Staatsbürger und selbst die Regierungschefin der
Bundesrepublik Deutschland bekommen haben? Meinen
Sie nicht auch, dass es ein humanitäres Gebot ist - weil
Russland Herrn Snowden nur für begrenzte Zeit Aufenthalt gewährt und Russland eine Diktatur ist -, dass wir
als Land der Freiheit und Partner der Vereinigten Staaten
sagen: „In einem solchen Fall nehmen wir den auf“?
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man für
diese Aufnahme sein kann und trotzdem als Transatlantiker sagen kann: „Uns verbindet gerade mit den Vereinigten Staaten eine Wertegemeinschaft für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Wir haben an diesem Punkt
einen fachlichen Dissens, aber keinen Dissens der
Grundwerte, und diese Grundwerte gebieten gerade eine
Aufnahmeentscheidung der Bundesrepublik“?
({0})
Herr Grosse-Brömer.
Herr Kollege Beck, ich habe vorhin schon versucht,
das ein Stück weit deutlich zu machen, aber Sie haben
mir vielleicht nicht zugehört. Ich will das gerne wiederholen.
Ich finde, es muss die Abwägung geben, von der Sie
gesprochen haben: die Abwägung der Interessen von
Herrn Snowden mit den Interessen Deutschlands an der
Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des transatlantischen Bündnisses. Das ist vielleicht keine einfache
Entscheidung. Ich gebe Ihnen in einem recht: Ich glaube,
dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen
hat, die Debatte um die künftige Sicherheit. Man kann
das auch mit den Worten des amerikanischen Präsidenten sagen: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist
künftig auch technisch umzusetzen. Hier müssen wir uns
stärker einmischen, zumindest in Bezug auf Deutschland; denn darüber hinaus sind wir ja nicht zuständig.
Ich komme bei dieser Abwägung zu einem anderen
Ergebnis als Sie; das will ich Ihnen klar sagen. Mir ist
nämlich noch nicht klar, in welcher Form Herr Snowden
noch weiter gehende Zeugenaussagen machen kann, und
ich glaube, dass die Fortentwicklung des transatlantischen Bündnisses für die Bundesrepublik Deutschland
und deren Interessen wichtig ist.
Jenseits der Tatsache, dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen hat, hat Herr Snowden auch
massiv gegen strafrechtliche Vorschriften in seinem
Land verstoßen.
({0})
Das gehört ebenfalls zur Gesamtbewertung. Lassen Sie
es mich deshalb so sagen: Das ist vielleicht keine einfache Entscheidung; man kann sie sicherlich erst nach längerem Nachdenken treffen, und es werden vielleicht
auch unterschiedliche Interessen vorangestellt. Ich
glaube aber, dass eine Abwägung dazu führt, dass wir
Herrn Snowden aus übergeordneten Interessen nicht in
Deutschland aufnehmen sollten.
Ich will zum Abschluss sagen: Wir haben in puncto
Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine gemeinsame
politische Herausforderung. Deswegen glaube ich, dass
Herr Steinmeier mit dem „Völkerrecht im Netz“ Richtiges gesagt hat. Das sind neue Herausforderungen, um
die wir uns kümmern müssen, aber eben nur national.
Wir sollten nicht so tun, als könnten wir den agierenden
Geheimdiensten weltweit vorschreiben, wie sie sich verhalten. Man kann das bedauern, aber es ist so. Wir haben
insgesamt dafür zu sorgen, dass die richtige Balance
zwischen Sicherheit und Freiheit bei den Geheimdiensten, beim Abhören gewährleistet wird. Wir sollten unseren Beitrag dazu vorrangig im Parlamentarischen Kontrollgremium leisten.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Oppermann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit den
ersten Enthüllungen und Berichten über Dokumente von
Edward Snowden im Juni hören wir jetzt fast im Wochenrhythmus von neuen Enthüllungen. Zuletzt war es
ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, in dem beschrieben wurde, wie unsere Sicherheitsbehörden mit dem
deutschen Tochterunternehmen der Computer Sciences
Corporation zusammenarbeiten. Ich finde, dieser Bericht
offenbart ein grundlegendes Problem; denn wenn es zutreffen sollte, dass die CSC Teil jenes nachrichtendienstlich-industriellen Komplexes ist, also jenes Geflechtes
von Geheimdiensten und Technologieunternehmen in
den USA mit mehreren Zehntausend Beschäftigten,
dann müssen wir uns heute fragen, ob wir etwas falsch
machen, wenn wir solche Unternehmen daran beteiligen,
Staatstrojaner zu testen oder die verschlüsselte Kommunikation in Regierungsnetzen zu entwickeln.
({0})
Solange wir kein rechtlich verbindliches Abkommen
über den Schutz vor Spionage haben, gehören solche
Aufträge auf den Prüfstand.
Unser Land hat in einem gemeinsamen Kraftakt von
Wirtschaft, Bund und Ländern das Lissabon-Ziel, nach
dem 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung
und Entwicklung ausgegeben werden sollen, erreicht.
Wir geben in jedem Jahr 75 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Das ist die wichtigste
Voraussetzung dafür, dass wir auf vielen Teilmärkten die
Technologieführerschaft haben. Das ist die wichtigste
Voraussetzung für unsere Exporterfolge. Aber was nützt
das alles, wenn hart erarbeitete Wissens- oder Technologievorsprünge für die Wettbewerber und die Konkurrenten mehr oder weniger offen einsehbar sind oder leicht
ausgekundschaftet werden können?
({1})
Unsere Unternehmen erleiden Milliardenverluste durch
Industriespionage. Wir können sie nicht effektiv genug
davor schützen. Deshalb müssen wir auch über die
Rückgewinnung oder zumindest über die partielle Wiederherstellung technologischer Souveränität nachdenken. Das bedeutet sichere Netze, sichere Kommunikation, Verschlüsselung und weitere Vorsorge. Das
bedeutet vor allen Dingen mehr Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Damit können wir nur die Kernbereiche unserer Unternehmen schützen - Frank-Walter
Steinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sie
alle international verzweigt und verflochten sind -, aber
das müssen wir tun. Insofern sollte die NSA-Affäre ein
absoluter Weckruf für alle sein. Wir müssen ja nicht
dümmer sein, als die Polizei erlaubt.
({2})
Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung jetzt ein
Anti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt. Ein
solches Abkommen darf sich aber nicht auf den Schutz
von Regierungen und Unternehmen beschränken, sondern muss auch der Überwachung der privaten Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger klare Schranken
setzen.
({3})
Wir wissen bis heute nicht - auch wenn das zwischenzeitlich anders gesehen wurde -, in welchem Umfang
die NSA durch Programme wie Prism die private Kommunikation deutscher Staatsbürger überwacht. Im
Sommer hatte die NSA gegenüber der Bundesregierung
versichert, es gebe keine massenhafte Ausspähung deutscher Bürger. Aber die NSA hat auch versichert, sie halte
sich in Deutschland an deutsches Recht. Spätestens seit
dem Lauschangriff auf die Bundeskanzlerin wissen wir,
dass das nicht stimmt. Warum sollten die Vertreter der
NSA der deutschen Regierung die Wahrheit sagen, wenn
sie zugleich den eigenen Kongressabgeordneten über das
Ausmaß der Überwachung nach dem Patriot Act in den
USA mehrfach die Unwahrheit gesagt haben?
({4})
Ich finde, es war grenzenlos naiv, das alles zu glauben.
Das Vertrauen ist in der Tat tief gestört. Es kann nur
durch Aufklärung und Vereinbarung klarer, verbindlicher Regeln wiederhergestellt werden. Die Aufklärung
müssen, finde ich, zuerst unsere amerikanischen Partner
leisten; denn wir können doch nicht allein auf die Dokumente von Edward Snowden verwiesen werden. Das
wäre doch etwas seltsam.
Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Ja, bitte.
Herr Kollege Oppermann, Sie haben eben gesagt,
dass Sie die Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen im Grundsatz gut finden. Ich habe den Medien entnommen, dass diejenigen, die darüber verhandeln, die
Chefs der Geheimdienste sind. Finden Sie es nicht ein
bisschen absurd, dass die Chefs von NSA und BND miteinander darüber verhandeln, wie künftig nicht mehr bespitzelt werden soll?
({0})
Ich nenne das geplante Abkommen lieber Anti-Spionage-Abkommen, weil ich dann weiß, was damit gemeint ist. Das wird zurzeit zwischen der Bundesregierung und dem Weißen Haus verhandelt. Wenn es am
Ende nur ein Stillhalteabkommen zwischen zwei Geheimdiensten wäre, wäre mir das entschieden zu wenig.
Ich finde, es muss ein Regierungsabkommen werden. Es
muss rechtsverbindlich sein, und die Menschen in diesem Lande müssen, wenn neues Vertrauen entstehen
soll, sich auf so etwas auch verlassen können.
({0})
Wir sollten die Aufklärung trotz allem nicht allein den
Regierungen überlassen, sondern auch auf die Zusammenarbeit der Parlamente setzen.
({1})
Ich finde es ausgesprochen ermutigend, dass viele Kongressabgeordnete die Kritik an der ausgeuferten NSAÜberwachung teilen. Dianne Feinstein, die Vorsitzende
des Geheimdienstausschusses im Senat, lehnt die Abhörmaßnahmen gegen Politiker von US-Verbündeten kategorisch ab und fordert die vollständige Unterrichtung der
Mitglieder des Geheimdienstausschusses im Senat. Viele
Abgeordnete beider Fraktionen und in beiden Häusern
zweifeln daran, dass der NSA-Komplex noch politisch
steuerbar oder demokratisch kontrollierbar ist. Ich finde,
dass der Bundestag und der US-Kongress in dieser Frage
einen intensiven Austausch betreiben sollten; denn wir
dürfen nicht zulassen, dass die ausgeuferte Überwachungspraxis der NSA Deutschland und Amerika spaltet.
({2})
Die USA sind unser wichtigster Bündnispartner, nicht
nur, aber besonders wenn es um den Schutz unserer
Soldaten in Afghanistan oder um den Schutz vor Terroranschlägen in Deutschland geht. Wir sind auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angewiesen. Mit vertrauensvoller Zusammenarbeit ist aber nicht vereinbar, wenn
wir von unseren engsten Verbündeten ausspioniert werden. Ich finde, das ist auch eine Frage des wechselseitigen Respekts souveräner Partner, die zwischen Freund
und Feind, zwischen Recht und Unrecht unterscheiden
können.
