Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und mache Sie darauf aufmerksam, dass seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin
Sibylle Pfeiffer und der Kollege Willi Brase jeweils ihren 65 . Geburtstag gefeiert haben . Dazu gratulieren wir
herzlich .
({0})
Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr!
Für den ausgeschiedenen Kollegen Peer Steinbrück ist
die Kollegin Bettina Bähr-Losse als Mitglied des Deutschen Bundestages nachgerückt, die ich auch im Namen
des ganzen Hauses herzlich begrüßen möchte .
({1})
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit .
Dann müssen wir noch die Wahl von Mitgliedern des
Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau
durchführen . Hierzu schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor,
den Kollegen Bartholomäus Kalb sowie den Kollegen
Eckhardt Rehberg für eine weitere Amtszeit als Mitglieder des Verwaltungsrates zu berufen . - Das erzeugt
offenkundig keine größere Beunruhigung,
({2})
sondern allgemeines Einvernehmen . Dann soll das so
sein .
Auf Vorschlag der SPD-Fraktion soll der Kollege
Carsten Schneider ebenfalls für eine weitere Amtszeit
als Mitglied des gleichen Gremiums gewählt werden,
was er durch Nicken bestätigt . - Niemand lässt erkennen,
dass er dagegen Einwände habe . Dann ist auch das so
beschlossen . Die drei genannten Kollegen sind für eine
weitere Amtszeit gewählt .
Schließlich gibt es eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Lage in Syrien und Irak und die internationalen Bemühungen um eine Stabilisierung der
Region
({3})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({4})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Maria Klein-Schmeink,
Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern
Drucksache 18/9856
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5})
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Fahrverbot für laute Güterwagen
Drucksache 18/10033
ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
({6})
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge einführen
Drucksachen 18/8573, 18/10062
ZP 4 Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und DIE LINKE
Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
Bundesstiftung Baukultur gemäß § 7 des Gesetzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung
Baukultur“
Drucksache 18/10021
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zu CETA durch die Bundesregierung
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission
über das Inverkehrbringen von Saat gut
zum Anbau der gentechnisch veränderten
Maislinien MON 810, 1507 und Bt11
({8})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/10029
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung - Nachhaltigkeitsberichte wirksam und
aussagekräftig ausgestalten - Umsetzung der
CSR-Richtlinie
Drucksache 18/10030
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({9})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Schutz von Walen und Delfinen stärken
Drucksache 18/10019
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen
Drucksache 18/10032
ZP 10 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung
des Übergangs vom Erwerbsleben in den
Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben
({10})
Drucksache 18/9787
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({11})
Drucksache 18/10065
- Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10066
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({13})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W .
Birkwald, Sabine Zimmermann ({14}),
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Statt Rente erst ab 67 - Altersgerechte
Übergänge in die Rente für alle Versicher-
ten erleichtern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller-
Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Flexible und sichere Rentenübergänge er-
möglichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz-
Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kommunales Ehrenamt stärken - Anrech-
nung von Aufwandsentschädigungen auf
die Rente neu ordnen
Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213,
18/10065
ZP 11 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze
Drucksache 18/9232
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({15})
Drucksache 18/10064
Präsident Dr. Norbert Lammert
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({16})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Jutta Krellmann, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen verhindern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja
Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern
Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064
ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Aufklärung der Umstände der Verhaftung
und des Todes im Fall Jaber Albakr
Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 18 - hier geht es um die abschließende Beratung eines Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung - soll abgesetzt werden . Stattdessen sollen
unter Beibehaltung der Debattenzeit von 25 Minuten
der Antrag auf der Drucksache 18/10019 mit dem Titel
„Schutz von Walen und Delfinen stärken“ sowie der Antrag auf Drucksache 18/10032 mit dem Titel „Wirksamen
Walschutz weltweit durchsetzen“ aufgerufen und sofort
über sie abgestimmt werden .
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs .
Ich mache Sie schließlich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 22 . September 2016 ({17}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Finanzausschuss ({18}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Seefischereigesetzes
Drucksache 18/9466
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({19})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Der am 22 . September 2016 ({20}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({21}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz
vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
Drucksache 18/9535
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss Digitale Agenda
Der am 22 . September 2016 ({22}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({23}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen
Gewinnkürzungen und -verlagerungen
Drucksache 18/9536
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({24})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Die am 30 . September 2016 gemäß § 80 Absatz 3 der
Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({25}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der
Unfallverhütung im Straßenverkehr 2014 und
({26})
Drucksache 18/9640
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({27})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ich frage auch hier vorsichtshalber, ob irgendjemand
Einwände hat . - Das ist nicht erkennbar . Also ist es so
beschlossen .
Nun sind wir bei unserem ersten Tagesordnungspunkt,
dem Tagesordnungspunkt 3:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern
und Kommunen
Drucksache 18/9980
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({28})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Debatte 77 Minuten dauern . - Das ist offenbar einvernehmlich . Also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
({29})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann vermutlich darüber streiten, ob man die
große Zahl von Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr in
Deutschland angekommen sind, so vorhersehen konnte .
Ich glaube, das Ausmaß hat uns alle überrascht . Die Bundesregierung jedenfalls hat vom ersten Moment an alles
getan, um die Herausforderungen zu meistern . Ich habe
schon bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2016 im
September des vergangenen Jahres gesagt: Diese Aufgabe hat oberste Priorität, und wir werden sie auch finanzieren . - Das ist uns bisher auch gut gelungen .
Alle staatlichen Ebenen arbeiten eng zusammen . Wir
haben mit den beiden Asylpaketen eine gute gesamtstaatliche Lösung hinbekommen und passgenaue Antworten
gefunden, die allen Beteiligten gerecht werden . Am Geld
wird die Integration nicht scheitern; auch das hat die
Bundesregierung von Anfang an gesagt . Die Bundesregierung wird ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bei
der Aufnahme und Integration der zu uns Gekommenen
gerecht . Der Bund hat für die Bewältigung der Zuwanderung und zur Bekämpfung der Fluchtursachen in diesem
Jahr etwa 18,2 Milliarden Euro ausgegeben bzw . eingestellt - ausgegeben ist noch nicht alles . 2017 werden
wir knapp 21 Milliarden Euro, 2018 sogar 22 Milliarden
Euro bereitstellen .
Es ist klar, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung
im Nahen Osten und in Afrika fördern müssen, um, soweit es uns möglich ist, die Ursachen für die Flüchtlingsströme zu bekämpfen und sie damit zu verringern . Auch
deswegen bildet die Zusammenarbeit mit Afrika einen
Schwerpunkt europäischer Politik, aber auch unsere
G-20-Präsidentschaft, die im Dezember beginnt .
Der Bund hat aber auch die Länder und die Kommunen in den letzten beiden Jahren deutlich entlastet . Ich
möchte die Zahlen einmal im Zusammenhang vortragen .
Im Jahre 2015 haben wir pauschal 2 Milliarden Euro
über den Länderanteil an der Umsatzsteuer zur Verfügung gestellt . In diesem Jahr sind es rund 6,9 Milliarden
Euro .
Wir haben mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eine verfahrensabhängige Kostenbeteiligung des
Bundes sichergestellt - auch für die kommenden Jahre .
Vom ersten Tag der Registrierung bis einen halben Monat nach der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erhalten die Länder pro Bewerber
670 Euro pro Monat. Im Augenblick findet die Spitzabrechnung für die Abschlagszahlung 2017 statt . Das wird
in diesem Jahr über die bereits eingestellten Gelder in
Höhe von knapp 3 Milliarden Euro hinaus einen erheblichen zusätzlichen Betrag erfordern .
Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ihre Liegenschaften den Gebietskörperschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen mietzinsfrei
zur Verfügung gestellt . Gegen Nachweis erstattet sie
auch die entstandenen notwendigen und angemessenen
Erstinstandsetzungs- und Erschließungskosten .
Diese bereits umfassenden Entlastungen von Ländern
und Kommunen durch den Bund haben mit dazu beigetragen, dass sich die Haushaltslage von Ländern und
Kommunen gegenwärtig sehr positiv entwickelt . Dies
muss man immer wieder ins Gedächtnis aller Beteiligten
rufen .
Mit dem Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den
Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von
Ländern und Kommunen, das uns im Entwurf heute vorliegt, bringen wir die zwischen Bund und Ländern auf
Regierungschefebene am 16 . Juni und 7 . Juli dieses Jahres vereinbarten Entlastungen auf den Weg . Alleine diese
weiteren Entlastungen summieren sich bis zum Jahr 2019
auf knapp 20 Milliarden Euro . Im Einzelnen:
Der Bund wird in den Jahren 2016 bis 2018 die Kosten der Unterkunft und Heizung für anerkannte Asylund Schutzberechtigte vollständig übernehmen . Dadurch
werden die Kommunen voraussichtlich um etwa 2,6 Milliarden Euro entlastet .
Die Länder erhalten vom Bund für die Jahre 2016 bis
2018 eine jährliche Integrationspauschale in Höhe von
2 Milliarden Euro .
Der Bund gewährt den Ländern für den im Integrationskonzept enthaltenen Wohnungsbau zusätzlich jeweils
500 Millionen Euro als Kompensationsmittel für die Jahre 2017 und 2018 über die bereits in den Entflechtungsmitteln enthaltenen Mittel für den sozialen Wohnungsbau
hinaus .
Der Bund verbessert außerdem die Finanzausstattung
der Kommunen, wie schon im Koalitionsvertrag festgelegt, ab dem Jahr 2018 um zusätzliche 5 Milliarden Euro
pro Jahr . Er verzichtet dazu auf Anteile am Aufkommen
der Umsatzsteuer und erhöht seine Beteiligung an den
Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende . Die Länder haben sich in den
genannten Konferenzen auf einen Schlüssel der Verteilung geeinigt, der allerdings, wie ich weiß, im parlamentarischen Verfahren, was ja auch die Aufgabe des
Bundestages ist, einer intensiven Prüfung und Beratung
unterzogen werden wird .
Das alles ist jedenfalls - das sage ich auch vor dem
Hintergrund der Verhandlungen in der vergangenen Woche - doch wohl ein Beweis dafür, dass der Bund Länder
und Kommunen bei ihren Aufgaben nachhaltig unterstützt .
({0})
Es wird ja in der Öffentlichkeit auch angesichts der
Zahlen, die eine gute Haushaltslage der öffentlichen
Hand in Deutschland insgesamt belegen - damit stehen wir im Gegensatz zu vielen unserer Nachbarländer
in Europa -, die Frage gestellt: Können wir nicht noch
Präsident Dr. Norbert Lammert
mehr tun? - Hier ist zunächst einmal schon der Hinweis
notwendig, dass sich hier zunehmend ein gesamtstaatliches Problem verdichtet . Das haben wir gerade auch
im jüngsten Gutachten gelesen, das das ifo-Institut für
das Bundeswirtschaftsministerium erstellt hat . Es reicht
nämlich nicht aus, dass wir Geld bereitstellen, sondern
die Mittel müssen auch abfließen, die Vorhaben müssen
auch umgesetzt werden . Hier haben wir zunehmend ein
gesamtstaatliches Problem .
Ich nenne als Beispiel den Kindertagesstättenausbau .
Der Bund hat ihn in den vergangenen Jahren mit Milliardenbeträgen gefördert . Anfang dieses Jahres haben
wir die Mittel dafür im Zusammenhang mit den Flüchtlingsherausforderungen noch einmal deutlich erhöht . Ein
paar Wochen danach mussten wir aber zunächst einmal
das entsprechende Programm verlängern, weil die bereits etatisierten Mittel nicht schnell genug abgeflossen
sind . Sie werden nicht abgerufen . Das heißt, wir müssen
schneller werden; denn wir können natürlich die Kindertagesstätten für Flüchtlinge nicht erst dann bauen, wenn
aus den Flüchtlingen schon Senioren geworden sind .
Dann müssten wir eher Betreuungsheime bauen .
({1})
Das muss in Deutschland ein bisschen schneller gehen .
({2})
Das sehen wir zunehmend auch - das belegen entsprechende Gutachten - bei den Ausgaben für die öffentliche
Verkehrsinfrastruktur . Auch hier müssen wir besser werden . Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass wir in den
Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern in
der vergangenen Woche in diese Richtung Fortschritte
erzielt haben, die wir jetzt noch umsetzen müssen .
Ich lasse in meinem Haus auch prüfen - ich will damit
zeigen, dass wir alles tun, um irgendwie Lösungen zu finden -, ob wir bei Projekten, durch die wir den Kommunen Mittel zur Verfügung stellen, nicht möglicherweise
auch Kapazitäten für Planungsverfahren bei den Kommunen mit einbeziehen können . Das ist verfassungsrechtlich nicht ganz einfach, aber wir suchen jeden Weg,
um zu helfen .
Wir haben in der vergangenen Woche auch beschlossen, die Mittel für den Fonds zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen aufzustocken und
zu verlängern . Diese Mittel verteilen wir nach einem
Schlüssel über die Länder, der auch nicht völlig ohne Probleme ist. Es ist aber besser, wir helfen finanzschwachen
Gemeinden über einen nicht hundertprozentig perfekten
Schlüssel, als gar nicht . Außerdem heben wir die Zwecksetzung ein Stück weit auf, weil wir bei der Verwendung
dieser Mittel für Kommunen durch die Föderalismusreform außergewöhnlich beschränkt sind . Ich glaube, das
ist richtig; denn so können wir in den nächsten Jahren
auch in finanzschwachen Kommunen mehr für Schulen
tun . Deswegen begrüße ich die Absprachen, die wir in
der vergangenen Woche dazu getroffen haben .
({3})
Der Bund wird jedenfalls seine Bemühungen fortsetzen,
im Rahmen seiner Möglichkeiten finanzschwachen Gemeinden zu helfen .
Aber noch einmal: Wir müssen dafür werben, dass die
Weitergabe der Mittel in allen Ländern entsprechend der
Zielsetzung erfolgt . Deswegen ist es wichtig, dass wir
mit den Ländern vereinbart haben, dass der Bund und
auch der Bundesrechnungshof in Zukunft stärker darauf
achten können, dass die Mittel entsprechend der Zwecksetzung bei den Ländern verwendet werden . Das ist keineswegs irgendein Angriff auf die Länder oder Ausdruck
eines Misstrauens ihnen gegenüber, sondern es geht einfach nur darum, unsere jeweiligen Aufgaben innerhalb
der föderalen Grundordnung optimal zu erfüllen .
Ich will zu den Vereinbarungen in der vergangenen
Woche gar nichts weiter sagen . Das war wie immer ein
langes Ringen . Noch manches Mal wird es angesichts
der Herausforderungen durch die rasanten, schnellen
Veränderungen in Zeiten der Globalisierung wichtig
sein, losgelöst vom aktuellen Streit gemeinsam darüber
nachzudenken, wie wir unser föderales System, das ja im
Prinzip gut und richtig ist, noch leistungsfähiger machen
können .
Die Länder, die Gemeinden und der Bund haben jedenfalls die großen Herausforderungen durch die starke
Zuwanderung von Flüchtlingen bisher in einem außergewöhnlich guten Maße gemeistert . Auch das ist ein Ruhmesblatt für die Bundesrepublik Deutschland .
({4})
Deswegen werden wir weiter daran arbeiten, dass die föderale Ordnung diese Aufgaben meistern kann, dass sie
sich durch schnelle Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit bewährt . Der Bund ist sich seiner Verantwortung für
die Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe bewusst .
Wir alle miteinander, Länder, Gemeinden und der
Bund, haben im Großen und Ganzen alles getan, um die
starke Zuwanderung von Flüchtlingen zu meistern . Wir
haben das bisher ganz gut hinbekommen . Dass uns das
weiterhin gelingen kann, dazu soll der vorliegende Gesetzentwurf beitragen .
Herzlichen Dank .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertribüne möchte ich eine Delegation des österreichischen
Nationalrates herzlich begrüßen, die in dieser Woche
mit vielen Mitgliedern des Bundestages aus verschiedenen Gremien zahlreiche Gespräche führt und damit unterstreicht, dass wir viele gemeinsame Interessen und ganz
sicher eine gemeinsame Verantwortung haben . Herzlich
willkommen und weiterhin gute Zusammenarbeit!
({0})
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gesine Lötzsch
für die Fraktion Die Linke .
({1})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Monatelang haben Bund und Länder laut und öffentlichkeitswirksam über die Verteilung
der Kosten gestritten . Man kann über diesen Streit vieles
sagen, aber eines, finde ich, muss man sagen: Er war vor
allen Dingen gefährlich, und zwar brandgefährlich im
wahrsten Sinne des Wortes . Das dürfen wir nicht zulassen, meine Damen und Herren .
Wir haben gesehen, dass es in dem monatelangen
Streit zu Annäherungen kam . Aber ich will daran erinnern, dass wir auch schon Situationen hatten, in denen
wir schwierige Fragen in ganz kurzer Zeit gelöst haben .
Ich darf Sie daran erinnern, wie schnell wir die Bankenrettung beschlossen haben . Da haben wir eine einzige
Woche gebraucht, um die entsprechenden Maßnahmen
umzusetzen. Ich finde, diesen Vergleichsmaßstab muss
man schon anlegen . Eine Lösung in der Frage der Kosten
war überfällig . Ob diese Lösung die richtige ist, müssen
wir noch kritisch diskutieren, meine Damen und Herren .
({0})
Diese Diskussion war doch Wasser auf die Mühlen
derjenigen in unserem Land, die für jedes der Probleme,
die wir haben und die wir auch schon hatten, bevor Menschen vor Krieg, Not und Hunger zu uns geflohen sind,
die Geflüchteten verantwortlich machen. Das zuzulassen,
das ist politische Verantwortungslosigkeit, meine Damen
und Herren .
({1})
Denn die Probleme waren doch schon vorher da: Wohnungsmangel, marode Schulen, marode Gebäude und
Brücken sowie Investitionsstau an allen Ecken und Enden . Der IWF, der Internationale Währungsfonds, der
nun bestimmt keine Vorfeldorganisation der Linken ist,
hat die Bundesrepublik mehrmals deutlich aufgefordert,
mehr zu investieren . Das müssen wir endlich tun . Wir
brauchen in dieser Gesellschaft keine Sündenböcke . Es
geht nicht nur um die Geflüchteten, sondern es geht um
unsere Gesellschaft insgesamt . Es geht um uns alle . Das
müssen wir endlich begreifen, meine Damen und Herren .
({2})
Herr Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt: Man muss
jetzt dafür sorgen, dass das Geld in den Kommunen
ankommt, und es muss dafür gesorgt werden, dass das
Geld, was da ist, auch dafür verwendet wird, wofür es
bereitgestellt wurde . - Wenn jetzt aber mit einem kleinen
ironischen Unterton gesagt wird: „Die schaffen das nicht
in den Kommunen . Die Kommunen haben dafür nicht
das Personal . Warum haben sie nichts vorbereitet?“,
möchte ich und muss ich Sie alle daran erinnern, dass
systematisch mit den Schlagworten „schlanker Staat“,
„Privatisierung“, „die Privaten können alles besser“ die
kommunalen Verwaltungen und auch Landesverwaltungen kaputtgespart wurden . Wir stehen jetzt vor einem
Trümmerhaufen . Dieser muss schnellstens aufgeräumt
werden, meine Damen und Herren .
({3})
Wir haben im Bundeshaushalt Geld für viele Bauprojekte zur Verfügung gestellt, die jetzt nicht umgesetzt
werden können . Gestern im Haushaltsausschuss sagte die
Bauministerin - ich sage es einmal höflich - ein bisschen
hilflos, es gebe auch bei Studiengängen einen Schweinezyklus, es gebe halt nicht genug Bauingenieure und
Architekten und sie wisse nicht, was man da machen solle . Was man da machen soll, kann ich Ihnen sagen: Wir
brauchen eine nachhaltige und vorausschauende Politik
und keine Politik, die von einem Monat zum anderen hechelt . Wir müssen unser Gemeinwesen so ausgestalten,
dass wir nicht in eine Situation kommen, dass der Staat
schwach ist . Wir brauchen einen starken Staat; denn nur
Reiche können sich einen schwachen Staat leisten - und
das wollen wir nicht, meine Damen und Herren .
({4})
Natürlich wird viel über Ängste und Herausforderungen gesprochen, und manchmal wird gesagt, dass die
Leute sich bestimmte Bedrohungen nur einbilden . Wir
müssen aber, wie ich glaube, die Menschen nicht mit
Worten, sondern mit Taten überzeugen . Wenn Menschen
vergeblich eine bezahlbare Wohnung suchen, dann sind
wir alle in der Verantwortung und können nicht einfach
sagen, sie bildeten sich das nur ein . Die Wohnungsfrage ist eine ganz zentrale Frage bei der Bewältigung der
Probleme, vor denen wir stehen, und hier müssen wir
ansetzen und zu guten Entscheidungen kommen, meine
Damen und Herren .
Ich will Ihnen aber abschließend sagen, dass der
Schlüssel für die Bewältigung aller dieser Probleme in
der Lösung einer zentralen Frage, nämlich der Gerechtigkeitsfrage, liegt . Vor knapp drei Wochen ist ein Erbenverschonungsgesetz beschlossen worden . Große Teile der
Gesellschaft finanzieren die gesamte Gesellschaft, und
es wird den Reichen erlaubt, sich aus der Verantwortung
zu stehlen . Das dürfen wir nicht länger mitmachen . Wir
brauchen eine gerechte Besteuerung, wir brauchen eine
Erbschaftsteuer, wir brauchen eine Vermögensbesteuerung . Es kann nicht sein, dass 1 Prozent der Bevölkerung
in unserem Land über ein Drittel des Eigentums verfügt .
So können wir unsere Gesellschaft nicht gerecht gestalten . Gerechtigkeit ist die Schlüsselfrage, nicht nur für
die Geflüchteten, sondern für alle Menschen in unserem
Land .
Vielen Dank .
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Gottschalck
für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Anders als meine Vorrednerin würde
ich die Kommunalverwaltung nicht als Trümmerfeld
bezeichnen - im Gegenteil . Ich sage: Wir sind stolz auf
unsere Kommunen; denn wir haben starke Kommunen in
Deutschland, und die Städte, Gemeinden und Landkreise
sind die Kraftwerke unseres sozialen Miteinanders, weil
sie Kinderbetreuung, Nahversorgung, gute Mobilität, das
soziale Netz und alles Mögliche mehr vor Ort organisieren. Und das muss auch finanziert werden.
({0})
Deutschland braucht deshalb starke Kommunen, in
denen die Menschen gern leben . Denn die Menschen erleben dort auch, ob die Daseinsvorsorge, ihr ganz normales Leben, funktioniert oder eben nicht . Und damit
es funktioniert, müssen die Kommunen gut ausgestattet
sein .
Es gibt Kommunen, denen es gut geht, aber es gibt
leider auch Kommunen, die seit Jahren darum kämpfen,
finanziell handlungsfähig zu bleiben. Zusätzlich wächst
die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen . Deshalb hat sich die Regierungskoalition darauf verständigt,
dass die Entlastung der Kommunen absolute Priorität bekommt. Das finanzielle Engagement des Bundes zugunsten von Ländern und Kommunen ist - das sollten wir
immer wieder betonen - in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig . Bis zum heutigen Tag haben wir die
Kommunen bereits um viele Milliarden Euro entlastet .
({1})
Da ist zunächst einmal die Übernahme der Kosten der
Grundsicherung zu nennen . Dann unterstützen wir den
Ausbau der Kinderbetreuung, obwohl dieser in die verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder fällt . Wir
geben sogar noch Geld für die Betriebskosten und die
Sprachförderung in den Kitas . Wir haben das Zukunftsinvestitionsprogramm aufgelegt, und die Mittel für die
Städtebauförderung werden von 54 Millionen Euro auf
1,3 Milliarden Euro im nächsten Jahr erhöht . Auch das
Programm „Soziale Stadt“ wird davon erheblich profitieren . Hinzu kommen Denkmalschutzprogramme, die
Übernahme des BAföG sowie - ich kann das gerne fortsetzen - die Breitbandversorgung, der Hochwasserschutz
und die Stärkung des Tourismus . Kommunalinteressen
sind bei der GroKo in guten Händen . „Versprochen, gehalten!“, meine sehr geehrten Damen und Herren .
({2})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir eine
weitere Entlastung von Ländern und Kommunen auf den
Weg bringen, die sich bis zum Jahr 2019 auf 20 Milliarden Euro summiert . Konkret sollen die Kosten der Unterkunft und Heizung für anerkannte Asyl- und Schutzberechtigte in der Grundsicherung vollständig erstattet
werden . So werden die Kommunen spürbar von zusätzlichen Ausgaben entlastet . Damit wird eine wichtige kommunale Forderung aufgegriffen .
Zusätzlich sollen die Länder für die Jahre 2016 bis
2018 eine Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro und 2017 und 2018 je 500 Millionen Euro für
den Wohnungsbau bekommen, was auch extrem wichtig
ist . Wenn dieses Geld auch noch von den Ländern ordnungsgemäß verwandt wird, kommt all dies ebenfalls
den Kommunen zugute .
Die Vertreter der Kommunen begrüßen deshalb auch
diesen Gesetzentwurf . Indem er die zugesagte Entlastung
der Kommunen um 5 Milliarden Euro regelt, bekommen
sie Planungssicherheit für ihre Haushalte . Sie kritisieren
jedoch, dass die Entlastung nicht vollständig über die
Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft realisiert wird . Insbesondere kritisieren sie, dass 1 Milliarde
Euro und damit ein Fünftel der Entlastung an die Länder
über deren Anteile an der Umsatzsteuer fließt. Sie befürchten, dass dieses Geld nicht eins zu eins in den Kommunen ankommt .
Auch ich hege Zweifel, meine sehr geehrten Damen
und Herren . Aber wir müssen uns nicht wundern, wenn
am Verhandlungstisch nur der Bund und die Länderfürsten sitzen, von denen sich zudem einige auch noch zu
modernen Raubrittern entwickeln .
({3})
Ich will dabei nicht parteipolitisch werden . Das betrifft
Politiker jeglicher Couleur - unsere wie eure . Und sie
passen erst einmal auf die Finanzen in ihren jeweiligen
Ländern auf . Wir brauchen zukünftig einen Dreieckstisch
von Bund, Ländern und Kommunen . Alle Beteiligten
und Verantwortlichen müssen sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und gemeinsam Handlungsmöglichkeiten sichern .
Wir alle sind nun gefordert, bei den Ländern genau
aufzupassen und dafür zu sorgen, dass die Mittel auch
bei den Kommunen ankommen . Das betrifft im Übrigen auch die aktuell vereinbarten Verhandlungen zu den
Bund-Länder-Finanzbeziehungen . Ich glaube, hier liegt
noch viel Arbeit vor uns . Denn wir müssen ja die Gesetze
in Papierform bringen und zusehen, dass sie verfassungskonform sind . Und der Teufel liegt bekanntlich im Detail .
Ich denke, nach den Haushaltsberatungen wird es munter
mit dieser Gesetzgebung losgehen .
Wir auf Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben auf jeden Fall unsere Hausaufgaben gemacht .
Erneut fließen Bundesmittel in Milliardenhöhe in die
Kommunen . Und das ist gut so . Wir wissen ja: Deutschland braucht starke Kommunen; denn sie sind die Orte,
wo soziale Gesellschaft und lebendige Demokratie herrschen .
Vielen Dank .
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Tat reden wir heute über einen Gesetzentwurf, bei dem es lange gedauert hat, bis er das ParlaUlrike Gottschalck
ment erreichte, und der schon lange Zeit überfällig war;
denn er bringt Entlastungen für die Kommunen und die
Länder bei der Integration und unterstützt sie bei der
Aufgabe der Eingliederung . Gerade die Kommunen leisten sehr wichtige Aufgaben dabei und sind eigentlich die
Stütze des Ganzen . Denn ohne die Kommunen wären wir
bei der Integration und der Aufnahme von Menschen, die
auf der Flucht waren, nicht da, wo wir heute sind . Das
wissen wir alle .
({0})
Es ist gut so, dass durch die Einbringung des Gesetzentwurfs klar wird, dass der Bund sich aus der Verantwortung, endlich die Kosten der Integration wenigstens
ansatzweise zu übernehmen, nicht länger wegdrückt .
Dazu haben die Länder und die kommunalen Spitzenverbände Sie, meine Damen und Herren von der Großen
Koalition, wirklich drängen müssen .
({1})
- Das ist so, meine Damen und Herren .
({2})
Wie viel Druck hat es vonseiten der Länder und der
Kommunen gebraucht und wie oft mussten sie immer
wieder betonen: „Wir nehmen die Menschen auf, die auf
der Flucht vor der Not aus den Kriegs- und Krisenregionen zu uns kommen, und wir brauchen dabei auch die
Unterstützung des Bundes . Der Bund muss anerkennen,
dass es eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, Integration zu
finanzieren, und muss deshalb auch einen finanziellen
Beitrag leisten“? Es ist gut, dass heute endlich klar ist,
dass auch in den Jahren 2016 bis 2018 die Kommunen
um 2,6 Milliarden Euro bei den Kosten der Unterkunft
für Flüchtlinge entlastet werden und dass eine Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich an
die Länder fließt. Das ist notwendig im Hinblick auf die
Aufgaben, die Kommunen und Länder vor Ort zu bewältigen haben, wenn es um die Integrationsleistung geht .
Die folgende Frage wird aber nicht beantwortet und
bleibt offen: Warum gibt es statt der Festlegung auf jährliche Zahlungen für einen bestimmten Zeitraum keine
strukturelle Entlastung im Bereich der Integration? Dass
eine solche strukturelle Entlastung wichtig ist, ist von
uns, den Kommunen und den Ländern immer wieder betont worden . Aus der Integration und aus den Fluchtbewegungen resultieren Aufgaben vor Ort, die nicht planbar sind . Wenn es wieder so lange dauert, bis der Bund
Bereitschaft zeigt, hier etwas zu tun, dann ist das mangelhaft . Man könnte durch eine klar vereinbarte strukturelle
Unterstützung viel besser ein Signal setzen als durch einmaliges Entgegenkommen bzw . durch Vereinbarungen,
wie sie nun getroffen wurden .
({3})
Das ist wichtig für die weiteren Debatten, die wir führen
werden . Das heißt nicht, dass wir nicht anerkennen, dass
es hier einen Einstieg bei der Beteiligung an den Integrationskosten vonseiten des Bundes gibt . Das ist richtig,
notwendig und überfällig .
Frau Kollegin Gottschalck, Sie haben gerade gesagt:
Versprochen und gehalten . - Ich möchte auf einen Punkt
hinweisen, wo das nicht der Fall ist . Sie haben im Koalitionsvertrag zugesagt, dass 5 Milliarden Euro an die
Kommunen gehen . Wenn man sich den Gesetzentwurf
genau anschaut, dann stellt man fest, dass dem nicht
so ist . 4 Milliarden Euro gehen an die Kommunen, und
1 Milliarde Euro geht an die Länder . Das heißt, aus dem
„Versprochen und gehalten“ ist nichts geworden . Die
5 Milliarden Euro gehen schließlich nicht in Gänze an
die Kommunen .
Sie haben darüber hinaus versprochen, dass 5 Milliarden Euro als Entlastung bei der Eingliederungshilfe an
die Kommunen gehen . Davon redet in diesem Haus niemand mehr . Beim Bundesteilhabegesetz wird nun ganz
anders argumentiert . Wir müssen erst einmal sehen, wie
hier die Finanzierung laufen soll . All diejenigen, die sich
in dieser Hinsicht Hoffnungen gemacht haben, werden
enttäuscht, weil nun klar ist, dass es dafür keine Mittel
mehr geben wird . 4 Milliarden Euro sollen nun zum einen über den Umsatzsteueranteil und zum anderen über
die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft an
die Kommunen gehen . Dabei haben Sie ein ganz großes
Problem. Selbst Herr Schäuble hat vorhin von den finanzschwachen Kommunen geredet . Aber Sie verfahren hier
wieder nach dem Gießkannenprinzip . Statt 5 Milliarden
Euro gehen über einen Verteilungsschlüssel nur 4 Milliarden Euro an die Kommunen, 2,4 Milliarden Euro
davon über die Umsatzsteuer. Davon profitieren aber in
erster Linie nicht die finanzschwachen Kommunen, wie
wir alle hier im Saal wissen . Wichtig wäre doch, dass
finanzschwache Kommunen Priorität bei der Unterstützung bekommen .
({4})
Es darf nicht das Signal gesendet werden, dass vor allen
Dingen die Kommunen, denen es gut geht, Unterstützung
erhalten .
Schauen Sie sich einmal bei den Kommunen um .
Diese werden Ihnen sofort sagen, was das, was Sie
nun planen, bedeutet . Wenn der Verteilungsschlüssel so
bleibt, wie Sie ihn vorschlagen, dann wird beispielsweise Düsseldorf mehr Geld bekommen als Solingen oder
Mönchengladbach, obwohl es sich bei Letzteren um finanzschwache Kommunen handelt . Ich könnte ähnliche
Vergleiche zu Pirmasens, Duisburg und vielen anderen
Städten ziehen . Was Sie machen, ist nicht richtig .
({5})
Sie dürfen nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren .
Der Ansatzpunkt muss vielmehr sein, die finanzschwachen Kommunen durch den Bund zu entlasten .
Ich hoffe, dass wir in den anstehenden Beratungen den
Gesetzentwurf noch entsprechend ändern werden . Sie
sollten zugunsten der finanzschwachen Kommunen umdenken . Das Gleiche gilt auch für die Länder . Ich weiß
nicht, warum diese hier Druck gemacht und dafür gesorgt
haben, dass dieser Schlüssel zustande kommt, und sich
gleichzeitig 1 Milliarde Euro nur für sich genommen haben .
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ralph
Brinkhaus das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
angesichts der Rede der Kollegin Haßelmann zwei Vorbemerkungen machen . Erstens . Der Verteilungsschlüssel, den Sie beklagen, geht auf einen besonderen Wunsch
der Ministerpräsidenten zurück . Ich erinnere Sie daran,
dass Sie von den Grünen an zehn Landesregierungen beteiligt sind . Das heißt, Sie kritisieren Ihre Kollegen aus
den Ländern, insbesondere den Ministerpräsidenten von
Baden-Württemberg .
({0})
Zweitens . Sie haben kritisiert, dass sich der Bund zu
spät um die Flüchtlinge in den Kommunen gekümmert
hat. Das ist mitnichten der Fall. Der Bundesfinanzminister hat bereits darauf hingewiesen, dass der Bund schon
im letzten Jahr 670 Euro pro Flüchtling und Monat pauschal bereitgestellt hat . Wenn sich jemand zu spät um
die Belastungen der Kommunen gekümmert hat, dann
war das in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen die
rot-grüne Landesregierung,
({1})
die die Kommunen bei den Migrations- und Flüchtlingskosten am langen Arm hat verhungern lassen .
({2})
Wir haben heute drei Pakete, die wir beschließen . Das
ist zum einen das Integrationspaket, über das schon sehr
viel geredet worden ist . Es geht aber auch um 5 Milliarden Euro Entlastung für die Kommunen, und - darüber
ist noch gar nicht geredet worden - es gibt ein Paket zum
sozialen Wohnungsbau . Auch da geht es immerhin um
500 Millionen Euro . Ich kann der Kollegin Gottschalck
nur zustimmen: Der Bund hat seine Zusagen vollumfänglich eingehalten, soweit es möglich war . Wir haben geliefert . Wir haben Wort gehalten, und man muss sagen: wieder einmal Wort gehalten; denn wenn man sich anschaut,
in welcher Höhe seit 2009 die Länder und Kommunen
erst durch die schwarz-gelbe Koalition und dann durch
die Große Koalition entlastet worden sind, dann stellt
man fest, dass das schon eine ganze Menge ist .
Im Bereich der Bildung sind die Ausgaben des Bundes für die Länder und Kommunen nahezu verdoppelt
worden . Geld ist in Forschungseinrichtungen und Exzellenzinitiativen gesteckt worden, weiterhin in den Hochschulpakt und in die Förderung von Kitas .
Schauen wir uns den sozialen Bereich an . Im sozialen Bereich haben wir uns ganz stark bei der Übernahme
der Kosten für die Unterkunft engagiert, wir haben die
Kosten für die Grundsicherung im Alter und für Erwerbsminderung übernommen, wir haben die BAföG-Kosten
übernommen und viele andere Dinge mehr .
Nehmen wir den Bereich Infrastruktur. Der Bundesfinanzminister hat es gerade erwähnt: Wir haben ein Paket
für finanzschwache Kommunen aufgelegt, damit diese
investieren können, und zwar in einer Höhe von 3,5 Milliarden Euro . Diese Summe wird in den nächsten Jahren
noch weiter steigen . Wir beteiligen uns an den Betriebskosten von Kitas, wir leisten direkte und indirekte Hilfe
im Bereich des Breitbandausbaus . Wir sind an ganz vielen Stellen aktiv geworden, um Länder und Kommunen
zu entlasten .
Der Höhepunkt war sicherlich die letzte Woche, als
eine Einigung über den Länderfinanzausgleich erzielt
worden ist . Da geht es um 9,5 Milliarden Euro, die wir
leisten, damit der Ausgleich zwischen den finanzschwachen und den finanzstarken Ländern besser gelingen
kann .
Jetzt erwarte ich von den Ministerpräsidenten oder
den heute angesichts der Bedeutung der Debatte sehr
zahlreich anwesenden Vertretern des Bundesrates nicht
unbedingt, dass sie Danke schön sagen . Das sind wir
nicht gewohnt . Aber ich würde mir vielleicht wünschen,
dass eines passiert, nämlich dass man anerkennt, was der
Bund für die Länder und die Kommunen leistet . Die Erfahrung in der Vergangenheit war leider: Ehe die Tinte
unter dem Gesetz trocken ist, wird nicht Danke gesagt,
sondern: mehr, noch mehr . - Das geht so nicht .
({3})
Jetzt könnte man fragen: Wieso denn? Der Bund
schreibt Überschüsse, er verzeichnet eine schwarze Null,
er kommt doch super klar mit seinem Geld und hat hohe
Steuereinnahmen . - Wer das sagt, der verschweigt, dass
von jedem Euro Einkommensteuer 57,50 Cent an die
Länder und Kommunen gehen, der verschweigt, dass
von jedem Euro Umsatzsteuer 48 Cent an die Länder und
Kommunen gehen, der verschweigt, dass die Einnahmen
der Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren
stärker gestiegen sind als die Einnahmen des Bundes, der
verschweigt, dass die Pro-Kopf-Verschuldung auf Bundesticket größer ist als die konsolidierte Verschuldung
auf Landesebene, und der verschweigt, dass die Zinsausgaben des Bundes im Vergleich zu denen der konsolidierten Länderhaushalte viel höher sind .
Es ist wichtig, das hier zu sagen, weil wir nämlich an
der Grenze unserer Belastungsfähigkeit angekommen
sind . Unser Haushalt ist mittlerweile auf Kante genäht,
und zwar deswegen, weil wir so viel von den Mitteln, die
eigentlich für Bundesaufgaben vorgesehen waren, an die
Länder und Kommunen weiterleiten . Das geht so nicht
weiter, weil wir nämlich vor sehr großen Herausforderungen stehen .
Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern . Schauen wir uns die wirtschaftliche Entwicklung an . Momentan läuft es gut . Aber was ist denn, wenn es schlechter
läuft? Dann sind wir gleich dreifach belastet: Wir haben
weniger Steuereinnahmen - das haben die Länder und
Kommunen auch -, aber wir werden die Sozialversicherungssysteme stabilisieren müssen, und von uns wird erwartet werden, dass wir mit Steuergeldern die konjunkturellen Impulse setzen .
Wir haben ganz neue Herausforderungen, über die wir
vor drei oder vier Jahren noch gar nicht nachgedacht haben . Das betrifft die Integration, aber vor allen Dingen
die Vermeidung von Flucht- und Migrationsursachen .
Dafür werden wir sehr viel Geld ausgeben müssen: in
Afrika, in Nordafrika und woanders auf der Welt . Dann
haben wir den Punkt äußere Sicherheit . Wir haben Konflikte, die mittlerweile vor unserer Haustür sind, zum
Beispiel in der Ukraine . Gestern war die Konferenz im
Bundeskanzleramt .
Wir haben komplett neue sicherheitspolitische Herausforderungen im Bereich der Cybersicherheit, für die
wir sehr viel Geld ausgeben müssen . Wir haben Herausforderungen in der inneren Sicherheit, zum Beispiel bei
der Terrorismusbekämpfung . Wir müssen schauen, wie
wir mit dem demografischen Wandel umgehen. Das ist
eine Herausforderung für unsere Sozialsysteme . Wir haben natürlich auch die Kosten der Integration . Die 2 Milliarden Euro, die wir momentan zusätzlich in den Pott
hineinwerfen, werden nicht das Ende der Fahnenstange
sein .
Und Folgendes ist schon fast vergessen: An Deutschland hängt auch die Stabilisierung Europas . Auch das
ist nicht umsonst zu haben, meine Damen und Herren .
Deswegen müssen wir sagen: Der Rucksack des Bundes
ist mittlerweile voll . Und jeder, der da noch weitere Ziegelsteine hineinpackt, versündigt sich an denjenigen, die
hier in 20 Jahren sitzen werden .
({4})
Denn die würden nur noch damit beschäftigt sein, die
Steuergelder des Bundes an Länder und Kommunen weiterzuleiten, Belastungen aus der Vergangenheit abzutragen und Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren .
Lassen Sie mich - das gehört nicht ganz zur Debatte,
aber sicherlich zur politischen Großwetterlage - eines
dazu bemerken: Dieses Fairnessgebot im Hinblick auf
die kommende Generation gilt auch für die Menschen,
die im Augenblick, wahlkampfmotiviert, meinen, dass
sie durch eine Ausweitung des Rentensystems noch den
einen oder anderen Punkt sammeln können . Wer heute
Rentengeschenke und Zusagen auf Kosten der kommenden Generation macht, der nimmt unseren Kollegen, die
hier in 20 Jahren sitzen werden, Handlungsfreiheit . Und
das geht so nicht, meine Damen und Herren!
({5})
Wenn ich jetzt einmal einen Strich unter diese ganze
Beratung ziehe, fallen mir dazu drei Punkte ein .
Erstens . Es ist richtig - auch die Kollegin Gottschalck
hat das gesagt -, dass wir die Kommunen unterstützen,
weil sie der Ort sind, wo die Bürgerinnen und Bürger
Politik unmittelbar wahrnehmen . Man kann niemandem
erklären, dass Politik in Deutschland funktioniert, wenn
die Schulen in einem schlechten Zustand sind, wenn die
Infrastruktur in einem schlechten Zustand ist . Deswegen
ist es richtig, dass jetzt Geld an die Kommunen fließt.
Zweitens . Wir erwarten aber auch von den Ländern,
dass die 5 Milliarden Euro, die jetzt in den Topf geworfen
werden, und somit auch die 1 Milliarde Euro - die Ministerpräsidenten haben sich im Übrigen ausbedungen, dass
sie nicht in den kommunalen Topf hineinkommen, Frau
Haßelmann - eins zu eins an die Kommunen weitergeleitet werden und dass dieses Geld auch bei den Kommunen
ankommt .
({6})
Wir erwarten weiter, dass die Integrationsmittel, die jetzt
von uns gezahlt werden, dazu benutzt werden, um insbesondere die Kommunen von den zusätzlichen Integrationskosten zu entlasten . Und wir erwarten, dass das Geld,
das wir für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen,
zusätzlich vor Ort - in den sozialen Brennpunkten der
Kommunen - investiert wird, damit wir dort die Wohnungsnot mindern können .
Vor allen Dingen erwarten wir eines, meine Damen
und Herren: dass kein Land - das ist ein Appell an den
Bundesrat - jetzt auf die Idee kommt, zu sagen: Na ja,
die Kommunen haben jetzt mehr Geld vom Bund bekommen, das können wir an anderer Stelle einsparen und
einen kommunalen Finanzausgleich machen, im Zuge
dessen den Kommunen das Geld wieder weggenommen
wird, das der Bund ihnen jetzt gibt . - Das ist eine Sache,
meine Damen und Herren, die wir nicht dulden werden .
({7})
Drittens . Die Ministerpräsidenten stehen in der Verantwortung für die Kommunen . Die Kommunen sind
Bestandteil der Länder, und dementsprechend ist es auch
deren Aufgabe, für eine auskömmliche und ordentliche
Finanzausstattung zu sorgen . Daran müssen sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten messen
lassen; denn das ist föderale Verantwortung . Wer föderale Verantwortung darauf reduziert, immer nur nach dem
Geld des Bundes zu suchen, der höhlt dieses föderale
System aus . Das wollen wir nicht, und das werden wir
auch in den Beratungen berücksichtigen .
Herzlichen Dank .
({8})
Die Kollegin Dağdelen hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke .
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrter Herr Brinkhaus, ich finde es bemerkenswert, dass Sie sich hier hinstellen und süffisant
sagen, dass sie von den Kommunen und Ländern zwar
kein Dankeschön erwarten, aber Anerkennung . Ich meine, es sind doch nicht die Länder und die Kommunen gewesen, die die Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik
getroffen haben . Es war die Bundesregierung, es war die
Bundeskanzlerin, die die Entscheidungen getroffen und
letztlich mit dazu beigetragen haben,
({0})
dass die Länder und die Kommunen vor vielen großen
Problemen standen, die sie erst einmal nicht bewältigen
konnten . Sie konnten sie letztendlich auch nur bewältigen, weil es Hunderttausende von freiwilligen Helferinnen und Helfern - aus Kirchen, Organisationen und
Verbänden - gegeben hat, die geholfen haben, die Entscheidungen der Bundesregierung vor Ort abzufedern .
Das alles ist doch von der Bundesregierung zu verantworten . Also erwarten und fordern Sie nicht Anerkennung . Es ist doch das Mindeste, dass der Bund den Kommunen und Ländern die finanziellen Mittel zur Verfügung
stellt, die erforderlich sind, um mit den Problemen fertig
zu werden, die die Entscheidungen der Bundesregierung
mit sich gebracht haben .
({1})
Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap aus
diesem Monat halten 85 Prozent der Deutschen die Vermittlung von Sprachkenntnissen für die zentrale Aufgabe
bei der Integration der Flüchtlinge in Deutschland . Auch
dem Schulbesuch wird eine hohe Bedeutung beigemessen: 74 Prozent der Befragten halten die Integration von
Flüchtlingskindern in den Schulen für sehr wichtig . Die
Vermittlung deutscher Grundwerte erachten 62 Prozent
der Befragten als eine sehr wichtige Aufgabe und die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt 53 Prozent . Die angemessene Unterbringung und Versorgung
von Flüchtlingen sehen 42 Prozent als eine sehr wichtige
Aufgabe .
Zur Erinnerung: 85 Prozent halten die Vermittlung
von Sprachkenntnissen bei der Integration der Flüchtlinge für wichtig . Da muss ich schon sagen: Es ist wirklich
ein unglaublicher Skandal, dass die Bundesregierung
überhaupt nichts tut, um Geld für zusätzliche Integrationskurse zur Verfügung zu stellen,
({2})
obwohl sie weiß, dass der Bedarf an Integrationskursen
immer weiter steigt . Die Bundesregierung hat gerade
selbst festgestellt - vor zwei Tagen war das in der Rheinischen Post zu lesen -, dass weniger als 40 Prozent der
Asylbewerber und Geduldeten mit einer Teilnahmeberechtigung im laufenden Jahr einen Integrationskurs besuchen konnten .
({3})
Dem großen Bedarf an Integrationskursen steht weiterhin nur ein unzureichendes Angebot gegenüber. Ich finde, es muss endlich genügend Plätze geben .
({4})
Die Regierung, besonders der Innenminister, muss
auch aufhören, immer nur zu behaupten, die Flüchtlinge
würden nicht Deutsch lernen .
({5})
Nein, Sie sind in der Bringschuld! Sie geben nicht genügend Integrationskurse frei, und Sie setzen sich auch
nicht dafür ein, dass genügend Mittel zur Verfügung
stehen . Sie haben gesagt, dass Sie 2016 559 Millionen
Euro für Integrationskurse für 300 000 Personen zur Verfügung stellen wollen . Vor kurzem hat die Bundesregierung auf eine Anfrage von uns Linken geantwortet, dass
das Geld, das eigentlich für 300 000 Personen gedacht
war, für 550 000 Personen reichen soll . Wie machen Sie
das? Sie setzen die Kursgrößen höher an und versuchen,
sozusagen statistisch die Nachfrage zu verkleinern . Dabei wissen wir aber, dass wir 800 000 Plätze brauchen .
Daneben haben wir noch ein anderes Problem . Ganz
aktuell habe ich gehört, dass beispielsweise aus der Region Hannover Flüchtlinge ein bis anderthalb Jahre auf
einen Platz in einem Integrationskurs warten müssen,
um Deutsch zu lernen . Was ist der Grund? Die Volkshochschulen sagen: Es gibt nicht genügend Lehrkräfte . - Warum gibt es nicht genügend Lehrkräfte? Weil die
Arbeitsbedingungen miserabel sind und die Bezahlung
miserabel ist . Die Lehrkräfte, die diese Kurse geben, arbeiten auf Hartz-IV-Niveau .
({6})
Wir Linke fordern seit Jahren: Verbessern Sie die Arbeitsbedingungen und die Löhne der Lehrkräfte .
({7})
Dann werden sich auch Lehrkräfte für so eine Mammutaufgabe zur Verfügung stellen, und dann wird es auch
gelingen, den Flüchtlingen genügend Plätze zur Verfügung zu stellen .
({8})
Sie müssen sich doch einmal vorstellen: Wenn ein
Flüchtling subsidiären Schutz erhält, muss er im Vorfeld
eine Vereinbarung unterzeichnen, dass er diesen Kurs absolviert . Bis dieser Fall eintritt, ist er theoretisch bei so
einer langen Wartezeit gar nicht mehr im Lande .
Meine Damen und Herren, ich finde, so schaffen wir
keine guten Rahmenbedingungen für Integration. Ich finde es auch nicht angemessen, dass angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, angesichts des Investitionsstaus, den wir haben, und angesichts der sozialen
Spaltung, die wir haben und die es auch gab, bevor die
Flüchtlinge kamen, der Bundesfinanzminister - ich muss
es so sagen - so obsessiv an der schwarzen Null hängt .
Eins kann ich Ihnen sagen: Wer so an der schwarzen Null
hängt, statt zu investieren,
({9})
sowohl für Flüchtlinge als auch für Einheimische, der
darf sich nicht wundern, dass das dann zu vielen braunen
Nullen in unserer Gesellschaft führt .
Vielen Dank .
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Bernhard Daldrup für
die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die richtige Bilanz, die
der Bundesfinanzminister eben vorgetragen hat, nicht
wiederholen, sondern noch einmal darauf aufmerksam
machen, dass das Wichtigste an diesem Gesetz zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Tatsache ist, dass wir in den
nächsten drei Jahren ungefähr 20 Milliarden Euro zur
Verfügung stellen . Hier den Eindruck zu erwecken, als
wäre das nichts, ist schon eine ziemliche Dreistigkeit,
wie ich finde. Das ist eine wichtige, notwendige und gute
Entscheidung gewesen, die wir getroffen haben .
({0})
Der zweite wichtige Punkt an diesem Gesetz ist ich unterstreiche ausdrücklich das, was die Kollegin
Gottschalck gesagt hat -, dass wir Wort gehalten haben - ich komme darauf zurück, Britta Haßelmann -,
das heißt mit anderen Worten: Wir haben uns in dieser
Großen Koalition als Anwalt der Kommunen verstanden,
und wir haben die Maßnahmen gemeinsam auf den Weg
gebracht . Das ist gut für die Kommunen und gut für die
Länder, gut für Deutschland insgesamt . Das ist ein Erfolg
unserer Arbeit, den wir uns nicht ohne Weiteres zerreden
lassen .
({1})
Ich will noch einmal auf folgende Frage aufmerksam
machen: Was war eigentlich unser Ausgangspunkt, und
weshalb wollten wir den Kommunen helfen? Der Ausgangspunkt war Bedürftigkeit . Wir haben gesagt: Wir
müssen Kommunen, die sich in einer finanziell prekären
Situation befinden, helfen. Das ist nicht bei allen Kommunen in Deutschland so, sondern nur bei einem bestimmten Teil . Wir haben mittlerweile - das ist relativ
unstreitig - in diesem Bereich eine Art Zweiklassengesellschaft .
Wir haben weiterhin drei Probleme: Wir haben zu
hohe Sozialausgaben; meistens bundesgesetzlich verursacht . Wir haben eine Investitionsschwäche, Infrastrukturdefizite in erheblichem Umfang. Und wir haben ein
Schuldenproblem bei den Kommunen mit gefährlich
hohen Kassenkrediten . Das alles zusammen führt dazu,
dass wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in
Deutschland insgesamt nicht so gewährleisten können,
wie wir das wollen . Deshalb war Bedürftigkeit unser
Ausgangspunkt, um Kommunen in prekären Finanzsituationen zu helfen . Das haben wir in der Vergangenheit
mit einer großen Zahl von Maßnahmen gemacht, wie das
eben vorgetragen worden ist . Es kann sein, dass Mittel
nicht schnell genug abfließen; darauf hat der Finanzminister hingewiesen . Wenn wir Hilfestellungen zum Beispiel im Personalbereich geben können, dann ist das gut .
Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den Kernpunkt unserer Koalitionsvereinbarung eingehen, nämlich
die 5 Milliarden Euro Entlastung, und darauf aufmerksam machen, dass wir zusätzlich eine Integrationspauschale in Höhe von dreimal 2 Milliarden Euro eingeführt
haben, die die Länder so verwenden können, wie sie es
für richtig halten . Es wäre besser, wenn in der Vereinbarung zwischen Ländern und Bundesregierung stehen
würde, dass daran auch die Kommunen beteiligt werden
müssen, Herr Brinkhaus, als wenn dort stehen würde,
es stünde den Länderhaushalten zur Verfügung . Das nur
einmal am Rande. Aber ich finde, diese pauschale Unterstützung, Britta, ist ein vernünftiger Ansatzpunkt, weil
die Kommunen selber immer nach einer solchen Integrationspauschale gerufen haben .
Das, was Frau Dağdelen vorgetragen hat, finde ich,
ehrlich gesagt, völlig grotesk . Vor dem Hintergrund der
Kosten in Höhe von 18 Milliarden Euro für diesen gesamten Bereich in 2016, aufsteigend in den kommenden
Jahren, vor dem Hintergrund, dass die Mittel für die Integrationskurse von 204 Millionen Euro auf über 500 Millionen Euro aufgestockt worden sind, zu sagen, man würde in diesem Bereich nichts tun, ist einfach nicht richtig;
es ist einfach falsch .
({2})
Die Tatsache, dass wir 2,6 Milliarden Euro flüchtlingsbedingte KdU übernehmen, die Tatsache, dass wir zweimal
500 Millionen Euro für den Wohnungsbau zur Verfügung
stellen, das alles macht in der Summe 20 Milliarden Euro
aus . Wir stehen zu unserem Wort .
({3})
- Die Bundeswehr ist nicht Teil der Kommunalpolitik,
wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf . Nur weil
wir etwas für die Bundeswehr tun, soll das, was wir für
die Länder tun, nicht in Ordnung sein? Was ist das denn
für eine Auffassung? Das, was Sie sagen, ist doch absurd .
({4})
Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den Verteilungsmechanismus zu sprechen kommen . Es ist mir auch
wichtig, dass die 1 Milliarde Euro, die über die Länderhaushalte verteilt werden soll, im weiteren Gesetzgebungsverfahren hinterfragt werden soll . Wir sollten nicht
eine Erwartung an die Länder formulieren, die nicht eingelöst werden kann . Das sollten wir ändern . Ich glaube,
wir können das auch ändern . Das ist ein vernünftiger Gesichtspunkt .
Wir sollten uns tatsächlich die Frage stellen: Warum
werden 2,4 Milliarden Euro über den Umsatzsteueranteil
und nur 1,6 Milliarden Euro über erhöhte KdU, also über
den Sozialindikator, verteilt? Die Wirkungen entspreSevim Dağdelen
chen nämlich nicht unserem Ziel „Hilfe nach Bedürftigkeit“ . Das kann ich Ihnen gerne nachweisen . Wir stärken
auf diese Art und Weise diejenigen mit hohen Gewerbesteuereinnahmen, die Schwächeren werden geschwächt .
Frankfurt beispielsweise bekommt auf der Grundlage
des derzeitigen Schlüssels von den 4 Milliarden Euro
127 Euro pro Einwohner, Oberhausen 64 Euro, Düsseldorf 102 Euro, Trier - eine der zehn höchstverschuldeten Städte in Deutschland - gerade einmal 48 Euro . Das
heißt mit anderen Worten: Das ist nicht in Ordnung .
({5})
Wir müssen hier nicht auf die Länder gucken, sondern
auf die Kommunen, und wir müssen diesen Sachverhalt
ändern . Einen wirklichen Nutzen erfahren die Menschen
erst, wenn sich die Situation bei den Kitas und der sonstigen Infrastruktur verändert .
({6})
Hier stellt sich also die Frage, warum wir diesen Verteilungsschlüssel eigentlich wählen .
Wollten Sie sich bei mir vergewissern, Herr Kollege,
ob ich bemerkt habe, dass Ihre Redezeit überschritten ist?
Nein, ich wollte das selbstverständlich nicht, sondern
wollte vorbeugend darauf aufmerksam machen, dass ich
es schon selber wahrgenommen habe .
({0})
Noch schöner wäre, wenn Sie es berücksichtigen
könnten .
({0})
Ich verfolge jetzt ganz zielgerichtet die Absicht, das
zu berücksichtigen,
({0})
wenn Sie mir freundlicherweise gestatten, noch einen
Satz zu sagen, der bei der Angelegenheit, bei dem Thema
wichtig ist .
Diesen Verteilungsschlüssel gibt es deshalb, weil wir
bei einer stärkeren Entlastung der Kommunen bei den
Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit in Konflikt mit einer
verfassungsrechtlich gebotenen Verwaltungszuständigkeit kommen . Es darf eigentlich nicht sein, meine Damen
und Herren, dass die Hilfe für Kommunen in einer Notsituation daran scheitert, dass wir eine Verfahrensgrenze - Bundesauftragsverwaltung - erreichen . Da muss der
Maßstab sein, die Hilfe für die Betroffenen zu stärken .
Leider kann ich das jetzt nicht mehr im Einzelnen ausführen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, dass der Präsident noch einmal eingreift .
Völlig richtig .
Insofern bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Ich will damit abschließen, zu sagen: Wir zeigen Verantwortung, wir nehmen sie wahr, wir halten in dieser
Angelegenheit Wort, und ich glaube, wir haben genug
Selbstbewusstsein, sie auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu zeigen .
Vielen Dank .
({0})
Anja Hajduk erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen hier in der Debatte über die Bundesbeteiligung an den Kosten der Integration und über eine
Entlastung der Kommunen . Das erkennen wir an; das ist
wichtig, das ist richtig . Und wir erkennen auch an, dass
dort Summen zur Verfügung gestellt werden .
({0})
Unsere Kritik richtet sich aber gegen die Verteilung der
Mittel, und diese Kritik muss hier heute Raum haben;
denn die Verteilung muss dringend verändert werden .
({1})
Die Verteilung der 5 Milliarden Euro zur Entlastung
der Kommunen muss man doch vor dem Hintergrund
des folgenden Befundes sehen: Die Finanzlage der Kommunen in Deutschland ist nicht per se schlecht, sondern
höchst unterschiedlich - sanierte Straßen und Schulen
dort, geschlossene Schwimmbäder und marode öffentliche Einrichtungen woanders . Viel zu oft sind Kommunen
entweder finanzschwach, weil sie geringe Einnahmen
haben, oder sie leiden unter extrem hohen Altschulden .
Wenn dann noch eine Strukturschwäche bedingt, dass es
hohe Sozialausgaben gibt, dann führt das bei zu vielen
Kommunen dazu, dass sie in einer totalen Abwärtsspirale
stecken .
({2})
- Es können auch mal politische Fehler dahinterstecken .
Aber ich glaube, es gibt keinen Zweifel, Herr Kollege,
dass es strukturell bedingt auch im Westen und nicht nur
einnahmebedingt im Osten kommunale Probleme gibt,
um die wir uns hier im Bund auch kümmern sollten .
({3})
Und ich akzeptiere nicht, dass Sie sich dahinter verstecken, dass es einen grünen Ministerpräsidenten gibt,
der vielleicht mal im Bundesrat einen anderen Akzent
gesetzt hat . Sie haben selber auch Ministerpräsidenten,
({4})
und der Bundestag ist dazu da, auch mal den Ministerpräsidenten zu sagen, wo sie irren, wo man zielgenauer
finanzschwachen Kommunen helfen muss. Wir nehmen
diese Verantwortung ernst, und das sollten Sie auch tun .
({5})
Deswegen: Vor dem Hintergrund der großen Spreizung bei den kommunalen Finanzen bleibt es falsch,
dass von dem Kuchen der 5 Milliarden Euro erst einmal
1 Milliarde Euro, sage und schreibe 20 Prozent, an die
Länder geht . Ich bin froh, dass Herr Daldrup hier gesagt
hat, er beabsichtige, dass wir diesen Schlüssel anpacken
und ihn noch verändern . Wir werden Sie dabei unterstützen .
({6})
Aber, Herr Daldrup, es ist auch falsch, dass definiert
ist, dass ein Großteil der 4 Milliarden Euro nach dem
Umsatzsteueranteil der Gemeinden verteilt wird . Das
heißt, auch hier profitieren wieder die finanzstarken Gemeinden . Besser wäre es, zu sagen: Der Großteil der restlichen 4 Milliarden Euro wird unter Berücksichtigung
der Anhebung der Bundesbeteiligung an den Kosten der
Unterkunft verteilt; denn dann wirkt es zielgenau in den
Gemeinden, die hohe Sozialausgaben haben .
({7})
Hohe Sozialausgaben gleich strukturschwache, gleich finanzschwache Kommune - das ist doch nicht so schwer
zu verstehen . Wir fordern Sie auf, auch an dieser Stelle
den Schlüssel zu ändern . Wir werden einen entsprechenden Vorschlag vorlegen, und wir hoffen, dass Sie dabei
sind .
({8})
Ich möchte das Thema in einen größeren Zusammenhang stellen . Ich bin Finanzminister Schäuble schon
dankbar für den Rahmen, den er gesetzt hat . Im Moment
haben wir die Situation, dass die öffentlichen Haushalte in Deutschland insgesamt gesehen gut dastehen: Die
kommunalen - in Gänze -, die der Länder und des Gesamtstaats verzeichnen ein Plus . In solchen Zeiten, in denen der öffentliche Haushalt gut dasteht, werden es die
Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen, wenn die Politik unfähig ist, zielgenau dort zu helfen, wo Mangel besteht . Deswegen: Wenn wir die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern in Bezug auf funktionierende und
gute Politik oder auch in Bezug auf hohe Ausgaben für
Zuwanderung und Integration insgesamt erhalten wollen,
dann müssen Investitionen in die Behebung mangelhafter Infrastruktur oder auch schlicht fehlender Infrastruktur getätigt werden, vor allem in jenen Gebieten, die von
Wegzug betroffen sind, die darunter leiden, dass sie nicht
so attraktiv sind und daher nicht so viele Menschen anziehen . Wir könnten mit vorhandenen Mitteln - ich betone: vorhandenen Mitteln - die Probleme beheben .
({9})
Ich komme zum Schluss . Wir werden bei der jetzt
vorliegenden Einigung mit Blick auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen sehr genau darauf achten, wie
das jetzt ausgelegt wird, was neu verabredet ist, dass der
Bund mehr Steuerungsrechte bei Finanzhilfen erhält; es
ist nämlich eine grundgesetzliche Erweiterung der Mitfinanzierungskompetenzen des Bundes im Bereich der
kommunalen Bildungsinfrastruktur für finanzschwache
Kommunen verabredet .
({10})
Ich freue mich über die Selbstkritik des Finanzministers Schäuble an der fehlerhaften Beschränkung des
Bundes, den Ländern und Kommunen bei der Bildungsinfrastruktur zu helfen . Diese Selbstkritik war überfällig .
Ich bin froh, dass sie auch zu einem Beschluss geführt
hat . Das Ganze geht aber nur richtig auf, wenn wir genau definieren: Was sind finanzschwache Kommunen?
Diesem Problem begegnet man nicht mit der Verteilung
von Umsatzsteuerpunkten nach dem Gießkannenprinzip;
vielmehr geht es um eine genaue Definition, was „finanzschwach“ bedeutet . Damit fangen wir am besten bei
dem vorliegenden Gesetzentwurf an . Dann haben Sie uns
auch auf Ihrer Seite . Ich glaube, das ist mit Blick auf die
Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger überfällig .
Vielen Dank .
({11})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der Bund entlastet Länder und Kommunen in
einem historischen Ausmaß . All denjenigen, die heute den Bund kritisiert haben, empfehle ich, den Bericht
des Bundesrechnungshofs zum Haushalt 2017, und zwar
die Seiten 24 und 25, zu lesen . Dort hat der Bundesrechnungshof unter der Überschrift „Entlastung von Ländern
und Kommunen“ aufgelistet, dass diese um 73 Milliarden
Euro entlastet werden, allein in diesem Jahr um zusätzlich über 10 Milliarden Euro . Frau Kollegin Haßelmann,
auch im Jahr 2015 gab es eine Soforthilfe des Bundes für
die Integration der Flüchtlinge in Höhe von 2 Milliarden
Euro . Das heißt, der Bund hat an dieser Stelle sofort gehandelt . Ihren Vorwurf weise ich zurück .
({0})
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. Bundesfinanzminister Schäuble und auch Ralph
Brinkhaus haben darauf hingewiesen - ich will das noch
einmal kontrastieren -: Aktuell sieht die gesamtstaatliche
Steuerverteilung beim Mischsteuersatz so aus: 44 Prozent bekommt der Bund und 56 Prozent bekommen die
Länder und Gemeinden . Aufgrund der in den nächsten
vier Jahren zu erwartenden Steuermehreinnahmen verschiebt sich die Verteilung hin zu 40 Prozent für den
Bund und 60 Prozent für die Länder und Gemeinden . Das
heißt, die Anteile an den Steuereinnahmen - ich war nie
ein großer Freund davon, das über Umsatzsteuerpunkte
zu regeln; darauf gehe ich noch ein - werden sich in den
nächsten Jahren massiv weiter zugunsten der Länder und
der Kommunen verschieben . Das muss auch bei diesem
5-Milliarden-Euro-Paket und bei den Integrationsleistungen, die der Bund für die Länder und Kommunen bezahlen will, berücksichtigt werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in dieser
Legislaturperiode - Herr Kollege Daldrup, 20 Milliarden
Euro sind es in diesem Paket; das ist richtig - den Ländern und Kommunen 80 bis 90 Milliarden Euro mehr zur
Verfügung stellen als in der letzten Legislaturperiode .
Insgesamt sind es in diesem Jahrzehnt fast 200 Milliarden Euro, wenn ich das Jahr 2010 zum Vergleich heranziehe . Es gibt kein Jahrzehnt, in dem der Bund die Länder und Kommunen so stark entlastet hat wie in dieser
und der letzten Legislaturperiode . Wir stehen aber vor einer ganz gravierenden Herausforderung; mehrere Redner
haben darauf hingewiesen . Deshalb muss das Geld, das
politisch für Kindertagesstätten, den sozialen Wohnungsbau und für die Integration von Flüchtlingen vereinbart
worden ist, auch in den Kommunen ankommen . Das ist
sachlich geboten . Dort gehört es hin .
({1})
Ich bin mir mit meinen Vorrednern darüber einig, dass
für uns - ich meine damit den gesamten Bundestag - viel
Arbeit ansteht, wenn wir im Rahmen der Neugestaltung
der Bund-Länder-Finanzbeziehungen das vereinbaren ich nenne das einmal eine „Liste B“ -, worüber wir am
Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche gesprochen haben . Ich glaube, wir müssen alle ein Interesse daran haben, dass der Bundesrechnungshof wieder kontrollieren kann . Frau Kollegin Hajduk, es war übrigens das
Bundesverfassungsgericht, das mit einem Beschluss aus
dem Jahr 2010 dem Bundesrechnungshof die Werkzeuge aus der Hand geschlagen hat, nachdem fünf Länder
geklagt haben . Das heißt, wir müssen eine Grundgesetzänderung vornehmen, damit wieder kontrolliert werden
kann .
({2})
Ich halte eine Steuerung und eine Kontrolle der Mittel,
die der Bund an die Länder durchreicht, für zwingend
geboten - die Länder haben bei den Finanzen die Verantwortung, die Zuständigkeit für die Kommunen -, damit
die Bund-Länder-Beziehungen wieder in die Waage gebracht werden .
({3})
Man kann die Verteilung der 4 Milliarden Euro kritisieren . Mecklenburg-Vorpommern ist bekanntlich
kein finanzstarkes Land, hat dennoch im Gegensatz zu
anderen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass von den
Überschüssen drei Viertel zur Schuldentilgung genutzt
werden und ein Viertel für die Kommunen verwendet
werden . Mecklenburg-Vorpommern tilgt übrigens seit
zehn Jahren Schulden . Gelegentlich sollten sich andere
Länder ein Beispiel daran nehmen und das Geld nicht
für irgendwelche Dinge verpulvern, die nicht nachhaltig
und vernünftig sind . Wer hier sagt: „Ich will einen höheren Anteil an den Mitteln für die Kosten der Unterkunft
haben“, der muss auch sagen: Ich will eine Grundgesetzänderung . - Anders geht das nicht . Wer das will, muss an
dieser Stelle auch sagen, dass dieser Grundgesetzänderung auch zwei Drittel des Bundesrates zustimmen müssen . - Das ist die Konsequenz . Dabei wünsche ich viel
Vergnügen . Ich bin da durchaus dabei .
Für mein Bundesland bedeutet die Verteilung von
1 Milliarde Euro nach KdU 30 Millionen Euro, von
1 Milliarde Euro nach Umsatzsteuer 14 Millionen Euro,
und nach dem Königsteiner Schlüssel - darauf will ich
noch einmal eingehen - heißt 1 Milliarde Euro 20 Millionen Euro . Auch der Königsteiner Schlüssel ist nicht
zwingend dazu geeignet, finanzschwache Kommunen
und finanzschwache Länder hinsichtlich des Ziels der
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ausgleichend zu behandeln, so sage ich es einmal .
Ich persönlich versperre mich da keiner Diskussion .
Im Zusammenhang mit dem Kommunalinvestitionsprogramm ist mancher Kollege zu mir gekommen und
hat gefragt: Eckhardt, warum kriegen die Steuerstarken
mehr als die Steuerschwachen? - Für mich sind aber
Kassenkredite - ich wiederhole das, was ich gestern im
Haushaltsausschuss gesagt habe - kein Maßstab für die
Finanzschwäche von Kommunen .
