Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich .
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
den Kollegen Manfred Behrens und Hubert Hüppe
nachträglich zu ihrem jeweils 60 . Geburtstag gratulieren
mit allen guten Wünschen des Hauses .
({0})
Für den ausgeschiedenen Kollegen Heiko Schmelzle
ist der Kollege Rainer Hajek als Mitglied des Deutschen Bundestages nachgerückt, den ich herzlich begrüßen möchte und dem ich eine gute Zusammenarbeit für
die verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode wünsche . Herzlich willkommen!
({1})
Dann müssen wir noch die Wahl von zwei Mitgliedern
des Stiftungsrates der Stiftung „Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien“ durchführen . Die
CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, die Kollegin Elisabeth
Motschmann als Mitglied des Stiftungsrates zu berufen .
Die SPD-Fraktion schlägt den Kollegen Franz Thönnes
als Mitglied dieses Gremiums vor . Gibt es dagegen Einwände? - Das ist nicht erkennbar . Dann sind die Kollegin
Motschmann und der Kollege Thönnes in den Stiftungsrat gewählt .
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Klimakonferenz von Marrakesch - Pariser
Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben
Drucksache 18/10238
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch in Gang bringen Dekarbonisierung in Deutschland beschleunigen
Drucksache 18/10242
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz entscheidend voranbringen
Drucksache 18/10249
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({2})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Reduzierung, Beschränkung und Verbesse-
rung von Tiertransporten
Drucksache 18/10251
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen
Drucksache 18/10250
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fairen Wettbewerb in der solidarischen Krankenversicherung ermöglichen - Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches vorantreiben
Drucksache 18/10252
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
ZP 5 Vereinbarte Debatte
zur aktuellen Lage in der Türkei
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr . Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für mehr Transparenz und demokratische
Kontrolle bei der Ministererlaubnis
Drucksachen 18/8078, 18/10279
ZP 7 Beratung des Berichts des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz ({5})
gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu
dem von den Abgeordneten Volker Beck ({6}),
Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare
Drucksachen 18/5098, 18/10227
ZP 8 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts
Drucksache 18/6665
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({7})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission
über das Inverkehrbringen von Saatgut
zum Anbau der gentechnisch veränderten
Maislinien MON 810, 1507 und Bt11
({8})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/10246
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({9}), Renate Künast, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wohneigentumsrecht umfassend reformieren
und modernisieren
Drucksache 18/8084
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes - Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt
Drucksache 18/2492
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({11})
Drucksache 18/10288
Dabei soll wie üblich für den Beginn der Beratungen,
soweit erforderlich, von den entsprechenden Fristen abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 5 - hier geht es um den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an
digitalen Grundaufzeichnungen - wird heute abgesetzt .
Stattdessen soll unter Beibehaltung der Debattendauer
von 60 Minuten der Antrag auf der Drucksache 18/10238
mit dem Titel „Klimakonferenz von Marrakesch - Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben“
in verbundener Beratung mit den Anträgen auf den
Drucksachen 18/10242 und 18/10249 debattiert werden . Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 20 abgesetzt
werden - hier geht es um eine Große Anfrage zur politischen Willensbildung - und stattdessen der Antrag auf
der Drucksache 18/10246 - hier geht es um eine Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
zum Anbau gentechnisch veränderter Maislinien in der
EU - mit einer unveränderten Debattendauer von 25 Minuten beraten werden . Zudem werden auch der Tagesordnungspunkt 31 - abschließende Beratung des Gesetzes
zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes - und
der Tagesordnungspunkt 41 a - hier geht es um die abschließende Beratung des Gesetzes zur Änderung des
Versorgungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften - abgesetzt .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 20 . Oktober 2016 ({12}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit ({13}) zur Mitberatung
überwiesen werden:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Gentechnikgesetzes
Drucksache 18/6664
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({14})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Der am 20 . Oktober 2016 ({15}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({16}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der nichtfinanziellen Berichterstattung der
Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten ({17})
Drucksache 18/9982
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({18})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ich frage Sie, ob Sie mit allen diesen Vereinbarungen
einverstanden sind . - Das ist der Fall und wird die PGFs
jetzt sehr erleichtern; denn es hätte die Sache umgekehrt
enorm kompliziert, wenn es dazu kein Einvernehmen
gäbe .
({19})
- Wie immer war das gut vorbereitet und ist deswegen
erwartungsgemäß reibungslos so akzeptiert worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergänzung unserer heutigen Tagesordnung um eine Vereinbarte Debatte
zur Situation in der Türkei gibt Anlass zu einem Hinweis
auf ein anderes historisches Ereignis . Vor genau 60 Jahren gab es in Budapest und anderen ungarischen Städten
letzte Gefechte eines Volksaufstands, bei dem Bürger für
Meinungs- und Pressefreiheit, für ein Mehrparteiensystem und für freie Wahlen kämpften . Die kommunistische
Führung in Moskau ließ im November 1956, also vor
genau 60 Jahren, das protestierende Volk durch Panzer
brutal niederschlagen .
Daran zu erinnern, ist nicht nur von historischem Interesse, sondern von leider aktueller politischer Bedeutung .
Die Tausenden Opfer des Ungarn-Aufstands sind eine
bleibende Mahnung an alle, die im vereinten Europa heute in Freiheit leben, diese Freiheit nicht für eine schlichte
Selbstverständlichkeit zu halten. Sie verpflichten uns, all
denen beizustehen, für die staatliche Willkür noch immer
eine alltägliche Erfahrung ist . Deswegen schweigen wir
auch nicht, wenn in der Türkei, die zu unseren Partnern
gehört, Mitglied der NATO und des Europarates ist und
Teil unserer Wertegemeinschaft sein oder werden will,
die staatliche Rechtsordnung gebeugt und fortgesetzt
Grundrechte mit Füßen getreten werden .
({20})
Während 1956 in Ungarn die Armee einen Aufstand
des Volkes niederschlug, scheiterte in diesem Sommer
in der Türkei ein Putsch des Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung am couragierten Widerstand der Bevölkerung, die seitdem erleben muss, wie
die eigene Regierung mit Zensur, Massenentlassungen
und Verhaftungen offensichtlich systematisch nicht nur
gegen tatsächliche und vermeintliche Staatsfeinde, sondern gegen jede Form politischer Opposition vorgeht .
Wir verurteilen jedes Vorgehen, das die Beseitigung von
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorantreibt .
({21})
Wir erklären unsere Solidarität mit allen aus politischen Gründen verhafteten Parlamentariern, Journalisten, Wissenschaftlern und Beamten, und wir appellieren
an das türkische Parlament, seine Verantwortung als
Volksvertretung wahrzunehmen, damit die Türkei zu
dem demokratischen Standard zurückfindet, zu dem sie
sich als Mitglied des Europarats ausdrücklich verpflichtet hat .
({22})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch eine
letzte Bemerkung machen . Von großer Aktualität ist
auch, dass der Ungarn-Aufstand 1956 die erste große
Flüchtlingswelle in Europa auslöste, jedenfalls die erste große Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg .
Schätzungen zufolge gelang damals 200 000 Ungarn die
Flucht . 200 000! Das waren mehr als 2 Prozent der Bevölkerung . Sie erlebten in europäischen und westlichen
Gesellschaften eben die „echte Solidarität der freien
Menschen“ - wie es Bundeskanzler Adenauer in einer
Sondersitzung vor dem Bundestag damals formulierte -,
woran es gelegentlich, auch in Ungarn, zu erinnern gilt .
({23})
Damals machten die Bundesbürger, von denen in
ungleich schwierigerer Lage als gegenwärtig Tausende
vorlebten, was wir heute Willkommenskultur nennen,
erste Erfahrungen mit der massenhaften Anwendung des
Rechts auf politisches Asyl . Dieses elementare Grundrecht gilt auch heute ausnahmslos für alle, die staatlicher
Repression ausgesetzt sind - wo auch immer . Ihnen gehört unsere Solidarität und Unterstützung .
({24})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films ({25})
Drucksachen 18/8592, 18/8627
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({26})
Drucksache 18/10218
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({27}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold ({28}), Sigrid Hupach,
Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Filmförderung - Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt
Drucksachen 18/8073, 18/10218
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstes nicht
dem Kollegen Bernd Neumann das Wort, den ich aber
auf der Besuchertribüne herzlich begrüße, sondern dem
Kollegen Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion .
({29})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich der Begrüßung unseres ehemaligen Staatsministers für Kultur und
Medien und jetzigen Präsidenten der Filmförderungsanstalt - in dieser Rolle ist nämlich Bernd Neumann heute
hier bei uns - anschließen und ihn ebenfalls herzlich begrüßen, ebenso die anwesenden Vorstände der Filmförderungsanstalt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinofilme erzählen
Geschichten, und diese Geschichten erzählen etwas über
unser Land, unsere Gesellschaft, über uns . Sie tragen
damit zur Identitätsbildung bei . Das ist heute so wichtig
wie eh und je . Filme werden auch im Ausland gesehen .
Dort formen sie das Bild von Deutschland in der Welt .
Sie sind damit so etwas wie Kulturbotschafter . Deshalb
ist es wichtig, dass wir gute Filme in und aus Deutschland haben: spannende, glaubwürdige und professionell erzählte Storys, die gut unterhalten, aber auch eine
Aussage haben . Produktionen auf der Höhe der Zeit zu
schaffen - das ist die Aufgabe der Filmschaffenden und
der Filmbranche, nicht die der Politik . Politiker liefern
höchstens - ab und an freiwillig, aber zumeist unfreiwillig - den einen oder anderen filmreifen Stoff ab.
Die Bedeutung fiktionaler bewegter Bilder ist überall
in der Welt erkannt worden - für das Bild von Nationen
ebenso wie als Wirtschaftsfaktor, Bruttoinlandsprodukttreiber, Arbeitsplatzmaschine . Daher wird der Wettlauf
in Europa und der Welt insbesondere um die großen,
hochwertigen Produktionen immer enger . Der Deutsche
Filmförderfonds, DFFF, mit dem Deutschland 2007 das
wahrscheinlich innovativste Produktionsförderungsinstrument der Welt geschaffen hatte, ist inzwischen vielfach kopiert und zum Teil auch finanziell überflügelt
worden . Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, für
die richtigen Rahmenbedingungen und für eine finanzielle Förderung zu sorgen, ohne die es bei den allermeisten
Kinofilmen oft einfach nicht geht. Um diese Rahmenbedingungen zu schaffen, novellieren wir in gewissen Abständen turnusgemäß das Filmförderungsgesetz .
Das Filmförderungsgesetz, FFG, ist so etwas wie der
Kompass für die Filmförderungsanstalt als Eigenorganisation der Filmbranche. Sie arbeitet mit den finanziellen
Eigenmitteln der Filmwirtschaft, nicht mit Steuergeld .
Sie ist der Ort für die Debatten der Akteure der Branche
und manchmal auch Mediatorin bei Streitfällen . Peter
Dinges und sein Team leisten in diesem Sinne seit vielen
Jahren vorzügliche Arbeit, für die ich mich im Namen
meiner Fraktion herzlich bedanken möchte .
({0})
Der vielfach geteilte Befund zum Zustand des deutschen Films lautet: Die kommerzielle Erfolgskurve weist
über die Jahre stetig nach oben, vor allem wenn Schweiger, Schweighöfer oder ein populärer Kinder- oder Komödienfilmstoff an den Start gehen und so zum Zuschauermillionär im Kino werden . Es entstehen zudem höchst
respektable filmkünstlerische Werke, die aber leider
meist nur einen kleinen Publikumsausschnitt treffen bzw .
von Haus aus nur auf diesen gezielt haben . Was fehlt, ist
die Mittelware, sind Filme, die mehrere Hunderttausend
Besucher anziehen, die nicht Besuchermillionär werden,
aber eben auch nicht nur einige Zehntausend Besucher
ansprechen .
Allgemeiner Konsens ist auch, dass wir insgesamt
zu viele Filme produzieren, die sich gegenseitig das
Publikum streitig machen und von denen viele letztlich
floppen, was wohl nicht zuletzt auch auf den einen oder
anderen Fehlanreiz im bestehenden System der Filmförderung zurückzuführen ist .
Gleichwohl ist die deutsche Filmförderung alles andere als schlecht . Das brauchen wir uns - auch wenn
manche das versuchen - nicht einreden zu lassen . Dafür
spricht nicht zuletzt der stetig steigende Marktanteil . Was
wir brauchen, sind ein paar weniger, dafür aber mehr bessere Filme. Wir brauchen zielgenauere, flexiblere Förderinstrumente .
Hier liegt, glaube ich, die Stärke dieser Novelle . Sie
ist aus meiner Sicht an ziemlich vielen Stellen ziemlich
innovativ . Das ist nicht nur eine kleine Novelle . Die ProPräsident Dr. Norbert Lammert
duzenten erhalten Erleichterungen bei der Erbringung ihrer Eigenanteile . Wir verstärken die aus meiner Sicht sehr
wichtige Drehbuchförderung deutlich und sorgen durch
die Einführung der Förderung der Drehbuchfortentwicklung dafür, dass - so ist zumindest der Plan - nur die
guten Bücher weiter gefördert werden, diese dann aber
mit mehr Geld und Betreuung .
Wir betreiben mehr Spitzenförderung, indem wir die
Mindestfördersumme auf 200 000 Euro erhöhen . Das
heißt, dass weniger Filme Geld erhalten, die geförderten
Filme dann aber mehr Geld erhalten . Wir professionalisieren - auch das ist sehr wichtig - die Zusammensetzung der Förderkommission, um die Wahrscheinlichkeit
für zündende Auswahlentscheidungen zu erhöhen . Wir
haben neue Wege aufgezeigt, die Sperrfristen im Einzelfall weiter zu lockern . Dies tun wir gemeinsam mit und
im Interesse der Kinos; denn wir wollen neue Geschäftsmodelle befördern, bei denen die Kinos beispielsweise
an der Video-on-Demand-Auswertung beteiligt sind .
Ferner wollen wir modellhaft an Dokumentarfilmen
neue Auswertungsformen erproben . Vielleicht schafft ein
gleichzeitiger Filmstart in Kino und Internet gegenseitige
Beflügelungseffekte, an die wir heute noch gar nicht denken . Ich bin überzeugt, von einem Experimentierfeld für
den Umgang mit der Digitalisierung können die Kinos
und der deutsche Film insgesamt profitieren.
Last, but not least schaffen wir mit der Freischussregelung den Zwang ab, Filme in die Kinos zu bringen,
die sich letztlich in einer Produktionsphase, die eher am
Ende liegt, doch als nicht kinotauglich erweisen .
Diese Ansätze stehen für uns als Unionsfraktion im
Mittelpunkt der Überlegungen, wie man den deutschen
Film voranbringen kann . Themen wie Austarierung der
Gremien im Detail, sozialverträgliche Beschäftigung
und dergleichen sind selbstverständlich auch wichtige
Fragen . Aber zentral für die Ausgestaltung der Filmförderung sind aus unserer Sicht: erstens Stabilität beim Abgabeaufkommen der FFA - sie muss auch künftig 50 Millionen plus X in ihrem Etat haben -, zweitens Effizienz
und Zielgenauigkeit der Förderinstrumente und drittens
europarechtliche Kompatibilität . Wir mussten eine Reihe
von Anpassungen an die EU-Kinomitteilung vornehmen .
Von den weiteren Änderungen, die wir im parlamentarischen Verfahren am sehr gelungenen Entwurf der
Staatsministerin vorgenommen haben, möchte ich drei
hervorheben:
Erstens . Wir kommen einem Wunsch der Verleiher
und einer Reihe von Kinobetreibern nach und ermöglichen eine sogenannte sendebezogene Berechnung der
Filmabgabe . Das ist Entbürokratisierung . Gleichzeitig
bleibt die Beteiligung an diesem Abrechnungsmodell
aber freiwillig . Kein Kino wird gezwungen, daran teilzunehmen .
Zweitens . Wir machen ernst mit der Gleichstellung im
Filmbereich . Das von unserer Staatsministerin ausgegebene Ziel, den Verwaltungsrat mittelfristig zu mindestens
30 Prozent mit Frauen zu besetzen, erreichen wir sofort,
und zwar durch eine Umstellung in § 6 Filmförderungsgesetz und letztlich auch durch die Selbstverpflichtung
des Deutschen Bundestages . Ich glaube, das ist ein richtiger und wichtiger Weg .
Was hingegen mit uns nicht geht, das ist eine wie
auch immer ausgestaltete Frauenförderquote innerhalb
des Systems der FFA . Das wäre aus unserer Sicht mit
der Maxime einer Kulturförderung ausschließlich nach
inhaltlichen Gesichtspunkten und letztlich mit der Freiheit der Kunst nicht vereinbar . Frauen und Männer sitzen
in den Gremien und Jurys und sind dort gemeinsam in
der Verantwortung für Förderentscheidungen . Hier endet
aber dann aus unserer Sicht die Vorgabe, wie diese auszusehen haben .
Parallel zu den Verhandlungen über das FFG haben
wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und mit
Vertretern der Länder intensiv über das Thema Digitalisierung unseres Filmerbes verhandelt . Im FFG passen
wir nun den gesetzlichen Rahmen für den Erhalt und die
Zugänglichmachung des filmischen Erbes weiter an den
Stand der technischen Entwicklung an .
All diese Bemühungen stehen und fallen letztlich aber
immer mit dem Thema Geld . Die Filmwirtschaft und der
Bund stehen bereit, ihr Drittel zu den nötigen 10 Millionen Euro im Jahr für zehn Jahre beizusteuern . Damit
könnte die Digitalisierung unseres Filmerbes sofort in
großem Stile aufwachsen . Es hakt aber leider immer noch
an einer Reihe von Ländern, die sich zu ihrem Anteil an
der Verantwortung noch nicht bekennen . Die Kulturhoheit in unserem Land liegt aber aus gutem Grund vor
allen Dingen bei den Ländern . Ihr verdanken wir einen
Großteil unseres kulturellen Reichtums . Zum kulturellen
Erbe gehört eben das filmische Erbe; sicher nicht jede
Super-8-Aufnahme und jedes Werbefilmchen, aber das
Gros der Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilme, die im
Kino gelaufen sind, darf ich jedenfalls zu unserem kulturellen Erbe zählen . Deswegen können und wollen wir
die Länder hier auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen . Eine alleinige Übernahme der Kosten durch den
Bund oder durch die Filmförderungsanstalt und damit
durch die Kinowirtschaft ist ausgeschlossen . Das möchte
ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit festhalten .
({1})
Eigentlich hätten wir eine Veränderung im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt vornehmen und die
AG Verleih neu in diesen aufnehmen müssen . Insbesondere die in diesem Verband vertretenen Verleiher sind es,
die diejenigen deutschen Filme vorantreiben, von denen
wir uns noch mehr wünschen . Ich nenne stellvertretend
die Filme von Tom Tykwer . Die Größe des Verwaltungsrates und die Aufnahme- und Aufstockungswünsche vieler weiterer Verbände haben es letztlich verhindert, dass
wir diesen Punkt in der vorliegenden Novelle angefasst
haben . Wir setzen uns aber mit Nachdruck dafür ein, dass
die AG Verleih in den Unterkommissionen angemessen
repräsentiert wird . Die nächste Novelle wird an dieser
Stelle dann grundsätzlich zu Veränderungen im Verwaltungsrat führen müssen .
Ich freue mich über den sehr konstruktiven Gesetzgebungsprozess . Insbesondere möchte ich meinem Berichterstatterpendant bei den Sozialdemokraten Burkhard
Blienert herzlich für die kollegiale Zusammenarbeit danMarco Wanderwitz
ken . Ich glaube, es ist uns gelungen, eine gute Novelle
zum Filmförderungsgesetz auf die Beine zu stellen . Auf
dass wir, so hoffe ich, auch 2017 auf ein gutes Kinojahr
blicken können, für die deutschen Kinos und für den
deutschen Film in den Kinos!
Vielen Dank .
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Harald Petzold für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den
Besuchertribünen! Auch ich möchte mich der Begrüßung
von Herrn Neumann und den Vertretern der Filmförderungsanstalt für meine Fraktion anschließen . Ich möchte
genauso herzlich aber auch die Vertreterinnen von Pro
Quote Regie ganz herzlich begrüßen, die ebenfalls auf
der Besuchertribüne Platz genommen haben .
Es ist nicht ganz so einfach, vor dem Hintergrund der
zahlreichen historischen Schwerpunktdaten, die durch
den Präsidenten heute früh schon angesprochen worden
sind, und der Tatsache, dass in der Öffentlichkeit derzeit
alle über die Ergebnisse der amerikanischen Präsidentenwahl reden, zum Filmförderungsgesetz zu sprechen .
Aber das können wir trotzdem erhobenen Hauptes tun .
Auch wenn ich die Euphorie von Kollegen Wanderwitz
nicht ganz so teile, so bin ich doch der Auffassung: Das
Filmförderungsgesetz, das wir heute hier verabschieden
werden, ist ein besseres Gesetz als sein Vorgänger, und es
ist besser als der Entwurf, den die Kulturstaatsministerin
im Sommer dieses Jahres hier in den Bundestag eingebracht hat .
Ich denke, daran hat auch meine Fraktion Die Linke
einen wesentlichen Anteil . Mit unserem Antrag „Filmförderung - Impulse für mehr Innovation statt Kommerz,
für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt“ haben wir vielen Filmschaffenden in diesem Land
eine Stimme gegeben . An ihren berechtigten Forderungen an die künftige Filmförderung - mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Geschlechtergerechtigkeit und mehr
kulturelle Vielfalt - ist am Ende auch die Große Koalition
nicht vorbeigekommen . Das ist gut so, und deshalb wird
meine Fraktion den Gesetzentwurf heute nicht ablehnen .
({0})
- Ja, das ist aber keine Gegenstimme, Herr Kollege . Das
sollten Sie mal würdigen .
Wir beschließen hier heute ein Gesetz, dessen Ziel es
ist, die Struktur der deutschen Filmwirtschaft zu sichern
und den deutschen Film als Wirtschafts- und Kulturgut
zu stärken, aber leider eben auch in dieser Reihenfolge .
Wir hätten uns hier mehr kulturelle Akzente gewünscht,
zum Beispiel ein viel stärkeres Bekenntnis zum Kulturort
Kino und eine stärkere Förderung originärer Stoffe in allen Filmsparten .
Worauf ich sehr stolz bin, ist, dass in dem Entwurf
des Filmförderungsgesetzes, das wir heute beschließen,
steht, dass die Filmförderungsanstalt, FFA, wenigstens
darauf hinwirken soll, dass für die Beschäftigten in der
Filmwirtschaft sozialverträgliche Bedingungen hergestellt werden . Das ist mehr als das Nichts dazu im ursprünglichen Entwurf von Frau Staatsministerin Grütters .
Ich weiß, das ist hart erkämpft . Trotzdem bleiben wir bei
unserer Kritik: So, wie es im Gesetzentwurf enthalten ist,
wird das leider pure Symbolik, also ein zahnloser Tiger
bleiben .
Das gilt leider auch für den Vorschlag, den die Grünen
in ihrem Entschließungsantrag zur Selbstverpflichtung
unterbreiten . - Wir werden trotzdem eurem Entschließungsantrag zustimmen, weil wir der Auffassung sind,
dass auch das mehr ist als das Nichts dazu vorher . Deswegen gibt es Zustimmung von uns .
({1})
Für uns ist besonders wichtig, dass die Filmförderungsanstalt durch aktives und konkretes Zutun daran
mitwirkt, die prekären und teilweise skandalösen Beschäftigungsverhältnisse und Beschäftigungsbedingungen in der Branche zu überwinden . So ähnlich hat das
im Übrigen auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme
gefordert . Deswegen bleiben wir dabei: Mindestlohn und
bestehende Tarifverträge sind geltendes Recht,
({2})
und wer öffentliche Fördergelder bekommt, steht in einer
besonderen Verpflichtung, sich an Recht und Gesetz zu
halten . Tut er dies nicht, muss sie oder er von der öffentlichen Förderung zumindest für eine gewisse Zeit ausgeschlossen werden können .
({3})
Deswegen bleiben wir dabei, dass die Antragstellerinnen
und Antragsteller gegenüber der Filmförderungsanstalt
offenlegen müssen, ob ein Tarifvertrag oder eine vergleichbare Regelung besteht, und sie müssen gewährleisten, dass diese eingehalten wird - nicht mehr und nicht
weniger . Dabei bleiben wir .
({4})
Meine Damen und Herren, wir beschließen hier heute
ein Gesetz, das sich nicht darauf beschränkt, die Filmproduktion zu fördern . Unterstützt werden alle Entwicklungsstufen der Filmproduktion, vom Drehbuch bis
zur Fertigstellung des Films, sowie die anschließende
Auswertung im Kino und auf den folgenden Verwertungsstufen . Neu ist dabei eine Spitzenförderung für die
Weiterentwicklung besonders vielversprechender Drehbücher bis zur Drehreife . Dafür werden die Fördermittel
im Bereich Drehbuch erhöht . Wir sagen trotzdem: Eine
Filmförderung, die den Wert eines Films zuerst nach seinem kommerziellen Erfolg an den Kinokassen bemisst,
ist auf dem falschen Weg . Sie beschneidet künstlerische
Vielfalt und Innovation und vereinheitlicht das filmische
Produkt . Mit dem kulturellen Auftrag des Bundes hat das
nach unserer Meinung nichts zu tun .
Mit der Verabschiedung dieses Filmförderungsgesetzes wird es Aufgabe der Filmförderungsanstalt, zu sicherndes Filmarchivmaterial zugänglich zu machen . Das
ist ein klarer Fortschritt . Ich will aber darauf aufmerksam machen, dass die Sicherung und die Bewahrung des
Film erbes auch die Möglichkeit beinhalten muss, von
analogem Material analoge Kopien herzustellen . Deswegen fordern wir, dass die Filmsicherung auf sichere
Füße gestellt und entsprechend finanziell untersetzt wird:
10 Millionen Euro pro Jahr plus Sicherung des Kopierwerkes in Hoppegarten .
({5})
Wir beschließen schließlich heute - auch darauf bin
ich sehr stolz -, dass der Förderhilfehöchstsatz für die
medienpolitische Begleitung von Kinderfilmprogrammen deutlich erhöht wird, von ursprünglich 2 000 Euro
auf 5 000 Euro . Das freut uns besonders; denn dies war
ein Vorschlag meiner Fraktion und vieler engagierter Filmemacherinnen und Filmemacher .
Alles in allem: Dieses Gesetz ist - ich sagte es bereits - besser als sein Vorgänger und besser als das, was
eingebracht worden ist . Insofern von uns zumindest Enthaltung .
Vielen Dank .
({6})
Der Kollege Blienert erhält nun das Wort für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Filmbegeisterte und die, die es noch
werden wollen, auf der Tribüne! Eine Nachricht hat uns
kürzlich alle aufhorchen lassen: Der US-amerikanische
Mobilfunkkonzern AT&T will das Time-Warner-Studio
kaufen . Damit will man selbstproduzierte Inhalte exklusiv für mobile Endgeräte anbieten . Der Deal ist noch
nicht sicher, aber diese Meldung wirft ein Schlaglicht auf
die zukünftige Entwicklung insgesamt .
Solche Entwicklungen haben natürlich auch darauf
Auswirkungen, wie bei uns Filme entstehen, was für
Filme gemacht werden, wie sie verwertet und wie sie
konsumiert werden . Die internationalen Marktveränderungen beschreiben somit Koordinaten, in denen sich
letztendlich auch das Filmförderungsgesetz bewähren
muss . Sie markieren enorme Herausforderungen für den
deutschen und europäischen Kinofilm, und sie markieren
Herausforderungen für den Ort, an dem diese Filme zuallererst ihr Publikum finden sollen, nämlich das Kino.
Für mich ergeben sich daraus zwei zentrale Aufgaben:
Zum einen geht es darum, auch unter diesen Rahmenbedingungen Vielfalt und Qualität des Filmschaffens zu
ermöglichen und weiterzuentwickeln . Zum anderen geht
es darum, dem kulturellen Begegnungsort Kino eine Zukunft zu geben und damit unsere einzigartige Kinolandschaft weiterhin zu pflegen.
({0})
Das waren für mich zugleich die Maßgaben für alle
Beratungen über den Gesetzentwurf . Das Ergebnis insgesamt stimmt mich zufrieden . Schon der erste Entwurf
war zu begrüßen . Der Ausschuss hat als Ergebnis seiner
Anhörung weitere Änderungen beschlossen, die die ganze Sache rund machen . Im Vorfeld hatten wir übrigens einige neue Ansätze gründlich unter die Lupe genommen,
aber am Ende aus guten Gründen wieder verworfen . Das
gilt etwa für den Erlöskorridor und für Experimente bei
den Sperrfristen . Darauf komme ich später noch im Detail zurück .
Es freut mich besonders, dass der Beschluss im Ausschuss ohne Gegenstimme erfolgte . Ich möchte daher die
konstruktiven Beratungen mit den Oppositionsfraktionen ausdrücklich anerkennen . An dieser Stelle danke ich
Marco Wanderwitz und den Kollegen von der Union für
die guten und intensiven Beratungen und ganz herzlich
auch dem Filmreferat der BKM und der Filmförderungsanstalt .
({1})
Der überarbeitete Entwurf gibt wirklich allen Anlass
zur Hoffnung, dass die Finanzierung der FFA in den
nächsten Jahren auf sicheren Beinen steht und dass die
Effektivität der Förderung deutlich verbessert werden
kann . Zudem gibt es gute Regelungen bei der Gleichstellung . Ich gehe davon aus, dass die Parität in den
Fördergremien für einen deutlich steigenden Anteil der
Filme von Regisseurinnen und Produzentinnen sorgen
wird . Vielleicht ist es schon ein gutes Zeichen, dass die
FFA-Vergabekommission in der letzten Sitzung die Förderung von zwölf Kinoprojekten beschlossen hat, von
denen die Hälfte unter weiblicher Regie entsteht . Wir
werden genau beobachten, wie sich der Frauenanteil
bei den Kinofilmprojekten entwickelt. Sollte es hier wider Erwarten keine nachhaltigen Verbesserungen geben,
werden wir uns noch einmal mit der Zielvorgabe bei der
Förderung beschäftigen müssen .
Das neue Gesetz wird mit seiner konsequenten Qualitätsorientierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten,
dass die Flut der Filmstarts eingedämmt werden kann .
Allein im ersten Halbjahr gingen 127 deutsche Filme an
den Start . Dies war gegenüber dem Vorjahr erneut eine
Steigerung, diesmal um elf Filme . Der Fokus auf Qualität
wird mit der verbesserten Drehbuchförderung dafür sorgen, dass weniger mittelmäßige Filme ins Kino kommen .
Mittelmäßig sind sie meist aufgrund halbgarer Drehbücher . Deshalb wird es mehr Filme aus dem mittleren
Segment geben, also Filme mit einem Budget zwischen
4 und 6 Millionen Euro . Das sind genau die Filme, an
denen es in unseren Kinos derzeit mangelt .
Mit ausgereiften Drehbüchern, höheren Fördersummen und besonderen Anforderungen an die Expertise der
Harald Petzold ({2})
Fördergremien wollen wir das ändern . Der Qualitätsbegriff im neuen FFG ist an eine wirtschaftlich erfolgreiche
Verwertung gebunden . Damit erfährt das FFG eine Profilschärfung, das seinem Charakter eines Wirtschaftsförderungsgesetzes entspricht, zugleich aber dem Kulturgut
gerecht wird .
An dieser Stelle muss man auf die kulturelle Filmförderung durch die BKM zurückkommen . Ich kann es nur
begrüßen, dass bereits im nächsten Haushalt eine Aufstockung um 15 Millionen Euro vorgesehen ist . Das muss
natürlich auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden .
So gibt es auch Möglichkeiten für innovative, mutige,
sperrige, künstlerisch ambitionierte Projekte, die sonst
nicht gefördert werden könnten . Dann hätten wir bald ein
Problem . Denn ohne diese Mittel ist eine Stärkung der
kulturellen Ausrichtung der Förderung nicht mehr zu machen . Ich würde mir daher wünschen, dass auch die Förderung durch die BKM ihr Profil schärft. In Abgrenzung
zum FFG und vom FFG sollte es hier um Projekte gehen,
die gerade nicht unter dem Verwertungsaspekt entstehen .
Bei der BKM sollte der Akzent eindeutig auf der Förderung künstlerisch herausragender und anspruchsvoller
Filme liegen . Dies sollte auch in den neuen BKM-Förderrichtlinien, die wir in der nächsten Zeit erwarten, berücksichtigt werden .
Darüber hinaus: Wir müssen natürlich auch unsere
Standortförderung überdenken . Dass es mit dem DFFF
nicht weitergehen kann wie bisher, hat sich mittlerweile
herumgesprochen . Der Glanz des ehemaligen Vorzeigemodells aus Deutschland ist mittlerweile leider verblasst .
Der DFFF kann seinen Zweck nicht mehr erfüllen .
Grund sind eindeutig die attraktiveren Anreizsysteme in
Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, Ungarn und
vielen, vielen anderen Ländern . Leider machen internationale Großproduktionen inzwischen einen Bogen um
Deutschland. Alarmierend finde ich auch, dass deutsche
Produktionen Deutschland verlassen, weil sie woanders
bessere Förder- und Produktionsbedingungen vorfinden.
({3})
Wenn wir den Filmstandort Deutschland erhalten
wollen, müssen wir hier deutlich nachlegen . Ich möchte daran erinnern, dass ein attraktiver Standort nicht nur
ein Innovationstreiber für Zukunftstechnologien wie
Animation und Spezialeffekte ist, sondern auch viele
neue, zum Teil hochspezialisierte Arbeitsplätze bringt .
Alle Studien belegen, dass es sich bei dieser Förderung nicht um Subventionen handelt, sondern geradezu
um ein Geschäftsmodell für den Finanzminister mit erheblichen Steuerrückflüssen. Ich würde mir daher eine
Standortförderung mit verschiedenen sich ergänzenden
Instrumenten wünschen - ich würde mir auch wünschen,
dass wir eine Debatte darüber führen -: erstens mit Anreizmodellen für internationale Großproduktionen, auch
unter Prüfung von Steueranreizen, die den Filmstandort
Deutschland im internationalen Wettbewerb stärken und
sichern, zweitens mit der Förderung der deutschen Produktionswirtschaft und drittens mit einer technologisch
orientierten Förderung, wie sie bereits seit zwei Jahren
durch den German Motion Picture Fund des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel erfolgt .
Wieder zurück zum FFG: Ganz besonders freut mich,
dass mein Appell aus der ersten Lesung gehört wurde
und wir uns auf eine wichtige Nachbesserung am Regierungsentwurf verständigen konnten . Der Gesetzgeber
bekennt sich nun zu seiner Verantwortung, dass es bei der
Produktion der öffentlich geförderten Projekte fair und
sozialverträglich zugehen muss .
({4})
Dazu haben wir den gesetzlichen Aufgabenkatalog der
Filmförderungsanstalt erweitert . Künftig muss die FFA
darauf hinwirken, dass in der Filmwirtschaft eingesetztes
Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt
wird . Bei den Bewilligungsvoraussetzungen haben wir
zusätzlich konkretisiert, wie diese Aufgabe umzusetzen
ist . Über Förderanträge wird künftig nur dann entschieden, wenn der Hersteller angibt, ob eine Tarifbindung
gilt . Ist dies nicht der Fall, muss er erklären, ob die Einhaltung sozialer Standards auf anderem Wege vereinbart
wurde . Diese Angaben werden im Förderbericht der FFA
veröffentlicht . So schaffen wir endlich Transparenz dahin gehend, wie viele nicht tarifgebundene Produktionen
wir im Moment leider noch öffentlich fördern . Auch das
werden wir genau beobachten . Sollte der Anteil über die
Jahre zu hoch sein, müssen wir als Gesetzgeber gegebenenfalls wiederum nachsteuern . Es ist schließlich das
erklärte Ziel der Bundesregierung, die Tarifbindung von
Unternehmen auszubauen . Das gilt natürlich auch für die
Filmwirtschaft .
({5})
Hier bringt die FFG-Novelle einen weiteren Fortschritt . Sie ist damit ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der
Filmschaffenden . Auch die Urheber unter den Filmschaffenden können sich freuen . Schon im Regierungsentwurf wurde festgeschrieben, dass die Erlösbeteiligungen
gemäß dem Urhebervertragsrecht bei der Tilgung der
Förderdarlehen vorrangig zu bedienen sind . Seit dem
1 . November dieses Jahres gibt es für freie Film- und
Fernsehschaffende bei der Alterssicherung aus der Pensionskasse übrigens wieder mehr Sicherheit . Auch dafür
hat sich die SPD-Bundestagsfraktion eingesetzt, und
auch das ist ein guter Baustein der Sicherung .
Die Verabschiedung der FFG-Novelle markiert einen
guten Tag für die Filmschaffenden und einen guten Tag
für die Kinos; denn weder bei den regelmäßigen noch
bei den ordentlich verkürzten Sperrfristen wird es Fristverkürzungen geben . Damit ebnen wir gerade denjenigen
Filmtheatern den Weg in die Zukunft, die als Teil unserer
Kinolandschaft zur Vielfalt des Filmangebotes beitragen .
Diese Häuser sind auf das Kinofenster angewiesen, also
auf die Möglichkeit, Filme über viele Wochen hinweg
auswerten zu können, wie im Moment Toni Erdmann, der
seit 15 Wochen läuft und noch immer erfolgreich ist und
nach wie vor Tausende ins Kino zieht .
Kinos sind immer auch öffentliche kulturelle Treffpunkte mit einer wichtigen sozialen Funktion - sowohl
in der Großstadt als auch in der Fläche . Gerade in den
kleineren Städten sind die Kinos oftmals das einzige
kulturelle Angebot und damit unverzichtbar . Mit der Digitalisierungsförderung ist es uns gelungen, diese VielBurkhard Blienert
falt unserer Kinolandschaft zu erhalten . Das sollten wir
durch Sperrfristverkürzungen nicht leichtfertig aufs Spiel
setzen .
Dennoch verkennen wir nicht, dass der Druck auf das
Kinofenster durch neue internetbasierte Geschäftsmodelle und veränderte Sehgewohnheiten größer wird, und
wir sehen auch, dass sich das Kino keinen Gefallen damit tut, wenn es diese Entwicklung ignoriert . Vor diesem
Hintergrund haben wir erwogen, ob man im Rahmen des
FFG ein Experimentierfeld bei den Sperrfristen eröffnen
sollte, und zwar mit dem Ziel, auf diesem Weg die Kinozuschauer stärker an sich zu binden und neue Kinogänger - gerade auch jüngere - zu gewinnen . Aufgrund der
absehbaren Nachteile und Risiken eines solchen Experiments, die wir uns angeschaut haben, haben wir am Ende
aber Abstand davon genommen .
Dennoch bleibt festzuhalten: Das neue FFG geht behutsame Schritte - nicht zur generellen Verkürzung, aber
doch zu einer weiteren Flexibilisierung der Sperrfristen .
Ich glaube, das ist ein richtiger und vernünftiger Weg .
Ausnahmen sind weiterhin möglich, aber nur, wenn
zum Beispiel der Kinovertreter im FFA-Präsidium diesen
auch zustimmt . Damit stellen wir sicher, dass nichts über
die Kinos hinweg geschieht .
Ich wünsche mir, dass die Kinos die Chancen erkennen, die die neuen Möglichkeiten mit sich bringen, und
ich möchte ausdrücklich an die Kinoverbände appellieren, dass sie diesen neuen Wegen zur Anwendung verhelfen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle bringt
nicht den großen Paradigmenwechsel, den sich manch
einer in der Branche vielleicht erhofft hat, aber sie nimmt
Weichenstellungen vor, die die Filmförderung nachhaltig
zum Besseren verändern werden .
Damit hat sich natürlich auch der Antrag der Fraktion
der Linken erübrigt . Das war wahrscheinlich auch nicht
anders erwartet worden . Wir sind aber auf viele Punkte
eingegangen und haben sie umgesetzt . Ich denke, das ist
ein deutliches Zeichen dafür, dass wir hier gemeinsam
für die Kinos und für den deutschen Film die Grundlagen
für die nächsten Jahre geschaffen haben .
Dieses Jahr ist trotz niedrigerer Besucherzahlen nach
dem Rekordjahr 2015 ein erfolgreiches Jahr . Ich erinnere
an den furiosen Auftritt von Toni Erdmann in Cannes . Er
ist jetzt in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“
für den Oscar nominiert . Daneben haben wir weitere
Studenten-Oscars gewonnen . Erst vor wenigen Wochen
wurden drei junge deutsche Filmemacher ausgezeichnet .
Das FFG ist ein guter Beitrag für die Zukunft und für
einen qualitativ guten und erfolgreichen - auch wirtschaftlich erfolgreichen - deutschen Kinofilm.
Für die deutsche Filmwirtschaft kann ich nur sagen:
Wir sind auf einem guten Wege und werden weiter daran
arbeiten, dass wir zukunftssicher und optimistisch nach
vorne blicken können .
Herzlichen Dank .
({6})
Tabea Rößner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die nächste Rednerin .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Frau Staatsministerin Grütters, mit großen Versprechungen sind Sie die Novelle des Filmförderungsgesetzes angegangen . Sie sprachen von „Mut zum Experiment“ und davon, „mehr neue, gute Ideen zu fördern“ .
Das, was heute verabschiedet werden soll, wäre als Drehbuch aber nur bedingt förderfähig . Es ist zu vorhersehbar
und unoriginell . Ihr Entwurf ist ungefähr so visionär wie
eine Til-Schweiger-RomCom und so mutig wie Katzenvideos auf YouTube .
({0})
Sie haben die Auseinandersetzung mit den Verwertern
gescheut, Sie lassen die Kreativen weiter im Stich, und
Sie haben es versäumt, was mich bei Ihnen wirklich persönlich enttäuscht, tatsächlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit beim Film zu sorgen . Wir brauchen aber mehr
Vielfalt, damit das deutsche Kino auch international wieder mehr Beachtung erfährt . Doch das wird durch das
FFG eher verhindert .
Schauen wir uns einmal die Lage des deutschen Films
an . Eine Regisseurin wie Maren Ade wird zu Recht Herr Blienert hat sie auch erwähnt - hoch gelobt und als
Beweis dafür herumgereicht, dass das deutsche Kino innovativ ist . Aber viele bedeutende Filmschaffende sind
nicht dank, sondern trotz der Filmförderung erfolgreich .
Es gibt unzählige Hürden, und viele herausragende Filme
sind einfach hoffnungslos unterfinanziert. Ein paar Beispiele: Der Film Der Nachtmahr von 2015 hatte keine
Förderung und nur ein ganz kleines Budget . Aber weil
dieser Film das sinnliche Kino praktisch neu erfunden
hat, war er auf zahlreichen internationalen Festivals erfolgreich .
Selbst renommierten Filmschaffenden fällt es oft extrem schwer, die Finanzierung neuer Projekte zu stemmen . Der Film Schlafkrankheit von Ulrich Köhler wurde
2011 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet . Das Geld für sein neues Projekt hat er nur mit
sehr vielen Mühen zusammengekratzt . Andere erfolgreiche Filme wie Im Schatten oder Vor der Morgenröte mussten mit einem winzig kleinen Budget umgesetzt
werden, oft war es sogar noch kleiner als ursprünglich
geplant .
Budgeteinschränkungen führen aber zu Kompromissen . Diese Filme, obwohl sie im Kino erfolgreich sind,
können ihr künstlerisches und ihr wirtschaftliches Potenzial überhaupt nicht ausschöpfen . Damit Kreative
herausragende Filme machen können, benötigen sie vor
allem eines: Freiräume .
({1})
Stattdessen ersticken sie in Bürokratie . Zudem sind sie
in den Fördergremien unterrepräsentiert . Die Verwerter
haben hier nach wie vor die Übermacht . Sie entscheiden
vor allem nach wirtschaftlichen Aspekten, welches Filmprojekt gefördert wird - logisch, denn schließlich wollen
sie damit ja auch Gewinne machen . Wenn ein Haufen
Menschen mit unterschiedlichen Interessen bei einem
Filmprojekt mitredet, dann bleibt vom Neuen und Innovativen nicht mehr viel übrig .
({2})
Nichts gegen gut gemachte Blockbuster, aber mutige
Filmprojekte bleiben in diesem System zu oft auf der
Strecke .
({3})
Das führt zu Monokultur statt zu Vielfalt, und wir bekommen nur selten Filme wie Victoria von Sebastian
Schipper zu sehen, der eine Geschichte in einer einzigen
Filmeinstellung erzählt . Dabei sollte doch gerade Mut
prämiert und Unbequemes gefördert werden .
Schauen Sie sich doch einmal die Welt an . Nach dem
gestrigen Tag habe ich den Eindruck, dass wir unbequeme Kreative mehr denn je brauchen .
({4})
Regisseurinnen und Drehbuchautoren können oft besser
entscheiden, ob ein Film künstlerisch wertvoll ist, und
darum muss die Anzahl von Kreativen in den Förderkommissionen unbedingt erhöht werden . Die Koalition
hat aber die Verwerter bei ihrer Besitzstandswahrung unterstützt, und das ist für die Kreativen, so glaube ich, eine
ziemlich klare Botschaft: Von Union und SPD haben sie
leider nicht viel zu erwarten .
({5})
Es gibt noch eine weitere vernachlässigte Interessengruppe: die Produzentinnen und Produzenten . Wer einen
Film produzieren will, muss erhebliche finanzielle Mittel
als Eigenmittel einbringen . Aber selbst wenn ein Film
wie Toni Erdmann dann an der Kinokasse erfolgreich ist,
bekommen die Gewinne vor allem die Verwerter, sodass
am Ende den Produzenten kaum etwas übrig bleibt .
Dieses Problem hätte man mit einem Erlöskorridor lösen können . Produzenten würden dann einen festgelegten
Anteil von den Nettoverleiherlösen erhalten . Gleichzeitig würde die Chance auf Rückzahlung der geförderten
Mittel an die FFA steigen . Wieso Sie das nicht ins Gesetz
aufgenommen haben, verstehe ich nicht . Da hat Ihnen
wohl wieder der Mut gefehlt .
({6})
Wenn wir mehr gute Filme von Frauen sehen wollen, Filme wie Toni Erdmann, wie Wild von Nicolette
Krebitz, müssen wir diese auch gezielt fördern . Meine
Anfragen bei der Bundesregierung haben ergeben, dass
die Frauenbeteiligung bei geförderten Projekten erschreckend gering ist . Gerade einmal 18 Prozent der in den
Jahren 2004 bis 2013 - immerhin über zehn Jahre - von
der FFA geförderten Filme stammen von Regisseurinnen .
Noch schlimmer ist es bei der Produktion . Im vergangenen Jahr sind nur 16 Prozent der Filme unter Beteiligung von Frauen entstanden . Dabei machen fast genauso
viele Frauen wie Männer ihren Abschluss an den Filmhochschulen . Es reicht eben nicht aus, lieber Kollege
Wanderwitz und lieber Kollege Blienert, nur die Fördergremien paritätisch zu besetzen . Das kennen wir auch aus
anderen Bereichen . Deshalb fordern wir klare Zielvorgaben zur Förderung von filmschaffenden Frauen. Aber das
war mit Ihnen leider nicht zu machen . Wirklich schade!
({7})
Es gibt noch sehr viel mehr, was in der Referenzförderung schiefläuft. Getreu dem Motto „Wer hat, dem wird
gegeben“ kommen eher die teuren und großen Produktionen in den Genuss automatisierter Filmförderung . Wir
machen daher in unserem Entschließungsantrag eine
Reihe von Vorschlägen, wie eben auch kleinere Produktionen besser gefördert werden können, was dann wieder
für mehr Vielfalt sorgen wird .
Auch in weiteren Punkten haben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf statt vielversprechendem Heldenepos eher
einen Kassenflop produziert, zum Beispiel bei der ökologischen Filmproduktion . Zwar ist es in Zukunft auch
Aufgabe der FFA, die deutsche Filmwirtschaft in „ökologischen Belangen zu unterstützen“ . Aber was heißt denn
das genau? So ein kleiner Nebensatz ohne konkreten
Handlungsplan wird nicht ausreichen . Warum wird die
Expertise zum Thema „grünes Kino“, die es in Deutschland inzwischen gibt, nicht genutzt? So ein Halbsatz ist
enttäuschend .
({8})
Auch die Vorgaben für die Barrierefreiheit sind nicht
der große Wurf, eher ein Würfchen . Es genügt nicht, nur
die Herstellung von barrierefreien Filmfassungen zu fördern . Sie müssen in den Kinos eben auch gezeigt werden . Wir brauchen Qualitätsstandards und deren Durchsetzung . Solange dies nicht geschieht, ist Barrierefreiheit
nur ein Feigenblatt .
Noch ein Gedanke zu meinem Lieblingsthema, dem
Filmerbe . Die Italiener haben vergangene Woche ein
neues Gesetz zur Filmförderung verabschiedet . Zukünftig soll ein größerer Teil ihrer Filmabgabe für die Digitalisierung alter Filme verwendet werden . Während in
Rom gehandelt wird, warten wir hier in Berlin auf eine
Digitalisierungsstrategie, die uns schon seit EwigkeiTabea Rößner
ten versprochen wurde . Dass die Rettung des Filmerbes
deutlich mehr Geld braucht, ist allen bekannt . Aber Wissen ist nicht Handeln, und am Handeln fehlt es .
({9})
Ein Satz noch zur Transparenz . Wir brauchen dringend
ein umfangreiches, öffentlich einsehbares Filmregister .
Wer die Antworten auf meine Anfragen zum Film kennt,
der weiß, wovon ich spreche . Nur mit einem Filmregister
kann die Förderung richtig evaluiert werden, zum Beispiel zur Beteiligung von Frauen oder auch zu sozialen
Standards .
Der berühmte Filmkritiker Gene Siskel sagte einmal:
A film that aims low should not be praised for hitting that target .
Das Gleiche gilt für diesen Gesetzentwurf . Wer keine
hohen Ziele verfolgt, der bekommt auch kein Lob und
leider auch nicht unsere Zustimmung .
({10})
Astrid Freudenstein erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Im kommenden Jahr
wird das Filmförderungsgesetz 50 Jahre und die Filmförderung in Deutschland 100 Jahre . Selbstkritisch muss
man, wenn man sich diese 100 Jahre ansieht, feststellen:
Das waren nicht immer nur ruhmreiche Jahre .
Begonnen hat es während des Ersten Weltkrieges . Der
deutsche General und Hindenburg-Stellvertreter Erich
Ludendorff schrieb damals einen Brief an das Kriegsministerium mit der Forderung, eine Vereinheitlichung der
deutschen Filmindustrie herbeizuführen, um eine planmäßige und nachdrückliche Beeinflussung der großen
Massen im staatlichen Interesse zu erzielen .
Ende 1917 wurde dann die Universum-Film AG, die
UFA, gegründet, ausdrücklich auch mit dem Ziel der außen- und innenpolitischen Propaganda . Filmförderung
unter ideologischen Gesichtspunkten prägte die ersten
Jahrzehnte der Filmförderung und spielte eine wesentliche Rolle in den beiden Weltkriegen . Das wird uns heute
mit Sicherheit nicht mehr passieren . Filmförderung heute
bedeutet, dem kreativen Potenzial der Filmschaffenden
Raum zu geben
({0})
und die Freiheit der Kunst hochzuhalten . Das verträgt
sich nicht mit den Quotenfantasien der Opposition, meine Damen und Herren .
({1})
In den 60er-Jahren, als das erste Filmförderungsgesetz in Deutschland verabschiedet wurde, wollte man den
Film vor allem gegenüber dem aufstrebenden Fernsehen
schützen . Der Film - das wissen wir heute - hat sich neben dem Fernsehen behaupten können, weil der Film auf
die Wucht von Ton und Bild, das spannende Erleben in
der Gemeinschaft, die guten Schauspieler und die aufregenden Ideen setzt .
Kino - das wissen wir aber auch - ist heute neben dem
Fernsehen nur noch dann interessant, wenn es wirklich
großes Kino ist . Andernfalls kann man sich auch daheim
eine DVD anschauen oder einen Film streamen . Das hat
zwar eine eigene Qualität, aber wir brauchen auch den
großen und schönen deutschen Film . Genau das muss
Filmförderung heute vorantreiben . Ich meine, wir sind
dabei auf einem guten Weg . Mit einem Marktanteil von
gut 27 Prozent hat der deutsche Film im vergangenen
Jahr einen neuen Rekord aufgestellt . 37 Millionen Besucher in deutschen Filmen: Auch das ist ein Spitzenwert .
({2})
Das ist nicht nur auf die Förderung durch die Filmförderungsanstalt zurückzuführen, sondern auch auf die Gesamtheit der Filmförderung in Deutschland, im Übrigen
auch auf die regionale Filmförderung . Die Kulturhoheit
der Länder wurde bereits angesprochen . Die Filmförderung ist nicht überall gleich ausgeprägt . Sie werden verstehen, dass ich an dieser Stelle Bayern als gutes Beispiel
anführe . Es gibt den FilmFernsehFonds Bayern, der auch
in diesem Jahr wieder mehr Geld aus dem bayerischen
Staatshaushalt erhält . Bayern ist das Bundesland mit den
meisten Kinos und Spielstätten .
({3})
Bei uns muss man, wenn man noch nicht 18 ist, das
nächste Kino mit dem Mofa erreichen können . Das ist
wahre Filmförderung .
({4})
Bayern hat eine bedeutende Filmindustrie und ein
Filmfest . Im Süden hat der Film einen guten Boden . Allein im vergangenen Jahr wurden in Bayern 45 Kinofilme produziert . So manches andere Bundesland könnte
sich bei der Förderung des Films an Bayern ein Beispiel
nehmen .
({5})
Ganz so schlecht kann unsere Filmförderlandschaft
also nicht sein . Gleichwohl ist es wichtig, dass es Fördermodelle gibt, über die wir in den nächsten Jahren diskutieren können . Immer noch ist Luft nach oben .
Aber wir verharren nicht auf dem Status quo . Die Novelle des Filmförderungsgesetzes bringt spürbare Verbesserungen. Wir wollen die Förderung der FFA effizienter
machen . Wir wollen die Drehbuchförderung ausbauen, und wir wollen das Abgabeaufkommen hochhalten .
Deshalb wird es künftig mehr Fördermittel für weniger
Projekte geben . Wir wollen mehr Klasse als Masse und
mehr Qualität als Quantität . Das ist ein guter und richtiger Schritt .
Es gibt mehr Geld für die Drehbuchfortentwicklung,
damit wirklich gute Drehbücher auch verfilmt werden.
Das Abgabesystem wird an die wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst . So werden auch die Anbieter
werbefinanzierter Videoabrufdienste abgabepflichtig.
Auch bei der Flexibilisierung der Sperrfristen haben wir
die Interessen ausbalanciert .
Das Gesetz erfüllt damit noch mehr als bisher seinen
Zweck, den Film als Kultur- und Wirtschaftsgut zu fördern . Es ist kein Widerspruch, dass ein wirtschaftlich erfolgreicher Film auch kulturell anspruchsvoll sein kann .
({6})
Gerade die deutsche Filmbranche liefert dafür viele, viele gute Beispiele .
({7})
Wir reagieren mit der FFG-Novelle auch auf ein verändertes Publikum . Das freut mich als Sozialpolitikerin,
die ich auch bin, ganz besonders. Ich finde nämlich, dass
die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Filmen
ein großer Schritt sind . Das war schon eine Forderung
meines Kollegen Hubert Hüppe aus seiner Zeit als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, die wir jetzt
umsetzen . Künftig müssen geförderte Filme auch für
Seh- und Hörbehinderte in einer kinogeeigneten Qualität
zugänglich gemacht werden . Das ist ein Schritt, der mich
ganz besonders freut . So meine ich, dass wir mit dem
neuen Filmförderungsgesetz in ein gutes 50 . Lebensjahr
gehen können .
Vielen Dank .
({8})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Hupach das Wort .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Film und Fernsehen sieht es mit der Geschlechtergerechtigkeit zwischen
Frauen und Männern im Jahr 2016 genauso schlecht und
defizitär aus wie in anderen Bereichen. Dank der Initiative einzelner Regisseurinnen führte der Bundesverband
Regie nun zum dritten Mal ein Gendermonitoring durch .
Erst vor ein paar Tagen erschien der dritte Diversitätsbericht .
Auch diese aktuellen Zahlen sind mehr als ernüchternd: Nur jeder sechste Film im Abendprogramm der
ARD wurde von Frauen inszeniert . Beim ZDF ist es sogar nur jeder achte Film, obwohl die Absolventen von
Filmhochschulen zu fast 50 Prozent weiblich sind . Das
muss sich dringend ändern .
({0})
Dank des Engagements der Initiatorinnen von Pro Quote
Regie gelangte das Thema der eklatanten Ungerechtigkeit in den letzten drei Jahren immer wieder an die Öffentlichkeit . - Ich begrüße ebenfalls die Vertreterinnen
oben auf der Besuchertribüne .
({1})
Heute ist der Zeitpunkt so günstig wie nie, mit der
Filmförderungsgesetzesnovelle die Weichen endlich so
zu stellen, dass man der systemisch bedingten Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern entgegenwirken kann . Wir haben in unserem Antrag dazu detaillierte Vorschläge gemacht: eine paritätische Besetzung der
Gremien, eine klare Quote bei der Fördermittelvergabe,
weiterhin gesonderte Einreichtermine, Mentoringprogramme oder Referenzmittel für Filme, bei denen Frauen
Schlüsselpositionen in den Bereichen Regie, Drehbuch
oder Produktion verantworten .
({2})
Aber was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Koalition? Sie beschränken sich auf eine paritätische
Besetzung der Gremien .
({3})
Das ist zwar ein wichtiges Signal - dafür haben auch viele Filmemacherinnen hart gekämpft -, aber allein reicht
das nicht aus .
({4})
Viele Filmprojekte von Frauen scheitern schon, bevor
sie die Jurys überhaupt zu Gesicht bekommen . Die Filmförderung ist ein in sich kreisendes System . Damit es aus
den eingefahrenen Bahnen herauskommt, braucht es eine
Störung, einen exogenen Schock . Die Quote wäre ein
solcher notwendiger Impuls . Sie aber machen genau das
nicht . Vor kurzem hat das Weltwirtschaftsforum seinen
diesjährigen Global Gender Gap Report veröffentlicht,
welcher den Stand der Gleichstellung weltweit bewertet . Zwei Zahlen darin sind besonders bezeichnend und
erschreckend . Wenn alles so bleibt, wie es ist - Stand
heute -, wird es noch 170 Jahre dauern, bis Frauen und
Männer die gleichen Chancen erhalten .
({5})
Die zweite Zahl, die ich nennen will, ist eigentlich noch
schlimmer . Im vergangenen Jahr waren es - in Anführungsstrichen - nur 118 Jahre . Der Trend ist also rückläufig. Wir müssen jetzt etwas tun und nicht irgendwann.
({6})
Mit dem vorliegenden Gesetz ziehen Sie sich zwar
die Schuhe an, laufen aber noch nicht los, sondern setzen sich erst mal noch aufs Sofa . Wie viele Berichte und
Studien wollen Sie eigentlich noch abwarten? Vorschläge
für wirksame Instrumente liegen auf dem Tisch . Stimmen Sie also unserem Antrag zu, und ändern Sie die ungerechten Strukturen - nicht irgendwann, sondern jetzt .
Dann stimmen wir vielleicht auch Ihrem Gesetzentwurf
zu .
Danke .
({7})
Matthias Ilgen ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute stellen wir nach mehrjährigen und langwierigen Verhandlungen die Filmförderung weiterhin auf die solide Basis, die
sie braucht, und richten sie ein ganzes Stück gerechter
aus - entgegen dem, was die Opposition verkündet hat .
Mit dem neuen Filmförderungsgesetz machen wir deutlich, welche große Bedeutung die Filmschaffenden sowie
der komplette Sektor der Kunst- und Kreativwirtschaft in
unserem Land haben . Wie die Kollegen bereits deutlich
skizziert haben, ist die Finanzierung der Filmförderungsanstalt gesichert . Die Effektivität der Förderung wird
verbessert und wird zielgenauer . Und: Die Gleichstellung
in den Gremien wird gewährleistet . Meine Damen und
Herren der Opposition, das ist ein erster Schritt in die
richtige Richtung . Den sollten Sie auch einmal anerkennen .
({0})
Aber Film ist nicht nur ein bedeutendes Kulturgut,
sondern auch ein nicht zu unterschätzendes Wirtschaftsgut in Deutschland . Die Kinos hatten im letzten Jahr mit
gut 139 Millionen Besuchern so viele Gäste wie seit sechs
Jahren nicht . Entsprechend zufrieden waren die Betreiber mit den Umsätzen . 1,17 Milliarden Euro nahmen sie
ein, ein Plus von mehr als 19 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr . Ein deutscher Titel war der Publikumsrenner:
Den zweiten Teil der Komödie Fack ju Göhte sahen fast
7,7 Millionen Zuschauer . So muss es weitergehen mit der
deutschen Filmwirtschaft . Aber wir müssen auch mit der
Zeit gehen und andere Formate fördern, beispielsweise
Video-on-Demand-Formate . Deshalb begrüßen wir es
sehr, dass das Wirtschaftsministerium vor elf Monaten
den German Motion Picture Fund ins Leben gerufen hat .
Er fördert technisch anspruchsvolle und teure Produktionen und soll dafür sorgen, dass deutsche Filmproduktionen im Vergleich zu US-Erfolgsschlagern wie Homeland
wettbewerbsfähig werden . Ihm verdanken wir auch die
Serie You Are Wanted, die Anfang 2017 in sechs Episoden bei Amazone Prime ausgestrahlt werden wird . Das
Serienprojekt, an dem Matthias Schweighöfer als Regisseur und Hauptdarsteller mitwirkt, hat in diesem Jahr eine
Förderungsbewilligung durch diesen Fonds erhalten .
Das Bundeswirtschaftsministerium will durch dieses
innovative Förderinstrument einen Beitrag für einen weiteren Entwicklungsschub für das digitale Filmschaffen in
Deutschland leisten; das unterstützen wir .
({1})
Nach den Serien Babylon Berlin und Berlin Station ist
es das dritte vom Bundeswirtschaftsministerium in dieser Form geförderte Serienprojekt, das hier in Berlin und
Umgebung produziert wird .
Abschließend möchte ich feststellen: Es freut mich,
dass die Filmschaffenden in Deutschland auch in Zukunft
künstlerisches und wirtschaftliches Wagnis gemeinsam
eingehen können; denn diese beiden Seiten einer Medaille - Kunst/Kreativität und auf der anderen Seite wirtschaftlicher Erfolg - gehören für uns Sozialdemokraten
immer zusammen . Deswegen danke ich auch dem Koalitionspartner dafür, dass wir diesen Schritt in die richtige
Richtung heute gemeinsam miteinander machen können .
({2})
Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege
Johannes Selle für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
haben in dieser Woche, in diesen Monaten sehr viele und
wichtige Themen zu diskutieren . Aber ich bin außerordentlich dankbar, dass wir heute zur besten Sitzungszeit einmal über den deutschen Film sprechen; denn
vom deutschen Film sind wahrscheinlich alle Bevölkerungsteile betroffen . Deshalb ist es wichtig und richtig,
dass wir darüber auch einmal zu dieser Zeit diskutieren .
({0})
Der deutsche Film hat auch im letzten Jahr wieder
Rekorde eingefahren . Das gesamte Jahr war ein Rekordjahr: Über 136 Millionen Kinobesucher haben für einen
Umsatz von 1,2 Milliarden Euro gesorgt . Der deutsche
Film hat einen Anteil von 30 Prozent erobert, und das ist
aus unserer Sicht eine erfolgreiche Entwicklung . Mehr
als 92 Prozent der deutschen Filme wurden von den Kinobesuchern mit „hervorragend“ und „gut“ bewertet .
Über diese Erfolge dürfen wir uns freuen . Ich darf daraus
folgern, dass die filmpolitischen Rahmenbedingungen
bisher gut gesetzt waren . Daran wollen wir mit dem neuen Gesetz anknüpfen .
In diese Novellierung haben wir den technischen
Wandel einzubeziehen, der selbstverständlich Einfluss
auf das Zuschauerverhalten hat und der auch die Branche
vor neue Herausforderungen stellt . Uns ist es ein Anliegen, die Qualität zu fördern, etwa durch Förderung hochwertiger deutscher Filme im Bereich des Kurzfilms, des
Kinderfilms - er liegt mir besonders am Herzen -, des
Dokumentarfilms und natürlich auch des Spielfilms. Das
vorliegende Filmförderungsgesetz ist aus meiner Sicht
geeignet, das zu unterstützen . Wie die Vorredner schon
betont haben, werden dabei alle Entwicklungsstufen in
den Blick genommen, vom Drehbuch über die Projektförderung bis hin zur Vermarktung, der Kinoförderung .
Das Kino ist gesellschaftlicher Erlebnisort für eine
große Zahl von Besuchern und macht deshalb ein besonderes Gemeinschaftserlebnis möglich . Es hat seinen
Platz im kulturellen Leben behauptet, und wir wollen es
auch in Zukunft stärken und schützen . Die Filmförderung ist auf die Schaffung von erfolgreichen Kinofilmen
ausgerichtet . Daher bleibt auch im neuen FFG das Kino
die erste und wichtigste Auswertungsstufe .
Sperrfristen schützen die Auswertung im Kino . Deshalb gehen wir damit ganz besonders behutsam um .
Allerdings wollen wir auch der Entwicklung besonders
bei crossmedialen Ansätzen Rechnung tragen, die die
gleichzeitige Auswertung in den verschiedenen Stufen
erforderlich machen . Da darf ein bisschen experimentiert werden, auch im Hinblick auf das Ausprobieren
neuer Geschäftsmodelle . Wenn die Kinowirtschaft an der
Herstellung oder an nachgelagerten Verwertungsstufen
maßgeblich beteiligt ist, kann auf Antrag eine Sperrfristverkürzung genehmigt werden . Damit stehen wir innovativen Entwicklungen nicht im Wege, die in der schnelllebigen digitalen Welt ohnehin nicht vorherzusehen sind .
Wenn sich herausstellt, dass ein Filmwerk wahrscheinlich kein Kinoerfolg werden wird, dann soll darauf
in Zukunft flexibel reagiert werden können. Sind sich
Hersteller und Lizenznehmer einig, dass eine Kinoauswertung keinen Sinn macht, kann auf die Anwendung
der Sperrfristregelung verzichtet werden . Das bleibt aber
eine Ausnahme und kann nicht einfach wiederholt werden .
Von den Kinos wissen wir, wie wichtig ihnen die
Dokumentarfilme geworden sind. Es ist begrüßenswert,
dass sich dieses Segment zunehmenden Zuspruchs erfreut . Sie stellen einen bedeutenden Anteil am Umsatz
der Kinowirtschaft dar . Auf der anderen Seite ist die Zahl
der Dokumentationen, die den Ansprüchen der Zuschauer nicht entsprechen, stark gestiegen .
Wir wollen durch die Mindestförderhöhe von
100 000 Euro erreichen, dass die Qualität des Dokumentarfilms nicht an der mangelnden Finanzierung scheitert.
Auch bei den Dokumentarfilmen werden bei den
Sperrfristen die Möglichkeiten geschaffen, mit der Veränderung der Verwertungsreihenfolge in besonderen
Fällen den Erfolg zu erhöhen - natürlich wieder nur mit
Antrag und Genehmigung durch die FFA . Das bedeutet,
dass ein Dokumentarfilm zeitgleich im Kino oder mit
geringem Abstand auf Bildträgern und auf entgeltlichen
Abrufdiensten zu sehen sein kann .
Das Gesetz will sich den neuen technischen Möglichkeiten und dem veränderten Zuschauerverhalten nicht
verschließen . Wir wollen aber nicht ohne Weiteres die
bewährten Regelungen aufweichen . Deshalb ist in dem
Gesetz auch eine Evaluierung vorgesehen .
Besonders Kinos im ländlichen Raum haben es
schwer . Wir wollen auch die Attraktivität des ländlichen
Raumes stärken. Deshalb verpflichten wir Verleiher, Kinos im ländlichen Raum angemessen mit Kopien zu versorgen .
Die Kinos werden entlastet . Deren Grundkosten für
den Betrieb einer Kinoleinwand sind deutlich gestiegen .
Wir haben die Umsatzschwellen für die Höhe der Abgabe
angepasst .
Auch bei den Kinoreferenzpunkten erkennen wir die
erfolgreiche Arbeit für den deutschen Film stärker an . So
wird es zwei Referenzpunkte pro Besucher geben, wenn
der Zuschauermarktanteil des entsprechenden Kinos bereits das 1,75-Fache erreicht hat .
Wir fördern nicht nur den Film, sondern auch die
Kinos, weil wir die wertvolle Symbiose von Film und
Abspielstätte als gemeinschaftlichen Erlebnisbereich erhalten wollen .
Den Erfolg des deutschen Films verdanken wir im
Wesentlichen den Produzenten . Auf ihnen liegen die
Hauptlast und das Risiko, das mit jeder Produktion verbunden ist . Deshalb war es bei jeder Novellierung ein
Anliegen, die Produzenten zu stärken . Das haben wir in
dem vorliegenden FFG wieder praktiziert . Wir haben die
Darstellung des Eigenkapitalanteils durch die sehr flexible Anerkennung von Lizenzverkäufen erleichtert .
Darüber hinaus erlangen erfolgreiche Produzenten in
der Referenzförderung einen 25-Prozentpunkte-Bonus,
wenn der Nettoumsatz die anerkannten Herstellungskosten übersteigt .
Sehr intensiv - die Kollegen haben dies schon angesprochen - haben wir auch den Erlöskorridor für die Produzenten diskutiert .
({1})
Die Beteiligung der Produzenten an den Erlösen vom ersten Euro an konnte sich in der Abwägung der Interessen
aller, die an der Filmauswertung beteiligt sind, noch nicht
durchsetzen . Aber diese Thematik wird bei der nächsten
Novellierung auf jeden Fall wieder aufgegriffen .
({2})
Wie schon angedeutet, ist es uns ein besonderes Anliegen, den Kinderfilm zu stärken. Das ist für uns ein wichtiger Aspekt . Wir wollen, dass nicht nur die Erwachsenen
aus einer Bandbreite von Themen wählen können . In der
FFA-Hitliste der 100 erfolgreichsten Filme der letzten
15 Jahre befinden sich 27 Kinderfilme. Das freut mich
besonders, weil ich aus dem Kindermedienland Thüringen komme .
Die 10- bis 19-Jährigen waren am häufigsten im Kino
und mit 34 Prozent der Zuschauer überdurchschnittlich
vertreten .
({3})
Wir wollen die medienpädagogische Begleitung im
Kinderfilmprogramm verbessern und haben im parlamentarischen Verfahren den Zuschuss von 2 000 auf
5 000 Euro erhöht, damit eben nicht nur Kinderschminken möglich ist .
Zusätzlich haben wir uns dafür eingesetzt, dass in der
Kommission für Produktion und Drehbuchförderung
eine Erfahrung mit Kinderfilmproduktionen vorhanden
ist. Mindestens ein Mitglied muss schon Kinderfilme
produziert haben .
Wir haben ein neues Filmförderungsgesetz vorliegen,
das den deutschen Film ganzheitlich fördert . Ich darf
den hervorragenden Entwurf der Bundesregierung hier
loben, dafür danken . Ich darf mich auch für die gute Zusammenarbeit mit der Branche und die Zusammenarbeit
unter den Kollegen bedanken . Ich glaube, dass man diesem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen kann .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über
Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films . Der
Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10218, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/8592 und 18/8627 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Opposition angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich darf diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von den
Plätzen zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Dann ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/10291 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Antragsteller und der
Fraktion Die Linke abgelehnt .
Unter dem Tagesordnungspunkt 4 b geht es um die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und
Medien zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Filmförderung - Impulse für mehr Innovation
statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit
und kulturelle Vielfalt“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10218, diesen Antrag der Fraktion Die Linke
abzulehnen . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
angenommen .
Ich rufe die Zusatzpunkte 1 bis 3 auf:
ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Klimakonferenz von Marrakesch - Pariser
Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben
Drucksache 18/10238
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch in Gang bringen Dekarbonisierung in Deutschland beschleunigen
Drucksache 18/10242
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz entscheidend voranbringen
Drucksache 18/10249
Auch dazu soll eine Aussprache von 60 Minuten stattfinden. - Einen Widerspruch dazu kann ich nicht erkennen . Also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
zuständigen Bundesministerin Frau Dr . Hendricks .
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, mir ist schon klar: Da muss ich jetzt durch . Aber bevor Sie sagen, dass ich mit leeren Händen oder
leeren Taschen nach Marrakesch fahren müsse, will ich
eines vorwegnehmen: Ich fahre nicht mit leeren Taschen
nach Marrakesch . Im Gegenteil: Selten ist eine deutsche
Umweltministerin mit so gut gefüllten Taschen - wenn
ich im Bild bleiben darf - zu einer Klimakonferenz gereist .
({0})
Wir haben die Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens im Gepäck, die wir in Deutschland im Rekordtempo und in der EU mit größtem diplomatischen
Geschick vorangetrieben haben .
({1})
Wir sind bei der Klimafinanzierung auf einem sehr guten Weg . Die von den Industrieländern versprochenen
100 Milliarden Dollar pro Jahr ab 2020 sind in Reichweite - auch dank tatkräftiger deutscher Mithilfe . Wir sind
Schrittmacher bei der internationalen Zusammenarbeit,
wenn es darum geht, Entwicklungsländern bei der Erfüllung ihrer nationalen Klimabeiträge zu helfen - auch mit
unserer neuen Umsetzungspartnerschaft, die wir in Marrakesch vorstellen werden .
Wir arbeiten mit Hochdruck daran, uns über den Klimaschutzplan als Fahrplan für eine weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2050 zum Ende dieser Woche politisch zu einigen und ihn in der nächsten Woche förmlich
zu beschließen . Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen
kann, die offenen Fragen in diesen Tagen zu klären, sodass ich mit dem Klimaschutzplan zur Klimakonferenz
nach Marrakesch reisen kann .
({2})
Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition: Machen Sie sich über uns keine Sorgen,
({3})
und lassen Sie uns über die bevorstehende Klimakonferenz sprechen .
Meine Damen und Herren, wo stehen wir in der internationalen Klimapolitik? Wir haben ein globales Abkommen. Seit dem 4. November ist es nun offiziell in
Kraft - und nicht erst 2020, wie ursprünglich geplant .
Noch nie zuvor ist ein globaler völkerrechtlicher Vertrag
von derart großer Bedeutung so schnell in Kraft getreten .
Damit sendet die Staatengemeinschaft ein starkes Signal:
Die Weltgemeinschaft ist sich einig, dass die globale
Transformation hin zu einer treibhausgasneutralen Weltwirtschaft unumkehrbar erfolgen muss .
Die schnelle Ratifikation war wichtig, aber die Umsetzungsarbeit fängt jetzt erst an . Ich bin optimistisch, dass
wir den Schwung aus dem Ratifizierungsprozess mit in
die bevorstehenden Verhandlungen nehmen können . Alle
Staaten sind aufgefordert, ihre nationalen Klimaschutzbeiträge möglichst schnell und ambitioniert umzusetzen .
Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass die EU ihre Gesetzgebung zum EU-Klima- und Energierahmen für 2030
zügig abschließt .
Von Marrakesch erwarten wir klare Signale für eine
ambitionierte Umsetzung des Abkommens, gerade auch
schon vor 2020, um eben das politische Momentum zu
bewahren . Daher passt es gut, dass die marokkanische
Präsidentschaft das Motto „Action and Implementation“
für die Klimakonferenz ausgerufen hat . Marrakesch wird
also eine Umsetzungskonferenz und damit etwas anderes
als das, was wir bisher gewohnt waren . Eine Kernfrage
dabei lautet: Wie helfen wir anderen Ländern bei der Erfüllung ihrer Klimaschutzziele?
Stichwort „Klimafinanzierung“. In Paris haben wir
uns darauf verständigt, dass Entwicklungsländer weiterhin Unterstützung erhalten . Vor einem Jahr wurden die
Industrieländer in Paris aufgefordert, einen konkreten
Fahrplan zur Erreichung des 100-Milliarden-Dollar-Ziels
vorzulegen . Diese Roadmap haben wir bereits vor Marrakesch geliefert . Und ich bin mir sicher, dass dieses Signal gut für die Gespräche sein wird .
({4})
Die Roadmap stellt dar, dass sich die öffentliche Klimafinanzierung mit den bekannten Ankündigungen der
Geber auf 67 Milliarden Dollar im Jahr 2020 erhöht .
Zudem hat die OECD errechnet, dass sich die öffentliche Anpassungsfinanzierung voraussichtlich bis 2020
verdoppelt . Das 100-Milliarden-Dollar-Ziel ist also in
Reichweite, wenn die private Finanzierung noch erhöht
werden kann . Wir dürfen nicht nachlassen, aber wir werden auch nicht nachlassen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanzlerin Merkel hat letztes Jahr angekündigt, dass Deutschland
seine Klimafinanzierung zwischen 2014 und 2020 verdoppeln wird . Im Jahr 2015 ist Deutschland bereits der
größte bilaterale Geber gewesen . Deutschlands öffentliche Klimafinanzierung aus Haushaltsmitteln betrug im
vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Euro . Zusätzlich haben
KfW und DEG weitere 4,7 Milliarden Euro an öffentlicher Klimafinanzierung mobilisiert, sodass die gesamte
deutsche öffentliche Klimafinanzierung im Jahr 2015 bei
7,4 Milliarden Euro lag . Deutschland ist damit auf bestem Wege, seine Zusagen einzuhalten und seinen fairen
Anteil zu den 100 Milliarden Dollar beizutragen .
({5})
Aber es geht nicht nur um Geld, sondern es geht auch
um gute Zusammenarbeit . Deutschland wird gemeinsam
mit Marokko und anderen Partnern die globale Umsetzungspartnerschaft formal gründen . Zusammen mit unseren Partnerländern und anderen Gebern wollen wir die
Klima- und Entwicklungsagenda so zusammenführen,
dass Entwicklungsländer die Hilfe bekommen, die sie für
ihre nationalen Klimaschutzbeiträge und für die notwendigen Anpassungen an den stattfindenden Klimawandel
benötigen . Kollege Müller und ich werden dies gemeinsam in Marrakesch vorstellen . Wir sind optimistisch,
dass diese Initiative viele Länder erreichen wird, und
hoffen auf die weitreichende Beteiligung. Der offizielle
Startschuss für die Partnerschaft soll am 15 . November
in Marrakesch gegeben werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in Marrakesch natürlich auch Verhandlungen, aber sie sind deutlich technischer als in Paris . In Paris haben wir die großen
Linien für ein zukünftiges Klimaschutzregime festgelegt .
Viele Detailfragen zur Ausgestaltung des Abkommens
sind noch zu klären . Unser Ziel für die weiteren Verhandlungen ist es, die Strukturelemente und Mechanismen des
Paris-Abkommens so aufeinander abzustimmen, dass die
Langfristziele des Abkommens erreicht werden .
Stichwort auch „Ambitionssteigerung“ . Der in Paris
vereinbarte Transparenzrahmen muss so angelegt werden, dass er Auskunft darüber geben kann, ob die Staaten
die von ihnen selbst bestimmten Ziele auch tatsächlich
erreichen . Diese Informationen sind entscheidend für die
globale Bestandsaufnahme, die zukünftig alle fünf Jahre
ermitteln soll, wie weit die Staatengemeinschaft insgesamt gekommen ist . Im Lichte der globalen BestandsaufBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
nahme werden die Staaten ihre nächsten Klimabeiträge
festlegen, die jeweils ambitionierter ausfallen müssen als
die vorherigen . An diejenigen, die nicht genau wissen,
worum es geht: Dies alles verpflichtet Deutschland als
Staat . Wir machen hier keine Alleingänge, sondern wir
sind ein Staat von 195 .
({6})
Nur alle 195 Staaten zusammen können dieses Klimaschutzabkommen erfüllen . Manchmal wird mir ja vorgehalten, ich würde Alleingänge machen . Nein, das Gegenteil ist der Fall . Das Klimaschutzabkommen ist die
Summe der einzelnen Beiträge aller Staaten, um das noch
einmal ganz deutlich zu machen .
({7})
Wir werden uns in Marrakesch für einen ambitionierten Fahrplan für die weiteren Verhandlungen einsetzen,
sodass alle noch offenen Detailfragen spätestens bis
2018, zum ersten Überprüfungsmechanismus, geklärt
werden können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
zum Schluss aus aktuellem Anlass noch einen Kommentar: Die USA haben beim Zustandekommen des Pariser
Klimaschutzabkommens eine führende Rolle gespielt .
Wir gehen davon aus, dass völkerrechtliche Verpflichtungen gelten und natürlich auch nach Regierungswechseln
eingehalten werden und fortgelten. Wir pflegen mit den
USA eine sehr gute Zusammenarbeit beim Klimaschutz,
und wir wünschen uns, dass dies so bleibt .
Herzlichen Dank .
({8})
Das Wort erhält nun Eva Bulling-Schröter für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Am letzten Freitag ist das Pariser Klimaschutzabkommen in Kraft getreten, in Rekordtempo . Am
Montag hat in Marokko die UN-Klimakonferenz begonnen, um die Staatenwelt auf 2-Grad-Kurs zu bringen, um
die Länder des Südens mit ausreichenden Mitteln zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels auszustatten,
damit sie die Kosten der Schäden begleichen können und
eine Energiewende hinbekommen .
Und trotzdem ist diese Woche keine gute Woche für
den Klimaschutz . Im Gegenteil: Die Große Koalition
hat es nicht geschafft, sich auf eine Strategie für mehr
Klimaschutz in Deutschland zu einigen . Der Klimaschutzplan 2050 des Umweltministeriums ist im Getriebe der Ministerien und des Kanzleramtes gnadenlos
zerschreddert worden . Zum klimapolitisch notwendigen
Kohleausstieg finden sich keine konkreten Termine und
Maßnahmen mehr . Statt endlich ein Ausstiegsdatum
zu nennen, wird mit einer Klimaschutzkommission ein
neuer Arbeitskreis gegründet . Statt die Energiewende zu
beschleunigen, einen Strukturwandel einzuleiten und mit
sozialen Maßnahmen abzufedern, wird ein Mindestpreis
für Emissionszertifikate des EU-CO2-Handels vorgeschlagen. Der Zertifikathandel funktioniert doch seit Jahren nicht, und auf EU-Ebene ist ein Mindestpreis leider
nicht durchsetzbar . Ich sage: Das ist alles ein Spielen auf
Zeit . Das ist Augenwischerei . Es ist keine Klimaschutzpolitik gemäß Pariser Abkommen .
({0})
Warum musste die Klimaschutzforderung zum Ende
von Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren - darüber muss man doch einmal diskutieren - oder zur Finanzierung einer Elektrifizierung des Verkehrs über - ich
zitiere - den „sukzessiven Abbau der bisherigen bestehenden Steuerprivilegien bei Diesel-Pkw“ herausgenommen werden? Warum finden sich keine konkreten Termine mehr für eine Gebäude- und Wärmewende, die den
Namen auch verdient? Warum so wenig Substanzielles
zu ökologischer Landwirtschaft und zu weniger Fleischkonsum? Das alles in einem Klimaschutzplan, der - daran möchte ich erinnern - ein Kuhhandel war, um ein
echtes Klimaschutzgesetz zu verhindern, wie es die SPD
im letzten Wahlkampf noch gefordert hat .
Ja, und dann am späten Dienstagabend das: Der zu
einer Absichtserklärung verkommene Fata-Morgana-Klimaplan schafft es nicht einmal ins Kabinett . Die
Klimakonferenz findet ohne deutschen Beitrag statt.
„Klimapolitisches Horrorkabinett“ könnte man das nennen . Da fällt der Wirtschaftsminister Gabriel seiner eigenen Parteigenossin aus dem Umweltministerium in den
Rücken, was er jetzt natürlich wieder abstreitet, und setzt
den Klimaschutzplan endgültig in den Sand von Marrakesch .
Dass dann gestern auch noch der Klimawandelleugner
Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hat,
hat mir als Klimapolitikerin, ehrlich gesagt, fast den Rest
gegeben. Wer den Klimawandel zu einer Erfindung der
Chinesen erklärt, eine Rettung der Kohle ankündigt und
das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigen will,
der muss sich in Zukunft einiges sagen lassen, und es ist
die Frage, ob er noch enger Partner sein kann .
Und so liest sich der heute vorliegende Antrag der
Koalition zur Klimakonferenz: Worthülsen, Wischiwaschi, keine konkreten Vorschläge . Ich sage es noch mal:
Es geht um das Ziel, die weltweite Klimaerwärmung auf
2 Grad zu begrenzen; aber momentan steuern wir auf
4 Grad zu . Das ist unerträglich, und da müssen wir etwas
tun .
({1})
Wir machen in unserem Antrag konkrete Vorschläge:
Bis 2050 brauchen wir mindestens 95 Prozent weniger
CO2-Emissionen . Dazu müssen alle Sektoren einen fairen Beitrag leisten . Für Weggucken und Wegducken ist
keine Zeit mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wer es
mit den Beschäftigten in den Industrien der Braunkohle
und des Verkehrs ehrlich meint, der beginnt jetzt sofort,
den Wandel einzuleiten . Alles andere ist Augenwischerei .
({2})
Es bedeutet, dass man ein Wahlversprechen nicht einlöst
und die Beschäftigten ins Messer laufen lässt . Sie warten
auf Zukunftspläne und brauchen Sicherheit .
Was wir jetzt brauchen, ist ein politischer Klimawandel . Diese Regierung ist zu echtem Klimaschutz anscheinend einfach nicht in der Lage . Das muss sich ändern,
spätestens ab nächstem Jahr .
({3})
Andreas Jung ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Bulling-Schröter, Sie sagen, es sei keine gute
Woche für den Klimaschutz . Ich möchte dem entgegenhalten: Man soll den Tag natürlich nicht vor dem Abend
loben; aber man soll auch nicht vor ihrem Ende über die
Woche schimpfen .
({0})
Wir setzen auf das, was die Ministerin gerade angekündigt hat, nämlich dass eine Einigung innerhalb der Bundesregierung über den Klimaschutzplan kurz bevorsteht .
({1})
Ich sage für unsere Fraktion: Wir wollen einen Klimaschutzplan, wir brauchen einen Klimaschutzplan . Wir
haben uns im Übrigen nicht nur im Koalitionsvertrag für
den Klimaschutzplan ausgesprochen, sondern bekennen
uns auch in dem Antrag, den wir heute gemeinsam beschließen, noch einmal ganz ausdrücklich zu dem Klimaschutzplan . Deshalb sage ich ganz ausdrücklich: Wir
setzen darauf, dass es jetzt kurzfristig, vor Marrakesch,
gelingt, eine Einigung beim Klimaschutzplan hinzubekommen . Ich halte das für wichtig, und das wäre auch für
Sie, Frau Ministerin, der richtige Rückenwind in Marrakesch .
({2})
Für diese Konferenz wünschen wir Ihnen alles Gute .
Sie haben gerade beschrieben, was die Aufgaben und
die Herausforderungen sind, dass es da um andere Dinge
geht als in Paris, aber eben auch wieder um wichtige Fortschritte, was die Umsetzung des Abkommens angeht . Sie
haben auch beschrieben, dass wir noch nicht wissen, in
welcher Situation wir nach den Präsidentschaftswahlen
in den USA sind. Umso wichtiger finde ich, dass wir aus
Deutschland und aus Europa das Signal senden, dass bei
uns Klarheit und Verlässlichkeit herrschen, dass wir diesen Pfad so gehen wollen . Insofern war es ein wichtiger
Beitrag dieses Hauses, des Deutschen Bundestages, dass
wir mit der schnellen Ratifizierung des Abkommens,
die uns vor wenigen Wochen gelungen ist, das geleistet
haben, was wir vor dieser Konferenz für das Klimaabkommen leisten konnten, nämlich die Herstellung des
höchstmöglichen Maßes an Verbindlichkeit . Mit der Ratifizierung wurde das nun anstehende erste Vertragsstaatentreffen ermöglicht .
({3})
Ich komme noch einmal zum Klimaschutzplan . Warum brauchen wir ihn? Die Ministerin hat dargestellt: Wir
sind auf einem guten Weg; das, was wir in Deutschland
leisten, lässt sich vorzeigen. Sie haben die Ratifizierung
genannt, die Finanzierung, unsere Rolle als Schrittmacher, auch das, was wir im eigenen Land leisten . Wir haben hier im Bundestag - nicht erst ganz aktuell, sondern
schon vor langem und immer wieder - ehrgeizige Ziele
formuliert, und wir beschließen heute mit unserem Koalitionsantrag das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis
2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren .
Ich denke, es ist ganz unbestritten, dass das ein ehrgeiziges Ziel ist . Ich glaube, genauso unbestritten ist, dass es
auch eine Herausforderung ist .
Jetzt geht es nicht darum, mit diesem Klimaschutzplan
schon jede einzelne Frage zu beantworten . Ich glaube,
das kann bei einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten
niemand ernsthaft erwarten . Aber es geht darum, einen
Pfad zu beschreiben . Es geht darum, Verlässlichkeit zu
geben, und es geht darum, das klare Signal zu geben,
wohin die Reise geht . Sie geht eben nicht zurück in das
Zeitalter der Kernenergie, und es gibt auch keine Renaissance der Kohle, sondern sie geht hin zu Erneuerbaren,
zu Energieeffizienz und zu neuen Technologien. Das ist
unser Weg, und darauf können und sollen sich alle einstellen .
({4})
Wenn es um einen solchen Umbruch geht, dann ist
richtig, was wir in unserem Klimaschutzantrag tun, nämlich zu sagen: Wir verstehen das auch als Chance für
Deutschland . Wir schreiben in unserem Koalitionsantrag
ganz ausdrücklich: Es ist auch eine Chance für unsere
Wirtschaft, mit neuen Technologien für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen . Aber genauso richtig und auch
notwendig ist es - ich finde, es ist nicht nur legitim, sondern geradezu zwingend -, darauf hinzuweisen: Es ist
auch eine Herausforderung . Es ist eine gewaltige Aufgabe, ein großer Umbau . Dass Menschen in Braunkohlegebieten bei dem Thema Klimaschutz nicht als Allererstes
daran denken, dass das eine Chance für sie sein könnte,
sondern dass es da auch die Frage gibt: „Was wird denn
aus uns? Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Was wird
aus meiner Region?“, das ist doch logisch und liegt auf
der Hand . Das alles erklärt, glaube ich, auch ein Stück
weit dieses Ringen, das wir in der Koalition, in beiden
Koalitionsfraktionen, haben . Ich hätte mir gewünscht,
dass wir schon früher zu dem Klimaschutzplan gekomEva Bulling-Schröter
men wären, selbstverständlich . Aber das ist auch Ausdruck dessen - und das ist doch legitim -, was unsere
gemeinsame Aufgabe hier ist, nämlich gemeinsame Interessen so zusammenzuführen, dass wir es am Ende schaffen, ambitioniert Klimaschutz zu machen, aber auch die
Wirtschaft mitzunehmen und insgesamt ein gutes Ergebnis für unser Land und alle Regionen hinzubekommen .
({5})
Es ist doch immer der Wunsch vorhanden, dass wir im
Bundestag in und zwischen den Fraktionen diskutieren,
damit Dinge nicht alternativlos sind . Deshalb ist es auch
nachvollziehbar, dass wir nicht das grundsätzliche Ziel,
auf das wir uns immer wieder - auch heute - geeinigt und
das wir immer bekräftigt haben, infrage stellen, sondern
über Instrumente streiten . Das halte ich auch für notwendig . Da gibt es eben unterschiedliche Wege und Möglichkeiten . Ich will für unsere Fraktion sagen, dass wir nicht
glauben, dass der Weg von immer mehr Verboten der
richtige ist . Natürlich braucht es in gewissem Rahmen
Ordnungsrecht; das ist unbestritten . Aber der Weg von
immer neuen Verboten wäre bestimmt nicht der richtige .
Unser Weg ist auch nicht der, immer neue Steuern zu erfinden, um diesen Weg beschreiten zu können, sondern
unser Weg ist, dass wir sagen: Wir wollen Vorreiter sein .
({6})
Diesen Anspruch haben wir, und das setzen wir um .
Wer Vorreiter sein will, der muss Nachahmer finden.
Wir sind der Überzeugung, dass wir Nachahmer nicht
finden werden, wenn wir die meisten Gesetze machen,
sondern nur dann, wenn wir die besten Technologien in
unserem Land haben und sie exportieren können .
({7})
Deshalb setzen wir auf Technologie . Deshalb setzen wir
auf Effizienz, und deshalb setzen wir auf Innovation, erst
einmal was die Grundsätze angeht . Dann können wir uns
über die einzelnen Bereiche unterhalten . Das müssen wir
auch tun . Das tun wir jetzt mit dem Klimaschutzplan . Wir
wissen alle, dass das nur der Auftakt ist; es wird weitergehen . Was die Kohle angeht, so ist es selbstverständlich,
dass, wenn wir diese ehrgeizigen Ziele bis 2050 verfolgen, der Anteil der Kohle Schritt für Schritt runtergehen
muss; das muss jedem klar sein . Wir brauchen einen
Plan, wie wir in dieser Zeit den Ausstieg aus der Kohle
schaffen . Gleichzeitig brauchen wir dann aber auch Antworten auf die Strukturfragen . In der Lausitz haben wir
in diesem Jahr entsprechende Programme beschlossen .
Wir müssen den Wandel in der Energie- und Klimapolitik in Strukturprogramme und Maßnahmen einbetten, die
den sozialen Frieden in diesem Land garantieren . Das ist
der Weg, das ist die gemeinsame Aufgabe .
({8})
Selbstverständlich - das ist ja auch Aufgabe und Anspruch dieses Klimaschutzplans - müssen dafür alle
Sektoren ihren Beitrag leisten: Verkehr und Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, der Gebäudebereich; über
den Energiebereich habe ich schon gesprochen . Das ist
selbstverständlich . Aber auch da müssen wir über den
richtigen Weg reden .
Was die Verkehrspolitik angeht, so ist unser Weg eben
nicht, dass ab dem Jahr 2030 alle Diesel- und Benzinfahrzeuge verboten werden sollen . Das halten wir für
den falschen Ansatz; wenn ich „wir“ sage, dann meine
ich unsere Fraktion . Ich als Baden-Württemberger kann
sagen: Das sieht auch mein Ministerpräsident so . Das
sieht sogar Ihr Vorgänger, Herr Hofreiter, als Vorsitzender des Verkehrsausschusses, Winfried Hermann, so, der
im Bundesrat dagegen gestimmt hat . Wir wollen keine
Verbote, sondern Anreize .
({9})
Wir wollen Anreize für mehr Effizienz. Wir setzen bei
der Elektromobilität auf Forschung und Entwicklung .
Wir setzen darauf, dass Technologien überzeugen . Natürlich müssen wir uns als Staat fragen: Wie schaffen wir
den Rahmen dafür? Was können wir im Rahmen der Nationalen Plattform Elektromobilität tun, um das Ziel zu
erreichen, das wir in den Klimaschutzplan geschrieben
haben, nämlich dass bis zum Jahr 2050 der CO2-Ausstoß
im Verkehr fast auf null gesenkt wird? Diesen Weg wollen wir gehen; aber wir wollen ihn im Dialog gehen, mit
Anreizen, Förderung und dieser Rahmensetzung .
({10})
Dasselbe gilt für den Gebäudebereich . Auch im Gebäudebereich verfolgen wir ehrgeizige Ziele . Wir sind
sehr dafür, im Bereich Neubau hohe Standards zu setzen .