({3})
Herr Gysi, ich habe mich gefragt, welches Verständnis von Souveränität Sie haben, als Sie sagten: Deutschland ist erst dann souverän, wenn wir Edward Snowden
hierher holen und als Zeugen befragen. - Der Souveränitätsbegriff, von dem Sie ausgehen, erinnert mich mehr
an Carl Schmitt: Souverän ist, wer Mutproben gewinnt.
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Das ist nicht der Souveränitätsbegriff unseres demokratischen Staates.
({4})
Souverän ist nach unserem demokratischen Verständnis,
wer aufgrund des Rechts Gesetze geben oder aufheben
kann. Souverän ist ein demokratischer Staat, wenn er
verantwortlich und klug handelt, wenn er die verschiedenen Interessen abwägt. Nicht souverän ist ein Staat, der
einseitige Entscheidungen trifft. Das ist Unilateralismus,
Herr Gysi. Das kommt Ihnen vielleicht aus früheren Zeiten bekannt vor, hat aber mit der Debatte, die wir heute
führen, gar nichts zu tun.
({5})
Wir haben drei Ziele gleichzeitig zu verfolgen, Herr
Gysi. Erstens geht es darum, dass wir die Ausspähungen
aufklären und die schrankenlose Überwachung durch
US-Geheimdienste beenden. Zweitens geht es darum,
dass wir die Partnerschaft mit den USA intakt halten.
Wir dürfen sie nicht preisgeben. Wir müssen sie wieder
auf jene Wertebasis zurückführen, auf der sie gegründet
wurde, nämlich auf Demokratie, Freiheit und Herrschaft
des Rechts. Diese Werte sind mit schrankenloser Überwachung der Privatsphäre unvereinbar. Drittens geht es
um eine humanitäre Lösung für Edward Snowden, nicht
um eine einseitig entschiedene Lösung. Herr Gysi, wir
haben auch mit dem Vertreter Ihrer Partei im Parlamentarischen Kontrollgremium eine sehr nachdenkliche Diskussion geführt, nachdem uns Herr Ströbele über das
Gespräch mit Herrn Snowden in Moskau informiert
hatte. Wir waren uns am Ende darüber einig, dass dies
nicht im Zuge einer Mutprobe entschieden werden kann,
weil damit insbesondere Edward Snowden gar nicht gedient wäre. Ihm ist wahrscheinlich nur mit einer verhandelten Lösung gedient.
Ein demokratischer Staat, der in Partnerschaft mit anderen lebt, entscheidet nicht einseitig über bestimmte
Fragen, sondern sucht nach Verhandlungslösungen, und
zwar im Rahmen des Rechts. Es geht darum, diesen
Konflikt politisch und rechtlich und nicht durch einseitige Entscheidungen zu bewältigen.
Vielen Dank.
({6})
Der nächste Redner ist Dr. Konstantin von Notz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man Sie hier so reden hört, Herr GrosseBrömer und Herr Friedrich, zu Ihren Aufklärungsbemühungen bezüglich dieses größten Datenschutz- und Geheimdienstskandals aller Zeiten, dann hat man den Eindruck: Sie können nicht vernebeln, dass Sie nach einem
halben Jahr nichts vorzuweisen haben. Sie stehen hier
mit völlig leeren Händen.
({0})
Sie haben mehrere Reisen in die USA unternommen
bzw. unternehmen lassen, Herr Friedrich. Herausgekommen ist gar nichts. Zuletzt haben Sie den Bock zum
Gärtner gemacht und Geheimdienstler mit Geheimdienstlern Geheimes geheim besprechen lassen. Aber
auch diese sind ohne Ergebnisse zurückgekommen. Sie
verstehen offensichtlich nicht, was nach diesem Skandal
am wichtigsten ist, nämlich Transparenz, um das verloren gegangene Vertrauen in die wichtigste Kommunikationsstruktur unserer Zeit zurückzugewinnen.
({1})
Wer diese bisherigen Bemühungen, Herr Friedrich,
als Erfolg feiert, der dokumentiert seinen Unwillen und
seine Unfähigkeit, überhaupt Konsequenzen aus diesem
Skandal zu ziehen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, wohnt übrigens dieser Debatte
bei. Er mahnt in seiner Stellungnahme, die auch Grundlage unserer heutigen Debatte ist, an, wie notwendig angesichts der fundamentalen Grundrechtsbedrohung die
Aufklärung ist. Von Ihnen kommt nichts dazu, Herr
Friedrich,
({2})
nach all den Monaten nichts, nur eine schwurbelige
Rede.
({3})
Ich sage Ihnen einmal, welche Fragen sich stellen:
Welche Rolle spielen deutsche Geheimdienste im internationalen Datenaustauschring? Sie selbst haben erzählt,
dass wir selber Millionen von Daten weitergeben. Das
ist ein zusammenhängendes System. Das ist für jeden
normal denkenden Menschen offensichtlich. Sie klären
nichts auf. Sie fixieren die Diskussion auf die NSA und
die USA. Das sage ich zum Vorwurf des Antiamerikanismus. Wer redet denn von einer digitalen Besatzungsmacht? Das ist doch Ihr Kollege von der Union, Herr
Uhl. Wie antiamerikanisch soll es denn noch werden?
({4})
Was ist denn mit den anderen Geheimdiensten, zum Beispiel mit dem britischen Geheimdienst? Deren Aktivitäten sind keinen Deut unproblematischer.
Warum, Frau Bundeskanzlerin, hat die Spionageabwehr bei Ihrem Handy so massiv versagt? Man kann sich
hier im Raum einmal locker die Frage stellen, wessen
Telefon - das betrifft auch die Regierungsbank - eigentlich noch abgehört wird.
({5})
Dazu haben wir nichts von Ihnen gehört. Was tun Sie
aktiv, um die Grundrechte der Menschen in diesem Land
- auch das ist nicht ganz unwesentlich - und die Integrität der Daten von Wirtschaftsunternehmen zu schützen?
All das sind gravierende Fragen. Bei denen sind Sie
völlig blank. Das merkt man auch in dieser Debatte
heute nur allzu deutlich. Das ist nach den sechs Monaten
ein Skandal. Deswegen brauchen wir den Untersuchungsausschuss.
({6})
Eines ist doch auch völlig klar: Die parlamentarische
Kontrolle hat versagt. Wir brauchen eine Reform von
G 10 bis PKGr. Herr Bundesinnenminister, Sie haben
eben versucht, dies mit der Anerkennung der Arbeit der
Kolleginnen und Kollegen zu verschwurbeln. Das hilft
doch niemandem. Das ist ein strukturelles Problem. Das
sagt übrigens auch der Bundesdatenschutzbeauftragte in
seinem Bericht.
Wir als Abgeordnete müssen uns - das wurde hier
schon gesagt, und das ist ein ganz wichtiger Punkt - mit
den Parlamentariern in den USA, die eine schärfere
Kontrolle wollen, zusammensetzen, und wir müssen als
Parlament, als Abgeordnete die Kontrolle der Geheimdienste wieder auf die Füße stellen. Wir sind diejenigen,
die kontrollieren.
({7})
Herr Kollege von Notz, Sie müssen zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Dass das
Problem heute so aufschlägt, ist auch eine Konsequenz
der Versäumnisse Ihrer Politik in den letzten Jahren.
Man kann geradezu von einer Sabotage der Frage sprechen, was wir für besseren Datenschutz tun können. Wer
hat denn die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unmöglich
gemacht? Das waren Sie in der letzten Bundestagssitzung der vergangenen Wahlperiode. Jetzt stehen Sie blamiert da. Die ganzen IT-Großprojekte der letzten Jahre
wie N-Perso, De-Mail und Gesundheitskarte sind diskreditiert.
({0})
Ihre Antwort, Herr Friedrich, ist ein Zentrum für Cyberabwehr, und dem gesellen Sie jetzt noch ein Zentrum
für Cybersicherheit hinzu.
({1})
Herr Kollege von Notz, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich gratuliere. Wenn das alles ist, was Sie die nächsten vier Jahre liefern wollen, dann kann einem nur angst
und bange um die Grundrechte in diesem Land werden.
Ganz herzlichen Dank.
({0})
Der nächste Redner ist Dr. Günter Krings.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben zumindest bei der letzten Rede einen
bemerkenswerten Vorgang erlebt. Man kann auch Oppositionsreflexe entwickeln, bevor überhaupt die Regierung gebildet ist. Das haben Sie jedenfalls gezeigt.
({0})
Ich weiß nicht, ob wir mit der Aneinanderreihung von
Vorwürfen und teilweise unhaltbaren Behauptungen der
Ernsthaftigkeit und der Bedeutung der Debatte gerecht
werden.
({1})
Datensicherheit ist unbestritten eines der Kernelemente moderner Sicherheitspolitik jedes souveränen
Staates. Die Gewährleistung von Sicherheit insgesamt
ist natürlich das wichtigste Fundament des Staates. Investitionen in Sicherheit und damit auch Investitionen in
Datensicherheit mögen auch in den kommenden Bundeshaushalten manchmal weniger populär sein als Investitionen etwa in Bildung oder Soziales, aber sie sind
sicherlich nicht weniger wichtig. Weil die Sicherheit unserer Daten untrennbarer Bestandteil der Staatsaufgabe
Sicherheit ist, sind wir der Überzeugung, dass amerikanische Nachrichtendienste hier über jedes verantwortbare Maß hinaus tätig geworden sind. Die Verantwortlichen der NSA haben mit einem gigantischen
Datenstaubsauger schlichtweg unentschuldbare Fehler
gemacht.
Aber, meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört auch: Den Gefahren des Terrorismus können wir im
21. Jahrhundert nicht mit massiver physischer Polizeipräsenz allein entgegenwirken. Wir können auf Terrorstrukturen, auf bestimmte Formen der organisierten
Schwerstkriminalität nur dann effektiv reagieren, wenn
wir über solche Netzwerke Informationen erlangen und
Anschläge verhindern und diese Netzwerke zerschlagen.
Das Problem ist daher nicht, dass überhaupt Daten zur
Terror- und Kriminalitätsbekämpfung erhoben werden.