({4})
Sie können nämlich zwei wesentliche Gründe haben: Es
kann sein, dass die Rechtsaufsicht - sprich: das Innenministerium - versagt hat und die Zügel zu locker gelassen
hat . Es kann aber auch anders sein . Das hat der Kollege
Mattfeldt in einem Zwischenruf deutlich gemacht: Nicht
immer liegt die Ursache für eine Finanzschwäche der
Kommunen in der Strukturschwäche, sondern manchmal
auch in falschem kommunalpolitischen Handeln .
({5})
Dafür kann, sollte und darf man den Bund nicht in Haftung nehmen .
({6})
Das können wir aus meiner Sicht nicht machen .
Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, den
ich mit Blick auf die Anhörung zu diesem Gesetzespaket
für wichtig halte . Wir können uns im Bund so viel bemühen, wie wir wollen, möglicherweise auch die Rechte
des Bundesrechnungshofes stärken, aber es gibt einen
Punkt, bei dem wir alle in allen 16 Ländern gefordert
sind: Es gibt heute kommunale Finanzausgleichssysteme, bei denen per Gesetz die zusätzlichen Finanzmittel,
die die Kommunen erhalten, über Vorwegabzüge wieder
in die Landeskasse fließen. Ich habe dabei drei Länder im
Kopf - ich behalte sie einmal für mich -, von denen ich
es definitiv weiß, mit ganz unterschiedlichen parteipolitischen Farben .
({7})
Deshalb ist es, Kollege Daldrup - auch Ingbert Liebing
spreche ich ganz direkt an -, auch eine Aufgabe der
Kommunalpolitik, dafür zu sorgen, dass diese Mechanismen aufgelöst werden .
({8})
Denn wenn wir sie nicht auflösen, haben wir im Bund
nichts gewonnen .
({9})
Eine letzte Bemerkung an dieser Stelle: Es geht mir
nicht darum, dass Bundestagsabgeordnete nicht zu Kitaoder Schuleröffnungen nach erfolgter Sanierung eingeladen werden; das ist überhaupt nicht mein Thema .
Aber ich erlebe fast nie, egal ob das bei mir zu Hause
ein CDU- oder ein SPD-Minister ist, dass darauf hingewiesen wird, dass der Bund zu 90 Prozent, zu 50 Prozent
oder zu 10 Prozent Geld dazugegeben hat .
({10})
Das Dreisteste, das ich erlebt habe - die Wahlen sind
bei uns vorbei -, war, dass der jetzige Finanzminister
des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Brodkorb, in
Rostock groß plakatiert hat, der Hochschulbau sei seine
ganz eigene Finanzierungssache gewesen .
Herzlichen Dank .
({11})
Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Martin
Gerster das Wort .
({0})
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Gesetzentwurf zur Beteiligung
des Bundes an den Kosten der Integration diskutieren,
dann geht es natürlich in erster Linie und vordergründig
um Geld . Ich möchte aber für die SPD-Fraktion noch
einmal betonen: Es geht um Menschen, um Menschen,
die auf der Flucht sind vor Krieg, Terror, Verfolgung
oder Armut oder sich aus anderen Gründen auf den Weg
gemacht haben, um woanders Obdach, Unterschlupf zu
finden.
Wir haben in Deutschland in der Tat viele Flüchtlinge
aufgenommen . Nicht alle können bleiben, viele wollen
und andere müssen zurück in ihre Heimatländer . Aber bei
jenen, die hier bleiben, ist es, finde ich, unsere Pflicht,
alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit sie sich hier gut
integrieren und eine Perspektive für ihr weiteres Leben
aufbauen können . Ich denke, das ist gut für die Betroffenen ganz individuell, aber auch für unsere Gesellschaft,
und es ist die beste Prävention gegen eine erfolgreiche
Ansprache von Terrororganisationen und ein Abdriften in
Bereiche von Kriminalität und Gewalt .
({0})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine ich,
dass Flüchtlingspolitik eine riesengroße Herausforderung
und eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund, Ländern
und Kommunen ist . Daher ist es nur folgerichtig, dass
sich die verschiedenen Ebenen gegenseitig unterstützen
und ergänzen . Wir dürfen das jedoch nicht auf eine gute
Verteilung der Aufgaben reduzieren, sondern wir müssen
klären, wer wie viel wofür bezahlt .
Es ist fast ein Jahr her, dass wir an dieser Stelle das
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz beraten und beschlossen haben . Mit diesem Gesetz hat sich der Bund
bereits verpflichtet, die Kosten für Asylbewerberinnen
und Asylbewerber in Höhe einer Fallpauschale zu übernehmen . In diesem Jahr werden wir deshalb über 2 Milliarden Euro an die Länder überweisen . Dazu kommen
in mehrfachen Tranchen 500 Millionen Euro für sozialen
Wohnungsbau und - nicht zu vergessen - die 350 Millionen Euro jährlich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommen nochmals jährlich drei Jahre lang 2 Milliarden Euro obendrauf
sowie die bereits mehrfach angesprochenen 5 Milliarden
Euro zur weiteren Entlastung von Kommunen . Der Kollege Bernhard Daldrup, die Kollegin Ulli Gottschalck, aber
auch Eckhardt Rehberg sind schon darauf eingegangen,
dass es durchaus kritisch gesehen wird, welche Regelung
aktuell im Gesetzentwurf hinsichtlich der Verteilung des
Geldes vorgeschlagen wird . Ich sage auch: Wir haben zu
Recht eine klare Erwartungshaltung, wofür dieses Geld
eingesetzt werden soll . Denn wir müssen dafür sorgen,
dass Integration vor Ort erfolgreich ist, dass sie gelingt .
Ich finde es nach wie vor beeindruckend, wie viele
Menschen sich, egal ob im Hauptamt, im Ehrenamt, in
Helferkreisen, in Behörden, in Kommunalverwaltungen,
unglaublich engagieren, damit Integration tatsächlich
auch erfolgreich ist und funktioniert . Deswegen will ich
an dieser Stelle all jenen meine Anerkennung und meinen
Dank aussprechen, die sich so unglaublich einbringen . Es
ist wirklich fantastisch, was man vor Ort zum Teil an Engagement sieht .
({1})
Ich will - aus Zeitgründen nenne ich nur wenige Beispiele - an dieser Stelle noch einmal betonen, dass sich
das Engagement des Bundes ja nicht darin erschöpft,
ganz im Gegenteil. Ich finde es als Haushälter und Berichterstatter für den Einzelplan 06, Geschäftsbereich des
Bundesinnenministeriums, unglaublich, was wir in den
letzten Jahren im Haushalt auf die Beine gestellt haben .
Ich will an die Stellenaufwüchse beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge erinnern . Dort haben wir die
Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf jetzt über
7 000 verdreifacht, damit beim Thema Integration vieles besser läuft, aber natürlich auch weil wir ein großes
Interesse daran haben, dass die vielen Anträge auf Asyl
schneller entschieden werden können .
Ich will daran erinnern, dass wir die Mittel für Integrationskurse innerhalb von wenigen Monaten verdreifacht
haben . Ich bekomme eher die Rückmeldung, dass viele
Plätze noch unbesetzt sind, als die Meldung, dass Leute
lange warten müssen, bis sie einen Platz bekommen . Die
Vergütung der Lehrkräfte haben wir deutlich verbessert .
Wir haben die Situation der Träger von Integrationskursen deutlich verbessert . Ich denke im Übrigen auch an
die Migrationsberatung, an die Jugendmigrationsdienste
und an die Bundespolizei .
Ich finde, insgesamt leistet der Bund einen großen
Beitrag für eine Integration, die gelingt und erfolgreich
ist . Deswegen glaube ich, dass wir gut beraten sind, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen . In der Anhörung werden wir natürlich noch einmal darüber diskutieren, wie
wir mit den weiteren 5 Milliarden Euro umgehen, über
die so strittig diskutiert wird, zumindest darüber, wie sie
weitergeleitet werden .
Herzlichen Dank .
({2})
Alois Rainer erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat der Bund die Länder und die Kommunen finanziell so stark unterstützt wie in dieser Legislaturperiode .
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Länder die Zuständigkeit und die Verantwortung für eine den Aufgaben
angemessene und auskömmliche Finanzausstattung der
Kommunen haben .
({0})
Viele Zahlen sind genannt worden . Einige würde ich gerne wiederholen, damit sie bei uns im Gedächtnis bleiben .
Allein in dieser Legislaturperiode erhalten die Länder
und Kommunen eine Entlastung durch den Bund von
circa 80 bis 90 Milliarden Euro . Wenn wir den Finanzzeitraum von 2010 bis 2020 betrachten, dann reden wir
von circa 200 Milliarden Euro . Das sind fast zwei Drittel
eines jährlichen Bundeshaushalts .
Ich bin der festen Überzeugung: Das ist der richtige
Weg . Denn Bund, Länder und Kommunen haben die
Aufgabe, schutzsuchende Menschen zu versorgen und
Integration zu ermöglichen . Das kostet nicht nur Kraft,
sondern auch Geld . Es ist richtig, dass der Bund seine
Verantwortung gegenüber den Ländern und Kommunen
wahrnimmt und sie finanziell unterstützt.
Die Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft ist von zentraler Bedeutung . Nur eine gelungene
Integration gibt Sicherheit und Vertrauen . Aber in dem
vorliegenden Gesetzentwurf geht es nicht nur um Mittel
für Integration, sondern auch um weitere Unterstützung,
weitere Mittel für unsere Kommunen .
Meine Damen und Herren, wir sprechen im Wesentlichen von drei Punkten:
Erstens geht es um die Änderungen im Finanzausgleichsgesetz . Hier wird der Länderanteil an der Umsatzsteuer für die Jahre 2016 bis 2018 um jeweils 2 Milliarden Euro erhöht . Damit hält der Bund seine am 7 . Juli
dieses Jahres gemachte Zusage, sich an den Kosten der
Integration zu beteiligen, ein . Mit der jährlichen Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro stehen den
Ländern über die Umsatzsteuerverteilung mehr Mittel
zur Verfügung .
An dieser Stelle spreche ich gerne die Forderung des
Deutschen Städtetages aus; denn sie ist auch meine Forderung . Ich appelliere an die Länder, ihren Kommunen
zügig einen angemessenen Teil der 2 Milliarden Euro
wiederzugeben . Ich kann nur ein Beispiel nennen, und
zwar den Freistaat Bayern . Der Freistaat Bayern unterstützt seine Kommunen nämlich wie kein anderes Land
in unserer Republik .
({1})
Der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer erhöht sich
ebenfalls, und zwar im Jahr 2018 um 2,76 Milliarden
Euro und ab dem Jahr 2019 um 2,4 Milliarden Euro . Weiter erhalten die Länder für 2018 und 2019 jeweils 1 Milliarde Euro zusätzlich . Allein diese Änderung im FAG
bedeutet für Länder und Kommunen eine Entlastung von
13 Milliarden Euro bis 2019 .
Zweitens geht es um die Änderungen im Entflechtungsgesetz. Mit den Änderungen im Entflechtungsgesetz
gewährt der Bund den Ländern die für den Wohnungsbau
in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von 500 Millionen
Euro jährlich .
Drittens geht es um die Änderungen im SGB II . Mit
der vorgesehenen Entlastung der Kommunen in Höhe
von 5 Milliarden Euro halten wir ein weiteres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein . Die Erhöhung der
Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft
führt bei den Kommunen in den Jahren 2016 bis 2019 zu
Mehreinnahmen von rund 5,5 Milliarden Euro .
Meine Damen und Herren, damit zeigt der Bund, dass
er Länder und Kommunen bei der Erledigung ihrer Aufgaben nachhaltig unterstützt . Dies ist das richtige Signal .
Dieses Signal können wir aber nur aufgrund unserer guten und zukunftsorientierten Haushalts- und Wirtschaftspolitik setzen . Denn hätten wir das Geld nicht zur Verfügung - wir sprechen, wenn es um die Steuereinnahmen
geht, nämlich nicht nur vom Geld des Bundes, sondern
vom Geld von Bund, Ländern und Kommunen -, könnten wir den Kommunen diese Unterstützung nicht zukommen lassen . Deshalb auch ein ganz herzlicher Dank
an unseren Finanzminister für die stabile und zukunftsorientierte Haushaltspolitik!
({2})
Eine eventuell gerechtere Verteilung über die Umsatzsteuer ist schon des Öfteren angesprochen worden .
Nur, hier wird es enorm schwierig werden . Denn klar ist:
Die Umsatzsteuerbeteiligung ist damals als Ersatz für
die Gewerbekapitalsteuer eingeführt worden . Man wusste: Gewerbekapitalsteuer nehmen insbesondere solche
Kommunen ein, in denen es große Gewerbebetriebe gibt .
Darum ist die Systematik der Umsatzsteuerbeteiligung
so, wie sie ist . Es wird, wie es der Kollege Rehberg gerade gesagt hat, schwierig werden, hier eine Grundgesetzänderung zu erreichen .
Ich bin froh, dass wir die Kommunen in dieser Form
und in dieser Höhe unterstützen können . Das ist einmalig,
meine sehr verehrten Damen und Herren . Darüber dürfen
wir uns alle freuen, und wir dürfen das auch sagen .
({3})
Vorhin hieß es, dass die Mittel für die Integrationskurse nicht reichen würden . Dazu gibt es nur eines zu sagen:
Die Mittel für die Integrationskurse sind auf 559 Millionen Euro verdoppelt worden, und für 2017 planen wir
eine weitere Erhöhung . Auch der Stundenlohn für die
Lehrkräfte ist verdoppelt worden . Also von wegen, wir
würden nichts tun . Wir tun in diesem Bereich nämlich
viel .
({4})
Wir haben die Probleme erkannt, und wir packen sie an .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diesem
Weg machen wir weiter . Wir machen eine gute Politik .
Danke schön .
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält der Kollege Juratovic für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade in diesen Tagen, wo deutschlandweit
der Tag des Ehrenamts gefeiert wird, möchte ich den stillen Helden in unserem Land, die selbstverständlich die
Willkommenskultur in den Ämtern, den Vereinen, aber
auch im Einzelnen millionenfach gelebt haben und leben,
meinen herzlichen Dank aussprechen .
({0})
Sie haben im Zusammenhang mit den Flüchtlingen
Unvorstellbares geleistet, was an sich unbezahlbar ist .
Doch die Kosten der Kommunen für die Versorgung und
Unterbringung der Flüchtlinge lassen sich durchaus benennen . Zwar gibt es noch keine verlässlichen Zahlen,
aber Schätzungen gehen von zweistelligen Milliardenbeträgen allein für 2015 aus .
Der Bund hat den Kraftakt der Kommunen bereits in
der Vergangenheit unterstützt . Nun entlastet er durch den
vorliegenden Gesetzentwurf die Kommunen um weitere
Milliarden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden nicht nur
von trockenen Zahlen, wir reden hier von mehr . Wir sprechen von Obdach für Menschen, manchmal improvisiert,
aber letztlich von geheiztem Wohnraum für Alleinstehende und Familien . Das ist genauso wichtig wie das, was
folgt, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass diese Menschen an unserer Gesellschaft teilhaben können .
Liebe Haushälter, in der zweiten Novemberwoche findet die Bereinigungssitzung für den Haushalt 2017 statt .
Ich bitte Sie ausdrücklich, die Posten für die Integration von Flüchtlingen, speziell die Mittel für die Migrationsberatung für Erwachsene und die Jugendmigrationsdienste, mindestens in der Höhe des vergangenen Jahres
aufrechtzuerhalten, wenn nicht gar zu erhöhen . Denn
momentan nimmt der Druck im Hinblick auf die Erstversorgung von Flüchtlingen zwar ab, da die Zahl der
Flüchtlinge derzeit sinkt, die wahre Herausforderung im
Hinblick auf die Integration derer, die bei uns Schutz suchen, beginnt jedoch erst . Und glauben Sie mir: Das wird
ein Langstreckenlauf . - Der darf nicht zum Hürdenlauf
werden, nur weil die Gelder fehlen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein
Weiteres hinzufügen, was mir als SPD-Integrationsbeauftragten wichtig ist . Wie gesagt, es klingt, als ginge
es bei der Entlastung der Kommunen durch den Bund
nur ums Geld . Tatsächlich sprechen wir von den Kosten
für die Versorgung von Menschen, die, bis sie bei uns
landeten, die Hölle durchquert haben . Unser politisches
Ansinnen muss es sein, unserer international verankerten
humanitären Verpflichtung gerecht zu werden und den
Menschen, die vor einem brutalen Bürgerkrieg geflohen
sind, einen sicheren Hafen zu gewähren .
Allerdings können wir die schönsten Maßnahmenund Kostenübernahmepakete schnüren, wir können uns
den Kopf über die besten Strategien zerbrechen und Millionen in Sprach- und Integrationskurse stecken, es bleiben wirkungslose Maßnahmen, wenn wir sie nicht mit
Leben erfüllen . Wir müssen das Ziel, dass die Menschen
an unserer Gesellschaft teilhaben können, verinnerlichen .
Das funktioniert nur, wenn die richtige Haltung und das
passende gesellschaftliche Klima dafür vorhanden sind .
Dafür brauchen wir einen wehrhaften, handlungsfähigen
Staat, der vor allem rechte Übergriffe ahndet und rechten
Propagandisten der Abschottung und Ausgrenzung deutlich die Stirn bietet .
({1})
Brandanschläge auf Asylbewerberheime oder Moscheen machen alle Bemühungen in dieser Richtung zunichte . Die Taten werden so gut wie nie aufgeklärt oder
werden gar verharmlost . Kolleginnen und Kollegen,
Brandstiftung ist ein Verbrechen und kein politisches Signal und muss entsprechend behandelt werden .
({2})
Menschen müssen sich sicher fühlen, um sich als Teil
der Gesellschaft zu fühlen . Wir brauchen eindeutige Antworten auf rechte Umtriebe . Nur so wird erfolgreiche
Integration möglich . Dann und nur dann hat sich unser
finanzieller Einsatz egal ob vom Bund oder von Ländern
gelohnt .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/9980 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt
es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Kühn ({0}), Kerstin Andreae,
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam für bezahlbares Wohnen - Lebenswert und klimafreundlich
Drucksache 18/10027
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Auch hier soll die Aussprache nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten andauern .
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Katrin Göring-Eckardt für die antragstellende Fraktion
das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In dieser Woche findet in Quito, der Hauptstadt Ecuadors, die dritte UN-Siedlungskonferenz, Habitat III, statt . Dort treffen sich die Vertreter aus Megacitys
und anderen Städten, um nach Lösungen im Hinblick auf
die immensen sozialen Probleme in den Städten, den gigantischen Ressourcenverbrauch und die Luftverschmutzung zu suchen . Auch der Oberbürgermeister Berlins hat
sich auf den Weg nach Quito gemacht.
({0})
Die drängendste Frage, die sich für Berlin, München,
Stuttgart, Düsseldorf, Dresden und viele andere Städte
stellt, ist die Frage nach dem Wohnen . Wenn man über
das Wohnen redet, dann geht es nicht einfach nur um die
Wohnung oder die Miete, sondern das Wohnen ist inzwischen zu der sozialen Frage unserer Zeit und unserer Gesellschaft geworden .
({1})
Meine Damen und Herren, wo jemand wohnt, entscheidet heute über die Chancen beim Bewerbungsgespräch . Es entscheidet über die Schule oder die Kita, in
die Kinder gehen können . Es entscheidet bei den Alten
über die Nachbarschaft . Es entscheidet darüber, ob ich im
Alter dort gepflegt werden kann, wo ich möchte - ja oder
nein -, dort wo meine Community ist . Es entscheidet darüber, ob Kinder drinnen und draußen Platz zum Spielen
haben . Es entscheidet darüber, ob die Wohnung sicher
ist oder im Keller eingebrochen wird . Sind die Baumaterialien okay? Sind sie gesund? Wie ist es mit der Wärmedämmung? Kann man den Einkauf zu Fuß erledigen?
Bekomme ich Hilfe, wenn ich sie brauche - spätestens
im Fall der Pflege? All das hat mit dem Wohnen zu tun,
und deswegen ist und bleibt es eine so zentrale Frage .
({2})
Die explodierenden Mieten sind inzwischen zu einer
Art Spaltpilz der Gesellschaft geworden . Besonders Familien mit kleinen Einkommen, Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende und Migrantinnen und Migranten
sind immer öfter wegen steigender Mieten gezwungen,
ihre Wohnungen zu verlassen und anderswo eine Bleibe
zu finden.
Ich habe neulich einen Brief von einem Menschen bekommen, der am Rand von Berlin wohnt . Ich glaube, es
war jemand, der am Rand von Zehlendorf wohnt und sich
über Wildschweine freut. Ich finde, das ist eine sehr hervorragende Wohnlage . - Das meine ich nicht, wenn ich
sage, dass Menschen an den Rand gedrängt werden . Ich
meine nicht Wohngebiete, in denen man sich noch wunderbar abschotten kann und es besonders gut hat, sondern
ich meine Wohngebiete, in denen man spürt, dass der soziale Zusammenhalt infrage gestellt wird und dass dort
diejenigen wohnen, die sich anderes Wohnen nicht mehr
leisten können. Ich finde, das ist etwas, was uns nicht
egal sein kann, auch wenn wir noch keine Situation wie
in den Vorstädten von Paris und Brüssel haben .
({3})
Die Menschen spüren inzwischen, dass da etwas ins
Rutschen geraten ist . Der Anteil der Miete am Netto
steigt - und die Löhne eben nicht mit . Die Minimietpreisbremse, die Sie eingeführt haben, ist jedenfalls keine Antwort darauf - weder, um jemanden zu beruhigen,
noch in der Sache selbst .
({4})
264 deutsche Städte, in denen bezahlbarer Wohnraum
fehlt, haben es seit der Einführung der Mietpreisbremse
mit steigenden Mieten zu tun . Das ist ja wohl das Gegenteil dessen, was Sie versprochen haben . Dass Sie das jetzt
merken und nach dem Motto „Haltet den Dieb“ verfahren, finde ich besonders unglaubwürdig.
({5})
Die Ausnahmen öffnen Tür und Tor, und es gibt schon
möblierte Wohnungen von 10 Quadratmetern, für die
700 Euro Miete verlangt werden . Das ist nicht nur unzumutbar, sondern auch unverantwortlich, und Sie sind diejenigen, die einen Teil der Verantwortung dafür tragen .
({6})
Meine Damen und Herren, seitdem die schwarz-gelbe
Koalition 1989 - ja, das ist lange her - die alte Wohngemeinnützigkeit abgeschafft hat, sind kontinuierlich
2 Millionen gemeinnützige, bezahlbare Wohnungen verloren gegangen . Jedes Jahr fallen weitere 60 000 Wohnungen aus der Sozialbindung heraus . 60 000 Wohnungen ohne Sozialbindung!
Und was tun Sie? Viel fordern, wenig durchsetzen!
Schlagzeilen produziert Frau Hendricks auch diesbezüglich sehr gerne, besonders dann, wenn es neue Gesprächskreise gibt . Der Gesprächskreis „Bündnis für
bezahlbares Bauen“ jedenfalls ist eine schöne Aktion
gewesen . Passiert ist leider gar nichts . Sie müssen jetzt
Geld in die Hand nehmen .
({7})
Hören Sie auf, herumzudrucksen .
Wir schlagen Ihnen vor, ein Sofortprogramm aufzulegen: 1 Million Wohnungen in fünf Jahren, 1 Million sozialgebundene Wohnungen, 1 Million bezahlbare
Wohnungen . Nur derjenige, der tatsächlich bezahlbaren
Wohnraum schafft und erhält, bekommt Geld vom Staat .
Das ist die neue Wohngemeinnützigkeit, die wir Ihnen
vorschlagen . Damit kann die Struktur in unseren Städten
tatsächlich verbessert und es kann auch verhindert werden, dass die Kluft noch größer wird .
({8})
Man muss sich vorstellen, worum es geht . Ein Blick
auf den Wohnungsmarkt in Berlin zeigt, dass zwei Drittel
der Wohnungsangebote heute Wohneigentum betreffen .
Um das restliche Drittel Mietwohnungen streiten sich
dann Studierende, Niedrigverdiener und Alleinerziehende . Dieser Zustand muss dringend und deutlich beendet
werden, meine Damen und Herren .
Packen Sie es endlich an! Tun Sie nicht mehr so, als
wäre Wohnen eine nette Nebensache . Wohnen ist das,
was wir alle tun und tun müssen . Beim Wohnen geht es
um den sozialen Zusammenhalt .
Frau Kollegin .
Kümmern Sie sich darum! Machen Sie nicht nur Ankündigungen, sondern sorgen Sie tatsächlich dafür, dass
hier etwas geschieht .
({0})
Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau
Katrin Göring-Eckardt, wenn man Ihren Antrag an dieser
Stelle bewerten soll, dann ist das Wort „würdigen“ dafür
ein zu positives Wort . Positiv fällt mir zu diesem Antrag
immerhin ein, dass uns alle hier im Haus die Sorge eint,
wie wir zu mehr, bezahlbarem und, wenn Sie so wollen,
gern auch zu klimafreundlichem Wohnraum kommen .
Das halte ich für einen ganz wichtigen und ganz breiten Ansatz . Wenn nun der Regierende Bürgermeister
von Berlin meint, er müsse sich die Anregungen dazu in
Ecuador holen, dann ist das schön, und wir nehmen das
zur Kenntnis .
({0})
Ich hoffe aber, meine Damen und Herren, dass der Lösungsansatz, den er mitbringt, ein bisschen breiter ist als
das, was Sie in Ihrem Antrag als Perspektive eröffnen .
Sie verengen nämlich die Sichtweise sehr stark . Das geht
los mit der Frage: Wo soll gebaut werden? Da beziehen
Sie sich ausschließlich auf die Metropolen, auf die Megastädte, wie Sie sie vorhin genannt haben . Diese sind in
Deutschland nicht ganz so zahlreich . Tatsächlich haben
wir auch ein Wohnungsproblem in den kleineren Städten
und teilweise im ländlichen Raum . Auch das wollen wir
an dieser Stelle einmal direkt ansprechen .
({1})
Sie verengen Ihre Sichtweise auch in der Frage: Wer
soll bauen? In Ihrem Antrag gibt es zwei Akteure . Vorrangig ist das der Staat, und an zweiter Stelle sind das die
Genossenschaften .
({2})
Nun muss ich Ihnen sagen: Was den Staat angeht, haben
wir bereits - Stichwort „sozialer Wohnungsbau“ - ein
massives Staatsversagen hinter uns . Wir haben gesehen,
was der Staat macht: Die Länder haben Geld für den
Wohnungsbau bekommen, dieses aber für etwas ganz
anderes eingesetzt als dafür, wofür wir es uns vorgestellt
haben .
Nun tragen Sie das Thema Gemeinnützigkeitsbindung
quasi als Monstranz vor sich her . Mir stellt sich die Frage, wer unter dieser Voraussetzung tatsächlich investieren soll . Am Schluss braucht ein Bau Investoren; das ist
absolut klar . Da sind aus unserer Sicht gerade private Investoren notwendig .
({3})
- Ich komme gleich darauf .
({4})
Selbst der altruistischste Investor wird am Schluss
von Zinsen und von einer Abschreibung profitieren wollen . Nun ist die Situation bei den Zinsen momentan ein
bisschen einfacher . Aber dieser Niedrigzins wird durch
steigende Baupreise überkompensiert . Auch das mit
der Abschreibung ist so eine Sache . Der tatsächliche
Abschreibungssatz müsste angesichts dessen, was wir
momentan an Technik verlangen - darauf komme ich
nachher beim Stichwort „Klimaschutz“ zu sprechen -,
erheblich höher als das sein, was man den Anlegern mit
2 Prozent momentan steuerlich zubilligt .
({5})
Dann geht es mit der Frage weiter: Unter welchen Bedingungen soll investiert werden? Das ist gerade Ihr Einwand gewesen . Da geht es mit dem Thema „teures Bauland“ los . Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Erfahrung
ist, dass der Aufschrei vieler Beteiligten, insbesondere
auch von den Grünen, groß sein wird, sobald wir über
Arrondierungen im Innenbereich bzw . über die Frage reden, wie wir mehr Bauland ausweisen können .
({6})
Da sind Sie nämlich in einem Konflikt, meine Damen
und Herren . Natürlich ist das letztlich auch Landschaftsverbrauch . Das wird doch gar nicht anders gehen . Wenn
Sie mehr Bauland ausweisen, müssen Sie natürlich auch
in Teilen in den Außenbereich gehen . Wohlgemerkt: Wir
wollen das tun . Allerdings ist das angesichts derjenigen,
die uns aus Gründen des Umweltschutzes daran hindern
wollen, ein schwieriges Unterfangen .
({7})
Bauland ist auch deshalb teurer, weil die Grunderwerbsteuern hoch sind . Auch da könnten Sie fragen, wer
daran schuld ist, in welchen Ländern sie besonders hoch
sind und ob Sie vielleicht in der jeweiligen Landesregierung dieser Länder vertreten sind . Ich empfehle Ihnen
dringend, sich das einmal anzuschauen; dann können Sie
an der Stelle etwas ändern .
({8})
- Ich sage etwas zu der nächsten Frage, nämlich wie man
weiteres Bauland gewinnen kann . - Wir haben derzeit die
Problematik, dass aufgrund von fehlenden Reinvestitionsmöglichkeiten die Eigentümer von Bauland nicht verkaufen . Denen muten wir zu, dass, wenn sie es tatsächlich tun, erst einmal der Fiskus kassiert, und zum Schluss
haben sie das Geld, können es aber nicht reinvestieren .
Deshalb meinen wir, dass es eine intelligente Variante
wäre, darüber nachzudenken, ob man den Grundstücksbesitzern nicht die Chance eröffnen sollte, steuerfrei in
Mietobjekte zu investieren, wenn sie Bauland verkaufen .
Das halte ich für einen zielführenden Ansatz .
({9})
Lassen Sie uns über solche Dinge reden statt über theoretische Gedankenspiele zur Gemeinnützigkeit . Es gab
schließlich einen Grund, warum man sie abgeschafft hat,
nämlich die Tatsache, dass die Fehlbelegung zum Schluss
ein hohes Ausmaß angenommen hatte und dass sie bei
weitem nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat .
Es ist sinnvoller, zur Subjektförderung via Wohngeld
überzugehen und diejenigen, die Miete zahlen müssen,
so zu fördern, dass sie dies tun können, statt den von
Ihnen vorgeschlagenen Weg zu gehen, jetzt wieder ein
neues Etikett zu vergeben und Gemeinnützigkeit einzuführen, wenn am Ende ganz andere in diesen Wohnungen
wohnen, als eigentlich beabsichtigt war . Wem hilft denn
das, meine Damen und Herren? Ich kann das überhaupt
nicht nachvollziehen .
({10})
Frau Katrin Göring-Eckardt hat vorhin die Baukostensenkungskommission angesprochen . Sie haben recht:
Kommissionen sind das eine, und das, was wir dann in
der Politik diskutieren, ist das andere . Dabei spielt das
Thema Klimaschutz eine ganz hervorragende Rolle, allerdings nicht im positiven Sinne .
Klimaschutz ist ein eminent wichtiges Thema . Aber
wir sind auf dem besten Wege, ihn zu nichts anderem als
zu einem Kostentreiber zu machen . Das ist mir zu wenig .
({11})
- Hören Sie einmal zu! Das ist viel wichtiger; dann lernen Sie etwas .
Nehmen wir die Zusammenführung von EnEV und
EE-Wärmegesetz .
({12})
- Hören Sie zu! Schauen Sie sich die derzeitige Realität
im Neubau an! Wir bauen massiv isolierte, faktisch luftdichte Gebäude . À la bonne heure: Dagegen ist nichts
einzuwenden . Dann sagt man aber: Du musst eine immens teure aufwendige Heizung installieren, um an den
wenigen Tagen, an denen du sie wirklich brauchst, dieses
Gebäude heizen zu können . - Wie passt denn das zusammen?
Beim Thema Sanierung sind wir an demselben Punkt .
Auch dazu gibt es Forderungen, die Standards weiter
anzuheben . 120-Prozent-Sanierung sage ich dazu . Dem
Klima würde man mehr helfen, wenn viele Wohnungen
teilsaniert würden, statt nur einige wenige nach allerhöchstem Standard sozusagen zu 120 Prozent zu sanieren .
({13})
Diesen Weg muss man gehen, und so muss man aus
meiner Sicht den Klimaschutz sehen . Angesichts der
komischen Diskussion über das Thema „angemessene
Wirtschaftlichkeit“, die viele Ihrer grünen Länderminister an dieser Stelle beginnen, frage ich mich: Was soll
das? Wenn man erst einmal über die Frage diskutieren
muss, was „angemessen“ ist, muss man das Ganze letztlich gar nicht diskutieren .
Das Allerschönste ist, dass Sie schreiben: Wenn es
nicht wirtschaftlich ist, soll der Staat einspringen und das
Ganze fördern . - Wer diskutiert denn dann? Wer denkt
denn an der Stelle überhaupt noch über die Frage der
Wirtschaftlichkeit nach?
Ich glaube, dass das ein falscher Ansatz ist, meine
Damen und Herren . So wird Klimaschutz nicht funktionieren . Klimaschutz muss etwas sein, das wir mit Technologieoffenheit und Innovationsfreude angehen und bei
dem wir bereit sind, etwas zu bewegen, gerne auch im
Baubereich . Wir müssen aber aufhören, die Trauben immer höher zu hängen, bis keiner mehr hochspringt . Das
ist doch der Weg, den wir zurzeit beschreiten . Bei jeder
Gelegenheit - bei der Zielsetzung angefangen bis hin
zu den Maßnahmen - hängen wir die Trauben ein Stück
höher und wundern uns, wenn sich zum Schluss keiner
mehr bemühen wird, überhaupt noch daranzukommen .
Investitionsattentismus werden Sie am Schluss mit solchen Anträgen erreichen .
({14})
- Eng? Ich merke doch, dass sie eng sind . Sie hören nicht
zu .
({15})
- Sie hören nicht zu . Wir diskutieren dann über die Frage: Was soll oder - ich sage das in Ihrem Jargon - was
darf denn gebaut werden?
({16})
Auch da sind Sie eng . Sie sagen: nur der Niedrigstandard im Mietwohnungsbau, allerdings bei hohem Klimaschutzstandard - billig, billig, billig .
Ich sage Ihnen: Auch der Bezug einer besser ausgestatteten Mietwohnung sorgt am Schluss dafür, dass eine
andere Mietwohnung frei wird . Die Leute haben doch
vorher auch irgendwo gewohnt .
Das Gleiche gilt für das Eigenheim . Kein einziger
Satz findet sich in Ihrem Antrag zum Thema Eigenheim,
obwohl Deutschland dabei einen immensen Nachholbedarf hat . Wir haben eine Eigenheimquote von 53 Prozent .
Frankreich liegt bei 65 Prozent, Italien bei 73 Prozent .
Wir täten gut daran, uns auch mit Blick auf das Thema
Alterssicherung darüber Gedanken zu machen, wie mehr
Menschen zu eigenen vier Wänden kommen . Das ist,
meine Damen und Herren, ein Grundbedürfnis der Menschen . Wir sollten etwas dafür tun, dass sie das befriedigen können .
({17})
Stattdessen - da nehme ich die Schuld durchaus auf
uns - haben wir in der letzten Großen Koalition die Eigenheimzulage abgeschafft . Das war aus meiner Sicht ein
fataler Fehler . Wir müssen jetzt wenigstens darüber reden, wie man mit der Wohnungsbauprämie verfährt, die
auf Uraltdaten basiert . Wir sollten auch darüber reden, ob
man gezielt mit Baukindergeld einen Beitrag dazu leisten
kann, dass sich junge Familien wenigstens im ländlichen
Raum, wo es geht, ein eigenes Heim leisten können . Das
sollten wir tun .
({18})
- Jetzt brüllen Sie doch nicht die ganze Zeit . Wer die ganze Zeit brüllt, hat Unrecht, Herr Kollege .
({19})
Fazit der Geschichte ist: Staatliche Regulierung gibt
es in Deutschland genug . Anträge, die nur staatliche Regulierung fordern, sind überflüssig. Denn daran haben
wir, meine Damen und Herren, in diesem Land nun wirklich keinerlei Mangel .
Auch Markteingriffe machen das nicht besser . Frau
Katrin Göring-Eckardt hat vorhin das Thema Mietpreisbremse angesprochen, die sich aus ihrer Sicht nicht rentiert . Ich habe sie - das sage ich ganz offen - nicht gewollt und nicht gebraucht .
({20})
Ich bin eher in Sorge gewesen, dass aus der Mietpreisbremse eine Investitionsbremse wird . Das haben wir immerhin an der Stelle verhindern können .
({21})
Es wird tatsächlich gebaut - auch in den Metropolen .
({22})
Wir brauchen - da werden wir in der Tat mit dem Finanzminister reden müssen - steuerliche Rahmenbedingungen, wie ich sie angemahnt habe, beim Thema Bauland und bei den Abschreibungen . Dort sind 2 Prozent zu
wenig . Man braucht mindestens 3 Prozent, um die ökonomische Realität abbilden zu können .
Mir geht es darum, das Thema nicht auf Brennpunkte
zu verengen - auch nicht bei steuerlichen Förderungen .
Denn wäre dies der Fall, würden wir Feuer mit Öl bekämpfen . Das wäre falsch . Klimaschutz ist wichtig, lässt
sich aber nur mit guter Technik und mit dem Blick fürs
Ganze machen . Der fehlt Ihnen, meine Damen und Herren . Deshalb wird uns dieser Antrag ebenso wenig wie
Sie weiterbringen .
In diesem Sinne sage ich vielen herzlichen Dank .
({23})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Caren Lay
das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach drei Jahren Großer Koalition im Bund fällt
die wohnungspolitische Bilanz dieser Regierung, ehrlich
gesagt, bescheiden aus . Hier wurde viel geredet - fast
immer auf Antrag der Opposition . Von der Regierung
und insbesondere von der SPD wurde viel angekündigt,
aber durchgesetzt wurde kaum etwas . Auch wurden keine wirklich sinnvollen Regelungen in dieser Legislaturperiode erlassen .
Ich beginne mit dem Lieblingsprojekt, der Mietpreisbremse . Wie sie sich jetzt darstellt, ist sie faktisch ein
Rohrkrepierer . Das belegen verschiedene unabhängige
Studien . Sie attestieren, dass die Mietpreisbremse in der
derzeitigen Form nicht wirkt . Selbst dort, wo sie eingeführt wurde, steigen die Mieten weiter an . Das darf nicht
sein .
({0})
Unsere Vorschläge, die Mietpreisbremse nachzuschärfen, haben wir in der letzten Sitzungswoche hier im Bundestag eingebracht . Die Grünen bringen ihre Vorschläge
heute ein . Wer noch nichts eingebracht hat, ist die Große
Koalition .
({1})
Ich bin Ihnen, Herr Dr . Nüßlein, fast dankbar, dass Sie
ehrlich gesagt haben, Sie wollten die Mietpreisbremse
nicht .
({2})
Genau das ist auch das Problem . Die Große Koalition hat
letztlich ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zwar eine
schöne Überschrift hat, das aber so viele Ausnahmen und
Lücken enthält - daran hat die CDU/CSU alles gesetzt -,
dass es das Papier nicht wert ist . Ihre Blockadehaltung
in diesem Punkt ist das eigentliche Problem . Sie wollen
nicht, dass die Mietpreisbremse wirkt . Das muss sich
endlich ändern .
({3})
Auch der soziale Wohnungsbau kommt nicht in
Schwung . Wir freuen uns, dass Geld draufgesattelt wurde und dass im vorletzten Jahr 12 000 Sozialwohnungen
und im letzten Jahr 15 000 Sozialwohnungen neu gebaut
wurden; das ist gut . Aber wir dürfen nicht vergessen, dass
Jahr für Jahr unglaublich viele Sozialwohnungen aus der
sogenannten Sozialbindung herausfallen . Wenn es sich
dabei im Schnitt um schätzungsweise 85 000 Wohnungen im Jahr handelt, dann bleibt trotz der Neubauten Jahr
für Jahr ein Minus von rund 70 000 Sozialwohnungen,
die aus der Sozialbindung herausfallen . Wenn wir nicht
ein bisschen mehr Tempo machen, dann haben wir in
25 Jahren überhaupt keine Sozialwohnungen mehr . Das
darf nicht sein .
({4})
Ich appelliere an die Vertreter der Länder: Setzen Sie
das Geld, das Ihnen der Bund für den sozialen Wohnungsbau gibt, tatsächlich für den sozialen Wohnungsbau ein!
({5})
Viele Länder füllen mit diesem Geld die Lücke, die durch
die abgeschaffte Eigenheimförderung entstanden ist . Das
ist schlichtweg eine Zweckentfremdung von Geldern .
Das können wir nicht dulden .
({6})
Nun habe ich Applaus von der CDU/CSU bekommen .
Das finde ich natürlich schön.
({7})
Aber eines will ich deutlich sagen: Sich hinter dem Versagen der Länder bei der sozialen Wohnungspolitik zu
verstecken, geht nicht . Schauen wir uns einmal an, um
welche Bundesländer es sich handelt, die in den letzten
zwei Jahren trotz der Subventionen des Bundes gar keine
Sozialwohnungen gebaut haben . Wer war das denn? Das
waren Sachsen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern . Fällt Ihnen etwas auf? Wer regiert denn dort? Dort
regiert die CDU zusammen mit der SPD . Sich hier hinter
den Ländern zu verstecken, kann keine Lösung sein .
({8})
Ich appelliere an die Länder, die Geltungsdauer der
Sozialbindungen zu verlängern . Ansonsten fallen Hunderttausende Sozialwohnungen in den nächsten Jahren
weg . Das heißt konkret, dass Zehntausende, vielleicht
sogar Hunderttausende Menschen mit geringem Einkommen aus ihren Wohnungen fliegen werden. Deswegen
lautet mein Appell an die Vertreter der Länder: Verlängern Sie die Geltungsdauer der Sozialbindungen! Kaufen
Sie die sogenannten Belegungsbindungen auf! Das ist
das Gebot der Stunde .
Auch der Bund muss seine Politik verändern . Erstens
reicht das Geld hinten und vorne nicht aus . Wir sagen:
5 Milliarden Euro für einen sozialen, gemeinnützigen
Wohnungsbau sind gut angelegtes Geld . Zweitens sollten wir mit dem Geld, das der Bund nun einsetzt, nicht
auch noch die Fehler der Vergangenheit wiederholen .
15 Jahre lang werden die Wohnungen, die mit Geldern
der sozialen Wohnraumförderung subventioniert werden,
als Sozialwohnungen gebunden. Danach fliegen sie aus
der Sozialbindung wieder heraus. Das bedeutet häufig,
dass die Mieterinnen und Mieter ausziehen müssen . Das
ist, ehrlich gesagt, keine sinnvolle Förderung . Deswegen
sagen wir als Linke: Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung! Das muss für die Zukunft gelten .
({9})
Dass das gut funktioniert, kann man sich übrigens in
Wien ansehen . Das Wiener Modell der Gemeindewohnung sollten wir uns als Vorbild nehmen .
Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit im
Jahr 1990 war ein fataler Fehler, ein Jahrhundertfehler .
Deswegen gehört die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit in das Zentrum einer neuen sozialen
Wohnungspolitik .
({10})
Das Grundproblem ist Folgendes: Fast alle Akteure auf
dem Markt wollen vor allen Dingen mit Wohnungen viel
Geld verdienen . Dem müssen wir etwas Neues entgegensetzen, einen neuen Sektor, der nicht für die Rendite
wirtschaftet, sondern der das Recht der Menschen auf bezahlbares Wohnen in den Mittelpunkt stellt . Das ist eine
neue Wohngemeinnützigkeit .
({11})
Das Mantra der CDU „bauen, bauen, bauen“ ist übrigens keine Lösung . Ich meine, es herrscht regelrecht eine
Goldgräberstimmung auf dem Immobilienmarkt . Es gibt
ein Zehnjahreshoch bei den Baugenehmigungen . Aber
das Magazin Panorama hat herausgefunden, dass gerade einmal 5 Prozent der im Neubau befindlichen Wohnungen in den 20 größten deutschen Städten überhaupt
für Normalverdiener erschwinglich sind, in Berlin nur
2,5 Prozent . Wir reden hier nicht nur von Geringverdienern und von Hartz-IV-Empfängern, sondern es wurde
der Durchschnittsverdienst zugrunde gelegt . Ich muss
einfach sagen: Wenn nur 5 Prozent aller Neubauten in
den Großstädten für den Durchschnittsverdiener als Mieter erschwinglich sind, dann läuft etwas mit der Bau- und
Wohnungspolitik dieser Regierung falsch .
({12})
Ein letzter Punkt: Wir brauchen nicht nur eine wirkungsvolle Mietpreisbremse; was wir vor allen Dingen
noch brauchen, ist eine Spekulationsbremse . Wir müssen verhindern, dass Firmen die Möglichkeit haben, die
Grunderwerbsteuer zu umgehen, und zwar nicht nur
durch miese Tricks, sondern indem sie ganz legale Steuertricks - Share Deals - anwenden . Das dürfen wir nicht
länger dulden . Das müssen wir hier im Deutschen Bundestag verhindern .
({13})
Das wäre doch eigentlich ein schöner Schlusssatz gewesen .
Herr Präsident, mein letzter Satz . - Es kann doch
nicht sein, dass der Bund weiter mitspekuliert . Wir müssen endlich das Prinzip ändern, dass die bundeseigenen
Immobilien weiterhin im sogenannten Höchstgebotsverfahren abgegeben werden . Wir brauchen hier ein Vorkaufsrecht der Kommunen . Ein gutes Beispiel ist das
Dragoner-Areal hier in der Stadt Berlin. Ich finde, dieser Vertrag mit dem Großinvestor muss rückabgewickelt
werden . Dieses Areal muss zurück an das Land Berlin,
damit es gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern
sozial entwickelt werden kann .
Vielen Dank .
({0})
Für die Bundesregierung erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Es ist Aufgabe der Opposition, das Haar
in der Suppe zu suchen. Aber wenn man kein Haar findet,
gleich eine ganze Perücke hineinzuwerfen, wie man das
heute in der Debatte macht, übersteigt schon das Erträgliche .
({0})
Nehmen wir doch einmal die Fakten, von denen hier
viele reden, zur Kenntnis . Wir haben heute die aktuellen
Baugenehmigungszahlen bekommen . Im ersten Halbjahr
ist in Sachen Neubau so viel passiert wie seit 2002 nicht
mehr .
({1})
Wir haben eine Steigerung um 25 Prozent auf dem Wohnungsmarkt .
Der zweite Punkt: Wer spricht denn über die Maklerregelung, die wir durchgesetzt haben? Eine halbe Milliarde Euro ersparen wir Mietsuchenden jedes Jahr . Wir
verhindern, dass sie ausgebeutet und über den Tisch gezogen werden . Diese Regelung wirkt .
({2})
Das ist völlig irrelevant aus Sicht der Opposition . Wir
haben zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit der Mietpreisbremse eine gesetzliche Regelung in einem Bereich geschaffen, in dem es
bisher überhaupt keine gab, nämlich bei der Wiedervermietung . Wir haben jetzt die erste Klage, die erfolgreich
war . Die wird auch Wirkung zeigen .
Es hat nie jemand behauptet, dass eine Mietpreisbremse es schafft, die Mieten zu reduzieren .
({3})
Eine Mietpreisbremse bremst die Entwicklung ab .
({4})
Wir haben immer gesagt: Ohne dass wir zusätzliche Anstrengungen beim Bauen unternehmen, wird es keinen
bezahlbaren Wohnraum geben .
({5})
Man kann natürlich kurzfristig die eine oder andere Umfrage machen . Die kann man auf der Basis der
Daten von Internetportalen machen - eine sehr seriöse
Geschichte . Ich bin dafür, dass man das wirklich seriös
macht . Dann wird man sehen, dass die Mietpreisbremse
ihre Wirkung entfaltet .
({6})
Wir sehen aber auch, dass es bestimmte Bereiche gibt,
bei denen man noch nachbessern muss . Der Bundesjustizminister hat auch angekündigt, dass wir das so schnell
wie irgend möglich machen werden .
({7})
Dagegen spricht doch nichts . Deswegen macht man
doch das Instrument nicht madig, sondern man schaut,
was man noch verbessern kann .
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich Sie in
Ihrer Dynamik einmal ganz kurz unterbrechen? Die Kollegin Lisa Paus würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
stellen .
Na gerne .
Bitte schön .
Herr Pronold, Sie haben ja gerade gesagt, dass die
Mietpreisbremse wirkt . Insofern würde man normalerweise nicht unbedingt annehmen, dass die Preise sinken .
Man würde aber annehmen, dass sie nicht mehr so stark
steigen, wie sie es vorher getan haben . Das würde ich
klassischerweise unter einer wirksamen Mietpreisbremse verstehen . Alle Menschen in diesem Land haben das,
glaube ich, so verstanden .
Wissen Sie, dass es eine Studie zum Beispiel für das
Land Berlin gibt - von Ihrem Haus gibt es, glaube ich,
noch keine entsprechende Studie -, in der genau dem
nachgegangen worden ist? Da wurde darauf untersucht,
inwieweit die Mietpreisbremse tatsächlich zu einem weniger großen Anstieg der Mieten geführt hat . Sie kam zu
dem Resultat, dass leider das Gegenteil der Fall ist, dass
die Mietpreise im Land Berlin weiter - und zwar stärker - angestiegen sind . Wie würden Sie diesen Befund
jetzt vor dem Hintergrund erläutern, dass Sie gesagt haben, dass die Mietpreisbremse wirkt?
({0})
Ich glaube, wenn Sie zugehört hätten,
({0})
dann wüssten Sie, dass ich bereits zum Beispiel auf diese
eine Studie eingegangen bin . Ich bin darauf eingegangen,
auf welcher Datenbasis sie erstellt worden ist . Man sollte sehr vorsichtig sein, bei unsicherer Datenbasis nach
relativ kurzer Zeit eine abschließende Bewertung vorzunehmen .
({1})
Vorher habe ich auch noch einmal deutlich gemacht,
dass wir eine enorm gute Regelung für einen Bereich getroffen haben, wo es vorher noch überhaupt keine gab . Es
gab keine Regelung für die Frage der Wiedervermietung .
Das war der erste große Schritt .
Es ist doch kein Wunder, dass bei angespannten Wohnungsmärkten - dasselbe erleben wir übrigens auch in anderen Bereichen, etwa bei der Ausbildung, wo Menschen
dringend auf etwas angewiesen sind - viele die Rechte,
die sie haben, gar nicht wahrnehmen, weil sie froh sind,
dass sie endlich etwas gefunden haben . Deswegen reicht
es eben nicht, nur auf der rechtlichen Ebene etwas zu machen, sondern wir müssen auch das Marktversagen auf
dem Wohnungsmarkt beenden . Und das bedeutet, dass
es auch in ordentlichem Ausmaß Neubau und vor allen
Dingen bezahlbaren Wohnraum geben muss .
Damit bin ich beim nächsten Thema . Ich habe manchmal ein gutes Gedächtnis, was Oppositionsanträge und
die darin enthaltenen Forderungen angeht . Ich erinnere
mich, welche Forderungen es vor wenigen Jahren in Bezug auf die Steigerung bei der sozialen Wohnraumförderung gab . Heute betreibt diese Bundesregierung bzw . die
Große Koalition eine soziale Wohnraumförderung - das
schlägt sich auch im Haushalt nieder -, die die meisten
Oppositionsanträge von vor wenigen Jahren übertrifft .
Und jetzt heißt es nach dem üblichen Motto: Das reicht
nicht .
Meine Bitte ist jetzt - ich werde gleich zur Bauministerkonferenz unterwegs sein -, dass alle, die sagen,
dass es nicht reicht, dort, wo sie in den Ländern Verantwortung tragen, dafür Sorge tragen, dass das Geld auch
wirklich entsprechend ausgegeben wird . Denn die Berichte, die wir aus den Ländern bekommen - darin geht
es darum, was mit dem Dreifachen des Geldes jetzt passiert -, bringen mich schon zum Nachdenken darüber, ob
es richtig ist, dass wir das machen . Ich weiß jetzt schon,
dass Länder sagen: Da kommt das Dreifache vom Bund;
also geben wir weniger dazu . Warum sollen wir da etwas
machen? - Andere geben überhaupt keine vernünftigen
Berichte ab .
Ich finde, das Thema Wohnungsnot ist viel zu ernst,
als dass man es so abhandeln kann . Wir haben hier die
Gelder von 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro
verdreifacht . Das ist eine Riesenleistung, und das ist ein
Beitrag zu bezahlbarem Wohnen .
({2})
Frau Göring-Eckardt, Sie haben heute, glaube ich, das
erste Mal zur Wohnungspolitik geredet .
({3})
Man muss auch wissen, dass es eine Föderalismusreform
gab, nach der seit 2008 die Alleinverantwortung für die
soziale Wohnraumförderung bei den Ländern angesiedelt
ist .
({4})
Und der Bund übernimmt jetzt eine Übergangsfinanzierung .
Ich sage Ihnen: Wichtig ist, dass wir jetzt in der aktuellen Situation die Gelder verdreifacht haben, und zwar
eben auch, um Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen . Wir haben vorhin eine Debatte zum Thema
Integration gehabt . Für die SPD ist es wichtig, dass wir
die Menschen auf dem sozialen Wohnungsmarkt nicht
gegeneinander ausspielen . Deswegen haben wir gesagt:
Wir brauchen keinen Flüchtlingswohnungsneubau, sondern wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle . Es
darf nicht sein, dass die alleinerziehende Mutter gegen
die syrische Familie ausgespielt wird .
({5})
Dafür tragen wir mit diesem Geld Sorge; aber die Länder
müssen dort auch entsprechend mitziehen . Es gibt kaum
einen Bereich, wo die Große Koalition so erfolgreich
agiert hat wie im Wohnungsbau .
Meine Redezeit ist heute etwas kurz . Ich würde gerne noch etwas zur Frage der Städtebauförderung sagen,
dazu, was wir dort machen, um zu verhindern, dass wie
in anderen europäischen Ländern Ghettos entstehen, was
wir insgesamt in vielen anderen Bereichen gemacht haben . Dem ging übrigens auch ein Beschluss des Haushaltsausschusses voraus, bei Bundesgrundstücken nicht
mehr das Höchstpreisverfahren anzuwenden . Auch da ist
noch zu wenig passiert; das stimmt . Wir haben lange gekämpft . Jetzt haben wir da aber den ersten Schritt getan .
Schauen Sie sich auch einmal - bei all dem, was man
an der BImA kritisieren kann - an, was wir für die Flüchtlingsunterbringung in diesem Bereich gemacht haben .
Da haben wir vielen Kommunen und Ländern wirklich
geholfen - auch weil der Bund mit gutem Beispiel voranging . Und wenn es eine erfolgreiche Politik gibt, dann ist
es die beim sozialen Wohnungsbau, bei der Wohnungspolitik des Bundes . Sie können da noch so viele Haare in
der Suppe suchen, Sie werden keine finden.
({6})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Kai
Wegner von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staatssekretär hat zur Verantwortung von Bund und Ländern
bereits das Richtige gesagt . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, der Bund hat Verantwortung für
die soziale Wohnraumförderung übernommen . Ich würde mir wünschen, dass wir - auch Sie -, statt wohlfeile
Anträge an den Deutschen Bundestag zu formulieren,
gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die Länder - auch
die Länder, in denen Sie Verantwortung tragen - dieses
Geld zielgerichtet für die soziale Wohnraumförderung
verwenden, statt es in Haushaltslöchern versickern zu
lassen .
({0})
Frau Lay, Sie sprachen von Jahrhundertfehlern . Ich
hätte mir gewünscht, dass Sie auch den Fehler als Jahrhundertfehler bezeichnet hätten, den Ihre Partei, als sie in
Berlin in Regierungsverantwortung war, zu verantworten
hat . Sie waren es nämlich, die die größte staatliche Wohnungsbaugesellschaft in Berlin privatisiert haben . Da das
noch nicht reichte, haben Sie sie gleich noch an die Börse gebracht, Frau Lay . Das ist Praxispolitik der Linken
in den Ländern, und es ist unredlich, wenn Sie das hier
anders darstellen .
({1})
Herr Kollege Wegner, darf ich Sie kurz unterbrechen?
Die Kollegin Lay hätte eine Zwischenfrage an Sie . Gestatten Sie diese?
Sehr gerne . Vielleicht bezeichnet sie das dann ja auch
als Fehler .
Bitte schön .
Herr Kollege, selbstverständlich . Das habe ich immer
gesagt . Das haben auch andere Rednerinnen und Redner dieser Fraktion hier immer wieder gesagt . Dieser
Verkauf in Berlin war ein Riesenfehler . Das muss man
unumwunden zugeben . Da gibt es überhaupt nichts zu
diskutieren . Ich muss mich, ehrlich gesagt, aber etwas
wundern, warum Sie als Vertreter der Union das hier jetzt
so hochziehen . Geben Sie mir erstens darin recht, dass
die extreme Haushaltsnotlage des Landes Berlin damals
vorwiegend durch die Große Koalition, vor allen Dingen
durch das Agieren der Union, verschuldet war? Geben
Sie mir zweitens recht, dass es die Union war - damals
in der Opposition -, die die rot-rote Regierung wegen
des Haushalts verklagt hat? Geben Sie mir drittens recht,
dass es Ihre Partei war, die in Berlin gefordert hat, sämtliche staatlichen Wohnungsunternehmen zu privatisieren?
Finden Sie nicht auch, dass derjenige, der im Glashaus
sitzt, nicht Steine auf andere werfen sollte?
({0})
Dann habe ich ja Glück, dass ich nicht im Glashaus
sitze . Glauben Sie es mir: Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Berliner CDU und war in unterschiedlichen
Funktionen tätig . Ich kann mich an keinen Tag erinnern,
an dem die Berliner CDU die komplette Privatisierung
aller staatlichen Wohnungsbaugesellschaften gefordert
hat, Frau Lay .
({0})
Ganz im Gegenteil: Die Privatisierung der größten staatlichen Wohnungsbaugesellschaft in Berlin ist in Ihrer Regierungszeit beschlossen und vollzogen worden .
({1})
Das haben wir als Union im Übrigen sogar kritisiert, Frau
Lay .
({2})
Das gehört zur Wahrheit, und es ist unredlich, etwas anderes zu behaupten .
({3})
- Man ist halt getroffen, wenn man den Spiegel vorgehalten bekommt und der Wahrheit ins Auge sehen muss,
nämlich wie man in den Ländern Verantwortung trägt
und hier andere Anträge formuliert . Von daher, Frau Lay,
nehme ich das so zur Kenntnis .
Meine Damen und Herren, diese Große Koalition wird
sich mit Nachdruck weiter dafür einsetzen, dass für alle
Menschen Wohnraum in Deutschland zur Verfügung
steht - für alle Menschen, in allen Stadtvierteln, auch
bezahlbarer Wohnraum . Wir haben da einiges erreicht
und einiges erledigt . Ich sage nicht, dass wir schon fertig sind . Wir haben noch vieles vor uns . Aber wir haben
die Mittel für die soziale Wohnraumförderung deutlich
erhöht und diskutieren, sie in den nächsten beiden Jahren
nochmals um 500 Millionen Euro zusätzlich zu erhöhen .
Das ist eine Kraftanstrengung . Diese Regierung, diese
Koalition sieht aber die Verantwortung, die wir haben .
Aber noch einmal: Ich erwarte von den Ländern, dass sie
nicht immer nur nach Geld rufen, sondern diese Mittel
dann auch passgenau einsetzen .
({4})
Wir haben das Leistungsniveau des Wohngeldes deutlich angehoben, um einkommensschwache Haushalte bei
den Wohnkosten schnell, wirkungsvoll und treffsicher zu
entlasten .
({5})
Ja, wir haben das Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen ins Leben gerufen und die Maßnahmen identifiziert, die zu mehr Wohnungsbau führen sollen .
Ja, wir haben auch die Mietpreisbremse eingeführt,
damit Menschen nicht aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden . Wir haben aber schon immer
gesagt - auch ich habe das schon immer gesagt -: Eine
Mietpreisbremse, so sinnvoll sie auch sein mag, schafft
keine einzige neue bezahlbare Wohnung, meine Damen
und Herren . Auch das gehört zur Wahrheit .
Wir werden einen Investitionspakt für die soziale Integration im Quartier auflegen und die Fördermittel für die
Stadtentwicklung noch einmal deutlich erhöhen .
All diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind
richtig und wichtig; denn insbesondere in den Ballungszentren steigen die Mieten weiter . Auch die Preise für
Wohneigentum schießen in die Höhe . Je größer die Stadt,
desto stärker die Preissteigerung . Die Gründe dafür sind
klar; sie liegen auf der Hand . Deutschlands Städte sind
attraktiv, sie ziehen viele Menschen an, und sie wachsen . Wo eine steigende Nachfrage auf ein nur gemächlich wachsendes Angebot trifft, steigen die Preise . Deshalb ist es auch so wichtig, dass die erste und wichtigste
Antwort auf die steigende Nachfrage ist, dass wir alle
Anstrengungen unternehmen müssen, um mehr, um neuen Wohnraum zu schaffen . Deshalb ist die Devise völlig
richtig, dass wir auf Bauen, Bauen und nochmals Bauen
setzen müssen, meine Damen und Herren .
({6})
Es ist schon oft meine Heimatstadt Berlin erwähnt
worden . Wir haben in Berlin derzeit eine Leerstandsquote von 1,7 Prozent . Wir alle wissen, wie die Stadt in den
nächsten Jahren wächst . Wer meint, bei einer Leerstandsquote von 1,7 Prozent können wir weiter mit Regularien
vorgehen, weitere Gesetze schaffen und damit einen stabilen Mietmarkt entstehen lassen, der irrt, meine Damen
und Herren . Auch in Berlin gilt es, mehr Wohnungen zu
bauen und auf die steigende Nachfrage zu reagieren .
Ja, zur Wahrheit gehört auch - es wird immer wie ein
Dogma hier vorgetragen, dass staatliche Gesellschaften
für alles zuständig sind -: Wir brauchen die staatlichen
Gesellschaften, um dieser Herausforderung gerecht zu
werden . Wir brauchen auch die Genossenschaften . Auch
das gehört zur Wahrheit . Wir werden dieser großen Herausforderung nur gerecht, wenn wir auch auf private
Investitionen, private Investoren setzen . Nur in diesem
Dreiklang - staatliche Gesellschaften, Genossenschaften
und private Bauherren - werden wir dieser Herausforderung gerecht werden können .
Nach allen Schätzungen benötigen wir in Deutschland jährlich mindestens 350 000 neue Wohnungen 350 000 neue Wohnungen! Ja, ich bin sehr für eine
behutsame Nachverdichtung in bestehenden Stadtquartieren . Aber zur Wahrheit gehört: Auch bei der Verdichtung gibt es Grenzen . Wer glaubt, dass wir diese große
Zahl von neuen Wohnungen allein durch Geschossaufstockung und das Schließen von Baulücken im Innenbereich schließen können, der, meine ich, irrt . Zwischen
Gründerzeithaus und Platte kann man nicht 350 000 neue
Wohnungen errichten, meine Damen und Herren .
Um den Menschen die Wohnungen bereitzustellen,
die sie benötigen, müssen wir auch neues Bauland am
Siedlungsrand erschließen . Wir brauchen im Bauplanungsrecht folglich mehr beschleunigtes Planen am Ortsrand . Frau Ministerin Hendricks, lieber Herr Staatssekretär Pronold, die Baurechtsnovelle hat leider immer noch
keine Kabinettsreife, weil dort das so dringend benötigte
Signal für den siedlungsnahen Außenbereich fehlt . Wir
haben inzwischen folgende absurde Situation: Baulandeigentümer lassen nicht bauen, sondern lehnen sich zurück und erfreuen sich an den immer weiter steigenden
Preisen . Dieses spekulative Verhalten müssen wir endlich unterbinden, liebe Kolleginnen und Kollegen . Der
beste Weg, um den Baulandspekulanten den Garaus zu
machen, wäre die spürbare Ausweitung weiterer bebaubarer Flächen; denn dann hätte das Spekulieren auf immer weiter steigende Preise ganz schnell ein Ende .
Ja, liebe Frau Ministerin, lieber Herr Pronold, damit
wir die Kabinettsreife schnell erreichen: Machen Sie den
Weg frei, damit wir schnell zu mehr Bauland in unserem
Land kommen können . Wir brauchen dieses Instrument,
mit dem wir planungsrechtlich zügig auf den derzeitigen
Wohnungsmangel reagieren können . Keiner sollte sich
hinter diffusen europäischen Regelungen verstecken .
Das klärt sich . Beim Bauland entscheidet sich am Ende
des Tages, wer sich wirklich diesem Problem stellen und
es lösen will .
Meine Damen und Herren, ja, wir müssen bei der
Städtebaurechtsnovelle auch mit Blick auf die Innenentwicklung das eine oder andere verändern . Ich begrüße,
dass es einen neuen Baugebietstypus „Urbanes Gebiet“
geben wird . Wir wollen ein besseres Nebeneinander von
Wohnen und Gewerbe und damit auch den Bau zusätzlicher Wohnungen in urbanen Zentren . Urbane Gebiete
sollen zudem die funktionale Durchmischung in unseren Städten stärken; denn gemischte Quartiere sind ein
Garant für Lebensqualität, für Wohnzufriedenheit, für
Standortbindung und für Identitätsbildung . Auch das ist
ein wichtiger Baustein für lebenswerte Wohnverhältnisse
in starken Stadtteilen .
Meine Damen und Herren, das Thema Wohneigentum
wurde angesprochen . Ich glaube, auch hier brauchen wir
verstärkte Anstrengungen; das Thema Wohneigentum
braucht eine höhere Wertschätzung, auch vonseiten der
Bundesregierung und der Bundesministerin . Denn wer
den Mut und die Möglichkeit hat, sich letztlich für die
eigenen vier Wände zu entscheiden, der schafft am Ende
des Tages Freiräume bei den Mietwohnungen, und es ist
die beste Altersvorsorge für die Menschen . Von daher
müssen wir größere Kraftanstrengungen unternehmen,
um Wohneigentum weiter zu fördern .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir bei der
Frage des bezahlbaren Wohnraums in lebenswerten
Städten auch vor manchen Herausforderungen stehen,
stehen wir doch im europäischen und erst recht im globalen Maßstab verhältnismäßig gut da . Urbanisierung
ist ein weltweites Phänomen . Beim UN-Weltsiedlungsgipfel diskutieren deshalb 40 000 Menschen, wie die
vielen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem
starken Zuzug in große Städte gemeistert werden können . Es ist sicher kein Zufall, dass wir Deutschen bei der
Habitat-III-Konferenz ein gefragter Ratgeber sind, wenn
es darum geht, wie die großen Metropolen dieser Welt
nachhaltiger, sicherer und lebenswerter gemacht werden
können . Das deutsche Modell der Städtebauförderung
kann für andere Länder beispielgebend sein; denn die
Städtebauförderung hat sich bei uns in Deutschland in
viereinhalb Jahrzehnten außerordentlich bewährt .
Meine Damen und Herren, wir als Union glauben an
die Kraft des Marktes . Wir bekennen uns aber auch zur
staatlichen Verantwortung für alle, die auf den regulären
Wohnungsmärkten aus verschiedenen Gründen keine
Chance haben . Die soziale Balance ist ein hohes Gut .
Wir wollen nicht nebeneinander leben, sondern wir wollen miteinander leben - Geringverdiener und Menschen
mit höherem Einkommen, Ortsansässige und neu Hinzugezogene, Junge und Alte, Familien, Alleinlebende .
Wir als Koalition werden weiterhin alle Anstrengungen
unternehmen, damit alle Menschen in Deutschland eine
bezahlbare Wohnung finden und die soziale Balance erhalten bleibt oder wiedergewonnen wird .
({8})
Denn auch in den Wohnvierteln entscheidet sich am Ende
des Tages die Zukunft unseres Landes .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt Klaus Ernst, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Wegner, jetzt muss ich Sie schon mal was
fragen . Wo ist er denn? - Da ist er .
({0})
- Ja, ich habe ihn schon gesehen . Ich schiele doch nicht . Sie haben gerade die Privatisierung von Wohnungen
durch das Land Berlin unter Regierungsbeteiligung der
Linken kritisiert . Frau Lay hat gerade erklärt, dass das
ein Fehler war . Jetzt wissen wir, dass von 1990 bis heute
über 350 000 Wohnungen des Bundes privatisiert wurden, oft unter Regierungsbeteiligung der CDU und der
CSU . Sind Sie bereit, auch das als Fehler bezeichnen,
({1})
oder ist es bei Ihnen so: „Wenn die Linke dasselbe macht
wie Sie, dann ist es falsch, aber wenn Sie es machen, ist
es richtig“?
({2})
Das wäre natürlich eine sehr bemerkenswerte Einstellung . - Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen würden,
würde ich die Präsidentin bitten, sie zuzulassen .
({3})
Aber so soll es hier eigentlich nicht laufen,
({0})
dass wir hier die Debatten verlängern und der Kollege
Ernst noch etwas zusätzliche Redezeit bekommt . So war
das nicht gedacht .
({1})
- Sie haben eine Zwischenfrage . Herr Kollege Ernst, lassen Sie die Zwischenfrage zu?
Ja, ich würde mich über die Zwischenfrage freuen .
Dann, Herr Kollege Wegner, bitte schön .
Lieber Herr Ernst, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage gestatten .
({0})
Ich habe folgende Frage an Sie: Teilen Sie die Auffassung, dass Reden und Regierungshandeln in Einklang zu
bringen sind
({1})
und das insbesondere für die Linke gilt, wenn sie Verantwortung trägt, lieber Herr Ernst?
({2})
Ja, Herr Wegner, diese Auffassung teile ich .
Herr Wegner, bleiben Sie bitte stehen, bis die Antwort
zu Ende ist . Man muss schon alles durchziehen, wenn
man sich dazu bereit erklärt .
({0})
Ja, ich teile diese Ansicht, Herr Wegner . Das muss
übereinstimmen . Genau deshalb ist die Frage an Sie gerichtet gewesen, ob Sie das unterschiedlich bewerten .
Wir bewerten es nicht unterschiedlich . Sie sagen also
tatsächlich, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe: Es war
falsch, dass der Bund unter Regierungsbeteiligung der
CDU die Wohnungen privatisiert hat . - Wenn Sie das
täten, Herr Wegner, dann wären wir zumindest auf der
Ebene, dass wir Tatbestände gleich bewerten . Wenn Sie
das nicht tun, kann ich Ihre Aussage über das, was wir
in Berlin gemacht haben, überhaupt nicht ernst nehmen .
Dann ist es reine Polemik . So schaut’s aus .