Im Prinzip muss in Zukunft beim Neubau ein Null-Emissions-Standard gelten . Wir müssen auch an den Bestand
heran; denn ohne Maßnahmen an Gebäuden im Bestand
werden wir es nicht schaffen . Aber auch hier gilt: Wir
wollen keine Zwangssanierungen . Wir haben es in Baden-Württemberg einmal ausprobiert, Sanierungspflichten beim Auswechseln der Heizung einzuführen . Die
Ergebnisse geben nicht gerade Anlass, Maßnahmen nach
diesem Vorbild zu ergreifen; denn manche haben einfach
gar nichts gemacht . Vielmehr müssen wir mit mehr Programmen mehr Anreize schaffen . Ich sage deshalb ausdrücklich: Wenn wir die ehrgeizigen Ziele beschließen,
dann plädiere ich dafür, dass wir einen neuen Anlauf unternehmen, die Gebäudesanierung steuerlich zu fördern,
um die Potenziale zu heben .
Ich möchte abschließend beschreiben, worum es uns
geht: Ehrgeizige Ziele ja; aber im Mittelpunkt sollen
Technologien stehen, im Mittelpunkt soll Effizienz stehen, im Mittelpunkt sollen Anreize stehen . Mit diesen
Zielen in der Klimapolitik wollen wir in Deutschland
vorankommen und damit Beispiel geben für andere . Das
sollte nicht zuletzt auch ein Signal für die Klimakonferenz in Marrakesch sein .
Herzlichen Dank .
({11})
Anton Hofreiter hat nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das letzte Jahr war das heißeste Jahr, seit es
Wetteraufzeichnungen gibt . Der Juli in diesem Jahr war
der heißeste Juli, seit es Wetteraufzeichnungen gibt . Am
Dienstag ist in den USA ein Präsident gewählt worden,
der behauptet, der Klimawandel existiere nicht . Aber die
Realität hält sich nicht an Ideologien; vielmehr müssen
wir lernen, mit der Realität umzugehen .
({0})
Was würde man jetzt von der Europäischen Union
und insbesondere von der Bundesregierung angesichts
der schwierigen Lage, die wir sowohl faktisch naturwissenschaftlich als auch politisch auf unserem Planeten haben, erwarten? Man würde erwarten, dass man die Rolle
Deutschlands nicht kleinredet, sondern erkennt, welche
Bedeutung die viertgrößte Industrienation der Welt, die
in der Vergangenheit einmal Vorreiter bei Technologie
und Klimaschutz war, zu spielen hat . Man würde versuchen, diese Rolle auszufüllen .
({1})
Was erleben wir stattdessen? Wir erleben ein Trauerspiel in dieser Bundesregierung . Die arme Umweltministerin hat in einem ersten Entwurf einen ganz guten
Plan für 2050 vorgelegt; das erkennen wir an . Aber was
ist dann im Laufe der Beratung des Entwurfs passiert?
Als Erstes hat ihr der Parteikollege Gabriel die relevanten Maßnahmen und Ziele im Bereich der Kohle, einem
der wichtigsten Bereiche, rausgestrichen . Als Nächstes
hat der Verteidiger der Massentierhaltung, der Landwirtschaftsminister, alles, was für den Bereich der Landwirtschaft relevant war, rausgestrichen .
({2})
Als Nächstes kam Herr Dobrindt, der Minister, der immer noch glaubt, bei der Infrastruktur sei es wichtig, auf
Kupfer und Beton zu setzen - man muss dazu wissen: der
Minister ist eigentlich für Digitales und moderne Mobilität zuständig -, und hat die entsprechenden Maßnahmen
für den Bereich der Mobilität rausgestrichen .
({3})
Als dieser Klimaschutzplan schon ziemlich entkernt
war, insbesondere bei den Maßnahmen, wurde am
Dienstagabend die Ministerin, die die Einigung schon
hat verkünden lassen, wiederum von Herrn Gabriel hart
gefoult - und die SPD-Fraktion schweigt dazu und lässt
ihre Ministerin im Regen stehen .
({4})
Was wäre eigentlich notwendig? Herr Jung, Sie haben
davon gesprochen, dass man einen Plan bräuchte, um aus
der Kohle auszusteigen . Ja, da geben wir Ihnen recht .
Diesen Plan bräuchte man .
({5})
Aber entsteht dieser Plan dadurch, dass Sie das zum wiederholten Mal hier sagen? Wäre es nicht vielmehr ein
guter Plan, hier Gesetze zu verabschieden? Sie nennen
Gesetze gerne Verbote . Wissen Sie, Gesetze sind per Definition allgemeingültige Normen. Glauben Sie wirklich,
dass die Vertreter der Stromkonzerne, die mit den abgeschriebenen Kohlekraftwerken mehr Geld verdienen als
mit den Erneuerbaren, weil sie dazu zu unbeweglich, zu
langsam und zu träge sind, wenn Sie sie ein bisschen tätscheln und lieb zu ihnen sind, sagen: „Herr Jung, wir haben es erkannt, Sie haben so recht . Sie haben im Plenum
ja auch immer wieder von einem Plan gesprochen . Wir
schalten die Kohlekraftwerke jetzt freiwillig ab“? Glauben Sie wirklich, dass das Realität werden könnte? Hören
Sie auf, hier Jahr für Jahr de facto die gleiche Rede zu
halten . Machen Sie sich endlich an die Arbeit, und gießen
Sie Ihre Vorschläge in Gesetze, sodass sie Auswirkungen
auf die Wirklichkeit haben .
({6})
Was wäre notwendig? Was müsste man in Gesetze
gießen? Zum Beispiel müsste das, was Sie im Klimaschutzplan ankündigen - eine Verdoppelung des Stroms
aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 -, in Gesetze gegossen werden . Es müsste festgeschrieben werden: 65 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis
zum Jahr 2030 . Aber Sie haben ja schon ein Gesetz gemacht, ein Gesetz zum Ausbremsen der erneuerbaren
Energien . Schauen wir einmal, was da drinsteht: Bis
zum Jahr 2035, also fünf Jahre später, soll ihr Anteil
55 Prozent betragen . - Jetzt versteht man, warum Sie
kein Klimaschutzgesetz machen wollen . Sie erstellen
einen unverbindlichen Klimaschutzplan, den Sie noch
nicht einmal rechtzeitig zur Konferenz in Marrakesch
fertigbekommen, um auf der internationalen Bühne wieder einmal schön winken zu können; in Ihren Gesetzen
schreiben Sie aber das Gegenteil fest . In Ihre Gesetze
schreiben Sie etwas völlig anderes als in Ihren eh schon
abgeschwächten Klimaschutzplan .
({7})
Wirklich notwendig wäre es, den Ordnungsrahmen so
zu gestalten, dass die Verkehrswende klappt, dass wir in
Richtung null Emissionen im Bereich Verkehr kommen
und dass die Energiewende wieder angeschoben wird .
Wir müssen aus der Kohle herauskommen . Wir brauchen
eine Bürgerenergiewende . Was wir auch brauchen, ist
eine Wende in der Landwirtschaftspolitik . Das wäre auch
im Interesse der Landwirte, denen es unter dem jetzigen
Regime nicht besonders gut geht .
Vielen Dank .
({8})
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Frank Schwabe .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Dies ist eine Debatte zur
Klimakonferenz in Marrakesch . Deswegen will ich zumindest einen Satz zur Konferenz in Marrakesch sagen
und zu dem, was in unserem Antrag dazu steht . Wir haben nämlich einiges in den Antrag geschrieben, was in
Marrakesch zu leisten ist; ich finde, das muss man einmal würdigen . Vor allen Dingen haben wir aber - wie ich
glaube, zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit - die
menschenrechtliche Dimension des Klimaschutzes in einen Antrag aufgenommen .
({0})
Man könnte sagen: Na klar, Klimaschutz hat automatisch mit Menschenrechten zu tun, weil, wenn es keinen
Klimaschutz gibt, der Meeresspiegel steigt und die Menschen ihre Häuser und ihre Heimat verlieren . Das Problem ist aber, dass auch gut gemeinte Klimaschutzmaßnahmen oft problematische Begleiterscheinungen haben,
zum Beispiel im Bereich des Waldschutzes, beim Staudammbau, beim Bau von Kraftwerken, aber auch beim
Bau von Windparks . Ich glaube, es ist wichtig, dass das
auf die internationale Tagesordnung kommt . In diesem
Bereich sind viele NGOs unterwegs . Dieser Antrag soll
Ermunterung und Rückenwind für die Bundesregierung
sein, dies zu einem besonderen Thema in Marrakesch zu
machen .
Wir reden über den Klimaschutzplan . Natürlich ist das
hochspannend .
({1})
Ich finde es ja immer interessant, die Szenerie zu betrachten . Wir messen jetzt daran, ob der Klimaschutzplan
kommt oder nicht, ob wir in Marrakesch erfolgreich sein
werden oder nicht . Wir müssen begreifen: Das Vorliegen
solch eines Klimaschutzplans - darüber reden wir gerade - ist international keine Anforderung an uns . Wenn
wir einen Plan hinbekommen - ich bin sehr optimistisch,
dass wir das in dieser Woche noch schaffen -, leisten wir
mehr als viele andere Länder auf der Welt . Das ist, glaube
ich, die Wahrheit in der Debatte .
Die Ministerin hat deutlich gemacht: Deutschland ist
beim Thema Finanzen wirklich gut aufgestellt . Wir sind
bezüglich nationaler Klimaschutzpläne gut aufgestellt .
Wir unterstützen die Länder der Welt über die IKI, die
Internationale Klimaschutzinitiative, und anderes, und
wir sind auch auf einem guten Weg, das, was wir leisten,
messbar und vergleichbar mit anderen auf der Welt zu
machen . Auch da sind wir viel weiter als viele andere
Länder . Da sind wir noch mitten im Prozess .
Herr Kollege Schwabe, darf die Kollegin GöringEckardt Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja .
Herr Schwabe, Sie haben gerade davon gesprochen,
dass Sie auf einem Weg sind, dass bis zum Ende der Woche noch dieses oder jenes passiert . Mich wundert sehr,
dass jemand, der sich sehr engagiert hat, um vieles im
Klimaschutzplan zu verhindern, nämlich der Bundesminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel, hier nicht anwesend ist . Ich frage Sie: Wie kommt es dazu? Entschuldigt
ist er nicht; das haben wir gerade überprüft . Er ist einfach
nicht da bei dieser so wichtigen Debatte, die ja - daran
werden auch Sie keinen Zweifel haben - auch sein Ressort sehr stark betrifft .
({0})
Man kann sich immer fragen, wer alles da ist und wer
nicht .
({0})
Ich würde mir wünschen, dass ganz viele da wären . Bei
der Union äußert sich immer Herr Fuchs ganz viel; auch
ihn sehe ich nicht . Es gibt die Kanzlerin, es gibt Herrn
Gabriel - Herr Hofreiter hat sie gerade alle aufgezählt -,
es gibt den Verkehrsminister, den Landwirtschaftsminister . Sie alle haben etwas mit dem Thema Klimaschutz zu
tun . Ich würde das so interpretieren, dass sie akzeptieren,
dass die Federführung bei der Umweltministerin ist, und
das eher als Rückenwind für sie verstehen .
({1})
Wir reden über einen Klimaschutzplan . Ich will deutlich sagen: Mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hätte es auch ein Klimaschutzgesetz geben können .
({2})
- Das hätte es auch mit Herrn Gabriel geben können . Das steht im Wahlprogramm der Sozialdemokraten . Im
Übrigen steht dort auch ein Ziel von minus 95 Prozent bis
2050 und vieles andere .
({3})
Das ist gemeinschaftlich beschlossen worden und gilt
entsprechend auch . Ich will sagen: Wenn Herr Fuchs
und - das habe ich gelesen - auch Ministerpräsident
Tillich öffentlich eine Beratung im Bundestag und im
Bundesrat fordern, dann unterstütze ich das . Das geht mit
der Sozialdemokratie sehr schnell .
Wir werden einen Klimaschutzplan bekommen, der in
der Tat nicht, wie vorgeworfen wird, Planwirtschaft bedeutet, sondern planvolle Politik vorsieht, der versucht,
Wegstrecken und Wegmarken bis zum Jahr 2050, so wie
es aus heutiger Sicht absehbar ist, zu entwickeln und entsprechende Leitplanken zu setzen . Das ist vorgegeben die Ministerin hat es gesagt - durch das, was in Paris beschlossen worden ist . Das ist nicht auf unserem eigenen
Mist gewachsen .
Wir werden einen Plan bekommen; davon gehe ich
aus . Er darf allerdings nicht substanzlos sein, sondern
muss wichtige Dinge enthalten . Das eine ist die Frage,
wie wir mit fossilen Energieträgern umgehen; dies ist zu
Recht vielfach gesagt worden . Dabei geht es gar nicht um
den Kohleausstieg allein . Das ist immer eine Art Symbolthema . Natürlich ist völlig klar, dass wir die Klimaschutzziele nicht erreichen können, ohne eine Idee davon
zu entwickeln, wie wir mit diesem Thema in Zukunft
umgehen . Das ist für diesen Klimaschutzplan eine Mindestanforderung . Eine weitere Mindestanforderung ist,
dass wir die Ziele, die in Paris beschlossen wurden, natürlich auf Deutschland herunterbrechen . Wir müssen sie
auch auf die einzelnen Bereiche, auf die einzelnen Sektoren herunterbrechen . Das funktioniert nicht, wenn wir in
Deutschland nicht zu den wichtigen Beschlüssen, die wir
in Paris gefasst haben, stehen und sich die Ministerien
davor drücken. Ich habe das hier schon häufiger gesagt:
Das ist, glaube ich, im Interesse des gesamten Hauses, im
Interesse aller Minister . Herrn Gabriel, aber auch Herrn
Schmidt und vielen anderen sollten wir mit auf den Weg
geben: Auch ihr seid dafür zuständig, dass Klimaschutz
in diesem Land gelingen kann .
({4})
Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern um Qualität .
Das hat Frau Hendricks deutlich gemacht . Sie steht dafür .
Sie war eben nicht bereit, irgendeinen unverbindlichen
Klimaschutzplan durchzuwinken .
({5})
Machen Sie sich keine Sorgen; denn bei all dem hat sie
die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion .
({6})
Niema Movassat erhält nun das Wort für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt leider immer noch Menschen, die den Klimawandel leugnen . Zu diesen gehört der nächste Präsident der USA .
Das ist unfassbar . Aber unfassbar ist auch, wenn man
zwar, wie die Bundesregierung, die menschliche Verantwortung für den Klimawandel anerkennt, aber nicht
danach handelt . Dass Herr Gabriel den Klimaschutzplan
von Frau Hendricks blockiert, zeigt doch: Diese Bundesregierung redet bei internationalen Konferenzen wie G 7
gerne über die Rettung der Welt; doch sie will möglichst
nichts dafür tun . Das ist verantwortungslos .
({0})
Völlig inakzeptabel ist es zudem, wenn die Bundesregierung Menschen, denen im wahrsten Sinne des Wortes das
Wasser bis zum Hals steht, das Recht abspricht, nach Europa zu kommen . Das ist so, als ob man aus Versehen das
Nachbarhaus in Brand steckt und danach dem obdachlosen Nachbarn die Türe vor der Nase zuschlägt . Das ist
verwerflich; denn wir tragen Mitschuld daran, dass vor
allem afrikanische Länder heute mit immer extremerem
Klima kämpfen müssen .
Das Wetterphänomen El Niño hat in diesem Jahr die
Existenz von 40 Millionen Menschen im südlichen Afrika bedroht, weil Ernten ausfielen. Küstengebiete und Inseln gehen weltweit unter . Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis 2050 bis zu 350 Millionen Menschen wegen
des steigenden Meeresspiegels, wegen der zunehmenden
Wüstenbildung und wegen der Wetterextreme fliehen
werden . Das trifft vor allem Menschen, die schon in bitterster Armut leben .
Wer den Klimawandel nicht leugnet, muss anerkennen, dass auch Deutschlands Industrialisierung und unser
Lebensstil einen großen Anteil an dieser Entwicklung haben . Es ist unsere Autoindustrie, die seit Jahrzenten wider besseres Wissen viel zu leistungsstarke Motoren verbaut und Abgaswerte manipuliert . Uns ist es wichtiger,
mit 220 Stundenkilometern über die Autobahn brettern
zu können, statt ernsthafte CO2-Grenzen zu setzen und
konsequent auf die Schiene umzusteigen .
({1})
Uns ist es wichtig, möglichst viele möglichst billige
Konsumgüter verbrauchen zu können, obwohl der dafür
erforderliche Rohstoffabbau den Klimawandel befeuert
und die Lebensgrundlagen der Menschen in den Entwicklungsländern ruiniert .
Wer den Klimawandel verursacht, darf den Leidtragenden nicht die Türe vor der Nase zuschlagen . Deshalb
sagen wir Linke, dass wir endlich eine völkerrechtliche
Anerkennung von Klimaflüchtlingen brauchen. Wer wegen des Klimawandels fliehen muss, verdient Schutz.
({2})
Die Realität aber ist, dass die Bundesregierung nicht nur
nichts tut, um Klimaflüchtlinge anzuerkennen. Vielmehr
bezahlt sie im Rahmen der EU sogar afrikanische Diktatoren dafür, Flüchtende zu stoppen . Die Menschenrechte
sind da egal . Das ist eine moralische Bankrotterklärung .
({3})
Die Bundesregierung muss endlich aufhören, sich
beim Klimaschutz selbst im Weg zu stehen und immer
wieder vor der Industrielobby einzuknicken . Verhindern
Sie, dass noch mehr Menschen wegen des Klimawandels
fliehen müssen, und helfen Sie denen, die ihre Lebensgrundlagen deswegen schon verloren haben!
Danke schön .
({4})
Anja Weisgerber ist die nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Das Thema der heutigen Debatte lautet: „Klimakonferenz von Marrakesch“ . Deswegen möchte ich in
meiner Rede den Schwerpunkt genau darauf legen .
Am 4 . November dieses Jahres ist das Paris-Abkommen - rechtzeitig vor der Wahl in den Vereinigten Staaten - in Kraft getreten . In der Woche darauf hat die erste
Vertragsstaatenkonferenz des Pariser Abkommens stattgefunden . Auch Deutschland hat mit seiner schnellen
Ratifizierung darauf hingewirkt, dass dies möglich geworden ist . So schnell wurde ein multinationaler Vertrag
noch nie ratifiziert. Das ist der zweite wichtige Erfolg
nach Paris .
({0})
Die Vertragsstaaten haben anerkannt: Die Bekämpfung
des Klimawandels ist eine globale Herausforderung, die
wir nur gemeinsam bewältigen können . Die Stimmung
in der Welt hat sich durch den Prozess bis zur Klimakonferenz in Paris geändert . Jeder einzelne Staat der Welt ist
bereit, seinen eigenen Klimaschutzbeitrag zu leisten .
Erst diese Woche hatte ich ein Treffen mit dem chilenischen Umweltminister . Auch sein Land hat verstanden, dass Chile einen Beitrag leisten muss, und wichtige
Weichenstellungen vorgenommen, um zum Beispiel den
Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen und mehr
erneuerbare Energien einzusetzen . Das ist nur ein Beispiel . Alle sind mit an Bord . Wir haben den Paradigmenwechsel geschafft, und das ist gut so, meine Damen und
Herren .
({1})
Natürlich ist es immens wichtig, dass wir als Industrienation einen ambitionierten Beitrag leisten . Da werden
wir auch liefern, und wir liefern bereits .
Bei all den Diskussionen über nationale Maßnahmen
müssen wir uns aber eines immer wieder vor Augen
führen: Deutschland ist nur für 2,4 Prozent der globalen
Treibhausgasemissionen verantwortlich, China zum Beispiel für 28 Prozent und die USA für 16 Prozent .
({2})
Deswegen sage ich: Wir alleine können das Klima nicht
retten . Wir sind Schrittmacher und müssen auch Schrittmacher sein, aber wir brauchen auch die anderen Staaten
dieser Welt .
Deswegen haben die Regierungsfraktionen einen Antrag vorgelegt, der sich auf alle Ebenen bezieht, auf die
internationale, auf die europäische und auf die nationale
Ebene . Wie jedes Jahr formulieren wir auch in diesem
Antrag unsere Forderungen in Bezug auf die Verhandlungen der COP 22 . Wir im Bundestag haben unsere Hausaufgaben also gemacht, und das ist gut so .
Das Motto der Klimakonferenz in Marrakesch lautet
„Action and Implementation“, also „Handeln und Umsetzen“ . Die Vertragsstaaten wollen dort einen konkreten Fahrplan festlegen . In Paris hat man die nationalen
Klimabeiträge vorgelegt, jetzt geht es darum - auch das
ist immens wichtig -, wie diese gemessen, gemeldet und
überprüft werden . Wir haben uns immer für diesen Überprüfungsmechanismus starkgemacht .
Es geht aber in erster Linie um technische Details, und
das ist auch gut so; denn die Staaten, die noch nicht ratifiziert haben, können nicht mitbeschließen. Man will sie
nicht vor den Kopf stoßen und deshalb weiter gehende
Beschlüsse erst fassen, wenn alle an Bord sind . Das ist
der Geist, das Momentum von Paris . Dies nutzen wir .
Wir müssen diesen gemeinsamen Willen zum Kampf gegen die Erderwärmung aufrechterhalten und alle Staaten
in diesem Prozess mitnehmen .
({3})
Wir wollen, dass die Staaten, die das nicht aus eigener
Kraft schaffen, entsprechend unterstützt werden, Klimaschutz zu betreiben und sich an den Klimawandel anzupassen .
In Paris haben die Industrieländer ihre Zusage bestätigt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus
privaten und öffentlichen Quellen zu mobilisieren . Wir
fordern in unserem Antrag, dass die Industrieländer einen
genauen Aufwuchspfad zur Zielerreichung vorlegen und
dass auch - die Ministerin hat es erwähnt - private Mittel
mobilisiert werden, um dies am Ende auch zu schaffen .
Wir setzen darauf, dass es gelingt, diesen Topf zu füllen .
Hierzu haben wir mit 750 Millionen Euro zur ErstauffülNiema Movassat
lung des Grünen Klimafonds beigetragen . Damit waren
wir die Ersten, die die Zusage gemacht und Geld bereitgestellt haben .
({4})
Deutschland beteiligt sich vor allem durch das BMZ,
das Entwicklungshilfeministerium, in hohem Maße an
der Klimafinanzierung. Mit der Initiative „Erneuerbare
Energien für Afrika“ stellen wir 3 Milliarden Euro für
weitere 10 Gigawatt an erneuerbaren Energien dort zur
Verfügung . 150 Millionen Euro investiert das BMZ in
die Klimarisikoversicherung . Das ist ein weiterer wichtiger Punkt . Das Ziel ist, weitere 180 Millionen Menschen
abzusichern und damit vor den Folgen des Klimawandels
zu schützen .
({5})
Das ist wahrlich kein Pappenstiel und zeigt, dass
Deutschland seine finanzielle Verantwortung für den internationalen Klimaschutz auch wahrnimmt .
Die finanzielle Unterstützung ist die eine Sache, die
andere Sache ist die Hilfe zur Selbsthilfe . Wir teilen unsere Erfahrungen mit anderen Ländern, insbesondere mit
den Ländern, die gerade erst mit dem Klimaschutz anfangen . Ein Leuchtturmprojekt, das bereits von der Ministerin genannt wurde, sind die sogenannten NDC-Partnerschaften mit den Entwicklungsländern . Diese Initiative
des Entwicklungshilfeministeriums und des Umweltministeriums hilft ärmeren Ländern dabei, Strategien zu
entwickeln, um ihre Klimaziele durch entsprechende
Maßnahmen zu erreichen und am Ende das zu schaffen,
was sie sich selbst vorgenommen haben . Dazu sollen zum
Beispiel Anlaufstellen aufgebaut werden, die Informationen zu Fragen der Landwirtschaft, des Verkehrs und der
erneuerbaren Energien bereithalten . Ich begrüße es sehr,
dass die Ministerin angekündigt hat, dass in Marrakesch
der offizielle Startschuss für diese NDC-Partnerschaften
gegeben wird . In unserem Antrag fordern wir zu diesem
Thema außerdem, dass in Marrakesch für diese Initiative
geworben wird, sodass auch andere Industrieländer dafür
gewonnen werden können und sich ihr anschließen .
Das war die internationale Ebene . Jetzt zur europäischen Ebene . Herzstück ist der Emissionshandel . Dieser
Emissionshandel wird durch eine weitere Reform gestärkt und verschärft . Er ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das kosteneffizient ist und Emissionen einspart.
Deshalb fordern wir auch in unserem Antrag, dass andere
Staaten beim Ausbau solcher Emissionsbepreisungssysteme unterstützt werden . Das Ziel muss die Vernetzung
der bestehenden und der geplanten Emissionshandelssysteme sein, um damit dann langfristig einen globalen
Kohlenstoffmarkt zu errichten .
({6})
Nun zur nationalen Ebene - sicherlich haben Sie darauf schon gewartet . Ja, auch da nimmt Deutschland
seine Verantwortung wahr . Wir machen uns nicht an die
Arbeit, sondern wir arbeiten, und dies schon seit Jahren .
Wir haben ein ambitioniertes Klimaziel von 40 Prozent
Treibhausgasreduktion bis 2020, und wir haben ein Aktionsprogramm Klimaschutz - darüber wird überhaupt
nicht mehr geredet -,
({7})
mit dem wir die prognostizierte Lücke bis zur Erreichung
dieses Ziels schließen werden . Wir haben das Abkommen von Paris ratifiziert und durch diese schnelle Ratifizierung auch darauf hingewirkt, dass die Europäische
Union ebenso schnell ratifiziert hat.
Wir stellen - ich habe es erwähnt - umfangreiche Mittel zur Klimafinanzierung zur Verfügung, national und
international . Allein das Entwicklungshilfeministerium
hat die Leistungen in den letzten zehn Jahren auf knapp
2 Milliarden Euro vervierfacht .
Außerdem, meine Damen und Herren, wollen wir eine
Klimaschutzpolitik, die sich ambitionierte Ziele setzt .
Diese Ziele müssen aber auch erreichbar sein . Bei allen
Maßnahmen müssen wir auch die Auswirkungen auf die
Wirtschaftskraft, auf die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch auf die Arbeitsplätze beachten .
({8})
Ein Klimaschutzplan, der Festlegungen für die kommenden Jahrzehnte trifft, muss auch gut überlegt sein .
Als Klimapolitikerin begrüße auch ich ausdrücklich
die Ankündigung, dass bis Ende der Woche eine Einigung zu diesem Klimaschutzplan vorliegen soll .
({9})
An dieser Stelle möchte ich als CSU-Politikerin ebenfalls
erwähnen, dass auch die CSU-Ressorts kritisch-konstruktiv mitgearbeitet haben und Minister Schmidt diese
Woche als Erster die Einigung der Ressorts verkündet
hat .
({10})
Meine Damen und Herren, alle Staaten um uns herum
haben sich kurz- und mittelfristige Ziele gesetzt . Kein
anderes Land in Europa geht derzeit so weit und setzt
Leitplanken bis zum Jahr 2050 . Nach dem Abkommen
von Paris haben sich die G-7-Staaten vorgenommen, bis
2018 solche langfristigen Ziele vorzulegen . Wir sind also
auch hier wieder Vorreiter, wenn diese Einigung kommt .
Auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen .
Jetzt betone ich noch Folgendes: Wenn wir so weitgehende Pläne machen, dann muss dieser Plan technologieund innovationsoffen sein, auch im Bereich des Verkehrs,
(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/
CSU]
dann müssen wir mit jedem Euro, den wir einsetzen, am
Ende die maximale Klimaschutzleistung erreichen, und
dann brauchen wir nicht zuletzt die Akzeptanz der Menschen . Deshalb müssen wir die Menschen mitnehmen,
wir müssen Strukturbrüche verhindern und letztendlich
den Strukturwandel als Chance gestalten . Wir brauchen
außerdem mehr Anreize statt Verbote . Deshalb werde ich
nicht müde, zu fordern, dass wir uns wieder auf den Weg
machen müssen, um die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung zu erreichen .
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Ende . Alle Ebenen von der internationalen über die europäische bis zur nationalen Ebene müssen zum Klimaschutz beitragen . Unsere Forderungen haben wir in unserem Antrag klar formuliert . Ich gehe davon aus, dass
die Bundesregierung sich neben dem Klimaaktionsprogramm, das wir schon umsetzen, auch auf einen ambitionierten, aber ausgewogenen Klimaschutzplan einigt .
Lassen Sie uns gemeinsam beherzt und selbstbewusst
nach Marrakesch fahren .
Vielen Dank .
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber .
Einen schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die nächste Rednerin: Annalena Baerbock für
Bündnis 90/Die Grünen .
Schönen guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Schönen guten Morgen! - Liebe Frau Hendricks, Sie
können einem schon ein bisschen leidtun, wenn Sie das
klimapolitische Desaster dieser Bundesregierung am
Anfang dieser Debatte auch noch schönreden . Es wäre
ja „noch schöner“ gewesen, wenn Sie nach Marrakesch
fahren und die Klimafinanzierung, für die Sie sich hier
so gepriesen haben, auch einstellen würden . Es ist doch
eine Selbstverständlichkeit, dass in Marrakesch die weitere Klimafinanzierung zugesagt wird. Dafür brauchen
wir uns hier nicht auf die Schulter zu klopfen .
({1})
By the way, hier sitzen ja auch ein paar Leute, die tiefer in diesem Thema drin sind als diese Lautsprecher von
der Union .
({2})
Ein Blick in den nationalen Haushalt zeigt, dass die Klimafinanzierung nicht gesichert ist. Dann haben wir da
noch genauso Probleme, weil es eine Doppelanrechnung
zwischen der Entwicklungspolitik, der Flüchtlingspolitik
und der Klimaschutzpolitik gibt . Auch hier sollte man
einmal die Kirche im Dorf lassen, sehr verehrte Damen
und Herren .
({3})
Eine wichtige Sache haben Sie im zweiten Teil Ihrer
Rede sogar selber gesagt: Mit Geld allein werden wir das
Klima eben nicht retten können . - Für diejenigen, die
jetzt leider alle nicht da sind: Auch das ist das Traurige an
dieser Debatte, dass so viele von Ihnen nicht da sind, wie
Herr Fuchs, der groß tönt, er würde den Klimaschutzplan gerne im Parlament diskutieren . Wo war denn Herr
Fuchs bei den Anhörungen im Wirtschaftsausschuss? Wo
war denn Herr Fuchs bei den Anhörungen im Umweltausschuss? Wo ist denn Herr Fuchs jetzt, oder wo ist er in
den letzten drei Jahren gewesen?
In dem Klimaschutzvertrag, den wir in Paris ratifiziert
haben, steht eben nicht: Schaut mal, was ihr für die ärmsten der Länder weltweit machen könnt . - Nein, in diesem
Klimaschutzvertrag steht in Artikel 3 - ich lese das jetzt
hier einmal vor, weil offensichtlich fast niemand Ahnung
von diesem Vertrag hat -: Jedes Land muss „national
festgelegte Beiträge“ liefern . Diese werden im Laufe
der Zeit überprüft und müssen sich jährlich steigern, und
sie sollen übermittelt werden . Genau das ist der Klimaschutzplan .
Jetzt sagen Sie: Ach Gott! Eigentlich steht ja in dem
Vertrag „bis 2018“ . - Ja, aber wir hören Ihnen sehr genau
zu . Auch wir wollen, dass Deutschland einen guten Eindruck macht . Sie haben in Paris versprochen: Deutschland geht voran . Sie haben gesagt: Im Jahr 2016 werden
wir als Erste einen nationalen Klimaschutzplan vorlegen .
Wir werden ganz vorne mit dabei sein .
({4})
Deswegen ist es ein absolutes Desaster, dass Sie das nicht
hinbekommen haben und uns in Marrakesch absolut blamieren werden .
({5})
Da helfen Ihnen auch die 100 Milliarden US-Dollar für
die internationale Klimaschutzfinanzierung wenig weiter.
Kommen wir zum Inhalt . Ein Plan allein reicht eben
nicht, auch wenn Sie jetzt sagen: Wir schreiben jetzt
irgendetwas auf, sodass in Marrakesch gesagt werden
kann, wir haben etwas mitgebracht . - Nein . Schauen wir
uns das einmal an . Was richtig gut war, sind die Sektorziele . Deswegen ist Herr Gabriel jetzt auf den Bäumen . Aber außer den Sektorzielen ist doch nichts mehr .
Verbindlicher Klimaschutz bis 2050 - das stand einmal
drin -: gestrichen; Abbau umwelt- und klimaschädlicher
Subventionen: gestrichen; Reduzierung klimagefährlicher Massentierhaltung: gestrichen; Förderung klimafreundlicher Mobilität - es geht hier nicht um Verbote,
liebe Kollegen von der Union, sondern um Förderung
klimafreundlicher Mobilität -: gestrichen . Meine sehr
verehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen eins sagen:
Klimaschutz ohne einen verbindlichen Kohleausstieg,
das ist wie Blumengießen ohne Wasser . Das funktioniert
einfach nicht .
({6})
Dann, Frau Weisgerber, sagen Sie: Warum redet eigentlich niemand mehr über das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020? Wir wollten Ihnen die Diskussion darüDr. Anja Weisgerber
ber ersparen, weil Frau Hendricks selbst gesagt hat: Wir
werden die Ziele krachend verfehlen .
({7})
Wenn Sie es in diesem Jahr nicht schaffen, den Kohleausstieg zu beschließen, dann werden wir die Ziele krachend
verfehlen .
({8})
Man kann die Schuld aber nicht allein bei der CDU/
CSU abladen . Ich meine, dazu, dass Herr Gabriel diesen
Plan am Ende abgeschossen hat und die Blinden in der
Union rechts überholt hat, kann man nur sagen: Armes
Deutschland! Arme SPD, meine sehr verehrten Kollegen
von der SPD!
({9})
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .
Wir hatten gehofft - ich komme zum Schluss -, dass
Herr Gabriel nach seiner Reise nach China verstanden
hat, dass andere Länder sonst an uns vorbeiziehen . Klimaschutz ist nichts anderes als ein Modernisierungsprogramm für Industrien, die von den fossilen Energien
schrittweise wegkommen müssen . Deswegen ist es nicht
nur im Sinne unserer Kinder und Kindeskinder, sondern
gerade auch im Sinne der deutschen Wirtschaft, endlich
zu begreifen, dass die Zukunft begonnen hat . In Marrakesch werden sich alle Staaten daranmachen, dies noch
einmal aufzuschreiben . Wir hoffen: Danach haben Sie es
endlich verstanden .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, Annalena Baerbock . - Wir hier oben haben uns gerade bildlich vorgestellt, wie der Baum wohl
aussieht, auf den Herr Gabriel steigt .
Nächste Rednerin in der Debatte: Dr . Nina Scheer für
die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem ganz herzlichen
Dank an unsere Bundesumweltministerin beginnen, die,
wie ich finde, in der Bundesregierung hervorragende Arbeit macht .
({0})
Ich kann verstehen, dass jetzt vonseiten der Opposition darauf abgestellt wird, was an den letzten Abenden
dieser Woche geschehen ist - das ist, glaube ich, auch
Ihre Aufgabe -, aber man muss auch akzeptieren, dass
die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind und
dass es mit dem Klimaschutzplan sehr wohl weitergeht .
Deswegen finde ich es nicht fair und auch nicht realitätsgetreu, Richtung Öffentlichkeit so zu tun, als ob dieser Klimaschutzplan inzwischen im Mülleimer gelandet
wäre . Das ist mitnichten der Fall, und das wissen Sie
auch .
({1})
Ich möchte jetzt auf unseren Antrag zu Marrakesch
eingehen - er ist schon an einigen Stellen von meinen
Vorrednern erwähnt worden -, der heute auf der Tagesordnung steht . Auch wenn ich meinerseits ebenfalls nicht
den Druck vom Kessel nehmen möchte, dass wir den
Klimaschutzplan noch in trockene Tücher bekommen,
muss doch gesehen werden, dass unsere Bundesumweltministerin auch unseren Antrag, über den wir heute
entscheiden, im Gepäck haben wird . Dieser Antrag sagt
zwar nicht auf Heller und Pfennig genau, was von heute auf morgen mit welchem politischen Hebel umgesetzt
werden soll; er zeigt aber ganz klare Wege auf, in welcher Form wir politisch aufgefordert sind, auf allen Ebenen - der internationalen, der europäischen, aber auch
der nationalen Ebene - tätig zu werden . Insofern ist darin
auch richtigerweise und schwarz auf weiß enthalten, dass
wir den Umstieg auf erneuerbare Energien brauchen . Das
ist ganz klar darin enthalten . Deswegen muss man den
Willen der Großen Koalition, die das mit diesem Antrag
verbrieft hat, auch nicht immer wieder infrage stellen .
({2})
Wir müssen natürlich darauf achten, dass das dann
entsprechend umgesetzt wird . Insofern muss man auch
erkennen, dass die Entwicklung sehr schnelllebig ist . Im
Kontext der derzeitigen Diskussion etwa über die Sektorenkopplung müssen wir, da es um die Energiewende
nicht nur bei Strom, sondern auch bei Wärme und Mobilität geht, sehen, dass wir nicht allein über die Ausbauzahlen, die wir für den Stromsektor definiert haben und
die ich persönlich in der Obergrenze immer für kritisch
gehalten habe, ans Ziel kommen . Insofern gab es in diesem Bereich innerhalb von wenigen Monaten eine entscheidende Weiterentwicklung in der öffentlichen Diskussion .
Ich erwarte, dass wir das auch weiterhin zur politischen Umsetzung bringen . Mit den genannten Schlagworten zur Sektorenkopplung möchte ich das an dieser
Stelle so stehen lassen .
({3})
Ein weiterer Punkt, der in dem Antrag zu Marrakesch
enthalten ist, ist, finde ich, auch ein neuer Schritt in der
Diskussion . In dem Antrag ist nicht nur von Emissionshandelssystemen die Rede, sondern auch von EmissionsAnnalena Baerbock
bepreisungssystemen . Das ist ein entscheidender Unterschied .
Ich finde, man muss es auch ernst nehmen, dass wir
uns in der Großen Koalition darauf geeinigt haben, dass
es jetzt um Energiebepreisungssysteme geht, für die wir
uns international einsetzen. Das findet sich unter den geforderten Maßnahmen auf internationaler Ebene . Es ist
aber auch klar, dass wir uns nicht nur auf internationaler
Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene wie auch
in Deutschland dafür einsetzen müssen, zu einer Bepreisungspolitik zu kommen; denn daraus ergeben sich genau die Anreize, von denen die Rede war . Natürlich steht
die SPD für genau diese Anreize . Ich sehe die Aussage,
eine Verbotspartei zu sein, auch nicht an uns gerichtet .
Wir sind nämlich auf Anreize angewiesen . Wir müssen
die Wirtschaft ankurbeln, die in diesem Sektor verwurzelt ist . Nicht von ungefähr wurde inzwischen - zum Beispiel nach den neuesten Meldungen aus Frankfurt - im
Kontext von Green Finance - auch dies wird übrigens in
unserem Marrakesch-Antrag gefordert - eine erste Börse
für grüne Wertpapiere geschaffen .
Insofern müssen wir noch besser werden, und ich denke, wir sind angesichts der beginnenden Energiewende
auf einem guten Weg . Wir müssen erkennen, welche
Chancen auch wirtschaftspolitischer Art wir in diesem
Bereich haben . Wir haben enorme Chancen . In diesem
Bereich sind über 400 000 Arbeitsplätze entstanden . Wir
müssen jetzt schauen, dass das in die anderen Bereiche
der Energiewirtschaft übertragen wird . Das ist der zentrale Bereich des Klimaschutzes .
Ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt . Deshalb
verzichte ich darauf, die Zahlen anzuführen, welche
Weltmarktanteile Deutschland da im Einzelnen hat . Die
Zahlen zeigen ganz klar: Die Zukunft liegt in der nachhaltigen Wirtschaft und in den entsprechenden Technologien, und da müssen wir hin .
Ich als Sozialdemokratin sehe das als eine Gerechtigkeitsfrage an . Denn unseren Planeten gibt es nur einmal .
Klimaschutz ist Umweltgerechtigkeit, ist Lebensgrundlagengerechtigkeit . Insofern setze ich darauf, dass wir
mit diesen Vorgaben weiterhin die Energiewende als wesentlichen Bestandteil des Klimaschutzes voranbringen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Nina Scheer . - Der letzte Redner in der
Debatte: Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Klimaabkommen von Paris war historisch . Ich glaube, dass sich
heute viele genauso wie ich mich fragen, wohin die Zeit
ist, wo das Jahr seit der Klimakonferenz von Paris geblieben ist . Nun geht es schon um die COP 22 in Marrakesch . In diesem Jahr ist unglaublich viel passiert . Das
erklärt wahrscheinlich, warum uns dieser Zeitraum so
unglaublich kurz vorkommt . Es ist nicht so, dass nichts
passiert ist . Das Wichtigste, was von Paris ausgegangen
ist, sind die Regeln, die wir uns gegeben haben . Es geht
um Transparenz, An- und Abrechnung, Berichterstattung
und - ganz wichtig - Überprüfbarkeit der gemeinsam
vereinbarten Ziele . Bis 2018 soll überprüft werden . Es
ist vereinbart, das in Marrakesch noch einmal zu unterstreichen .
Schauen wir auf Deutschland . Einiges wurde schon
gesagt . Der Koalition und der Regierung ist jedenfalls
klar, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung
weder in Deutschland noch in der Welt ein Gegensatz sein
dürfen . Beides muss Hand in Hand gehen . Klimaschutz
gegen die Wirtschaft schadet beiden und bringt uns im
Ergebnis nicht dorthin, wohin wir wollen . Der Staat - das
sind in diesem Fall wir - muss die Rahmenbedingungen
schaffen und klare Regeln aufstellen . Die Aufgabe, die
wir uns gestellt haben, ist ohne das Einbinden der Privatwirtschaft nicht zu lösen . Zu den Rahmenbedingungen
gehört beispielsweise der Klimaschutzplan, der vorgelegt
werden wird . Wir dürfen schon allein aus Gründen der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des
Wirtschaftsstandorts Deutschland den Klimaschutz nicht
ausblenden . Er muss im Kontext betrachtet werden . Es
liegt im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft,
dass wir den Klimaschutz vorrangig unterstützen und
entsprechende Rahmenbedingungen schaffen . Der Klimaschutz muss auch vonseiten der deutschen Wirtschaft
unterstützt werden . Entsprechende Signale sind deutlich
zu verspüren . Dass wir in der Ressortabstimmung an
einen Punkt gelangt sind, an dem es verschiedene Meinungen über die Ausgestaltung und die Tiefe bestimmter
Aussagen gibt, ist besser zu verstehen, wenn man das in
diesen Kontext stellt . Ich bitte an dieser Stelle die Opposition, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ziele, die
wir uns gesetzt haben, nur zu erreichen sind, wenn ein
Klimaschutzplan aufgestellt wird, der auch umsetzbar
ist . Dazu gehört, alle gesellschaftlichen Gruppierungen
einschließlich der deutschen Wirtschaft mitzunehmen .
({0})
Dass wir uns in unserem vorliegenden Antrag zur
Unterstützung des Prozesses nach Marrakesch nicht in
Details ergehen, hängt damit zusammen, dass bereits
ein unglaublich großes Maßnahmenbündel beschlossen
wurde . Es ist nicht nötig, erneut alle Maßnahmen einzeln
aufzuführen . Es ist wichtig, dass dieser Antrag nicht ein
schlichtes Auflisten von Maßnahmen, sondern eine Unterstützung für die beiden Vertreter der Bundesregierung,
Bundesminister Müller und Bundesministerin Hendricks,
auf ihrem Weg nach Marrakesch darstellt .
({1})
Ich begrüße unter dem Aspekt der Entwicklungszusammenarbeit - ich bin Mitglied des AwZ -, dass in unserem
Antrag der globale Ansatz so deutlich hervorgehoben
wird . Ich bedanke mich bei Ministerin Hendricks, dass
sie den globalen partnerschaftlichen Ansatz ausdrücklich
erwähnt hat . Es ist gut, dass beide Ministerien in Marrakesch vertreten sind .
Klar ist, dass wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in Solidarität mit den Menschen, die von
klimatischen Auswirkungen betroffen sind - das wurde
heute schon in einigen Reden deutlich gemacht -, über
die Bereiche Minderung, Anpassung und Resilienz reden und die Entwicklungsländer in ihren Anstrengungen
unterstützen . Wir wollen zusammen mit unseren Durchführungsorganisationen wie der GIZ, der KfW, der DEG
und den Entwicklungsbanken Projekte und Programme
entwickeln . Wir müssen auch die Entwicklungsbanken
unterstützen und ihnen weiterhin den Freiraum geben,
in der Entwicklungszusammenarbeit, bei der Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen, der Umsetzung von
Klimaprojekten sowie bei Minderung, Anpassung und
Resilienz zum Schutz der Bevölkerung aktiv zu sein,
damit nicht das passiert, was vielleicht schon in einigen
Regionen der Erde nicht mehr zu verhindern ist, nämlich dass zu viele Menschen aufgrund des Klimawandels
ihre Heimat verlieren oder dass die Ernährungssicherheit
nicht mehr gewährleistet ist . Gerade die Arbeit in einem
Bereich wie Ernährung macht einen erheblichen Anteil
der Entwicklungszusammenarbeit aus . Trinkwasser ist
ein Thema; Bewässerung ist ein Thema . Auch das Thema Gesundheit spielt dabei natürlich eine Rolle . All das
ist im Portfolio der EZ .
Ich freue mich darüber, dass an dieser Stelle klargestellt werden kann, dass die Haushaltsmittel, die das
BMZ in den letzten Jahren an Aufwuchs bekommen hat,
zu einem erheblichen Teil gerade in diese Bereiche investiert werden . Das BMZ ist einer der größten Klimafinanzierer innerhalb Europas. Ich glaube, es ist das am
besten ausgestattete Ressort der Bundesregierung, was
Klimafinanzierung angeht. Ich kann nur sagen: Wenn
ich mir Projekte in der Welt anschaue, ob es Bewässerungsprojekte oder Resilienzprojekte sind, stelle ich fest:
Das sind alles gute Projekte, die in den letzten zwei, drei
Jahren noch einmal hervorgehoben und auch bearbeitet
worden sind . Daher richte ich an dieser Stelle einen recht
herzlichen Dank an das BMZ dafür, was in dieser Zeit
geleistet worden ist .
({2})
Der letzte Bereich, den ich an dieser Stelle noch hervorheben möchte - auch der Kollege Schwabe hat ihn
schon hervorgehoben -, sind die Menschenrechte . Ich
glaube, es ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass wir im
Zusammenhang mit Klimaveränderungen, aber auch im
Zusammenwirken mit partnerschaftlichen Projekten und
Programmen in der Welt gerade das Thema Menschenrechte immer mit im Gepäck haben . Ich glaube, die deutsche Bundeskanzlerin ist die Letzte, der man vorwerfen
kann, dieses Thema nicht immer wieder anzusprechen
und deutlich zu machen . Wir können froh sein, dass wir
in der Regierungsführung, angefangen bei der Kanzlerin
über die zuständigen Minister, gestandene Leute haben,
die dazu in der Welt immer wieder klar Position beziehen . Das ist es allemal wert, hier im Parlament, auch mit
diesem Antrag, unterstützt zu werden .
({3})
Abschließend möchte ich sagen, dass ich natürlich um
Zustimmung für unseren Antrag bitte . Aber ich möchte,
um die Kritik, die hier zur Art und Weise der Erarbeitung
des Klimaschutzplanes vorgetragen worden ist, ein bisschen einzufangen, auch sagen: Der Klimaschutzplan ist
uns allen zu wichtig, um ihn von einem einzigen Termin
abhängig zu machen .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Peter Stein . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/10238 mit dem Titel „Klimakonferenz von Mar-
rakesch - Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vo-
rantreiben“ . Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Nein . Der Antrag ist
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/10242 mit dem Titel „Pariser Welt-
klimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch
in Gang bringen - Dekarbonisierung in Deutschland
beschleunigen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist ab-
gelehnt . Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren CDU/
CSU und SPD, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die
Grünen .
Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10249
mit dem Titel „Klimaschutz entscheidend voranbringen“ .
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen
waren CDU/CSU und SPD .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Luise
Amtsberg, Volker Beck ({0}), Dr . Franziska
Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Aufenthaltsgesetzes ({1})
Drucksache 18/10044
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten
Drucksache 18/10243
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
({4})
- Bevor ich der ersten Rednerin das Wort gebe, warte
ich, bis die Gespräche beendet werden und die Kollegen
sich hinsetzen .
Ich eröffne nun die Debatte und gebe das Wort Katrin
Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wahrscheinlich steckt uns allen noch der Schock der
Wahlnacht in den Vereinigten Staaten in den Gliedern .
Dazu gibt es viele Auswertungen, und daraus ziehen wir
viele Lehren . Eine Lehre ist: Es zahlt sich für Demokraten nicht aus, den anderen Populismus vorzuwerfen und
selbst eine andere Politik zu machen, als man vorgibt .
Mehr noch als falsche Politik ärgert die Leute nämlich,
wenn man ihnen mit Werten kommt, die man in der Rhetorik hochhält, aber in der Praxis unterläuft .
({0})
Ich sage das an dieser Stelle, weil wir zum wiederholten Mal in diesem Parlament über Flüchtlingspolitik
reden, reden müssen, reden wollen und weil ich mehr
und mehr den Eindruck bekomme, dass Sie eine Flüchtlingspolitik nach dem Motto machen: Wie weit können
wir eigentlich gehen, damit Herr Seehofer in München
nicht völlig ausrastet? Auf der anderen Seite versuchen
Sie immer, Ihre Werte in der Öffentlichkeit hochzuhalten .
Ein sehr gravierendes Beispiel dafür ist: Die Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz müssen endlich wieder ihre
Familien nach Deutschland holen können .
({1})
Sie sind in der Koalition drei Parteien, die immer den
Schutz und den Wert der Familie hochhalten . Es tut mir
leid: Ich kann nicht verstehen, wieso das eigentlich nur
für manche Familien gelten soll . Ich kann nicht verstehen, wieso die Sicherheit und das Leben eines Kindes
aus Aleppo davon abhängt, dass die CSU im Jahr 2018
Landtagswahlen in Bayern hat .
({2})
Nach außen geben Sie sich das freundliche Gesicht .
Aber seit dem Herbst 2015 hat das Asylrecht in weiten
Teilen eine Aushöhlung nach der anderen erfahren . Nein,
Sie haben sich leider nicht für ordentliche und schnelle
Verfahren eingesetzt, wie wir das beispielsweise vorgeschlagen haben . Stattdessen haben Sie eine Ausweitung
der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten auf jede - inzwischen hat man dieses Gefühl - x-beliebige Diktatur
oder Autokratie vor .
Sie installieren ein von Ihnen selbst als gescheitert betrachtetes System neu, nämlich das Dublin-System . Die
Bundeskanzlerin hat gesagt, das Dublin-System sei nicht
geeignet . Jetzt haben Sie es rückinstalliert .
Sie haben eine Reihe von kleinen Gemeinheiten initiiert, zum Beispiel die Absenkung von Leistungen bei
angeblichem Nichtbetreiben des Verfahrens . Das ist deswegen so perfide, weil wir alle wissen, dass es im BAMF
nicht genügend Menschen gibt, die die Verfahren bearbeiten können, und weil wir alle wissen, dass bei weitem
nicht genügend Deutschkurse angeboten werden etc . pp .
Sie teilen in gute und schlechte Flüchtlinge ein . Man
kann schon fast zynisch sagen: Sie sind selbst verantwortlich dafür, dass es Spannungen unter den Betroffenen gibt . Ich sage Ihnen: So macht man weder Asylpolitik noch eine vernünftige Integration .
({3})
Jetzt wollen Sie Flüchtlinge zusätzlich zu der Abschiebehaft auch noch in einen 14-tägigen Ausreisegewahrsam nehmen, und zwar ohne richterliche Anweisung .
Ich weiß nicht, wann Sie zuletzt in einem Gefängnis
waren, das Abschiebehäftlinge beherbergt . Diese Leute
sagen einem: Das ist überhaupt nicht nötig . - Bei den
allerwenigsten besteht nämlich die Gefahr, dass sie untertauchen .
Das einzige Problem, das besteht, ist, dass Menschen,
die weiß Gott genug hinter sich haben und in aller Regel auch ausreisewillig sind, in den Knast kommen und
kriminalisiert werden . Das hat nichts mehr damit zu tun,
dass Sie die Verfahren ordentlich machen wollen . Das hat
nur noch mit Propaganda in Ihren eigenen Reihen zu tun .
Ich warne Sie davor; denn dies führt zu der Spaltung der
Gesellschaft, die Sie vorantreiben .
({4})
Aber Sie sind ja noch nicht fertig . Jetzt gibt es den
Vorschlag von Herrn de Maizière: Wer auf dem Mittelmeer gerettet worden ist, soll nach Afrika gebracht werden und dort einen Asylantrag stellen. - Wie perfide ist
das eigentlich nach dem Türkei-Deal, zu dem ich nachher
noch komme?
In diesem Jahr sind 3 800 Menschen im Mittelmeer ertrunken . Darunter waren sehr viele Frauen und sehr viele
Kinder . Das sind schon jetzt so viele wie im vergangenen
Jahr . Damit zeigt sich:
Erstens . Wir sind noch lange nicht bei einer vernünftigen humanitären Asylpolitik und bei einer vernünftigen
humanitären Flüchtlingspolitik .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Zweitens . Was Sie immer behaupten, dass die Schleuserkriminalität sinkt und dass damit niemand mehr übers
Mittelmeer kommen muss, das stimmt einfach nicht . Damit ist der Türkei-Deal doppelt gescheitert, und Sie sind
mitverantwortlich für die humanitäre Katastrophe, über
die im Moment leider so wenig geredet wird .
({5})
Die Flüchtlingszahlen sind zurückgegangen, aber
nicht etwa deshalb, weil es weniger Flüchtlinge gibt oder
weil weniger Menschen Heimat und Haus aufgeben, um
im kalten Deutschland Kleider von der Altkleidersammlung zu bekommen . Mitnichten! Tatsache ist, dass es
wieder die EU-Staaten an den Außengrenzen sind, die
die Last tragen . Italien beispielsweise hat 170 000 Geflüchtete aufgenommen und beherbergt. Sie sehen doch,
Sie wissen doch, dass Erdogan kein vernünftiger Partner ist, um dieses schwierige Thema zu behandeln . Er
kann jeden Tag auf die Idee kommen, zu sagen: Jetzt ist
Schluss damit . - Ich bin die Letzte, die nicht sagt: Man
muss auch mit Erdogan reden . - Aber man kann sich
nicht auf ihn verlassen .
Was Sie jetzt tun, ist, zu riskieren, dass wir wieder in
eine Situation kommen wie im letzten Jahr . Im Moment
werden die Kapazitäten in den Kommunen abgebaut . Im
Moment haben wir die Situation, dass es Unruhe gibt,
weil sich niemand hier integrieren kann, dessen Familie,
dessen Frau und Kinder immer noch in Aleppo sitzen .
Was Sie riskieren, ist, dass wir keine vernünftige Flüchtlings- und Integrationspolitik machen . Sie tragen weiter
dazu bei, dass die Gesellschaft sich spaltet .
Zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf . Ich bitte
Sie herzlich: Sorgen Sie dafür, dass die Kinder, die in
Aleppo sitzen, für die Menschen hier in Deutschland
schon Patenschaften übernommen haben, dass die Mütter, die in Aleppo oder in anderen Gebieten sitzen, endlich
die Chance haben, wieder als Familie zusammenzuleben!
Das ist doch das Mindeste, das wir für diese Menschen in
dieser Situation tun können . Die Kapazitäten haben wir;
die Möglichkeiten haben wir . Bitte fassen Sie sich jetzt
ein Herz und sagen: Ja, selbstverständlich machen wir
das . Es geht um die Familien . Sie sind das Fundament . Das steht jedenfalls in Ihrem Grundsatzprogramm .
({6})
Vielen Dank, Katrin Göring-Eckardt . - Nächste Rednerin: Barbara Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die großen Herausforderungen aufgrund des hohen Flüchtlingszuzugs, die uns seit Ende des
vergangenen Jahres zum Handeln zwingen, sind längst
noch nicht bewältigt . Obwohl es uns gelungen ist, durch
mehrere Gesetzespakete und Personalaufstockungen an
den richtigen Stellen wieder Ordnung in das überlastete
Asylsystem zu bringen, liegt noch viel Arbeit vor uns .
Schwierige Zeiten erfordern entschiedenes Handeln .
Die bislang getroffenen Maßnahmen belegen, dass der
Gesetzgeber handlungsfähig ist . Wir haben den ungeregelten Zuzug von Migranten weitgehend unterbunden
und sind zu einem geordneten Verfahren zurückgekehrt .
Im Februar dieses Jahres haben wir mit der Verabschiedung des Asylpakets II einen - zugegeben - schwierigen, aber wichtigen Schritt getan . Dazu gehört, dass für
diejenigen Flüchtlinge, die subsidiären Schutz erhalten,
der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt wird .
Subsidiär Schutzberechtigte, also Menschen, die vor
Bürgerkrieg fliehen müssen, bleiben in der Regel nicht
auf Dauer in Deutschland . Das ist generell so . Auch die
GFK-Flüchtlinge bekommen nur ein Schutzrecht auf
Zeit . Ihr Status wird nach zwei Jahren überprüft und,
falls die Situation im Herkunftsland sich verbessert hat,
nicht verlängert . Ich halte es auch für gerechtfertigt, einen dauerhaften Bleibetitel abzuwarten, bevor die Familie nachkommt, um nicht ganze Familien zurückschicken
zu müssen .
Dabei ist wichtig: Die Aussetzung des Familiennachzugs betrifft diejenigen Menschen, die ihre Anerkennung
als subsidiär Schutzberechtigte nach dem 17 . März 2016
erhalten haben . Nur solche sind von dieser Regelung betroffen .
Wir erinnern uns: Im Jahr 2015 wurden die meisten
Asylverfahren von Antragstellern, vor allem aus Syrien, im schriftlichen Verfahren ohne persönliche Anhörung bearbeitet . Die individuellen Fluchtgründe hat das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dieser Zeit
nicht erfasst . So konnte leider auch Missbrauch getrieben
werden . Das war ein unhaltbarer Zustand, der so nicht
bleiben konnte . Vor diesem Hintergrund haben wir mit
Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter
Asylverfahren am 17 . März 2016 beschlossen, alle Asylantragsteller unabhängig vom Datum der Einreise wieder
persönlich anzuhören . Ich halte dies für eine richtige Entscheidung; denn nur so können wir feststellen, welcher
Fluchtgrund den Einzelnen nach Deutschland geführt hat
und welcher Flüchtlingsstatus der richtige ist .
({0})
Seit Wiederaufnahme der persönlichen Anhörung ermittelte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
bei syrischen Antragstellern vermehrt, dass viele Menschen zwar vom Bürgerkrieg betroffen sind, jedoch nicht
individuell verfolgt werden . Und das führt nach der geltenden Rechtslage zur Gewährung subsidiären Schutzes .
Ein Beispiel: In allen Landesteilen Syriens kann eine
individuelle Verfolgung im Sinne des § 3 Asylgesetz,
also wegen Rasse, Religion oder politischer Überzeugung, stattfinden, und zwar sowohl durch die syrische
Regierung als auch durch den IS . Wenn eine solche individuelle Verfolgung festgestellt wird, dann erfolgt eine
Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft . Von Januar
bis September 2016 wurde diese Flüchtlingseigenschaft
bei 142 000 schutzberechtigten Syrern festgestellt . Liegt
aber eine individuelle Verfolgung nicht vor, weil sich die
Menschen schon in Einrichtungen in den Anrainerländern befinden, kann stattdessen eine, ich will es einmal so
beschreiben, allgemeine Gefährdungslage durch Bürgerkrieg bestehen . Dann kommt die Gewährung subsidiären
Schutzes in Betracht . Diesen Status haben im Zeitraum
von Januar bis September 2016 rund 75 000 Menschen
zugesprochen bekommen . Diese Gruppe ist nun von der
zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs betroffen .
Eines muss ich aber auch noch klarstellen: Die Aussetzung des Familiennachzugs schließt die Aufnahme
von Familienmitgliedern aus humanitären Gründen nicht
völlig aus .
({1})
In einzelnen Ausnahmefällen kann eine Aufnahme nach
§ 22 Aufenthaltsgesetz in Betracht kommen . Danach
kann einem Ausländer aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen oder auch zur Wahrung
politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
ein Aufenthaltstitel nach § 22 Aufenthaltsgesetz erteilt
werden .
({2})
Das Auswärtige Amt kann in eigener Zuständigkeit oder
auch in Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden auf
der Grundlage von § 22 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz eine
Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn eine besondere
Notsituation dies unausweichlich macht; aber es muss
sich dann um eine besondere Notlage handeln .
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass bei der
Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen der EU-Kontingente eine familiäre Bindung berücksichtigt werden
kann .
Frau Woltmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Beck?
Ach, Herr Beck . - Ja, bitte schön .
Guten Morgen, Frau Woltmann .
Guten Morgen, Herr Beck .
Es freut mich, mit Ihnen zu sprechen . - Ich wollte Sie
etwas zu § 22 Aufenthaltsgesetz fragen . Dieser Paragraf
ist ja eigentlich eine prima Regelung, aber meines Erachtens leider der toteste Paragraf des Aufenthaltsgesetzes .
Wie viele Aufnahmeentscheidungen nach § 22 Aufenthaltsgesetz hat es im letzten Jahr und wie viele in diesem
Jahr gegeben? Ich kenne einen Fall, um den ich mich
selbst gekümmert habe . Ansonsten kriegt man das in der
Regel nie hin .
Ich kann Ihnen die genauen Zahlen jetzt auch nicht
nennen . Aber es sind im letzten Jahr wenige gewesen .
({0})
Jetzt antwortet Frau Woltmann .
Das kann ich jetzt nicht sagen, da ich die Zahlen hier
nicht parat habe . Ich will die Frage aber gerne später
noch beantworten .
Wir haben festgestellt, dass wir durch die hohe Anzahl
der Flüchtlinge, der Migranten, die im letzten Jahr zu uns
gekommen sind - über 1 Million; ich hatte das ja schon
zu Beginn gesagt -, sehr große Schwierigkeiten gehabt
haben, das Ganze wieder in ein geordnetes Verfahren zu
überführen . Wir tun das ja auch nicht, um irgendjemanden durch eine gesetzliche Regelung zu ärgern .
({0})
Vielmehr wollen wir einfach wieder zu einem geordneten
Verfahren kommen, sonst überfordern wir Deutschland,
sonst überfordern wir sehr viele . Aber ich komme in meiner Rede auch noch darauf zurück .
({1})
Jetzt ist Frau Woltmann wieder dran .
Ich hatte bereits gesagt, dass es bei humanitären Gründen eine Härtefallregelung gibt und dass wir auf dieser
Basis Menschen in besonderen Notlagen helfen können .
Für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gilt weiterhin
der privilegierte Familiennachzug . Das heißt, es muss
nicht nachgewiesen werden, ob der Lebensunterhalt gesichert ist oder ob Wohnraum zur Verfügung steht . Das
alles muss nicht gemacht werden . Wenn wir die subsidiär
schutzbedürftigen Menschen wieder gleichstellen würden, hieße das, auch für diese Menschen muss das nicht
gegeben sein . Das ist eine schwierige Situation .
Wir müssen bei dieser Diskussion beachten, dass gerade unsere Kommunen, aber auch viele Ehrenamtliche
mit der Integration von Schutzberechtigten vor einer immensen Herausforderung stehen . Sie sind letzten Endes
dafür verantwortlich, dass die Unterbringung und die Integration der Flüchtlinge so gut gelingt, wie wir es uns
vorstellen und wünschen . Das Fehlen von Wohnraum in
vielen Kommunen spielt dabei eine große und entscheidende Rolle . Deswegen halte ich es für richtig, diese
getroffenen Maßnahmen, die wir durch das Gesetz so
beschlossen haben, erst einmal wirken zu lassen . Wir lehnen es daher ab, die erst vor einem halben Jahr mit gutem
Grund eingeführte Wartefrist für den Familiennachzug
zurückzunehmen .
Frau Woltmann, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Meiwald zu
akzeptieren?
Nein . - Meine Damen und Herren von der Opposition,
Sie verweisen in Ihren Anträgen auf die Neubestimmung
des Bleiberechts und der vereinfachten Aufenthaltsbeendigung, die wir 2015 verabschiedet haben . Ja, das ist
so . Da haben wir diesen Personenkreis einbezogen . Aber
wir haben in der Zwischenzeit eine veränderte Situation,
nämlich die von mir schon erwähnten 1 Million Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, was wir in
Deutschland erst einmal bewältigen und umsetzen müssen . Als wir das Gesetz 2015 verabschiedet haben, kamen noch nicht täglich 6 000 bis 10 000 Menschen nach
Deutschland . All diese Menschen müssen untergebracht
werden . Sie müssen versorgt werden . Auch die Familien,
die dann nachziehen, müssen versorgt werden, brauchen
Wohnraum . Um eine Überforderung der Kommunen zu
verhindern, war und ist eine Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige um zwei Jahre
erforderlich und gerechtfertigt .
Lassen Sie mich noch eines klarstellen . Wir haben
Regelungen für anerkennte Flüchtlinge, ihre Familien
nachzuholen . Dazu gehören Eltern und Kinder, also die
Kernfamilie . Wir müssen in der Abwägung aller Fakten
und Positionen darauf achten, dass weder die Menschen
noch die Kapazitäten in unserem Land überfordert werden . Wir müssen erst einmal denen helfen, die hier sind .
Es ist eine verantwortungsvolle Abwägung,
({0})
der wir uns ständig stellen müssen . Die Bundesrepublik
Deutschland wird ihrer Verantwortung in der Flüchtlingsfrage mehr als gerecht .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Barbara Woltmann . - Die nächste Rednerin: Ulla Jelpke für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin
Woltmann, die Bilder aus Syrien, aus Aleppo, aus den
Kriegsgebieten, die wir tagtäglich sehen, zeigen, dass die
Menschen, die dort fliehen, wahrscheinlich Jahre nicht
zurückkehren können, weil das Land dermaßen zerstört
ist . Schon deswegen ist der subsidiäre Schutz im Grunde
eine einzige Grundgesetzverletzung .
({0})
Es ist ein Grundrecht, das wir haben . Es ist eine schlimme Menschenrechtsverletzung, die Sie hier gerechtfertigt
haben . Deswegen möchte ich hier noch einmal deutlich
sagen: Der Gesetzentwurf der Grünen und der Antrag
der Linken, die heute hier vorliegen, wollen genau diese
Menschenrechtsverletzungen - den um zwei Jahre verzögerten Familiennachzug oder lange Wartezeiten für
anerkannte Flüchtlinge - rückgängig machen und korrigieren . Wir müssen wieder zu Grundrechten kommen .
({1})
Ich will das auch erklären . Es geht hier um Folgendes: Für Flüchtlinge, die nur einen subsidiären Schutz
haben - einen sogenannten vorübergehenden Schutz, auf
ein Jahr befristet -, wird gemäß Asylpaket II der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt . Mit dem Paket haben die Bundesregierung und auch diejenigen, die es hier
im Bundestag beschlossen haben, bewirkt, dass Familien
auseinandergerissen werden und menschliche Tragödien
verschärft werden . Das ist aus unserer Sicht einfach unerträglich und Ausdruck einer verachtenden Menschenrechtspolitik .
({2})
Ich möchte Ihnen hier einen praktischen Fall vorstellen . Asma, eine Mutter von vier Kindern aus Syrien,
musste mit ansehen, wie ihr Mann vom sogenannten „Islamischen Staat“ ermordet wurde . Auf ihrer Flucht nach
Deutschland wird ihre Familie zerrissen: Sie ist mit zwei
Kindern hier, und zwei ihrer Töchter sind in der Türkei
in einem Flüchtlingslager; sie sind 15 und 16 Jahre alt .
Asma hat hier in Deutschland nur den subsidiären Schutz
erhalten, muss also jedes Jahr erneut nachsuchen, und die
Familienzusammenführung ist für zwei Jahre ausgesetzt
worden . Ihre Töchter sind, wie gesagt, 16 und 15 Jahre
alt . In dem Moment, in dem das Recht auf Familienzusammenführung eintreten würde, gilt es im Grunde genommen für diese Familie nicht mehr, weil die Töchter
ab einem Alter von 18 Jahren nicht mehr das Recht haben, nach Deutschland geholt zu werden . Hier muss man
festhalten: Eine Mutter, deren Familie zerrissen worden
ist, ist natürlich schwer traumatisiert . Und da fragt man
sich immer wieder: Wie soll eigentlich vor dem Hintergrund einer so menschenverachtenden Politik Integration
gelingen?
({3})
Ich erinnere mich noch sehr genau, wie der Innenminister hier im Februar gesagt hat, wir müssten jetzt
notwendige Härten in Kauf nehmen . Aber man muss sie
eben nicht in Kauf nehmen . Tun Sie nicht immer so, als
wenn es nicht möglich wäre, die Familien hier wirklich
aufzunehmen!
({4})
Wenn man den politischen Willen hat, dann ist es auch
möglich. Ich finde es einfach nur noch abscheulich, wie
hier immer wieder von Ihnen versucht wird, Menschen
voneinander zu trennen und Familien zu zerreißen . Damit praktizieren Sie - insbesondere Sie auf der rechten
Seite - eine Integrationsverweigerungspolitik .
({5})
Meine Damen und Herren, das Gesetz wurde damals
mit der Behauptung durchgeboxt - das richtet sich jetzt
insbesondere an meine Kollegen von der SPD -, der subsidiäre Schutz würde ja nur Einzelne treffen . Doch muss
man ganz klar sagen: Kaum war das Gesetz da, hat sich
das geändert . Noch im Februar hatten wir einen sehr hohen Anteil von Anerkennungen als Flüchtlinge nach der
Genfer Flüchtlingskonvention . Der Anteil der Anerkennungen als Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz lag bei
nur 1,2 Prozent; alle anderen syrischen Flüchtlinge - fast
99 Prozent - bekamen eine Anerkennung als Flüchtling
nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Heute liegt der
Anteil der subsidiär Geschützten bei 73 Prozent . Man
muss hier festhalten: Mehrheitlich sind hiervon Familien
aus Syrien betroffen . Mit dieser Politik will die Koalition
offenbar abschrecken, aber eben auch rechte Ressentiments bedienen; wir erleben es immer wieder, dass man
der AfD hinterherkriecht .
({6})
- Nein, es ist wirklich so, dass Sie sich im Grunde immer
wieder anbiedern . Ich halte es für einen Skandal, dass Sie
die Menschen dazu missbrauchen .
({7})
Ich habe es eben schon gesagt: Es ist nicht nur zynisch,
sondern meines Erachtens auch verfassungswidrig . Das
sieht man jetzt schon daran, dass etwa 25 000 Menschen
geklagt haben und bei 90 Prozent der Entscheidungen vor
Gericht recht bekommen haben . Es wurde entschieden,
dass der Status des subsidiären Schutzes nicht rechtens
ist und dass die Familien nachziehen können, sobald der
Status des Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde .
Generell muss man sich fragen: Wie kann man eigentlich den subsidiären Schutz für Flüchtlinge aus Kriegsländern verhängen? Es geht um Länder wie Syrien,
Irak und Afghanistan . Wir wissen doch, dass dort eine
Rückkehr nicht möglich ist . Man verunsichert doch die
Flüchtlinge, wenn man ihnen für ein Jahr Schutz gewährt
und ihnen verdeutlicht, dass sie dann möglicherweise ins
Kriegsland zurückkehren müssen . Wer sind wir denn eigentlich, dass wir diesen Menschen keine Sicherheit geben, auch mit Blick auf ihre Integration?
({8})
Kriegsflüchtlinge müssen im Regelfall wieder den
Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention
bekommen - das sieht der Gesetzentwurf der Grünen,
aber auch der Antrag der Linken vor . Wir wollen, dass
die Verfahren beschleunigt werden .
Sie haben hier dargelegt, Frau Woltmann, dass das
schriftliche Anerkennungsverfahren nicht tauglich ist,
weil möglicherweise Missbrauch stattgefunden hat .
({9})
Gucken Sie sich einmal die Antworten der Bundesregierung an . Da stellen Sie fest, dass wir so gut wie gar keinen Missbrauch haben .
({10})
Dann muss man auch einfach mal wieder zur Realität
übergehen und wirklich schnelle Verfahren durchführen .
Meiner Meinung nach muss man hier noch andere
Punkte ansprechen . 800 Kinder und Jugendliche, die
aus Syrien und anderen Krisengebieten geflohen sind,
haben in Deutschland auch nur den subsidiären Schutz .
Ein Jugendlicher hat neulich zu mir gesagt: Solange meine Familie im Krieg ist, ist ein Teil von mir auch noch
dort . - Da frage ich Sie: Wie nehmen Sie es eigentlich
mit der Kinderrechtskonvention? Ist es nicht im Interesse
des Kindeswohls, dass man alles tut, um so schnell wie
möglich die Eltern nachzuholen? Ich meine, ja, und es
muss unbedingt wieder eingeführt werden, dass wir Kindern hier das Kindesrecht auch zukommen lassen .
({11})
Jetzt noch einige Worte an die SPD . Über 50 Abgeordnete haben bei der Abstimmung über das Asylpaket II
hier ihre Bauchschmerzen beklagt, gerade was den Punkt
angeht, der hier verabschiedet wurde . Ich kann nur sagen: Ich hoffe, Ihre Bauchschmerzen sind inzwischen so
schlimm, dass Sie nicht nur mal hier und dort ankündigen, diese Praxis verändern zu wollen, sondern dass Sie
endlich den Mumm haben, wirklich etwas zu verändern
und entsprechende Initiativen vorlegen .
({12})
Ich finde, es ist wirklich ein Skandal, dass die sozialdemokratische Partei so etwas durchgehen lässt .
Vielleicht ein Punkt noch . Man muss auch sagen,
selbst wenn die zweijährige Aussetzung von Familiennachzug abgewartet wird, aber auch für viele andere, die
das entsprechende Recht nach der Genfer FlüchtlingsUlla Jelpke
konvention haben: Wir haben auch ein Riesenproblem
bei den Botschaften . Es gibt Wartezeiten von mehr als
einem Jahr, bis überhaupt ein Termin für die Visabeantragung stattfinden kann. Meine Damen und Herren, es
dauert Jahre, bis überhaupt - egal ob nach der Genfer
Flüchtlingskonvention oder bei subsidiärem Schutz - die
Familien zusammengeführt werden . Auch hier muss endlich etwas geschehen . Wir brauchen mehr Personal in den
Botschaften und im Auswärtigen Amt, das das bearbeitet,
damit die Familien schneller zusammenkommen .
({13})
Frau Jelpke, erlauben Sie eine Zwischenfrage eines
SPD-Kollegen, dessen Namen ich jetzt nicht unmittelbar
weiß? Er ist jedenfalls bei der SPD .
Ja, gerne .
Mein Name ist Christian Petry .
Das werde ich mir jetzt ewig merken .
Ich komme aus dem Saarland, und deswegen frage
ich Sie auch: Ein weiterer Saarländer Ihrer Partei, Oskar
Lafontaine, hat eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen gefordert . Jeder, der darüber hinaus kommt, soll
keine Hilfeleistung des Staates mehr bekommen . Angesichts Ihrer Kritik, die Sie eben an der Sozialdemokratie
geübt haben, frage ich Sie, ob Sie das etwas einordnen
können und ob Sie bereit sind, auch daran Kritik zu üben .
Dafür habe ich eine klare und kurze Antwort: Das
Asylrecht kennt keine Obergrenze .
({0})
Das sollten langsam auch Sie begreifen: Obergrenzen
hebeln das Grundrecht aus . Deswegen müssen wir gar
nicht weiter darüber diskutieren . Obergrenzen gibt es für
uns nicht .
({1})
Aber trotzdem an die Redezeit denken .
Ja, ich komme zum Schluss . - Ich habe ganz kurz nur
noch einen Punkt; der betrifft im Grunde genommen die
Abschottungspolitik, die auf diesem Weg gemacht wird .
Das Schlimme ist für mich, dass viele Menschen, deren
Familien in Kriegsgebieten oder in elendigen Lagern sitzen, jetzt überlegen, ihr Asylrecht hier an den Nagel zu
hängen und zurückzukehren, oder aber dass sie wieder
die Schleuser in Anspruch nehmen und die Angehörigen
sich auf die gefährlichen Wege des Mittelmeers begeben .
Ich finde, es ist ein riesiger Skandal, dass Sie den einzigen legalen Weg für Menschen, die hier sind, Asyl haben
und ihre Familien auf legalem Weg herbringen könnten,
zumachen . Das muss geändert werden . Ich fordere Sie
auf: Unterstützen Sie unsere Anträge . Dann kommen wir
der Menschenrechtspolitik wirklich ein ganzes Stück näher .
Danke .
({0})
Vielen Dank, Ulla Jelpke . - Nächster Redner für die
SPD: Rüdiger Veit .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
waren nicht Bauchschmerzen, sondern schwerwiegendere Gründe, die mich daran gehindert haben, an der Beratung des Asylpakets II teilzunehmen: Ich musste eine
gesundheitlich bedingte Auszeit nehmen . Das erleichtert
einerseits ein bisschen die Stellungnahme heute, auf der
anderen Seite musste ich, um zu erfahren, was damals
passiert ist und was der Hintergrund der Entscheidung
war, Protokolle lesen und mit Kolleginnen und Kollegen
reden . Das habe ich gemacht .
In der Tat hätte ich nicht jedes Wort bei den Beiträgen
eben von Frau Göring-Eckardt oder von dir, Ulla Jelpke,
mit Beifall bedenken können, aber ich will klar und deutlich sagen: Ich bin der Auffassung, dass die Grünen mit
ihrem Gesetzentwurf und auch die Linkspartei mit ihrem
Antrag in der Sache recht haben .
({0})
Denn als das Asylpaket II mit der Beschränkung des Familiennachzugs verabschiedet worden ist, sind alle Beteiligten - ich betone: alle Beteiligten - davon ausgegangen, dass davon nur ein kleiner Prozentsatz, eine geringe
Zahl derjenigen betroffen sein würde, die als Flüchtlinge
aus Syrien zu uns kommen . Das kann man in den Protokollen nachlesen, und die Kollegin Staatsministerin
Aydan Özoğuz hat das damals in ihrem Debattenbeitrag
genauso gesagt wie übrigens die Sachverständigen in der
Anhörung des Innenausschusses . Wenige Personen mehr
seien davon betroffen - so war damals die Erwartung .
Tatsächlich hat es sich so entwickelt: Es gab im
Jahr 2015, während der Zeit des schriftlichen Verfahrens,
61 Fälle von subsidiärem Schutz, im Jahr 2016, nach
Wiederaufnahme der individuellen Prüfung, gab es über
75 000 . Das betrifft, anders als noch im Oktober 2014,
wo es gerade einmal 17 Prozent waren, jetzt - das ist
richtigerweise gesagt worden - über 70 Prozent aller
Menschen, die auf der Suche nach Schutz aus Syrien
zu uns gekommen sind . Und das, meine sehr verehrten
Damen und Herren, war nicht die Geschäftsgrundlage
dessen, was damals die SPD-Kolleginnen und -Kollegen
trotz schwerer Bauchschmerzen bewogen hat, dem Gesetz zuzustimmen . Deswegen werde ich in meiner Fraktion dafür werben - darauf gehe ich am Schluss noch
einmal ein -, dem Gesetzentwurf der Grünen oder auch
dem Antrag der Linkspartei zuzustimmen . Es sei denn, es
gelingt uns - und darum wollen wir uns weiterhin in erster Linie bemühen -, mit unserem Koalitionspartner zu
Lösungen zu kommen, durch die wir dieses für uns nicht
akzeptable Ergebnis in der Zukunft vermeiden können .
Da sind wir übrigens schon seit einigen Wochen und Monaten dran . Zu den Lösungsmöglichkeiten im Einzelnen,
auch unterhalb einer gesetzlichen Änderung, werde ich
noch kommen .
Ich möchte Ihnen aber auch klar und deutlich sagen:
Was uns bewegt - und mit Bewegung meine ich, dass
man das auch innerlich spürt -, ist doch folgende Situation, in die ich Sie, gerade vonseiten der Union, bitte, sich
hineinzuversetzen: die Situation eines Familienvaters,
dessen Kinder und dessen Frau sich entweder im Bombenhagel von Aleppo oder an anderen Stellen in Syrien
in unmittelbarer Lebensgefahr befinden oder sich unter
menschenunwürdigen Bedingungen und ebenso unter
Gefährdung ihrer Gesundheit oder sogar ihres Lebens
in benachbarten Staaten aufhalten müssen, weil es eben
nicht möglich ist, dass sie zu ihrem Vater, zu ihrem Ehemann nach Deutschland kommen können .
Da reden wir nicht von zwei Jahren, da reden wir auch
nicht von einer Verfahrensdauer von eineinhalb Jahren,
sondern Sie müssen die Dauer der Prozesse addiert sehen: Da haben wir zunächst ein Asylverfahren, das zehn,
zwölf Monate dauern mag . Dazu kommt sozusagen die
Sperrzeit in Form der Aussetzung des Familiennachzugs
für die lediglich subsidiär Geschützten . Dann kommt der
ganze Prozess der Beantragung - und das ist erst ab dem
März 2018 möglich - eines entsprechenden Nachzugsvisums in den Botschaften und Konsulaten der Bundesrepublik, namentlich in Beirut . Wir wissen heute, dass die
Bearbeitungszeiten dort allein bis zur Erlangung eines
Gesprächstermins bei mehr als einem Jahr liegen, nämlich mittlerweile bei 15 Monaten . Wenn sie all das zusammenzählen, heißt das im Klartext: Derjenige, der in
Deutschland als Flüchtling lediglich subsidiären Schutz
bekommt, der muss mindestens vier, wenn nicht sogar
noch mehr Jahre darauf warten, bis seine unter gefährlichen Bedingungen lebenden Familienangehörigen endlich nach Deutschland kommen können . Das halte ich
nicht für akzeptabel . Das ist kein Punkt, den wir einfach
mal so beiläufig verhandeln können.
({1})
Welche Möglichkeiten gibt es nun, hier Abhilfe zu
schaffen - da appelliere ich in erster Linie an unseren
Koalitionspartner -, auch unterhalb einer Gesetzesänderung?
Eine Möglichkeit wäre es, zu sagen: Wir nehmen
wenigstens jetzt schon die Anträge auf Familienzusammenführung auch von denjenigen entgegen, die lediglich
einen subsidiären Schutz haben, und bearbeiten sie, damit diese Personen nicht nach Ablauf der Sperrfrist auch
noch die Verfahrenszeit von 15 bis 24 Monaten abwarten
müssen . Das ist die eine Möglichkeit . Das setzt eine entsprechende Kooperation zwischen Bundesinnenministerium, nachgeordneten Behörden und Auswärtigem Amt
voraus . Ich füge aber hinzu: Das alleine hilft nur bedingt;
denn es gibt Kapazitätsprobleme .
Es ist ja kein böser Wille des Auswärtigen Amtes oder
der Mitarbeiter der Konsulate, dass die Wartezeiten und
die Verfahrensdauer so lang sind . Das Problem ist vielmehr, dass wir trotz einer Personalverstärkung um rund
100 Personen, trotz der Schaffung zusätzlicher räumlicher Kapazitäten, vor allen Dingen in Beirut, trotz der
Einschaltung der Mithilfe durch IOM ab 2017 diese
enorme Bearbeitungszeit haben . Sie zu verkürzen, muss
Aufgabe des Auswärtigen Amtes sein . Der gute Wille
dazu ist vorhanden .
Man könnte aber in der Tat durch entsprechende Erleichterungen in der Verwaltungspraxis vonseiten der
Ausländerbehörden dazu beitragen, dass die gesamte
Verfahrensdauer verkürzt wird, und man könnte - ich
wiederhole diese Anregung - die Verfahren beginnen
lassen, bevor die zweijährige Sperrfrist abgelaufen ist .
Es gibt noch einen anderen Punkt, auf den ich zu
sprechen kommen will . Es ist mehrfach behauptet und
unterstellt worden, von NGOs genauso wie von Politikerinnen und Politikern, der Innenminister habe dafür
gesorgt, dass die Herkunftsländer-Leitsätze des BAMF
geändert wurden, er also durch eine ministerielle Anweisung praktisch die Ursache dafür geschaffen habe, dass
überwiegend nur noch subsidiärer Schutz gewährt werde .
Das stimmt nicht . Ich habe die Leitsätze selber nachgelesen . Sie sind korrekt . Ich könnte das auch nicht anders
machen . Darin werden seitens des BAMF bzw . der Behördenleitung auch die Risikoprofile benannt, bei deren
Vorliegen ein GFK-Schutz zu gewähren ist .
Aber es gibt einen Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der neu ist . In den Leitsätzen steht nämlich - dementsprechend ist auch die Praxis des BAMF gewesen -,
dass die Bedrohung in Syrien nach der bloßen Rückkehr
von einem längeren Auslandsaufenthalt alleine keinen
Grund mehr darstellt, die betreffenden Menschen als politisch verfolgt anzusehen, und deswegen nur der subsidiäre Schutz infrage kommen kann . In mittlerweile nicht
nur 17 000, sondern 18 000 Fällen haben die Betroffenen Verwaltungsgerichte angerufen . Die meisten haben
recht bekommen; denn die Verwaltungsgerichte haben
überwiegend gesagt: Nein, wir sind der Auffassung, dass
das, was den Rückkehrern in Syrien droht, jedenfalls das
Merkmal der Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt .
Es gibt allerdings ein Obergericht, nämlich das OVG
in Münster, das für Nordrhein-Westfalen zuständig ist,
das gesagt hat: Wir sind der Auffassung, das, was denen in Syrien dann droht, erfüllt nur die Voraussetzungen für die Anerkennung eines subsidiären Schutzes . Wenn man sich die Leitsätze der Entscheidung dieses
Gerichts einmal anschaut, dann stellt man fest, dass das
Gericht davon ausgeht - ich habe am Schluss eine andere Bewertung -, dass denjenigen, die überhaupt als
Auskunftspersonen infrage kommen, bei ihrer Rückkehr
nach Syrien vonseiten des Regimes Assad Folter droht,
um Informationen aus ihnen über die Exilsituation und
die persönliche und politische Einstellung manch anderer syrischer Flüchtlinge herauszupressen . Das, meine
sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht das, was ich
mir als Rechtfertigung dafür vorstelle, lediglich subsidiären Schutz zu gewähren . Ich bin der Auffassung: Wem
Folter bei der Rückkehr droht, weil man Informationen
aus ihm herauspressen will, den muss man als Flüchtling
im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkennen,
der ist politisch verfolgt, dem ist entsprechender Schutz
zu gewähren . In der Konsequenz wäre Familiennachzug
möglich . - Das ist das, wofür ich plädiere .
Zum Schluss sage ich noch einmal: Wenn wir mit dem
Koalitionspartner, worauf ich aber immer noch hoffe,
nicht zu Ergebnissen kommen, die das nicht akzeptable
bisherige Vorgehen vermeiden helfen, werde ich meiner
Fraktion nachhaltig empfehlen, dem Gesetzentwurf der
Grünen bzw . dem Antrag der Linkspartei zuzustimmen .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Rüdiger Veit . - Nächster Redner: Martin
Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Gäste in unserem gemeinsamen Haus! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
muss es ja befremdlich und unangemessen, ja vielleicht
sogar widersinnig wirken, dass vor sechs Monaten gerade Familienpolitiker der CDU/CSU gemeinsam mit dem
Koalitionspartner SPD den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge für die Dauer von zwei Jahren
ausgesetzt haben . Herr Veit, nicht das, was Sie hier gesagt
haben, verwundert mich, sondern - da ist „verwundert“
noch ein gelinder Ausdruck - dass Ihre Fraktion Sie hier
zu dem Gesetzentwurf und dem Antrag der Opposition
sprechen lässt und dass Sie dabei unseren gemeinsamen
Beschluss,
({0})
den Sie krankheitsbedingt nicht mitvollziehen konnten
und dann versucht haben, nachzuvollziehen, hier für die
SPD derart infrage stellen . Das verwundert mich sehr .
({1})
Wir sind hinter die Maßstäbe zurückgefallen, die wir
uns selbst einmal - das ist gar nicht so lange her - im Zusammenhang mit dem Schutz, den wir Asylberechtigten
und Flüchtlingen gesetzlich verbürgen wollten, gesetzt
haben; das ist wahr . Insofern verstehe ich den uns vorgelegten Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den Antrag der Fraktion Die Linke als Anliegen,
nochmals öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass
die Regierungsfraktionen eine Beschneidung von Rechten respektive allgemein anerkannten Menschenrechten
vorgenommen haben .
Als Opposition, die außerhalb jeglicher Regierungsverantwortung steht, können Sie locker eine angemessene und menschliche Aufnahme und Betreuung von nahezu 1 Million Schutzsuchender in einem Jahr in unserem
Land fordern . Sie können das fordern, weil Sie ja nicht
die Verantwortung für diese vielen Menschen haben,
auch nicht für die vielen Menschen, die freiwillig noch
mehr Verantwortung übernehmen . Sie machen öffentlich
darauf aufmerksam, dass wir uns mit dem Aussetzen
des Familiennachzuges - dies bedeutet sozusagen eine
internationalem Recht widersprechende Trennung von
Kindern von ihren Eltern - sozusagen familienfeindlich
verhalten .
Als Erstes wäre dem entgegenzuhalten, dass nicht wir
die Kinder von ihren Eltern getrennt haben .
({2})
In den meisten Fällen haben sich wohl die Eltern selber
von ihren Kindern getrennt .
({3})
Väter haben vielfach - das beweist eine Vielzahl von Anhörungen - ihre Angehörigen zurückgelassen,
({4})
weil sie darauf vertrauten - das ist ihnen nicht vorzuwerfen; aber das wird auch durch ihre Argumentation bestätigt -, dass sie nach unseren Gesetzen ihre Familien folgen lassen können . Oder Sie haben ihre Kinder, wenn es
sich um unbegleitete Minderjährige handelt, auf höchst
ungewisse gefährliche Wege geschickt und in die Hände fremder Menschen gegeben, nicht wissend, wie und
wann sie ankommen werden . Das gilt auch für die Väter .
Herr Patzelt, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung
von Frau Brantner?
Frau Brantner, bitte, aber -
So nicht, ja oder nein?
Ja .
Herr Patzelt, es tut mir leid, aber wir müssen hier
nachfassen. Sie stehen ja häufig auch auf der Seite der
Kinder und Jugendlichen . Deswegen wundert es mich,
dass Sie den Eltern vorwerfen, dass sie ihren Kindern
diese gefährliche Überfahrt nicht antun wollen . Da ist es
doch selbstverständlich, es zunächst alleine zu wagen,
wenn man die Hoffnung hat, dem eigenen Kind diese
gefährliche Überfahrt ersparen zu können . Schließlich
besteht die Gefahr, dass es dabei stirbt . Warum sollten
Eltern also dann dieses Risiko eingehen? Es ist somit
unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Kinder legal
hierherkommen können, ohne diesen gefährlichen Weg
auf sich nehmen zu müssen .
({0})
Danke für die Frage, Frau Dr . Brantner . - Das kann
man wahrscheinlich nur aus einer persönlichen Sicht beantworten . Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich meine
Familie und meine minderjährigen Kinder in dieser Situation zurückgelassen hätte . Das sage ich für mich .
({0})
Jetzt ist Herr Patzelt wieder dran .
Stellen Sie eine Frage, wenn Sie etwas wissen möchten . Ansonsten fahre ich fort .
({0})
Unsere Erkenntnis ist also, dass vor allen Dingen die
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in vielen bekannten Fällen als Wegbereiter für den Rest der Familie
hierhergeschickt wurden oder dass die Väter als Wegbereiter für ihre Familien vorausgegangen sind . Ich habe
Ihnen gesagt, dass ich das verstehen kann und dass ich
das keinem zum Vorwurf mache; aber es ist so, dass man
diejenigen in die Gefahr, auf einen Weg mit einem ungewissen Ausgang - das muss man hervorheben - geschickt
hat, die für die Familie eine so große Bedeutung haben,
({1})
dass man sie mit ihren Familien jetzt so schnell wie möglich wieder zusammenführen will . Abgesehen von den
wenigen Fällen, in denen die Kriegsereignisse selber oder
die Fluchtwege die jungen Menschen von ihren Familien trennten, haben wir es also mit einem absichtsvollen
und geplanten Verhalten der Eltern zu tun . Sie muten sich
selbst die Trennung und die Gefahren der Flucht zu - in
der ungewissen Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen .
Wir haben von Herrn Veit gehört, wie lange es dauert,
ehe ein solches Verfahren erfolgversprechend durchgesetzt werden kann .
Wir in Deutschland haben all diese Menschen vorbehaltlos aufgenommen . Wir haben ihnen den erforderlichen Schutz gewährt, und wir werden ihn weiterhin
gewähren . Wir haben ihnen Betreuung nach den gleichen Maßstäben wie einheimischen jungen Menschen
angedeihen lassen, insbesondere den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen . Wir haben den gesetzlichen
Schutz und die Fürsorge nach dem KJHG den örtlichen
Jugendämtern anvertraut . Diese verfügen über die notwendigen Mittel und Erfahrungen, um gerade temporär
oder dauerhaft von ihren Familien getrennten Kindern
und Jugendlichen eine angemessene Hilfe zu geben .
Das ist eine außerordentliche Herausforderung angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, der fremden
Kultur, die sie mitbringen, und der gegebenenfalls hinzukommenden traumatischen Belastung . Es ist eine außerordentlich große Leistung, die die Jugendhilfeträger hier
im Land erbringen . Wir leisten diese Hilfe unabhängig
vom tatsächlichen Status, also egal ob Flüchtlinge, Asylberechtigte oder subsidiär Geschützte . Wir haben diese
Hilfe über das Volljährigkeitsalter hinaus verlängert,
wenn sie sich noch in Ausbildung befinden, und geben
ihnen unabhängig von ihrem gesetzlichen Status sogar
ein Bleiberecht für ein weiteres Jahr .
Auf der anderen Seite aber gibt es eine große Zahl
von in unser Land geflüchteten Menschen, die nicht Asyl
oder die Anerkennung als Flüchtlinge in Anspruch nehmen können, sondern sich als Armutsmigranten auf die
Suche nach einer besseren persönlichen Zukunft begeben haben und deshalb nicht zufällig in unserem Land
angekommen sind . Der zunächst unmittelbare Bedarf an
menschenwürdiger Unterbringung und Betreuung, eine
gewissenhafte Prüfung des gesetzlich verbürgten Anspruchs auf Bleiberecht, eine sachdienliche und gerechte
Verteilung dieser Menschen im Lande, die Rückführung
der nicht unter diesem Schutz stehenden Flüchtlinge bzw .
die Fürsorge für mindestens ein Drittel der nicht Berechtigten, aber aus verschiedenen Gründen Geduldeten - das
waren und sind riesige Herausforderungen, die wir alle
miteinander bewältigen wollen und bewältigen müssen .
Unter enormer Kraftanstrengung des Bundes, der
Länder und der Kommunen in ihrer jeweils unterschiedlichen Verantwortung sowie unserer Bürgergesellschaft,
die nach einem kaum fassbaren positiven Willkommen
unterdessen ihr Engagement verstetigt, organisiert und
vernetzt, kümmern wir uns um all diese vielen Menschen . Wir tun dies im Wissen um die Notwendigkeit
einer zeitnahen Integration, besonders in den Bereichen
Sprache und Arbeitsvermittlung . Wir tun dies, um die
Entwicklung von Parallelgesellschaften aufzuhalten wohl wissend, dass es in unserem Land viele Ängste vor
und Vorbehalte gegenüber den vielen Fremden gibt .