Die Frage ist vielmehr, in welchem Umfang, mit welchen Methoden und auf welcher rechtsstaatlichen
Grundlage das geschieht. Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit sind selbst im Kampf gegen den Terror einzuhalten.
Die deutsche und europäische Antwort muss sein, die
richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu
finden. Es dürfte nämlich auch die Amerikaner wenig
beeindrucken, wenn wir sie wegen der NSA-Affäre vollkommen berechtigt kritisieren, aber zugleich in Deutschland, in Europa unsere eigenen Abwehrmöglichkeiten so
verkümmern lassen, dass wir immer dann, wenn es ernst
wird, um Daten und Erkenntnisse aus den US-Programmen bitten müssen. Die Angewiesenheit auf US-Geheimdiensterkenntnisse ist schon in der Vergangenheit
sehr real gewesen. Ich nenne als Beispiel nur die Sauerland-Gruppe, die monströse Anschlagspläne verfolgt
hat, was ohne US-Hilfe nicht hätte aufgedeckt werden
können. Deutschland, ja die ganze Europäische Union
muss jetzt beweisen, dass sich beides miteinander verbinden lässt: ein tauglicher Radarschirm gegenüber dem
internationalen Terrorismus und ein datenschutzrechtlich
hohes Niveau.
Das heißt zum Beispiel, dass das sogenannte SWIFTAbkommen mit den USA zur Ermittlung von Bankdaten
auf den Prüfstand gehört. Aber auf Grundlage dieses Abkommens haben die US-Behörden in den letzten Jahren
sage und schreibe 1 700 Gefährdungsberichte mit wertvollen, unverzichtbaren Erkenntnissen zur Terrorabwehr
allein an die Staaten der Europäischen Union gesandt.
Wir können deshalb auch ein solches Abkommen erst
neu verhandeln, nachdem wir in der Europäischen Union
ein eigenes, dann natürlich datenschutzfreundliches europäisches System zur Analyse von Finanztransaktionen
eingeführt haben. Dazu fehlt uns bislang aber leider der
Mut. Wir können nicht beides tun: die amerikanische
Hilfe ausschlagen und zugleich nicht in der Lage sein,
eigene Instrumente auf höherem Niveau einzuführen.
Wenn wir bestimmte amerikanische Radarschirme zur
Terrorismusbekämpfung nicht mehr uneingeschränkt
nutzen wollen, dann darf die Alternative eben nicht ein
sicherheitspolitischer Blindflug sein.
Unsere Aufgabe in Deutschland und Europa ist die
Rückgewinnung der digitalen Souveränität im Umgang
mit unseren Daten. Dazu müssen wir nicht nur rechtliche, sondern auch technische Vorkehrungen und Strategien entwickeln.
Ein paar Stichworte zum Bereich der Technik. Eine
bessere IT-Sicherheit führt auch zu mehr Datensicherheit. Es gibt technische Lösungen, die den Datenverkehr
zwar nicht vollkommen schützen, aber eben weniger anfällig für das Ausspähen machen. Dazu gehört ganz
praktisch, Möglichkeiten zu schaffen, dass zum Beispiel
eine E-Mail, die von Köln nach Düsseldorf gesendet
wird, nicht länger zwingend über andere Länder oder
Kontinente geleitet wird. Es geht ja nicht darum, ein abgeschirmtes nationales oder europäisches Netz aufzubauen. Sinnvoll erscheint es aber, zunächst in Europa einen Verbund von Ländern zu bilden, die sich auf ein
ähnlich hohes Niveau der Datensicherheit einigen. In einem solchen Schengen-Raum im Netz würden wir dann
einen gemeinsamen Sicherheitsstandard nach innen und
die gemeinsame Gefahrenabwehr nach außen organisieren.
Zum technischen Bereich gehört auch die schleunigste Verabschiedung eines IT-Sicherheitsgesetzes. Es
gibt bisher eine hohe Dunkelziffer von nicht gemeldeten
Hacker-Angriffen; der überwiegende Teil wird von der
Industrie nicht gemeldet. Man hat offenbar Angst vor
schlechter Publicity. Aber damit fördert man weitere Angriffe. Man verhindert auch, dass sich Behörden und Unternehmen vor künftigen Angriffen schützen. Dem müssen wir ein Ende machen. Wir brauchen deshalb unter
anderem eine Meldepflicht bei solchen Angriffen.
Das Gleiche gilt für einen höheren Mindeststandard
bei wichtigen Infrastrukturen, etwa der Energie- und
Wasserversorgung. Auch hier müssen und können wir
mehr tun.
Meine Damen und Herren, flankiert werden muss die
technische Ertüchtigung aber auch mit rechtlichen Maßnahmen. Eine Maßnahme wurde eben genannt: die EUDatenschutz-Grundverordnung. Die brauchen wir als
Datenschutzgrundgesetz Europas. Was nutzt es einem
Bundesbürger, wenn wir zwar in Deutschland ein hohes
Datenschutzniveau haben, aber dieser Datenschutz nicht
mehr greift, wenn wir auch nur eine innereuropäische
Grenze überschreiten oder wenn auch nur unsere Daten
eine innereuropäische Grenze überschreiten? Europa hat
mit 500 Millionen Bürgern die Marktmacht, auch globale Standards zu setzen, und die Möglichkeit, Datensicherheit zum Exportschlager zu machen.
Es ist richtig: Die Arbeit der NSA hat transatlantisches Vertrauen beschädigt. Zwischen modernen Staaten
ist das probate Mittel zur Wiederherstellung von Vertrauen insbesondere das Völkerrecht. Es ist deshalb richtig, dass derzeit ein Anti-Spionage-Abkommen mit den
USA verhandelt wird und hoffentlich auch bald zum Abschluss gebracht werden kann. Zwischen zwei souveränen Staaten gibt es auf diesem Feld eigentlich nur zwei
Möglichkeiten: Entweder man spioniert sich gegenseitig
aus, oder man verzichtet wechselseitig auf Spionage. Die
zweite Variante ist mir deutlich lieber, meine Damen und
Herren.
Ich will zum Schluss noch deutlich machen, dass wir
im Umgang mit dieser Geschichte insgesamt, bei allem
Ärger, nicht den Boden des Rechts verlassen dürfen. Unsere Antwort auf die Ausspähung deutscher Daten sollte
auf dem Boden unserer nationalen und der internationalen Rechtsordnung stehen. Anhand dieses ganz einfachen Maßstabs lassen sich ganz kurz und klar auch die
Ideen beantworten, Edward Snowden etwa Asyl in
Deutschland zu geben.
Das Asylgrundrecht, meine Damen und Herren, ist
kein fürstliches Privileg, das die Bundesregierung oder
der Bundestag nach Gutdünken erteilen darf. Das Asylgrundrecht ist ein Recht mit einem klaren Tatbestand.
Edward Snowden - bei allem Mut, den man ihm zusprechen muss - ist nicht politisch verfolgt, sondern er wird
juristisch belangt; das ist ein Unterschied. Strafrechtliche Ermittlungen eines Rechtsstaats sind ganz offensichtlich nicht geeignet, eine politische Verfolgung zu
begründen. Übrigens würde auch unsere Strafjustiz in einem vergleichbaren Fall wegen Hoch-, Landes- oder
Geheimnisverrats ermitteln müssen. Es ist schwer einzusehen, warum wir bei Tausenden von Flüchtlingen natürlich sehr genau prüfen, ob Asylgründe vorliegen, den
Fall Snowden aber ungeprüft durchwinken sollten, nur
weil er inzwischen eine Medienberühmtheit geworden
ist.
Meine Damen und Herren, natürlich verdanken wir
Edward Snowden interessante Hinweise auf die Spionagetätigkeit der NSA. Aber Kennzeichen eines Rechtsstaats ist, dass der gute Zweck eben nicht jedes Mittel
heiligt. Unser Auslieferungsabkommen mit den USA
gilt. Es gilt auch im Fall Snowden. Es ist eine große Errungenschaft der modernen internationalen Rechtsordnung, dass die Rechts- und Strafverfolgung immer weniger an nationalen Grenzen haltmachen muss. Es wäre
unseres Rechtsstaats unwürdig, würden wir im Stil von
Winkeladvokaten in diesem Auslieferungsabkommen irgendwelche Schlupflöcher suchen.
({2})
Kollege Krings, lassen Sie eine Zwischenfrage vom
Kollegen Ströbele zu?
Da ich keine Redezeit mehr habe, ist das eine willkommene Verlängerung. - Bitte schön.
Herr Kollege, danke, dass ich fragen darf. Darüber
freue ich mich immer.
Ist Ihnen bekannt, dass man sowohl in Deutschland
als auch in den USA selbst bei Begehung schwerer Straftaten die Möglichkeit hat - ich möchte nicht sagen, dass
das tägliche Rechtspraxis ist; es ist, sagen wir einmal,
monatliche Rechtspraxis -, von der Bestrafung ganz abzusehen oder die Strafe ganz wesentlich zu vermindern,
wenn die Person, der man Straftaten vorwirft, sich bei
der Aufklärung, insbesondere bei der Aufklärung anderer Straftaten, bei der Aufklärung von in hohem öffentlichen Interesse liegenden Sachverhalten, verdient gemacht hat?
Nehmen wir einmal die bei der Union etwas umstrittene Praxis, Leute, die aus der Schweiz Steuerdaten von
deutschen Steuerflüchtlingen liefern, nicht nur keiner
Bestrafung zuzuführen, sondern ihnen auch noch 1 Million Euro zu geben und ihnen durch eine neue Identität
Schutz zu gewähren. Ich kenne auch einen Fall, in dem
einer Person ein Bauernhof übereignet worden ist, damit
sie eine Existenzgrundlage hat.
Ist Ihnen das bekannt? Meinen Sie nicht, dass sich
Herr Snowden hier weltweit Verdienste erworben hat?
Es geht ja nicht nur um Deutschland und nicht nur um
die Kanzlerin. Es geht um Frankreich. Es geht um Italien. Es geht um den Papst. Es geht um Brasilien. Es geht
um Mexiko. Überall tritt dieses Problem mit der Ausspähung auf. Die Präsidentin Brasiliens hat einen Besuch in
den USA abgesagt, weil auch sie und ihre Regierung
ausspioniert worden sind. Auch das hat Edward
Snowden berichtet.