({0})
Ich wollte eigentlich zu ganz anderen Themen etwas
sagen, nämlich zur Realität . Es ist noch früh am Morgen,
deshalb können Sie mir sicherlich folgen, wenn ich Sie
mit ein paar wenigen Zahlen belaste .
({1})
Nach den Regelungen im Hartz-System liegt der
durchschnittliche Bedarf alleinstehender Erwachsener
bei 1 053 Euro . Man geht dabei von Kosten für die Unterkunft von 349 Euro aus . 349 Euro sind das, was ihm
zugestanden wird . Wir wissen, dass ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, der den Mindestlohn erhält, ein Nettogehalt von 1 040 Euro hat; er hat also 13 Euro weniger .
Wenn man die entsprechenden Realitäten zugrunde legt,
nämlich das, was nach SGB IV als Kosten der Unterkunft
für die Mieten in München angesetzt wird, dann stellt
man fest: In München sind es 492 Euro, also 156 Euro
mehr, in Frankfurt 132 Euro und in Stuttgart 87 Euro .
Wenn jemand Mindestlohn bekommt, dann hat er also
schlichtweg 156 Euro weniger Geld für Miete zur Verfügung, als im Hartz-System zugrunde gelegt wird . Das
heißt aber nicht, dass man im Hartz-System zu viel bekommt . Das Problem ist, dass er zu wenig Mindestlohn
erhält . Diese Problematik könnte man einigermaßen in
den Griff bekommen, wenn man die Mieten begrenzen
würde . Aber Ihre Mietpreisbremse ist nur heiße Luft; da
passiert nichts . Es ist eben keine Mietpreisbremse .
Ich möchte meinen Punkt noch etwas deutlicher machen; denn es gibt nicht nur die Menschen im Mindestlohn . Ein Polizeimeister - nennen wir ihn Herrn Müller verdient in München mit Ballungsraumzulage usw . circa
2 600 Euro brutto . - Ich sehe gerade, meine drei Minuten
Redezeit sind schon vorbei . Oje, oje!
({2})
Wenn Sie so lange andere Dinge ansprechen, dann ist
Ihre Zeit um . Bringen Sie noch zügig Ihr Beispiel und
kommen Sie dann zum Ende Ihrer Rede .
({0})
Danke schön, Frau Präsidentin . - Dann erzähle ich wenigstens das Beispiel vom Polizeimeister zu Ende . Wenn
man annimmt, dass dieser Polizeimeister ein Drittel seines Einkommens für Miete ausgibt und wenn man zugrunde legt, welche Mietpreise in München inzwischen
gezahlt werden müssen, dann stellt man fest: Er könnte
sich gerade noch eine Wohnung mit 33 Quadratmetern
leisten . - Das Ergebnis ist übrigens, dass die Polizisten,
die München und seine Bürger schützen, nicht mehr in
München wohnen können, weil sie es sich nicht mehr
leisten können . Wenn Sie meinen, das solle alles so bleiben, dann sagen Sie das dem Polizisten! Ich hoffe, dass er
sie trotzdem schützt, wenn bei Ihnen eingebrochen wird .
Herzlichen Dank fürs Zuhören .
({0})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Michael Groß,
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ging eben
um die Arithmetik, die die Realität einiger Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land darstellt . Es ist wichtig, zu
betonen, dass - anders als die Opposition das sieht - das
Glas nicht leer, sondern mehr als halb voll ist .
({0})
Wir haben in den letzten drei Jahren in dieser Regierung viel erreicht . Es wurden mehr Baugenehmigungen
erteilt . In diesem Jahr werden weit mehr als 300 000 neue
Wohnungen gebaut . Wir haben das Wohngeld aufgestockt . Wir werden die Mittel für die soziale Wohnraumförderung auf 1,5 Milliarden Euro aufstocken . Wenn die
Rechnung stimmt, die die Linke aufmacht, werden wir
mindestens 45 000 bis 60 000 Wohnungen im sozialen
Wohnungsbau, also Wohnungen mit Mietbindung, schaffen . Wenn die Länder sich noch einmal so engagieren,
werden wir weit mehr als 100 000 Wohnungen erreichen .
Das ist die Forderung, die wir alle haben, insbesondere
wir von der SPD .
({1})
Wir haben zurzeit eine Situation, in der wir berechtigterweise darüber diskutieren, ob ein Weiter-so möglich
und notwendig ist . Wir haben aufgrund von Beobachtungen im In- und Ausland Erfahrungswerte, und wir haben
die Konsequenzen zu ziehen . Man muss darauf achten:
Ist der private Markt, die Wirtschaft allein in der Lage,
den Wohnungsbedarf zu decken? Wir schließen uns natürlich der Forderung an, dass wir Genossenschaften
brauchen - starke Genossenschaften, die als Korrektiv
auf dem Wohnungsmarkt auftreten . Aber wir brauchen
auch kommunale Wohnungsunternehmen .
({2})
Die kommunalen Wohnungsunternehmen sind übrigens
diejenigen, die nach den Untersuchungen, die Sie ständig
zitieren, zu fast 100 Prozent die Mietpreisbremse einhalten .
({3})
- Ich glaube, dass die neue Wohnungsgemeinnützigkeit
vielleicht langfristig ein Konzept sein kann . Wir prüfen
das ja gerade . Sie wissen selbst, dass wir als SPD gemeinsam mit dem Ministerium gesagt haben: Wir wollen
dieses Konzept prüfen . Wir glauben aber auch, dass der
Weg kürzer sein muss . Wir brauchen jetzt ein Korrektiv .
Wir brauchen jetzt starke Genossenschaften . Wir brauKlaus Ernst
chen jetzt starke Wohnungsbaugesellschaften, kommunale Wohnungsbaugesellschaften, die vor Ort als Korrektiv am Markt auftreten und für bezahlbaren Wohnraum
sorgen können .
Wir haben heute Morgen gehört, dass wir die Kommunen und die Länder in einem Maß entlastet haben, wie
es das in der Bundesrepublik bisher noch nicht gegeben
hat . Ich glaube, dass dieser Weg weiter beschritten werden muss . Ich glaube auch, dass wir darüber nachdenken müssen, eine gemeinsame Verantwortung von Bund,
Ländern und Kommunen für den Wohnungsbau herzustellen, weil nur in der gemeinsamen Verantwortung vor
Ort die regionalen Spezifika abgebildet werden können.
Die Kommunen sind in der Lage, die Frage zu beantworten: Brauchen wir Wohnungen, welche Art von Wohnungen brauchen wir, und wo brauchen wir Wohnungen?
Das muss vor Ort geregelt werden .
Herzlichen Dank . Glück auf!
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Christian Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie in das Jahr 1988 entführen . Am 23 . Juni 1988 wurde in Bonn, im Deutschen
Bundestag, die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit debattiert und beschlossen . Schwarz-Gelb zerschlug damals das altbewährte System einer Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland unter dem Vorwand des
Skandals der Neuen Heimat . Es gab damals heftige Proteste von Sozialdemokraten und Grünen in dieser Plenardebatte . Ich verstehe nicht, warum die SPD an dieser
Stelle heute so zögerlich auftritt .
({0})
Ein Blick in die Protokolle kann uns vielleicht helfen; ich will hier Herrn Lammert zitieren, der immer
sagt, man solle sich auch die Unterlagen anschauen, das,
was hier immer aufgeschrieben wird . Alle Befürchtungen, die in dieser Debatte damals vorgetragen worden
sind, sind eingetreten: Mietsteigerungen, Verdrängung,
weniger Mieterschutz, Unterversorgung und steigende
Sozialtransfers beim Wohnen . Ich glaube, dieser Fehler,
der 1988 gemacht worden ist, muss dringend korrigiert
werden .
({1})
Seitdem haben wir über 2 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland verloren . Dieser Donnerstag 1988
war ein schwarzer Tag für Mieterinnen und Mieter in
Deutschland . Er ist der ursächliche Auslöser der Krise,
die wir heute auf unseren Wohnungsmärkten erleben .
Dieser Fehler muss dringend korrigiert werden . Wir brauchen wieder ein System der Wohnungsgemeinnützigkeit .
Wir brauchen wieder eine Orientierung, dass Wohnungen nicht länger Spekulationsobjekt sind, sondern als
Daseinsvorsorge begriffen werden . Wir brauchen eine
Gemeinwohlorientierung in der Wohnungspolitik, damit
unsere Wohnungsmärkte wieder ins Gleichgewicht kommen .
({2})
Es gibt einige Kritiker dieser Wohnungsgemeinnützigkeit . Mittlerweile hat dazu auch die Wohnungswirtschaft
das eine oder andere Gutachten - mit wenigen Seiten verfasst und Stellung bezogen . Auch seitens der Union
werden immer wieder Argumente zur Frage der Wohnungsgemeinnützigkeit vorgetragen . Herr Nüßlein hat
zum Beispiel gesagt: Wir wollen keine neuen Wohnghettos .
({3})
Schauen wir uns doch einmal in Europa um: In Frankreich gibt es die Banlieues mit massiven sozialen Spannungen . Großbritannien: London ist eine sozial wirklich
zerklüftete Stadt . Wien hingegen ist eine der lebenswertesten Städte Europas . Der Unterschied ist, dass es in
Wien eine Wohnungsgemeinnützigkeit gibt und in Großbritannien und Frankreich nicht .
({4})
Deswegen: Nicht die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit fördert soziale Ghettos, sondern deren
Abwesenheit .
({5})
Es wird außerdem behauptet, dass die Wohnungsgemeinnützigkeit zu hohen Kosten für die Kommunen
führen würde . Aber wenn ich mir die Realität anschaue,
dann sehe ich doch, dass die Sozialtransfers beim Wohnen wegen der steigenden Mieten zunehmen . Was wir
mit diesem System wollen, ist, dass die Kommunen in
Wohnungen, in Vermögen investieren und damit die Kosten der Unterkunft dauerhaft reduzieren . Mit der Wohnungsgemeinnützigkeit würden wir die Kommunen in
Deutschland in Sachen Wohnen deutlich entlasten .
({6})
Sie kommen jetzt auch bitte zum Schluss, Herr Kollege .
Nun zu meinem letzten Punkt . Sie führen immer wieder die Länder an: Die Länder müssen machen, die Länder müssen machen . Ich sage Ihnen eines: Wir Grüne
werden nach 2019 nicht Däumchen drehend hier sitzen
und zusehen, wie unsere Wohnungsmärkte weiter aus
dem Ruder laufen . Es ist Zeit für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit . Jedes Jahr verlieren wir 60 000 Sozialwohnungen in Deutschland . Wir brauchen endlich wieder
ein System, das den Menschen in diesem Land eine soziale Antwort gibt . Wir brauchen diese neue Wohnungsgemeinnützigkeit . Wir haben diese Debatte beantragt, damit Sie endlich einmal Stellung in dieser Frage beziehen .
Danke schön .
({0})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt die Kollegin Sylvia Jörrißen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir alle hier wollen bezahlbares Wohnen, und im Gegensatz zu Ihnen, werte Kollegen der Grünen, arbeiten wir
an ganzheitlichen Lösungen . Wir haben bereits vieles im
Hinblick auf bezahlbares Wohnen auf den Weg gebracht
und sind noch lange nicht fertig damit .
Man kann die Sache natürlich schlechter reden, als sie
ist . Nur bringt uns das keinen Millimeter weiter .
({0})
Das ist schade, weil das Thema viel zu wichtig ist: für
Familien, die eine stadtnahe Wohnung in der Nähe von
Versorgungs- und Bildungseinrichtungen oder in der
Nähe vom Arbeitsplatz brauchen, für Studierende und
Auszubildende, die mit wenig Geld zentral wohnen müssen, für Senioren, die dort, wo sie schon immer leben,
altersgerechten Wohnraum suchen, und auch für Schutzsuchende, für die Wohnen ein Schlüssel zur erfolgreichen
Integration ist . Deshalb setzt sich die Union weiterhin
dafür ein, bezahlbaren und zielgruppengerechten Wohnraum zu schaffen . Das gilt sowohl für den Neubau als
auch für die Modernisierung des vorhandenen Bestandes .
Wir brauchen beides .
({1})
Uns fehlen 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen
jährlich . Das kann der Bund nicht allein anschieben . Hier
müssen alle an einem Strang ziehen, auch die Länder und
Kommunen . Es sind im Übrigen nicht nur Wohnungen
im sozialen Wohnungsbau, die wir brauchen, sondern
es sind Wohnungen für alle, die in unserem Land leben .
Es ist sowohl geförderter als auch frei finanzierter Wohnungsbau durch kommunale und private Investoren oder
auch durch Genossenschaften .
Die Große Koalition ist die Herausforderungen auf
dem Wohnungsmarkt längst angegangen . Es ist richtig,
dass in bestimmten Ballungsgebieten die Märkte überhitzt sind und wir dort zu wenig Wohnraum für jene haben, die über geringe und mittlere Einkommen verfügen .
Um die Symptome in den überhitzten Märkten abzumildern, haben wir die Mietpreisbremse eingeführt .
Auch wir als Union wollen nicht, dass Menschen aus ihren angestammten Quartieren verdrängt werden. Deshalb
haben wir den Mietern Rechte an die Hand gegeben, die
sie jetzt auch tatsächlich wahrnehmen müssen .
Aber die Mietpreisbremse allein löst das Problem des
Wohnungsmangels nicht . Deshalb war uns immer die
Verknüpfung mit Maßnahmen für den Wohnungsbau
wichtig . Aus diesem Grund haben wir die Mittel für die
soziale Wohnraumförderung bereits verdoppelt . Die bis
2019 vorgesehenen Kompensationsmittel in Höhe von
ursprünglich 518 Millionen Euro haben wir um 500 Millionen Euro jährlich aufgestockt, und der aktuelle Haushaltsentwurf sieht sogar eine weitere Erhöhung auf über
1,5 Milliarden Euro jährlich vor .
({2})
Mit diesen Mitteln ist es den Ländern möglich, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen . Aber die Länder geben
das Geld anscheinend nach wie vor für anderes aus .
({3})
Die Zahlen der neu geschaffenen Sozialwohnungen steigen nicht in dem Maße, in dem es erforderlich und bei
ordnungsgemäßer Verwendung der Mittel auch möglich
wäre . Tatsächlich reicht in einigen Ländern der Neubau
nicht einmal, um die Anzahl der aus der Sozialbindung
fallenden Wohnungen auszugleichen . Deshalb lautet
mein erneuter Appell an die Länder, die üppigen Bundesmittel vollumfänglich einzusetzen .
({4})
Hierfür müssen die Förderprogramme so attraktiv ausgestattet sein, dass die Fördermittel auch abgerufen werden .
Die Angebote großer Kredite sind langweilige Schaufensterdekorationen . Wir brauchen Kassenschlager, die
die Investoren den Ländern aus den Händen reißen .
Sie fragten gerade, was nach 2019 ist .
({5})
Aktuell liegen die Ergebnisse der Bund-Länder-Finanzverhandlungen vor . Die Ministerpräsidenten haben sich
mit der Bundeskanzlerin und dem Finanzminister darauf geeinigt, dass ab 2020 eine Neuordnung in Kraft
tritt . 2020 werden damit die Kompensationsmittel enden .
Dann müssen die Länder ihre Verpflichtungen im sozialen Wohnungsbau aus einer höheren Beteiligung an der
Umsatzsteuer finanzieren. Ich bin gespannt, wie die Prioritätendiskussion in den Ländern künftig verlaufen wird .
({6})
Liebe Kollegen der Grünen, in Ihrem Antrag erscheint
die Einführung der Wohnungsgemeinnützigkeit als Allheilmittel der Probleme . Sie verkennen aber, dass diese
den Wohnungsmangel nicht lösen wird, und zwar aus
vielen Gründen nicht . In der Zeit nach den beiden Weltkriegen war die Wohnungsgemeinnützigkeit ein wichtiger Baustein der Wohnungspolitik . Schließlich fehlte es
damals an funktionsfähigen Kapitalmärkten und InvestoChristian Kühn ({7})
ren, die Wohnungen finanzieren konnten. Aber heute haben wir andere Rahmenbedingungen . Die Probleme entstehen nicht durch eine mangelnde Zahl an Investoren,
sondern beispielsweise dadurch, dass zu wenig Bauland
zur Verfügung steht oder die Baukosten zu hoch sind .
Wie will Ihre Gemeinnützigkeitsidee das lösen?
({8})
Es ist doch ein Irrglaube, wenn Sie annehmen, dass gewinnorientierte Unternehmen keine soziale Verantwortung für ihre Mieter und ihre Quartiere wahrnehmen. Der
Erfolg eines Wohnungsunternehmens hängt doch maßgeblich davon ab, dass ein Stadtviertel prosperiert . Kommunale Unternehmen leisten wichtige Beiträge durch die
Gewinnabführung zur Finanzierung der Kommunen .
Herr Kühn, Sie haben gerade das Stichwort „Neue
Heimat“ selbst ins Spiel gebracht . Vielleicht sollten
wir der Öffentlichkeit den gigantischen Skandal des
Gewerkschaftswohnungsbauunternehmens „Neue Heimat“ wieder in Erinnerung rufen: Mehrere Vorstandsmitglieder des gewerkschaftseigenen gemeinnützigen
Unternehmens hatten sich persönlich bereichert, und der
Gewerkschaftskonzern war erheblich verschuldet . Der
ehemalige Vorstandschef hatte dem Unternehmen durch
Privatgeschäfte einen Verlust in Höhe von 105 Millionen D-Mark beschert . Die Verbindlichkeiten der übernommenen Neuen Heimat betrugen etwa 16 Milliarden
D-Mark . Der Verkauf platzte dann auch noch aufgrund
dieser Überschuldung . Am Ende musste alles aufgelöst
und verkauft werden . - Der Gemeinnützigkeitsstatus
hatte das Unternehmen der natürlichen Kontrolle aller
Geschäfte durch eine Gewinnorientierung entzogen . Die
Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau war der fruchtbare
Boden für millionenschweren Betrug und milliardenschwere Verluste,
({9})
frei nach dem Motto: Gewinne darf ich nicht machen,
meinen Bonus organisiere ich mir trotzdem, und für Verluste kommen die anderen auf .
({10})
Eine Generation weiter hoffen einige, dass sich die Öffentlichkeit nicht mehr daran erinnert . Aber das werden
wir nicht zulassen .
({11})
Lassen Sie mich zu einem wichtigen Förderprogramm
kommen: „Altersgerecht Umbauen“ . Aufgrund des demografischen Wandels und höherer Lebenserwartung
ist es wichtig, dass wir in den kommenden Jahren ausreichend altersgerechten Wohnraum schaffen; denn die
Menschen wollen so lange wie möglich selbstbestimmt
in den eigenen vier Wänden leben . Hier muss ich meine
Verwunderung ausdrücken, dass der Haushaltsentwurf
für alle möglichen zusätzlichen Projekte Hunderte Millionen Euro vorsieht, aber bei diesem Programm offensichtlich erst wir Parlamentarier das Eisen aus dem Feuer
holen sollen . Die Mittel für dieses Jahr sind bei der KfW
längst aufgebraucht .
({12})
Da ich schon bei einem Appell an die Bauministerin
bin, werte Frau Hendricks, möchte ich auf eine weitere
Sache hinweisen, die mir sehr am Herzen liegt . Anfang
des Jahres wurden die Ergebnisse des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen vorgelegt . Die Erhöhung
der Kompensationsmittel und die Erhöhung des Wohngeldes können ja nicht alles der Umsetzung gewesen
sein . Insbesondere bei den Ergebnissen der Baukostensenkungskommission und den zusätzlichen Investitionsanreizen müssen nun Taten folgen .
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden unsere
Herausforderungen in der Baupolitik nur bewältigen,
wenn mehr gebaut wird . Wir können das Problem des
Wohnungsmangels nicht mit den Stellschrauben des
Mietrechts lösen, sondern müssen bauen, bauen und
nochmals bauen .
({14})
Denn nur durch mehr Wohnungsneubau werden die Ursachen steigender Mieten langfristig bekämpft .
Es ist nicht nur die Schaffung von Sozialwohnraum
nötig, sondern wir müssen auch den frei finanzierten privaten und den genossenschaftlichen Wohnraum fördern .
Das geht am besten durch eine steuerliche Förderung .
({15})
Diese kann, richtig eingesetzt, schnell und genau dort
wirken, wo der Druck auf die Wohnungsmärkte am größten ist . Insofern bin ich sehr enttäuscht, dass die steuerliche Förderung nun nicht realisiert werden soll .
({16})
In meinen Augen ist sie bitter notwendig . Dieses Mittel
war auch eine Empfehlung des Bündnisses und ein Projekt des Bundesfinanzministers und der Bundesbauministerin .
Doch was hilft die beste Baupolitik, wenn kein Raum
zum Bauen vorhanden ist? Das höre ich immer wieder
in Gesprächen im Wahlkreis . Ich erwarte daher von den
Kommunen, dass Bauland ausgewiesen wird und die
Genehmigungsverfahren beschleunigt werden . Um den
erhöhten Wohnraumbedarf zu decken, brauchen wir heute zusätzliche, neue Siedlungsgebiete und schnell mehr
Bauland an den Ortsrändern . Um den Wohnraumbedarf
zu decken, liebe Kollegen, müssen wir auch mit Maß an
der baulichen Dichte ansetzen . Hierzu muss die Baunutzungsverordnung überarbeitet werden .
({17})
Wir wollen einen neuen Baugebietstyp schaffen, der
mehr Nachverdichtung und eine flexiblere Nutzungsmischung aus Wohnen und Gewerbe ermöglicht . Aber gerade beim Bauen müssen wir auch für Innovation und
Kreativität offen sein und mit der Zeit gehen . Modulares
und serielles Bauen wird in Zukunft wichtiger werden .
Hier ist schon heute vieles möglich .
Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht nur
um Mietwohnungen, sondern müssen uns darüber hinaus
auch um selbstgenutztes Wohneigentum kümmern . Das
ist uns als Union sehr wichtig . Der Bau von Eigentumswohnungen hat die gleiche Wirkung wie der Bau von
Mietwohnungen .
({18})
- Doch .
({19})
Durch Umzugsketten und Sickereffekte wird am Ende
auch hierbei Mietwohnraum frei .
({20})
Als Nebeneffekt, Herr Kühn, hat dies auch eine soziale
Komponente . Wohneigentum ist nämlich die wichtigste
Form der privaten Altersvorsorge .
({21})
Es ist die einzige Form der Altersvorsorge, von der man
sogar im jungen Alter schon etwas hat .
Konkret geht es mir um die Wohnungsbauprämie .
Junge Menschen und Familien müssen einen Anreiz
haben, schon frühzeitig für Wohneigentum zu sparen .
Hier müssen wir Anreize schaffen, die attraktiv sind . Die
Wohnungsbauprämie im jetzigen Zustand ist es nicht .
Wir müssen sie so verändern, dass sie wieder attraktiv
wird, gerade für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen . Wir müssen hier Anpassungen an die Einkommens- und Preisentwicklung vornehmen; denn aufgrund
inflationsbedingter Lohnerhöhungen sind viele Arbeitnehmer aus der Förderung herausgefallen . Hier besteht
Handlungsbedarf .
({22})
Ein Thema, das der Kollege Nüßlein schon angesprochen hat, unterstütze auch ich - die nordrhein-westfälische CDU hat hierzu noch weitergehende Ideen, für die
auch ich mich starkmache und die beim nächsten Bundesparteitag eingebracht werden -, nämlich die bundesweite
Einführung eines Baukindergeldes für alle Familien mit
Kindern, die selbstgenutztes Wohneigentum erwerben .
({23})
Viele Familien fühlen sich heute mit den Kosten für die
Kinder alleingelassen . Das Baukindergeld würde hier die
notwendige Unterstützung bieten und für viele aus der
Mitte unserer Gesellschaft einen Anreiz schaffen, zu bauen oder eigenen Wohnraum zu kaufen .
({24})
Liebe Kollegen, Wohnungsbaupolitik erfordert ein
ganzheitliches Konzept . Nur durch die Schaffung von
bezahlbarem Wohnraum, die Sie in Ihrem Antrag fordern, liebe Grüne, sind die Herausforderungen nicht zu
bewältigen . Wir setzen auf nachhaltige Lösungskonzepte
und auf wirkliche Problemlösungen und sind hierbei auf
einem guten Weg .
Danke schön .
({25})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Detlev Pilger,
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich feststellen:
Die Überschrift, die die Grünen für ihren Antrag gewählt
haben - „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen - Lebenswert und klimafreundlich“ -, beschreibt ein Anliegen,
das wir alle in diesem Haus vereint verfolgen sollten,
egal durch welche parteipolitische Brille wir sehen . Ich
finde diese Überschrift zutreffend.
({0})
- Das glaube ich. - Wir befinden uns da auch in guter Gesellschaft, nämlich in der Gesellschaft des evangelischen
Bischofs Dröge, der aus meiner schönen Heimatstadt
Koblenz kommt und die Schaffung von bezahlbarem
Wohnraum als gesellschaftliche Aufgabe bezeichnet, die
besonders der einkommensschwachen und armen Bevölkerung zugutekommt . Dahinter sollten wir uns, egal ob
wir christlich motiviert oder humanistisch orientiert sind,
vereinen können .
({1})
Wir haben viel gemacht - das wurde hier schon mehrfach betont -: Im letzten Jahr wurde mehr gebaut als in
den zehn Jahren zuvor . Unternehmen wurden gestärkt,
Frau Jörrißen; damit wurden wichtige Arbeitsplätze
gesichert . Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt .
Wir haben das Maklerprinzip geändert . Wir haben das
Wohngeld erhöht . Allerdings haben wir - das muss man
an dieser Stelle auch sagen, lieber Kollege Nüßlein; da
sprechen die aktuellen Zahlen eine eindeutige Sprache den sozialen Wohnungsbau wenig belebt und das, was
wir durch den Wegfall der Sozialbindung an Wohnungen
verlieren, bei weitem nicht kompensiert .
({2})
- Nein, Frau Dött, das ist nicht nur Sache der Länder .
Das ist auch eine Frage der Förderung und der Gemeinnützigkeit .
({3})
Das ist auch klar, liebe Frau Dött . Wissen Sie, warum
das anders nicht funktioniert? Private Bauherren haben
natürlich in erster Linie die Rendite vor Augen . Das ist
ja auch richtig; denn sie sichern das Unternehmen und
damit die Arbeitsplätze . Aber damit kann man keinen sozialen Wohnraum erwirtschaften . Das ist die Wahrheit .
({4})
Bei dem Anliegen, sozialen Wohnraum zu schaffen - da
gebe ich den Kollegen der Grünen vollkommen recht -,
sind unsere vordringlichen Ansprechpartner die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften; denn die setzen zu 90 Prozent - die Zahl kann
man nachlesen - den sozialen Wohnungsbau um .
Leider hat unser - ich zähle mich dazu - bisheriges
Bauförderprogramm dies nicht voll und ganz kompensiert . Die gemeinnützigen Baugesellschaften wollen,
brauchen und dürfen keine Gewinnmaximierung ausweisen; sie wollen gute Wohnqualität zu bezahlbaren Mieten
anbieten . Hier ist eine gezieltere Förderung unbedingt
notwendig, zum Beispiel in Form konkreter Bauzuschüsse für einzelne Bereiche des sozialen Wohnungsbaus, damit auch diese Baugesellschaften - das muss man denen
selbstverständlich zubilligen - eine schwarze Null bei
Bauvorhaben ausweisen können, was anders nicht möglich ist .
({5})
Nur so werden wir längerfristig - wir müssen ja auch
darüber nachdenken, wie lange eine Sozialbindung erfolgen soll - mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen für
Familien, Menschen mit geringem Einkommen, Schutzsuchende, Alleinerziehende, alte Menschen, Studenten
usw . Wer nicht glaubt, wie angespannt die Lage auf dem
Wohnungsmarkt ist - ich war viele Jahre Aufsichtsratsvorsitzender einer Genossenschaft -, den lade ich ein,
mich zu einem Wohnungsbesichtigungstermin zu begleiten . Da stehen 50, 60 Menschen in einer Reihe, und die
gehen dann frustriert weg, weil ja nur einer die Wohnung
bekommen kann .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Eines ist
mir besonders wichtig - ich bitte die Opposition, genau
zuzuhören -: Wir haben im Bereich „Soziale Stadt“ wirklich viel gemacht .
({6})
Liebe Frau Lay, Sie haben das eben nicht genannt; aber
es gehört zur Realität, dass die vorhergehende Bundesregierung hierfür 40 Millionen eingestellt hatte und wir das
dauerhaft auf 150 Millionen erhöht haben . Das kommt
den Quartieren und den Menschen, die in diesen Quartieren leben, zugute . Die Verhältnisse in den Stadtteilen der
„Sozialen Stadt“, lieber Herr Nüßlein, sind eine Katastrophe . Ich habe über 20 Jahre an einer Schule in einem sozialen Brennpunkt gearbeitet . Wir müssen dort dringend
ansetzen, damit Kinder und Jugendliche eine Perspektive
bekommen . Das gelingt uns bisher nicht .
Herr Kollege Pilger, Sie hatten versprochen, zum
Schluss zu kommen .
Ich weiß, ich bin über der Zeit . Ich komme zum
Schluss . - Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss
unser gemeinsames Ziel sein: die Aufwertung von sozialen Brennpunkten . Damit ist verbunden, dass sich Lebensperspektiven für junge Leute entwickeln .
Vielen Dank .
({0})
- Ich danke dir .
Als Nächstes spricht für die SPD-Fraktion die Kollegin Claudia Tausend .
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Gelegentlich hört man in Gesprächen, dass vonseiten des
Bundes und der Länder schon alles getan wurde, um die
Wohnungsbautätigkeit anzukurbeln, nur die Träger der
Planungshoheit, nämlich die Kommunen, kämen nicht so
recht in Gang mit einer vernünftigen Bodenpolitik und
beschleunigten Baulandausweisungen, der Inanspruchnahme von Fördermitteln und dem zügigen und kostengünstigen Bauen insgesamt .
Da trifft es sich gut, dass der Stadtrat der Landeshauptstadt München jetzt, im Oktober, seine Beratungen über die sechste Fortschreibung des kommunalpolitischen Handlungsprogramms für den Wohnungsbau
aufnimmt . München hatte ja bereits 1994 erstmals das
größte kommunalpolitische Handlungsprogramm für den
Wohnungsbau der Republik aufgelegt . In den letzten fünf
Jahren sind 800 Millionen städtische Euro in den Neubau
von bezahlbarem Wohnraum geflossen.
Jetzt steht, wie gesagt, die sechste Fortschreibung an .
Ich lese Ihnen einfach einmal ein paar Kernaussagen vor,
die für sich selber stehen und aussagekräftig genug sind:
Das jährliche Neubauvolumen soll von 7 000 auf
8 500 Wohneinheiten gesteigert werden . Dafür werden
im Fünfjahreszeitraum, von 2017 bis 2021, rein städtische Mittel in Höhe von 1,25 Milliarden Euro eingesetzt . Die beiden Wohnungsbaugesellschaften der Stadt
erhalten 250 Millionen Euro zusätzliches Eigenkapital
für den Bau von geförderten Wohneinheiten . - Es wurde
mehrfach gesagt: Die Träger des sozialen Wohnungsbaus
sind fast ausschließlich öffentliche Wohnungsbauunternehmen, kommunale Wohnungsbauunternehmen und
Genossenschaften . Deswegen müssen sie auch zusätzlich
unterstützt werden .
({0})
Die Vergabe von Grundstücken erfolgt künftig
schwerpunktmäßig für Mietwohnungen - München ist
wie viele andere Großstädte, zum Beispiel Berlin, eine
Mieterstadt - und vorzugsweise in Erbpacht, um schonend mit den städtischen Flächenressourcen umzugehen,
und in Form von Konzeptausschreibungen, damit man
sich die Wohnungen auch leisten kann .
Die stadteigene Förderung - das Programm heißt
„München Modell“ - für Durchschnittsverdiener wird
ausgeweitet, sodass künftig Familien mit einem Jahresbruttoeinkommen von bis zu 94 000 Euro unterstützt
werden können . Damit sollen 60 Prozent der Münchnerinnen und Münchner anspruchsberechtigt sein und von
dieser kommunalen Förderung profitieren können; denn
die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau sind
viel zu niedrig .
({1})
Das zu den Kernaussagen .
Kommen wir zu den neuesten Erhebungen des IVD
dazu, was Eigentumswohnungen in Deutschland kosten:
In München kostet eine Wohnung trotz aller Bemühungen des Bundes, des Freistaats und auch der Kommune
4 200 Euro pro Quadratmeter; das ist eine Zunahme um
7,7 Prozent . Stuttgart folgt dahinter mit 2 950 Euro pro
Quadratmeter, was ein Plus von 11,3 Prozent bedeutet.
Hamburg liegt mit 2 500 Euro pro Quadratmeter an dritter Stelle, was einem Plus von 8,7 Prozent entspricht . Diese Zahlen zeigen uns, dass wir mit unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen . Die Herausforderungen
sind enorm .
({2})
Ich nenne nur noch einige Stichpunkte, die mir ein
Anliegen sind: Ich denke, dass die Liegenschaftspolitik
des Bundes neue Impulse braucht . Die aktuelle Verbilligungsrichtlinie ist ein Fortschritt, aber eben nur ein Anfang .
({3})
Die Bezuschussung von 25 000 Euro pro Wohneinheit ist nicht ausreichend . Noch einmal ein Münchner
Beispiel: Wir bezuschussen eine Wohnung für Durchschnittsverdiener im Rahmen des Programms „München
Modell“ mit bis zu 110 000 Euro . Hier ist also auch für
die BImA noch sehr viel Luft nach oben .
Letzter Gedanke: Wir brauchen - das ist von der
Kollegin Jörrißen angesprochen worden - eine zügige
Novellierung des Baugesetzbuches und der Baunutzungsverordnung, um in innerstädtisch verdichteten
Räumen Bauland mobilisieren zu können . Ich zitiere
Frau Dr . Merk, unsere Stadtbaurätin: Es wird jeder Zentimeter umgedreht . Trotzdem: Die Flächenreserven sind
begrenzt . Wir brauchen dringendst dieses urbane Gebiet
wie vorgesehen . - Ich appelliere an alle Kräfte hier im
Hause, zügig die Novellierung des Baugesetzbuches und
der Baunutzungsverordnung auf den Weg zu bringen .
Ich bedanke mich .
({4})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat jetzt für Bündnis 90/
Die Grünen die Kollegin Renate Künast das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
hier ganz viele tolle Reden gehört, in denen manches,
wie ich finde, in den Himmel gelobt wurde. Herr Pronold
hat aufgeführt, was ganz toll ist, einschließlich der neuen Maklerregel . Herr Pronold, ich kann Ihnen nur sagen:
Am Ende zählt nicht, ob Sie hier und da eine nette Nuance gesetzt haben, sondern, ob sich auf dem Mietmarkt
tatsächlich etwas verändert . Das haben Sie nicht belegen
können .
({0})
Sie haben gesagt, wir müssten doch einmal seriös reden .
Wir versuchen hier seit Jahren, seriös zu reden .
({1})
Herr Wegner von der CDU meinte, statt wohlfeiler
Anträge müssten wir bauen, bauen und nochmals bauen .
({2})
Ich kann nur sagen: Das hat in Berlin ja ganz toll funktioniert . Als Sie noch Regierungsverantwortung hatten,
haben wir gesehen, wie das mit der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für die Menschen geklappt hat . Sie
haben gesagt, es werde einen Umbruch geben . Ich sage
nur: Mietwohnungen, Mietwohnungen, Mietwohnungen!
({3})
- Weil Sie Tempelhof ansprechen: Das haben Sie von der
CDU in gemeinsamer Täterschaft mit der SPD versemmelt .
({4})
Wer 5 000 Wohnungen am Tempelhofer Feld bauen will
und dafür einen Gesetzentwurf vorlegt, der keine Sozialbindung, keine Vergabe an Baugenossenschaften und
keine Vorgabe, bezahlbare Mieten zu schaffen, beinhaltet, darf sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung sagt:
Wir haben die Nase voll und stimmen mit Nein .
({5})
Es geht eben nicht nur um Bauen, Bauen, Bauen . Es geht
auch darum: Was wird gebaut? Für wen wird gebaut?
Wie ist der rechtliche Rahmen?
In diesem Zusammenhang muss ich etwas zu Frau
Jörrißen sagen . Sie haben angeführt, um das Symptom
der überhitzten Märkte zu mildern, hätten Sie die Mietpreisbremse eingeführt . Wir wissen doch mittlerweile
alle, dass sie gar nichts bremst . Es gibt eine Untersuchung dazu: Eine Bremswirkung ist nicht vorhanden,
meine Damen und Herren . Die Mietpreisbremse hat
mehr Löcher als Käse . Deshalb gibt es keine Wirkung .
({6})
Frau Jörrißen beklagte auch die fehlende steuerliche
Förderung. Ich lüfte ein Geheimnis: Der Bundesfinanzminister heißt Schäuble . Reden Sie mit ihm! Vielleicht
können Sie eine Bauprämie einführen . Die Menschen
würden sich bedanken .
({7})
In Richtung Justizministerium, das in unserem Antrag
erwähnt wird, und auch in Richtung CDU und SPD muss
ich sagen: Wir warten nicht nur auf die Reform des ersten Mietrechtsnovellierungsgesetzes, sondern auch auf
die zweite Novelle, die als Vorlage schon vorhanden sein
soll .
Frau Kollegin Künast, darf ich Sie einmal unterbrechen? - Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Michael Groß?
Ja .
Das dachte ich mir .
Danke, dass Sie meine Frage zulassen . Sie haben dann
etwas mehr Redezeit, Kollegin Künast . - Sie beziehen
sich auf die Mietpreissteigerung, die Sie, ähnlich wie wir,
zum Teil so darstellen, als handele es sich um Wucher .
Warum kommt in Ihrem Antrag nicht § 5 Wirtschaftsstrafgesetz vor, in dem es um Wucher geht und mit dem
die Mietpreissteigerung eingedämmt werden könnte?
Danke für die Frage, Herr Kollege . Wir haben uns
in diesem Antrag sehr auf den Themenkomplex „Was
wird gebaut? Wie wird gebaut? Und wie wird das unterstützt?“ konzentriert und behandeln nur einen kleinen
Rechtsteil . Wir werden, wenn Sie keine Novelle vorlegen, einen weiteren Antrag mit einem größeren Rechtsteil hinterherschieben . Ich will Ihnen aber sagen: Diese
Wuchervorschrift ist eine Generalklausel, die vielleicht
am Ende das eine oder andere auffangen kann . Ich persönlich glaube aber - darin bin ich mir mit vielen meiner
Fraktion einig -, dass die stärkeren Werkzeuge im Mietrecht andere wären .
({0})
Damit bin ich bei der Frage: Wo ist die nächste Mietrechtsnovelle? Sie soll fertig sein . Aber es gibt anscheinend keinen Termin zur Vorlage . Auf Nachfragen gestern
am Rande des Ausschusses habe ich gehört, dass die im
BMJV vorliegende nächste Novelle bei der CDU auf die
Reaktion trifft, in den nächsten vier Wochen habe man
keine Zeit, das zu behandeln . Da muss ich schon in Richtung CDU sagen: Weniger Krokodilstränen und hin und
wieder einmal Hausaufgaben machen, wäre eine gute
Sache .
({1})
Ich werfe Ihnen vor, dass Sie viel reden und auf sozial
tun, aber in Wahrheit eine Verzögerungspolitik betreiben .
Wir müssen nicht nur bauen . Die Frage ist: Was bauen
wir?
({2})
Herr Grosse-Brömer, wir brauchen eine Mietpreisbremse
nicht mit einer Rügepflicht, sondern mit einer Auskunftspflicht des Vermieters. Wir müssen die gesetzlichen
Schlupflöcher von „möblierter Wohnung“ bis „umfassender Modernisierung“ schließen .
Meine Damen und Herren, die Mieterinnen und Mieter haben übrigens langsam die Nase voll von Ihren Reden . Sie wollen endlich die Wohnungen, über die Sie
immer reden .
({3})
Vielen Dank . - Jetzt hat Klaus Mindrup, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben es in Deutschland in der Wohnungspolitik mit zwei großen Megatrends zu tun . Wir
haben einen enormen Zuzug aus dem ländlichen Raum
in die Großstädte, und wir haben einen enormen Zuzug
aus dem Ausland . Das hängt mit unserer wirtschaftlichen
Situation in Deutschland zusammen und hat nicht primär
etwas mit den Flüchtlingen zu tun .
Im Antrag der Grünen ist von 1 Million Sozialwohnungen im Neubau in den nächsten zehn Jahren die Rede .
Diese Zahl halte ich vor dem Hintergrund dieser Megatrends durchaus für realistisch . Angesichts der Kosten
eines Neubaus liegen wir bei den Mieten aber heute bei
Mietpreisen von deutlich über 10 Euro ohne Subventionierung . In Berlin liegen die Bestandsmieten noch unter
5,90 Euro . Das heißt, die Sicherung von bezahlbarem
Wohnbau im Bestand ist viel billiger als der Neubau von
bezahlbarem Wohnraum und die entsprechende Subventionierung .
({0})
Deswegen brauchen wir das Mietrechtspaket II, und ich
bitte die Union, an dieser Stelle mitzugehen . Denn das ist
für den sozialen Frieden in unserem Land unerlässlich .
({1})
Was die von den Grünen prognostizierten Neubauzahlen angeht, die ich für realistisch halte, reden wir
über 140 Milliarden bis 200 Milliarden Euro, die in den
nächsten zehn Jahren investiert werden müssen . Das sind
14 Milliarden bis 20 Milliarden Euro pro Jahr . Wir haben zwar die Förderung verdreifacht - im sozialen Wohnungsbau sind es 1,5 Milliarden Euro -, aber wir werden
sie sicherlich weiter erhöhen müssen, wenn diese Trends
anhalten . Sie hängen, wie gesagt, mit der wirtschaftlichen Situation zusammen . Wenn wir bei 20 Milliarden
Euro pro Jahr ankommen, werden allein dafür 3,8 Milliarden Euro Umsatzsteuer bezahlt . Wenn sich der Bund,
wie Frau Jörrißen gesagt hat, ab 2020 aus der Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau stehlen will, dann
nimmt der Bund die Einnahmen aus der Umsatzsteuer,
tut aber nichts dafür. Ich finde das nicht in Ordnung. Deswegen muss man das Grundgesetz ändern . Bezahlbarer
Wohnraum ist eine Gemeinschaftsaufgabe .
({2})
Wir haben in der Vergangenheit schon einiges getan .
Was kaum erwähnt worden ist, ist die Änderung der Politik der KfW . Im Wohnungsneubau sind die Zinsbindungsfristen von 10 auf 20 Jahre verlängert worden . Das
heißt, wenn eine Genossenschaft neu baut, kann sie jetzt
20 Jahre sicher kalkulieren . Das hat dazu geführt, dass
die Möckernkietz-Genossenschaft in Berlin 470 neue
Wohnungen bauen kann . Das hat diese Bundesregierung
ermöglicht . Das ist hier noch nie gewürdigt worden . Ich
denke, man sollte das an dieser Stelle tun .
({3})
Auch der Klimaschutz ist kräftig kritisiert worden .
Wir wollen Klimaschutz richtig machen, Klimaschutz
im Quartier betreiben und Strom und Wärme vor Ort erzeugen und speichern, Stichwort „Mieterstrom“ . Das ist
sozialverträglich, das schafft Arbeitsplätze, und das ist
auch sinnvoll .
Kommen wir zur Wohnungsgemeinnützigkeit, weil sie
angesprochen wurde . Die Abschaffung war ein schwerer
Fehler .
({4})
Wenn man wie ich durch Wien geht - ich bin oft in
Wien -, dann weiß man das . Aber das ist passiert, und
wir als SPD waren dafür nicht verantwortlich . Jetzt geht
es darum, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft neue
Wege zu finden. Es ist zu Recht gesagt worden: Zurzeit
will die Wohnungswirtschaft eine neue Gemeinnützigkeit nicht . Auch die meisten Genossenschaften - auch die
städtischen - wollen das nicht . Deswegen sollten wir die
vorgesehenen Anhörungen durchführen und das Ganze
diskutieren, aber wir sollten den Beitrag der derzeitigen
gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft nicht zu
gering schätzen .
Die Genossenschaften in Berlin vermieten im Schnitt
Wohnungen für dauerhaft 5,05 Euro, und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin sind jetzt
verpflichtet worden, 55 Prozent ihrer Wohnungen als
Sozialwohnungen anzugeben . 160 000 neue Sozialwohnungen sind damit in Berlin mit einem Gesetz geschaffen
worden .
Es geht also auch, ohne dass wir den ganz großen Wurf
machen . Es sind kleine Schritte, die wir gehen müssen .
Wir müssen sie aber für die soziale Akzeptanz in diesem
Land gehen . Sonst wächst ein sozialer Sprengstoff heran,
mit dem wir alle nicht klarkommen können .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt der Kollege Bernhard Daldrup,
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Meiste ist gesagt worden, nur nicht von jedem,
könnte man jetzt sagen . Deswegen erlauben Sie mir,
dass ich jetzt keine Bilanz vortrage, sondern mich auf
das beziehe, was Florian Pronold, Michael Groß und andere bereits vorgetragen haben . Ich glaube, dass in der
Bilanz für Investoren, Mieter, Länder und übrigens auch
für Kommunen im Bereich des Wohnungsbaus durchaus
etwas getan worden ist .
Lassen Sie mich zwei andere Aspekte ansprechen .
Städte sind steingewordene Gesellschaftspolitik .
Aus ihren Grundrissen, aus ihren Strukturen kann
man Wertordnungen ablesen .
Vielleicht hat Frau Göring-Eckardt so etwas Ähnliches gemeint, als sie ganz zu Anfang über Zentrum und
Peripherie gesprochen hat . Das Zitat stammt von einem
großen Oberbürgermeister und Städtebauminister, nämlich Hans-Jochen Vogel . Er wollte damit zum Ausdruck
bringen, dass die Wohnungsbaupolitik nicht eine Frage
des Geldes allein ist, sondern dass Wohnungsbaupolitik
immer auch Teil einer integrierten Stadtentwicklungspolitik und einer regional abgestimmten Raumordnungsund Regionalplanung sein muss . Das heißt mit anderen
Worten, dass beispielsweise auch das Verhältnis von
Suborganisierung und Quartiersentwicklung, dezentraler
Konzentration und Revitalisierung von Innenstädten dazugehört .
Detlev Pilger hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, was im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“
und der Städtebauförderung getan worden ist, dass es dabei auch um kleinere und mittlere Städte geht und dass es
nicht nur ein Problem von Ballungsräumen und Unistädten ist, über das wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt reden .
Wer also, bei allem Druck, den es in manchen Städten
gibt, Wohnungen zu bauen, nicht auch gleichzeitig auf
die Stabilisierung stagnierender oder schrumpfender
Teilregionen achtet, verschärft gesellschaftliche Segregation durch Abwanderung . Darüber muss man sich im
Klaren sein .
({0})
Ein zweiter Aspekt, den ich ansprechen will, bezieht
sich auf die Finanzen . Wir haben heute Morgen schon
darüber gesprochen: Finanzielle Stabilität gehört auch
zu Stadtentwicklungspolitik und zu kommunaler Wohnungsbaupolitik . Wir haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen ziemlich spannenden Aspekt, der nicht ganz
ungefährlich ist, weil er eine sehr wichtige Einnahmequelle der Städte darstellt, nämlich die Grundsteuer . Das
ist die dritthöchste Einnahmequelle der Kommunen in
der Bundesrepublik Deutschland; denn die Einnahmen
daraus betragen ungefähr 13 Milliarden Euro . Es ist
wichtig, dass diese Einnahmequelle für die Kommunen
erhalten bleibt .
Aber die Grundsteuer ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt aller Voraussicht nach verfassungswidrig . Sie ist
es deswegen, weil extrem unterschiedliche Einheitswerte zugrunde gelegt werden . Dieses Extrem kann man in
Berlin gut deutlich machen . Hier - in anderen Teilen des
Landes auch - haben wir Einheitswerte auf der Basis von
1964 im Westen und von 1935 im Osten . Das führt dazu,
dass für ein 1 500 Quadratmeter großes Grundstück eine
Grundsteuer in Höhe von 8 300 Euro im Westen und von
4 800 Euro im Osten gezahlt werden muss . Das ist ein
eindeutiger und klarer Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes . Das muss geklärt werden .
Mieter in neuen Gebäuden zahlen deutlich mehr als
Eigentümer von Jugendstilvillen - so kann man das
auch thematisieren . Deswegen ist die Modernisierung
der Grundsteuer eine wirklich wichtige Frage gerechter
Politik - gerechter Kommunalpolitik und übrigens auch
gerechter Wohnungsbaupolitik . Deswegen hoffe ich sehr,
dass Sie das unterstützen .
({1})
Sie alle haben die Gelegenheit, an einem fundamentalen Reformprojekt teilzunehmen . Nach ungefähr 30 Jahren sind die Länder zielgerichtet dabei, sich auf einen
Gesetzentwurf zu verständigen . Alle machen mit, aber
Bayern natürlich nicht . Deswegen müssen wir uns darum
kümmern, dass diese Reform auf den Weg gebracht wird,
bevor die jetzige Regelung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wird und damit eine
wichtige Einnahmequelle der Kommunen entfällt .
Darum lautet meine Bitte: Wenn Sie etwas für integrierte Stadtentwicklung und für Wohnungsbaupolitik
jenseits der Frage, woher man eigentlich zusätzliches
Geld bekommt, tun wollen, dann helfen Sie mit, dass
diese Reform der Grundsteuer zielgerichtet durchgeführt
wird . Das hilft den Menschen in den Städten und Gemeinden sowie den Kommunen .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10027 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 5:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen
Drucksache 18/9946
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Auch hierzu
höre ich von Ihrer Seite keinen Widerspruch . Dann ist
auch das beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange für die Bundesregierung . - Bitte schön .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Für einen Menschen, der gestalkt
wird, wird ein Alptraum Wirklichkeit . Diese Menschen
werden von ihren Peinigern angerufen, bedroht, verfolgt,
im Bekanntenkreis schlechtgemacht und bekommen
Mails, die sie nie lesen wollten, und das immer und immer wieder . Dies hat für viele Opfer gravierende Folgen .
Diese Menschen, die Opfer von Stalking werden, empfinden oft ständige Unruhe, entwickeln Ängste, Schlafstörungen oder gar Depressionen .
Viel zu lange wurde das Leid dieser Menschen kaum
ernst genommen . Im Jahr 2007 wurde mit der Einfügung
des § 238 das beharrliche Nachstellen als Straftat gegen
die persönliche Freiheit in das Strafgesetzbuch aufgenommen und damit ein deutliches Zeichen gesetzt: Der
Staat steht diesen Menschen zur Seite . Das war und ist
eine gute und richtige Entscheidung . Wir wollen heute
diesen Weg fortsetzen .
Heute beraten wir in erster Lesung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes,
das diesen staatlichen Schutz weiter ausbaut und vor allen Dingen effektiver gestaltet . Nach geltendem Recht
hängt die Frage, ob sich jemand der Nachstellung strafbar
macht oder nicht, davon ab, ob er das Opfer schwerwiegend beeinträchtigt und es zwingt, seine Lebensumstände zu ändern . Entscheidend für die Strafbarkeit ist also
nicht allein das Handeln des Täters, sondern maßgeblich
auch, ob und wie das Opfer darauf reagiert . Stellen Sie
sich vor: Der Täter stellt seiner Expartnerin, einer Mutter mit Kind, nach . Wenn die Mutter dem Druck standhält, ist das Verhalten des Täters nicht strafbar . Wenn die
Mutter aber aufgrund des Drucks beispielsweise ihren
Arbeitsplatz wechselt oder umzieht, ist das Verhalten des
Täters strafbar . „Muss es aber erst so weit kommen?“,
frage ich . Wollen wir das zum Beispiel einer alleinerziehenden Mutter wirklich zumuten? Können und dürfen
wir davon ausgehen, dass sie einen neuen Job findet, in
dem Familie und Beruf vereinbar sind? Wie verhält es
sich mit dem Kind, das sich bei einem Umzug etwa auf
eine neue Kita oder eine neue Schule umstellen muss?
Wir jedenfalls sind der Auffassung: Das können wir dem
Opfer und seiner Familie nicht abverlangen .
Auch diejenigen verdienen den Schutz des Strafrechts, die sich nach außen hin vom Stalking unbeeindruckt geben . Auch diese Menschen leiden oft unter
schweren psychischen Belastungen . Das eigene Leben in
diesem Moment nicht zusätzlich grundlegend umstellen
zu müssen, ist für diese Menschen dann besonders wichtig . Deshalb sage ich: Die Strafbarkeit davon abhängig zu
machen, wie das Opfer auf das Stalking reagiert, schützt
lediglich den Täter . Ob der Täter ein willensstarkes Opfer
vor sich hat, das sein gewohntes Leben trotz der massiven Einwirkungen durch das Stalking tapfer fortzuführen
versucht, oder ein Opfer, das dem Druck nachgibt, ändert
nichts am strafrechtlichen Unwertgehalt seiner Tat .
({0})
Die Strafbarkeit sollte daher von der Qualität der Handlung des Täters abhängen und nicht von der Tapferkeit
des Opfers .
({1})
Es gibt keine überzeugende Begründung, warum das tapfere Opfer weniger Schutz verdienen sollte .
Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf verbessert den Schutz vor Nachstellungen für die betroffenen Menschen durch drei grundlegende Änderungen:
Erstens - das ist die entscheidende Änderung - wird
es künftig ausreichen, dass Stalking objektiv dazu geeignet ist, das Opfer in seiner Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen . Es ist schlimm genug, wenn das
Opfer wegen der Nachstellung in Erwägung zieht, aus
seinem gewohnten Lebensumfeld wegzuziehen . Für die
Strafbarkeit verlangen wir nicht mehr, dass es dies auch
in die Tat umsetzt .
Zweitens wollen wir, dass Opfer nicht mehr auf den
Privatklageweg verwiesen werden können; denn die Verweisung auf den Privatklageweg hat zur Folge, dass die
Opfer das Verfahren gegen den Stalker selbst betreiben
müssen . Zudem trägt dabei das Opfer das Kostenrisiko,
was zur Folge haben kann, dass die Opfer von der Möglichkeit der Privatklage aus reiner Angst vor weiteren
Problemen letztlich keinen Gebrauch machen . Wir wollen daher das Stalking aus dem Katalog der Privatklagedelikte streichen . Über eine Anklage gegen einen Stalker
zu entscheiden, wird in Zukunft wieder allein Sache der
Staatsanwaltschaft sein . Damit entlasten wir die Opfer
zusätzlich .
({2})
Drittens stärken wir den Opferschutz in Gewaltschutzverfahren vor den Familiengerichten; denn dieses Verfahren ist für viele Stalkingopfer und die Opfer häuslicher
Gewalt ein wesentlich wichtigerer Weg, um staatlichen
Schutz zu erlangen . Insbesondere wird die effektivere
Durchsetzung von Vergleichen in Gewaltschutzverfahren neu geregelt . Derzeit ist nur der Verstoß gegen eine
gerichtliche Gewaltschutzanordnung strafbewehrt, nicht
aber der Verstoß gegen eine in einem gerichtlichen Vergleich übernommene Verpflichtung. Künftig soll es in
Gewaltschutzverfahren den durch das Familiengericht
bestätigten Vergleich geben . Der Verstoß gegen eine Verpflichtung aus einem solchen Vergleich soll zukünftig
ebenfalls strafbewehrt sein und damit ein Gleichlauf zu
einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung hergestellt
werden . Wenn sich der Täter in einem Gewaltschutzverfahren per Vergleich etwa dazu verpflichtet, vom Opfer
Abstand zu halten, und das Familiengericht diesen Vergleich bestätigt, dann soll künftig ein Verstoß des Täters
gegen die übernommene Verpflichtung strafbar sein. Ergänzend dazu muss in Zukunft auch in den Fällen eines
gerichtlich bestätigten Vergleichs eine Mitteilung an die
zuständige Polizeibehörde oder andere öffentliche Stellen erfolgen .
Meine Damen und Herren, jedes Jahr zeigen etwa
20 000 Menschen, die Opfer von Stalking geworden sind,
diese Nachstellungen an . Mit diesem Gesetzentwurf können wir heute etwas dafür tun, dass der Albtraum Stalking für möglichst viele von ihnen möglichst schnell
vorbei ist . Ich meine, das sind wir den Opfern schuldig .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über das Gesetz zum besseren
Schutz vor Nachstellungen reden, dann eint uns etwas in
diesem Haus . Wir sind uns alle einig: Stalking ist eine
erhebliche Einschränkung der individuellen Freiheit und
nicht zu tolerieren .
({0})
Deshalb ist Stalking seit 2007 strafbar . Wir sind uns auch
fraktionsübergreifend einig, dass die Opfer von Stalking
geschützt werden müssen . Die Umwandlung des Straftatbestandes des Stalking von einem Erfolgsdelikt zu einem
Eignungs- oder potenziellen Gefährdungsdelikt betrachten wir aus grundsätzlich rechtsstaatlichen Erwägungen
heraus allerdings kritisch .
Grundsätzlich bringt es das geschützte Rechtsgut das ist hier der individuelle Lebensbereich in Form der
Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Opfers aus unserer Sicht mit sich, dass unter Beachtung des
Ultima-Ratio-Prinzips des Strafrechts eine tatsächliche
Beeinträchtigung dieser Handlungs- und Entschließungsfreiheit vorliegen muss, um eine Strafbarkeit zu
begründen . Das kann aus unserer Sicht anders als durch
die Umwandlung in ein potenzielles Gefährdungsdelikt
herbeigeführt werden . Ich werde darauf noch hinweisen .
Bevor ich aber zum rein strafrechtlichen Aspekt komme, lassen Sie mich noch etwas sagen . Wir brauchen
auch in diesem Bereich dringend Aufklärung und Prävention . Dazu gehören eine Sensibilisierung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeibeamten und auch
eine gesellschaftliche Debatte zur Unzulässigkeit beharrlicher Nachstellungen sowie ein ausfinanziertes und zuverlässiges Beratungs- und Hilfsangebot . Hinzukommen
muss eine unkomplizierte und für Betroffene möglichst
kostenfreie Unterstützung durch Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte im Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz und in eventuellen weiteren Rechtsauseinandersetzungen . Das Strafrecht allein löst keine Probleme .
({1})
Der zentrale Punkt aus unserer Sicht muss sein, dass
der Stalker oder die Stalkerin an weiteren Handlungen
gehindert wird. Wir finden, dass dies mit dem Gewaltschutzgesetz im Grunde eine gute Möglichkeit ist . Ich
will hier einmal kurz erklären, was es mit dem Gewaltschutzgesetz auf sich hat; denn das kommt mir etwas zu
kurz .
Nach dem Gewaltschutzgesetz kann ein Gericht gegenüber einer Person, die vorsätzlich den Körper, die
Gesundheit und auch die Freiheit einer Person widerrechtlich verletzt, befristet anordnen, dass diese Person
es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu betreten, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung
der verletzten Person aufzuhalten, bestimmte Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig
aufhält, Verbindungen zur verletzten Person aufzunehmen, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, oder das Zusammentreffen mit der verletzten
Person herbeizuführen .
Diese Anordnungen sind möglich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Person, die jemand anderem nachstellt oder wiederholt nachstellt, und sie ist auch
ausdrücklich möglich, wenn diese Nachstellung nur mit
Fernkommunikationsmitteln stattfindet. Hinzu kommt:
Wer sich an dieses Betretungs-, Näherungs-, Aufenthaltsund Kontaktverbot sowie an das Abstandsgebot im Gewaltschutzgesetz nicht hält, kann mit Freiheitsstrafe bis
zu einem Jahr bestraft werden, soweit die entsprechende
Anordnung und später der Vergleich vollstreckbar sind .
Diese Anordnungen werden auch an Polizeibehörden
und andere öffentliche Stellen übermittelt .
Wir sagen klar: Diese Regelungen im Gewaltschutzgesetz, konsequent angewendet, sind im Hinblick darauf,
dass dem Opfer so etwas nicht wieder passiert, eine gute
Lösung .
({2})
Nun schlagen Sie vor, den Straftatbestand von einem
Erfolgsdelikt in ein potenzielles Gefährdungsdelikt umzuwandeln . Was meint das eigentlich? Das muss man
vielleicht noch einmal erklären . Bislang musste die Lebensgestaltung tatsächlich schwerwiegend beeinträchtigt
sein, um zu einer Strafe zu kommen . Zukünftig soll es
so sein, dass für die Verwirklichung des Straftatbestandes - ich zitiere aus dem Gesetzentwurf - ausreichend
ist, „dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet
ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung
der Lebensgestaltung herbeizuführen“ . Es kommt also
nicht mehr darauf an, ob die Lebensgestaltung tatsächlich und konkret schwerwiegend beeinträchtigt ist, sondern ob dies objektiv der Fall sein kann . Jetzt wiederhole
ich noch einmal: Vor dem Hintergrund des Ultima-Ratio-Prinzips des Strafrechts und der Existenz des Gewaltschutzgesetzes finden wir dies problematisch.
Nun wird zur Begründung immer auf ein Urteil des
BGH verwiesen. Ich finde, dieses Urteil wird häufig zu
kurz dargestellt . Der BGH hat im Jahre 2009 - ich zitiere
wieder - gesagt:
Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten
veranlasst wird, das es ohne das Zutun des Täters
nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst
zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen .
Das ist der Leitsatz . Wenn man dann noch einmal genauer hinschaut, heißt es:
Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers,
wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in
Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes
oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster
der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend anzusehen .
Es ist eben explizit nicht gesagt worden, dass nur der Arbeitsplatzwechsel oder der Wohnortwechsel eine schwerwiegende Beeinträchtigung sind, sondern es handelt sich
um eine Aufzählung etwa auch anderer Gründe, und diese sind nicht abschließend .
Nun teilen wir das ursprüngliche Anliegen des Gesetzgebers, dass nämlich eine strafwürdige Handlung dann
vorliegen soll, „wenn das Verhalten des Täters einen so
hohen Druck auf das Opfer erzeugt, dass ein objektivierbarer Anlass für eine Verhaltensänderung besteht“ . Wir
finden, das kann man mit einer kleinen Änderung im
derzeit bestehenden Gesetzestext machen . Wenn nämlich das Argument ist, dass „schwerwiegend“ die große
Hürde ist, dann streicht man einfach aus dem Gesetz das
Wort „schwerwiegend“ . Das ist so naheliegend, dass es
mich wundert, dass Sie nicht selbst darauf gekommen
sind .
({3})
Wenn das Wort „schwerwiegend“ gestrichen wird, dann
reicht eine Beeinträchtigung der Lebensweise . Eine
solche Beeinträchtigung wäre beispielsweise gegeben,
wenn man ein ärztliches Attest oder das Attest einer Beratungsstelle vorlegen kann . Uns scheint das ein besserer
Weg zu sein als die Umwandlung . Es sollte also einfach
das Wort „schwerwiegend“ gestrichen werden . Dann hätten wir die Beeinträchtigung der Lebensweise .
Wir finden - das will ich hier auch einmal kurz erwähnen - es richtig, dass der Vergleich mit den Anordnungen gleichgestellt wird. Auch finden wir richtig, dass das
Privatklagedelikt gestrichen wird . Insofern kann ich Sie
einfach nur ermuntern: Ich glaube, wir liegen so weit gar
nicht auseinander .
Es gibt viele gute Sachen in diesem Gesetzentwurf .
Die vorgeschlagene Umwandlung in ein Gefährdungsdelikt teilen wir ausdrücklich nicht . Vielleicht kann aber
durch eine kleine Streichung im bestehenden Gesetzestext hier auch noch erreicht werden, dass wir zustimmen
könnten .
({4})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion ist die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen und Zuhörer hier im Saal und zu Hause an den Fernsehern! Ich bin froh, dass wir jetzt endlich hier im parlamentarischen Rahmen die Debatte beginnen können;
denn die Verschärfung bei der Strafbarkeit des Stalkings
ist ein wichtiges Anliegen der Union, das wir auch schon
im Koalitionsvertrag untergebracht haben . Schon damals
haben wir festgehalten, dass es ein auffälliges Missverhältnis zwischen den vielen Anzeigen, die gestellt werden - es sind etwa 20 000 im Jahr -, und den Verurteilungen - das sind jährlich etwa 200 - gibt .
Das zeigt zum einen, dass hier schon ein großes empfundenes Unrecht, eine Bedrohung im Raum steht . Auf
der anderen Seite zeigt das aber auch, dass die gesetzliche Regelung, die wir jetzt haben, dem nicht gerecht
wird . Das ist ein Indiz dafür, dass hier Handlungsbedarf
besteht . Dessen nehmen wir uns jetzt auch an . Wir haben
deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir im Interesse der Opfer die tatbestandlichen Hürden für eine
Verurteilung senken wollen .
Es hat dann aber noch ziemlich lange gedauert, bis
wir diesen Entwurf vorgelegt bekommen haben . Es waren die unionsgeführten Ministerien der Länder Bayern,
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, die einen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht haben . Auf
ihrem Entwurf beruht im Wesentlichen auch der Entwurf
der Bundesregierung, den wir heute debattieren .
Wer auch zur Beschleunigung dieses Verfahrens beigetragen hat, ist Mary Scherpe, eine Autorin und Bloggerin aus Berlin . Sie ist selber Betroffene und hat eine
Onlinepetition zur Änderung des Stalkingparagrafen angestoßen . Im Dezember 2014, also vor mittlerweile fast
zwei Jahren, hat sie dem Bundesministerium der Justiz
fast 90 000 Unterschriften übergeben . Damals hieß es:
Ja, das machen wir . Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie . Das wollen wir beraten . - Es
hat dann leider noch ein bisschen gedauert, bis wir jetzt
endlich in die Beratungen einsteigen konnten . Aber es ist
ja noch nicht zu spät, und wir werden die Sache jetzt auch
beherzt angehen . Die allererste Priorität scheint das damals noch nicht gehabt zu haben .
Worum geht es bei § 238 StGB? Die Regelung ist
noch gar nicht so alt . 2007 wurde sie in das Gesetzbuch
geschrieben, auch damals maßgeblich geprägt von der
Union . Vor allem die Kollegin Ute Granold darf ich in
diesem Zusammenhang hier noch einmal erwähnen, die
das Ganze damals als ihr Herzensanliegen betrieben hat .
Vorausgegangen waren Fälle, in denen zunächst ein beharrliches Nachstellen zu verzeichnen gewesen war und
dann auch massive Übergriffe, Angriffe auf die Person,
teilweise sogar mit tödlichem Ausgang, erfolgt sind . Ich
weiß als frühere Familienrichterin, dass diese Angriffe
und dieses Stalking oft aus dem privaten Umfeld erfolgen, von Exliebhabern, Expartnern oder eben auch denen, die von vornherein abgewiesen worden sind . Bis zur
Einführung des § 238 StGB hatte man letztendlich keine
Handhabe gegen dieses beharrliche Nachstellen, weil die
Handlungen, um die es da im Einzelnen geht, für sich
genommen jeweils erlaubt sind, relativ unproblematisch
sind, als Belästigung abgetan werden können . Aber in
Summe sind sie eine ganz massive Beeinträchtigung der
Lebensqualität . Sie ängstigen, und im Extremfall münden sie ja auch in massive Gefahren für Leib und Leben
des Opfers . Damals musste man die Frage beantworten:
Warum muss eigentlich immer erst etwas passieren, bevor man gegen den Täter vorgehen kann?
Solche Nachstellungen, um die es jetzt geht, sind nicht
immer so dramatisch . Trotzdem: Auch unterhalb dieser
Schwelle sind sie sehr lästig und nicht zu verharmlosen .
Nicht untypisch ist, dass die Situation von den beiden beteiligten Personen völlig unterschiedlich wahrgenommen
wird . Ich möchte das hier anhand eines Beispiels darlegen, das sicher für sich genommen ganz klar unterhalb
der strafbewehrten Schwelle bleibt, das aber das Problem
schön wiedergibt . Sie kennen wahrscheinlich das Lied ich will es hier jetzt nicht singen; dafür bräuchte ich im
Übrigen auch einen männlichen Kollegen, da es nämlich
ein Wechselgesang ist - Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen, das eigentlich von einer positiven GrundHalina Wawzyniak
stimmung getragen ist . Man kann sich so richtig in die
Situation hineinversetzen: Ein Mann fährt mit seinem eigentlich schnellen Wagen auf der Autobahn und klemmt
sich hinter die Ente, an deren Steuer ein junges Mädchen
sitzt . Er schildert das in der Art eines Ohrwurms mit einer hörbaren Selbstgefälligkeit und macht sich Gedanken
darüber, was denn dieses Mädchen da jetzt wohl zu tun
hat . Am Ende wird sie dann schon sein Mädchen . Aus
ihrem Blickwinkel hört sich das Ganze völlig anders an:
Sie macht sich Gedanken darüber, was dieser blöde Kerl
da hinter ihr will . Sie ist genervt, sie ist verunsichert, sie
fühlt sich bedrängt, und sie nimmt das zum Anlass, von
der Autobahn runterzufahren, obwohl sie dadurch zu spät
kommt .
Es handelt sich eigentlich um eine banale Situation,
aber sie zeigt, wie das wirkt, über das wir heute hier debattieren . Es geht um das Recht, sich unbehelligt, unbehindert, unbefangen, frei und ohne Rechtfertigungsdruck
und ohne aufgezwungenen Kontakt bewegen zu können,
leben zu können, entscheiden zu können . Dieses Recht ist
durch beharrliche Nachstellungen massiv beeinträchtigt .
Aus der Perspektive des Täters geht es um das Bestreben, Kontrolle zu gewinnen, Macht über jemand anderes
auszuüben, das Opfer zu belästigen, es zu verängstigen,
sich selbst immer wieder in Erinnerung zu bringen, und
das mit all den Möglichkeiten, die man im digitalen Zeitalter hat, also per Telefon, per SMS, über Facebook, über
Pakete, die man nicht selber bestellt hat, per Brief oder
ganz real, indem man dem Opfer schon morgens auf der
gegenüberliegenden Straßenseite auflauert.
Für das Tatopfer hat das über viele Jahre hinweg weitreichende psychische oder soziale Folgen: Misstrauen,
Angst, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen . Das zeigt
auch, dass es hier um eine Facette eines Themas geht, mit
dem wir uns hier schon häufig beschäftigt haben. Es geht
immer wieder um den Schutz des Opfers vor Verletzung
seines Rechts auf Selbstbestimmung seines Privatlebens
und seiner sexuellen Selbstbestimmung . Es geht um
Freiheit, die Entfaltung der Persönlichkeit, den Schutz
vor Übergriffen der unterschiedlichsten Art, angefangen
bei dem Thema Kinderpornografie, wo es um sexuelle
Übergriffe und voyeuristische Bloßstellung geht, Strafbarkeit des Menschenhandels, wo es um Einschränkungen der Freiheit geht, um sexuelle Selbstbestimmung .