Wir werden konfrontiert mit ihrer manchmal befremdenden Kultur, ihrer anderen, unseren Werten und Gesetzen mitunter widersprechenden Lebensweise . Wir
müssen feststellen, dass sich in unserem Land auch Widerstände und Gewalt gegen diese Menschen entwickeln;
das ist bedauerlich und verabscheuungswürdig . Wir wisDr. Franziska Brantner
sen, dass in seltenen Fällen - sie werden dann aber zumindest medial sehr verstärkt - sicher auch feindliche
terroristische Interessen unsere Bereitschaft zur Hilfe
ausnutzen wollen .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, trotz all dieser Belastungen und Risiken geben wir Schutz . Wir geben Sicherheit und Kleidung . Wir
versuchen, nach und nach für all diese Menschen individuellen Wohnraum verfügbar zu machen . So handeln
wir, angefangen beim Gesetzgeber über die Regierung
und die Verwaltung bis hin zur Bürgergesellschaft . Wir
stellen uns diesen unerwarteten Herausforderungen und
erfahren dafür weltweit Ansehen und Dankbarkeit .
Wenn wir unter diesen Bedingungen die Zahl der bei
uns ankommenden Flüchtlinge spürbar vermindern nicht nur bei der Familienzusammenführung -, insbesondere die Zahl derer, die ohne berechtigtes Asylbegehren
zu uns kommen, dann ist das nicht allein recht und billig,
sondern dann erweist sich dies - das sehe ich so; manche
werden das anders sehen - als ein sehr verantwortliches
Handeln . Wir haben nämlich die Verantwortung für unsere ganze Gesellschaft .
Verehrte Frau Göring-Eckardt, es ist - ja, wie soll ich
es sagen? - einfach Ihrer unwürdig,
({2})
wenn Sie sagen, dass das Handeln der Regierung deshalb
so ist, weil Herr Seehofer im Wahlkampf steht . Dafür
gibt es wirklich andere Herausforderungen und Gründe;
das darf man nicht billig auf eine parteipolitische Schiene
schieben . Wir dürfen die Menschen im Lande auch nicht
mit einer solchen Aussage verwirren .
({3})
Wenn Sie so etwas von diesem Pult aus sagen, dann erzeugen Sie den Eindruck, als gehe es nur um parteipolitische Auseinandersetzungen und einen Machtkampf .
({4})
Wir haben aber ganz andere Sorgen . Wir wollen den Frieden in unserem Land erhalten . Das wollen wir!
({5})
Vor diesem Hintergrund ist es auch zumutbar, dass
Flüchtlinge eine temporäre Trennung hinnehmen . Sie
haben damit gerechnet, sie sind bewusst losgegangen .
Die zumeist erwachsenen Kinder und die Väter, die hier
leben, können auf ihre Art und Weise - und das tun sie
auch - für ihre Familien auch aus der Ferne sorgen . Sie
können auch - das will auch ich noch einmal betonen;
das wurde ja von meinen Vorrednern schon gesagt - in
den besonderen Einzelfällen einen schnellen Nachzug
beantragen . Ein solcher Antrag wird, immer gemessen an
den Gefahren, die sich tatsächlich stellen, geprüft werden .
({6})
Nicht in ganz Syrien - das sage ich auch immer wieder
öffentlich - herrscht im Moment Krieg . Die schlimme
Situation, die es in einigen umkämpften Städten gibt,
ist nicht maßstabgebend für das ganze Land Syrien und
auch nicht für die Flüchtlingslage in den angrenzenden
Ländern . Wir möchten jedenfalls an die Möglichkeit erinnern, in besonders belastenden Situationen ein solches
Verfahren auf den Weg zu bringen, und das wird auch
getan . Wir können das auch, wenn Sie wollen, in Zahlen
ausdrücken .
Ich bin Ihnen, Herr Veit, dankbar für die Vorschläge,
die Sie gemacht haben . Dort, wo es möglich ist, sollten
wir versuchen, eine Annäherung zu erreichen .
({7})
Das alles sollten wir ernsthaft prüfen und bereden - mit
all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben . So müsste das Gespräch eigentlich erfolgen . Wir, die wir in der
Regierungsverantwortung stehen, sagen: Wir müssen
den Menschen in unserem Lande etwas zumuten, was
dann auch zu bewältigen ist, und zwar im Interesse der
Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind,
und in unserem eigenen Interesse . Das müssen wir ausbalancieren . Dazu hat die Opposition keine Veranlassung .
Sie kann hier sehr schön mit Forderungen auftreten .
Herr Patzelt, denken Sie trotzdem an Ihre Redezeit .
Ja, das mache ich, danke schön . Ich bemühe mich,
zum Ende zu kommen .
Nein, Sie müssen zum Ende kommen .
Dann lassen Sie mich noch ein Schlusszitat vortragen .
Es stammt von einem glaubwürdigen und überzeugenden Verfechter der Hilfen für Menschen, die in Not sind .
Papst Franziskus sagte:
Die Regierenden müssen sehr offen sein, sie
- die Flüchtlinge zu empfangen, aber auch kalkulieren, wie man sie
unterbringt . Denn einen Flüchtling muss man nicht
nur empfangen, sondern auch integrieren .
Und der Papst warnt,
wer die eigene Aufnahmefähigkeit ohne Augenmaß
berechne, ist am Ende nicht in der Lage, eine Eingliederung
- da sage ich, das gilt auch mental zu ermöglichen . Die Folge könne eine gefährliche
„Ghettoisierung“ sein …
Danke .
({0})
Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg von
Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Patzelt, ich maße mir nicht an, zu beurteilen, ob es richtig ist, als Familienvater alleine anstatt
mit der Familie den Weg über das Mittelmeer zu suchen,
und ich maße mir auch nicht an, zu beurteilen, ob man im
Bürgerkriegsland bleibt, weil einem vielleicht das Geld
fehlt, um die Flucht zu ermöglichen . All das zu beurteilen, maße ich mir schlichtweg deshalb nicht an, weil ich
mir überhaupt nicht vorstellen kann, wie es sein muss,
derzeit in Syrien zu leben, und was es alles braucht, um
dieser Hölle zu entfliehen.
({0})
Wir Grünen haben den vorliegenden Gesetzentwurf
aus drei Gründen geschrieben:
Wir glauben, dass wir zumindest einen kleinen Beitrag
dazu leisten können, dem unsinnigen Sterben von Menschen - darunter vielen Kindern - auf dem Mittelmeer
zumindest ein Stück weit etwas entgegenzusetzen . Frau
Kollegin Woltmann, Sie haben gesagt, Sie wünschen sich
ein geordnetes Verfahren . Das wünschen wir uns auch .
Dem Familiennachzug in seiner Gesamtheit liegt ein
geordnetes Verfahren zugrunde . Wir wissen sehr genau,
wer kommt, wir wissen genau, wann jemand kommt, und
wir wissen, dass er sicher kommt . Diese Argumentation
müsste Ihnen eigentlich helfen, unserem Gesetzentwurf
zuzustimmen .
({1})
Der Familiennachzug ist einer der wenigen legalen
und vor allen Dingen ungefährlichen Möglichkeiten für
Schutzbedürftige, der Brutalität des Krieges zu entgehen .
Außerdem sind wir der festen Überzeugung, dass eine
dauerhafte Integration, also das wirkliche Ankommen in
Deutschland, nur gelingen kann, wenn Familien zusammenbleiben .
({2})
Jemand, der dem Krieg entkommen ist, hat viel zu verarbeiten und wird viel Kraft aufbringen müssen, um hier
ein neues Leben aufzubauen . Es ist menschlich nicht zumutbar, dass diese Menschen neben all dem materiellen
Verlust, den sie erlitten haben, auch noch das verlieren,
was sie am meisten lieben .
Familien sind ja - das ist das dritte Argument für unseren Gesetzentwurf - durch unsere Verfassung geschützt .
Dieser Verfassungsrang, liebe Kolleginnen und Kollegen, der dem Respekt vor und dem Schutz von Familien
zukommt, dieser Verfassungsrang bezieht sich eben nicht
nur auf Menschen mit einem deutschen Pass, sondern
ist grundsätzlich und muss deshalb auch für geflüchtete
Menschen in Deutschland gelten . Dem werden Sie mit
dieser Regelung zum Familiennachzug eben nicht gerecht . Sie schützen die Familien nicht, sondern Sie trennen sie dauerhaft - und das sehr bewusst .
({3})
Eines ist vollkommen klar - damit komme ich noch
einmal zu der Unterscheidung, ob nach Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt oder subsidiär schutzberechtigt -: Für Menschen beider Gruppen gilt gleichermaßen,
dass ein Leben mit der Familie im Heimatland unmöglich ist . Deshalb ist es absolut nicht zu rechtfertigen, eine
Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen bei der
Form des Schutzes zu treffen, und entbehrt jeder Grundlage . Weil das so ist, wurden die Regelungen 2015 ja sozusagen angeglichen und beiden Gruppen der Nachzug
von Familien gestattet . Erst dann, als klar und deutlich
wurde, dass eine große Zahl von Menschen von diesem
Recht Gebrauch machen wird, haben Sie das Rad wieder
zurückgedreht, und zwar mit dem klaren Ziel, die Quote
derjenigen, die den subsidiären Schutz erhalten sollen,
zu erhöhen und damit den Nachzug von Familien eben
drastisch zu reduzieren .
({4})
- Ja, es ist aber ein Zahlenargument, Frau Woltmann,
und kein moralisches . Dies hier herauszuarbeiten ist auch
Aufgabe der Opposition, und das tun wir hiermit .
({5})
Die SPD hat das damals im sogenannten Asylpaket II
so mitgetragen . Ich möchte gerne Rüdiger Veit für seine Rede ausdrücklich danken . Es ist überhaupt nicht
verwunderlich, dass er das hier so herausarbeitet, Herr
Patzelt; denn Abgeordnete sind frei und ihrem Gewissen
verpflichtet,
({6})
und ich glaube, Ihre Rede hier war deutlich ein Appell
dafür, dass diese Entscheidung über den vorliegenden
Gesetzentwurf eben nicht nur eine Entscheidung ist, die
der Fraktionsdisziplin unterliegt, sondern auch eine, die
dem Gewissen Rechnung tragen muss .
({7})
- Ja, das wünschen wir uns auch, dass dies bei jeder Entscheidung so gemacht wird . Bei dieser ist es aber sehr
offensichtlich, und davon hat Rüdiger Veit, wie ich finde,
sehr treffend Gebrauch gemacht .
Nun kann man der SPD unterstellen, dass es entweder
naiv oder aber knallhart kalkuliert war . Ich stelle mich
da auf keine Seite . Aber beides ist kein Ruhmeszeugnis;
denn es ist Fakt, dass die Annahme, es werde nur eine
kleine Gruppe von Menschen treffen, falsch war . Wir haben das damals schon kommen sehen - Sie nicht . Das ist
nicht weiter schlimm; denn wir geben Ihnen ja jetzt mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit, darauf zu reagieren und diese Entscheidung zu korrigieren .
({8})
Sie haben eben nicht erkannt, dass es eine deutlich
größere Gruppe als angenommen treffen wird . Sie haben
auch nicht erkannt, dass die Dauer der Trennung bis zum
Familiennachzug deutlich länger sein wird, nämlich bis
zu fünf Jahre . Ich kann dazu nur sagen: Mein Sohn ist
anderthalb Jahre alt . Die Vorstellung, in dieser wichtigen
Zeit fünf Jahre von ihm getrennt zu sein, kann nicht mit
dem Hinweis auf eine Wartefrist beschönigt werden . Es
wäre eine dauerhafte Trennung, die ich persönlich keinem einzigen Menschen zumuten möchte .
({9})
Wir müssen uns auch klarmachen, was das für die
Strukturen in Deutschland bedeutet, beispielsweise für
die Beratungsverbände, die nicht wissen, wie sie erklären sollen, warum der eine Mensch aus demselben Dorf
in Syrien seine Familie sofort nachholen darf, der andere
aber erst in zwei Jahren . Das kann man nicht erklären .
({10})
Man kann auch von den Menschen nicht erwarten, dass
sie das erklären; denn es ist unverhältnismäßig . Die veränderte Entscheidungspraxis des Bundesamtes führt darüber hinaus zu einer Reihe von Verwaltungsgerichtsentscheidungen, die unnötig wären und unsere Strukturen
massiv belasten .
Wir haben unbegleitete Minderjährige, die alleine
hierherkommen, 18 Jahre alt werden und dann kein Recht
mehr darauf haben, mit ihrer Familie zusammengeführt
zu werden, und deshalb dauerhaft, also lebenslang, von
ihrer Familie getrennt sein müssen, wenn sie diesen Zustand nicht ändern und vielleicht nach Syrien oder in die
Türkei zurückgehen . Kurzum, es ist schlecht für alle Beteiligten: die Betroffenen, die Beratungsstellen, die Gerichte, aber auch für die Zivilgesellschaft .
Mein letzter Gedanke: Die Zivilgesellschaft, die sich
jetzt über ein Jahr lang mit Zeit, privatem Geld und
höchstem Engagement dafür eingesetzt hat, dass Menschen hier ankommen können und eine Perspektive bekommen, sieht jetzt reihenweise Gemüter zerbrechen,
weil Menschen hier leben und nicht wissen, wie sie zu
ihren Familien kommen können . Auch das demobilisiert
eine Gesellschaft, das frustriert eine Gesellschaft, enttäuscht sie von Politik . Auch das müssen wir uns auf die
Fahnen schreiben; denn wenn wir diese Leute verlieren,
dann verlieren wir deutlich mehr als nur das Engagement
für Flüchtlinge .
({11})
Vielen Dank, Luise Amtsberg . - Der nächste Redner
ist Dr . Lars Castellucci für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein erstes
Plädoyer ist auch, sich hineinzuversetzen, nicht immer
nur von Zahlen und von Prozenten zu sprechen, sondern
die Menschen hinter diesen Zahlen zu sehen .
({0})
Lieber Herr Patzelt, nach Ihrer Rede möchte ich auch
über die Grenzen dieses Sichhineinversetzens sprechen .
Das mache ich in dem Bewusstsein, dass ich Sie sehr
schätze .
Wir haben gestern den 9 . November gefeiert . Das ist
ein Tag, an dem wir in Deutschland immer an Erfahrungen mit Diktaturen erinnern, die wir in unserem Land
hatten . Eine Erkenntnis, die ich aus diesen Gedenktagen
mitnehme, ist, dass es eben eine Grenze bezüglich dessen gibt, was wir wissen können, wie wir uns in dieser
Situation verhalten hätten . Wir wissen nicht, ob wir bei
den Widerstandskämpfern im Dritten Reich oder bei der
Opposition in der DDR gewesen wären
({1})
oder ob wir andere Wege gefunden hätten .
Es gibt Grenzen des Sichhineinversetzens, und weil es
sie gibt, bitte ich darum, nicht zu urteilen, ob ein Familienvater, der in Syrien ist und sagt: „Ich bleibe bei meiner
Familie, weil ich mich nicht von ihr trennen kann und
weil ich hoffe, sie dort schützen zu können“, ein besserer
Familienvater sei als einer, der sagt: Ich mache mich auf
den Weg in der Hoffnung, meine Familie nachholen zu
können .
({2})
Erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage von Herrn
Patzelt?
Ja, selbstverständlich .
Danke . - Es ist nur eine Bemerkung . Ich habe mir
nicht anmaßen wollen, über die Menschen, insbesondere
über die Väter, in Syrien zu urteilen . Ich habe als Antwort
auf die Frage nur von mir persönlich gesprochen . Das
habe ich sehr bewusst getan . Diesen von Ihnen erweckten
Eindruck wollte ich hier nicht stehen lassen .
Danke schön .
Ich danke Ihnen für Ihre Klarstellung, bleibe aber dabei, dass man nur bis zu einer bestimmten Grenze weiß,
wie man selber in dieser Situation entscheiden würde .
Wir können uns nicht wirklich in eine solche Situation
hineinversetzen, um zu wissen, wie wir handeln würden,
wenn wir tatsächlich von diesem Bürgerkrieg betroffen
wären . Das wird uns bei aller Anstrengung nicht gelingen .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte in meinem Büro einen jungen Syrer zu Besuch, von
dem ich jetzt erzählen möchte . Er ist 16 Jahre alt, sein
Betreuer vom Landkreis hat ihn begleitet . Dieser Syrer
wollte von mir wissen, warum denn sein Asylverfahren
noch nicht einmal eröffnet worden ist und wann er seine
Familie wiedersehen kann . Seine Familie in Syrien, die
ihren Sohn nach Deutschland geschickt hat, während der
jüngste Bruder dem Bombenhagel zum Opfer gefallen
ist, wird vom IS unter Druck gesetzt . - Was erzählt man
so jemandem? Frau Woltmann, Sie haben gesagt: Wir
sollen denen helfen, die hier sind . - Diesem Jungen würden wir am meisten helfen, wenn wir es schaffen würden,
seine Familie hierherzuholen .
({1})
Ich möchte etwas über Werte sagen . Es ist in diesem
Zusammenhang von der Herausforderung Integration
gesprochen worden . Auch das, liebe Barbara Woltmann,
war deine Formulierung . Dazu brauchen wir Wohnraum,
Arbeit, Bildung und Sprachkurse . Aber es wird sich doch
niemand gut integrieren können, wenn er Angst um seine
Familie im Bürgerkrieg haben muss .
Der Junge, der bei mir im Büro gewesen ist, hat gesagt: Wissen Sie, ich lerne Deutsch - er konnte schon
ziemlich gut Deutsch -, ich strenge mich auch an . Aber
mein Asylverfahren ist noch nicht einmal eröffnet worden, obwohl die Menschen um mich herum schon als
Flüchtlinge anerkannt sind . Diese stellen sogar das eine
oder das andere an . Ist das gerecht? - Dieser Junge lernt
vielleicht in einem Integrationskurs oder irgendwo anders, dass wir in Deutschland der Familie einen großen
Wert beimessen . Er hat vielleicht auch schon einmal etwas aus dem Grundgesetz gelesen oder gehört, dass die
CDU die Familienpartei sein möchte .
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Integration in diesem Land gelingen soll, dann geht es darum, unsere Werte zu vermitteln . Unsere Werte werden
wir nur dann gut vermitteln können, wenn wir sie vorleben . Wenn wir die Familie als Wert hochhalten, dann
gehört dazu, dass wir es den Menschen ermöglichen, ihre
Familie nachzuholen .
({3})
In diesem Zusammenhang wird der Satz gesagt - man
möchte ihn nicht immer deutlich aussprechen, aber man
hört ihn auf den Gängen, und er ist auch schon angeklungen -: Man kann nicht allen helfen .
Jetzt möchte ich eine Situation schildern, in die wir
uns hineinversetzen können . Stellen wir uns vor, wir
wären mit unserem schwerkranken Kind beim Arzt . Das
Wartezimmer ist rappelvoll . Die Sprechstundenzeit endet, aber drei Patienten sind noch nicht behandelt worden . Dann sagt der Arzt: Ich kann nicht allen helfen . Jetzt
ist die Sprechstunde geschlossen . - Ich frage uns alle
hier: Wer von uns würde das akzeptieren?
Ja, es gibt kein ethisches Prinzip, nach dem wir uns
überfordern sollen . Das wird von niemandem verlangt .
Aber es gibt ein ethisches Prinzip, da zu helfen, wo wir in
der Lage sind, zu helfen . Das ist für meine Begriffe hier
eindeutig der Fall .
({4})
Jetzt möchte ich zum Schluss etwas sagen, was mir
das Wichtigste ist . Wir müssen aufpassen, dass wir diese
Debatte um Flucht und Migration nicht immer kleinteilig
führen und immer nur von engen Grenzen und den Herausforderungen sprechen .
({5})
Es heißt, dass 70 Prozent der Flüchtlinge nur subsidiären
Schutz zuerkannt bekommen .
({6})
- Das sind die aktuellen Zahlen, Frau Lindholz .
({7})
70 Prozent der Flüchtlinge erhalten nur subsidiären
Schutz .
({8})
- Sie können das gleich richtigstellen . - Wenn das so
ist, wovon ich jetzt erst einmal ausgehe, dann bedeutet
das, dass diejenigen, die etwa von Terror, von Folter und
von Vergewaltigung bedroht sind und die aus politischen
Gründen oder wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit individuell verfolgt werden, gar keine Chance haben, aus dem
Bürgerkriegsland herauszukommen. Ich finde, das ist
doch das zentrale Thema, dem wir uns stellen müssen .
Wir müssen sagen: Als eine Wertegemeinschaft, die wir
sind, müssen wir den Menschen, die aufgrund eines Bürgerkrieges oder aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Gruppe an Leib und Leben bedroht sind, die
Chance geben, aus dieser Situation herauszukommen,
und sie hier aufnehmen .
({9})
Dem Kollegen Veit bin ich für seine Rede ebenfalls
sehr dankbar . Auch wenn er in der betreffenden Debatte
nicht anwesend war, so zählt er doch zu den größten Experten in diesem Hause und hat es gar nicht nötig, an jeder
Debatte teilzunehmen . Ich glaube, er hat es sehr klargemacht: Wir haben damals in einer Situation entschieden,
in der der Innenminister nach einem Flug vor die Presse
getreten ist und gesagt hat, dass für Syrer künftig nur der
subsidiäre Schutz gelten soll . Damals gab es einen Aufschrei, und dann wurde das zurückgenommen .
({10})
Wenn es nur um subsidiären Schutz gehen soll und die
Anerkennungsquoten von Syrerinnen und Syrern nach
der Flüchtlingskonvention so rückläufig sind, wie es zurzeit der Fall ist, dann ist auch für mich die Geschäftsgrundlage für unseren damaligen Kompromiss entfallen .
Deswegen bitte ich Sie, offen zu sein, damit wir bei
diesem Thema zueinanderfinden und Lösungen erarbeiten, damit wir den Menschen, die von der schlimmsten
Not betroffen sind, in diesem Land auch weiterhin helfen
können .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Dr . Castellucci . - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, auch der letzten Rednerin in der Debatte Gehör zu schenken . Ich gebe ihr jetzt das Wort . Die
letzte Rednerin in dieser Debatte: Andrea Lindholz für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber
diskutieren und debattieren wir heute eigentlich in diesem Haus? Eigentlich geht es um den Antrag der Linken
und den Gesetzentwurf der Grünen, in denen es darum
geht, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte, den
wir für zwei Jahre ausgesetzt haben, wieder zu ermöglichen .
Auch ich, sehr geehrter Herr Castellucci, könnte jetzt
von Einzelschicksalen aus meinem Wahlkreis erzählen,
von schlimmen Einzelschicksalen, die wir uns selber
nicht wünschen . Aber wir haben in Deutschland auch
nach unseren Möglichkeiten und Grenzen zu suchen, und
wir haben in Deutschland aktuell 1,7 Millionen Ausländer mit Bezug zu Asylverfahren .
Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht heute nicht
um den Familiennachzug von Flüchtlingen nach Artikel 16a unseres Grundgesetzes . Es geht nicht um den
Familiennachzug von Flüchtlingen nach der Genfer
Flüchtlingskonvention . Es geht gerade nicht um diese
Flüchtlinge, sehr geehrter Herr Castellucci, die persönliche Verfolgungsgründe haben, sondern es geht um die
Flüchtlinge, die bei uns nur subsidiären Schutz genießen,
das heißt zunächst für ein Jahr, der dann gegebenenfalls
verlängert wird .
Asylrecht ist vom Grundsatz her immer nur ein Anspruch auf Zeit; es ist kein Daueranspruch, in unserem
Land leben zu können .
({0})
Subsidiären Schutz haben im letzten Jahr 1,2 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge erhalten . Das waren
1 707 Personen . In diesem Jahr ist die Zahl auf 89 000
gestiegen . Das sind 31 Prozent . Der Rest fällt überwiegend unter die Genfer Flüchtlingskonvention . Das ist
so, nicht etwa, weil wir in einer Bananenrepublik leben,
sondern in einem Rechtsstaat, der dazu zurückgekehrt
ist, Einzelfallanhörungen durchzuführen und klar zu entscheiden, ob jemand, egal aus welchem Land er kommt,
Anspruch nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder
auf subsidiären Schutz hat .
Es geht nicht an, dass wir einfach so, ohne Prüfung im
schriftlichen Verfahren, über den Flüchtlingsstatus entscheiden . Insofern macht das Bundesamt nichts anderes,
als Recht und Gesetz anzuwenden . Es wurde auch ganz
klar gesagt, dass es keine Anweisung gibt, die im Übrigen auch rechtswidrig wäre .
({1})
- Mir ist schon klar, dass Sie nicht gerne Zahlen hören .
({2})
Sie hören nicht gerne, dass wir in Bayern 134 000 Flüchtlinge aufgenommen haben, dass wir allein in Bayern
4,5 Milliarden Euro investieren und dass der Bund bis
2020 94 Milliarden Euro ausgibt . Sie hören auch nicht
gerne Zahlen,
({3})
sondern Sie setzen sich mit Einzelschicksalen auseinander . Aber wir müssen das Große und Ganze im Blick behalten .
({4})
Frau Lindholz, Moment bitte . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Frau Lindholz redet gerade . Wir sind
gerade mitten in einer Debatte . Wir sind nicht auf dem
Pausenhof . Ich bitte alle, sich entweder zu setzen oder
die Gespräche draußen fortzuführen . Frau Lindholz hat
das Recht, dass man ihr zuhört, und ich bitte, dass dieses
Recht auch respektiert wird .
({0})
Das gilt für alle; Herr Hüppe, auch für Sie . - Frau
Lindholz, bitte .
Es gibt im Übrigen keine Möglichkeit, grenzenlose
Solidarität zu zeigen . Wenn ich mir die Reden der Kollegen von den Grünen und der Linken sowie die des einen
oder anderen Kollegen von der SPD vor Augen führe,
frage ich mich allen Ernstes: Haben Sie mit Kommunalpolitikern vor Ort gesprochen?
({0})
Diese können Ihnen erklären, wie schwierig die Situation
vor Ort ist, welche Probleme es bei der Unterbringung
und der Versorgung der Flüchtlinge gibt und dass der
Wohnungsmarkt angespannt ist .
Herr Kollege Veit, wir haben uns nicht aus Lust und
Laune für die begrenzte Aussetzung des Familiennachzugs beim subsidiären Schutz entschieden . Wir sind auch
nicht von falschen Zahlen ausgegangen . Die Union ist
von richtigen Zahlen ausgegangen . Wir haben zugleich
gesagt, dass die Betreffenden öfter subsidiären Schutz bekommen müssten, als dies aktuell der Fall ist . Wir haben
uns dennoch für eine begrenzte Aussetzung ausgesprochen, weil die Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten in den Kommunen aufgrund der Wohnraumknappheit beschränkt sind . Wir wollen die Zuwanderung
und die Integration steuern, ordnen und begrenzen . Sie
erwecken einen völlig falschen Eindruck, wenn Sie sagen, dass diese Entscheidung aufgrund falscher Zahlen
zustande kam .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist
es nicht erklärlich, warum Sie heute die Regelung, die
Sie gemeinsam mit uns im Februar unter bestimmten
Voraussetzungen beschlossen haben, in Abrede stellen .
Aber von den beiden Rednern der SPD war wohl nichts
anderes zu erwarten .
Ich möchte mir nicht länger den Vorwurf gefallen lassen, wir betrieben eine unmenschliche Politik .
({2})
Die Schweden haben im letzten und auch in diesem
Jahr unter einer rot-grünen Regierung ihr Asylrecht
verschärft . Die Schweden haben ebenfalls den Familiennachzug beschränkt . Warum haben sie das gemacht?
Weil auch die Schweden gemerkt haben, dass sie an ihre
Grenzen stoßen .
Frau Kollegin Jelpke, das Asylrecht ist kein schrankenloses Recht . Es stößt dann an seine Schranken, wenn
ein Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen . Auch ich möchte an dieser Stelle Papst Franziskus
zitieren . Er hat den Schweden gesagt: „Einen Flüchtling
muss man nicht nur empfangen, sondern auch integrieren .“ Wenn Schweden keine Flüchtlinge mehr empfangen könne, dann geschehe das nicht aus Egoismus, sondern, damit allen ein Zuhause und eine Arbeit gegeben
werden könne .
Wir sind davon noch immer weit entfernt .
({3})
Wir nehmen noch immer in erheblichem Umfang Flüchtlinge auf . Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
von 11 642 im vorletzten Jahr auf 42 309 angestiegen .
Die Zahl der Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen hat sich dieses Jahr vervielfacht . Wollen wir weiterhin mit unserer Politik dafür sorgen, dass hauptsächlich
junge Männer und unbegleitete Minderjährige auf den
gefährlichen Fluchtweg geschickt werden? Schon lange
kommen die Familienangehörigen im Rahmen des heute
zur Diskussion stehenden Familiennachzugs nicht mehr
direkt aus Syrien, sondern aus den Anrainerstaaten; das
steht sogar in der Antwort auf Ihre Anfrage . Es muss also
in erster Linie darum gehen, dass wir Hilfe vor Ort und
in den Anrainerstaaten leisten und dass wir in Europa ein
gut funktionierendes Asylsystem aufbauen .
Wir müssen im Hinblick auf die Aufnahmekapazität
in Deutschland steuern, ordnen und begrenzen . Nur dann
können wir das schultern . Die Akzeptanz in unserem
Land geht nicht dadurch verloren, dass wir den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre
aussetzen . Die Akzeptanz in unserem Land geht verloren, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass wir uns
nicht mehr um sie und ihre Probleme kümmern und dass
wir nicht mehr in der Lage sind, die Migration zu steuern, zu ordnen und zu begrenzen . Dieser Schritt war Teil
unserer Maßnahmen .
({4})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Vorlagen nicht zuzustimmen . Auch ich könnte Ihnen viele
Einzelfälle und Schicksale, die uns ans Herz gehen, als
humanitäre Beispiele nennen . Aber unsere Politik muss
sich daran orientieren, die Akzeptanz von Zuwanderung
und Migration in Deutschland zu erhalten . Aber Sie haben heute in keiner einzigen Rede von Deutschland, den
begrenzten Aufnahmemöglichkeiten der Kommunen und
den Problemen vor Ort gesprochen .
({5})
So verlieren wir die Akzeptanz in unserem Land .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Kollegin Lindholz . - Es tut mir leid,
dass es so unruhig war im Saal . Sie sollten einmal in
Ihren Fraktionen ansprechen, wie man mit Rednerinnen
und Rednern aus den eigenen Fraktionen umgeht .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10044 und 18/10243 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 e sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:
40 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Auflösung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und zur Änderung
weiterer Gesetze ({0})
Drucksache 18/10008
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes
Drucksache 18/10026
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht
des Bundes
Drucksache 18/10183
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 21. Dezember 2015
über eine verstärkte Partnerschaft und
Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und der Republik Kasachstan
andererseits
Drucksache 18/10212
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heidrun Bluhm, Norbert Müller ({5}),
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam
Drucksache 18/10061
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({6})
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reduzierung, Beschränkung und Verbesse-
rung von Tiertransporten
Drucksache 18/10251
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Existenzminimum verlässlich absichern,
gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen
Drucksache 18/10250
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Fairen Wettbewerb in der solidarischen
Krankenversicherung ermöglichen - Wei-
terentwicklung des morbiditätsorientierten
Risikostrukturausgleiches vorantreiben
Drucksache 18/10252
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 b bis 41 j auf . Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 41 b:
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias
W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Exportüberschüsse abbauen - Wende in der
Lohnpolitik einleiten
Drucksachen 18/4837, 18/6251
({9})
- Ich verstehe hier mein eigenes Wort nicht mehr . Ich
kann die Sitzung auch gerne unterbrechen; dann gehen
wir alle zum Mittagessen oder zum Kaffeetrinken . Aber
so macht es einfach keinen Sinn .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6251, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4837 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen war die Linke, und enthalten hat sich
Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 41 c bis 41 j .
Tagesordnungspunkt 41 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 367 zu Petitionen
Drucksache 18/10048
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 367 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 41 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 368 zu Petitionen
Drucksache 18/10049
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 368 ebenfalls
einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 41 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 369 zu Petitionen
Drucksache 18/10050
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Sammelübersicht 369 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen . Dagegengestimmt hat die Linke . Enthalten hat sich Bündnis 90/
Die Grünen .
Tagesordnungspunkt 41 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 370 zu Petitionen
Drucksache 18/10051
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 370 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 41 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 371 zu Petitionen
Drucksache 18/10052
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 371 ist einstimmig angenommen .
Ich will an dieser Stelle den Mitgliedern des Petitionsausschusses einmal für ihre wichtige Arbeit danken, die
sie für unser Parlament leisten .
({15})
Sie stehen nicht immer auf den Titelseiten der Zeitungen .
Ihre Arbeit ist praktisch nie Gegenstand der ersten Nachricht in der Tagesschau oder bei heute . Vielen herzlichen
Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das, was Sie
hier in diesem Parlament leisten .
({16})
Tagesordnungspunkt 41 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 372 zu Petitionen
Drucksache 18/10053
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 372 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke . Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen .
Tagesordnungspunkt 41 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 373 zu Petitionen
Drucksache 18/10054
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 373 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen . Dagegen war die Linke .
Tagesordnungspunkt 41 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Sammelübersicht 374 zu Petitionen
Drucksache 18/10055
Dazu gibt es drei Erklärungen nach § 31 der Ge-
schäftsordnung .1)
Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt
dagegen? - Die Sammelübersicht ist angenommen . Zu-
gestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Jetzt warten schon einige Kolleginnen und Kollegen
schön aufgereiht auf den nächsten Tagesordnungspunkt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahlvorschlag der Fraktion der SPD
Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums
gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes
Drucksache 18/10096
Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache 18/10096
den Abgeordneten Johannes Kahrs als ordentliches Mit-
glied und den Abgeordneten Dennis Rohde als Stellver-
treter vor .
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich - das ist wieder
eine Bitte; ich bin gespannt, ob mir diese Bitte irgendje-
mand erfüllt - für einige Hinweise zum Wahlverfahren
um Ihre Aufmerksamkeit .
Diese Wahl ist geheim . Zur Wahl sind die Stimmen
der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt
mindestens 316 Stimmen, erforderlich .
Für diese Wahl benötigen Sie Ihren gelben Wahlaus-
weis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimm-
kartenfächern in der Lobby entnehmen können . Die
Wahlunterlagen erhalten Sie von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den
Wahlkabinen . Zeigen Sie dort bitte Ihren Wahlausweis
vor . Dort erhalten Sie die gelbe Stimmkarte für die Wahl
des ordentlichen Mitglieds und die blaue Stimmkarte
für die Wahl des stellvertretenden Mitglieds sowie einen
Wahlumschlag .
Auf jeder der beiden Stimmkarten können Sie jeweils
ein Kreuz machen . Sie können „ja“, „nein“ oder „ent-
halte mich“ ankreuzen . Ungültig sind Stimmkarten, die
kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder
Zusätze enthalten . Das müsste Ihnen eigentlich bekannt
sein .
Die Wahl ist geheim . Das heißt, Sie dürfen Ihre beiden
Stimmkarten nur in der Wahlkabine ankreuzen und müs-
sen beide Stimmkarten ebenfalls noch in der Wahlkabine
in den Umschlag legen . Anderenfalls wäre die Stimmab-
gabe ungültig . Die Wahl kann in diesem Fall vorschrifts-
mäßig wiederholt werden . Das wollen Sie sicherlich ver-
meiden . Halten Sie sich deswegen bitte an die Regeln!
Die Schriftführerinnen und Schriftführer werden darauf
achten .
1) Anlage 2
Bevor Sie den Wahlumschlag in die Wahlurne werfen,
müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an
der Wahlurne Ihren gelben Wahlausweis übergeben . Die
Abgabe des Wahlausweises dient als Nachweis für die
Beteiligung an der Wahl . Kontrollieren Sie daher bitte,
ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt .
Soll ich das jetzt wiederholen, oder ist das angekommen? Das kann ich gerne machen .
({20})
- Gut, dann wiederhole ich das nicht mehr . Sie haben
alles zu hundert Prozent verstanden .
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Ich sehe, dass
die Tische besetzt sind . Damit eröffne ich die Wahl .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Mitglieder
des Hauses ihre Stimme noch nicht abgegeben? - Dann
bitte ich, dies jetzt zu tun .
Gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die
oder der die Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist
nicht der Fall . Dann schließe ich die Wahl und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen dann
später bekannt gegeben .2)
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, auch diejenigen auf der Regierungsbank, jetzt bitten, ihre Plätze
einzunehmen, damit wir in unserer Sitzung fortfahren
können .
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Vereinbarte Debatte
zur aktuellen Lage in der Türkei
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . Gibt es dagegen
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat der
Außenminister Frank-Walter Steinmeier für die Bundesregierung das Wort .
({21})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Welt ist vorgestern Nacht nicht einfacher geworden .
({0})
Die Sorgen vieler Menschen sind eher größer geworden,
und das in einer Zeit, in der die Welt wahrlich genug An-
lass zur Sorge hat . Einer dieser Anlässe ist die sich seit
Monaten zuspitzende Lage in der Türkei, über die wir
heute sprechen und diskutieren können . Ich danke für
die Initiative aus den Fraktionen zu dieser Vereinbarten
Debatte, nicht nur, weil wir unsere Sorgen ausdrücken
wollen über Entlassungswellen, Inhaftierungen, Repres-
2) Ergebnis Seite 19815 B
Vizepräsidentin Claudia Roth
salien, sondern weil wir auch über Konsequenzen in
unserem Handeln nachdenken müssen . Ich würde mich
freuen, wenn wir es uns dabei nicht zu einfach machen,
indem wir entweder diskutieren längs eigener Vorurteile oder Feindbilder gegenüber der Türkei oder Erdogan
oder aber nach dem Grundsatz: Ich habe es schon immer
gewusst . - Die einfachen Lösungen, die ohnehin selten
sind, stehen uns im Falle der Türkei, liebe Kolleginnen
und Kollegen, erst recht nicht zur Verfügung .
Ich schlage vor, dass wir zunächst einmal anerkennen:
Die Türkei erlebt stürmische und bedrohliche Zeiten; und
das erleben nicht in erster Linie wir in Deutschland, sondern das erleben vor allen Dingen die Menschen in der
Türkei . Viele Menschen dort leiden unter den seit Wochen wachsenden Spannungen, machen sich Sorgen um
die Richtung, die das Land einschlägt . In Deutschland
haben viele Mitbürger Verwandte, Familie, Freunde in
der Türkei . Natürlich geht ihnen allen die Unruhe in der
Türkei noch viel näher, und sie leiden mit .
Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns
zu Anfang gemeinsam Solidarität zeigen: Wir Deutschen
stehen an der Seite der Menschen in der Türkei, und wir
wollen alles tun und dazu beitragen, die türkische Demokratie zu festigen .
({1})
Es sind bedrohliche Zeiten für die Türkei in gleich
mehrerer Hinsicht: Direkt an den Außengrenzen der Türkei toben die schwersten Konflikte unserer Zeit. Rund
3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien hat die Türkei aufgenommen . Die inneren Spannungen des Landes sind weiter ungelöst . Die Versöhnungsversuche der letzten Jahre
sind dahin . Der Brückenbau zum kurdischen Südosten
ist abgebrochen . Und dann im Juli der Putschversuch,
der die Türkei erschüttert hat, ein Angriff auf das Herz
der türkischen Demokratie . Es ist ein Glück, dass dieser
Versuch schnell gescheitert ist . Wir trauern um die Opfer
der Putschnacht, und wir bewundern die vielen, vielen
couragierten Menschen in der Türkei, die in dieser Nacht
die Verfassung und die demokratischen Institutionen verteidigt haben .
({2})
Natürlich wissen wir um die terroristische Bedrohung .
Der sogenannte „Islamische Staat“ hat in den letzten
Monaten mehrfach in der Türkei zugeschlagen und viel
zu viele Menschenleben gekostet, unter ihnen auch elf
Deutsche in Istanbul am Anfang dieses Jahres .
Noch viel mehr Menschen in der Türkei leben in der
ständigen Angst vor den perfiden Waffen des Terrors.
Unsere Haltung ist klar und unmissverständlich: Wir
verurteilen den Putschversuch . Was geschehen ist, muss
aufgearbeitet werden: politisch und auch strafrechtlich;
keine Frage . Wir verurteilen jede Form des Terrorismus
und gehen mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen terroristische Strukturen vor, inklusive der PKK . Das ist
und das bleibt unsere Haltung . Deshalb kann ich die anderslautenden öffentlichen Vorwürfe meines türkischen
Kollegen nicht nachvollziehen . Ich weise sie entschieden
und mit Nachdruck zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Aber wenn wir die aktuellen Turbulenzen in der Türkei analysieren, dann müssen wir eben auch fragen, ob
das, was wir jetzt beobachten, ob der Personenkreis
derjenigen, die jetzt verfolgt werden, wirklich noch im
Zusammenhang mit dem Putschversuch oder dem Terrorismus steht . Vor allem müssen wir fragen, ob das Vorgehen der türkischen Regierung mit den Mindeststandards
rechtsstaatlicher Verfahren vereinbar ist . Auch darüber
müssen wir heute debattieren und mit der Türkei notfalls
darüber streiten .
({4})
All die Stürme, all die Turbulenzen, die die Türkei
erlebt, deuten in meinen Augen am Ende ganz klar auf
eines hin: Die Türkei steht an einer Wegscheide . Es geht
um die Richtung des Landes: entweder hin nach Europa
oder weg von Europa, hin zu einer verfassten Demokratie, inklusive einer respektierten parlamentarischen Opposition, oder weg von ihr .
Ich glaube, wir sollten an dieser Wegscheide ein deutliches Signal an die Türkei senden, und das Signal heißt:
Wir stehen für die europäische Bindung der Türkei . Wir
wollen die europäische Bindung der Türkei . Und wenn
ich mir die Krisen und Konflikte in der Nachbarschaft
der Türkei anschaue, dann sage ich als Außenminister
ganz offen: Wir brauchen die europäische Bindung der
Türkei .
({5})
Wenn wir einen nüchternen Blick auf die Fakten werfen, dann stellen wir fest: Die europäische Bindung liegt
auch im Interesse der Türkei, ob wir über die wirtschaftlichen Verbindungen nach Europa und Deutschland reden oder über Sicherheit . Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, so klar diese Fakten, so klar unsere Signale
sein mögen: Die Verantwortung für die Richtung, die die
Türkei nimmt, liegt allein in der Türkei und nirgendwo
anders .
Die letzten Wochen haben uns leider gezeigt, dass die
Entscheidungen und Maßnahmen der türkischen Führung
und auch die rhetorische Eskalation gegenüber engsten
Partnern wohl in eine andere Richtung weisen . Ja, wir
wünschen uns gute Beziehungen zur Türkei, aber die Realität hat sich verändert, und darauf müssen wir unsere
Politik ausrichten . Das hat aus meiner Sicht zwei Seiten:
Wir lassen die politische Führung dort nicht aus der
Verantwortung . Wir suchen weiterhin und gerade jetzt
noch intensiver das Gespräch mit der Regierung . Nächsten Dienstag werde ich zu politischen Gesprächen nach
Ankara reisen . Die Sorgen über das, was in der Türkei
passiert, betreffen am Ende nicht nur unser bilaterales
Verhältnis, sondern sie betreffen die vielen internationalen Institutionen, in denen wir mit der Türkei verbunden
sind . Auch da gehören die Themen hin; denn viele der
internationalen Bündnisse sind nicht einfach nur Zweckbündnisse, sondern sie sind auch Wertebündnisse . Das
ist natürlich der Europarat, das ist aber auch die NATO .
Wenn wir die politische Führung in der Türkei in Verantwortung einbinden wollen, dann müssen wir auch diese
Foren für kontroverse Debatten nutzen, um wenigstens
unseren Standpunkt gegenüber der Türkei klarzumachen .
Deshalb gehört in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch
ein Wort zum Verhältnis der Türkei zur EU . Natürlich das haben Sie, ich, wir alle miteinander erlebt - kriegen
Sie als Politiker am leichtesten Beifall, wenn Sie in jedes
Mikrofon „Abbruch aller Gespräche“ sagen . Die Frage ist nur: Ist das klug? Sollten wirklich wir diejenigen
sein, die jetzt die Tür zuwerfen? Klar ist doch: Wenn die
Türkei die Todesstrafe wiedereinführen sollte, dann ist
das unmissverständlich das Ende der Beitrittsgespräche .
Aber zugleich weiß ich doch: Wenn wir jetzt die Tür zuschlagen, den Schlüssel wegwerfen, dann enttäuschen
wir viele Menschen in der Türkei, die gerade jetzt Hilfe suchend nach Europa schauen und auf Unterstützung
hoffen . Deshalb ist das meiner Meinung nach eben nicht
der klügste Weg .
({6})
Der Dialog mit der politischen Führung ist die eine
Seite . Die andere Seite ist die Zivilgesellschaft . Wenn die
Zivilgesellschaft in ihrer Existenz bedroht ist, dann ist
die Demokratie in ihrer Existenz bedroht . Das ist unsere
Erfahrung . Gerade wir Deutsche wissen, wie unendlich
wichtig die rechtsstaatlich garantierten Freiräume für
Journalismus, Kultur und Wissenschaft sind . Wir wissen
auch, wie gefährlich es ist, wenn diese Freiräume unablässig beschnitten werden . Deshalb will ich heute ein
Bündel an Maßnahmen vorschlagen, um der türkischen
Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken .
Erstens . Wir wollen versuchen, verfolgten Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und Journalisten, die in der
Türkei nicht mehr arbeiten können, hier in Deutschland
die Weiterarbeit zu ermöglichen .
({7})
Wir wollen die Stipendien der Philipp-Schwartz-Initiative für türkische Forscher deutlich aufstocken, und wir
wollen gemeinsam mit der deutschen Kultur- und Medienszene Möglichkeiten für türkische Journalisten und
Kulturschaffende schaffen .
Zweitens . Wir setzen auf den Austausch unter jungen
Menschen . Wir wollen die Deutsch-Türkische Jugendbrücke auch finanziell stärken.
({8})
Drittens . Wir wollen in der Türkei Freiräume für die
Zivilgesellschaft schaffen . Wir wollen die Ernst-Reuter-Initiative neu beleben, und wir wollen beim Goethe-Institut dafür werben, dass es einen Ort für die Zivilgesellschaft in Diyarbakir eröffnet, also gerade in einer
kurdisch geprägten Region, und das Modell auf Ismir
und Gaziantep erweitert .
({9})
Viertens . Wir wollen mithelfen, dass die unabhängige
und vielfältige Berichterstattung in der Türkei erhalten
bleibt . Wir fördern mittlerweile diverse Onlinemedienprojekte, zum Beispiel das Nachrichtenportal eurotopics,
das über aktuelle europäische Debatten auf Türkisch berichtet .
Schließlich werden wir unsere Rolle als Gastland der
Istanbuler Buchmesse nutzen und uns gerade dort für
die Freiheit des Wortes, für den Schutz von Kunst und
Künstlern starkmachen .
Dieses Paket für die Zivilgesellschaft gehört jetzt genauso essenziell zu unseren Aufgaben wie der intensivierte Dialog, möglicherweise auch die Kontroverse mit
der politischen Führung . Beides werde ich in der nächsten Woche, am kommenden Dienstag, in Ankara weiterverfolgen .
({10})
Zum Schluss will ich den Blick etwas weiten: Wenn
wir auf die Türkei, aber auch auf die wachsenden Fliehkräfte bei uns in Europa und natürlich auf das Wahlergebnis sowie den Wahlkampf in den USA schauen, dann
begleiten uns dabei in der Tat viele Sorgen . Aber wir sollten in unserer eigenen Haltung umso fester stehen . Wir
wissen, auf welchen Werten wir stehen, und vor allem,
welche politische Kultur wir uns erhalten wollen . Denn
wir wissen: Aus Polarisierung und grenzenloser Konfrontation ist noch nie Gutes erwachsen . Das sagen wir
auch unseren Freunden in der Türkei . Doch die Entscheidung über den Weg, die wird weiter in Ankara liegen .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Dietmar
Bartsch für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einigen Wochen war der Vorsitzende der HDP, Herr Demirtas,
bei uns zu Gast . Wir haben miteinander gesprochen . Zum
Abschluss sagte er zu mir: Den nächsten Kontakt werden
wir vermutlich über Briefe aus dem Gefängnis haben . Ich habe das, ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten
und eher für eine sarkastische Überspitzung - trotz der
Kenntnis von den Entwicklungen in der Türkei in den
letzten Monaten . Aber, meine Damen und Herren, wir
alle wissen, genau das ist auf furchtbare Art und Weise
eingetreten .
Wir haben die Entwicklung gesehen: die gewaltsame
Niederschlagung der Proteste im Gezi-Park, die Niederschlagung der Demonstrationen zum Weltfrauentag, die
Unterstützung der Türkei für den IS - die Türkei war und
ist Transitland des Terrorismus - und, und, und . Auch der
jetzt vorgelegte Bericht der EU-Kommission fällt ein katastrophales Urteil über die Türkei .
Lieber Frank-Walter Steinmeier, es geht auch uns nicht
um einfache Lösungen . Niemand hat einfache Lösungen .
Aber das Entscheidende ist: Die Bundesregierung hat in
all der Zeit ihre Politik gegenüber der Türkei faktisch
nicht verändert . Es gibt keine realen Konsequenzen . Sie
haben sogar das Gegenteil gemacht . Ich will einmal daran erinnern: 14 Tage vor der Wahl ist Bundeskanzlerin
Angela Merkel zu Herrn Erdogan gefahren, um ihn de
facto zu unterstützen . Was ist denn das sonst?
({0})
Das ist de facto Wahlunterstützung . Damit haben Sie
Menschenrechte und Demokratie mit auf den Verhandlungstisch gelegt . Das ist die reale Situation .
({1})
Aber Menschenrechte und Demokratie gehören niemals
und nirgendwo auf den Verhandlungstisch .
({2})
Ich habe die kritischen Worte eben zur Kenntnis genommen . Auch Ihre Maßnahmen können wir vermutlich
weitgehend mittragen . Aber real ist es so: Sie machen gegenüber der Türkei eine Appeasement-Politik und nichts
anderes .
({3})
Im Übrigen ist das auch heute sichtbar . Wir hätten
überhaupt keine Debatte, wenn wir nicht eine Aktuelle
Stunde beantragt hätten . Jetzt ist es, Gott sei Dank, eine
vereinbarte Debatte . Ich hätte mir heute eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin gewünscht . Das wäre angemessen .
({4})
Hier ist nicht ein CDU/CSU-Minister anwesend, während Sie, Herr Steinmeier, hier eine Rede halten . Das ist
nicht akzeptabel .
Es ist gut, dass alle Parteien die Verhaftung von
HDP-Abgeordneten und kurdischen Bürgermeistern verurteilen . Das ist auch wichtig . Aber wichtig sind nicht
nur deutliche Worte der Bundesregierung, sondern konkretes Handeln ist notwendig . Wir alle kennen doch die
Zahlen: Unter dem Vorwand der Aufklärung des Putsches
sind 130 000 Beamte, Lehrer, Wissenschaftler, Journalisten und Polizisten entlassen worden . Es gibt 30 000 Inhaftierte . Unabhängigkeit der Justiz? Fehlanzeige . Über
100 Medien, also Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen, wurden verboten . Can Dündar ist verhaftet worden .
Da sagen Sie hier: Die Vielfalt soll erhalten bleiben . Das
ist doch wohl ein Witz . Meinungsfreiheit in der Türkei?
Fehlanzeige .
({5})
Dass jetzt Abgeordnete der Opposition verhaftet werden - im Übrigen auch die beiden Parteivorsitzenden der
HDP -, ist völlig inakzeptabel . Da sind wir doch alle einer Meinung .
({6})
Das geht weiter . Auch alle Abgeordneten der CHP sind
von Erdogan angezeigt worden, weil sie sich dagegengestellt haben . Wir lange wollen wir da noch weiter zusehen? Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden dazu nicht
schweigen . Wir werden das immer wieder im Parlament
und in der Öffentlichkeit thematisieren . Da helfen keine
Worte . Frau Merkel muss bereit sein, ihre Politik gegenüber Erdogan zu ändern .
({7})
Ich habe das Gefühl, dass ihr Verhalten irgendetwas mit
dem Flüchtlingsdeal zu tun hat .
Ich will eines sagen: Realität ist, dass die Zahl der
Waffenexporte in die Türkei in all den Monaten weiter
gestiegen ist . In den letzten zwei Jahren, seit Beginn der
Flüchtlingskrise, ist die Türkei im Ranking bei den Waffenexporten von Platz 25 auf Platz 8 vorgerückt . Sie tragen die Verantwortung für die Waffenexporte in dieses
Land .
({8})
Der Umfang der Waffenlieferungen beträgt rund
200 Millionen Euro. Darunter befindet sich sogar Ausrüstung in Höhe von 420 000 Euro, die in der Anti-Folter-Verordnung aufgeführt ist . So etwas exportieren Sie .
Sie können nicht einmal sagen, wo diese Güter alle bleiben . Wir haben die Bundesregierung gefragt, und sie
konnte keine Antwort geben . Sie sollten sich teilweise
einmal selber zuhören . Gabriel sagt:
Wir prüfen bei den Genehmigungen stets im Einzelfall nach Lage vor Ort, wobei gerade auch die
Menschenrechtslage eine wichtige Rolle spielt .
Gleichzeitig bietet Ihr Staatsminister Roth offensiv politisches Asyl für Verfolgte . Kann das vielleicht ein Widerspruch sein?
({9})
Obwohl die Repressionen gegen Oppositionelle, gegen Journalisten und gegen Kurden weiter zunehmen,
setzen Sie auf militärische Zusammenarbeit mit der Türkei . Heute wollen Sie das Mandat in Incirlik verlängern .
Dazu gibt es dann noch eine windelweiche Erklärung,
dass sich die Bundesregierung dafür einsetzen will, dass
Abgeordnete den Stützpunkt weiterhin besuchen dürfen . Das ist ein NATO-Partner . Wo leben wir denn? Sie
sagen im Kern: Erdogan, wir brauchen Sie, Sie können
sich daher alles erlauben . - Aber wir sagen: Beenden Sie
den menschenunwürdigen Flüchtlingsdeal mit der Türkei . Beenden Sie die Rüstungsexporte in die Türkei . Die
Beitrittsverhandlungen müssen gestoppt werden . Setzen
Sie sich unmissverständlich für die Freilassung aller Abgeordneten ein .
({10})
Dies sollten wir möglichst alle gemeinsam tun . Aber die
Bundesregierung trägt hier nun einmal eine andere Verantwortung .
Herzlichen Dank .
({11})
Als nächster Redner hat Dr . Franz Jung von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich denke schon, dass die aktuelle politische
Lage in der Türkei mehr als besorgniserregend ist, insbesondere unter dem Aspekt der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Meinungs- und Pressefreiheit . Wir
verkennen nicht, dass auch der Putschversuch in der
Türkei, durch den man mit Gewalt einen Umsturz herbeiführen wollte, unter keinem demokratischen Aspekt
akzeptabel war; denn Bombenangriffe auf ein Parlament
sind nicht akzeptabel . Aber auch das Ausmaß der Säuberungen und der Repressalien nach dem Putsch hat nichts
mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und
Pressefreiheit zu tun .
({0})
Deshalb sind auch die Verhaftungen von und die Repressalien gegenüber frei gewählten Abgeordneten mit Nachdruck zu verurteilen .
Ich will das aufnehmen, was der Außenminister hier
gesagt hat . Die Türkei steht erheblichen Herausforderungen gegenüber, auch was beispielsweise Angriffe
und Terroranschläge anbetrifft, etwa durch ISIS oder die
PKK . Wenn ich es richtig gesehen habe, hat es heute wieder einen Anschlag gegeben . Die Türkei hatte in den letzten Wochen mit die meisten Anschläge zu ertragen . Dass
deshalb aber Verhaftungen von frei gewählten Abgeordneten durchgeführt werden, kann unter keinem Gesichtspunkt akzeptiert werden . Das hat mit Terrorbekämpfung
wahrlich nichts zu tun .
({1})
Ich stelle mir die Frage, ob der türkische Präsident auch im Hinblick auf die Sicherheit in seinem eigenen
Land - nicht klüger beraten wäre, wenn er zu dem Versöhnungsprozess mit der PKK zurückkehren würde, um
dadurch gegebenenfalls Anschläge in der Zukunft zu verhindern .
({2})
Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist die Aussage
von Präsident Erdogan, Deutschland sei ein sicherer
Hafen für Terroristen, nicht nur falsch, sondern solche
Unterstellungen sind - erst recht gegenüber einem Bündnispartner - auch völlig inakzeptabel .
({3})
Meine Damen und Herren, denkt man an die Entwicklung in der Türkei, im Land Kemal Atatürks, muss man
leider feststellen, dass die Politik von Präsident Erdogan
mit der Politik von Kemal Atatürk nun wahrlich nichts
mehr zu tun hat . Er will das Land in einen autoritären,
islamisch und nationalistisch geprägten Staat umbauen .
Das hat mit den Wertgrundsätzen Europas und der NATO
nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun .
({4})
Wir müssen schon darüber nachdenken, welche Maßnahmen wir ergreifen . Der Außenminister hat gerade ein
paar Punkte angesprochen . Ich will etwas zu der Forderung, die Beitrittsverhandlungen jetzt auszusetzen, sagen . Unabhängig von der Tatsache, dass die Europäische
Kommission hier anders entschieden hat, glaube ich,
dass es nicht richtig wäre, den Dialog, der notwendiger
denn je ist, jetzt zu unterbrechen . Ich glaube, dass es notwendig ist, das aufzunehmen, was der türkische Außenminister gesagt hat . Er sagte: Wir sollten mit Europa wieder zu der positiven Agenda zurückkehren . - Vor diesem
Hintergrund müssen wir den türkischen Außenminister
natürlich auch daran erinnern, dass er zuerst zu den Werten Europas zurückkehren muss, bevor wir diese Agenda
wieder aufnehmen können .
Meine Damen und Herren, in der Türkei herrscht eine
Atmosphäre der Einschüchterung und der Gewalt . Die
Menschen leiden unter Existenzangst, und sie hoffen auf
Europa und die NATO . Gerade deshalb müssen wir jetzt
Solidarität mit den Menschen in der Türkei zeigen . Ich
finde, es war richtig, dass sich Staatsministerin Böhmer,
als sie mit Kolleginnen und Kollegen in der Türkei war,
im türkischen Parlament mit Abgeordneten der HDP
getroffen hat . Ebenso war es richtig, dass Botschafter
Erdmann die Redaktion von Cumhuriyet besucht hat .
Ich glaube, es war auch ein richtiges Zeichen, dass der
Bundespräsident den Journalisten Can Dündar zu einem
Gespräch eingeladen hat .
({5})
Auch wenn wir aus all diesen Gründen zu dem Ergebnis
kommen, dass die Beitrittsverhandlungen nicht auszusetzen sind, so sehe ich angesichts der derzeitigen politischen Situation aber keine Möglichkeit, weitere Verhandlungskapitel zu eröffnen .
({6})
Meine Damen und Herren, eines sollte aus meiner
Sicht allerdings auch klar sein: Wenn der türkische Präsident und das türkische Parlament die Wiedereinführung
der Todesstrafe beschließen sollten, dann bleibt uns keine
andere Wahl, als erstens die Beitrittsverhandlungen komplett auszusetzen und zweitens die Mitgliedschaft der
Türkei im Europarat zu beenden .
({7})
Kollege Bartsch, ich glaube, in Bezug auf das Flüchtlingsabkommen wird eines oft vergessen: Dieses Abkommen ist durchaus auch im Interesse der Flüchtlinge .
Seit dem Abschluss dieses Abkommens ist kein einziger
Flüchtling mehr in der Ägäis ertrunken .
({8})
- Seitdem das Abkommen funktioniert, ist diese Zahl
unbestritten erheblich zurückgegangen . Die Situation im
Mittelmeer sieht anders aus .
In diesem Abkommen geht es natürlich auch um die
Interessen der Türkei in Bezug auf finanzielle Aspekte.
Ich glaube aber, dieses Abkommen dient insbesondere
auch den Flüchtlingen . Deshalb darf man das in diesem
Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren .
Ich füge aber auch hinzu: Gerade jetzt - wir haben
über Terrorismus gesprochen -, da der Kampf gegen
ISIS unmittelbar in Mosul und Rakka stattfindet - dort
wird der Terrorismus durch die internationale Allianz bekämpft -, wäre es ein völlig falsches Signal, wenn wir die
Solidarität mit der internationalen Allianz beenden und
aus Incirlik abziehen würden .
({9})
Ich halte es aber schon für notwendig - um das klar
zu sagen -, dass auch die NATO deutlich macht, dass das
derzeitige politische Vorgehen in der Türkei nichts mehr
mit den Wertgrundsätzen der NATO zu tun hat . Aufgrund der Flüchtlingssituation und angesichts der Tatsache, dass die Türkei Nachbar von fragilen Staaten wie
Syrien und dem Irak ist und vom Terror durch ISIS und
die PKK bedroht wird, glaube ich aber, dass alles dafür
spricht, dass die Beziehungen zur NATO und zu Europa
auch vonseiten der Türkei aufrechterhalten werden und
sie wieder zu den Grundsätzen zurückkehrt, die Europa
und die NATO prägen .
Meine Damen und Herren, ein letzter Gedanke: Ich
glaube, in diesem Zusammenhang darf man auch den
Faktor Wirtschaft nicht ganz verkennen, der hier auch
eine Rolle spielt . Die Türkei hat schon einen erheblichen
Einbruch des Tourismus zu verzeichnen . Auch die wirtschaftlichen Investitionen sind zurückgegangen . 60 Prozent der Investitionen in der Türkei stammen aus Europa .
Deshalb muss der Präsident auch wissen, dass er seinem
Land mit seiner Politik erheblichen wirtschaftlichen
Schaden zufügt .
Ich denke, aufgrund all dieser Aspekte muss sowohl
gegenüber dem türkischen Präsidenten als auch gegenüber der türkischen Regierung die klare Aufforderung
bestehen: Kehren Sie zurück zu den Werten Europas und
der NATO, zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit und
zur Presse- und Meinungsfreiheit!
Besten Dank .
({10})
Claudia Roth spricht als nächste Rednerin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was wir in dieser erschreckenden Zeit in der
Türkei erleben, ist nichts anderes als ein Gegenputsch
von oben . Tayyip Erdogan spaltet, polarisiert, eskaliert,
verbreitet Angst und Schrecken und beugt auch die türkische Verfassung . Das macht ihn mehr und mehr zum Totengräber von Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei .
Mit seiner Außenpolitik verfolgt er einen brandgefährlichen, aggressiven Expansionskurs, wie es ihn auch
im Irak gegen den Willen der irakischen Regierung und
gegen den Willen des irakischen Parlaments gibt . Mosul
wird mehr und mehr zum blutigen Schauplatz regionaler
Machtinteressen - auch der Interessen von Erdogan . Er
träumt von seinem osmanischen Reich, er stellt Landesgrenzen infrage und ähnelt damit beängstigend Wladimir
Putin .
({0})
Mit der Verhaftung von Selahattin Demirtas und Figen
Yüksedag, praktisch der Parteispitze der HDP, und zahlreicher weiterer Abgeordneter, die der Massenverhaftung
von Bürgermeistern und Kommunalpolitikern, unter
anderem in Diyarbakir, folgte, höhlt Erdogan demokratische Institutionen aus, greift er legitimierte Volksvertreter und Volksvertreterinnen an und beraubt sie ihrer fundamentalen Rechte . Das fordert von uns allen - von uns
allen - unseren lauten Protest, unsere klare Solidarität
und die Forderung nach Freilassung unserer Kolleginnen
und Kollegen, so wie es Bundestagspräsident Lammert
heute Morgen getan hat .
({1})
Erdogan macht mit seiner Politik klar: Er will keine
politische Lösung der kurdischen Frage, die längst überfällig ist . Er will nicht das Ende der Gewalt, das wir auch
von der PKK einfordern . Er ist nicht bereit, den blutigen
Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu beenden, einen
Krieg, der so viele Opfer gefordert hat und der flächendeckend ganze Städte zerstört hat . Schauen Sie sich die
Bilder von Cizre an, schauen Sie sich die Bilder der Innenstadt von Diyarbakir an: Sie gibt es nicht mehr .
Erdogan grenzt darüber hinaus über 5 Millionen Wähler und Wählerinnen der HDP aus und macht so ihre
Wahlentscheidung zunichte, Menschen, die für die ofDr. Franz Josef Jung
fene, für die demokratische, für die europäische Türkei
stehen . Wir vergessen sie nicht;
({2})
denn Vergessen tötet in der Türkei im Herbst 2016 .
({3})
Wir vergessen sie nicht, die verhafteten Redakteure und
Murat Sabuncu, den Chefredakteur der liberalen Cumhuriyet, die mitnichten Unterstützerin der PKK ist, sondern
immer schon Verfechterin der säkularen, der kemalistischen Türkei war .
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Joachim Gauck
dafür, dass er Can Dündar, den vorigen Chefredakteur,
offiziell empfangen hat - ein wichtiges Zeichen, ein
wichtiges Signal,
({4})
genauso wichtig wie die Auszeichnung der Cumhuriyet
mit dem alternativen Nobelpreis . Das können wir hier
auch gemeinsam feiern .
Wir vergessen sie nicht, die Presse- und die Meinungsfreiheit, die hinter Gittern ist, und nicht das Demonstrationsrecht, das mit Wasserwerfern und Gummigeschossen niedergemacht wird . Wir vergessen sie nicht, die
110 000 Richter und Richterinnen, Staatsanwälte, Polizisten und Polizistinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Beamte, die entlassen oder eingesperrt wurden . Wir vergessen
nicht über 5 000 Professoren, Dozenten, Dekane, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von den Universitäten
verwiesen wurden, übrigens auch von der Deutsch-Türkischen Universität, weil manche von ihnen einen Aufruf
unterzeichnet haben, einen Aufruf, mit dem sie für den
Frieden in der Türkei eintreten . All das ist eine massive
Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei .
({5})
Wenn wir uns die 110 000 Menschen vor Augen führen, diese beispiellose Säuberungsaktion, dann ist das mit
überhaupt gar keinem Argument zu rechtfertigen, weil es
sich bei weitem nicht um die Gülen-Bewegung handelt .
Aber ich sage: Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei sind eben noch nicht vollständig verschwunden . Es
gibt sie noch, die Journalisten und Journalistinnen, die
Autoren und Autorinnen, die Künstler und die Künstlerinnen, die Intellektuellen, die mutigen Frauen und Männer, all diejenigen, die Erdogan nicht unterstützt haben .
Das sind sehr viele, und auch sie dürfen wir nicht vergessen .
({6})
Doch nicht zuletzt mit der Ankündigung, im Parlament über die Todesstrafe abstimmen zu lassen, wissend,
dass er dafür die Mehrheit von AKP und MHP hat, verfolgt Erdogan gnadenlos seinen Kurs in Richtung absolutistischer Alleinherrschaft, und er führt die Türkei Schritt
für Schritt in eine Diktatur . Damit entfernt er die Türkei
sehr gewollt und sehr bewusst vom Europarat und von
der EU-Beitrittsperspektive . Das kann uns überhaupt
nicht egal und schon gar nicht recht sein; denn die Türkei ist doch nicht nur ein Nachbarland der EU, ein strategischer Partner in der Region . Nein, es verbindet uns
so viel mehr, da in Deutschland fast 3 Millionen türkeistämmige Menschen leben und so viele Deutsche in die
Türkei reisen, dort arbeiten und dort ihren Lebensmittelpunkt haben .
Durch die Zollunion sind die wirtschaftlichen Beziehungen intensiv und tief wie auch die Beziehungen in
den Bereichen der Kultur, der Bildung, der Wissenschaft
und des Sports . Das ist doch der eigentliche Grund, warum wir alle so schockiert, so fassungslos und so tief
besorgt über die Entwicklungen in der Türkei sind . Sie
haben mit uns zu tun und wirken unmittelbar auch bei
uns - im Guten wie im Schlechten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie angesichts brutaler Gewalt, angesichts systematischer Verfolgung, angesichts gnadenloser Repression und Entrechtung, angesichts eines Erdogans, der täglich neue
Fluchtgründe schafft - danke an Michael Roth dafür,
dass er sehr deutlich gemacht hat, dass wir in Deutschland selbstverständlich Verfolgte aus der Türkei aufnehmen -: Will hier in diesem Haus wirklich irgendjemand
ernsthaft behaupten, die Türkei sei ein sicherer Drittstaat
oder ein sicheres Herkunftsland?
({7})
Wie verträgt sich dann die Realität, so wie sie ist und
nicht so, wie sie aus innenpolitischem Interesse beschrieben wird, mit den notwendigen Voraussetzungen für den
EU-Flüchtlingsdeal, zu dem übrigens auch die Genfer
Flüchtlingskonvention gehört, deren Kriterien die Türkei aber nicht erfüllt? Sie verträgt sich nicht . Dieser Deal
muss beendet werden .
({8})
Er muss auch beendet werden, weil Erdogan uns damit
vorführt, uns erpressbar macht und wir ihn damit auch
noch stärken . Wenn ich die Beendigung des Deals fordere, muss das aber auch heißen: Unterstützung für die Millionen Flüchtlinge in der Türkei und Unterstützung für
Griechenland, das mit der Herausforderung doch schon
heute völlig überfordert ist .
Es bleibt richtig, auch wenn die Widerstände groß
sind: Wir brauchen endlich eine solidarische EU-Flüchtlingspolitik, die nicht auf Abschottung, sondern auf humanitäre Schutzverantwortung setzt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch und gerade für
NATO-Mitglieder gelten doch die Regeln dieser Wertegemeinschaft . Das kann aber doch nicht heißen: Krieg im
eigenen Land . Das kann auch nicht heißen: militärische
Bekämpfung der kurdischen Einheiten in Syrien, die in
ihrem Kampf gegen den Daesh vom NATO-Partner USA
Claudia Roth ({9})
unterstützt werden . Auch für ein NATO-Mitglied gibt es
keinen Blankoscheck und keinen Rabatt bei den Menschenrechten .
({10})
Deswegen kann es auch ganz im Sinne unserer Rüstungsexportrichtlinien - da kenne ich mich ziemlich gut aus ({11})
keine Rüstungsexporte an die Türkei geben, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({12})
Lassen Sie uns bitte unsere Maßnahmen und unsere
Politik daran ausrichten, ob sie den Demokratinnen und
Demokraten in der Türkei nutzen oder ob sie ihnen sogar
schaden. Deswegen finde ich es etwas wohlfeil, wenn
jetzt ausgerechnet diejenigen, die schon immer gegen
den EU-Beitritt der Türkei waren, die sofortige Beerdigung der Verhandlungen fordern . Auch wenn es derzeit
kaum vorstellbar ist, mit der türkischen Regierung weiter
zu verhandeln, mit einem Präsidenten Erdogan, der auf
allen Gebieten Rückschritte macht, auf denen es dringend
Fortschritte bräuchte, so dürfen wir doch nicht einfach
alle Türen zuschlagen und die Fehler der Vergangenheit
wiederholen . Die Zivilgesellschaft und die Opposition in
der Türkei brauchen uns jetzt mehr denn je .
({13})
Für eine demokratische Türkei müssen die Türen
offen bleiben, die Erdogan zumauern will . Deswegen
unterstützen wir Maßnahmen im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik . Wir sagen: Gerade
jetzt braucht es die Unterstützung durch Parteien, durch
Gewerkschaften, durch Verbände, durch Organisationen
für die Zivilgesellschaft . Wir brauchen die Unterstützung durch das, was die Reporter ohne Grenzen tun, was
Amnesty International, Human Rights Watch tun, was
das Goethe-Institut und der DAAD tun, und wir brauchen die Unterstützung durch Künstler, durch Sportler
und nicht zuletzt durch Fußballfans, die sich für Deniz
Naki eingesetzt haben, den Ex-St .-Pauli-Spieler .
Wir können mit über 80 Städtepartnerschaften zeigen,
dass gerade jetzt kommunale Menschenrechts- und Demokratiepolitik positiv wirken können, weil sie Brücken
bauen . Sprengmeister haben wir schon zu viele . Eine Politik des lauten Schweigens aber lässt unsere Partner in
Not .
Vielen Dank .
({14})
Als nächster Redner hat Gunther Krichbaum für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines ist doch klar: Wenn Präsident Erdogan so weitermacht, dann können wir auch nicht so weitermachen wie
bisher . Gestern hat die Europäische Kommission ihren
Fortschrittsbericht zur Türkei vorgelegt . Ein Fortschrittsbericht über ein Kandidatenland könnte nicht desaströser
sein .
Die Türkei bewegt sich mehr auf die Ausgangstür der
Verhandlungen zum Beitritt zur Europäischen Union
hin als zur Eingangstür der EU . Das muss uns besorgt
machen; denn die Leidtragenden sind am Ende die Menschen: die Bürger und die Zivilgesellschaft; Frau Roth
hat es gerade beschrieben .
Doch bevor wir Schlüsse ziehen, müssen wir uns fragen, wo wir stehen . Fakt ist, dass wir uns in der Europapolitik und in der Außenpolitik alle gegenseitig brauchen . Das wird in der Tat bei dem Flüchtlingsabkommen
deutlich . Man kann viel darüber klagen und schimpfen;
Fakt ist aber auch, dass dieses Flüchtlingsabkommen
wirkt und die Flüchtlingszahlen massiv gesunken sind .
({0})
Die Schlepper- und Schleuserkriminalität wurde wirksam bekämpft . Genau das war das Ziel dieses Abkommens . Wir wollten nicht, dass sich diese Organisationen
eine goldene Nase an dem Leid der Menschen verdienen .
({1})
Wir stehen - das wurde bislang noch nicht erwähnt aber auch in Verhandlungen über Zypern . Wir stehen vor
einer ganz entscheidenden Phase, die es immerhin erlaubt, zu sagen, dass wir der Wiedervereinigung Zyperns
so nahe gekommen sind wie seit Jahren nicht mehr . Auch
dafür brauchen wir die Türkei . Wir brauchen die Türkei
auch in der NATO, wie schon angeklungen ist .
Das alles ist richtig . Aber wir können natürlich nicht
die Augen davor verschließen, was tatsächlich passiert .
Das Verhalten gegenüber oppositionellen Kräften, der
Zivilgesellschaft, Kurden, Minderheiten, Journalisten,
Parlamentariern und damit Kollegen kann so nicht stehen bleiben . Es ist inakzeptabel . Wenn Parlamentarier
verhaftet und ihrer Stimme beraubt werden, dann ist es
unsere Aufgabe, ihnen eine Stimme zu geben .
({2})
Denn erst stirbt die Pressefreiheit, dann die Meinungsfreiheit und somit am Ende die Demokratie . Die Demokratie, verbunden mit Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, gehört aber zu den Kernwerten der Europäischen
Union .
Deswegen müssen wir schon allein im Interesse anderer Kandidatenländer hier Reaktionen zeigen . Was
sollen denn Länder wie Montenegro, Serbien und alle,
mit denen wir in Verhandlungen stehen, denken, wenn
wir auf diese Vorkommnisse in der Türkei nicht oder nur
schleppend reagieren, aber all den anderen Ländern, mit
Claudia Roth ({3})
denen wir verhandeln, härteste Bedingungen stellen, was
auch richtig ist?
Deswegen kann ich eins zu eins unterschreiben, Herr
Außenminister, was Sie gerade an Maßnahmen beschrieben haben, die wir umsetzen sollten . Für diese Signale
sind wir Ihnen als Parlamentarier dankbar .
Ich hätte mir in dem Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission, der gestern publiziert wurde, aber
noch etwas mehr gewünscht . Wir gewähren den Kandidaten Vorbeitrittshilfen . Diese dienen dazu, dass diese Länder sich Schritt für Schritt an die Standards der
Europäischen Union annähern können . Das ist in der
Förderperiode, wie man das etwas technisch nennt,
2014 bis 2020 für die Türkei immerhin ein stolzer Betrag von 4,4 Milliarden Euro . Ich wäre nicht dafür, diese
4,4 Milliarden Euro, zumal sie auch zum Teil schon geflossen sind, in toto einzufrieren. Aber ein Drittel davon
ist für die Förderung der Justiz und Rechtsstaatlichkeit
reserviert . Mit diesem Geld werden junge Richter und
Staatsanwälte ausgebildet . Das sind genau jene, die Herr
Erdogan im Rahmen seiner Säuberungsaktion aus dem
Amt gehoben hat . Das ist schon eine politische Veruntreuung von EU-Geldern . Deswegen muss man an dieser
Stelle reagieren und wenigstens diesen Teil der Mittel
einfrieren .
({4})
Solche Signale brauchen wir .
Wir brauchen natürlich auch Signale an die Zivilgesellschaft . Hier können wir als Parlamentarier viel tun .
Wir sollten mehr denn je in die Türkei reisen, auch wenn
der Reiseetat des Deutschen Bundestages zurzeit etwas
unter Druck steht . Aber diese Reisen machen Sinn . Mehr
denn je sollten wir solche unternehmen .
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen - das
klang schon mehrfach an -: Wenn die Türkei und vor allem Herr Erdogan jetzt noch weitergehen - wir müssen
zwischen dem Land bzw . den Menschen in der Türkei
und Herrn Erdogan differenzieren - und die Todesstrafe
im Rahmen einer Verfassungsreform einführen sollten,
dann macht es in der Tat keinen Sinn mehr - das sind wir
letztlich uns gegenüber schuldig, auch unseren Werten,
die wir zu verteidigen haben -:
({5})
Ein Land, das die Todesstrafe einführt und sich damit
offensichtlich von den Werten der Europäischen Union
abwenden möchte, hat in der Tat keinen Platz mehr in
Europa .
({6})
Das sind wir uns, aber auch den anderen Ländern, die
Mitglied der Europäischen Union werden möchten,
schuldig .
Herzlichen Dank .
({7})
Sevim Dağdelen hat als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Gestern hat Bundeskanzlerin Merkel als Bedingung für
die Zusammenarbeit mit dem neu gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika die Werte Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde genannt . Während Frau Merkel also dem künftigen
US-Präsidenten Bedingungen für die Zusammenarbeit
stellt, gibt es beim türkischen Präsidenten Erdogan keinerlei Bedingungen . Während Außenminister Steinmeier
den gewählten US-Präsidenten einen Hassprediger
nennt, ist Erdogan ein Premiumpartner der Bundesregierung. Das finde ich schlicht verlogen.
({0})
Wenn Sie Menschenrechte, Demokratie, Menschenwürde und Freiheit als Bedingung für eine Kooperation
nennen, dann hören Sie doch endlich auf, der türkischen
Regierung und dem Präsidenten der Türkei bei ihrem
Amoklauf gegen Demokratie, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit zur Seite zu stehen . Das wäre konsistent und auch konsequent .
({1})
Während die Vorsitzenden und Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP eingekerkert werden
und der Krieg Erdogans gegen die Kurden im Land und in
der Region auf Hochtouren läuft, liefert die Bundesregierung immer mehr Waffen in die Türkei . Allein im ersten
Halbjahr 2016 hat die Bundesregierung Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte in die Türkei im Wert
von über 76 Millionen Euro erteilt und damit die Türkei
von Platz 25 auf Platz 8 der wichtigsten Bestimmungsländer deutscher Waffen gehievt . Der SPD-Vorsitzende
Gabriel ist als Minister für Rüstungsexporte zuständig .
Wir von der Linken finden das unerträglich.
({2})
Hören Sie mit diesem Wahnsinn auf! Machen Sie sich
nicht mit Ihren Waffenlieferungen mitschuldig an den
Verbrechen und den Massakern, die die türkische Regierung im Südosten des Landes an den Kurden begeht .
Während Erdogan nun auch noch Verfahren gegen die
gesamte sozialdemokratische Fraktion in der Türkei eröffnet - es ist absehbar, was daraus folgen wird -, wollen
Sie den Bundeswehreinsatz in der Türkei noch ausweiten .
Vorgestern hat die Bundesregierung dem entsprechenden
Entsendebeschluss eine Protokollerklärung beigegeben .
Diese Protokollerklärung ist nichts anderes als ein neuerlicher Kniefall vor Erdogan . Statt klarzustellen, dass es
bei Besuchsverboten für deutsche Abgeordnete keinen
Einsatz geben wird, stellen Sie Erdogan in Aussicht, dass
die Bundeswehrsoldaten, egal was passiert, weiterhin in
der Türkei bleiben werden . Sie servieren dem Despoten in der Türkei auf dem Silbertablett nichts weiter als
die Bundeswehr, eine Parlamentsarmee . Ich sage es Ihnen laut und deutlich: Diese Unterwerfungshaltung der
Bundesregierung gefährdet nicht nur die Menschenrechte in der Türkei, sondern auch die Grundrechte hier in
Deutschland .
Schauen wir uns das doch einmal an . Was wollen Sie
dem Despoten am Bosporus eigentlich noch zu Füßen
legen? Herr Jan Böhmermann wurde von der Bundeskanzlerin vorauseilend verurteilt . Die Armenien-Resolution des Bundestages wurde relativiert . Die Rechte der
Bundestagsabgeordneten werden jetzt in das Belieben
Erdogans gelegt . Da müssen Sie sich doch wirklich nicht
mehr wundern, dass dieser Mann immer brutaler gegen
Andersdenkende vorgeht . Sie sagen zwar, Sie seien solidarisch mit den Menschen, mit den Verfolgten, mit den
Verhafteten, mit den Kurden in der Türkei, aber setzen
Ihren bisherigen Kurs in der Türkei-Politik fort . Deshalb
sind 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von
dieser Willfährigkeit gegenüber Erdogan regelrecht abgestoßen . Insofern fordern wir Sie auf: Beenden Sie diese
Kumpanei mit der türkischen Regierung .
({3})
Ich muss wirklich sagen: Der Kurs, den Sie in den
letzten Jahren gefahren haben, nämlich immer weitere
Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, immer in der Hoffnung, dass es besser wird, war falsch . Die
Bilanz liegt doch vor Ihnen . Sie stehen vor einem Scherbenhaufen der deutschen Türkei-Politik . Sie war falsch
und hat zu verheerenden Ergebnissen geführt . Deshalb
ist es wahnsinnig, genau so weiter verfahren zu wollen .
Wenn Sie Solidarität mit den politischen Gefangenen,
mit den Journalisten, mit den kurdischen Abgeordneten
tatsächlich ernst meinen, dann müssen Sie aufhören, hier
nur Worte zu sprechen, dann müssen Sie tatsächlich Taten folgen lassen . Wer immer nur besorgt und alarmiert
ist, aber gleichzeitig weiterhin Vorbeitrittshilfen leistet,
wer gleichzeitig Bundeswehrsoldaten entsendet, wer
gleichzeitig Rüstungsgüter in die Türkei exportiert und
in den Beitrittsverhandlungen immer weitere Kapitel eröffnet, dem glaubt keiner mehr, dass er sich für die Menschenrechte in der Türkei wirklich einsetzt . Die Bundesregierung muss jetzt handeln . Die Zeit des Redens ist
vorbei . Wir sagen: Keinen Cent, keine Waffe und keine
deutschen Soldaten für Erdogan .
Vielen Dank .
({4})
Als nächste Rednerin hat Michelle Müntefering für
die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
davon überzeugt, dass nicht der, der am lautesten schreit,
in dieser ernsten Situation der Linkeste, der Sauberste
oder der Moralischste ist . Ich bin aber überzeugt, dass
die Debatte, die wir hier heute führen, zu der wir uns gemeinsam entschlossen haben, ein richtiger und ein guter
Weg ist, darüber zu sprechen, was jetzt eigentlich passiert und was die Konsequenzen sein sollen .
Was mir in letzter Zeit durch den Kopf gegangen ist,
ist ein Zitat von Winston Churchill:
Wenn es morgens um 6 Uhr an meiner Tür läutet
und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist,
dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe .
Dieses Zitat habe ich in der Kolumne von Can Dündar
gelesen - er ist hier schon angesprochen worden -, der
entsetzt über die Verhaftungen der türkischen Oppositionellen berichtete . Am Abend bevor ich das las, war ich
von einer Reise mit Kolleginnen und Kollegen nach Ankara nach Hause zurückgekommen . Ich habe den Schlüssel in der Haustür herumgedreht, das Licht angeschaltet,
und plötzlich war mir klar, was Churchill gemeint hat .
Sie müssen sich vorstellen: Wir wollten uns mit Abgeordneten des türkischen Parlamentes treffen, etwa mit der
stellvertretenden HDP-Vorsitzenden, Frau Yüksekdag .
Aber sie war in der Nacht zuvor verhaftet worden . Es
herrscht Ausnahmezustand in der Türkei . Sie wird wohl
so bald nicht freikommen . Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der HDP, ist weit weggebracht worden, in ein
Gefängnis an die bulgarische Grenze; so hört man . Die
Berichte von Menschenrechtsorganisationen sind erschreckend .
Wir haben uns nicht davon abhalten lassen, dennoch
Gespräche mit der Opposition zu führen, und wir haben auch ganz offiziell die Zeitung Cumhuriyet besucht .
Selbstverständlich haben wir noch am selben Tag türkische Regierungsvertreter mit diesen Vorgängen konfrontiert .
Die türkische Regierung begründet alle diese Maßnahmen, die wir erlebt haben, die wir sehen und über
die wir heute hier sprechen, damit, den Terrorismus zu
bekämpfen und den Putschversuch aufklären zu wollen .
Uns wird vorgeworfen, dass wir das nicht verstehen können .
Ich will nicht verschweigen: Ich kann mir in der Tat
kaum vorstellen, wie das Militär eines Landes das Parlament des eigenen Landes bombardiert . Ich habe die
Einschüsse dort gesehen, die Trümmer, die in den deutschen Medien nicht zu sehen waren . Ich bin mir traurig
bewusst, wie die Türkei immer wieder Opfer von Terroranschlägen geworden ist - ob durch den IS oder die
PKK . Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass wir hier im
Hause jeden Terror auf das Schärfste verurteilen .
({0})
Mehr noch: Wir kämpfen sogar in gemeinsamer, ja,
auch in schwieriger Allianz gegen den „Islamischen
Staat“; denn die Türkei und Deutschland waren und sind
Verbündete in der NATO . Die Türkei ist EU-Beitrittskandidat .
Kolleginnen und Kollegen, wir verstehen hier in
Deutschland sehr genau, was es heißt, wenn Demokratie
und Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn Oppositionelle verfolgt und Kritiker mundtot gemacht werden; denn wir haben unsere ganz eigenen und leidvollen
Erfahrungen gemacht . Ungefährdet ist Demokratie nie .
Das hat sich in mein Bewusstsein, das hat sich in das Bewusstsein der deutschen Parlamentarier tief eingebrannt .
Die Türkei ist nicht Deutschland, und Deutschland ist
nicht die Türkei . Aber schweigen und wegschauen können wir nicht . Wir dürfen es nicht . Unrecht muss Unrecht
genannt werden .
({1})
Das Vorgehen der türkischen Regierung hat mit Demokratie und Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun .
Wenn 130 000 Staatsbedienstete aus dem Amt entlassen,
Zeitungen sowie Medienhäuser geschlossen und Parlamentarier verhaftet werden, dann delegitimiert das den
Kampf gegen den Terror mehr, als es ihm nützt .
({2})
Die Türkei scheint sich mehr und mehr abzuwenden
von ihrer Orientierung gen Westen, ebenso von ihrem
Kurs der modernen Zivilisation . Das ist eine Entwicklung, die von dem nicht unumstrittenen Staatsgründer
Mustafa Kemal Atatürk einst begründet wurde und an
den übrigens heute in der ganzen Türkei im Rahmen eines Gedenktages erinnert wird .
Mit Blick auf die jahrhundertealte Geschichte mit
allen ihren Höhen und Tiefen ist das eine Entwicklung,
die mich als Vorsitzende der Freundschaftsgruppe hier
im Bundestag und als Sozialdemokratin zutiefst betrübt,
weil ich weiß, wie viele Menschen in beiden Ländern
Herzblut in das deutsch-türkische Verhältnis investieren,
zu Recht .
Es gäbe so viele gemeinsame Aufgaben in dieser Welt
zu meistern . Die nächste Generation, viele junge Menschen, die beide Sprachen sprechen und beide Kulturen
kennen - sie hätten das Zeug dazu . Eine Tür aber kann
man immer von zwei Seiten zumachen . Die veränderte
Politik der Türkei und die Veränderungen des Staatspräsidenten Erdogan selbst ziehen diese Tür nach Europa
nun zu .
Wir werden weiter kooperieren . Nachbarn bleiben
wir weiterhin . Aber es wird sich etwas zwischen unseren
Ländern ändern; denn durch geschlossene Türen kann
man einander noch weniger hören und noch weniger verstehen . Um ein türkisches Sprichwort zu zitieren: Nur
gute Freunde sagen sich bittere Wahrheiten .
Meine Hoffnung sind die Menschen, eine starke Zivilgesellschaft und eine junge Generation . Sie müssen wir
unterstützen . Wir müssen aufeinander zugehen und Frieden schaffen . Ich bin froh, dass wir einen Außenminister
haben, der deutlich gemacht hat, dass wir uns dieser Verantwortung stellen .
Herzlichen Dank .
({3})
Dr . Andreas Nick hat für die CDU/CSU-Fraktion als
nächster Redner das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Müntefering und ich waren in der vergangenen Woche zusammen mit Staatsministerin Böhmer zu
Gesprächen in Ankara . Wir wollten den Gesprächsfaden
wiederaufnehmen und auch den Boden bereiten für einen
offiziellen Besuch unserer deutsch-türkischen Parlamentariergruppe Anfang nächsten Jahres . Doch leider sind
wir mit mehr als besorgniserregenden Eindrücken und
einer mehr als ernüchternden Bilanz von dieser Reise zurückgekommen .
Bereits im Vorfeld kam es zu Verhaftungen von Redakteuren der Zeitung Cumhuriyet . Wir haben uns daher
spontan entschieden, auch die Redaktion in Ankara zu
besuchen . Dann mussten wir erleben, dass eine vorgesehene Gesprächspartnerin, die Co-Vorsitzende der HDP,
Figen Yüksekdag, in der Nacht vor unserem Termin verhaftet wurde . Nicht zuletzt hatten wir mehr als schwierige Diskussionen mit Regierungs- und Parlamentsvertretern zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe .
Wir sagen in aller Deutlichkeit: Bei Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit gibt es für uns
keinen Rabatt und keine Kompromisse .
({0})
Wir erkennen ausdrücklich an, dass die Türkei erheblichen Bedrohungen von innen und von außen ausgesetzt
war und ist. Ich nenne den aufgeflammten Terrorismus
der PKK, den islamistischen Terror aus den Nachbarstaaten Irak und Syrien und nicht zuletzt den Putschversuch
vom Juli 2016 . Wir haben am Donnerstag die Bombeneinschläge im Parlamentsgebäude selbst in Augenschein nehmen können . Die Verletzungen und die Traumatisierungen, die da entstanden sind, sollten wir etwas
deutlicher zur Kenntnis nehmen, als es in den deutschen
Medien vielleicht teilweise geschehen ist .
Niemand wird das Recht der Türkei bestreiten, sich in
angemessener Weise gegen terroristische Bedrohungen
zu wehren oder mit rechtsstaatlichen Mitteln den Putschversuch vom Juli aufzuarbeiten . Aber all das kann natürlich niemals Rechtfertigung dafür sein, jede kritische
Stimme in Politik und Presse zu verfolgen, Abgeordnete
und Journalisten zu kriminalisieren und in die Nähe des
Terrorismus zu rücken .
({1})
Es ist schon gesagt worden: Allein die Zahl von
130 000 Mitarbeitern, die aus Verwaltung, Justiz, Militär,
Schulen und Hochschulen entfernt worden sind, verdeutlicht die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion . All das
verdichtet sich zu einem Bild, wonach in der türkischen
Regierung inzwischen offenbar diejenigen Kräfte die
Oberhand gewonnen haben, die einen Bruch mit Europa und dem Westen nicht nur billigend in Kauf nehmen,
sondern möglicherweise auch ganz bewusst herbeiführen wollen . Mit der Einführung der Todesstrafe wäre der
EU-Beitrittsprozess auf unabsehbare Zeit beendet, wäre
auch die bereits bestehende Mitgliedschaft im Europarat
infrage gestellt .
Jetzt werden von türkischer Seite zunehmend auch die
im Vertrag von Lausanne 1923 geregelten Außengrenzen
der Türkei infrage gestellt . Das betrifft im Übrigen nicht
nur die Gebiete nach Süden und Osten, die Regionen um
Aleppo in Syrien und Mosul im Irak, sondern explizit
auch die im Westen: die griechischen Dodekanesinseln
in der Ägäis ebenso wie die Teile Thrakiens auf dem europäischen Festland, die zu Griechenland und Bulgarien
gehören .
Erst Anfang dieses Jahres ist es mit großem Engagement der Bundeskanzlerin und der Verteidigungsministerin gelungen, gemeinsame NATO-Patrouillen auf See in
der Ägäis zu vereinbaren . Wenn jetzt Gebietsansprüche
gegen NATO-Partner in den Raum gestellt werden, ist
dies für uns völlig inakzeptabel . Die NATO ist Verteidigungsbündnis und Wertegemeinschaft, und daran müssen
wir unsere Gesprächspartner in der Türkei nachdrücklich
erinnern .
({2})
Liebe Kollegen, die Beziehungen zwischen unseren
beiden Ländern sind vielfältig . Über 3 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln sind in unserem Land zu
Hause . Unser Land ist in der Spitzengruppe der Handelspartner der Türkei und der ausländischen Investoren in
der Türkei . Die Türkei ist bei vielen unserer Bürger ein
beliebtes Reiseziel, teilweise auch Altersruhesitz . Es soll
niemand glauben, dass eine Abkehr von Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit ohne Folgen für Wirtschaft und Tourismus bleiben wird . Dafür bedarf es keiner - übrigens
wenig hilfreichen, wie ich finde - Debatte über wirtschaftliche Sanktionen .
Ein ganz anschauliches, vielleicht auch triviales Beispiel: Seit vielen Jahren ist Belek in der Nähe von Antalya ein bevorzugter Ort für die Wintertrainingslager der
Bundesligavereine . Noch 2016 haben 16 Teams der ersten und zweiten Liga ihr Wintertrainingslager dort durchgeführt . Im Januar 2017 wird dies kein einziger Verein
mehr tun .
Die Vorwürfe vonseiten der Türkei, Türken hätten in
Deutschland keine Rechte oder Deutschland sei Gastgeber des Terrorismus, sind absurd und drohen das politische Klima zwischen beiden Ländern zu vergiften . Wir
weisen sie in aller Deutlichkeit zurück .
({3})
Aber eines muss hier auch gesagt werden: Wenn aus
dem Kreis dieses Parlaments, aus der Linksfraktion, Herr
van Aken die Aufhebung des Verbots der PKK fordert,
({4})
dann macht er sich zu einem Stichwortgeber für solche
absurden Vorwürfe .
({5})
Die Begründung, die PKK begehe ja keine Anschläge auf
Zivilisten in Europa, sondern nur auf türkische Soldaten
und Polizisten, ist völlig unerträglich .
({6})
Lassen Sie mich hinzufügen: Wir legen Wert darauf,
dass innenpolitische Konflikte in der Türkei nicht gewalttätig ausgetragen werden, auch nicht hier bei uns in
Deutschland .
({7})
Wir haben ein vitales Interesse an einer prosperierenden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer
lebendigen Zivilgesellschaft . Wir werden uns deshalb
auch nicht von der Türkei abwenden . Aber unsere Aufmerksamkeit und unsere Solidarität gelten denen, die für
einen pluralistischen und demokratischen Staat eintreten
und deren Blick nach Europa gerichtet bleibt .
Vielen Dank .
({8})
Herr Dehm hat das Wort zu einer Kurzintervention .