Meinen Sie nicht, dass eine Güterabwägung, wie sie
bei der Justiz und beim Staat immer üblich ist, auch bei
Snowden durchgeführt werden müsste und er deshalb als
Zeuge hierhergeholt werden könnte, ohne bestraft zu
werden?
Lieber Kollege Ströbele, dass einem Whistleblower
einmal ein Bauernhof geschenkt worden ist, das war mir
bisher in der Tat nicht bekannt. - Von mir aus können
Sie sich gerne hinsetzen, aber üblich ist es, sich die Antwort im Stehen anzuhören; das ist also schon in Ordnung. - Das ist eine neue Information für mich und eine
ganz nette Arabeske.
Die Möglichkeiten der Strafprozessordnung sind mir
sehr wohl bekannt. Es geht aber hier nicht um den Strafanspruch des deutschen Staates, auch nicht um Steuerstraftaten; darüber können wir lange sprechen. Wir als
Union hatten ganz andere und rechtsstaatskonformere
Dinge vorgeschlagen. Hier geht es um den Strafanspruch
der Vereinigten Staaten von Amerika.
({0})
Ich habe es eben verglichen: Man könnte sich auch den
Fall vorstellen, dass es um den Strafanspruch unseres
Landes gegenüber einem Spion oder vielleicht einem
Mitarbeiter geht, der in ein anderes Land gegangen ist.
Übrigens hat dieser Edward Snowden nicht nur interessante Schriftstücke zur Ausspähung mitgenommen,
sondern er hat, wie man ebenfalls hört, auch Listen mit
Namen von Geheimagenten mit ihren Klarnamen mitgenommen. Ob das alles so wenig sicherheitsrelevant ist,
das möchte ich wirklich sehr bezweifeln. Also, die Figur
Edward Snowden ist wahrscheinlich etwas vielschichtiger, bei allem respektablen Mut, den man ihm zusprechen kann.
Hier gilt der Strafanspruch der Vereinigten Staaten.
Es gilt das Auslieferungsabkommen, das wir geschlossen haben und das wir umgekehrt übrigens auch angewandt sehen wollten. Man mag an irgendeiner Stelle ein
Schlupfloch für diesen Fall finden. Aber ich finde, das
kann nicht der Stil sein, in dem Rechtsstaaten miteinander umgehen sollten. Wenn das andere Staaten so machen, hindert das uns nicht daran, rechtsstaatlich mit gutem Beispiel voranzugehen.
({1})
Die Zukunft - lassen Sie mich diesen einen Satz noch
sagen und damit zum Ende kommen - des deutsch-amerikanischen Verhältnisses darf nicht im wechselseitigen
Rechtsbruch liegen, sondern sie liegt in der wechselseitigen Vertrags- und Rechtstreue.
Danke schön.
({2})
Als nächste Rednerin spricht Dr. Eva Högl.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit die ersten Informationen über die massenhafte
verdachtsunabhängige Überwachung des Telekommunikationsverkehrs durch ausländische Dienste in Deutschland bekannt wurden, fühle ich mich sehr an die Zeit vor
fast zwei Jahren erinnert, Ende 2011, als die Naziterrorzelle NSU aufflog.
Auch damals drängte sich jeder und jedem von uns
eine Vielzahl von Fragen auf, Fragen, die sich alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gleichermaßen
stellten, Fragen, die uns an der Arbeitsfähigkeit und der
Effektivität unserer Sicherheitsbehörden zweifeln ließen,
und Fragen, die einer umfassenden und transparenten
Aufklärung zugeführt werden mussten.
Wir haben damals hier im Deutschen Bundestag gemeinsam über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg
einen vorbildlichen Weg eingeschlagen, die Aufklärung
dieser Fragen kooperativ, sachorientiert und transparent
zu ermöglichen. Die Art und Weise, wie wir dies beim
Fall NSU gemacht haben, wurde von vielen als Sternstunde des Parlamentarismus bezeichnet. Auch wenn
Sternstunden sich dadurch auszeichnen, dass sie etwas
Außergewöhnliches sind, können sie sich ja trotzdem
wiederholen. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir uns
an diesen Geist unseres damaligen Vorgehens erinnern
und bei dieser Debatte an diese Einigkeit anknüpfen.
({0})
Die Fragen, mit denen wir es zu tun haben, und die
Fragen, die wir uns alle stellen, eignen sich nicht für den
üblichen parteipolitischen Streit. Wir alle wollen doch
wissen: Seit wann, durch wen, in welchem Ausmaß erfolgt die massenhafte verdachtsunabhängige Überwachung der Kommunikationsbeziehungen von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland? Wo werden welche
Daten technisch gewonnen? Auf deutschem Hoheitsgebiet oder nur auf Kommunikationswegen im Ausland?
Inwieweit werden die Auslandsvertretungen hier in Berlin dazu genutzt, Kommunikationsbeziehungen auf deutDr. Eva Högl
schem Boden auszuspähen, und das nicht nur in Bezug
auf die Bundeskanzlerin, sondern in Bezug auf alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes?Welche rechtlichen
Regelungen gelten eigentlich für die Tätigkeit ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland? Was und seit
wann wussten deutsche Stellen über die massenhafte
verdachtsunabhängige Überwachung? Waren sie eventuell sogar daran beteiligt? Und, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Konnten unsere Dienste wirklich ernsthaft davon ausgehen, dass Regierungsmitglieder nicht überwacht werden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Fragen,
die ich eben aufgezählt habe, wollte oder konnte die
Bundesregierung bisher nicht beantworten. Jedenfalls
sind sie bisher komplett unbeantwortet. Wir haben also
viele Fragen, und wir haben viele Fragen, die sich in erster Linie an ausländische Dienste richten und die mit unseren parlamentarischen Mitteln nur schwer aufzuklären
und zu beantworten sind. Wir haben aber auch viele Fragen, die in Richtung unserer Nachrichtendienste gehen,
die ihr Wissen, ihre Arbeitsweise und ihre mögliche Beteiligung betreffen. Dafür ist zunächst einmal das Parlamentarische Kontrollgremium zuständig, das ganz offenkundig - das merken wir jetzt - in seiner jetzigen
Verfassung und bei seiner jetzigen Arbeitsweise an seine
Grenzen stößt. Deswegen begrüße ich ganz ausdrücklich
die Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit
des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Es sollte
transparenter tagen, teilweise öffentlich tagen, vielleicht
sogar Fernsehübertragungen ermöglichen. Wir haben an
einem Beispiel in England gesehen, wie dies machbar
ist. Ich denke, dass nicht alles, was Nachrichtendienste
machen oder wissen, geheimhaltungsbedürftig ist, sondern auch in der Öffentlichkeit debattiert werden muss.
Wir sollten uns für eine Verbesserung der Struktur
und Ausstattung des Kontrollgremiums engagieren. Unsere Vorschläge dazu haben wir dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Sie finden sich im NSU-Abschlussbericht.
Ich denke, dies ist ein guter Fall, sie umzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen keine
Zeit mehr verlieren, sondern wir müssen tatsächlich
ganz engagiert, und zwar gemeinsam, aufklären. Das
kann ein Kontrollgremium sein, das können Sachverständige sein, die wir einsetzen. Das kann eine Verbesserung der Transparenz des Verfahrens sein. Der Innenausschuss kann seine Aufgabe wahrnehmen. Wir können
eine Enquete-Kommission oder auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einrichten. Ich sage es hier
ganz deutlich: Die Organisationsform, in der wir als Parlament aufklären, ist zweitrangig. Entscheidend kommt es
auf die Inhalte und den Aufklärungswillen an.
({1})
Deswegen appelliere ich an alle, auch an die, die jetzt
nicht applaudieren,
({2})
dass wir sehr offen Gespräche darüber beginnen, wie wir
gemeinsam über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg
aufklären können, wie wir gemeinsam all die Fragen beantworten können, die hier gestellt wurden. Ich verspreche mir davon, dass wir etwas von dem, was ich vorhin
als Sternstunde bezeichnet habe, dem Geist des NSUAusschusses, auf dieses schwerwiegende Thema NSA
übertragen können.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächster Redner hat Herr Dr. Uhl das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Als im Sommer, im Juni, die Snowden-Enthüllungen ihren Anfang nahmen, war die Empörung groß und
die Meldungen nicht immer richtig. Ich habe noch einmal das Titelbild des Spiegels im Juli herausgesucht.
Dort hieß es:
Der PaktAußer Kontrolle: Die geheime Zusammenarbeit
von NSA, BND und Verfassungsschutz
Das war die Titelgeschichte des Spiegels, „Der Pakt“.
({0})
Da hieß es, Hunderte Millionen Daten von Deutschen
werden monatlich durch kollusives Zusammenwirken
zwischen NSA einerseits und den deutschen Diensten
andererseits nach Amerika geliefert. Das war der Vorwurf.
Diesen Dingen sind wir nachgegangen und mussten
wir nachgehen. Wir konnten dies glücklicherweise Punkt
für Punkt widerlegen. Insofern ist es unsere Aufgabe,
den Bundesinnenminister in Schutz zu nehmen. Auch
den Kanzleramtsminister Pofalla müssen wir in Schutz
nehmen, als er sagte, dass die Affäre insoweit aufgeklärt
und beendet sei. Dieses kollusive Zusammenwirken hat
es nicht gegeben.
({1})
Das sind wir als Parlamentarier unseren Beamten auch
schuldig. Man kann nicht zulassen, dass die Medien den
Beamten unwidersprochen millionenfachen Rechtsbruch
unterstellen und dann sagen: Aha, so sind die anscheinend; sie leisten einen Eid auf die Einhaltung der Gesetze, und dann begehen sie monatlich millionenfach
Rechtsbruch. Das kann so nicht stehen bleiben.
Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen von Notz?
Nein. Diese Dinge sind für mich ausdiskutiert und beendet.
({0})
Deswegen will ich auch keine Zwischenfrage dazu haben.
Meine Damen und Herren, aber was danach kam, hat
uns in der Tat die Augen geöffnet, weil wir von amerikanischer Seite eben nicht mit der Wahrheit bedient worden sind.
({1})
Insofern haben Sie recht, Herr Steinmeier, wenn Sie sagen, dass wir die Dinge nicht bagatellisieren sollen. Aber
wir sollten jetzt auch keinen Überbietungswettbewerb
veranstalten: Wer von uns allen ist über diese Vorgänge
am empörtesten? Wir sollten uns vielmehr gemeinsam
Gedanken machen: Was sind taugliche Instrumente zur
Aufklärung dieses Sachverhaltes?