Den Vergewaltigungsparagrafen haben wir gerade unter
dem Stichwort „Nein heißt nein“ reformiert . In all diesen
Fällen geht es jetzt letztendlich darum, dass die Freiheit,
Nein zu sagen, respektiert werden muss, auch im Fall des
Stalking .
Es wäre schön, wenn dies jetzt der Schlussstein im
Ausbau dieses Schutzes wäre . Das ist er noch nicht . Es
bleiben noch andere Dinge übrig, die zu tun wären . Ich
nenne hier kurz, dass wir Verbesserungen beim Cyber
Grooming wollen - das ist eine Handlung zur Vorbereitung von Übergriffen -, bei der Strafbarkeit bei Kinderpornografie, bei Zuhälterei und sexueller Ausbeutung.
Blicken wir über das Strafrecht hinaus, dann gehört auch
die Bekämpfung von Kinderehen in den weiten Kontext
dieses Themas .
Meine Vorredner haben schon vorgetragen, was sich
ändert . Ich möchte noch einmal auf den Fall der Bloggerin Mary Scherpe zurückkommen . Sie wurde jahrelang
gestalkt . Sie hat dann alle Unterlagen gesammelt - alle
Mails, alle SMS und dergleichen - und ist mit diesen Belegen zur Staatsanwaltschaft gegangen . Es wurde damit
abgetan, es seien nur Belästigungen . Sie fand dann den
Knackpunkt heraus, nämlich dass es an ihr selber lag, sie
war zu taff, zu stark und hat sich davon nicht beeinträchtigen lassen . Sie sagt selber: Ich war kein gutes Opfer .
Das darf natürlich nicht stehen bleiben . Das wäre die
völlig falsche Zielrichtung; denn es darf nicht das Opfer
gezwungen werden, sein Verhalten zu ändern, sondern es
geht darum, auf den Stalker einzuwirken und ihm klarzumachen, dass er sich strafbar und übergriffig verhält.
({0})
Das ist der Grund, weshalb wir diese Änderung im
Tatbestand vollziehen . Die Tat des Täters muss nur noch
objektiv geeignet sein, das Leben des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen .
Es wurde schon angesprochen, dass wir das Delikt aus
dem Katalog der Privatklagedelikte herausnehmen, um
auch dort das Opfer zu stärken . Parallel dazu wollen wir
im Zivilrecht das Gewaltschutzgesetz anpacken, um auch
hier zu einer besseren Durchsetzbarkeit der Vereinbarungen zu kommen . Ich denke, dass wir hier auf einem sehr
guten Weg sind, und freue mich auf die Beratungen im
Detail .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die
Grünen ist Katja Keul .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Aufgrund meiner kürzeren Redezeit werde ich
mich auf diesen Gesetzentwurf beschränken . Damit will
die Bundesregierung den Schutz gegen Nachstellungen
verbessern . Das ist ein lobenswertes Anliegen . Darin sind
wir uns alle einig . Es hat sich gezeigt, dass es nach der
geltenden Gesetzeslage für Opfer von Nachstellungen oft
schwierig ist, wirkungsvollen gerichtlichen Schutz zu erlangen . Allerdings ist nicht jede Verschärfung von Strafrecht gleichzusetzen mit einem besseren Opferschutz .
({0})
Hier gilt es, zu differenzieren .
Ich will mit dem Positiven beginnen: die Änderung in
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes . Bislang war nur die Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Anordnungen strafbar .
Die meisten Gewaltschutzverfahren werden allerdings
in der Praxis durch Vergleich beendet . Verstößt dann der
Antragsgegner gegen diesen Vergleich, war eine Strafverfolgung bislang nicht möglich . Das soll nun anders
werden . Wenn der Vergleich gerichtlich bestätigt worden
ist, wird der Verstoß dagegen künftig strafbar, und das ist
auch richtig so .
({1})
Auch die Streichung des Auffangtatbestandes der Vornahme einer vergleichbaren Handlung ist zu begrüßen .
So ein schwammiges Tatbestandsmerkmal hat im Strafrecht nichts zu suchen und ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz kaum zu vereinbaren . Die Streichung haben
wir daher bereits 2006 gefordert .
Kommen wir aber nun zum kritischen Punkt . Die Umgestaltung des Tatbestandes des § 238 StGB von einem
Erfolgs- in ein abstraktes Gefährdungsdelikt halte ich
nicht für geeignet, um einen besseren Schutz vor Nachstellungen zu bewirken . Bisher ist der Tatbestand des
§ 238 StGB nur erfüllt, wenn das Opfer durch die Nachstellungshandlungen in seiner Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt wird . Eine solche schwerwiegende Beeinträchtigung wird von der Rechtsprechung unter
anderem dann angenommen, wenn das Opfer weitgehende Schutzvorkehrungen wie etwa den Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung veranlasst .
Nach dem neuen Gesetzentwurf soll es künftig ausreichen, wenn das Täterverhalten potenziell dazu geeignet
ist, eine gravierende Beeinträchtigung herbeizuführen .
Ein tatsächlicher Erfolg soll nicht mehr notwendig sein .
Damit wird der Anwendungsbereich des Stalkingparagrafen bedenklich weit gefasst und die Strafbarkeit erheblich vorverlagert . Das wirft im konkreten Fall mehr
Fragen auf, als es Probleme löst . Soll die Eignung nur
dann nachweisbar sein, wenn das Opfer über konkrete
Reaktionen nachgedacht hat, und ist der Umstand, dass
das Opfer die Reaktion verworfen hat, ein Indiz dafür,
dass die Beeinträchtigung ungeeignet war?
Die Bandbreite möglicher Reaktionen des Opfers auf
eine Nachstellung ist vielfältig und nicht wissenschaftlich bestimmbar . Psychische Belastungen sind in jedem
Fall individuell unterschiedlich . Jegliche Verobjektivierung der Geeignetheit als Tatbestandsmerkmal ist daher
schwierig . Deshalb würde die Geeignetheit einer Handlung voraussichtlich weiterhin anhand derselben Anforderungen gemessen wie bisher . Das Opfer müsste dann
eine nach außen wahrnehmbare Reaktion in irgendeiner
Weise gezeigt haben . Die Probleme bleiben dieselben .
Auch der Nachweis des Tatvorsatzes ist schwierig . Die
Eignung zur Beeinträchtigung der Lebensgestaltung
müsste vom Vorsatz des Täters umfasst sein .
Die weite Fassung des Tatbestandes kann außerdem
Verhaltensweisen erfassen, die gar nicht erfasst werden
sollen . Beispielsweise könnten Journalisten, die sich zu
Recherchezwecken in die Nähe von anderen Personen
begeben, in die Gefahr geraten, wegen Nachstellung angezeigt zu werden .
Dabei ist die Umgestaltung des Tatbestandes des
§ 238 StGB zum Eignungsdelikt keineswegs alternativlos . Schwerwiegende Beeinträchtigungen können nämlich auch erhebliche psychische Belastungen sein, die
sich nicht äußerlich niedergeschlagen haben . Die Rechtsprechung hat dies allerdings dem bisherigen Wortlaut
des Paragrafen bislang nicht entnehmen wollen . Warum
setzen Sie also nicht beispielsweise beim Merkmal der
schwerwiegenden Beeinträchtigung an und stellen ausdrücklich klar, dass psychische Belastungen dazugehören?
({2})
Im Gegensatz zur Eignung können psychische Belastungen eher, zum Beispiel durch psychologische Gutachten
oder Krankschreibungen, belegt werden . Nachweisprobleme würden so vermindert werden .
Auch innerhalb des Gewaltschutzgesetzes sind weitere Änderungen möglich . Der § 1 könnte erweitert werden, um weitere Erscheinungsformen des Stalkings zu
erfassen. Denn das Gewaltschutzgesetz kann oft flexiblere, effektivere und schnellere Abhilfe schaffen als ein
Strafverfahren .
Nicht geeignet ist hingegen die Umwandlung des Tatbestandes des § 238 StGB in ein Eignungsdelikt . Von
diesem rechtsstaatlich problematischen Vorhaben sollten
Sie Abstand nehmen .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dirk Wiese das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Einführung des Stalkingparagrafen
unter der sozialdemokratischen Justizministerin Brigitte
Zypries im Jahr 2006 war aus meiner Sicht ein bedeutender Schritt für den Opferschutz und ein wichtiges Signal
des Gesetzgebers . Denn - Sie gestatten mir, dass ich aus
der damaligen Debatte zitiere -:
Stalking ist keine Privatsache, keine Sache von verschmähten Liebhabern, sondern strafwürdiges Unrecht .
Dieser Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat leider
an Aktualität nichts verloren .
Über die vergangenen Jahre haben sich in der Praxis
Anwendungsdefizite gezeigt, die nun eine Nachbesserung erforderlich machen . Denn auch bei Gesetzen, die
bei der Verabschiedung richtig waren, muss man nach
einem gewissen Zeitablauf und einer gewissen Beobachtung manchmal nachjustieren .
Wie wichtig dieser Schritt ist, den wir hier heute angehen, belegt übrigens auch ein Blick in die Polizeiliche
Kriminalstatistik: 2014 wurden bundesweit noch rund
21 000 Fälle erfasst, 2015 waren es nur 19 000 . Allerdings geben Experten, die in den Beratungsstellen tätig
sind, für den gleichen Zeitraum an, dass sie mit immer
mehr Fällen zu tun bekommen . Wir sehen also, dass trotz
steigender Fallzahlen immer weniger Fälle zur Anzeige
gebracht werden . Einer der Gründe liegt leider auf der
Hand: Die Opfer gehen nicht mehr zur Polizei; denn sie
haben das Gefühl, dass das nichts bringt und ihnen dort
nicht geholfen werden kann .
Wenn Bürgerinnen und Bürger Straftaten erst gar
nicht zur Anzeige bringen, weil sie kein Vertrauen in die
Bestrafung der Täter haben, dann muss das für uns alle
ein Weckruf sein, der deutlicher nicht sein kann .
({0})
Deshalb haben wir von der SPD dafür Sorge getragen,
dass die Verbesserung des Schutzes vor Stalking, Nachstellung, in dieser Wahlperiode angegangen wird . Ich
danke Herrn Bundesjustizminister Heiko Maas und
Herrn Staatssekretär Christian Lange für die Vorlage des
Gesetzentwurfs . Frau Winkelmeier-Becker, Sie haben
gerade in einem Nebensatz erwähnt, dass es etwas gedauert hat, bis der Gesetzentwurf vorlag . Leider wurden
unter Schwarz-Gelb keine Verbesserungen in Angriff genommen . Es zeigt sich an dieser Stelle: Es bedarf eines
sozialdemokratischen Justizministers, damit dieses Problem wieder angegangen wird .
({1})
Ich gebe auch zu bedenken - da möchte ich meiner
Kollegin Wawzyniak recht geben -, dass es mehr bedarf .
Es bedarf einer Sensibilisierung der Gesellschaft im präventiven Bereich . Aber so wichtig der präventive Bereich
auch ist: Wir müssen im Strafrecht Tatbestände reaktiv
erfassen . Darum ist es richtig, dass es den § 238 im Strafgesetzbuch gibt und dass wir ihn an dieser Stelle noch
einmal anpassen .
Lassen Sie mich auf zwei Kernpunkte eingehen, die
aus meiner Sicht die Verurteilung von Stalkern bisher
erschwert haben . Erstens - Staatssekretär Lange hat es
angesprochen -: Die Strafbarkeit von Stalking war bisher als Erfolgsdelikt ausgestaltet . Nehmen wir folgendes
Beispiel: Ein Stalker, der jahrelang seine Exfreundin
verfolgt, ihr womöglich ständig auflauert, ihr Umfeld
kontaktiert und sie mit Geschenken und Bestellungen
bombardiert, kurzum: ihr gesamtes privates Leben, ihren Alltag zur Hölle macht, konnte nicht verurteilt werden, wenn das Opfer standhaft blieb, nicht dem enormen
Druck nachgegeben hat, nicht wegzog oder möglicherweise nicht den Arbeitsplatz gewechselt hat . Solche Konstellationen sind keine Seltenheit .
In meinem Wahlkreis im Sauerland gibt es einen Fall,
wo ein Pfarrer seit 15 Jahren gestalkt wird, aber die Bestrafung der Stalkerin mangels schwerwiegender Beeinträchtigungen bis zum heutigen Tage nicht möglich
gewesen ist . Das kann aus meiner Sicht nicht sein . Darum ist es richtig, dass wir hier nachjustieren . Die Ausgestaltung als Eignungsdelikt ist daher ein richtiger Weg,
um Opfer besser zu schützen . Es ist gut, dass wir das an
dieser Stelle auf den Weg bringen .
Der zweite wichtige Punkt ist, dass der Straftatbestand
der Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte
gestrichen wird . Wir haben heute fraktionsübergreifend
Zustimmung dazu vernommen . Ich denke, es ist wichtig,
dass wir die entsprechenden Regelungen auf den Weg
bringen .
Abschließend möchte ich sagen: Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf für wichtig, um Stalkingopfer
besser zu schützen und eine Verurteilung der Täter zu erleichtern . Ich bin gespannt auf die Fachanhörung . Falls
es an der einen oder anderen Stelle notwendig ist - der
ein oder andere Kollege hat darauf hingewiesen, Frau
Wawzyniak auch -, dann kann durchaus das Struck’sche
Gesetz noch zur Anwendung kommen; denn wir wollen
die Opfer wirklich schützen . Das soll mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt hat Ulle Schauws, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort .
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Kolleginnen und
Kollegen! Ständiges Auflauern, Telefonterror, permanente E-Mails - wie in einem schlechten Film, und der will
nicht enden: Die Fantasie von Stalkern und Stalkerinnen
ist nahezu unbegrenzt, um ihren Opfern oft jahrelang
nachzustellen . Rund 20 000 Anzeigen gab es laut Kriminalstatistik aus dem Jahr 2015, die Dunkelziffer liegt
viel höher .
Die meisten Opfer von Stalking sind in ihrer Lebensführung stark eingeschränkt und nicht selbstbestimmt .
Ihr Alltag wird dominiert vom Gefühl der Bedrohung
und der Angst . Viele erleiden schwerwiegende körperliche und seelische Schäden . Traumatisierungen sind
oft die Folge . Insoweit war es gut, dass der sogenannte
Nachstellungsparagraf, § 238, 2007 endlich in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde . Aber für die meisten
Stalkingopfer blieb dieser Paragraf bis heute eine Enttäuschung . Die Verurteilungsrate lag nach der Kriminalstatistik von 2014 nur bei etwa 20 Prozent . Das ist
alarmierend . So geht es nicht weiter, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({0})
Die meisten Täter kommen davon, weil die rechtlichen
Hürden für eine Verurteilung zu hoch sind, eben weil die
Opfer eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Lebensgestaltung nachweisen müssen, und das kann nicht
sein . Den Opfern darf nicht länger zugemutet werden,
letztlich ihr ganzes Leben umkrempeln zu müssen, bevor
Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden
können .
({1})
Das widerspricht auch dem Opferschutz .
Insofern begrüße ich grundsätzlich den Vorstoß aus
dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz . Das war überfällig . Es muss alles getan werden,
damit Opfer von Stalking wieder selbstbestimmt leben
können . Ihr Gesetzentwurf enthält durchaus Verbesserungen, zum Beispiel die Umwandlung des Privatklagedelikts in ein Antragsdelikt . Doch insgesamt greift er
noch zu kurz, um tatsächlich und konsequent helfen zu
können . Meine Kollegin Katja Keul hat das eben bereits
ausführlich dargestellt .
Wir schlagen deshalb Ergänzungen und eine Erweiterung im Gewaltschutzgesetz vor . Es muss umfassender
Schutz ermöglicht werden . Darum muss es gehen .
({2})
Es ist eine Tatsache, dass Frauen sehr viel häufiger
von Stalking betroffen sind . 80 Prozent der Opfer sind
weiblich, 86 Prozent der Täter sind männlich . Meist trifft
es Frauen, die sich von ihren Partnern getrennt haben .
Dass Expartner die Trennung nicht akzeptieren können
und versuchen, weiter Kontrolle über die Frau auszuüben, macht deutlich: Es geht um das Thema Macht und
Besitztum . Bei Stalking handelt es sich auch um eine geschlechtsspezifische Problematik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein besserer Rechtsschutz für Opfer ist unabdingbar . Darüber hinaus bedarf
es eines funktionierenden Hilfenetzes . Es müssen weitere
Fachberatungsstellen auf- und ausgebaut werden, in denen Betroffene Unterstützung und Hilfe im Umgang mit
Stalking erhalten können, ebenso Beratung und Hilfe bei
rechtlichen Schritten . Auch die wichtigen Schulungen
von Justiz und Polizei sollten weiter intensiviert werden .
({3})
Nur mit effektivem Rechtsschutz und guten Beratungsstrukturen kann ein wirksamer Opferschutz erreicht werden . Dafür müssen Sie alles tun . Dafür müssen wir alle
gemeinsam auch die gesellschaftliche Sensibilisierung
voranbringen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Dr . Volker Ullrich .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sprechen heute über viele Zehntausende
Menschen in diesem Land, die albtraumhafte Begebenheiten erleiden müssen . Wir reden über den alltäglich
bangen Blick aufs Mobiltelefon, über den verängstigten
Blick über die Schulter, über die Angst, ans Telefon zu
gehen, weil er doch wieder anrufen könnte, derjenige,
der einer Person nachstellt, der ihr das Leben zur Hölle macht . Wir sprechen über Zehntausende Fälle, über
Zehntausende Menschen, die sich in ihrer eigenen Haut
nicht mehr wohlfühlen, die sich kaum aus dem Haus trauen oder Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte zu pflegen, weil ein anderer nicht akzeptiert, wie dieser Mensch
leben will oder welche Entscheidung er getroffen hat .
Das allein ist es aber noch nicht . Die Nachstellungen
tragen ein Eskalationspotenzial in sich . Das kann sogar
so weit gehen, dass es zu ganz schweren Rechtsverletzungen kommt, zu tatsächlichen Körperverletzungen, ja
sogar von Todesfällen ist auch in jüngster Zeit die Rede
gewesen . Deswegen ist der Schutz vor Nachstellungen
ein wichtiges strafrechtliches Anliegen . Er liegt im Kernbereich dessen, wozu Strafrecht gemacht ist: den Schutz
der Opfer sicherzustellen .
Wir haben hier erst eine sehr kurze, aber, wie ich meine,
doch bemerkenswerte rechtspolitische Geschichte vorzuweisen . Bis vor zehn Jahren kannte das Strafrecht gar
keinen Schutz vor Nachstellungen, sondern es mussten
zusätzlich Straftatbestände verwirklicht werden: Hausfriedensbruch, sexuelle Nötigung, Beleidigung, schwere
Körperverletzung . Es war auch eine Große Koalition, die
im Jahr 2006 den § 238 StGB normiert hat . Heute ist es
Zeit - das ist auch unsere Pflicht -, Bilanz zu ziehen. Wir
haben nach zehn Jahren § 238 StGB festzustellen, dass
er ein guter erster Schritt war, um vor Nachstellungen
zu schützen . Aber er ist in seiner derzeitigen Form noch
nicht ausreichend . Deswegen werden wir nachlegen und
ein gutes Gesetz noch besser machen .
Die Fallzahlen sprechen dafür, dass wir diesen Paragrafen ändern müssen . Wenn von etwa 20 000 Anzeigen im Jahr nur etwa 1 bis 2 Prozent zur Verurteilung
kommen und man auch noch einpreisen muss, dass viele
Menschen aus Angst und Scham gar nicht erst Anzeige
erstatten, dann zeigt das, dass dieser Paragraf in seiner
Konstruktion gut gemeint war, aber nicht in jeder Form
auch hundertprozentig gut gemacht . Deshalb haben wir
auch den Mut, zu sagen: Wir verbessern diesen Paragrafen .
({0})
Es ist den Menschen schwer zu vermitteln, dass derjenige, der Opfer einer Straftat wird, sein Verhalten erst
ändern muss und damit genau den Erfolg eigentlich
herbeiführen muss, den sich der Täter von seinem Opfer wünscht . Für uns ist klar: Nicht das Opfer muss sein
Verhalten ändern, sondern der Täter muss seiner Rechenschaft zugeführt werden . Das ist der Kern eines verantwortungsvollen Strafrechts .
({1})
Deswegen, denke ich, ist es richtig, zu sagen, dass die
Deliktform, die sich jetzt von einem Erfolgs- zu einem
Eignungsdelikt ändert, die richtige Form ist, weil auch
bei einem Eignungsdelikt natürlich schon eine Rechtsverletzung vorliegt . Sie liegt bereits darin, dass der Täter
eine Handlung vollzieht, die geeignet ist, eine schwerwiegende Folge herbeizuführen, dass er ein Verhalten
an den Tag legt, welches typischerweise zu schweren
psychischen Belastungen führt: zu den eben von mir beschriebenen Angstzuständen, zu dem Umstand, dass sich
jemand nicht mehr traut, auf die Straße zu gehen, und zu
vielen Hunderten oder Tausenden Anrufen . Allein dieser
Umstand hat doch bereits einen Unrechtsgehalt an sich .
Deswegen ist es richtig, dass dieser Paragraf zukünftig
ein Eignungsdelikt ist; denn durch den Charakter des
Eignungsdeliktes kann er den Opferschutz viel stärker
verwirklichen .
Vor diesem Hintergrund ist es ebenso richtig, dass wir
dem Privatklageweg im Bereich von Nachstellungen ein
Ende bereiten . Es war vielleicht gut gedacht, dass jeder,
wenn die Schwelle noch nicht vorhanden war, dass der
Staatsanwalt tätig wird, sein Recht selbst in die Hand
nehmen sollte . Aber gerade im Fall von Nachstellungen
haben wir die Konstellation, dass das Opfer seinem Peiniger, demjenigen, der nachstellt, gerade nicht begegnen
möchte .
Wenn Sie das Opfer nun auf den Privatklageweg verweisen, ist es ja gerade in der Situation, dass es seinem
Täter vor Gericht begegnen muss, dass es selbst einen
Prozess gegen den Täter anstrengen muss, wodurch es
vor Gericht möglicherweise sogar zu einer Konfrontationssituation Täter/Opfer kommt - was der Täter vielleicht sogar herbeiführen möchte . Deswegen war der
Privatklageweg aus Gründen eines objektiven Opferschutzes der falsche, und daher ist es richtig, wenn wir
ihn streichen und sagen: Stalking, Nachstellungen, ist ein
schwerwiegendes Delikt, das in die Lebenssphäre eingreift . Hier müssen die Staatsanwaltschaften selbst tätig
werden . Sie müssen es unterbinden, und der Rechtsstaat
muss hierbei zur Geltung kommen .
({2})
Meine Damen und Herren, die Botschaft der heutigen Debatte muss auch sein, dass die Opfer von Nachstellungen nicht allein sind, weil ihnen dieser Rechtsstaat zukünftig noch mehr Schutz gewährleistet . Aber
sie sind auch nicht allein, weil durch diese Debatte die
Botschaft ausgesendet wird, dass wir eine Sensibilisierung für die Opfer brauchen, dass sie nicht alleingelassen
werden, dass Menschen, die Opfer von Nachstellungen
werden, auch Verständnis in ihrem Freundes- und Verwandtenkreis bekommen, dass auch die Kollegen am
Arbeitsplatz, die mitbekommen, dass eine Kollegin oder
ein Kollege gestalkt, dass sie oder er Opfer von Nachstellungen wird, ihr bzw . ihm schützend zur Seite stehen,
dass diese Gesellschaft insgesamt nicht akzeptiert, wenn
Menschen Opfer von Nachstellung, von Bestellungen,
von Anrufen, von SMS werden, dass jeder die Verpflichtung wahrnimmt, Menschen zu schützen und zu einem
gedeihlichen und guten Miteinander beizutragen .
In diesem Sinne freue ich mich auf gute Beratungen .
Ich hoffe, dass wir aus einem guten Gesetzentwurf ein
Gesetz machen, welches die Opfer schützt und damit
stärker dazu beiträgt, dass viele Menschen weniger stark
mit Angst konfrontiert sein müssen .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Fritz Felgentreu das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine
Frau wird verfolgt . In diesem Fall erleidet sie Stalking
durch eine andere Frau . Die Täterin bedient sich einer
breiten Palette von Belästigungen: beleidigende Anrufe
und SMS, Anspucken auf der Straße, Verfolgung bis vor
die eigene Haustür, Belagerung der Wohnung . Die Betroffene muss sich in psychiatrische Behandlung begeben . Sie kann nicht mehr schlafen . Sie lässt die Rollläden
herunter . Sie geht nur noch vor die Tür, wenn es nicht
anders geht . Schließlich lässt sie sich vom Weißen Ring
beraten und entscheidet sich, das Stalking zu ignorieren .
Diese Strategie ist irgendwann erfolgreich . Nach ein paar
Monaten lässt die Täterin von ihr ab . Dies ist ein Fall aus
der Praxis, berichtet im Februar dieses Jahres in der Zeit .
Lieber Kollege Ullrich, die Geschichte dieser Frau ist
ein Beispiel dafür, warum wir den Stalkingparagrafen im
Strafgesetzbuch ändern wollen, und zwar nicht nur aus
der Sicht der Rechtspolitik, sondern auch aus der Sicht
der Familien- und Frauenpolitik . Ich spreche hier heute
als Mitglied des Familienausschusses . Uns geht es natürlich besonders darum, häuslicher Gewalt und der Gewalt
gegen Frauen vorzubeugen . Prävention ist aus diesem
Blickwinkel fast noch wichtiger als Strafverfolgung .
Strafverfolgung muss immer auch der Prävention dienen .
Deshalb war es ein dringend gebotenes und ein richtiges
Signal, das der Bundestag 2007 Tätern wie Opfern gegeben hat . Damals wurde ganz klar: Stalking ist Unrecht .
Stalking ist Gewalt . Der Rechtsstaat stellt Stalking unter
Strafe .
({0})
Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass
die präventive Wirkung von Strafgesetzen begrenzt ist,
gerade auch in Stalkingfällen . Denn Stalker haben nur
selten ein Unrechtsbewusstsein . Im Gegenteil: Meistens
fühlen sie sich von der Person ungerecht behandelt, der
sie nachstellen . Dennoch hat die gesellschaftliche und
strafrechtliche Ächtung der Tat einen hohen Wert . Sie
wirkt langfristig . Denn wenn wir in allen Köpfen verankert haben, dass Stalking Unrecht ist, dann wächst allmählich auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle . Stalking
ist auch immer ein Kontrollverlust des Täters . Wer merkt,
dass er dabei ist, zum Stalker zu werden, der kann im
selben Moment damit aufhören . Tut er es dennoch nicht,
dann entscheidet er sich bewusst dafür, ein Verbrechen
zu begehen .
Um aber das Unrecht zu bestrafen, das der Frau angetan wurde, von der ich eben erzählt habe, ist der Stalkingparagraf in seiner jetzigen Form nicht geeignet; denn sie
hat sich letztlich durchgesetzt . Mit einer großen Kraftanstrengung hat sie die Nerven behalten und ihr Leben
weitergelebt . Unser Recht bestraft aber bisher, wie wir
gehört haben, nicht die Tat, sondern deren AuswirkunDr. Volker Ullrich
gen . Nur wenn das Opfer sein Leben nicht so weiterleben kann wie bisher, dann muss der Täter mit Strafe und
sogar mit Gefängnisstrafe rechnen . Im Umkehrschluss
bedeutet das: Wenn ein Fall wie dieser angezeigt wird,
dann wird das Ermittlungsverfahren wahrscheinlich eingestellt mit dem völlig inakzeptablen Ergebnis, dass der
Täter oder hier die Täterin sich auch noch bestätigt fühlen kann . Denn nach geltendem Recht hat sie scheinbar
nichts Verbotenes getan .
Die SPD-Fraktion begrüßt deshalb die vorgeschlagene
Neufassung. Auch die Geeignetheit zur Bestrafung finden wir richtig . Diese juristische Formulierung bedeutet
aus unserer Sicht: Die Tat soll bestraft werden und nicht
ihre Wirkung .
({1})
Wir schärfen damit auch das Bewusstsein dafür, dass
Stalking Unrecht ist . Dieses Bewusstsein ist der bestmögliche Schutz für die meistens weiblichen potenziellen Opfer eines Delikts mit hoher Dunkelziffer .
Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist eine
Herausforderung für die ganze Gesellschaft . Die geplanten Gesetzesänderungen werden dafür sorgen, dass das
Strafrecht in Zukunft in einem Punkt wirkungsvoller zum
Schutz gegen Gewalt beitragen kann. Das finden wir gut,
das finden wir richtig. Wir freuen uns auf die Debatte, die
vor uns liegt .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Ich wünsche Ihnen einen
schönen Tag und begrüße Sie von meiner Seite . Erlauben
Sie mir bitte, die Elisabethschule aus Aichach recht herzlich zu begrüßen .
Das ist bei uns ums Eck; manche werden es wissen .
({0})
- Kollege Ullrich weiß das .
Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte ist Frau
Iris Ripsam für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe kennt keine Grenzen - das klingt
romantisch . Wenn aber aus Liebe grenzenlose Belästigung wird, dann, meine Damen und Herren, hat das mit
Liebe nichts mehr zu tun . Bei dem strafrechtlich relevanten Nachstellen, dem sogenannten Stalking, sind Täter
und Opfer sehr häufig, aber nicht ausschließlich ehemalige Beziehungspartner . Nach einer Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim werden fast
12 Prozent aller Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens mindestens einmal gestalkt . Wir sprechen hier
also nicht von einer verschwindend geringen Minderheit .
Meine Damen und Herren, wenn von der Liebe nichts
mehr bleibt als Angst, dann müssen wir den Opfern zur
Seite stehen .
({0})
Das bedeutet aber auch, dass wir die Opfer von Nachstellungen ausreichend schützen müssen, also mit den
Mitteln des Strafrechts . Seit neun Jahren ist Stalking ein
Straftatbestand . Dennoch kommt es auffallend selten zu
einer Verurteilung . Was sind die Gründe dafür?
Das Nachstellen ist nach geltender Rechtslage ein Erfolgsdelikt . Dies bedeutet, dass Stalking erst dann strafbar ist, wenn das Opfer dem Druck des Täters nachgibt
und beispielsweise aus Furcht vor diesem den Wohnort
oder den Arbeitgeber wechselt; erst dann kann es zu einer
Verurteilung kommen . Dabei muss dem Täter nicht nur
eine Belästigung über einen längeren Zeitraum nachgewiesen werden . Vielmehr muss auch bewiesen werden,
dass die Nachstellung zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Lebensumstände geführt hat .
In einem jüngst bekannt gewordenen Fall hatte eine
Münchnerin den Täter mehrfach angezeigt und war aus
Furcht mehrmals umgezogen . Dennoch wurde sie zwei
Tage vor Prozessbeginn von besagtem Täter mit einem
25 Zentimeter langen Messer erstochen . Meine Damen
und Herren, dieser Fall ist nicht nur einer von vielen, in
denen jede Hilfe für die Opfer zu spät kommt . Der Fall
weist gravierende Lücken des geltenden Straftatbestandes des § 238 des Strafgesetzbuches beim Opferschutz
auf . Das Opfer hat alles getan, um den Nachstellungen
des Täters zu entkommen . Mehr konnte es nicht tun .
Dennoch wurde es vom Täter erstochen . Der Opferschutz war somit zu Recht ein großes Thema der Union
und des Koalitionsvertrages, dessen Auftrag wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen .
Beim Stalking stehen vielen Strafanzeigen auffällig
wenige Verurteilungen gegenüber . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist alles andere als ein Aushängeschild
für unseren Rechtsstaat . Daher war und ist es ein großes
Anliegen der Union, die strafrechtlichen Hürden für eine
Verurteilung zu senken .
({1})
Die vorgesehene Änderung der Rechtslage ist im Interesse der Opfer notwendig . Künftig soll nicht mehr das
Opfer seine Lebensumstände ändern müssen, sondern
der Täter . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Bestrafung muss möglich sein, ohne dass das Opfer sich
selbst helfen muss, beispielsweise durch einen Umzug .
Die gegenwärtige Regelung benachteiligt vor allen Dingen Opfer, die sich etwa einen Umzug aus finanziellen
Gründen nicht leisten können. Häufig betrifft dies alleinerziehende Mütter . Für die Strafbarkeit muss es daher
ausreichen, dass aus einem verfolgenden und belästigenden Nachstellen eine Gefahr für das Opfer resultiert;
denn nur dann besteht noch die Möglichkeit, Schlimmeres zu verhindern .
Meine Damen und Herren, ich begrüße auch ausdrücklich die weitere in diesem Gesetzentwurf vorgesehene Änderung, mit der der Straftatbestand der NachstelDr. Fritz Felgentreu
lung aus dem Katalog der Privatklagen gestrichen wird .
Wir reduzieren damit die Belastung der Opfer, die bisher selbst ein Verfahren anstrengen mussten, wenn die
Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt und auf den
Privatklageweg verwiesen hat . Dies war im Einzelfall
mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden ein aus Sicht der Opfer unhaltbarer Zustand .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende
Gesetzentwurf ist ein großer Schritt in Richtung Opferschutz . Und ich füge hinzu: Im Interesse der Opfer müssen wir schnell handeln . - Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Ripsam . Ich gratuliere
Ihnen auch - da können die Kolleginnen und Kollegen
gleich noch einmal losklatschen - herzlich zu Ihrer ersten
Rede, und das tue ich im Namen des ganzen Hauses .
({0})
Ich wünsche Ihnen noch viele streitbare und gute Reden
in diesem Haus . Und grüßen Sie den Kollegen Strobl!
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9946 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt
keine anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 k sowie
die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
33 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung der Bundespolizei
in den Anwendungsbereich des Bundesgebührengesetzes
Drucksache 18/9759
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 27. Juni 1997 zur
Neufassung des internationalen Übereinkommens vom 13. Dezember 1960 über
Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL“
Drucksache 18/9877
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 8. Oktober
2002 über den Beitritt der Europäischen
Gemeinschaft zum Internationalen Übereinkommen vom 13. Dezember 1960 über
Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ entsprechend
den verschiedenen vorgenommenen Änderungen in der Neufassung des Protokolls vom 27. Juni 1997
Drucksache 18/9878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2014/55/EU
über die elektronische Rechnungsstellung
im öffentlichen Auftragswesen
Drucksache 18/9945
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss Digitale Agenda
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur
Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung
von Mineralöldaten und zur Umstellung
auf hochkalorisches Erdgas
Drucksache 18/9950
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes
Drucksache 18/9951
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Zollverwaltungsgesetzes
Drucksache 18/9987
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 7. April 2016
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der
Französischen Republik über den grenzüberschreitenden Einsatz von Luftfahrzeugen zur Ergänzung des Abkommens
vom 9. Oktober 1997 über die ZusamIris Ripsam
menarbeit der Polizei- und Zollbehörden
in den Grenzgebieten
Drucksache 18/9988
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum
Nordatlantikvertrag über den Beitritt
Montenegros
Drucksache 18/9989
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({9})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europäischen
Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von
Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziierungsräten EU - Republik Albanien sowie EU - Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der
Republik Albanien sowie der Republik
Serbien als Beobachter an den Arbeiten
der Agentur der Europäischen Union für
Grundrechte und die entsprechenden
Modalitäten im Rahmen der Verordnung
({10}) Nr. 168/2007 des Rates
Drucksache 18/9990
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Das Teilhaberecht menschenrechtskonform gestalten
Drucksache 18/10014
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({13})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Beate Walter-Rosenheimer, Maria KleinSchmeink, Dr . Franziska Brantner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern
Drucksache 18/9856
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({14})
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fahrverbot für laute Güterwagen
Drucksache 18/10033
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen: Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 k sowie Zusatzpunkt 2 a . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die
Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Niemand zeigt mir körpersprachlich etwas anderes an . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Zusatzpunkt 2 b, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/10033 . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache .
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit .
Wir stimmen jetzt nach ständiger Übung zuerst über
den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen .
Damit ist die Überweisung so beschlossen . Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/10033 nicht in der Sache ab .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 f sowie
Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Das heißt, ich werde Ihnen jetzt länger etwas
vorlesen .
Tagesordnungspunkt 34 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats
vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von
Erträgen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus
Drucksache 18/9235
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({15})
Drucksache 18/9800
Vizepräsidentin Claudia Roth
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9800, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 18/9235 anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen, SPD, dagegengestimmt hat die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es niemanden
mehr, der sich enthalten könnte . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, die
SPD und die Grünen, und dagegen war die Linke .
Tagesordnungspunkt 34 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Strafrechtsübereinkommen des Europarats vom 27. Januar
1999 über Korruption und dem Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption
Drucksache 18/9234
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({16})
Drucksache 18/9850
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9850, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9234 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf einstimmig angenommen . Das passiert
auch nicht so oft . Vielen herzlichen Dank .
Tagesordnungspunkt 34 c:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2016/2017 ({17})
Drucksache 18/9533
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({18})
Drucksache 18/9865
- Bericht des Haushaltsausschusses ({19}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/9866
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9865, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/9533 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU, SPD und Linke, dagegen war niemand, und
enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD
und Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 34 d
bis 34 f und damit zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 34 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 364 zu Petitionen
Drucksache 18/9828
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 364 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 34 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 365 zu Petitionen
Drucksache 18/9829
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Niemand . Die Sammelübersicht 365 ist angenommen . Zustimmt haben CDU/CSU, SPD und Linke,
dagegengestimmt haben die Grünen .
Tagesordnungspunkt 34 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 366 zu Petitionen
Drucksache 18/9830
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 366 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Damit gibt es keine Enthaltungen .
Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vizepräsidentin Claudia Roth
Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge einführen
Drucksachen 18/8573, 18/10062
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10062, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8573 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und DIE LINKE
Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
Bundesstiftung Baukultur gemäß § 7 des Gesetzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung
Baukultur“
Drucksache 18/10021
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und die Linke auf Drucksache 18/10021? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen .
So, jetzt sind Sie wieder dran .
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zu CETA durch die Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Klaus
Ernst für die Linke .
({24})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um über die
Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts
hinsichtlich der vorläufigen Anwendung von CETA zu
beraten . Ich sage es Ihnen gleich an dieser Stelle: Es ist
aus meiner Sicht wirklich unverantwortlich, wie Sie einen Vertrag ohne Wenn und Aber vorläufig anwenden
wollten,
({0})
für dessen Anwendung Sie jetzt vom Bundesverfassungsgericht hohe Auflagen erteilt bekommen haben. Da
haben wir Sie geschützt . Dafür können Sie uns dankbar
sein .
({1})
Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet in einer
Pressemitteilung:
. . . die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13 .10 .2016 konnten . . . im Rat
einvernehmlich durchgesetzt werden .
Ist das wirklich so? Ich habe den Eindruck, dass die
Trickserei bei diesem Abkommen mit Geheimhaltung das galt ja sogar für das Mandat -, fehlender parlamentarischer Mitsprache, vom Minister ausgemalte Katastrophenszenarien, wenn CETA nicht zustande käme, jetzt
beim Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seine Fortsetzung findet.
Schauen wir uns im Detail an, was geregelt wurde .
({2})
- Im Gegenteil . - Das Bundesverfassungsgericht hat erstens entschieden: Die Bundesregierung muss entscheidende Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausnehmen - ich zitiere wörtlich aus dem Beschluss -:
… insbesondere Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems . . ., zu
Portfolioinvestitionen . . ., zum internationalen Seeverkehr . . ., zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen ... sowie zum Arbeitsschutz ...
nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst werden .
({3})
Ausgenommen werden sollen auch alle Bereiche, welche nach Auffassung der Bundesregierung - ich zitiere
wieder - „in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind“ . Dies sind, wie aus der Stellungnahme der
Bundesregierung in dem Gutachterverfahren von 2015
zur Kompetenzverteilung im Freihandelsabkommen mit
Singapur hervorgeht, zusätzlich zu den oben genannten Bereichen die Bereiche „nachhaltige Entwicklung“,
„Arbeit und Umwelt“, „Streitbeilegung“, „Herstellungspraxis für pharmazeutische Produkte“ und „Geistiges Eigentum“ gemäß Kapitel 20 CETA-Vertrag . So weit die
Vorgaben des Verfassungsgerichts .
Wie sieht die Umsetzung aus? Im Ratsdokument, das
uns seit gestern Abend mit den im Handelsministerrat
abgegebenen Protokollerklärungen zu CETA vorliegt,
wird zu einigen dieser Bereiche erklärt, dass mit deren
vorläufiger Anwendung keine Kompetenzübertragung
auf die EU stattfindet. Das hat das Bundesverfassungsgericht gar nicht gesagt . Das Bundesverfassungsgericht
hat gefordert: Diese Bereiche sollen ausgenommen werden . - Aber ausgenommen werden diese Bereiche gerade
nicht . Das, was Sie machen, ist etwas ganz anderes als
die Ausnahme der vorläufigen Anwendung.
({4})
Sie haben das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage nicht ernst genommen, meine Damen und Herren . In
keiner Weise!
Zum Bereich Streitbeilegung nach Kapitel 29
CETA-Vertrag und Herstellungspraxis für pharmazeuVizepräsidentin Claudia Roth
tische Produkte nach Annex 7 CETA-Vertrag haben Sie
überhaupt nichts gesagt . Das beinhaltet aber der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts . Dazu haben Sie
gar nichts erklärt .
({5})
Auch die zweite Auflage wird nicht umgesetzt. Regelungen zum Gemischten CETA-Ausschuss, also eines
Gremiums, das CETA verbindlich interpretieren und
manche Bereiche ändern könnte, dürfen nur dann vorläufig angewendet werden, wenn rechtsverbindlich eine hinreichende demokratische Rückbindung vereinbart wird,
so das Bundesverfassungsgericht .
({6})
Die Kommission erklärt nur, dass in diesem Zeitraum bis
zum Hauptverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
keine Erweiterung oder bindende Interpretationen zu
CETA zu erwarten sind . Das ist etwas ganz anderes als
das, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat,
meine Damen und Herren .
({7})
Der Rat und die Mitgliedstaaten sagen im Übrigen,
dass Entscheidungen des Ausschusses, die mitgliedstaatliche Kompetenzen betreffen, einstimmig angenommen
werden sollen . Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geht es aber um alle Beschlüsse, nicht nur um diejenigen, die als gemischt zu betrachten sind . Also auch
hier gibt es keine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils .
Auch die Umsetzung der dritten Auflage, nach der
eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung
durch Deutschland möglich sein muss, ist uneindeutig .
Hier wird auf EU-Verfahren abgestellt . Wie diese aussehen, wird nicht aufgeführt . Die Bundesregierung legt
den entsprechenden Artikel in CETA - anders als vom
höchsten Gericht gefordert - einfach so aus, dass man
einseitig aussteigen kann . Ob die anderen Länder und die
EU-Kommission das genauso sehen, ist vollkommen offen . Es heißt nur, man erkläre, dass man als Vertragspartei seine Rechte nach diesem Artikel wahrnehmen könne .
Wenn der Artikel aber anders ausgelegt wird, haben Sie
auch hier die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht erfüllt .
Wir sehen: Wieder einmal haben die vollmundigen Erklärungen des Bundeswirtschaftsministers wenig mit der
Realität zu tun . Sollte es bei dieser Erklärung bleiben,
behalten wir uns neuerliche rechtliche Schritte vor, meine Damen und Herren, um das in aller Klarheit zu sagen .
({8})
Wären Sie doch ähnlich standhaft wie Paul Magnette,
der Ministerpräsident der Wallonischen Region .
({9})
Er lässt sich nicht einschüchtern und kämpft für einen demokratischen Prozess, für ein gutes Abkommen statt für
ein Abkommen, das nur weniger schlecht ist als andere .
Respekt vor diesem Mann!
Ich danke fürs Zuhören .
({10})
Vielen Dank, Klaus Ernst . - Nächster Redner: Andreas
Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin, schön, dass Sie da sind .
({0})
Danke schön .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende gut, alles gut?
Ja, vielleicht . Vielleicht klappt es doch, dass am 27 . Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada unterschrieben wird und endlich ein Schlusspunkt gesetzt
wird, also dieses unwürdige Gerangel um dieses Freihandelsabkommen ein gutes Ende findet.
Was neben den ganzen juristischen Finessen wirklich
auf dem Spiel steht, hat der kanadische Premierminister
mit klaren Worten benannt . Er hat gesagt - ich zitiere -:
Wenn sich zeigt, dass Europa unfähig ist, einen fortschrittlichen Handelspakt mit einem Land wie Kanada abzuschließen, mit wem glaubt Europa dann
eigentlich noch in den kommenden Jahren Geschäfte machen zu können?
({0})
Meine Damen und Herren, diesem Satz ist nichts hinzuzufügen .
Um es noch klarer zu machen: Nicht die Mehrheit
der Mitgliedstaaten in Europa, sondern Deutschland, das
Land mit der größten Volkswirtschaft in Europa, Exportweltmeister seit vielen Jahren und die wirtschaftliche Lokomotive in Europa, kämpft gegen den Freihandel .
({1})
Da muss man sich doch die Frage stellen, ob wir hier in
einer verkehrten Welt leben .
Meine Damen und Herren, die Gefahr, die von einem
Scheitern von CETA für die Reputation unseres Landes
und natürlich für Europa ausgeht, hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Folgeabwägungen ganz klar erkannt . Denn der Senat schreibt darin unter anderem:
Ein - auch nur vorläufiges - Scheitern von CETA
dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhandelsbeziehungen … hinaus weit reichende Auswirkungen auf die Verhandlungen und den Abschluss
künftiger Außenhandelsabkommen haben .
Also auch hier gilt: Das Bundesverfassungsgericht hat
genau den Kern der Sache erkannt .
Herr Ernst, Sie haben ja bis heute nicht verstanden,
um was es eigentlich geht . Das, was Sie heute hier wieder
vorgetragen haben, kann ich gar nicht nachvollziehen;
denn all das ist Bestandteil des CETA-Abkommens und
ist Bestandteil der europäischen Gesetzgebung . Nach Ihrer Niederlage versuchen Sie jetzt natürlich, nach jedem
Strohhalm zu greifen, den Sie der Öffentlichkeit überhaupt noch hinhalten können .
({2})
- Herr Dehm, beruhigen Sie sich!
({3})
- Natürlich .
({4})
- Vielleicht in Ihren Augen . Wenn das ein Erfolg ist, Herr
Dehm, dann sind Ihre Erfolgsmaßstäbe, die Sie sich selber noch setzen, wirklich sehr niedrig .
({5})
Seit 2009 wird über CETA verhandelt, und die letzten
sieben Jahre der Verhandlungen haben sich für beide Seiten ausgezahlt . CETA ist das modernste Freihandelsabkommen, das zurzeit überhaupt existiert . CETA setzt die
Maßstäbe für die Gestaltung des Handels in der Zukunft .
({6})
Genau an dieser Stelle, meine Damen und Herren, werden ja auch die Unterschiede in diesem Hohen Haus sehr
deutlich . Während die Linken und auch die Grünen weiterhin versuchen, das Handelsabkommen zu torpedieren
und zu blockieren sowie mit halbwahren Elementen den
Menschen in der Öffentlichkeit Angst zu machen, haben
die Koalitionsfraktionen immer zu den Verhandlungen
über CETA gestanden und sie zu einem guten Abschluss
gebracht . Gerade die Verhandlungen in den letzten Wochen haben doch gezeigt, dass beide Seiten, Kanada und
die Europäische Union, auf einem guten Weg sind .
Dass Freihandel nicht wirklich die Aufmerksamkeit in
der Öffentlichkeit hat, wie Linke und Grüne immer wieder darzustellen versuchen, zeigt Folgendes: Wir haben
ein Abkommen mit Südkorea geschlossen . Wir haben
ein Abkommen mit Singapur geschlossen . Wir haben ein
Abkommen mit Vietnam ausgehandelt, das sich gerade
in der Rechtsprüfung befindet. Ich habe von beiden Oppositionsfraktionen nie einen Antrag in diesem Hohen
Haus gelesen, in dem sie sich mit diesen Abkommen befassen . Und die Europäische Union verhandelt mit Japan,
mit Tunesien, mit den Mercosur-Staaten und mit Mexiko
weitere Abkommen . Wir brauchen diese Freihandelsabkommen, weil der Doha-Prozess innerhalb der Welthandelsorganisation nicht mehr vorangekommen ist .
Ich sage es noch einmal: Deutschland als Exportweltmeister ist auf freien Handel angewiesen . Wir als CDU/
CSU-Fraktion stehen hinter CETA und hoffen, dass am
27 . Oktober die Unterschrift unter das Abkommen gesetzt wird .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, verehrter Andreas Lämmel . - Nächste
Rednerin: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD! Wieder einmal
wurde Ihnen bescheinigt, dass Sie in Sachen CETA nicht
einhalten können, was Sie versprechen .
({0})
Diesmal haben Ihnen die Richter in Karlsruhe eine Reihe
zusätzlicher Maßnahmen und Nachbesserungen mit auf
den Weg gegeben, die Sie in hektischer Weise bis zur
Ratssitzung am vergangenen Dienstag zu erfüllen versucht haben .
({1})
Ich kann sie noch einmal nennen: Zusätzliche Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung von CETA
mussten Sie bis gestern nachverhandeln genauso wie
die Herstellung einer Einstimmigkeit im Rat, bevor die
CETA-Ausschüsse Entscheidungen treffen können, weil
deren demokratische Rückbindung alles andere als klar
ist . Weiterhin wurde nachverhandelt, dass die Bundesrepublik die vorläufige Anwendung einseitig beenden kann.
All das hat Ihnen Karlsruhe mit auf den Weg gegeben,
weil nicht alles so eindeutig, so klar und so verfassungsmäßig war, wie Sie es dargestellt haben . Das Einziehen
all dieser Sicherheitslinien hat Ihnen Karlsruhe mit auf
den Weg gegeben; und diese mussten Sie sehr hektisch
nachverhandeln .
({2})
Man hätte meinen können: Nach dieser Klatsche in
Karlsruhe
({3})
hätten Sie wenigstens etwas im Umgang mit Gesetzen
gelernt .
({4})
Aber das Ganze setzt sich im Wirtschaftsausschuss fort .
({5})
Beispielsweise gibt es ein Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages, demzufolge er Dokumente zugeleitet
bekommen muss, die Sie im Europäischen Rat einbringen . Dies gilt auch für Entwürfe, die Sie vorhaben einzubringen, sowie vor allen Dingen für die Dokumente,
die Sie von der Europäischen Union bekommen . Nichts
davon ist passiert . Alle Dokumente über die Vereinbarungen, die am vergangenen Dienstag getroffen worden
sind, hat der Wirtschaftsausschuss erst gestern bekommen - gestern Abend .
({6})
Wir haben Staatssekretär Machnig im Wirtschaftsausschuss gefragt, wieso er die Beteiligungsrechte des
Deutschen Bundestags ignoriere . Darauf hörten wir nur:
Wissen Sie, Frau Dröge, in der Praxis sieht das alles anders aus . Das war so hektisch nach dem Gerichtsurteil .
Wir mussten das jetzt irgendwie machen . Das müssen Sie
verstehen . Das können wir irgendwie auch nicht anders
machen .
({7})
- Das war wortwörtlich so . Ihre Kollegen waren auch dabei und können das bestätigen .
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Arroganz der
Macht,
({8})
die Sie gestern im Wirtschaftsausschuss gezeigt haben,
ist Teil Ihres Problems beim Umgang mit CETA . Sie
zeigt sich darin, dass Sie berechtigte Kritik nicht ernst
nehmen, dass Sie Beteiligungsrechte und Verfahren nicht
ernst nehmen, dass Sie die Kontrollmöglichkeiten des
Deutschen Bundestags nicht ernst nehmen
({9})
und dass Sie das Urteil der Öffentlichkeit nicht ernst nehmen . Denn was wir in den letzten drei Jahren mit CETA
erlebt haben, war eine beispiellose Illusionsshow . Drei
Jahre lang erzählen Sie uns, dass Sie genau hinschauen, dass Sie zusehen würden, dass im Vertrag noch etwas nachgebessert werde, dass ein SPD-Konvent im
Jahr 2014 rote Linien eingezogen habe . Dann gab es
im Jahr 2015 noch das Versprechen: Wir werfen die
Schiedsgerichte aus CETA heraus . Im Jahr 2016 gab es
einen weiteren Beschluss des SPD-Konvents, der besagt,
dass das Abkommen noch einmal nachverhandelt werden
soll . Sogar in Ihrer Stellungnahme gemäß Artikel 23 des
Grundgesetzes haben Sie eine Nachbesserung versprochen .
Das Blöde all dieser Versprechen ist, dass sie überprüft werden können . Aber Ihre Erklärungen - auch diejenige, die Sie gestern Abend dem Bundestag zugeleitet
haben - halten einer Überprüfung nicht stand .
({10})
Nichts von dem, was Sie versprochen haben, haben Sie
durchsetzen können . Mithilfe einer sechsseitigen Tabelle
in kleiner Schrift habe ich die Beschlüsse des SPD-Konvents, das Freeland-Papier und Ihre Artikel-23-Stellungnahme mit dem verglichen, was Sie erreicht haben .
Ich habe festgestellt: Nichts! Das ist eine beschämende
Bilanz dessen, was Sie in den letzten Wochen gemacht
haben .
Aus der Wissenschaft hagelt es zu Recht Kritik . Hundert Juraprofessoren haben Ihnen einen Brief geschrieben
und gesagt, dass die im Rahmen von CETA vereinbarten
Schiedsgerichte weiterhin eine große Gefahr darstellen .
Selbst Gutachter, die die Bundesregierung beauftragt hat,
teilen Ihnen mit, wie schlecht die Verbesserungen sind,
die Sie in nachträglichen Protokollerklärungen erreichen
wollen . Ich zitiere:
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Gemeinsame Auslegungserklärung die bisherige Kritik am
CETA-Kapitel zum Investitionsschutz nicht relativiert, da für keinen der umstrittenen und kritischen
Punkte rechtssichere Verbesserungen oder Lösungen angeboten werden .
Das ist das vernichtende Urteil, das ein Gutachter, den
Sie selbst beauftragt haben, über die Protokollerklärungen, die Sie von SPD und Union in Teilen so hochhalten,
fällt .
Nun müssen Sie den Menschen erklären, was Sie von
dem, was Sie versprochen haben, tatsächlich halten . Es
ist gerade ein, zwei Wochen her, dass wir im Bundestag über Nachbesserungen und Protokollerklärungen
gesprochen haben . Sie haben als Bundesregierung noch
eine kleine Bedenkzeit . Durch das Nein der wallonischen
Regionalregierung haben Sie noch einmal Zeit, nachzudenken, ob Sie nicht wenigstens das, was Sie selbst im
Bundestag sagen, ernst nehmen und die Nachbesserungen, die Sie hier im Bundestag versprochen haben, noch
durchsetzen sollten .
({11})
Herr Gabriel, da Sie mittlerweile auch anwesend sind:
Sie haben noch eine große Chance, den Menschen in diesem Land zu erklären, was Sie noch herausholen werden
oder warum Sie das nicht halten, was Sie gesagt haben .
Ich danke Ihnen .
({12})
Vielen Dank, Katharina Dröge . - Nächster Redner:
Bernd Westphal für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh,
dass wir heute im Bundestag noch einmal Gelegenheit
haben, über CETA, das Freihandelsabkommen zwischen
der EU und Kanada, zu diskutieren . Über Freihandelsabkommen ist in den letzten drei Jahren im Hohen Haus,
in den Ausschüssen und den Fraktionen intensiv diskutiert worden . Ich sehe das keineswegs als Problem, sondern als Zeichen einer lebendigen, diskussionsfreudigen
Demokratie . Wir kommen damit übrigens der Integrationsverpflichtung gegenüber dem Parlament nach. Diese
müssen wir auch in dieser Frage erfüllen .
Es ist nun einmal Fakt, dass in der Öffentlichkeit über
Freihandelsabkommen aufmerksamer und kritischer diskutiert wird . Aber warum ist das so? Weil es nicht nur um
den Abbau von Zöllen geht, sondern weil wir mit Freihandelsabkommen auch ein Instrument haben, mit dem
wir im sozialen Bereich, beim Verbraucherschutz, beim
Umweltschutz und auch beim Investitionsschutz andere
Standards etablieren können . Wir wollen dieses Instrument nutzen, um den globalen Handel zu gestalten .
Die gesellschaftlichen Initiativen und Gruppen stellen berechtigte Fragen . Sie sollten bei ihren Entscheidungsprozessen ernst genommen werden . Wenn ich die
verschiedenen Parteien und Fraktionen miteinander vergleiche, um herauszufinden, wer sich mit den entsprechenden Inhalten und kritischen Fragen am intensivsten
auseinandergesetzt hat, dann stelle ich fest, dass das die
SPD ist . Sie hat als Partei und Fraktion darüber interfraktionell, aber auch mit verschiedenen Akteuren sehr
ausführlich gesprochen . Einen so intensiven Dialog hat
keine andere Partei geführt .
({0})
Der Deutsche Bundestag hat im letzten Monat eine
Stellungnahme zum CETA-Abkommen abgegeben . Damit ist eine konstruktive Mitarbeit an diesem Abkommen
von der Koalition geleistet worden . Das kann sich sehen
lassen .
({1})
Seit Montag liegt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor . Die Anrufung des höchsten deutschen Gerichts vor einer Ratsbefassung zur vorläufigen Anwendung eines Handelsabkommens ist ungewöhnlich, aber
legitim . Wenn Bürger Ängste und Sorgen haben, dann
ist es möglich, dass Bürgerinitiativen eine Verfassungsbeschwerde erheben . So hat es auch die Linkspartei gemacht .
Das Bundesverfassungsgericht hat sich letzte Woche
sehr ausführlich sowohl mit den verschiedenen Aspekten
der demokratischen Rückbindung der CETA-Ausschüsse
als auch mit der vorläufigen Anwendung, aber auch mit
der Aufkündigung des Abkommens beschäftigt . Klar ist
auch, dass alle Anträge - das muss man einmal, glaube
ich, wahrnehmen; auch Kollege Ernst war dabei - vom
Bundesverfassungsgericht abgelehnt worden sind .
({2})
Das ist etwas, was man doch nicht einfach so wegwischen kann . Sie haben vor dem Bundesverfassungsgericht eben kein Recht bekommen .
({3})
Ich will hier ausdrücklich unseren Bundeswirtschaftsminister loben, der es nicht nur national, in der Bundesregierung, sondern auch mit den anderen Mitgliedstaaten
in Europa und mit der Europäischen Kommission hinbekommen hat, diese Auflagen für den Vertrag rechtskonform zu erfüllen und durchzusetzen . Das ist eine Leistung in dieser kurzen Zeit, die beachtlich ist . Herzlichen
Dank dafür .
({4})
Die Verfahren mögen in den letzten Tagen und Wochen manchmal mühsam gewesen sein, aber am Ende
hat es sich doch gelohnt . Die Bürger Deutschlands und
Europas haben durch diese zusätzlichen Erklärungen
und Beschlüsse auf jeden Fall mehr Transparenz und die
Möglichkeit, die Auswirkungen dieser Bedingungen zu
erfahren .
Damit hat die Bundesregierung, die in Europa treibende Kraft war, diese Dinge mit nach vorne gebracht .
Ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir mit diesen
Vorbereitungen den Weg frei gemacht haben, damit unser
Minister im Ministerrat diese Zustimmung hätte geben
können . Nun ist ein kleiner Bereich in Europa anderer
Meinung . Ich denke, dass wir morgen im Rat sicherlich
die Chance haben, dieses wichtige Abkommen noch zu
entscheiden .
Was hätte es für handelsrechtliche und politische
Folgen, wenn Deutschland es nicht schaffen würde, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die europäischen Mitgliedstaaten dieses Abkommen ratifizieren? Das würde,
was die Glaubwürdigkeit, die Handelspartnerschaft und
was zukünftige Abkommen angeht, sicherlich einen politischen Schaden hinterlassen . Die Frage ist doch: Mit
welchen Ländern wollen wir denn noch Abkommen
schließen, wenn wir es mit Kanada nicht hinbekommen?
Deshalb ist es wichtig, dass dieses Abkommen nächste
Woche auf dem Europa-Kanada-Gipfel zur Unterzeichnung vorliegt .
Bis zur Unterzeichnung in der nächsten Woche sollten
nun noch abschließende Gespräche geführt und weitere
Begleittexte erarbeitet werden . Ich bin hoffnungsvoll,
dass es in der nächsten Woche gelingen wird, entsprechende Rahmenbedingungen für die Unterzeichnung zu
schaffen . Wir als Sozialdemokraten haben den politischen Anspruch, den globalen Handel nicht nur frei, sondern auch fair zu gestalten .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Bernd Westphal . - Nächster in der Debatte: Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie könnten
jetzt eigentlich ganz entspannt mit dem Thema umgehen, da Ihre Anträge vollumfänglich vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden sind . Aber wir sprechen
wieder einmal über das Thema heute . Sicherlich ist es
angezeigt, dass man immer wieder auf die Sorgen der
Menschen eingeht .
Aber ich sehe, dass der Umgang bei Ihnen mit dem
Thema nicht so entspannt ist; denn an Ihrem Fraktionssitzungssaal prangt ein Schild: „Ceta und mordio!“ . Da mache ich mir doch schon ein bisschen Sorgen . „Zeter und
Mordio“ ist ein Ausspruch gewesen, mit dem im Mittelalter der Ankläger das Gerichtsverfahren wegen Mord,
Totschlag, Raub und anderer Dinge eingeläutet hat . Wie
unpassend, dass Sie sich diesen Satz ausgesucht haben,
um für Ihre Kampagne Werbung zu machen .
({0})
„Ceta und mordio!“ passt an dieser Stelle überhaupt
nicht . Das muss ich Ihnen sagen .
({1})
Ich bin froh, dass die Bundesregierung nun dem
CETA-Abkommen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zustimmen darf und diese Zustimmung
auch gestern im Kabinett beschlossen hat .
Wissen Sie eigentlich, warum das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat? Das Gericht musste
eine Abwägung treffen, ob es für Deutschland Nachteile hat, wenn die Bundesregierung nicht zustimmt . Das
Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es für
Deutschland schlechter wäre, wenn die Bundesregierung
dem Abkommen nicht zustimmt . Für mich hat das wenig
Überraschendes . Seit drei Jahren teilen wir Ihnen nämlich diese jetzt vom Bundesverfassungsgericht bestätigte
Meinung mit: Für Deutschland ist es besser, wenn wir
da mitmachen . Es ist besser, sich für Freihandel statt für
Protektionismus einzusetzen .
({2})
Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
Ein - auch nur vorläufiges - Scheitern von CETA
dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhandelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union
und Kanada hinaus weitreichende Auswirkungen
auf die Verhandlungen und den Abschluss künftiger
Außenhandelsabkommen haben . Insofern erscheint
naheliegend, dass sich der Erlass einer einstweiligen
Anordnung negativ auf die europäische Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der Europäischen Union insgesamt auswirken würde .
Wollen Sie das? Wollen Sie, dass Deutschland und
Europa bei den internationalen Handelsbeziehungen ins
Hintertreffen geraten? Wollen Sie, dass andere Staaten
auf der Welt die Standards setzen? Wollen Sie mehr Protektionismus? Ich will das nicht .
({3})
Protektionismus bietet keine Perspektive im internationalen Bereich . Auch für die Verbraucher und die Unternehmen bedeutet das Nachteile . Für die Arbeitnehmer
in Deutschland würde ein Verzicht auf Freihandel den
Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten; denn jeder vierte
Arbeitsplatz in Deutschland hängt, meine Damen und
Herren, vom Export ab . Und viele Unternehmen gäbe es
erst gar nicht, wenn Deutschland und die EU nicht im
Rahmen einer Vielzahl von Freihandelsabkommen tätig
geworden wären .
Ich komme zurück zum Urteil des Gerichts . Es gibt
einige Vorgaben . Auch die sind schon zum großen Teil
berücksichtigt . Laut Bundesverfassungsgericht darf die
Bundesregierung einem Ratsbeschluss zustimmen, wenn
diese Maßgaben angewendet werden . Das ist auch in
Ordnung .
Sie haben sich über das Konstrukt der vorläufigen Anwendbarkeit insgesamt aufgeregt .
({4})
Sie wissen aber wohl nicht, dass das Instrument der
vorläufigen Anwendbarkeit sogar im Arbeitsvertrag der
Europäischen Union verankert ist und es gängiger europäischer und internationaler Rechtsprechung entspricht .
Auch beim Wiener Vertragsrechtsübereinkommen - da
sind wir seit 1987 Mitglied, Herr Dehm - gibt es eine
Regelung zur vorläufigen Anwendung von internationalen Verträgen . Dagegen haben Sie an dieser Stelle noch
nie gesprochen . Das wundert uns schon ein bisschen . Die
vorläufige Anwendbarkeit gibt es auch im GATT-Abkommen . Das ist 47 Jahre lang provisorisch so gehandhabt worden . Darüber hat sich auch noch nie jemand beschwert . Sie tun das jetzt .
Meine Damen und Herren, es würde ein etwas
schlechtes Licht auf die Rechtsprechung werfen, wenn
sie so wäre, wie Sie es dargestellt haben . Aber sie besteht
so nicht . Das würden Sie feststellen, wenn Sie es genau
beleuchten würden .
Ich meine, wir sollten an der Stelle jetzt einen Gang
zurückschalten . Wir haben einen Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts . Es ist überhaupt keine RichBernd Westphal
terschelte geboten . Und ein Hineindeklinieren von politischen Meinungen, die Sie gerne hätten, ist an dieser
Stelle nicht mehr erforderlich . Ich sehe gute Chancen
dafür, meine Damen und Herren, dass das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache genauso entscheiden
wird wie bei der vorläufigen Entscheidung.
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Dr . Heider . - Nächster Redner ist
Dr . Diether Dehm .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Lämmel und Herr Westphal, hören Sie auf
mit der Panikmache,
({0})
dass, wenn es zu CETA nicht käme, die Welt und die
Wirtschaft zusammenbrächen . Seit 2005 - führen Sie
sich das einmal zu Gemüte - sind die Importe - Quelle
ist die EU-Kommission - um 64 Prozent und die Exporte nach Kanada um 50 Prozent gestiegen . Sie sind ohne
CETA seit 2005 bis heute kontinuierlich gestiegen . Sie
meinen vielleicht, mit CETA hätten wir 100 Prozent . Was
träumen Sie nachts?
Der Brexit hat die Krise der EU weiter verschärft . Der
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sieht den Euro gescheitert . Auch unter den Deutschen hat die EU kein sonderlich großes Vertrauen .
({1})
Und so ziemlich die Einzigen, die sich - neben der Deutschen Bank und RWE - bei Ihnen für dieses Geschäftsmodell EU bedanken können, sind AfD und Le Pen .
Die Linke hat stets vor den Mängeln an Demokratie,
an sozialstaatlicher Bodenhaftung im EU-Recht und vor
Konzernradikalismus und Verarmung gewarnt . Sie aber
sind selbstgefällig wie die Großjunker darüber hinweggetrampelt . Wir lehnen diese EU ab, weil wir um die
Friedensidee Europa ringen, damit Erwerbstätige wie Erwerbslose, Handwerker und Landwirte Europa als Heimat ihrer sozialen Sicherheit erfahren .
({2})
Darum hat unsere Fraktion damals auch den Lissabon-Vertrag in Karlsruhe überprüfen lassen . Beim Bundesverfassungsgericht müssen Sie immer auf 100 Prozent klagen; denn Sie wissen, dass man am Ende nur 60
oder 70 Prozent erreicht . Da sitzen ja auch Leute, die
nicht ganz unabhängig von Parteien da reingekommen
sind . Immerhin haben wir damals bei der Klage um den
Lissabon-Vertrag erreicht, dass die Mitwirkungsrechte
des Parlaments ausgeweitet wurden und dass - ich zitiere
jetzt einmal aus § 1 EUZBBG - die Bundesregierung den
Bundestag „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten“ hat . Die Rechte des Bundestags
sind hier vom Bundesverfassungsgericht klar definiert
worden . „Umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt!“
Bundesregierung und Presse haben weithin versäumt,
auf die strikten Auflagen, die Sie auch wieder beiseitewischen, Herr Westphal, des Verfassungsgerichts vom
13 . Oktober aufmerksam zu machen - Klaus Ernst hat
das alles schon erwähnt -: dass sich erstens Regelungen
nur auf EU-Kompetenzen beziehen dürfen, dass zweitens
die gemischten Ausschüsse nicht selbstständig Änderungen vornehmen dürfen und dass drittens die vorläufige
Anwendbarkeit sofort beendet werden muss, wenn es zu
Zweideutigkeiten kommt .
Aber was tut die Bundesregierung? Sie übermittelt
für den Rat der Handelsminister am 18 . Oktober 2016
dem Bundestag lediglich einen undatierten Vorbericht .
Dann folgt ein neuer Vermerk, wieder undatiert, nicht gezeichnet, juristisch hoch verschlüsselt und in englischer
Sprache . Am gestrigen Abend gab es schließlich einen
längeren Text, wieder nur in englischer Sprache und wieder, ohne direkt auf die Einwände des Gerichtsurteils einzugehen . Das Handelsblatt wusste hingegen schon vor
dem Bundestag, dass der Rat „diesen Ergänzungen zugestimmt hatte“, und degradierte das Ganze zu einem ich zitiere wieder - Absegnenlassen . Diese Ergänzungen
waren dem Bundestag also nicht zum frühestmöglichen
Zeitpunkt bekannt . In der liederlichen Form und der Zeitknappheit eine Zumutung für das deutsche Parlament,
Herr Gabriel!
({3})
Herr Kauder ließ zwar alle europäischen Demokraten
zusammenzucken, als er triumphierte, in Europa würde
endlich wieder deutsch gesprochen . Aber gegenüber der
deutschen Öffentlichkeit sprechen Sie englisch und in
Rätseln .
({4})
Ob in diesem Konvolut auch nur irgendetwas den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird,
kann seriös so gar nicht geprüft werden, zumal völlig
unklar ist, welche rechtliche Bedeutung diese Zettelsammlung für den CETA-Vertrag wirklich hat, besonders für Arbeitnehmerrechte und beim Investitionsschutz
für Konzerne . Angesichts dieser Situation - Klaus Ernst
hat das schon gesagt - wird es kaum einen anderen Weg
geben, als beim Bundesverfassungsgericht erneut eine
einstweilige Anordnung zu beantragen .
({5})
Was Glyphosat für die Gesundheit ist, sind CETA und
TTIP für die europäische Idee: Reines Gift! Darum danke
ich den Wallonen . Bleibt stark und standhaft!
({6})
Darum danke ich vor allen Dingen den vielen Hunderttausend Demonstranten gegen TTIP und CETA: Wir
schaffen das!