Ich war bei Teilen Ihrer Rede versucht, zu klatschen,
und habe sogar auch geklatscht . Wenn es stimmt, was Ihr
Parteikollege Jung vorhin empfohlen hat, dass nämlich
Herr Erdogan die Beziehungen und die Gespräche mit
der PKK wieder aufnimmt - das ist von ihm ja ausdrücklich so gesagt worden -, könnte es dann sein, dass die
Zunahme von bestimmten Aktionen der PKK vielleicht
nicht nur damit zusammenhängt, dass Herr Erdogan
diese Gespräche abgebrochen hat, sondern auch damit,
dass er aus rein wahlkampftaktischen Gründen diese Gespräche durch wirkliche terroristische Maßnahmen und
das Massakrieren unschuldiger Kurdinnen und Kurden
ersetzt hat?
Herr Nick, Sie haben die Möglichkeit zur Gegenrede .
Versöhnungsprozesse bei bewaffneten Konflikten sind
ein komplexes Thema . Wir haben ja gerade den schwierigen Prozess in Kolumbien sehr konstruktiv begleitet .
Dass wir für eine Wiederaufnahme dieses VersöhnungsDr. Andreas Nick
prozesses sind, ist ja keine Frage, aber sich mit gewalttätigem Terrorismus zu solidarisieren und zu erklären,
({0})
dass gewalttätige Attacken und terroristische Angriffe
auf Polizisten und Soldaten in der Türkei in Ordnung
sind, das ist völlig inakzeptabel .
({1})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Hans-Peter
Uhl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Nach all dem, was wir heute über die dramatischen Ereignisse im Sommer dieses Jahres in der Türkei
wissen, waren die Dinge in der Abfolge doch so, dass
Recep Erdogan von langer Hand eine Säuberungsaktion
im gesamten türkischen Staatsapparat plante . Tausende
zu entlassende Staatsbedienstete wurden listenmäßig von
ihm erfasst . Mit diesen Entlassungen wollte er beim Militär Anfang August beginnen . Dieser Entwicklung wollte das Militär - was wir ohne Zweifel verurteilen - durch
seinen Putsch am 15 . und 16 . Juli zuvorkommen . In dieser Reihenfolge haben sich die Dinge entwickelt .
Dieser Putsch war formale Legitimation, aber auch
willkommener Anlass für Präsident Erdogan, den Notstand auszurufen und als Alleinherrscher zu regieren .
({0})
Schlag auf Schlag wurden in allen staatlichen Bereichen
längst vorbereitete Personallisten herausgezogen und zu
Säuberungen benutzt . 34 000 Menschen - so viele, wie
in einer mittleren Stadt leben - sind seither inhaftiert . Die
Gefängnisse sind überfüllt, Straftäter müssen entlassen
werden, um diese Menschen, die zum größten Teil zu
Unrecht inhaftiert sind, dort unterzubringen . Ein Drittel
der Generäle ist inhaftiert . 72 000 Staatsdiener wurden
ohne jedes Urteil unter Fortfall aller Bezüge entlassen .
Stiftungen, soweit sie nicht islamische Stiftungen sind,
wurden enteignet . 4,6 Milliarden Euro sind auf diese
Weise enteignet worden .
Recep Erdogan, der eigentlich repräsentativer Staatspräsident der Türkei ist, hat per Notstand die Gewaltenteilung aufgehoben, führt die Regierungsgeschäfte,
indem er die Kabinettssitzungen persönlich leitet, und
inszeniert sich als Parteivorsitzender der AKP, obwohl
er eigentlich neutraler Präsident sein sollte . Und wir, der
Westen, die USA und auch die Europäische Union, sind
sprachlos . Fast ohnmächtig stehen wir dieser Entwicklung gegenüber . Die Türkei verstößt ganz unzweifelhaft
mit ihren Fehlentwicklungen gegen alle Grundprinzipien
unserer europäischen Werteordnung .
Dem von der EU vielbeschworenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat Sultan Erdogan
demonstrativ den Rücken gekehrt .
Die NATO ist ja nicht nur ein Verteidigungsbündnis,
die NATO ist auch eine Wertegemeinschaft . Deswegen
heißt es in der Präambel der NATO: Die Mitglieder
sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame
Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den
Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten .
So steht es in der Präambel der NATO, die wir uns immer
wieder vor Augen führen müssen . Auch diese Grundpfeiler des Atlantikvertrages werden von Erdogan ignoriert .
Ist es nun klug, diese Türkei aus der NATO auszuschließen? Ist es klug, jegliche Beziehung zwischen der
Europäischen Union und der Türkei abzubrechen? Ist es
klug, diese Türkei aus dem Europarat zu werfen? Nein,
der FAZ-Journalist hat Recht, wenn er sagt: Herrscher
kommen und gehen - die Geografie aber bleibt bestehen. - Die Türkei ist nun mal das geografische Scharnier
zwischen uns, Europa, und dem Nahen Osten . Und so
wird es auch bleiben . Das heißt, die Türkei hat für uns
strategische Bedeutung - jetzt und auch in der Zukunft .
Auch deshalb ist ein vollständiger Bruch mit der Türkei
niemals in unserem eigenen Interesse . Kraftmeierei und
Belehrungen von außen bereiten nur den Nährboden für
Erdogans Rhetorik gegen den Westen, gegen die Europäische Union . So werden wir unfreiwillig zum Gehilfen
von Erdogans nationalistischer Propaganda .
Was sind die sinnvollen Handlungsoptionen für uns?
Letztlich - darauf ist bei solchen Entwicklungen immer
wieder hinzuweisen, in welchem Land auch immer - sind
es schon die Türken selbst, die sich von diesem selbsternannten Sultan und Herrscher befreien müssen . Wir können den Türken diese Aufgabe nicht abnehmen .
Wenn die Dinge sich so entwickeln, wie sie hier beschrieben wurden, dass die Tourismusbranche, die für die
Türkei so wichtig ist, auf ein Viertel reduziert wurde - da
hilft auch Putin mit seinen zu Erdogan zwangsverschickten russischen Touristen nicht weiter -, dass die Arbeitslosigkeit dramatisch zunimmt, dass die Geldentwertung
schlimme Folgen annimmt, dass die Staatsverschuldung
enorm zugenommen hat und ausländische Investitionen,
von denen die Türkei abhängig ist, nicht mehr erfolgen,
wenn man berücksichtigt, dass 60 Prozent des türkischen Exportes in die EU gehen, dann weiß man: Dieser
Erdogan wird sein eigenes Land ruinieren . Er wird seiner
Türkei schwersten Schaden zufügen . Deswegen müssen
sich die Türken von ihm befreien .
Mit anderen Worten: Ein Ausschluss aus der NATO
wäre eine Fehlentscheidung . Die Beitrittsverhandlungen
zur Europäischen Union allerdings haben wir von Anfang an als einen Irrweg gesehen . Dabei bleiben wir nicht besserwisserisch .
({1})
Wir haben immer gesagt: Wir brauchen wegen der
Scharnierfunktion eine Heranführung der Türkei an die
Europäische Union . Das heißt, die privilegierte Partnerschaft, die wir entwickelt haben, war von Anfang an
der richtigere Weg . Dafür auch Geld auszugeben - hier
nenne ich die Hilfen der EU zur Heranführung an unsere Wertegemeinschaft, zur Ausbildung von Juristen und
zur Umsetzung anderer Dinge -, war richtig . 6 Milliarden Euro wurden für diesen Zweck ausgegeben . Das war
richtig . Mit diesen Heranführungshilfen sollten wir nach
Erdogan wieder weitermachen . Aber jetzt, in einer Zeit,
in der Erdogan seine Türkei, die er sich unterjocht hat,
von der EU wegführen will, gibt es keinen Grund mehr,
Geld für eine Heranführung auszugeben .
Ich komme zum Schluss . Angesichts der Entwicklungen erwartet man von uns klare Kante; denn die Türkei
ist wohl auf dem Weg, nicht mehr nur Transitland für
Flüchtlinge zu sein, sondern wird leider Gottes auch Herkunftsland kurdischer Flüchtlinge . In einer solchen Zeit
wäre es unverantwortlich, der Türkei eine Visaliberalisierung zu gewähren . Wir sind strikt gegen die Visaliberalisierung .
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des
Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs-
mechanismusgesetzes bekannt: Abgegeben wurden hier
590 Stimmen, gültig waren 590 Stimmen . Mit Ja haben
465 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben
94 gestimmt, enthalten haben sich 31 Kolleginnen und
Kollegen . Damit hat der Abgeordnete Johannes Kahrs
die erforderliche Mehrheit erreicht und ist mit 465 Stim-
men gewählt .
Wir haben gleichzeitig ein stellvertretendes Mitglied
des gleichen Gremiums gewählt . Hier wurden eben-
falls 590 Stimmen abgegeben, gültig waren ebenfalls
590 Stimmen . Mit Ja haben 514, mit Nein 47 Kollegin-
nen und Kollegen gestimmt, enthalten haben sich 29 Kol-
leginnen und Kollegen . Damit hat auch der Abgeordnete
Dennis Rohde die erforderliche Mehrheit erreicht und ist
mit 514 Stimmen gewählt .1)
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Erlass und zur Änderung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes
Drucksache 18/10237
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat der Bundesminister Christian Schmidt
für die Bundesregierung das Wort .
({1})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was hat Donald Trump mit der Milchwirtschaft in Deutschland zu tun?
({0})
Er hat gewonnen . - Nein, seine Wahl hat darüber hinaus
gezeigt - wir in Europa sind bei der Brexit-Entscheidung
auch darauf gestoßen -: Wenn Teile der Bevölkerung den
Eindruck bekommen, die Politik kümmere sich nicht um
ihre Probleme, sie lasse die Probleme, die die Menschen
im Alltag belasten, links liegen, dann schauen sie sich
nach anderen Angeboten und einfachen Antworten um .
Ich weiß noch nicht genau, was das Konzept von Donald
Trump zur Stärkung des ländlichen Raums in den USA
ist . Vielleicht gibt es da etwas, was wir ihm empfehlen
können . Wir arbeiten ja kräftig daran, gerade diesen Bereich sehr attraktiv zu halten im Sinne der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse .
({1})
Eines ist ganz wichtig - ich will das heute bei dieser Gelegenheit erwähnen; man soll dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ja nie in irgendeiner
Weise vorgreifen, sondern ihm nur Respekt zollen -:
Wenn nicht alle Eindrücke trügen, ist das Engagement
des Haushaltsausschusses und des ganzen Hauses für
die Stärkung des ländlichen Raums außerordentlich groß
und bemerkenswert . Herzlichen Dank dafür!
({2})
Der Gesetzentwurf, der dankenswerterweise von den
Koalitionsfraktionen eingebracht worden ist, handelt aber
nicht vom Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“,
sondern von einem anderen Herzstück, nämlich von
Maßnahmen für unsere Familien in der Landwirtschaft
und für die Produzenten . Zur Erinnerung: Das Milchangebot auf dem Weltmarkt war übermäßig angestiegen aus
verschiedenen Gründen, die sowohl auf der Nachfrageals auch auf der Angebotsseite zu finden waren. Auch
in der Europäischen Union und in Deutschland ist - wie
übrigens schon vor dem Auslaufen der Milchquotenregelung - sehr viel produziert worden, so viel, dass die
Preise nachgegeben haben und die Nachfrageseite des
Marktes sie nicht mehr aufnehmen konnte . Die europäische Politik hat 30 Jahre lang, eine Generation lang,
eine Politik der staatlichen Mengensteuerung betrieben .
Deswegen besteht heute die Notwendigkeit, den Übergang zu unterstützen, abzufedern, aber auch auf das hinDr. Hans-Peter Uhl
zuweisen, was wir strukturell noch verbessern müssen .
Dabei können wir die Milchbauern nicht alleine lassen .
Wir müssen auch diejenigen benennen, die im Hinblick
auf eine Verbesserung, vor allem im Hinblick auf eine
gerechte Risikoverteilung, in der Verantwortung sind .
({3})
Deswegen kommt man in dieser Situation nicht daran
vorbei, einen Blick auf die Wertschöpfungskette von den
Molkereien bis zum Lebensmitteleinzelhandel zu werfen . Für die Liquidität und als unmittelbare Unterstützung ist aber auch europäische Hilfe erforderlich, damit
man für die nächsten Jahre Orientierung bekommt, wohin die Produktion gehen soll .
Was den deutschen Markt angeht, so sagte mir jemand:
Heute ist so viel Milch getrunken und Käse gegessen
worden wie wohl nie mehr in Zukunft . - Na, das weiß
ich nicht ganz. Aber dass bei unserer demografischen
Ausrichtung der Milchmarkt kein Wachstumsmarkt ist,
sondern ein Qualitätsmarkt werden muss, um so Wertschöpfung zu erreichen, das ist doch ein entscheidender
Punkt .
({4})
Deshalb geht an die, die am Markt sind, der Appell, zu
überlegen, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen
sie sich dort aufstellen .
({5})
Wir wollen mit dem Milchmarktsondermaßnahmengesetz und der Änderung des Marktorganisationsgesetzes nur Grundlagen schaffen, Grundlagen allerdings auch
für ein Finanzvolumen, das sich durchaus sehen lassen
kann . Ich habe auf dem Deutschen Bauerntag in Hannover von 100 Millionen plus X gesprochen, die wir in den
Bereich Landwirtschaft geben wollen, damit es vorangeht . Ich kann heute mit Freude feststellen - vorbehaltlich der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs -: Wir
werden auf knapp 600 Millionen kommen, die in diesem
und im kommenden Jahr der Landwirtschaft zur Verfügung stehen .
({6})
- Herzlichen Dank . - Das ist, glaube ich, schon bemerkenswert .
Herzlichen Dank dafür, dass wir das mit Ihrer Unterstützung erreicht haben . Das kann aber nicht die ganze
Antwort sein . Ich bedanke mich für die intensive Beratung und die Einbringung des Entwurfs eines Milchmarktsondermaßnahmengesetztes durch den im Fall der Verabschiedung 116 Millionen Euro zur Verfügung gestellt
werden . Wir kommen hier auf 58 Millionen Euro aus der
Europäischen Union und setzen das uns Mögliche von
Bundesseite drauf, nämlich noch einmal 58 Millionen
Euro . Damit wird der Betrag auf 116 Millionen Euro verdoppelt . 40 Millionen Euro zusätzlich hat die deutsche
Milchwirtschaft - für die Molkereien war das ein wichtiges Signal - durch das Mengenreduzierungsprogramm
der EU abgegriffen . Das heißt, derjenige, der die Produktion nicht ausdehnt, sondern reduziert oder im Rahmen
unseres Programms Mengendisziplin übt, bekommt Liquiditätshilfe . Wir müssen in Zukunft deutlich machen,
dass das Risiko verteilt werden muss . Wenn jemand ein
Risiko in Kenntnis des Risikos eingeht, dann ist das eine
Angelegenheit des Wirtschaftenden . Dann muss er das
selbst regeln; das kann nicht der Staat tun . Aber so weit
sind wir leider nicht . Deswegen sage ich vielen Dank .
Vielen Dank auch dafür, dass wir im steuerlichen
Bereich noch die eine oder andere Regelung erreichen
konnten, auch wenn Kollege Priesmeier darauf hinweisen wird, dass der Bundesminister in diesem Punkt eigentlich noch mehr vorhatte . Vielen Dank für die gute
Zusammenarbeit im Bereich der Gewinn- und Tarifglättung . Wenn in einem Jahr gut verdient worden ist, aber
die nächsten zwei Jahre katastrophal verlaufen sind, dann
muss der Betrieb die Möglichkeit haben, zu überleben .
Unser Ziel ist doch nicht, Steuern einzukassieren . Vielmehr ist unser Ziel, dafür zu sorgen, dass der Betrieb
mittel- und langfristig seine Existenzgrundlage sichern
kann . Planungssicherheit ist hier das Stichwort .
({7})
Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, dass die beiden
Koalitionsfraktionen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Grundlagen dafür geschaffen haben, dass wir,
wenn alles gut geht, im nächsten Vierteljahr Geld dort
zur Verfügung stellen, wo es benötigt wird, nämlich in
den Betrieben .
Dass noch andere Themen besprochen werden müssen, und zwar auch deutlich, das versteht sich von selbst .
Es geht nicht allein um Geld . Es stellt sich auch die Frage: Wer trägt welches Risiko? Ich bin seitens der Bundesregierung bereit, mitzuhelfen, die Kutsche zu bauen; fahren muss die Molkereiwirtschaft allerdings schon selbst .
Ich habe den Eindruck: Da bedarf es ab und zu noch einer
kleinen Fahrausbildung .
Herzlichen Dank .
({8})
Karin Binder hat für die Fraktion Die Linke als nächste Rednerin das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute
den Entwurf eines Gesetzes zum Erlass und zur Änderung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes, in Klammern:
Milchmarktgesetz .
({0})
Jetzt wird für Sie vielleicht etwas klarer, worum es eigentlich geht .
Der Gesetzentwurf ist nach meinem Dafürhalten ein
unausgegorener Schnellschuss . Seit gestern liegt er bei
uns Oppositionsfraktionen auf dem Tisch, und schon
jetzt zeigt sich, dass es noch erheblichen Beratungsbedarf gibt . Diese Vorlage wirft viel mehr Fragen auf, als
sie zur Klärung beiträgt .
Es geht um das Thema Gewinnglättung à la Bundesminister Schmidt . Die Regelungen beziehen sich allein
auf die Einkommensteuer . Ich frage Sie: Welcher Bauer
löst seine Probleme, die durch die derzeitige Milchmarktkrise ausgelöst worden sind, mit der Einkommensteuer?
Ganz ehrlich: Das wird keiner als die Lösung betrachten .
({1})
Das vorgeschlagene Verfahren nutzt nur Einzelbetrieben und Personengesellschaften, die ihren betrieblichen
Gewinn als Einkommen versteuern müssen . Mit der
Verrechnung der Gewinne über mehrere Jahre sollen sie
Steuern sparen . Die Steuereinsparung ist aber nur eine
vorübergehende Einkommenshilfe, eine Überbrückung mehr nicht .
Das tatsächliche Problem ist doch, wie die Landwirtschaft in Deutschland insgesamt aufgestellt ist . Durch die
Exportförderung wird die Landwirtschaft dazu getrieben,
in die Weltmärkte zu exportieren, wo Dumpingpreise
gezahlt werden, mit denen unsere heimische Landwirtschaft gar nicht mithalten kann . Die fairen Preise, die
die Erzeuger in Deutschland bräuchten, werden durch
die Dumpingpreise auf dem Weltmarkt kaputtgemacht .
Anstatt hier für eine Förderung regionaler Kreisläufe,
regionaler Vermarktung und regionalen Wirtschaftens
einzutreten, wird der Export gefördert, und das auf die
Gefahr hin, dass, wenn China vorübergehend kein Geld
für Milchimporte oder den Import von Schweinehälften
mehr hat - auch andere Länder könnten es sich vielleicht
vorübergehend nicht mehr leisten, deutsche landwirtschaftliche Produkte zu importieren -, die Bauern auf ihren Produkten sitzen . Die weggefallene Milchquote verstärkt das Problem . Aber das lösen wir doch nicht durch
eine Gewinnglättung im Rahmen der Einkommensteuer .
Ich sage: Wir brauchen eine verlässliche Versorgung
statt Exportrisiko .
({2})
Wir brauchen starke ländliche Räume mit starken Betrieben, die Umweltschutz, Tierschutz und Verbraucherschutz ernst nehmen und in der Lage sind, all dies umzusetzen . Deshalb fordert die Linke schon seit langem,
stabile Rahmenbedingungen für die Milchviehbetriebe
zu schaffen . Das bedeutet, wir brauchen eine nachfrageorientierte Milchmengensteuerung statt einer Exportförderung .
Die Linke sagt: Die Tierhaltung muss tierschutzgerecht sein . Das bedeutet eine klare Kennzeichnung für
Verbraucherinnen und Verbraucher, die sehr wohl ein
Auge auf die Haltungsform haben . Dabei brauchen die
Landwirte Unterstützung. Wir brauchen eine flächengebundene Bewirtschaftung, das heißt eine bestimmte Anzahl von Tieren in einer bestimmten Region . Das müssen
wir als Politiker definieren.
Wir brauchen ein starkes Kartellrecht . Molkereiverträge müssen unter die Lupe genommen werden, und
die Benachteiligung vieler kleiner Milchbauern muss
endlich beendet werden . Die Oligopole der Supermarktketten müssen aufgebrochen werden . Nur so können Erzeuger künftig auf Augenhöhe mit Molkereien und Einzelhändlern über ihre Preise verhandeln .
({3})
Wir brauchen auch viel mehr regionale Molkereien .
Wir brauchen mehr regionale Lebensmittel im Handel .
Wir brauchen die Kennzeichnung als regionales Lebensmittel, damit Verbraucherinnen und Verbraucher beim
Einkauf nicht getäuscht werden .
Dumping- und Lockangebote bei Lebensmitteln gehören endlich verboten . Wir brauchen ein dauerhaftes
Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis . - Das wären
wichtige Punkte .
Ich frage Sie, Herr Minister: Warum wehren Sie sich
mit Händen und Füßen dagegen, dass von den Betrieben
endlich eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage gebildet werden darf? Das wäre eine langfristige Lösung für
viele landwirtschaftliche Betriebe .
({4})
Dann könnten sie sich in schlechten Zeiten selber mit
dem über Wasser halten, was sie in guten Zeiten steuerfrei zurücklegen durften . Dann stünde das Geld zur
Verfügung, wenn es eng wird . Davon hätten die Bauern
etwas . Der Bauernverband unterstützt diese Forderung .
Ich verstehe nicht, warum unser Minister das nicht endlich umsetzt .
({5})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche eine
gute Beratung .
({6})
Der nächste Redner ist Wilhelm Priesmeier für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin, wie Sie vielleicht
mitbekommen haben, haben die Länderfinanzminister
diesen Vorschlag schon vor längerer Zeit im Bundesrat
unisono abgelehnt . Fragen Sie doch einmal nach, ob
eine Gestaltungsmasse vorhanden ist, das entsprechend
umzusetzen . Ich dachte, Sie seien da auf dem neuesten
Stand .
Wenn wir uns die Situation auf dem Milchmarkt anschauen, müssen wir registrieren, dass wir in den letzten
zwei Jahren herbe Verluste hinnehmen mussten . Die Betriebe haben 7 bis 8 Milliarden Euro weniger eingenommen . Das entspricht ungefähr 112 000 Euro pro Betrieb .
Das macht deutlich, wie ernst die Situation ist .
Ich habe dabei in gewisser Hinsicht ein schlechtes Gewissen; denn wir haben - das müssen wir zugeben, wenn
wir uns die Entwicklung und die Situation anschauen recht zögerlich gehandelt . Wir haben an sich nur weiße
Salbe angerührt und den Kern des Problems in vielen Bereichen nicht rechtzeitig wahrgenommen, oder wir wollten ihn nicht erkennen . Deshalb freue ich mich besonders
über die heutige Äußerung des Bundesministers, dass er
gerade die strukturellen Probleme lösen möchte . Dabei
kann er sich auf meine Unterstützung verlassen .
Vielleicht hätten wir einige Betriebe retten, also von
der Aufgabe abbringen können, wenn wir umgesetzt hätten, was die SPD schon im vergangenen Herbst gefordert
hatte, und rechtzeitig ein Wirtschaftsprogramm aufgelegt
hätten, um Betriebe der Bonitätsklassen 1 bis 4 mit zusätzlicher Liquidität zu versorgen . Dieser Vorschlag ist
aber leider nicht aufgegriffen worden . Wir greifen ihn
jetzt auf, wo das Ende der Krise erkennbar ist, weil die
Preise am Spotmarkt schon wieder 40 Cent erreicht haben . Das ist ein bisschen spät .
Auch die Erkenntnis, auf einen Qualitätsmarkt zu setzen, ist im Kern richtig . Ich glaube, auch diesen Weg sollten wir unterstützen . Dazu passen die vielen Vorschläge,
die die Kollegin eben gemacht hat . Das kann man gemeinsam mit den Ländern organisieren . Dafür muss man
natürlich etwas in die Hand nehmen . Auch dazu wären
wir von der SPD bereit .
Wenn ich mir nicht nur die Artikel 1 und 2 dieses Gesetzentwurfs anschaue, sondern auch den Artikel 3, dann
stelle ich mir die Frage, wie das Ganze entstanden ist . Ich
habe gehört, dass der Herr Minister auf dem Deutschen
Bauerntag gesagt hat - ich zitiere -:
Wir greifen Ihre Ideen zur Steuererleichterung durch
Gewinnglättung auf . Auch das entlastet alle Betriebe und hilft in Zeiten stark schwankender Gewinne .
Es ging um die Vorschläge des Deutschen Bauernverbandes . Da frage ich mich: Wer macht in diesem Parlament
das Gesetz, und wer schlägt die Lösungswege vor? Ich
bin da recht nachdenklich geworden .
Aus dem Grunde, glaube ich, muss man verschiedene
Punkte in diesem Gesetzentwurf kritisch sehen . Wir haben es nicht zugelassen, dass Grund und Boden, so wie es
ursprünglich vorgeschlagen worden war, veräußert werden, wenn Betriebe in Schwierigkeiten sind . Das brauchen sie hinterher, wenn sie die Krise überstanden haben .
Es ist nach unserer Einschätzung auch nicht gewünscht,
dass man den Bodenmarkt, der in vielen Bereichen sowieso schon Überhitzungserscheinungen zeigt, was landwirtschaftliche Flächen angeht, noch zusätzlich befeuert .
Daher, glaube ich, war es richtig, dass dies keinen Niederschlag im Gesetzentwurf gefunden hat .
Wir stehen natürlich an der Seite der Betriebe und
auch an der Seite derer, die Hilfe brauchen . Wir hoffen,
dass wir mit dem Gesetzesvorschlag jetzt zumindest einen Teil dazu beitragen können . Eine Gewinnglättung
sollte es unserer Meinung nach nur vorübergehend geben . Wir haben uns dagegen gewehrt, dieses System
dauerhaft zu implementieren . Warum? Wir haben es für
falsch gehalten, weil wir dadurch verfassungsrechtliche
Probleme bekommen . Wir würden dann eine Lex Landwirtschaft machen, die dauerhaft gültig ist, und müssten
uns fragen, warum solche Regelungen nicht auch für
andere Wirtschaftsbereiche gelten . Was ist mit demjenigen, der einen Gastronomiebetrieb hat und im Sommer
geringe Einnahmen durch schlechtes Wetter hatte, oder
demjenigen mit einem Beherbergungsgewerbe an der
Küste, der eine schlechte Saison hatte? Hat er den gleichen Anspruch? Diese Fragen muss man dabei im Auge
behalten . Aus diesem Grunde, glaube ich, ist es richtig,
den Zeitraum zu begrenzen, und zwar beginnend mit dem
Bezug 2014 bis 2022 .
Wir müssen überlegen, ob wir bei dieser gesetzlichen Regelung Gestaltungsspielräume für die Betriebe
eröffnet haben, die über erhebliche Einkommen verfügen . 10 Prozent haben auch in der jetzigen Situation immer noch ein Einkommen von mehr als 100 000 Euro .
Der normale Nebenerwerbsbetrieb hat weniger als
1 000 Euro Einkommen . Das macht deutlich, dass man
mit dieser Vorschrift Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen
muss und in Kauf nimmt . Wir haben erhebliche Zweifel,
ob das dauerhaft und zielgerichtet so sein muss .
({0})
Die jetzt angedachte Regelung ist vielleicht gerade
noch verfassungstauglich . Die Bundesländer haben schon
signalisiert, dass sie damit erhebliche Probleme haben .
Sie beklagen sich auch darüber, dass sie nicht rechtzeitig informiert wurden . Ich habe 30 Fragen an das BMF
gestellt; der Vertreter des BMF sitzt auf der Regierungsbank . Diese 30 Fragen habe ich Anfang August gestellt .
Seitens des BMF gab es offensichtlich nicht genügend
Zeit, sie ausreichend zu beantworten . Die Antworten haben mich nicht zufriedengestellt . Hier, glaube ich, ist das
Auskunftsrecht, das Abgeordnete haben, wenn es um Gesetzgebung geht, mit Füßen getreten worden, und zwar
ganz bewusst, um hinterher in der Situation zu sein, die
wir jetzt haben, nämlich dass wir diesen Gesetzentwurf
über die Fraktionen einbringen müssen, damit wir ihn
fristgerecht zum Jahresende über die Bühne bekommen .
Das ist ein Versäumnis . Über die Ursachen des Versäumnisses sollte man einmal nachdenken . Sie liegen jedenfalls nicht bei der SPD-Bundestagsfraktion .
({1})
Die beste Risikovorsorge für die Betriebe ist immer
noch eine gute Eigenkapitalausstattung . Unsere Betriebe haben das . Sie liegt zwischen 77 und 80 Prozent . Ich
glaube, das ist auch ein Ansatz, den man fördern kann,
wenn es um Risikovorsorge geht .
Noch ein Hinweis eines Länderfinanzstaatssekretärs:
Aus steuertechnischer Sicht geht die Vorschrift ins Leere, wenn im letzten Jahr des Betrachtungszeitraums keine
oder eine nur geringe Einkommensteuer festgesetzt wurDr. Wilhelm Priesmeier
de, weil das Einkommensteuerrecht keine negative Steuerfestsetzung erlaubt . Das ist schon der erste Punkt, an
dem wir nachbessern müssen .
Zur Qualität dieses Entwurfes muss ich sagen: Hätte man sich mehr Zeit genommen und hätte man vor allen Dingen auch meine Fragen rechtzeitig beantwortet,
wären diese Dinge vielleicht schon früher aufgefallen .
Jetzt müssen wir es über kurz oder lang in der nächsten
Beratungsrunde im Ausschuss regeln . Wir werden wahrscheinlich zu einem Ergebnis kommen; aber in Gänze,
glaube ich, ist dieses Gesetz mit der heißen Nadel gestrickt .
Aus meiner Sicht gibt es immer noch Probleme bei
diesem Gesetz; das bereitet mir Kopfschmerzen . Ich hoffe, dass im nächsten Jahr, wenn wir bewerten können, ob
das Gesetz wirkt und ob die Folgen, die gewünscht sind,
in den nächsten Jahren eintreten, meine Kopfschmerzen
vielleicht verschwinden .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Ich halte es für bedenklich, Betriebe, die Einkommen
jenseits von 100 000 Euro haben, in größerem Umfang
steuerlich zu bevorteilen als all die anderen Betriebe, die
betroffen sind . Ich als Sozialdemokrat habe damit ein Gerechtigkeitsproblem . Tut mir leid .
Vielen Dank .
({0})
Als nächster Redner hat Friedrich Ostendorff für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Wahlkampf lässt scheinbar grüßen .
Urplötzlich sehen wir Engagement und Bewegung bei
Minister Schmidt . Er habe sich ganz mächtig ins Zeug
gelegt, um den Milchbauern aus der Krise zu helfen;
116 Millionen Euro würden jetzt bereitgestellt, erzählt er
uns . Dabei handelt es sich doch, wenn wir ehrlich sind,
im Wesentlichen um die von Europa bereitgestellten Mittel und die vom Minister schon im Sommer angekündigte
nationale Aufstockung . Das ist also alter Wein in neuen
Schläuchen .
Natürlich ist es schon ein Erfolg, wenn der Minister
nach wortreichen Ankündigungen auch einmal gewillt
ist, etwas umzusetzen . Reicht es Ihnen eigentlich aus,
Kolleginnen und Kollegen, wenn über diesen Minister in
der Zukunft vielleicht geurteilt wird: „Er bemühte sich
stets, die ihm übertragenen Aufgaben zu erledigen“?
({0})
Dafür müssten wir ihn angesichts des täglichen Chaos,
das uns aus seinem Hause erreicht, vielleicht noch loben .
Das ist aber keine verantwortungsvolle, entschlossene
Politik, Herr Minister .
({1})
Bekanntermaßen sind wir Grüne sehr gnädig und sagen:
Besser spät als nie . - Immerhin wird die Beihilfe ja nun
an eine sogenannte Mengendisziplin gebunden . Mengendisziplin - ist das nicht das, was die Grünen immer gefordert haben? Ich kann mich entsinnen, dass wir in jeder
Rede genau das gefordert haben .
({2})
Herr Minister, Ihren Vorschlägen fehlt jegliche substanzielle Stringenz, die angesichts der Situation bei der
Milcherzeugung notwendig wäre . Vorredner Priesmeier
hat auf die Verluste hingewiesen . Sie liegen im Milliardenbereich . Was sind da 116 Millionen Euro? Ihr Handeln, Herr Minister Schmidt, kommt viel zu spät . Wir
Grüne haben immer wieder vehement auf die erwartbare
Dramatik am Markt nach dem Fall der Milchquote am
1 . April 2015 hingewiesen . Sie von der CDU/CSU haben
das als Panikmache abgetan; das ist die Realität . Wer hat
recht behalten? Leider war unsere Einschätzung richtig .
Herr Minister, schauen wir uns Ihre Vorschläge etwas
genauer an . Bezeichnend ist doch schon der Titel der vorgelegten Verordnung: „Milchsteigerungsvermeidungsbeihilfeverordnung“ .
({3})
Ich muss ihn noch einmal sagen: „Milchsteigerungsvermeidungsbeihilfeverordnung“ .
({4})
Welch ein Wortungetüm! Das ist vielleicht das Unwort
des Jahres - wer weiß?
({5})
Welch ein Irrsinn aber auch! Es geht allein um Mengenreduzierung, Herr Minister, doch nicht um Steigerungs-irgendetwas . Wir Grüne wollen einen Abbau von
steuerlichen Sondertatbeständen; aber Sie schaffen mit
der Gewinnglättung neue .
Wieder einmal wird mit der Gießkanne Geld über die
gesamte Landwirtschaft gegossen . Warum zum Beispiel
gibt es keine Glättung in anderen Bereichen, wie der
Kollege Priesmeier gefragt hat? Diese Frage geht auch
mir durch den Kopf . Warum gibt es keine Glättung für
Tourismusbetriebe? Auch bei diesen Betrieben schwanken die Jahresergebnisse stark, je nach Witterung und
Einkommenslage der Kunden . Warum nicht hier? Warum
ein Sonderrecht für die gesamte Landwirtschaft, wenn es
doch eigentlich um die Milch geht?
Auch Ihre Finanzexperten schlagen vor Entsetzen die
Hände über dem Kopf zusammen . Aber Sie von der Union streuen, wie so oft, den Bauern und Bäuerinnen, um
über die nächste Wahl zu kommen, Sand in die Augen .
Sie verteilen wieder einmal Drops zur Beruhigung des
aufgebrachten Landvolks . Wahrscheinlich versuchen Sie
morgen auch noch, sich vor dem notleidenden Landvolk
als Sankt Martin zu inszenieren .
Sie von der Union möchten die Menschen glauben
machen, das sei der ganz große Wurf . Dabei ist das
Glätten für alle in höchstem Maße ungerecht . Mit der
Aufhebung der Veräußerungsgewinnbesteuerung - auch
hierauf hob Kollege Priesmeier ab -, die von Ihnen ja
ganz groß angekündigt worden ist, sind Sie doch schon
krachend gescheitert . Hier wird keine gezielte Hilfe an
Betriebe in Not verteilt, sondern Geld nach dem Prinzip
„Wer hat, dem wird gegeben“ . Betriebe in Not machen
keine Gewinne, meine Damen und Herren . Was soll denn
da eine Gewinnglättung bringen?
({6})
Wie bei der Unfallversicherungsbeihilfe wird hier allen und nicht nur den notleidenden Milchbauern gegeben . Selbst 22 Prozent der Landwirte sagen bei der „top
agrar“-Umfrage - Kollegin Connemann, hören Sie zu -,
({7})
diese Maßnahme sei absoluter Quatsch . Wer hätte das
gedacht!
Wir Grüne können dem vorliegenden Gesetzentwurf
in dieser Form nicht zustimmen . Die Milchbetriebe brauchen endlich eine wirksame, gezielte Hilfe . Dafür treten
wir ein .
({8})
Meine Damen und Herren, aus der letzten Krise lernen
heißt doch: Statt weißer Salbe und kleiner Weihnachtsgeschenke brauchen wir für die Zukunft endlich wirksame Krisenmanagementinstrumente, um den Zusammenbruch der bäuerlichen Milchviehhaltung zu stoppen .
Dafür kämpfen Grüne .
({9})
Als nächster Redner spricht Franz-Josef Holzenkamp
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe den Eindruck, hier tun manche so, als ob wir
jemanden zu Grabe tragen wollten . Wir wollen Hilfen für
die Landwirte . Wilhelm, du hast gesagt, die Situation sei
ernst . Ja, aufgrund der dramatischen Marktsituation ist
sie ernst . Wir wissen, dass wir die Märkte politisch nicht
ersetzen oder absolut steuern können . Deshalb bringen
wir flankierende Maßnahmen auf den Weg. Das ist erst
einmal ein Grund zur Freude . Wir tragen hier niemanden
zu Grabe .
({0})
Wir wollen Strukturbrüche vermeiden . Deshalb wollen wir unserer Verantwortung gerade für den ländlichen
Raum und für Bauernfamilien gerecht werden und kümmern wir uns, weil wir wissen, dass der ländliche Raum
ohne Bauernfamilien sein Gesicht und letztendlich auch
sein Herz verliert .
({1})
Deshalb tun wir etwas .
Natürlich kann man immer sagen, das sei zu spät . Ich
nehme für uns, die Union, in Anspruch, dass wir den Pakt
für die Landwirtschaft mit einem großen Maßnahmenpaket fraktionsintern bereits wesentlich vor der Sommerpause auf den Weg gebracht haben . Heute sprechen wir
über zwei Maßnahmen daraus, während es im Gesamten
um viel mehr Maßnahmen geht .
Wir sprechen zum einen über die europäischen Hilfen,
die wir immerhin verdoppeln . Herr Kollege Ostendorff,
diese verbinden wir mit einer Mengendisziplin,
({2})
die von der Wirtschaft gelebt und nicht staatlich hineingesteuert wird . Das haben wir letztlich auch immer gesagt, und auch die Grünen haben das immer gefordert .
Das ist richtig, und dem widerspreche ich auch gar nicht .
Hier haben wir aber etwas getan, und das hat Wirkungen im Land entfaltet . Darüber sollten wir uns freuen .
Ich persönlich - das gilt auch für meine Fraktion - bin
froh, dass das Bundesfinanzministerium bereit war, die
58 Millionen Euro auf 116 Millionen Euro zu erhöhen .
Das ist eine große Leistung . Herzlichen Dank dafür auch
an die AG Finanzen!
({3})
Zum anderen reden wir über das Thema Gewinnglättung . Wenn man das infrage stellt - das ist eine Art Risikoausgleichsrücklage -, dann sollte man sich einmal
damit beschäftigen .
({4})
Auch weil unser Koalitionspartner das wollte, haben wir
das bewusst auf Personengesellschaften begrenzt . Warum? Weil Kapitalgesellschaften einem konstanten Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent und eben nicht einer
Steuerprogression unterliegen . So entsteht daraus letztendlich auch eine gewisse Logik .
Herr Ostendorff, wenn Sie sagen, nur der Milchwirtschaft müssten wir helfen: Nein, das stimmt nicht .
({5})
Auch Schweinebetriebe und Sonderkulturbetriebe haben
Probleme, und in diesem Jahr haben auch Ackerbaubetriebe Probleme . Wir fühlen uns für den gesamten ländlichen Raum verantwortlich . Das ist bei Ihnen offensichtlich nicht unbedingt so .
({6})
Wir hätten gerne noch mehr erreicht . Wir wollten zum
Beispiel die Freibeträge nicht nur auf Basis des Landverkaufs gestalten, sondern steuerliche Freibeträge generell
zur Schuldentilgung, aber nur für die Betriebe, die tatsächlich auf Liquiditätshilfedarlehen angewiesen sind .
Auch das wäre zielgerichtet gewesen . Auch wenn das
nicht gelungen ist, sind die vorgeschlagenen Maßnahmen, finde ich, ein großer Erfolg.
Man muss dies auch im Zusammenhang mit den anderen Maßnahmen sehen, nämlich mit den 70 Millionen
Euro des ersten europäischen Hilfspaketes im letzten
Jahr, mit den 150 Millionen Euro für eine freiwillige
europäische Mengenreduzierung, mit dem Agrarmarktstrukturgesetz, bei dem die Branche bislang natürlich
viel zu wenig getan hat, und mit dem Bundeszuschuss
zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, den wir um
immerhin 78 Millionen Euro erhöht haben . Wir haben erreicht, dass dies auch noch auf das nächste Jahr verstetigt
wird .
({7})
Außerdem starten wir noch ein Bürgschaftsprogramm,
vorgesehen im Haushalt 2017 . Das ist ein Gesamtpaket,
von dem letztendlich alle Betriebsstrukturen profitieren.
Wir wollen keine Partikularinteressen vertreten, sondern
den gesamten ländlichen Raum, und das leisten wir damit, meine Damen und Herren .
({8})
Somit sind die Maßnahmen ein Erfolg und stellen eine
echte Hilfe für unsere Landwirtschaft dar .
Wir müssen es schnell machen . Ich hätte auch gerne
mehr Zeit, lieber Kollege Priesmeier, aber wir wollen,
dass der Entwurf noch den Bundesrat erreicht, damit die
Mittel im nächsten Jahr auch tatsächlich wirksam werden . Also lasst uns einmal uns nicht so anstellen, sondern
die Dinge dann auch zügig umsetzen . Ich bin jedenfalls
allen Beteiligten sehr dankbar, dass wir letztendlich in
der Koalition diesen Weg miteinander gehen wollen .
An dieser Stelle möchte ich auch einmal die Bundesländer auffordern, dabei zügig mitzugehen .
({9})
Wir haben über ein Jahr lang nur Forderungen gehört;
aber es wurde nichts geliefert .
({10})
Im Übrigen wurde diese Gewinnglättung massiv von der
AMK eingefordert . Ich bin sehr gespannt, ob der Bundesrat dann zügig mit uns mitgeht, damit wir den Bauern
in Deutschland zügig helfen können .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Maßnahmenpaket zeigt - es ist nie genug, Herr Kollege
Ostendorff, meinetwegen -, dass wir Landwirtschaft und
Lebensmittelerzeugung in Deutschland in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns stellen und wir uns
ausdrücklich zur Lebensmittelerzeugung in Deutschland bekennen . In einer Zeit, in der viele Landwirte immer stärkeren Anfeindungen unterliegen, unterstreiche
ich dies ganz besonders, weil ich meine, die Bauern in
Deutschland haben Unterstützung und Anerkennung für
ihre tagtägliche Arbeit verdient - bei allen Veränderungsnotwendigkeiten, die in naher Zukunft auch auf uns zukommen werden . Sie haben Unterstützung und Anerkennung verdient . Dafür werben wir als Unionsfraktion . Ich
bitte um Ihre Zustimmung .
Herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Lothar Binding das Wort .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Begeisterung vom Kollegen
Holzenkamp für die Landwirtschaft schließen wir uns an,
({0})
seiner Begeisterung für die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen natürlich nicht . Das können Sie von einem Finanzer auch nicht erwarten .
({1})
Wir sind dabei, eine Notoperation vorzunehmen .
Deshalb lassen wir uns auf bestimmte Dinge ein; denn
eines ist klar: Steuerliche Sondertatbestände, Schedulenbesteuerung, steuerliche Bevorzugung bestimmter
Branchen oder bestimmter Bevölkerungsgruppen sind
für uns ein Gräuel . Das sind Dinge, die man eigentlich
nicht machen darf, es sei denn, man lässt sich darauf ein,
zu erkennen, dass eine Notlage besteht . Dann muss man
vielleicht auch von solchen Grundsätzen abweichen . Ich
meine, Kollege Priesmeier hat die kritischen Punkte im
vorliegenden Gesetzentwurf genannt . Insofern ist die Sache etwas komplizierter, und auch der Name „Milchsteigerungsvermeidungsverordnung“ deutet eine Zielgenauigkeit an, die wir mit dem Gesetz nicht erreichen . Auch
das ist schon angesprochen worden, und das sehen wir in
der Finanzarbeitsgruppe natürlich ebenfalls .
Die Bauern mit Milchkühen haben schon länger Probleme; sie sind schon lange in einer schwierigen Lage .
Überhaupt ist die Landwirtschaft schon lange in einer
schwierigen Lage - wenn ich mich richtig erinnern kann,
eigentlich seit der Nachkriegszeit . Seit der Nachkriegszeit gab es immer wieder große Verwerfungen in diesem
Markt, und im Grunde haben wir heute mit Spätfolgen,
wenn man so will, fehlgelenkter Marktbeeinflussung der
50er-, 60er- und 70er-Jahre zu tun . Der Markt war anfangs schlecht reguliert, dann schaffte die Kommission
noch die Quote ab . Was ist passiert? Überproduktion und
Preisverfall in hochvolatilen Märkten, und das war eine
Ursache für die aktuellen Probleme .
Jetzt habe ich irgendwie 50 Jahre übersprungen, und
wir sind heute in einer aktuellen Problemlage und wollen
darauf aktuell reagieren . Man erkennt daran aber auch,
dass die Lobby, die in diesem Markt agiert, offensichtFranz-Josef Holzenkamp
lich verlernt hat, was normales Marktgeschehen ist . Ein
normaler Markt verfügt über eine automatische Stabilisierung . Das gibt es nicht mehr . Es ist alles so verworfen,
dass man ohne künstliche Maßnahmen gar nicht mehr
zurechtkommt .
({2})
Das begründet heute befristete Maßnahmen, weil wir
sagen: Wir sind in einer Art Übergangsmarkt hin zu einer
dann hoffentlich von allen mitgetragenen Normalität, in
der es dann solche Maßnahmen nicht mehr braucht . In
dieser Übergangsphase wollen wir den Bauern befristet helfen, natürlich im Wesentlichen mit Liquidität, ein
bisschen Steuernachlass und einer Absenkung der Progression .
Dabei muss man auf der Gegenseite fragen: Ist das mit
Blick auf die wirklich exorbitant gute Eigenkapitalausstattung der meisten Betriebe das richtige Instrument?
Denn die haben eine Eigenkapitalausstattung, von der
alle anderen in der Welt nur träumen können: von über
70 Prozent . So könnte man sich möglicherweise auch
andere Transfers vorstellen . Gleichwohl: Wir haben jetzt
einen Kompromiss gefunden und wollen eine gewisse
Gewinnglättung und damit die hoch schwankende Einkommensteuer als Folge von hoch schwankenden Gewinnen moderieren .
Man muss sagen, dass die CDU-Kollegen diese Maßnahmen unbefristet haben wollten und damit den falschen Reflex für die Hoffnung entwickeln, dass sich der
Markt ordentlich stabilisiert und wie ein normaler Markt
funktioniert . Sie hätten damit im Grunde unterschrieben,
dass der Markt nie mehr normal funktionieren wird . Diese Hoffnung wollen wir natürlich nicht aufgeben .
({3})
Ich glaube, man muss sich immer das Gefühl für ein subventionsfreies Marktgeschehen erhalten, sonst hat man
dauerhaft ein Problem . Es ist natürlich klar: Ich denke,
Spezial- und Fachausschüsse dürfen sich nicht im Lobbyismus verlieren . Wir alle sind in jedem Fachausschuss
dem gesamten Volk verpflichtet.
Jetzt komme ich kurz zur Definition: Wie sieht die
Hilfe eigentlich aus? An der Gewinnermittlung an sich
ändert sich gar nichts . Er wird in drei Jahren jahresbezogen ermittelt . Daraus ergeben sich die genannten
Schwankungen . Was passiert dann tatsächlich? Wir wollen alle Gewinne und Verluste über die drei Jahre verteilen, dann gibt es eine Günstigerprüfung . Bei diesem
Ergebnis schauen wir: Steigert sich die Progression?
Dann passiert den Landwirten nichts, denn die Progression wird abgeschwächt . Dadurch helfen wir natürlich
den Landwirten, die Belastungen aus der Volatilität der
Einkünfte zu überwinden .
Ich will noch eine Bemerkung machen, weil wir das für
eine verträgliche Hilfe halten . Der Minister hat sehr stark
von Risikoverteilung und Subventionen gesprochen . Ich
glaube, das ist der falsche Blick auf Lösungsmomente .
Wir müssen vielmehr fragen: Gibt es faire Preise im
Markt? Gibt es faire Löhne? Gibt es gute Produktionsbedingungen und gute Vermarktungsbedingungen? Erst in
zweiter, dritter oder vierter Linie sollten wir überlegen:
Wie verteilen wir Risiken künstlich per Parlament? Wie
wollen wir die Subventionen künstlich per Parlament so
verteilen, dass es den Betrieben gut geht? Ich glaube, wir
sollten uns in diesem Falle viel mehr dem Naturgeschehen des Marktes anvertrauen . Das könnte langfristig die
beste Politik sein .
Mit diesem Verständnis und sogar Vertrauen in einen
Markt, der gegenwärtig unter großen Verwerfungen leidet, schauen wir positiv in die Zukunft .
({4})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Olav Gutting,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Bauer sucht Geld - die wirtschaftliche Situation vieler
landwirtschaftlicher Betriebe ist mehr als angespannt .
Viele unserer Bauernfamilien kämpfen in diesen Monaten um ihre Existenz . Es braucht deshalb in der Krise
Hilfsmaßnahmen für Höfe und für den ländlichen Raum .
({0})
Diese Hilfsmaßnahmen hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits im frühen Sommer mit ihrem Pakt
für die Landwirtschaft gefordert . Das ist nichts Neues .
Dafür kämpfen wir schon seit vielen Monaten .
({1})
Wir haben es eben schon gehört: Es geht hier vor
allem um direkte Hilfen, aber auch um steuerliche Erleichterungen . Mit der in diesem Entwurf vorgesehenen
Änderung des Einkommensteuergesetzes verbessern wir
die Möglichkeit zur Gewinnglättung für Einkünfte aus
der Land- und Forstwirtschaft . Konkret: Der Gewinnermittlungszeitraum bei Landwirten soll von derzeit zwei
Jahren auf drei Jahre verlängert werden . Hierzu werden
dann die steuerpflichtigen Einkünfte von drei Jahren
summiert - Kollege Binding hat es schon erklärt, aber
ich will es noch einmal sagen; Redundanz hilft hier, weil
es nicht ganz unkomplex ist - und gleichmäßig verteilt .
Liegt dann die tatsächlich gezahlte Einkommensteuer
höher als die fiktiv berechnete, dann wird es am Ende des
letzten Veranlagungszeitraums eine entsprechende Steuerermäßigung oder -erstattung geben .
Damit unseren Landwirten auch schnell geholfen
wird, soll diese Gewinnglättung rückwirkend erstmals
für die Jahre 2014 bis 2016 möglich sein . Das heißt, es
kann sofort ab dem nächsten Jahr mit dieser zusätzlichen Liquiditätshilfe gerechnet werden . Möglich ist diese Glättung bis zum Veranlagungszeitraum 2022 . Man
kann in der Tat über diese Begrenzung unterschiedlicher
Meinung sein . Aber ich glaube, sie macht am Ende doch
Sinn; denn wir wollen natürlich keine Dauersubvention,
({2})
Lothar Binding ({3})
sondern wir wollen eine Soforthilfe für den vielfach anstehenden Transformationsprozess .
({4})
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir von der Union uns
noch mehr hätten vorstellen können .
({5})
Wir wollten eigentlich unseren Landwirten in dieser kritischen Situation noch mehr helfen . Zur Wahrheit gehört
aber auch: Mehr war mit dem Koalitionspartner nicht zu
machen .
({6})
Man kann trotz dieser Einschränkung sagen: Der steuerliche Teil der Hilfsmaßnahmen ist eine spürbare Verbesserung insbesondere für unsere gebeutelten Milchbauern .
Vorhin haben Sie, Herr Kollege Ostendorff, aus einer
Umfrage zitiert . Sie haben irgendwas von 20 Prozent erzählt . Sie sollten die Umfrage schon richtig zitieren . Sie
kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass über 70 Prozent
der Befragten diese Maßnahmen als gut und enorm hilfreich empfinden.
({7})
Als Finanzer will ich nicht verhehlen, dass wir uns
bei den Beratungen zu dem Gesetzentwurf schwergetan
haben . Ausnahmen bei der Besteuerung sind immer problematisch, und es bleibt am Ende doch in steuersystematischer Hinsicht bei gewissen Bauchschmerzen . Auch
andere Branchen - das wurde schon gesagt - leiden unter Marktschwankungen und sind witterungsabhängig .
Trotzdem haben wir in der Landwirtschaft eine Sondersituation: Viele Bauern und ihre Familien in Deutschland
leiden unter den Preiseinbrüchen bei ihren Erzeugnissen
und befinden sich in einer außerordentlich schwierigen
Lage . Für sie geht es schlichtweg um die Existenz . Sie
befinden sich in einer akuten Notlage. Deswegen werden wir unseren Bauern, dem Herzstück und Gesicht des
ländlichen Raumes, mit diesem Gesetz helfen .
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns mit
diesem Gesetz sputen . Ich freue mich auf die weiteren
parlamentarischen Beratungen, und ich hoffe, dass wir
angesichts der prekären Lage vieler Landwirte auf einen raschen Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens
zählen können, damit wir dann schnell dem ländlichen
Raum in der Krise helfen können .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Ausspra-
che .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10237 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c sowie
Zusatzpunkt 6 auf:
9 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Drucksache 18/10207
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen
Drucksache 18/7508
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Parlaments- statt Ministererlaubnis im
Kartellrecht
Drucksache 18/10240
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({2}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin
Andreae, Dr . Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis
Drucksachen 18/8078, 18/10279
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keine anderen Vorschläge . Dann ist so beschlossen .
Dann eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Uwe Beckmeyer .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute in erster Lesung eine weitreichende Modernisierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen . Das ist eine vermeintlich trockene
Materie . Aber diese hat es in sich, weil in einigen Bereichen Handlungsbedarf besteht . Die 9 . GWB-Novelle
bringt das Wettbewerbsrecht auf den Stand des digitalen
Zeitalters . Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt,
dass das althergebrachte Instrumentarium des Wettbewerbsrechtes nur zum Teil auf die neuen Geschäftsmodelle einer digitalisierten Welt passt . Mit der Novelle
schaffen wir nun ein - ich nenne es einmal so - Wettbewerbsrecht 4 .0 . Das Bundeskartellamt hat sich bereits
intensiv mit der Rolle von Facebook, Amazon und Co .
befasst . Wir geben mit diesem Wettbewerbsrecht dem
Kartellamt nun neue Beurteilungskriterien an die Hand .
Hierzu zählen zum Beispiel Netzwerk- und Skaleneffekte sowie der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten .
Der Bedeutung von Daten als neuer Währung unserer
Zeit tragen wir auch bei der Fusionskontrolle Rechnung .
Sie wird auf Fälle erweitert, die bislang außerhalb unseres Radars geblieben sind . Die Übernahme von WhatsApp durch Facebook hat gezeigt, dass auch Unternehmen
ohne nennenswerte Umsätze erhebliche wettbewerbliche
Bedeutung haben können und entsprechend teuer sind .
Bislang war die Voraussetzung für die deutsche Fusionskontrolle aber nur, dass bestimmte Umsatzschwellen erreicht werden . Der Kaufpreis spielte dabei keine Rolle .
Das ändern wir jetzt . Wichtige Impulse dafür hat uns die
Monopolkommission in ihrem Sondergutachten zur Digitalisierung gegeben . Die Erweiterung der Fusionskontrolle ist so gestaltet, dass sie die deutsche Start-up-Szene
nicht beeinträchtigt . Sie greift erst ab einem Kaufpreis
von mehr als 400 Millionen Euro . In den vergangenen
Jahren gab es in Deutschland maximal eine einzige Übernahme pro Jahr . Hier geht es also nur um die Spitze des
Eisbergs . Im Übrigen bedeutet eine Prüfung der wettbewerblichen Auswirkungen natürlich nicht per se ein
Verbot von Fusionen . Das Kartellamt soll sich jedoch die
Fälle genau ansehen können .
Bei den Bußgeldern schließen wir nach der Aufdeckung eines Kartells in der Fleischwarenindustrie mit
der Novelle die sogenannte Wurstlücke . Die beteiligten Unternehmen haben sich den Bußgeldern durch gesellschaftsrechtliche Tricks entzogen . Zwar ist es nicht
möglich, hier rückwirkend etwas zu unternehmen . Aber
so etwas wird es in Zukunft nicht mehr geben können .
Wir schließen diese Lücke, indem wir eine umfassende
Verantwortlichkeit der Unternehmen einführen . Künftig
werden sowohl die Muttergesellschaft für ihre Tochter
als auch der Nachfolger für ein gekauftes Unternehmen
die Bußgelder für frühere Kartelle zahlen müssen . Das
schließt zugleich eine Gerechtigkeitslücke; denn derartige Tricks können sich nur Konzerne erlauben . Der
Mittelständler mit einer einfachen Unternehmensstruktur
musste hier bisher zuschauen, wie große Kartellanten davonkommen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen
darüber hinaus ein wichtiges Signal gegen einen zum Teil
ruinösen Preiskampf im Lebensmitteleinzelhandel; die
Debatte über den Milchpreis zeigte, dass dort einiges los
ist . Dazu entfristen wir das Verbot, Lebensmittel unter
Einstandspreis zu verkaufen . Solche Lockangebote sollen nicht zu unfairem Wettbewerb führen . Dies ist nicht
nur für uns, sondern auch für die Landwirtschaft und die
Lebensmittelhersteller ein Anliegen .
Schließlich erleichtern wir mit der Novelle die Kooperation von Presseverlagen; das hatten wir uns schon im
Koalitionsvertrag vorgenommen . Künftig können Verlage jenseits der Redaktionen etwa den Anzeigenvertrieb
gemeinsam organisieren . Das wird gerade kleinen Verlagen und Lokalzeitungen helfen, sich wichtigen Aufgaben
im digitalen Zeitalter zu stellen .
Wie Sie sehen, ist die 9 . GWB-Novelle ein umfassendes Projekt, das deutsche Wettbewerbsrecht zeitgemäß
zu gestalten und den Kartellbehörden die notwendigen
Instrumente zu geben und Durchsetzungskraft zu verleihen . Diese Novelle ist aber nicht das Ende der Geschichte . Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir im
letzten Verfahren der Ministererlaubnis gemacht haben,
evaluieren wir gerade, ob und wie wir zu weiteren Verbesserungen und Klarstellungen im Rahmen dieser Novelle kommen können .
Meine Damen und Herren, hier ist Klarstellungsbedarf nötig . Den leisten wir . Bitte stimmen Sie unseren
Wünschen und unseren Vorschlägen zu .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({0})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Michael Schlecht .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in diesen Gesetzentwurf
hineinschaut, stellt man fest: Es geht um die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen . - Dabei fällt
eine Sache sofort auf, dass durch einen Punkt in dieser
Novelle, den Sie, Herr Beckmeyer, zum Schluss Ihrer
Rede merkwürdigerweise auch noch lobend erwähnt haben, die Bildung von Kartellen erleichtert, ja geradezu
provoziert wird . Sie selbst haben eben den Pressebereich
angesprochen: Es soll geregelt werden, dass Presseverlage, also Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, in allen
Bereichen unterhalb der Schwelle der Redaktion Kooperationen und Zusammenschlüsse mit anderen Unternehmen eingehen können, also quasi auch Kartelle bilden
können. Ich finde, es ist schon ein Schildbürgerstreich
hoch drei, wenn so etwas in so einem Gesetz steht . Unter der Überschrift „Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen“ werden Marktteilnehmer hier sozusagen
zur Kartellbildung aufgefordert . Ich meine, das kann man
nur ablehnen .
({0})
Die Folgen einer solchen Regelung sind vollkommen
klar: Presseunternehmen - es sind im Regelfall die mehr
oder minder großen Pressekonzerne - transferieren mit
weiteren Auslagerungen Tätigkeiten in tariflose Tochterunternehmen hinein . Was das für die Kolleginnen und
Kollegen, die dort arbeiten, bedeutet, das haben sie schon
längst verstanden . Deswegen opponiert Verdi gegen diese Regelung in diesem Gesetzentwurf heftig .
Ich will jetzt auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen . Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass Sie
jetzt im Lichte der Erfahrungen gerade mit der jüngsten
Ministererlaubnis überprüfen, ob man dort etwas verbessern wird . In der Tat - wir haben dazu einen Entwurf
vorgelegt - sind wir der Auffassung, dass man es verbessern muss, konkret: dass man die Last einer Ministererlaubnis, im Notfall einer Erlaubnis für eine Fusion,
wenn sie aus Gründen des Gemeinwohls notwendig ist,
im Grunde genommen ein Stück weit von der Schulter
eines einzelnen Ministers herunternehmen sollte . Wir
sind dafür, dass der Minister eine solche Entscheidung
dem Parlament unterbreiten soll und sich das Parlament
bitte schön mit solchen gravierenden Fällen beschäftigt .
Ich finde, auch in dem jüngsten Fall hätte es uns gut
angestanden, wenn wir hier im Parlament über den Übergang von Kaiser’s Tengelmann zu Edeka debattiert und
entschieden hätten . Dann wäre von Anfang deutlich geworden, worum es geht, nämlich auch darum, 16 000 Arbeitsplätze zu retten . Deswegen lautet unser Vorschlag,
dass man dies in Zukunft verändert und dass man diese
Möglichkeit herbeiführt .
Ein wichtiger Punkt, der dabei mit geregelt wäre, wenn
es eine derartige Parlamentsentscheidung gäbe, ist, dass
wir als Kontrollinstanz über uns nur noch das Bundesverfassungsgericht hätten . Ich fand es wirklich unerträglich,
mit anzusehen, wie die Ministererlaubnis von den Herrschaften an einem Oberlandesgericht zerpflückt wurde.
({1})
Ich finde, dies geschah mit zum Teil ziemlich abenteuerlichen Argumentationen . Diese Ministererlaubnis ist
dann erst einmal auf Eis gelegt worden, sodass in den
Filialen von Kaiser’s Tengelmann dann doch wieder die
Angst eingezogen ist, weswegen die Kolleginnen und
Kollegen aufs Neue gezittert haben, ob ihre Arbeitsplätze
gerettet werden können .
Ich halte es für eine völlig unangemessene Vorgehensweise, solch einen Fall einem Oberlandesgericht zur
Entscheidung vorzulegen . Es ist eine politische Entscheidung, ob man so etwas macht, ob man 16 000 Arbeitsplätze rettet und ob man dabei bestimmten Gemeinwohlprinzipien folgt . Das muss aus unserer Sicht politisch
entschieden werden, und zwar hier im Parlament . Denn
nur so ist es angemessen . Es darf nicht von irgendwelchen
Herrschaften in dunklen Talaren entschieden werden, die
zur Arbeitswelt vielleicht eine gewisse Fremdheit haben .
Jedenfalls ich habe in meinem langen Berufsleben erlebt,
dass man bei Gericht eine gewisse Fremdheit gegenüber
den Bedingungen in der Arbeitswelt hat .
Deswegen bitten wir um Unterstützung unseres Antrags . Wir wollen, dass so etwas in Zukunft im Parlament
behandelt wird . Unterstützen Sie diese Initiative!
Danke schön .
({2})
Vielen Dank . - Der Kollege Dr . Matthias Heider
spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Wettbewerbsrecht
ist die Straßenverkehrsordnung, die wir auf dem Markt
haben . Die Unternehmen in Deutschland fahren gut damit . Wir haben in den allermeisten Branchen einen gesunden Wettbewerb .
Trotzdem müssen wir als Parlament alle paar Jahre danach schauen, ob die Regeln noch den wirklichen
wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechen . Da gibt es
Vorfahrtsregeln, und es gibt Stoppschilder . Manche Verkehrsteilnehmer schlagen über die Stränge . Da wird gerempelt, und andere werden sogar ausgebremst .
Deshalb haben wir heute den Gesetzentwurf zur neunten Novelle des Wettbewerbsrechts vorliegen . Wir wollen, dass der Wettbewerb offen bleibt, bei Verletzung der
Spielregeln Bußgelder eingetrieben und Schadensersatzansprüche leichter durchgesetzt werden können .
Insgesamt umfasst die neunte GWB-Novelle fünf große Bereiche .
Als Erstes ergänzen wir die Kriterien, mit denen wir
im Kartellrecht einen Markt bestimmen . Die Digitalisierung verändert alle unsere Lebensbereiche . Es entwickeln sich neue Geschäftsmodelle, bei denen oft keine
unmittelbare Gegenleistung für die Inanspruchnahme
von Dienstleistungen gefordert wird .
Ein Beispiel, das wir alle kennen, ist die Google-Suche, die wir als Nutzer ohne Gegenleistung in Anspruch
nehmen . Solche Märkte können wir bisher mit den Regeln des Kartellrechts nicht in den Griff bekommen . Unsere Gesetze sind darauf angelegt, dass wir einen Markt
haben, bei dem letztendlich auch eine Gegenleistung
fließt. Das müssen wir ändern. Wir werden die Kriterien
an die Marktbetrachtung anpassen . Wir wollen uns auf
das Zeitalter der Digitalisierung besser einstellen .
Das gilt auch für die Fusionskontrolle . Der Fall „Facebook/WhatsApp“ ist schon angesprochen worden . So
war es möglich, dass ein Unternehmen für fast 20 Milliarden Dollar übernommen werden konnte . Aber das
Kartellrecht in Deutschland gab dem Bundeskartellamt
keine Möglichkeit, einen solchen Vorgang zu prüfen . Das
müssen wir ändern .
Die Digitalisierung spiegelt sich auch in anderen
Branchen wider, aber nicht nur mit Vorteilen . Besonders
betroffen von der Digitalisierung sind die Pressebranche,
die Presseverlage . Einerseits gehen die Umsätze bei Zeitungen und Zeitschriften zurück . Andererseits stehen die
Presseverlage in erheblicher Konkurrenz zu den großen
Onlineanbietern . Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Kooperationen von Presseverlagen unterhalb der redaktionellen Ebene für zehn Jahre
vom Kartellverbot ausnehmen wollen . Pressevielfalt,
meine Damen und Herren, ist in einem demokratischen
Rechtsstaat wichtig, und den wollen wir an dieser Stelle
fördern .
({0})
Herr Kollege Heider, ich darf Sie kurz unterbrechen .
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?
Ja, bitte .
Bitte schön .
({0})
Herr Kollege, Sie führten gerade an, dass die Presseverlage vor den Internetunternehmen geschützt werden
sollten . So ungefähr kann man das übersetzen . Aber ist
Ihnen denn nicht bewusst, dass mittlerweile zu einem
erheblichen Teil gerade Presseverlage selbst im Internetgeschäft unterwegs sind und von daher eine Schutzbedürftigkeit in dem Sinne nun wirklich nicht besteht?
Vielmehr wäre es nach wie vor wichtig, die Pressekonzentration zu bekämpfen und nicht die Regelungen, wie
ich in meiner Rede schon ausgeführt habe, in diese Novelle einzubauen, die faktisch dazu führen, dass geradezu
ein Aufruf dazu besteht, zusätzliche Kartelle zu bilden .
So weit .
Vielen Dank, Herr Kollege . - Es ist natürlich immer
so: Gerade da, wo Märkte im Umbruch sind, ist der Gesetzgeber gefordert, jedenfalls für eine kurze Zeit zu helfen und die Wettbewerbsstrukturen etwas mitzugestalten .
Genau das machen wir im Pressebereich . Ich wüsste keine Regelung, die angemessener wäre, als für eine Zeit
lang in einem so wichtigen Bereich wie der Meinungsvielfalt die Regeln etwas anzupassen . Wir werden zum
Normalbetrieb zurückkehren müssen .
Meine Damen und Herren, es gibt einige Tatbestände im Bereich der Missbrauchsaufsicht, die schon angesprochen worden sind: Vorschriften zu Verboten und
Verhaltensweisen, das Anzapfverbot, der Verkauf unter
Einstandspreis . Wir haben vorhin über den Milchsektor
gesprochen; der Kollege Knoerig wird sich damit gleich
noch intensiv beschäftigen .
Lassen Sie mich noch zu einer Folge von Kartellverstößen kommen, die Ihnen vorhin schon als sogenannte
Wurstlücke vorgestellt worden sind . Im Bußgeldrecht
schließen wir die sogenannte Wurstlücke . Das Kartellamt
konnte aufgrund der Lücke einen festgesetzten Bußgeldbetrag bei einem großen Wursthersteller nicht eintreiben .
130 Millionen Euro sind dem Kartellamt durch die Lappen gegangen . Das liegt an einer Lücke im deutschen
Kartellrecht . Unternehmen können sich umstrukturieren,
und dann kann der Bußgeldbescheid bei ihnen nicht mehr
vollstreckt werden . Das ist ungerecht . Vor allen Dingen
müssen wir befürchten, dass, wenn das so bleibt, Einzelkaufleute sowie mittlere und kleinere Unternehmen immer diejenigen sind, die das Nachsehen haben, weil sie
nicht in dieser Weise umstrukturieren können .
Wir wollen diese Lücke schließen . Deshalb ist es erforderlich, dass wir in diesem Bereich an den einheitlichen europäischen Unternehmensbegriff anschließen,
das deutsche Recht in diesem einen Fall wirklich vollständig an das europäische Recht anschließen . Das Kartellrecht ist ein Bereich, der im Wesentlichen von Europarecht geprägt ist .
Auch im Bereich des Schadensersatzes werden wir
tätig . Das hilft den durch Kartelle Geschädigten, Schadensersatzansprüche besser durchzusetzen .
Meine Damen und Herren, was wir noch nicht in der
Kartellrechtsnovelle vorgesehen haben, ist eine Änderung des Ministererlaubnisverfahrens . Die Union setzt
sich dafür ein, dass wir den Erkenntnissen aus dem Verfahren um Edeka/Kaiser’s Tengelmann Rechnung tragen .
Sie sind durchaus schwerwiegend . Der unerfreulich lange Verlauf dieses Verfahrens bringt uns dazu, Änderungsbedarf an dieser Stelle anzumelden .
Zunächst einmal ist das große Engagement des Ministers zu loben, der versucht hat, die Arbeitsplätze zu
schützen . Ich glaube, es gibt niemanden in diesem Haus,
der nicht unterstreichen würde, dass Arbeitnehmer und
die Unternehmen in einer solchen Größenordnung geschützt werden sollten . Das ist lobenswert und nicht zu
beanstanden .
Ich erinnere aber daran, dass nach der Versagung der
Übernahme durch das Kartellamt im April 2015 die Ministererlaubnis von Edeka/Kaiser’s Tengelmann beantragt wurde, aber erst elf Monate später, im März 2016,
eine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers erging . Diese Entscheidung wurde von Wettbewerbern
beklagt . Die Klage ist bis heute nicht vom Tisch, weil
Rechte der Beteiligten nicht genügend beachtet worden
sind und weil das Argument „Gemeinwohl liegt vor“ auf
verfassungswidrige Gründe gestützt worden ist; so sagt
es das Oberlandesgericht Düsseldorf .
Die Gewerkschaften sollten bei der Übernahme das
Feintuning durch Tarifverträge sicherstellen; so die Auflage des Ministers . Das hat sich als harte Nuss erwiesen,
meine Damen und Herren . Fünf Monate hat Edeka gebraucht, um einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln . Die
Zeit rannte den Beteiligten davon . Die Klage des Wettbewerbers Rewe ist immer noch anhängig, und ein Altbundeskanzler musste bemüht werden, um zwischen den
Beteiligten zu vermitteln .
Was jetzt kommt, ist schon etwas für exekutive Feinschmecker, meine Damen und Herren . Herausgekommen
ist beim Einsatz des Altkanzlers offenbar eine Empfehlung, die Edeka und Kaiser’s Tengelmann auch schon
damals aus der Entscheidung des Bundeskartellamtes im
Jahr 2015 unschwer hätten ablesen können . Eine Einigung zwischen Edeka und Rewe auf Weiterverkauf von
Filialen von Edeka an Rewe muss sich jetzt nicht nur im
Rahmen der Ministererlaubnis bewegen, also sämtliche
Punkte einhalten, auch die des Tarifvertrages mit den Gewerkschaften - tut sie das nämlich nicht, brauchen wir
eine völlig neue Ministererlaubnis -; das Bundeskartellamt muss jetzt auch erneut entscheiden, nämlich darüber,
ob Rewe möglicherweise Filialen aus diesem Paket der
Edeka übernehmen darf . Welche Maßstäbe wird es da
wohl anwenden? Hatte das Bundeskartellamt nicht schon
im Jahr 2015 klar und deutlich gesagt, dass die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel hoch ist? Meine
Damen und Herren, wir drehen uns an dieser Stelle im
Kreis . Um die Bilanz ist es nicht gut bestellt: zwei verlorene Jahre für die Sicherheit der Arbeitnehmer und der
Unternehmer, zwei Jahre Wertverlust, enttäuschtes Vertrauen in ein rechtsstaatliches Verfahren, fehlender Zugang zu Information, mangelndes rechtliches Gehör für
die Beteiligten . Auch das Amt des Bundeswirtschaftsministers, meine Damen und Herren, ist dabei ein bisschen
beschädigt worden .
Zum Glück scheint der Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann noch ein gutes Ende nehmen zu können . Wir als
Union sind der Überzeugung: Eine solche Hängepartie
darf sich nicht wiederholen . Der Gesetzgeber muss deshalb die Konsequenzen aus diesem Verfahren ziehen,
sonst wird kein Unternehmen in Deutschland jemals
wieder versuchen, eine Ministererlaubnis in einer besonderen Lage zu beantragen . Wir als Union möchten die
Ministererlaubnis stärken . Wir möchten die Entscheidungsfindung des Ministers klarer und effektiver gestalten . Wir möchten die Rechte der Beteiligten schützen .
Dazu gehören die folgenden Eckpunkte .
Die Verfahrensdauer der Ministererlaubnis von vier
Monaten ist im geltenden Recht eine Sollvorschrift, also
eine eher freundliche Empfehlung . Wir glauben, dass ein
solches Verfahren in spätestens sechs Monaten beendet
sein muss . Wir sind deshalb der Auffassung: Wenn innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung gefällt wird,
dann muss dieses Verfahren beendet sein, weil der Antrag
damit abgelehnt ist . Wir möchten einen festen Zeitpunkt
für die öffentliche mündliche Verhandlung haben .
Außerdem soll der Entscheidungsentwurf des Ministers zwingend öffentlich konsultiert werden . Die Beteiligten und die Beigeladenen sollen Gelegenheit haben,
die Akten in einem Aktenraum in Echtzeit einsehen zu
können . Wenn der Minister die Sollvorgabe von vier Monaten, wie sie im Moment im Gesetz steht, für eine Entscheidung nicht einhält, dann wollen wir Parlamentarier
aus erster Hand informiert werden . Die Verfahrensvorschriften, die es dazu braucht, sollen transparent sein . Sie
sollen in einer Verordnung gebündelt werden . Wir wollen
daher, dass es eine Verordnungsermächtigung mit Parlamentsvorbehalt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gibt, damit eindeutig klar ist, wie die Spielregeln
für den Wettbewerb in solch einer besonderen Situation
sind .
({0})
Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht
oder sogar einen Parlamentserlaubnistatbestand lehnen
wir ab . Meine Damen und Herren, das zu entscheiden,
ist eine Aufgabe der Exekutive, nicht des Parlamentes .
Herr Schlecht, dass Sie ein Problem mit Gewaltenteilung
haben, habe ich gerade erst wieder bei Ihrer Kritik am
Oberlandesgericht wahrgenommen .
Insgesamt: Der Gesetzentwurf der 9 . GWB-Novelle
ist gut gelungen . Es gibt noch einige Stellschrauben, an
denen wir arbeiten müssen, und einige Dinge, die verbessert werden können . Dazu wollen wir die nächsten
Wochen und Monate nutzen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank . - Katharina Dröge, Bündnis 90/Die
Grünen, hat jetzt das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung
heute einbringt, stellt die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für den Bereich der
digitalen Märkte in den Mittelpunkt . Das ist richtig, das
ist notwendig . Allein: Es kommt ungefähr zehn Jahre zu
spät; denn das, was wir uns im Bereich der Digitalwirtschaft angucken müssen, ist eine erhebliche Konzentration von Marktmacht . Bei Unternehmen wie Facebook
und Google müssen wir feststellen, dass diese mittlerweile Wettbewerbspositionen haben, die für andere Unternehmen kaum noch angreifbar sind, und dass sie den
Kunden ein Angebot bieten, zu dem es kaum noch Alternativen gibt . Diese Dominanz, diese Marktmacht ist
schlecht - nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch
für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für den
Datenschutz .
({0})
Ein Beispiel ist die Fusion von Facebook und WhatsApp, über die wir heute schon gesprochen haben . Wenn
man sich anguckt, was nach dieser Fusion, die das Bundeskartellamt genehmigt hat, passiert ist, dann muss man
sagen: Es gab eine massive Verschlechterung für die
Verbraucher und Verbraucherinnen, weil die AGBs und
damit die Datenschutzbestimmungen geändert wurden,
die für die Verbraucher und Verbraucherinnen relevant
sind . Da es keine Alternative mehr zu diesen Netzwerken gibt, waren die Verbraucher und Verbraucherinnen
dieser Verschlechterung willkürlich ausgeliefert . Das ist
ein Missbrauch von Marktmacht, gegen den das Wettbewerbsrecht vorgehen muss .
({1})
Aus diesem Grund ist es richtig, dass Sie mittlerweile
endlich sagen: Auch die Zahl der Nutzer und Nutzerinnen, auch die Datenkonzentration müssen bei der Fusionskontrolle und bei der Bewertung von Marktmacht
eine Rolle spielen . Allerdings hätten Sie durchaus noch
weitergehen können . Auch den Zugang zu Analysemethoden, also Algorithmen, dem Gold, das die Unternehmen eigentlich haben, hätten Sie bei der Bewertung von
Marktmacht in den Blick nehmen müssen .
Oder das Thema Marktabgrenzung . Auch hier - das
hätte der Fall Facebook/WhatsApp auch hergegeben hätten Sie schauen müssen, welche Marktmacht aus der
Zusammenführung von Daten entsteht, welche neuen
Geschäftsfelder aus der Zusammenführung von Daten
erwachsen können .
Es geht nicht nur darum, die Fusionskontrolle zu
verschärfen, sondern es geht ganz grundsätzlich um die
Frage, wie man in Zukunft in solchen Märkten, die so
hochkonzentriert sind, Wettbewerb überhaupt noch ermöglichen kann . Wie kann es in Zukunft möglich sein,
dass neue, dass kleine Unternehmen noch eine relevante Konkurrenz für solche Giganten wie Facebook oder
WhatsApp darstellen?
Das Thema Interoperabilität wäre hier ein wichtiges
Thema gewesen, also zum Beispiel der Zugang zum
Messenger . Bei jeder E-Mail ist es möglich, dass ich
von Gmail zu GMX oder Web .de meine E-Mails schicke, mich über die Grenze von Anbietern hinweg miteinander austausche . Aber bei den Messengerdiensten von
Facebook, WhatsApp und Co . ist das nicht möglich . Man
muss in einem geschlossenen System bleiben . Sie bleiben die Antwort auf die Frage, warum Sie zum Beispiel
dieses Thema nicht angehen und einen ersten Schritt für
mehr Wettbewerb in diesem hochkonzentrierten Markt
schaffen, schuldig .
({2})
Wenn wir über das Thema Marktmacht im Bereich der
Digitalwirtschaft reden, dann ist das nicht nur ein technisches Thema, ein Wettbewerbsthema, sondern es hat ganz
persönlich für uns und für unser gesellschaftliches Leben
Auswirkungen . Denn das, was ganz oben bei Facebook
oder Google angezeigt wird, hat Einfluss darauf, welches
Buch Sie lesen, weil Sie es bei Ihrer Kaufentscheidung
berücksichtigen, welchen Artikel Sie in der Zeitung lesen
und damit, welche politische Einflussnahme und politische Meinung Sie bekommen, welches Auto Sie kaufen,
welche Versicherung Sie abschließen . Das, was Sie suchen, gibt auch Informationen über Sie selbst preis, wie
gesund Sie sind oder wie ihre finanzielle Ausstattung ist.
All das sind hochsensible Informationen, mit denen die
Konzerne umgehen . Über all das müssen wir als Gesetzgeber entscheiden . Hier liegen riesige Zukunftsaufgaben
vor uns . Mit diesem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fangen wir heute ein kleines
bisschen an . Das sind aber Debatten, die noch lange nicht
abgeschlossen sind .
({3})
Im GWB regeln Sie eine ganze Reihe anderer Themen,
die die Kollegen teilweise schon angesprochen haben .
Auf ein Thema möchte ich ganz besonders zu sprechen
kommen . Das ist die Reform der Ministererlaubnis . Wir
Grüne haben schon im April dieses Jahres einen Antrag
eingebracht und haben gesagt: Angesichts dessen, was
wir mit der Fusion von Kaiser’s Tengelmann und Edeka
erleben, angesichts des Umgangs von Wirtschaftsminister Gabriel mit diesem Verfahren - schlecht gemanagtes
Verfahren; das Gericht hat das Ganze gestoppt, weil es
teilweise den Vorwurf der Befangenheit festgestellt hat -,
angesichts des elf Monate dauernden Entscheidungsprozesses des Ministers, in denen es dem Unternehmen immer schlechter ging, angesichts der Argumente, die vom
Minister nicht geprüft wurden - beispielsweise wie gefährdet die Arbeitsplätze bei den Wettbewerbern oder bei
den Zulieferern sind -, ist die Ministererlaubnis reformbedürftig .
({4})
Wir haben bereits im April einen Vorschlag gemacht .
Wir stellen ihn heute zur Abstimmung und hoffen auf
Ihre Unterstützung . Wir sagen: Die Ministererlaubnis
muss raus aus dem Hinterzimmer . Wir brauchen mehr demokratische Kontrolle und mehr Transparenz . Deswegen
schlagen wir ein zweistufiges Verfahren vor. Als Erstes
prüft und entscheidet der Minister, informiert den Bundestag, und dann haben wir die Möglichkeit, falls wir es
anders sehen, ein suspensives Veto gegen diese Entscheidung einzulegen . Wir schlagen vor, dass dies schnell und
zügig geht, damit die Verfahren nicht unnötig verlängert
werden . Aber der große Vorteil ist: Nicht ein Mensch allein entscheidet über das Wohl und Wehe von 16 000 Arbeitsplätzen, sondern das ist eine Entscheidung, die wir
als Haus gemeinsam treffen . Es ist eine politische Entscheidung, die wir gemeinsam tragen müssen . Es würde
das Verfahren transparenter machen, es würde das Verfahren besser machen, es würde es auch nicht langsamer
machen . Deshalb bitte ich Sie heute um Zustimmung zu
unserem Antrag .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Marcus Held .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befassen uns heute mit dem Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere auf Basis einer EU-Richtlinie aus dem Jahre 2014, die wir entsprechend in deutsches Recht umsetzen . Wir befassen uns
auch deshalb damit, weil wir der Digitalisierung in der
Wirtschaft Rechnung tragen wollen und entsprechende
Anpassungen im GWB brauchen . Wir haben aber auch
vor allem in den zurückliegenden Jahren in der Praxis
Erfahrungen in Bezug auf die Rechtsdurchsetzung gemacht . Auch deshalb brauchen wir einige Neuregelungen
in diesem Gesetzentwurf .
Dies bezieht sich vor allem auf Probleme mit bestehenden Rechtsnachfolgen, aber auch mit bestimmten
Konzernstrukturen, wie wir ja in den letzten Jahren feststellen mussten . Es war zum Beispiel festzustellen, dass
Unternehmen versucht haben, kartellrechtliche Geldbußen in Millionenhöhe durch Vermögensverschiebungen
und durch Umstrukturierungen zu vermeiden . Dem Staat
sind somit rund 130 Millionen Euro entgangen . Der proKatharina Dröge
minenteste Fall, der eben schon angesprochen wurde, ist
uns allen als Tönnies-Fall oder als Wurstkartell bekannt .
Um das künftig zu verhindern, haben wir nun die Lücke in § 81 GWB geschlossen und dafür gesorgt, dass
Rechtsfolgen und Rechtsnachfolgen gewährleistet sind .
Künftig ist es so, dass im Zweifel nicht mehr nur die
handelnde Tochtergesellschaft für das Bußgeld herangezogen werden kann, sondern darüber hinaus auch die
Konzernmuttergesellschaft, damit hier keine umgehende
Lösung möglich ist . Gerade schwerwiegende Kartellrechtsdelikte mit besonders hoher Sozialschädlichkeit,
meine Damen und Herren, können wir so in Zukunft ahnden . Dies war uns Sozialdemokraten besonders wichtig,
denn das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit .
Wir haben in § 33 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Möglichkeit eingeführt, Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen zu erheben . Es ist jetzt
im Gesetz klar definiert, was ein Kartell ist, und es ist
auch klar definiert, wann wir von einem Zuwiderhandeln
gegen das Kartellrecht sprechen können .
Mir persönlich war bei den Beratungen im Vorfeld,
in den letzten eineinhalb Jahren, die Frage der Pressekooperationen wichtig . Lieber Herr Schlecht, Sie haben
es angesprochen . Wir haben uns als SPD-Fraktion sehr
intensiv mit den Playern auf dem Markt auseinandergesetzt und uns inhaltlich auf diese Neuregelungen verständigt . Hintergrund ist, dass immer mehr Verlage - vor
allem kleine und mittelgroße - Probleme haben, auf dem
Markt zu bestehen . Dies gilt vor allem in Bezug auf die
Marktanteile, die sich auf Facebook und das Internet beziehen und Jahr für Jahr größer werden . Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass die Gesamtumsätze der Zeitungsverlage in Deutschland von 10,8 Milliarden Euro im
Jahr 2000 mittlerweile auf 7,6 Milliarden Euro in 2015
zurückgegangen sind . Dies ist ein deutlicher Rückgang .
Er manifestiert sich durch den Rückgang der Zeitungsauflagen und drohende Insolvenzen etwa bei der Frankfurter Rundschau oder der Münchener Abendzeitung .
Diese Entwicklung offenbart die Dramatik der Situation in diesem Bereich . Deshalb müssen wir für kleine
und mittlere Redaktionen gleiche Rechte und Möglichkeiten schaffen . Wir haben uns dafür starkgemacht, hier
weiterhin einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen . Wir
wollen, dass in Deutschland ein flächendeckendes redaktionelles Angebot gerade auch im Printbereich gegeben
ist, und dafür sorgen, dass der Wettbewerb nicht immer
weiter zulasten der Vielfalt der Printprodukte geht, damit
wir auch in einigen Jahren noch flächendeckend Tageszeitungen in Deutschland haben .
Als SPD ist uns wichtig, nach dieser ersten Lesung
dafür zu sorgen, dass noch ein Punkt in das Gesetz aufgenommen wird, nämlich der Punkt des kollektiven
Verbraucherschutzes . Das Bundeskartellamt soll nach
unserer Vorstellung künftig den Verbraucherschutz im Interesse des kollektiven Verbraucherschutzes durchsetzen
können, gerade im Internet, wo eine Vielzahl von Fällen
zu Beschwerden führt und der einzelne Nutzer am Ende
Probleme hat, seine Rechte juristisch oder zivilrechtlich
durchzusetzen . Wir sind der Meinung: Wenn eine Vielzahl von Fällen eine Vielzahl von Menschen betrifft, weil
diese Fälle wiederholt auftreten, also auch wirtschaftlich
bedeutsam sind, dann sollen sie künftig vom Kartellamt
entsprechend verfolgt werden können, wenn ein Nutzer
oder ein Bürger dem Kartellamt entsprechende Hinweise
gibt .
Last, but not least möchte ich natürlich gerne auf die
Anträge der Grünen zur Ministererlaubnis eingehen . Ich
habe es in dieser Woche schon im Ausschuss gesagt: Mir
fehlt an dieser Stelle der deutliche Hinweis, dass wir
durch die Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel und den
Kompromiss, der am Ende gefunden werden konnte, bei
der Fusion von Kaiser’s Tengelmann 16 000 Menschen
in Deutschland den Arbeitsplatz gesichert haben .
({0})
Das sagt hier komischerweise bei allen formalen Diskussionen keiner .
({1})
Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr verletzend gegenüber
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unternehmung Kaiser’s Tengelmann, dass niemand diese Debatte
zum Anlass nimmt, hierüber zu sprechen .
Wir haben in Deutschland seit 1972 insgesamt nur
22 Fälle gehabt, in denen es, nachdem das Kartellamt
eine Fusion abgelehnt hatte, tatsächlich zu einer Ministererlaubnis gekommen ist . Das ist so selten der Fall,
meine Damen und Herren, dass wir hier wirklich nicht
übertreiben sollten . Ich glaube, wir können dieses Verfahren weiterhin anwenden . Wir sollten es auch nicht
von der politischen Mehrheit im Parlament abhängig machen, Herr Schlecht, wie hier entschieden wird; denn das
kann sich auch in einer Form ändern, wie wir beide es
vielleicht am Ende nicht haben wollen . Insofern sollten
wir bei der Ministererlaubnis bleiben, meine Damen und
Herren . Wir können sie sicherlich an der einen oder anderen Stelle ein bisschen modifizieren. Aber das können
wir im Laufe des Verfahrens diskutieren .
Herzlichen Dank .
({2})
Danke schön . - Jetzt hat für die CDU/CSU der Kollege Axel Knoerig das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Währung
des 21 . Jahrhunderts sind bekanntermaßen die Daten .
Frau Dröge, Sie haben es gerade sehr schön formuliert,
als Sie gesagt haben, die Algorithmen seien das Gold der
Unternehmen . Das sehen wir bei Google, Facebook und
YouTube . Das sind die Beispiele dafür, welchen Wert datenbasierte Unternehmen mittlerweile erzielt haben .
Diese neuen Geschäftsmodelle konkurrieren mit unseren traditionellen Branchen . Dieser Entwicklung tragen
wir Rechnung, und wir passen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen dem digitalen Zeitalter an . Wir
brauchen neue kartellrechtliche Rahmenbedingungen für
die digitale Wirtschaft, und das wird hier entsprechend
eingebracht .
Da ist natürlich auch die Frage zu stellen: Wie messen wir die Marktmacht von Internetplattformen? Das
ist, denke ich, sehr viel schwieriger als in der klassischen
Wirtschaft; denn bei solchen Portalen wird für Suchanfragen oder Nachrichten ja kein Preis berechnet . Insofern
sind die finanziellen Einnahmen eher gering.
Dennoch kann selbst ein kleines Start-up mit wenig
Umsatz sehr viel Marktmacht erreichen . Das hat - das
Beispiel ist heute schon häufig gebraucht worden - der
Kauf von WhatsApp bewiesen . Facebook zahlte ja sogar 19 Milliarden Euro für ein Unternehmen mit gerade
einmal 50 Mitarbeitern . Dieses neue Phänomen von hohem Marktwert bei niedrigen Umsätzen müssen wir im
Kartellrecht entsprechend aufnehmen . Neue Regelungen
bei der Fusionskontrolle für digitale Geschäftsmodelle
haben wir entsprechend eingeführt . Wir geben also bei
der Fusion von Internetplattformen Schwellenwerte vor,
damit das Bundeskartellamt auch hier Marktmissbrauch
nachweisen kann .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Kollege Heider hat es vorhin angesprochen, sodass ich jetzt im
Grunde genommen einen Sprung machen möchte in ein
anderes Segment, nämlich in das Segment der Milchwirtschaft; denn wir haben ja hier beim GWB, bei dieser
Kartellrechtsnovelle, zwei Punkte hinzugefügt . Das ist
einmal das Anzapfverbot, zum anderen der Verkauf unter
Einstandspreis . Das haben wir ja inzwischen in das Gesetz aufgenommen . Das ist in Bezug auf die Milchwirtschaft außerordentlich wichtig .
Ich möchte das jetzt aber nicht weiter ausführen,
sondern setze mich dafür ein, dass noch folgende Punkte berücksichtigt werden: Das Kartellamt hat 2012 die
Sektoruntersuchung Milch durchgeführt . Die ist auch
heute noch gültig . Dabei wurden Preisabsprachen in der
Milchwirtschaft festgestellt . So erfolgen die Verhandlungen zwischen den Genossenschaften und dem Lebensmittelhandel viel zu transparent . Der Auszahlungspreis
für die Landwirte kommt erst dann zustande, wenn die
Genossenschaftsmolkereien ihre Produkte an den Handel
verkauft haben, das heißt, ganz am Ende der Wertschöpfungskette . Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat nichts mit Wettbewerb zu tun . Das ist vielmehr
Preisdumping auf Kosten der Milchbauern, die nicht
mehr auskömmlich wirtschaften können .
({0})
Bereits seit drei Jahren leidet die deutsche Milchwirtschaft unter diesem enormen Preisverfall . Es sind große
Mengen Rohmilch auf dem Markt, und der Milchauszahlungspreis lag im Sommer dieses Jahres bei lediglich
20 Cent pro Liter . Wir spüren inzwischen eine Erholung .
In Europa ist die Milchmenge um 4 Prozent reduziert
worden . Das wirkt sich entsprechend aus . Dieses europäische Milchmengenreduzierungsprogramm hat auch dazu
beigetragen . Unsere Landwirte haben es intensiv genutzt .
Wir erwarten nun einen Preisanstieg auf 30 Cent zum
Ende dieses Jahres . Aber um Gewinn machen zu können,
muss der Preis noch weiter ansteigen . Er darf nicht bei
30 Cent stehen bleiben, sondern muss bei 40 Cent liegen .
Das kann gegebenenfalls bis 2017 gelingen .
Wir sollten diese positive Phase nutzen, um uns mit
folgenden Fragen zu beschäftigen:
Erstens. Kann die Pflicht der Landwirte zur hundertprozentigen Andienung an die Molkereien wegfallen?
Zweitens . Können die Vertragslaufzeiten zwischen
Milchbauern und Genossenschaften flexibler ausgestaltet
werden?
Drittens . Kann der Milchauszahlungspreis insgesamt
anders gestaltet werden?
Darauf gibt es auch klare Antworten . Und diese geben die Landwirte in meinem Landkreis selber; denn sie
wollen eins - und das ist ganz wichtig -: Sie wollen die
Verträge im Vorfeld abschließen und nicht das Restgeld
am Ende der Wertschöpfungskette erhalten .
Das Bundeskartellamt hat im April dieses Jahres eine
Überprüfung der Lieferbedingungen und der Preisbildung in Norddeutschland veranlasst . Die Auswertung
dauert noch an . Ich erwarte vom Kartellamtschef Mundt,
dass er uns hierzu auch Empfehlungen gibt; denn wir
haben mit unserem Koalitionspartner SPD vereinbart,
dass die Ergebnisse dieser Untersuchung als Entschließungsantrag in die letzte Lesung der Novelle eingebracht
werden .
Wir haben eben schon über das Thema Ministererlaubnis diskutiert . Minister Gabriel hat ja im Zusammenhang
mit dem Fusionsverfahren Edeka/Tengelmann davon
gesprochen, dass der Schutz von 16 000 Arbeitsplätzen
dem Gemeinwohl dient .
({1})
Dieses Argument kann ich als stellvertretender Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr wohl sozialpolitisch nachvollziehen .
Aber ich bin auch der Meinung, dass die Marktmacht des
Lebensmitteleinzelhandels kartellrechtlich betrachtet zu
groß geworden ist und nicht weiter konzentriert werden
darf . Die damalige Entscheidung wurde zu einem falschen Zeitpunkt getroffen: Sie hat ein falsches Signal im
Markt ausgelöst und im Grunde genommen die Preisspirale nach unten befördert .
Die Preispolitik des Lebensmitteleinzelhandels gefährdet auch die 85 000 Betriebe in der Milchwirtschaft
und deren Fachkräfte . Von ihnen steht ein Drittel wegen
des Dumpings beim Milchpreis betriebswirtschaftlich
auf der Kippe . Die Milchproduzenten stehen ja am Anfang der Wertschöpfungskette, wie ich ausgeführt habe,
und dürfen das ganze Marktrisiko alleine tragen . Das,
meine Damen und Herren, ist mit uns als Union nicht
zu machen . Hier müssen Veränderungen herbeigeführt
werden .