In die Empörung des Sommers mischte sich der Vorschlag, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, meine Damen und Herren. Nun hat
es der Wähler so gewollt, dass die Minderheitsfraktionen
zusammen nur rund 20 Prozent der Sitze innehaben.
({2})
Dennoch wollten wir die Ausübung des wichtigsten
Minderheitenrechts der Opposition, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, nicht behindern. Aber ist es wirklich ein taugliches Instrument
- da bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Steinmeier; Ihre
Nachdenklichkeit, von der wir heute hier gehört haben, ist wichtig -, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Aufklärung amerikanischen Regierungshandelns einsetzen?
Ist es ein kluges, ein richtiges, ein weiterführendes Instrument? Natürlich nicht. Deswegen sollten wir darüber
noch einmal nachdenken.
Ich meine, wir sind an einem ganz schwierigen Punkt
angelangt. Es ist bekannt, dass Deutschland mit seinen
Datenschutzbestimmungen weltweit führend ist; der
deutsche Datenschutz ist sprichwörtlich führend. Das hat
zur Folge, dass der deutsche Staat den Bürgern - allen
Bürgern, nicht nur der Kanzlerin - das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zusichert. Und jetzt die
Frage:
({3})
Kann der Staat seinen Bürgern in Zeiten der weltweiten
Kommunikation, in denen Milliarden Daten über Glasfaserkabel um den Erdball gejagt, Milliarden von Daten irgendwo auf der Welt in Clouds gespeichert werden, noch
ein solches Recht auf informationelle Selbstbestimmung
zusichern? Wenn wir jetzt festgestellt haben, dass er es
nicht konnte, stellt sich die Frage: Wie kann er es denn in
Zukunft? Damit sind wir an dem Punkt angelangt, den
wir in Ruhe diskutieren sollten.
Variante eins der Lösung: völkerrechtliche Abkommen, No-Spy-Abkommen und was es alles für Verträge
geben kann. Es wird wohl wichtig sein, dass wir auf diesem Weg mit den Amerikanern weiterkommen.
Variante zwei sind technische Lösungen. Da teile ich
nicht Ihre Auffassung, Herr Steinmeier, wenn Sie das so
abtun. Ich glaube schon, dass die Rückgewinnung von
nationaler Souveränität ein Stück weit auch über technische Antworten gelingen kann. Ich sage: auch über technische Antworten. Ob es das geplante IT-Sicherheitsgesetz ist, ob es die De-Mail ist, ob es ein Routen innerhalb
des Landes ist, wenn eine Nachricht das Land nicht
zwingend verlassen muss und damit unseren Datenschutzbestimmungen unterworfen bleibt, ob es die Verschlüsselung von sensibler Regierungskommunikation
ist - hier haben wir hervorragende deutsche Kryptofirmen, die wir zum Einsatz bringen können -: Es gibt eine
Menge von Maßnahmen - technische Antworten -, die
neben den völkerrechtlichen Verträgen sicherlich auch
ein guter Teil der Lösung sind.
Lassen Sie mich ein Wort zu den Anträgen der Grünen und vor allem der Linken sagen. Herr Gysi, Ihre
Ausführungen zur Souveränität Deutschlands und zur
Rückgewinnung derselben werden durch einen Antragskatalog mit 16 Maßnahmen, 16 Aktionen ergänzt, die
weitgehend schon von Antiamerikanismus geprägt sind,
obwohl Sie das abgestritten haben.
({4})
Wenn man das, was Sie alles vorschlagen, der Reihe
nach durchgeht, dann merkt man: Es riecht sehr nach
Rache. Das ist nicht die Lösung. Sie meinen wohl: Wenn
uns die Amerikaner so gedemütigt haben, dann muss
man sich rächen können. Daraus leiten Sie ab: Souveränität haben wir erst dann wieder gewonnen, wenn das
große Amerika auf Ihrer Augenhöhe, Herr Gysi, mit uns
redet. ({5})
Das ist, glaube ich, nicht die Antwort auf das Problem.
Nein, wir sollten mit den Amerikanern sehr konsequent reden. Vieles ist angedeutet worden; das will ich
jetzt nicht wiederholen. Wir werden nach Amerika fahren. Die Mitglieder der amerikanischen parlamentarischen Kontrollorgane werden zu uns kommen. Wir werden auch regierungsseitig miteinander verhandeln und
Abkommen schließen.
Ein Wort noch zu Snowden, dann komme ich zum
Ende, Frau Präsidentin. Erstens. Es ist sicher richtig,
dass Herr Snowden nach den geltenden Bestimmungen
kein Asyl bekommen kann; denn er ist ja gar nicht im
Lande. Asyl gewähren kann man nur dem, der im Lande
ist.
Zweitens. Die Möglichkeit, nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes vorzugehen, wurde erwähnt. Meine Damen
und Herren, natürlich liegt es im Interesse Snowdens,
hierherzukommen. Er will sich vor amerikanischer Strafverfolgung schützen, indem er zu uns kommt. Aber liegt
es im deutschen Interesse, Herrn Snowden diesen Gefallen zu tun? Es tut mir für Sie und Ihren Mandanten, Herr
Ströbele, leid, aber ich glaube, bei der Abwägung deutscher Interessen und Snowdens Interessen muss man
schon sehr genau darüber nachdenken, ob es klug ist, aus
Gründen der Staatsräson zu sagen:
({6})
Herr Snowden soll zu uns kommen, weil wir den Streit
mit den Amerikanern zwecks Rückgewinnung der Souveränität auf die Spitze treiben wollen. Das ist nicht der
Weg, der uns weiterführt.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat Lars Klingbeil.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist gut, dass sich der Deutsche Bundestag
mit dem Thema NSA beschäftigt. Wir werden in dieser
Legislaturperiode noch sehr oft mit dem Abhörskandal
und den Überwachungsmechanismen zu tun haben. Wir
haben eine lange Strecke vor uns, wenn es darum geht,
aufzuklären. Ich will auch anmerken, dass wir als Parlament gut beraten sind, wenn wir das an vielen Stellen gemeinsam mit dem amerikanischen Kongress tun und uns
dort nicht allein auf die Regierung verlassen.
Der Bundestag hat Aufklärungsarbeit zu leisten. Das
erwarten die Menschen von uns. Wir müssen daran arbeiten, Vertrauen in die Grundrechte wiederherzustellen.
Wir müssen dafür sorgen, dass das Vertrauen in sichere
Kommunikation wieder wächst. Wir müssen die Privatsphäre zurückerobern. Wir müssen aber auch daran arbeiten, das transatlantische Verhältnis wieder ins Lot zu
bringen, aus dem es in den letzten Wochen geraten ist.
Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Wir müssen dafür sorgen, dass Geheimdienste, die aus
dem Ruder gelaufen sind, endlich wieder dem Primat der
Politik untergeordnet werden.
({0})
Herr Minister Friedrich, ich muss schon sagen: Ich
hätte mir in Ihrer Rede ein bisschen mehr Demut erwartet;
({1})
denn in den letzten Monaten ist doch einiges schiefgegangen, als es darum ging, dass die jetzt geschäftsführende Bundesregierung die Aufgaben, die sie wahrzunehmen hat, wahrnimmt, wenn es um Schutz geht, wenn
es um Vertrauen geht. Ich sage auch: Es ist völlig berechtigt, dass wir hier in Deutschland Empörung erleben,
wenn wir mitbekommen, dass das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wurde. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Aber auch in den Monaten vorher gab es
genügend Anlass, empört zu sein, genügend Anlass, aktiv zu werden: als es Hinweise darauf gab, dass die
Grundrechte der deutschen Bürgerinnen und Bürger gefährdet sind.
({2})
Das alles wurde heruntergespielt.
Da ich nicht nur nach vorne schauen will, sondern
auch die Ereignisse der letzten Monate ansprechen will,
sage ich deutlich: Es hilft der Aufklärung nicht, wenn
wir über den Begriff des „Supergrundrechts“ verschiedene Grundrechte in Deutschland gegeneinander ausspielen.
({3})
Es hilft auch nicht - leider hat auch der von mir geschätzte Kollege Uhl das gerade getan -, wenn wir eine
noch nicht einmal begonnene Aufklärung einfach für beendet erklären.
({4})
Das stärkt doch nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger. Wenn dann auf einmal Vorschläge auftauchen,
etwa zur Internetknotenüberwachung oder zur Verwendung von Mautdaten, dann frage ich mich: Was haben
wir in den letzten Monaten aus der Diskussion über den
Umgang mit den Daten eigentlich gelernt?
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss Schluss
sein mit dem Schlingerkurs der letzten Monate. Wir als
Parlament und auch die künftige Bundesregierung haben
eine Aufgabe wahrzunehmen, wenn es darum geht, aktiv
zu werden, wenn es darum geht, aufzuklären, und wenn
es darum geht, die richtigen Konsequenzen aus dem
Skandal rund um die NSA - ich will anmerken, dass
noch andere Geheimdienste damit zu tun haben - zu ziehen.
Lassen Sie mich kurz fünf Punkte nennen. Erstens.
Unseren amerikanischen Freunden muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die bisherige Praxis sofort
gestoppt werden muss.
({6})
Der zweite Punkt ist - das haben uns gerade die Veröffentlichungen in den letzten Tagen gezeigt -: Wir müssen souveräner werden. Dabei geht es nicht - auch das
will ich deutlich sagen - um einen IT-Nationalismus. Es
geht nicht darum, dass wir das Internet renationalisieren
wollen. Aber wir sehen doch selbst, dass wir in Deutschland besser werden müssen, wenn es darum geht, in Forschung und Entwicklung zu investieren, wenn es darum
geht, die Rahmenbedingungen für Hardware- und Softwarelösungen in Deutschland zu verbessern, wenn es darum geht, Sicherheitsstandards zu definieren. Auch das
sind Aufgaben für die nächsten vier Jahre. Es geht auch
darum, dass Deutschland die Kontrolle hat und das
Know-how besitzt, damit der Staat verantwortungsvoll
handeln kann.