({7})
Vielen Dank, Diether Dehm . - Nächster Redner ist der
Bundesminister Sigmar Gabriel .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was
der Kollege Dehm eben als „Zettelsammlung“ bezeichnet hat, sind die Beschlüsse des Europäischen Rates .
({0})
Diese Beschlüsse haben wir herbeigeführt. Dort finden
Sie die drei Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes
wieder. Erstens die Klärung, wie die vorläufige Anwendung zu Ende gebracht wird, wenn ein Mitgliedstaat sich
gegen CETA entscheidet . Zweitens die Abgrenzung, was
europäisches Recht und was nationales Recht ist . Und
drittens die Feststellung, dass die gemischten Ausschüsse
selbstverständlich kein Recht haben, etwas zu beschließen, sondern dass sie beratend tätig sind und ansonsten
der Ministerrat diese Beschlüsse erst fassen muss . Das
kann man auf Deutsch lesen . Das kann man auf Englisch
lesen . Vor allen Dingen aber ist es erst vor zwei Tagen
verabschiedet worden . Deshalb ist es auch noch nicht bei
Ihnen gelandet . Ich weiß, Sie sind schnell . Gelegentlich
ist es aber auch gut, wenn man etwas langsam liest . Dann
versteht man es besser .
({1})
Ich habe zum Beispiel Jürgen Trittins Rede hier zu
CETA in guter Erinnerung, weil ich mir die damals angehört habe . Ich habe immer versucht, die Dinge, die hier
im Parlament als Frage oder als Kritik genannt worden
sind - Jürgen Trittins Rede war ganz wesentlich auf das
Thema Vorsorgeprinzip ausgerichtet -, ernst zu nehmen
und dann auch zu klären . Deswegen gibt es jetzt eine Erklärung, die gemäß Artikel 31 des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens rechtsverbindlich ist, zum Beispiel
zum Thema Vorsorge . Dort steht unter anderem: CETA
wird unsere jeweiligen Standards und Vorschriften im
Zusammenhang mit Lebensmittelsicherheit, Produktsicherheit, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Arbeitsschutz nicht absenken . Eingeführte Waren, Dienstleistungserbringer und Investoren
müssen weiterhin den innerstaatlichen Anforderungen
einschließlich der Vorschriften und Regelungen genügen . Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und
Kanada bekräftigen ihre Verpflichtung im Hinblick auf
die Vorsorge .
Das ist rechtsverbindlich nach Artikel 31 des Wiener
Vertragsstaatenübereinkommens . Ich frage mich: Warum
sind Sie nicht einmal zufrieden, wenn die Dinge, die Sie
hier öffentlich vortragen, von uns umgesetzt werden?
({2})
- Sie finden im Internet zu jeder Frage einen Gutachter.
Das ist die Voraussetzung dafür, um Anwälte zu beauftragen . Das ist ein in Deutschland übliches und erlaubtes
Geschäftsmodell . Aber im Parlament muss man doch froh
sein, wenn die Sorgen der Bevölkerung durch rechtsverbindliche Klarstellung, was in CETA nicht passiert und
was in CETA passiert, berücksichtigt werden . Wenn Sie
aber von „selbstgefällig wie die Großjunker“ sprechen,
dann frage ich mich: Haben Sie eigentlich ein einziges
Mal mit der Regierung Griechenlands gesprochen, die
CETA unbedingt will? Haben Sie das einmal getan?
({3})
- Ich weiß nicht, ob Sie sich hier dazu äußern wollen .
Das können Sie gerne machen .
Eines muss jeden, der kritisch auf CETA blickt, trotzdem einen Moment nachdenklich machen - das gilt auch
für die Grünen -, nämlich dass im Handelsministerrat
von 28 Mitgliedstaaten 28 erklären, sie wollen das Abkommen . Zwei Staaten, nämlich Rumänien und Bulgarien, haben noch nicht zugestimmt, weil sie noch eine
Visafrage geklärt haben wollen . Belgien kann noch nicht
zustimmen, weil Wallonien - ein Land wie bei uns die
Bundesländer - seine Zustimmung bislang verweigert .
Derzeit ist die Abstimmung über CETA angehalten, weil
ein Regionalparlament sagt: Wir wollen es nicht .
({4})
- Ich habe überhaupt nichts gegen Regionalparlamente .
Ich schildere einen Sachverhalt. Ich finde, hier muss man
sich wenigstens eine Sache fragen: Könnte es sein, dass
der hohe Ton der Kritik und die Selbstgefälligkeit bei einem selber stattfinden und dass nicht alle anderen blöd
sind?
({5})
Alle anderen sollen blöd sein? Ich fand die Debatten
deshalb hilfreich, weil sie dazu geführt haben, Dinge zu
klären .
Aber es muss doch auch irgendwie nachdenklich machen, wenn unter den 28 Staaten, die das wollen, Staaten
sind, in denen die Linke die Regierung stellt . Sie kämpfen immer für Griechenland . Davor habe ich großen Respekt . Warum sind Sie eigentlich da der Meinung, dass
das, was die Griechen wollen, und dass deren Erwartungen an CETA Junkertum sei? In Schweden sind die Grünen in der Regierung, in einigen anderen Ländern auch .
Die wollen von mir, dass ich TTIP realisiere . Natürlich
sind sie sowieso für CETA .
({6})
Mir geht es gar nicht darum, dass ich Ihre Kritik vom
Tisch wischen will. Aber ich finde, der Ton der Debatte
erinnert sehr daran, dass am eigenen Wesen Europa genesen soll .
({7})
- Nein, das ist überhaupt nicht heftig, weil der Rest der
europäischen Mitgliedstaaten das genau so versteht .
({8})
- Ich weiß schon, was ich gesagt habe . Bei solchen Zitaten kenne ich mich ganz gut aus .
Aber, wenn man schon über Selbstgefälligkeit im Junker- oder Großjunkertum spricht, dann muss man beachten, dass der berühmte Satz „Wenn man mit dem Finger
auf andere zeigt, dann zeigen mindestens drei Finger auf
einen zurück“ sehr wahrscheinlich zutrifft . Deswegen
bitte ich darum, dass wir trotz aller unterschiedlichen
Beurteilungen abwarten, was dort drinsteht oder nicht
drinsteht .
Ich sehe einer weiteren Klage vor dem Bundesverfassungsgericht als Eilantrag gelassen entgegen . Wie das
Verfassungsgericht in der Hauptsache urteilen wird, wissen wir alle noch nicht . Ich bin relativ sicher, dass das
Abkommen in der Hauptsache auch akzeptiert wird, und
zwar gerade wegen der Klarstellungen nach Artikel 31
des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens, aber übrigens auch, weil nicht Sie über die Frage entscheiden, ob
die Auflagen des Verfassungsgerichts eingehalten worden sind - ich übrigens auch nicht -, sondern das Verfassungsgericht selbst . Ja, hier bin ich ganz gelassen, weil
wir diese Auflagen am letzten Dienstag hineinverhandelt
haben .
Die Bundesregierung hat dort gesagt: Wir können dem
nicht zustimmen, wenn die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts heute in der Sitzung des Rates nicht als
Ratsstandpunkt angenommen werden . - Wir haben uns
nicht damit zufriedengegeben, dort nur eine rechtsverbindliche Erklärung der Bundesregierung abzugeben nur das war übrigens die Auflage des Verfassungsgerichts; es hat gar nicht von uns verlangt, dass wir einen
Ratsstandpunkt herbeiführen -, sondern haben diesen
Ratsstandpunkt herbeigeführt .
({9})
Die anderen 27 Mitgliedstaaten haben zugestimmt .
Ich finde, Sie sollten, ehrlich gesagt, froh darüber
sein, dass die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union jetzt seit geraumer Zeit ertragen und sogar mitmachen, wenn die Bundesrepublik Deutschland plus Österreich und wenige andere dort Nachforderungen stellen .
Es sollte ein bisschen zur Nachdenklichkeit beitragen,
dass da ganz viele Länder sitzen, die folgenden Eindruck
haben: Na ja, den Deutschen geht es gut, deren Handel
wächst, deswegen können die sich leisten, uns Vorschriften zu machen, sodass wir im Handel nicht weiterkommen . - Das ist die Interpretation, zu der inzwischen viele
kommen .
({10})
Ich teile sie nicht; ich finde, dass man über all die Kritikpunkte reden muss . Aber es kann nicht sein, dass Sie
einerseits immer davon reden, wie wichtig es ist, dass wir
in Europa zusammenhalten, und dass Sie - gelegentlich
tue ich das ja auch - Teile der Politik, auch der Bundesregierung, dafür kritisieren, dass sie in Europa zu forsch
führen, aber andererseits nicht einmal darüber nachdenken, wie diese Art der Debatte - „Großjunkertum“ und
anderes - auf andere Mitgliedstaaten wirkt .
({11})
Ich finde, wir haben ungeheuer viel erreicht. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass die Grünen immer gesagt
haben - sie haben oft versucht, mich da festzunageln,
und ich habe versucht, dem aus dem Weg zu gehen -:
Du musst den Investitionsschutz da herausbekommen . ({12})
Dann habe ich gesagt: Hm, das ist schwierig; das Abkommen ist ausverhandelt . - Jetzt haben wir in Kanada
eine Regierung, die mit den privaten Schiedsgerichten
Schluss macht . Das war der Kern der Debatte hier: Private Schiedsgerichte soll es nicht mehr geben .
({13})
- Doch! Lesen Sie es doch einfach in Ihren eigenen Reden nach! ({14})
Ich habe immer gesagt, ich bin sehr skeptisch, ob das gelingt; aber die Kanadier haben die Verhandlungen über
das Abkommen erneut eröffnet .
Ich habe dann übrigens hier auch mal gesagt, dass ich
eine Zeit lang die Vorstellung hatte - so ist damals die
Bundesregierung von CDU, CSU und FDP noch angetreten -, dass man bei solchen Abkommen eigentlich gar
keinen Investitionsschutz braucht, weil wir in Rechtsstaaten leben . Aber die Erfahrungen im Umgang mit einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als deutscher Wirtschaftsminister haben mich eines Besseren
belehrt, nämlich, dass es ganz gut ist, wenn man ein paar
Absicherungen hat, und das sogar innerhalb Europas . Das haben wir geschafft .
Dann haben wir all die Fragen aufgenommen . Jetzt hat
Kanada gegenüber der EU eine rechtsverbindliche Erklärung abgegeben, die zum Beispiel die Geltung des Vorsorgeprinzips und den Schutz der Arbeitnehmerrechte
umfasst, aber auch die Festlegung, dass es keine Einführung von Gentechnik gegen europäisches Recht geben
kann . Das steht da jetzt alles drin .
Jetzt schaffen wir es auch noch, die rechtsstaatlichen
und verfassungsrechtlichen Fragen zu klären . Es ist natürlich eine berechtigte Frage: Wie sind eigentlich EntBundesminister Sigmar Gabriel
scheidungen im Rahmen von CETA an die nationalen
Parlamente rückgebunden? Jetzt schaffen wir das auch
noch . Und jetzt kommen Sie mit dieser Debatte . Ich persönlich kann das nicht verstehen .
Ich habe eine große Sorge - das will ich Ihnen zum
Abschluss mal sagen; es ist Ihnen vielleicht egal, mir
aber nicht -: Dass es überhaupt ein solches Abkommen
mit Sozialstandards, ILO-Kernarbeitsnormen und vielem
anderen mehr gibt - ({15})
- Doch, das steht da drin . Die Kanadier werden die acht
Kernarbeitsnormen akzeptieren . Kein anderer hat das
bisher gemacht . Sie haben hier nie ein Abkommen dafür
kritisiert, dass es das nicht gab .
({16})
Ausgerechnet bei einem Abkommen mit dem Land, das
uns am nächsten steht - Kanada -, tun Sie es . Es ist doch
albern, was da passiert . Entschuldigung, das ist albern!
({17})
Jetzt sage ich Ihnen mal etwas voraus .
Aber bitte kurz, Herr Minister .
Entschuldigung, ja .
Sie haben das Recht, zu reden, aber wenn Sie als Abgeordneter sprächen, hätte ich Sie schon lange unterbrochen . Also letzter Gedanke, allerletzter Gedanke!
Ich will nur einen Satz hinzufügen .
Ja, einen Satz .
({0})
Vor zehn Jahren haben die Umweltverbände, die Gewerkschaften und die Zivilgesellschaftsorganisationen
die Europäische Union aufgefordert, keine reinen Freihandelsabkommen mehr abzuschließen, sondern Abkommen, in denen all das drinsteht, was hier jetzt drinsteht . Nach dem, was die Europäische Union jetzt dabei
erlebt, besteht die große Gefahr, dass alle kommenden
Abkommen wieder nur ganz normale Freihandelsabkommen sind, ohne jede Regelung für die Globalisierung . Ich
finde, diejenigen, die das, was hier drinsteht, so heftig
kritisieren, sollten eine Sekunde überlegen, ob das nicht
eine viel größere Gefahr ist . CETA ist ein exzellentes Abkommen . Und deswegen habe ich aus großer Überzeugung zugestimmt .
({0})
Vielen Dank, Sigmar Gabriel . - Nächste Rednerin:
Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen .
Danke schön . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich greife gerne die Argumente des Ministers Gabriel auf . Zunächst aber zum Zwischenruf von
Herrn Pfeiffer, der gesagt hat: Reden Sie ruhig weiter,
Herr Gabriel, auf Frau Höhn können wir verzichten . Das ist genau die Argumentation, die Herr Gabriel eigentlich angegriffen hat . Er hat gesagt: Lasst uns sachlich
miteinander diskutieren, ohne Panikmache, ohne Angstmache - das haben Sie uns immer vorgeworfen -, und
das sollte auch für die CDU gelten .
({0})
Ich will auf die Beiträge der Redner der CDU, von
Herrn Lämmel und Herrn Heider, eingehen . Was sagte
Herr Lämmel? Er hat von einem „unwürdigen Gerangel
um dieses Freihandelsabkommen“ gesprochen . Ich sage:
Daran wird deutlich, wie wichtig die Vorsorge ist . Sie
sind nämlich verantwortlich für den Vertrag, der zwischen 2009 und 2013 verhandelt worden ist . Damals war
eine schwarz-gelbe Koalition an der Regierung . Sie haben das Mandat an die EU-Kommission gegeben nach
dem Motto: Verhandelt den Freihandelsvertrag, verhandelt neoliberal, und kümmert euch nicht um Umweltund Verbraucherschutz und soziale Aspekte .
({1})
Dadurch ist das Problem entstanden, das wir mittlerweile
mit diesen Verträgen haben .
({2})
- Das war überhaupt nicht seriös von Ihnen .
Sie sollten sich an diesem Punkt einmal überlegen, ob
es nicht sehr viel sinnvoller gewesen wäre, zu sagen: Bei
Freihandelsabkommen gibt es auch Verlierer, übrigens
auch Verlierer in Ihren Reihen . Das sind zum Beispiel
die Bauern,
({3})
und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks . Kanada hat das
sehr deutlich gemacht; die sind sehr viel klüger als Sie .
Sie haben bei TPP gesagt: Wir sorgen für einen Ausgleich
für die Bauern, weil sie die Opfer sein werden . Auch die
Handelskommissarin Freeland sagt: Ja, natürlich, bei
CETA werden die Bauern die Verlierer sein . Deshalb sorgen wir für einen Ausgleich . - Sie selber reden nicht über
die Verlierer dieses Freihandelsabkommens, und das ist
ein schwerer Fehler, den Sie da machen .
({4})
Minister Gabriel hat eben gesagt, er habe alles durchgesetzt, was es an Auflagen gab. Schauen wir uns das
doch einmal an . Kann ein Mann wie Minister Gabriel
eigentlich ein guter Sachverwalter zum Beispiel der Auflagen des SPD-Konvents sein? Als Parteivorsitzender
muss er die Auflagen umsetzen, aber gleichzeitig ist er
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler in einer Koalition, die dieses Freihandelsabkommen unbedingt will .
Deswegen muss man sagen: Er ist nicht wirklich vertrauenswürdig, um das umzusetzen .
({5})
Gucken wir uns die einzelnen Punkte an . Was ist auf
dem SPD-Konvent beschlossen worden? Es wurde eindeutig beschlossen, dass es im Europäischen Parlament
einen sehr weitgehenden Diskussionsprozess über diese
Verträge geben soll, auch inhaltlich . Was ist passiert?
Kurze Zeit nach dem SPD-Konvent beschließt der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments den restriktiven Zeitplan für die Verabschiedung von CETA, und das
so eng, dass eine intensive Befassung nicht möglich ist .
Welche Abgeordneten haben das beschlossen? Liberale,
konservative und Sozialdemokraten . Das ist das Gegenteil von dem, was der Konvent beschlossen hat, meine
Damen und Herren .
({6})
Schauen wir uns das EU-Vorsorgeprinzip an; Minister
Gabriel hat es eben noch einmal sehr deutlich dargelegt .
Wo steht das? Das steht in der gemeinsamen Auslegungserklärung . Und wie steht es darin? Die Formulierung lautet:
Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten
und Kanada bekräftigen ihre Verpflichtungen im
Hinblick auf die Vorsorge, die sie im Rahmen internationaler Übereinkommen eingegangen sind .
Das ist das Gegenteil davon, die Vorsorge zu verteidigen . Das sind genau die Formulierungen, die wir im
CETA-Vertrag immer wieder kritisieren; denn die internationalen Abkommen, auf die hingewiesen wird, haben
eben nicht das Vorsorgeprinzip der EU zum Gegenstand,
sondern dahinter steckt ein wissenschaftsbasiertes Risikoprinzip, das uns genau die Probleme macht, die dazu
führen, dass Gentechnikprodukte zunehmend unkontrolliert importiert werden müssen . Das wird hier sogar noch
bestätigt .
({7})
Es hat eine Verschlechterung der Vereinbarungen gegeben durch das, was Herr Gabriel versucht hat zu verhandeln .
({8})
Von daher sage ich sehr klar und deutlich: Wir reden über
eine vorläufige Anwendung. Aber, wie Herr Heider so
schön gesagt hat: Ja, in anderen Fällen wird eben 47 Jahre lang vorläufig angewendet. - Das heißt doch: Sie haben offensichtlich jetzt schon den Plan, das nicht im Bundestag verabschieden zu lassen .
({9})
So können Sie das Abkommen mit Kanada 47 Jahre lang
vorläufig anwenden, und der Bundestag würde darüber
nicht entscheiden . - Das geht nicht .
({10})
Was Sie hier machen, bedeutet eine vorläufige Anwendung, ein Living Agreement am Bundestag vorbei . Deshalb lehnen wir diese vorläufige Anwendung ab, ebenso
wie den CETA-Vertrag . Wenn Sie wirklich Veränderungen am Vertrag erreicht hätten, wenn Sie wirklich all diese Punkte in den Vertrag hineingeschrieben hätten, dann
wäre das ein verbessertes Abkommen;
({11})
aber so ist es weiterhin ein schlechtes Abkommen, meine
Damen und Herren .
({12})
Vielen Dank, Bärbel Höhn . - Nächste Rednerin:
Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger!
Wir bereden CETA momentan in nahezu jeder Sitzungswoche im Bundestag . Heute reden wir über die UmsetBärbel Höhn
zung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts, über
Verfahrensfragen, über Detailfragen .
Den Menschen CETA zu erklären - das habe ich beim
letzten Mal schon gesagt -, halte ich grundsätzlich für
richtig und wichtig . Ich stelle aber infrage, dass Sie das
wirklich wollen . In der Diskussion mit Ihnen drehen wir
uns ständig im Kreis . Sie sind dagegen, um dagegen zu
sein - fernab von der Realität, fernab von dem, was ausverhandelt worden ist .
({0})
Ich habe bei Twitter gelesen, dass die Linken-Chefin,
Katja Kipping, davon spricht, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum „Handlanger“
von Großkonzernen mache . Dazu muss ich sagen: Das
zeugt von einem sehr gefährlichen Verständnis von der
Bedeutung unseres Rechtsstaates . Sie spricht von „Klassenjustiz“ . Dazu sage ich: Das ist Parteikaderschulungssprache pur . - Das geht so nicht!
({1})
Dass Sie mit Ihrer Fundamentalopposition Schaden
anrichten, hat das Bundesverfassungsgericht eigentlich
bestätigt . Die Ablehnung der Eilanträge begründet das
Bundesverfassungsgericht folgendermaßen: Ein Scheitern von CETA hätte weitreichende negative Auswirkungen auf die Verhandlungen und den Abschluss künftiger
Außenhandelsabkommen und insgesamt auf die Stellung
der EU und somit auf die Stellung Deutschlands in der
Welt . - Kurz gesagt: Wenn CETA scheitert, lacht die ganze Welt über uns . Wenn wir nicht einmal in der Lage sind,
mit Kanada ein Freihandelsabkommen abzuschließen das wurde heute schon ausgeführt -, isolieren wir uns politisch und wirtschaftlich . Das Vertrauen in Deutschland
und Europa als Handels-, als Vertrags- und als politischer
Partner wäre erschüttert, und das, obwohl CETA eines
der ausgewogensten und modernsten Handelsabkommen
ist .
({2})
Langsam sollte die Linke wissen, wie gefährlich eine
derartige Fundamentalopposition ist . Es geht doch nicht
darum, dass Sie Kritik üben . Es geht auch nicht darum,
dass Sie das Ganze vor dem Bundesverfassungsgericht
vorbringen - das ist demokratisch und legitim . Es geht
um die Art und Weise, wie Sie Kritik üben und aufwiegeln .
({3})
Das schadet - das habe ich beim letzten Mal ganz deutlich gesagt - unserer Demokratie und dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .
({4})
Sie sind dagegen, um dagegen zu sein - fernab von Fakten . Das schürt Misstrauen . Dieses Misstrauen ist unbegründet .
Unser Ziel war es nie, ein Freihandelsabkommen auf
Biegen und Brechen umzusetzen . Frau Höhn, Sie haben
vorhin die Einführung der Gentechnik angesprochen .
Das ist gesetzlich geregelt, und es steht ganz klar drin,
dass alles, was gesetzlich geregelt ist, nicht angetastet
wird . Sie können das hier nicht einfach so sagen . Das
kann man nicht so stehen lassen .
({5})
Bereits seit 2009 laufen im Auftrag der EU-Mitgliedstaaten die Verhandlungen zwischen der Kommission
und Kanada . Das sind intensive Auseinandersetzungen .
Ich denke, es liegt - ich sage es noch einmal - eines der
modernsten und zukunftsfähigsten Freihandelsabkommen vor .
CETA ist mehr als ein Wirtschaftsabkommen zum Abbau von Zöllen; Kollege Westphal hat es gesagt . Durch
CETA haben wir die Chance, die Globalisierung in unserem Sinn ausgewogen zu gestalten, unsere Standards
zu setzen . CETA ist die Grundlage für einen Welthandel
mit nachhaltigen, fairen Regeln und hohen Sozial- und
Umweltstandards . Das positive Urteil des Bundesverfassungsgerichts stärkt das Vertrauen der Bevölkerung
in unseren deutschen Rechtsstaat, in seine demokratisch
gewählten Repräsentanten, in den Bundestag sowie in
die Europäische Union .
Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht eigentlich das bestätigt, was schon Fakt ist: Die demokratische
Beteiligung von Bundesregierung und Bundestag, auch
an der Arbeit der CETA-Ausschüsse, ist jetzt schon nach
dem EUZBBG gegeben, wir hätten eine entsprechende
Regelung also überhaupt nicht mehr gebraucht . Weltweit
wird momentan eine Vielzahl solcher Abkommen verhandelt .
Zum Schluss: Die Welt wartet nicht auf uns . Wir müssen der Taktgeber sein .
({6})
Wir müssen der Taktgeber in der Globalisierung sein und
einen gesunden, lebbaren Rahmen vorgeben . Wir können nicht abwarten, dass andere über uns entscheiden,
sondern wir sollten selbst entscheiden und gestalten . Ich
entscheide gerne selbst und lasse ungern über mich entscheiden . In diesem Sinne hoffe ich, dass am 27 . Oktober
dieses Abkommen zur Unterschrift kommt und in Kraft
gesetzt wird .
Danke schön fürs Zuhören .
({7})
Vielen Dank, Barbara Lanzinger . - Nächste Rednerin:
Dr . Nina Scheer für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst eine Feststellung
treffen: Ich registriere, dass die Opposition versucht, eine
Geschichte der Blamage zu schreiben, allerdings leider
auch, dass unser Koalitionspartner eine Geschichte der
Gleichgültigkeit schreibt, einer Gleichgültigkeit gegenüber dem, was wir in der Gesellschaft und im Parlament
verändern können und müssen .
({0})
Ich möchte Frau Lanzinger gern hiervon ausnehmen .
Wir haben in vielerlei Hinsicht gut zusammengearbeitet,
aber das, was ich ansonsten bisher parlamentarisch von
unserem Koalitionspartner an Änderungswünschen erfahren habe, das finde ich besorgniserregend;
({1})
denn damit werden viele Chancen in der Demokratie vertan .
Die SPD hingegen schreibt seit nunmehr über zwei
Jahren im Fall von TTIP und CETA - auch vorher gab
es schon kritische Auseinandersetzungen - ganz konkret
eine Geschichte der System- und Prozessverantwortung .
({2})
Meine Partei hat schon mit dem Konventbeschluss 2014
rote Linien aufgezeigt .
({3})
Danach kam im letzten Dezember der Bundesparteitagsbeschluss, und jetzt wurde erneut mit einem Konventbeschluss ganz klar aufgezeigt, wie der Prozess bei Freihandelsabkommen zu gestalten ist .
({4})
Dadurch ist ganz klar erkennbar geworden, dass man auch in Reaktion auf die öffentliche Diskussion - wahrgenommen hat, dass die Zeit des Liberalismus in der
Handelspolitik vorbei ist und man sich vom reinen
Freihandel zu einem verantwortungsbewussten Handel,
einem Fairhandel bewegt .
({5})
Genau das hat auch der SPD-Konventbeschluss anhand von Kriterien klar formuliert, und siehe da: Auch
die Stellungnahme des Deutschen Bundestages hat das
in wichtigen Punkten mit aufgenommen, und ich bin erstaunt, dass so etwas dann teilweise hier von unserem
Koalitionspartner unterschlagen wird .
({6})
- Was landet nun im Vertrag? Frau Höhn, Sie haben es
ganz richtig angesprochen . Insofern muss man auch hier
sagen: Prozessverantwortung heißt, dass man tatsächlich
wahrnimmt und aufnimmt, was in der Diskussion ist, und
in der kurzen Zeit, die zwischen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den angesetzten Entscheidungen verbleibt, das Beste daraus macht .
Aber auch darüber hinaus kann man noch etwas tun .
Wenn man auf die Auslegungserklärung blickt, so muss
man zum Beispiel konstatieren, dass darin ein Satz steht,
dass CETA nicht dazu führen werde, dass ausländische
gegenüber einheimischen Investoren begünstigt werden .
Das ist zum Beispiel eine Sache, die vom Bundesverfassungsgericht in der jetzigen Entscheidung nicht vorgegeben worden ist . Es ging dabei ja um eine einstweilige Anordnung und nicht um eine Entscheidung in der
Hauptsache .
({7})
Das ist ganz klar ein Zeichen dessen, dass wir uns hier
fortbewegen und uns kritisch mit den betreffenden Fragen auseinandersetzen, die wir auch schon vielfach diskutiert haben, und dass sie Stück für Stück, sukzessive
Einzug in das Vertragswerk halten . Diese Auslegungserklärung ist Bestandteil des Vertrages . Sie ist gemäß der
Wiener Vertragsrechtkonvention gleichwertig bindend
wie der Vertragstext . Auch wenn der Vertragstext selber
hierdurch nicht geändert wird, ist die Verbindlichkeit
gleichwertig. Insofern, finde ich, ist das hier nicht zu unterschätzen .
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen - und das gehört zur Prozessverantwortung,
die die SPD mit ihrem Konventbeschluss ganz deutlich
unterstrichen hat; dieser ragt auch über den heutigen
Zeitpunkt hinaus -: Wir sehen eben jetzt die Stunde der
Parlamente . Das haben wir so formuliert . Ich zitiere aus
dem Konventbeschluss:
Jetzt muss die Stunde der Parlamente kommen . Sie
müssen ausführlich beraten und umfassend prüfen,
inwieweit CETA die Ansprüche an eine fortschrittliche Handelspolitik erfüllt .
Wenn wir jetzt aber einfach behaupten, das alles sei
nicht hinreichend, dann geben wir auch ein Stück weit
Deutungshoheit ab . Aber warum?
({8})
Wir müssen die Forderungen, die wir im Gepäck haben,
den Auftrag der Gesellschaft an uns Parlamentarier ernst
nehmen und in die nächsten Prozesse einbringen,
({9})
das heißt für mich auch in die Ratifikationsprozesse.
Teilweise wird unterstellt, dass das nicht ginge, dass es
ausverhandelt sei . Das Europaparlament könne nur noch
mit dem Daumen nach oben oder nach unten zeigen . Es
gibt völkerrechtliche Ausführungen zu diesem Thema diese finde ich sehr glaubhaft -, zum Beispiel von Herrn
Professor Stoll, der ausdrücklich darauf verweist, dass im
Zusammenhang mit NAFTA im Rahmen von Zusatzprotokollen und Zusatzerklärungen - das ist damals unter
Clinton passiert - auch im Nachhinein Vereinbarungen
getroffen wurden . Solche Vereinbarungen müssen dann
natürlich durch die Vertragspartner abgesegnet werden .
Somit können sehr wohl auch nach den ersten formalen
Schritten im Ratifikationsprozess noch Änderungen vorgenommen werden .
Insofern sollten wir uns an dieser Stelle nicht unsere
Möglichkeiten nehmen, indem wir ständig behaupten,
das sei jetzt alles abgeschlossen, sondern wir sollten die
nächsten Schritte, die bevorstehen, tatsächlich nutzen,
um das veränderte Verständnis in der Bevölkerung über
das, was in Handelsverträgen stehen muss, aufzunehmen
und in CETA zu übertragen .
({10})
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .
Ich bin beim letzten Satz . - Wir werden danach sehen,
zu was das geführt hat . Ich hoffe und bin fest davon überzeugt, dass die Parlamente da gute Arbeit leisten werden
und verantwortlich mit den Fragen der Zeit umgehen .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Nina Scheer . - Nächster Redner: Peter
Beyer für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Vorab: CETA ist technisch
bereits vor zwei Jahren zu Ende verhandelt worden . Das
kann man einmal sacken lassen .
({0})
Es ist gut, dass jetzt Zusatzvereinbarungen, Zusatzerklärungen bezüglich der Bereiche Investitionsschutz,
Arbeitnehmerrechte, öffentliche Dienstleistungen usw .
den Vertragstext begleitend hinzugekommen sind, die
klarstellende Funktion haben und gleichwohl rechtsverbindlich sind . Das ist gut so .
Gut ist aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht
ganz klar gesprochen hat . Sämtliche Eilanträge in Sachen
CETA sind am 13 . Oktober erfolglos geblieben . Das ist
eine krachende Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht, unter anderem auch für die Linksfraktion, die in
Prozessstandschaft dort agiert hat .
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat damit auch ganz
klar der Chance den Weg bereitet, die Globalisierung
endlich mit Regeln zu bedenken bzw . entsprechende Regeln zu setzen .
Die Bedingungen, die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts sind folgende:
Erstens . Es ist sicherzustellen, dass ein Ratsbeschluss
über die vorläufige Anwendung nur Bereiche umfassen
wird, die in die Zuständigkeit der EU fallen .
Zweitens . Bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache sollen die EU-Mitgliedstaaten ausreichenden Einfluss auf die Beschlüsse
des CETA-Ausschusses bekommen .
Drittens . Die Bundesregierung erklärt, dass sie die
vorläufige Anwendung beenden kann, wenn die Ratifizierung hier bei uns in Deutschland - das mögen Gott
und wir alle verhindern - scheitern sollte .
Diese Vorgaben, insbesondere die ersten beiden, sind
wenig überraschend und ohnehin bereits vereinbart oder
auch in Gesetzeswerken geregelt . Hinsichtlich der dritten
Auflage des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die
Möglichkeit einer einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendbarkeit ist zu sagen, dass diese ohnehin erst
nach Zustimmung des Europäischen Parlaments zu CETA
eintreten wird . Es entspricht doch gängiger Praxis, die
Zustimmung des Europäischen Parlaments erst abzuwarten, bevor politisch bedeutsame Freihandelsabkommen
wie CETA vorläufig angewendet werden. Dies verschafft
den Abkommen die erforderliche demokratische Legitimation auf EU-Ebene . Mit Blick auf die Linksfraktion
muss man sich wirklich die Frage stellen, wie sie sich
zu dem europäischen Projekt, zu Europa insgesamt stellt .
({2})
Sprechen Sie den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament allen Ernstes die demokratische Legitimation und auch die demokratische Kompetenz und
Fähigkeit ab, Entscheidungen zu treffen? Ich hoffe, dass
das nicht so ist, meine Damen und Herren .
({3})
Die vorläufige Anwendung könnte somit - das ist
meine Hoffnung und auch meine Zuversicht - in der
ersten Hälfte des Jahres 2017 wirksam werden . Ich bin
zuversichtlich, dass das bis Ende dieses Monats, bis zum
EU-Kanada-Gipfel am 27./28. Oktober, stattfinden wird
und es dann eine Unterschriftsleistung geben kann .
Was die Obstruktionshaltung im Regionalparlament
der Wallonie in Belgien anbelangt, glaube ich schon, dass
gute Argumente auch die Kolleginnen und Kollegen dort
von CETA überzeugen werden, sodass man die Haltung,
die man im Moment noch hat, aufgibt und diesem Abkommen dann nicht mehr im Wege stehen wird .
In den Erwägungsgründen des Bundesverfassungsgerichts heißt es, es sei naheliegend - naheliegend! -,
dass sich ein Verbot der Unterzeichnung von CETA
durch die Bundesregierung negativ auf die europäische
Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der
Europäischen Union insgesamt auswirken würde . Das
Bundesverfassungsgericht führt dann weiter aus, die zu
erwartende Einbuße an Verlässlichkeit sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der EU insgesamt könne sich dauerhaft negativ auf den Handlungs- und Entscheidungsspielraum aller europäischen Akteure bei der
Gestaltung der globalen Handelsbeziehungen auswirken .
Meine Damen und Herren, wir sollten uns klarmachen, dass es längst nicht mehr um einen Streit über völkerrechtliche Abkommen zwischen zwei Staatengebilden
geht, sondern es geht um die Glaubwürdigkeit der EU
insgesamt . Kommt zu der Euro-Krise und zu der Migrationskrise auch noch eine veritable Handelskrise hinzu, die
letztlich den Wohlstand, den wir hier in Deutschland und
in anderen Teilen Europas genießen können, leichtfertig
und völlig unnötig aufs Spiel setzt? Das kann nicht im
Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger sein,
meine Damen und Herren .
Ich schließe mit einer Bemerkung der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die zu Recht gesagt
hat: Wenn es uns nicht gelingt, mit dem proeuropäischsten Land der Welt, mit dem wir auch in anderen Bereichen wie beim Klimaschutz oder bei der Bewältigung
der Flüchtlingskrise sehr eng zusammenarbeiten, ein
Freihandelsabkommen abzuschließen, werden sich die
anderen Staaten auf der Welt fragen, ob die EU überhaupt
noch ein verlässlicher Partner für uns ist . - In so einer
Welt, in so einem Europa und auch in so einem Deutschland möchte ich nicht leben und dort Abgeordneter sein .
Deswegen halte ich es für unsere Aufgabe als verantwortungsbewusste Politiker, den Weg freizumachen und die
Freihandelsabkommen zu unterstützen .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Peter Beyer . - Nächster Redner: Dirk
Wiese für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach drei Jahren Debatte - wir haben hier
im Plenum des Deutschen Bundestages und in den Ausschüssen sehr oft über dieses Thema diskutiert - muss
man feststellen: Die SPD hat in diesem Prozess gestaltet,
mitgewirkt und viel erreicht . Darauf können wir bis zum
heutigen Tage stolz sein .
({0})
Meine Kollegin Nina Scheer hat gerade deutlich gemacht: Es geht weder heute noch morgen um den Abschluss dieses Abkommens, sondern wir befinden uns in
einem Prozess . Dieser Prozess dauert noch an . Wir als
Deutscher Bundestag - auch daran will ich erinnern, weil
ich mir nicht ganz sicher bin, dass der Kollege Pfeiffer
das gelesen hat - haben eine gemeinsame Stellungnahme
auf den Weg gebracht . In dieser Stellungnahme heißt es:
Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden .
Das passiert hier und heute noch nicht; darauf will ich
hinweisen .
Ich will auch deutlich machen, dass eine Unterzeichnung am 27 . Oktober dieses Jahres nicht dazu führt, dass
das Abkommen vorläufig in Kraft tritt, sondern dafür bedarf es der Zustimmung des Europäischen Parlaments .
Das heißt, der Prozess ist noch in vollem Gange . Daran
werden wir als SPD nach wie vor aktiv mitwirken und
uns einbringen .
Zum zweiten wichtigen Punkt, den ich anmerken
möchte; da bin ich Frau Lanzinger dankbar, dass sie ihn
angesprochen hat . Lieber Kollege Klaus Ernst, wir sind
in dieser Angelegenheit ja durchaus unterschiedlicher
Auffassung, und wir diskutieren auch des Öfteren darüber . Natürlich sind am Ende immer alle Gewinner; das ist
in Debatten nun einmal so, und das kennt man ja . Aber
man kann sich nicht hier hinstellen und das Bundesverfassungsgericht loben, wenn man eine Parteichefin hat,
die am Tag der Urteilsverkündung davon gesprochen
hat, hier handele es sich um „Klassenjustiz“ . Das geht
nicht . Das ist eine Missachtung des Bundesverfassungsgerichts, die man nicht hinnehmen kann .
({1})
Ich muss auch sagen - das gilt jetzt nicht für die Fraktion der Linkspartei, sondern für den Kollegen Diether
Dehm -: Wenn man in einem Nebensatz die richterliche
Unabhängigkeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts hier infrage stellt, dann zeigt das, welch merkwürdiges Verständnis man hat .
({2})
Ich muss Ihnen auch deutlich sagen: Zu Teilen Ihrer
Rede, die Sie hier heute gehalten haben, hätte Ihnen die
FPÖ im österreichischen Parlament applaudiert .
({3})
Ich komme zu dem nächsten Punkt, der angesprochen
worden ist . Wir hören momentan viele Stimmen, die sagen, der Ratifizierungsprozess, den wir jetzt im Rahmen
eines gemischten Abkommens haben, wäre nicht richtig .
Möglicherweise werde die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union infrage gestellt . - Ich will deutlich sagen - denn wir werden auch zukünftig an vielen Stellen
über Freihandelsabkommen sprechen; Handlungsmandate sind in anderen Bereichen schon auf den Weg gebracht
worden -: Wenn juristisch ein gemischtes Abkommen
vorliegt - und das ist bei CETA der Fall; der Kollege
Pfeiffer hat das lange abgelehnt und wollte nicht, dass
sich der Deutsche Bundestag damit beschäftigt -, dann
haben wir als nationales Parlament das Recht und die
Pflicht, uns mit diesem Abkommen auseinanderzusetzen
und letztendlich darüber zu entscheiden, ob es in Kraft
tritt .
Frau Künast, Sie haben vorhin den Zwischenruf gemacht, wenn ich es richtig gehört habe, dass Herr Minister Gabriel die Bedeutung eines Regionalparlaments
infrage stellen würde . So habe ich Sie vernommen . Jetzt
zitiere ich mal den grünen Europaabgeordneten Sven
Giegold, der getwittert hat:
[…] unerfreuliche Hürde für Europas Handlungsfähigkeit . Regionalparlamente dürfen den Rat nicht
blockieren!
Wenn es zukünftig die Position der Grünen im Europaparlament ist,
({4})
dass der Ratifizierungsprozess im Rahmen eines gemischten Abkommens infrage gestellt wird, dann kann
ich nur sagen, dass der Kollege Giegold hier falschliegt .
Das ist nämlich schädlich für die Demokratie, wenn man
das an diesem Punkt missachtet .
({5})
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil
gegeben hat und die uns jetzt vorliegen, sind durch die
Maßnahmen, die die Bundesregierung an diesen Punkten
ergriffen hat, eingehalten .
Lieber Kollege Klaus Ernst, ich räume ja gerne an einigen Punkten ein: zwei Juristen, drei Meinungen . Das
sind manchmal Punkte, die man nicht lösen kann . Ich
räume auch gerne ein: Man holt immer das Gutachten
ein, in dem letztendlich seine Meinung vertreten wird .
Aber man muss ganz deutlich sagen: Das, was das Bundesverfassungsgericht auf den Weg gebracht hat, ist
durch das, was die Bundesregierung und Sigmar Gabriel
jetzt vorangebracht haben, abgesichert . Da kann ich nur
sagen: Die Hausaufgaben sind erledigt worden .
Frau Höhn hat das Vorsorgeprinzip angesprochen .
Dazu gibt es auch zwei Juristen, drei Meinungen und eine
Vielzahl von Gutachten . Aber Sie können nicht verhehlen, dass es eine Vielzahl von Stimmen gibt, die eindeutig
sagen, dass das Vorsorgeprinzip in CETA abgesichert ist,
dass es nicht infrage gestellt wird .
({6})
Es ist zwar nicht Ihre Meinung, aber Sie müssen respektieren, dass es Stimmen gibt, die eindeutig sagen,
dass es abgesichert ist .
({7})
Wenn Sie hier sagen, die Grünen werden diesem Abkommen nicht zustimmen, dann bin ich gespannt, was
Winfried Kretschmann macht . Aus sozialdemokratischer
Sicht ist Handelspolitik insbesondere mit Blick auf die
Arbeitsplätze in einer exportorientierten Wirtschaft wichtig . Dass den Grünen Arbeitsplätze nicht so wichtig sind,
das hat man ja an den Ausführungen von Frau Dröge zu
Kaiser’s Tengelmann gesehen .
({8})
Uns Sozialdemokraten sind Arbeitsplätze wichtig .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({9})
Vielen Dank, Herr Wiese . - Der letzte Redner in der
Aktuellen Stunde ist Mark Hauptmann für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir obliegt
jetzt die Aufgabe, das zusammenzufassen, was zwölf
Kollegen vor mir in diese Debatte eingeworfen haben .
({0})
Man ist ja mittlerweile schon daran gewöhnt, dass wir
CETA in diesem Hohen Hause diskutieren, im Regelfall
alle zwei Wochen . Man vermisst es geradezu, wenn es
mal nicht auf der Tagesordnung steht . Aber wir dürfen
doch jetzt festhalten, dass wir nach dieser Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts die Situation haben, dass
sich auf EU-Ebene die Handelsminister einig sind, dass
CETA in Zukunft den Handel zwischen Europa und Kanada regeln soll . Auf Bundesebene hat Sigmar Gabriel
die Vorbehalte auch der SPD entkräften können . Die Union hat hier nie gezweifelt .
({1})
Jetzt haben wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sodass auch die Bundesregierung bei
CETA zustimmen darf .
Herr Dehm, Sie haben ja gesagt, Sie hätten sich dieses
Urteil angeschaut . Die zwei entscheidenden Worte dieses
Urteils haben Sie aber nicht verstanden, nämlich: „Antrag abgewiesen“ .
Wir können hier jetzt festhalten, dass die Judikative,
die Exekutive und große Teile der Legislative an diesem
Abkommen nicht nur festhalten, sondern damit auch die
Globalisierung gestalten wollen .
Ich möchte hier explizit noch einmal auf die Argumente unserer Kollegen der Grünen und der Linken eingehen:
Zum Ersten . Das Duo Infernale der deutschen Empörungsindustrie, die Kollegen Ernst und Dehm, sprechen
von Klassenjustiz und davon, dass sie die Klagen so lange weiter fortführen werden, bis sie ein ihnen genehmes
Urteil erreicht haben . Das zeigt mir erstens, dass sie keine Achtung vor den deutschen Gerichten haben - noch
nicht einmal vor dem höchsten deutschen Gericht -,
({2})
und zweitens, dass sie den wirtschaftspolitischen Sachverstand einer Schnecke in einem Formel-1-Rennen haben; denn Sie; Herr Dehm, haben hier gesagt, dass die
Exporte und das Handelsvolumen doch anwachsen . Sie
haben sich aber immer wieder in Ihr Schneckenhäuschen
zurückgezogen .
({3})
Was Sie nicht verstehen, ist, dass sich die Dinge in
einer globalisierten Welt ändern, dass asiatische Länder
untereinander Freihandelsabkommen schließen, dass die
Amerikaner mit Asien Freihandelsabkommen geschlossen haben, dass wir aktuell in einer Situation sind, in der
wir die zukünftigen Regeln des Freihandels auf dieser
Welt gestalten und die Standards für diese Regelungen
setzen .
({4})
Sie verschließen sich diesen Tatsachen hier einfach und
träumen letztendlich vor sich hin .
Zum Zweiten, zu meinen Kolleginnen Höhn und
Dröge . Frau Dröge, Sie haben zunächst gesagt, die Beteiligungsrechte würden hier nicht gewahrt . - Wir waren gestern im Ausschuss, und der Staatssekretär hat das
Verfahren erläutert . Was bedeutet es, wenn wir aktuell
verhandeln und gleichzeitig die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, das Parlament informieren,
darüber debattieren und im Ausschuss Auskünfte geben?
({5})
Hier sind wir also doch gut informiert .
({6})
Das zweite Argument von Ihnen war, dass wir eine Arroganz der Macht hätten,
({7})
es werde supernational verhandelt . Wir verhandeln gar
nicht . Die Bundesregierung verhandelt gar nicht . Kommissarin Malmström und die EU-Kommission verhandeln .
({8})
Diese Prozesse und die Tatsache, wer dafür zuständig ist
und wer nicht, müssen Sie hier doch einfach einmal akzeptieren .
({9})
Der dritte Punkt, den Sie angesprochen haben, war,
wir hätten in dieser Debatte nichts erreicht . Machen Sie
hier doch nicht den Fehler der Linken! Kriechen Sie doch
nicht auch noch in Ihr Schneckenhäuschen hinein, und
verzwergen Sie sich nicht selbst!
({10})
Sie haben in dieser Debatte doch einiges erreicht . Es
wurde doch erreicht, dass das Verfahren, das seit über
zwei Jahren formell technisch abgeschlossen ist - der
Kollege Beyer hat es erwähnt -, in den letzten Wochen
noch einmal angepasst wurde, sodass wir das, was uns
Karlsruhe mit auf den Weg gegeben hat, auch umsetzen .
Das haben wir doch erreicht!
Von daher glaube ich - auch aufgrund des grünen
Lichts aus Karlsruhe -, dass wir jetzt einen guten Weg
gefunden haben, um dieses Freihandelsabkommen abzuschließen .
In der Begründung dafür, warum Ihre Anträge abgelehnt wurden, heißt es, es „drohten der Allgemeinheit mit
hoher Wahrscheinlich schwere Nachteile“ . Man könnte
das auch anders ausdrücken: Wer sich gegen freien und
fairen Handel verwehrt, wie Sie es hier in diesem Haus
tun, der schadet auch der Allgemeinheit .
({11})
Für uns in der Unionsfraktion ist es nichts Neues, dass
Sie auch der Allgemeinheit schaden, aber das ist hiermit
von höchster juristischer Stelle letztendlich auch noch
einmal bestätigt worden .
Ich glaube, wir sollten uns darauf konzentrieren, was
CETA durch neue Maßstäbe in dieser Globalisierung bewirken wird:
Erstens . Wir werden neue Märkte öffnen und bestehende Märkte vertiefen .
Zweitens . Wir werden die Handelsbarrieren abbauen . Ab dem Tag, an dem CETA in Kraft tritt, werden
500 Millionen Euro an Exportkosten für die europäischen Exporteure wegfallen .
Drittens . Das ist ein Konjunkturpaket für unseren Mittelstand und für Deutschland als Exportnation insgesamt,
wo jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt . Das
wird uns in diesem Zusammenhang sehr nützen .
Wir halten die internationalen Standards - die Sozialstandards, das Vorsorgeprinzip - ein und sorgen für eine
Reform der Schiedsgerichtbarkeit . Von daher bin ich der
Meinung: Karlsruhe hat recht . Wir haben hier grünes
Licht und können mit Stolz darauf blicken, dass wir mit
CETA die Globalisierung frei und fair gestalten werden .
Herzlichen Dank .
({12})
Vielen Dank, Mark Hauptmann . - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet .
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
möchte ich meinem Schriftführer Thomas Hitschler einen Gefallen tun . Wir achten ja darauf, dass wir hier eine
gute Stimmung haben . Deswegen begrüße ich in seinem
Namen recht herzlich eine Besuchergruppe aus der das hat er mir extra aufgeschrieben - schönen Südpfalz .
Herzlich willkommen .
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften
Drucksache 18/9986
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Kein Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort
Dr . Michael Meister für die Bundesregierung .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielen Dank für die Worterteilung . - Wir wollen heute die
Weiterentwicklung der Verlustnutzung für Unternehmen
diskutieren . Was ist an dieser Stelle unser Problem? Wir
leben in einer globalisierten Welt . Wir leben in einer digitalen Welt mit einer ungeheuren Innovationsgeschwindigkeit . Wir müssen dafür sorgen, dass Unternehmen
am Standort Deutschland in der Lage sind, international
wettbewerbsfähig zu bleiben, aber auch Innovationen zu
entwickeln, diese zur Marktreife zu bringen und dafür die
notwendige Finanzierung zu haben .
Man kann dafür - das ist in Deutschland möglich eine Fremdfinanzierung nutzen. Aber wir benötigen für
diese Unternehmen natürlich nicht nur Fremdfinanzierungen, sondern auch Eigenkapitalfinanzierungen. An
dieser Stelle haben wir in unserem heutigen Rechtssystem eine Konfliktlage. Wer seine Eigenkapitalfinanzierung stärken will, der hat nach dem bestehenden § 8c
Körperschaftsteuergesetz ein Problem: Wenn die Stärkung des Eigenkapitals, etwa durch eine Kapitalaufstockung, zu einem Anteilseignerwechsel oder zu Anteilsveränderungen führt, dann fallen die Verlustvorträge bei
über 25 Prozent Anteilseignerwechsel anteilig und bei
über 50 Prozent Anteilseignerwechsel vollständig weg .
Das macht die Beteiligung für Investoren schwierig . Genau an dieser Stelle wollen wir ansetzen, um sinnvolle
Investitionen in die Zukunft des Standorts und unserer
Unternehmen möglich zu machen .
({0})
Deshalb sagen wir, dass wir den § 8c KStG so bestehen
lassen, wie er heute ist . Er bietet auch heute schon eine
gewisse Flexibilität, etwa innerhalb von Konzernen, in
denen das, was ich eben gesagt habe, bei Kapitalgabe in
einen einzelnen Unternehmensteil nicht gilt, etwa im Bereich der stillen Reserven . Also, bis zur Höhe der stillen
Reserven kann man heute schon Verluste weiter nutzen .
Aber gerade bei jungen und neugegründeten Unternehmen ist es so, dass die stillen Reserven in diesem Umfang
nicht vorhanden sind, stattdessen aber möglicherweise
Verlustvorträge . Deshalb besteht an dieser Stelle die Notwendigkeit, zu einer Erweiterung zu kommen .
Wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen § 8d im Körperschaftsteuerrecht anbieten . Dieser
Paragraf legt den Schwerpunkt nicht mehr auf die Zusammensetzung der Anteilseigner, sondern darauf, dass
der Geschäftsbetrieb weitergeführt wird .
({1})
Ich glaube, er ist eine sinnvolle Weiterentwicklung .
Wir werden auf der einen Seite dafür sorgen, Innovation und Investition am Standort Deutschland zu ermöglichen, damit es auch in neuen Technologiebereichen zu
Wachstumsentwicklungen kommt, auf der anderen Seite
aber den Missbrauch, den wir vor zehn Jahren mit der
Schaffung des § 8c KStG bekämpfen wollten, nicht erneut zulassen, also keinen Handel mit Verlustvorträgen .
Das wollen wir eindeutig nicht .
Deshalb gibt es für ein einzelnes Unternehmen die
Möglichkeit, sich auf Antrag auf § 8d KStG zu berufen .
Dann muss man in dem Geschäft, das man bisher betrieben hat, bleiben . Das ist im Unterschied zu § 8c KStG kein
quantitatives Kriterium, sondern ein qualitatives Kriterium . Das heißt, wir schauen genau hin: Wird das Geschäft
weiterbetrieben? Es kann gerne wachsen . Es kann gerne
ausgedehnt werden . Aber der Geschäftszweck kann nicht
verändert werden . Wir glauben, dass man damit die beiden Anforderungen zusammenbekommt, nämlich weiter
Wachstum in Deutschland zu ermöglichen, aber Handel mit Verlustvorträgen weiterhin zu unterbinden . Wir
wollen kein Steuergestaltungsmodell, sondern wir wollen eine vernünftige Entwicklung unserer Wirtschaft in
Deutschland . Das ist unser Ziel .
({2})
Ich glaube, dass wir einen Vorschlag vorgelegt haben, der diese beiden Zielsetzungen gut miteinander in
Einklang bringt . Ich glaube, dass die damit verbundenen
Steuerausfälle gut investiertes Geld sind, weil wir natürlich die Hoffnung haben dürfen, dass vorhandene Unternehmen stärker wachsen und dass es zu Neugründungen
kommt statt zum Ausverkauf guter Ideen über die Grenzen hinweg . Wenn die Ideen am Standort Deutschland
realisiert werden, dann wird das auch zu zusätzlicher
wirtschaftlicher Aktivität und zu neuen Steuereinnahmen
führen . Deshalb ist, glaube ich, dieses Geld eine gut getätigte Investition in den Standort Deutschland .
({3})
Da wir ein Angebot für alle Körperschaften unterbreiten, glauben wir, dass wir auch kein Problem mit dem
europäischen Recht haben . In der Vergangenheit haben
wir an dieser Stelle immer wieder Ideen vorgetragen, die
auf spezielle Ausschnitte unserer Wirtschaft ausgerichtet
waren . Diesmal wählen wir einen breiten allgemeinen
Ansatz für all diejenigen, die die genannten VoraussetVizepräsidentin Claudia Roth
zungen erfüllen . Deshalb glaube ich, dass das ein guter
Vorschlag ist, und ich würde mich freuen, wenn er in der
Beratung breite Unterstützung bekommt .
Vielen Dank .
({4})
Vielen herzlichen Dank, Dr . Meister . - Nächste Rednerin: Susanna Karawanskij für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Finanzminister Schäuble hat in den Haushaltsberatungen angekündigt, bis 2020 die schwarze Null
zu halten . Obwohl an dieser Staatsdoktrin krampfhaft
festgehalten wird, werden auf einmal für 2017 Steuersenkungen versprochen . Der Finanzminister hatte zwar
recht, als er sagte, dass wir in widersprüchlichen Zeiten
leben, aber wir als Linke würden es gut finden, wenn das
Gesagte belastbar wäre und sich nicht fünf Wochen später neue Widersprüche auftun .
({0})
Denn nun sind Steuersenkungen geplant, und zwar
nicht etwa für Privatleute - für den kleinen Mann oder
die Alleinerziehende -, sondern für Unternehmen, genauer gesagt für private Investoren in sogenannte Startups . Das klingt erst einmal positiv und innovativ - das
haben wir auch gerade von Herrn Dr . Meister gehört -,
und man denkt dabei an Unternehmensgründungen: von
einer Idee zur Umsetzung, wo Geldgeber entsprechend
einsteigen können . Das ist auch in einigen Fällen so .
Aber schauen wir uns das einmal genauer an: Startups machen gerade in den ersten Jahren große Verluste,
und der Großteil der Start-ups überlebt die ersten Jahre gar nicht . Ein beträchtlicher Teil dieser Start-ups soll
nämlich möglichst schnell hohe Profite erwirtschaften
und dann, wenn die Profitaussichten gut sind - was erst
einmal Spekulation ist -, an große Unternehmen weiterverkauft werden . Damit sind Start-ups eben keine gute
Adresse für nachhaltiges Wirtschaften, sondern sie sind
vor allen Dingen für Investoren und Wagniskapitalgeber
interessant . „Venture Capital“ und „Business Angels“
sind entsprechende Stichworte in diesem Zusammenhang .
Die Investoren und Wagniskapitalgeber sollen vor allen Dingen dadurch angelockt werden - neben den Profitaussichten -, dass sie ihre Verluste mit späteren Gewinnen verrechnen können . Damit müssen sie weniger
Gewinne versteuern, und damit fällt auch die Körperschaftsteuer geringer aus .
Nach derzeitigem Rechtsstand können noch nicht
steuerlich genutzte Verluste rasch verfallen . Das wurde
gerade schon gesagt . Bei einer Übertragung von 25 Prozent der Anteile geht der Verlust anteilig unter . Bei über
50 Prozent der Anteile kommt es dann zum vollständigen Untergang der vorhandenen Verluste . Diese können
dem Finanzamt gegenüber nicht mehr geltend gemacht
werden, wenn sich die Anteilseignerstruktur verändert .
Das geschieht häufiger, weil man frisches Kapital für ein
Start-up anlocken und anwerben möchte . Diese Regelung macht Sinn . Es sollen nämlich genau solche Spekulationen mit Unternehmen, die aufgrund ihrer Verluste
für Investoren attraktiv werden, verhindert werden .
Bei den Start-ups ist es so, dass Verluste aus den Vorjahren nicht berücksichtigt werden können, wenn ein
Wagniskapitalgeber in einem bestimmten Umfang einsteigt und sich damit die Anteilseignerstruktur bedeutsam ändert . Damit sind die Start-ups uninteressanter für
solche Kapitalgeber .
Zukünftig sollen unabhängig von dieser Anteilseignerstruktur Verluste fortgeschrieben werden können,
wenn ein - das ist die Einschränkung - seit mindestens
drei Jahren bestehender Geschäftsbetrieb erhalten bleibt
und eine anderweitige Nutzung ausgeschlossen ist .
Der Wermutstropfen dabei ist nämlich, dass die Klauseln „bestehender Geschäftsbetrieb“ und „Ausschluss
der anderweitigen Nutzung“ kaum werden verhindern
können, dass Betriebe allein wegen ihrer steuerlichen
Verlustverrechnung ausgeschlachtet werden .
Aus meiner Sicht gestaltet sich genau diese Abgrenzung, was ein bestehender Geschäftsbetrieb ist, sehr
schwierig . Aus linker Sicht muss hierbei gründlich nachgebessert werden .
({1})
Wir haben es nicht mit einer zielgenauen Förderung
von Start-ups zu tun . Denn diese neuen Regelungen gelten auch für Investitionen in bereits etablierte Unternehmen, die jetzt von der Verlustverrechnung und dem Steuersparmodell profitieren. Das hat das Finanzministerium
unumwunden in der Antwort auf eine Frage zugegeben,
die ich vor einer Woche erhalten habe . Es gibt eine gegen Missbrauch gerichtete Beschränkung der Verlustverrechnung bei Unternehmenserwerben gegen sogenannte
Mantelverkäufe . Diese untergraben Sie mit diesem Gesetzesvorhaben selbst . Das ist im Prinzip ein Care-Paket
für Geldhaie und Zocker .
({2})
Ich will ganz klar sagen: Es sind Steuermindereinnahmen oder -verluste in Höhe von 600 Millionen Euro
jährlich . Allein der kommunalen Familie werden damit
235 Millionen Euro aus dem Säckel gezogen . Das machen wir von der Linken nicht mit .
({3})
Meine Damen und Herren, Sie wollen mit diesem
Gesetzentwurf die Start-up- und Wagniskapitalszene fördern . Aber ebenso fördern Sie damit größere Unternehmen . Das ist tatsächlich mal wieder ein Kniefall vor der
Lobby .
Das Tragische ist, dass Sie eigentlich jahrelang bei den
wichtigsten Start-ups in der Bundesrepublik versagen,
nämlich bei den Kindern . Gerade einmal schlappe 2 Euro
mehr Kindergeld soll es geben . Wagniskapitalgeber werden gleichzeitig mit Millionenbeträgen gepampert .
({4})
Das ist die falsche Prioritätensetzung . Wir Linke haben
einen umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut eingebracht, um Steuereinnahmen sozial gerechter zu verteilen . Das wäre der richtige Ansatzpunkt, anstatt weiterhin Lobbyismuspolitik zu betreiben .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Susanna Karawanskij . - Nächster Redner ist Lothar Binding für die SPD-Fraktion .
({0})
Schönen Dank . - Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum
Stichwort „Kinder“ ist mir eingefallen, dass es heute irgendwie auch um Kinder geht . Denn die Bedeutung neuer erfindungsreicher Unternehmen, Start-Ups und Gründungen sind eigentlich die Kinder der Unternehmen, die
unsere Wirtschaft und unser Land zukunftsfähig machen .
Sie haben eine ganz wichtige Bedeutung .
({0})
Sigmar Gabriel wird nicht müde, allen zu erklären,
welche Bedeutung diese Unternehmen haben . Trotzdem
haben wir ein Problem: Wie wollen wir diese von uns
allen gewünschten Firmen fördern, ohne in wettbewerbsrechtliche Probleme in Europa zu geraten?
Fördere ich ein innovatives Unternehmen, sagt jedes
andere: Ich bin auch innovativ . - Schon handele ich wettbewerbsverletzend und europarechtswidrig . Deshalb war
der Gesetzentwurf relativ kompliziert zu machen . An einigen Stellen müssen sicherlich Nachsteuerungen vorgenommen werden .
Nun steht da: Wir wollen die steuerliche Verlustverrechnungsbeschränkung bei Körperschaften neu regeln .
Ich frage mich, ob irgendein Bürger weiß, was „Verlustverrechnungsbeschränkung bei Körperschaften“ bedeutet .
({1})
Ich erkläre das an einem einfachen Bespiel . Ein Unternehmen, das 10 Millionen Euro Gewinn macht, müsste
3 Millionen Euro bezahlen. Davon fließen 1,5 Millionen
Euro an die Gemeinde und 1,5 Millionen Euro an den
Bund . Aber bei diesem Unternehmen gab es möglicherweise schon längst vergessene Verluste . Wenn es diese
Verluste in Höhe von vielleicht 5 Millionen Euro entsprechend geltend macht, sagt das Unternehmen: Ich habe
10 Millionen Euro Gewinn, kann aber 5 Millionen Euro
Verlust geltend machen . Dann habe ich nur 5 Millionen
Euro Gewinn, auf den ich nur 1,5 Millionen Euro Steuern bezahlen muss . - So sieht man: Alte Verluste sparen
Steuern in der Zukunft . Das wollen wir nicht . Deshalb
brauchen wir ein Gesetz, das diesen Effekt verhindert .
Wir reden jetzt über § 8d im Körperschaftsteuergesetz, was bedeutet, dass es auch einen § 8c gibt . Die gute
Sache bei diesem Gesetzentwurf ist, dass § 8c erhalten
bleibt .
({2})
- Ganz super ist er nicht . Der Zwischenruf war nur bedingt richtig .
({3})
Denn wir haben einen guten § 8c im Jahr 2008 gemacht . Jedoch gibt es dabei einen Wermutstropfen:
Schwarz-Gelb hat diesen guten § 8c aus dem Jahr 2008
dummerweise abgemildert, abgeschwächt und verwässert. Da wurde ein Schlupfloch aufgemacht, indem der
Verlustvortrag in Höhe der stillen Reserven erhalten bleiben konnte . Das war schlecht .
Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist gut .
Man muss sagen: Wir haben lange danach gesucht, eine
Förderung einzurichten, die europarechtstauglich und
trotzdem einigermaßen zielgenau ist .
Wie funktioniert das nun eigentlich? Eigentlich soll
nicht der Staat, sondern es sollen Business Angels die
Unternehmen fördern . Was macht ein Business Angel?
Er gibt Geld und seinen guten Namen und trägt das Risiko . Das alles macht er total selbstlos . Aber ein Business
Angel will auch Business machen; das ist klar . Er schätzt
also das Risiko ab . Bei Verkauf von Beteiligungen oder
Aufnahme neuer Gesellschafter sind bisher alle Verluste
quotal bzw . total untergegangen . Es ist klar, dass das eine
Investitionsbremse für jeden ist, der darüber nachdenkt,
einem Unternehmen Geld zu geben, obwohl er nicht
genau weiß, ob die Innovation, über die das Unternehmen verfügt, funktioniert, ob das ein tolles Unternehmen
wird oder ob das Unternehmen in Konkurs geht, weil die
Geschäftsidee nicht funktioniert . Deshalb ist es gut, im
Körperschaftsteuergesetz den neuen § 8d hinzuzufügen .
Er erlaubt teilweise, Verluste mit zukünftigen Gewinnen
zu verrechnen, um Business Angels und ihr Geld anzulocken . Aber im Gegensatz zu § 8c wird nicht jedem diese
Möglichkeit eröffnet . Eine ganz wichtige Voraussetzung
ist, dass der Betrieb fortgeführt wird .
Nun gibt es noch ein paar andere harte Bedingungen,
die nicht jedes Unternehmen so einfach erfüllt . Der betreffende Betrieb muss schon drei Jahre vor dem Antrag
existiert haben . Er darf keine weiteren Geschäftsbetriebe
aufnehmen . Er darf keine Beteiligungen an Mitunternehmerschaften haben . Er darf kein Organträger sein . Organschaften haben in der Vergangenheit immer zur Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen gedient . Zudem
darf der Betrieb keine Wirtschaftsgüter unter dem Marktwert aufnehmen . Das sind vier oder fünf relativ klare Bedingungen, unter denen überhaupt ein Antrag, wie Herr
Dr . Meister ausgeführt hat, gestellt werden kann, wenn
der Betrieb unter § 8d fallen soll . Wie man sieht, bleibt
§ 8c erhalten . Mit § 8d sind wir auf einem guten Weg,
unser Ziel zu erreichen . Es stimmt, dass es auch einen
Wermutstropfen gibt . Schließlich können alle UnternehSusanna Karawanskij
men, nicht nur die innovativen, einen entsprechenden
Antrag stellen . Das schwächt die Zielgenauigkeit; das
ist ein Nachteil . Ich hoffe, dass die Start-ups, die diese
Neuerung gefordert haben, wissen, dass von 100 Euro
Förderung möglicherweise nur 10 bis 15 Euro bei ihnen
ankommen . Aber das lässt sich aus europarechtlichen
Gründen nicht anders machen .
Es gibt allerdings einen Fall, auf den wir achtgeben
müssen . Ich nenne als Beispiel einen Betrieb, der bis
vor fünf Jahren Röhren produziert hat . Der Unternehmer
hat mit seinem Röhrenunternehmen einige Millionen
Euro Verluste gemacht . Wenn dieses Unternehmen unter
Bezugnahme auf § 8d drei Jahre lang - so lange dauert
gewissermaßen die Wohlverhaltensphase - Schraubenzieher produziert - wie wir alle wissen, werden Schraubenzieher überall gebraucht -, kann dieses Unternehmen
seine Altschulden in beliebiger Höhe mit zukünftigen
Gewinnen verrechnen . Das ist der alte Mantelkauf, den
wir mit dem § 8c verhindern wollten . Die Brücke in
die Welt vor dem alten § 8c müssen wir zerstören . Wir
werden sicherlich einen entsprechenden Antrag stellen
müssen, um nicht eine ganz gefährliche Verlustverrechnungskarawane im Land auszulösen, die in fiskalischer
Hinsicht gravierende Folgen hat .
({4})
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit und Gratulation zu diesem Gesetz .
({5})
Vielen Dank, Kollege Binding, auch vielen Dank von
uns für die erklärenden Beispiele . Manchmal ist es gar
nicht so einfach, Ihren klugen Ausführungen zu lauschen
und sie nachzuvollziehen . Das liegt aber am Metier .
({0})
Nächster Redner: Dr . Thomas Gambke für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin, ich hoffe, dass auch ich ein paar anschauliche Beispiele nennen kann . Die Messlatte wurde
ja hoch gelegt .
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Zielsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs steht bei uns im Wahlprogramm . Wir haben das
oft gefordert . Es ist absolut richtig, darüber nachzudenken, wie wir gerade innovativen, jungen Unternehmen
über eine längere Strecke, und zwar auch über die Strecke, auf der sie Verluste machen, weiterhelfen können .
Frau Karawanskij, die Verluste treten nicht deshalb auf,
weil der Investor, der dahinter steht, hohe Gewinne machen will . Vielmehr treten viele Verluste bei Unternehmen auf, die sich mit nachhaltiger Technologie befassen .
Da spreche ich fast pro domo; denn ich habe selbst ein
Unternehmen, das in dem Bereich tätig ist . Solche Firmen müssen über einen langen Zeitraum entwickeln und
produzieren, ohne dass sie Gewinne machen können . Sie
fahren vielmehr Verluste ein . Es ist natürlich richtig, sich
darüber Gedanken zu machen, wie diese Verluste geltend
gemacht werden können . Diese langen Zeiträume betreffen gerade Hochtechnologieunternehmen zum Beispiel
im Bereich der Biochemie oder etwa der Elektronik .
Wir haben leider einen Rückgang von Unternehmensneugründungen . Der ist wirklich erheblich . Ich
habe nachgeschaut: Von 2001 bis 2016 ging die Zahl
der Unternehmensneugründungen von 1,5 Millionen auf
0,76 Millionen - das ist die Hälfte - zurück . Das heißt,
wir reden hier vor dem Hintergrund, dass die Innovationsfreudigkeit von Unternehmen, wenn man den Zahlen
glauben kann, eher abnimmt .
Aber wir müssen prüfen, welche Möglichkeiten - die
Konzernklausel und die Stille-Reserven-Klausel sind
angesprochen worden - bestehen . Wir müssen uns aber
auch fragen - da ist die Kritik berechtigt -: Wie breit darf
der Spielraum sein? Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Wir dürfen nicht zu dem sehr schlechten Verhältnis, das Sie genannt haben, kommen, nämlich dass von
100 Euro Förderung nur 10 Euro im Sinne der Zielsetzung, die wir haben, wirksam werden .
Dann kommt man sehr schnell darauf, dass neben den
innovativen Unternehmen auch andere davon profitieren - da müssen wir genau hinschauen, ob wir uns diese
Breite erlauben wollen - und dann das Instrument auch
noch nicht einmal sinnvoll greift . Denn es entsteht dabei
so etwas wie ein Lock-in-Effekt, wenn wir sagen, dass
die Geschäftstätigkeit weiter fortgesetzt werden müsse .