Ich sage aber auch: Wir haben nicht nur Veränderungen für die Milchwirtschaft, sondern auch für alle landAxel Knoerig
wirtschaftlichen Betriebe herbeigeführt: Wir haben den
Pakt für die Landwirtschaft auf den Weg gebracht, das
EU-Hilfspaket mit 58 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt verdoppelt, steuerliche Verbesserungen umgesetzt und die Zuschüsse zur Unfallversicherung erhöht .
Damit stärken wir die mittelständischen Familienbetriebe gerade in den ländlichen Regionen . Denn es gilt der
Satz: Einen ländlichen Raum ohne Landwirte, den gibt
es nicht .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10207,
18/7508 und 18/10240 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei interfraktionell noch vereinbart wurde, dass die Vorlage 18/10240
auch mitberatend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen wird . - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .
Wir kommen zur Abstimmung über Zusatzpunkt 6,
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Für mehr Transparenz und
demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10279, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8078 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel,
Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke -
Die Brennelementesteuer muss bleiben
Drucksachen 18/9124, 18/10094
Über die Beschlussempfehlung werden wir nachher
namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion . - Bitte schön .
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
Gäste auf den Tribünen! Verlängerung der Erhebungsdauer der Kernbrennstoffsteuer - das ist ein schönes politisches Thema, das in der Öffentlichkeit natürlich positiv
besetzt ist . Doch worum geht es? 2010, in Zeiten nackter
Haushaltsnot, kam man auf die Idee, die Atomkraftwerke
zur Finanzierung der späteren Entsorgungskosten heranzuziehen .
({0})
Als Zielvorgabe wurde beschlossen, der jährliche Steuerertrag solle 2,5 Milliarden Euro betragen . In den letzten
Jahren war der Steuerertrag aber deutlich geringer . Auf
den Grund dafür komme ich noch zu sprechen .
Drei, vier Stromkonzerne sind jedenfalls von der Besteuerung der Brennstoffe Plutonium 241 und 239 sowie
Uran 233 und 235 betroffen . Das sind die Tabletten, die
in den Kernreaktor eingeführt werden . Als Steuer - da
gab es ja verschiedene Vorschläge - wurde zum Schluss
pro Gramm Kernbrennstoff eine Steuer von 145 Euro
festgesetzt. Damit sollten die Kernkraftwerke auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden .
({1})
In der damaligen Debatte ging es aber nicht um das
Verursacherprinzip oder die Langzeitwirkung, sondern
es ging bei der Gesetzesvorlage des Haushaltsausschusses allein darum, für den Staat bis Ende 2016 höhere
Einnahmen zu generieren . Heute stehen wir in der Verantwortung, zu entscheiden, ob wir die Erhebungsdauer
verlängern . Ja, es wird ja über eine Verlängerung aufgrund der Verpflichtungen im finanziellen Bereich intensiv nachgedacht . Auch darauf komme ich später noch
einmal zu sprechen .
In der heutigen Debatte geht es auch um Begehrlichkeiten unseres Koalitionspartners . Frau Ministerin
Hendricks hat ja darauf hingewiesen, dass man, nachdem
Gerichte diese Steuer gebilligt haben, diese Steuer weiterhin erheben will .
({2})
Es gibt aber auch eine Koalitionsvereinbarung, liebe
Freunde von der anderen Feldpostnummer .
({3})
Man kann also darüber streiten, ob man eine Steuererhöhung quasi in Form einer Verlängerung der Erhebungsdauer vornimmt oder nicht . Wir als CDU/CSU sagen
dazu: Im Koalitionsvertrag wurde die Erfüllung dieses
Wunsches eindeutig ausgeschlossen .
({4})
Dass man diese Aspekte auch im Zusammenhang
mit dem Sondervermögen und der Abschöpfung aus der
Brennelementesteuer betrachtet, kann ich schon versteAxel Knoerig
hen . In dem anderen Gesetzeswerk, das vorher beschlossen wurde - Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ -, war aber nur eine
einmalige Zahlung vorgesehen . Deswegen stimmen die
Zahlen, die 2010 berechnet wurden, nicht in Gänze mit
den tatsächlichen Einnahmen überein . Wir haben ja Gesamteinnahmen nur in Höhe von ungefähr 5 bis 6 Milliarden Euro . Jetzt geht es darum, ob wir die Kernkraftwerke, deren Laufzeit ja im Jahr 2012 gesetzlich verkürzt
wurde - alle kennen die Debatte, deren Ausgangspunkt
Fukushima war -, weiter belasten und den Beschluss
aus dem Jahr 2010 neu überdenken . In diesem Zusammenhang muss man natürlich darauf hinweisen, dass
alles, was wir als Kostenbelastung der besonderen Art
beschließen, letztendlich auf die Verbraucher umgelegt
wird . Das wird durchgereicht . Machen wir uns da nichts
vor .
Eine Verlängerung der Erhebungsdauer der Brennelementesteuer muss auch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass wir in diesen Tagen mit Blick auf die
zukünftige Verantwortlichkeit für die Entsorgung der
Altlasten eine Gesetzesnovelle in den Bundestag einbringen . Dabei ist eine Zielvorgabe zwischen 24 und 28
bzw . 29 Milliarden Euro als Gesamtbetrag für acht oder
elf Kernkraftwerke vorgesehen . Darüber werden wir in
den nächsten Wochen mit Sicherheit beraten . Seitens der
Bundesregierung wurde ja 2015 eine Kommission eingesetzt . Über deren Ergebnisse werden wir dann beraten .
Es geht darum, wie wir die Betreiber von Atomkraftwerken in Zukunft im Zuge des Ausstiegs hinsichtlich
der Nachfolgekosten zur Verantwortung ziehen . Aus
Sicht der Union sollte es da keine doppelte finanzielle
Belastung geben . Wir wollen die Energielieferanten im
Kernkraftbereich im Rahmen eines Sonderprogramms
nochmals gesondert mit 25 bis 30 Milliarden Euro belasten . Sie wollen jetzt gleichzeitig eine Steuer fortführen .
Das wäre eine Doppelbelastung . Unter dem Strich - ich
sage es noch einmal - würde letzten Endes der deutsche
Stromverbraucher dafür zahlen . In der Debatte über die
Einzahlungen in den genannten Fonds, der dann errichtet
werden soll, werden wir uns in den nächsten Wochen mit
Sicherheit intensiver darüber unterhalten .
Deswegen: Der Antrag der Linken
({5})
ist schön populistisch formuliert, aber geht an der Realität vorbei und beachtet nicht, was wir 2010 beschlossen
haben und was wir übrigens auch im Koalitionsvertrag
festgelegt haben . Daran sollten wir uns halten . Mehr
brauche ich dazu nicht zu sagen .
Nur noch eine kleine amüsante Anmerkung: Als wir
dies damals mit der FDP als Koalitionspartner beschlossen haben, gab es heftige Auseinandersetzungen im
Bundestag . Sie können das im Protokoll nachlesen . Alle
SPD-geführten Landesregierungen hatten sich vehement
gegen die Einführung dieser Steuer ausgesprochen . Es ist
interessant, dass jetzt auch Teile der SPD eine Fortführung dieser Steuer wollen .
({6})
Wie gesagt, ein Nachfolgeprogramm für die Ausgestaltung der Finanzierung durch diejenigen, die die Verantwortung tragen, wird derzeit erarbeitet . Dabei sollte man
das Kernproblem angehen und keine doppelte Besteuerung vornehmen . Deswegen wird die Union dies ablehnen .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Der Kollege Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, hat jetzt das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Im Jahr 2010 beschloss die damalige Bundesregierung, den Brennstoff der Atomkraftwerke, also
Uran oder Plutonium, bis zum Ablauf des Jahres 2016
zu besteuern . Wenn jetzt also nichts passiert, läuft diese
Brennelementesteuer in einigen Wochen aus . Wir Linken
wollen, dass diese sinnvolle Steuer bleibt . Mit unserem
Antrag wollen wir erreichen, dass die Brennelementesteuer bis zum Ende der Laufzeit sämtlicher Atomkraftwerke, also bis 2022, weitergeführt wird .
({0})
Gründe, warum die Erhebung dieser sinnvollen Steuer damals auf 2016 befristet wurde, wurden nie genannt .
Ich habe auch in dem jetzigen Redebeitrag des Kollegen
Schindler kein wirklich ernsthaftes Argument gehört,
warum diese Befristung in irgendeiner Form sinnvoll
wäre .
({1})
Auch der Redner der CDU/CSU-Fraktion sprach damals, im Jahre 2010, davon, dass diese Steuer - ich zitiere jetzt wörtlich - „aus ökologischen und ökonomischen
Gründen . . . richtig und zielführend“ sei . Daran hat sich
absolut nichts geändert, und genau deswegen muss die
Erhebung der Brennelementesteuer jetzt auch verlängert
werden .
({2})
Der Verzicht auf die weitere Erhebung dieser Steuer
bedeutet für die Atomkonzerne eine Entlastung in Höhe
von rund 5 Milliarden Euro auf die Gesamtzeit bis 2022
gerechnet . Ferner würde der Verzicht eine Verbilligung
des Atomstroms mit sich bringen . Wir halten das für
ein völlig falsches Signal für den Atomausstieg und die
Energiewende .
({3})
Hinzu kommt: Das Auslaufen der Brennelementesteuer wirkt schon . Eigentlich waren für das Jahr 2016 aus
der Brennelementesteuer Einnahmen in Höhe von rund
1,1 Milliarden Euro eingeplant; aber die Atomkonzerne
haben bereits in diesem Jahr trickreich die Schlupflöcher
genutzt, immer in der Erwartung, dass die Steuer 2016
ausläuft . Soweit bekannt, haben wohl alle AKW-Betreiber im laufenden Jahr den Einsatz neuer Brennelemente
unterlassen und auf das Frühjahr 2017 verschoben, um
so die Steuerzahlungen für das Jahr 2016 vermeiden zu
können .
Die Befristung der Brennelementesteuer reiht sich
außerdem in eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Notbeatmung der großen Energiekonzerne ein . Über das
Desaster von Gabriel, was den Klimaschutzplan angeht,
ist heute Morgen in der Debatte über die Klimakonferenz in Marrakesch schon genügend diskutiert worden .
Sie alle wissen aber auch - Kollege Schindler hat es gerade angesprochen -, dass der Bundestag in den nächsten Wochen eine weitere und noch viel größere Entlastung für die Atomkonzerne beschließen soll . Da geht es
darum, das jahrzehntelang hochgehaltene Versprechen
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu brechen,
dass die Atomkonzerne die volle Verantwortung und vor
allem die vollen Kosten für den Atommüll übernehmen
müssen, wie es auch im Atomgesetz festgeschrieben
worden ist .
Für eine billige Einmalzahlung sollen sich diese Konzerne von der Haftung und von der Nachschusspflicht
für die Kosten der Atommülllagerung befreien können;
so hat es die Bundesregierung bereits beschlossen . Damit wird das Verursacherprinzip außer Kraft gesetzt . Das
vielgepriesene Unternehmerrisiko gilt bei der Atomenergie offenbar nur, wenn es den Konzernen sichere Gewinne bringt. Für die Verluste und die finanziellen Risiken
für den Atommüll sollen am Ende wieder einmal die Bürgerinnen und Bürger einstehen .
Faktisch ist die Befristung der Brennelementesteuer
eine Subventionierung der Atomunternehmen im ganz
großen Stil . Dass die CDU/CSU einen solchen Kurs zugunsten der Atomwirtschaft fährt, verwundert sicher niemanden . Aber wir haben ja auch noch die SPD im Bundestag . Die Umweltministerin Barbara Hendricks und
auch Kolleginnen und Kollegen aus der SPD haben sich
in den letzten Monaten wiederholt für eine Fortsetzung
der Erhebung dieser Brennelementesteuer ausgesprochen . Und der Berichterstatter der SPD, Christian Petry,
der gleich im Anschluss an mich reden wird, merkte im
Finanzausschuss zu unserem Antrag an, darin seien „viele richtige Dinge“ enthalten . Dann sagte er wörtlich - Zitat -:
Man könnte dem vorliegenden Antrag der Fraktion
DIE LINKE . zustimmen .
({4})
Ja, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, dann
tut das doch einfach! Stimmt unserem Antrag zu! Gleich
bei der namentlichen Abstimmung habt ihr die Chance
dazu .
({5})
Zum Schluss noch: Es wäre wünschenswert, wenn bei
der Abstimmung über unseren Antrag nicht der Koalitionszwang, sondern Vernunft und Gerechtigkeit zum Tragen kommen würden . Die Zeit für Steuergeschenke für
den Betrieb von Atomkraftwerken muss endlich vorbei
sein .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Christian Petry,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade
schon gesagt worden: An dem Antrag ist wirklich viel
Gutes dran . Er deckt sich auch mit dem, was wir Sozialdemokraten gefordert haben . Insofern ist von dem, was
im Ausschuss gesagt wurde, nichts zurückzunehmen .
Atomkraft ist natürlich ein politisches Reizthema .
Das hat sich über die Jahrzehnte auch in Bewegungen,
die heute noch, was ich positiv sehe, existieren, niedergeschlagen . Der Ausstieg aus der Atomkraft ist durch
dramatische Ereignisse beschleunigt worden . Es gab auf
diesem Weg zwar ein paar Pirouetten; aber letztlich war
dies ein Grund dafür, dass diese Steuer im Jahre 2010
eingeführt wurde .
Herr Kollege Schindler, an der nackten Haushaltsnot
lag es leider nicht; das kann man im Protokoll nachlesen .
Auf Seite 5 des Gesetzentwurfes heißt es:
Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Stilllegung
der Schachtanlage Asse II trägt . . . ausschließlich der
Bund . Die Erträge aus der Steuer sollen vor dem
Hintergrund der notwendigen Haushaltskonsolidierung auch dazu beitragen, die hieraus entstehende
Haushaltsbelastung des Bundes zu verringern .
Es hat also auch einen Betrieb gegeben; ja, selbstverständlich .
({0})
- Herr Kollege Schindler, ich komme darauf noch zurück . Was Sie vorhin ausgeführt haben, ist nämlich in
Teilen nicht richtig gewesen .
Schon damals haben wir gesagt: Die Bemessungsgrundlage muss angehoben werden, und die Steuer muss
unbefristet eingeführt werden . - Die Befristung ergibt
sich aus dem Auslaufen des Betriebs der Atomkraftwerke von selbst; deswegen muss man sie nicht ausdrücklich nennen . Es ist natürlich so, dass dies dort seinen
Niederschlag findet. Im Rahmen der parlamentarischen
Beratungen wurde der Gesetzentwurf damals stark aufgeweicht, sodass die Sozialdemokraten schlussendlich
nicht zustimmen konnten .
Die Atomkraftwerke, über die wir sprechen, sind im
Übrigen keine neuen Atomkraftwerke, sondern es sind
eigentlich alles Oldtimer . Im Autobereich bekommen
Oldtimer eine besondere Plakette . Wir fahren auch hier
auf Oldtimern; so ist das . Auch technisch gesehen gibt es
immer wieder zumindest bestimmte Teile, die Schwierigkeiten bereiten . Selbstverständlich werden die Anlagen
gewartet und auch modernisiert . Auch das sollte man im
Hinterkopf behalten .
Ich bin davon überzeugt, dass die Auffassung, die
Kosten hierfür auf die Energieversorger umzulegen, einen breiten Konsens in diesem Hause finden kann. Es
darf natürlich nicht sein, dass der Bund schlussendlich
alleine auf den Kosten der Endlagerung des Atommülls
sitzen bleibt .
({1})
Aus diesem Grund ist Ihre Argumentation für mich nicht
ganz nachvollziehbar . Schließlich ist die Situation heute
eine andere als im Jahr 2010 . Es gibt neue Beschlüsse auch über das Auslaufen und den Ausstieg . Daher gibt es
durchaus positive Argumente dafür, die Kernbrennstoffsteuer Ende dieses Jahres nicht auslaufen, sondern auch
2017 und darüber hinaus weiterlaufen zu lassen . Es geht
immerhin um 5 Milliarden Euro, die durch diese Maßnahme dem Bereich, für den die Atomlobby eintritt, zugewiesen werden sollen .
Eben wurde ja auch schon gesagt, dass es im Endeffekt
wohl so sein wird, dass die Brennstäbe erst im Jahr 2017
ausgetauscht werden . Das würde den Zahlen, die wir in
den Haushalt eingestellt haben, entgegenlaufen . Auch
hier kann ich mir vorstellen, dass wir in weiteren parlamentarischen Beratungen versuchen, dem bis Ende des
Jahres einen Riegel vorzuschieben . Möglicherweise gibt
es durch Sicherungsregelungen die Möglichkeit, diese
Umgehung zu verhindern, sodass auch in diesem Fall
Steuern gezahlt werden müssen . Auch das müssen wir
ernsthaft diskutieren .
({2})
Ich möchte an dieser Stelle noch einen weiteren Punkt
ansprechen, der eben auch schon genannt wurde: Die
Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des
Atomausstiegs hat ja im April dieses Jahres ihre Empfehlungen vorgelegt . Über die Höhe des Betrages kann
man sich jetzt streiten . Nach meinen Informationen übertragen die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf
den Bund . Ich hoffe, damit liege ich in etwa richtig; eben
ist ein noch höherer Betrag genannt worden .
({3})
Es geht jedenfalls darum, dass die finanzielle Verantwortung für die Endlagerung auf den Staat übergehen soll .
Man muss ernsthaft darüber diskutieren, ob dies in dieser
Form, so apodiktisch und endgültig, tatsächlich geht . Es
liegt jetzt aber nun einmal ein Vorschlag vor, über den
man reden muss . Es geht hier letztlich um ein Problem in
einem Industriezweig, das zu lösen ist .
Für mich persönlich ist hier im ersten Schritt noch
kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht . Wir werden
das im Parlament diskutieren und sehen, ob es am Ende
bei diesem Ergebnis bleibt oder ob man auch hier noch
über Korrekturen nachdenkt . Man könnte zum Beispiel in
dem Sinne darüber nachdenken, die Energieunternehmen
in diesem Bereich nicht einfach aus der Verantwortung
für die Ewigkeitskosten auf einen Schlag zu entlassen,
sondern weitere Regelungen zu finden, die eine dauerhafte Verantwortung zumindest nicht ausschließen . Das
gibt es in anderer Form im Übrigen auch beim Bergbau .
Die Ewigkeitskosten fallen dort nicht einfach weg, sondern werden auf Dauer von Stiftungen getragen .
Ich finde, in diesem Zusammenhang wäre es das völlig falsche Signal, die Brennelementesteuer ohne Weiteres auslaufen zu lassen . Ich glaube, ich habe gute Argumente dafür genannt .
({4})
Es ist letztlich auch gerichtlich festgestellt worden,
dass die EU-Rechtskonformität dieser Steuer gegeben
ist . Herr Kollege Schindler hat das schon gesagt . Es laufen allerdings weitere Verfahren, durch die noch gewisse
Feststellungen zu treffen sind . Trotzdem ist es notwendig, jetzt darüber zu entscheiden, weil das Ende des Jahres nicht mehr weit entfernt ist . Ich habe in meiner Rede
bereits gesagt, dass ich hier gemeinsam mit meiner Fraktion unterstützend für die Fortführung stehe und kämpfe .
({5})
Jetzt kommt aber das große Aber!
({6})
Letztendlich war es bisher - Herr Kollege Schindler hat
das schon in einer sehr großen Eindeutigkeit mit Verweis
auf den Koalitionsvertrag gesagt - nicht möglich, dies in
den Gesprächen und Verhandlungen mit der CDU in der
Form zu vereinbaren . Deshalb werden wir uns in diesem
Fall vertragstreu verhalten und den vorliegenden Antrag
gemeinsam mit unserem Koalitionspartner ablehnen .
Es gibt aber noch einen weiteren Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der im Prinzip etwas konkreter ist
und insoweit auch einen Vorteil bietet, weil die Grünen
genau sagen, was sie wollen .
Dort wird einmal ein Endzeitpunkt genannt . Ich habe
ja schon gesagt, dass man ihn eigentlich nicht benennen
muss; denn wenn die Laufzeiten aller Atomkraftwerke
ausgelaufen sind, dann spielt auch die Brennelementesteuer keine Rolle mehr . Von daher müsste man das gar
nicht befristen . Man könnte dort also auch von „unbefristet“ sprechen; denn wenn nichts mehr da ist, kann auch
nichts erhoben werden .
Zum anderen wird im genannten Antrag auch gefordert, die Brennelementesteuer anzuheben .
Bei diesem Antrag, der in Kürze auf uns zukommen
wird, werden wir in den parlamentarischen Beratungen
versuchen, darauf hinzuwirken - ob das gelingt, weiß ich
nicht; ich habe gewisse Zweifel -, noch ein Umdenken
herbeizuführen . Klar ist, dass die SPD-Fraktion für diesen Fall bereitstünde, die Erhebungsdauer der Brennelementesteuer zu verlängern .
In diesem Sinne freue ich mich auf muntere Debatten
in der Kürze der Zeit bis Ende des Jahres .
Glück auf!
({7})
Danke schön . - Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl,
Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das sind ja ganz hoffnungsvolle Aussichten, Herr Petry .
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen der Anträge
im Ausschuss .
Herr Schindler, jetzt müssen wir erst einmal ein paar
Sachen sortieren . Von einer doppelten Besteuerung kann
man ja nun im Moment wirklich überhaupt nicht sprechen . Wir haben auf der einen Seite eine Brennelementesteuer, die auslaufen soll - genau darüber, ob das Sinn
macht, diskutieren wir -, und wir haben auf der anderen
Seite die Vereinbarung in der Koalition, die Ergebnisse
der KFK-Kommission jetzt auch umzusetzen .
Ich will ganz ehrlich sagen: Wir sind auch dafür, dass
die Ergebnisse dieser Kommission umgesetzt werden .
Man muss das eine oder andere noch einmal zurechtrücken . Aber im Grunde genommen sind wir - anders,
Hubertus Zdebel, als die Linke - durchaus der Meinung,
dass wir, was die Rückstellungen betrifft, retten müssen,
was zu retten ist . Wir sind nicht mehr in der Situation,
in der wir die optimale Lösung für Rückstellungen gemäß dem Verursacherprinzip finden können, sondern wir
müssen jetzt die bestmögliche Lösung entwickeln . Ich
glaube, da sind diese Ergebnisse relativ nah dran .
Aber etwas anderes geht überhaupt nicht, und das will
ich hier auch gleich noch einmal sagen: Es geht nicht an,
dass die gleichen Konzerne, denen man ja in der Tat dann
ein Risiko abnimmt - das ist so; da bin ich völlig bei dir,
Hubertus; das Risiko wird ihnen abgenommen, es übernimmt der Staat mit einem Risikoaufschlag -, gleichzeitig über 30 Klagen gegen den Staat, gegen die öffentliche Hand betreiben . Darüber, liebe Koalition, muss noch
einmal ausführlich geredet werden; denn das geht in der
Tat nicht .
({0})
Wovon reden wir heute? Wir sprechen von der Brennelementesteuer . Es ist ja schon klargestellt worden, dass
sie aus ganz bestimmten Gründen eingeführt wurde, und
zwar nicht etwa, wie man ja auch oft hört, als Ausgleich
für die Laufzeitverlängerung, so nach dem Motto: Wir
schenken euch etwas, und dafür nehmen wir jetzt ein
bisschen . - Nein, sie hatte einen ganz klaren ökonomischen Grund, nämlich den, dass die Gesellschaft seit
Beginn der Geschichte der Atomkraft unglaublich viele
Kosten für die Atomindustrie übernommen hat .
Es gibt keinen Wirtschaftszweig, der mit so vielen Privilegien ausgestattet ist wie die Atomwirtschaft . Denken
wir nur einmal an die Versicherungspflicht; da muss nicht
annähernd das abgedeckt werden, was im Schadensfall
tatsächlich an Kosten auf die Gesellschaft zukommen
kann . Denken wir an Rückbau und Entsorgung der Forschungsanlagen . Denken wir an die Sanierung von Endlagern . Allein Asse und Morsleben werden über 7 Milliarden Euro - mindestens! - ausmachen . Insgesamt reden
wir von Beträgen im zweistelligen Milliardenbereich, die
in der Zukunft aufgrund dieser alten Aufgaben noch auf
uns zukommen . Zugleich belief sich nach unabhängigen
Schätzungen die staatliche Beihilfe für die Atomkraft in
den letzten Jahrzehnten bereits auf einen dreistelligen
Milliardenbetrag .
Also unglaublich viele Vergünstigungen, unglaublich
viele Privilegien, unglaublich viel, was die Gesellschaft
übernimmt . Diese gesellschaftliche Schuld muss bezahlt
werden . Am Ende muss die Rechnung doch irgendwann
stimmen, wenigstens einigermaßen . Ein Faktor dabei ist
die Brennelementesteuer .
({1})
Es gibt keinen Grund dafür, gab nie einen Grund und gibt
auch weiterhin keinen, diese Steuer zu befristen . Jeder
Kfz-Halter würde sich unglaublich freuen, wenn man
ihm sagte: Eine Zeitlang besteuern wir Kraftfahrzeuge;
aber für die letzten Jahre, wenn sie da noch laufen und
man weiß, dass sie eh bald abgeschaltet werden, erlassen
wir die Steuer . Dann dürft ihr so damit fahren . - So funktioniert Steuer prinzipiell nicht .
Ich will auch noch ein Wort zu Herrn Schindler sagen .
Er sagte, die zu erwartenden Einnahmen hätten sich reduziert . Sie haben sich auch deshalb reduziert, weil unsere
Freunde in den Konzernen, wie sie es immer gerne tun,
natürlich von vorneherein geschaut haben, wie sie diese
Kosten reduzieren können . Sie haben den Wechsel der
Brennelemente erst vorgezogen, als es die Steuer noch
nicht gab . Jetzt, da in Aussicht steht, dass die Erhebung
der Brennelementesteuer beendet werden wird, wird wieder verzögert und aufs nächste Jahr verschoben . So geht
das nicht .
Indem man zum Beispiel sagt, wir beenden die Steuererhebung ab einem gewissen Zeitpunkt, eröffnet man
nur wieder neue Schlupflöcher. Es wird nicht nur ab dann
die Steuer nicht mehr bezahlt; vielmehr wird ebenso das,
was selbst nach Ihrer Absicht noch bezahlt werden sollte, auch noch gespart, indem der Wechsel der Brennelemente verschoben wird . Auch das ist ein Grund dafür,
dass diese Steuer bleiben muss . Man darf diesen Konzernen - es tut mir leid - diese Schlupflochmöglichkeiten
überhaupt nicht bieten, weil alles sofort ausgenutzt wird,
({2})
weil sie so etwas trotz guter Vereinbarungen immer wieder ausnutzen . Auch das Ergebnis der KFK ist eine gute
Vereinbarung für die Konzerne . Trotz all dieses Entgegenkommens des Staates wird immer wieder geschaut:
Wo können wir noch irgendetwas abgreifen? Wo können
wir noch etwas herausholen? Das muss aufhören . Deswegen muss bei der Brennelementesteuer eine ganz klare
Linie vorgegeben sein: Die Brennelementesteuer wird
erhoben, solange ein Atomkraftwerk läuft, und zwar bis
zum letzten Gramm Spaltstoff .
({3})
Das ist Gerechtigkeit . Das ist eine geringe Teilabzahlung
der gesellschaftlichen Schuld, die die Atomkonzerne
nicht nur finanziell, aber auch finanziell tragen.
({4})
Insofern schließe ich mich dem Antrag an . In unserem
eigenen Antrag steht außerdem, die Brennelementesteuer auf das Niveau anzuheben, das ursprünglich gedacht
war; denn der Betrag, der jetzt erhoben wird, 145 Euro
pro Gramm, war schon ein nicht nachvollziehbares Zugeständnis in Richtung Atomkonzerne . Auch das kann
man zurücknehmen . Ich bin dafür, dass wir hier eine klare Linie fahren .
Ich hoffe, in den nächsten Wochen der Beratung,
nachdem ich schon höre, dass man in Teilen nicht so ganz
abgeneigt ist, zieht hier im Hause noch Vernunft ein .
Vielen Dank .
({5})
Danke schön . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Philipp von und zu Lerchenfeld .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute
extra eine namentliche Abstimmung angesetzt worden
ist, weil dadurch sehr viele Leute kommen werden, die
meine erste Rede nach meiner Krankheit hören . Dafür
bin ich sehr dankbar und bin darüber hocherfreut .
({0})
Das gibt mir die Gelegenheit, mich gleichzeitig bei allen
zu bedanken, die mir Genesungswünsche geschickt haben . Ihnen allen gilt dafür mein herzlicher Dank .
Aber lassen Sie mich jetzt zum Thema kommen . Lassen Sie mich zunächst mein Erstaunen darüber ausdrücken, dass hier mehrfach Vergleiche herangezogen wurden . Kernkraftwerke wurden mit Oldtimern verglichen,
also mit Autos. Ich finde diesen Vergleich ein bisschen
gewagt, muss ich sagen .
({1})
- Sie hatten das Auto angesprochen .
({2})
Ich muss Ihnen sagen: Natürlich kommen Sie in den
Genuss von Steuerermäßigungen, wenn Sie mit einem
H-Kennzeichen fahren . Gerade für einen Oldtimer gibt
es eine entsprechende Ermäßigung bei der Steuer . Also
ist dieser Vergleich, den Sie angestellt haben, vielleicht
ein bisschen schief . Ich möchte ihn gern korrigieren .
({3})
Die Kosten, die durch die Entsorgung auf die Kernkraftwerksbetreiber zukommen - das wurde vorhin
schon angedeutet -, werden in einem ganz anderen Zusammenhang geregelt werden . Ich erinnere daran, dass
die Brenn elementesteuer, die 2011 eingeführt wurde,
nie die erwarteten hohen Steuereinnahmen brachte: Im
Jahr 2011 waren es 922 Millionen Euro statt 2,3 Milliarden Euro, im Jahr 2012 1,6 Milliarden Euro statt 2,3 Milliarden Euro . Dazu kann ich nur sagen: Ihre Schätzung,
dass in den nächsten Jahren mit Einnahmen von 5 Milliarden Euro zu rechnen sei, kann ich nur anzweifeln .
Die Mindereinnahmen lassen sich sicherlich dadurch
begründen, dass ein Teil der Kernkraftwerke mittlerweile
aufgrund der Katastrophe von Fukushima abgeschaltet
wurde . Die Klagen der Unternehmen gegen diese Steuer
wurden vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen; das
wurde schon angesprochen . Auch die entsprechenden Finanzgerichte in Deutschland haben mittlerweile erkannt,
dass dem Bund damals die Steuergesetzgebung für diese
Steuer zustand .
Zum Zeitpunkt der Einführung der Steuer war noch
überhaupt keine Rede davon, dass es eine Laufzeitbegrenzung der Kernkraftwerke geben würde . Es war noch
keine Rede davon, dass man dafür 2022 als Datum festsetzen würde . Vielmehr war zum damaligen Zeitpunkt
der wesentliche Grund für die Einführung dieser Steuer,
dass man einfach Haushaltslöcher stopfen wollte .
Natürlich fällt es einem immer schwer, Steuern nicht
mehr weiter zu erheben . Aber ich glaube, eine ganz wesentliche Frage ist auch: Wie zuverlässig sind wir bei
unserer Steuergesetzgebung? Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun . Das hat etwas mit Planungssicherheit
für die Unternehmen zu tun .
({4})
Wenn wir in einem Gesetz festlegen, dass wir diese Steuern nur für einen gewissen Zeitraum erheben wollen,
dann können wir nicht nachher sagen: Jetzt könnt ihr uns
alle gernhaben; wir machen das Ganze doch anders .
Wir müssen auch im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik glaubwürdig bleiben .
({5})
Deswegen muss die Erhebung dieser Steuer dem Gesetz
entsprechend ausgeführt werden . Damit läuft sie gegen
Ende dieses Jahres aus .
Die Fortsetzung der Erhebung der Steuer über das
Jahr 2016 hinaus wäre auch eine indirekte Steuererhöhung, die wir im Koalitionsvertrag ausgeschlossen haben .
({6})
Wir wollen keine indirekten Steuererhöhungen, und wir
wollen keine direkten Steuererhöhungen . Im Gegenteil:
Wir müssen sehen, dass wir für den Wirtschaftsstandort
Deutschland Steuerentlastungen herbeiführen . Nur auf
diese Art und Weise wird unser Standort entsprechend
gewürdigt .
({7})
Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema Glaubwürdigkeit zurückkommen . Ich glaube, gerade in diesen
Zeiten, die wir erleben - das zeigt ein Blick nach Amerika, aber auch zu unseren Nachbarn -, ist es von ganz
essenzieller Bedeutung, dass wir mit dem, was wir als
Gesetzgeber beschließen, glaubwürdig bleiben . Glaubwürdigkeit heißt: Wir müssen uns an die Gesetze halten,
die wir selber in Kraft setzen . Deswegen sollte die Steuer Ende dieses Jahres aufgehoben werden . Wir haben
keinen Grund, diese Steuer zu entfristen, und wir haben
keinen Grund, die Unternehmen mit einer zusätzlichen
Steuer zu belasten .
Wir wollen keine Steuererhöhungen . Deswegen lehnen wir den Antrag ab .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Christian Petry hat
schon begründet, warum wir den Antrag für einen sehr
guten Sachantrag halten . Die Brennelementesteuer sollte
bis zum Ende der Laufzeit aller Atomkraftwerke erhoben
werden . Das wäre ohnehin ein relativ geringer Beitrag
im Vergleich zu den Ewigkeitskosten, mit denen wir zu
rechnen haben .
({0})
Für mich wäre es schon deshalb wichtig, die Erhebung
der Steuer zu verlängern, weil sie einen Konstruktionsfehler hat . Denn die Befristung lädt doch geradezu dazu
ein, sie zu umgehen und den Austausch der Brennstäbe
zu verzögern . Offen gestanden würde ich das auch so machen . Wenn ich Konzernchef wäre, würde ich auch nicht
sagen: Jetzt tauschen wir die Brennstäbe aus, damit wir
schön viel Steuern bezahlen . - Im Gegenteil, ich würde sagen: Das halten wir noch ein bisschen zurück, und
wenn dann die steuerfreie Zeit beginnt, dann tauschen
wir sie aus . - Alles andere wäre doch verrückt . Man ist
schließlich für sein Unternehmen verantwortlich .
Insofern wäre es wichtig gewesen, die Befristung gar
nicht erst einzuführen . Das war ein Konstruktionsfehler .
Es war in gewisser Weise ein Politikversagen gegenüber
den Konzernen .
({1})
Dazu findet sich sehr viel mehr in den persönlichen Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung, die viele
Kolleginnen und Kollegen heute abgegeben haben .
Ich will aber auch etwas Kritisches zu dem Verfahren anmerken, weil Herr Zdebel vorhin ein bisschen vorwurfsvoll argumentiert hat . Denn so gut der Sachantrag
ist, so schlecht ist das gewählte Verfahren . Normalerweise wird eine namentliche Abstimmung beantragt, damit
die Bürgerinnen und Bürger später sehen können, welcher Kollege oder welche Kollegin für oder gegen etwas
war . Das kann man zu Hause nachlesen .
Mit einer namentlichen Abstimmung werden normalerweise Transparenz und Offenheit hergestellt, weil dadurch deutlich wird, wie man sich in der Abstimmung
verhält . Es gibt aber auch namentliche Abstimmungen,
die beantragt werden, um die Menschen hinter die Fichte
zu führen und etwas zu zeigen, was eben nicht der Wahrheit entspricht .
Warum das hier der Fall ist, kann ich relativ leicht erklären . Natürlich halten wir uns an den Koalitionsvertrag .
Denken wir einmal zurück: Ich musste hier einer Maut
zustimmen . Das fand ich ganz schrecklich . Die Kollegen
von der CDU/CSU mussten einem Mindestlohn zustimmen . Das fanden sie ganz schrecklich . Wir haben das
aber jeweils gemacht . Denn ohne Vertragstreue ist man
nicht regierungsfähig, und wenn man nicht regierungsfähig ist, dann braucht man keine Koalition zu bilden .
({2})
Insofern versucht man mit der Beantragung einer namentlichen Abstimmung, die Menschen hinters Licht zu
führen, die unsere Abläufe nicht kennen . Und es ist gut,
dass sie sie nicht alle kennen . Denn sie haben vielleicht
einen eigenen Beruf und müssen sich um ihre Arbeit
kümmern . Aber dieses Missverhältnis der Erkenntnis
wird von der Linken schamlos ausgenutzt . Das halte ich
für sehr fragwürdig .
({3})
Stellen wir uns einmal vor, dass die SPD-Fraktion einen Koalitionsvertrag mit der Linken und vielleicht auch
mit den Grünen schließt .
({4})
- Ich habe nur eine Hypothese aufgestellt . - Nehmen wir
einfach an, dass dem so wäre .
({5})
Dann würde jemand in diesem Haus - ich wage mir
nicht vorzustellen, wer das sein könnte - den schön formulierten Antrag „Raus aus der NATO“ stellen . Aber in
unserem Koalitionsvertrag würde stehen, dass wir in der
NATO verbleiben . Schließlich würde die SPD-Fraktion
keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn in ihm
nicht steht, dass Deutschland Mitglied der NATO bleibt .
Würde die Linke nun diesen Koalitionsvertrag brechen
und dem Antrag einer anderen Fraktion auf Austritt aus
der NATO zustimmen? Wärt ihr so unehrlich und vertragsuntreu?
({6})
Dann würde ich euch vorwerfen, dass ihr eure Grundsätze verratet .
({7})
Das wäre bestimmt durch eine namentliche Abstimmung
zu dokumentieren, um zu zeigen, dass ihr tatsächlich das
Gegenteil macht .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Wir kommen jetzt zur Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Frak-
tion Die Linke mit dem Titel „Keine Steuerbefreiung für
Atomkraftwerke - Die Brennelementesteuer muss blei-
ben“ .
Zu dieser Abstimmung liegt eine Reihe von Erklärun-
gen nach § 31 der Geschäftsordnung vor .1)
1) Anlagen 4 bis 6
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10094, den Antrag der Frakti-
on Die Linke auf Drucksache 18/9124 abzulehnen . Wir
stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich
ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .
Gibt es jetzt noch Mitglieder des Hauses, die ihre
Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Ich sehe, das
ist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung . Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird Ihnen später
bekannt gegeben .2)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes
bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer
Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der
Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages
über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 ({1}), 2199 ({2}), 2249
({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen sowie des Beschlusses der Staatsund Regierungschefs vom NATO-Gipfel
am 8./9. Juli 2016
Drucksachen 18/9960, 18/10244
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10275
Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor . Über diese Entschließungsanträge
werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Niels Annen, SPD-Fraktion .
({5})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Lassen Sie mich diese Aussprache mit einer
Vorbemerkung beginnen . Das Mandat, über das wir heu-
te entscheiden, ist kein Einsatz für die Türkei und erst
2) Ergebnis Seite 19841 C
Lothar Binding ({0})
recht nicht für die türkische Regierung oder ihren Präsidenten, Herrn Erdogan .
({1})
Dieses Mandat dient der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, nämlich der Terrormiliz IS . Es dient damit auch unserer eigenen Sicherheit .
({2})
Ich glaube, dass diese Vorbemerkung angesichts der
manchmal ja auch etwas hitzigen Debatte in Deutschland
notwendig ist . Ich will deswegen auch daran erinnern,
dass wir in diesem Hause vor wenigen Stunden die in der
Tat notwendige Debatte über die innenpolitische Situation in der Türkei geführt haben . Ich glaube, dass es die
richtige Entscheidung ist, beides getrennt zu diskutieren .
Zur Sache: Wir alle kennen die Bilder und Nachrichten von der aktuellen Situation vor allem im Irak und von
der großen Offensive zur Befreiung der Stadt Mosul, die
im Moment noch von der Terrormiliz IS gehalten wird .
Diese Offensive, aber auch die militärische Entwicklung
in den letzten Wochen und Monaten zeigen - das ist vor
dem Hintergrund der ganzen Debatte, die uns bedrückt,
und in Anbetracht der Bilder, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, eine gute Nachricht -: Die Terrormiliz
IS ist in der Defensive . Aber der Kampf ist noch lange
nicht vorbei . Ich glaube, wir alle müssen uns darauf einstellen, dass es eine lange Auseinandersetzung wird, in
der es naturgegeben auch Rückschläge geben kann .
Dennoch: Die internationale Koalition, die sich versammelt hat und die heute aus 67 Staaten besteht, hat den
richtigen Weg eingeschlagen . Ich hoffe, dass der Bundestag deutlich machen wird, dass sich unser Land, die
Bundesrepublik Deutschland, mit den Soldatinnen und
Soldaten, die wir entsendet haben, und mit den Fähigkeiten, die wir bereitstellen wollen - die Luftaufklärung,
die Luftbetankung, zukünftig ergänzt um das Mandat
AWACS -, als Teil dieser Koalition empfindet, dass wir
Verantwortung übernehmen und dass wir uns - gerade
angesichts der Wahl in den Vereinigten Staaten und der
Verunsicherung, die dieses Wahlergebnis ausgelöst hat als verlässlicher Partner präsentieren wollen . Das ist
wichtiger denn je .
({3})
Wir müssen in der Tat über Mosul reden . Es gibt in
diesem Krieg bedauerlicherweise viele Auseinandersetzungen, es gibt viele Fronten . Aber Mosul ist eine entscheidende Etappe . Warum? Weil wir, die internationale
Staatengemeinschaft, in Mosul aufgrund der Verantwortung, die wir tragen, nicht zulassen würden, dass die irakischen Kräfte dieselben Fehler wiederholen, die sie zum
Beispiel in Falludscha gemacht haben . Unser Ziel muss
sein, in dem manchmal schwierigen Dialog mit der irakischen Regierung und den Verbündeten dafür zu sorgen,
dass es nicht zu einer weiteren Zuspitzung der konfessionellen Konflikte im Irak kommt und dass der Ethnisierung des Konflikts, wenn dies schon nicht ganz gestoppt
werden kann, zumindest entgegengewirkt wird .
Die Befreiung Mosuls ist ein wichtiges Ziel . Aber sie
darf nicht dazu führen, dass sich die Auseinandersetzung
zwischen Sunniten und Schiiten weiter zuspitzt . Deswegen geht es im Moment nicht nur um das Schicksal einer
Millionenstadt; es geht möglicherweise um die Zukunft
des Irak als souveränen Staat . Deswegen ist es ganz
wichtig, dass wir klarmachen: Die Unterstützung dieses
Hauses für die Kräfte in der Region, gerade im Irak, die
sich dafür einsetzen, dass dieses Land in Zukunft Heimat
bietet für alle ethnischen Gruppen, für alle Minderheiten,
für alle religiösen Gruppen - das muss die Grundlage unseres Handelns sein .
({4})
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
möchte ich mich bei Außenminister Steinmeier für seine
Initiative bedanken, die er mit der Unterstützung dieses
Hauses auf den Weg gebracht hat . Ich kenne kein anderes
europäisches Land, das sich in den letzten Wochen und
Monaten so dafür eingesetzt hat, dass die Abfederung der
schon heute sichtbaren Konsequenzen dieser Offensive steigende Flüchtlingszahlen und menschliche Dramen,
die sich dort abspielen - gelingt . Wir leisten dort einen
humanitären Beitrag . Schon bei der Vorbereitung dieser
Operation haben wir mitgeholfen, dass Flüchtlingseinrichtungen aufgebaut wurden und dass Mittel dafür bereitstehen, dass die befreiten Gebiete Wasser haben, dass
es eine Gesundheitsversorgung gibt und dass die Infrastruktur wiederaufgebaut wird .
Ich weiß natürlich: Die Voraussetzung dafür ist, dass
zum Beispiel die mit der irakischen Armee verbündeten
schiitischen Milizen, die sich in den letzten Jahren auch
schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, eben nicht
sunnitisches Gebiet dominieren und besetzen . Aber in
dem Augenblick, in dem das gelingt, müssen wir als internationale Gemeinschaft da sein und einspringen . Deswegen ist diese Initiative wirklich ein wichtiger Schritt in
die richtige Richtung .
Ich glaube, er zeigt auch, dass das, was wir hier vor
uns haben, weit mehr ist als eine rein militärische Operation . Es ist ein Beitrag zur Stabilisierung einer Region, deren Kernkonflikt wir hier in Europa nicht lösen
können. Es ist ein Konflikt, zu dessen Lösung wir aber
beitragen können . Und wir tragen zu einer Verbesserung
der humanitären Situation und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bei, aber - ich will das am
Ende noch einmal sagen, weil wir die Anschläge in Europa erlebt haben - wir tragen auch zu unserer eigenen
Sicherheit bei .
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können
Sie, glaube ich, mit gutem Gewissen zustimmen . Ich bitte jedenfalls um die Mandatierung .
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({5})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Dr . Alexander Neu .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Heute stimmen wir über einen Auslandseinsatz ab, der eine besondere Aufmerksamkeit verdient,
besonders weil Ihr Gewissen in außerordentlichem Maße
gefragt ist und Sie sich nicht auf die Fraktionsdisziplin
zurückziehen sollten .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen
Ihrem Gewissen folgen und dabei folgende Fragen beantworten können:
Erstens . Können Sie wirklich mit gutem Gewissen einem Einsatz zustimmen, der nicht verfassungs- und völkerrechtskonform ist?
({0})
Zweitens . Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, einen Bundeswehreinsatz zu befürworten, ohne
dass die faktischen Unterstützerstaaten des IS und anderer Dschihadisten, namentlich die Türkei und Saudi-Arabien, zur Rechenschaft gezogen werden?
Die Bundesregierung kann sich in diesem Fall nicht
auf Unkenntnis berufen . Die Bundesregierung hat in
der Antwort auf eine Kleine Anfrage, wie die Medien
abgedruckt haben, zugegeben: Die Türkei hat sich „zur
zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens“ entwickelt . - Das war die Antwort der Bundesregierung . Sie
wissen also, mit wem Sie es zu tun haben .
({1})
Anstatt daraus die Konsequenzen zu ziehen, verkaufen
Sie weiter Waffen und Rüstungsgüter in die Türkei und
Saudi-Arabien .
Drittens . Können Sie die Stationierung der Bundeswehr in der Türkei mit einem guten Gewissen bejahen?
Ich glaube, nicht .
({2})
Und warum nicht? Die Türkei rutscht unter dem Sultan
Erdogan in die Despotie ab . Er bombardiert die Kurden,
es findet eine massive Verfolgung linker und liberaler
Medien und Parteien statt, und es findet eine massive
Säuberung des Staatsapparats ohne rechtsstaatliche Verfahren statt . Und was macht die Bundesregierung? Was
macht Frau Merkel? Sie ist lediglich besorgt .
Hinzu kommt: Erdogan führt die Bundesrepublik
Deutschland am Nasenring durch die internationale Arena . Der Deutsche Bundestag kann seine Kontrollaufgaben gegenüber der Bundeswehr in der Türkei nicht kontinuierlich und nicht vollumfänglich wahrnehmen .
({3})
Erdogan verlangte von der Bundesregierung die Distanzierung von der Armenien-Resolution des Deutschen
Bundestages als Vorleistung für den Besuch in der Türkei, in Incirlik .
({4})
- Ich bin da gewesen, ja . Genau . Die Vorleistung wurde
erbracht . Die Merkel/Steinmeier-Regierung ist eingeknickt . Sie hat geliefert, wie von Erdogan gewünscht .
Aber es war ein Ausnahmefall . Es war kein kontinuierliches Besuchsrecht, was wir dort erlebt haben . Diese
Befürchtung habe ich seinerzeit geäußert . Diese Befürchtung hat sich bewahrheitet . Jan van Aken wartet bis heute
auf die Zustimmung zur Einreise nach Incirlik . Die Abgeordneten der CDU/CSU von Stetten und Brand durften
ebenfalls nicht nach Incirlik . Ich bin mal gespannt, wie
die beiden gleich abstimmen werden .
Die Bundesregierung bestätigt in einer extrem peinlichen Protokollerklärung selber - ich zitiere -:
Im Lichte der aktuellen Entwicklungen in der Türkei erklärt die Bundesregierung . . ., dass sie sich
weiterhin mit Nachdruck gegenüber der türkischen
Regierung für die Ermöglichung von Besuchen der
Abgeordneten des Deutschen Bundestages einsetzen wird .
Das ist niedlich, meine Damen und Herren, wirklich
niedlich .
({5})
Was hier als niedliche Anstrengung der Bundesregierung verkauft wird, ist nichts anderes als das, dass einige
Fraktionsgrößen der SPD versuchen, den Abgeordneten
der SPD Sand in die Augen zu streuen . Das Besuchsrecht
der Abgeordneten für die im Ausland stationierten Soldaten der Bundeswehr ist eine Voraussetzung und keine
Verhandlungsmasse, meine Damen und Herren!
({6})
Mit dieser Protokollerklärung versucht die Bundesregierung nur, die Abgeordneten der SPD zu besänftigen, um
die Stationierung der Bundeswehr im Erdogan-Reich sichern zu können .
Aber noch kein Ende der Realsatire . Man setzt noch
einen drauf . Man hält bis heute daran fest, den Bundeswehrstandort in Incirlik für 60 Millionen Euro auszubauen . Während in deutschen Schulen der Putz von der Decke fällt, weil angeblich kein Geld da ist,
({7})
schiebt die Bundesregierung dem Erdogan-Regime
60 Millionen Euro Steuergelder in den Arsch .
({8})
- Da sind Sie empört . Sie sollten über Ihr Verhalten empört sein .
({9})
Herr Kollege Dr . Neu, ich glaube, dass wir uns durchaus um eine parlamentarische Ausdrucksweise bemühen
sollten .
({0})
Ich glaube, diese Formulierung ist mittlerweile Usus . Sehr geehrte MdBs, insbesondere der SPD, folgen Sie
endlich Ihrem Gewissen! Die SPD hat doch angekündigt,
dass sie dem Mandat nicht zustimmen wird, wenn es kein
Besuchsrecht in Incirlik gibt . Wir haben kein Besuchsrecht! Stehen Sie also zu Ihrem Wort, und lehnen Sie den
Antrag gemeinsam mit der Linken ab .
({0})
Haben Sie endlich das Rückgrat, wie es damals Bundeskanzler Gerhard Schröder im Vorfeld des Krieges mit
dem Irak hatte . Er hat Nein gesagt . Sagen Sie jetzt auch
einmal Nein . Zeigen Sie dem Erdogan-Regime die Rote
Karte .
({1})
Eines muss immer wieder gesagt werden: Es darf
keine Beteiligung der Bundeswehr an Konflikten im
Nahen Osten geben, auch nicht in Syrien und im Irak .
Das verbietet sich schon allein aufgrund der deutschen
Geschichte, zumal das Sterben in Syrien und im Irak dadurch nicht beendet wird .
({2})
Die Mitglieder der SPD und die Wähler der SPD würden
sich wirklich freuen, wenn die SPD Rückgrat beweisen
würde . Sie würden Ihnen danken .
({3})
Vergessen Sie nicht, sehr geehrte Damen und Herren
von der SPD: In weniger als einem Jahr haben wir Bundestagswahl . Dann wird sich entscheiden - auch anhand
dieser Abstimmung -, wie Sie abschneiden werden .
Danke .
({4})
Bevor als nächste Rednerin die Kollegin Manderla
das Wort hat, darf ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag „Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke - Die Brennelementesteuer muss bleiben“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 583 . Mit Ja, also für
die Empfehlung des Finanzausschusses, haben gestimmt
472, mit Nein haben gestimmt 109, Enthaltungen 2 . Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon
ja: 472
nein: 109
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({5})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({19})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({20})
Hubertus Heil ({21})
Gabriela Heinrich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({23})
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({24})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({25})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({27})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({28})
Matthias Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Carsten Schneider ({31})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({32})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({33})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({34})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({35})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({36})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({37})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({38})
Christian Kühn ({39})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({40})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Sabine Dittmar
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({41}) aufgeführt .
Jetzt darf ich der Kollegin Gisela Manderla für die
CDU/CSU das Wort geben .
({42})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr . Neu,
wir diskutieren und beschließen auch hoffentlich einen
Bundeswehreinsatz gegen eine Terrororganisation . Wir
reden hier nicht über Wahlkampf, und wir reden hier
nicht über einen Besuch in Incirlik . Nutzen Sie doch
nicht diese Debatte über ein solch schwerwiegendes Thema, um Parteipolitik für die Linken zu machen. Ich finde
das schändlich .
({0})
Meine Damen und Herren, angesichts der undurchsichtigen Lage in Syrien und im Irak empfiehlt es sich,
nochmals in aller Klarheit auf diejenigen zu schauen, gegen welche die internationale Koalition in diesen Ländern
antritt, und vor allen Dingen zu fragen, warum sie das tut .
Zentraler Gegner ist die Terrororganisation Daesh . Die
Formulierung IS oder „Islamischer Staat“ wird diesen
Verbrechern nicht gerecht; denn diese Terrorformation ist
weder islamisch noch ist sie ein Staat . Diese skrupellose
Mörderbande hat sich weit über ihre Ausdehnungsgebiete in Syrien und im Irak hinaus zu einer Bedrohung für
Frieden und Sicherheit entwickelt .
Zahlreiche Anschläge in der Türkei, in Tunesien,
im Libanon - zuletzt auch in Frankreich, Belgien und
Deutschland - belegen die Bedrohung für den Weltfrieden, die von Daesh ausgeht . Daesh will, glaubt man seiner Propaganda, im Vorderen Orient ein Regime nach
dem Vorbild des Kalifats aus dem 7 . Jahrhundert errichten . Hierbei bedient er sich einer kaum für möglich
gehaltenen Brutalität . Er mordet, er vergewaltigt und er
versklavt all jene, die nicht seiner engen Auslegung des
Islam folgen . Er hat den Bürgerkrieg in Syrien und die
wachsende Unzufriedenheit der sunnitischen Bevölkerung im Irak schamlos und grausam für seine Zwecke
ausgenutzt . Seine verführerische Strategie besteht darin,
den vielen Herausforderungen der Neuzeit in der muslimischen Welt mit nur scheinbar leichten und einfachen
Antworten zu begegnen . Diese Strategie stützt sich auf
eine ausgefeilte Propaganda, der nicht zuletzt auch in Europa manche orientierungslose und haltlose junge Menschen verfallen . Die Realität in den von Daesh besetzten
Gebieten besteht jedoch aus nichts anderem als Terror,
Unterdrückung und Gewalt . Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, vor allem für Frauen, wird verwehrt . Und: Ein klarer Gesellschaftsentwurf ist nicht im
Ansatz zu erkennen .
Nicht ohne Grund hat das Wüten von Daesh daher
Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben . Ich
darf an dieser Stelle an den Versuch erinnern, die Minderheit der Jesiden aus dem Nordirak nicht nur zu vertreiben, sondern förmlich auszuradieren . Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es nach meinem Verständnis
nur einen Begriff, und der lautet: versuchter Genozid .
Folgerichtig hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in diversen Resolutionen die Bedrohung durch
Daesh ausdrücklich betont . Der Sicherheitsrat hat dazu
aufgerufen, im Kampf gegen Daesh alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seine terroristischen
Handlungen zu verhüten und zu unterbinden . Zudem ist
es erklärtes Ziel, Daesh seine Rückzugsorte zu nehmen,
die er sich in weiten Teilen Syriens und Iraks schaffen
konnte . Diesem Ziel, meine Damen und Herren, sind wir
näher gekommen, wie die jüngsten Erfolge rund um die
Offensiven in Mosul und Rakka zeigen . Aber von einem
Ende der Bedrohung durch Daesh kann noch keineswegs
die Rede sein . Es gilt, den eingeschlagenen Weg mit aller Entschlossenheit fortzusetzen . Die Notwendigkeit,
diesen Weg entschlossen fortzusetzen, wird besonders
deutlich, wenn man sich die aktuellen Berichte aus den
befreiten Gebieten rund um Mosul oder Nordsyrien ansieht: Massengräber, Tausende Zivilisten verschleppt und
als Schutzschilder missbraucht - die eigenen Landsleute!
Ich komme zu dem Schluss: Wir müssen diesen Verbrechern konsequent das Handwerk legen . Entgegen anderslautender Einschätzungen will ich für uns als Union
klarstellen: Die deutschen Einsatzkräfte haben sich im
vergangenen Jahr an der Operation Counter Daesh mit
sehr sinnvollen und von den Partnern in der internationalen Koalition auch ausdrücklich erwünschten Beiträgen
beteiligt .
({1})
Diese Beiträge sind: Geleitschutz, Luftbetankung, Aufklärung und Führungsunterstützung . Wir haben einen
klar erkennbaren Mehrwert und sind dem Bündnis eine
wertvolle Hilfe . In diesem Kontext ist auch der zusätzlich geplante Einsatz deutscher Besatzungsanteile für die
AWACS-Aufklärer zu sehen, um den wir das Mandat
künftig erweitern wollen . Das sind alles Fähigkeiten, die
unsere Soldatinnen und Soldaten hochprofessionell und
mit einem tollen Einsatzwillen gewährleisten . Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir ihnen an dieser
Stelle ausdrücklich danken . Sie machen alle einen tollen
Job . Das will ich noch einmal deutlich zum Ausdruck
bringen .
({2})
Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung . Der
internationalen Koalition gegen Daesh gehören mittlerweile mehr als 60 Nationen an . 60! Und ich glaube nicht,
dass all diese Staaten mit ihrer Bewertung der Situation
danebenliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Deshalb
sollte für uns heute vor allem eine Frage handlungsleitend sein: Wofür oder wogegen hat Deutschland Grund
aufzustehen, wenn nicht gegen versuchten Genozid und
die Missachtung sämtlicher Menschenrechte? Deshalb
bitte ich Sie nachdrücklich um die Zustimmung zur Mandatsverlängerung .
Herzlichen Dank .
({3})
Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der
Kollege Omid Nouripour .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ISIS ist
eine grauenvolle Terrororganisation, die barbarische Verbrechen begeht . Das ist überhaupt keine Frage . Und es ist
völlig richtig: ISIS kann man nicht militärisch besiegen,
aber man muss ihn militärisch stoppen . In diesem Zusammenhang bin ich ausgesprochen verstört von einem
Entschließungsantrag der Linken, in dem der IS tatsächlich durch den Begriff „gleichermaßen“ mit der NATO
gleichgesetzt wird . Ich glaube, Sie tun damit niemandem
einen Gefallen, sondern verharmlosen einfach nur die
Verbrecherbanden .
({0})
Noch einmal: Es ist in bestimmten Situationen notwendig, militärisch gegen ISIS vorzugehen; auch in diesem Fall ist es notwendig . Aber nichtsdestotrotz kann
man ISIS nur politisch besiegen . Das vorliegende Mandat ist kein Beitrag dazu .
Meine Fraktion hat letztes Jahr mehrheitlich zu diesem Mandat Nein gesagt, und die Gründe dafür haben
sich seitdem eher verstärkt . Es gibt massive militärische
Veränderungen, gerade am Boden, zum Beispiel in Syrien . Letztes Jahr war Russland noch Unterstützer von
Assad, jetzt ist es ein eigenständiger militärischer Akteur
am Boden .
Am deutlichsten sieht man das an der aggressiven
Regionalpolitik der Türkei, die jenseits des Völkerrechts
im Norden Iraks und auch in Syrien betrieben wird . Dort
bombardiert die türkische Luftwaffe zurzeit fast täglich
Stellungen von Milizen, allerdings nicht die von Daesh/
ISIS, sondern die Stellungen von für sie unliebsamen
kurdischen Milizen, die noch vor zwei Jahren von uns
allen gefeiert wurden, weil sie den Kampf um Kobane
geführt haben . Das ist, was die Gefährlichkeit der Situation, über die wir uns unterhalten, im Kern ausmacht .
Aber die Bundesregierung beschäftigt sich nicht damit,
sondern mit Protokollnotizen .
Ja, ich bin als ehemaliges Mitglied des Verteidigungsausschusses sehr froh, dass es die Möglichkeit eines
Besuchs gibt. Ja, ich finde auch, dass es unser Anrecht
als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist, unsere
Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland einen guten
Job machen, zu besuchen . Ja, natürlich muss man sich
darüber echauffieren, wenn ein Staat wie die Türkei das
nicht erlaubt . Ich glaube aber, dass hier der falsche Fokus gewählt wird . Die Protokollnotiz besagt, dass sich
die Bundesregierung weiterhin dafür einsetze - ich zitiere es nicht; Kollege Neu hat es gerade vorgelesen -,
dass die Türkei den Besuch der deutschen Soldatinnen
und Soldaten durch Bundestagsabgeordnete ermöglicht .
Ich dachte, ehrlich gesagt, das wäre selbstverständlich .
({1})
Ich habe gehört, bei den Sozialdemokraten habe es
große Vorbehalte gegeben, und nach Abgabe dieser Protokollerklärung durch die Bundesregierung gebe es diese
Vorbehalte nicht mehr . Das ist aber ein günstiger Preis,
den Sie da akzeptieren . Ich bin schon beeindruckt und
freue mich auf Koalitionsverhandlungen mit Ihnen .
({2})
Der Kern der Auseinandersetzung ist die Frage des
Umgangs der Türkei mit der kurdischen Bevölkerung .
Deshalb sollten wir uns davon um Gottes Willen nicht
ablenken lassen .
({3})
Wer wird denn da bombardiert? Da werden kurdische
Kräfte bombardiert, die Teil der Syrian Democratic
Forces sind und von den Amerikanern unterstützt werden . Die Türkei, ein NATO-Staat, bombardiert gerade die
Kräfte, die die Amerikaner aufrüsten. Ich finde, das hat
eine deutlich größere Dimension als die Protokollnotiz
der Bundesregierung, und darüber muss man reden .
({4})
Über die innere Situation der Türkei, über den massiven Rutsch in Richtung Autokratie und Diktatur, haben
wir heute Vormittag bereits gesprochen . Insofern entfällt
ein Argument der Bundesregierung aus dem letzten Jahr .
Auf die Frage, wie es denn mit den geteilten Daten aussehe und ob die türkischen Streitkräfte das verwenden
könnten, was unsere Tornados aufklären, hat die Bundesregierung letztes Jahr gesagt, sie habe Vertrauen zur
türkischen Regierung . Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung das in diesen Tagen noch sagen würde bzw .
sagen kann .
Es ist vor allem so, dass sich am Boden etwas verändert hat . Man hat uns letztes Jahr gesagt: Wir klären
nur Fazilitäten von ISIS im Landesinneren auf . - Aber
mittlerweile gibt es zum Beispiel im Norden der Region Rakka Frontstellungen, an denen es fast täglich zu
Gefechten zwischen den Syrian Democratic Forces und
ISIS kommt . Wie wollen Sie diese Aufklärung denn trennen? Die Bilder, die dort im Rahmen der Aufklärung gemacht werden, landen automatisch bei der Türkei - das
ist NATO-Usus -; damit aber auch die Bilder von Stellungen der kurdischen Milizen, die dort von der Türkei
bekämpft werden .
({5})
Insofern kriegen Sie das gar nicht mehr getrennt .
({6})
Deshalb müssen Sie einfach verstehen, dass wir nicht imstande sind, einem Mandat zuzustimmen, bei dem Daten
geliefert werden, die türkische Streitkräfte
({7})
derzeit für einen völkerrechtswidrigen Einsatz vor allem
in Syrien, aber auch im Norden Iraks nutzen .
({8})
Deshalb werden wir die Verlängerung des Mandats ablehnen .
Ich finde, es war sehr gut, was der Kollege Annen gesagt hat .
({9})
Er hat nämlich in seiner Rede den Schwerpunkt darauf
gelegt, dass das Zentrale ist, zu schauen, wie es denjenigen geht, die befreit werden . Sie haben große Ängste: In
Mosul haben viele Menschen mehr Angst vor den Befreiern als vor ISIS, weil sie ganz schlechte Erfahrungen mit
schiitischen Milizen gemacht haben . Das ist der Fokus,
den wir jetzt tatsächlich wählen müssen - das sind die
zentralen Fragen, nicht das Thema Protokollnotiz -, nicht
den Fokus, den das Mandat vorsieht . Es geht zentral um
politische Fragen, etwa darum, wie wir die irakische Regierung dazu befähigen können, die Herzen und Köpfe
der sunnitischen Minderheit im Land zurückzugewinnen .
Das ist zentral, aber damit beschäftigen Sie sich leider
nicht . Diesem Ablenkungsmandat werden wir nicht zustimmen können .
({10})
Der Kollege Rainer Arnold spricht als Nächster für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, wir sind uns einig: Es wäre immer schöner und
besser, wenn wir Konflikte zivil und diplomatisch überwinden könnten . Aber der brutalen Gewalt des IS muss
man sich militärisch entgegenstellen . Sonst werden die
Brutalsten am Ende obsiegen . Die Linken sind ja nicht
naiv . Sie wissen ganz genau, dass dies so ist . Sie täuschen
ihre eigene Klientel und die Wähler, indem sie so tun, als
ob es klügere und bessere Alternativen gäbe .
({0})
Wir halten an diesem Mandant, gemeinsam mit über
60 Nationen den Terror zu bekämpfen, fest .
Als Verteidigungspolitiker schauen wir natürlich besonders auf die Rahmenbedingungen, unter denen das
stattfindet. Da ist ganz eindeutig: Besuche von deutschen
Parlamentariern sind notwendig . Wir wollen nicht nur
hören, was uns die Ministerin erzählt, sondern wir wollen uns auch selbst ungefiltert ein eigenes Bild machen
können . Deshalb ist es wichtig, dass insbesondere Delegationen der Fachausschüsse dorthin reisen können .
Wir schauen als Zweites besonders auf die Arbeitsbedingungen der Soldaten . Wenn ein seit dem 1 . September
zeichnungsreifes Abkommen von der türkischen Seite
immer noch nicht unterzeichnet ist, macht uns das Sorgen, und wir werden nicht zuschauen, dass Soldaten auf
Dauer 500 Meter von einer Piste entfernt in nicht schallgedämpften Containern leben müssen . Die Bauten sind
marode . Ich erspare dem Hohen Haus die Erzählung, wie
es dort wirklich ausschaut . Aber eines ist eindeutig: Diese Dinge muss man ändern .
Der parlamentarische Vorbehalt ist ein hohes Gut . Er
ist nicht nur ein demokratisches Prinzip, sondern es ist
auch ein besonderes Verfahren . Wir können nämlich nur
Ja oder Nein sagen und nicht wie bei Gesetzen etwas änOmid Nouripour
dern . Deshalb ist eine Protokollerklärung eine Möglichkeit, bestimmte Dinge noch zu verstärken .
Wir haben es uns in der SPD-Fraktion nicht einfach
gemacht . Ich bin stolz darauf, dass wir nicht einfach
durchwinken, sondern am Montag und Dienstag eine
sorgfältige und gründliche Debatte hatten und auch dafür
gesorgt haben, dass Regierung, SPD-Fraktion und Koalitionspartner über die Formulierungen diskutieren und
darum ringen . Das Ergebnis ist vernünftig . Die Bundesregierung sagt zu, dass Alternativen untersucht werden;
denn es ging nie darum, den Einsatz zu beenden .
({1})
Es kann immer nur um die Frage gehen: Wo ist es
vernünftig, dass die Flugzeuge starten und landen? Der
Kampf gegen den Terror wird so oder so fortgeführt werden müssen .
({2})
Was ich von der Opposition erlebt habe, die hier Halbwahrheiten vorgelesen hat, finde ich nicht in Ordnung.
Die Erklärung geht nämlich weiter, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Dort heißt es:
Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass der
Bundestag erwartet, dass diese Möglichkeit - wie
auch bei anderen Einsätzen - gewährleistet bleibt .
Das ist schon eine deutliche Erklärung .
({3})
- Jetzt regen Sie sich mal nicht auf .
({4})
Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Fraktion ist in der
Koalition . Unserem Koalitionspartner war das Besuchsrecht in der Vergangenheit nicht ganz so wichtig, wie es
uns Sozialdemokraten war . Ich sage, ich bin eigentlich
froh, in einem Parlament zu sitzen, wo statt Streit und
Spaltung am Ende vertretbare Kompromisse stehen . Ich
sage Ihnen, wir können mit dieser Formulierung gut leben .
({5})
Herr Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Gerne .
Herr Kollege Arnold, auch ich bin froh, in einem Parlament zu sitzen und über Bundeswehreinsätze nicht allein die Regierung entscheiden zu lassen . Aber ich habe
insgesamt, glaube ich, fünf Anfragen an die Bundesregierung gerichtet und gefragt, was denn mit Unterstützung der Bundeswehr-Tornados in den letzten Jahren für
Angriffe von der Militärkoalition, der auch die Bundeswehr bzw. Deutschland angehört, geflogen worden sind.
Wie viele Angriffe waren es? Gegen welche Ziele haben
sie sich gerichtet? Haben sie getroffen? Wie viele Menschen sind dabei getötet worden? Wie viele Zivilisten
sind dabei getötet worden? Was hat man getan, um Opfer
unter den Zivilisten zu verhindern? Die Bundesregierung hat mir auf alle Anfragen - die letzte ist, glaube ich,
acht Tage alt - immer wieder geantwortet: Wir wissen
das nicht . Wir wissen nicht, welche Ziele getroffen werden . Wir wissen nicht, was mit unseren Informationen,
die von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden,
gemacht wird .
Ich frage Sie, Herr Kollege Arnold: Was ist das für
eine Bundesregierung, die die Bundeswehr in einen Angriff schickt, bei dem sie nicht weiß, was mit den Unterstützungsleistungen der Bundeswehr tatsächlich passiert
und angerichtet wird? Und was soll das für ein Parlament
sein, das von der Bundesregierung keine Informationen
darüber bekommt oder vielleicht auch nicht bekommen
kann, was mithilfe der Bundeswehr im Iran, in Syrien
und auch im Irak verursacht wird? Können Sie verantwortlich eine Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr treffen, ohne diese Informationen zu haben? Oder
halten Sie es für richtig, dass sich die Bundesregierung
die Informationen bei ihren Alliierten beschafft und diese
Informationen dann dem Parlament zur Verfügung stellt?
({0})
Herr Kollege Ströbele, ich fühle mich geehrt, dass Sie
erwarten, dass der bescheidene Abgeordnete Arnold anstelle der Bundesregierung die Antworten geben kann .
({0})
Aber ich kann als Fachpolitiker vielleicht trotzdem ein
bisschen weiterhelfen .
Wir haben das Operationszentrum besucht, von dem
aus die Lufteinsätze geführt werden . Wir haben uns, übrigens auch die Kollegen der Opposition, die Abläufe
genau angeschaut . Wir haben überprüft: Wie sorgen die
deutschen Soldaten dafür, dass Informationen nur mandatsgerecht erfasst und mandatsgerecht weitergegeben
werden, dass eben nicht über kurdischem Gebiet geflogen und aufgezeichnet wird? All das haben wir uns angeschaut . Die sogenannten Red Card Holders haben uns
relativ präzise erklärt, wie dies funktioniert . Das ist die
eine Seite .
({1})
Die zweite Seite ist: Wir liefern hochauflösende Bilder
von den Tornadofliegern in die Einsatzzentrale, in der die
Einsatzentscheidungen aufgrund vieler Informationen
getroffen werden . Die Bilder, die die Tornados liefern,
sind nur ein kleines Mosaiksteinchen, das erst zusammen
mit vielen unterschiedlichen Mosaiksteinchen ein Gesamtbild ergibt . Auf deren Grundlage werden dann Einsatzentscheidungen getroffen, und die Einsatzentscheidungen trifft die Allianz .
({2})
- Langsam, Herr Ströbele . - Und weil es sich um eine
Fülle von Informationen handelt, kann doch niemand direkt ableiten,
({3})
wo die deutschen Bilder bei den Einsätzen hinführen .
Diese Ableitung ist schlichtweg nicht machbar .
({4})
Das sind die Abläufe, und ich rate den Kollegen von der
Opposition, einmal dorthin zu fliegen und sich die Situation vor Ort selbst anzuschauen, bevor Unfug und Halbwahrheiten in die Welt gesetzt werden .
({5})
Die deutschen Soldaten im Einsatz arbeiten außerordentlich sorgfältig, rechtlich sauber, militärisch operativ,
sehr nachdenklich und im Rahmen dessen, was der Deutsche Bundestag genehmigt hat . Das machen sie sehr gut .
Für dieses Engagement sage ich Danke schön .
({6})
Herr Kollege Arnold . Drei weitere Kollegen haben
den Wunsch, Fragen zu stellen .
Ich beantworte gerne alle Fragen, aber wir müssen
auch ein bisschen an die Zeit denken .
Das wollte ich gerade sagen .
Vielleicht können Sie als Präsident das ein bisschen
steuern .
Das ist ein sehr guter Hinweis an den Präsidenten,
den ich gerne aufnehme . Deshalb schlage ich erstens
vor, dass wir bei den Fragen oder Bemerkungen das Zeitkontingent beachten - die zur Verfügung stehende Zeit
beträgt nicht drei Minuten wie bei der Kurzintervention,
sondern sie ist deutlich kürzer -, und zum Zweiten meine
ich, dass wir zwei Fragen zulassen sollten, und zwar die
von Kollegin Brugger von den Grünen und anschließend
die von Dr . Neu von der Fraktion Die Linke . - Frau Kollegin Brugger, Sie haben das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Vielen Dank, lieber
Kollege Arnold . Weil Sie explizit die Oppositionsabgeordneten, die auf der Reise dabei waren, mit ins Boot
geholt haben, möchte ich betonen, dass uns auf der Reise sehr klar geworden ist, dass die Bundeswehr zwar
prüft, ob die Aufträge, die sie annimmt, mandatskonform
sind - das bestreiten wir nicht; das war ja auch nicht die
Kritik, die der Kollege Ströbele vorgetragen hat -, dass
aber niemand nachvollziehen kann, was genau mit den
Daten passiert, nachdem sie der internationalen Koalition
gegen den Daesh zur Verfügung gestellt worden sind . Sie
haben sehr geschickt den Punkt umschifft, den der Kollege Ströbele angesprochen hat . Nicht nur die Bundesregierung hat auf die wiederholten Fragen des Kollegen
Ströbele entsprechend geantwortet, sondern uns wurde
auch vor Ort mitgeteilt, dass natürlich niemand nachvollziehen kann, was genau mit den Daten passiert . Es wäre
ja naiv, zu glauben, dass beispielsweise der Frontverlauf
zwischen den Kurden und Daesh nicht überflogen wird
und keine diesbezüglichen Informationen eingespeist
werden . Die Türkei hat auf diese Informationen Zugriff,
und wir wissen nicht, was damit passiert . Das möchte ich
an dieser Stelle einfach zur Klarstellung sagen, weil Sie
uns mit ins Boot geholt haben .
({0})
Wir haben uns davon vor Ort ein klares Bild gemacht,
haben aber auch sehr viele entsprechende Antworten der
Bundesregierung schwarz auf weiß .
Eine letzte Bemerkung: Sie haben, glaube ich, mit Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, warum das Besuchsrecht
der Abgeordneten in diesem Zusammenhang wirklich
ganz zentral ist .
({1})
Ich habe versucht, zu erklären, dass die Bilder, die die
Tornados liefern, einen kleinen Beitrag zum Gesamtlagebild liefern . Die Bundeswehr entscheidet nicht, was
mit diesem Gesamtlagebild gemacht wird und welche
Einsätze geflogen werden. Dieses Gesamtlagebild speist
sich aus vielen Elementen . Die Einsatzführungszentrale
bestimmt dann, wo Kampfflugzeuge eingesetzt werden.
Deshalb kann man keinen direkten, kausalen ZusammenRainer Arnold
hang herstellen . Sie als Fachpolitikerin wissen, dass die
Bilder, die von deutschen Tornados am Tag Y gemacht
werden, nicht am Tag X zu einem Einsatz geführt haben .
Dies ist schlechterdings nicht möglich . Sie sollten die
Bundesregierung vielleicht ein bisschen anders fragen,
würde ich Ihnen raten .
Jetzt kommt der Kollege Dr . Neu zu seiner Frage oder
Bemerkung .
({0})
Kollege Arnold, meine Frage zu Ihren Ausführungen:
Sie können also nicht ausschließen, dass die Bilder, die
von Recce-Tornados gemacht werden, von der Türkei
missbräuchlich genutzt werden, um kurdische Stellungen in Syrien zu bombardieren . Habe ich Sie da recht
verstanden?
({0})
Sie haben mich überhaupt nicht verstanden, Herr Kollege .
({0})
Das liegt aber nicht an mangelnden intellektuellen Fähigkeiten, sondern daran, dass Sie mich nicht verstehen
wollen . Das ist der entscheidende Punkt . Das kennen wir
ja schon .
({1})
Herr Kollege, die Deutschen prüfen dreimal: Einmal,
wenn der Auftrag erteilt wird, dann, wenn die Tornados
zurück sind und in Incirlik die Bilder von hochspezialisierten Auswertern ausgewertet werden - davon gibt es
in der NATO nicht so viele; die Deutschen haben da eine
besondere Fähigkeit -, und zum dritten Mal, wenn die
Bilder in das Operationszentrum nach Katar gehen . Dann
wird noch einmal rechtlich und politisch geprüft, dass
keine Bilder dabei sind, die die Türken im Kampf gegen
die Terroristen oder die Kurden missbräuchlich benutzen
könnten .
({2})
Wir haben also drei Stufen . Das ist für mich eine sorgfältige und angemessene Vorgehensweise .
({3})
Unsere Antwort kann doch nicht sein, dass wir uns,
weil Erdogan gegenüber den Kurden eine Politik betreibt, bei der aus unserer Sicht die Verhältnismäßigkeit
der Mittel in keiner Art und Weise mehr gewahrt ist, aus
einer Allianz der Solidarität und der Verlässlichkeit herausnehmen und das Geschäft andere machen lassen .
Dann hätten wir übrigens überhaupt keinen Einblick
mehr in die Dinge, die dort passieren .
({4})
Das wäre eine unpolitische, unverantwortliche und am
Ende, wie ich finde, auch unethische Antwort.
({5})
Deshalb muss man mit schwierigen Situationen - das
ist ein Luftkrieg, und dabei gibt es nicht immer nur schöne und einfache Situationen - verantwortlich umgehen .
({6})
Es ist Ausdruck verantwortlicher Politik, in einer schwierigen Gemengelage verantwortungsvoll zu entscheiden
und seine Beiträge abzuliefern . Das tun wir Deutsche,
das tut das deutsche Parlament .
({7})
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu AWACS sagen . Es ist leider so, dass die türkischen Partner nicht verstehen, was NATO bedeutet . In der NATO ist man nicht
Mitglied . Die NATO ist eine Allianz von Partnern . Das
heißt, dass sich alle Partner an die Spielregeln, Automatismen und Vorgehensweisen dieser Allianz halten und
sich einordnen . Dies vermissen wir - ich sage das ausdrücklich - bei den Türken im Augenblick .
Ich wünsche mir ausdrücklich, dass die NATO nicht
nur diplomatisch - das tut sie -, sondern auch öffentlich - der Zeitpunkt ist jetzt da - deutlich macht, wie die
Vorstellungen in solch einer Wertegemeinschaft sind . Ich
glaube, die NATO ist sich das selbst schuldig, damit in
der Öffentlichkeit kein falsches Bild über die für uns so
wichtige Allianz entsteht . Unter diesem Vorbehalt halten wir aber den Einsatz der AWACS-Flieger für richtig;
denn sie können den Luftraum dort besser kontrollieren
und damit auch für mehr Sicherheit in dem Luftraum
sorgen, in dem die Allianz fliegt, in dem die Russen fliegen und in dem die Türken ohne Anmeldung fliegen.
AWACS-Flieger sind ein gutes Instrument, um dort mehr
Sicherheit im Luftraum herzustellen . Deshalb halten wir
diese Mandatserweiterung tatsächlich für notwendig und
verantwortbar .
Um es noch einmal klar zu sagen: Die Bundesregierung wird meiner Einschätzung nach am Ende der Prüfphase feststellen, dass es auch andere Optionen gibt . Sie
wird gut daran tun, das zu tun, was Militärs immer tun,
nämlich bei Einsätzen immer Optionen für alle Fälle in
der Schublade zu haben . Das ist vernünftig . Das ist vorausschauend .
Ich sage hier noch einmal: Wir werden so oder so an
diesem Einsatz im Kampf gegen den fundamentalistischen IS-Terror festhalten . Die Frage, von wo aus man
dies verantwortungsvoll tun kann, wo man startet und
landet, wird man angesichts der Entwicklungen immer
wieder neu bewerten müssen . Das ist ein völlig normaler
Vorgang . Im Augenblick halten wir es für richtig, es so
zu tun wie im vergangenen Jahr . Deshalb bitten wir um
Zustimmung zu diesem Mandat .
Vielen Dank .
({8})
Es gab noch einige Wünsche nach Zwischenfragen .
Ich hatte ja angekündigt, dass wir jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen . - Es gibt abschließend eine Kurzintervention der Kollegin Keul .
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese Kurzintervention zulassen . - Ich möchte noch einmal an die Frage
anknüpfen . Wir haben ja, wie gesagt, seit Monaten auf
die Frage, was am Boden passiert, nur gehört: Die Bundesregierung weiß es nicht . Jetzt hat das US-Zentralkommando unsere Frage beantwortet . Der Sprecher Thomas
sagte:
Zwischen November 2015 und September 2016
wurden demnach bei 24 Luftangriffen der Anti-IS-Koalition 64 Zivilisten getötet .
8 weitere seien verletzt worden; damit sei die Zahl der
zivilen Todesopfer durch Luftangriffe im Kampf gegen
die Terrormiliz auf 119 gestiegen, so teilte der Sprecher
weiter mit .
Wir freuen uns ja, dass wir die Antwort überhaupt
bekommen haben . Meine Frage ist jetzt: Werden Sie in
Zukunft sicherstellen, dass die Bundesregierung diese
Zahlen nicht aus der Presse bekommt, sondern direkt von
unseren Bündnispartnern über diese Zahlen informiert
wird und sie dann auch an uns weitergibt?
Der Kollege Arnold hat jetzt, wenn er es möchte, die
Gelegenheit, darauf zu erwidern .
Frau Kollegin Keul, ich bekomme wie Sie Abgeordnetendiäten und bin nicht der Sprecher der Bundesregierung . Deshalb bin ich die falsche Adresse .
Ich glaube, es ist immer noch nicht klar geworden, um
was es tatsächlich geht . Ich habe gehofft, dass ich mich
so ausdrücke, dass es richtig verstanden wird . Natürlich
weiß eine Einsatzführungszentrale sehr genau, was sie
beschließt, was sie tut und wie die Ergebnisse sind . Die
Frage, die Sie gestellt haben, war: Welche Auswirkungen
haben die Bilder, die die Deutschen zur Unterstützung
geliefert haben, auf die Entscheidungen und die Ergebnisse? Dies kann kein Mensch beantworten, auch die
Einsatzführungszentrale nicht . So einfach ist das .
Ein Headquarter weiß natürlich, was passiert ist . Wenn
ein Angriff stattgefunden hatte, gehen sofort Aufklärer
dorthin und werten aus . Da sind Menschen am Boden .
Es gibt auch Nichtregierungsorganisationen, die Meldungen machen . Das alles ist nicht neu . Man kann aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Aufklärung
durch deutsche Tornados und der operativen Führung des
Einsatzes im Detail herstellen . Darum geht es . Alles andere ist eine andere Frage . Solche Fragen kann und soll
man - da sind wir uns übrigens einig - auch beantworten .
Vielen Dank .
({0})
Danke schön . - Jetzt hat das Wort der Kollege Thorsten
Frei für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute über den Antrag der Bundesregierung über
die Verlängerung des Anti-IS-Mandates . Ich will an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen: Für uns als CDU/
CSU ist dieser Antrag mit oder ohne Protokollerklärung
zustimmungsfähig . Wir stehen zu diesem Einsatz - in
einer Phalanx mit 64 anderen Ländern und drei internationalen Organisationen -, weil wir glauben, dass es politisch notwendig und humanitär geradezu verpflichtend
ist, sich dort zu engagieren .
({0})
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
finde ich es nicht okay, wenn so getan wird, als sei die
Basis, von der aus wir operieren, völlig disponibel . Natürlich kann man über Alternativen nachdenken . Allerdings sind wir gerade dabei, den IS insbesondere im Irak
massiv zurückzudrängen, und die Dinge laufen immer
mehr auf Mosul zu . In einer solchen Situation darüber
zu sprechen, die Basis für unsere Soldaten und unsere
Aufklärungstornados zu verlegen, ist geradezu unverantwortlich .
Der nächste Punkt . Ich will hier feststellen, dass auch
für unsere Fraktion das Besuchsrecht bei den Soldaten
absolut konstitutiv und wichtig ist; daran besteht überhaupt kein Zweifel . Das weiß aber auch die Bundesregierung . Deswegen hätten wir auf eine solche Klarstellung
verzichten können .
Wer, wie heute Mittag Frau Dağdelen, sagt, dass dieses Mandat eine Unterwerfungshandlung der Bundesregierung gegenüber der Türkei und Erdogan sei, der
verkennt Ursache und Wirkung und muss zur Kenntnis
nehmen, dass wir uns in diesem Fall nicht für die Türkei
und nicht für Erdogan engagieren, sondern in unserem
eigenen Sicherheitsinteresse und in Solidarität mit der
internationalen Staatengemeinschaft; das ist der Punkt .
({1})
Ein Ultimatum zu stellen, das sich am Ende nicht gegen
Erdogan, sondern - umgekehrt - gegen uns richtet, wäre
geradezu töricht . Deswegen, glaube ich, sind wir hier auf
dem richtigen Weg .
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine
humanitäre Verpflichtung, dass wir uns hier engagieren.
Allein in den letzten drei Wochen gab es 42 000 Flüchtlinge aus Mosul . Von einigen haben wir inzwischen Augenzeugenberichte erhalten . Sie haben die barbarischen
Gräueltaten und die Verbrechen gegen Menschlichkeit,
Andersgläubige, Andersdenkende, Frauen und Kinder
deutlich zum Ausdruck gebracht .
In einer solchen Situation gibt es zum einen eine humanitäre Verpflichtung. Zum anderen besteht aber auch
eine politische Notwendigkeit zum Handeln, die sich daraus ergibt, dass wir den IS bekämpfen müssen, um zu
verhindern, dass auch in Zukunft eine Terrororganisation
über territoriale Machtmöglichkeiten verfügt . Deswegen
muss der IS auch militärisch bekämpft werden . Es darf
nicht sein, dass es dort Rückzugsgebiete für Terroristen, Ausbildungsmöglichkeiten für Terroristen und Ausgangspunkte für die Ideenwelten von Terroristen gibt .
Das muss verhindert werden . Deswegen brauchen wir
auch einen militärischen Einsatz .
({3})
Ein weiterer Punkt . Es ist natürlich vollkommen klar,
dass, wenn der IS militärisch besiegt ist, die Ideologie
bzw . die Gedankenwelt dieser islamistischen Terroristen
nicht verschwunden sein wird . Deswegen werden wir bei
diesem Einsatz einen langen Atem brauchen . Wir wissen,
dass der IS, indem er Steuern eingezogen und Öl gefördert
und verkauft hat, allein zwischen dem Sommer 2014 und
dem Sommer 2015 jeden Monat mindestens 250 Millionen Euro eingenommen hat . Das macht ihn zur reichsten
Terrororganisation der Menschheitsgeschichte . Dies ist
natürlich eine Ausgangsbasis, um diese Ideologie, diese
Verblendung und diesen mörderischen Terrorismus auch
ohne territoriale Möglichkeiten weiter zu praktizieren .
Das ist exakt der Grund, lieber Herr Nouripour, warum
wir heute nur über einen Teil dieses Einsatzes sprechen,
nämlich über den militärischen; seine Notwendigkeit
habe ich erläutert . 133 Millionen Euro wird er kosten .
Auf humanitärem Gebiet, bei der zivilen Krisenprävention, bei der Konfliktnachsorge und zur Stabilisierung vor
Ort tun wir ein Vielfaches, auch in finanzieller Hinsicht.
Ich will an dieser Stelle das Lob an die Bundesregierung, das heute schon ausgesprochen worden ist,
wiederholen . Es ist tatsächlich so, dass wir an der Spitze der Entwicklung stehen . Wir haben uns schon im
Frühjahr 2015 innerhalb der internationalen Allianz für
Konfliktnachsorge, insbesondere im Irak, engagiert. Wir
haben die Federführung innerhalb der internationalen
Allianz übernommen. Wir betreiben Konfliktnachsorge,
und zwar ganz unmittelbar bei den Menschen: mit Wasser, mit Nahrungsmitteln, mit Elektrizität, mit Gesundheitsleistungen, mit Bildung und allem, was Menschen
benötigen, um auch in einer solchen Situation Zukunftszuversicht haben zu können . Allein das Deutsche Rote
Kreuz hat für die Flüchtlinge aus Mosul Kapazitäten für
50 000 Personen geschaffen . All das sind Dinge, die wir
tun, die wichtig sind und die in dieses Gesamtbild gehören .
Wir engagieren uns dort, um Strukturen zu stabilisieren, Vertrauen zu gewinnen, zurückzugewinnen und
Ownership zu ermöglichen . Bei all diesen Dingen sind
wir letztlich auch erfolgreich . In der Hochphase gab es
im Irak 3,2 Millionen Binnenflüchtlinge, von denen etwa
1 Million schon wieder in ihre Herkunftsorte zurückgefunden haben . Allein nach Tikrit sind 90 Prozent der
Flüchtlinge wieder zurückgekehrt, nachdem die Stadt
von ISIS befreit war . Das sind Fakten, die man einfach
zur Kenntnis nehmen muss und die man nicht ignorieren
darf, nur weil es einem politisch in den Kram passt .
({4})
Das ist das Gesamtbild, für das wir uns einsetzen .
Deshalb ist dieser Einsatz richtig und notwendig, und
deswegen stimmen wir ihm zu .
Herzlichen Dank .
({5})
Die Kollegin Dağdelen hat gebeten, in einer Kurzintervention Stellung nehmen zu dürfen, weil sie namentlich angesprochen worden ist . Diese Kurzintervention
lasse ich zu . - Sie haben das Wort .
Verehrter Herr Kollege Frei, Sie haben mich ja namentlich genannt und angesprochen . Ich bezeichnete die
Protokollerklärung der Bundesregierung zum Mandat,
die die unverbindliche Aussage enthält, dass sich die
Bundesregierung bemühen würde, dass Bundestagsabgeordnete auch ihr Besuchsrecht in Incirlik wahrnehmen können - das halte ich für eine Selbstverständlichkeit -, als einen Kniefall vor dem türkischen Präsidenten
Erdogan, weil Sie unsere Parlamentsarmee diesem Despoten damit auf einem Silbertablett servieren .
Eine Parlamentsarmee ohne parlamentarische Kontrolle kann und darf es nicht geben . Es gibt kein Besuchsrecht für uns Bundestagsabgeordnete, die wir heute
hier - alle und nicht nur wir, die Mitglieder des federführenden Ausschusses - namentlich über diesen Bundeswehreinsatz abstimmen müssen. Das finde ich einfach fatal, und ich finde es angesichts der aktuellen Situation in
der Türkei auch ein falsches Signal, dass man an diesem
Bundeswehreinsatz in der Türkei mit der Stationierung
in Incirlik festhält und dem Despoten damit den Rücken
stärkt .
Ich komme nun zu Ihrem eigentlichen Argument,
Sie würden das nur wegen der internationalen Koalition gegen den Terrorismus des „Islamischen Staates“
machen . - Ich muss Sie wirklich fragen, warum Sie das
falsche Spiel Ihres türkischen Partners Erdogan nicht beenden, der bis heute die Grenze zum „Islamischen Staat“
offenhält, der laut französischem Geheimdienst jede
Woche über 100 Kämpfer über die türkische Grenze als
Nachschub zum „Islamischen Staat“ gehen lässt und der
bis heute die Nachschubwege für die Waffen offenhält .
Bis heute findet durch den „Islamischen Staat“ noch Ölschmuggel über die türkische Grenze statt .
Ihr Partner Erdogan ist kein Partner im Kampf gegen
die Terrororganisation IS . Er ist selbst ein Terrorpate; das
hat auch die Bundesregierung gesagt . Die Bundesregierung hat gesagt, die Türkei sei zu einer zentralen Aktionsplattform für islamistischen Terrorismus im ganzen
Nahen und Mittleren Osten geworden .
Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr .
Deshalb sollten Sie, wenn Sie aufrichtig gegen den IS
kämpfen wollen, aufhören, den Despoten Erdogan zu unterstützen, und Sie sollten uns auch keinen Sand in die
Augen streuen, wonach Erdogan mit Ihnen gemeinsam
gegen den IS kämpfen würde . Das Gegenteil ist der Fall:
Er unterstützt die islamistischen Terror- und Mörderbanden in Syrien . Deshalb sagen wir Nein zu diesem Bundeswehreinsatz .
({0})
Herr Kollege Frei, wenn Sie wünschen, dann können
Sie darauf antworten .
Liebe Frau Kollegin Dağdelen, zunächst einmal ist es
unbestritten, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee
ist und dass dazu auch Besuchsrechte von Bundestagsabgeordneten gehören . Ich bin davon überzeugt, dass
die Bundesregierung dies nicht nur weiß, sondern auch
dafür sorgen wird, dass diesem Recht zum Durchbruch
verholfen wird . Aber eine Frage, die sich daraus auch ergibt, ist, wie man so etwas organisiert . Ich glaube nicht,
dass es für unsere deutschen Soldaten sinnvoll ist, wenn
630 Bundestagsabgeordnete, die alle über diesen Einsatz
entscheiden, einzeln nach Incirlik pilgern . Sicherlich
wird man dafür pragmatischere Lösungen finden.
({0})
Zum Zweiten: Selbst wenn ein Teil dessen, was Sie
zur Analyse der Situation und zur Rolle der Türkei im
Nordirak und in Syrien gesagt haben, stimmen würde,
rechtfertigte es nicht die Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen . Sie zeigt eigentlich, dass Sie eher türkische
Innenpolitik betreiben, als dass Sie im Interesse der Menschen vor Ort, aber auch im Interesse unserer Sicherheit
die richtigen Schlussfolgerungen ziehen . Dass es dort
Probleme und Schwierigkeiten gibt, ist doch unbestritten . Aber dieser Einsatz hilft, die Probleme zu lösen, und
trägt nicht dazu bei, sie zu verschärfen, wie Sie glauben
machen wollen . Deshalb ist der Einsatz richtig .
({1})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute Nachmittag haben wir in der Vereinbarten Debatte bereits ausführlich über die aktuelle Lage in
der Türkei gesprochen . Kommende Woche reise ich zur
NATO-Parlamentstagung nach Istanbul . Dort werde ich,
dort werden wir die Missstände offen ansprechen, und
wir werden die Türkei an die Werte erinnern, auf denen
die NATO aufbaut .
({0})
Als Mitglied der CSU, die sich schon immer klar gegen einen Beitritt der Türkei zur EU ausgesprochen hat,
bin ich sicherlich nicht verdächtig, der Türkei unkritisch
gegenüberzustehen . Aber ich stelle fest: Der NATO-Luftwaffenstützpunkt in Incirlik ist heute der strategisch
wichtigste Ausgangspunkt im Kampf gegen den IS . Die
Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss haben Anfang
Oktober unsere 250 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Incirlik besucht, und solche Besuche müssen auch
zukünftig möglich sein .
Natürlich wollen wir vorbereitet sein . Die Bundesregierung wird deshalb andere Luftwaffenstützpunkte
zum Beispiel in Jordanien oder in Zypern als mögliche
Alternativen prüfen . Aber ich erinnere noch einmal daran: Unsere Soldatinnen und Soldaten sind nicht wegen
der Türkei in Incirlik, sondern um den IS zu bekämpfen .