Dritter Punkt. Es geht um internationale Abkommen
wie SWIFT und Safe Harbor, die ausgesetzt und überarbeitet werden müssen. Das Europäische Parlament fordert dies bereits. Ich rate uns als Parlament, dass wir uns
diesen Forderungen anschließen. Wir brauchen Gewissheit, was mit den Daten passiert.
({7})
Vierter Punkt: völkerrechtliche Absicherung. Auch
dieses Thema ist schon angesprochen worden. Ein NoSpy-Abkommen darf nicht ausschließlich zwischen Geheimdiensten verhandelt werden. Das muss politisch
verhandelt werden, und es muss nachher völkerrechtlich
abgesichert werden.
Der fünfte Punkt, den ich ansprechen will, ist die
Frage nach Edward Snowden. Ich will es hier ganz klar
sagen: Wir als deutsches Parlament, als deutsche Öffentlichkeit haben Edward Snowden viel zu verdanken.
({8})
Da ist ein mutiger junger Mann, der Informationen gesammelt und diese veröffentlicht hat, um die Sicherheit
zu stärken. Ich warne davor, jetzt in kurzfristige Lösungen und Antworten zu verfallen. Wir müssen jetzt eine
Antwort finden, die sich an zwei Parametern misst. Ein
Parameter ist: Zur Aufklärung brauchen wir Informationen. Der zweite Parameter ist: Wir müssen den bestmöglichen Schutz für Edward Snowden garantieren und sicherstellen. Deswegen ist es richtig, dass es jetzt den
Auftrag gibt, hierfür Lösungen zu finden.
Wenn wir diese fünf Punkte erfüllen, dann kommen
wir in dieser Legislaturperiode auf dem Weg, verloren
gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen, ein gutes
Stück voran.
Herzlichen Dank.
({9})
Als nächster Redner hat Peter Beyer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich vorab meine Freude zum Ausdruck bringen, dass
auch ich als Außenpolitiker in dieser sehr innenpolitisch
ausgerichteten Debatte zu Wort kommen darf.
({0})
- Das ist ja auch eine gute Sache.
Es ist gut, dass die Abhöraktivitäten der National Security Agency ans Licht gekommen sind. Das ist vor allem deshalb gut, weil wir dadurch gezwungen werden,
gründlich über das transatlantische Verhältnis nachzudenken, etwas, was in den letzten Jahren häufig zu kurz
gekommen ist. Der Abhörskandal zwingt uns gewissermaßen dazu, uns bewusst zu machen, was die transatlantische Partnerschaft sowohl für uns Europäer als auch für
die Amerikaner bedeutet. Das transatlantische Verhältnis
wurde lange Zeit von vielen gewissermaßen als Selbstläufer betrachtet, als eine gute Sache, um die man sich
im Grunde genommen nicht weiter zu kümmern braucht.
Durch die aktuelle Debatte denken wir wieder über die
transatlantischen Gemeinsamkeiten und über die Unterschiede, über unsere Abhängigkeiten und die Natur unserer Zusammenarbeit nach.
Die Vereinigten Staaten waren schon immer einer der
wichtigsten Partner der Bundesrepublik. Sie haben mitgeholfen, Deutschland zu dem zu machen, was es heute
ist. Uns verbinden nicht nur die gemeinsamen historischen Erfahrungen, sondern auch gemeinsame Werte,
die auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Individuums und Marktwirtschaft
gründen. Deutschland und Europa sind mit keiner anderen Region der Welt so eng verbunden wie mit Amerika.
Man muss aber auch einen realistischen Blick auf das
transatlantische Verhältnis werfen. Amerika und Europa
haben sich vor einigen Jahren ein Stück weit entfremdet.
Die Gründe dafür sind vielfältig: die Differenzen über
den Irakkrieg, ein stärkerer strategischer Fokus Washingtons in Richtung Pazifik oder Deutschlands sicherheitspolitische Zurückhaltung bei internationalen Konflikten in der jüngeren Zeit. Den Anstrengungen von
Bundeskanzlerin Angela Merkel haben wir es zu verdanken, dass wir zu einem vertrauensvollen Umgang zurückgefunden haben.
({1})
Durch den Abhörskandal hat das transatlantische
Bündnis nun eine ernsthafte Belastung erfahren. Die
Empörung, die auf beiden Seiten herrscht, zeigt, dass
Grenzen überschritten worden sind. Um es klar zu sagen:
Das Abhören unserer Kanzlerin und von Regierungsmitgliedern ist nicht akzeptabel. Auch Industriespionage ist
nicht hinnehmbar.
Ferner ist zu fragen, ob die mutmaßliche flächendeckende Aufzeichnung von Telefonaten, E-Mails und
Internetverbindungen in Europa in dem Maße notwendig
ist, wie sie offenbar betrieben worden ist. Das Gebot der
Stunde heißt jedoch, die Aufregung auf ein nüchternes
Maß zurückzufahren. Eine weitere Skandalisierung hilft
da nicht weiter. Auch eine Trotzreaktion und eine Verweigerungspolitik wären sicherlich der falsche Weg.
Eine starke Partnerschaft hält es aus, dass man unangenehme Dinge anspricht. Jetzt ist umso mehr eine lebendige Kommunikation gefragt. Wir müssen Probleme ansprechen und unsere Erwartungen an die US-Regierung
klar formulieren.
Was passiert ist, können wir nicht rückgängig machen. Aber es liegt in unserem Interesse, dass das Vertrauen auf beiden Seiten des Atlantiks wiederhergestellt
wird, und zwar rasch. Dazu bedarf es einer besonnenen
Aufklärung und Aufarbeitung des Sachverhalts, was
nicht auf Kosten der transatlantischen Beziehungen erfolgen darf. Daher bin ich dagegen, Edward Snowden in
Deutschland zu befragen oder ihm hier bei uns Asyl zu
gewähren. Neben den bereits angesprochenen rechtlichen Bedenken würde das den Konflikt mit Washington
unweigerlich und unnötig verschärfen.
({2})
Der Besuch des Kollegen Ströbele in Moskau - er meldet sich gerade lautstark zu Wort - war da möglicherweise sogar kontraproduktiv
({3})
und stellt eine zusätzliche Belastung des transatlantischen Verhältnisses dar.
({4})
Eine gute Partnerschaft mit den USA liegt in unserem
ureigenen Interesse. Daher steht eine Antwort auf die
Frage, ob Snowden in Deutschland aussagen sollte, immer unter dem Vorbehalt, ob das langfristig auch deutschen Interessen dient.
Wir fordern darüber hinaus eine Aufarbeitung von
US-amerikanischer Seite aus. In Ansätzen wird in den
USA bereits eine Diskussion über das Spannungsfeld
zwischen Freiheit einerseits und Sicherheit andererseits
geführt. Es wäre gut, wenn eine breite gesellschaftliche
Debatte stattfinden würde, an deren Ende eine Balance
zwischen Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten
steht.
({5})
Wir müssen jetzt unsere gute Position nutzen und die
Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP, weiter vorantreiben.
Diese jetzt auf Eis zu legen, wie dies leider einige fordern, wäre die falsche Reaktion, ein Reflex, der gegen
unsere eigenen Interessen gerichtet wäre. Denn insbesondere von einem verbesserten Marktzugang im Zuge
eines erfolgreich verhandelten Abkommens profitiert
vor allem die Exportnation Deutschland mit ihrem starken Mittelstand. Das Potenzial einer transatlantischen
Freihandelszone, in der Handel und Investitionen unbelastet von tarifären und nichttarifären Hemmnissen stattfinden können, ist enorm. Allein in Deutschland können
wir mit circa 160 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen rechnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das transatlantische Freihandelsabkommen ist das Projekt der transatlantischen Zukunft. Das Abkommen wird die Zusammenarbeit mit den USA auf Jahrzehnte hinaus prägen.
Was die NATO im 20. Jahrhundert im Sicherheitsbereich
gewesen ist, wird die TTIP für das 21. Jahrhundert im
ökonomischen Bereich und noch weit darüber hinaus
sein. Die TTIP wird gleich einer vertraglichen Klammer
wirken, die dem deutschen Mittelstand zugutekommen
und unseren Wohlstand sichern helfen wird. Daher kann
sie nicht zur Disposition stehen.
In die Zukunft gerichtet haben Europa und die Vereinigten Staaten noch viel miteinander vor. Globalen
Herausforderungen können wir nur in enger Zusammenarbeit und Abstimmung begegnen. Internationaler Terrorismus, die steigende Zahl asymmetrischer Konflikte,
die Verbreitung von biologischen, chemischen und atomaren Vernichtungswaffen, Klimawandel, Unterentwicklung und Armut - machen wir uns nichts vor, ohne
die USA wird eine Lösung der Probleme nicht möglich
sein.
In vielen Bereichen gibt es noch Möglichkeiten und
die Notwendigkeit zum weiteren Ausbau der transatlantischen Zusammenarbeit. Da wären zum Beispiel Fragen
der Energieversorgung, Chancen neuer Technologien
und Innovationen, der Zugang zu Rohstoffen und eine
gemeinsam abgestimmte Afrikapolitik, um nur einige
wenige zu nennen. Auch in den USA hat es einen Wandel im Energiesektor gegeben. Mit Interesse schauen die
Amerikaner vor allem nach Deutschland, um zu erfahren, wie wir die Energiewende gestalten. Hier können sie
durchaus von uns in Deutschland noch einiges lernen,
insbesondere was die Fragen von Nachhaltigkeit und erneuerbaren Energien anbelangt.
Es gilt also, den Blick nach vorne zu richten und die
Krise als Chance zu begreifen, als Chance, das transatlantische Bündnis für die Zukunft auf ein solides Fundament zu stellen. Genau deshalb hat der NSA-Skandal
auch etwas Gutes. Denn er gibt uns die Chance, das Verhältnis zu den USA im positiven Sinne zu überdenken,
uns für die Zukunft breit aufzustellen und unsere Partnerschaft zu festigen. Wir sind füreinander beste Partner.
Wer damit zündelt, handelt fehlerhaft und gefährdet stabile politische und ökonomische Systeme.
({6})
„Miteinander reden, nicht raufen“ heißt die Devise.
Vielen Dank.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/56 sowie zu dem
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/65.
Die Fraktion Die Linke sowie die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünschen jeweils Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen jeweils Überweisung an den geplanten Hauptausschuss.