Gerade bei alteingesessenen Unternehmen, die Probleme bekommen - wir haben das übrigens im Rahmen der
Erbschaftsteuer im Zusammenhang mit der Lohnsummenregelung diskutiert -, erleben wir oft die Notwendigkeit einer Neuausrichtung hinsichtlich der Kunden,
des Produktportfolios; möglicherweise ist sogar die Aufspaltung des Unternehmens sinnvoll . Wenn wir das mit
dem Hinweis blockieren, dass nur dann Verluste weiter
fortgeschrieben werden könnten, wenn diese Maßnahmen nicht umgesetzt werden können, dann machen wir
eigentlich genau das Falsche .
({0})
Insofern glaube ich, dass wir uns die Zieldefinition
noch einmal genauer anschauen und scharf prüfen müssen, in welchem Umfang wir den jetzt vorgeschlagenen
Regierungsentwurf unterstützen können . Ich bin da ein
bisschen skeptisch . Wir müssen genau darüber nachdenken, wie wir junge und innovative Unternehmen wirklich stützen wollen . Wir haben über die steuerliche Forschungsförderung diskutiert . Das würde bedeuten, einen
aktiven Beitrag zu leisten . Das wäre ein Vorschlag .
Die zweite Möglichkeit: Wir haben immer wieder
gesagt, dass wir bessere Rahmenbedingungen schaffen
müssen, ob das im Bereich der erneuerbaren Energien
oder im Bereich der Digitalisierung ist . Das heißt, wir
müssen aktiv einen Rahmen setzen, in dem innovative
Unternehmen tätig sind .
({1})
Lothar Binding ({2})
Etwas hat mich an dem Prozedere gewundert . Wenn
ich es richtig gehört habe, dann sind bisher die Länder
und auch Europa gerade nicht eingebunden worden . Herr
Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Das Thema hat
uns schon zwei, drei Jahre beschäftigt . Immer wenn ich
die Regierung gefragt habe, was sie diesbezüglich mache, wurde mir geantwortet: Wir arbeiten daran . - Die
Regierung hat es aber nie verstanden, unserer Fraktion
oder den Ländern ein Feedback darüber zu geben, woran sie denkt . Jetzt kommt die Bundesregierung mit dem
§ 8d, der, soviel ich weiß, zumindest bei den Ländern,
und zwar wegen der Zielungenauigkeit, durchaus Bedenken auslöst .
Insofern hoffe ich, dass wir das Thema sehr konstruktiv angehen und wir uns noch einmal anschauen, welche
anderen Möglichkeiten es gibt, um die Zielsetzung, die
wir haben, zu erfüllen . Die Zielsetzung ist, junge und innovative Unternehmen zu fördern . Wir sollten Unternehmen, die ein Risiko eingehen, belohnen oder zumindest
nicht dadurch bestrafen, dass mit dem Risiko verbundene
Verluste das Unternehmen beeinträchtigen . Wenn wir in
dem Sinne das ganze Thema verhandeln können, dann
kommen wir zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis,
wenn nicht, müssen wir uns andere Möglichkeiten genauer anschauen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank, Dr . Thomas Gambke . - Der nächste
Redner: Dr . Philipp Murmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte dieses Gesetzes ist lang . Schon 2007 haben Kollegen, die jetzt
auch noch hier sitzen, darauf hingearbeitet, Wachstumsfinanzierung möglich zu machen. Damals waren KlausPeter Flosbach und Heinz Riesenhuber mit dabei . Es
ging dabei um das sogenannte MoRaKG, das Gesetz zur
Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen . Das ging sogar durch Bundestag und Bundesrat, wurde dann aber von der EU gekippt - mit der
wesentlichen Begründung, es sei zu schmal, es werde damit Beihilfe geleistet, die Wettbewerbsverzerrung durch
die Beihilfe würde die positiven Aspekte dieses Gesetzes
überlagern, insofern sei es nicht EU-konform . Das war
das große Problem .
Seitdem haben viele Gehirne daran gearbeitet, um
eine Lösung zu finden. Nun haben wir diese Lösung. Alle
Bedenkenträger, die unterwegs sind bzw . waren, sind,
denke ich, mit eingebunden worden . Insofern ist aus meiner Sicht mit diesem Gesetz jetzt schon ein Durchbruch
geschafft worden . Insofern würde ich mich auch freuen,
wenn wir das möglichst breit tragen würden . Für unseren
Standort ist das - um das gleich einmal vorneweg zu sagen - wirklich ein super Gesetz .
({0})
Wir sollten auch denen Dank sagen, die daran mitgewirkt haben: Staatssekretär Meister für das BMF, Frau
Zypries, denke ich, für das BMWi . Sie haben mit Helge
Braun aus dem Bundeskanzleramt zusammengesessen,
um das sozusagen von allen Seiten zu beleuchten . Natürlich gab es auch sanften Druck des Parlaments, aber nicht
nur der Opposition . Auch die Regierungsfraktionen haben immer wieder gefragt: Wie weit seid ihr denn? Jetzt
muss doch mal etwas kommen .
Jetzt aber haben wir etwas . Darüber diskutieren wir
in der ersten Lesung . Wir haben den § 8c - er wurde
schon beschrieben; insofern will ich nicht zu sehr darauf
eingehen - mit zwei Ausnahmen, die nur für bestimmte
Unternehmen gelten; nur dann können Verluste weiter
vorgetragen werden .
Jetzt gibt es den neuen § 8d. Ich finde die Idee großartig . Zum § 8c hat man gesagt, es werde immer nur auf
den Anteilseigner geschaut . Bei einem neuen Anteilseigner sind die nicht genutzten Verluste jeweils weg; der
Geschäftsbetrieb ist völlig außen vor . Jetzt sagt man: Ihr
müsst euch mit Antrag entscheiden, ob ihr nicht in ein
anderes Regime wechseln wollt, und dann wird auf den
Geschäftsbetrieb und nicht mehr darauf geguckt, ob es
einen Anteilseignerwechsel gibt oder nicht . Das interessiert dann im Grunde nicht, sondern solange der Geschäftsbetrieb fortgeführt wird, bleiben die nicht genutzten Verluste erhalten .
Jetzt komme ich - das klang auch schon in einigen
Reden an - zu der Frage, über die wir noch diskutieren
werden: Was ist ein Geschäftsbetrieb? Da hat das Ministerium erst einmal in den Gesetzentwurf hineingeschrieben - ich möchte das kurz zitieren -:
Ein Geschäftsbetrieb umfasst die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft und bestimmt
sich nach qualitativen Merkmalen einer Gesamtbetrachtung .
Ich denke, das wird nachher das Thema sein, um das es
gehen wird .
Qualitative Merkmale sind insbesondere die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte
und die Qualifikation der Arbeitnehmer.
Das ist - ich sage das einmal so - eine Definition, die den
Rahmen sicherlich schon ganz gut absteckt .
Es gibt aber, wie gesagt, einige Eingrenzungen, was
so ein Geschäftsbetrieb nicht machen darf . Ich denke, da
sind wir auch in vielen Fragen einig . Er darf nicht einfach ruhend gestellt werden . Die Körperschaft darf sich
nicht an einer Mitunternehmerschaft beteiligen und nicht
Organträger werden . Es dürfen nicht unter gemeinem
Wert angesetzte Wirtschaftsgüter übertragen werden . Ich
denke, diese Themen sind wahrscheinlich konsensfähig,
oder es besteht bei ihnen sowieso Konsens .
Dann gibt es noch zwei Themen, über die wir sicherlich noch diskutieren müssen . Einmal geht es um
den Fall, dass ein Geschäftsbetrieb einer andersartigen
Zweckbestimmung zugeführt wird . Dabei geht es so ein
bisschen um das Beispiel, das Lothar Binding angeführt
hat: von Röhren auf Schraubenzieher umgestellt . Die
Frage ist aber natürlich auch, wie weit das geht .
Zum anderen gibt es den Fall, dass ein zusätzlicher
Geschäftsbetrieb aufgenommen wird . Das ist natürlich
gerade bei Start-up-Unternehmen häufig das Problem.
Sie fangen meinetwegen an, mit einem Wirkstoff zu arbeiten, weil sie Schnupfen bekämpfen wollen . Im Laufe
der Zeit stellt sich dann aber heraus, dass der Wirkstoff
nicht bei Schnupfen wirkt, dafür aber beispielsweise für
die Haut gut ist . Damit ändert sich natürlich etwas . Das
kann natürlich auch der Auslöser dafür sein, dass ein neuer Anteilseigner sagt: Jetzt ist das für mich interessant .
Ich gehe da hinein und gebe auch Kapital dazu .
Wenn wir das zu eng fassen, sind bestimmte Veränderungen, die bei wachsenden Unternehmen natürlich
immer vorhanden sind, gar nicht mehr möglich . Dann
kommen wir wieder auf das alte Verlustthema zurück .
Also, an der Stelle müssen wir, denke ich, schon noch
ein bisschen darüber diskutieren, wie wir das so ausgestalten, dass wir nachher auch wirklich die Wirkung haben, die wir haben wollen . Es ist ja schon klar geworden:
Es gilt grundsätzlich für alle Unternehmen . Denn sonst
kriegen wir das mit der EU auch gar nicht übereinander .
Insofern ist der Ansatz aus meiner Sicht auch ganz genau
richtig .
Ich würde zum Schluss gern noch drei Punkte ansprechen .
Der erste Punkt - es wurde schon angesprochen - ist
der Name . Der Name „Gesetz zur Weiterentwicklung der
steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“ ist
natürlich etwas für Technikfreaks . Wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob wir nicht einen etwas schöneren Namen finden, der das Ziel besser beschreibt und
trotzdem EU-konform ist, ich sage jetzt mal: „Gesetz zur
Verbesserung der Wachstumsfinanzierung von Körperschaften“ oder „ . . . von Geschäftsbetrieben“, wenn man
das nun unbedingt noch haben will, oder so ähnlich . Das
wäre, glaube ich, schon der Mühe wert, um auch nach
außen zu zeigen, dass es ein gutes Gesetz ist .
Der zweite Punkt . Es gibt eine Rückwirkung zum
1 . Januar 2016 . Das heißt: Auch Anteilsübertragungen,
die in diesem Jahr erfolgt sind, wären noch durch das Gesetz abgedeckt . Das ist natürlich positiv .
Der dritte Punkt, der auch schon angesprochen wurde, sind die finanziellen Auswirkungen. Ich denke, wir
sollten noch einmal genau hinterfragen, wo eigentlich
diese 600 Millionen Euro Steuermindereinnahmen herkommen . Das kann ja nur ein Drittel sein, weil es um
die steuerlichen Wirkungen geht . Das heißt, es müssten
1,8 Milliarden Euro Verluste innerhalb von einem Jahr
plötzlich durch dieses Gesetz Wirkung entfalten und diese 600 Millionen Euro auslösen . Das scheint aus meiner
Sicht doch sehr hoch gegriffen zu sein . Natürlich müssen
sich Bund, Länder und Gemeinden, die über die Gewerbesteuer in der Tat am meisten betroffen sind, wenn man
so sagen will, daran auch beteiligen . Aber ich denke, für
jede Kommune ist es natürlich auch eine Investition in
den Standort, wenn man ein Unternehmen hat, das mit
neuem Anteilseigner wachsen kann, Arbeitsplätze schaffen kann und dann vor Ort weiterhin bleibt und eben
nicht in die USA oder in andere Länder abwandert, wo
die Verluste sowieso verrechnet werden können . Insofern
ist das ein sehr guter Ansatz .
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und danke
noch einmal für diesen guten Entwurf .
({1})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr . Jens
Zimmermann .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung
die Rahmenbedingungen für die Kapitalausstattung von
Unternehmen verbessern, auch wenn das aus dem Titel
des Gesetzes zunächst einmal nicht unbedingt hervorgeht . Doch wir haben uns seit vielen Jahren in der Koalition Gedanken darüber gemacht: Wie können wir die
Rahmenbedingungen, gerade für junge Unternehmen,
die berühmten Start-ups, die in aller Munde sind, verbessern? Dazu gehört eben auch das Thema Kapitalausstattung . Wir haben im Koalitionsvertrag damals verabredet,
ein Wagniskapitalgesetz zu machen . Das haben wir jetzt
nicht . Aber die Bausteine dazu schaffen wir jetzt an vielen anderen Stellen . Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen das ausdrücklich .
Sowohl als Digitalpolitiker als auch als Finanzpolitiker habe ich mich selbst intensiv mit diesen Problemen
beschäftigt . Wir sind viel unterwegs gewesen, und wir
machen uns ja immer wieder Gedanken: Was sind denn
die Standortfaktoren, die die Gründung von Unternehmen beeinflussen? Wir haben festgestellt, dass das aktuell in Deutschland eigentlich nicht das zentrale Problem
ist . Es wird so viel gegründet wie seit vielen Jahren nicht
mehr . Aber dann geht es ja weiter . Das Problem, das wir
sehen und über das uns häufig berichtet wird, ist, dass
dann in der Wachstumsphase in Deutschland kein ausreichender Zugang zu Kapital vorhanden ist . Es gibt die unterschiedlichsten Strategien, die die Unternehmen dann
wählen . Es ist eben schon angesprochen worden: Häufig ist die Strategie dann der Weggang ins Ausland. Das
kann nicht in unserem Interesse sein, und das kann auch
nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft sein, meine
Damen und Herren .
({0})
Wir brauchen in unseren Start-up-Städten in Deutschland - Berlin ist da wirklich europa- und weltweit in aller
Munde; aber es betrifft auch andere Städte, ich denke da
nur an Frankfurt als eines der neuen Center für das ganze
Thema FinTech -, um erfolgreich zu sein, eben nicht nur
gute Ideen und kluge Köpfe, sondern auf der langen Strecke auch eine ausreichende Kapitalausstattung . Ich will
an dieser Stelle einmal den Bogen spannen . Wir haben
ja über diesen Gesetzentwurf, den wir heute diskutieren,
hinaus schon einige andere Maßnahmen ergriffen . Das
Ganze läuft unter dem Titel „Die Neue Gründerzeit“ .
Wenn ich da zum Beispiel an die steuerliche Freistellung
des INVEST-Zuschusses denke, wenn ich an das Kleinanlegerschutzgesetz und die Diskussion über das Thema
Crowd-Investment denke, wenn wir uns anschauen, dass
das Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der
KfW 400 Millionen Euro für die entsprechenden Fonds
zur Verfügung gestellt hat, dann muss man sagen: Da ist
viel getan worden . Dieses Gesetz, das wir heute in erster
Lesung beraten, ist ein weiterer Baustein dieser Strategie .
({1})
Es ist von den Vorrednern schon angesprochen worden: Wir haben eine nicht unerhebliche Aufgabe angenommen . Wir wissen genau, was wir fördern wollen .
Jeder kann sich unter „Start-up“ etwas vorstellen . Wir
wissen ziemlich genau, wen wir fördern wollen . Aber bei
diesem Gesetz müssen wir sehr allgemein formulieren,
damit wir am Ende nicht in europäische Wettbewerbsprobleme kommen . Deswegen haben wir als Deutscher
Bundestag und hat auch der Finanzausschuss die Aufgabe, sehr genau hinzuschauen und mit Expertinnen und
Experten darüber zu diskutieren: Wie zielgenau funktioniert dieses Gesetz, und wie hoch sind am Ende die
Streuverluste? Denn die gilt es zu minimieren .
Ich bin gespannt, welche Rückmeldungen wir aus der
Praxis bekommen werden . Bei der Kritik, die ich teilweise vonseiten der kommunalen Ebene gehört habe, muss
man auch ein wenig aufpassen . Wir haben gerade eine
Einigung über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen erzielt . Wenn ich es richtig sehe, werden wir als Bund in
den kommenden Jahren sehr hohe Milliardenbeträge in
die Hand nehmen . Deswegen müssen wir an dieser Stelle ein bisschen Maß und Mitte walten lassen; denn am
Ende des Tages ist das Gesetz, das wir hier beraten, im
Interesse der Kommunen genauso wie im Interesse des
ganzen Landes . Wenn wir es schaffen wollen, die Themen, die uns die Digitalisierung momentan stellt, richtig zu bearbeiten und daraus erfolgreich hervorzugehen,
dann müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen . Es
wäre Augenwischerei, zu glauben, man könne jetzt den
einen oder anderen Euro Gewerbesteuer sichern, ohne
gleichzeitig in neue Technologien, in neue Unternehmen
zu investieren . Deswegen bin ich mir auch sicher, dass
wir diese Diskussion am Ende zu aller Zufriedenheit lösen können .
In diesem Sinne herzlichen Dank .
({2})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist eine Binsenweisheit: Die Erhaltung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist kein Selbstläufer .
Dieser Gesetzentwurf sichert, dass Deutschland als Wirtschafts- und Investitionsstandort weiterhin hochattraktiv
bleibt und attraktiver wird . In Zukunft erhalten unsere
Unternehmen neue Impulse, um in Wachstumsmärkte zu
investieren . Das dient den Investoren, das dient aber auch
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland .
({0})
Zur Chancengerechtigkeit gehört, dass risikobedingte
Verluste auch eine Verlustverrechnung erhalten . Wenn
wir darüber diskutieren, dass Apple durch Steuervermeidung eine Steuerlast in Höhe von nur noch 1 Prozent hat,
dann müssen wir doch gerade für die kleinen, mittleren
und jungen Unternehmen ein Gerechtigkeitsangebot machen, indem wir ihnen Chancen vermitteln und ihnen
Chancen geben .
Für mich ist dieses Gesetz ein Unternehmensmodernisierungsgesetz, ein Unternehmensfördergesetz . Wir
werden Wachstum und Investitionen nur schaffen, wenn
wir den Zugang zu privatem Beteiligungskapital vereinfachen und vor allem auch breit ermöglichen . Neue
Arbeitsplätze benötigen neues Kapital . Es geht nicht anders . Der Wettbewerbsdruck in der globalisierten Welt
verlangt geradezu neue Investitionen, um die Zukunft zu
gewinnen . Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf
wird die steuerliche Verlustverrechnung bei Körperschaften und Unternehmen neu ausgerichtet . Dadurch werden
steuerliche Hemmnisse bei der Kapitalausstattung von
Unternehmen vermieden . Steuerlich nicht genutzte Verluste gehen dann auch bei einem Anteilseignerwechsel
nicht verloren . Sie gehen bisher nur dann nicht verloren,
wenn die Körperschaft die Stille-Reserven-Klausel oder
die Konzernklausel erfüllt . So regelt es bisher § 8c Körperschaftsteuergesetz . Die Praxis hat aber gezeigt, dass
diese Ausnahmen sehr eng gefasst sind - natürlich, weil
man Missbrauch vermeiden wollte . Aber wir können die
kleinen und mittleren jungen Unternehmen nicht dadurch
bestrafen, dass über § 8c Missbrauch eingeschränkt werden muss .
({1})
Jetzt geben wir den kleinen und mittleren jungen Unternehmen mit dem neuen § 8d eine neue Chance, eine neue
Unterstützung .
({2})
Ich glaube, dass wir eine gute Kapitalausstattung benötigen, um Liquiditätsengpässe, Finanzierungsengpässe und finanzielle Schwierigkeiten bei Unternehmen zu
verringern - durch bessere Möglichkeiten, in den Wettbewerb einzusteigen und die Wettbewerbsfähigkeit für
die Zukunft zu sichern . Oftmals sind Investitionen zum
Überleben notwendig, und Voraussetzung ist häufig, dass
der Einstieg eines Gesellschafters möglich ist, dass es
einen Anreiz für den Einstieg gibt . Rückwirkend zum
1 . Januar 2016 können nun nicht genutzte Verluste trotz
eines Anteilseignerwechsels weiterhin genutzt werden .
Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, stärkt unseren Wirtschaftsstandort, gerade die
kleinen und mittleren Unternehmen, die nach wie vor
über 70 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen .
({3})
Die großen Konzerne brauchen es nicht; gerade die kleinen und mittleren jungen Unternehmen sind es, die die
Beschäftigung fördern . Deshalb benötigen wir sie dringend .
Es ist richtig, dass es für den Erhalt des Verlustvortrags nach einem Anteilseignerwechsel keine Rolle spielen darf, ob und in welchem Umfang Betriebsvermögen
zugeführt wird . Das zeigt auch, dass der Gesetzentwurf
nicht nur ausgewogen und wirtschaftlich sinnvoll ist,
sondern auch den bürokratischen Aufwand begrenzt .
Entscheidend ist, dass wir die Rahmenbedingungen
für die Kapitalausstattung insgesamt erheblich verbessern . Denn viele Unternehmen sind auf eine Finanzierung
und die Neuaufnahme von Anteilseignern angewiesen .
Wir stärken deshalb die Eigenkapitalbasis der deutschen
Betriebe, der kleinen und mittleren jungen Unternehmen .
Das ist ein besonderer Vorteil . Das ist gut; denn Deutschland braucht Modernisierung, braucht Wettbewerbsfähigkeit, braucht eine neue Gründerzeit . Wir können nur
alle jungen Leute bitten, dass sie die Chance ergreifen,
ein Unternehmen zu gründen . Wir geben hier eine klare
Unterstützung .
Eine Abgrenzung, die dafür sorgt, dass die Regelung
nur für Start-ups gilt, halte ich für falsch . Das würde
zu Ausweichmanövern führen . Wir müssen alle gleich
behandeln; es darf keine Diskriminierung von Unternehmen geben . Wir brauchen natürlich vor allem junge
Unternehmen; wir brauchen aber immer auch innovative
Unternehmen, die sich aus den normalen Betrieben heraus entwickeln, damit Deutschland seine ökonomischen
Chancen im Zuge des internationalen Wettbewerbs und
vor allem auch der Digitalisierung nutzen kann . Dabei
ist es essenziell, den Wagniskapitalmarkt und die Gründerszene zu stärken . Das tun wir heute . Das ist ein guter
Anfang . Ich glaube, dass wir damit einen richtig guten
Weg für die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts beginnen .
Vielen Dank .
({4})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9986 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 7:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
BAföG an die Lebenswirklichkeit anpassen Keine weiteren Nullrunden für die Studierenden
Drucksache 18/10012
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
höre ich keinen . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn dieser Aussprache das Wort der Kollegin Nicole Gohlke für
die Fraktion Die Linke .
({1})
Herzlichen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute zwei gute Gründe,
über das BAföG und vor allem über seine Weiterentwicklung zu diskutieren .
Zum einen feiert das BAföG in diesem Jahr seinen
45 . Geburtstag - 1971 wurde es von der Regierung
Brandt auf den Weg gebracht -, und das sollte für uns
alle Anlass sein, um über dieses sehr gute Instrument für
Bildungsgerechtigkeit und sozialen Ausgleich nachzudenken .
({0})
- Genau, da kann man klatschen; Sie von der CDU/CSU
eigentlich auch .
({1})
Der zweite Grund, warum die Linke heute diesen Antrag in den Bundestag einbringt, ist, dass wir leider ganz
und gar nicht zufrieden sein können mit dem aktuellen
Zustand des BAföG
({2})
und schon gar nicht damit, wie die Große Koalition das
Thema BAföG abhandelt; sie meint, es jetzt für den Rest
der Wahlperiode außen vor lassen zu können .
({3})
Das wird weder den Studierenden heute noch dem ursprünglichen Anspruch des BAföG gerecht . Das muss
dringend korrigiert werden .
({4})
Die Linke fordert, das BAföG endlich an die Lebensrealität anzupassen . Wir möchten eine substanzielle
BAföG-Erhöhung, eine Erhöhung der Bedarfssätze und
Freibeträge um 10 Prozent anstelle der 7 Prozent, um so
mehr junge Menschen zu erreichen,
({5})
um mehr Menschen aus finanziell schwachen Familien
an die Hochschule zu bringen und um das BAföG vor
allem so auszugestalten, dass man davon wirklich leben
und studieren kann .
({6})
Stattdessen erleben wir aber seit einigen Jahren - das
muss man tatsächlich so dramatisch ausdrücken - das
langsame Verkümmernlassen des BAföG;
({7})
denn zum Ersten erreicht das BAföG heute zu wenige legt man den Monatsdurchschnitt zugrunde, dann stellt
man fest, dass im letzten Jahr gerade noch 15 Prozent
der Studierenden überhaupt durch das BAföG gefördert
wurden -, und zum Zweiten ist das BAföG heute weit
davon entfernt, bedarfsdeckend zu sein . Wenn man alle
Leistungen zusammenrechnet, liegt es deutlich unter den
aktuellen Hartz-IV-Bezügen . Angesichts solcher Zahlen
ist es ziemlich unangebracht, wenn die Union die letzte
BAföG-Reform als - ich glaube, ich zitiere den Kollegen Rupprecht - „größte BAföG-Reform aller Zeiten“
bezeichnet . Das ist nicht nur eine ziemliche sprachliche
Verirrung, wenn ich Sie darauf hinweisen darf, sondern
zeigt auch eine gehörige Portion Realitätsverweigerung .
({8})
Das, wofür Sie sich hier selbst loben, das, was Sie als
großen Wurf bezeichnen, basiert auf dem jahrelangen
Unterlassen von Reformen . Es basiert darauf, dass das
BAföG seit Jahren entsetzlich unterdimensioniert ist, und
dafür sind Sie verantwortlich . Über Jahre hinweg haben
die BAföG-Erhöhungen noch nicht einmal die inflationsbedingte Preisentwicklung ausgeglichen . Über Jahre
hinweg sind über die nicht erfolgte Anpassung der Freibeträge Zehntausende aus der Förderung herausgefallen .
Angesichts dieser Situation bleibt von Ihrem Eigenlob
nicht sehr viel mehr übrig als Augenwischerei .
({9})
Fakt ist auch: Die Große Koalition hat viele der strukturellen Fragen im BAföG wieder nicht angefasst:
Wieder ist Ihnen nicht eingefallen, endlich das Verschuldungsrisiko für junge Menschen, also den Darlehensteil, abzuschaffen, obwohl Sie selber ganz genau
wissen, dass sehr viele der Hochschulabsolventinnen und
-absolventen mit Schulden aus der Studienfinanzierung
ins Berufsleben starten müssen .
Wieder haben Sie es versäumt, die Altersgrenzen im
BAföG aufzuheben und es endlich an die Realität der
Bildungsbiografien von heute anzupassen.
({10})
- Ja, heutzutage ist es eben so, dass ein Masterstudium
auch mit über 35 Jahren begonnen wird .
Wieder haben Sie es unterlassen, das BAföG mit einer automatischen Anpassung an die Entwicklung der
Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten zu versehen,
um den Studierenden endlich die jahrelangen Hängepartien um BAföG-Erhöhungen zu ersparen, und das beim
BAföG fairerweise so zu gestalten wie bei den Diäten
von uns Bundestagsabgeordneten . Die steigen nämlich
schon automatisch .
Immer noch müssen Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis und geduldete Geflüchtete über ein Jahr, nämlich ganze 15 Monate, warten, bis sie überhaupt BAföG
beziehen können .
Wieder haben Sie die Wohnkostenpauschale nicht
so gestaltet, dass man als Student oder Studentin davon
tatsächlich ein WG-Zimmer bezahlen kann . Erst Ende
September wurden die neuen Zahlen veröffentlicht . Mittlerweile kostet ein WG-Zimmer im Schnitt 349 Euro .
Das sind 100 Euro mehr als die Wohnkostenpauschale,
die das BAföG vorsieht, und zwar nach der letzten Erhöhung; da rede ich noch gar nicht von der Miete in Städten
wie in meiner Heimatstadt München .
({11})
Ich muss auch kein Rechenkünstler sein, um zu sehen,
dass diese Regierung hier zu wenig tut .
({12})
Das, was Sie mit Ihrer Reform wirklich machen - Erhöhung der Sätze um 7 Prozent -, das verzögern Sie auch
noch um zwei Jahre . Mit dem verzögerten Inkrafttreten
nehmen Sie in Kauf, dass Zehntausende junge Menschen
erst einmal aus der Förderung herausfallen, und Sie nehmen in Kauf, dass die Erhöhung mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten wieder nicht Schritt hält . Deswegen
sagen wir als Linke: Das hier ist nicht die größte Reform
aller Zeiten; das hier ist vor allem eine ziemlich große
Verschleppung .
Tun Sie den Studierenden und der Idee des BAföG etwas Gutes, erhöhen Sie jetzt die Bedarfssätze und Freibeträge um 10 Prozent, und passen Sie die Wohnkostenpauschale an die tatsächlichen Mietpreise an . Das ist dann
zwar noch nicht die Strukturreform, die wir brauchen,
aber das wäre ein erster Schritt und ein Zeichen, dass Sie
das BAföG wirklich wieder zu einem Instrument der Bildungsgerechtigkeit machen wollen .
Vielen Dank .
({13})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Stefan
Kaufmann .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag sagt die Linke - wir haben es gehört -,
dass das BAföG an die Lebenswirklichkeit angepasst
werden muss . Wenn ich mir Ihren Antrag durchlese, Frau
Kollegin Gohlke, dann fällt mir als Reaktion eigentlich
nur eines ein: Wir müssen verstärkt den Versuch unternehmen, die Linken an die Lebenswirklichkeit heranzuführen .
({0})
Das hat Ihre Rede heute wieder gezeigt . Auch wenn das
erfahrungsgemäß eine Sisyphusarbeit ist, stelle ich mich
dieser Aufgabe heute einmal mehr .
({1})
Auch die zweite Forderung in Ihrem Antrag - auch
das ist Teil der Überschrift -, „Keine weiteren Nullrunden für die Studierenden“, legt den Verdacht nahe, dass
Sie, die Kolleginnen und Kollegen von den Linken, die
letzten Jahre schlicht verschlafen haben; das haben Sie
gerade gezeigt .
({2})
Die größte BAföG-Reform aller Zeiten - die lassen wir
uns nicht schlechtreden -, die diese Koalition zusammen
mit Ministerin Wanka gestemmt hat, ist an Ihnen offenbar komplett vorbeigegangen .
({3})
Inhaltlich kann man zu Ihrem Antrag eigentlich gar
nicht viel sagen, Frau Kollegin . Sie versuchen erneut, alten Wein in vermeintlich neue Schläuche zu bringen . Sie
haben Ihre altbekannten Ladenhüter mit ein paar neuen
Daten und Informationen versehen . Ansonsten verfahren
Sie wie immer: Copy and paste . Meine Damen und Herren, Sie ermüden damit nicht nur die Bildungspolitiker in
diesem Hohen Hause, sondern langsam, aber sicher auch
die Bürgerinnen und Bürger draußen im ganzen Land .
({4})
Angesichts der jüngsten BAföG-Reform, dritte Stufe plus 7 Prozent bei den Bedarfssätzen und plus 7 Prozent
bei den Einkommensfreibeträgen -, die in diesen Tagen
gestartet ist - wir geben jährlich zusätzlich 825 Millionen Euro aus -, müssen Sie sich schon den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie offensichtlich nicht genug bekommen können .
Bei einigen Ländern scheint ein ähnliches Anspruchsdenken zu herrschen - so mein Eindruck -, Stichwort
„BAföG-Entlastung“ . Zwar haben die Länder die freigewordenen Mittel fast ausnahmslos im Schul- und Hochschulbereich verwendet, allerdings - das ärgert mich
wirklich maßlos - haben sie diese Mittel teilweise nicht
zusätzlich in diesem Bereich investiert, sondern zur Kofinanzierung des Hochschulpaktes verwendet, wie ein
Bericht in der Tageszeitung in dieser Woche gezeigt hat,
({5})
und damit - ich sage es ganz deutlich - zweckentfremdet .
In Nordrhein-Westfalen sprechen wir immerhin von einer Summe von 200 Millionen Euro, lieber Kai Gehring .
Das ist eine Unverschämtheit, um das hier einmal ganz
deutlich zu sagen .
({6})
Wenn wir so weitermachen - der Bund investiert immer mehr und mehr in Bildung und Forschung und entlastet damit die Länder bei ihren ureigenen Aufgaben,
und die Länder machen sich dann unter anderem auf
Kosten der Studierenden einen schlanken Fuß -, dann
kriegen wir das mit der Bildungsrepublik nicht hin . Das
sind nicht nur politische Spielchen, meine Damen und
Herren . Sie verspielen damit ein Stück weit auch die Zukunft unseres Landes .
({7})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Linken
und den Grünen, sich jetzt empören, dann zeige ich Ihnen gerne auf, wie sich Ihre Leistungen im Bereich der
Hochschulpolitik darstellen . Schauen wir uns einmal das
aktuelle Hochschul-Barometer des Stifterverbandes an .
Da gibt es eine wunderbare Grafik zu den Einschätzungen der Rahmenbedingungen für Hochschulen .
({8})
Sie sehen eine Deutschlandkarte, auf der das farblich
dargestellt ist . Es gibt Länder, die sich verbessert haben das sind die dunklen Stellen -, es gibt Länder, bei denen es gleich geblieben ist, und es gibt Länder, die sich
verschlechtert haben; das sind die rot markierten . Welche
Länder sind das? Brandenburg, Thüringen, Berlin und
Nordrhein-Westfalen . Das ist das Resultat linker und
grüner Hochschulpolitik .
({9})
Deshalb - das möchte ich hier auch ganz deutlich sagen - bin ich nicht glücklich über den jüngsten Beschluss
von Bund und Ländern zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems aus der letzten Woche .
Mit Blick auf Bildung und Forschung sendet dieser Beschluss aus meiner, aus unserer Sicht falsche Signale .
Insbesondere die Einführung der Bundesergänzungszuweisung für Forschungsförderung halte ich für einen
Fehler, um das hier ganz offen und deutlich zu sagen;
denn diese „entschädigt“ nur diejenigen Länder mit Almosen, die im wettbewerblichen Verfahren weniger Erfolg hatten als andere . Sie widerspricht damit klar dem
Wettbewerbsgedanken unseres Föderalismus, und gerade dieser kluge Wettbewerb in Forschung und Innovation
hat Deutschland in den letzten elf Jahren seit 2005 starkgemacht . Am meisten werden übrigens die SPD-regierten Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz von der
Ergänzungszuweisung profitieren. Damit wird - das sage
ich ganz deutlich - die rote Laterne der Erfolglosen zum
goldenen Label der Lahmen . Das kann nicht sein, meine
Damen und Herren .
({10})
Eines ist mir noch wichtig zum Beschluss vom vergangenen Freitag - Kollegin Albsteiger wird noch etwas
dazu sagen -: Die Bund-Länder-Vereinbarung ist keine
Abschaffung und auch keine Aushebelung des Kooperationsverbotes . Auch wenn viele das fälschlicherweise hoffen oder jetzt noch herbeireden wollen: Der Beschluss ist eindeutig. Es geht hier nur um finanzschwache
Kommunen und nur um deren Bildungsinfrastruktur .
Übrigens hat auch Baden-Württemberg in seiner Protokollerklärung richtigerweise darauf hingewiesen, dass
das Kooperationsverbot nicht zur Debatte steht . Die Sanierung der maroden Schulgebäude ist und bleibt damit
auch weiterhin ganz überwiegend Aufgabe der Länder
und Kommunen . Deshalb rate ich allen, auch hier im
Hause, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Ball flach
zu halten . Wir werden nämlich sehr genau darauf achten,
dass die Anpassung des Grundgesetzes genau dem Beschluss von Bund und Ländern folgt .
Mir ist in diesem Zusammenhang als Forschungspolitiker besonders wichtig, dass wir unsere Bemühungen
in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Entwicklung und Innovation in gleichem Maße fortsetzen werden; denn das sind die Zukunftsbereiche, die uns Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum bringen . Das dürfen
wir jetzt nicht aus den Augen verlieren; wir werden hier
auch in Zukunft starke Signale setzen . Wir dürfen bei
Forschung und Innovation in unseren Anstrengungen
nicht nachlassen, um unseren Wohlstand zu erwirtschaften . Dies zeigt erfreulicherweise auch der Bundeshaushalt 2017 sehr eindrucksvoll .
Ich darf an dieser Stelle Frau Ministerin Johanna
Wanka für ihre Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft ausdrücklich loben . Das Beherrschen
digitaler Techniken ist das Zukunftsthema und die Stellschraube für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes .
({11})
Deshalb ist es richtig, dass hier Prioritäten gesetzt werden .
({12})
Wir dürfen die digitale Zukunft nicht verschlafen und
müssen die jungen Menschen fit machen für die künftigen Herausforderungen . Diese Offensive leistet dazu
einen wichtigen Beitrag und gibt einen wichtigen Impuls .
Frau Kollegin Gohlke, Ihr Antrag ist wirklich mühsam und wie alter Wein in neuen Schläuchen; darüber
brauchen wir gar nicht zu reden . Meine Kollegin wird
etwas dazu sagen . Ich wende mich den wirklich wichtigen Themen zu .
({13})
Die digitale Bildung ist ein zentrales Thema dieser
Koalition und prominent im Koalitionsvertrag verankert .
Wir flankieren dies mit unserem Koalitionsantrag zur digitalen Bildung und haben auch einen Entschließungsantrag zum Thema eingebracht . Die wichtigen Initiativen
der Bundesregierung wie die Berufsbildung 4 .0 oder die
digitale Ausstattung der überbetrieblichen Bildungsstätten zeigen, dass es der Bundesregierung mit diesem Thema wirklich ernst ist .
Ein zentrales Vorhaben der Bildungsoffensive ist der
Digitalpakt für die Schulen . Mit ihm wird ein wichtiger
Startschuss für die Verhandlungen gegeben, wie ein Zukunftspaket für die digitale Ausstattung der Schulen und
die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern verbindlich und nachprüfbar ausgestaltet werden kann .
({14})
Das ist wiederum eine Nagelprobe für die Länder, die
nun gefordert sind, Konzepte für die Lehrerbildung vorzulegen, um die erforderliche Infrastruktur mit zu finanzieren .
Lassen Sie mich sagen: Die Kritik einzelner Lehrerverbände, der Digitalpakt sei eine Einmischung in Bildungsinhalte, ist nun wirklich lächerlich .
({15})
Die Verbände sollten sich vielmehr Gedanken darüber
machen, wie sie die Lehrerinnen und Lehrer auf das Leben 4 .0 und die digitale Welt vorbereiten . Dazu reicht
es nicht aus, wenn ein Lehrer weiß, wie ein Whiteboard
funktioniert . Das sollte man in Richtung der Verbände
deutlich sagen .
({16})
Wie die Ministerin schon öffentlich sagte, ist die Bildungsoffensive ein Vorhaben für die nächste LegislaturDr. Stefan Kaufmann
periode . So sehen wir das auch . Wir müssen erst einmal
beobachten, was die KMK zu diesem Thema beschließt .
Wir werden die Bund-Länder-Gespräche im weiteren
Verlauf aufmerksam begleiten und dann entscheiden,
wenn aus unserer Sicht der richtige Zeitpunkt erreicht ist .
Das bedeutet im Übrigen auch, dass wir nicht über Einzelmaßnahmen entscheiden, sondern über ein Gesamtpaket .
({17})
Das Gesamtpaket muss stimmen . Bundesgeld gibt es
nicht geschenkt; es muss einen Mehrwert schaffen . Deshalb muss es klare, nachprüfbare Kriterien, transparente
Verfahren sowie Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten
geben .
({18})
Ganz zum Schluss möchte ich noch etwas in Richtung
Herrn Heil sagen - er weilt heute leider nicht unter uns -,
({19})
der einen neuen Bildungsgipfel einberufen möchte, um
eine neue Bildungsallianz zu schmieden . Wir brauchen
keinen hektisch aufgesetzten neuen Bildungsgipfel . Wir
brauchen auch keine neue Gesamtstrategie für die Bildung . Den Investitionsstau in den Schulen haben die
Länder zu verantworten. Sie sind finanziell im Übrigen
auch in der Lage, ihrer Verantwortung nachzukommen .
Wir haben vonseiten des Bundes wirklich ausreichend
Unterstützung dafür geleistet . Wenn ihnen die 1,2 Milliarden Euro jährlich aus der BAföG-Entlastung oder die
Übernahme der Aufwüchse aus dem Pakt für Forschung
und Innovation oder die insgesamt 20,2 Milliarden Euro
aus dem Hochschulpakt nicht ausreichend Entlastung
gebracht haben, um die Schulgebäude zu sanieren, dann
haben sie einfach, um es salopp zu sagen, Mist gebaut .
Dafür werden sie den Bund nicht weiter in Haftung nehmen können . Deshalb ist dieser Bildungsgipfel nicht notwendig . Wir können und werden - das ist mein letzter
Satz - die Länder auch in diesem Punkt nicht aus ihrer
Verantwortung entlassen .
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht hier um
das BAföG,
({0})
um eines der größten Sozialgesetze dieser Republik .
Mein Vorredner, Herr Kaufmann, hat sich in der Debatte
offensichtlich zum Teil verlaufen bzw . vergaloppiert .
({1})
Ich möchte Sie als Koalition daran erinnern, dass
durch Ihre BAföG-Novelle der Bund seit zwei Jahren für
die Berufsausbildungsförderung allein zuständig ist . Das
heißt, man braucht hier auch keine Bund-Länder-Debatte
oder Bildungsfinanzierungsdebatte zu führen.
({2})
Vielmehr geht es um die Zukunft des BAföG in dieser
Republik . Das BAföG ist das Bildungsgerechtigkeitsgesetz Nummer eins, und es ist das Finanzierungsinstrument für Bildungsaufstieg und Zugangschancen . Es ist
ein Rechtsanspruch, kein Almosen . Es geht nicht um
Bund-Länder-Debatten, sondern um die Frage, wie die
Zukunft der jungen Generation gestaltet wird . Wir wollen das BAföG beherzt ausbauen, damit es nichts an Attraktivität einbüßt .
({3})
Dem BAföG durch sechs Nullrunden eine Schrumpfkur zu verpassen, war eine eklatante Fehlentscheidung
von Union und SPD . Diese wollen wir Grüne gemeinsam
mit der Linksfraktion korrigieren . Unsere Alternative ist
klar: Auch 2017 muss es mehr BAföG für Schüler, Schülerinnen und Studierende geben .
({4})
Die sechs Jahre ohne BAföG-Erhöhung haben die Bildungsfinanzierung geschwächt. Ganze zwei Studierendengenerationen mussten zuschauen, wie ihre finanzielle
Situation von Semester zu Semester immer schlechter
geworden ist . Ungefähr 130 000 Schüler und Studierende sind seit 2011 aus dem Kreis der Berechtigten herausgerutscht . Das ist die traurige Bilanz unionsgeführter BAföG-Politik . Das ist nicht gut für unser Land der
Dichter und Denker .
({5})
Zwar bekommen Studierende und Schüler ab diesem
Semester mehr Geld; aber die Anpassung hielt mit der
Preis- und Einkommensentwicklung nicht Schritt . Trotz
Anpassung ist das BAföG 2016 weniger wert als das
2010 . Das ist schlechte Politik .
({6})
Diese schlechte Politik hat konkrete Folgen . Nehmen
wir eine Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern .
({7})
Gerade gab es glücklicherweise eine Lohnerhöhung . Auf
die Freude folgt schnell der Kater: höhere Steuern . Dann
fällt wegen der Freibetragsgrenzen auch noch das BAföG
für die Kids weg . Aber gerade mit der Aussicht auf eine
verlässliche Studienfinanzierung steht oder fällt die Entscheidung für oder gegen ein Studium .
({8})
Wir sagen: Gerecht geht es in Deutschland erst dann zu,
wenn Zugangs- und Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen .
({9})
Auch hier im Bundestag gibt es viele Arbeiterkinder; ich gehöre dazu . Es ist für unsereins nicht völlig
selbstverständlich, sich für ein Studium zu entscheiden .
Die soziale Öffnung der Hochschulen für Kinder von
Nichtakademikern muss endlich bundesweit selbstverständlich werden .
({10})
Deshalb ist es so wichtig, zum Studium zu motivieren
und für eine Studienfinanzierung zu sorgen, die zum Leben ausreicht . Das BAföG muss substanziell verbessert
werden . Deshalb fordern wir unter anderem:
Erstens . Die Fördersätze und die Freibeträge vom Einkommen der Eltern müssen um jeweils 10 Prozent steigen .
({11})
Damit würden endlich mehr Schüler und mehr Studierende BAföG-berechtigt .
Zweitens . Wir wollen, dass Wohnkosten angemessen
erstattet werden . Wir wollen die Mietkostenpauschale
staffeln und sie an regionale Durchschnitte anpassen;
denn Wohnen ist in München, Köln und Chemnitz unterschiedlich teuer .
({12})
Drittens . Statt jahrelanger Hängepartien und Regierungswillkür in Serie
({13})
wollen wir im BAföG-Gesetz Indizes für eine dynamische, regelmäßige und automatische Erhöhung von Fördersätzen und Freibeträgen einführen . Das ist doch nicht
so schwer .
({14})
Das geht beim Arbeitslosengeld, bei der Rente und auch
bei den Abgeordnetendiäten . Warum also nicht bei den
Studierenden? Die automatische Anpassung bringt Berechenbarkeit ins BAföG . Das ist uns wichtig .
({15})
Der Bund finanziert das BAföG nun zu 100 Prozent.
Darum hat der Bundestag die Freiheit, jede künftige
BAföG-Reform alleine auf den Weg zu bringen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, diese
Wahlperiode ist weiß Gott noch nicht zu Ende - man
muss fast sagen: leider -; Sie haben noch ein Jahr Zeit .
Dieses Jahr sollten Sie für ein weiteres BAföG-Plus nutzen . Wir wollen mehr derjenigen zum Studium ermuntern, deren Eltern wenig verdienen, deren Eltern nicht
studiert haben oder die eingewandert sind . All das könnten wir zügig beschließen . Union und SPD müssten sich
nur einen Ruck geben .
Danke schön .
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek,
SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
für den Antrag fast dankbar, weil er mir die Möglichkeit
gibt, über das zu sprechen, was wir tatsächlich erreicht
haben, also nicht über Hoffnungen und Versprechungen,
sondern über das, was in diesen Tagen, in denen das Wintersemester beginnt, bei den Studierenden seine volle
Wirkung entfaltet .
({0})
Ich sage selbstbewusst: Diese 25 . BAföG-Novelle ist
ein großer Schritt nach vorne . Wir als SPD haben uns
dabei zwei Ziele vorgenommen, die wir gemeinsam in
der Koalition miteinander vereinbart haben .
Erstes Ziel . Wir wollten das BAföG substanziell erhöhen . Auch wenn das hier gerade anders dargestellt
worden ist, bin ich der Meinung, dass eine Erhöhung der
Bedarfssätze und Freibeträge um 7 Prozent eine substanzielle Erhöhung ist . Sie wirkt bis tief in die Gesellschaft
hinein und bringt 110 000 Menschen zusätzlich einen
Anspruch auf BAföG . Das ist tatsächlich etwas Substanzielles .
({1})
Ich will es kurz aufzählen: Wir haben die Wohnpauschale auf 250 Euro erhöht . Wir haben die Hinzuverdienstgrenze erhöht . Man darf ein Auto bis zu einem Wert von
7 500 Euro besitzen . Wir haben den Kinderzuschlag
vereinheitlicht und ihn auf 130 Euro pro Kind erhöht .
All das sind Maßnahmen, die das BAföG einen großen
Schritt nach vorne gebracht haben .
({2})
Zweites Ziel . Wir wollten, dass das BAföG strukturell modernisiert wird . Sie haben den Anspruch, es an die
Lebenswirklichkeit der Studierenden anzupassen . Wir
sind froh, dass wir es mit diesem Schritt schon einmal
an die Lebenswirklichkeit der Studierenden angenähert
haben . Die Förderlücke zwischen Bachelor und Master
ist geschlossen . Zum Teil ist diese Regelung sogar schon
vorzeitig in Kraft getreten .
({3})
Wir erleichtern die Ausbildung im Ausland und im Übrigen auch den Zugang ausländischer Studierender zum
BAföG .
({4})
Das ist, Herr Gehring und Herr Kaufmann, das Gegenteil von dem, was gerade in Baden-Württemberg geschieht .
({5})
Durch die Ankündigung von Studiengebühren für ausländische Studierende werden dieser Gruppe dort zusätzliche Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich finde,
das ist ein interessantes Beispiel . Es gibt Bundesländer,
die ihre Haushalte unter Nichteinbeziehung der Bildungsressorts konsolidieren . Baden-Württemberg geht
einen anderen Weg . Deswegen bin ich für dieses Beispiel
dankbar; denn es macht ziemlich gut den Unterschied
zwischen Zukunftsinvestitionen und Bildungsbremse
und zwischen Rot-Grün und Schwarz-Grün deutlich .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, diese BAföG-Novelle ist eine große Zukunftsinvestition . Durch den Bundesanteil, der den Ländern jetzt erstattet wird, haben wir
es ermöglicht, sinnvolle Investitionen insbesondere in
Schulen und Hochschulen zu ermöglichen . Die Bundesregierung hat in ihrer Unterrichtung am 22 . Juni dieses
Jahres dankenswerterweise bestätigt, dass die Mittel von
den Ländern vereinbarungsgemäß verwendet werden .
Herzlichen Dank dafür! Vielleicht können wir sie ja auch
noch etwas breiter verteilen .
Wir nehmen für diese Novelle 800 Millionen Euro
zusätzlich in die Hand . Das heißt, in diesem Haushaltsjahr und im nächsten Haushaltsjahr - dann mit der vollen
Wirkung - werden jedes Jahr 2 Milliarden Euro mehr
fürs BAföG bereitgestellt .
({7})
Wenn Sie, liebe Frau Gohlke, in Anbetracht dessen von
Verkümmern und Verschleppen sprechen, muss ich ehrlich sagen: Es fehlt mir doch ein bisschen der Bezug zur
politischen Realität, wenn wir jedes Jahr 2 Milliarden
Euro in die Hand nehmen .
({8})
Ja, die 25 . BAföG-Novelle ist ein großer Schritt nach
vorne; aber damit sind wir noch nicht am Ende . Natürlich
gibt es Dinge, die wir uns noch vornehmen müssen, die
wir vielleicht auch noch ausführlicher diskutieren müssen . Ich möchte drei Punkte nennen:
Erstens . Die Diskussion über den Anpassungsmechanismus bzw . über regelmäßige Anpassungen ist ja richtig; denn der Zeitraum von 2010 bis 2016 ohne Erhöhung
beim BAföG ist zu lang . Ich will es mir aber nicht so
einfach machen und sagen: Die SPD war vier Jahre nicht
in der Regierung; deswegen hat das nicht geklappt . - Wir
haben in dieser Zeit den Versuch erlebt, einen Paradigmenwechsel einzuleiten . Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat den Versuch unternommen, eine öffentlich-privat finanzierte Stipendienkultur aufzubauen und
so zu dimensionieren, dass sie das BAföG schrittweise
ersetzt . Frau Schavan hat uns das 2005 ebenfalls angeboten . Darauf ist die SPD nicht eingegangen . Ich will darauf
hinweisen, dass wir in dieser Wahlperiode gemeinsam
als Große Koalition diesen Fehler korrigiert haben . Wir
haben das Deutschlandstipendium auf ein realistisches
Ausmaß begrenzt, die Begabtenförderung gestärkt und
das BAföG massiv erhöht . Das ist der richtige Mix und
die richtige Gewichtung für eine Studienfinanzierung der
Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({9})
Ja, wir brauchen zukünftig eine Verpflichtung, in regelmäßigen Abständen auf die Entwicklung des BAföG
zu schauen und es realistisch anzupassen . Ich bin aber
nicht der Meinung, dass dies automatisch und jährlich
geschehen soll . Durch die Bundeszuständigkeit haben
wir die Möglichkeit, das BAföG zu repolitisieren . Ich
möchte uns nicht ersparen, im Bundestag regelmäßig darüber zu diskutieren, welche Erhöhung angemessen ist .
({10})
Zweitens . Wir haben es in dieser Wahlperiode noch
nicht geschafft, dass das ehrenamtliche Engagement besonders berücksichtigt und wertgeschätzt wird . Diese
Diskussion haben wir im Laufe der Wahlperiode geführt .
Es wäre eine Anerkennung, wenn der BAföG-Bezug für
Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, verlängert
würde, so wie es heute schon für diejenigen möglich ist,
die sich in den Hochschulgremien engagieren . Dabei
sind mir nicht nur die Hochschulgremien oder die Parteijugenden wichtig, sondern insbesondere auch die Feuerwehren, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, die Umweltorganisationen und was es da sonst alles so gibt . Ich
würde mich freuen, wenn wir mit dem Bundesjugendring und den Jugendverbänden über die Frage diskutieren würden, wie man realistisch, pragmatisch umsetzbar
und vertretbar das ehrenamtliche Engagement im BAföG
fördern kann . Ich glaube, eine Gesellschaft, die so sehr
auf das Ehrenamt angewiesen ist, sollte sich vornehmen,
für ein bisschen Anerkennung im Rahmen des BAföG zu
sorgen .
({11})
Letzter Punkt . Die elektronische Antragstellung ist
vereinbart worden und im Prinzip auch möglich, aber
nicht in der Weise, wie wir uns das wünschen, nämlich
medienbruchfrei . Teilweise muss zu den elektronischen
Anträgen noch Papier hinterhergeschickt werden . Wir
müssen an diesem Thema weiter arbeiten und mit den
Ländern im Gespräch bleiben, um einen medienbruchfreien BAföG-Antrag hinzubekommen . Der elektronische BAföG-Antrag muss so etwas wie ein Prunkstück
der digitalen Verwaltung werden . Ich bin immer ganz
verzweifelt, wenn ich feststelle, dass die elektronischen
Verfahren im Wissenschaftsbereich überhaupt nicht
funktionieren . Deswegen brauchen wir eine Fortentwicklung beim elektronischen Antragsverfahren .
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Debatte ist
einmal mehr deutlich geworden: Das BAföG war Teil einer Erfolgsgeschichte von mehr Chancengleichheit und
mehr Aufstieg durch Bildung . Sie soll fortgeschrieben
werden . Mit dieser Novelle sind die Weichen so gestellt,
dass das erfolgen kann . In dieser Debatte ist auch deutlich geworden, wo große Hoffnungen, überbordende
Versprechungen gemacht werden und wo Verlässlichkeit
hergestellt wird durch eine Politik, auf die sich die Menschen verlassen können. Das BAföG ist erhöht. Ich finde,
das ist ein guter Erfolg, den wir erreicht haben .
({13})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Katrin
Albsteiger .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ob Sie es glauben oder nicht:
Es gibt Oppositionsanträge, die für das Parlament eine
echte Bereicherung sind, Anträge, die sinnvolle Denkanstöße geben und uns als Regierungsfraktionen die Möglichkeit eröffnen, sich zu dem einen oder anderen Thema
ganz neu, frisch, offen und transparent zu positionieren .
Das sind Anträge, von denen wir alle etwas haben, die
wir gerne miteinander debattieren .
Dann gibt es Oppositionsanträge, die alle Jubeljahre
kommen, die aus der Mottenkiste geholt werden nach
dem Motto: Darüber hätten wir schon lange mal wieder
reden müssen .
({0})
Das sind meistens alte Hüte, die mit aktueller und moderner Politik schon lange nichts mehr zu tun haben .
Dann wiederum gibt es Anträge von der Opposition, die im Wechsel, mal von den Linken, mal von den
Grünen, immer wieder innerhalb einer Legislaturperiode gestellt werden . Wir debattieren zigmal darüber - ob
hier im Plenum oder im Ausschuss - und tauschen die
Argumente aus . Alle Argumente sind wirklich in Gänze
auf den Tisch gelegt; es ist immer und immer wieder das
gleiche Spiel .
({1})
Der Erkenntnisgewinn ist begrenzt . - Um genau so einen
Antrag handelt es sich heute hier .
({2})
Meine Damen und Herren von den Linken, diesen
Antrag mit dem Titel - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - „BAföG an die Lebenswirklichkeit
anpassen - Keine weiteren Nullrunden für die Studierenden“ ({3})
gut drei Monate nach der größten BAföG-Reform aller
Zeiten vorzulegen, ist schon eine ganz besondere Kategorie . Dass Sie uns das hier auch noch auf nur zwei
Seiten präsentieren, erweckt bei mir den Eindruck von
Lieblosigkeit und Leidenschaftslosigkeit . Sie haben sich
offensichtlich nicht so viel Mühe gemacht, und ich finde
ihn, ehrlich gesagt, auch relativ unverschämt . Aus meiner Sicht hat das schlichtweg nichts mit konstruktiver,
reflektierter und auch anerkennender Oppositionspolitik
zu tun .
({4})
Sie fordern keine weiteren Nullrunden und verdrehen
damit an dieser Stelle die Tatsachen .
({5})
Das wird der Sache nicht gerecht . Es gibt einen kleinen,
aber feinen Unterschied zwischen Politik auf der einen
Seite und Polemik auf der anderen Seite:
({6})
Während wir Bildungspolitik machen, beschränkt sich
die Linke auf Bildungspolemik .
({7})
Gerade wenn in diesen Tagen in diesem Hause rot-rotgrüne Gespräche geführt werden, sollten sich die Beteiligten ganz genau überlegen, ob sie in diesem Stil mit
den anderen überhaupt Bildungspolitik machen wollen .
Sehen wir es aber einmal positiv: Das gibt uns zumindest
die Gelegenheit, über das zu sprechen, was wir alles gemacht haben .
Um es noch einmal deutlich zu machen: Zu den wesentlichen Veränderungen durch die letzte BAföG-ReOliver Kaczmarek
form, die erst kürzlich in Kraft getreten ist, passt der Vorwurf von Nullrunden überhaupt nicht .
({8})
Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Erstens . Zum Wintersemester 2016 steigen die BAföG-Sätze um 7 Prozent . Zweitens . Studierende mit einer eigenen Wohnung erhalten bis zu 735 Euro monatlich . Das
ist nicht nichts; damit kann man durchaus leben, wenn
man sparsam ist . Drittens . Auch die Freibeträge bei
den Elterneinkommen steigen, sodass insgesamt circa
110 000 Studenten und Schüler mehr in den Genuss des
BAföG kommen .
({9})
Das alles hat seinen Preis . Die Leistungsverbesserungen
haben insgesamt ein Volumen von jährlich 825 Millionen
Euro .
({10})
Ich möchte noch etwas zum Antrag selber sagen:
Erstens . Es wird gefordert, dass die Bedarfssätze und
die Freibeträge künftig dynamisch anzupassen sind . Hier
haben wir ein unterschiedliches Verständnis von Politik .
Wir haben es im letzten Jahr geschafft, den Weg aus der
unproduktiven Mischfinanzierung zu finden. Seit dem
1 . Januar 2015 hat der Bund die vollständige Finanzierungshoheit . Die Länder werden jährlich um 1,2 Milliarden Euro entlastet . Das ist ein ganz schöner Batzen Geld,
und das muss im Bundeshaushalt erst einmal finanziert
werden . Man kann nicht immer, nachdem man Geld investiert hat, schon über die nächste Erhöhung sprechen .
Man muss die Dinge auch einmal wirken lassen .
({11})
Damit haben wir die Zeit der Schwarze-Peter-Spiele
beendet . Sie sind jetzt Geschichte . Der Bund hat die Verantwortung und wird sie auch wahrnehmen . Wir haben
das Heft des Handelns in der Hand, und das wollen wir
auch behalten . Die Forderung nach einer dynamischen
Anpassung des BAföG ist daher nicht mehr notwendig .
Wir müssen uns nicht mehr die ganze Zeit mit den Ländern zu Verhandlungen darüber an den Tisch setzen . Sie
waren natürlich müßig und haben auch dazu beigetragen,
dass nicht arg viel passiert ist . Das ist jetzt Gott sei Dank
erledigt . Den Gestaltungsspielraum wollen wir uns jedenfalls nicht nehmen lassen .
Verantwortung heißt, dass man Veränderungen, die es
in der Realpolitik nun einmal gibt, auch berücksichtigt .
Eine Dynamik passt einfach nicht dazu . Wir wollen analysieren, reflektieren, alles im Lichte der Zeit bemessen
und im Gesamtkontext sehen und die entsprechenden
Schritte gehen, wenn wir sie für geboten und richtig erachten . Die junge Generation hat auf lange Sicht nichts
davon, wenn wir das nicht auch haushalterisch in den
Griff bekommen und die Sache finanziell nicht austariert
ist . So ist es nun einmal in der Politik: Es ist immer auch
ein Kampf ums Geld . Den führen wir gerne, wir führen
auch gerne die Debatten . Genau deshalb aber sage ich:
Wir brauchen die dynamische Anpassung nicht .
Zweitens . Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Beiträge
sollten statt um 7 Prozent, um die wir sie erhöht haben,
noch schnell um mindestens 10 Prozent steigen . So funktioniert Politik halt nicht . Die aktuelle BAföG-Reform ist
seriös durchgerechnet . Hinzu kommt, dass wir ein ausführliches parlamentarisches Verfahren hatten, in dem
wir uns mit diesem Thema beschäftigt und Argumente
ausgetauscht haben . Jetzt noch einmal 3 Prozentpunkte
mehr zu fordern, ist so ein bisschen Fundamentalopposition, immer nach dem Motto: Das, was die Regierung macht, ist immer zu wenig; wir wollen mehr, mehr,
mehr ({12})
wie auch immer das Ganze am Schluss finanziert werden
soll, ob durch die Aufnahme neuer Schulden oder durch
Steuererhöhungen oder dadurch, dass man Geld aus
anderen wichtigen Bildungsprojekten zieht . Das wäre
das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ . Das ist eine
Milchmädchenrechnung; aber offensichtlich kennen Sie
sich damit aus . Mit uns jedenfalls ist das nicht zu machen; denn generationengerecht ist das nicht .
Drittens . Sie fordern, den nächsten BAföG-Bericht
noch in diesem Jahr vorzulegen . Zugegeben: Berichte
sind für uns wichtig . Sie sind aber kein Selbstzweck .
Sie müssen dann vorgelegt werden, wenn es etwas zu
berichten gibt . Die Reform ist gerade erst in Kraft getreten . Nun muss es die Möglichkeit geben, sie eine Weile
wirken zu lassen . Wir freuen uns alle gemeinsam auf den
BAföG-Bericht im Jahr 2017, in dem die Auswirkungen
der aktuellen Reform beschrieben sein werden . In dem
Bericht kann auch berücksichtigt werden, welche aktuellen Entwicklungen noch einbezogen werden müssen .
Auch das Thema „elektronische Beantragung“ und die
Frage, ob dies reibungslos funktioniert, kann darin aufgearbeitet werden . Das ist für uns wichtig . Danach werden
wir selbstverständlich das BAföG weiterentwickeln .
Wir haben das BAföG in dieser Legislaturperiode zukunftsfähig gemacht . Wir haben mit der Übernahme der
gesamten BAföG-Finanzierung von 1,2 Milliarden Euro
in dieser Legislatur durchaus einen schönen Batzen gestemmt . Wir stehen zum BAföG und werden es mithilfe
der BAföG-Berichte weiterentwickeln, und irgendwann
fließt natürlich auch wieder mehr Geld.
Herr Präsident, ich muss zum Schluss noch einen
Punkt nennen .
({13})
Der Kollege Kaczmarek hat vorhin gesagt, wir hätten
das Deutschlandstipendium einführen wollen, um das
BAföG Schritt für Schritt zu ersetzen . Das ist komplett
falsch . Das Deutschlandstipendium und alle anderen
Stipendiensysteme sind enorm wichtige Finanzierungsinstrumente . Sie sind aber nicht eingeführt worden, um
das BAföG ganz oder teilweise zu ersetzen, sondern als
Ergänzung . Das ist auch gut so .
Es ist natürlich völlig klar: Wir lehnen Ihren Antrag
ab . Ich hoffe, dass Sie bis zum nächsten Recycling Ihres
Antrags ein bisschen Zeit vergehen lassen, es also noch
ein wenig dauern wird, bis er wieder auf die Tagesordnung kommt .
Vielen Dank .
({14})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Dr . Daniela De Ridder für die SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vor allem: Liebe Studierende! Der Antrag zum BAföG,
den wir heute behandeln, ist ein Oppositionsantrag . Liebe Studierende, Opposition kennt ihr nicht? Das macht
nichts . Ich erkläre es euch . Opposition bezeichnet eine
Partei oder Gruppe, die der herrschenden Politik Widerstand und Ablehnung entgegenbringt .
({0})
Opposition ist aber schlecht beraten, wenn sie durch
Auslassung und Schlechtreden geschlossene Weltbilder produziert . Das, liebe Studierende, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, ist hier am Beispiel der
BAföG-Debatte leider der Fall . Ziel des BAföG - das
wissen hoffentlich alle - ist es, allen jungen Menschen
die Möglichkeit zu geben, unabhängig von ihrer sozialen
und wirtschaftlichen Situation eine Ausbildung zu machen, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht .
Liebe Frau Gohlke, ich finde es ganz interessant, dass
Sie den Regierungsparteien Realitätsverweigerung vorwerfen . Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Antrag nicht
erwähnt haben, dass man 735 Euro als Höchstsatz beziehen kann .
({1})
Diese Zahl fehlt völlig . Dann haben Sie darauf verwiesen,
dass die Preissteigerungen in den Blick genommen werden müssen . Wenn es um die Lebensrealität geht, kann
man sich zum Beispiel den Verbraucherindex ansehen .
Ich stelle fest, dass der von einem Jahr zum anderen um
nicht einmal 1 Prozent gestiegen ist . Das ist interessant .
({2})
In einem Punkt will ich Ihnen recht geben, liebe Frau
Gohlke, und zwar bei den Mietpreisen . Wir können in der
Tat konstatieren, dass die Mietpreise im Schnitt um mehr
als 1 Prozent - aber auch nicht 2 Prozent - gestiegen
sind . Aber hier konkurrieren doch Studierende mit vielen
anderen auf dem Wohnungsmarkt, liebe Frau Gohlke . Es
würde mich freuen, an dieser Stelle Ihre Aufmerksamkeit
zu gewinnen, wenn es beispielsweise darum geht, mit anderen Instrumenten den Wohnungsmarkt aufzubrechen,
beispielsweise mit der Mietpreisbremse oder dem sozialen Wohnungsbau .
({3})
Schauen wir uns doch an, wie sich das entwickelt . Dann
können wir vielleicht zu einem konstruktiven Gespräch
kommen und uns mit den Nutzergruppen befassen .
Was auch zu den Ausblendungen gehört - lassen Sie
mich das sagen -, ist das Thema Meister-BAföG . Auf
welche Gruppe kaprizieren Sie sich denn, wenn Sie über
das BAföG reden? Und warum ignorieren Sie, dass wir
die Zuschüsse für das Meister-BAföG deutlich erhöht
haben, nämlich auf 50 Prozent, und beispielsweise auf
Maßnahmen rekurrieren, die diejenigen in Anspruch nehmen können, die Meister werden wollen? 40 Prozent des
Restdarlehens muss man nicht zurückzahlen . Für Lehrgangs- und Prüfungskosten kann man 15 000 Euro beantragen, und man kann sein Meisterstück zu 40 Prozent
finanziert bekommen. All dies haben Sie völlig ausgeblendet .
({4})
Frau Kollegin De Ridder, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Hein?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen . Wir
werden das sicher im Ausschuss noch vertiefen können .
Da bin ich sicher . Ich treffe die Kollegin ohnehin am Wochenende .
({0})
- Ich mache das gerne, mit der Kollegin zu sprechen .
Lassen Sie mich noch einen Tipp loswerden, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken . Warum schauen
Sie nicht nach Baden-Württemberg? Wenn Frau Theresia
Bauer meint, sie könne dort Studiengebühren für Ausländer und Ausländerinnen einführen, dann besteht doch das
Risiko, dass sich die Situation für Studierende erheblich
verteuert . Wir sollten gemeinsam Sorge tragen, dass das
nicht passiert und Schule macht und zum Einstieg in eine
deutliche Verschlechterung für Studierende, egal welcher
Herkunft, wird .
Vielen Dank .
({1})
Die Kollegin Dr . Hein hat jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention .
({0})
Vielen Dank . - Es tut mir leid, ich mache das wirklich
nicht oft . Aber wenn ich das am Sonntag mit Frau De
Ridder ausmache, dann hilft das nicht viel .
({0})
- Wir sitzen auf einem Podium, aber das geht Sie nichts
an .
({1})
Weil die Koalition so stolz auf das Meister-BAföG ist,
würde ich Frau De Ridder gerne fragen, ob sie erklären
kann, warum zum Beispiel ein Kind einer Meisterschülerin mehr wert ist als das Kind einer Studierenden .
({2})
Hier gibt es nämlich sehr unterschiedliche Bedarfssätze .
Das ist nur ein sehr gravierendes Beispiel für die Unterschiede zwischen den Fördersystemen, und ich glaube,
dass es mehr als einer Reform bedarf, um das zu verändern .
({3})
Frau Kollegin De Ridder, wollen Sie darauf antworten?
({0})
Ich antworte gerne darauf . Bevor hier der Eindruck
entsteht, wir würden Geheimveranstaltungen abhalten,
kläre ich gerne das Plenum auf . Es geht um eine öffentliche Veranstaltung, bei der wir das sicher noch einmal
vertiefen können . Ich lade gerne in meinen Wahlkreis
ein . Dann haben alle Gelegenheit, daran teilzunehmen .
Wie aber Frau Hein zu dem Schluss kommt, es gebe
ganz unterschiedliche Messlatten, wird sie erklären müssen . Dafür ist der Ausschuss der richtige Ort . Wir müssen
uns in der Tat damit befassen, wie wir mit dem Thema
soziale Gerechtigkeit in der Bildungspolitik umgehen
und welche Effekte die Politik, die wir erzeugen, erzielt .
Deshalb bin ich eine Vertreterin von Evaluation . Wir haben dies auch schon bei anderen Themen diskutiert .
Wir müssen uns in der Tat damit beschäftigen - die
Kollegin Albsteiger hat es erwähnt -, wie die Effekte
beim BAföG sind und wie sie beim Meister-BAföG sein
werden . Das muss man sich genau anschauen . Aber das
braucht Zeit . Man braucht ein entsprechendes Zeitfenster, um sich all das anzusehen, liebe Frau Kollegin . Ich
denke, das müssen Sie uns schon zugestehen, damit das
Wirkung entfaltet . Sonst haben wir überhaupt keinen
Orientierungsrahmen . Dann werden wir sehen, an welcher Stelle wir noch einmal nachlegen .
Ich bin sicher: Wir beide werden das noch einmal
ausfechten, diskutieren und auch gemeinsam zu guten
Ergebnissen kommen . Ich bin da optimistisch . Denn das
gehört - bevor auch das missverstanden wird - ebenfalls
zur politischen Debatte dieses Hauses .
Vielen Dank .
({0})
Mit dieser Antwort auf die Kurzintervention haben
wir zugleich das Ende der Rednerliste erreicht . Deshalb
schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10012 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Ich nehme an, Sie
alle sind damit einverstanden . - Widerspruch erhebt sich
nicht . Dann ist diese Überweisung so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf
Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42
Absatz 7 des Vertrages über die Europäische
Union und den Resolutionen 2170 ({0}), 2199
({1}), 2249 ({2}) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der
Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016
Drucksache 18/9960
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Bundesminister Dr . Frank-Walter Steinmeier
das Wort .