({1})
Unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Franz
Josef Jung hat es heute in der Debatte treffend formuliert:
Gerade jetzt, im entscheidenden Kampf um die IS-Hochburgen Mosul und Rakka, dürfen wir die internationale
Allianz nicht im Stich lassen . Unsere Männer und Frauen
in Uniform werden dringend gebraucht . Beispielsweise
stellen sie die Luft-Luft-Betankung, und sie tragen zu
einem umfassenden Lagebild bei . Die Tornado-Aufklärungsflugzeuge liefern gestochen scharfe Bodenaufnahmen des Gebiets, in dem der IS sein Unwesen treibt .
Zukünftig werden wir uns an AWACS-Aufklärungsflügen der NATO beteiligen und die besten Bilder für die
Luftraumüberwachung bereitstellen .
Doch Deutschland engagiert sich in Syrien nicht nur
sicherheitspolitisch; vielmehr verfolgen wir einen umfassenden, vernetzten Ansatz . Deutschland ist einer der
größten Geldgeber in der Region . Wir leisten humanitäre
Hilfe . Wir unterstützen die vom IS befreiten Städte beim
Wiederaufbau, und wir helfen den Nachbarstaaten Syriens, die großen Flüchtlingsströme zu bewältigen . Die
Menschen dort brauchen Nahrung, Wasser, Krankenhäuser und Schulen; sie brauchen Arbeit und eine Perspektive . Dafür nehmen wir Geld in die Hand . Deshalb ist es
wichtig, dass wir den Etat unseres Entwicklungsministers, lieber Gerd Müller, für das kommende Jahr erhöhen
wollen .
Auch gehen wir den mühsamen und langwierigen
Weg der Diplomatie . Deutschland unterstützt die internationalen Bemühungen unter Leitung der Vereinten Nationen intensiv . Wir wollen Sicherheit für die notleidende
Bevölkerung in Syrien und insbesondere auch in Aleppo
erreichen .
Es ist ein sehr langer und steiniger Weg, bis Syrien
vom Terror des IS befreit sein wird . Für ihren großartigen
Einsatz zur Erreichung dieses Ziels möchte ich unseren
Soldatinnen und Soldaten meinen herzlichen Dank und
den Dank meiner CDU/CSU-Fraktion aussprechen .
({2})
Wir wollen ihnen heute ein starkes Signal des Rückhalts aus dem Deutschen Bundestag senden . Daher bitte
ich Sie um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung .
Vielen Dank .
({3})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und
Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer
Handlungen durch die Terrororganisation IS .
Dazu liegt mir eine Reihe von schriftlichen Erklärun-
gen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10244, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/9960 anzunehmen . Wir
stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich ab .
Ich darf einmal fragen, ob alle Plätze an den Abstim-
mungsurnen mit Schriftführern besetzt sind . - Ich sehe,
dass das überall der Fall ist . Damit haben wir alle forma-
len Voraussetzungen erfüllt . Ich kann die Abstimmung
jetzt eröffnen .
Gibt es noch ein Mitglied des Hohen Hauses, das sei-
ne Stimme abgeben möchte, aber dazu bisher noch nicht
in der Lage war? Dann bitte ich, das schnell nachzuho-
len . - Ich sehe, dass jetzt alle ihre Stimme abgegeben
haben . Jedenfalls gibt es keinerlei andere Bekundungen .
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .2)
Ich bitte jetzt alle, Platz zu nehmen, weil wir noch
über die Entschließungsanträge abstimmen werden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10293 . Wer für diesen Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke stimmt, den bitte ich um ein Hand-
zeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt .
1) Anlagen 7 bis 9
2) Ergebnis Seite 19854 D
Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10294 . Wer für
diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke .
Damit verlassen wir jetzt den Tagesordnungspunkt 11 .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Maria Klein-Schmeink, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mit Sicherheit in die Selbständigkeit - Für
eine bessere Absicherung von Selbständigen
Drucksache 18/10035
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das somit beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Markus Kurth für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir behandeln heute ein Thema, das uns
als Parlamentarierinnen und Parlamentarier schon seit
einigen Jahren beschäftigt: die soziale Absicherung von
Selbstständigen . Ich möchte zunächst daran erinnern,
wie hochsensibel dieses Thema ist . In der letzten Legislaturperiode hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition
schon einmal einen Versuch unternommen, Selbstständige in die Rentenversicherung bzw . in die Vorsorge mit
einzubeziehen . Da war eine Menge los: Es war die Rede
von einer „Zwangsrente“ und einer „Zwangskollektivierung“, die die CDU/CSU versuchen würde . Es gab eine
öffentliche Petition mit 80 000 Unterschriften, und der
Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland
wurde gegründet; ich glaube, er hat mittlerweile über
2 000 Mitglieder .
Da war wirklich was los . Auch die Vorschläge hatten
es aus Sicht gerade der kleinen Solo-Selbstständigen in
sich . Jeder und jede Selbstständige unter 30 Jahren sollte
bis zu 400 Euro pro Monat in eine Vorsorge einzahlen .
Das ist gründlich schiefgegangen . Dieses Vorhaben ist
schließlich sang- und klanglos zurückgezogen worden .
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben uns das Ergebnis
dieser Auseinandersetzung angesehen und sind zu dem
Schluss gekommen, dass die Notwendigkeit einer sozialen Absicherung gerade von Solo-Selbstständigen und
allen anderweitig nicht abgesicherten Selbstständigen
besteht . Wir stellen nun einen komplett neuen Ansatz vor,
der nicht nur die einzelnen Sozialversicherungszweige
einbezieht, sondern eine Gesamtschau vornimmt . Wir
machen Selbstständigen mit unserem Antrag ein attraktives All-inclusive-Angebot .
({0})
Wir machen ein Angebot, das Selbstständige nicht strangulieren wird, sondern ihnen Flexibilität und Sicherheit
im Bereich der Gesundheitsversorgung sowie eine Basissicherung im Renten- und Pflegebereich gibt. Wir
haben im Blick, dass Selbstständige nicht nur in einem
Versicherungszweig versichert sein müssen, sondern in
mehreren und dass das alles vernünftig aufeinander abgestimmt sein muss .
({1})
Darüber hinaus haben wir uns genau angehört, was
Selbstständige zu den sozialrechtlichen Begutachtungsverfahren sagen, zu den Prüfungen, mit denen ermittelt
werden soll, ob man abhängig beschäftigt oder selbstständig ist . Das führt zu viel Rechtsunsicherheit gerade bei
Solo-Selbstständigen . Wir haben auch mit Menschen aus
Kreativberufen gesprochen . Wir unternehmen nun - auch
in Abstimmung mit gewerkschaftlichen Positionen - den
Versuch, das trennscharf, unbürokratisch und gut abzusichern . Wir machen heute nicht nur den Selbstständigen
ein Angebot, sondern sprechen allen hier im Haus vertretenen Fraktionen auch die Einladung aus, sich dieser
Gesamtschau zu öffnen und gemeinsame Lösungen im
Sinne dieses Schutzbedürfnisses zu finden.
({2})
Wir machen folgende Vorschläge: Gerade Selbstständige mit kleinen Einkommen sollen bei ihrer sozialen
Absicherung nicht überfordert werden . Darum wollen
wir die Mindestbeiträge für die gesetzliche Krankenund Pflegeversicherung sowie zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung absenken und - ab einem niedrigen,
angemessenen Mindestbeitrag - einkommensabhängig
gestalten . Wir wollen die nicht anderweitig abgesicherten
Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung
einbeziehen - auch hier soll es einkommensabhängige
Beiträge geben - und vor allen Dingen für mehr Flexibilität sorgen . Selbstständige sollen in guten Zeiten mehr
Beiträge zahlen, um schlechte Zeiten auszugleichen oder
für zu erwartende Auftragsflauten vorzusorgen. Wir wollen auch für mehr Flexibilität gerade in der Gründungsphase eines Unternehmens sorgen, wenn es noch nicht so
richtig läuft . Wir wollen die Start-ups nicht in der Gründungsphase strangulieren, sondern ihnen Raum zum
Atmen lassen und den Selbstständigen, wenn die Sache
läuft, ermöglichen, nachzuzahlen und den vollen Versicherungsschutz wiederherzustellen . Zu so viel Flexibilität und Anpassung sind unsere über 100 Jahre alten Sozialversicherungssysteme fähig . Das haben mir erst gestern
wieder Vertreter der gesetzlichen Rentenversicherung
gesagt . Sie haben gesagt: „Das schaffen wir auch noch“,
und waren ganz optimistisch, dass das klappen wird .
({3})
Natürlich wollen wir auch nach Möglichkeiten suchen,
Auftraggeberinnen und Auftraggeber an den Sozialversicherungsbeiträgen zu beteiligen . Das ist keine triviale
Aufgabe; das ist uns völlig klar . Aber wir wissen, dass
Auftraggeberinnen und Auftraggeber in manchen Fällen
Selbstständige beauftragen, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen . Modelle dieses Unterlaufens wollen wir
beseitigen . Deshalb müssen wir nach alternativen Möglichkeiten suchen .
Ein gutes Beispiel ist die Künstlersozialkasse, an deren
Finanzierung die Auftraggeber durch eine Verwerterabgabe beteiligt sind . Das funktioniert in dieser Sparte ganz
gut . Aber natürlich kann man das Prinzip der Künstlersozialkasse nicht umstandslos auf alle Selbstständigen ausdehnen . Ich gebe offen zu, dass wir da kein Patentrezept
haben . Wir suchen nach an den jeweiligen Auftraggebern
angepassten Lösungen . Aber gerade mit Blick auf Vermittlungsplattformen wie Crowdworker, die in Zukunft
immer wichtiger werden, ist es Aufgabe für vorausschauende Politik in diesem Hause, Beteiligungsmöglichkeiten von Auftraggebern zu finden und so die Einnahmebasis der Sozialversicherung zu stärken sowie vor allen
Dingen - das ist das Wichtigste - die soziale Sicherung
in der Selbstständigkeit zu ermöglichen; denn nur soziale
Sicherheit gibt Selbstständigen Freiraum, Entspannung
und Kraft für mehr Kreativität, und das wollen wir .
Vielen Dank .
({4})
Bevor jetzt gleich der Kollege Peter Weiß das Wort
erhält, darf ich bekannt geben das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag „Fortsetzung und Ergänzung des
Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch
die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51
der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit
Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische
Union und den Resolutionen 2170 ({0}), 2199 ({1}),
2249 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs
vom NATO-Gipfel am 8 ./9 . Juli 2016“: abgegebene
Stimmen 586 . Mit Ja haben gestimmt 445, mit Nein haben gestimmt 139, Enthaltungen 2 . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 445
nein: 139
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({3})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({4})
Axel E . Fischer
({5})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({7})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({8})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Matthias Lietz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({12})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({13})
Gabriele Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({15})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({16})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({17})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({18})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({21})
Klaus-Peter Willsch
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({22})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({23})
Hubertus Heil ({24})
Gabriela Heinrich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({25})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({26})
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({27})
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({28})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({29})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({30})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({31})
Matthias Schmidt ({32})
Dagmar Schmidt ({33})
Carsten Schneider ({34})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Hans-Georg von der Marwitz
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Wolfgang Gunkel
Dirk Heidenblut
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Junge
Thomas Jurk
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Andreas Rimkus
René Röspel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Swen Schulz ({35})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff ({36})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({37})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({38})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Dr . Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({39})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({40})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({41})
Christian Kühn ({42})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({43})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Dr . Andreas Lenz
SPD
Dr . Nina Scheer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({44}) aufgeführt .
Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU das
Wort .
({45})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bevor man möglicherweise falsch zielt, möchte ich einfach eine kurze Zusammenstellung von Daten, was das
Thema Selbstständige in Deutschland anbelangt, vortragen . Wenn man sich anschaut, wie viele Personen, die
im Rentenalter sind, zuletzt als Selbstständige berufstätig
waren, dann stellt man fest: Das sind etwa 10 Prozent .
Übrigens, die allermeisten von ihnen, nämlich drei Viertel, haben irgendwann einmal in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt . Es sind also durchaus Personen,
die einen Anspruch an die gesetzliche Rentenversicherung haben . Möglicherweise sind sie als Selbstständige
aus der gesetzlichen Rentenversicherung herausgegangen, das heißt, sie haben die restlichen Jahre irgendetwas
anderes gemacht .
Unter den Selbstständigen im Rentenalter sind sehr
viele mit einem sehr guten Alterseinkommen . Das heißt,
sie haben rechtzeitig vorgesorgt und haben zum Teil ein
besseres Alterseinkommen als manche gesetzlich Versicherten . Aber es fehlt sozusagen die Mittelschicht, und
wir haben eine relativ große Zahl von Selbstständigen,
vor allen Dingen von sogenannten Solo-Selbstständigen,
die kaum bis gar nicht für das Alter vorgesorgt haben .
Deshalb findet man im Altersvorsorgebericht der Bundesregierung, der demnächst verabschiedet werden soll,
folgende interessante Zahl: Während wir unter den Senioren in Deutschland 10 Prozent Selbstständige haben,
haben wir 17 Prozent ehemalige Selbstständige bei den
Beziehern von Grundsicherung im Alter . Die Armutsgefährdung bei ehemaligen Selbstständigen ist also doppelt
so hoch wie bei Personen, die ihr Leben lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben .
Daran sieht man: Die generelle Frage ist nicht, ob wir
etwas für die Altersversorgung für die Selbstständigen
machen, sondern: Es gibt einen dringenden sozialpolitischen Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass immer mehr Selbstständige im Alter nichts haben und auf
Grundsicherung angewiesen sind .
({0})
Weil der Kollege Kurth schon erwähnt hat, dass es gegen die Pläne, die wir schon in der letzten Legislaturperiode erarbeitet haben, sehr viel Widerstand gab, will ich
einfach hinzufügen: Wenn ein Sozialstaat wie die Bundesrepublik Deutschland allen ihren Bürgerinnen und
Bürgern unabhängig davon, was und wie sie gearbeitet
haben, zusagt: „Wenn es im Alter zum Leben nicht reicht,
gibt es eine konkrete staatliche Hilfe, nämlich die Grundsicherung“,
({1})
dann, finde ich, hat dieser Staat auch das Recht, ja, sogar
die Pflicht, von jedem von uns zu verlangen, dass er in
den Zeiten, in denen es ihm gut geht, in denen er gut verdient, irgendetwas für das Alter zurücklegt und anspart,
damit er später möglichst nicht auf Grundsicherung angewiesen ist .
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Problem
ist - Herr Kurth, das haben wir in der letzten Legislaturperiode sehr ausführlich diskutiert -, dass sich die
Einkommenssituation von Selbstständigen von der des
Festangestellten, der einen Arbeitsvertrag mit einem
konkreten monatlichen Gehalt, das auszubezahlen ist,
unterscheidet .
Das Erste ist: Wenn ich eine selbstständige Existenz
gründen will, muss ich in der Regel erst einmal ordentlich Geld ausgeben, möglicherweise noch einen Kredit
aufnehmen . In den ersten Jahren verdiene ich vielleicht
gar nichts. Deswegen muss es bei einer verpflichtenden
Altersvorsorge für Selbstständige freie Jahre für die
Existenzgründungsphase geben; sonst kann Existenzgründung nicht funktionieren .
({3})
Das Zweite ist - das haben Sie zu Recht dargestellt -:
Der Selbstständige weiß nicht unbedingt, ob er im nächsten Monat mit dem, was er unternimmt, einen sagenhaften Gewinn oder einen dicken Verlust macht, also ob
überhaupt ein Einkommen erwirtschaftet wird . Deswegen braucht man eine ganz andere Beitragsgestaltung,
eine Beitragsgestaltung, die sich an die unterschiedlichen
Phasen von Verdienstmöglichkeiten, die sehr schnell
wechseln können, anpasst . Das war übrigens der Inhalt
des Vorschlags, den wir in der letzten Legislaturperiode
erarbeitet haben .
Nicht der von Ihnen genannte Betrag war der Topbetrag, sondern das war der Betrag, der dazu ausreicht, eine
Altersversorgung aufzubauen, die auf jeden Fall oberhalb der Grundsicherung liegt . Für jeden, der nicht diesen Verdienst hat, sollte es selbstverständlich abgesenkte
Beiträge geben, die sich an seiner Einkommenssituation
ausrichten . Es muss also eine Beitragsgestaltung sein, die
auf die speziellen Bedingungen von Selbstständigen mit
unterschiedlichen Erwerbs- und Einkommensverläufen
Rücksicht nimmt .
({4})
Das Dritte ist - das ist das Entscheidende -: Unabhängig davon, welche Form von Altersvorsorge der Selbstständige gewählt hat, sollten wir, der Staat, die Altersvorsorge des Selbstständigen bei einer Insolvenz schützen .
Sprich: Wenn der Betrieb aus irgendeinem Grund in die
Insolvenz geht, dann sollte das, was für die Altersvorsorge auf die Seite gelegt worden ist, nicht angegriffen
werden, sondern tatsächlich auch in Zukunft für die Altersversorgung zur Verfügung stehen .
({5})
Ich - sicherlich auch viele Kolleginnen und Kollegen - kenne den traurigen Fall: Da war ein Handwerksmeister wirklich erfolgreich . Dann kommt die Situation,
dass zwei große Kunden die Rechnungen nicht bezahlen,
die Bank den Kredit kündigt und er Insolvenz anmelden
muss . Eigentlich hat er gedacht, dass sein schönes Unternehmen, das er sich aufgebaut hat, eines Tages auch seine
Altersversorgung ist . Aber mit einem Tag ist alles futsch,
und er steht mit nichts da .
({6})
Deswegen ist die Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige in unseren Augen zunächst einmal ein Angebot
an den Selbstständigen, ihn aus einer solchen wirklich
misslichen und katastrophalen Situation zu befreien und
ihm zu garantieren: Was du für das Alter ansparst, das
steht dir auch tatsächlich im Alter zur Verfügung . Das
Peter Weiß ({7})
wird nicht irgendeiner Insolvenzmasse, falls es zu einer
Insolvenz kommen sollte, zugeschlagen .
({8})
Herr Kollege Weiß, es gibt gleich zwei Wünsche nach
Zwischenfragen . Wollen Sie diese zulassen?
Ja, dann machen wir das .
Dann darf ich mit dem Kollegen Kurth beginnen .
Herr Präsident, danke, dass Sie das zulassen, und danke auch an Sie, Herr Weiß . Ich mache es auch ganz kurz .
Das mit dem Schutz der Alterssicherung im Falle einer Insolvenz finde ich ein richtiges und zutreffendes Argument, wie auch die Argumente, die Sie zuvor genannt
haben, sehr gut mit unserem Antrag übereinstimmen .
Aber stimmen Sie mir zu, dass der so wichtige Insolvenzschutz doch am besten im Rahmen der gesetzlichen
Rentenversicherung gewährleistet ist, in der die gezahlten Beiträge laut Bundesverfassungsgericht quasi eigentumsrechtlich geschützt sind und in der sie pfändungssicher sind? Ist das nicht genau das Argument, das das
unterstützt, was in dem vorliegenden Antrag steht?
({0})
Herr Kollege Kurth, ich will Ihnen gerne zugestehen,
dass Sie die Vorzüge der gesetzlichen Rentenversicherung richtig geschildert haben .
({0})
Aber zu Ihrer eigentlichen Frage . Sie haben zu Recht
erwähnt, dass in der letzten Legislaturperiode die von
der damaligen Koalition und den Fachpolitikern im Ausschuss für Arbeit und Soziales mit dem Ministerium erarbeiteten Vorschläge zu einer verpflichtenden Altersvorsorge für Selbstständige eine riesige Diskussion und auch
eine große Onlinepetition ausgelöst haben . Daran konnte
man erkennen, dass sich Selbstständige, die bislang nicht
verpflichtend in ein System einbezahlen mussten, eine
Wahlmöglichkeit wünschen .
Ich muss sagen: Für mich ist das Erste nicht, wo etwas
einbezahlt worden ist, sondern für mich ist das Allererste,
dass überhaupt etwas für die Altersvorsorge von Selbstständigen einbezahlt wird .
({1})
Die zweite Zwischenfrage hat sich erledigt, weil sie
sich auf den nämlichen Gegenstand bezog .
Ich füge eine persönliche Einschätzung hinzu . Wenn
wir eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige
einführen, werden sich die Selbstständigen sehr genau
angucken: Wo habe ich die besten Bedingungen? Wenn
sie dann einen fairen und gründlichen Vergleich anstellen, werden sie feststellen, dass die gesetzliche Rentenversicherung nicht die schlechteste Lösung für sie ist .
({0})
Aber lassen Sie sie das doch selber erkennen .
({1})
So viel als meine Anregung .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt einen
weiteren Punkt . Von den Selbstständigen, die in Deutschland arbeiten und zum Gesamteinkommen unserer
Volkswirtschaft maßgeblich beitragen, sind ein Drittel in
Berufen tätig, in denen sie qua Berufsrecht oder eigene
Regelung bereits heute verpflichtend in ein Altersvorsorgesystem einbezahlen müssen . Es ist also nicht so, dass
alle Selbstständigen sozusagen die große Freiheit haben,
etwas zu machen oder auch nichts zu machen . Ein Drittel
arbeiten in Berufen, in denen sie verpflichtet sind, in die
gesetzliche Rentenversicherung oder in ein berufsspezifisches Altersvorsorgesystem einzubezahlen . Zwei Drittel
der Selbstständigen arbeiten in Berufen, die eine solche
Pflicht nicht kennen.
Da kann man meines Erachtens mit Fug und Recht
die Frage stellen: Ist es okay, dass wir zwei Sorten von
Selbstständigen haben? Diese Unterscheidung ist nicht
die zwischen Selbstständigen, die gut verdienen, und
solchen, die schlecht verdienen, sondern das geht quer
durch die Berufspalette .
Das ist ein weiterer Grund, glaube ich, zu sagen: Wir
achten in einem hohen Maße das, was Selbstständige für
uns, für den gesamtwirtschaftlichen Erfolg Deutschlands
leisten . Aber dass es ein Drittel gibt, die sich selber schon
die Pflicht zur Altersvorsorge auferlegt haben, und dass
es zwei Drittel gibt, die sich eine solche Pflicht nicht auferlegt haben, ist ein wichtiges Indiz dafür, dass man diese
Unterscheidung aufheben sollte . Selbstständige sollten
Selbstständige sein, aber es sollte für alle das gleiche
Recht gelten, egal in welchem Beruf sie arbeiten .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue
mich, dass viele Verbände, in denen Selbstständige organisiert sind, an der Spitze der Zentralverband des Deutschen Handwerks, in dem unter anderem unsere Handwerkskammern organisiert sind, es mittlerweile so sehen:
Ja, es ist gerade für den sozialen Schutz unserer Mitglieder, unserer Unternehmerinnen und Unternehmer, unserer Selbstständigen, wichtig, dass wir diese Frage einer
ausreichenden Alterssicherung in Deutschland regeln . Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass es gerade mit
der Unterstützung aus dem Handwerk und aus vielen
selbstständigen Berufen gelingen kann, eine vernünftige,
Peter Weiß ({2})
der spezifischen Einkommens- und Arbeitssituation der
Selbstständigen gerecht werdende allgemeine Altersvorsorgepflicht in Deutschland einzuführen. Das wäre sozialpolitisch ein großer Fortschritt . Ich freue mich, wenn
wir auch unter Mitberatung des Antrags der Grünen zu
einer solchen Lösung finden.
Vielen Dank .
({3})
Die Kollegin Sabine Zimmermann spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung ist der Meinung, dass
Deutschland mehr Selbstständige braucht . Das Bundeswirtschaftsministerium verkündet im Rahmen einer Initiative - zu lesen auf der Internetseite; ich zitiere -:
Hier besteht noch viel Potential für mehr Aufbruchsstimmung, Wagemut und Lust auf unternehmerische Selbständigkeit .
Das ist doch wieder typisch für diese Bundesregierung .
Von anderer Seite fordert sie Bewegung, aber bei ihrer
eigenen Politik sehen wir nur Stillstand, und das sorgt
natürlich auch für Resignation, besonders bei unseren
Selbstständigen. Das, finde ich, muss hier einfach mal
gesagt werden .
({0})
Bei den großen Risiken des Lebens wie Krankheit und
Altersarmut lassen Sie die Selbstständigen im Stich; denn
diese können sich nur sehr schwer dagegen absichern .
Aber anstatt hier zu handeln, schicken Sie immer noch
mehr Menschen sehenden Auges in prekäre Verhältnisse .
Das ist unsozial, und das wissen Sie auch ganz genau .
Viele Selbstständige, insbesondere Solo-Selbstständige, berichten mir regelmäßig - ich gehe davon aus, dass
auch Sie diese Situation aus Ihren Wahlkreisbüros kennen -, dass sie Sorgen und Ängste haben, die Krankenversicherung nicht mehr bezahlen zu können oder aber
auch in Altersarmut abzurutschen .
({1})
Viele Selbstständige verdienen so wenig, dass sie Probleme haben, ihre Krankenversicherung selbst zu bezahlen .
Ein Grund dafür ist die zu hohe, nicht den tatsächlichen
Einkommen entsprechende Mindestbemessung .
({2})
Ich will es Ihnen erklären: Ein Mindestbeitrag von rund
400 Euro ist für viele Menschen kaum zu leisten, gerade bei Solo-Selbstständigen . Sie nicken, liebe Kollegin
Klein-Schmeink . Angesichts von Solo-Selbstständigen,
die im Durchschnitt mit 1 500 Euro brutto nach Hause
gehen, frage ich Sie von der Koalition: Wie sollen die
noch 400 Euro als Mindestbeitrag für ihre Versicherung
bezahlen? Das geht einfach gar nicht . Das ist unsozial,
meine Damen und Herren, und das wissen Sie auch ganz
genau .
({3})
Mehr als die Hälfte aller Solo-Selbstständigen ist nicht
für das Alter abgesichert, weder durch die gesetzliche
Rentenversicherung noch über eine Lebensversicherung .
Sie können es sich einfach nicht leisten . Da sagen wir:
Das ist unsozial, und das muss sich verändern .
({4})
Die Regelungen zur Arbeitslosenversicherung für
Selbstständige schließen viele Betroffene aus, da der Zugang zu restriktiv ist und die Beiträge oft nicht aufgebracht werden können . Viele Selbstständige fühlen sich
mit ihren Problemen völlig alleingelassen . Nicht wenige - wir haben es heute schon gehört - schuften am Rande der Selbstausbeutung zu niedrigem oder niedrigstem
Einkommen, muss man sagen . Über 100 000 Selbstständige stocken zusätzlich mit Hartz-IV-Leistungen auf . Das
kann es doch wohl nicht sein . Das ist doch nicht das, was
wir wollen . Wir haben ja mittlerweile für abhängig Beschäftigte, wenn auch viel zu spät und aus unserer Sicht
viel zu niedrig, einen Mindestlohn eingeführt . Ebenso
haben wir auch für Selbstständige eine Verantwortung
und müssen eine Haltelinie nach unten einziehen . Das
erwarten wir auch von dieser Bundesregierung .
({5})
Die Linke möchte einen realistischen und fairen Beitrag zur Krankenversicherung für alle Selbstständigen,
der vor allen Dingen auch bezahlbar ist . Wir fordern,
dass sich der Mindestbeitrag an der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro orientiert . Das wäre ein Beitrag
von rund 70 Euro im Monat für die Krankenversicherung und von rund 12 Euro im Monat für die Pflegeversicherung .
({6})
Oberhalb davon soll natürlich entsprechend dem Einkommen gezahlt werden wie bei Angestellten auch .
Außerdem brauchen wir eine Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung,
({7})
um sie vor allen Dingen vor Altersarmut zu schützen .
Altersarmut ist das große Thema, das wir dringend für
die Zukunft bearbeiten müssen . Die Linke fordert eine
Orientierung am tatsächlichen Einkommen . Die gesetzliche Rente muss wieder ein höheres Leistungsniveau
haben . Die gesetzliche Rentenversicherung muss für
einen sozialen Ausgleich sorgen und wieder für alle attraktiv sein .
({8})
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Es gibt viel
zu tun, gerade zur Verbesserung der Situation von Selbstständigen . Doch das, meine Damen und Herren der Bundesregierung, wird natürlich mit Ihrer unsozialen Politik
Peter Weiß ({9})
nicht gelingen . Dafür bedarf es eines Politikwechsels,
und der geht nur mit der Linken .
Danke schön .
({10})
Als Nächster spricht der Kollege Michael Gerdes für
die SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Altersvorsorge ist dieser Tage allgegenwärtig . Ob medial, hier im Hause oder
bei sozialpolitischen Tagungen: Wir sorgen uns um die
Leistungsfähigkeit von Rentenmodellen, ob gesetzlich,
betrieblich oder privat . Für mich zählt die Gesamtschau,
auch wenn wir heute auf Initiative der Grünen insbesondere die Selbstständigen und ihre soziale Absicherung
auf der Tagesordnung haben . Über allem schwebt die
Warnung und Sorge vor zunehmender Altersarmut, ohne
Frage ein Zustand, den wir als Gesellschaft verhindern
müssen . Auf Analyse und Prognose müssen aber irgendwann gute Änderungsideen folgen, sonst sinkt das Rentenniveau tatsächlich eines Tages - nach aktuellen Berechnungen nach 2030 - auf ein Level, das zum Leben
nicht mehr auskömmlich ist .
Unsere Ministerin Andrea Nahles ist auf einem guten
Weg . Der von ihr geführte Rentendialog will eben nicht
nur in der Analyse verharren, sondern Lösungen aufzeigen . Andrea Nahles wird noch in dieser Wahlperiode einen Gesetzesentwurf zur Rente vorlegen . Aus Sicht der
SPD muss das Grundprinzip die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung sein .
({0})
- Ich komme noch dazu . Geben Sie mir doch die Gelegenheit . Ich bin erst am Anfang meiner Rede .
Kein anderes System existiert so lange Zeit, kein anderes System hat so ein umfangreiches Leistungspaket .
Allerdings gibt es, Herr Kurth, kein All-inclusive-Angebot . Dazu sind die Lebensmodelle einfach zu verschieden .
Mein persönliches Vertrauen in das Umlageverfahren
ist groß . Je mehr Menschen bzw . Erwerbstätige in dieses
System integriert werden, desto besser ist es. Ich finde
es absolut bedauerlich, dass viele junge Menschen dieses
Vertrauen in die gesetzliche Rente verloren haben . Wir
dürfen an dieser Stelle nicht müde werden und müssen
deutlich zeigen, dass das gesetzliche System besser ist
als sein Ruf .
({1})
Selbstverständlich müssen wir dafür sorgen, dass der
Ausgleich zwischen Rentnern und Erwerbstätigen auch
mittel- und langfristig funktioniert .
Mein Kollege Martin Rosemann wird sicherlich gleich
im Detail auf den grünen Forderungskatalog zur besseren
Absicherung von Selbstständigen eingehen . Unter seiner Leitung haben wir als SPD-Fraktion sehr konkrete
Vorschläge zum Schutz von Selbstständigen vorgelegt nicht nur in Bezug auf den Rentenversicherungszweig,
sondern auch bei den Kranken- und Arbeitslosenversicherungen .
({2})
- Die Sozialabgaben müssen eben im Zusammenhang
gesehen werden, Herr Kurth; das haben Sie erkannt .
Momentan gibt es bei der staatlich organisierten Absicherung von Solo-Selbstständigen gegen Arbeitslosigkeit aber noch sehr viel Luft nach oben . Wir sehen,
wie sehr sich unsere Sozialversicherungen am Modell
abhängig Beschäftigter orientieren. Spannend finde ich
übrigens das Beispiel Österreich . Unsere Nachbarn sind
schon einen Schritt weiter . Dort wurden die Selbstständigen bereits in die Rentenversicherung einbezogen .
({3})
- Richtig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vieles von dem, was
die Grünen im vorliegenden Antrag zu Papier gebracht
haben, geht in die richtige Richtung . Wir teilen die Auffassung, dass uns die Umbrüche am Arbeitsmarkt und die
immer bunter werdenden Erwerbsbiografien dazu zwingen, die soziale Absicherung neu zu überdenken . Die
Sozialversicherungen müssen zukunftsfest gestaltet werden . Armut im Alter muss verhindert werden . Allerdings
müssen wir dann vernünftig vorsorgen . Eine auskömmliche Rente beginnt im Erwerbsleben . Das hat Kollege
Weiß gerade dargestellt .
Im Rahmen der Debatte um Arbeit 4 .0 haben wir viel
von Solo-Selbstständigen gesprochen, die das digitale
Zeitalter mit sich bringt, neudeutsch heißen diese Erwerbstätigen „Clickworker“ oder „Crowdworker“ . Hier
ist vieles noch im Ungewissen, nicht zuletzt deshalb,
weil diese Gruppe mit Blick auf Berufsbilder, Ausbildung und Einkommen sehr heterogen ist . Ich bin froh,
dass die SPD-Fraktion an dieser Stelle eine verpflichtende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht . Allerdings müssen die Beiträge auch bezahlbar gestaltet sein . Viele Solo-Selbstständige stehen
am Rande des Existenzminimums . Ein guter Bekannter
Sabine Zimmermann ({4})
von mir, Trinkhallenbesitzer im Ruhrgebiet, schildert mir
sehr glaubwürdig
({5})
- ich hätte auch sagen können: „Büdchen-Guido“ -, dass
er nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben nicht
einmal auf den Mindestlohn kommt . Selbstständig ist für
ihn nicht gleich wohlhabend .
Die Zeichen der Zeit sind erkannt: Wir wissen, dass
wir auch denen ein Angebot machen müssen, die im Laufe ihres Erwerbslebens zwischen Selbstständigkeit, möglicherweise auch Scheinselbstständigkeit und abhängiger
Beschäftigung wechseln . Unser Blick muss weitreichend
sein .
Ich freue mich schon jetzt auf eine gute inhaltliche
Diskussion zum Gesamtpaket . Denn es wird eben keine
Patentlösung geben, und es kann sie auch nicht geben .
Anscheinend sind wir - diesen Eindruck habe ich nach
der bisherigen Diskussion - nicht allzu weit auseinander . Ich freue mich, wie gesagt, auf die weiter gehenden
Diskussionen .
Herzlichen Dank und Glückauf!
({6})
Als Nächster spricht der Kollege Tobias Zech für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kurth, der Antrag, den Sie geschrieben haben, trifft die
Aufgabe, die wir haben: nämlich den Veränderungen am
Arbeitsmarkt aufgrund der Technologie Rechnung zu tragen, indem wir auch auf die soziale Sicherung schauen .
Ich will Ihnen nur nicht zugestehen, dass Sie der Erste
sind, der das aufgezeigt hat . Wir haben das schon einige Male diskutiert . Aber Ihr Antrag geht in die richtige
Richtung . Sie treffen den Nerv der Zeit . Sie sprechen von
Flexibilität, Sie sprechen darüber, dass wir mit Blick auf
den Arbeitsmarkt Anpassungen vornehmen müssen . Das
ist alles gut . Aber dann kommen Sie relativ schnell in
eine für mich etwas wilde Regelungswut . Deshalb kann
ich Ihrem Antrag nicht zustimmen . Ich will Ihnen auch
erklären, warum . Ich denke, wir müssen eine gemeinsame Lösung finden, wie wir die Rentenversicherung weiterentwickeln . Ich bin mir sicher: Wir können die Rentenversicherung weiterentwickeln; sie hält es auch aus .
Nur sollten wir allzu rigorose Spielereien weglassen .
Ich habe Ihren Antrag mehrmals gelesen . Ich bitte, das
zur Kenntnis zu nehmen .
({0})
- Dass es für Sie so schön ist, dass ich ihn gelesen habe,
kann ich Ihnen nicht versprechen . Aber ich kann Ihnen
zusichern: Ich habe ihn gelesen . - Sie fordern, klarere
Abgrenzungskriterien anzuwenden . Aber ich muss Ihnen
sagen, dass ich das für unnötig halte . Erstens haben wir in
den letzten Wochen und Monaten hier in diesem Haus die
ganze Zeit über die Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung gesprochen . Ich denke
also, das ist etwas veraltet .
({1})
Zweitens ist mir persönlich kein einziger aktenkundiger
Fall vor Gericht bekannt, in dem es Zuordnungsschwierigkeiten gab .
({2})
- Wenn Sie einen Fall kennen, der die Abgrenzung betrifft, dann lassen Sie ihn mir bitte zukommen . Ich kenne
keinen; aber ich lerne ja immer gern dazu . Ich habe echt
gesucht und nichts gefunden . Vielleicht können Sie mir
das zukommen lassen . - Ich halte diese Forderung für absolut sinnlos, weil klarere Kriterien nicht notwendig sind .
({3})
Der nächste Punkt . Es gibt natürlich schon heute - das
wissen Sie auch - das Statusfeststellungsverfahren nach
§ 7a SGB IV . Das funktioniert auch . Die Notwendigkeit,
hier etwas zu ändern, sehe ich nicht .
Jetzt kommen wir zu den qualitativen Forderungen in
Ihrem Antrag . Wissen Sie, es geht Ihnen bei Ihrem Antrag gar nicht so richtig um das Wohl der Selbstständigen und der Solo-Selbstständigen, und vor allen Dingen
geht es Ihnen überhaupt nicht um Flexibilität . Was Sie
vorsehen, ist eigentlich auch eine tiefgreifende Reform
der Pflege- und der Krankenversicherung. Es geht ja gar
nicht nur um die Rente .
({4})
Sie schreiben im Text, Sie wollten eine Bürgerversicherung . Aber die Bürgerversicherung passt nicht zur Arbeit 4 .0; sie passt auch nicht mehr ins Jahr 2016 . Das ist
der Griff in die verstaubte, alte sozialpolitische Kiste; wir
brauchen heute Flexibilität .
({5})
- Ich komme gleich darauf zurück . - Es ist klar, dass wir
keine Bürgerversicherung haben wollen, weil sie überhaupt nicht flexibel ist.
({6})
Was Sie vorhaben, ist, den Selbstständigen genau eine
Möglichkeit zu lassen, nämlich in die gesetzliche Rentenkasse einzuzahlen .
({7})
Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Rente . Ich kann
den Selbstständigen doch nicht die Möglichkeit nehmen,
zu entscheiden, wie sie vorsorgen . Es gibt die Möglichkeit der privaten Vorsorge, man kann über Immobilien
vorsorgen . Man muss nicht jeden in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen .
Eines muss man sehr wohl - da sind wir einer Meinung -: Man muss für die Selbstständigen in diesem
Land - dafür tragen wir hier im Haus die Verantwortung - eine Vorsorgeverpflichtung einführen. Aber muss
man, wenn man schon die Verpflichtung einführt, dann
auch gleich die Methode festlegen? Können wir den
Menschen in diesem Land nicht wenigstens insoweit vertrauen, als sie selber für sich entscheiden, welche Form
der Vorsorge für sie die beste ist?
({8})
Ich finde, Kollege Weiß hat eindrucksvoll dargestellt,
welche Möglichkeiten es gibt . Die gesetzliche Rentenversicherung ist vernünftig; aber sie stellt bei weitem
nicht die einzige Form der Altersvorsorge dar .
({9})
Also: Vorsorgepflicht ja - da kann ich mitgehen -; aber
ich lehne es entschieden ab, die Menschen durch die
Hintertür in die gesetzliche Rentenversicherung hineinzuzwingen und keine Wahlmöglichkeit zu schaffen .
({10})
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der ganz spannend
ist . Da bin ich bei einem Aspekt bei Ihnen, Herr Kurth .
Lassen wir die Rente beiseite, und gehen wir zur Arbeitslosenversicherung . Da haben Sie aus meiner Sicht
hinsichtlich der weiteren Öffnung recht . Ich möchte aber
noch etwas hinzufügen: Wenn wir die Arbeitslosenversicherung für alle Selbstständigen öffnen, wie Sie es
fordern, dann müssen wir auch sehr restriktive Regeln
anwenden, um dem Versicherungs- und dem Solidargedanken Rechnung zu tragen . Man muss dann auch sicherstellen, dass jemand, der sich für die Arbeitslosenversicherung entscheidet, auch dauerhaft darin bleibt und
nicht nach zwei Jahren raus- und dann wieder reingeht .
Das geht nicht . Das müssten Sie noch hinzufügen .
({11})
Wir brauchen eine Sperrfrist, damit nicht jede selbstverschuldete Aufgabe eines Unternehmens dazu führt, dass
Mittel aus der Arbeitslosenversicherung bezogen werden . Zudem brauchen wir Anwartschaftszeiten, um ein
Vermögen aufzubauen und dem Gedanken der Solidargemeinschaft Rechnung zu tragen . - Ich glaube, die Öffnung der Arbeitslosenversicherung ist sinnvoll, aber nur
unter diesen Bedingungen .
Ich komme zum Schluss . Wir haben heute schon oft
gehört, wie stark unser Sozialversicherungssystem ist .
Wir müssen es weiterentwickeln, aber nicht revolutionär,
sondern evolutionär .
({12})
Wir erwarten am 28 . Dezember die Vorstellung des Weißbuchs Arbeiten 4 .0 . Danach wird es sicherlich Gelegenheit geben, das Thema - hoffentlich auch mit Anträgen
der Koalition - weiter zu bearbeiten . Notwendig ist es,
aber nicht so .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({13})
Vielen Dank . - Zum Abschluss dieser Aussprache hat
der Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich will Ihnen
zuerst einmal sagen: Ich finde, Ihr Antrag beschreibt ein
wichtiges und relevantes Handlungsfeld . Ich glaube, wir
müssen die soziale Sicherung von Selbstständigen in
Deutschland verbessern . Das gilt insbesondere für die soziale Sicherung im Alter; denn Selbstständigkeit bedeutet
heutzutage eben nicht mehr unbedingt hohe Einkommen
oder große Vermögen . Die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit sind fließender
geworden .
({0})
Die Übergänge zwischen abhängiger Beschäftigung und
Selbstständigkeit und auch umgekehrt sind häufiger geworden . Sie werden angesichts von Arbeit 4 .0 in Zukunft
noch weiter zunehmen .
Ich finde auch, dass Ihr Antrag durchaus einige wertvolle Elemente enthält .
({1})
Beispielsweise wollen Sie - das will ich ausdrücklich unterstützen - keine neue Trennlinie zwischen Solo-Selbstständigen und anderen Selbstständigen einziehen; denn
das wäre praktisch nicht umsetzbar und würde zu neuen
Wettbewerbsverzerrungen zwischen unterschiedlichen
Formen der Selbstständigkeit führen .
Positiv finde ich auch die vorgeschlagenen Entlastungen, insbesondere im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge . Insoweit entspricht Ihr Antrag auch dem
Konzeptpapier „Neue Zeiten in der Arbeitswelt - soziale
Absicherung für ({2})Selbstständige verbessern“, das
die SPD-Bundestagsfraktion vor zwei Wochen beschlossen hat . Michael Gerdes hat darauf hingewiesen .
({3})
Aber ich will Ihnen auch sagen: Ihr Antrag bleibt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung weit hinter dem
Konzeptpapier zurück;
({4})
denn die Beschreibung von Handlungsnotwendigkeiten
löst noch keine Probleme . Die spannende Frage ist doch:
Mit welchen praktischen Schritten
({5})
kommen wir denn von der heutigen Situation zu den beschriebenen Zielen? Da, muss ich sagen, ist Ihr Antrag
doch ein bisschen schwach .
Ich möchte das ein bisschen exemplarisch machen
und nehme als Erstes das Stichwort „Auftraggeberbeitrag“ . Das ist ja ein Element, das wir aus der Künstlersozialkasse kennen. Ich finde, da muss man sich jetzt schon
entscheiden und konkret werden: Will man dieses System wirklich auf alle Selbstständigen ausdehnen?
({6})
Falls ja, wie soll das praktisch gehen, vor allem dann,
wenn es eben keine Solo-Selbstständigen sind, sondern
Beschäftigte da sind? Da bleiben Sie in Ihrem Antrag
doch sehr schwach bei der lauen Aufforderung, man solle
mal nach Möglichkeiten suchen .
({7})
Das ist aber viel zu wenig . Zeigen Sie doch bitte entweder
konkrete Möglichkeiten auf, oder stellen Sie fest, dass es
eben nicht funktioniert, meine Damen und Herren .
({8})
- Das ist Aufgabe aller, der Parlamentarierinnen und Parlamentarier genauso .
Das Zweite ist: Manche praktischen Fragen ignorieren Sie einfach . Welches Einkommen der Selbstständigen soll denn genau die Bemessungsgrundlage für die
Beiträge sein, um tatsächlich eine Gleichstellung von
abhängig Beschäftigten und Selbstständigen zu gewährleisten? Und wie trägt man bei der Beitragserhebung tatsächlich den ständigen Schwankungen der Einkommen
von Selbstständigen Rechnung? Für die Selbstständigen
ist eine ganz wichtige Frage: Wie sieht es denn mit den
Übergangsregelungen aus? Welche Alternativen werden
im Übergang anerkannt, welche gegebenenfalls dauerhaft?
Meine Damen und Herren, ich will vielleicht noch ein
Beispiel geben, um deutlich zu machen, dass Sie, wie ich
finde, einfach nicht den Mut haben, etwas konkret zu benennen . Was heißt es denn, wenn Sie in Ziffer 2 sagen:
„Die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen
sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden“? Was meinen Sie mit „anderweitig abgesichert“?
({9})
Reichen 100 Euro an privater Rentenversicherung? Das
ist doch sicherlich kein Schutz vor Altersarmut .
({10})
Meine Damen und Herren, wir haben uns in unserem
Konzeptpapier genau mit diesen schwierigen Fragen beschäftigt und zeigen einen wirklich realisierbaren Weg
auf . Wir tragen damit den Veränderungen in den Erwerbsbiografien vieler Menschen Rechnung
({11})
und dem Bedürfnis, Solo-Selbstständige endlich besser
abzusichern . Dieses Konzept ist im Übrigen in einem
breiten Beteiligungsprozess entstanden,
({12})
mit betroffenen Selbstständigen, mit der Wissenschaft,
mit der Rentenversicherung, mit Verbänden und Gewerkschaften .
({13})
- Ja, zu Ihnen komme ich gleich . Fortschritte gab es in
der Vergangenheit nämlich deswegen nicht - so ehrlich
muss man sein -, weil bestimmte konkrete Fragen ungelöst waren, aber auch - zumindest ist das meine Wahrnehmung -, weil Ihre Vorstellungen, die Vorstellungen
unseres Koalitionspartners, andere waren als unsere .
Ich habe Ihnen heute zugehört, Peter Weiß . Ich muss
sagen, Sie haben in der Frage, ob Sie eine Einbeziehung
in die Rentenversicherung wollen und für wen, stark herumlaviert . Ich nehme dann doch erfreut zur Kenntnis,
dass ein Kollege - Carsten Linnemann, er ist jetzt nicht
anwesend - sich in einem Interview in einer westfälischen Zeitung im April dieses Jahres dafür ausgesprochen hat, dass es diesbezüglich keine Denkverbote geben darf und auch die Einbeziehung von Selbstständigen
und Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung kein
Tabu sein dürfe .
Meine Damen und Herren, wir als SPD-Bundestagsfraktion haben die Erwartung, dass die Einbeziehung von
Selbstständigen, die bisher nicht in einem berufsständischen Versorgungswerk pflichtversichert waren, in die
gesetzliche Rentenversicherung Teil des Gesamtkonzepts zur Rente wird und dass die Arbeitsministerin noch
in diesem Herbst ein entsprechendes Konzept vorlegen
wird . Unsere Fraktion wird sich auf Basis des beschlossenen Konzeptpapiers in die Debatte über die konkrete
Ausgestaltung einbringen . Ich lade Sie alle ein, diesen
Weg mitzugehen .
({14})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10035 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV
({0})
Drucksache 18/10208
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch dagegen
erhebt sich keinerlei Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt federführend die Debatte bestreiten werden, ihre Plätze
einzunehmen . - Das ist der Fall .
Dann kann ich die Aussprache eröffnen . Ich erteile als
erstem Redner für die Bundesregierung das Wort dem
Bundesminister Hermann Gröhe .
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein immer leistungsfähigeres Gesundheitswesen, das zu den besten der
Welt gehört, steigende Lebenserwartung - all das scheint
selbstverständlich zu sein, bis wir an die Grenzen solcher
Entwicklungen stoßen . Wenn wir eine neue Therapie herbeisehnen für einen Angehörigen, der an Krebs erkrankt
ist, fragen wir uns: Wo kommt eigentlich der Fortschritt
her? Wir fragen uns: Wer entwickelt und produziert einen
Impfstoff gegen einen neuartigen Virus? Und schließlich:
Was kann man gegen Infektionen mit multiresistenten
Keimen tun?
Wir alle kennen den alten Spruch von Deutschland
als Apotheke der Welt . Wir wissen zugleich, dass wir
diesen selbstbewussten Anspruch längst mit anderen,
zum Teil auch stärkeren Standorten für Forschung und
Produktion im Arzneimittelbereich teilen müssen . Aber
gerade deswegen haben wir ein gesundheitspolitisches,
ein forschungspolitisches und ein wirtschaftspolitisches
Interesse daran, Deutschland als Entwicklungs-, als Forschungs-, aber auch als Produktionsstandort forschender
Arzneimittelindustrie zu stärken . Die Voraussetzungen
dafür sind nach wie vor gut, haben wir doch in diesem
Bereich eine Branche, die in Deutschland Tag für Tag
16 Millionen Euro in die Entwicklung und Erforschung
neuer Wirkstoffe und neuer Darreichungsformen investiert . Jahr für Jahr steigt auch die Zahl der Beschäftigten
in dieser Industrie überdurchschnittlich an .
Die Überzeugung, dass wir unser Land als Forschungs- und Produktionsstandort im Pharmabereich
stärken wollen, hat die Bundesregierung geleitet, als
das Wirtschafts-, das Forschungs- und das Gesundheitsressort gemeinsam Vertreter der Wissenschaft, der
Pharmaunternehmen und der Gewerkschaft Bergbau,
Chemie, Energie zu einem Pharmadialog eingeladen haben . Wir haben intensiv diskutiert, wie wir die Stärken
Deutschlands in diesem Bereich stärken können, auch in
einem härter werdenden globalen Wettbewerb .
Wir haben eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet,
bei denen wir uns von einem Gedanken haben leiten
lassen: Wie sichern wir einen guten Zugang zu Innovationen, und wie fördern wir Innovationen in den Bereichen, in denen wir sie besonders dringend herbeisehnen?
Ich denke dabei an Diabetes, Alzheimer und bestimmte
Krebserkrankungen . Hier wollen wir Innovationen erreichen und dafür sorgen, dass der Fortschritt möglichst
schnell bei den Patientinnen und Patienten ankommt . Zugleich müssen wir stets im Blick haben, dass ein solidarisches Gesundheitswesen auf Dauer nur existieren kann,
wenn es die langfristige Finanzierbarkeit des medizinischen Fortschritts sichert . Bei der Überführung der im
Pharmadialog erarbeiteten Vorschläge in den vorgelegten
Gesetzentwurf ging es daher um die Balance zwischen
langfristiger Finanzierbarkeit und Innovationsfreundlichkeit .
({0})
Dabei knüpfen wir an die Grundprinzipien des
AMNOG an, fragen also nach dem Patientennutzen . Das
hat sich bewährt, das ist sinnvoll . Wir wollen den Fortschritt, der wirklich zu einer Verbesserung der Situation
der Patientinnen und Patienten führt .
Gleichzeitig wollen wir, dass diese Nutzenbewertung
treffsicher dazu beiträgt, dort einen Fortschritt zu ermöglichen, wo wir ihn besonders dringend brauchen, etwa
indem wir den Mehrnutzen von neu entwickelten Antibiotika bezüglich der Resistenzentwicklung gegenüber
bereits etablierten Produkten gewichten . Wir wollen also
Anreize schaffen, damit man sich nicht mit Produkten abfindet, von denen wir wissen, dass sie nach und nach an
Wirkung verlieren .
Innovationsfreundlichkeit und Finanzierbarkeit - das
hat zu Diskussionen geführt - Sie kennen sie -, beispielsweise über die Preisgestaltung im ersten Jahr . Wir haben
uns mit diesem Gesetzentwurf gegen eine neue Schwelle
entschieden, um den Marktzugang zu erschweren . Wir
sagen: Wir brauchen eine Preisbremse gerade für besonders hochpreisige Arzneimittel, die sich an eine große
Zahl von Patientinnen und Patienten richten . Bei einem
Überschreiten der Umsatzschwelle von 250 Millionen
Euro soll umgehend der zwischen den Verhandlungspartnern ausgehandelte Erstattungspreis gelten . Das ist eine
wirksame Maßnahme, gerade mit Blick auf hochpreisige
Produkte .
Die Frage: „Wollen wir, dass bei Rabattverträgen zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen ebenso wie bei Verträgen
zwischen einzelnen Versorgerkassen und pharmazeutischen Unternehmen auf eine öffentliche Listung verzichtet wird, um die Verhandlungen über eine Erstattung
für die Kassen zu erleichtern?“, führte zu Diskussionen,
auch gestern im Gesundheitsausschuss des Bundesrates .
Wir sind davon überzeugt und unterbreiten mit diesem
Gesetzentwurf einen entsprechenden Vorschlag .
Wichtig ist uns, dass wir diese Maßnahmen verbinden
mit Maßnahmen zur dauerhaften Preisdämpfung . Deswegen wird das Preismoratorium, das bis Ende 2017 für
Arzneimittel ohne weitere Preisregulierung vorgesehen
war, bis 2022 verlängert, ab 2018 mit der Möglichkeit einer Anpassung an die Inflationsrate. Allein das vermeidet
Mehrausgaben in Höhe von jährlich 1,5 bis 2 Milliarden
Euro .
Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass
wir die Regelung hinsichtlich der Zytostatika - ich habe
das Thema in der Haushaltsdebatte angesprochen - in
einer Art und Weise weiterentwickeln wollen, die die
Ortsnähe und die gute Zusammenarbeit sichert, etwa
zwischen verschreibenden Onkologen und der selbstgewählten Apotheke, und gleichzeitig Wirtschaftlichkeitsreserven hebt . Ich glaube, wir zeigen an diesem Beispiel,
dass Ausschreibungsnotwendigkeit, Wirtschaftlichkeit
und Qualitätssicherung in guter Weise zusammengehören .
Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen .
Herzlichen Dank .
({1})
Die Kollegin Kathrin Vogler spricht jetzt für die Fraktion Die Linke .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister, in der Arzneimittelpolitik ist es
immer ein bisschen wie bei dem Wettlauf zwischen Hase
und Igel: Der Hase ist die Gesundheitspolitik, und der
Igel ist die Pharmaindustrie . Der politische Hase läuft und
läuft und läuft, um die Bevölkerung mit wirksamen, sicheren und bezahlbaren Arzneimitteln zu versorgen . Immer, wenn er glaubt, er wäre jetzt am Ziel, ist der Igel von
der Pharmaindustrie schon da - mit Scheininnovationen,
mit massivem Marketing, mit monopolartigen Strukturen
und mit Medikamentenpreisen, die in überhaupt keinem
Verhältnis zu den eigentlichen Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Produktion stehen .
Von 2011 bis 2015, also in nur vier Jahren, sind die
Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente um nahezu 20 Prozent gestiegen . Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind sie noch einmal um fast 4 Prozent
explodiert . Noch stärker explodieren nur die Aktienkurse
der großen Pharmakonzerne . Allein die Aktie der US-Firma Gilead hat ihren Wert seit 2012 mehr als verdreifacht .
Das Gesetz, welches uns die Bundesregierung heute im
Entwurf vorlegt, ändert daran leider nichts . Sie wollen
die Fehler vergangener Gesetze ausbessern und neue
Maßnahmen zur Kostenbegrenzung einführen . Einige
davon sind sogar sinnvoll . Aber insgesamt bleiben Sie
eher der samtpfötige Hase .
({0})
Worum geht es? Seit 2011 müssen die Hersteller neu
zugelassene Präparate einer Nutzenbewertung unterziehen . Dabei wird das neue Mittel mit den bisherigen Standardtherapien verglichen . Auf dieser Grundlage verhandeln dann die Krankenkassen mit den Herstellern über
den Preis . Der Gedanke dahinter: Ist ein Mittel wirklich
innovativ und gut für die Patientinnen und Patienten,
dann darf es auch mal teurer sein . Ist es nicht besser als
ein altes Medikament, dann soll es auch nicht mehr kosten . Aber es gibt eine Hintertür: Im ersten Jahr dürfen die
Unternehmen den Preis frei bestimmen .
({1})
Den setzen sie natürlich so hoch wie möglich an .
Daran wollen Sie im Prinzip nichts ändern . Man könnte dem Einhalt gebieten, wenn der auf Basis der Nutzenbewertung ausgehandelte Preis rückwirkend ab dem Tag
der Zulassung gelten würde . Das wäre im Übrigen auch
ein wirklicher Anreiz, nur echte Innovationen auf den
Markt zu bringen . Ich weiß, dass es auch in den Koalitionsparteien durchaus Sympathien für diesen Vorschlag
gibt;
({2})
aber Minister Gröhe hat mit den Unternehmen hinter
verschlossener Tür etwas anderes ausgehandelt, und
zwar zum Schaden der Allgemeinheit . Sie wollen jetzt
eine Umsatzschwelle für das erste Jahr einführen . Erst
dann, wenn ein Medikament im Jahr mehr als 250 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, soll eine Kostenbremse
greifen . Das halten wir nicht nur für willkürlich, sondern
auch für absolut nicht ausreichend .
({3})
Herr Gröhe, was gar nicht geht, ist Ihr Vorschlag, die
ausgehandelten Erstattungspreise geheim zu halten . Damit wollen Sie Preisvergleiche unmöglich machen . Sie
wollen die Listenpreise in Deutschland künstlich hochhalten und damit eben auch die Arzneimittelpreise in anderen Ländern, die sich am deutschen Preis orientieren .
Das ist unsolidarisch, und es ist auch zutiefst antieuropäisch . Wir fordern Transparenz und Solidarität im Gesundheitswesen .
({4})
Es geht aber nicht nur um den Preis . Inzwischen haben wir ernsthafte Versorgungsprobleme . Immer wieder
kommt es zu Lieferengpässen und Ausfällen bei wichtigen Medikamenten, zum Beispiel bei Antibiotika und
Impfstoffen . Die Bundesregierung aber folgt auch hier
dem Motto: Bloß keinen Ärger mit den Unternehmen .
Ich sage Ihnen: Mit völlig unverbindlichen Selbstverpflichtungen und freundlichen Gesprächen werden Sie
das Problem nicht lösen . Hier müssen klare gesetzliche
Regelungen her wie eine verbindliche Meldepflicht bei
drohenden Lieferausfällen und eine gesetzliche Pflicht
zur Lagerhaltung . Das Ganze muss mit spürbaren Sanktionen bei Verstößen verbunden sein .
Zum Schluss will ich noch auf das Thema Versandhandel zu sprechen kommen . Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs können ausländische Versandapotheken jetzt mit Dumpingpreisen auf den deutschen
Markt drängen . Die Linke fordert schon seit Jahren, den
Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu
verbieten . Wir sagen: Medikamente gehören in die fachkundige Hand des Apothekers oder der Apothekerin und
nicht in den Hermestransporter .
({5})
Wenn noch mehr Apotheken im ländlichen Raum von
kapitalgetriebenen internationalen Konzernen in Grund
und Boden konkurriert werden, dann steht man nämlich
demnächst in der Uckermark oder in der Eifel am Sonntag oder in der Nacht mit einer Krankheit ganz alleine
ohne Medikamente da . Deshalb habe ich mich sehr gefreut, Herr Gröhe, dass Sie sofort angekündigt haben,
einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg zu
bringen . Auch die Bayerische Landesregierung hat unsere Forderung aufgegriffen und eine Bundesratsinitiative
gestartet,
({6})
der sich inzwischen auch Brandenburg und Thüringen
angeschlossen haben .
Leider ist dieses Thema vor allem in der SPD noch
umstritten . Aber ich hoffe, dass wir gemeinsam erfolgreiche Überzeugungsarbeit leisten können, sodass es vielleicht noch möglich ist, diese Änderungen mit diesem
Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen .
({7})
In diesem Sinne freue auch ich mich auf die Beratungen .
Danke .
({8})
Der Kollege Dr . Edgar Franke spricht jetzt für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat es eben gesagt: Seit zwei Jahren
wird im Rahmen des Pharmadialogs zwischen Bundesregierung und Industrie verhandelt .
({0})
Zum einen geht es darum, den Pharmastandort Deutschland zu stärken, zum anderen darum, eine wirtschaftliche
und innovative Arzneimittelversorgung für die Patientinnen und Patienten zu sichern .
Frau Vogler, Sie haben ja recht: Das Parlament war bei
den Verhandlungen nicht dabei . Insofern ist die heutige
Beratung im Bundestag natürlich umso wichtiger . Wir
diskutieren ja auch über dieses Thema, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({1})
Sechs Anmerkungen dazu:
Erstens . Positiv ist zunächst das seit 2009 geltende
Preismoratorium; auch das hat der Minister gesagt . Es
wird um fünf Jahre, also bis 2022, verlängert . Das wird
1,5 oder 2 Milliarden Euro einbringen . Dies ist eine gute
Regelung, weil sich auch die Pharmaindustrie daran beteiligt und letztlich einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Versicherten leistet . Ab 2018 gibt es übrigens
einen Inflationsausgleich. Es ist also eine gute Regelung,
die wir hier getroffen haben, Herr Minister .
({2})
Zweitens . Wir alle wissen: Ein Jahr nach Marktzulassung können die Pharmaunternehmen die Preise
vollkommen frei bestimmen, unabhängig davon, ob ein
Zusatznutzen für den Patienten vorliegt . Die freie Preisbildung soll jetzt durch eine sogenannte Umsatzschwelle eingeschränkt werden . 250 Millionen Euro Umsatz
sind der Maßstab . Man muss sagen, dass diese Umsatzschwelle aufgrund ihrer Höhe in der Praxis weitgehend
ins Leere läuft .
({3})
Wenn man die Kosten dämpfen wollte, müsste man eine
wesentlich niedrigere Umsatzschwelle einführen; das
muss man schon sagen .
({4})
Bei 100 Millionen Euro wären im Jahr 2015 sieben Arzneimittel betroffen gewesen .
Besser wäre aus unserer und meiner Sicht eine rückwirkende Erstattung nach sechs Monaten, also nicht ab
Marktzulassung . Warum, Frau Vogler? Nach sechs Monaten, nach der frühen Nutzenbewertung, weiß man, ob
ein Zusatznutzen gegeben ist, ja oder nein .
({5})
Dann kann sich jedes Unternehmen darauf einstellen .
Das ist eine faire Regelung, mit der jeder Hersteller leben
kann, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({6})
Zumindest sollte man im parlamentarischen Verfahren
noch einmal darüber nachdenken, ob das eine vernünftige Regelung ist .
Drittens . Über die Vertraulichkeit der ausgehandelten
Erstattungsbeträge ist auf allen Ebenen öffentlich diskutiert worden . Künftig soll der rabattierte Preis nicht mehr
öffentlich gelistet werden; auch das steht in unserem Gesetzentwurf . Die Industrie sagt: Falls die rabattierten Beträge öffentlich wären, würde die Preisgestaltung schwieriger, und zwar gerade im Ausland, weil nicht mehr der
Listenpreis Maßstab für die Preisgestaltung wäre . - Insofern habe dies eine industriepolitische Bedeutung für die
deutschen Pharmaunternehmen . Allerdings muss man
auch sagen: Es ist problematisch, wenn wir mit den Beitragsgeldern der Versicherten Industriepolitik machen .
({7})
Deutschland ist natürlich Referenzmarkt, aber nicht
mehr allein . Neben Deutschland bezieht man sich bei
Preisvergleichen auch auf andere Länder . Die deutschen
Preise gehen vielmehr in eine Durchschnittsberechnung
ein . Sie haben deshalb zumindest ein bisschen an Bedeutung verloren; das ist der eine Punkt .
Der andere Punkt ist: Wenn ein Arzt verordnet, dann
muss er das natürlich nach wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen tun . Er unterliegt aber auch dem
Wirtschaftlichkeitsgebot . Wir würden schon einen Irrweg beschreiten, wenn wir die Ärzte vollständig aus dem
Wirtschaftlichkeitsgebot in der Gesundheitsversorgung
entlassen würden . Auch das muss man einmal sagen .
({8})
Die Details werden ja in einer Rechtsverordnung der
Bundesregierung geregelt . Das Parlament ist daran nicht
ausdrücklich beteiligt . Es ist aber ein normales Vorgehen,
dass die Bundesregierung Rechtsverordnungen erlässt,
und ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung - ich
bin sicher, auch der Minister - hier eine gute Regelung
schaffen wird .
({9})
Viertens . Die Vergütung für Apotheker soll um insgesamt 100 Millionen Euro angehoben werden . Das halte ich für vertretbar . Schließlich brauchen wir gerade in
der Fläche eine hochwertige Arzneimittelversorgung und
Apotheken, die wirtschaftlich arbeiten können müssen .
Ich komme aus dem ländlichen Raum und weiß, wovon
ich rede .
Im Übrigen ist es so: Wenn das EuGH-Urteil rechtskräftig ist, dann ist es rein faktisch nicht ausgeschlossen,
dass stationäre Apotheken zukünftig verstärkt mit dem
Versandhandel konkurrieren müssen . Insofern ist die Erhöhung der Vergütung sachgerecht und in Ordnung .
Fünftens . Ein besonderes Anliegen ist mir die Verbesserung der Impfquoten . Das haben wir ja auch im Koalitionsvertrag vereinbart . Noch immer sind die Impfquoten
in Deutschland viel zu niedrig . Das gilt insbesondere bei
der Grippeimpfung . Ich konnte es kaum glauben: Die
Impfquote beträgt dort nur circa 35 Prozent, womit wir
weit entfernt von dem Ziel sind, insbesondere mehr ältere
Menschen zu impfen und die Impfquote auch bei anderen Bevölkerungsgruppen zu erhöhen . Lieferengpässe
und die vermeintliche Unwirksamkeit von Impfstoffen
schmälern das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger .
Insofern ist es, glaube ich, wichtig, dass wir auch einen
Zugang der GKV-Patienten zu passgenauen Impfstoffen
gewährleisten . Deswegen hielte ich es für vernünftig, der
Abschaffung der Ausschreibung näherzutreten, zumal
die Ausschreibungsvorteile eher gering sind und auch
die jetzige Regelung mit zwei Losen wirklich nichts gebracht hat . Es wäre eine enorme Verbesserung für die
Versorgung der Patientinnen und Patienten, wenn wir
die Ausschreibung im Bereich der Impfstoffe abschaffen
würden .
Sechstens . In Ausnahmefällen muss es aus meiner
Sicht möglich sein, dass Medikamente, die keinen ausgewiesenen Zusatznutzen haben, auf dem Markt gehalten
werden können und damit den Patienten zur Verfügung
stehen . Ich denke zum Beispiel an chronische Erkrankungen wie die Epilepsie . Hier ist der evidenzbasierte
Nachweis eines Zusatznutzens nur schwer möglich .
({10})
Gleichwohl können neue Arzneimittel für Patienten, bei
denen die bisherigen Kombinationsmöglichkeiten versagt haben, eine zusätzliche Therapieoption darstellen .
Deswegen ist es auch vernünftig, dass wir die Öffnung
des § 130b Absatz 3 Satz 2 SGB V vorsehen und eine
Sollvorschrift in das Gesetz aufnehmen . Mit einer solchen Sollvorschrift erreicht man, dass in begründeten
Ausnahmefällen - und nur dann - von der wirtschaftlichsten zweckmäßigen Vergleichstherapie abgewichen
werden kann . Insofern ist hier auch kein Dammbruch zu
befürchten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen -
Aber Sie kommen jetzt bitte zum Schluss .
Ja .
Ohne Dammbruch! Es ist schon fast ein kleiner .
Ja, ich komme wirklich zum Schluss . Vor Ulla Schmidt
habe ich doch ganz großen Respekt . Insofern nur noch
einen Satz .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um eine gute
Arzneimittelversorgung zu sichern, hat die Bundesregierung ein insgesamt ausgewogenes Maßnahmenpaket auf
den Weg gebracht . Auch wenn ich die eine oder andere
kritische Anmerkung gemacht habe, ist es ein guter Gesetzentwurf . Man wird sicherlich den Pharmadialog und
in den parlamentarischen Beratungen das eine oder andere in diesem Gesetzentwurf hinterfragen müssen .
Herr Kollege Franke!
Dafür haben wir Anhörungen und einen guten Gesundheitsausschuss . In diesem Sinne sehen wir uns dort
wieder .
Ich danke Ihnen .
({0})
Jetzt hat Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
nicht genau gezählt, das wievielte Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wir hier heute besprechen, das uns
die Bundesregierung vorgelegt hat . GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz heißt es diesmal; aber ich
sage Ihnen ganz ehrlich, ich halte es eher für ein Pharmaindustrieversorgungsstärkungsgesetz, und das sollte
man auch so benennen .
({0})
Zwei Jahre lang hat die Bundesregierung hinter verschlossener Tür einen Pharmadialog durchgeführt . Ich
habe gar nichts gegen Dialog, aber etwas gegen Dialoge
hinter verschlossener Tür mit der pharmazeutischen Industrie unter Ausschluss des Parlaments und der Öffentlichkeit . Man hat sich auf Maßnahmen geeinigt .
Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Kollegin
Michalk und dem Kollegen Hennrich, dass sie am Tag
der Vorstellung dieser Ergebnisse als Parlamentarier aufgestanden sind und gesagt haben: Diese Forderungen
fehlen uns als Parlamentarier, sie sind im Pharmadialog
nicht besprochen worden . Ich muss sagen: Hochachtung
vor dieser Aktion . Sie haben, glaube ich, für uns Parlamentarier allesamt gesprochen .
({1})
Nun wurden die Ergebnisse, die die Bundesregierung mit
der Pharmaindustrie ausgehandelt hat, in dieses Gesetz
gegossen, das uns jetzt vorliegt, und jetzt dürfen wir als
Parlament auch endlich mitreden .
In der Einleitung zum Gesetzentwurf heißt es zwar
noch großspurig, dass die Gesundheitsversorgung flächendeckend, innovativ, sicher und bezahlbar gestaltet
werden soll; aber in dem Entwurf selber ist dazu leider
nur wenig zu finden, und die Ziele sind auch kaum nachzuvollziehen. Stattdessen finden sich in vielen Punkten
bestenfalls kosmetische Korrekturen und im schlimmsten Fall so unausgegorene und undurchdachte Regelungen, dass sie das Potenzial haben, das System der Arzneimittelversorgung eher auf den Kopf zu stellen .
Ich möchte mich auf zwei Maßnahmen konzentrieren . Wir haben im Bereich der vielen neuen, innovativen Medikamente, die im Moment auf den Markt kommen, tatsächlich - wie die gesetzlichen Krankenkassen
sie bezeichnen - Mondpreise, das heißt die freie Preisgestaltung im ersten Jahr . Anstatt die Kosten der Krankenkassen für patentgeschützte Arzneimittel wirksam
einzudämmen, setzen Sie jetzt eine 250-Millionen-Euro-Umsatzgrenze, die viel zu hoch ist .
({2})
Bei genauer Betrachtung, welche dieser Medikamente
im letzten Jahr davon betroffen wären, sind es ganze drei .
Das heißt, dass diese Umsatzschwelle viel zu hoch ist .
Ich bin der Meinung, dass es nach wie vor richtig ist,
dass dann, wenn die Krankenkassen mit den Herstellern
einen Preis verhandelt haben, dieser auch rückwirkend
ab dem ersten Tag der Markteinführung gilt . Das nutzt
den gesetzlich Versicherten, und das nutzt den Patienten .
({3})
Das zweite Beispiel: Die Höhe der zwischen den
Krankenkassen und den Arzneimittelherstellern verhandelten Erstattungsbeträge soll in Zukunft - das ist bisher
ja nicht so - vertraulich behandelt werden . Nicht nur die
Kassen, meine Damen und Herren, die nach Ihrem Gesetzentwurf eigentlich die Profiteure davon sein sollten,
bezweifeln, dass auf diese Weise tatsächlich günstigere
Preise erzielt werden. Ich bezweifle das auch. Die Kassen
raten sogar vehement davon ab, in das Abrechnungssystem zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen
derart weitgehend einzugreifen .
({4})
Meine Damen und Herren, wir reden über einen Markt
von 39 Milliarden Euro jährlich . Da sollen verschreibungspflichtige Medikamente und das Zustandekommen
ihrer Preise geheim bleiben? Welchen Preis sollen dann
zum Beispiel Apotheken den Krankenkassen künftig in
Rechnung stellen, wenn Patienten bei ihnen ein Rezept
einreichen? Wie sollen Ärzte wirtschaftlich verschreiben können, wenn ihnen die Preise nicht bekannt sind?
Angesichts so vieler Beteiligter frage ich Sie: Wie sollen
dann die Preise überhaupt geheim bleiben, zumal wir in
unserem ganzen System andauernd darauf rekurrieren
müssen, welche Preise tatsächlich gezahlt werden?
({5})
All diese Antworten bleibt der vorliegende Gesetzentwurf schuldig . Details dazu sollen in einer Rechtsverordnung geklärt werden . Meine Damen und Herren, auch
Rechtsverordnungen sind Verordnungen, die am Parlament vorbeigehen . Wenn man schon ein Gesetz macht,
das man mit der Pharmaindustrie ausgehandelt hat, ist es
meines Erachtens erneut nicht okay, jetzt auch noch mithilfe von Verordnungen die Details zu klären .
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE]
Das zeugt nicht davon, dass die Bundesregierung tatsächlich an einer zukunftssicheren Gesundheitspolitik
oder überhaupt an einem Konzept orientiert ist, wie die
Krankenversorgung und ihre Finanzierbarkeit in Zukunft
sichergestellt werden können .
Meine Damen und Herren, wir können uns sicher sein
und sehen es ja auch, dass die Zahl innovativer Medikamente in den nächsten Jahren sehr stark zunehmen wird .
({6})
Wir haben da eine ganz starke Bewegung . Deswegen ist
es so notwendig, dass wir dafür sorgen, dass nicht nur
das Geld für diese Innovationen bei den Herstellern ankommt, sondern dass diese Innovationen auch beim Patienten landen . Dazu ist dieser Gesetzentwurf leider überhaupt nicht geeignet .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank . - Jetzt spricht der Kollege Michael
Hennrich, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren nach drei Jahren hier im Parlament das erste Mal Arzneimittelthemen im größeren Umfang . Ich glaube, es war eine gute Entscheidung, dass wir
den Pharmadialog der Bundesregierung gestartet haben
und damit einfach ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Herangehensweisen und Themen geschaffen haben,
die die Versicherten, die Patienten, die Krankenkassen
und natürlich auch die Pharmaindustrie betreffen . Es
geht uns auch darum, mit unserer Politik eine gute und
vernünftige Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen herzustellen .
Liebe Frau Schulz-Asche, ich möchte mich ganz
ausdrücklich für das Lob bedanken . Ich darf Ihnen aber
gleichzeitig sagen, dass ich mich damals bestens informiert fühlte .
({0})
Wenn es ein Problem gab, habe ich zum Telefonhörer
gegriffen und nachgefragt: Was diskutiert ihr denn im
Pharmadialog?
({1})
Dann habe ich meine Information bekommen . Deswegen
haben wir unser Papier letztendlich so gesehen, dass wir
das, was im Pharmadialog besprochen wurde, von Parlamentsseite her nachdrücklich verstärken .
Wir haben seit drei Jahren eine Debatte über Arzneimittelthemen . Ich nenne hier das Thema Hepatitis C, bei
dem wir große Sorgen und Befürchtungen wegen des
Ausgabenanstiegs bei den Krankenkassen hatten .
({2})
Dabei ist aber in Vergessenheit geraten, dass wir bei den
Medikamenten gegen Hepatitis C erstmals einen Wirkstoff hatten, bei dem man sehen konnte, wie das AMNOG
sich auszahlt und wirkt, dass ein Zusatznutzen attestiert
wurde . Wir haben gesagt: Dafür wollen wir einen höheren Preis zahlen .
({3})
Wir haben Diskussionen über chronische Erkrankungen
gehabt . Es ging um Diabetes und Epilepsie . Man hatte
oft den Eindruck: Die Versorgung bricht zusammen . Wir
haben abgewartet und sehen heute, dass sich einiges gut
und vernünftig selbst regelt .
Ich glaube, die heutige Debatte zeigt, dass der Pharmadialog zu einer hohen Akzeptanz der Arzneimittelregulierung beigetragen hat, sowohl hier im Parlament,
selbst wenn jetzt Unterschiede deutlich werden, als auch
in der Gesellschaft und bei den Beteiligten .
Wir haben eine gut funktionierende Versorgung in der
Fläche durch Großhandel und Apotheken vor Ort . Wir
haben mit den Instrumenten Festbetragssystem, Rabattverträge und frühe Nutzenbewertung sichergestellt, dass
wir eine qualitativ hochwertige Versorgung zu bezahlbaren Preisen haben .
({4})
Wir müssen jetzt diese Themen auf den Prüfstand stellen . Deswegen haben wir drei Themenkomplexe identifiziert, mit denen wir uns auseinandersetzen wollen. Es
geht erstens um das Thema Apotheken, es geht zweitens
um das Thema Rabattverträge, und es geht drittens um
das AMNOG als solches .
Ich möchte mit dem Thema Apotheken beginnen . Da
hinter mir Frau Ulla Schmidt als Präsidentin sitzt, denke
ich an den Sündenfall im Jahr 2003, als wir im vorauseilenden Gehorsam unter einer grün-roten Bundesregierung das Versandhandelsverbot beschlossen haben .
Mit der CDU .
Ja, aber das war Ihre Initiative . Denn Sie haben uns
falsch informiert .
({0})
Sie haben nämlich gesagt, wenn das Verbot des Versandhandels nicht umgesetzt würde, würde uns der EuGH zurechtweisen . Der EuGH hat anders entschieden . Das war
eine Fehleinschätzung Ihres Hauses . Deswegen müssen
wir uns heute damit auseinandersetzen . Ich möchte ein
ausdrückliches Dankeschön an Hermann Gröhe richten,
der sich dafür einsetzt, dass dieses Versandhandelsverbot
kommt, um die Präsenzapotheken vor Ort zu stärken .
({1})
Wir werden uns zweitens um das Thema Rabattverträge kümmern müssen . Da haben wir einen guten Ansatz,
indem wir eine Frist von sechs Monaten zur Umsetzung
von Rabattverträgen einführen .
Wir haben darüber hinaus drei Spezialthemen, um die
wir uns kümmern, und zwar um Biosimilars, Zytostatika und Impfstoffe . Gerade der Bereich Biosimilars zeigt,
dass es gut ist, wenn man abwartet . Es gab in der Vergangenheit Diskussionen und Forderungen . Es um die
gesetzliche Quote, um zwei Jahre vertragsfreie Zeit,
Open-House-Verträge und Ähnliches . Heute erleben wir,
dass die Selbstverwaltung das gut geregelt hat, sodass
wir keinen zwingenden Handlungsbedarf sehen .
Handlungsbedarf sehen wir beim Thema Zytostatikaversorgung . Ich glaube, dass wir da die richtige Entscheidung getroffen haben .
Der dritte Punkt, um den wir uns kümmern müssen, ist
der Bereich Impfstoffe . Das AMNOG hat gezeigt, dass
wir gut und klug beraten sind, abzuwarten . Was gab es
für Aufregung, Debatten und Diskussionen . Heute sehen wir, dass wir uns auf einen Bereich konzentrieren,
und zwar auf die Preisfindung bzw. Preisbildung. Lieber
Kollege Franke, ich darf Sie daran erinnern, dass die
Umsatzschwelle eine Idee aus dem Bundeswirtschaftsministerium war und dort durchaus eine höhere Summe
gefordert wurde . Insofern kommen wir darüber sicherlich in einen guten und vernünftigen Dialog .
Ich möchte zum Schluss aber noch ein Thema ansprechen .
Kein neues Thema mehr . Sie haben Ihre Redezeit
schon überschritten .
({0})
Der Kollege Franke hat auch drei Minuten überzogen .
Dann darf ich auch eine Minute überziehen .
Er hat nicht drei Minuten überzogen .
Es geht um das Arztinformationssystem, das ein wesentlicher Baustein für den Erfolg des AMNOG ist . Denn
wir erleben, dass viele bewertete gute Produkte nicht im
Versorgungsalltag ankommen . Deswegen glaube ich,
dass, wenn es uns gelingt, das Arztinformationssystem
vernünftig auf den Weg zu bringen, dies ein wesentlicher
Baustein dafür sein kann, dass wir eine qualitativ hochwertige Versorgung in der Fläche bekommen, was innovative Produkte angeht .
Wir haben das Thema Arzneimittelversorgung in der
Vergangenheit nur unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit diskutiert .
({0})
Ich glaube, dass es wichtig und richtig ist, dass wir das
Thema auch unter Qualitätsaspekten diskutieren .
Das, glaube ich, sind die spannenden Punkte .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue
mich auf die Beratungen .
Herzlichen Dank .
({1})
Die Frage, ob der eine oder andere auch einmal etwas
länger spricht, ist immer noch die Entscheidung des Präsidiums, und es wird unter allen Fraktionen sehr gleichmäßig verteilt . Es ist nicht Aufgabe des Redners, selber
zu sagen, wie lange er reden darf . Im Normalfall ginge
das jetzt zulasten Ihrer Fraktionskollegen . Darauf will
ich jetzt einmal verzichten .
({0})
- Er war keine Ausnahme . Aber verzichten wir einmal
darauf . Ich wollte auch nicht in die Debatte einsteigen;
sonst hätte ich einiges zu sagen . Aber das passt nicht .
({1})
Jetzt hat die Kollegin Martina Stamm-Fibich,
SPD-Fraktion, das Wort .
({2})
Verehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Hennrich,
zu Anfang sei aber schon der Hinweis gestattet, dass es
damals eine Bundesratsmehrheit der CDU/CSU gab und
dass wir ganz sicher über andere Zeiten sprechen als
heute, was die GKV-Ausstattung angeht . Zur Wahrheit
gehört auch, dass man damals Dinge tun musste, die man
sicherlich nicht gern getan hat .
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Besucher auf den Tribünen, es wurde schon mehrfach angesprochen: Zwei Jahre hat man mit der Pharmaindustrie
verhandelt . Die Bundesregierung hat darüber verhandelt,
medizinische Innovationen fördern zu wollen, und das,
ohne die Ausgaben der Krankenkassen und damit die
Beiträge der Versicherten stark steigen zu lassen . Das
Ergebnis des Dialogs liegt nun in Form des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes vor . Der Gesetzentwurf kommt meiner Meinung nach sowohl der Pharmaindustrie als auch den Krankenkassen entgegen .
So sollen Ärzte in Zukunft über den Zusatznutzen
neuer Arzneimittel für einzelne Patientengruppen besser
informiert werden . Für die Übermittlung der Informationen soll die Praxissoftware der Ärzte genutzt werden .
Das ist meiner Meinung nach grundsätzlich zu begrüßen .
({1})
Aber ich warne davor, dass es sich dabei nicht um einseitige Informationen der Krankenkassen an die Ärzte handeln soll . Eine Vermischung von Arzneimittelinformation und Verordnungssteuerung müssen wir vermeiden .
({2})
Denn die Therapiefreiheit darf unter keinen Umständen
durch das Arztinformationssystem eingeschränkt werden . Wir brauchen Informationen, die beim Verordnen
helfen .
({3})
Ärzte müssen wissen, dass ein Erstattungsbetrag vereinbart ist und somit GKV und Hersteller die Preisverantwortung übernehmen . Aber um das Arztinformationssystem überhaupt umsetzen zu können, müssen wir erst
die entsprechende Telematikinfrastruktur aufbauen . Wir
müssen hier einen Schritt nach dem anderen machen .
Sonst werden wir ins Stolpern kommen . Im weiteren
parlamentarischen Verfahren werde ich mich für eine
entsprechende Änderung einsetzen . Anderenfalls verschenken wir mit dem Arztinformationssystem die große
Chance hin zu mehr Qualität und Transparenz in unserem
Gesundheitssystem .
Neben dem Arztinformationssystem besteht im Bereich der chronischen Erkrankungen dringender Handlungsbedarf . Als Beispiel nenne ich die Versorgung
von Epilepsiepatienten . Seit Einführung des AMNOG
im Jahr 2011 sind alle neuen Epilepsiemedikamente
an der frühen Nutzenbewertung gescheitert . Es handelt
sich dabei um drei verschiedene Wirkstoffe . Zwei dieser Medikamente sind bereits vom deutschen Markt
verschwunden . Der Epilepsie Bundes-Elternverband hat
sich deshalb Mitte des Jahres 2015 mit einer Petition an
den Deutschen Bundestag gewandt . In der Petition wurde
eine Reform des AMNOG gefordert, damit die Versorgung aller therapieresistenten Menschen mit Epilepsie
mit neuen Medikamenten sichergestellt wird . Je größer
die Bandbreite der auf dem Markt existierenden Arzneimittel ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass
Patienten das für sie individuell richtige Medikament
finden und anfallsfrei und selbstbestimmt leben können.
Wir sprechen hier über 800 000 Menschen in diesem
Land . Darunter sind etwa 200 000 Menschen, die therapieresistent sind und keine Anfallsfreiheit erlangen .
Diese Patienten benötigen dringend neue Medikamente .
({4})
Mit dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz haben wir nun die Chance, die Rahmenbedingungen des AMNOG so zu ändern, dass Menschen mit
chronischen Erkrankungen besser versorgt werden . Diese Chance müssen wir nutzen . Seit 20 Jahren verweisen
Experten aber auch auf das Problem der unzureichenden
Arzneimittelversorgung für Kinder und Jugendliche . So
sind etwa 20 Prozent der Arzneimittelverordnungen im
ambulanten und beinahe 70 Prozent der Verordnungen
im stationären Bereich außerhalb einer Zulassung oder
ohne eine formale Zulassung . Bei einem sogenannten
Off-Label-Use treten häufiger unerwünschte Nebenwirkungen auf, die die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen gefährden . Die Arzneimittelsicherheit für Kinder
und Jugendliche muss gestärkt werden .
({5})
Deshalb begrüße ich ausdrücklich den im Gesetz vorgesehenen Evidenztransfer bei Kinderarzneimitteln .
Außerdem begrüße ich die vorgesehene Regelung zu
den Zytostatikaausschreibungen . In vielen Bereichen haben sich Ausschreibungen bewährt . Aber im sensiblen
Bereich der Onkologie sind sie fehl am Platz . Es geht
hier nicht nur um längere Transportwege für die Medikamente . Es geht vor allem um den Patienten und sein
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit mit seinem Arzt
und seinem Apotheker .
({6})
Versorgung muss wirtschaftlich sein, aber nicht billig .
Wohin Ausschreibungen führen können, ist bei der Inkontinenzversorgung deutlich geworden . Liebe Kollegen
von der Union, auch bei Impfstoffen könnten wir über
Ausschreibungen nachdenken .
({7})
Neben dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz beraten wir heute in erster Lesung über das Heil- und
Hilfsmittelgesetz . Als Politiker ist es unsere Aufgabe, die
richtigen Rahmenbedingungen zum Wohle der Patienten
zu setzen . Sowohl mit dem Arzneimittel- als auch mit
dem Hilfsmittelgesetz ist uns hier ein erster guter Aufschlag gelungen .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Der Kollege Tino Sorge, CDU/
CSU-Fraktion, hat jetzt das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Vogler,
mir ist aufgefallen, dass die Fabel, die Sie erzählt haben,
völlig fehl am Platz war . Sie kamen mir vor wie die Prinzessin auf der Erbse,
({0})
- das ist keine Fabel, sondern ein Märchen; da haben Sie
recht -, die immer sagt: Egal was passiert, passiert . Das, was Sie hier gesagt haben, war in vielen Punkten
nichts anderes als ein Märchen . Das ist wirklich schade .
Anlässlich des erst vor kurzem begangenen 27-jährigen Jubiläums des Mauerfalls hätte ich mir gewünscht,
dass Sie auf ein paar positive Aspekte hingewiesen hätten . Gerade im Bereich der Gesundheitswirtschaft sieht
man, wie positiv sich die Entwicklung darstellt . Die Lebenserwartung in den neuen Bundesländern ist durchschnittlich um neun Jahre gestiegen . Bundesweit haben
Männer inzwischen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80 Jahren und Frauen eine von fast 85 Jahren .
Das heißt natürlich auch, dass diese Erfolge aufgrund des
medizinischen Fortschritts vonstattengingen . Insofern
können wir sagen: Das ist ein Erfolg, und da müssen wir
nicht immer alles schlechtreden .
({1})
Wir wissen doch alle, dass damit eine Steigerung der
Anzahl an chronischen Erkrankungen in den Bereichen
Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Beschwerden und
Krebs einhergeht . Der Minister hat es angesprochen: Gerade im Krebsbereich haben wir wirklich hoffnungsvolle
Entwicklungen . Wenn man sich anschaut, wie noch vor
einigen Jahren die Prognose bei vielen Krebsarten war,
stellt man fest: Man hat von kurzzeitigem Überleben gesprochen, wenn überhaupt von Überleben die Rede war .
Heute sind viele Krebsarten heilbar . Es gibt viele Krebsarten, die chronifiziert sind. Aber es gibt natürlich auch
viele Krebsarten, bei deren Behandlung wir noch besser
werden müssen .
Hören Sie doch auf, den Gesundheitsbereich immer
nur als Kostenblock zu sehen, sondern sagen Sie auch
einmal: Das ist ein Bereich, in dem volkswirtschaftliche
Wertschöpfung passiert . Wir reden über 12 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts . Im Automobilbereich kommen
wir nicht annähernd in diese Größenordnung . Dennoch
sagt keiner, der sich dazu äußert: Ein Auto, das angeboten wird, ist zu teuer, und deshalb wollen wir das nicht .
({2})
Wir müssen aufhören, unseren Standort unter Forschungsaspekten schlechtzureden . Wir müssen auch einmal sagen: Gerade das, was wir mit dem AMVSG, dem
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, machen, zeigt,
dass wir gute Punkte in Angriff nehmen . Das Beispiel
„Ausschreibung von Zytostatika“ ist angesprochen worden . Gerade im Bereich der Krebsversorgung hat man erkannt, dass es nicht wirklich sinnvoll ist, Ausschreibungen vorzunehmen . Daher hat man die Ausschreibungen
dort ad acta gelegt . Das heißt, wir legen die Verantwortung denjenigen in die Hände - Ärzten, Apothekern -,
die im besten Kontakt mit den Patienten entscheiden
können, was sinnvoll ist .
Vielleicht noch ein Wort zur Thematik Impfen; sie ist
hier ja angesprochen worden . Frau Stamm-Fibich hat
jetzt den Eindruck erweckt, als seien wir von der Union
da völlig anderer Meinung als Sie . Im Gegenteil: Da haben Sie uns an Ihrer Seite . Wir sind doch völlig beieinander, wenn es darum geht, dass wir darüber reden müssen,
ob wir da gegebenenfalls nachsteuern . Auch Sie kennen
den Grundsatz: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag
heraus, wie er hereingegangen ist . Insofern werden wir
das im Ausschuss noch beraten . Wir werden schauen, ob
es durchaus sinnvoll ist, die Ausschreibungen auf diesem
Gebiet abzuschaffen . Insofern sind wir da doch beieinander .
Liebe Kollegin Kordula Schulz-Asche, ich finde es
immer sehr interessant, wenn Sie auf einige Punkte eingehen und dann hier den Eindruck erwecken, als würde
da überhaupt nichts gemacht, Beispiel Vertraulichkeit des
Preises . Wir haben gesagt: Die Vertraulichkeit des Preises ist wichtig, weil sie Unternehmen im europaweiten
und im internationalen Kontext die Möglichkeit eröffnet,
Spielraum bei den Preisverhandlungen zu haben .
({3})
Das heißt, dass der entsprechende Preis nicht als Referenzpreis herangezogen wird . Daher wundert mich, dass
gerade im Pharmadialog die Landesregierung in Rheinland-Pfalz, an der Rot-Grün beteiligt ist, sagt: „Die Vertraulichkeit des Preises ist wichtig“, während sich die
Grünen hierhinstellen und sagen: Das ist eine Sache, die
wollen wir überhaupt nicht . Das ist eine ganz schlimme
Sache . ({4})
Insofern sollten wir da ein bisschen ehrlicher werden .
Das Thema Umsatzschwelle ist hier angesprochen
worden . Wir müssen da die Kirche im Dorf lassen . Es ist
immer sehr interessant, zu sagen: Na ja, die Pharmaunternehmen sollen zwar forschen; aber sie sollen kein
Geld verdienen . - Es ist hier ja schon mehrfach angeklungen, als es um die Einigung über die Höhe der Umsatzschwelle ging: Darüber werden wir im Ausschuss sicherlich noch miteinander reden . Wenn man sich konkret
anschaut, welche Fälle das betrifft, dann stellt man fest,
dass die Prognosen und die Befürchtungen, die geäußert
worden sind, sich nicht bewahrheitet haben . Wir sollten
uns da ein bisschen ehrlicher machen .
Vielleicht noch etwas zu dem Punkt Transparenz .
Wir alle haben gesagt: Transparenz ist wichtig . - Auch
wir wollen Transparenz . Deshalb schaffen wir mit dem
AMVSG ein Arztinformationssystem, das ermöglicht,
dass jeder Arzt auf digitalem Weg genauer über Zusatznutzen im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens für
neue, innovative Produkte informiert wird . Das ist doch
ein Punkt, den auch Sie einmal positiv ansprechen können . Die Frage der konkreten Ausgestaltung müssen wir
gegebenenfalls noch diskutieren; aber an sich ist das ein
guter Punkt .
Insofern schaffen wir mit dem AMVSG den Spagat
zwischen einer höheren Lebenserwartung, innovativen
Produkten, die schnell in die Regelversorgung eingehen
sollen, und dem Im-Auge-Behalten von Kosten auf der
anderen Seite . Lassen Sie uns im Ausschuss darüber diskutieren . Unser Ausschussvorsitzender wird das in die
richtigen Bahnen leiten . Ich bin da guter Hoffnung .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Interfraktionell wird Überweisung des
Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10208 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({0}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize
Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
50 Jahre Europäische Sozialcharta - Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln
Drucksachen 18/4092, 18/10175
Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .
Ich darf Sie bitten, die Plätze zügig einzunehmen .
Dann gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr . Martin
Pätzold . - Sie sind jetzt dran .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es ist gut, dass wir heute noch einmal abschließend über die Europäische Sozialcharta debattieren
und dass wir das Ganze mit dieser Lesung abschließen
können .
Die Diskussion hat gezeigt, dass die Europäische
Sozialcharta ein historischer Meilenstein war und dass
50 Jahre Europäische Sozialcharta ein guter Anlass war,
auf Wunsch der Linken darüber zu debattieren .
Wir haben uns das erste Mal am 26 . Februar 2015 hier
darüber ausgetauscht . Meine Kollegin Katrin Albsteiger
und ich haben in unseren Reden für die CDU/CSU-Fraktion deutlich gemacht, dass wir selbstverständlich offen
sind, darüber zu diskutieren, bei welcher Möglichkeit es
gegeben ist, die revidierte Fassung zu ratifizieren.
Wir hatten dann am 10 . Juli 2015 eine Anhörung im
Ausschuss für europäische Angelegenheiten . Dort haben
sich unterschiedliche Experten geäußert . Der DGB hat
die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, zu einer Ratifizierung zu kommen . Er hat aber in einzelnen Punkten unsere Kritik, auf die ich nachher noch inhaltlich eingehen
werde, auch bestätigt .
Herr Professor Michael Eilfort von der Stiftung
Marktwirtschaft hat herausgestellt, dass es bei der jetzigen Ratifizierung nicht darum geht, ob man die sozialen
Errungenschaften akzeptiert oder nicht, sondern dass es
dabei wichtig ist, zu schauen, ob wir das auch in nationales Recht übertragen können .