({0})
Wir haben uns im Bundestag schon häufiger mit einer
vergleichbaren Fragestellung beschäftigt. Nach einer
vom Plenum bestätigten Auslegung der Geschäftsordnung kann die antragstellende Fraktion der Überweisung
eines Entschließungsantrages bei vereinbarten Debatten
nicht gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung widersprechen. Daher stimmen wir nach ständiger Übung
über Anträge auf Ausschussüberweisung zuerst ab.
({1})
Dazu hat die Kollegin Haßelmann das Wort zur Geschäftsordnung erbeten. - Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir möchten uns in
der Tat gemäß § 29 der Geschäftsordnung gegen das
vorgeschlagene Verfahren aussprechen. Zu Recht kam ja
aus meiner Fraktion gerade schon der Zwischenruf: „In
welche Ausschüsse denn?“
({0})
Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Der Bundestag hat sich bis zum heutigen Tag keinen Ausschuss
gegeben. Bis kurz vor der Sitzung waren CDU/CSU und
SPD ja noch nicht einmal einig, an welchen Ausschuss
- in Klammern: den es gar nicht gibt - das Ganze überwiesen werden soll.
({1})
Auf der einen Seite war auf der Arbeitsebene zu hören: an den Innenausschuss. Auch der, meine Damen
und Herren, ist noch nicht eingerichtet. Auf der anderen
Seite war zu hören: an den Hauptausschuss. Auch den
gibt es noch nicht.
({2})
Von daher widersprechen wir an dieser Stelle ganz deutlich Ihrer Initiative; denn sie ist durchsichtig.
({3})
Wer den Reden hier heute nur einigermaßen gefolgt
ist, hat deutlich gemerkt, dass Union und SPD unterschiedliche Auffassungen haben, was die Bewertung des
NSA-Skandals und seiner Dimension für Deutschland
angeht.
({4})
Das soll jetzt natürlich verkleistert werden, und zwar dadurch, dass man die beiden Entschließungsanträge von
Grünen und Linken heute in einen Ausschuss versenkt,
den es noch gar nicht gibt.
({5})
Meine Damen und Herren, das muss einmal offen angesprochen werden.
({6})
Ich hoffe, dass Sie sehr viele Leute dazu verdammt noch
mal zur Rede stellen werden.
({7})
Kommen Sie mir gleich bitte nicht mit dem Hinweis
auf die geltende Praxis. Ich habe schon gemerkt, dass
man einen Ansatzpunkt gefunden hat. In der 13. Legislaturperiode, am 10. November 1994, hat das Plenum, das
Parlament insgesamt, einmal Einvernehmen darüber hergestellt, dass Anträge überwiesen werden und nicht sofort über sie abgestimmt wird, obwohl zwei Fraktionen
- eine war meine Fraktion - eine Sofortabstimmung gewünscht hatten. Darüber ist aber im Gegensatz zu heute
vor der Sitzung Einvernehmen hergestellt worden. Bisher ist es gängige Praxis im Parlament, dass, wenn eine
Fraktion zu einer Regierungserklärung oder einer vereinbarten Debatte einen Entschließungsantrag einbringt und
diesen zur sofortigen Abstimmung stellt, über diesen
dann auch sofort abgestimmt wird. Darauf beziehen wir
uns heute, und das erwarten wir.
({8})
Tatsache ist, dass Ihnen dieser Antrag unbequem ist.
Wir haben heute nämlich nicht, Herr Grosse-Brömer,
einfach nur gebrüllt, wie Sie es gerne sagen. Ich finde,
Herr Ströbele hat ganz ruhig und gelassen geredet. Er hat
nämlich viel zu sagen; schließlich hat er das Ganze mit
seinem Besuch bei Herrn Snowden ins Rollen gebracht.
Der Kollege Notz hat Ihnen dargelegt, was wir in unserem Entschließungsantrag verlangen. Es geht um zehn
Punkte, die sind schnell gelesen. Zu diesen Punkten haben Sie alle sich heute in Ihren Reden verhalten. Jetzt
wollen Sie sich wegducken, einen Konflikt, den es bei
Ihnen offensichtlich gibt, hier im Parlament nicht austragen und diesen Antrag in Ausschüsse versenken, die es
nicht gibt. Ich finde, das ist ein skandalöses Verfahren.
Das können wir an dieser Stelle so nicht akzeptieren.
({9})
Beim nächsten Tagesordnungspunkt - ich will die
Gelegenheit kurz nutzen, dazu etwas zu sagen - wird es
gleich noch einmal um das Verfahren zur Einsetzung der
Ausschüsse gehen. Es besteht in der Tat Klärungsbedarf
bezüglich der Frage: Richtet man jetzt verfassungsmäßige Ausschüsse ein, und zwar bevor sie koalitionsverhandelt sind, oder was richtet man jetzt ein?
Beim Antrag der Linken, um den es gleich geht,
({10})
werden wir uns allerdings enthalten. Die Linke schlägt
nämlich willkürlich vor, einfach neun Ausschüsse einzurichten
({11})
- neun Ausschüsse -, aber nicht nur die in der Verfassung vorgesehenen, sondern darüber hinaus noch den Finanzausschuss, den Innenausschuss und den Rechtsausschuss. Genauso gut könnte man fragen: Warum nicht
auch den Ausschuss für Arbeit und Soziales?
({12})
Dieser Ausschuss könnte sich dann nämlich mit dem
Thema Rentenbeitrag befassen.
({13})
Das werden wir gleich noch diskutieren. Jetzt geht es
uns erst einmal darum, darauf zu bestehen, dass, wie es
hier gängige Praxis ist, über Entschließungsanträge sofort abgestimmt wird. Verhalten Sie sich doch einfach zu
den zehn Vorschlägen zum Umgang mit der NSA-Affäre!
Vielen Dank.
({14})
Jetzt hat der Kollege Korte das Wort, danach der Kollege Oppermann.
({0})
Liebe Kollegin Haßelmann, die Linke wäre bereit,
alle Ausschüsse einzusetzen; denn wir sind seit dem
23. September abends arbeitsfähig. Wir sind bereit, zu
arbeiten; das wird aber hier insgesamt verhindert.
({0})
Weil das so ist, will ich hier begründen, warum wir
der Auffassung sind, dass wir über die vorliegenden Anträge zu einem Themenfeld, das ja nun sehr viele Menschen in diesem Lande bewegt - und das nicht erst seit
das Handy der Kanzlerin abgehört wurde,
({1})
sondern bereits seit dem Sommer -, heute abstimmen
sollten und Sie Farbe bekennen müssen:
Erstens. Wir müssen heute darüber abstimmen, weil
wir gar nicht wissen, wann wir das nächste Mal hier zusammenkommen oder ob wir überhaupt hier zusammenkommen; denn das verschiebt sich ja Woche um Woche.
Deswegen sollten wir zumindest in diesem Punkt heute
einmal klare Kante zeigen und darüber abstimmen. Das
ist doch wohl das Mindeste!
({2})
Sie von Union und SPD führen Koalitionsverhandlungen und nehmen damit den ganzen Bundestag in Geiselhaft; er darf nicht arbeiten.
({3})
Wir tun das trotzdem; aber wir wollen auch hier arbeiten.
Nur weil Ihre Koalitionsverhandlungen mittlerweile etwas obskure Züge annehmen,
({4})
blockieren Sie, dass die Ausschüsse des Bundestages
ihre Arbeit aufnehmen können. Das geht nicht!
({5})
Zweitens. Es ist nun mehrfach - insbesondere von
Rednerinnen und Rednern der zukünftigen Großen Koalition - hier angemahnt worden, dass wir mit unseren
Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten,
mit den Parlamentariern im Kongress, zusammenarbeiten sollten, um die Aufklärung voranzubringen. Das ist
eine gute Idee, der sich meine Fraktion vollumfänglich
anschließt. Es gibt nur ein organisatorisches Problem,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Kongress arbeitet,
er hat Ausschüsse und kommt regelmäßig zusammen;
wir aber nicht. Sollen von uns über 600 Leute nach
Washington fliegen, oder wie stellen Sie sich das vor?
({6})
Ein absurder Vorschlag! - Die arbeiten, und Sie blockieren hier, dass gearbeitet werden kann.
({7})
Einen dritten Punkt möchte ich noch ansprechen, aus
dem hervorgeht, warum wir heute sofortige Abstimmung beantragt haben. Insbesondere vonseiten der
Union ist hier ununterbrochen darauf hingewiesen worden, wie wichtig das transatlantische Verhältnis sei.
({8})
Dieses Verhältnis ist wichtig; das stimmt. Genauso wichtig ist für uns als Linke aber - auch das gehört zum
transatlantischen Verhältnis - die Arbeit von Bürgerrechtsorganisationen, von kritischen Künstlern, von kritischen Rockmusikern und von den Kollegen im Kongress. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, was der
Bundestag von diesen ganzen Vorgängen hält. Deswegen
müssen wir als Bundestag heute eine Position finden,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollte nicht so
schwer sein.
({9})
Am besten fand ich den Vorschlag, die Vorlage an den
sogenannten Hauptausschuss zu überweisen. Das kenne
ich noch aus meiner Zeit in der Kommunalpolitik. Im
Stadtparlament gibt es einen Haupt- bzw. Verwaltungsausschuss. Das kann doch nicht allen Ernstes hier die
Position sein! Dass die SPD das mitträgt, Herr
Oppermann, die hier in Bezug auf die Aufklärung und
die Transparenz bei dieser ganzen NSA-Affäre eben
noch in die Tasten gehauen hat, kann ich nun wirklich
nicht verstehen. Sie haben den Koalitionsvertrag doch
noch gar nicht unterschrieben, und Ihre Mitglieder haben
dem noch gar nicht zugestimmt. Deshalb könnten Sie
hier doch zumindest bis dahin ordentliche parlamentarische Arbeit machen und nicht schon jetzt die große
Blockade durchführen. Es ist doch absurd, als SPD das
mitzutragen, obwohl es die Große Koalition noch gar
nicht gibt.