({4})
Danke . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder und Nachrichten aus Aleppo sind an
Grausamkeit nicht zu übertreffen: eine Trümmerwüste,
wo früher das Leben blühte, traumatisierte Menschen,
Kinder, die ihr Zuhause und ihre Familien verloren haben . Ich sage - so haben wir es auch gestern in einem
wahrhaft nicht einfachen Gespräch
Dieser Wahnsinn kann und
darf nicht weitergehen . Er muss ein Ende haben, meine
Damen und Herren .
({0})
Unsere Priorität muss jetzt sein, die Frauen, Männer
und Kinder in Aleppo jedenfalls mit dem Nötigsten zu
versorgen . Die Menschen hungern, sie verdursten . Wir
brauchen jetzt geschützte Zugangsmöglichkeiten, um
diesen Menschen zu helfen . Daran arbeiten wir zurzeit
intensiv mit den Vereinten Nationen, mit dem Internationalen Roten Kreuz und den Partnerorganisationen - auch
heute schon wieder den ganzen Tag . Heute Abend werde
ich noch Kontakt zum saudischen und zum katarischen
Außenminister haben, um dafür zu sorgen, dass auch die
Oppositionsgruppierungen Sicherheitsgarantien für die
Hilfsorganisationen abgeben .
Meine Damen und Herren, Moskaus Ankündigung einer kurzen Einstellung der Kampfhandlung kann nur ein
Anfang sein . Acht Stunden - oder wie jetzt erneuert: elf
Stunden -, das drei- oder viermal, ist ein Anfang . Aber
das reicht bei Weitem nicht, um die belagerten Menschen
in der Stadt mit Hilfsgütern zu versorgen . Aber das reicht
erst recht nicht - darum sage ich es -, um eine Entflechtung der Opposition von den radikalen und terroristischen Gruppierungen durchzusetzen . Es mag sein, dass
terroristische Gruppierungen wie al-Nusra Menschen in
Ost-Aleppo als Schutzschild missbrauchen, um sich gezielt in Hospitälern und Schulen zu verbergen . Aber auch
1 000 oder möglicherweise 1 500 al-Nusra-Kämpfer sind
keine Rechtfertigung, um Aleppo in Schutt und Asche zu
verwandeln .
({1})
Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft für einen Waffenstillstand ein . Es stimmt: Bisher war unsere Arbeit für
eine politische Lösung in der Tat nicht von Erfolg gekrönt . Aber das darf kein Grund sein, aufzugeben . Ich
bleibe dabei: Es wird in diesem Konflikt keine militärische Lösung geben . Die, die jetzt noch daran glauben,
werden erleben: So wird es nicht eintreten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen:
Aleppo ist nur ein Ausschnitt eines wesentlich größeren
Krisenbogens - geprägt von aufbrechenden autoritären
Strukturen, konfessionellen Gräben, sozialen Verwerfungen und staatlicher Fragilität . Von dieser Gemengelage hat in den letzten Jahren vor allem die Terrormiliz
IS profitiert. Der Kampf um Mosul führt uns dies gerade
deutlich vor Augen .
Aber die barbarische Herrschaft, die der IS errichtet
hat, greift weit über die Region hinaus . Der IS bedroht
auch unsere Sicherheit hier im Herzen Europas . Dafür
stehen die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza, Rouen
und anderswo . Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns
diesem Terror geschlossen und entschlossen entgegenstellen, natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln, aber
es geht auch nicht ohne sie .
Mittlerweile haben sich 67 Länder und drei internationale Organisationen in der internationalen Anti-IS-Koalition zusammengeschlossen . Wir haben uns daran
beteiligt mit Maßnahmen zur Luftaufklärung, mit Luftbetankung sowie mit Begleitschutz für einen französischen
Flugzeugträger . Das wollen wir fortsetzen, ergänzt durch
Aufklärungselemente von AWACS, die wir gemeinsam
mit anderen in die Anti-IS-Koalition einbringen werden .
Zur Vermeidung von Missverständnissen: Das geschieht
ausschließlich vom türkischen und vom internationalen
Luftraum aus und ohne dass damit die NATO formelles
Mitglied der Anti-IS-Koalition wird . Darauf haben wir
bei dem Einsatz von AWACS in den Beratungen im Vorfeld großen Wert gelegt . Ich denke, das entspricht auch
der Interessenlage in diesem Haus .
Daneben wissen wir, dass die Auseinandersetzung am
Boden von regionalen und lokalen Kräften zu leisten ist .
Auch deshalb ist unsere Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung für die Peschmerga im Irak von so zentraler
Bedeutung . Wir haben damals - ich erinnere mich noch
gut daran - hier im Hause über die Risiken einer solchen
Unterstützung offen und fair diskutiert . Ich glaube dennoch gerade heute: Die damalige Entscheidung war richtig . Der damals scheinbar unaufhaltsame Vormarsch des
IS im Nordirak konnte jedenfalls gestoppt werden .
Dennoch besteht kein Anlass zur Euphorie . Die Lage
im Mittleren Osten, die Erosion staatlicher Ordnung, die
ethnisch oder religiös motivierten Machtauseinandersetzungen dort, das alles wird uns noch sehr lange beschäftigen . Auch wenn es uns lange beschäftigen wird, sollten
wir die Veränderungen, die es im letzten Jahr gegeben
hat, durchaus registrieren .
Die Lage im Kampf gegen den IS hat sich verändert .
Das zeigt auch der Blick auf Syrien, wo der IS ein Fünftel
seines Gebietes an die Opposition und die Kurden verloren hat, darunter so strategisch wichtige Städte wie Manbij, Dscharabulus und Dabiq . Das zeigt aber erst recht der
Blick in den Irak, wo der IS seit dem Sommer 2014 mehr
als die Hälfte seines Gebietes verloren hat . Nicht zuletzt
zeigt das der nun beginnende Kampf um Mosul, wo die
irakische Armee und Peschmerga jetzt mit Unterstützung
der Anti-IS-Koalition auf die letzte IS-Hochburg im Lande vorrücken . Wenn Mosul fällt, dann hat der IS im Irak
kein nennenswert zusammenhängendes Gebiet mehr .
Niemand macht sich hoffentlich Illusionen . Der
Kampf, der dort geführt wird, wird nicht leicht sein . Niemand kann im Augenblick sagen, wie lange es dauern
wird . Aber eines können wir mit Gewissheit sagen: dass
wir uns auf den Tag danach tunlichst jetzt vorbereiten
sollten . Deshalb beschränkt sich unser Engagement im
Irak und in der Region nicht auf unsere Unterstützung der
Anti-IS-Koalition, zu der wir heute um Ihre Zustimmung
bitten . Weil wir für die Menschen langfristig eine bessere
Perspektive schaffen wollen, betten wir diesen Einsatz
ein in einen umfassenden Ansatz, von der humanitären
Hilfe über unsere politischen Bemühungen bis hin zu
dem immer zentraler werdenden Thema der StabilisieBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
rung . Mit Blick auf Mosul heißt das, dass es uns jetzt darum gehen muss, die Not zu lindern und jenen Menschen
zu helfen, die aus der umkämpften Stadt in die in der
Gegend vorbereiteten Auffanglager fliehen. Deutschland
ist bereits einer der größten humanitären Geber im Irak .
Speziell für Mosul haben wir noch einmal 35 Millionen
Euro zur Verfügung gestellt .
Wir müssen uns bereits jetzt damit beschäftigen, wie
es in Mosul weitergehen soll, wenn die Stadt vom IS befreit sein wird . Wir treffen uns dazu bereits heute in einer
größeren Gruppe von Staaten in Paris - im November
dann wieder in Berlin -, um uns und die Stadt Mosul auf
„the day after“ vorzubereiten . Das macht Sinn, weil wir
schon vor der Befreiung von Mosul, die hoffentlich stattfinden wird, Erfahrungen haben sammeln können, zum
Beispiel nach der Befreiung von Tikrit . Dort haben wir
sehr schnell gemeinsam mit den Vereinten Nationen und
mit Mitteln aus Deutschland Strom- und Wasserleitungen
wiederhergestellt und dafür gesorgt, dass eine Gesundheitsversorgung wenigstens auf einem Mindeststandard
wieder stattfindet. Immerhin hat das dazu geführt, dass
90 Prozent der vertriebenen Bevölkerung in die Stadt zurückgekehrt sind . Deshalb, glaube ich, ist das der richtige
Weg .
Wasser, Schulen, Krankenhäuser - alles das benötigen
die Menschen für ihre Rückkehr, aber eben auch Sicherheit spielt eine entscheidende Rolle . Deshalb reden wir
auch mit unseren Partnern in der irakischen Regierung
und sagen, dass es nach der Befreiung von Mosul auch
darum gehen muss, einen Rückfall in die alten ethnisch
oder religiös begründeten Konflikte zu verhindern.
({2})
- Das tun wir auch . - Wenn nach der Befreiung der Stadt
die Geißel des IS nur durch einen Machtkampf zwischen
Kurden, Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist
jedenfalls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen .
Deshalb haben wir der irakischen Regierung einen sogenannten Mosul-Stabilisierungsrat vorgeschlagen, in dem
sich die wichtigen lokalen Kräfte zusammensetzen, um
den Wiederaufbau schon jetzt gemeinsam zu planen und
zu gestalten . Ein erstes Treffen zu dem Thema humanitäre Hilfe hat jetzt stattgefunden . Das ist ein erstes Treffen,
ein erster Schritt, aber immerhin waren der Auftakt und
das Gespräch der Beteiligten untereinander aus meiner
Sicht ganz ermutigend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss:
Aleppo, Mosul, Falludscha, Tikrit, Ramadi, wir brauchen - das zeigt uns all das - einen umfassenden Ansatz,
um unserer Verantwortung in dieser wirklich geschundenen Region gerecht zu werden . Die Beteiligung an der
Anti-IS-Koalition ist ein Teil davon . Deshalb bitte ich Sie
um die Unterstützung für das vorliegende Mandat .
Herzlichen Dank .
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen,
Fraktion Die Linke .
({0})
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Verehrter Herr Außenminister Steinmeier,
auch wir als Linke fordern einen sofortigen Waffenstillstand für Aleppo . Was wir allerdings vermissen, ist, dass
die Bundesregierung gerade auf die Verbündeten Druck
macht, die die islamistischen Terrorbanden in der Region
unterstützen .
Ich muss Ihnen eines sagen: Heute Morgen hat die türkische Luftwaffe die syrischen Kurden angegriffen . Der
Premiumpartner der Bundesregierung, das verbrecherische Erdogan-Regime, hat fast 200 Kurdinnen und Kurden in Syrien einfach so massakriert. Ich finde, das ist
ein Kriegsverbrechen Ihres engen Partners gerade gegen
diejenigen - die Frauenbataillone und die Männerbataillone -, die sich dem barbarischen „Islamischen Staat“ am
tapfersten entgegenstellen .
({0})
Ich finde, es ist ein schwarzer Tag für die deutsche Außenpolitik, dass Sie nicht ein kritisches Wort hier zu diesem türkischen Luftkrieg gegen die Kurdinnen und Kurden im Norden Syriens verlieren .
({1})
Kriegsverbrechen werden nicht von Ihnen verurteilt .
Durch Ihre Unterstützung Erdogans machen Sie, meine
Damen und Herren, sich auch noch mitschuldig an diesem Verbrechen gegenüber den Kurdinnen und Kurden .
Das finde ich unerträglich.
({2})
Wenn Sie ein Ende des Bombardements in Aleppo fordern, die türkischen Angriffe für Sie aber offenbar okay
sind, weil es bis jetzt keine offizielle Verurteilung dieses
Kriegsverbrechens gibt, dann nenne ich das nichts weiter als heuchlerisch . Ihre Politik der doppelten Standards
stinkt wirklich bis zum Himmel .
({3})
Es soll hier ein Antrag von Ihnen beraten werden, die
Bundeswehr in die Türkei zu entsenden . Ich frage Sie:
Wollen Sie angesichts der Kriegsverbrechen Ihres Partners Erdogan wirklich eine weitere Unterstützung dieses
Mannes und seiner mörderischen Syrien-Politik auf den
Weg bringen? Das ist unserer Meinung nach in hohem
Maße verantwortungslos .
Sie argumentieren hier, dass mit den Bundeswehreinsätzen von der Türkei aus der Terror des „Islamischen
Staats“ bekämpft werden soll . Man weiß angesichts
dieser Legenden, die gebildet werden, gar nicht mehr
wirklich, ob man lachen oder weinen soll . Sie können
doch nicht einmal ausschließen, dass die Tornadoaufklärungsdaten für die verbrecherischen Angriffe Erdogans
auf die Kurden verwandt werden. Dies finde ich wirkBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
lich ungeheuerlich . Sind die Kurden heute auch mit Ihrer
Hilfe ermordet worden, meine Damen und Herren? Bis
jetzt sind Sie nicht imstande, uns auf diese Frage ein klares Nein zu sagen . Das, was hier passiert, ist einfach nur
noch skandalös .
({4})
Im Sommer hatte die Bundesregierung die Türkei als
die zentrale Aktionsplattform für islamistischen Terrorismus im ganzen Nahen und Mittleren Osten bezeichnet . Und jetzt machen Sie mit Ihrer Bundeswehrmission
gemeinsame Sache mit dieser Aktionsplattform für islamistischen Terror in der Region . Sie nutzen Ihre Militärstützpunkte, und Sie tauschen Ihre Zieldaten in einem
gemeinsamen Kommando aus . Weiterhin sehen Sie dabei
zu, wie die Türkei eben genau diejenigen bekämpft und
ermordet, die sich dem IS tapfer und entschieden entgegenstellen . Sie sehen dabei zu, wie die Türkei islamistische Terrorbanden wie die Ahrar al-Scham bewaffnet,
für die ja auch der mutmaßliche Terrorist Albakr, der in
einem sächsischen Gefängnis erhängt aufgefunden worden ist, tätig geworden sein soll .
Es ist deshalb nichts als ein furchtbarer, menschenverachtender Zynismus, zu behaupten, dass diese Bundeswehreinsätze an der Seite der Türkei der Bekämpfung
des Terrorismus dienen würden, meine Damen und Herren . Hören Sie auf, den Menschen Sand in die Augen zu
streuen! Das stimmt einfach nicht .
({5})
Jetzt sagen Sie auch noch, dass Sie die AWACS-Flugzeuge brauchen, um der Türkei unter die Arme zu greifen .
Der Luftraum in Syrien und im Irak soll von der Türkei
aus überwacht werden, um den IS zu bekämpfen . Man
fragt sich wirklich: Für wie dumm halten Sie eigentlich
die Leute? Der „Islamische Staat“ hat keine Luftwaffe .
Also bleibt doch als einziger Schluss, wem und wogegen
dieser Einsatz dienen soll, dass dieser Einsatz gegen die
russische Luftwaffe gerichtet ist. Ich finde das brandgefährlich .
({6})
- Ja, die haben die Luftwaffe dort .
Sie zündeln hier . Deshalb möchte ich sagen, dass dieser Einsatz und das, was Sie da treiben, mit dem, was
im Grundgesetz für die Bundeswehr als Verteidigungsauftrag beschrieben worden ist, wirklich nichts mehr zu
tun hat . Im Grundgesetz steht, dass die Bundeswehr eine
Parlamentsarmee ist .
Ich erwarte, dass Sie Ihren Ankündigungen Taten
folgen lassen . Wenn Erdogan und seine Regierung der
AKP einem einzigen Bundestagsabgeordneten, der die
Bundeswehrsoldaten dort besuchen will, die Einreise in
den Stützpunkt Incirlik verweigert, dann dürfen Sie diese
Bundeswehrangehörigen nicht mehr in der Türkei lassen .
Es darf keine Parlamentsarmee ohne parlamentarische
Kontrolle geben .
({7})
Meine Kollegen haben jetzt einen Antrag auf Einreise vor der abschließenden Beratung gestellt . Wir werden
sehen, wie Sie sich verhalten werden . Spätestens dann,
wenn die Einreise verweigert wird, muss die Bundeswehr dort abgezogen werden . Unsere Forderung hierzu
ist klar: Sagen Sie Nein zu den Bundeswehreinsätzen!
Sie bekämpfen damit nämlich keinen Terror, sondern
unterstützen lediglich diejenigen, die den Terror in der
Region fördern . Sie deeskalieren nicht, -
Frau Kollegin, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?
- ja - sondern beschwören neue Bedrohungen für den
Weltfrieden .
Vielen Dank . - Herzlichen Dank, Herr Präsident .
({0})
Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische
Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten einen Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte gegen die Terrororganisation „Islamischer
Staat“ . Wes Geistes Kind diejenigen sind, gegen die wir
uns hier stellen, konnten und mussten wir vor nicht allzu
langer Zeit sehen - auch im Internet -, als ein abgestürzter jordanischer Pilot von den IS-Terroristen auf barbarische Weise ermordet wurde . 22 Minuten dauerte sein
Todeskampf in einem brennenden Käfig. Es ist schwer
vorstellbar, dass Menschen sich überhaupt so etwas ausdenken können . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist der Gegner, um den es hier geht - ein Gegner, der
mit dem gleichen barbarischen Ansatz unter anderem
auch die kurdische Bevölkerung in der Region bekämpft,
von der Sie eben gesagt haben, dass es Ihnen um ihren
Schutz geht . Der IS bekämpft die Kurden . Der IS ist eine
barbarische Organisation . Der Vorwurf des menschenverachtenden Zynismus fällt auf Sie selbst zurück . Zum
wiederholten Mal und in einer selten erlebten Deutlichkeit fällt dieser Vorwurf auf Sie zurück, Kolleginnen und
Kollegen von den Linken .
({0})
Um auch das deutlich zu sagen: Es gibt keinen Zieldatenaustausch, der geeignet ist, gegen die kurdische Bevölkerung vorzugehen . Wir sind in einer Allianz, in der
Allianz Inherent Resolve, gegen den islamistischen Terrorismus . Dort helfen wir mit . Dieses Engagement wollen wir fortsetzen . Dieses Engagement wollen wir ausbauen . Es dient einzig und allein der Bekämpfung des
islamistischen Terrorismus und damit auch der Bekämpfung derer, die die kurdische Bevölkerung im irakischen
Norden wie auch in Syrien drangsalieren . Dagegen gilt es
vorzugehen . Sie sind diejenigen, die die Kurden im Stich
lassen . Wir sind diejenigen, die sich an ihre Seite stellen
als den Unterdrückten in der Region, als den Opfern des
islamistischen Terrorismus .
({1})
Die schrecklichen Bilder vom 13 . November des letzten Jahres in Paris, von den Attentaten in Tunis, Istanbul, Brüssel, Orlando, Nizza und anderswo haben uns
gezeigt, dass die terroristischen Gräueltaten des IS sich
nicht nur gegen die Menschen in Syrien und im Irak richten, sondern dass sie auch uns alle bedrohen . Dort, wo
der IS seine vermeintliche Stärke noch besitzt - in Syrien
und im Irak -, müssen wir gemeinsam mit der großen
Zahl der Nationen der Anti-IS-Koalition entschlossen,
verantwortungsvoll und gemeinsam handeln und so der
Bedrohung weiter entgegentreten und sie bekämpfen .
Es ist gut, dass es erkennbare Erfolge in diesem Kampf
gegen den barbarischen Terrorismus in der Region gibt .
Das ermutigt uns, diesen Weg weiterzugehen .
({2})
Seit Beginn des Einsatzes leisten wir Schutz, gewinnen wir Informationen zur Lage vor Ort durch Aufklärung und unterstützen wir mit Fähigkeiten zur Betankung
in der Luft sowie mit Personal in den Stäben . Die durch
uns bereitgestellten Informationen haben niemandem
außer den IS-Terroristen in der Vergangenheit Schaden
zugefügt. Sie dienen dazu, den IS empfindlich zu treffen
und damit den Einflussbereich dieser Terrororganisation
deutlich zu beschränken . Das ist das erklärte Ziel, und
das ist in den vergangenen Monaten zum Glück auch gelungen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Zukünftig wird die Fähigkeit der Luftraumüberwachung, wie auf dem NATO-Gipfel im Juli dieses Jahres in Warschau beschlossen, durch den Einsatz von
AWACS-Flugzeugen erweitert werden . Damit wird
schon in Kürze eine weitere wichtige Komponente dem
Kampf gegen den IS zur Seite gestellt . Um Schulter an
Schulter mit unseren NATO-Partnern die erforderlichen
AWACS-Einsätze bereits ab November leisten zu können, befassen wir uns mit diesem Mandat, bevor das gegenwärtige Mandatsende am 31 . Dezember 2016 erreicht
ist . Das Nordatlantische Bündnis wird einen Beitrag leisten, der auf die deutschen Besatzungsangehörigen in den
AWACS-Maschinen angewiesen ist. Die Einsatzflüge
werden im türkischen und internationalen Luftraum erfolgen und dienen auch der Sicherheit unserer Tornados
in ihrer Aufklärungsrolle sowie der Flugzeuge unserer
Freunde und Partner in der Anti-IS-Koalition .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Hilfe und
Unterstützung für die Menschen in Syrien und im Irak
sowie für die Nationen, die sich dem Terror des IS entgegenstellen, wollen, werden und müssen wir fortsetzen .
Der Appell des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - nicht irgendeiner Organisation, sondern der Vereinten Nationen! -, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen
und die Anstrengungen zu verstärken, um terroristische
Handlungen des IS in Syrien und im Irak zu unterbinden,
hat immer noch Bestand, und er richtet sich weiterhin
auch an uns . Das ist auch unsere Verantwortung, diesem
Appell nachzukommen .
Um die Gefahr durch den IS nachhaltig zu begrenzen, wollen wir unsere Beiträge zu den militärischen
Maßnahmen weiterhin aufrechterhalten . Hierzu sollen
unverändert bis zu 1 200 Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr eingesetzt werden können . Der Einsatz von
Streitkräften ist ein Teil der erforderlichen Schritte, die
wir ergreifen müssen . Aber klar ist auch: Der langfristige
Erfolg unserer Beiträge zum militärischen Vorgehen gegen den IS hängt maßgeblich auch von unserem zivilen
Engagement in der Region ab, das ein großartiges Engagement ist . Aber, Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns dabei auch nicht selbst täuschen . Ob wir das wollen oder nicht, unser ziviles Engagement und die Erfolge
unserer politischen Verhandlungen werden ihre Wirkung
erst vollumfänglich entfalten können, wenn wir den IS
mit den zurzeit notwendigen militärischen Mitteln weiter nachhaltig schwächen und zurückdrängen können . Es
geht hier nicht darum, mit Stuhlkreisen oder zynischen
Reden vorzugehen . Hier geht es nur darum, dass wir
auch die notwendigen militärischen Maßnahmen ergreifen, den notwendigen militärischen Druck entwickeln,
um den IS zurückzudrängen . Mit schönen Worten wird
er sich nicht zurückdrängen lassen, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({4})
Barbaren müssen auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden . Diese Auseinandersetzung ist unvermeidlich und muss fortgesetzt werden .
({5})
Deshalb bedeutete eben ein Nein zu einem deutschen
militärischen Beitrag im Kampf gegen den IS ein Nein
zu den angestrebten Entwicklungen, die Gegenstand unserer bisherigen politischen Bemühungen um eine sichere, stabile und friedliche Zukunft Syriens und des Iraks
sind und waren . Darum geht es auch in den anstehenden
Beratungen . Darum geht es auch in Zukunft . Für diesen
Weg bittet die Bundesregierung weiterhin um Ihre Unterstützung .
Herzlichen Dank .
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger
für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erinnern uns alle an die schrecklichen Anschläge vor fast
einem Jahr in Paris . Damals hat die deutsche Bundesregierung auch als Antwort darauf dieses Mandat zur
Bekämpfung des selbsternannten „Islamischen Staates“
durch den Bundestag gejagt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben
uns vor einem Jahr diese Entscheidung nicht einfach
gemacht . Wir haben sehr ernsthaft und sehr sorgfältig
abgewogen . Wir blicken natürlich alle nach Mosul . Wir
wünschen uns alle eine Stadt, die endlich befreit ist vom
Terrorregime des sogenannten „Islamischen Staates“ .
Aber wir schauen auch mit sehr viel Sorge darauf, was
danach kommt . Die Entscheidung aus Solidarität und
Betroffenheit gegenüber den Menschen, die unter Terror
leiden, reicht als Grundlage für einen militärischen Einsatz noch nicht aus . Eines muss uns auch klar sein: Im allerbesten Fall können militärische und polizeiliche Mittel dazu beitragen, Terror einzudämmen . Besiegen kann
man Terrorismus aber am Ende des Tages nur politisch .
({0})
Hier sind wir bei der Frage, was an diesem Einsatz
die Grundproblematik ist . Es fehlt dieser Allianz ein
politischer Fahrplan, der von allen getragen wird, eine
umfassende Strategie, die mehr ist als nur militärisches
Vorgehen und Luftschläge . Es ist doch nach wie vor ein
zentrales und ungelöstes Riesenproblem, dass nicht nur
die Staaten in der Region, sondern auch die Staaten in
dieser Allianz so unterschiedliche, teilweise hochwidersprüchliche Eigeninteressen verfolgen, auch auf Kosten
der Menschen in Syrien und im Irak . Das muss endlich
aufhören .
({1})
Der Kampf gegen die Kurden seitens der Türkei ist
schon angesprochen worden . Da fragt man sich schon:
Wo ist die deutsche Rolle? Wo ist das Engagement, um
diese gefährliche Planlosigkeit und diese Gewalt zu beenden und zu thematisieren?
({2})
Diese Fragen stellen sich auch praktisch im Rahmen
dieses Einsatzes . Die Bundesregierung weiß nicht - Herr
Brauksiepe, das haben wir aus Ihrem Haus schwarz auf
weiß -, wofür die deutschen Aufklärungsdaten im Anschluss im Einzelnen verwendet werden . Meine Damen
und Herren, wer Aufklärungsdaten liefert, muss doch
den Anspruch haben, mitzureden und zu wissen, was im
Anschluss damit passiert . Aber auch die rechtliche Konstruktion dieses Einsatzes ist hochproblematisch; denn
sie steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes . Die Bundeswehr darf im
Ausland militärische Gewalt nur im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit ausüben . Da geht es um die
Europäische Union, um die NATO oder - daran denken
wir Grüne immer als Erstes - um die Vereinten Nationen . Die Bundesregierung versucht bei diesem Mandat
in einer abenteuerlichen Argumentation über zwei Seiten
zu behaupten, dass das hier der Fall sei . Das ist es aber
nicht . Fakt ist: Die Bundeswehr wird im Rahmen einer
Koalition der Willigen eingesetzt .
({3})
Meine Damen und Herren, Sie hatten jetzt ein Jahr
Zeit, diesen fundamentalen Fehler zu heilen . Es ist nichts
passiert . Warum nicht? Weil die Bundesregierung das
nämlich gar nicht will . Nachzulesen ist das im neuen
Weißbuch: Diese Konstruktion soll es nicht nur in diesem Einzelfall geben, in dem sie aus der Not geboren
wurde, sondern es ist Ihr erklärter Wille, das Modell der
Koalition der Willigen in Zukunft bei Bundeswehreinsätzen anzuwenden . Das halten wir für grundfalsch,
({4})
nicht nur, weil Sie damit gegen die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes verstoßen, sondern auch,
weil Sie damit effektiv dazu beitragen, dass internationale Organisationen, vor allem die Vereinten Nationen,
geschwächt werden . Das, meine Damen und Herren, ist
doch genau das Gegenteil von dem, was wir gerade nicht
nur angesichts der schrecklichen Lage in Syrien und im
Irak, sondern auch an vielen anderen Orten der Welt
brauchen, nämlich handlungsfähige und starke internationale Organisationen .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich gar
nicht hierhinstellen und von der Bundesregierung die
Patentlösung, den Masterplan fordern, wie endlich die
schreckliche Gewalt in Syrien und im Irak aufhören
kann . Aber ich frage Sie auf der Regierungsbank, auch
Sie, Herr Außenminister Steinmeier: Sind wir nicht verpflichtet, alles zu tun, was wir können, um das unermessliche Leid der Menschen in Syrien und im Irak wenigstens ein bisschen zu lindern?
Ja, man kann noch mehr tun, als derzeit getan wird . Es
gibt Gebiete in Syrien, die seit ewiger Zeit eingekesselt
sind . Es gibt über Land keinen Zugang mehr für humanitäre Güter . Die Vereinten Nationen haben in der Vergangenheit in solchen Fällen punktuell eine Versorgung aus
der Luft durchgeführt. Sie flehen seit Monaten ihre Mitgliedstaaten an, sie dabei dringend zu unterstützen . Da
geht es um die Frage des diplomatischen Drucks gegen
die Staaten, die im syrischen Luftraum sind, genauso wie
um die Frage der technischen Kapazitäten .
Wir Grüne bringen heute Abend hierzu einen Antrag
in den Bundestag ein, und ich bin sehr gespannt, wie
Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dazu verhalten werden . Das, meine Damen und
Herren, verstehe ich wirklich nicht: Warum braucht die
Bundesregierung nicht einmal einen Monat, um militärische Flugzeuge auf den Weg zu bringen, während sie seit
Monaten nach Ausflüchten sucht, wenn wir sie immer
wieder nach der Luftbrücke fragen? Ich finde, wir müssen alles tun, was wir tun können, um das unermessliche
Leid wenigstens ein bisschen zu lindern .
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt für die
CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, wir können heute hier nicht über dieses Thema
diskutieren, ohne wenigstens einen oder zwei Sätze darüber zu verlieren, was gestern Abend hier in Berlin passiert ist . Ich beziehe mich auf den Teil der Gespräche,
der sich auf Syrien bezog. Ich finde, es war eine tolle
und auch sehr erfolgreiche Initiative der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers, die Gelegenheit des
N-4-Formats zu nutzen, um anschließend gemeinsam
mit dem russischen Präsidenten und dem französischen
Präsidenten die Lage in Syrien zu diskutieren . Die Dauer und die Intensität der Gespräche zeigen, dass es Sinn
macht, miteinander zu reden, selbst wenn man unversöhnliche und unvereinbare Positionen hat .
Es wäre eine große Chance für den russischen Präsidenten Putin gewesen, im Vorfeld des EU-Gipfels, der
auch das Thema Russland behandeln wird, ein Zeichen
des guten Willens zu zeigen und die Unterbindung von
Luftschlägen gegen Aleppo für einen längeren Zeitraum
zu veranlassen und damit humanitäre Hilfe möglich zu
machen . Denn das sind die beiden zentralen und ganz
oben stehenden Forderungen, die wir im Augenblick haben: keine Luftschläge gegen Aleppo und Ermöglichung
des Zugangs für Hilfskonvois . Das könnte Putin offensichtlich durch ein Telefonat mit Damaskus in die Wege
leiten . Es ist schade, dass er diese Gelegenheit nicht ergriffen hat . Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass
er möglicherweise doch aus dem Gespräch hier in Berlin
mitnimmt, dass dies nicht nur eine Forderung der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten, sondern eines weit überwiegenden Teils der
Weltbevölkerung ist und es dafür eine breite Unterstützung bei den Vereinten Nationen gibt .
Zu dem heute zur Verhandlung stehenden Mandat:
Wir sind beim Kampf gegen den IS ein sehr gutes Stück
vorangekommen, sowohl, was die Unterstützung der
Peschmerga im Norden Iraks angeht - das betrifft unser
laufendes Irak-Mandat -, als auch, was in Syrien selbst
passiert . Es gibt jetzt Befürchtungen und Sorgen bei den
Menschen in Europa und in Deutschland, dass der IS,
wenn zum Beispiel Mosul fällt oder der IS in Syrien weiter zurückgedrängt wird, Ausweichbewegungen machen
und Aggressionen gegen Deutschland und Europa starten
könnte . Ich glaube das in dieser Form nicht . Ich glaube,
dass es in erster Linie ganz wichtig ist, dass die vermeintliche Faszination, die für irregeleitete junge Menschen
vom IS ausgegangen ist, rapide abnimmt, dass der IS als
das enttarnt wird, was er wirklich ist, nämlich eine verbrecherische Organisation, die an Brutalität mit nichts
anderem in der heutigen Zeit zu messen ist, und dass
deswegen die Gefahr, dass junge Menschen in Deutschland und Europa Anschläge verüben, die gegen unsere
Freiheit gerichtet sind, trotz Kampf gegen den IS, eher
abnimmt, als dass sie zunimmt .
Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Möglichkeiten an unseren Grenzen, aber eben auch die Möglichkeiten unserer Dienste nutzen, um sicherzustellen, dass
diejenigen, die aus den Kampfgebieten nach Europa
kommen oder nach Europa zurückkehren, identifiziert
und zur Rechenschaft gezogen werden, und dass auf diese Weise sichergestellt wird, dass die Bedrohung in Europa tatsächlich nicht zunimmt, sondern abnimmt .
Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Liebich?
Ja .
Vielen Dank, Herr Hardt, dass Sie die Zwischenfrage
zulassen . - Nachdem der Herr Außenminister Steinmeier
nichts dazu gesagt hat, frage ich Sie als Vertreter der
Koalition: Wie bewerten Sie das Agieren der türkischen
Streitkräfte, die im Norden Aleppos nach eigenen Angaben 160 bis 200 Kämpferinnen und Kämpfer der Kurden
getötet haben, die sich im Kampf gegen den „Islamischen
Staat“ befinden?
Wir weisen in den Gesprächen mit der Türkei stets darauf hin, dass die Türkei das Recht hat, Terrorismus zu
bekämpfen und ihre staatliche Ordnung zu verteidigen,
dass sie dabei aber die Regeln der Verhältnismäßigkeit
und die Regeln des Völkerrechtes beachten muss .
({0})
In der Form - wie von Frau Dağdelen vorgetragen -,
wie ein überschäumender geradezu Hass gegenüber der
türkischen Regierung und eine Undifferenziertheit in der
Betrachtung vorhanden sind, sehen wir auch in der türkischen Regierung eine übermäßige Fixierung auf terroristische Elemente unter den Kurden und zu wenig Berücksichtigung und Beachtung derer, die eine friedliche
Veränderung im Namen der Kurden wollen . Wir stehen
für Maß und Mitte in diesem Punkt und nicht dafür, die
Türkei in Bausch und Bogen zu verurteilen oder gar die
Kurden, so wie die Türkei es tut .
({1})
Was die konkreten Ereignisse angeht, die wir uns jetzt
zu vergegenwärtigen haben: Ich bin fest davon überzeugt, dass die türkische Regierung gute Gründe haben
wird, die terroristischen Kräfte im Norden Syriens zu
bekämpfen .
({2})
Dort gibt es Terrorismus, der auch von Kurden mitgetragen wird, und der ist genauso verantwortlich für die Situation in Syrien wie für die anderen schrecklichen Dinge,
die dort passieren .
({3})
Ich möchte kurz auf den Einsatz selbst eingehen . Ich
finde, dass Deutschland mit dem, was wir bisher bereits
getan haben - Luftbetankungsunterstützung, Fotografieren und Aufklärung am Boden, aber eben auch der
Einsatz der Fregatte „Augsburg“ an der Seite des Flugzeugträgers der Franzosen -, einen erheblichen Beitrag
zum Erfolg der Koalition leisten, die den IS in Syrien
bekämpft. Ich finde, es ist selbstverständlich, dass wir
weitere geeignete Mittel nutzen, um das zu tun . Ich meine ganz konkret, dass wir AWACS-Flugzeuge als Instrument einsetzen sollten, um den Luftraum zu überwachen .
Ich bin der Auffassung, dass das Mandat unsere Unterstützung finden kann. Wir werden in den Ausschüssen
ausgiebig darüber beraten . Deutsche Soldaten sollten in
den AWACS-Flugzeugen selbstverständlich Dienst tun
dürfen .
Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass die Koalition bei ihrem Kampf gegen den IS nicht nur im Irak,
sondern auch auf syrischem Boden weiterhin großen Erfolg hat und dass wir unsererseits die Soldatinnen und
Soldaten, die in verschiedenen Funktionen im Einsatz
sind, gesund und wohlbehalten wieder nach Hause bringen . Wir wünschen ihnen für diesen Einsatz alles Soldatenglück .
Herzlichen Dank .
Herr Kollege Hardt, gestatten Sie noch, auch wenn Sie
fast schon am Schluss Ihrer Rede sind, eine Zwischenfrage der Kollegin Keul?
Ja .
Vielen Dank . - Herr Kollege Hardt, Sie haben zum
Schluss dankenswerterweise über das konkrete Mandat
gesprochen . Wir Parlamentarier würden gerne bewerten,
welche Auswirkungen unsere Beteiligung im Rahmen
dieser Allianz auch am Boden tatsächlich hat, aber - die
Kollegin Brugger hat es vorhin schon angesprochen - auf
unsere Fragen, was denn am Boden tatsächlich passiert,
auf welche Ziele eingewirkt wird, bekommen wir von
der Bundesregierung nur die Antwort: Darüber haben
wir keine Kenntnisse, wir geben unsere Daten, aber was
unsere Bündnispartner damit machen, das entzieht sich
unserer Kenntnis . Das erstaunt mich doch sehr; denn
wenn ich als Parlamentarierin diesen Einsatz bewerten
soll und sagen soll, ob ich ihn unterstütze, dann muss ich
doch wissen, was am Ende mit diesen Daten passiert und
wo sie eingesetzt werden. Ich finde auch, dass der Grundsatz der Verantwortung an dieser Stelle nicht eingehalten
wird, wenn die Bundesregierung Daten weggibt und uns
erzählt - ich muss ja erst einmal davon ausgehen, dass
das, was die Bundesregierung uns sagt, stimmt -, dass
sie gar nicht weiß, was am Ende damit an Wirkung erzielt
wird .
({0})
Sie haben jetzt gesagt, es hätte Fortschritte gegeben,
unsere Handlungen hätten eine Wirkung . Ich bitte Sie,
uns zu erläutern, was konkret am Boden bei diesem Luftkrieg herausgekommen ist .
({1})
Ich interpretiere die Information der Bundesregierung
komplett anders als Sie . Wir werten diese Daten aus, wir
geben diese Daten insofern weiter, als dass sie zur Bekämpfung des IS in Syrien genutzt werden können, und
es liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass irgendeiner,
der am Kampf gegen den IS in Syrien beteiligt ist, diese Daten in einer Art und Weise verwendet, die wir als
Deutscher Bundestag oder als deutsche Bundesregierung
nicht akzeptieren können .
({0})
Vielen Dank . - Damit wären Sie auch am Ende Ihrer
Redezeit .
({0})
Ich darf jetzt dem Kollegen Gehrcke die Möglichkeit
zu einer Kurzintervention geben .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es gibt ja immer Anlass, selbstkritisch mit
sich umzugehen .
({0})
- Ja, es gibt immer Anlass .
Ich schätze den Kollegen Hardt aus dem Auswärtigen
Ausschuss . Ich habe Ihnen sehr interessiert zugehört . Wir
Linke sagen: Der Krieg in der Luft und am Boden muss
eingestellt werden . Das betrifft die russischen Bombenabwürfe, die Sie immer wortreich kritisieren, das betrifft
aber auch die türkischen Bombenangriffe . Das ist eine
Doppelbödigkeit, eine Rückkehr zu einer Politik, in der
man sagt: Der Feind meines Feindes muss mein Freund
sein . Warum bringen Sie nicht die Courage und den Mut
auf, zu sagen - der Außenminister hat das nicht gesagt,
von Herrn Brauksiepe habe ich das sowieso nicht erwartet, von Ihnen aber hätte ich das erwartet -: „Wir kritisieren diese türkischen Bombenabwürfe; wir sind damit
nicht einverstanden; wir verlangen als Bundesregierung
und als CDU/CSU-Fraktion, dass sie in dieser Art und
Weise eingestellt werden“? Diese Doppelbödigkeit entlarvt Sie und ist eigentlich furchtbar peinlich .
({1})
Kollege Hardt verzichtet auf eine Erwiderung .
({0})
Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Florian Hahn
für die CDU/CSU als abschließendem Redner in dieser
Aussprache .
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt schon ein paar Dinge, die wir zu den Einwendungen,
die hier vorgebracht worden sind, sagen müssen . Lieber
Herr Gehrcke und vor allem Frau Dağdelen, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es ist doch überhaupt gar keine Frage,
dass wir von unseren türkischen Partnern erwarten, dass
sie Maß halten und die Verhältnismäßigkeit wahren .
({0})
- Warten Sie . - Und es ist auch überhaupt keine Frage,
dass wir, wenn sich herausstellt, dass es sich hier um 200
oder mehr Zivilisten handelt, das nicht einfach so unangesprochen hinnehmen können . Das ist doch gar keine
Frage . Aber es muss den Türken auch erlaubt sein, den
Terror zu bekämpfen .
Sie werfen uns „Doppelbödigkeit“ vor, sagen, wir
würden mit zweierlei Maß messen. Frau Dağdelen, ich
hätte mir gewünscht, dass Sie mit Blick darauf, dass
Assad mithilfe Putins Aleppo in Schutt und Asche legt
und Tausende von Zivilisten sterben, in Ihrer Rede nur
halbwegs dieselbe Empörung für das Vorgehen der Russen aufgebracht hätten wie für das Vorgehen der Türken .
({1})
Sie, Frau Keul, und Sie, Frau Dağdelen, haben den
Eindruck erweckt, Deutschland bzw . die Bundeswehr
könnte möglicherweise Daten zur Verfügung stellen, die
beispielsweise den Türken dazu dienen, die Kurden zu
bekämpfen .
({2})
- Frau Dağdelen, vielleicht unterhalten Sie sich einmal
mit Ihrem Kollegen Herrn Neu, und Sie, Frau Keul, mit
Ihrer Kollegin Frau Brugger . Wir haben doch gesehen nicht nur einmal, sondern schon mehrfach -, welche Daten dort erhoben werden und wie sie kontrolliert werden .
Sie werden fünffach kontrolliert, sodass eines definitiv
ausgeschlossen ist: dass falsche Daten tatsächlich beispielsweise an die Türken geliefert werden. Wir fliegen
in dieser Region gar nicht und erheben diese Daten gar
nicht . Insofern: Malen Sie nicht Dinge an die Wand, die
so einfach nicht stimmen!
({3})
Ein dritter Punkt ist die Frage der Stationierung deutscher Soldaten in der Türkei . Wir hatten die Diskussion,
und ich war einer derjenigen, die gesagt haben: Wenn
es dem Parlament nicht möglich ist, diesen Standort zu
besuchen, dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, ob eine Stationierung dort weiterhin möglich ist .
Wir haben diesen Standort jetzt besuchen können . Alle
Fraktionen waren beteiligt . Ich weiß nicht, ob das gesamte Reisekarussell Bundestag, jeder einzelne Abgeordnete
noch hinfahren soll . Auch hier bitte Maß und Mitte .
({4})
Natürlich muss es auch weiterhin möglich sein, dass
unsere Kolleginnen und Kollegen dorthin fahren . Wir haben, als wir zusammen mit dem Delegationsleiter Karl
Lamers in der Türkei waren, ganz klar und deutlich gesagt: Wir erwarten, dass das jetzt die Regel ist und keine
Ausnahme .
({5})
Ich kann nur sagen: Wir haben den Eindruck mitgenommen, dass es die türkische Seite genauso sieht .
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal
den Blick auf die Mission Inherent Resolve lenken . Die
Luftschläge der Anti-IS-Koalition haben deutlich dazu
beigetragen, den IS massiv zurückzudrängen . Hierfür
danke ich den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die
in Incirlik auf der Fregatte „Augsburg“ und in den Stäben
der Mission ihren Beitrag dazu leisten .
Wir dürfen der Terrormiliz nicht tatenlos gegenüberstehen, davon bin ich, nicht zuletzt mit Blick auf ein
UN-Papier dieses Jahres, überzeugt . Darin benennen die
Vereinten Nationen die zahllosen brutalen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die der sogenannte „Islamische Staat“ beispielsweise gegen die Jesiden verübte . Der Bericht verurteilt die Taten für das, was
sie sind: ein immer noch andauernder Genozid mit dem
Ziel, die Identität einer Minderheit auszulöschen . Daneben sind auch die Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza oder
Ansbach traurige Beispiele dieser menschenverachtenden Ideologie . Allein durch seine Existenz entwickelt
das Kalifat eine gefährliche Strahlkraft, die ausländische
Kämpfer, Dschihadistentourismus und Einzeltäter anzieht und die Terrorgefahr in Europa erhöht .
Der physischen Zerschlagung des Schreckensstaates
kommt daher eine immense Bedeutung zu . „Sie kamen,
um zu zerstören“, so lautet der Titel des UN-Berichts .
Noch ist das Morden des IS nicht vorbei, daher müssen
wir die Terrormiliz auch weiterhin militärisch bekämpfen . Deswegen bitte ich, diesen Einsatz entsprechend zu
verlängern .
Herzlichen Dank .
({6})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9960 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch erhebt
sich nicht, dann gehe ich davon aus, dass Sie alle einver-
standen sind und die Überweisung so beschlossen ist .
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 9 a
und 9 b sowie dem Zusatzpunkt 6:
9 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich
Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gentechnikfreiheit Deutschlands sichern
Drucksache 18/10028
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Gentechnikgesetzes
Drucksache 18/6664
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von
Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11
({2})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/10029
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 38 Minuten vorgesehen . Widerspruch erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, „ja was
denn nun?“, haben Sie uns Grüne kürzlich mal wieder
nach Tipps gefragt, was Sie denn jetzt endlich mal mit Ihrem Amt anfangen sollen . Nett, dass Sie fragen! Ich hätte
da etwas: die Änderung des Gentechnikgesetzes .
({0})
Schließlich versprechen Sie das schon seit Jahren und
kommen damit kein Stück voran, genau wie auf den anderen Baustellen .
Schon in zwei Wochen stimmen die EU-Staaten wieder einmal über die Zulassungen für den Anbau von Genmais ab, genau wie vor fast drei Jahren, als das ganze
Genmaisdebakel begann . Sie haben auf meine Nachfrage
jetzt doch tatsächlich geantwortet, Sie wissen noch gar
nicht, wie Sie dieses Mal abstimmen werden . Ganz einfach: Wenn Sie den Genmais auf unseren Äckern wirklich verhindern wollen, machen Sie es wie das Europäische Parlament, und stimmen Sie in Brüssel endlich mit
Nein . Nur das hilft wirklich .
({1})
Das fordern wir auch in unserem Antrag, dem Sie
zustimmen können müssten . Denn wir wollen in Europa keinen Flickenteppich aus Ländern mit und Ländern
ohne Gentechnikanbau . Wir alle wissen: Pollen und
Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen nicht an
Staatsgrenzen halt . Wenn Sie nicht mit Nein stimmen,
hängt unsere Gentechnikfreiheit allein von der Gnade
der Konzerne ab, die ganz generös auf den Anbau in
Deutschland verzichten können, falls ihnen danach zumute ist und wenn wir sie darum bitten . Wer die Zulassung nicht ablehnt, der ermöglicht sie und spielt mit beim
Plan der Agrarkonzerne, die so mit ein paar gönnerhaften
Anbauausnahmen ihre lange gewünschten Zulassungen
für Gentechnikpflanzen erreichen wollen.
Vor zwei Jahren haben Sie hier hoch und heilig versprochen, dass es mit der Großen Koalition künftig keine
Anbauzulassungen mehr geben würde . Heute trauen Sie
sich noch nicht einmal, darüber abzustimmen . Haben Sie
Angst, dass man merkt, dass Sie nicht Wort halten? Damals haben Sie die Aussage, dass wir den Verzicht auf
Gentechnikanbau nur von Gnaden der Konzerne bekommen würden, weit von sich gewiesen . Wer bei Anbauverboten Koch ist und wer Kellner - Herr Minister Schmidt,
das haben Sie gesagt -, sei völlig klar . Dann sind Sie aber
doch zum Kellner geworden . Sie haben vor einem Jahr
Bittbriefe an die Konzerne geschrieben, Herr Minister,
Deutschland von ihren Zulassungsanträgen auszunehmen . Das ist doch kein souveränes Staatshandeln .
({2})
Unsere Gentechnikfreiheit kann doch nicht von Versprechungen privater Unternehmen abhängen, die ihre Geschäftsstrategie schon morgen ändern können, je nachdem, von wem sie gerade gekauft werden .
Deshalb brauchen wir jetzt dringend ein Gesetz, lieber
Herr Minister Schmidt, werte Kolleginnen und Kollegen, und zwar ein funktionsfähiges, ein taugliches und
rechtssicheres Gesetz . Weil Sie kein praktikables Gesetz
hinbekommen haben, haben die Bundesländer über den
Bundesrat einen eigenen vernünftigen und tauglichen
Gesetzentwurf eingebracht . Den hätte die Beauftragte
des Bundesrates, Ulrike Höfken, gerne vorgestellt . Sie
ist aber terminlich leider verhindert . Sie haben sich allerdings hartnäckig geweigert, diesen Beschluss des
Bundesrates voranzubringen . Stattdessen haben Sie die
Länder ein weiteres Jahr mit Verhandlungen hingehalten,
angeblich zur Kompromissfindung. Aber der Gegenentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, zeigt: Sie wollen gar
keine Lösung mit den Ländern .
({3})
Sie haben gar kein Interesse daran, die Position des Bundesrates auch nur im Ansatz ernst zu nehmen . Sie wollen
den Ausstieg aus dem Gentechnikanbau partout vorsätzlich unterlaufen und aufweichen .
Die Minimalanforderungen an ein funktionierendes
Gesetz liegen doch auf der Hand . Es braucht zwingend
ein bundesweit einheitliches Verfahren . Dazu muss klar
sein: Die Bundesregierung soll handeln, und zwar die gesamte Bundesregierung . Es darf nicht vom Veto einzelner Ministerien abhängen . Das sehen Sie aber in Ihrem
Gesetz so vor . Das EU-Recht fordert für die Phase 1 der
Verbote keine Begründung ein . Wieso wollen Sie dann
diese zusätzliche Bürokratiehürde einführen? Das verstehe ich beim besten Willen nicht .
({4})
Bundesweite Anbauverbote müssen auch halten . Es
kann doch nicht sein, dass ein einziges Bundesland ausreicht, um das gesamte Verbot einfach mir nichts, dir
nichts wieder zu kippen . In Ihrem Entwurf ist damit eine
Unwirksamkeitsklausel eingebaut . Sie wollen keine nationalen, bundeseinheitlichen Anbauverbote . Damit schaffen Sie den Flickenteppich, den wir immer befürchtet
haben . Das darf nicht sein .
({5})
Den Weg zum sicheren Ausstieg aus der Gentechnik
im Anbau hat der vom Bundesrat verabschiedete Gesetzentwurf geliefert . Diesen bringen wir heute ein; denn er
ist gut und solide gemacht .
Und wir müssen das auch zukunftsfest machen . Sorgen Sie dafür, dass nicht durch die Hintertür Ausnahmen
geschaffen werden für neue Gentechnikverfahren wie
CRISPR/Cas und wir es nicht plötzlich mit unkontrollierter Gentechnik auf unseren Äckern und Tellern zu tun
bekommen . Denn auch die neue Gentechnik ist Gentechnik . Das besagen auch die vorliegenden Rechtsgutachten . Das müssen wir in Deutschland und auf EU-Ebene
klarstellen; sonst geht es uns wie im letzten Jahr, als eine
deutsche Behörde gegen geltendes Recht ohne jede Risikoprüfung Ausnahmegenehmigungen für genau solch
einen neuen Gentechnikraps erteilt hat . Da geht es nicht
darum, zu entscheiden, ob und wo man diese Technologie
anwendet, sondern es geht grundlegend um die Handhabung mit Risikoprüfung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit, wie sie bei Gentechnik immer notwendig ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie tatsächlich keine Gentechnik auf dem Acker wollen, dann sorgen Sie für eine klare Regelung zum Ausstieg aus der
Gentechnik, indem Sie die anstehenden Genmaiszulassungen in Brüssel klar ablehnen, den Gentechnik-Gesetzentwurf des Bundesrates in Kraft setzen, Ihren eigenen in
den Schredder werfen und keine Ausnahmen für die neue
Gentechnik zulassen .
Danke schön .
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Kees de Vries .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landwirtschaft betrifft jeden Menschen auf dieser
Welt . Und deshalb betrifft die Diskussion über die Grüne
Gentechnik nicht nur die deutsche Landwirtschaft, uns
Parlamentarier oder unsere mit qualitativ hochwertigen
und preiswerten Lebensmitteln versorgte - um nicht zu
sagen: verwöhnte - Bevölkerung, nein, sie betrifft auch
die Hungernden oder falsch Ernährten auf unserer Erde .
Als Mitglieder des Deutschen Bundestages ist es unsere Pflicht, die Sorgen und Wünsche des deutschen Volkes ernst zu nehmen. Aber es ist auch unsere Pflicht, in
Übereinstimmung mit unserer Überzeugung, resultierend
aus unserem Wissen und Gewissen, darauf zu reagieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich - und
ich bin wirklich nicht der Einzige in diesem Bundestag bin nach wie vor der Meinung, dass es nicht im Sinne
eines so innovativen Landes wie dem unseren und seiner
Bevölkerung ist, uns so radikal von weltweiten Entwicklungen abzukoppeln . Ich fühle mich in dieser Haltung
auch bestärkt durch einen Aufruf von 107 - ich wiederhole: 107 - Nobelpreisträgern,
({0})
die verlangt haben, dass die Kampagne gegen GVOs
aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse
aufgegeben werden sollte .
({1})
Trotzdem kann auch ich mit der Opt-out-Regelung leben . Um diese EU-Regelung in nationales Recht umzusetzen, liegt uns jetzt, nach der Ressortabstimmung, der
Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes vor .
({2})
- Er liegt vor, Herr Ebner . - Das Ziel dieses Gesetzentwurfes hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt
klar und deutlich beschrieben, nämlich das flächendeckende Anbauverbot von Grüner Gentechnik in ganz
Deutschland .
({3})
Seit 2015 kann der Anbau von GVOs außer aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen - für die
meistens handfeste wissenschaftliche Beweise nicht zu
liefern sind -, auch aus agrarpolitischen oder sozioökonomischen Gründen unterbunden werden . Es geht hier
also nicht um die Frage: Genpflanze, ja oder nein? Es
geht hier um die Verbotspraxis und um die Frage der Zuständigkeit .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anträge
und Gesetzentwürfe, die Sie als grüne Opposition hier
vorlegen, helfen in keiner Weise, tragfähige Lösungen
für die Gestaltung eines Anbauverbots für gentechnisch
veränderte Organismen zu formulieren .
({4})
Sie kommen nicht nur mit einem veralteten - er ist über
ein Jahr alt -, einfach wieder aufgewärmten Gesetzentwurf, sondern auch mit zum Teil schon überholten Anträgen, die außer Schwarzmalerei und meisterhafter Vereinfachung nichts zu bieten haben . Ich frage mich: Geht
es hier um die Sache oder um parteipolitisches Kalkül?
({5})
Fest steht für mich: Diese Anträge sind einfach abzulehnen .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens
haben die Bundesressorts mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, der die Brüsseler Opt-out-Regelung in nationales Recht umsetzt, einen vernünftigen Kompromiss zwischen Bund und Ländern zustande gebracht . So werden
Unternehmen, die eine Anbauzulassung für gentechnisch
veränderte Pflanzen stellen, vom Bundesministerium für
Landwirtschaft und Ernährung dazu aufgefordert, das
deutsche Bundesgebiet vom Anbau auszuschließen . Ja,
dazu braucht die Regierung das Einvernehmen von sechs
Ministerien, nämlich Forschung, Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Gesundheit und Umwelt, und auch eine Mehrheit
im Bundesrat . Aber solange sich die öffentliche Meinung
und die korrespondierende Position der Bundesregierung
und der Landesregierungen zum Thema GVO nicht ändert, kann das doch kein Problem sein .
Selbst wenn sich ein Unternehmen darüber hinwegsetzt, das Bundesgebiet vom Anbau auszunehmen,
verfügt die Bundesregierung gemäß dem neuen Gesetzentwurf immer noch über ausreichend Mittel, einen Ausbau in Deutschland zu verhindern . In diesem Falle sollte
die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates
eine Rechtsverordnung zum bundesweiten Anbauverbot
erlassen, die sich auf zwingende Gründe stützt, darunter
solche, die bereits seit 2015 die Anwendung der Grünen
Gentechnik erfolgreich unterbinden .
Neben den agrarpolitischen und sozioökonomischen
Argumenten können sich zwingende Gründe aus umweltpolitischen Zielen oder der Gefahr von Verunreinigungen ergeben . Dabei soll sich die Begründung an den
jeweiligen regionalen Bedingungen orientieren . Zusätzlich wird es den Ländern per Verordnung möglich sein,
den GVO-Anbau in ihrem Hoheitsgebiet eigenständig zu
verbieten . Hierdurch und durch die bestehende Haftungsregelung wird nicht nur die Rechtssicherheit der zukünftigen Verbote gestärkt, sondern dem Gentechnikgesetz
auch ein föderaler Charakter zugestanden . Im Hinblick
auf die Diversität der landwirtschaftlichen Ökosysteme
und Arbeitsbedingungen in Deutschland ist dies von
nicht zu unterschätzender Bedeutung .
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat
unser vielgescholtener Minister Christian Schmidt einen
Gesetzentwurf vorgelegt, den nicht einmal unsere Kollegen der Grünenfraktion guten Gewissens ablehnen können .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Die Kollegin Dr . Kirsten Tackmann spricht jetzt für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Für uns Linke ist die Agrogentechnik
eine Risikotechnologie, weil sie eben doch eine Gefahr
für Mensch und Natur ist . Die Selbsttötung verarmter indischer Baumwollbauern oder auch Superunkräuter, die
die Ernte vernichten, weil eben kein Pflanzenschutzmittel mehr wirkt, bezeugen das . Das sind nur zwei Beispiele und ist auch nur ein Teil des Problems .
Als Linke sehe ich die Gefahr vor allem in dem System, das dahintersteckt und mit dem Konzerne sehr viel
Geld verdienen, und zwar auf unser aller Kosten; denn
die von ihnen verursachten Schäden zahlen wir als Gesellschaft. Ich finde das inakzeptabel.
({0})
Deshalb brauchen wir den Widerstand gegen die Übermacht transnationaler Saatgut- und Pflanzenschutzkonzerne . Bayer/Monsanto und anderen geht es vor allen
Dingen um Maximierung ihres Profits. Die Gefahr für
unsere natürlichen Lebensbedingungen sind für sie nur
Kollateralschäden . Außerdem gefährden sie universelle
Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung oder auf
Wasser . Das wird Gott sei Dank das gerade laufende Internationale Monsanto-Tribunal in Den Haag nachweisen . Davon bin ich jedenfalls überzeugt . Deswegen darf
sich Politik gerade an dieser Stelle nicht erpressbar machen .
({1})
Als Linke will ich verhindern, dass Saatgutmultis und
Chemieriesen bestimmen, was auf unseren Tellern, im
Trog oder im Tank landet . Landwirtschaft muss unabhängig von solchen Konzernen bleiben . Ich bin froh, dass
der Widerstand weltweit wächst und auch in unserem
Land unterdessen breit verankert ist . Viele sehr engagierte, unerschrockene Aufklärerinnen und Aufklärer haben
dazu beigetragen . Ihnen gilt heute mein großer Dank .
({2})
Aus Sicht der Linken gibt es längst genügend Erfahrungen zu Risiken und Nebenwirkungen der Agrogentechnik, um diese Risikotechnologie zu ächten, und zwar
weltweit . Leider ist das aktuell nicht durchsetzbar . Aber
dann sollte uns doch wenigstens das EU-Zulassungsverfahren vor gefährlichen Pflanzen auf unseren Äckern
schützen . Schließlich gilt ja in der EU das Vorsorgeprinzip . Aber leider wird auch das untergraben . Denn die Prüfung erfolgt weder wirklich unabhängig noch transparent . Und wichtige Risiken werden erst gar nicht geprüft,
wie zum Beispiel Langzeitwirkungen, wie zum Beispiel
ethische oder soziale Bedenken . Wir wie auch andere fordern schon seit langem Korrekturen. Ich finde, hier muss
endlich gehandelt werden!
({3})
Aber auch mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten in den EU-Entscheidungsgremien könnte
eine Zulassung verhindert werden . Sie kommt aber regelmäßig nicht zustande, auch weil die Bundesregierung
sich in diesen Gremien bestenfalls der Stimme enthält .
Damit macht sie aber quasi den Weg für die Zulassung
frei; denn die EU-Kommission kann den Anbau dann
ersatzweise tatsächlich zulassen, und sie tut das auch regelmäßig .
Zum Glück haben wir aber auch noch die Mitte-Links-Mehrheit gegen die Agrogentechnik im Bundestag . Die könnte die Bundesregierung natürlich auffordern, der Zulassung in den Gremien nicht zuzustimmen .
({4})
Aber auch hier kommt es nicht zu diesem klaren Signal,
weil sich die SPD in dieser Koalition eben in Geiselhaft
mit der Union befindet. Also kann ich nur sagen: Augen
auf bei der nächsten Wahl!
({5})
Der öffentliche Widerstand hat aber immerhin eine
neue, zusätzliche Reißleine erzwungen . Die Mitgliedstaaten können jetzt nämlich auch nach der EU-weiten
Zulassung von Gentechnikpflanzen den Anbau in ihrem
Land legal verhindern . Dieses sogenannte Opt-out hört
sich gut an, in Wirklichkeit ist es aber ein unmoralisches
Angebot; denn eigentlich eröffnet diese Regel vor allen
Dingen den Konzernen die Tür zu agrogentechnikfreundlichen Ländern, und es gibt auch hohe Hürden, die für ein
solches Anbauverbot zu erfüllen sind . Aber immerhin:
Man kann das tun .
Natürlich macht solch ein Verbot nur bundesweit
Sinn . Ein Flickenteppich angesichts der länderübergreifenden Verarbeitungs- und Handelswege ist absurd; auch
die Bienen halten sich nicht an Ländergrenzen usw . Warum sollte ein Risiko in dem einen Bundesland existieren
und im Nachbarland nicht? Also sind auch Rechtssicherheit und Rechtsfrieden mit einem solchen Flickenteppich
nicht herstellbar .
Der Bundesrat hatte, wie ich finde, einen sehr guten
Vorschlag zu bundeseinheitlichen Regeln vorgelegt . Man
war sich angeblich auch mit dem Bund einig . Trotzdem
macht die Bundesregierung mit dem aktuellen Gesetzentwurf genau das Gegenteil:
Die Hürden für ein bundeseinheitliches Verbot sind
so hoch, dass de facto doch jedes einzelne Bundesland
entscheiden muss . Wer das so vorschlägt, will keine bundeseinheitliche Regeln .
({6})
Die Bundesländer sollen „zwingende Gründe“ für ein
Anbauverbot vorlegen, obwohl das in der EU-Richtlinie
überhaupt nicht vorgesehen ist . Wer das vorschlägt, will
kein Anbauverbot .
Dieses Gesetz ist auch aus meiner Sicht in Wahrheit
ganz klar ein Opt-out-Verhinderungsgesetz,
({7})
und das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen .
({8})
Dass viele in der Union das genau so wollen, kann ich ja
noch verstehen, aber die SPD darf das nicht mitmachen .
Sonst hat sie jede Glaubwürdigkeit bei der Agrogentechnik verspielt .
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß das Wort .
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
Ich zitiere:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung . . .
Das steht in Artikel 20a unseres Grundgesetzes . Den kennen Sie natürlich alle, liebe Kolleginnen und Kollegen,
aber ich habe ihn an dieser Stelle trotzdem noch einmal
zitiert; denn genau darum geht es beim Thema „Gentechnik auf dem Acker“ .
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lehnen Gentechnik auf dem Acker ab,
({0})
und zwar deswegen, weil wir die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen schützen
wollen .
({1})
Die Vorteile Grüner Gentechnik für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind praktisch gleich null . Aber die
langfristigen Risiken für die Ökosysteme, die Umwelt
und die Lebensmittelkreisläufe sind kaum erforscht und
ungewiss . Deshalb wollen wir
({2})
- darin sind wir uns völlig einig, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen -, dass Deutschland den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen im gesamten
Bundesgebiet untersagt ({3})
Forschungsvorhaben ausgenommen . Das erlaubt uns das
EU-Recht seit nunmehr zwei Jahren auch .
Ja, seitdem ringen wir darum,
({4})
wie genau wir das Anbauverbot auf deutschen Äckern
umsetzen können . Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt einen Gesetzentwurf haben, Herr Kollege Ebner .
({5})
In diesem Gesetzentwurf heißt es ganz klar: Die Bundesregierung soll
({6})
- vielleicht hört es der Herr Bundesminister auch - ein
Anbauverbot erlassen, wenn der Hersteller nicht freiwillig darauf verzichtet . - Sie soll! Das ist ein klarer Auftrag,
der hier festgeschrieben wird, und das ist entscheidend .
({7})
Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoll gewesen, sich stärker an dem zu orientieren - das ist auch schon mehrfach
genannt worden -, was der Bundesrat im letzten Jahr vorgelegt hat - aber gut .
Der Gesetzentwurf, über den wir jetzt reden - er ist
übrigens noch nicht einmal im Kabinett beraten worden -, ist trotzdem eine gute Grundlage, unser gemeinsames Ziel zu erreichen . Wir werden ihn genau prüfen .
Der besagte klare Auftrag darf nämlich nicht durch missverständliche Formulierungen oder fehleranfällige Verfahren verkompliziert werden . Da, wo wir es für nötig
halten, werden wir auf Änderungen drängen .
Insgesamt bin ich, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben, sehr geehrter Herr Bundesminister Schmidt, allerdings etwas erstaunt, dass Sie sich selbst auferlegen,
mit fünf anderen Ministerien ein Einvernehmen herstellen zu müssen,
({8})
bevor Sie tätig werden können . Mich erstaunt doch, dass
Sie den ganzen Prozess freiwillig so enorm verkomplizieren . Ich nehme Sie trotzdem beim Wort:
({9})
Vor wenigen Tagen, laut Reuters am 16 . Oktober, haben
Sie gesagt - ich zitiere -:
Mein Ziel ist ein flächendeckendes Anbauverbot
von grüner Gentechnik in ganz Deutschland .
({10})
Es wäre schön, wenn diesen Worten Taten folgten .
Wir debattieren nämlich auch einen Antrag der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in dem es um
die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen
auf EU-Ebene geht; Kollege Ebner hat es ja schon angesprochen . Die sozialdemokratisch geführten Häuser der
Bundesregierung stimmen regelmäßig gegen eine solche
Zulassung, die unionsgeführten hingegen dafür .
({11})
Das führt dann meist dazu, dass sich Deutschland insgesamt im EU-Rat enthält . So, sehr geehrter Herr Schmidt,
sieht eine konsequente Haltung für eine gentechnikfreie
Landwirtschaft eigentlich nicht aus .
({12})
Ich würde mir wünschen, dass auch unser Koalitionspartner endlich geschlossen den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach gentechnikfreien Feldern in diesem
Land respektiert . Ich kann für meine Fraktion noch einmal sagen: Wir wollen ein bundesweites Anbauverbot
und keinen Flickenteppich .
({13})
Deshalb ist es so wichtig, dass die Anbauverbote rechtssicher ausgesprochen werden können und dass die Umsetzung gleichzeitig für alle Betroffenen handhabbar ist .
Wir werden im parlamentarischen Prozess - davon bin
ich überzeugt - noch über einige Punkte diskutieren und
auch diskutieren müssen .
({14})
Aber das gemeinsame Ziel ist klar: keine Gentechnik auf
Feldern, Wiesen, Gärten. Und damit, finde ich, lässt sich
arbeiten .
({15})
Vielen Dank .
({16})
Rita Stockhofe erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Titel „Gentechnikfreiheit Deutschlands
sichern“ zeigt schon - das kann man daran gut ablesen -,
wie die Politik der Grünen funktioniert . Sie haben ein
Schwarz-Weiß-Denken, was sie durch alle Themen tragen . Aber die wenigsten Themen haben nur eine Sichtweise .
({0})
- Ja, der kommt jetzt: Ihr Antrag zu den Maissorten ist
im Prinzip hinfällig, weil gerade diese Maissorten in
Deutschland sowieso nicht angebaut werden dürfen .
({1})
Gentechnisch veränderte Pflanzen sind auch nur ein
ganz kleiner Bestandteil der Biotechnologie . Die Biotechnologie umfasst ein sehr großes Gebiet mit sehr viel
Potenzial, das in Deutschland ausgeschöpft werden sollte
und nicht von den Grünen verhindert werden darf . Die
Forschung in diesem Bereich muss auf jeden Fall möglich sein und bleiben .
({2})
Gerne erläutere ich Ihnen auch, weswegen .
({3})
In der Biotechnologie gibt es mindestens fünf verschiedene Bereiche . Zwei davon möchte ich Ihnen gerne nennen .
Bei der sogenannten Grauen Gentechnik ({4})
das ist die Umweltbiotechnologie - geht es um die Aufbereitung von Trinkwasser, die Reinigung von Abwasser,
die Behandlung von Abfällen,
({5})
die Sanierung kontaminierter Böden und die Abluft- bzw .
Abgasreinigung, also um wichtige Themen, die die Zukunft unserer sensibelsten Bereiche betreffen .
({6})
Wenn wir hier Möglichkeiten der Verbesserung finden,
sollten wir diese Chancen nutzen .
Bei der Roten Gentechnik ist schon vor Jahren der
Fehler gemacht worden, die Entscheidung zu treffen, in
Deutschland kein gentechnisch verändertes Insulin herzustellen. Wir kaufen das Insulin jetzt in hoher Qualität
gentechnisch verändert in Frankreich ein . Wenn das kein
Erfolg ist! Ich hätte die Forschung, Herstellung und Vermarktung dieses Produktes lieber im eigenen Land gesehen .
Die Grünen interessiert es nicht, dass bis heute keine
einzige Studie ergeben hat, dass Gentechnik gefährlich
ist .
({7})
Warum auch? Wenn wieder einmal ein Versuchsfeld mit
Genpflanzen zerstört wird, sieht das kaum einer als kriminellen Akt, sondern als heroische Tat des Widerstandes .
In der letzten Sitzungswoche ist auch deutlich geworden,
dass selbst Einbrüche durch Nichtregierungsorganisationen als Heldentaten gewertet werden .
NGOs als Superlobbyisten genießen bei den Grünen
anscheinend grenzenloses Vertrauen . Sie schützen uns
vor bösen Machenschaften, vor Genmais, sie retten die
Umwelt, die Tiere, schützen uns vor gefährlichen Handelsabkommen der Kapitalisten
({8})
und machen das Ganze aus reinem Gutmenschentum .
Oder gibt es auch hier Interessen, die einmal hinterfragt
werden müssen? Weltverbesserer-NGOs haben ständig
Kontakt zu Ministerien und grünen Abgeordneten . Bei
Unternehmerverbänden gilt das regelmäßig als Skandal .