Am 28 . September 2016 haben wir im Ausschuss erneut darüber gesprochen, uns ausgetauscht und das abgelehnt . Wir werden heute diese Entscheidung hier im
Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition treffen .
Gucken wir einmal in die Geschichte: 1964 hat die
Bundesrepublik Deutschland die Sozialcharta ratifiziert.
Das war damals ein wichtiger Schritt, weil man auf der
einen Seite wichtige Rechte definiert und festgehalten
hat, zum Beispiel das Recht auf Arbeit, das Streikrecht
und das Recht auf Gesundheit am Arbeitsplatz . Auf der
anderen Seite war das aber nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für die Staaten des EuTino Sorge
roparates ein wichtiger Punkt für die Entwicklung einer
einheitlichen Sozialpolitik . Das muss man an dieser Stelle deutlich sehen .
1996 war es so weit, dass die Europäische Sozialcharta revidiert wurde . Deutschland hat sie 2007 unterzeichnet, aber bis heute noch nicht ratifiziert.
({0})
33 von 45 Mitgliedstaaten haben das getan und 12 eben
nicht . Die Gründe dafür sind höchst unterschiedlich .
Dazu gehören Staaten wie Spanien, Griechenland und
Großbritannien . Die Gründe sind sehr individuell und,
wie gesagt, sehr unterschiedlich .
Wir haben nun einmal das Credo in der Bundesrepublik Deutschland, dass wir internationale Abkommen nur
dann umsetzen, wenn wir sie glaubwürdig implementieren und das, was dort vereinbart wurde, auch in das deutsche Recht übertragen können .
So haben die Debatten, die wir im Ausschuss geführt
haben - es gab auch eine Anhörung -, die wir hier im
Deutschen Bundestag geführt haben, deutlich gemacht das wird sich auch heute zeigen -, dass wir für die Frage des Diskriminierungsverbots, dafür, wie wir mit dem
Querschnittscharakter umgehen, noch keine vernünftige
Lösung haben .
Der zweite wichtige inhaltliche Punkt - da haben wir
inhaltlich eine andere Auffassung, ganz deutlich, als die,
die beispielsweise von Ihnen in der Debatte vertreten
wurde - ist die Frage: Wie gehen wir mit einem allgemeinen Streikrecht um? Wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland kein Streikrecht für Beamte . Das wollen wir
auch nicht; da haben wir eine ganz klare Überzeugung .
So zeigt sich mit dem heutigen Tag, dass es, glaube
ich, wichtig und richtig war, diese Debatte zu führen .
Aber wir müssen schon feststellen, dass wir an dieser
Stelle noch nicht so weit sind, dass wir die Ratifizierung
vornehmen können . Deswegen werden wir als Unionsfraktion den Antrag der Linken auch ablehnen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank . - Jetzt darf die Linke mit Andrej Hunko
darauf antworten .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es gab mal eine Zeit, in der Deutschland - der
Bundestag, die Bundesregierung - bei der Ratifizierung
internationaler Sozialverträge Vorreiter war, zum Beispiel
bei der Europäischen Sozialcharta in den 1960er-Jahren - 1965 ist sie in Kraft getreten - oder auch bei den
ILO-Kernarbeitsnormen; damals war Deutschland Vorreiter . Mittlerweile ist die Bundesrepublik Bremser und
Schlusslicht . Das ist eine sehr traurige Entwicklung, die
wir deutlich kritisieren müssen .
({0})
Die Europäische Sozialcharta und ihre Weiterentwicklung in der revidierten Fassung ist die wichtigste Verankerung sozialer Rechte in einer internationalen Konvention .
1965 ist die Europäische Sozialcharta in Kraft getreten,
nachdem Deutschland sie als fünftes Land ratifiziert hatte . Wir hatten vor anderthalb Jahren eine Debatte zum
50 . Jahrestag . 1996 ist die revidierte Sozialcharta entwickelt worden, und 1999 ist sie in Kraft getreten . Das ist
jetzt fast 20 Jahre her . 2007, 8 Jahre nach Inkrafttreten,
hat die Große Koalition von SPD, CDU und CSU diese
revidierte Sozialcharta unterzeichnet . Jetzt, wiederum
fast 10 Jahre später, ist sie immer noch nicht ratifiziert.
Ich finde, das ist ein Armutszeugnis und das falsche Signal in die Welt .
({1})
Wenn ich mir die Begründung anschaue, sehe ich: Es
kommt immer das Argument: Wir wollen nicht so wie
andere Staaten die Sozialcharta einfach nur ratifizieren Russland oder Aserbaidschan werden dann als Beispiel
erwähnt -, sondern wir wollen sie auch wirklich umsetzen . - Aber der Grundgedanke dieser Konvention ist
nicht nur die Ratifizierung, sondern auch die Schaffung
von Umsetzungsinstrumenten . Dazu gibt es zum Beispiel
Zusatzprotokolle wie das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden. Ich finde, hier sollten wir Vorreiter sein
und nicht hinterherhinken, uns nicht hinter anderen Staaten verstecken, in denen zugegebenermaßen die soziale
Entwicklung schlechter ist, obwohl sie ratifiziert haben.
Ein weiteres Argument - Sie haben es gebracht, Herr
Pätzold - ist das mit dem Beamtenstreikrecht . Auch das
kam in der Anhörung zur Sprache . Das Beamtenstreikrecht leitet sich - jedenfalls nach Ansicht des Experten,
der da geredet hat - schon aus der ursprünglichen Sozialcharta ab . Es gibt im Augenblick auch entsprechende
Prozesse von der GEW, die in diese Richtung gehen . Das
hat mit der revidierten Fassung erst einmal nichts zu tun .
Dann kommt als Argument das sogenannte Diskriminierungsverbot . Da frage ich mich, wie man es in 20 Jahren nicht schaffen kann, eine entsprechende Umsetzung
in die nationale Gesetzgebung zustande zu bringen . Mir
ist das völlig unverständlich . Das ist eine Argumentation,
die sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD an
den Tag gelegt wurde .
Sie haben vorhin gesagt, Herr Pätzold: Wir können
das Kapitel jetzt abschließen . - Das werden wir nicht
abschließen können . Wenn in dieser Legislaturperiode
nicht ratifiziert wird, bleibt die Situation, dass Deutschland unterschrieben hat und irgendwann ratifizieren wird.
Wir werden weiter nerven . Ich denke, es ist gerade in
der gegenwärtigen Zeit angesichts der Desintegrationstendenzen, die es gibt und die zum Teil politische Gründe
haben, wichtig, dass die sozialen Rechte auf europäischer
Ebene gestärkt werden . Die Sozialcharta, ihre revidierte
Form und die Zusatzprotokolle sind das wichtigste InstDr. Martin Pätzold
rument . Ich denke, wir sollten sie stärken und hier nicht
weiter hinterherhinken .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Angelika Glöckner .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich nehme es gleich vorweg: Ich bin sehr
froh, nach einem Tag wie gestern in diesem Hause über
die Europäische Sozialcharta zu debattieren; denn wir
reden heute hier über ein verbindliches Abkommen, das
der Bevölkerung umfassende soziale Rechte garantiert .
Das ist sehr wichtig; denn je mehr Menschen sich in einer Gesellschaft aufgenommen, wertgeschätzt und integriert fühlen, desto größer ist ihr Zusammenhalt . Wenn
Menschen sich abgehängt fühlen oder perspektivlos sind,
dann kann dies dazu führen, dass sie ihr Vertrauen jenen schenken, die mit großen, vollmundigen Sprüchen
schnelle Lösungen propagieren . Ich glaube schon, dass
dies auch in Amerika ein wesentlicher Punkt dafür war,
der letztlich zum Wahlsieg Donald Trumps geführt hat und das, obwohl er einen sehr aggressiven und populistischen Wahlkampf geführt hat .
Mit Blick auf unser Land ist es mir wichtig, diese Debatte heute zum Anlass zu nehmen, den Menschen hier
aufzuzeigen, dass zur Stärkung ihrer sozialen Rechte in
dieser Legislatur, in dieser Koalition und unter maßgeblicher Beteiligung meiner Fraktion, der SPD, bereits einiges auf den Weg gebracht wurde . Beispielhaft möchte ich
aufführen die Rente mit 63, verbesserte Pflegeleistungen
für Betroffene und ihre Angehörigen oder auch die Frauenquote . Es werden weitere Schritte folgen . Ich denke da
etwa an das Lohngerechtigkeitsgesetz oder Regelungen
zur Stärkung Alleinerziehender .
Jede dieser Maßnahmen unterstützt den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in unserem Land. Ich finde
schon, dass es angebracht ist, darauf hinzuweisen, dass
sich die Ergebnisse sehen lassen können: niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung, die Renten
sind kräftig gestiegen, wir haben gute und stabile Wirtschaftszahlen . Mit Blick auf die Zukunft kann das nur bedeuten, dass wir genau diesen Weg der Stärkung der sozialen Menschenrechte konsequent weitergehen müssen .
({0})
Genauso konsequent ist es natürlich auch, die Europäische Sozialcharta als umfassendes Regelwerk an
gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen . Der Antrag der Linken zielt darauf ab, die Bundesregierung
aufzufordern, einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der
überarbeiteten Form der Europäischen Sozialcharta vorzulegen . Ich sage ganz deutlich: Die Tatsache, dass die
Bundesregierung die erneuerte Fassung - Sie haben das
erwähnt - schon 2007 unterschrieben und damit natürlich
auch akzeptiert hat, und auch die Tatsache, dass damit
eine Stärkung der sozialen Menschenrechte einhergeht,
lassen gar nichts anderes als eine Ratifizierung zu.
Ich sage aber auch, dass ich Ihren Antrag für nicht
zustimmungsfähig halte, weil er in der Sache nicht
schlüssig ist . Beispielsweise wird darauf verwiesen, dass
Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme,
etwa weil das Streikrecht nach wie vor nur auf das Erreichen eines Tarifabschlusses ausgelegt sei oder, wie Sie es
auch angeführt haben, nicht für Beamtinnen und Beamte
geöffnet sei .
Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Ich
war an unzähligen Streiks zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten beteiligt und habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir gerade in Deutschland eine
sehr gute Streikkultur haben, nämlich Einsatz für Arbeitnehmerrechte, ohne dadurch gleich den ganzen Staat
durch Generalstreik - nichts anderes steckt dahinter lahmzulegen .
Das gilt auch für das Beamtenrecht bzw . für das
Streikrecht für Beamtinnen und Beamte . Hier sind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen; denn was würden
Sie den Leuten auf der Straße erzählen, wenn bei einem
Amoklauf, einem Anschlag oder auch bei einem Verkehrsunfall nicht ganz schnell genügend Einsatzpersonal
verfügbar wäre, weil ein Teil der Beamtenschaft gerade
im Streik ist?
Genauso wichtig finde ich auch, dass beitragsfinanzierte Sozialsysteme breit aufgestellt und abgesichert
sind, bevor man aus einem generellen Gleichbehandlungsgebot heraus einem nicht abschätzbaren Personenkreis uneingeschränkt Zugriffe gewährt, die zur Überlastung unserer Beitragssysteme führen würden . Das,
verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann
doch nicht in Ihrem Sinne sein, und schon gar nicht kann
es im Interesse unserer Bevölkerung sein .
({1})
Ich finde es daher auch sehr wichtig und richtig, dass die
Bundesregierung an solch wichtigen Punkten noch einmal genauer hinschaut .
In Ihrem Antrag wird auch der Umstand nicht deutlich,
dass wir trotz des noch andauernden Prüfungsprozesses
fortwährend überall da, wo soziale Rechte umgesetzt
werden können, bereits vieles tun . Ich denke etwa an den
Mindestlohn, das Elterngeld Plus oder das Bundesteilhabegesetz, das die Rechte vieler behinderter Menschen
stärken wird. Wenn Sie heute Ratifizierung einfordern,
dann frage ich mich schon: Wer oder was hindert Sie daran, all diese Gesetzentwürfe ganz selbstverständlich zu
unterstützen, die doch die sozialen Rechte von Menschen
in unserem Land sehr deutlich stärken?
Ebenso halte ich es für sehr schwierig, dass Sie in
Ihrem Antrag Deutschland und Länder wie die Türkei,
Russland, Ungarn oder Aserbaidschan in einem Atemzug nennen . Sie verweisen darauf, dass all diese Länder
die überarbeitete Sozialcharta bereits ratifiziert haben,
Deutschland hingegen nicht . So weit, so richtig . Was Sie
aber nicht sagen, ist, dass bei all diesen Ländern die Listen der Rechtsverletzungen immer länger werden .
({2})
Das zeigt doch, dass allein eine Ratifikation nichts
nützt, wenn es am Ende bei bloßen Lippenbekenntnissen
bleibt . Gute Sozialpolitik äußert sich darin, dass bei der
Bevölkerung etwas ankommt, und nicht, dass auf einem
Stück Papier etwas steht, was am Ende nicht umgesetzt
werden kann . Bloße Versprechungen, die am Ende unerfüllt bleiben - das wissen Sie genauso gut -, erzeugen
nur Frust . Das ist mit der SPD nicht zu machen .
({3})
Auch wenn ich heute empfehle, den Antrag der Linken abzulehnen, so freut es mich dennoch, dass Sie mit
Ihrem Antrag heute die Gelegenheit eröffnet haben, in
diesem Hohen Haus über den hohen Wert der sozialen
Menschenrechte zu debattieren . Ich verbinde es, wie
beim letzten Mal, einmal mehr mit der Empfehlung an
die Bundesregierung, dem Bundestag zeitnah einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung vorzulegen.
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn . Bitte schön .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben diesen Antrag bereits am 26 . Februar 2015
hier im Plenum diskutiert . Das ist deutlich über anderthalb Jahre her . Ich habe mir noch einmal das Protokoll
vorgenommen . Frau Glöckner, Sie haben es damals
schon ähnlich gesagt . Sie haben Ihre Rede damit beendet, nachdem Sie gesagt haben, dass noch Dinge geprüft
werden müssen:
Diese Zeit möchte ich der Regierung und vor allem
auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Führung meiner Kollegin Andrea Nahles
zugestehen .
Dann kommt der letzte Satz:
Am Ende dieser Prüfung muss aber noch in dieser
Legislaturperiode ein Ergebnis stehen .
„Muss“ - die Legislaturperiode geht langsam zu Ende,
es wird allmählich Zeit, dass Sie diesem Parlament etwas
vorlegen .
({0})
Es reicht nicht, es bei Lippenbekenntnissen zu belassen .
Zur sozialen Situation in Deutschland reicht es nicht, aufzuzählen, was man gemacht hat, sondern wichtig ist, was
am Ende herauskommt . Im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht wird wahrscheinlich sehr deutlich, dass in
Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich weiterhin auseinanderklafft, dass in Deutschland weiterhin
Millionen Kinder in Armut leben, dass die Altersarmut in
Deutschland steigt . Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun .
Da darf man sich nicht rausreden und es nicht schönreden . Das reicht an dieser Stelle nicht, sondern man muss
etwas tun .
({1})
Das gilt auch für die sozialen Menschenrechte und ein
soziales Europa . Wir müssen als Deutschland eigentlich
Vorreiter sein und nicht Schlusslicht . Es reicht nicht aus,
wenn man, wie es die Bundesministerin macht, in Sonntagsreden oder in einem Gastbeitrag über das soziale
Europa redet, sondern man muss Butter bei die Fische
geben und tatsächlich voranschreiten . Das fängt bei uns
zu Hause an . Wir behandeln morgen zum Beispiel einen
Gesetzentwurf, mit dem der Zugang zu Sozialleistungen
für Unionsbürgerinnen und -bürger wiederum drastisch
eingeschränkt wird . Das geht genau in die falsche Richtung; das ist das falsche Signal .
({2})
Wir müssen da in die andere Richtung gehen . Wir brauchen eine bessere Sicherung, wir brauchen mehr soziales
Europa .
Ich komme zu Vereinbarungen in der EU und erinnere an den EU-2020-Prozess, in dem ein Armutsbekämpfungsziel vereinbart worden ist . Die Bundesregierung
stellt sich einfach hin und sagt: Die dort festgelegten Armutsindikatoren kümmern uns nicht; wir wählen einen
eigenen Indikator . - Wir müssen uns auch an die Vereinbarungen in der Europäischen Union halten . Auch da
wünschte ich mir, dass Deutschland Vorreiter und nicht
Schlusslicht wäre ({3})
ganz abgesehen von vielen anderen Maßnahmen auf
europäischer Ebene, beispielsweise endlich dafür zu
sorgen, dass es eine Mindesteinkommensrichtlinie oder
Mindeststandards in den sozialen Sicherungssystemen
gibt . All das taucht in Reden immer mal wieder auf - in
der praktischen Politik fehlt es .
Die Probleme sind natürlich nicht allein durch die Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta zu lösen; da
haben Sie völlig recht . Aber was ist das für ein Signal,
dass wir die revidierte Fassung nach 20 Jahren immer
noch nicht ratifiziert haben? Was sagen wir der Türkei
und Russland, die sie ratifiziert haben, aber die Rechte
nicht umsetzen? Wir haben doch überhaupt kein Argument, wenn wir sagen: Ihr setzt das nicht um . - Die
können dann doch sagen: Ja, ihr ratifiziert das noch nicht
mal . - Es würde doch eine Stärkung unserer Position bedeuten, wenn wir das endlich machten - deswegen noch
einmal der Appell . Es wäre ein starkes Symbol, wenn wir
das noch in dieser Legislaturperiode hinbekämen . Ich
richte die dringende Aufforderung an die Bundesregierung, an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
etwas vorzulegen, damit wir die revidierte Europäische
Sozialcharta endlich ratifizieren können.
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Die Debatte schließt jetzt Katrin
Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion, ab . Bitte schön .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir schauen in den Kalender und sehen, es ist November . Und wie es so ist: Wenn
die kalte und dunkle Jahreszeit kommt, dann wirft das
Weihnachtsfest seinen Schatten voraus, dann erblickt
man in den Fenstern vielleicht wieder Lichtlein, die da
leuchten, dann sieht man in Geschäften, in Supermärkten möglicherweise wieder Spekulatius oder auch Dominosteine - die sind übrigens sehr lecker . Bald läuft auch
in den Geschäften wahrscheinlich wieder diese Musik,
die Weihnachtshits, die wir alle kennen . Wie komme ich
jetzt darauf? Weil ich beim Durchlesen dieses Antrags irgendwie an den Weihnachtshit Alle Jahre wieder denken
musste .
Und so finden wir uns heute hier ein und behandeln
einen Antrag, den wir in genau dieser Fassung, mit exakt
diesem Wortlaut, vor über einem Jahr schon einmal hier
diskutiert haben .
({0})
Auch damals hatte ich schon die Möglichkeit, im Plenum
darüber zu sprechen, und ich habe mir, ehrlich gesagt,
bei der Vorbereitung dieser Rede durchaus Gedanken darüber gemacht, ob ich es nicht einfach der Fraktion Die
Linke gleichtue - im Übrigen liegt mir das ansonsten
sehr fern -, meine Rede aus der Mottenkiste hole und
exakt dieselbe Rede noch einmal halte; denn irgendwie
hat sich ja nicht allzu viel verändert, seitdem wir das letzte Mal darüber diskutiert haben .
({1})
Insofern könnte man sagen: Wir machen daraus eine
schöne Tradition und reden jedes Jahr wieder darüber,
so wie wir es auch mit dem alljährlichen Schauen der
Feuerzangenbowle machen . Aber ich will kein Spielverderber sein . Zumindest gibt es uns die Gelegenheit, heute
über dieses wichtige Thema durchaus ganz ernsthaft zu
diskutieren .
Als Ergänzung zur Europäischen Menschenrechtskonvention wurde die Europäische Sozialcharta als völkerrechtlicher Vertrag im Jahr 1965 ratifiziert und ergänzt
seitdem die Europäische Menschenrechtskonvention . Sie
ist ein ganz wichtiges Dokument, um die sozialen Grundrechte zu garantieren .
Was sind die sozialen Grundrechte? Da gibt es viele
Dinge, bei denen wir uns in diesem Haus wahrscheinlich
relativ schnell darüber einig sind, dass sie wichtig sind,
sei es zum Beispiel das Recht auf Gesundheitsschutz für
Arbeitnehmer, sei es die berufliche Ausbildung für Behinderte, oder seien es beispielsweise auch gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen .
Genauso verhält es sich natürlich mit dem, was neu
vorgelegt worden ist: Die revidierte Fassung, die wir, wie
wir alle wissen - denn darüber diskutieren wir heute -,
noch nicht ratifiziert haben, ergänzt die Charta durchaus
auch um wichtige Rechte - da sind wir wahrscheinlich
einer Meinung -, beispielsweise um das Recht auf Arbeitslosenunterstützung oder auch den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz .
Aber es ist nun mal so - Frau Kollegin Glöckner hat
es ausgeführt -: Der Antrag als solcher - Sie haben die
Argumente genannt - ist auf der einen Seite nicht zustimmungsfähig . Auf der anderen Seite ist es auch so,
dass wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle - sei
es das Streikrecht, sei es das Diskriminierungsverbot schon Bedenken haben, dass es in der Fassung, in der es
da steht, ratifizierbar ist. Wir wollen ja auch glaubwürdig
sein . Wenn das Ministerium an dieser Stelle prüft und irgendwie eine Lösung zu finden versucht, dann sollte das
doch in unser aller Interesse sein . Ob am Ende eine Ratifizierung in dieser Legislaturperiode steht, ganz ehrlich,
das kann ich Ihnen nicht sagen . Dafür ist dann die Bundesregierung zuständig . Aber wir können kein Interesse
an einer voreiligen Umsetzung haben,
({2})
daran, so halbwegs zu sagen: Im Großen und Ganzen
stimmen wir dem zu . Das haben wir im Übrigen mit der
Unterschrift getan. Aber wenn es um die Ratifizierung
geht, dann darf man schon mal ganz genau hinschauen .
({3})
Wir hatten im Übrigen in den letzten Jahren auch
schon so ein Thema, beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz . Bei diesem Antidiskriminierungsgesetz
ist uns ein Fehler unterlaufen . Das muss an dieser Stelle
nicht wieder passieren . Da musste nachgebessert werden,
weil im Eifer des Gefechts und des guten Gedankens hinsichtlich dessen, was hier ratifiziert werden sollte, vielleicht nicht so ganz genau hingeschaut werden konnte .
Bei der Frage des Diskriminierungsbegriffs und des
Streikrechts - mein Kollege hat die Argumente bereits
ausgeführt - geht es letzten Endes wirklich darum, eine
echte Lösung für das Problem zu finden, das hier auf dem
Tisch liegt . Da sind wir Deutschen vielleicht etwas überkorrekt . Da kann man uns nicht einfach mit Ländern in
einen Topf werfen wie die Türkei - darüber haben wir
heute schon ausgiebig diskutiert - oder Aserbaidschan
oder Russland . Wir sind halt anders . Man kann nicht alle
Länder über einen Kamm scheren . So kann man auch
nicht einfach sagen, jedes Land geht mit so einer Ratifizierung oder so einer Charta gleich um. Genau deshalb
ist ja die Liste der Rechtsverletzungen und der Kritik bei
anderen Ländern so lang und bei uns so kurz .
Wenn man Ihren Antrag anschaut, dann bekommt man
so ein bisschen den Eindruck, wir wären in Deutschland
ganz fürchterlich, was das Thema Sozialschutz angeht .
Dabei sind wir ein gutes Vorbild . Wir in Deutschland
sind international ein Synonym für gute soziale Rechte
und für ein gutes soziales Klima . Wir sind Vorreiter .
Was Sie wollen, wollen Sie nur mit einem Symbol
einer Ratifizierung und offensichtlich nicht durch echte
Politik .
({4})
Da haben wir Themen wie beispielsweise das Mutterschutzrecht . Da haben wir Themen wie den Kündigungsschutz . Wir haben das Thema Arbeitsschutzrecht . Das
sind alles wichtige Themen . Da sind wir ganz weit vorne
in Europa . Deswegen glaube ich, dass wir an dieser Stelle
vielleicht eher auf dem Weg nach praktikablen Lösungen
sein sollten. Wie gesagt, ob zum Schluss die Ratifizierung steht, kann ich Ihnen nicht sagen . Möglicherweise
treffen wir uns in der nächsten Legislaturperiode wieder
hier und singen dann gemein das Lied Alle Jahre wieder .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „50 Jahre Europäische Sozialcharta - Deutschlands
Verpflichtung einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10175, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4092 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission
in Südsudan ({0}) auf Grundlage der
Resolution 1996 ({1}) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und
Folgeresolutionen, zuletzt 2304 ({2}) vom
12. August 2016
Drucksache 18/10188
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat der Staatsminister Michael Roth .
({4})
Guten Abend . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Menschen unseres Nachbarkontinents
Afrika sehnen sich nach Frieden und nach Stabilität . Wir,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten ihnen dabei, so
gut es geht, helfen; denn schließlich profitieren auch wir
in Europa davon. Jeder Konflikt in Afrika treibt mehr
Menschen in die Flucht und verstärkt damit auch die
Fluchtbewegung nach Europa über das Mittelmeer, und
was das für viel zu viele Menschen bedeutet, das wissen
wir leider nur allzu gut .
Einer dieser Brennpunkte in Afrika bleibt Südsudan .
Dort haben sich die Hoffnungen leider nicht erfüllt, die
wir vor einem Jahr in das Friedensabkommen gesetzt
haben . Ganz im Gegenteil: Im Juli mussten wir heftige Kämpfe in der Hauptstadt Juba beobachten, die mit
massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts einhergingen . Dabei kam es zu
zahlreichen Verbrechen und zu sexueller Gewalt gegen
Zivilisten - und das mitten im Zentrum der Hauptstadt .
Die neuerliche Eskalation der Gewalt hat einmal mehr
ins öffentliche Bewusstsein gerückt, wie sehr die Menschen im Südsudan seit langem unter diesem furchtbaren
Konflikt leiden. Die Zahlen sprechen für sich: Bei rund
12,5 Millionen Einwohnern gibt es 1,6 Millionen Binnenvertriebene und mehr als 1 Million Flüchtlinge in den
Nachbarstaaten . 6 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 4,8 Millionen Menschen
auf Nahrungsmittelhilfe . Und auch die politische Lage
gibt keinerlei Anlass zur Hoffnung .
Von einer wirksamen Umsetzung des Friedensabkommens von 2015 sind wir weit entfernt . Wir sehen bisher
zwar keine Rückkehr zu einem Bürgerkrieg - den hatten
wir schon, und das Land wurde furchtbar erschüttert -,
wir beobachten aber eine schleichende Zunahme lokal
begrenzter Kämpfe .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau in diesem
schwierigen Umfeld ist die Friedensmission der Vereinten Nationen UNMISS tätig, an der sich derzeit auch
15 deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligen . Ich
will Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit gegenüber
nichts beschönigen: Es hat in den vergangenen Monaten aus guten Gründen eine sehr kritische Debatte über
UNMISS gegeben; denn es hat bei der Mission Fehler
und schwere Versäumnisse gegeben, die umfassend aufgeklärt werden müssen .
Eine unabhängige Untersuchungskommission hat
UNMISS in ihrem jüngsten Bericht harsch kritisiert .
Demnach war die Mission auf die Krise im Juli nicht ausreichend vorbereitet, sodass in der Stunde der Not kein
Blauhelmsoldat zur Stelle war . Die Vorwürfe - und viele
von ihnen werden sich damit intensiv beschäftigt haben sind gravierend und erschütternd . Generalsekretär Ban
Ki-moon hat das genau so ausgedrückt und umgehend
den militärischen Leiter der Mission seines Amtes entbunden . Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird
alleine nicht genügen .
Der Untersuchungsbericht enthält eine Vielzahl konkreter Vorschläge, wie die Mission künftig besser aufgestellt werden kann . Der Generalsekretär Ban Ki-moon
hat selbst zugesagt, diese Pläne entschieden voranzutreiben . Klar ist: Das oberste Ziel der Mission muss stets
der Schutz der Zivilisten sein . Das hat auch der UN-Sicherheitsrat bei der letzten Verlängerung des Mandats
am 12 . August 2016 verlangt, und das erwarten auch wir,
wenn wir unsere Beteiligung an UNMISS fortsetzen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verdient Respekt, mit welcher Transparenz und Schonungslosigkeit
die Vereinten Nationen eigene Defizite offengelegt und
die notwendigen Konsequenzen gezogen haben . Klar
ist aber auch: Wenn die Hilfeleistenden Fehler machen,
dann mindert das in keinster Weise die Verantwortung
der Täter . Verantwortlich für die Kampfhandlungen und
Gräueltaten sind die Konfliktparteien, und damit auch die
südsudanesische Regierung .
Nach wie vor legt Südsudan UNMISS viele Steine in
den Weg . Immer wieder wird die Mission in ihrer Bewegungsfreiheit unzulässig eingeschränkt, immer wieder
werden humanitäre Helfer und Nichtregierungsorganisationen in ihrer Arbeit behindert . Das ist nicht akzeptabel
und muss beendet werden .
({0})
Es ist genauso inakzeptabel, dass, während der Sicherheitsrat am 12 . August 2016 die Verstärkung von
UNMISS um eine regionale Schutztruppe mit bis zu
4 000 Mann beschließt, die Regierung des Südsudan
eine unverantwortliche Hinhaltetaktik verfolgt - und das
wieder einmal auf Kosten der Zivilbevölkerung . Wir unterstützen die Vereinten Nationen in ihrer Aufforderung
an die Regierung in Juba: Die Regierung muss jetzt ihr
Einverständnis geben, dass die Sicherheitsratsresolution 2304 vollständig umgesetzt werden kann, damit
UNMISS endlich effektiv arbeiten und auch verstärkt
werden kann .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt fragen Sie sich
vielleicht, welche Rolle UNMISS und unsere Soldatinnen und Soldaten in dieser Lage spielen können . Die
Antwort gibt die notleidende Zivilbevölkerung im Südsudan selbst . Immer mehr Menschen - mittlerweile sind
es über 200 000 - sind in die Schutzzonen der Vereinten
Nationen geflüchtet. Allein seit dem Sommer dieses Jahres ist die Zahl nochmals um 30 000 gestiegen . Diese
Menschen setzen ihre ganze Hoffnung darauf, dass wir
UNMISS gemeinsam stärken, damit die Mission ihre
Aufgaben künftig besser erfüllen kann . Sie setzen ihre
Hoffnung darauf, dass die internationale Gemeinschaft
den Druck auf Südsudan und alle Konfliktparteien, zu
einem politischen Friedensprozess zurückzukehren, aufrechterhält .
Es geht darum, dass wir Südsudan nicht schon fünf
Jahre nach seiner Unabhängigkeit aufgeben und im
Stich lassen . Dass wir das nicht tun, dafür stehen auch
die 35 Millionen Euro, die Deutschland in diesem und
im vergangenen Jahr für humanitäre Hilfsprojekte zur
Verfügung gestellt hat . Dafür steht unsere Entwicklungszusammenarbeit, die wir, soweit das überhaupt möglich
ist, fortsetzen . Mit insgesamt 84 Millionen Euro sorgen
wir dafür, die unmittelbaren Folgen des Bürgerkriegs zu
lindern .
Mein Dank gilt den Soldatinnen und Soldaten, die im
Südsudan unter wahrlich schwierigen Bedingungen im
Einsatz sind .
Mit der Mandatsverlängerung setzen wir aber auch ein
politisches Signal . Wir stärken UNMISS in schwierigen
Zeiten den Rücken und unterstützen damit die weitere
Stabilisierung des Südsudan . Deshalb meine Bitte an Sie:
Machen Sie mit! Ich weiß, es ist nicht ganz einfach, aber
Sie können es aus guter Überzeugung tun .
Danke schön .
({2})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der
Kollege Niema Movassat das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich
den Südsudan kurz vor seiner Unabhängigkeit 2011 besuchte, war im Land die Hoffnung auf eine friedliche und
bessere Zukunft groß . Doch schon damals haben viele
Experten gewarnt: Falle erst einmal der Sudan als Feind
weg, würden im Südsudan heftige interne Konflikte ausbrechen . Die internationale Gemeinschaft hat damals
diese Warnungen ignoriert . Das war ein schwerer Fehler .
Seit drei Jahren tobt ein brutaler Machtkampf im Südsudan zwischen dem Präsidenten und seinem früheren
Vizepräsidenten . Die Bilanz ist verheerend: 50 000 Tote,
2 Millionen Flüchtlinge, fast die Hälfte der Bevölkerung
des Südsudan ist von Hunger bedroht .
Die Antwort der internationalen Gemeinschaft auf
diese schreckliche Lage ist der UNMISS-Einsatz . Aber
UNMISS versagt bei einer seiner zentralen Aufgaben,
dem Schutz der Zivilbevölkerung . Deshalb war und ist
UNMISS das falsche Instrument, um die Krise im Südsudan zu bewältigen .
({0})
Ein Beispiel: Im Februar dieses Jahres eskalierte in
einem Lager für Binnenflüchtlinge in Malakal die Gewalt zwischen Mitgliedern verschiedener ethnischer
Gruppen . Regierungssoldaten beteiligten sich an den
Gewaltexzessen . Bis zu 65 Menschen wurden getötet .
29 000 Menschen flohen. Ein Bericht von Ärzte ohne
Grenzen stellt fest: UNMISS hat völlig versagt . Weder
gab es präventive Sicherheitsmaßnahmen noch eine Notfallreaktion auf den Gewaltausbruch .
Und vor wenigen Tagen sorgte ein UN-Bericht für neue
Negativschlagzeilen . Demnach sahen UNMISS-Soldaten
oft tatenlos zu, während vor ihren Augen Frauen vergewaltigt, Menschen gefoltert und Kinder ermordet wurden . UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich angesichts des Berichts tief erschüttert über das Verhalten
seiner eigenen Leute .
Fakt ist: Die Präsenz von 12 000 UN-Blauhelmsoldaten konnte die Gewalt im Südsudan nicht stoppen .
Gleichzeitig verschlang sie ungeheure Finanzmittel .
Allein zwischen Juli 2013 und Juni 2014 kostete der
UNMISS-Einsatz circa 1 Milliarde US-Dollar .
Wir als Linke werden deshalb die Verlängerung und
die Ausweitung des UNMISS-Mandates ablehnen . Es ist
absurd und verantwortungslos, einen Militäreinsatz, der
versagt hat und extrem kostspielig ist, fortzuführen .
({1})
Stattdessen brauchen wir eine Stärkung ziviler Friedensmaßnahmen . Sie sind wirkungsvoller und kosten nur
einen Bruchteil dessen, was der Einsatz von Soldaten
kostet .
Bereits 2014 haben wir beantragt, die nicht verbrauchten Mittel für UNMISS im Bundeshaushalt - immerhin
waren das damals 1 Million Euro - für den unbewaffneten Schutz von Zivilisten und für präventive Friedensarbeit einzusetzen . Sie, die Regierungsfraktionen, haben
damals diesen Antrag abgelehnt . Sie waren der Ansicht,
dass zivile Maßnahmen die Bevölkerung nicht schützen
würden . Doch die Realität ist eine andere: Es gibt beeindruckende zivile Projekte von Nichtregierungsorganisationen im Südsudan, denen es immer wieder gelingt,
bewaffnete Angriffe auf Zivilisten zu stoppen - und das
ohne Waffengewalt .
({2})
Deshalb ist unsere erste Kernforderung: Ziehen Sie die
Konsequenzen aus dem Versagen des Blauhelmeinsatzes,
beenden Sie die deutsche Beteiligung an UNMISS, und
fördern Sie stattdessen zivile Friedensmissionen und die
Flüchtlingshilfe!
({3})
Zweitens . Setzen Sie die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit dem Südsudan aus! Das Regime von
Präsident Kiir überzieht das Land mit Blut und Gewalt
und bereichert sich gleichzeitig skrupellos . Während er
und seine Gegner oft im Ausland im Luxus leben, leidet
die eigene Bevölkerung . So ein Regime darf kein Partner
der Bundesregierung sein .
({4})
Das gilt auch - damit bin ich bei meiner dritten Forderung - für die Zusammenarbeit in Migrationsfragen . Ich
finde es ungeheuerlich, dass der Südsudan immer noch
Teil des GIZ-Vorhabens „Better Migration Management“
ist . Man macht sich mitschuldig an den Verbrechen eines
Regimes, wenn man mit diesem im Bereich der Migrationsabwehr und der Grenzsicherung kooperiert . Beenden
Sie das!
Danke für die Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Michael Vietz, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle kennen Sisyphos . Der ewige Versuch, einen
Felsen auf einen Hügel hochzuwuchten, könnte im Südsudan geradezu Pate gestanden haben, vor allem, wenn
man den hoffnungsvollen Beginn von vor fünf Jahren
noch im Hinterkopf hat . Aber wegzuschauen, wegzubleiben, Südsudan seinem Schicksal zu überlassen, ist keine
Option . Gerade jetzt ist unsere Beteiligung an der von
der UNO geführten Friedensmission notwendiger denn
je . Es geht um den Kernauftrag der Mission: den Schutz
der Zivilbevölkerung und die Wiederbelebung des Friedensprozesses .
Die schweren Unruhen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositionsgruppen im Juli haben vor allem die Hauptstadtregion
um Juba erschüttert . Die eskalierende Gewalt richtete
sich gegen Zivilsten, auch gezielt gegen Mitarbeiter von
Hilfsorganisationen . Der Friedensprozess bleibt brüchig .
Zugleich ist aber das internationale Engagement, unser
Engagement, weiterhin notwendig .
Die humanitäre Situation im Südsudan ist dramatisch;
wir haben es gehört: Rund 5 Millionen Menschen, etwa
die Hälfte der Bevölkerung, sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen . Im Land selbst sind etwa 1,6 Millionen
Binnenflüchtlinge unterwegs. 1 Million sind in die Nachbarländer geflüchtet. Schätzungen der Kinderhilfswerke
gehen davon aus, dass nur etwa die Hälfte der Neugeborenen den ersten Monat überlebt . Auch die Müttersterblichkeitsrate ist weltweit die höchste . So, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Fluchtursachen aus .
Kann sich wirklich jemand die Beilegung des Konflikts mit all seinen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung ohne ein intensives Engagement der internationalen
Gemeinschaft auf vielfältige Art und Weise vorstellen?
Ich nicht . Das mühsam zustande gekommene Friedensabkommen vom August 2015 braucht zur Umsetzung
und Einhaltung internationale Unterstützung . Auch in
Zukunft werden wir hier mit Rat und Tat zur Seite stehen .
Hinzu kommen die internen Vorwürfe - Staatsminister Roth hat es ausführlich ausgeführt - von Führungsmängeln und Versäumnissen gegen den größten Truppensteller von UNMISS . Gerade deshalb bleibt es aber
richtig und wichtig, dass wir die Mission im Südsudan
auch weiterhin begleiten .
({0})
Seit ihrem Beginn hat Deutschland die Mission mit Stabspersonal unterstützt, das Führungs-, Beratungs- und Beobachtungsaufgaben wahrnimmt .
Herr Kollege Vietz, ich muss Sie unterbrechen . Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?
Ich finde, sie kann nachher eine Kurzintervention machen; es gibt da ja viele Möglichkeiten .
({0})
Okay .
Hinzu kommen Hilfen für die truppenstellenden Nationen bei technischer Ausrüstung und Ausbildung .
Die Herausforderungen sind weiter gewachsen . Der
Konflikt flammt in Wellen der Gewalt immer wieder auf
und wirft die Friedensbemühungen zurück . Unsere Polizeiausbilder mussten im Juli evakuiert werden . Erst vor
kurzem konnte die deutsche Botschaft in Juba wieder besetzt werden . Das zeigt, wie fordernd dieser Einsatz, für
den ich all unseren beteiligten Soldatinnen und Soldaten
von ganzem Herzen danke, ist .
({0})
Sie dienen dort auch in unserem Interesse . Im Rahmen
von UNMISS leisten wir mit den Vereinten Nationen und
der Afrikanischen Union einen substanziellen Beitrag
zur Bewältigung des Konflikts. Kernaufgaben bleiben
der Schutz der Zivilbevölkerung und die Einhaltung der
Menschenrechte .
Es ist unglaublich mühsam, den Friedensprozess im
Südsudan voranzubringen . Der Beitrag Deutschlands orientiert sich daher an den kontinuierlichen Bemühungen
der Bundesregierung um eine dauerhafte Konfliktbeilegung in der Region . Und UNMISS bietet die Chance, die
Gewaltspirale zu durchbrechen . Wir sind bereit, diese
Chance zu ergreifen, damit die Republik Südsudan ihrer Bevölkerung am Ende eine Perspektive in Sicherheit,
Frieden und Freiheit bieten kann . Deshalb wird die Koalition dem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Der
Südsudan braucht unsere Unterstützung, und Wegschauen ist keine Option .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Die Kollegin Vogler hat um eine Kurzintervention gebeten . Bitte schön .
Vielen Dank . - Lieber Kollege Vietz, es ist klar, dass
wir in der Frage des Militäreinsatzes im Südsudan grundsätzlich nicht einer Auffassung sind . Trotzdem war ich
sehr entsetzt . Wir waren ja gemeinsam in New York bei
der UNO . Wir haben auch mit Verantwortlichen für den
UNMISS-Einsatz gesprochen, die sehr klare Worte gefunden haben . Dass Sie die Vergewaltigung einheimischer Frauen durch UNO-Soldaten mit den Begriffen
„Führungsversagen“ und „Organisationsprobleme“ beschreiben, finde ich einfach nur unterirdisch. So kann
man damit nicht umgehen .
({0})
Das ist beschönigend, das ist verharmlosend, und das ist
ein Schlag ins Gesicht der Frauen, die da Opfer geworden sind .
Herr Kollege Vietz, möchten Sie darauf antworten? Nein . Dann hat jetzt die Kollegin Agnieszka Brugger,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vier Länder haben aktuell die höchste Krisenstufe bei
den Vereinten Nationen . Der Südsudan gehört schon seit
Jahren dazu . Die Menschen dort leiden unter brutaler Gewalt und Menschenrechtsverletzungen . 2 Millionen sind
auf der Flucht; täglich kommen Tausende hinzu . 5 Millionen Menschen haben keinen oder kaum Zugang zu
Nahrung .
Die Hauptschuldigen an dieser Gewalt sind die - man
kann es nicht anders sagen - Verbrecher Präsident Kirr
und sein früherer Stellvertreter, die ihren persönlichen
Machtkampf austragen und dabei skrupellos über Leichen gehen . Ihnen fehlt jedes Verantwortungsgefühl für
die Menschen im Südsudan . Sie haben auch keine politische Idee im Hinblick auf eine friedliche Zukunft des
Landes . Man kann dem Generalsekretär der Vereinten
Nationen nur beipflichten, wenn er sagt, sie verhöhnen
jedes Versprechen auf Frieden . Seit 2013 gab es sieben sieben! - Friedensabkommen . Jedes wurde kurz nach der
Verabschiedung gebrochen, jede Einheitsregierung platzte in Rekordzeit, und die Gewaltspirale beginnt immer
wieder aufs Neue .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran konnte leider
auch die seit der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 entsandte Friedensmission UNMISS nicht viel ändern . Man
muss aber schon auch berücksichtigen: Die Vereinten
Nationen sind immer nur so stark wie sie von den Mitgliedstaaten unterstützt werden . Und die müssen auch an
dieser Stelle endlich mehr Druck ausüben . Die Sanktionen sollten verschärft werden, und nicht nur die Europäische Union, sondern alle Staaten sollten endlich ein Waffenembargo verhängen und nicht weiter dabei zuschauen,
wie sich diese Gewaltspirale immer weiter dreht .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem immer
wieder Kritik an dieser Mission laut geworden ist, ist
eben die bereits erwähnte unabhängige Untersuchungskommission durch den Generalsekretär der Vereinten
Nationen initiiert worden . Ja, die Ergebnisse waren erschütternd, die Zustände waren chaotisch, Zivilisten und
UN-Mitarbeiter wurden nicht ausreichend geschützt .
Man ist eben untätig geblieben, obwohl man die Hilferufe bei einer Vergewaltigung gehört hat . Das ist natürlich
völlig inakzeptabel . Aber nun zu der Schlussfolgerung
zu kommen: „Das war es dann, die Mission funktioniert
nicht, wir beenden sie jetzt einfach“ das halten wir für
falsch; denn das hieße auch, die Menschen der brutalen
Gewalt zu überlassen .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt mir wirklich
völlig fern, diesen Bericht in irgendeiner Form zu relativieren . Er muss auch gravierende Konsequenzen haben .
Die Entlassung des kenianischen Kommandeurs war ja
eine erste Konsequenz mit Signalwirkung . Es braucht
aber auch strukturelle und personelle Reformen, auch bei
anderen Friedensmissionen .
Dass UNMISS aber auch das leisten kann, was man
von einer Friedensmission erwartet, hat auf der anderen
Seite eine mutige Entscheidung vor fast drei Jahren gezeigt: Wieder einmal war Gewalt im Land ausgebrochen,
einige sprachen von einem drohenden Völkermord, und
die damalige Leiterin der Mission Hilde Johnson ließ
in einer mutigen Entscheidung die Tore der Camps öffnen und hat damit wahrscheinlich hunderttausend Menschen das Leben gerettet. Auch heute befinden sich in
diesen Schutzzonen der Vereinten Nationen immer noch
200 000 Menschen . Meine Damen und Herren, die Mission zu beenden, hieße, diese 200 000 Menschen ohne
Schutz zu lassen . Auch aus diesem Grund, so meine
ich, geht es darum, an der Mission festzuhalten und die
schwerwiegenden Fehler dringend zu korrigieren .
({2})
Aber diese beiden Bewertungen zeigen auch: Der
Erfolg einer Mission hängt auch immer ein Stück weit
davon ab, welches Personal in sie entsandt wird und wie
man dann auch mit der Verantwortung umgeht . Es kann
nicht sein, dass Staaten über ihre Kontingente eigene Interessen verfolgen und den Auftrag der Friedensmission
der Vereinten Nationen ignorieren oder gar untergraben .
Aber auch die europäischen Staaten oder die USA müssen sich durchaus kritisch fragen lassen, ob es ausreicht,
Schecks auszustellen, oder ob man zum Gelingen der
VN-Friedensmission vielleicht besser beitragen würde,
wenn man bereit wäre, selbst mehr qualifiziertes Personal zu stellen . Hier darf man sich nicht weiter so einen
schlanken Fuß machen .
Meine Damen und Herren, auch das passt ins Bild:
Die Bundesregierung schöpft die ohnehin sehr niedrige
Mandatsobergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten
nicht aus . Aktuell sind 14 in den Südsudan entsandt .
Herr Staatsminister Roth, Sie haben am Anfang Ihrer
Rede gesagt, wir sollten so viel helfen, wie wir können .
Da ist meine Rückfrage an die deutsche Bundesregierung
dann auch: Tun wir das? Ich glaube nicht, dass wir das
tun .
({3})
Wir könnten die Vereinten Nationen bei dieser schwierigen Mission und die Menschen im Südsudan viel stärker
unterstützen . Damit meine ich nicht nur die Entsendung
von Soldatinnen und Soldaten, sondern angesichts der
humanitären Katastrophe auch noch mehr entwicklungspolitische und zivile Anstrengungen .
({4})
Vielen Dank . - Florian Hahn hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Neben Syrien gibt es wohl derzeit kaum ein
deprimierenderes Thema, über das man sprechen kann,
als den Südsudan . Die Kollegen haben das ja allesamt
bereits dargelegt .
Viele große - man muss fast sagen: utopische - Hoffnungen waren mit der Unabhängigkeit 2011 verbunden .
Der jüngsten Nation der Welt in einem an sich nicht
armen Land sollte es auch an der Unterstützung durch
die internationale Gemeinschaft nicht fehlen . Milliarden
wurden investiert . Viele Unterstützer aus dem Ausland
kamen; auch gut ausgebildete Südsudanesen kehrten
zurück, um ein neues Land praktisch aus dem Nichts
aufzubauen . All diese Hoffnungen haben sich, wie wir
jetzt wissen, zerschlagen . Die Menschen sind statt im
Paradies zum Teil in der Hölle gelandet. Die Inflation
übersteigt 600 Prozent . Die verbreiteten Geißeln Korruption und Vetternwirtschaft verblassen hier gegenüber
dem tagtäglichen Leiden an Krieg, Entführungen, Vergewaltigungen, Plünderungen, Zwangsrekrutierungen .
Kritische Journalisten werden gefoltert und ermordet .
Kinder fürchten, auf dem Weg zur Schule umgebracht zu
werden . Zurückkehrende sind völlig desillusioniert . Es
herrscht teilweise regelrechte Anarchie .
Aber warum ist das Projekt Südsudan gescheitert?
Sicherlich vor allem anderen an der Unfähigkeit der politischen Führung . Der wahrhaft wahnwitzige Egoismus
und die mörderischen Rivalitäten der ehemaligen Rebellenchefs haben das Land zugrunde gerichtet, bevor
es überhaupt das Kindesalter erreichen konnte . Ihnen
persönlich sind das Chaos und die Flucht von Millionen
Menschen anzulasten . Zahlreiche auf internationalen
Druck beschlossene Waffenstillstands- und Friedensabkommen haben sie gebrochen . Der Bürgerkrieg kostete
Zehntausenden Zivilisten das Leben .
Aber da wir heute über die Beteiligung an der
UNMISS-Truppe beraten, müssen auch die Verfehlungen
der Vereinten Nationen offen angesprochen werden . Neben dem fatalen Handeln der südsudanesischen Führung
haben sich auch die VN schuldig gemacht, im Wesentlichen durch Unterlassen . Aber im Allgemeinen steht auch
ein Unterlassen dem Tun gleich, wenn eine Pflicht zum
Handeln besteht .
Unvorstellbar auch die Vergewaltigungen von Entwicklungshelferinnen im Juli dieses Jahres . An dieser
Stelle möchte ich einfach sagen: Ich glaube, dass niemand in diesem Hohen Hause diese schrecklichen Vorfälle in irgendeiner Weise relativieren will . Deswegen
finde ich es, ehrlich gesagt, etwas unanständig, Frau Kollegin, wenn Sie das einem anderen Kollegen hier unterstellen . Ich glaube, das hat hier nichts zu suchen .
({0})
Angesichts dieses Versagens ist man versucht, einen
Abbruch der Mission zu fordern . Aber was wäre die Folge? Wir würden die Menschen vollends im Stich lassen .
Ohne internationale Unterstützung können weder der
Konflikt beigelegt, noch die Zivilbevölkerung geschützt,
noch das Land wieder aufgebaut werden . Die VN-Mission muss also bleiben . Sie muss aber auch stark verbessert
werden . Vorfälle wie im Juli dieses Jahres dürfen sich
nicht wiederholen . Welche ausländischen Mitarbeiter der
Entwicklungszusammenarbeit werden sich noch überzeugen lassen, in den Südsudan zu gehen, wenn es nicht
massive Fortschritte bei der Sicherheit gibt?
Wenn wir die Mission verbessern wollen, müssen wir
uns auch personell stärker beteiligen, oder wir müssen
uns an Ausbildungshilfe für VN-Truppen oder für regionale Eingreiftruppen beteiligen, um das Niveau der Einheiten entsprechend zu heben .
Was tut Deutschland bislang? Wir haben uns von Anfang an am UNMISS-Einsatz beteiligt . 15 Soldaten sind
im Moment eingesetzt, überwiegend im Stabspersonal .
Unsere Beteiligung soll jetzt bis zum 31 . Dezember 2017
mit einer unveränderten Personalobergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten fortgesetzt werden . Das halte ich
auch für richtig . Wir dürfen in dieser kritischen Situation
nicht unsere Experten aus der Missionsführung abziehen .
Das würde eine Reform des Einsatzes noch schwieriger
machen . Unsere derzeit eingesetzten Kräfte werden die
Situation vor Ort nicht entscheidend verbessern; das ist
klar . Deutschland kann aber als Beteiligter an der Mission seinen Einfluss besser geltend machen, um die Mission umfassend zu reformieren .
Unsere militärische Beteiligung ist nur ein kleiner
Teil des deutschen Einsatzes für den Südsudan . Um das
Flüchtlingsleid zu lindern, hat Deutschland in den Haushaltsjahren 2015 und 2016 humanitäre Hilfsmaßnahmen
mit mehr als 35 Millionen Euro gefördert . Der Südsudan
ist auch Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit . Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges wurden
bislang 84 Millionen Euro für Hilfe bereitgestellt . Angesichts der neuen Gewaltausbrüche in 2016 mussten allerdings die entsandten Mitarbeiter der staatlichen deutschen Durchführungsorganisationen evakuiert werden .
Auch das zeigt die unbedingte Notwendigkeit einer robusten Mission, die Sicherheit schafft und den Menschen
eine Atempause gibt, um einen Dialog zu beginnen und
dann ihr Land mit unserer Hilfe aufzubauen .
Wir sollten nicht alle Hoffnung fahren lassen, sondern
engagiert daran arbeiten, dass der Südsudan Schritt für
Schritt aus der Hölle wieder herausfinden kann.
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung . Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Drucksache 18/10188 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe,
das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Tressel, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Eine transparente Regionalkennzeichnung
einführen - Regionale Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln
stärken
Drucksache 18/9544
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Auch hier sehe
ich bei Ihnen keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte die Verbraucherschützer, jetzt ihre Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Markus
Tressel, Bündnis 90/Die Grünen . - Bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Immer mehr Menschen kaufen LebensFlorian Hahn
mittel aus der Region . Sie wollen damit auch Verantwortung für ihre Regionen übernehmen .
Regionale Produkte stehen für Geschmack und Qualität, für Vielfalt und Auswahl . Sie schonen natürliche
Ressourcen und das Klima durch kurze Wege . Wer regional einkauft, unterstützt aber vor allem Unternehmen,
Arbeitsplätze und Wertschöpfung vor Ort: von den Betrieben der bäuerlichen Landwirtschaft über das Lebensmittelhandwerk bis zum regionalen Handel .
So entsteht eine geschlossene Wertschöpfungskette, die Arbeitsplätze erhält und wirtschaftlich neuen
Schwung in ländliche Räume bringen kann . Wir müssen
deshalb Verbraucherinnen und Verbrauchern und den Regionen gerecht werden . Deshalb ist unser Anspruch klar,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Wo regional draufsteht,
muss auch ein regionales Produkt drin sein .
({0})
Längst sind regionale Lebensmittel keine Nischenprodukte mehr . Damit wird Geld verdient, und so wächst
auch die Anzahl unterschiedlicher Siegel und Marken,
die mit Regionalität werben . Die Verbraucherzentralen
haben das im April dieses Jahres mit einer Studie gezeigt .
Viele dieser Siegel entsprechen nicht unserem Anspruch
an Regionalität . Was eine Region umfasst, ist subjektiv .
Deswegen halten viele Regionalangaben auf Etiketten der genauen Prüfung nicht stand . Sie sind oft leere
Worthülsen .
Wann eine Bezeichnung wie „regional“ oder „von
hier“ zur Täuschung oder gar zum Betrug wird, bleibt
bisher immer eine Einzelfallentscheidung . Genau das ist
das Problem . Unser Ziel muss deshalb eine aussagekräftige und transparente Regionalkennzeichnung sein .
({1})
Das Regionalfenster, 2012 eingeführt, verfolgt daher einen richtigen Ansatz, nämlich auf dem jeweiligen
Produkt anzugeben, woher die verwendeten Rohstoffe
stammen . Allerdings - auch das hat die Studie der Verbraucherzentralen gezeigt - gibt es weiter große Unterschiede, sowohl was den Anteil regionaler Rohstoffe als
auch was die tatsächlich zurückgelegten Kilometer der
Produkte - auch bei Produkten mit dem Regionalfenster - angeht .
Kurzum, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Kriterien sind zu weich .
({2})
Deswegen schlagen wir vor, hier nachzubessern . Wir
wollen beispielsweise die Großregion als mögliche Herkunftsangabe abschaffen . Das ist zu unbestimmt . Wir
wollen landwirtschaftliche Vorstufen mit einbeziehen,
den Mindestanteil regionaler Zutaten bei den verarbeiteten Produkten erhöhen und den Ort der Verarbeitung mit
aufnehmen .
({3})
Aber das löst am Ende noch nicht das Problem, dass es
Leute gibt, die mit Regionalität werben, ohne dass diese
tatsächlich beim Produkt gegeben ist . Dazu haben wir in
unserem Antrag vorgeschlagen, mit einer verpflichtenden
Positivkennzeichnung Transparenz im Siegel-Dschungel
herzustellen, ohne - das ist wichtig - ein weiteres Siegel einzuführen und ohne zusätzliche Belastung kleiner
Betriebe .
Das bedeutet: Wer Angaben wie „aus der Region“
oder „von hier“ auf seinem Produkt verwenden will, der
wird dazu verpflichtet, anzugeben, was damit gemeint
ist . So kann der Verbraucher selbst entscheiden, ob diese
Angabe der eigenen Erwartung an ein regionales Produkt
entspricht, und so wird missbräuchlicher Nutzung des
Regionalbegriffs ein Riegel vorgeschoben .
({4})
So stärken wir die regionale ländliche Wirtschaft, schaffen Perspektiven für den ländlichen Raum und schonen
die Umwelt .
Der vorliegende Antrag ist ein erster Schritt in diese
Richtung . Deswegen hoffe ich auf Ihre Unterstützung,
damit wir endlich vorankommen: im Interesse der Regionen, der Betriebe und auch der Verbraucher dort . Ich
hoffe auf Ihre Unterstützung für diesen Antrag .
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Jetzt hat Marlene Mortler für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn es um
regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung
geht, dann haben Sie mich sicherlich auf Ihrer Seite,
insbesondere heute, wenn es um transparente regionale
Kennzeichnung geht . Ich sage aber Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, gleich
vorweg: Wer so respektlos über Landwirtschaft redet wie
Sie in den letzten Wochen und Monaten, hat es nicht verdient, dass wir seinem Antrag zustimmen .
({0})
- Ihr wisst genau, was ich meine . Die Botschaft ist angekommen .
Wo stehen wir in Sachen Regionalvermarktung? In
Bayern gibt es 175 Bauernmärkte . Die Hälfte aller Bauernmärkte befindet sich also in Bayern. In Bayern gibt es
zudem über 50 zentrale Bauernladengeschäfte, 4 000 Direktvermarkterinnen und Direktvermarkter sowie viele
Regionalinitiativen, die bei den Verbrauchern hohes Vertrauen genießen . Der Verbraucher hat also schon heute
die Wahl bzw . die Chance, dieses Angebot zu nutzen und
kleine Strukturen zu unterstützen . Bayern unterstützt
außerdem mit einem breiten Maßnahmenpaket ein kostenloses Internetportal, das über Bauernmärkte, Regionalinitiativen und Gastroportale, also über die Zusammenarbeit von Gastronomen und Anbietern regionaler
Produkte, informiert .
({1})
Damit bin ich bei Ihrem Antrag .
({2})
Wie wir wissen, ist das Regionalfenster damals von Ilse
Aigner eingeführt worden . Das war ein guter Ansatz und
ein wichtiger Schritt in Richtung Kennzeichnung .
({3})
Ich gebe gerne zu, dass es sich um ein reines Herkunftskennzeichen handelt . Es macht keinerlei Aussagen zur
Qualität; auch das gehört zur Wahrheit .
Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass
der Anteil regionaler Rohstoffe bislang zu niedrig ist . Im
Moment beträgt er 51 Prozent . Sie fordern 70 Prozent .
Da haben Sie mich durchaus auf Ihrer Seite . Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat kürzlich veröffentlicht, dass der Anteil der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich für nachhaltige Produktion aussprechen
und der Regionalität eine große Bedeutung beimessen,
im Vergleichszeitraum von 2009 bis 2015 von 42 auf
51 Prozent gestiegen ist . Zu ähnlichen Erkenntnissen
kommt der Ernährungsreport des BMEL . Danach legen
76 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher Wert
auf regionale Lebensmittel .
Wir haben die Vorteile gehört: kurze Wege, mehr Frische und Vielfalt sowie Transparenz . Aber Hand aufs
Herz: Wer von uns kauft denn regelmäßig regionale Produkte ein? Bin ich die Einzige?
({4})
Es gibt noch immer eine große Kluft zwischen Reden
und Handeln . Deshalb sind wir in Bayern einen eigenen
Weg gegangen . Es gibt in Bayern ein umfassendes System mit zwei Siegeln, die aussagekräftig und transparent
sind . Sie sind transparent, weil die Qualitäts- und Herkunftssicherungssysteme sichtbar sind . Das Siegel „Geprüfte Qualität - Bayern“ und das bayerische Biosiegel
ermöglichen es dem Verbraucher, zu beweisen, dass er es
mit regionalen Produkten ernst meint; das ist überfällig .
({5})
Es wird vom LEH stark nachgefragt . Es wird auch vom
Verbraucher stark nachgefragt . Das ist zwar eine Momentaufnahme . Aber für mich ist wichtig: Es ist klar
definiert, objektiv neutral, es ist kontrolliert, und die
Herkunft und die Verarbeitung der Rohstoffe müssen
durchgängig und zu 100 Prozent aus Bayern kommen .
Ich weiß, dass es das auch in anderen Bundesländern
gibt, allerdings längst nicht flächendeckend. Deshalb ist
meine Forderung: Erstens . Jedes Bundesland soll erst
einmal seine Hausaufgaben machen . Zweitens . Es ist sicherlich an der Zeit, dass das BMEL die Weiterentwicklung des Regionalfensters wissenschaftlich überprüft
({6})
- nicht mit Gelächter; da kommt man zu keinem guten
Ergebnis -, und zwar seriös . Auf dieser Basis werden wir
entscheiden, inwieweit wir dieses Regionalfenster verbessern . Aber das muss dann mit Respekt und nicht mit
Klamauk geschehen .
({7})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({8})
Danke schön . - Jetzt hat für die Fraktion Die Linke
Karin Binder das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Mortler, hinter Ihren Hinweis, wer diese Debatte
mit Klamauk begleitet, setze ich ein großes Fragezeichen. Ich finde, der Antrag der Grünen ist sehr ernst zu
nehmen, und ich finde auch richtig gut, dass man sich
darüber qualifiziert unterhält, und zwar ohne eine solche
Polemik, wie Sie sie hier gezeigt haben .
({0})
Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher
legen Wert darauf, beim Lebensmittel-Einkauf die
Landwirtschaft in ihrer Region zu unterstützen
({1})
und regionale Arbeitsplätze zu sichern . Für viele
Käufer spielen auch kurze Transportwege und damit mehr Klimaschutz eine Rolle bei der Kaufentscheidung .
Besser könnte ich es nicht sagen . Das steht so auf der
Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft .
({2})
- Sie haben recht: Da steht vieles, was richtig ist . - Das
Problem ist nur: In der Konsequenz fehlt leider die Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher, dass
überall da, wo „regional“ draufsteht, auch wirklich regional drin ist .
({3})
Es geht damit los, dass mindestens 51 Prozent eines
Produktes aus regionalen Rohstoffen bestehen müssen .
Bitte schön, warum nur 51 Prozent? Ich kapiere das gar
nicht . „Regional“ heißt für mich: Das kommt aus der
Region. Daher finde ich es notwendig, dass mindestens
70 Prozent, wenn nicht sogar 100 Prozent des Produktes
aus regionalen Rohstoffen bestehen . Ich gebe zu: Manche
Gewürze und andere Zutaten dürfen auch woanders herkommen . Das ist aber nichts, was die Umwelt nachhaltig
schädigen könnte . Kurze Transportwege, damit regionale
Kreisläufe, regionale Landwirtschaft, regionaler Handel
und regionale Vermarktung stattfinden können, wodurch
Nachhaltigkeit gewährleistet wird - ich glaube, das sollte
unser aller Anliegen sein .
({4})
Ganz nebenbei erreichen wir damit faire Preise . Ich
behaupte eins: Mit Regionalität wird das Geld tatsächlich
bei denen ankommen, die für die Erzeugung zuständig
sind . Das steht im Gegensatz zu Produkten, die weltweit
gehandelt werden . Wenn etwas dreimal um den Globus
transportiert wird, dann kommt das Geld nicht beim Erzeuger an - das wissen wir alle -, egal ob etwas in Bangladesch, in Indien oder hier vor Ort erzeugt wird, sondern
das Geld landet irgendwo im Bereich Speditionen, Marketing oder sonst wo . Das kann uns doch nicht egal sein .
Deshalb finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen
heute hier diskutiert wird, und zwar ernsthaft .
({5})
Kurze Wege zwischen Acker und Verkaufsregal bedeuten Umweltschutz, bedeuten Klimaschutz, bedeuten
Verbraucherschutz und bedeuten Tierschutz . Das ist doch
ein ganz wesentlicher Aspekt . Deshalb muss auch dieses
Regionalsiegel verbindlich sein, und es darf nicht eine
Fülle von Siegeln geben, die einmal geprüft, einmal nicht
geprüft werden und ein anderes Mal einfach ein Marketing-Gag sind . Wir brauchen hier eine ernsthafte Behandlung . Wir brauchen eine Vorgabe . Als „regional“ darf
wirklich nur das bezeichnet werden, was auch dementsprechend geprüft wurde; denn alles andere ist Beschiss
am Verbraucher und pure Geldmacherei. Ich finde, das
sollte man hier im Hohen Hause nicht unterstützen .
({6})
Ich möchte jetzt ungern wieder den Schwarzwälder
Schinken bemühen; aber man muss sich trotzdem einmal
vergegenwärtigen, dass all die Leute, die Schwarzwälder Schinken kaufen und glauben, er komme tatsächlich
aus dem Schwarzwald, schlichtweg enttäuscht sein müssen, weil die verarbeiteten Schweinekeulen eine weite
Reise hinter sich haben, zumindest in 90 Prozent aller
Fälle. Ich finde, dann darf das maximal „Schinken nach
Schwarzwälder Art“ heißen, aber nicht „Schwarzwälder
Schinken“ .
Es gibt ganz viele andere Beispiele, die zeigen, wie
getrickst und getäuscht wird . Ich meine, wir sollten
dem endlich einen Riegel vorschieben, indem man die
Kennzeichnung „Regionalität“ auch wirklich gesetzlich
schützt .
Vielen Dank, meine Damen und Herren . Wir werden
uns weiter beraten .
({7})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Dr . Karin Thissen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Regional ist
das neue Bio . Aus Umfragen und Studien zum Ernährungsverhalten wissen wir, dass die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst Lebensmittel
aus der Region kaufen möchte . Das gilt vor allen Dingen
für frische Produkte wie Fleisch, Milch, Eier, Obst und
Gemüse .
Viele Menschen verbinden mit regionalen Lebensmitteln höhere Qualität und nachhaltige Erzeugung . Außerdem - das wird immer wichtiger - wollen viele mit ihrem Kaufverhalten die regionale Wirtschaft stärken und
gerade die kleinen Betriebe aus der Gegend, in der sie
leben, unterstützen; denn der große Vorteil von regionaler Lebensmittelproduktion und -vermarktung ist, dass
sie die Anonymität zwischen Produzenten und Verbrauchern auflöst. Durch den unmittelbaren Kontakt entsteht
Verständnis für die Bedürfnisse des jeweils anderen .
Regionale Verbundenheit führt zu mehr Solidarität innerhalb und mit der Region und damit zu einer Stärkung
des ländlichen Raumes, die man nicht gering einschätzen
sollte .
Was ebenfalls wichtig ist: Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihre Kaufentscheidung auf solche Überlegungen stützen, sind immer auch bereit, für gute Lebensmittel aus der Region gute Preise zu bezahlen .
({0})
Das ist die gute Nachricht für all diejenigen, die mit viel
Leidenschaft und Engagement ebendiese Lebensmittel
erzeugen .
Die nicht so gute Nachricht ist, dass regional erzeugte
Lebensmittel für den Verbraucher nur schwer zu erkennen sind . Das unter Ministerin Aigner entwickelte Regionalfenster hat daran nichts geändert . Wir von der SPD
haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir dieses
Siegel wenig hilfreich finden.
({1})
Deswegen finden wir Forderungen, die da lauten „Besseres, verlässlicheres Regionalsiegel“ oder „Irreführender
Werbung einen Riegel vorschieben“ immer gut .
Allerdings bin ich der Meinung, dass sich Regionalität
nicht allein durch ein bundesweites Label auszeichnet,
sondern durch klare, eindeutige und transparente Kennzeichnung, und zwar für alle Lebensmittel .
({2})
Wie wir dahin kommen und wie das aussehen könnte,
das loten wir gerade mit unserem Koalitionspartner aus .
({3})
Dazu haben wir von der SPD zum Beispiel eine Forderung im aktuellen Haushalt für den Bundesverband
der Regionalbewegung. Außerdem, finde ich, brauchen
wir alle noch ein paar Erkenntnisse aus der Verbraucherforschung, nämlich: Wie lassen sich Verbrauchererwartungen und die Definition von Regionalität in Einklang
bringen?
Ich glaube, beim Thema transparente Regionalkennzeichnung sind wir alle gar nicht so weit voneinander
entfernt . Allerdings: Der Teufel steckt im Detail . Wir
von der SPD sind der Meinung, dass ein Regionalfenster,
auch ein reformiertes, nicht die Lösung in Sachen Kennzeichnung ist .
({4})
Aber wir begrüßen grundsätzlich die Diskussion darüber
und sind gerne bereit, uns notfalls auch bis spät in die
Nacht diesbezüglich mit Ihnen auszutauschen .
Vielen Dank fürs Zuhören .
({5})
Vielen Dank . - Jetzt hat Katharina Landgraf, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regionalkennzeichnung - ja. Auch wir sind dafür, auch ich finde
das gut . Ich möchte jetzt aber die Begeisterung für regionale Produkte nicht wiederholen, sondern zusammenfassen und mich dabei kurzfassen .
Wichtig ist: Wir brauchen erst einmal eine Definition:
Was ist eigentlich „regional“? Wir brauchen, klar geordnet, ein Siegel oder ein Label . Da muss zu erkennen sein:
Was sind die Hauptzutaten? Woher kommen diese? Wo
wurde abgepackt?
Das Regionalfenster finde ich gut, aber es muss weiterentwickelt werden; das wissen wir auch . Ich weiß,
dass schon eine wissenschaftliche Überprüfung angeleiert wurde . Wir sind gespannt auf die Resultate; denn wir
erarbeiten gemeinsam einen Koalitionsantrag . Auch wir
freuen uns schon auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen; ich denke, das wird gar nicht so
schwer .
Wichtig ist mir jetzt, dass es zu einer freiwilligen
Kennzeichnung kommt, dass wir nicht so viel gesetzlich
verpflichtend und damit bürokratisch gestalten. Es muss
gut machbar sein, sowohl bei der Zertifizierung wie auch
bei der Kontrolle . Es muss übersichtlich sein, lesbar für
die Kunden, wobei Verbrauchertäuschung ausgeschlossen werden muss; das ist schwierig genug . Ein Blick in
die Zukunft: Schön wäre auch ein Code, aus dem ich mit
meinem Handy und einer entsprechenden App erkennen
kann, woher das Produkt tatsächlich kommt . Das ist sicher denkbar und in der Zukunft möglich .
Ich fasse zusammen: Für die Verbraucher soll es besser und leichter werden, und damit können wir Produzenten und Verarbeiter in den Regionen stärken . Das, denke
ich, ist unser aller Ziel .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Dann hat jetzt Willi Brase, SPD-Fraktion, die Gelegenheit, die Aussprache zu beenden .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich schon zu Beginn der Rede
so viel Beifall erhalte . - Da alle gesagt haben, dass es
eine tolle Sache ist, was wir mit Regionalität und regionalen Produkten machen, will ich das gar nicht wiederholen . Ich habe nur ein bisschen Sorge, dass wir an der einen oder anderen Stelle zu viel regeln . Vielleicht sollten
wir den Menschen und den Erzeugern in den Regionen
zutrauen, dass sie das eine oder andere vernünftig und
sachlich regeln . Ich halte das schon für sehr geboten .
({0})
Im Antrag der Grünen wird nicht nur, wie eben dargestellt, die Frage der Regionalität angesprochen; es geht
auch um regionale Vermarktungsstrategien . Wenn wir
einmal das betrachten, was die Bundesregierung schon
macht, dann erkennen wir: Wir können einiges umsetzen .
Wir können über die GAK Erzeugerstrategien, Regionalität, Regionalfenster und Ähnliches fördern . Wir
können das auch über das BULE, das Bundesprogramm
„Ländliche Entwicklung“, machen . Ich habe gehört:
BULE wird heute Nacht wahrscheinlich noch einen
Zuwachs erfahren; das finde ich ganz toll. Sie wissen,
dass so etwas in den Haushaltsrunden zum Schluss im
Rahmen der Bereinigungssitzung erfolgt . Vom Bundesministerium für Umwelt und Bau, vom Haus Hendricks,
gibt es die Initiative Ländliche Infrastruktur . Auch darüber kann man etwas auf den Weg bringen . Wir haben
die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe GRW . Damit
können wir Länderprogramme zur Markteinführung von
innovativen regionalen Produkten unterstützen und so
etwas auf den Weg bringen . Das heißt: Wir haben genügend Instrumente, und es wäre schön, wenn diese Instrumente in den Regionen genutzt würden .
In meiner Heimat gibt es ein schönes Beispiel - das
darf ich heute Abend nicht vergessen -: das Regionalregal . Im Rahmen dieser Initiative werden Kaffeeröstungen, Schokolade, Pestos, Gewürze, Marmelade aus regionalen Früchten in speziellen Regalen angeboten .
({1})
So etwas habe ich selbst in einem Möbelladen gesehen .
Ich habe mich gewundert, aber dann überlegt: Es ist doch
toll, wenn Menschen von sich aus sagen: Wir erzeugen
etwas Schönes in der Region, und das wollen wir auf den
Markt bringen .
({2})
Die Konsumenten und die Menschen freuen sich auch .
Ich finde, das ist ein guter Weg, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({3})
Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen . Für uns
bedeutet regionale Wertschöpfung natürlich auch Weiterentwicklung unserer Region . Die Regionen sind, gerade
was die landwirtschaftlichen Erzeugnisse angeht, vielfach Zulieferer für die Städte, für die Urbanität . Wenn
wir da noch ein paar Wege verbessern, wenn wir da noch
ein paar mehr Chancen eröffnen, mehr Möglichkeiten geben, machen wir es richtig .
Ich freue mich auch auf die Diskussion . Ich werde ein
bisschen schauen, dass wir nicht zu viel regeln; denn das
haben wir in diesem Land schon reichlich gemacht .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Herr Brase . Das war eine Punktlandung . - Auch hier wurde zwischen den Fraktionen vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/9544 an den
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({0}) auf Grundlage
der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli
2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296
({2}) vom 29. Juni 2016
Drucksache 18/10189
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Auch dazu
höre ich hier keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Ralf Brauksiepe .
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Missionen in Afrika, unserem Nachbarkontinent, sind
besonders herausfordernd; da gibt es nichts schönzureden . Aber sie sind eben auch wichtig . Das hat die Debatte
über das UNMISS-Mandat im Südsudan deutlich herausgestellt . Das gilt auch für das UNAMID-Mandat, über
das wir jetzt debattieren .
Die humanitäre Lage im Sudan ist aufgrund des andauernden Konfliktes unverändert prekär. Ich konnte
bzw . musste mich vor einigen Monaten dort bei meinen
Gesprächen mit der politischen und militärischen Missionsleitung vor Ort selbst davon überzeugen .
Die Zahl der Menschen, die in der Region Darfur auf
humanitäre Hilfe angewiesen sind, bleibt mit mehr als
5 Millionen besorgniserregend hoch . Mehr als 2 Millionen Kinder sind akut unterernährt . Die hohe Anzahl von
Binnenvertriebenen in Darfur sowie die rund 370 000
Flüchtlinge aus Nachbarstaaten, die sich aktuell im Sudan aufhalten, verschärfen die humanitäre Lage zusätzlich . Der Sudan fungiert zudem weiterhin als Haupttransitland für Migrationsströme aus Äthiopien, Eritrea
und Somalia, die über Libyen und Ägypten nach Europa
kommen .
Auch die Menschenrechtslage bleibt unverändert kritisch . Massive Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen,
Entführungen, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind
leider immer noch an der Tagesordnung . Darüber hinaus
kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen
der regulären Armee und Rebellen sowie zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen
Milizgruppierungen .
Das im Jahr 2011 geschlossene Friedensabkommen
von Doha hatte leider immer wieder Rückschläge zu verkraften . Aber dennoch gilt es, dies weiter unter der Begleitung der internationalen Gemeinschaft umzusetzen,
wobei wir um die Herausforderung der Mission wissen,
die selbst Ziel von Angriffen war und immer noch ist .
Seit ihrer Einrichtung haben über 70 Peacekeeper gewaltsam ihr Leben gelassen . Das in diesem Jahr unter
Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union zwischen der sudanesischen Regierung und Teilen der Opposition unterzeichnete Abkommen „Roadmap Agreement
for Peace and Dialogue“ kann aber immerhin als ein erstes positives Signal gewertet werden .
In Anbetracht dieser bedrückenden Gesamtsituation
bleibt UNAMID ein unverzichtbarer Faktor in der Region . Diese Mission wird weiterhin gebraucht . Nur dank
UNAMID war es zivilgesellschaftlichen Gruppen überhaupt erst möglich, im Rahmen des Darfur-internen Dialogs Gehör zu erhalten . Hinzu kommt, dass UNAMID
durch die Schaffung von Schutzzonen einen zentralen
Beitrag für die ansonsten schutzlose Zivilbevölkerung
leistet, und um die geht es . Es geht darum, diejenigen zu
schützen, die sonst schutzlos wären . Das ist auch unsere
Aufgabe in diesem Konflikt.
({0})
Ich möchte in diesem Zusammenhang die besondere
Funktion UNAMIDs auch bei der Lagebeobachtung und
bei der Menschenrechtsberichterstattung betonen, auf
die die internationale Gemeinschaft angewiesen ist . Wir
hätten sonst überhaupt keine Ahnung, was dort in der Region auch im Hinblick auf die Menschenrechte wirklich
passiert .
Zur Wahrheit gehört - auch das hat Parallelen zum
Südsudan -, dass für eine erfolgreiche Auftragserfüllung die effektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit
mit der jeweiligen Gastregierung eine wichtige Bedingung ist . Leider ist das Verhältnis zwischen UNAMID
und der sudanesischen Regierung weiterhin angespannt .
Umso notwendiger ist es, dass die erforderliche Kooperationsbereitschaft von der sudanesischen Seite weiterhin
eingefordert und auch geleistet wird . Ich betone hier ausdrücklich, dass wir uns seitens der sudanesischen Regierungsvertreter mehr Entgegenkommen wünschen . Verbal
gibt und gab es dafür Signale, aber es ist wichtig, dass
ihnen auch Taten folgen .
Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Eine Verbesserung der Lage in Darfur wird nur dann möglich sein,
wenn eine umfassende politische Lösung für diese Konfliktregion gefunden werden kann. Dafür wiederum ist
es umso wichtiger, dass die internationale Gemeinschaft
die VN-Mission UNAMID weiter unterstützt . Deswegen ist die Bundesregierung bereit, sich auf gleichbleibendem Niveau mit Soldatinnen und Soldaten dort zu
engagieren, wie wir uns auch sonst engagieren . Ich bin
dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung dankbar, dass er im Oktober dieses Jahres
mit einer Delegation vor Ort war und damit unterstreicht,
dass der Sudan auch innerhalb dieses Hohen Hauses weiterhin von hoher Bedeutung ist, nicht nur in militärischer
Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zusammenfassen und deutlich machen: Die Lage ist schwierig .
Aber klar ist: Kein Problem ist von der internationalen
Staatengemeinschaft verursacht, sondern es ist verursacht von den Akteuren vor Ort . Hier ist besonders die
sudanesische Regierung in der Pflicht. Ohne die internationale Staatengemeinschaft, ohne uns würde nichts
besser, wäre kein Problem gelöst, kämen viele neue Probleme hinzu, wäre im Sudan vieles schlechter . Wir sind
nicht diejenigen, die verantwortlich sind . Wir haben nicht
für jedes Problem eine Lösung . Das ist wahr . Das kann
auch ein solcher Einsatz nicht leisten . Aber wir leisten
in einer schwierigen humanitären Lage wichtige Beiträge zur Lösung von humanitären Problemen, die dort vorhanden sind . Das sollten wir weiter tun . Dafür bitte ich
Sie namens der Bundesregierung um Ihre Unterstützung .
({1})
Vielen Dank . - Jetzt hat Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der sudanesischen Provinz Darfur
kämpfen seit 2003 Milizen und Regierungstruppen um
die Macht in einem blutigen Bürgerkrieg . Ein Frieden ist
nicht in Sicht .
Die Bundesregierung will nun den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Militärmission UNAMID zum
fünften Mal verlängern . Konkret geht es um den Einsatz
von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten. Derzeit befinden
sich im Hauptquartier von UNAMID in al-Faschir vier
deutsche Soldaten, fünf Polizisten und zwei zivile Experten . Dieser Einsatz hat bisher schon über 2 Millionen
Euro gekostet . Und ein Ende ist nicht in Sicht .
({0})
Das Militär unter dem gemeinsamen Kommando von
UN und Afrikanischer Union sollte laut der UN-Resolution die humanitäre Hilfe absichern, die Zivilbevölkerung schützen, Waffenstillstände überwachen, ein sicheres Umfeld für den Wirtschaftsaufbau schaffen und
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit fördern . Wir
müssen uns fragen: Was wurde davon bisher erreicht?
Bei keinem dieser Ziele gibt es substanzielle Fortschritte,
und zum Teil widersprechen sie sich sogar . Zum Beispiel
die humanitäre Hilfe: Jeder siebte Mensch in Darfur hat
nicht genug zu essen . 2 Millionen Kinder sind unterernährt . Der Hunger ist zur Waffe geworden; denn Waffenstillstände kommen nicht zustande, weil man sich nicht
über die gerechte Verteilung der Hilfslieferungen einigen
kann . Und so werden auch die humanitären Helfer regelmäßig selbst zum Ziel von Übergriffen . Verhandlungen
zwischen Regierung und dem Oppositionsbündnis Sudan
Call wurden im August wegen zweier Streitpunkte abgebrochen . Es ging um die Freilassung von Kriegsgefangenen und den Überwachungsmechanismus für humanitäre
Hilfe .
Auch die Zivilbevölkerung wird immer wieder brutal
angegriffen . Amnesty International berichtet von mindestens 32 Angriffen der sudanesischen Regierungsarmee
gegen die Zivilbevölkerung in diesem Jahr . Dabei kamen
wahrscheinlich auch Chemiewaffen zum Einsatz - zuletzt am 9 . September . Dabei starben 200 bis 250 Menschen . Hunderte litten danach an Erbrechen, Durchfall
und Hautausschlägen .
Aber UNAMID kann die Zivilbevölkerung nicht vor
solchen Verbrechen schützen; denn UNAMID muss mit
der Regierungsarmee kooperieren . Unter solchen Umständen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu
reden, verbietet sich .
Was mich besonders aufregt, ist, dass die Bundesregierung nun auch noch mit dem verbrecherischen Regime im Sudan bei der Flüchtlingsabwehr kooperiert .
Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit will die Europäische Union jetzt Kameras, Scanner und Server zur Erfassung von
Flüchtlingen und Migranten an die sudanesische Regierung liefern . Sie will Grenzschützer ausbilden und zwei
Flüchtlingslager mit Hafträumen errichten . Sie statten
also den Diktator Umar al-Baschir und ähnliche Sympathieträger mit Repressionsmitteln aus, die sie problemlos
auch gegen die eigene Bevölkerung verwenden können .
Für diese Aggression gegen Flüchtlinge aus Afrika gibt
Deutschland fast 16 Millionen Euro aus . Das ist ein skandalöser Angriff auf die Menschenrechte, die Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit .
({1})
Da zeigt sich, dass dieser Einsatz ein weiteres Beispiel
für eine verfehlte Außenpolitik ist . Sie benutzen das Militär, um das Scheitern Ihrer Politik zu überdecken .
Wenn man dann vom Schutz der Zivilbevölkerung,
von Menschenrechten, von Rechtsstaatlichkeit spricht,
dann ist das einfach Heuchelei .
({2})
Denn dieser Konflikt ist, wie viele andere, mit militärischen Mitteln nicht beizulegen . Militäreinsätze wie dieser schaffen keinen Frieden . Sie führen in eine Sackgasse . Deswegen sagt die Linke Ihnen: Kehren Sie um!
({3})
Für die SPD spricht der Kollege Dirk Vöpel .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Konflikt, der seit 2003 in der westsudanesischen Region Darfur tobt und der bisher weit über
300 000 Menschenleben gekostet und zu millionenfachem Flüchtlingselend geführt hat, beschäftigt uns seit
der erstmaligen Entsendung deutscher Soldatinnen und
Soldaten durch das Mandat im Jahre 2012 jährlich im
Plenum .
Wenn wir über Darfur reden, dann reden wir über
viele Konfliktherde, Konfliktlinien, Konfliktanlässe und
Konfliktparteien. Wir haben es unter anderem mit dem
Kampf der sudanesischen Zentralregierung gegen die
Autonomie- und Separationsbestrebungen verschiedener Rebellengruppen, Konflikten entlang der ethnischen Spaltung zwischen arabischen und afrikanischen
Bevölkerungsgruppen, lokalen Auseinandersetzungen
über konkurrierende Formen der Landnutzung zwischen
sesshaften Ackerbauern und viehweidenden Nomadenstämmen, Konflikten um die Kontrolle von Bodenschätzen, Kleinkriegen zwischen kriminellen Banden und
vor allem immer wieder neu aufbrechenden Konflikten
zwischen den Rebellengruppen, aber auch zwischen verschiedenen Fraktionen und Abspaltungen von Abspaltungen innerhalb der Rebellengruppen zu tun .
Wir sehen uns also mit einem extrem zersplitterten
Konflikt konfrontiert. Dieser ist, wie die letzten Jahre
gezeigt haben, nur sehr schwer aufzulösen . Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat als Reaktion auf die
geringen Fortschritte bei der Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und angesichts der nach wie vor katastrophalen humanitären Lage in Darfur im Jahre 2014
eine Neuausrichtung der Aufgaben von UNAMID beschlossen .
Priorität haben der Schutz von Zivilpersonen und
humanitärem Personal sowie die Sicherung der Nahrungsmittellieferungen, von denen das Leben von fast
6 Millionen Menschen abhängt; der Herr Staatssekretär
hat vorhin bereits darauf hingewiesen . Die Patrouillenfahrten wurden verstärkt, Schutzzonen für die Zivilbevölkerung geschaffen, und es wird mehr Präsenz in den
Flüchtlingslagern gezeigt . Weitere zentrale Elemente
sind die Vermittlung zwischen der sudanesischen Regierung und den bewaffneten Gruppen, die das Doha-Dokument nicht unterschrieben haben, und die Unterstützung
von Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwischen
Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zur
Ursachenbekämpfung .
Zaghafte Hoffnung darf man in die aktuellen Versuche setzen, den Friedenprozess wiederzubeleben . Die
unter dem Mandat der Afrikanischen Union laufenden
Friedensverhandlungen haben im Jahr 2016, mit deutscher Unterstützung, zur Unterzeichnung eines Roadmap
Agreement durch die sudanesische Regierung und die
Oppositionsallianz Sudan Call geführt .
Anfang August nahmen Regierung und Rebellengruppen Verhandlungen über einen Waffenstillstand und humanitären Zugang auf, die aber erneut ins Stocken geraten
sind . Die politische Opposition und die Rebellengruppen
haben wenig Zuversicht, dass in diesem Prozess tatsächlich Fortschritte erzielt werden können, und sehen sich in
ihrem Misstrauen durch das teilweise widersprüchliche,
anhaltend repressive Verhalten der Regierung bestätigt .
Seitens der sudanesischen Regierung glaubt man offenbar immer noch, dieser Konflikt könnte militärisch
gelöst werden . Die Offensive der Regierungstruppen in
den Marra-Bergen Darfurs zu Beginn des Jahres bestätigt
diese Sorge . Durch die Kampfhandlungen und Luftschläge wurden nach Schätzungen der UN bis Ende August
erneut mehr als 160 000 Menschen vertrieben .
Auch die ständigen Versuche der sudanesischen Regierung, die Arbeit von UNAMID durch bürokratische
Hindernisse zu behindern, müssen endlich aufhören . Es
braucht mehr Zeit, um eine umfassende politische Lösung zu finden; denn nur eine solche politische Lösung
kann zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lage führen . Solange die Schritte der Friedenskonsolidierung
nicht gefestigt sind, leistet UNAMID einen unverzichtbaren Beitrag für die zukünftige Entwicklung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze
wie diesen, ohne das Engagement der internationalen
Gemeinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch
verschlechtern . Die traurige Wahrheit ist: Die Lage in
Darfur bleibt angespannt und instabil . Zwischen einem
erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos stehen
nur diese knapp 17 000 Frauen und Männer der UNAMID-Mission . Sie haben unsere Unterstützung und unseren Dank verdient . Auch wenn der deutsche Anteil an
der UNAMID-Mission mit zurzeit vier Soldaten, fünf
Polizisten, zwei zivilen Experten und einer Mandatsobergrenze von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten nicht besonders groß ist, ist es umso wichtiger, dass wir als die
einzigen europäischen Vertreter diese Mission zunächst
für ein weiteres Jahr unterstützen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Kekeritz für
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das
Bundeswehrmandat für die Operation in Darfur ist sicher
nicht als unproblematisch einzustufen . Seine Umsetzung
hat enorme Schwächen . Es bietet aber auch Chancen .
Noch immer ist der Einsatz schlecht organisiert . Die Motivation vieler Soldaten ist eine geringe, und die Operation wird von der Regierung al-Baschir massivst torpediert .
Es wurde gesagt, es sind vier Soldaten und fünf Polizisten dort . Ihre Aufgabe ist die Beobachtung, die Beratung . Beides ist ja eigentlich auch wichtig . Vorhin sagte
jemand, wenn wir die nicht hätten, hätten wir ganz wenige Informationen, und das wäre nicht gut .
Wir müssen eingestehen, dass sich die Situation seit
2007/2008 nicht wirklich verbessert hat . Die Gräueltaten, die seit Jahrzehnten in dieser Region verübt werden,
entziehen sich unserer Vorstellungskraft . Menschenrechtsverletzungen, Morde, Vergewaltigungen sind an
der Tagesordnung . Momentan scheint es leider so zu
sein, dass es eher schlechter als besser wird . Genau das
müsste UNAMID eigentlich verhindern .
Offensichtlich haben wir die höchste Gewaltstufe
noch nicht erreicht . Präsident al-Baschir hat nach Angaben von Amnesty International Giftgas gegen die
Menschen in Darfur eingesetzt - Kollegin Vogler hat es
gesagt -, genau 32-mal . Diesbezüglich habe ich die Bundesregierung um Auskunft gebeten, was sie denn darüber
wisse . Die Antwort war für mich etwas merkwürdig . Die
Regierung sagte nämlich, der Einsatz von Giftgas oder
Chemie sei wenig plausibel, und begründete das wie
folgt: Zumindest sei der Einsatz von Chemiewaffen von
keiner der beteiligten Seiten angesprochen worden . Mit
Verlaub, das halte ich für ein merkwürdiges Argument .
Immerhin handelt es sich hier um den dringenden Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit . Aber
weil niemand das Thema angesprochen hat, hält es die
Bundesregierung für nicht plausibel . Es gibt Bombardements, die auch Giftgasangriffe beinhalten könnten,
aber UNAMID steht nur achselzuckend da und sagt, sie
wissen nichts . 32 solcher Einsätze gab es seit Januar bis
heute . Das ist unerträglich .
({0})
Ich frage die Regierung: Worin ist Ihr lautes Schweigen eigentlich begründet? Ich kann Ihnen sagen, worin
es begründet ist: Die Mörder- und Folterknechte der sudanesischen Regierung sind nicht mehr die geächteten
Kriegsverbrecher, sondern inzwischen zu strategischen
Partnern in den deutschen und europäischen Außenbeziehungen geworden . Es geht um Grenzmanagement und
um die Abwehr von illegaler Migration . 12 Millionen
Euro erhält die Regierung dafür von Deutschland . Die
Bundespolizei war mit einem großen Tross in Khartoum
und hat Verhandlungen mit dem Innenministerium geführt .
Bereits vor einem Jahr habe ich von diesem Pult aus
den Paradigmenwechsel angesprochen, der mit den Beschlüssen von Valletta droht . Dass die Folgen derart
dramatisch sein werden, hätte ich mir aber nie träumen
lassen . Wir sehen inzwischen weg, und nicht nur das:
Deutschland und Europa machen die Zusammenarbeit
mit Diktatoren salonfähig . Das ist auch etwas, das wir
nicht verstehen können .
({1})
Wir sehen weg, wenn Zivilisten mit Chemiewaffen getötet oder verstümmelt werden. Ich finde, unter diesen
Umständen ist es gerechtfertigt, nach der Sinnhaftigkeit
des Mandats zu fragen .
({2})
- Abwarten!
Allerdings muss man auch anerkennen, dass UNAMID
für die humanitäre Versorgung der Menschen da ist . Es
werden Schutzzonen geschaffen und Transporte begleitet . Außerdem - wir haben es schon gehört - kann man
nicht davon ausgehen, dass die Situation besser wäre,
wenn es UNAMID nicht gäbe . Das ist eine naive Einschätzung . Es ist auch naiv, zu sagen: Wir schicken zivile
Friedensdienste hin . Denn es stellt sich die Frage, ob die
überhaupt überleben würden . Da muss man schon sehr
vorsichtig sein .
Die Ausführung des Mandats lässt extrem zu wünschen übrig . Aus der UNMISS-Diskussion von vorhin
wissen wir, dass Herr Staatsminister Roth gesagt hat,
dass das alles nicht zu akzeptieren ist . Allerdings erwarte
ich von einer Regierung, dass sie nicht nur sagt: Das ist
inakzeptabel . Vielmehr muss sie uns auch erklären, wie
sie dazu beitragen wird, dass sich die Verhältnisse vor
Ort bessern . Daran sollte die Bundesregierung arbeiten .
Sie sollte wirklich zusehen, dass sie auf internationaler
Ebene einen Hebel findet, um die Situation zu verbessern .
Danke schön .
({3})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin
Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen in diesen Stunden sehr häufig
von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit . Wir befürchten, dass aufgrund der Wahl in Amerika diese Verlässlichkeit und diese Berechenbarkeit gefährdet sein könnten . Umso mehr müssen wir selber zeigen, dass man sich
auf uns verlassen kann, dass wir berechenbar sind . Angesichts der vielen Krisen in der Welt - über eine reden
wir hier - gilt dies ganz besonders für Außenpolitik und
Verteidigungspolitik . Von uns und auch von der Europäischen Union erwartet die internationale Gemeinschaft,
dass wir hierin Vorbild sind . Ich glaube, das ist die richtige Botschaft nach Washington: Verlässlichkeit und Berechenbarkeit . Auch aus diesem Grunde, aber nicht nur, beschließen wir die Verlängerung des Mandats UNAMID .
Seit 2003 zählt die Region Darfur zu den schlimmsten Krisenherden der Welt. Der Konflikt im Sudan kostete seither etwa 300 000 Menschen das Leben . Etwa
2,6 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf
der Flucht . Tagtägliche Kampfhandlungen und bewaffnete Auseinandersetzungen verursachen Chaos . Jeden Tag
kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, massiver Gewaltanwendung, Rechtsverletzungen und zu Missbrauch
von Frauen und Kindern .
Wir haben heute Nachmittag in einer Anhörung von
einer Frau aus Afghanistan einen Erlebnisbericht bekommen und gehört, was das, worüber wir hier immer
so schlank diskutieren, bedeutet . Man muss einmal an
sich heranlassen, was es für eine Frau bedeutet, verkauft
zu werden von dem eigenen Mann, vergewaltigt zu werden, missbraucht zu werden von zehn Männern in einer
Nacht . Das hat diese Frau unter Tränen geschildert . Das
passiert genauso auch im Sudan .