({10})
Lange Rede, kurzer Sinn: In dem Entschließungsantrag von uns Linken, der übrigens, Kollege Uhl, nicht
antiamerikanisch, sondern verantwortlich ist, betrachten
wir die Abkommen, die es gibt. Ein Beispiel ist das Abkommen zum Fluggastdatenaustausch mit den Vereinigten Staaten. Auf unsere Frage, was mit den europäischen
Fluggastdaten, die in den USA gesammelt werden, eigentlich geschieht, kann man doch angesichts der ganzen Affären, die jeden Tag neu aufs Tapet kommen,
nicht einfach sagen: Wir stimmen das hier nicht ab, das
interessiert uns nicht, das ist antiamerikanisch. - Die
richtige Antwort wäre, diese ganzen Abkommen auszusetzen und neu zu verhandeln. Das ist doch das Mindeste, was die Menschen erwarten können.
({11})
Man könnte hier noch viele Punkte aufzählen. Ich
finde, das ist überhaupt kein gutes Omen für die nächsten vier Jahre. Erstens haben Sie, wie wir eben gesehen
haben, viel zu viel Redezeit,
({12})
und zweitens ist das, was Sie sagen, wirklich unerträglich.
Sie können ruhig die Große Koalition bilden - das ist
Ihr gutes Recht -, aber bei so einem Vorgang, der so
viele Menschen umtreibt - die Leute sind verängstigt,
weil sie nicht wissen, was von ihnen gespeichert wird -,
({13})
ist es das Mindeste, dass der Bundestag - seit September
diskutieren wir diese Affäre - zumindest einmal Farbe
bekennt und Sie alle sagen, was Sie zu diesen Vorgängen
meinen und ob Sie bereit sind, die notwendigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Sie verweigern sich dem,
und das kritisieren wir aufs Allerschärfste.
Schönen Dank.
({14})
Jetzt hat Herr Kollege Oppermann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Aufregung der Kollegen Korte und Haßelmann
überhaupt nicht:
({0})
Seit Tagen hören wir, dass der Bundestag endlich mit
Ausschussberatungen beginnen soll.
({1})
Wo wir Ihnen heute die Möglichkeit geben, diese Anträge in einem noch zu bestimmenden Ausschuss zu beraten, sind Sie aber auch dagegen.
({2})
- Natürlich, aber den wird es ja geben.
({3})
In der nächsten Sitzung des Bundestages werden wir einen Ausschuss einsetzen, und dann wird dieser Antrag
dort beraten.
({4})
Das ist ja durchaus auch die Chance für Sie, dass aus
den Anträgen noch etwas wird.
({5})
Ich finde in den Anträgen berechtigte Punkte, denen ich
zustimmen könnte, ich finde dort Diskussionswürdiges,
aber ich finde dort auch falsche Punkte.
({6})
Die Ausschussberatung ist doch die Chance, dass wir die
Spreu vom Weizen trennen,
({7})
dass Sie Ihre Argumente noch einmal nachschärfen und
dass wir am Ende möglicherweise sogar zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen.
({8})
Ich will bei dieser Gelegenheit auch sagen, dass ich
noch in dieser Woche zusammen mit dem Kollegen
Grosse-Brömer und den Vertretern der Grünen und der
Linken ins Gespräch darüber kommen will, wie wir das
Parlamentarische Kontrollgremium aufstellen, welchen
Zuschnitt es haben soll und welche Instrumente ihm zur
Verfügung stehen sollen.
({9})
Das kann relativ schnell geschehen, und dann können
wir das alles auf den Weg bringen.
Es wird also in der nächsten Sitzung
({10})
der Vorschlag von der Union und von der SPD kommen,
einen Hauptausschuss einzurichten.
({11})
Dieser Hauptausschuss kann Beratungen und Anhörungen durchführen und parlamentarisch sachgerecht arbeiten. Das ist natürlich viel mehr wert als Sofortentscheidungen ohne die handwerkliche Arbeit im Ausschuss;
diese sollte man nicht geringschätzen.
({12})
Deshalb möchte ich Sie jetzt bei Ihrem eigenen Wort
nehmen. Eine Ausschussberatung ist bei diesen Anträgen in der Sache genau angemessen.
Vielen Dank.
({13})
Gibt es weitere Wortmeldungen? - Das ist nicht der
Fall.
Dann kommen wir jetzt zu den Abstimmungen. Wer
stimmt für die beantragten Überweisungen? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die
Überweisungen beschlossen
({1})
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. In
der Sache stimmen wir damit heute nicht ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung von Ausschüssen
- Drucksache 18/54 Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen.
Daher kommen wir gleich zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/54.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Linke. Wer
stimmt dagegen? - Die SPD-Fraktion und die CDU/
CSU-Fraktion. Wer enthält sich? - Das ist die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag mit den
Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen
- Drucksache 18/53 Aufgrund der soeben erfolgten Ablehnung des Antrags auf Einsetzung von Ausschüssen hat die Fraktion
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Die Linke als Antragsteller erklärt, ihren Antrag zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen zurückzuziehen.
({2})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Termin
für die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird
Ihnen - ({3})
- Frau Sitte.
Frau Präsidentin, ich hatte bereits zu Beginn der Sitzung angekündigt, dass ich gerne eine Erklärung zum
Abstimmungsverhalten abgeben möchte.
({0})
Diese Gelegenheit möchte ich jetzt gemäß § 31 unserer
Geschäftsordnung wahrnehmen.
Das ist selbstverständlich Ihr Recht.
Danke. - Ich möchte gerne etwas zu den Abstimmungen sagen, die eben im Bundestag durchgeführt wurden.
({0})
Sie wissen so gut wie ich, dass in den letzten Tagen zahlreiche Forderungen erhoben wurden, die insbesondere
auch in den Medien reflektiert worden sind, dass der
Bundestag endlich liefern muss. Er tut das nämlich zurzeit nicht. Wir haben es gerade erlebt. Niemand Geringerer als der Bundestagspräsident selbst hat es in seiner
Antrittsrede klargestellt - ich zitiere -:
Und selbstverständlich bedarf eine geschäftsführend amtierende Bundesregierung nicht weniger
parlamentarischer Kontrolle als eine neu gewählte.
({1})
Und weiter in seiner Rede:
Niemand wird deshalb ernsthaft erwarten dürfen,
dass der Bundestag seine Arbeit erst nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen aufnehmen
wird.
Die Linke sieht das genauso. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, und deshalb ist uns Ihr Verhalten völlig unverständlich.
({2})
Im Übrigen: Wer kritisiert, welche Anträge wir gestellt haben, dem sage ich: Das Grundgesetz steht sicherlich nicht im Verdacht, willkürlich zu sein. Wir haben
uns nämlich in unseren Anträgen im Wesentlichen am
Grundgesetz orientiert.
({3})
Wir fordern die Einsetzung des Petitionsausschusses,
weil es derzeit ungefähr 1 000 Petitionen gibt, die im
Bundestag nicht bearbeitet werden.
Wir fordern die Einsetzung des Innenausschusses und
des Auswärtigen Ausschusses, weil eben, wie gerade
deutlich geworden ist, die NSA-Affäre dort nicht beraten
werden kann.
({4})
Der US-Kongress tagt dazu permanent. Das Europaparlament hat bereits zehn Anhörungen zu dieser Problematik durchgeführt.
Wir beantragen weiterhin die Einsetzung des Verteidigungsausschusses, weil Auslandseinsätze einer Parlamentsarmee eben auch einer parlamentarischen Begleitung bedürfen. Zudem steht die Verlängerung von
Auslandseinsätzen an. Sie haben das selbst konstatiert.
Natürlich braucht man zeitnahe Informationen über den
Verlauf und über Probleme von Auslandseinsätzen.
Schließlich haben wir die Einsetzung des Haushaltsausschusses, des Finanzausschusses und des Rechtsausschusses beantragt. Das sind übrigens alles Ausschüsse,
die es etwa seit der dritten Wahlperiode in völlig unveränderter Form und in diesem Zuschnitt gibt. Es sind
doch Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat zu behandeln,
beispielsweise zur Kita, beispielsweise zur Schließung
von Steuerschlupflöchern.
Natürlich bringen auch wir Linke parlamentarische
Initiativen ein, zu denen sich der Bundestag verhalten
muss. Das betrifft die Gesetzentwürfe zur Stabilisierung
des Rentenbeitrags, die zu erwarten sind. Es geht aber
auch um die Frage des Mindestlohns oder die Verbesserung von Erwerbsminderungsrenten. Zu klären sind auch
die Fragen der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, der Abschaffung des Betreuungsgeldes oder auch der Abschaffung sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen.
({5})
Das alles sind brennende Themen. Meine Fraktion und
ich haben überhaupt keine Lust, auf Ihre Diätkost aus
der Koalitionsvereinbarung einer Großen Koalition zu
warten.
({6})
Wir wollen auch an dieser Stelle unsere Forderungen in
den Bundestag einbringen und seriös behandelt wissen.
({7})
Nun zu Ihrem tollen Hauptausschuss. Wissen Sie eigentlich, was dieser Hauptausschuss ist? Es ist ein
Hauptausschuss nach dem Prinzip „Hauptsache weg“.
Darauf kommen Sie doch nie wieder zurück; das ist doch
völlig klar.
({8})
- Ich hätte sehr gerne vor der Abstimmung geredet, Herr
Kauder. Aber das wollte Ihre Fraktion nicht. Das ist übrigens auch ein Beispiel dafür, warum Minderheitenrechte
in diesem Hause anders geregelt werden müssen.
({9})
Sie können uns doch als so pfundige Fraktion, die Sie
sind, nicht ernsthaft erklären, dass Sie nicht in der Lage
sind, diese Ausschüsse einzusetzen und Abgeordnete zu
mobilisieren, die in diesen Ausschüssen arbeiten.
({10})
Sie wollen in Zukunft regieren. Dann werden Sie wohl
die Besetzung der Ausschüsse hinbekommen. Mithin
verhandeln wohl nicht alle Ihre Abgeordneten in den
Koalitionsgruppen.
({11})
So weit von meiner Seite zu diesen Fragen.
Ich will es noch einmal deutlich machen: Die letzte
Fraktion, die hier in diesem Haus nicht geliefert hat,
wurde durch Wahlentscheidungen ausgesteuert. Die Abgeordneten dieser Fraktion haben ihre Plätze hier verloren. Ich finde, das sollte diesem Haus eine ernste Warnung sein.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am
Schluss der Debatte.
Der Termin für die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend oder eine
gute Rückfahrt in Ihren Wahlkreis.
Die Sitzung ist geschlossen.