Es kommt zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, 3 Millionen Menschen in der Region Darfur
sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, und - das ist angeklungen - 2 Millionen Kinder sind unterernährt . Das
ist Grund genug, hier Hilfe zu leisten . Doch der Zugang
für humanitäre Hilfe ist erschwert . Überfälle auf Hilfsorganisationen nehmen zu, auch Entführungen humanitärer
Helfer gehören längst zur grausamen Realität .
Leider ist die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und des nationalen Dialogs nicht so recht vorangekommen . Dennoch ist es wichtig, weiterhin an unserem
Ziel festzuhalten und bei den Konfliktlösungen im Land
mitzuhelfen .
({0})
Von diesem Ziel sind wir ziemlich weit entfernt; auch
das ist ja angeklungen . Deshalb bleibt das internationale
Engagement unverzichtbar . Um es mit Immanuel Kant
zu sagen:
Wenn wir die Ziele wollen, wollen wir auch die Mittel .
Im Rahmen von UNAMID leisten wir Hilfe zur Beilegung der Konflikte. Ich verstehe nach wie vor nicht, dass
die Linken ein solches Land und die Menschen in diesem
Land in die Hilflosigkeit entlassen wollen.
({1})
- Herr Gehrcke, das müssen Sie ertragen . - Das kann
doch nicht der richtige Weg sein . Sie lassen diese Menschen fallen . Sie sagen, wir sollen umkehren . Ich weiß
nicht, wohin .
({2})
Jedenfalls den Menschen im Land hilft das ganz sicher
nicht . Unsere Mission dient dem Schutz der Zivilbevölkerung . Wir leisten Unterstützung bei der Gewährung
der Sicherheit der humanitären Helfer und fördern die
Vermittlung zwischen den Konfliktpartnern. Was daran
falsch sein soll, möchte ich wirklich einmal wissen . Das
habe ich nicht verstanden .
({3})
Es kommt auch nicht darauf an, ob wir über 4 Soldatinnen und Soldaten reden oder über 400 . Unsere Gewissensentscheidung ist jedes Mal gleich schwer, weil es
von uns gut überlegt sein muss, wenn wir Soldatinnen
und Soldaten in den Einsatz schicken .
Sicherheit ist - das wird gerade im Sudan ganz deutlich - die Grundvoraussetzung für die humanitäre Hilfe .
UNAMID bildet somit eine wichtige Säule .
Lassen Sie uns zeigen, dass wir die Hoffnung auf eine
langfristige Lösung nicht aufgeben . Wenn wir die Hoffnung verlieren, dann verlieren die Menschen im Sudan
erst recht ihre Hoffnung . Dann entlassen wir sie in die
Hoffnungslosigkeit . Das kann ganz sicher nicht unser
Wunsch und Ziel sein . Ich bitte also um Zustimmung zu
dem Antrag zur Fortsetzung des Mandats UNAMID .
Vielen Dank .
({4})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10189 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 sowie die
Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
18 . Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz ({0}) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von
den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers,
Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung des Rechts
auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts
Drucksachen 18/8, 18/9914
ZP 7 Beratung des Berichts des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz ({1})
gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu
dem von den Abgeordneten Volker Beck ({2}),
Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare
Drucksachen 18/5098, 18/10227
ZP 8 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts
Drucksache 18/6665
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe allgemeines Einverständnis . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn das
Wort dem Kollegen Dr . Karl-Heinz Brunner für die SPD .
({4})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Zuhörerinnen und Zuhörer, die heute zu dieser späten Stunde zu
diesem Tagesordnungspunkt noch anwesend sind,
({0})
der mir wichtig ist und den hier Anwesenden sicherlich
ebenso . Als ich mich auf die heutige Rede vorbereitete,
fragte ich mich: Was soll ich sagen? Wir haben ja die Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken im Ausschuss immer wieder abgesetzt . Wir haben sie
vertagt, obwohl das Thema für uns, für die SPD und für
mich im Besonderen eine Herzensangelegenheit ist .
({1})
Ich erinnere mich noch sehr genau - die Kolleginnen
und Kollegen, die dabei waren, auch -, wie Abgeordnete
und Vertreterinnen und Vertreter des LSVD am 25 . September vergangenen Jahres vor dem Bundesrat standen,
um den Beschluss zur Ehe für alle zu unterstützen . Ich
war mir damals nicht sicher, jedoch hoffte ich, dass der
Entwurf, den ich im vollen Umfang für gut erachte,
schnell in die parlamentarischen Beratungen einfließt
und im Ergebnis umgesetzt wird . Doch seither diskutieren wir nur . Wir sind zwar bei der Rehabilitation der nach
§ 175 StGB verurteilten Männer, einem Schandparagrafen dieses Landes, nunmehr auf einem guten Weg, doch
bei der Ehe für alle sind wir noch keinen Schritt weitergekommen .
Es hilft auch nicht, immer wieder mit neuen Anträgen
oder Gesetzentwürfen der Oppositionsparteien konfrontiert zu werden .
({2})
Denn der Bundesratsentwurf ist gut . Es ist ein guter Entwurf - eigentlich ein guter Wurf -, weil er die Realität in
Deutschland widerspiegelt . Er rückt den Menschen ins
Zentrum, keine Gruppe, keine Minderheit, keine Mehrheit, sondern Menschen . Der Entwurf erneuert Grundprinzipien unserer Solidargemeinschaft, nämlich füreinander einzustehen, einander zu respektieren, einfach da
zu sein . Das ist toll und muss für uns alle gelten .
Doch leider gibt es immer noch Strömungen in unserer Gesellschaft, die diese Grundprinzipien nur für eine
Gruppe reklamieren wollen: nur für die Heteros . Dadurch
kommt es dann zu so etwas wie dem, was am 4 . November auf dem CSU-Parteitag passiert ist . Das Grundsatzprogramm der CSU ist ein Scherz, oder? Wäre es nicht
November, hätte ich es als Aprilscherz durchgehen lassen . Die Ehe von Mann und Frau wollen Sie vor Relativierungsversuchen schützen . Niemand relativiert hier
etwas . Aber eine eingetragene Lebenspartnerschaft wird
durch Ihren Vorschlag dauerhaft diskriminiert . Dann
die Härte in dem Programm: Es ist von Ideologie, Gender-Ideologie die Rede . Wo ist sie denn im Umgang mit
der deutschen Sprache gelandet? Das Wort „Ideologie“
benutzen meines Wissens nur diejenigen, die selbst Ideologen sind . Ich traue Ihnen ja vieles zu, aber das dachte
ich eigentlich nicht von Ihnen .
({3})
Sie verteidigen Geschlechterrollen, nicht moralische
Prinzipien . Sie verteidigen nicht das, was zusammenhält,
also Liebe und Fürsorge . Sie lassen sich nicht an die Beziehung von Mann und Frau binden . Sie sind ein hohes
Gut in unserer Gesellschaft, nämlich das Gut, dass Menschen füreinander sorgen . Kapieren Sie doch endlich,
dass Sie die Ehe für alle nicht aufhalten können, dass Sie
zu einem Lager der Scheinheiligen gehören, wenn Sie die
Ehe weiterhin nur für Mann und Frau vorsehen .
Ich möchte, dass das natürliche Recht des Menschen
auf gleiche Würde und gleiche Behandlung endlich
gleichrangig für alle in Deutschland gilt .
({4})
Vizepräsident Johannes Singhammer
Ich möchte ein Gesetz, das Rechte nicht nach Gruppen
unterscheidet, das nicht separiert . Ich möchte ein Gesetz,
das die Gesellschaft draußen schon lange formuliert hat .
Wir müssten es eigentlich nur noch abtippen und veröffentlichen: Gleiches Recht, gleiche Pflichten, Ehe für
alle. Ich finde, dass der Bundesrat mit seinem Entwurf
genau ins Schwarze getroffen hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir
sollten uns endlich zusammenraufen, das Thema abräumen und nicht über Wochen, Monate und Jahre zetern .
Lassen Sie uns dieses Kapitel mit Würde beenden, und
zwar mit der Ehe für alle!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und einen
schönen Abend .
({5})
Der Kollege Harald Petzold spricht jetzt für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf
den Besuchertribünen! Die Bundeskanzlerin hat gestern
dem neu gewählten amerikanischen Präsidenten Donald
Trump gratuliert . Sie hat dabei auf gemeinsame Werte
hingewiesen, die Deutschland und die USA verbinden .
Sie nannte Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht
und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft,
Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung
oder politischer Einstellung, und sagte: Dafür stehen
wir in Deutschland . - Angesichts der Äußerungen, die
Donald Trump im Wahlkampf unter anderem in Bezug
auf Homosexuelle gemacht hat, ist das richtig. Ich finde es sehr in Ordnung, dass sie das so betont hat . Ich
würde mir allerdings wünschen, dass diese Werte auch
in Deutschland gelebt werden, und zwar ohne Einschränkungen, so wie die Bundeskanzlerin es fordert .
({0})
Die Realität ist nach wie vor eine andere . Lesben,
Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen werden in Deutschland immer noch nicht gleichbehandelt .
Sie haben mit Ungleichbehandlung und Vorurteilen zu
kämpfen, und sie sind Anfeindungen ausgesetzt, und das
nicht zuletzt auch aufgrund des Bauchgefühls der Kanzlerin und der Blockadehaltung ihrer eigenen Partei, der
Union .
Meine Fraktion hat heute diese Debatte verlangt,
damit die Vorsitzende des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz zum zweiten Mal darüber berichten
muss, wie in diesem Ausschuss mit Gesetzentwürfen, die
zur Behandlung überwiesen worden sind, umgegangen
wurde . Aufgrund dieser Umgehensweise im Ausschuss
führen wir heute die mindestens 14 . Debatte zu diesem
Thema . Auch wenn der Kollege Brunner meint, es lohne
nicht, dass wir als Opposition immer wieder neue Anträge einbringen: Wir werden Sie so lange mit Anträgen
konfrontieren, bis Sie endlich dafür gesorgt haben, dass
Lesben und Schwule in der Gesellschaft gleichbehandelt
werden .
({1})
Wir haben in diesen mindestens 14 Debatten immer
wieder eines erlebt: dass auf der einen Seite die Opposition für gleiche Rechte gekämpft und auf der anderen Seite
die Koalition verhindert hat . Sie hat verhindert, dass über
den Gesetzentwurf der Linken im Ausschuss überhaupt
diskutiert worden ist . Sie hat verhindert, dass über den
Gesetzentwurf der Grünen zur Öffnung der Ehe im Ausschuss überhaupt diskutiert worden ist . Sie hat verhindert, dass über den Antrag der Linken zur Annahme der
Entschließung des Bundesrates im Ausschuss diskutiert
worden ist . Sie hat verhindert, dass es mehr Schutz für
Menschen mit HIV und Aids vor Diskriminierung gibt .
Sie hat verhindert, dass es gleiche Rechte für Regenbogenfamilien gibt . Sie hat verhindert, dass es das volle
Adoptionsrecht für Menschen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt .
Der absolute Treppenwitz der Geschichte ist, lieber
Kollege Brunner, dass ihr es gewesen seid, die ihr euch
im Ausschuss für diese Verhinderung hergegeben habt .
Mindestens 15 von 17 Mal ist in den Ausschusssitzungen von dir der Antrag gestellt worden, Beratungsgegenstände von der Tagesordnung zu nehmen, sie zu vertagen
oder aber gar nicht erst mit der Diskussion anzufangen .
Euer Fraktionskollege Johannes Kahrs kneift heute ja
ganz . Bei der letzten Beratung dieses Gegenstands hat er
hier vollmundig erklärt:
Es reicht . Ich habe einfach keine Lust mehr . Ich verspreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im Deutschen Bundestag noch einmal aufkommt, dann werden wir in der SPD-Fraktion darüber abstimmen,
wie wir hier abstimmen . . . . Entweder Sie raffen sich
jetzt mal auf
- das hat er in Ihre Richtung gesagt, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union und kriegen es hin, dass die Abstimmung geöffnet
wird, oder Sie werden hier im Deutschen Bundestag
eine Abstimmungsniederlage erleiden!
Kollege Petzold, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung des Kollegen Dr . Brunner?
Natürlich . Da ich nur noch vier Sekunden Redezeit habe, ist es mir sogar sehr recht, dass der Kollege
Brunner noch eine Frage stellt . - Bitte schön .
Das Folgende habe ich mir eigentlich erst für eine
Kurzintervention gedacht, aber ich kann es auch als ZwiDr. Karl-Heinz Brunner
schenfrage stellen . Verehrter Kollege Petzold, Sie haben
angesprochen, dass wir uns dafür hergegeben haben, die
Beratung zu verhindern . Sie wissen aber durchaus und
werden mit Sicherheit bestätigen, dass wir, wenn wir
das Verfahren im Ausschuss, so wie es Grüne und Linke
gern gewollt hätten, umgesetzt hätten, letztendlich nur zu
dem Ergebnis gekommen wären, das Sie nicht wollten,
nämlich zu einer Ablehnung der entsprechenden Anträge und damit zu einem Scherbenhaufen für diejenigen
Menschen, für die wir da sein wollen, für die wir nämlich
die Ehe für alle schaffen wollen . Deshalb haben wir die
Anträge abgesetzt, zur weiteren Verhandlung mit dem
Koalitionspartner, um den Menschen auch weiterhin die
Chance zu geben, in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung zu bekommen .
({0})
Es ist nach unserer Geschäftsordnung möglich, eine
Frage an den Redner zu richten oder eine Zwischenbemerkung zu machen . Entsprechend können Sie darauf
reagieren .
Lieber Kollege Brunner, ich nehme Ihnen persönlich
ja durchaus ab, dass Sie mit Herzblut für die Angelegenheit kämpfen, und Sie machten uns dies ja auch mit
entsprechender Emotionalität in jeder der von mir genannten mindestens 14 Debatten deutlich. Ich finde das
in Ordnung; das Anliegen hat diese Emotionalität auch
verdient .
Ich sage Ihnen zu Ihrer Bemerkung aber: Sie haben
die Absetzungsanträge jedes Mal verbunden mit der Zusage gestellt, dass es eine Lösung vonseiten der Koalition
geben werde und dass Sie darüber verhandeln würden .
Nur wurde diese Lösung nicht vorgelegt .
Wenn Sie wenigstens 10 Prozent der Energie, die Sie
hier für die Verhinderung aufgebracht haben, einmal dafür aufbrächten, dass wir endlich zu einer Lösung kommen,
({0})
dann können Sie doch von mir aus auch unseren Gesetzentwurf ablehnen . Aber dann nehmen Sie wenigstens den
Gesetzentwurf des Bundesrates an . Dann hätten wir das
Problem erledigt .
({1})
- Dafür könnt ihr selber werben, liebe Kollegen von den
Grünen .
Wenn wir zumindest den Gesetzentwurf des Bundesrates annehmen würden, dann hätten wir das Problem
vom Tisch . Sie wissen genau, wie der Weg geht . Dazu
bedarf es etwas Mutes seitens Ihrer Fraktion und nicht
nur der Ankündigungen des Kollegen Kahrs - das können Sie ihm auch ausrichten -; dass er heute hier bei dieser Sitzung kneift, finde ich oberdaneben, aber das muss
er mit sich selber ausmachen .
({2})
- Schade .
({3})
Ich will zusammenfassen: Geben Sie endlich Ihre
Blockadehaltung auf! Dann werden wir auch keine
weiteren Anträge dazu einbringen müssen . Sorgen Sie
endlich dafür, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle in diesem Land gleichbehandelt
werden . - Das sage ich auch in Richtung Union . Denn
die Kollegen von der SPD sind dafür nicht alleine zuständig; das wissen wir auch .
({4})
Nehmen Sie ernst, was Ihre Bundeskanzlerin gesagt
hat . Es geht um den Respekt, um die Freiheit und um das
Recht und die Würde der Menschen, unabhängig von der
sexuellen Identität .
Vielen Dank .
({5})
Ich darf darauf hinweisen - es ist hier auch schon mit
Zwischenrufen bekannt gemacht worden -, dass zeitgleich die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses stattfindet. Jeder von uns kennt die Bedeutung dieser
Ausschusssitzung .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Sabine SütterlinWaack für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
verrate kein Geheimnis: In der Großen Koalition gibt
es derzeit keinen Konsens in der Frage der Eheöffnung
für gleichgeschlechtliche Partner; wir haben es gehört .
Selbstverständlich entziehen wir uns aber nicht der parlamentarischen Diskussion, wie Sie heute hier sehen . Die
Opposition hat das Recht, über die Geschäftsordnung
das Thema auf die Tagesordnung zu setzen; das hat sie
ja auch getan .
({0})
Wir haben die erste Lesung abgehalten, wir haben unsere Bedenken geäußert, wir haben eine Anhörung durchgeführt . Das Meinungsbild in der öffentlichen Anhörung
war gespalten, aber unsere Bedenken wurden auch gestützt . Wir debattieren heute zum zweiten Mal vor dem
Hintergrund eines Berichts des Rechtsausschusses über
das Thema und haben den Gesetzentwurf des BundesDr. Karl-Heinz Brunner
rates als Beratungsgegenstand in der ersten Lesung . Sie
können uns also nicht vorwerfen, wir würden uns vor der
parlamentarischen Beratung drücken .
({1})
Liebe Berichterstatter der Opposition, ich lasse mir
auch nicht den Vorwurf gefallen, alle Diskussionen neben
den Debatten im Plenum vermeiden zu wollen . In unseren interfraktionellen Runden sind wir regelmäßig über
Gleichstellungsthemen im Gespräch . Unsere Meinung
hinsichtlich des Inhaltes der Gesetzentwürfe war und ist
gefestigt . Wir sind der Auffassung - ich wiederhole mich
an dieser Stelle -, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Wertentscheidung des
Verfassungsgesetzgebers vorbehalten ist .
Mit der ablehnenden Haltung gegenüber dem Gesetzentwurf möchte ich aber keinesfalls missverstanden
werden . Alle Menschen, die sich lieben und die dauerhaft
Verantwortung füreinander übernehmen, die sich Halt
und Stabilität geben wollen, verdienen gleichermaßen
Anerkennung und Wertschätzung .
({2})
Egal ob verschieden- oder gleichgeschlechtlich: Sie verdienen die absolute Zustimmung und Unterstützung des
Staates .
Der erste Schritt als Ausdruck dieser staatlichen Anerkennung und Unterstützung war die Einführung des
Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft, dessen
Rechte und Pflichten das Parlament, aber auch das Bundesverfassungsgericht in den letzten 15 Jahren immer
weiter konkretisiert haben . Der Vorwurf, ohne Öffnung
der Ehe würde weiter staatliche Diskriminierung gegen
Homosexuelle betrieben, ist schlichtweg falsch .
({3})
Die Eheöffnung ist eine vertretbare politische Forderung, aber eben keine zwingende grundgesetzliche Notwendigkeit .
({4})
- Herr Beck, hören Sie einmal zu .
({5})
Ich setze mich in meiner Fraktion für eine vollständige
rechtliche Gleichstellung ein und versuche, einen tragbaren, gesamtgesellschaftlichen Konsens zu finden.
({6})
Deswegen ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum
es, wie es www .queer .de formuliert, eine „perfide Idee“
sein soll, die eingetragene Lebenspartnerschaft im Grundgesetz zu verankern . Der Artikel 6 des Grundgesetzes
könnte dann heißen: Ehe, eingetragene Lebenspartnerschaft und Familie stehen unter dem besonderen Schutz
der staatlichen Ordnung . - Man würde die Ehe damit als
Verbindung zwischen Mann und Frau beibehalten, aber
die eingetragene Lebenspartnerschaft als gleichberechtigtes rechtliches Konstrukt daneben statuieren . Das hätte
doch mit Diskriminierung gar nichts zu tun .
Zusätzlich wäre eine Änderung des Personenstandsgesetzes vorstellbar, um den gleichgeschlechtlichen Paaren in administrativen Vorgängen die Offenlegung ihrer
sexuellen Identität zu ersparen . Diesen Vorschlag, der
auch der Idee unseres verehrten Bundestagspräsidenten
entspricht, habe ich mit den relevanten Akteuren unseres
Koalitionspartners und der Opposition erörtert - bislang
ohne Erfolg . Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen,
eine fehlende Kompromissbereitschaft, zumindest in der
jüngsten Zeit, können Sie uns wirklich nicht vorwerfen .
Ich möchte jetzt keine inhaltliche Verbindung herstellen, aber auch die Opposition muss doch erkennen,
dass unsere Herangehensweise an eine Thematik wie
die der Rehabilitierung der Opfer des § 175 Strafgesetzbuch in der alten Fassung eine veränderte Geisteshaltung
zum Ausdruck bringt . Wir erkennen an, dass die Rehabilitierung der Betroffenen ein wichtiges moralisches,
politisches und gesellschaftliches Anliegen ist . Da die
verurteilten Personen vielfach sehr alt sind, setzen wir
uns dafür ein, das Gesetzgebungsverfahren zügig voranzubringen, um es noch in dieser Legislaturperiode zum
Abschluss zu bringen .
({7})
Wir wollen, dass die Betroffenen ihre Rehabilitierung
noch erleben, und hoffen, dass sie dadurch mit unserem
Rechtsstaat versöhnt werden .
Ich schließe mit dem Gedanken, mit dem der Kollege
Petzold begonnen hat, und erinnere daran, dass unsere
Kanzlerin im Rahmen der gestrigen Gratulation an den
frisch gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten
von Amerika ausdrücklich den Respekt vor der Würde
des Menschen unabhängig von Geschlecht und sexueller
Orientierung als gemeinsame Wertebasis betonte .
In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und
Rechten geboren . Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen .
„Frei und gleich an Würde und Rechten geboren“:
Wenn man ernst nimmt, was die Bundeskanzlerin gestern
gesagt hat, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft,
Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung
http://www.queer.de
oder politischer Einstellung die gleiche Würde haben,
dann können Sie ihnen nicht die gleichen Rechte verweigern und homosexuelle Paare beliebig von einem Rechtsinstitut, nämlich der Ehe, ausschließen . Dann müssen Sie
konsequent sein und sich endlich zur Öffnung der Ehe
bereit erklären .
({0})
Es ist doch eigentlich absurd, dass Sie sagen, Sie seien
bereit, die Verfassung zu ändern, weil Sie wissen, dass
da nicht drinsteht, dass sich die Verschiedenheit von
homosexuellen und heterosexuellen Paaren in Ehe und
Lebenspartnerschaft dauerhaft ausdrücken kann . Nein,
diese Verschiedenheit werden wir verfassungsrechtlich
nicht festschreiben . Als in der Clinton-Ära die republikanische Mehrheit im US-Kongress mit dem Defense of
Marriage Act versucht hat, in die Verfassung zu schreiben, dass die Ehe eine Verbindung von Mann und Frau
ist, hat der Supreme Court der USA gesagt: Das ist verfassungswidrig, weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht und damit eines der zentralen Prinzipien der
amerikanischen Verfassung und jeder Verfassung eines
zivilisierten Landes verletzt .
({1})
Besonders originell war das nicht . Die Verfassungsgerichte Brasiliens, Mexikos, Südafrikas und vieler anderer
Staaten haben immer wieder genau das Gleiche gesagt:
Es widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit, homosexuellen Paaren nicht das gleiche Eheschließungsrecht zu
gewähren wie heterosexuellen Paaren .
Die Große Koalition wollte ja übrigens den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates heute nicht diskutieren, obwohl es in Artikel 76 der Verfassung heißt, dass
Bundesratsinitiativen zeitnah zu beraten sind und darüber
Beschluss zu fassen ist . Merken Sie sich für den nächsten Bericht nach § 62 der Geschäftsordnung, dass auch
Sie hier eine verfassungsrechtliche Pflicht haben, den
Bundesratsentwurf mit einem Beschluss zu bescheiden .
Ansonsten kann der Bundesrat Ihre Gesetze auch einfach
liegen lassen . Dann verhungern Sie hier am laufenden
Meter . In der Begründung des Bundesratsentwurfs wird
dargelegt, dass in drei Punkten ein gesellschaftlicher
Wandel des Ehebegriffs stattgefunden hat .
Der erste Punkt ist die internationale Rechtsentwicklung, die ich Ihnen gerade geschildert habe . Es gibt immer mehr Länder, die die Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare geöffnet haben, entweder durch gesetzgeberischen
Akt oder durch Entscheidung der höchsten Gerichte .
Der zweite Punkt ist: Es gibt einen Wandel in der
Bevölkerung . Die Bevölkerung unterscheidet in ihrem
Sprachgebrauch, in ihrem Verständnis nicht mehr zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft . Das tut Ihr Personenstandsgesetz . Das tut das Visum des Auswärtigen
Amtes, wenn jemand aus einem Verfolgerstaat einreist
und in seinem Pass steht: Einreisevisum für die Herstellung einer Lebenspartnerschaft statt einer Eheschließung .
Damit weiß jeder im Sudan, im Iran oder in Ägypten,
dass es sich um einen homosexuellen Bürger handelt, der
das Land verlässt, um eine homosexuelle Partnerschaft
einzugehen . Mit Ihrer Rechtspraxis gefährden Sie sogar
die Sicherheit von Menschenleben .
Den dritten Punkt hat das Bundesverfassungsgericht
selbst gesetzt mit seiner Entscheidung zum Fortbestand
der Ehe bei Transsexuellen . Das Bundesverfassungsgericht war der Auffassung, dass hier der Schutz der Ehe
vorgeht und dass man sich nicht vorher scheiden lassen
muss, wenn man verheiratet ist und einer der beiden Ehegatten eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen
will, weil er in seinem gefühlten Geschlecht auch tatsächlich zu Hause sein will . Durch sein Urteil hat das
Bundesverfassungsgericht die ersten transsexuellen Ehen
und damit auch die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen
geschaffen . Sie hätten übrigens damals die Möglichkeit
gehabt, zu reagieren und zu sagen: Wir machen eine Lebenspartnerschaft mit den identischen Rechtsfolgen der
Ehe . Damit hätten Sie dieser Entwicklung ausweichen
können .
Herr Kollege Beck, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?
Ja, ein letzter Satz . - Offensichtlich war es weder für
das Bundesverfassungsgericht noch für den Deutschen
Bundestag noch für den Bundesrat so entscheidend, an
der Geschlechtsverschiedenheit der Ehe begrifflich festzuhalten und da gesetzgeberisch initiativ zu werden .
Meine Güte! Nehmen Sie sich an Ihrer Kanzlerin ein
Beispiel - gleiche Würde unabhängig von der sexuellen
Orientierung -, und gießen Sie das in einen Gesetzesbeschluss . Öffnen Sie die Ehe . Ich sage Ihnen: Wir müssen
vor Ende der Legislaturperiode über den Bundesratsentwurf abstimmen . Vielleicht hat die SPD dann noch einmal Mut .
({0})
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Bettina
Bähr-Losse .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Rängen!
Die Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts war bereits im Februar dieses Jahres Thema hier im Plenum, sodass vermutlich alle
außer mir das Gefühl haben, ein Déjà-vu zu erleben . Im
Februar dieses Jahres ist der Bundestag unter gleichen
Vorzeichen zusammengekommen . Auf der Website des
Bundestages hieß es damals dazu: Eine parlamentarische
Besonderheit kann am Donnerstag, den 18 . Februar, beVolker Beck ({0})
obachtet werden, nämlich eine Debatte nach § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags .
Es mag Beobachter geben, die deshalb den Umgang
mit diesem Thema als respektlos bezeichnen . Das ist jedoch gerade nicht der Fall . Ich respektiere, dass die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
von dieser Möglichkeit, die ihnen die Geschäftsordnung
einräumt, Gebrauch machen, um dieses für viele Menschen so wichtige Thema weiter zu verfolgen . Ich fordere aber Respekt auch für die SPD ein; denn Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist auch klar, dass Teil einer
Großen Koalition zu sein auch bedeutet, Kompromisse
eingehen zu müssen . Die SPD hat in der vergangenen Legislaturperiode einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf
eingebracht . Gleichwohl werbe ich jetzt als Teil einer
Großen Koalition auch um Respekt für die von unserem
Koalitionspartner vielleicht noch immer mehrheitlich
vertretene Position .
Ich verstehe die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU-Fraktion . Konservative Parteien mit einem C in ihrem Namen haben bei diesem Thema andere innerparteiliche Auseinandersetzungen auszutragen als säkulare
Parteien .
({1})
Wir stehen im dauernden Dialog, um Überzeugungsarbeit zu leisten und Ihnen und Ihrer Partei auf dem Weg
der Entscheidungsfindung zu helfen.
({2})
Dies tun wir auch dann, wenn Sie dafür deutlich länger
brauchen als andere; denn auch das gebietet der respektvolle Umgang miteinander .
({3})
Wir als SPD wollen die CDU/CSU einbinden auf dem
Weg hin zu einem Gesetz, das es allen Paaren, egal ob
hetero- oder homosexuell, ohne Wenn und Aber erlaubt,
den Bund der Ehe miteinander einzugehen . Ich bin zuversichtlich, dass sich auch die CDU/CSU nicht dauerhaft davor verschließen kann, worum es hier eigentlich
geht . Es geht um den Respekt vor zwei Menschen, die
aus vollem Herzen Ja zueinander sagen wollen . Es geht
um zwei Menschen, die damit Werte und Traditionen
hochhalten und achten wollen . Die Ehe steht für diese
Entscheidung, und wir sollten sie jedem Paar in vollem
Umfang zugestehen . Dies ist die Position der SPD .
({4})
Es geht um zwei Menschen, die füreinander einstehen
wollen . Dagegen kann niemand ernsthaft und dauerhaft
etwas einzuwenden haben . Ich respektiere aber auch die
Einstellung und die Arbeit eines jeden Abgeordneten,
egal welcher Fraktion er oder sie angehört; denn niemand
in diesem Plenum macht sich die Meinungsbildung zu
der hier anstehenden Frage leicht . Ich fordere deshalb,
die Abstimmung zu diesem Thema freizugeben, sodass
jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete frei und nach
bestem Wissen und Gewissen abstimmen kann und wir
ein Gesetz mit einer breiten Mehrheit über alle Fraktionsgrenzen hinweg auf den Weg bringen und den Menschen,
die ihr Leben als Ehepaar in guten wie in schlechten Zeiten teilen wollen, unseren Respekt zollen können; denn
auch diesen Respekt schulden wir einander .
Ich danke Ihnen .
({5})
Frau Kollegin Bähr-Losse, Sie gehören dem Hohen
Haus seit dem vergangenen Monat an . Das war Ihre erste
Rede . Ich gratuliere Ihnen dazu .
({0})
Zum Abschluss dieser Aussprache erteile ich jetzt das
Wort dem Kollegen Alexander Hoffmann für die CDU/
CSU .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin, auch von mir einen herzlichen
Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, zu einer Rede zu einem schwierigen Thema, zu einem Thema, das mit Emotionen behaftet ist .
Wir haben dieses Thema schon mehrmals besprochen .
Kollege Petzold, ich will mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanken, dass es heute gelungen ist, dass wir dieses
Thema sehr sachlich ansprechen . Ich will schon in Erinnerung rufen, wie dieses Thema in der Vergangenheit
diskutiert worden ist: oftmals mit sehr vielen Emotionen .
({0})
Am Ende ging es oftmals um Toleranz, um das Grundgesetz . An mancher Stelle zeichneten sich diese Diskussionen gerade durch sehr wenig Toleranz gegenüber der
Meinung des anderen aus . Es wurden von Ihnen, Frau
Künast, und auch von Herrn Beck immer wieder zwei
Lager gebildet: Das eine, das sind die, die für die Ehe für
alle stehen, und die anderen sind einfach nur die Homophoben .
({1})
- Weil Sie gerade hereinrufen, Kollege Beck: Ich wollte
es gar nicht vertiefen; aber Sie haben im Zusammenhang
mit dieser Debatte schon den Begriff der Volksverhetzung verwendet . Der Kollege Kahrs benutzte einmal
den Begriff „Vollpfosten“ . Nur deswegen habe ich mich
bemüßigt gefühlt, das anzusprechen . Lassen Sie es doch
einfach einmal so stehen .
Die Debatte leidet vor allem immer wieder darunter das ist der zweite Punkt, den ich heute ansprechen möchte -, dass der Eindruck erweckt wird, Deutschland sei in
Sachen Gleichstellung Schlusslicht .
({2})
Kollege Beck, Sie haben jetzt Mexiko genannt . Sie haben
Brasilien genannt . Sie haben die USA genannt . Es wird
der Eindruck erweckt, Deutschland sei ein Hinterwälderland in Sachen Gleichstellung .
({3})
- Jetzt haben Sie gerade den Zuruf gemacht: „Ja, sind
wir auch .“ - Bei genauer Betrachtung wird klar, dass Sie
sich letztendlich eigentlich nur um eine oberflächliche
Betrachtung kümmern . Es geht Ihnen schlussendlich nur
um ein Etikett .
Zu den Ländern, die Sie genannt haben - USA, Mexiko, Brasilien -, muss ich Ihnen Folgendes mitteilen: In
den USA hat der Supreme Court 2015 die Ehe für alle
eingeführt . Das ist das Etikett . Was dahintersteht, ist die
Realität, dass heute noch mehr als die Hälfte aller Bundesstaaten keine arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz
Homosexueller vor Diskriminierung hat . In Mexiko gibt
es die Ehe für alle seit 2006 . Nach Umfragen lehnen dort
63 Prozent der Bevölkerung homosexuelle Partnerschaften ab . In Brasilien ist die Entwicklung ganz schlimm .
Auch dort stimmt nur das Etikett . Dort gibt es die Ehe
für alle seit 2013 . Im Jahr 2003 gab es dort 126 Morde an
homosexuellen Menschen und im Jahr 2013 schreckliche
260 Morde . In den letzten fünf Jahren ist dort die Rate
um 113 Prozent gestiegen . Deswegen traue ich mich,
mich hierhinzustellen und zu sagen: Liebe Kolleginnen
und Kollegen, lassen Sie uns uns doch nicht nur um die
Oberfläche kümmern, nicht nur um das Etikett; denn entscheidend ist das, was drin ist .
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Kollege Beck: Immer
wenn Sie das sagen, was Sie gerade gesagt haben, ärgere
ich mich, weil dabei vollkommen unter den Tisch gekehrt
wird, was politische Parteien in Deutschland, was Bundesregierungen und was auch die deutsche Gesellschaft
für die Gleichstellung in diesem Land schon getan haben .
({4})
Wir haben am 28 . September 2015 eine Anhörung
gehabt - es ist schon angeklungen -, bei der sehr gut
herausgearbeitet worden ist, dass es zur Vermeidung einer Diskriminierung eben nicht erforderlich ist, hier den
Ehebegriff zu verwenden . Das sollten Sie, lieber Kollege Brunner, auch nicht mit dem Beschluss des Parteitags
der CSU verwechseln . Da ging es vor allem darum, mit
dem Begriff „verheiratet“ die personenstandsrechtliche
Diskriminierung zu beseitigen . Das festzustellen, ist mir
wichtig . Sie sehen: Auch bei der CSU gibt es einen sehr
sachlichen und gewissenhaften Umgang mit diesem Thema . Da ist einfach meine Bitte, das nicht unter den Tisch
fallen zu lassen .
Auch Sie haben immer von „Gleichstellung“ gesprochen . Da ging es ja nie um die Einführung desselben Begriffs, vielmehr haben Sie mit dem Begriff der Gleichstellung immer schon zu verstehen gegeben: Es sind zwei
unterschiedliche Paar Schuhe, die letztendlich gleichbehandelt werden sollten .
Kollege Beck, ich muss Ihnen widersprechen: Das gesellschaftliche Verständnis der Ehe hat sich doch nicht
gewandelt . Die Ehe ist heute noch mit Abstand die Form
für das persönliche Zusammenleben von Menschen, die
am meisten gewählt wird .
({5})
70 Prozent aller Kinder werden in Ehen groß .
Zu diesem Thema hat kürzlich ein sehr kluger Mann
etwas geschrieben . Kollege Beck, hören Sie zu! Es
ging um die moderne Lebensgestaltung . Diese Person
schreibt - ich werde den Namen gleich nennen -:
Es geht darum, dass jeder nach seiner Fasson leben
kann, und nicht darum, traditionelle Lebensformen
abzuwerten oder die Individualisierung ins Extrem
zu treiben . Individualismus darf nicht zum Egoismus werden, sonst wird gesellschaftlicher Zusammenhalt unmöglich . So ist und bleibt die klassische
Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen - und das ist auch gut so .
({6})
Herr Kollege Hoffmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, was Ihre Redezeit verlängern könnte?
({0})
Mit großem Vergnügen, Herr Präsident . Unbedingt .
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass der Autor dieser Zeilen der Initiator des vorliegenden Bundesratsgesetzentwurfs ist?
Ja, natürlich, sehr gerne . Genau deswegen habe ich
diese Zeilen vorgelesen . Ich bin damit noch gar nicht am
Ende . - Es ist der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann .
({0})
Aber ich sage Ihnen, dass genau dieses Zitat von ihm
letztendlich die Botschaft transportiert, die auch uns als
Union beschäftigt .
({1})
Deswegen ist es zu kurz gesprungen, wenn Sie das in
zwei Lager einteilen .
Ich möchte zum Schluss kommen . Das ist der fünfte
Punkt, den ich ansprechen möchte . In meinen Augen diese Meinung werden Sie mir nicht nehmen - sollten
wir jetzt nicht darüber diskutieren, dass wir unterschiedliche Dinge am Schluss gleich bezeichnen . Es gibt einen
Unterschied zwischen der Ehe und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft .
({2})
Das ist nicht die Verbindlichkeit, das ist nicht die Fähigkeit, zum Beispiel einem Kind eine Heimat, ein gutes
Zuhause zu geben, sondern der Unterschied ist, dass aus
einer Ehe Kinder hervorgehen können .
Ich bitte dafür um Verständnis und bedanke mich für
Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/6665 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Anderweitige Vorschläge gibt es erkennbar nicht . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
Drucksache 18/10009
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({0})
Innenausschuss
A . f . Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe niemanden, der nicht damit einverstanden wäre .1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 18/10009 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . -
Anderweitige Vorschläge gibt es nicht . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
1) Anlage 10
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von
Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11
({1})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/10246
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, dass
Sie alle mit dieser Redezeit einverstanden sind . Dann ist
diese auch so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Harald Ebner, Bündnis 90/
Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier .
({0})
Warum befinden wir uns beim Gentechnikanbau eigentlich noch immer in diesem Film? Hat nicht Schwarz-Rot
im Koalitionsvertrag und in zahlreichen Debatten hier im
Hohen Haus mehrfach versprochen, dieses Thema endlich abzuhaken? Aber das ist wie beim Klimaschutzplan
heute früh: Versprechen alleine nutzen nichts; man muss
die Versprechen auch halten .
({1})
Dazu gehören eine klare Regelung, dass auch neue
Gentechnik Gentechnik ist, ein klares Gesetz für sichere, verlässliche, bundesweit einheitliche und dauerhafte Anbauverbote und - darum geht es heute - die klare
Ablehnung neuer Zulassungen von Gentech-Pflanzen in
Europa .
({2})
Weil Sie alle drei Punkte nicht hinbekommen wollen,
versuchen Sie jetzt, sich herauszumogeln .
Die Bundesregierung verspricht auf Facebook mit
einem grün angehauchten Posting: „Gentechnik kommt
nicht auf den Acker“ . - Das sieht schick aus . Sie brüstet sich als Widerstandskämpferin gegen die EU, die den
Anbau in Deutschland verbietet - ich zitiere -, „sogar
wenn die Pflanzen sonst in der EU zugelassen sind“.
Wer sorgt denn dafür, dass genau diese Pflanzen
„sonst in der EU zugelassen sind“? Das ist doch diese
Bundesregierung, weil sie in Brüssel nicht gegen deren
Zulassung stimmt,
({3})
und das sind Sie alle von der Koalition, die heute zum
wiederholten Male eine Abstimmung darüber verhindern .
Sie schieben den Schwarzen Peter nach Brüssel und
glauben, Sie könnten die Menschen da draußen verschaukeln . Das ist dreist und leistet weiterer Politik- und
EU-Verdrossenheit Vorschub . Das ist gerade in diesen
Tagen erschreckend .
({4})
Das zeigt weiter, dass die Rechnung der Gentechnikkonzerne aufgeht: Wer bei sich zu Hause verbieten darf,
der stemmt sich nicht mehr gegen EU-Anbauzulassungen . - Genau das sind Ihre Argumente: Mit einem nationalen Anbauverbot sei es doch egal, ob in Europa zugelassen wird . - Nein, das ist es eben nicht .
({5})
Zu Hause verbieten, aber woanders zulassen, ist armselig
und falsch .
Schlimm genug, dass Sie dazu hier und heute nicht
einmal offen stehen; aber dass Sie nicht einmal ein Gesetz für verlässliche Anbauverbote hinbekommen, sondern ein Gentechnik-Comeback-Gesetz vorlegen, das
ist noch viel schlimmer. Das findet sogar der Deutsche
Bauernverband . Klammheimlich wollten Sie darin gleich
noch dafür sorgen, dass die neue Gentechnik künftig gar
nicht mehr als Gentechnik gilt . Das ist ja praktisch: Damit schaffen Sie sich auch gleich noch diese peinliche
Abstimmerei vom Hals .
({6})
Dieses Gesetz sollten Sie schnell in die Tonne treten .
Es kommt jetzt in Brüssel bei den Anbauzulassungen
auf die Stimme Deutschlands an, und zwar in allernächster Zeit . Das erfordert auch, dass wir uns hier im Bundestag vorher dazu positionieren und nicht irgendwann .
({7})
Vor drei Wochen haben Sie uns die Abstimmung verweigert; es sei ja noch Zeit, den Antrag nach Beratung in
den Ausschüssen wieder ins Plenum zu bringen . Stattdessen haben Sie gestern im Ausschuss die Abstimmung darüber verhindert . Das ist unehrlich und unglaubwürdig .
Den Kopf in den Sand stecken, schafft doch die Fakten
nicht aus der Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({8})
Es bleibt dabei: Es geht darum, dass in den Folgewochen in Brüssel die Tür zum Gentechnikanbau in Europa weiter aufgestoßen werden soll . Das dürfen wir nicht
dulden - schon gar nicht durch eine meinungslose Enthaltung .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie wirklich verhindern wollen, dass Genmais auf den Äckern wächst,
dann müssen Sie in Brüssel mit Nein stimmen, und zwar
umso mehr, als diese Maislinien durch ihre dauerhaft eingepflanzte Insektizidproduktion und teilweise Resistenz
gegen ohnehin verbotene Herbizide auch noch besonders
problematisch sind . Pollen und Bienen, aber auch Saatund Erntegut machen nach wie vor nicht an Staatsgrenzen halt .
Es gibt ein Problem beim Saatgut . Da gibt es Verunreinigungen . Da gilt die Schwelle von 0,1 Prozent . Es gibt
ein Problem mit der invasiven Teosinte, der Urmaissorte
in Spanien . Da besteht die Gefahr der Auskreuzung . Wer
diese Zulassungen nicht ablehnt, der ermöglicht sie . Wer
hier nicht mal darüber abstimmen will, der hat Angst vor
den Wählern .
Danke schön .
({10})
Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Kees de Vries
das Wort .
({0})
Mein sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Sie kennen mich inzwischen und wissen, dass ich immer darauf bedacht bin,
sachlich zu bleiben,
({0})
ganz einfach, weil ich davon ausgehe, dass jeder hier
in diesem Hohen Hause - trotz manchmal sehr unterschiedlicher Meinungen oder Sichtweisen - das Ziel hat,
Deutschland nach vorn zu bringen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute tue
ich mich sehr schwer damit, sachlich zu bleiben; denn in
dieser Sache ist alles, was wir hier zu diskutieren haben,
klar . Das haben wir auch schon gestern im Ausschuss
festgestellt . Die drei zur Diskussion stehenden Maissorten MON 810, MON 1507 und Bt 11 werden in Deutschland nicht angebaut werden . Das ist eindeutig gesetzlich
geklärt .
({1})
Unser Minister Christian Schmidt hat die Antragsteller aufgefordert, das deutsche Bundesgebiet vom Anbau
ihrer Produkte auszuschließen . Diesem Wunsch wurde
nachgekommen . Damit ist klar: Deutschland bleibt gentechnikfrei .
({2})
Das dürfte sogar Ihnen seit 2015 bekannt sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum treffen wir
uns dann hier zu so später Stunde?
({3})
Als tierhaltender Landwirt habe ich überhaupt kein Problem mit dem Einsatz um diese Uhrzeit .
({4})
Wenn eine Kuh kalbt, Harald, krank oder ausgebrochen
ist, weiß ich, weshalb ich ran muss, obwohl ich mir nicht
sicher bin, ob ich dann etwas verdiene . Hier haben wir
unser nicht geringes Einkommen sicher . Trotzdem bin
ich empört, dass die Abgeordneten der Grünen ihre Kollegen zu einer so späten Stunde herbeizitieren, nur um
politisch zu punkten .
({5})
Der Bundesparteitag steht vor der Tür .
({6})
- Hast du Zeit? - Gut .
Ich kann das leider nicht anders als einen erneuten
Versuch sehen, den Wählern Angst vor etwas Unbekanntem zu machen, um sich nachher als Retter der Menschheit darzustellen .
({7})
Lieber Kollege Ebner, du hast in diesem Zusammenhang gestern die Begriffe „irreführend“ und „populistisch“ gebraucht . Eben habe ich die Worte „verschaukeln“ und „dreist“ verstanden . Ich könnte diese Worte
jetzt postwendend in einem anderen Kontext zurückgeben . Aber ich denke, ich sollte das besser lassen . Auch so
wird mich jeder verstanden haben . Bei jedem Wort, das
ich in dieser Sache weiter verschwende, ist es nur schade
um die Zeit .
Deshalb danke ich für die Aufmerksamkeit .
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Kirsten
Tackmann, Fraktion Die Linke .
({0})
Das grenzt eher an Arbeitsverweigerung .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Mit ihrem Antrag wollen
die Grünen heute erneut erreichen, dass die Bundesregierung die Anbauzulassung für drei gentechnisch veränderte Maislinien in Brüssel ablehnt, darunter das berühmt-berüchtigte MON 810, das tatsächlich einige Jahre
in Deutschland angebaut wurde, bis Ilse Aigner - von der
CSU übrigens - als Bundesagrarministerin diese Linie
bundesweit verbot,
({1})
weil es neue Hinweise darauf gab, dass die einheimische
Insektenwelt eben doch gefährdet ist . Unterdessen sagen
übrigens selbst Landwirtinnen und Landwirte, dass sie
die Pflanzen überhaupt nicht brauchen.
Alle drei Maislinien stammen aus den einschlägig bekannten Häusern: Monsanto, DowDupont und Syngenta .
Allein diese Namen lassen bei mir zumindest die Alarmglocken schrillen .
({2})
Aber leider verhindert das EU-Zulassungsverfahren
keine riskanten Pflanzen. Das ist das eigentliche Problem. Es hat zu viele Schlupflöcher. Zum Beispiel untersucht die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, potenzielle Risiken eben nicht
selbst, sondern prüft nur auf Grundlage der Unterlagen
der Hersteller . Das ist weder ein unabhängiges noch ein
transparentes Verfahren . Andere Risiken werden erst gar
nicht geprüft, zum Beispiel Langzeitwirkungen; ethische
Bedenken oder Verdrängungseffekte für konventionelle
Pflanzenzüchter werden nicht berücksichtigt. Deshalb
bleibt die Linke bei ihrer Hauptforderung: Das Zulassungsverfahren muss endlich fit gemacht werden, damit
Risikopflanzen gar nicht erst zugelassen werden.
({3})
Aber es geht eben um viel Macht, und es geht um viel
Geld . Deshalb ist der Widerstand sehr hartnäckig . Aber
ich sage auch: Auch wir sind hartnäckig .
({4})
Der kritische Geist in den Mitgliedstaaten ist längst
geweckt . Es ist gut, dass in Brüssel eben nicht die EFSA
entscheidet, sondern politische Gremien . Allerdings ist
in den politischen Gremien seit Jahren Blockade angesagt, leider mit konzernfreundlicher Unterstützung der
Bundesregierung . Sie stimmt einer Zulassung zwar nicht
zu, aber weil die Union dafür, die SPD aber dagegen ist,
enthält sich die Bundesregierung regelmäßig . Aber damit kommt keine qualifizierte Mehrheit - weder dafür
noch dagegen - zustande . Und deshalb kann ebenso regelmäßig die EU-Kommission ersatzweise entscheiden .
Diese Ausnahme ist längst zur Regel geworden . Und am
Ende - oh Wunder - wird immer zugunsten der Konzerne entschieden . Deswegen ist die Enthaltung der Bundesregierung in Brüssel eine politische Farce .
Aber es geht noch absurder . Dass die Bundesregierung
bei diesen drei Maislinien längst weiß, dass die Hersteller die Anbauzulassung gar nicht beantragen werden, ist
gerade genannt worden . Das geht über die sogenannte
Ausstiegsklausel, das Opt-out . Damit können die Mitgliedstaaten auch nach der EU-Zulassung gentechnisch
veränderter Pflanzen den Anbau auf ihrem Territorium
verhindern . Dass eine Regierung überhaupt - sei es direkt oder indirekt - Konzerne bitten soll, auf den Antrag
für die Anbauzulassung einer Risikopflanze im eigenen
Land zu verzichten, ist für mich als Linke, ehrlich gesagt,
schon ein ziemlich absurder Vorgang .
({5})
Aber wenn die Bundesregierung schon den Anbau im eigenen Land verhindern will: Wieso hält sie die Risiken
dann in anderen Ländern für unproblematisch? Mal abgesehen davon, dass länderübergreifende Handelsströme
einen Flickenteppich von Regeln ad absurdum führen .
({6})
Nein, das ist allzu durchsichtig . Legen wir doch die Karten auf den Tisch: Die SPD kann sich in der Koalition
nicht durchsetzen . Die Schlussfolgerung daraus muss sie
selbst ziehen . Was aber überhaupt nicht geht, ist, dass
heute erneut dem gesamten Parlament die Abstimmung
verweigert wird .
({7})
Wie lange will denn die SPD die Illusion verbreiten,
dass die Union irgendwann mal ihre Blockade aufgeben
wird? Außerdem haben wir hier doch eine gentechnikkritische Mehrheit . Grüne, Linke, SPD und sogar einige
Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU könnten
heute hier ein sehr starkes Zeichen setzen . Ich sage ganz
ehrlich: Ein selbstbewusstes Parlament muss dieses Zeichen setzen .
Vielen Dank .
({8})
Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kollegin Rita Hagl-Kehl für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ich möchte Sie explizit einmal ansprechen: Das
ist derselbe Antrag, über den wir bereits in der letzten
Debatte gesprochen haben . Die Situation ist auch noch
dieselbe .
({0})
Deswegen werde ich jetzt in Vertretung meiner Kollegin
Elvira Drobinski-Weiß, die erkrankt ist, noch einmal so
ungefähr dasselbe sagen .
({1})
In Artikel 20a des Grundgesetzes steht:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung . . .
Ich hoffe, Sie alle kennen diesen Artikel . Das ist genau
der Artikel, der für meine Fraktion zutrifft, wenn es um
Gentechnik geht . Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lehnen Gentechnik auf dem Acker ab .
({2})
Wir wollen die natürlichen Lebensgrundlagen für die
zukünftigen Generationen schützen . Vorteile für den
Verbraucher gibt es kaum, aber die langfristigen Risiken
für die Ökosysteme, für die Umwelt, für die Nahrungsgrundlagen sind kaum erforscht und ungewiss . Es wird
behauptet, dass Gentechnik wissenschaftlich erforscht
sei . Aber woher wollen wir wissen, welche Folgen es in
den nächsten hundert Jahren gibt? So lange existiert Gentechnik ja noch nicht .
({3})
Deshalb wollen wir - da sind wir uns durchaus mit den
Grünen und den Linken einig - in Deutschland den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen untersagen.
Wir wollen in Deutschland nur Forschungsvorhaben, wie
sie die EU erlaubt, und keinen Flickenteppich von Regelungen . Wir brauchen endlich einen Gesetzentwurf . Er ist
am 2 . November im Kabinett beschlossen worden . Laut
diesem Gesetzentwurf soll die Bundesregierung ein Anbauverbot erlassen . Das ist ein klarer Auftrag . Uns hätte
die Vorlage des Bundesrates zwar besser gefallen, und
die Länder kritisieren einiges an dem Gesetzentwurf,
({4})
zum Beispiel, dass das Einvernehmen zwischen sechs
Ministerien hergestellt werden muss, bevor ein Erlass
zustande kommt, dass die Zustimmung der Mehrheit der
zuständigen obersten Landesbehörden nötig ist oder dass
die Länder selbst tätig werden müssen, wenn der Bund
es nicht tut, wobei dann immer die Frage ist, ab wann die
Länder selbst tätig werden müssen . Den Prozess haben
Sie - Herr Schmidt ist leider nicht da; ich muss mich an
die Staatssekretärin wenden - mit diesem Gesetzentwurf
leider verkompliziert .
({5})
Minister Schmidt hat im Oktober laut Reuters gesagt - ich zitiere -: „Mein Ziel ist ein flächendeckendes
Anbauverbot …“ Wir fordern ihn als SPD-Fraktion und
als Koalitionspartner auf: Handeln Sie danach!
({6})
Beim Antrag der Grünen - dazu komme ich jetzt,
lieber Harald Ebner - geht es um die Zulassung von
gentechnisch veränderten Pflanzen auf EU-Ebene. Die
sozialdemokratisch geführten Ministerien stimmen regelmäßig dagegen - das ist von Frau Dr . Tackmann schon
festgestellt worden -, die unionsgeführten stimmen dafür . Damit kommen wir in der EU zu einer Enthaltung .
Insofern ist die Schlussfolgerung: Leider ist das keine
konsequente Haltung .
({7})
Wir wünschen uns vom Koalitionspartner, dass er endlich geschlossen den Wunsch der Bürger respektiert .
({8})
Die Menschen wollen keine Gentechnik auf den Feldern,
({9})
und wir wollen auch, dass es keine geben wird . Dann
können wir es ja per Gesetz regeln .
({10})
Auf den Feldern gibt es keine Gentechnik, in der Tiernahrung haben wir sie . Das wäre vielleicht auch mal ein
Thema, das aufgegriffen werden müsste; denn ich bin mir
nicht sicher, ob der deutsche Verbraucher immer weiß,
dass er die ganze Zeit schon Gentechnik mitisst ({11})
über die Tiernahrung, die in den guten deutschen Ställen
überall brav verteilt wird .
Das Anbauverbot, das wir wollen, liegt auf dem Tisch
und nimmt jetzt den gesetzgeberischen Weg . Da sind wir
als Gesetzgeber, als Parlament gefragt . Wir wollen, dass
das gemeinsame Ziel festgelegt wird . Mit dem Antrag,
der jetzt vorliegt, können und werden wir arbeiten .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({12})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf der Drucksache 18/10246 . Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über
ihren Antrag in der Sache . Die Fraktionen von CDU/
CSU und SPD wünschen Überweisung .
Mir ist mitgeteilt worden, dass dazu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird . Ich glaube, dass die
Kollegin Lemke als Erste reden möchte . Ich erteile ihr
hiermit das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantrage ich die Sofortabstimmung über unseren
Antrag, der sich auf die Zulassung dreier gentechnisch
veränderter Maissorten in Brüssel bezieht . Ja, es ist richtig, dass wir diese Debatte in der letzten Sitzungswoche
hier bereits geführt haben,
({0})
und ich bedauere mit Ihnen, Herr de Vries, dass wir diese
Debatte in dieser Woche noch mal führen müssen . Wir
sitzen wegen Ihnen hier, weil Sie in der letzten Sitzungswoche verhindert haben, dass unser Antrag hier zur Sofortabstimmung kommt .
({1})
Unsere Idee war, sich in dieser Woche nicht noch mal
zu treffen und diese Debatte nicht noch mal zu führen .
Wir waren bereits in der letzten Woche der Meinung,
dass dieser Antrag abstimmungsreif war . Die Debattenbeiträge haben auch gezeigt, dass alle im Thema sind und
wissen, worum es geht . Das Argument, das uns in der
letzten Woche entgegengehalten worden ist, namentlich
seitens der Kollegin Ziegler von der SPD-Fraktion, war,
dass eine Ausschussberatung unseres Antrages notwendig sei, diese durchgeführt werden solle und man ja danach über unseren Antrag abstimmen könne .
So weit, so gut . Das Problem ist, dass die Ausschussberatung inzwischen stattgefunden hat, Sie aber immer
noch nicht bereit sind, über unseren Antrag abzustimmen . Deshalb stehen wir jetzt wieder hier und beantragen erneut, dass er zur Sofortabstimmung kommt; denn
wir gehen davon aus, dass in Brüssel noch im November
oder im Dezember abgestimmt werden kann . Ein Antrag
dazu kann dort jederzeit auf die Tagesordnung gesetzt
werden, und wir finden, dass der Deutsche Bundestag in
einer so wichtigen Angelegenheit wie der Zulassung von
gentechnisch veränderten Maissorten auf europäischer
Ebene vorher klar Position beziehen und dem Minister
eine klare Position mit auf den Weg geben sollte . Deshalb
wollen wir, dass das Parlament sich positioniert .
({2})
Herr de Vries, ich finde, es ist schon starker Tobak, uns
hier Populismus vorzuwerfen, wenn Sie hier zum zweiten Mal eine Abstimmung über einen klaren Sachverhalt
verhindern, und zwar ausschließlich deshalb, weil Sie
nicht wollen, dass klar und transparent nach außen transportiert wird, dass Sie diese Zulassung eigentlich wollen,
aber den Schwarzen Peter in Brüssel hinterlassen möchten . Sie wollen, dass die Zulassung in Brüssel passiert,
aber Sie wollen hier gerne weiter gegen die Grüne Gentechnik reden und damit den Verbrauchern Sand in die
Augen streuen .
({3})
- Das ist nicht scheinheilig, sondern es ist Sinn und Zweck
Ihrer Operation, damit den Zwiespalt in der Großen Koalition zu überdecken . Das ist ein Problem, für das ich
Verständnis habe . Aber ich habe kein Verständnis dafür,
dass Sie die Verhinderung der Abstimmung über unseren
Antrag hier zum zweiten Mal zelebrieren . Dann stimmen
Sie gegen unseren Antrag . Haben Sie den Mumm in den
Knochen, zu sagen, Sie wollen diesen Antrag nicht; Sie
lehnen ihn ab . Heben Sie dann einfach beim Nein die
Hand, statt dass wir uns in der nächsten Sitzungswoche
wieder um 22 Uhr hier versammeln müssen .
Danke .
({4})
Als zweite Rednerin zur Geschäftsordnung erteile ich
der Kollegin Ute Vogt für die SPD das Wort .
({0})
Danke schön . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich spreche im Namen der Koalition, und
ich muss sagen: Natürlich hat der Herr Ebner recht: Es
ist hier Murmeltiertag . Die Grünen schaffen es Woche
für Woche, diese Empörungsmaschinerie anzuknipsen
und uns jedes Mal mit dem gleichen Antrag zu befassen,
der aber, wie Sie wissen, auch noch im Zusammenhang
mit der Beratung des Opt-out-Gesetzes steht . Das ist jetzt
gerade im Kabinett gewesen . Es wird uns demnächst erreichen . Da haben wir alle Zeit der Welt, eine gute und
ausführliche Debatte zu führen .
({0})
Ich will Ihnen eines sagen: Es gibt überhaupt keinen
Eilbedarf für den Antrag, den Sie heute hier vorlegen;
denn das Bundesministerium hat Ihnen gestern im Ausschuss schon erklärt, dass die EU-Kommission noch
nicht einmal den Termin für die anstehende Abstimmung
über die Zulassung dieser Maissorten festgelegt hat . Also
gibt es kein Eilbedürfnis, wie Sie es hier geltend machen .
({1})
Zum Zweiten ist Deutschland - auch das haben Ihnen
mehrere Kolleginnen und Kollegen bereits erklärt - von
den Anbauzulassungsvorschlägen, wie sie im Moment
vorliegen, nicht betroffen, weil wir bereits das Opt-out
erklärt haben und deshalb das gesamte Hoheitsgebiet
Deutschlands von dieser Zulassung ausgenommen ist .
({2})
Das Dritte haben Sie ja selbst eigentlich schon festgestellt . Die Bundesregierung wird dem jedenfalls nicht
zustimmen; denn die SPD-Seite hat schon erklärt, dass
Sie bei einem Nein zu diesem Thema bleibt . Insofern
brauchen Sie auch keine Sorge haben, dass eine Zustimmung erfolgen wird .
({3})
Schließlich muss ich Ihnen sagen: Was Sie hier betreiben, ist wirklich überflüssiger Alarmismus.
({4})
Es geht Ihnen doch überhaupt nicht um die Sache .
Es geht Ihnen wieder einmal um die typische Oppositionsnummer, eben mal was vorzuführen . Ich sage Ihnen:
Sie haben doch jedes Recht der Welt, Presseerklärungen
noch und nöcher zu machen . Da brauchen Sie doch nicht
jedes Mal unsere Zeit hier in Anspruch zu nehmen mit
Plenardebatten zu Dingen, bei denen im Grunde klar ist,
dass wir diese Debatte letzte Woche geführt haben und
dass wir sie in Kürze wieder führen werden .
({5})
Angesichts dieser ganzen schrillen Töne sage ich ganz
ehrlich: Ich wünsche es mir ja nicht, aber manchmal
denke ich schon: Ich würde Ihnen auch hier das gönnen, was Sie in Ländern zu ertragen haben, nämlich eine
schwarz-grüne Regierung . Dann wollte ich mal sehen,
wie Sie Ihre Klappe wieder aufreißen .
({6})
Wir sind jedenfalls der Meinung: Wir sollten anständig über den anstehenden Opt-out-Antrag diskutieren . Er
verdient es, ausführlich beraten zu werden . Die Showanträge, die Sie Woche für Woche vorlegen, lehnen wir ab .
({7})
Nach diesem Austausch von guten Wünschen
({0})
habe ich den Eindruck, dass die Wortmeldungen zur Geschäftsordnungsdebatte erledigt sind . Wir kommen dann
zu den Abstimmungen .
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Die Fraktionen
von CDU/CSU und SPD - das haben wir schon geklärt wünschen die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10246, und zwar zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und
zur Mitberatung an den Ausschuss für Gesundheit, an
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union . Wer
für diese beantragte Überweisung stimmt, den bitte ich
um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen sehe ich keine . Damit ist die Überweisung
beschlossen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke . - Damit stimmen wir heute über den
Antrag auf Drucksache 18/10246 in der Sache nicht ab .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes
Drucksachen 18/9531, 18/9907, 18/10102 Nr. 7
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Drucksache 18/10278
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann machen
wir das so .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10278, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/9531 und 18/9907 anzunehmen . Ich bitte jetzt
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . - Wer ist dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenom-
men .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben . - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Keine . Der
Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten
Hohen Hauses angenommen .
1) Anlage 11
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller ({2}), Katrin Kunert, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen
Drucksache 18/10241
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Federführung strittig
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Widerspruch erhebt sich nicht . Dann machen wir das so .2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10241 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Federführung
ist jedoch strittig . Die Fraktionen von CDU/CSU und
SPD wünschen die Federführung beim Verteidigungsausschuss; die Fraktion Die Linke wünscht die Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend .
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen . Der Antrag der Fraktion
Die Linke sieht vor, dass die Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt .
({5})
Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Gibt
es Enthaltungen? - Nein . Der Überweisungsvorschlag ist
damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt .
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD - Federführung
beim Verteidigungsausschuss - abstimmen . Wer für die-
sen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke angenommen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung
und der Vergütung für psychiatrische und
psychosomatische Leistungen ({6})
Drucksachen 18/9528, 18/9837, 18/10102 Nr. 2
2) Anlage 12
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({7})
Drucksache 18/10289
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Dr . Harald Terpe, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Psychisch erkrankte Menschen besser versorgen - Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln
Drucksachen 18/9671, 18/10289
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Gegenstimmen und andere Anträge sehe ich nicht . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ute Bertram für die CDU/CSU .
({9})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beschließen heute zu später Stunde den
Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen, das wir auch unter dem Kürzel PsychVVG kennen . Wie so viele Gesetze hat auch
dieses Gesetz einen reichlich sperrigen Titel . Jedenfalls
ist er nicht so peppig wie PEPP .
Dieser Gesetzentwurf ist aber sehr ambitioniert und
hat eine lange Entstehungsgeschichte . Während PEPP
das alte Vergütungssystem mit seinen intransparenten
Budgets zugunsten eines durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierenden Vergütungssystems auf der
Grundlage von tagesbezogenen Entgelten ablösen sollte,
kommt mit dem PsychVVG nun eine Regelung, die beide Systeme kombiniert. Man könnte, wie ich finde, auch
sagen: Es kommt einer Quadratur des Kreises gleich .
Zur Geschichte dieses Gesetzentwurfs gehört auch das
Eckpunktepapier aus dem sogenannten strukturierten Dialog, den die Bundesregierung und die Regierungskoalition mit den Berufsverbänden und den Partnern des Gesundheitswesens 2015 und Anfang dieses Jahres geführt
haben . Es hat sich gelohnt .
({0})
Der Gesetzentwurf findet die weit überwiegende Zustimmung der Beteiligten und der Betroffenen . Das hat Seltenheitswert, gerade im Gesundheitswesen . Dieser Konsens mit denjenigen, die das Gesetz betrifft, ist politisch
ein Wert an sich .
({1})
Ich möchte es deshalb nicht versäumen, den ganz persönlichen Einsatz von Bundesminister Hermann Gröhe
hervorzuheben und ihm und seinem Haus sehr herzlich
zu danken .
({2})
An dem mit PEPP verfolgten Ziel, die Vergütung für
psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser
leistungsorientiert und mit der verbesserten Transparenz über das Leistungsgeschehen in diesen Einrichtungen auszugestalten, halten wir mit dem PsychVVG fest .
Doch die bislang vorgesehene schematische Konvergenz
zu landeseinheitlichen Preisen entfällt . Stattdessen stärken wir die Verhandlungskompetenz der Vertragsparteien vor Ort .
In Abkehr von PEPP wird das Entgeltsystem, das die
Vertragsparteien auf Bundesebene ausgehandelt haben,
nun als Budgetsystem ausgestaltet . Die bislang vorgesehene Anwendung als Preissystem wird aufgegeben . Wir
erwarten von diesem Entgeltsystem, dass es leistungsorientierte Budgetvereinbarungen ermöglicht . Zusätzlich
erwarten wir mehr Transparenz über das Leistungsgeschehen . Die Kalkulation des Entgeltsystems und seiner bundeseinheitlichen Entgelte erfolgt weiterhin auf
der Grundlage empirischer Daten unter Verwendung der
Kostendaten der Kalkulationshäuser . Deren bisherige Arbeit war somit nicht umsonst .
({3})
Mit Unterstützung dieses bundesweit und empirisch kalkulierten Entgeltsystems wird das Budget der einzelnen
Einrichtung vereinbart . Hierbei werden regionale und
strukturelle Besonderheiten in der Leistungserbringung
berücksichtigt .
Einen besonders hervorzuhebenden Baustein für die
Budgetfestsetzung bilden die Personalkosten, was bei der
Psychotherapie als der „sprechenden Medizin“ allerdings
auch naheliegt . Von 2017 bis Ende 2019 wird die Psychiatrie-Personalverordnung scharf gestellt und ab 2020
durch verbindliche Mindestvorgaben abgelöst, die der
G-BA im Rahmen der Richtlinien zur Qualitätssicherung
festlegt . In Verbindung damit ist zu sehen, dass die Einrichtungen gegenüber den Kassen und auch gegenüber
dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, dem
InEK, die tatsächlich entstandenen Personalkosten und
die besetzten Stellen nachzuweisen haben .
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart worden, dass das
Entgeltsystem auch die sektorenübergreifende Behandlung fördern muss . Mit dem PsychVVG wird nun die
Möglichkeit eröffnet, dass psychiatrische Krankenhäuser
mit regionaler Versorgungsverpflichtung und Allgemeinkrankenhäuser mit selbstständigen psychiatrischen Abteilungen unter bestimmten Voraussetzungen eine, wie
es im Gesetzestext heißt, „stationsäquivalente psychiatrische Behandlung“ durchführen können . In Fachkreisen ist dies besser unter dem Begriff „Home Treatment“
bekannt . Eine sektorenübergreifende Behandlung im eigentlichen Sinne ist das Home Treatment nicht . Es ist ein
Einstieg der vorsichtigen Art .
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben
wir immerhin zwei Bremsklötze gelöst, indem wir die
Vizepräsident Johannes Singhammer
Erfordernisse einer akuten Krankheitsphase und eines
kompensatorischen Bettenabbaus gestrichen haben .
Das PsychVVG hat sich im Laufe der Beratungen außerdem zu einem Omnibusgesetz entwickelt . Dazu wird
es noch weitere Ausführungen meines Kollegen Reiner
Meier geben . Ich empfehle, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen .
Nur ganz kurz zum Entschließungsantrag der Grünen:
Ich glaube, wir haben einige der Forderungen, die in Ihrem Antrag enthalten sind, umgesetzt . Die Schiedsstelle
für Soziotherapie und auch der Nachweis der Personalstandards seien angeführt . Insofern ist es aus meiner Sicht
unberechtigt, diesem Gesetzentwurf jetzt Unzulänglichkeit zu bescheinigen . Daher lehnen wir Ihren Antrag ab .
Vielen Dank .
({4})
Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu später Stunde sprechen wir über dieses Thema . Die
Historie ist dabei nicht ganz unwichtig . Kaum jemand
erinnert sich noch an Herrn Bahr, der als FDP-Gesundheitsminister das pauschale Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik einführen wollte, eine Art
Fallpauschalen, die wir mit allen problematischen Wirkungen bereits in den normalen Krankenhäusern kennen .
Das war natürlich hochgradiger Unsinn; denn es ist klar,
dass dies gerade bei den psychischen Erkrankungen nicht
funktionieren kann .
({0})
Bei einer gleichen Diagnose, zum Beispiel Depression,
kann es extrem unterschiedliche Behandlungsverläufe
geben, die sich einer Pauschalisierung völlig entziehen .
Es funktioniert ja eigentlich auch schon jetzt nicht in den
somatischen Krankenhäusern .
({1})
Es gab daher erheblichen Widerstand von Fachgesellschaften, Patientenorganisationen, Gewerkschaften,
Klinikleitungen usw . Das führte zunächst zu einer Aussetzung des Vollzugs, zu einem Moratorium, und anschließend zu diesem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für
psychiatrische und psychosomatische Leistungen . Dies
ist ein wunderbarer Titel . Die Tatsache, dass uns das
sozusagen aufgegeben werden musste, war und ist ein
großer Erfolg dieses Widerstands . Es zeigt sich einmal
mehr: Widerstand lohnt sich .
({2})
Allerdings folgte der Freude über diesen Erfolg eine
gewisse Ernüchterung . Von vielen Akteuren war die Einschätzung zu hören, dass sie zwar die krankenhausindividuellen Entgeltverhandlungen begrüßen würden, dass
aber der leistungsgerechte Vergleich der Einrichtungen,
bei dem nach wie vor die durch PEPP ermittelten Daten
verwendet werden, zu einer Art PEPP durch die Hintertür
führe . Diese Einschätzung teilen wir .
Trotz Verbesserungen in Einzelheiten - nicht zuletzt
durch die Anhörung - bleibt also die Grundausrichtung
dieser Finanzierungsreform aus unserer Sicht falsch . Sie
setzt nicht auf eine Finanzierung, die sich am notwendigen Behandlungsbedarf orientiert, sondern setzt ähnliche
Fehlanreize, wie sie durch PEPP zu befürchten waren
und wie wir sie aus den normalen Krankenhäusern schon
kennen . Frühe Entlassungen, Drehtüreffekte und Ähnliches sind hier zu nennen .
Die Personalregelungen, die als Vorgaben immerhin
im Gesetzentwurf enthalten sind, sind aus unserer Sicht
unzureichend . Zusätzliche Mittel dafür - so geht es aus
einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage von
mir hervor - werden nicht eingestellt, und die Entwicklung der Personalvorgaben alleine in die Hände von Kassen und Krankenhäusern zu legen, ist nicht zielführend .
({3})
Wichtige Gruppen wie Patientenorganisationen, Fachgesellschaften und die Wissenschaften sind außen vor .
Eine Behandlung von psychisch erkrankten Menschen
im häuslichen Umfeld statt auf Station zu ermöglichen,
ist grundsätzlich positiv, und immerhin haben Sie geregelt, dass kein Zwang mehr besteht, im gleichen Umfang
Stationsbetten abzubauen . Es bleibt allerdings das Problem einer sinnvollen Verzahnung mit bereits bestehenden ambulanten Versorgungsstrukturen, also von möglichen Doppelungen, von möglicher Konkurrenz und des
Abbaus von Versorgungsnetzen .
Die Schlussfolgerung für uns lautet: Der Gesetzentwurf enthält einige gute Ansätze . Er ist letztendlich aber
nicht nur unzureichend geblieben - dann würden wir uns
enthalten -, sondern hält auch noch an der falschen Logik eines pauschalierten Entgeltsystems fest . Deswegen
werden wir ihn ablehnen, und deshalb haben wir einen
Entschließungsantrag eingebracht,
({4})
mit dem das eigentlich gute Projekt wieder auf ein vernünftiges Gleis gesetzt werden soll .
({5})
Zum Schluss möchte ich noch zum Thema Omnibus
kommen . Der Gesetzentwurf ist ein Transportmittel für
ganz andere Dinge . Besonders hervorzuheben ist der Griff
in die Rücklagen des Gesundheitsfonds von 1,5 MilliarUte Bertram
den Euro . Es handelt sich dabei um ein klassisches Wahlkampfgeschenk, das dazu dienen soll, im Wahljahr 2017
einen weiteren Anstieg der Zusatzbeiträge, die die Versicherten ja alleine tragen müssen, zu vermeiden . Das ist
allerdings ein Einmaleffekt . Der Zusatzbeitrag wird in
2018 umso stärker ansteigen müssen . Aber das ist dann
ja nach der Wahl . Insofern ist das der jetzigen Regierung
offensichtlich egal .
Ein richtiger politischer Skandal ist die Begründung
für diesen Griff in den Gesundheitsfonds . Sie lautet nämlich, dass durch die Zusatzkosten das Nachrücken von
Flüchtlingen in die GKV abgedeckt werden müsse . Das
ist meines Erachtens relativ problematisch und ein echter
Skandal .
({6})
Später ist Minister Gröhe von dieser Begründung teilweise wieder abgerückt, vor allen Dingen deswegen,
weil mehrere Kassen öffentlich erklärt haben, dass sie
das Geld zwar nehmen, für diesen Zweck aber eigentlich
nicht benötigen würden .
Herr Kollege Weinberg, achten Sie bitte auf die Zeit .
Ich komme zum Schluss . - Dieser falsche Zusammenhang, der hier hergestellt wurde, ist im Raum und wirkt
in einer Zeit, in der wir gemeinsam Verantwortung dafür
haben, dass der Rechtspopulismus nicht weiter bedient
wird, schlecht, und ich meine, hier müssen wir alle miteinander aufpassen .
({0})
Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Endlich ist es geschafft - es war ein langer Weg -: Wir haben ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht . Lieber Herr Kollege Weinberg, nicht nur der Titel
ist gut, sondern der gesamte Gesetzentwurf, und darauf
können wir stolz sein .
({0})
Gestatten Sie mir als jemand, der wirklich seit Beginn
dieser Legislaturperiode dafür gekämpft hat, dass wir
PEPP in den Griff kriegen, zu sagen, dass ich sehr froh
bin, dass wir es geschafft haben und ihm zumindest die
wesentlichen problematischen Reißzähne, die gerade den
Schwerstkranken schwer zu stehen gekommen wären,
gezogen haben . PEPP ist nicht weg; das will ich gerne
einräumen . Es ist nun aber Teil eines Gesamtsystems, eines Budgetsystems, in dem es auf jeden Fall nicht mehr
als Preisfindungsmechanismus dient. Das war einer der
zentralen Problempunkte .
({1})
Wir haben diesen guten Gesetzentwurf - das will ich
ausdrücklich sagen - einem strukturierten Dialog zu
verdanken, den wir dank unserer relativ schnellen Verlängerung der Optionsphase ermöglicht und bewusst auf
den Weg gebracht haben . Ich bin allen Beteiligten, den
Verbänden und den Ministerien, sehr dankbar dafür, dass
man das aufgegriffen hat . Ich bin an dieser Stelle vor allem den Verbänden dafür dankbar, dass sie gemeinsam,
vernünftig und strukturiert an einer Lösung mitgearbeitet haben . Deshalb sage ich, Herr Weinberg: Zumindest
nach dem, was ich höre, wird der Gesetzentwurf unisono
als durchaus gut und passfähig bezeichnet, und das ist er
eben auch .
({2})
Ja, wir haben den parlamentarischen Prozess genutzt die Kollegin hat das schon klargemacht -, um einen guten Entwurf noch ein bisschen besser zu machen; denn
nichts, was gut ist, könnte nicht noch besser werden . Das
haben wir mit 29 Änderungsanträgen auf den Weg gebracht .
Ich kann nur wenige Punkte aufgreifen; aber das will
ich gerne tun . Wir haben etwas mehr präzisiert, wie die
strukturellen und regionalen Besonderheiten in die Budgetfindung einfließen sollen, damit gerade hier das, was
für die Patienten wichtig ist, auch Berücksichtigung findet . Wir haben aber vor allen Dingen die Kritik in der
Anhörung aufgegriffen, dass der Bereich Kinder- und
Jugendpsychiatrie, der allerdings einer besonderen Betrachtung bedarf, im Entwurf vielleicht nicht ganz optimal abgebildet war, und haben dafür gesorgt, dass hierbei
der Fokus stärker auf die Besonderheiten von Kinderund Jugendpsychiatrie ausgerichtet wird .
({3})
Wir haben das neue Instrument Home Treatment, stationsäquivalente Versorgung, eingeführt und dieses Instrument jetzt noch einmal geschärft; denn wir haben die
im Gesetz vorgesehene unsinnige Verknüpfung mit dem
Bettenabbau eliminiert . Das hat - lassen Sie mich das
sagen - nicht nur die Frage aufgeworfen, ob das möglicherweise als Finanzanreiz ein Problem wäre . Meines
Erachtens hat es auch eine inhaltliche Bedeutung . Ich
habe die Umstellung der Eingliederungshilfe vom stationären auf den ambulanten Bereich selbst mitgemacht . Da
war es für viele Menschen wichtig, zu wissen, dass das
Bett noch nicht weg ist, es sozusagen eine Rückkehrsicherheit gibt . Ich glaube, das ist auch für die Akzeptanz
dieser Regelung ein durchaus nicht unwichtiger Aspekt .
Zudem haben wir dafür gesorgt, dass die Akutversorgung nicht zu eng geführt wird und wir am Ende womöglich gar keinen Personenkreis haben, der von dieser Lösung Gebrauch machen kann . Jetzt ist es an den Kliniken
und natürlich an den Patientinnen und Patienten - denn
es geht nur mit deren Wunsch und Willen -, diese durchaus gute Möglichkeit zu nutzen .
Ich sage ganz selbstkritisch - das zielt auch auf Ihren
Antrag -: Ja, wir müssen bei der Frage der Vernetzung,
bei der Frage des sektorübergreifenden Arbeitens noch
viel weiter kommen . Dazu steht durchaus viel Gutes in
Ihrem Antrag . Es ist aber auch vieles enthalten, was wir
aufgegriffen haben .
Wir haben dafür gesorgt - das war uns von Anfang an
wichtig, und das war einer der größten Knackpunkte am
PEPP -, dass es wieder und weiterhin eine verbindliche
Richtlinie für den Personalbereich gibt .
({4})
Darauf bin ich besonders stolz . Diese verbindliche Regelung wird jetzt dadurch in ihrer Verbindlichkeit geschärft, dass ein Nachweis dafür erbracht werden muss,
und zwar - das haben wir nachgebessert - ab 2017 und
nicht erst ab 2020, wenn die ganz neue Regelung in Kraft
tritt .
({5})
Wir finden es richtig, dass der Kostenträger bereits ab
diesem Zeitpunkt einen Blick darauf hat .
Wir haben auch geregelt, dass es möglicherweise
zu Ausnahmebestimmungen kommen muss, damit der
Übergang so gestaltet werden kann, dass es durch die
Umstellung von der Psych-PV auf die neue Personalrichtlinie nicht zu Versorgungsbrüchen kommt . Aber ich
sage für meine Fraktion ganz klar: Das muss, wie die
Worte es ausdrücken, eine Übergangs- und Ausnahmebestimmung sein . Es ist nicht dazu gedacht, die eigentliche
Personalrichtlinie zu unterlaufen . Sie muss verbindlich
und für alle geltend entsprechend realisiert werden .
({6})
Lassen Sie mich noch etwas zu einem Punkt sagen,
der mir ebenfalls extrem am Herzen lag und der sich auch
in Ihrem Antrag findet, nämlich zur Soziotherapie. Das
ist ein wirklich ganz wichtiges Angebot für Menschen
mit psychischen Erkrankungen . Dieses Angebot gibt es
schon lange; aber es kommt nicht in Gang . Warum nicht?
Weil man sich über die Finanzierung schlichtweg nicht
einigen kann . Wir haben endlich die dringend nötige
Schiedsstelle eingeführt . Somit bin ich guter Hoffnung,
dass dieses wichtige Angebot jetzt auf den Weg kommt
und wir die Soziotherapie endlich flächendeckend bekommen . Das ist aus meiner Sicht im Übrigen auch eine
durchaus wichtige Brücke im Hinblick auf das BTHG
und die Teilhabemöglichkeiten . Insofern gibt es sehr viele Schnittstellen, die wir hiermit in den Griff bekommen .
Ich bin mir ganz sicher, dass wir damit den immer
wieder auftretenden Drehtüreffekt „rein in die Klinik,
raus aus der Klinik“ vermeiden . Wenn Fachkräfte bei der
Therapiebegleitung vor Ort und bei den Möglichkeiten,
die man überhaupt in Anspruch nehmen kann, helfen,
dann kann das ein wichtiger Akzent sein, um ambulant
vernünftig versorgt zu werden .
Am Schluss noch etwas zu dem, was Sie, Herr
Weinberg, angesprochen haben . Ich gebe gerne zu, dass
uns die Begründung für die 1,5 Milliarden Euro aus dem
Gesundheitsfonds, die den Krankenkassen zusätzlich zufließen werden, nicht nur große Bauchschmerzen macht,
sondern dass wir Ihnen an dieser Stelle klar zustimmen
müssen . Es ist schlicht falsch gewesen, das so zu begründen .
({7})
Ich will hier nicht diskutieren, wie sinnvoll diese 1,5 Milliarden Euro sind - das lässt meine Redezeit auch nicht
mehr zu -; aber eines will ich in aller Deutlichkeit sagen:
Dies mit der Flüchtlingslage zu verknüpfen, ist schlicht
falsch und instinktlos. Das findet überhaupt nicht unsere
Zustimmung .
({8})
Mit diesen Worten bitte ich Sie dennoch, diesem Gesetz zuzustimmen; denn es ist ein gutes, ein vernünftiges
und für die Weiterentwicklung der Psychiatrie unverzichtbares Gesetz .
Herzlichen Dank .
({9})
Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, dieses PsychVVG ist eines der besseren Gesetze der Koalition .
({0})
Das liegt nicht nur daran, dass bereits im Gesetzentwurf
angedeutet wird, dass man eine Fehlentscheidung der
letzten Wahlperiode korrigieren will; das ist ein Punkt .
Es hat auch Nachbesserungen gegeben . So wurden viele Vorschläge und Forderungen aufgenommen, die die
Verbände erhoben haben, die sich aber auch in unseren
Anträgen - hören Sie zu! - aus der letzten und aus dieser
Wahlperiode wiederfinden, allerdings nur teilweise.
({1})
Tatsache ist: Wir haben Schlimmeres verhindert . Sie
haben mit den stationsersetzenden Leistungen kleine
Schritte für die Verbesserung der Versorgung im stationären Bereich möglich gemacht . Aber eines haben Sie
nicht geschafft: Sie haben nicht die Versorgung insgesamt anders aufgestellt . Sie sind nicht die große Aufgabe,
die wir längst hätten erledigen müssen, angegangen, eine
sektorübergreifende, durchgängig am Bedarf der Person
orientierte Versorgung zu ermöglichen .
({2})
Da haben wir noch viel vor uns . Es fehlt die Leitidee auch das ist ein Manko dieses Gesetzentwurfs -, wie wir
in Zukunft die Versorgung im Bereich der seelischen
Erkrankung organisieren wollen . Das wird dazu führen,
dass es Unklarheit darüber gibt: Wann und in welchem
Umfang werden die stationsersetzenden Leistungen in
Anspruch genommen? Wie verhalten sich die Krankenkassen zu den Verträgen, die es für die integrierte Versorgung aus dem ambulanten Bereich gibt? Wie folgen Sie
den Modellvorhaben, von denen es bundesweit bisher
klägliche 17 gibt, die einen viel größeren Versorgungsanspruch einlösen und das Suchfeld sein sollen, um eine
bessere Versorgung vor Ort zu gestalten?
All das ist bedauerlich und führt dazu, dass wir dem
Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen können .
Wir werden uns enthalten, weil wir wichtige Schritte in
die richtige Richtung sehen . Aber die eigentliche Aufgabe gehen Sie nicht an .
Ich bin mir ganz sicher: In der nächsten Wahlperiode
werden wir diesen Themenkomplex ganz schnell angehen müssen. Wir müssen nicht nur flexiblere Behandlungsmöglichkeiten für diejenigen finden, die bereits
stationär versorgt werden, sondern auch im Vorfeld einer
chronischen Erkrankung dafür sorgen, dass Menschen
sehr frühzeitig die Hilfe bekommen, die sie brauchen,
und zwar inklusive akuter Krisenversorgung . Heute geht
das nur stationär, nicht ambulant . Es wären aber stationsvermeidende Maßnahmen möglich . Das müssen wir
angehen . Ein Blick auf die Zahl der Erkrankungen zeigt,
dass wir hier große Verantwortung tragen .
Wenn Sie sich die Steigerungsraten anschauen, wenn
Sie sich anschauen, wie viele Erwerbsminderungsrentenanträge auf diesen Bereich zurückzuführen sind, wenn
Sie sich anschauen, wie lang die Wartezeiten auf allen
Feldern der Versorgung im ambulanten Bereich sind nicht nur bei der Psychotherapie, sondern auch bei den
psychiatrischen Praxen -, dann stellen Sie fest: Wir haben da noch einiges zu tun . Wir stehen auch in der Verantwortung, genau dies zu tun .
({3})
Trotzdem muss ich sagen: Es ist ein guter und richtiger Schritt gewesen, dass wir nicht in dieses Preissystem
eingestiegen sind, sondern dass wir es tatsächlich dahin
gebracht haben, und zwar weiter gehend, als Sie das im
Koalitionsvertrag stehen haben, dass wir auf ein neues
System umsteigen, wenngleich ich sagen muss, dass wir
natürlich nicht wissen, ob dieser Umstieg auch wirklich
gelingt . Die Linke hat recht: Es ist durchaus möglich, auf
der Grundlage des Gesetzes PEPP durch die Hintertür
einzuführen, wenn die Selbstverwaltung nicht zu anderen Lösungen findet. Auch da werden wir sehr genau hinschauen müssen, was möglich ist .
Kollegin .
Einen Wunsch habe ich noch, den ich am Ende noch
gerne loswerden würde . Was spricht dagegen, dass wir
tatsächlich einen Expertenrat einberufen und schauen,
wie eigentlich die Versorgung im Bereich der psychischen Erkrankungen in Deutschland aussehen muss und
wie wir dieses Versorgungssystem gestalten müssen, um
tatsächlich adäquate Antworten für die Erkrankten zu
haben? Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie einen
solchen Expertenbeirat nicht möglich machen .
Kollegin Klein-Schmeink, bitte .
Wir wissen, wie weit wir damals bei der Psychiatriereform gekommen sind und dass wir damals wirklich einen
Quantensprung hingelegt haben . Warum soll das heute
nicht möglich sein? Ich bitte Sie, in sich zu gehen, ob das
nicht bei nächsten Entscheidungen noch möglich wäre .
Vielen Dank .
({0})
Das Wort hat der Kollege Reiner Meier für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was lange währt, wird endlich gut . Wenn wir heute die
Strukturen im Bereich psychiatrischer und psychosomatischer Leistungen neu regeln, dann tun wir das in der
Überzeugung, dass wir gute und ausgewogene Lösungen
für die Patienten und die Leistungserbringer gefunden haben . Mit dem PsychVVG schaffen wir in Verbindung mit
den heute zu beschließenden Änderungsanträgen nicht
nur gerechtere und transparentere Vergütungsstrukturen,
sondern auch bessere Leistungen für unsere Versicherten .
({0})
Die Kollegin Bertram hat es schon angesprochen: Mit
dem Home Treatment führen wir eine neue Behandlungsform ein . Patienten werden statt im Krankenhaus daheim,
in ihrer gewohnten Umgebung, versorgt . Damit bieten
wir den Patienten ein neues Behandlungsangebot, das
Ängste vor der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus abbaut . Mit diesem Angebot schwächen
wir aber nicht etwa den ambulanten Bereich . Im Gegenteil: Es bleibt eine stationäre Leistung, in die der ambulante Bereich sogar jederzeit einbezogen werden kann .
Bei der Finanzierung der Einrichtungen schaffen wir
einerseits transparente und leistungsorientierte Strukturen, bewahren aber andererseits die notwendige Flexibilität .
({1})
Insbesondere können regionale oder hausindividuelle
Besonderheiten bei den Budgets künftig berücksichtigt
werden. Das ist gerade auf dem flachen Land besonders
wichtig, wo oft wenige Einrichtungen den Großteil der
Versorgung leisten müssen .
({2})
Im Bereich der verbindlichen Personalvorgaben unterstützen wir die Einrichtungen in den nächsten Jahren dabei, die Standards der Psych-PV zu erreichen . Dazu wird
es bis einschließlich 2019 einen Zuschlag auf die Budgets geben, wenn die Personalausstattung im Jahr 2016
noch unter diesen Anforderungen liegen sollte . Uns ist
klar, dass das notwendige Fachpersonal nicht immer und
überall gewonnen werden kann . Deshalb schließen wir
die Rückforderung dieser Zuschläge so lange aus, wie sie
für allgemeine Personalkosten genutzt werden können .
Auch das kommt letztendlich den Patienten zugute .
({3})
Das zeigt: Die Versorgungsqualität für Patientinnen und
Patienten stand bei diesem Gesetz immer im Vordergrund, und nicht die reine Fixierung auf ökonomische
Größen .
({4})
Das vorliegende Gesetz mit seinen Auswirkungen
weist aber auch weit über den Psych-Bereich hinaus .
So legen wir den im Krankenhausstrukturgesetz eingeführten Fixkostendegressionsabschlag für die Jahre
2017 und 2018 bundeseinheitlich auf 35 Prozent fest .
Auf Krankenhausebene kann in besonderen Fällen ein
erhöhter Abschlag von maximal 50 Prozent verhandelt
werden . Damit schaffen wir gleiche Startbedingungen
für alle und vermeiden einen Flickenteppich mit regional unterschiedlichen Abschlägen . Als zuständiger Berichterstatter für die Selbstverwaltung bedauere ich, dass
die Verhandlungspositionen für eine Einigung offenbar
zu weit auseinanderlagen . Deshalb gestatten Sie mir an
dieser Stelle den Hinweis: Die heutige Festlegung können die Verhandlungspartner durchaus als Starthilfe des
Gesetzgebers für Verhandlungen des Abschlags ab 2019
verstehen .
Meine Damen und Herren, die psychische Gesundheit
von Patienten mit vielschichtigen Krankheitsverläufen
ist ein sensibles Thema, für das wir uns viel Zeit genommen haben . Zahlreiche Anregungen und Stellungnahmen
aus der Praxis sind in diesen Gesetzestext eingeflossen.
Heute kann ich deshalb sagen: Das PsychVVG ist ein
großer Wurf .
({5})
Es genießt völlig zu Recht breiten Rückhalt bei den Patienten und den Fachverbänden . Ich hoffe, dass Sie diese
Auffassung teilen, und darf Sie deshalb um Ihre Zustimmung bitten .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung
für psychiatrische und psychosomatische Leistungen .
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe
a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10289
({0}), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den
Drucksachen 18/9528 und 18/9837 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10295 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .
Tagesordnungspunkt 23 b . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10289 ({1}), den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9671
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Drucksachen 18/9981, 18/10225
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Drucksache 18/3563
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({2})
Drucksache 18/10284
- Berichte des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksachen 18/10285, 18/10286
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . 1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes . Der Ausschuss
für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10284, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/9981 und 18/10225 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem
vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10284, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/3563 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
Drucksache 18/9757
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Drucksache 18/10074
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind auch hier einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10074, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/9757 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
1) Anlage 13
2) Anlage 14
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur
Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von
Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas
Drucksache 18/9950
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({5})
Drucksache 18/10274
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .3)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10274, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9950 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({6}) zu der Unter-
richtung durch die Nationale Stelle zur Verhü-
tung von Folter
Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der
Länderkommission
Drucksachen 18/8966, 18/9129 Nr. 1.2,
18/10217
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .4)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10217, in Kenntnis der Unterrichtung auf Druck-
sache 18/8966 eine Entschließung anzunehmen . Wer
3) Anlage 15
4) Anlage 16
Vizepräsidentin Petra Pau
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7})
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Fluchtursachen bekämpfen - Aufnahmestaa-
ten um Syrien sowie Libyen entwicklungspo-
litisch stärken
Drucksachen 18/8393, 18/9658
Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. - Sie sind
damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9658, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 18/8393 anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017
({8})
Drucksache 18/9753
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({9})
Drucksache 18/10290
Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. - Sie sind
damit einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10290, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9753 an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .
1) Anlage 17
2) Anlage 18
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 c auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
22. März 2016 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich
Drucksache 18/9754
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10})
Drucksache 18/10090
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
31. Mai 2013 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich
Drucksache 18/9755
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({11})
Drucksache 18/10092
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung
von Georgien über die Zusammenarbeit bei
der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten
von erheblicher Bedeutung
Drucksache 18/9756
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({12})
Drucksache 18/10091
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)
Tagesordnungspunkt 30 a .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-
rung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen mit
der Regierung der Republik Serbien über die Zusam-
menarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10090, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9754 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
3) Anlage 19
Vizepräsidentin Petra Pau
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 30 b .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit dem Ministerrat der Republik Albanien über
die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10092, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9755 anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 30 c .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen
mit der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10091,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9756 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 sowie den Zusatzpunkt 10 auf:
32 . Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter
von Wohnungseigentum
Drucksache 18/10190
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({13})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({14}), Renate Künast, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wohneigentumsrecht umfassend reformieren
und modernisieren
Drucksache 18/8084
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({15})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10190 und 18/8084 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung
({16})
Drucksache 18/10186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({17})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Versorgung verbessern - Kompetenzen von
Heilmittelerbringern ausbauen
Drucksache 18/10247
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10186 und 18/10247 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Dem Frieden verpflichtet - Friedens- und
Konfliktforschung stärken
Drucksache 18/10239
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({18})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
1) Anlage 20
2) Anlage 21
Vizepräsidentin Petra Pau
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Da
sich niemand zu Wort meldet, sind Sie offensichtlich da-
mit einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10239 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung
aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung
Drucksache 18/10209
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({19})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
1) Anlage 22
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind auch damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10209 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit .
({20})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11 . November 2016,
9 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute .
Die Sitzung ist geschlossen .