({9})
Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
Die Grünen lassen sich vor den Karren spannen und
sind zu einer Lobbyistenpartei geworden .
({10})
Oder wie beurteilen Sie die Aussage des nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministers Remmel, der sein
Landesnaturschutzgesetz - hören Sie jetzt genau zu! - als
Geburtstagsgeschenk an den NABU bezeichnet hat .
({11})
Wenn das nicht schlimm ist, dann weiß ich es nicht . Wer
sind dann noch die Lobbyisten, und wer ist dann hier
noch die Lobbyistenpartei?
({12})
Obwohl wir immer älter werden und die Luft, die Wälder
und die Gewässer immer sauberer werden - auch durch
Gentechnik -, wird von der Opposition regelmäßig der
Weltuntergang gepredigt .
({13})
Um noch einmal zur Gentechnik an sich zurückzukommen: Hanno Schäfer, Professor für Biodiversität der
Pflanzen, schreibt treffend in der Zeit, dass die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen die Biodiversität
positiv beeinflussen kann,
({14})
und zwar, indem sie die Erträge steigert, sodass auf weniger Fläche mehr produziert werden kann .
({15})
Somit muss weniger Fläche beackert werden, und naturnahe Lebensräume können erhalten bleiben .
({16})
Lebensräume können erhalten bleiben - ich dachte immer, das sei Ihnen wichtig .
({17})
Wir brauchen die landwirtschaftliche Nutzung von
Fläche, um die Menschheit zu ernähren . Aber jede Nutzung von Fläche, egal ob konventionell, bio oder mit
gentechnisch veränderten Pflanzen, aber auch durch
Bebauung, bedeutet einen Verlust der Vielfalt . Wenn
im Vorfeld von Ergebnissen - in diesem Fall von Forschungsergebnissen - bereits Ängste geschürt werden,
ohne Potenziale zu erkennen oder zuzulassen, verbauen
wir uns die Zukunft Deutschlands . Wir als CDU glauben
aber an die Zukunft Deutschlands,
({18})
und deshalb sind wir die Zukunft Deutschlands .
Danke schön .
({19})
Carsten Träger ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde
gerne wieder über Grüne Gentechnik sprechen .
({0})
Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: Wir als
Sozialdemokraten wollen keine Grüne Gentechnik .
({1})
Wir wollen kein gentechnisch verändertes Essen . Wir
wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher beim
Einkauf nicht das Kleingedruckte lesen müssen, dass sie
keine App brauchen, um entscheiden zu können: Ist da
Gentechnik drin oder nicht? Wir wollen, dass sie sich
schlicht und einfach darauf verlassen können, dass ihr
Essen gesund ist und frei von Gentechnik hergestellt
wurde .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Grüne Gentechnik
ist riskant. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen
ist nicht nachhaltig . Monokulturen führen zu einem Verlust der Artenvielfalt . Außerdem sind sie anfälliger für
Schädlingsbefall und Krankheiten . Die Folge ist wiederum steigender Einsatz von Pestiziden . Dadurch mehren
sich weltweit die Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel. Insektenresistente Pflanzen erhöhen wiederum die
Giftkonzentration auf dem Acker und schädigen Nutzinsekten . Ein Teufelskreis! Dabei hängt doch gerade die
Landwirtschaft von einem stabilen ökologischen Gefüge
ab . Daher sagen wir: Wir wollen keine Grüne Gentechnik .
({3})
Die Langzeitrisiken von gentechnischen veränderten
Pflanzen für Mensch und Umwelt sind nicht geklärt. Der
Erfolg neuer Züchtungen ist umstritten .
Grüne Gentechnik steht auch für eine Entwicklung der
Landwirtschaft in eine Richtung, die wir nicht wollen .
Sie steht für Rationalisierung auf dem Acker . Sie steht für
Anbau einiger weniger Pflanzenarten auf immer größer
werdenden Flächen . Damit steht sie für den Verlust von
Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft . Nichts von alledem
wollen wir . Und die Menschen in Deutschland wollen das
auch nicht . Das hat zuletzt im April eine vom Umweltministerium und vom Bundesamt für Naturschutz veröffentlichte Umfrage zum Naturbewusstsein ergeben . Nur
7 Prozent der Befragten sagen, dass sie überhaupt kein
Problem mit gentechnisch veränderter Nahrung hätten .
({4})
Auch die Fütterung von Nutztieren mit gentechnisch veränderten Futtermitteln lehnen 79 Prozent der Befragten
ab . Und noch ein ethisches Argument: Drei Viertel der
Befragten finden zudem, dass der Mensch kein Recht
habe, Pflanzen und Tiere gentechnisch zu verändern.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keine
Gentechnik in unserem Essen . Niemand will das . Deshalb sollten wir als politische Vertretung der Bürgerinnen
und Bürger auch alles tun, um diesen Willen umzusetzen .
Sehr geehrter Herr Bundesminister, auch Sie haben
erklärt, dass Sie gentechnikfreie Äcker in Deutschland
wollen . Dann sind wir uns einig . Lassen Sie uns das
gemeinsam umsetzen: konsequent, klar und vor allem
rechtssicher .
({6})
Rechtssicher heißt für mich: bundeseinheitlich mit einer
klaren Verantwortlichkeit für ganz Deutschland,
({7})
kein kompliziertes Verfahren, keine unnötige Bürokratie .
Da lag schon mal ein guter Lösungsvorschlag auf dem
Tisch .
({8})
Lassen Sie uns daran anknüpfen . Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es in Deutschland keinen Flickenteppich mit unterschiedlichen Regelungen und unnötiger
Bürokratie gibt .
Wir alle haben das gleiche Ziel . Wir alle wollen gentechnikfreies Essen . Wir schaffen das .
Danke schön .
({9})
Mindestens das schaffen wir tatsächlich . - Nun hat der
Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob wir das schaffen, werden wir sehen .
Ich merke allerdings nur an: In dieser Debatte haben wir
bereits eine rot-rot-grüne Koalition in diesem Haus .
({0})
Vor zwei Tagen waren einige von Ihnen dabei, als abends
in Berlin die Nacht der Landwirtschaft gefeiert und der
CERES AWARD verliehen wurde . Wir haben unsere
Landwirtschaft gelobt . Wir haben ihr die Anerkennung
zukommen lassen, die sie braucht . Wir haben die Landwirtschaft dafür gelobt, dass sie innovativ ist, dass sie
produktiv ist, dass sie leistungsfähig ist . Das war ein guter Abend . Ich denke, diese Landwirtschaft sollten wir
auch weiterhin unterstützen .
({1})
Diese Landwirtschaft nimmt die große Herausforderung
an, unsere Welt mit gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen .
Jetzt streiten wir sehr intensiv um die Gentechnik heute nicht zum ersten Mal . Wir alle wissen, dass ein
Großteil unserer Bevölkerung enorme Vorbehalte hat .
Diese Vorbehalte gründen allerdings weniger auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern mehr auf Emotionen .
({2})
Wir haben ja heute gemerkt, welche Lobbyistenpartei
diese Emotionen am meisten schürt .
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die
Bevölkerung den Anbau gentechnisch veränderter Organismen ablehnt, ist für mich als Landwirt völlig selbstverständlich, nicht etwas zu produzieren, was der Verbraucher nicht will . Also nehme ich Abstand vom Anbau
von GVO .
({4})
Da brauche ich keine Lobbyistenpartei und keine komplizierte Gesetzgebung, sondern da reicht der ganz normale Menschenverstand eines Landwirts .
({5})
Entscheidungen in der Politik sollten auf wissenschaftlichen Grundlagen und nicht auf Basis von Emotionen gefällt werden .
({6})
Gerade das ist die Herangehensweise des Bundeslandwirtschaftsministeriums bei seiner Gesetzesvorlage . Mit
der Opt-out-Richtlinie sind wir auf einem guten Weg . Sie
reden immer von einem Flickenteppich in Deutschland .
Wenn Sie mit kleinen Flicken die acht Bundesländer meinen, in denen Minister der Grünen zuständig sind, dann
können wir darüber diskutieren . Mir wäre es recht, wenn
wir diese Flicken bereinigen würden . Aber das wird sicherlich noch eine Zeit lang dauern .
({7})
Wir brauchen eine gewisse Rechtssicherheit bei der
infrage stehenden Verordnung . Wir sollten lieber die eine
oder andere Woche länger überlegen und das eine oder
andere Zulassungsverfahren mehr einführen, um Rechtssicherheit und Planungssicherheit für unsere Bäuerinnen
und Bauern zu erreichen .
Wir diskutieren über GVO-Anbau . Ich rede darüber mit meinen Vermarktern . Meine Molkerei sagt mir:
Wenn du GVO-freie Milch lieferst, dann bekommst du
beim Milchpreis 1 Cent mehr . - 1 Cent und mehr nicht!
Die Entscheidung über GVO trifft man nicht nach Umfragen oder nach Internetbefragungen . Vielmehr trifft sie
der Verbraucher an der Supermarktkasse; das ist das Entscheidende .
({8})
Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben es in
der Hand, GVO-freie Lebensmittel zu kaufen; diese sind
ihren Preis wert .
({9})
Wir sollten das Ziel gemeinsam erreichen durch vernünftige, sachorientierte Debatten und wissenschaftlich fundierte Entscheidungen . Dazu lade ich Sie alle ein . Vielleicht hat die rot-rot-grüne Mehrheit noch einmal den
Mut, die entsprechende Diskussion zu führen .
Danke schön .
({10})
Ich schließe die Aussprache .
Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind, die
Vorlagen auf Drucksachen 18/10028 und 18/6664 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Es herrscht allgemeine Zustimmung . Dann machen wir das so .
Wir kommen zum Zusatzpunkt 6, also zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10029 . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Überweisung . Hierzu ist das Wort zur Geschäftsordnung
gewünscht . - Bitte schön .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Namens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantrage ich
die Sofortabstimmung über unseren Antrag, der sich mit
der Zulassung dreier gentechnisch veränderter Maissorten in Brüssel in den nächsten Wochen befasst .
Es ist angekündigt, dass aller Voraussicht nach am
11 . November die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in
Brüssel über die Zulassung von drei Genmaissorten abstimmen werden . Wir wollen, dass der Deutsche Bundestag vorher dazu Position bezieht; denn auch die Vertreter
des deutschen Landwirtschaftsministeriums werden voraussichtlich am 11 . November in Brüssel im Ständigen
Ausschuss, der nichtöffentlich tagen wird, abstimmen
müssen . Wir sind der Meinung, dass der Deutsche BunArtur Auernhammer
destag vorher der Regierung deutlich machen sollte, welches Votum wir dort erwarten .
Meine Fraktion beantragt, in Brüssel die Zulassung
dieser drei Maissorten abzulehnen . Ihre Argumentation,
dass es ausreicht, dies in der nächsten Sitzungswoche
zu tun und deshalb heute unseren Antrag zu überweisen,
können wir überhaupt nicht nachvollziehen; denn das
hieße, dass sich der Deutsche Bundestag erst einen Tag
vorher positionieren würde . Normalerweise argumentieren Sie, zu einem solchen Zeitpunkt sei die Meinungsbildung bereits abgeschlossen und man brauche vor allem
Zeit, um Bündnispartner für eine Entscheidung zu finden.
Wir glauben, dass dahinter letztendlich, wie Sie das
in dieser Debatte heute transparent gemacht haben, steht,
dass Sie der Bevölkerung in Deutschland gerne suggerieren, dass Sie die Grüne Gentechnik ablehnen; aber wie
die Kollegen heute in der Debatte deutlich gemacht haben, sehen Sie doch Zukunft in der Grünen Gentechnik:
Wenn die Verbraucher für gentechnikfreie Produkte nicht
mehr Geld zahlen wollten, dann müssten halt diese Produkte zugelassen werden .
({0})
Damit soll letztendlich kaschiert werden, dass Sie für
die Zulassung dieser Produkte und dieser Sorten sind,
aber Sie wollen den Schwarzen Peter nach Brüssel schieben . Dort soll die Zulassung erfolgen, und Sie können
dann weiter suggerieren, dass Sie sich für die Verbraucherinteressen und für eine gentechnikfreie Landwirtschaft einsetzen wollen . Das verkündet vor allem Ministerpräsident Seehofer besonders gern und besonders
intensiv für Bayern .
Wir glauben, dass Oppositionsrechte verletzt werden,
wenn diese Abstimmung nicht transparent und öffentlich
durchgeführt werden kann, bevor in Brüssel entschieden
wird . Wir möchten nicht, dass der Antrag, der keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien fordert
und den wir heute eingebracht haben, an den Landwirtschaftsausschuss überwiesen wird und dort für erledigt
erklärt werden muss, weil die Abstimmung in Brüssel
bereits gelaufen ist .
Deshalb appellieren wir vor allem an die Kollegen der
SPD, die sehr glaubwürdig eine transparente Entscheidung heute eingeklagt haben, die Sofortabstimmung über
unseren Antrag heute hier im Bundestag vor der Brüsseler Entscheidung zu unterstützen und für die Sofortabstimmung zu plädieren .
Danke .
({1})
Wir stimmen nun nach ständiger Übung zuerst über
den Antrag - ({0})
- Na gut . Das führt aber zum gleichen Ergebnis .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Lemke, die Positionen sind
in der Debatte sehr deutlich geworden, und es ist auch
deutlich geworden, dass wir in der Koalition sehr differenzierte Meinungen haben . Um es der Union einmal zu
sagen: Im Moment haben wir eine rot-rot-grüne Mehrheit
mit Herrn Schmidt in unseren Reihen .
({0})
Die Konstellation ist also noch etwas komplizierter, als
Sie sie dargestellt haben . Es ist ganz klar geworden: Unsere Fraktion lehnt den Anbau dieser Produkte ab . Teile
der CDU/CSU lehnen ihn ab, die Linke und die Grünen
auch .
Frau Lemke, was überhaupt nicht zieht, ist das Argument, wir würden sonst immer alle Beratungen in den
Ausschüssen vermeiden und irgendetwas durchpeitschen . Jetzt sagen Sie, wir müssten heute entscheiden,
obwohl der Ausschuss noch vor dem 11 . November tagt .
Ich glaube, er tagt am 9 . November; da liegen also zwei
Tage dazwischen . Deshalb schiebe ich das Argument in
Ihre Richtung zurück . Es ist noch eine Debatte möglich .
Ich sage auch in Richtung Union: Denken Sie noch
einmal darüber nach . Ganz Deutschland möchte diesen
Anbau nicht . Warum will es dann ausgerechnet die Union? Das Argument mit dem 1 Cent war wirklich daneben .
Die Konsumenten und Verbraucher vorzuführen und zu
sagen, weil sie nicht bereit seien, 1 Cent mehr zu bezahlen, sollten gentechnisch veränderte Produkte angebaut
werden, das zieht gar nicht .
Ich bitte ganz herzlich im Namen meiner Fraktion darum, das noch einmal im Ausschuss zu debattieren und
ernsthaft durchzugehen . Namens der Koalition beantrage
ich deshalb die Überweisung in den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft .
Vielen Dank .
({1})
Über genau diesen Antrag auf Überweisung stimmen
wir nun ab .
({0})
- Herr Minister, das ist außerordentlich eindrucksvoll .
({1})
Herr Minister!
({2})
- Herr Minister, würden Sie sich freundlicherweise in Ihr
Basislager zurückziehen?
({3})
- Ja . Das können Sie davor und danach machen, aber
nicht während einer Abstimmung .
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen
Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/10029
zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union . Wer stimmt diesem Überweisungsantrag zu? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das Erstere war
zweifellos die Mehrheit . Damit ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie
({4})
Drucksache 18/9949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt 38 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es keinen Widerspruch .
Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung der Parlamentarischen
Staatssekretärin Brigitte Zypries .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit unserem Ersten Bürokratieentlastungsgesetz haben wir eine der bisher ehrgeizigsten Initiativen
der Bundesregierung beim Bürokratieabbau auf den Weg
gebracht . Die Unternehmen werden durch dieses Gesetz
um rund 700 Millionen Euro im Jahr entlastet . Heute
knüpfen wir an diesen Erfolg an; denn der Bürokratieabbau ist und bleibt ein zentrales Anliegen der Bundesregierung .
Das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz wurde im
August im Kabinett beschlossen . Jetzt liegt es Ihnen zur
Beratung vor . Addiert man die Entlastungen durch das
erste und das zweite Gesetz, kommt man zu dem Ergebnis, dass wir die Wirtschaft in dieser Legislaturperiode
um gut 1 Milliarde Euro an Bürokratiekosten entlasten .
Die „One-in- und One-out“-Regelung funktioniert . Der
Normenkontrollrat hat es uns bestätigt . Das „out“ - das
heißt die Entlastung - fällt bereits jetzt höher aus als das
„in“ .
Mit diesem Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz
wollen wir vor allen Dingen den kleinen Betrieben den
Alltag erleichtern . Lassen Sie mich ein paar Beispiele
nennen . In Bezug auf die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge fordert die Wirtschaft seit vielen Jahren
Erleichterungen . Jetzt wird es möglich sein, dass die Unternehmen, wenn der tatsächliche Wert der Beiträge für
den laufenden Monat nicht bekannt ist, künftig auf den
tatsächlichen Wert des Vormonats abstellen können . Es
entfällt also eine aufwendige Schätzung .
Wir ändern die Handwerksordnung und erlauben zukünftig die elektronische Kommunikation . Auch erleichtern wir die Abrechnung von Pflegedienstleistungen.
Elektronische Dokumente ersetzen die Belege in Papierform. Dadurch bleibt mehr Zeit für die Pflege. Durch
die sichere Übersendung der elektronischen Dokumente
werden allein 12,4 Millionen Euro gespart .
Wir entlasten die Wirtschaft auch im Bereich des
Steuerrechts, indem wir den umsatzsteuerlichen Schwellenwert für Kleinstbetragsrechnungen anheben . Bei Lieferscheinen entfällt die Aufbewahrungspflicht, wenn der
Inhalt des Lieferscheins auf der Rechnung dokumentiert
ist . Schließlich wird die Grenze für die vierteljährliche
Abgabe der Lohnsteueranmeldungen von 4 000 Euro auf
5 000 Euro angehoben . Das klingt technisch, aber tatsächlich entlasten allein diese letzten drei steuerlichen
Maßnahmen die Wirtschaft um gut 270 Millionen Euro
im Jahr - Geld, das für die Kernaufgaben zur Verfügung
steht .
({0})
Leider haben wir nicht alle Wünsche der Wirtschaft
erfüllen können . Ich habe aus zahlreichen Gesprächen
mit Unternehmern mitgenommen, dass es ihnen ein Anliegen ist, dass die Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter besser geregelt wird .
({1})
- Ja, das wollte ich jetzt gerade vorschlagen . - Die Unternehmer schlagen vor, dass man den Schwellenwert von
den jetzigen 410 Euro auf 1 000 Euro anhebt . Das scheint
mir ein vernünftiges Verfahren zu sein .
Es gilt wie immer das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz
kommt so heraus, wie es in den Bundestag hineingekommen ist . Insofern wünsche ich Ihnen gute Beratung und
rege an, dass Sie sich diesen Interessen der Wirtschaft
noch besonders widmen .
({2})
Thomas Lutze hat das Wort für die Fraktion Die Linke .
({0})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie wollen, wie gerade dargestellt, die Bürokratie vereinfachen . Aber der große Wurf ist Ihnen dabei nicht gelungen . Sie bleiben deutlich hinter Ihren eigenen Zielen zurück . Ich verweise da nur einmal ganz
vorsichtig auf ein Papier der Bundesregierung aus dem
Jahr 2014 . Das nennt sich „Eckpunkte zur weiteren Entlastung der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie“ . Okay, kurz vor der Bundestagswahl war von dieser
Bundesregierung allerdings auch nicht zu erwarten, dass
wir hier eine große Gesetzesinitiative bekommen . Und
das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlecht für unser Land .
({0})
Einige der Entlastungen, zum Beispiel die Erhöhung
des Schwellenwertes für Kleinbetragsrechnungen von
150 auf 200 Euro, stellen höchstens einen Inflationsausgleich dar . Sie werden in kürzester Zeit, also nach wenigen Jahren, wieder aufgefressen sein . Das Gleiche gilt
für die Erhöhung der Grenze für die quartalsweise Abgabe der Lohnsteueranmeldung von 4 000 auf 5 000 Euro .
Bei der Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge
verringern Sie nicht die Belastungen für die Betriebe .
Ganz im Gegenteil: Sie muten ihnen nun ein neues Berechnungsverfahren zu . Der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks jedenfalls sieht hierin keine
Entlastung für die Unternehmen, sondern im Gegenteil
eine Belastung .
Bei vielen Ihrer weiteren Vorschläge kann man sich
nur die Augen reiben . So ist es verwunderlich, dass
Sie erst jetzt darauf kommen, dass alle Informationen
zu Leistungen der Verwaltungen des Bundes künftig in
standardisierter Form erfasst und bereitgestellt werden
sollen . Das hätte eine Selbstverständlichkeit seit der Einführung des E-Government-Gesetzes sein müssen . Und
wenn Sie schon das E-Government-Gesetz anfassen,
dann hätten wir uns auch gleich eine Festlegung auf passende Open-Source-Lösungen gewünscht . Auch das ist
nicht erfolgt . Das Gleiche gilt für die Neuaufnahme von
Informationen wie E-Mail-Adresse oder Internetadresse
in die Handwerksrollen . Das war überfällig und hat wenig bis überhaupt nichts damit zu tun, dass es heute um
Bürokratieabbau geht .
Ich könnte jetzt noch weitere Punkte ansprechen,
möchte aber auch eine etwas grundsätzlichere Kritik am
Gesetzentwurf an Sie richten . Sicherlich erreichen Sie
mit dem vorliegenden Entwurf kleinere Verbesserungen . Allerdings sieht die Linksfraktion noch viel größere
Einsparpotenziale an ganz anderen Stellen, zum Beispiel
beim Arbeitslosengeld II . Mit den Nachweis-, Dokumentations- und Sanktionspflichten betreiben Sie auf der
einen Seite ein wahres Bürokratiemonster und gängeln
auf der anderen Seite die Leistungsempfänger . Wenn Sie
Bürokratie abbauen wollen, dann hier .
({1})
Aus diesem Einsparpotenzial könnten Sie die Erhöhung des Regelsatzes auf ein menschenwürdiges Niveau
zumindest mitfinanzieren. Oder beim Elterngeld, beim
Kindergeld, beim BAföG: Überall würden sich die Menschen über weniger Papierkrieg freuen .
({2})
Oder gehen Sie einmal eine große Steuerreform an, die
mehr Steuergerechtigkeit herstellt, aber auch die jährliche Papierschlacht bei der Einkommensteuererklärung
für die einfachen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
spürbar eindämmt .
({3})
Wo liegt bei diesen Beispielen der Unterschied zu den
Entlastungen, die Sie vorschlagen? Die Einsparungen,
die Sie im vorliegenden Entwurf mit dreistelligen Millionenbeträgen beziffern, gehen nicht zwingend in neue
Investitionen . Nein, sie führen im Zweifelsfall erst einmal zu höheren Gewinnen bei den Unternehmen . Aber
jeden Euro, den ein Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen oder ein Empfänger von Sozialleistungen mehr
zur Verfügung hat, wird er unmittelbar in den Konsum
investieren, und das hat einen positiven Effekt auf die
Binnennachfrage . Das gilt es zu unterstützen .
({4})
Letztes Stichwort: Existenzgründer . Ich möchte bezweifeln, dass das größte Hindernis für junge Existenzgründer die Angst vor der ausufernden Bürokratie ist . Es
ist vielmehr die Angst vor dem Existenzverlust bei einem
möglichen Scheitern der Existenzgründung . Hier leistet
ein starker Sozialstaat aus Sicht der Linken einen ebenso
wichtigen Beitrag für ein gutes Klima für Existenzgründer wie eine effektive und straffe Bürokratie .
({5})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen
uns auf die Beratungen in den Ausschüssen . Aber wir
freuen uns viel mehr darauf, dass wir mit hoher Wahrscheinlichkeit in der nächsten Wahlperiode über ein Bürokratieentlastungsgesetz III diskutieren, in dem dann
auch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Empfänger von Sozialhilfeleistungen
stärker berücksichtigt werden .
Vielen Dank .
({6})
Helmut Nowak ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ehemalige
Mitglied des Hohen Hauses Ralf Dahrendorf bemerkte
einmal zum Thema Bürokratie - ich zitiere -:
Wir brauchen Bürokratie, um unsere Problem zu lösen . Aber wenn wir sie erst haben, hindert sie uns,
das zu tun, wofür wir sie brauchen .
Ich denke, er hat völlig recht damit .
Dies vorausgeschickt diskutieren wir heute bereits das
Zweite Bürokratieentlastungsgesetz . Ich denke, das ist
gut so . Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf grundsätzlich für einen Schritt in die richtige Richtung . Er
enthält viele gute Ansätze, insbesondere in der Schwerpunktsetzung bei der mittelständischen Wirtschaft .
Ich will einige Dinge herausgreifen und komme zunächst zur Erleichterung bei den Aufbewahrungsfristen .
Zukünftig müssen Unternehmen Lieferscheine, die keine
Buchungsbelege sind, nicht mehr zwingend aufbewahren . Ich hätte mir bei diesem Punkt aber auch noch gewünscht, die Aufbewahrungsfristen generell zu durchleuchten und vielleicht etwas zusammenzufassen . Weil
wir für unterschiedliche Dokumente so unterschiedliche
Aufbewahrungsfristen haben, führt dies dazu, dass viele
Betriebe alles aufheben, um keinen Fehler zu machen,
sodass unsere gut gemeinte Verkürzung damit möglicherweise ins Leere laufen könnte .
Die Anhebung der Grenze für die Fälligkeit von Lohnsteuer von 4 000 auf 5 000 Euro wird insbesondere kleinere Unternehmen spürbar von Meldepflichten befreien.
Ich würde mir allerdings auch da wünschen, dass wir
500 Euro mehr draufsatteln, weil schon bei zwei Vollbeschäftigten, die nur den Mindestlohn bekommen und
52 Wochen jeweils 40 Stunden arbeiten, diese Grenze
überschritten wird . Bei 5 500 Euro wäre das nicht der
Fall .
Was die Anhebung der Grenze für Kleinbetragsrechnungen von 150 Euro auf 200 Euro angeht, sollten wir
einmal der EU folgen, die uns die Möglichkeit gibt, bis
400 Euro aufzustocken . Das würde die Sache erleichtern,
und wir würden wahrscheinlich in der nächsten Zeit einmal weniger über dieses Thema sprechen .
({0})
Übrigens hat man das in Österreich schon im März 2014
eingeführt .
Zu begrüßen ist auch die Vereinheitlichung der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen, was die Staatssekretärin schon angedeutet hat, bei der eine bisherige Ausnahmeregelung nunmehr als vereinfachtes Verfahren zur
dauerhaften Regelung wird . Hier hätte ich mir persönlich
gewünscht, die Rückkehr zur alten Regelung von vor
2006 zu beschließen . Aber das ist wohl eine Illusion . Die
Änderung wurde damals deshalb herbeigeführt, weil die
Haushaltssituation der sozialen Sicherungssysteme recht
schlecht war und wir damit Liquidität gerettet haben . Das
war auch richtig so .
Aber leider bewahrheitet sich hier ein bisschen das
nicht ganz unbegründete Vorurteil, dass der Staat behält,
was er einmal hat . Ich muss dabei immer unwillkürlich
an die Sektsteuer denken, die zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte eingeführt wurde . Die haben wir immer
noch, allerdings nicht die Flotte .
In Zeiten wie den unseren, in denen radikale Kräfte
von links und rechts mit Vereinfachungen und Polemik
unserem etablierten Parteien- und Politiksystem zusetzen, müssen wir noch stärker Wert auf Verlässlichkeit
und Glaubwürdigkeit legen . So müssen etwa einmal als
sinnvoll erachtete und daher zugestandene Freibeträge
und Schwellenwerte einer regelmäßigen Anpassung unterzogen werden, um ihren ursprünglichen Sinn nicht zu
verlieren . Hierzu gehört die Anhebung der Schwellenwerte für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter .
({1})
Die GWG-Grenze ist seit 1964 nicht mehr angehoben
worden und liegt unverändert bei umgerechnet 410 Euro,
was heute inflationsbereinigt circa 1 570 Euro entspricht.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: seit
1964 . Die letzte Anpassung ist somit 52 Jahre her . Abgesehen von der Tatsache, dass man damals wahrscheinlich noch größere Teile eines Büros für 800 D-Mark einrichten konnte, so reichen heute 410 Euro nicht einmal
dafür, ein ordentliches Smartphone zu kaufen, das man
fünf Jahre abschreiben muss und das nach drei Jahren
technisch veraltet ist, wenn es nicht vorher in Flammen
aufgegangen ist . Die Anhebung der Schwellenwerte auf
1 000 Euro, die nicht einmal einen völligen Inflationsausgleich darstellt, ist daher kein Geschenk, sondern nur
die Wiederherstellung eines bereits in der Vergangenheit
dagewesenen Zustandes .
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werbe noch
einmal dringend dafür . Ich freue mich natürlich über die
Unterstützung durch die Staatssekretärin und den Koalitionspartner . An dieser Stelle will ich Frau Wicklein
danken, die hervorragend und immer offen mit uns zusammengearbeitet hat, um diese Dinge auf den Weg zu
bringen . Ich freue mich, dass wir alle miteinander offensichtlich in die Zielgerade einlaufen .
Positiv daran, den Schwellenwert auf 1 000 Euro anzuheben, ist auch, dass wir bei dieser Gelegenheit die
Poolabschreibung eliminieren, die dann ja auch überhaupt keinen Sinn mehr macht . Dies würde eine erhebliche Vereinfachung für alle Unternehmen in Deutschland
bedeuten . Insbesondere für die kleinen Betriebe wäre
dieser Schritt ein effektiver und vor allem deutlich sichtbarer Beitrag zum Bürokratieabbau . Vieles von dem, was
wir machen, ist für diejenigen sichtbar, die sich im Steuerrecht und bei all diesen Dingen auskennen, aber für die
normalen Unternehmer im Regelfall eher nicht . Insofern
bitte ich noch mal alle Kolleginnen und Kollegen, der
längst überfälligen Anhebung des Schwellenwerts zuzustimmen und ins parlamentarische Verfahren jetzt einzubinden .
({3})
Wir wissen auch, dass es dadurch nicht zu einer Steuerverkürzung kommt, sondern lediglich zu einer Liquiditätsverschiebung . Zudem wird ein Investitionsschub - so
sagt es zumindest die Wirtschaft - von circa 400 Millionen Euro erwartet . Addiert man die Beträge, die durch
den Gesetzentwurf zustande kommen - Reduzierung der
Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 360 Millionen
Euro plus ein Investitionsschub im Umfang von 400 Millionen Euro -, dann kommt man auf 760 Millionen Euro,
die zusätzlich in die Wirtschaft fließen. Nun weiß ich
auch: In der Wirtschaft kann man nicht mit dem Dreisatz
rechnen . Aber immerhin wird der Betrag in der Tendenz
so hoch sein . Deshalb ist das nur zu unterstützen .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen zusehen, dass wir auch in der Zukunft noch die Erfolge der
deutschen Wirtschaft feiern können . Nur eine erfolgreiche Wirtschaft sichert unseren sozialen Wohlstand . Wir
sollten daher als Politik dringend handeln und schauen,
wie wir denjenigen, die in Deutschland im besten Sinne
des Wortes etwas unternehmen, die Steine aus dem Weg
räumen . Die Rahmenbedingungen, die die Politik setzen
will und muss, dürfen nicht zu mehr Bürokratie führen,
sondern maximal zu so viel Bürokratie, wie unbedingt
erforderlich ist .
Lassen Sie mich noch ganz kurz zu einem weiteren
Thema sprechen . Das deutsche Gesetz zur Umsetzung
der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist für mich ein
Beispiel für Überregulierung . Es diskriminiert unzulässig ganze Verbrauchergruppen, zum Beispiel ältere Bürgerinnen und Bürger, die ihre Wohnung oder ihr Haus
altersgerecht umbauen möchten, aber keinen Kredit mehr
dafür bekommen, weil sie zu alt sind, um die Tilgung
sicherzustellen, und weil zum Beispiel ihre Immobilie
keine dem Wert entsprechende Berücksichtigung findet . Das ist eine unmögliche und diskriminierende Verfahrensweise . Es ist zudem ein bürokratisches Monster .
Die Volksbanken, die Sparkassen und die Banken ganz
allgemein sehen sehr deutlich, dass die Kreditvergabe
immer schwieriger wird . Gerade sie sind es ja, die ihre
Kunden persönlich kennen und ihre Lage einzuschätzen
wissen . Das Gesetz zur Umsetzung der Verordnung muss
unbedingt entbürokratisiert werden . Mitte der 90er-Jahre
war ein Darlehensvertrag vier bis fünf Seiten stark, heute kann man diese Zahl mühelos mit fünf multiplizieren .
Außerdem ist der Wert der vorhandenen Substanz bei einem Kreditantrag unbedingt zu berücksichtigen .
Im Übrigen ist mittlerweile nicht nur die Privatwirtschaft durch die überbordende Bürokratie völlig überlastet; auch die staatliche Verwaltung selbst gerät aufgrund
immer komplizierterer Verfahrensabläufe zunehmend ins
Schlingern . Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Mittel
aus staatlichen Fördertöpfen wie die Investitionshilfen
des Bundes auch aufgrund zu komplexer und komplizierter Verfahren von den unteren Ebenen, also den Städten
und Gemeinden, teilweise gar nicht mehr abgerufen werden können .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gilt, dem endlich Einhalt zu gebieten . Wir müssen in der Zukunft noch
besser darauf achten, dass Gesetze für Bürger, Wirtschaft
und Verwaltung verständlicher sind und dass auf unnötige Bürokratie verzichtet wird . Mir fällt bei dieser Gelegenheit der Bierdeckel ein, wobei Herr Merz nie gesagt
hat, wie groß er sein soll .
Um noch einmal auf Ralf Dahrendorf zurückzukommen: Wir brauchen die Bürokratie, um unsere Probleme
zu lösen - aber eben nicht mehr davon . Daher lassen Sie
uns das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz mit seinen
guten Ansätzen im parlamentarischen Verfahren zu einem noch besseren Gesetz machen .
Ich danke Ihnen sehr herzlich .
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Thomas Gambke das Wort .
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Besucherrängen und draußen vor den Bildschirmen! Bürokratieentlastung, das klingt erst einmal gut, aber wenn man ins
Detail geht, dann interessiert es keinen mehr, obwohl es
viele von uns quält . Ich werde gleich noch ein paar kritische Worte sagen, aber lassen Sie mich zunächst darauf
hinweisen, dass es absolut stimmt: Bürokratieentlastung
ist oft nicht der ganz große Wurf; vielmehr sind viele
kleine Schritte nötig, um Bürokratie wirklich abzubauen .
Ich bin dem Normenkontrollrat sehr dankbar - er
hat gerade sein zehnjähriges Bestehen gefeiert -, der in
vielen Punkten immer wieder Antrieb ist . Er muss auch
Antrieb sein; denn Verwaltungen reagieren nicht ohne
Weiteres darauf, wenn man sagt: Die Bürokratie muss
abgebaut werden .
Gestern im Finanzausschuss wurden wir darüber informiert, dass es sein kann, dass durch das elektronische
Sicherungsverfahren, mit dem man Daten übertragen und
damit Steuerbetrug verhindern kann, ein Tag Betriebsprüfung pro Betrieb wegfällt . Und der Staatssekretär hat
gesagt: Das interessiert mich nicht .
({0})
- Ja, das hat er gesagt .
({1})
Das hat mich wirklich schockiert; denn es geht bei all
dem, was wir machen, ob das der Vorgang der Steuererhebung ist oder andere Verwaltungsvorgänge, immer
auch um die Frage des Aufwandes,
({2})
und den müssen wir zurückführen .
Ich freue mich, dass das Thema GWG, geringwertige
Wirtschaftsgüter, heute vom Kollegen Nowak aufgegriffen wurde . Auch hier erinnere ich mich an viel WiderHelmut Nowak
stand, gerade vonseiten der Union . Der Steuerberater hat
normalerweise kein Problem mit der Poolabschreibung .
({3})
- Nein, er macht keine Poolabschreibung, führt aber den
dafür notwendigen Verwaltungsvorgang aus .
({4})
- Es ist doch so, Frau Horb, dass das sehr kleine Betriebe
betrifft .
Ich war vorgestern im Mittelstandsausschuss des
Wirtschaftsministers, übrigens als einziger geladener
Gast und Politiker .
({5})
Ich habe dort unisono von allen Versammelten gehört,
wie wichtig es wäre, die Abschreibungen für geringwertige Wirtschaftsgüter in der Summe endlich hochzusetzen . Wir fordern das seit Jahren .
({6})
Ich freue mich darüber, dass wir dieses dicke Brett gebohrt haben und dass wir jetzt auf der Zielgeraden sind .
({7})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das Thema Abführung der Sozialversicherungsbeiträge ansprechen . Da kommt dann immer die Bemerkung: Das kostet
30 Milliarden Euro . - Es kostet eben nicht 30 Milliarden
Euro, es ist eine Verschiebung von 30 Milliarden Euro
in das nächste Haushaltsjahr, aber die Beträge werden
genauso abgeführt . Das ist also nur, wie man technisch
sagt, ein Liquiditätseffekt, den wir uns übrigens gerade
jetzt in Zeiten niedriger Zinsen gut leisten könnten . Aber
hier sind wir nicht weitergekommen .
Der Normenkontrollrat hat zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge einen Vorschlag unterbreitet, bei
dem er mit einer erheblichen Bürokratieentlastung rechnet . Das kann aber nur ein erster Schritt sein . Aus der
Wirtschaft höre ich unisono - ich sage das an die gerichtet, die am Dienstag nicht da waren; vielleicht können
Sie die Protokolle lesen -, dass gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen mit schwankenden Geschäftsergebnissen einen erheblichen zusätzlichen Aufwand haben, wenn sie erst einmal aufgrund einer Prognose, auch
wenn sie auf dem letzten Geschäftsjahr basiert, zahlen,
dann aber wieder eine Korrektur vornehmen müssen .
Nur einmal zu zahlen, nur einmal das Papier in die Hand
nehmen zu müssen, das würde eine erhebliche Entlastung
bedeuten . Ich hoffe, dass wir uns dieses Thema bald noch
einmal vornehmen und eine entsprechende Entscheidung
herbeiführen können . Das wäre für die Wirtschaft wirklich gut . Wie gesagt: Den Staat kostet es nichts, die Sozialversicherungen kostet es nichts, aber es würde eine
Bürokratievereinfachung bedeuten . Ich hoffe, dass wir
das hinbekommen .
({8})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf Folgendes
hinweisen - das ist die Kritik, die ich habe -: Der Normenkontrollrat und viele andere haben darauf hingewiesen, dass wir durch die Digitalisierung die Möglichkeit
haben, bis zu einem Drittel an Bürokratie abzubauen . Ich
sehe, dass wir da weder strukturell noch vom Management her richtig vorgehen .
({9})
Die zuständigen Regierungsmitglieder müssen sich endlich zusammensetzen und das Ganze organisieren, damit
das behoben werden kann und ich nicht mehr von Unternehmern hören muss: Ich gehe mit meinem Betrieb
lieber nach Lettland, weil ich dort Verwaltungsvorgänge
elektronisch und schnell abwickeln kann; abgesehen davon, dass man dort auch eine gute Breitbandversorgung
hat . - Das ist eine sehr niederschmetternde Äußerung .
Da müssen wir mehr tun . Der Normenkontrollrat hat das
Problem im Rahmen der Veranstaltung zu seinem zehnjährigen Bestehen sehr deutlich benannt . Sie kennen vielleicht die Unterlagen dazu; wenn nicht, sollten Sie sie
lesen . Ich glaube, dass wir da noch ein weites Feld vor
uns haben . Gerade die Chancen, die uns die Digitalisierung zum Bürokratieabbau bietet, müssen wir wahrnehmen . Ich hoffe, dass die Regierung das endlich angeht .
Ich sage es aber noch einmal: Sie muss das auch vom
Management her und strukturell richtig begleiten . Sonst
wird das irgendwo in den Ressorts versacken und nicht
funktionieren .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({10})
Matthias Ilgen ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der
Zielgeraden der Großen Koalition - das Gesetz soll ja circa zu Ostern 2017 in Kraft treten - hinterlassen wir, wie
ich finde, ein schönes Ostergeschenk für die Betriebe in
Deutschland; denn gerade die kleinen Unternehmen mit
ein bis drei Mitarbeitern sind überproportional mit Bürokratie belastet . Deswegen ist es wichtig, dieses Zweite
Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg zu bringen .
Der geschätzte Gegenwert dieser Entlastung wird
circa 360 Millionen Euro im Jahr betragen oder, umgerechnet in Arbeitsstunden, 10 Millionen Arbeitsstunden
in den Betrieben . Das mag hier im Hohen Hause nicht
immer so sein, aber in der Wirtschaft ist Zeit nach wie
vor Geld . Diese Zeit kann besser genutzt werden als für
die Bürokratie, nämlich für die Geschäftsabwicklung, für
das Zurverfügungstellen von Ausbildern und alles Mögliche . Deswegen ist dieses Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung .
Zusätzlich zu der Entlastung um 700 Millionen Euro
durch das erste Bürokratieentlastungsgesetz - wir haben
es vom Kollegen Nowak gehört - sind wir damit schon
bei mehr als 1 Milliarde Euro in einer Legislatur . Das hat,
glaube ich, keine Bundesregierung in der Vergangenheit
in vier Jahren auf den Weg gebracht. Ich finde, die Koalition kann auch einmal ihren Stolz darüber zum Ausdruck
bringen, dass wir das machen .
Wir modernisieren die Handwerksordnung; die Frau
Staatssekretärin hat das angesprochen .
Bei den Sozialversicherungsbeiträgen machen wir
einen Schritt in die richtige Richtung, wie ich finde.
Auch wir in der SPD-Fraktion wünschen uns, glaube
ich, mehrheitlich, dass wir zu der Rechtslage von 2006
zurückkehren; denn der damalige, auch von einer Großen Koalition beschlossene Griff in die Sozialkassen war
zwar begründbar - er entstand aus einer Finanznot heraus -, wurde aber mit einer Zusage verbunden: Wenn es
im System mal wieder besser läuft, wollen wir den Unternehmen das Geld zurückgeben . - Da wir wissen, was
das an Entlastung in den Personalabteilungen bringen
würde, sage ich in Richtung CDU: Lassen Sie uns noch
einmal überlegen, ob man nicht eine Möglichkeit findet,
die im Haushalt darstellbar ist . Wir jedenfalls würden es
begrüßen, wenn wir darüber noch einmal reden .
({0})
Die Anpassung im Steuerrecht haben wir besprochen:
150 Euro auf 200 Euro .
Hinsichtlich der Grenze für die Lohnsteueranmeldung - Anpassung von 4 000 auf 5 000 Euro - können
wir uns vorstellen, dass man noch einmal genau schaut,
wie viele davon eigentlich betroffen sind und wie viele
davon betroffen wären, wenn man 500 Euro mehr nähme . Vielleicht können wir mit einem kleinen Schritt bei
dem Wert eine große Entlastung bewirken .
Ich finde es auch richtig, dass man die Lieferscheine
nicht mehr aufbewahren muss, wenn man den Wertgegenstand sowieso auf der Rechnung stehen hat, weil das
ja auch für die Steuer der entscheidende Beleg ist . Von
daher ist das eine sinnvolle Maßnahme .
Bezüglich der Grenze für die geringwertigen Wirtschaftsgüter schaue ich den Staatssekretär Meister an; er
sitzt ja heute hier . Ich sage es einmal so: Wenn wir uns in
der Koalition einig sind - die Zeichen deuten darauf hin;
denn die AG Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion hat
uns signalisiert: „Das kann man machen“, und ähnliche
Signale höre ich auch aus der CDU -, dann schaffen wir
das, dann machen wir das .
({1})
Dann kann die Regierung andere Vorschläge machen;
aber wir sind das Parlament und nehmen uns auch das
Recht heraus, das entsprechend zu machen . Stichwort:
Struck’sches Gesetz .
({2})
- „Wir sind das Volk!“, das war schon immer ein wichtiger Aspekt . Wir repräsentieren es an dieser Stelle .
Sicherlich gibt es noch viele andere Punkte, bei denen
man in Sachen Bürokratieabbau in der nächsten Legislaturperiode weiter vorankommen kann . Ich will noch
einmal Werbung in eigener Sache machen: Ich habe mit
dem gerade aus dem Bundestag ausgeschiedenen Kollegen Peer Steinbrück zu Beginn dieser Wahlperiode ein
umfangreiches Papier auf den Weg gebracht . Das ist
auch Diskussionsgegenstand bei uns in der Fraktion gewesen . Es wird sicherlich auf dem Weg zum SPD-Wahlprogramm diskutiert werden . Es sind 29 Vorschläge zum
Abbau von Steuerbürokratie . Man muss ja nicht jeden
nehmen, aber ich denke, es gibt darin genug Futter zur
Diskussion für eine kommende Wahlperiode .
Danke schön .
({3})
Die Kollegin Horb hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie
sich vor, Sie bauen sich daheim eine Garage . Das machen
ja viele Leute, und die meisten stellen auch das Auto hinein . Das funktioniert in der Regel am Anfang ganz gut .
Nur irgendwann steht dort nicht mehr allein das Auto,
sondern auch noch die Werkbank, die Winterreifen, Fahrräder, Kinderwagen, der kaputte Rasenmäher und Omas
alte Schrankwand .
({0})
In der Garage stehen dann nützliche Dinge, aber auch
Gegenstände, die man nicht mehr braucht, oder solche,
die man vielleicht noch brauchen könnte . Und wenn man
Pech hat, stellt man irgendwann fest: Das Auto passt
nicht mehr hinein .
Mit Gesetzen ist es so ähnlich . Wenn ein Gesetz
verabschiedet wird, ist es am Anfang vergleichsweise
schlank und einfach . Mit der Zeit kommen dann immer
mehr Sonderregelungen und Ausnahmen dazu . Die Garage wird sozusagen immer voller .
Ein gutes Beispiel dafür ist unser Steuerrecht . Dessen
wichtigste Gesetze, das Einkommensteuergesetz und die
Abgabenordnung, sind schon sehr alt, und wir passen sie
im Grunde immer wieder an, ja, wir müssen sie anpassen .
Bundesverfassungsgerichts- und BFH-Urteile müssen
umgesetzt, EU-Richtlinien müssen in nationales Recht
gegossen werden . Manchmal sollen mit Steueranreizen bestimmte Lenkungsziele erreicht werden . Manchmal geht es darum, Steuerschlupflöcher zu stopfen, und
manchmal führen wir Berichts- und Aufbewahrungspflichten ein, um gegen Finanz- und Steuerkriminalität
vorzugehen .
Das Ergebnis ist ein immer detaillierteres, komplizierteres Rechtssystem, das immer höhere Anforderungen an
die Steuerpflichtigen stellt. Genauso, wie man ab und zu
mal die Garage aufräumt, sollten wir das auch mit unseren Gesetzen tun und sie von bürokratischem Gerümpel befreien . Genau das tun wir auch, und genau deshalb
haben wir im Koalitionsvertrag deutlich festgeschrieben:
„Steuervereinfachung ist eine Daueraufgabe“, und diesem Auftrag kommen wir nach .
In dieser Legislaturperiode haben wir hierzu bereits
das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens mit vielen Erleichterungen für die Unternehmen, die
Bürger und die steuerberatenden Berufe beschlossen . In
diesem Gesetz haben wir auch den Grundstein für die Erhöhung der Summe bei der Kleinbetragsrechnung gelegt .
Bei Rechnungen bis zu 150 Euro müssen bisher angegeben werden: Name des Rechnungsausstellers, Datum,
Art und Menge der gelieferten Ware, der Preis und der
Steuersatz . Dieser Betrag soll laut zuständigem Wirtschaftsministerium von 150 Euro auf 200 Euro angehoben werden . Wir als CDU/CSU-Fraktion plädieren weiterhin dafür, den Betrag auf 400 Euro anzuheben . Diese
Erhöhung scheiterte bisher leider am politischen Willen
unserer lieben SPD-Kollegen .
({1})
Ihr Argument „politischer Wille“ wird im Bürokratieentlastungsgesetz II jetzt hoffentlich ad acta gelegt, damit
die Leistungsträger und Unternehmen unseres Landes
stärker entlastet werden .
({2})
Dass bei einer Erhöhung auf 400 Euro die Welt nicht
zusammenbricht, beweist ein Blick in die Steuergesetzgebung unseres Nachbarlandes Österreich . Österreich
hat nämlich erfolgreich den Betrag für die Kleinbetragsrechnung auf 400 Euro angehoben, und diese Maßnahme
würde auch der Steuerharmonisierung in Europa dienen;
denn sie ist durch die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie gesetzlich gedeckt .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir insbesondere die kleinen Handwerksbetriebe und Unternehmen von unnötigem Papierkram befreien . Durch die
Gesetzesvorlage werden nach derzeitigem Stand Bürokratiekosten in Höhe von mehr als 360 Millionen Euro
eingespart - Geld, das den Unternehmen für Innovationen, notwendige Investitionen sowie für die Aus- und
Fortbildung ihrer Mitarbeiter zur Verfügung steht .
Wenn wir die Bürokratiegarage unseres Landes richtig aufräumen wollen, dann müssen wir gewissenhaft
und sauber sortieren . Wir sollten gemeinsam prüfen und
sagen, was zum Sperrmüll kommt und was nicht . Was
wir brauchen, wird genutzt, und was wir nicht nutzen:
Weg damit! Bei unseren Aufräumaktionen werden wir
uns, bildlich gesprochen, nicht nur auf die Garage beschränken . Das bedeutet, dass alle Ministerien in der
Pflicht sind, ihre Häuser zu durchforsten und vielleicht
mehrmals zu durchforsten . Ich möchte damit nicht auf
die nächste Legislaturperiode warten, sondern das können wir jetzt machen .
({3})
Ein weiterer Punkt, der mir als CDU/CSU-Steuerpolitikerin besonders wichtig ist, ist der Vollverzinsungssatz,
also der Zinssatz, den das Finanzamt nach einer Karenzzeit von 15 Monaten nach Ablauf des Veranlagungsjahres
für Steuererstattungen und Steuernachforderungen bis
zur Steuerfestsetzung erhebt, vor allem nach Änderungen
und nach Betriebsprüfungen . Dieser Zinssatz beträgt bisher 0,5 Prozent pro Monat . Das entspricht einer Zinshöhe
von 6 Prozent im Jahr . Das ist in Zeiten einer Nullzinspolitik unangemessen .
({4})
Verständlicherweise wird gar die Verfassungsmäßigkeit
bei Aufrechterhaltung dieser Zinshöhe infrage gestellt .
Wir sollten deshalb diesen Zinssatz halbieren und nach
fünf Jahren überprüfen, ob er noch zeitgemäß ist .
({5})
Diese Forderung ins Gesetz aufzunehmen, würde zeigen,
dass wir als Gesetzgeber zeitgemäß und verantwortungsbewusst handeln .
({6})
Beim Entrümpeln werden wir schneller vorankommen, wenn mehr Hände zupacken, wenn alle, Bund und
Länder, zusammenarbeiten . Deswegen möchte ich Sie
alle auffordern, nicht mit den Händen in den Hosentaschen danebenzustehen, wenn wir Wirtschafts-, Steuerund Finanzpolitiker aufräumen . Helfen Sie alle mit . Packen Sie mit an. Jeder profitiert davon, wenn alles sauber
und aufgeräumt ist und alle, Wirtschaft, Verwaltung und
Bürger, effizient arbeiten.
Unser Einsatz in der Regierungskoalition zum Bürokratieabbau zeigt Wirkung, gerade im Steuerrecht . Das
liegt daran, dass wir darauf achten, dass bei der Erarbeitung neuer Gesetze bürokratische Zusatzbelastungen von
Anfang an vermieden werden und dass wir die Digitalisierung insgesamt vorantreiben .
Herr Gambke, zu Ihrem Einwurf vorhin: Auch wir
haben gestern sehr wohl gehört, was in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen gemacht wird . Wir haben jetzt
im Bund mehr Kompetenz . Das müssen wir ausnutzen .
Da hoffe ich und fordere auch Sie als Grüne auf, dass Sie
uns hierbei in den Ländern unterstützen . Denn die Länder
sind jetzt gefordert, hier voranzutreiben . Wenn wir den
Bereich der Digitalisierung gemeinsam angehen, werden
wir es schaffen, die Verwaltungsvorgänge in Deutschland
unbürokratischer, schneller, geordneter und vor allem
serviceorientierter zu machen .
Mit diesem Maßnahmenpaket werden wir mehr als
1 Milliarde Euro einsparen . Das ist eine Menge Papier .
Aber es spart vor allem Zeit und Nerven . Wir sind da auf
dem richtigen Weg . Aber wenn wir in der Garage, auf
dem Dachboden und im Keller sind, müssen wir aufpassen, dass nicht gleichzeitig ein Lkw vorfährt und neue
Gesetzeskisten, Verordnungen und Anweisungen vor unserer Haustür ablädt .
Herzlichen Dank .
({7})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Marcus Held für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin, liebe Vorrednerin, ich habe eben gelernt, dass die CDU/CSU-Fraktion anscheinend ziemlich
viel Gerümpel in der Garage hat .
({0})
Wenn Sie Hilfe beim Aufräumen brauchen, sind wir gerne zur Stelle,
({1})
unter anderem natürlich heute hier mit diesem Bürokratieentlastungsgesetz, das in der Reihe zahlreicher Maßnahmen steht, die aus dem Bundeswirtschaftsministerium
kommen, um unsere Wirtschaft und unsere Bürgerinnen
und Bürger zu entlasten . Deshalb möchte ich mich an
dieser Stelle bei unserem Minister Sigmar Gabriel, bei
der Staatssekretärin und beim Haus ganz herzlich dafür
bedanken, dass diese Entlastung hier tatsächlich in dieser
Form auf den Weg gebracht werden konnte .
Das Ziel muss nicht nur sein, neue Regelungen zu
schaffen, sondern Ziel muss auch sein, gleichzeitig
überbordende Regelungen abzuschaffen . Wir wollen die
Wirtschaft entlasten . Dabei geht es aber nicht darum,
den Konzernen zusätzliche Gewinne zu verschaffen,
sondern es geht um die Erhaltung und die Schaffung
von Arbeitsplätzen. Da hat zu viel Bürokratie häufig
eine Bremswirkung, vor allem für kleine und mittlere
Unternehmen, die bereit sind, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen bzw . zu erhalten, und zwar hier
in Europa, konkret bei uns in Deutschland . Solche Investitionen sollen durch weniger Bürokratie in Zukunft
leichter möglich werden .
Wir schaffen damit Erleichterungen für Unternehmen,
die keine eigenen Fachabteilungen haben, um alle Gesetze zu überprüfen und alle Fragen im Detail zu klären .
Dabei geht es zum Beispiel um das Baurecht - auch das
Steuerrecht ist heute angesprochen worden - oder die Arbeitsstättenverordnung . Auch das Sozialversicherungsrecht ist ein großes Thema . Von Bedeutung ist auch das
Vergaberecht, meine Damen und Herren, das wir gerade im April dieses Jahres verändert haben, um für mehr
Flexibilität zu sorgen, damit die Kommunen entscheiden
können, ob sie beispielsweise mehr soziale oder Umweltkriterien mit einbeziehen . Das Ganze sorgt für viel Flexibilität und weniger Bürokratie . Da sind wir schon auf
dem richtigen Weg .
Für das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg gab es viele Gründe . Neben dem Fleiß der Deutschen gehörte dazu auch die Möglichkeit, einfach einmal unternehmerisch starten zu können . So sind aus
Einmannbetrieben, die beispielsweise in einer Garage
gegründet wurden - diese Garage war im Vergleich zu
Ihrem Beispiel aufgeräumt -, große Unternehmen entstanden, die bis heute teilweise Weltruhm erlangt haben
und von denen wir gar nicht mehr wissen, dass sie einmal
in einer Garage gegründet wurden . Im Vergleich dazu
dürfen viele Existenzgründer mit guten Ideen ihren Laden heute gar nicht eröffnen, nur weil sie vielleicht keine
separate Personal- oder Kundentoilette haben .
Wir haben neben diesem Gesetz in Zukunft noch viele große Aufgaben zu bewältigen . Wir müssen wichtige
Standards beibehalten, gleichzeitig aber wieder mehr
Chancen eröffnen . Wir müssen dafür sorgen, dass wir in
Deutschland flächendeckend Verwaltungen haben, die
sich als Servicestellen für die Bürgerinnen und Bürger
und für die Unternehmer sehen und die nicht sagen, warum etwas nicht geht, sondern, wie konkret man zum Ziel
kommt . Es gibt also viele Ziele, und ich hoffe, dass wir
ihnen durch weitere Bürokratieentlastungsgesetze immer
ein Stückchen näherkommen .
Herzlichen Dank .
({2})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/9949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Andere Vorschläge sehe ich nicht . Also können wir die
Überweisung so beschließen .
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann
({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Medizinische Versorgung für Geflüchtete
und Asylsuchende diskriminierungsfrei sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Luise Amtsberg, Kordula
Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Psychotherapeutische und psychosoziale
Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verbessern
Drucksachen 18/7413, 18/6067, 18/9933
Die vorgesehene Debattenzeit beträgt 25 Minuten .
Gibt es dazu Einvernehmen? - Es sieht so aus . Also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kollege Reiner Meier für die CDU/CSU .
({2})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt
in der Natur der Sache, dass eine Debatte über Leistungen
für Flüchtlinge polarisiert . Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Fraktionen überrascht
mich das nicht . Es darf aber auf keinen Fall den Blick auf
die Fakten verstellen . Wenn heute suggeriert wird, alles
unterhalb des vollen Leistungsumfangs der GKV sei menschenunwürdig, dann muss ich in aller Deutlichkeit sagen:
Reden Sie doch die gesetzliche Krankenversicherung nicht
schlecht! Unsere GKV ist im internationalen Vergleich eine
der besten Krankenversicherungen überhaupt . Sie gewährt
den Versicherten einen verlässlichen Schutz und einen breiten Zugang zur Spitzenmedizin .
Mit dem Präventionsgesetz haben wir im vergangenen
Jahr in der GKV die Voraussetzungen dafür geschaffen,
die Versicherten vorbeugend möglichst lange fit und gesund zu halten. Das Gleiche gilt für die Pflege, für die
Krankenhäuser, für die Digitalisierung, wo die Koalition
in den letzten Jahren wichtige Verbesserungen auf den
Weg gebracht hat . Wenn all das für Sie das menschenwürdige Minimum ist, dann frage ich mich schon, in welcher Welt Sie leben .
Die gesetzliche Krankenversicherung ist schon begrifflich etwas völlig anderes als die Gesundheitsversorgung aus humanitären Gründen . Die GKV - das wissen
Sie selbst - funktioniert nach dem Umlageprinzip . Versicherte zahlen Beiträge ein, aus denen unmittelbar die
Leistungen finanziert werden. Die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge ist dagegen beitragsfrei und wird
aus Steuermitteln finanziert. Das ist auch richtig so und
unterstreicht die Verantwortung, die Deutschland seit Beginn der Flüchtlingskrise übernommen und immer wieder unter Beweis gestellt hat . Der Bund wird alleine in
den Jahren 2016 bis 2018 über 60 Milliarden Euro für
Flüchtlinge und die Bekämpfung von Fluchtursachen bereitstellen .
({0})
Im Bereich der Gesundheitsvorsorge für Flüchtlinge
kann es dennoch nicht der Anspruch sein, unterschiedliche Sachverhalte sachwidrig gleichzumachen . Der
Anspruch sollte stattdessen sein, alle notwendigen Leistungen zur Existenzsicherung zu erbringen . Genau das
tut bereits unser geltendes Recht . Wer in Deutschland
Schutz sucht, erhält nach dem Asylbewerberleistungsgesetz alle notwendigen Behandlungen, nicht mehr und
auch nicht weniger .
({1})
Ich teile an dieser Stelle übrigens auch nicht Ihre
Forderung, alle Asylbewerber zwingend mit elektronischen Gesundheitskarten auszustatten . Zum einen ist
das Asylbewerberleistungsgesetz nur für die Zeit bis zur
Entscheidung über den Asylantrag einschlägig . Zum anderen gibt es schon heute die Möglichkeit, elektronische
Gesundheitskarten für Asylbewerber auszugeben .
({2})
Wir haben uns in diesem Haus schon oft über die Frage gestritten, ob eine elektronische Gesundheitskarte einen Anreiz zur Migration gibt . Das Gleiche gilt für die
Frage, ob wir dadurch Kosten einsparen oder nicht .
({3})
Ich will das alles heute nicht noch einmal aufwärmen .
Unsere Haltung hierzu ist Ihnen hinlänglich bekannt .
Wir können aber nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die Kommunen, also diejenigen, die am
dichtesten am Geschehen dran sind, die elektronische
Gesundheitskarte über alle Parteigrenzen hinweg offenbar gar nicht wollen . Diese bewusste Entscheidung der
Kommunen sollte uns zu denken geben .
({4})
Wir sollten sie aber auch respektieren, meine Damen und
Herren .
Es ist keine große Kunst, politische Überbietungswettbewerbe zu betreiben und immer und immer wieder ein
bisschen mehr zu versprechen als die anderen . Am Ende
der Debatte werden wir alle aber daran gemessen, ob es
uns gelingt, eine stimmige, gerechte Gesundheitsversorgung in unserem Land zu gewährleisten . Ihre Anträge,
meine Damen und Herren, werden dieser Verantwortung
nicht gerecht, sodass wir sie heute ablehnen .
Vielen Dank .
({5})
Kathrin Vogler erhält das Wort für die Fraktion Die
Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die GesundheitsPräsident Dr. Norbert Lammert
versorgung für Flüchtlinge - der Kollege Meier hat es
gesagt - hat uns im Bundestag schon öfter beschäftigt,
doch leider gibt es aus unserer Perspektive viel zu wenig
Fortschritte .
Bei der Anhörung zu den beiden Anträgen der Linken
und der Grünen, die wir heute beraten, waren sich alle
Sachverständigen einig, dass der Zugang zu medizinischer Versorgung dringend verbessert werden muss,
({0})
selbst die von der Union benannten, Herr Meier . Auch
ist dieser Zugang eine gesellschaftliche Aufgabe . Darum
kann das nicht den gesetzlich Versicherten aufgebürdet
werden . Da waren wir uns einig .
Aber was macht diese Große Koalition? Sie will jetzt
1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds, also aus
den Beitragsgeldern, nehmen, um damit angeblich die
Versorgung der Geflüchteten zu finanzieren und nebenbei auch noch das Daten-GAU-Projekt „Elektronische
Gesundheitskarte“ zu sanieren . Dieses Geld ist aber von
Versicherten bezahlt worden, also vom Verkäufer und
von der Schreinerin . Das ist kein Steuergeld, über das
Herr Schäuble nach eigenem Gutdünken verfügen könnte .
Sie bedienen sich auch gleich zweimal aus den Beiträgen der Versicherten . Die Beiträge, die der Bund für
Hartz-IV-Bezieher an die Krankenkassen abführt, decken
nämlich die Kosten nicht . Hier subventioniert wiederum
die Schreinerin Schäubles schwarze Null .
Ihnen geht es doch eigentlich nur darum, kurzfristig
Defizite bei den Krankenkassen zu verhindern, damit im
nächsten Wahljahr die Zusatzbeiträge nicht explodieren .
Selbst die Krankenkassen haben gesagt: Schön, dass wir
mehr Geld bekommen, aber für die Versorgung der Geflüchteten brauchen wir nur einen Bruchteil davon.
Die nach wie vor unzureichende Gesundheitsversorgung wollen Sie auch gar nicht beheben; das hat der Kollege gerade klargemacht .
({1})
Nach wie vor haben Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten nur bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen und
Schmerzen sowie bei Schwangerschaft Anspruch auf
eine Behandlung . Wir sagen ganz klar: Es verstößt gegen
Menschenrechte, wenn chronische Erkrankungen nicht
behandelt werden oder wenn die Behandlung vom Ermessen eines Sozialamtsmitarbeiters abhängt, der keine
medizinische Ausbildung hat .
({2})
Außerdem: Unbehandelte Erkrankungen können zu
schweren Folgekrankheiten führen . Das wird dann doch
noch teurer . Sie müssen sich jetzt einmal entscheiden:
Möchten Sie es gerne teuer und schlecht oder preiswert
und gut?
Nur noch wenige Bundesländer lehnen eine Gesundheitskarte und den leichteren Zugang zur Gesundheitsversorgung aus ideologischen Gründen ab . In vielen
Bundesländern, die eigentlich mehr tun wollen, hakt es
doch, weil es keine einheitliche Regelung gibt und weil
die Kommunen Angst vor Mehrkosten haben .
({3})
An dieser Stelle möchte ich einmal die thüringische
Landesregierung loben; denn sie hat es erstmals in einem
Flächenland geschafft, alle Kommunen von der Versorgung der Geflüchteten mit der Gesundheitskarte zu überzeugen und eine Rahmenvereinbarung mit den Krankenkassen abzuschließen .
({4})
Dass sich das Ganze immer wieder verzögert und alle
Beteiligten Nerven lassen, liegt vor allem an der schlechten Gesetzeslage hier bei uns im Bund, und die wollen
wir ändern .
Die Linke fordert: Die Beiträge für die Krankenversicherung von Asylsuchenden soll der Bund tragen . Herr Meier, ich wette mit Ihnen: Dann werden wir ganz
schnell die Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge flächendeckend haben - auch in Bayern und in Sachsen .
({5})
Die Beschränkung des Leistungsumfangs beschneidet übrigens auch die Therapiefreiheit der Ärztinnen und
Ärzte. Auch wenn sie eine behandlungspflichtige Erkrankung diagnostizieren, kann das Sozialamt die Kostenübernahme verweigern .
Das Medinetz, eine Organisation für medizinische
Flüchtlingshilfe, berichtet zum Beispiel über einen fünfjährigen Jungen, bei dem neun Zähne gezogen oder behandelt werden mussten . Das Sozialamt verweigerte dem
Kind eine Narkose dafür . Die zynische Begründung dafür lautete, dafür gebe es keinen Anspruch und das müsse das Kind schon aushalten . Für solche Grausamkeiten
gegenüber Kindern gibt es einfach keine Rechtfertigung .
({6})
Die Linke sagt: Auch diejenigen, die vor Krieg und
Verfolgung zu uns geflüchtet sind, müssen alle notwendigen und sinnvollen Behandlungen erhalten, und diese
stehen nun einmal im Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenkassen . Weniger bedeutet eine gesundheitliche
Unterversorgung, und das nehmen wir nicht länger hin .
({7})
Deshalb: Unterstützen Sie uns doch in den Bemühungen, eine gesundheitliche Versorgung für alle Menschen
hier in Deutschland sicherzustellen! Stimmen Sie für
eine diskriminierungsfreie medizinische Versorgung für
Geflüchtete und Asylsuchende und auch für den guten
Antrag der Grünen zur Verbesserung der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung von Asylsuchenden!
Ich bedanke mich .
({8})
Heike Baehrens erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir zwölf Monate
zurückblicken und die damalige Situation mit heute vergleichen,
({0})
dann dürfen wir mit Fug und Recht behaupten: Wir haben bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen
bereits viel erreicht . Die Bearbeitung der Anträge wurde
beschleunigt, Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung
dürfen jetzt traumatisierte Asylbewerber behandeln, und
es wurden die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen,
um die Gesundheitskarte in den Ländern einführen zu
können .
({1})
Aber klar ist auch - da stimmen wir mit der Intention des grünen Antrags überein -: Die psychosoziale und
psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen muss
weiter verbessert werden .
({2})
Die Behandlung von traumatisierten Geflüchteten ist
noch unzureichend . Vorhandene Dienste und Angebote
sind überlaufen . Es gibt zu wenige Dolmetscher . Auch
die Frage der Finanzierung dieser Leistungen ist nicht
ausreichend geklärt .
({3})
Psychosoziale Zentren und Traumazentren, die sich
dieser Aufgabe fachlich qualifiziert, gut vernetzt und oft
mit Unterstützung von Ehrenamtlichen widmen, müssen
Jahr für Jahr um ihre Finanzierung bangen .
({4})
Das ist absolut unbefriedigend .
({5})
Ich habe in dem Jahresbericht von Refugio Stuttgart, den ich gerade erst erhalten habe, gelesen: Dieser
gemeinnützige Verein hat einen Pool aus Dolmetschern
für 17 Sprachen aufgebaut und sie für den Einsatz in der
Psychotherapie geschult . Solche vorhandenen Strukturen
und Kompetenzen müssen politisch und finanziell gefördert werden; denn sie sind das Fundament, auf dem die
psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von
Flüchtlingen weiter verbessert werden kann .
Unsere Familienministerin Manuela Schwesig hat
deswegen dieses Jahr psychosoziale Zentren mit rund
3 Millionen Euro gefördert . Darum ist es umso unverständlicher, dass der Finanzminister trotz sprudelnder
Steuereinnahmen diese Förderungen jetzt wieder kürzen
will . Wir als SPD werden bei den abschließenden Haushaltsverhandlungen dafür kämpfen, dass die wichtige Arbeit dieser Zentren fortgeführt werden kann .
({6})
Darüber hinaus diskutieren wir auch die Möglichkeit,
für diese Aufgabe zusätzliche Projektmittel im Haushalt des Gesundheitsministeriums bereitzustellen . Heute Morgen hat Herr Finanzminister Schäuble genau an
dieser Stelle gleich zu Anfang seiner Rede gesagt: „Am
Geld wird die Integration nicht scheitern .“
({7})
Da nehmen wir ihn beim Wort .
({8})
Wir wollen eine bessere psychotherapeutische und
psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen . Aber ganz
so einfach wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, es in Ihrem Antrag formuliert haben, ist es
dann doch nicht . Sie wollen die Dolmetscherleistungen
von den Krankenkassen zahlen lassen .
({9})
Das sehen wir kritisch; denn die Bereitstellung von
Dolmetschern ist nicht per se eine Gesundheitsleistung .
Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ja, eine
Integra tionsleistung, die von der öffentlichen Hand und
damit aus Steuermitteln geleistet werden muss .
({10})
Es wäre nicht richtig, dies allein den Beitragszahlern der
gesetzlichen Krankenversicherung aufzuladen . Mit Steuermitteln können wir nicht nur Dolmetscher finanzieren,
sondern auch bereits bestehende psychosoziale Netzwerke wie Refugio zielgenau stärken, fördern und auch ausbauen .
Dass es in Koalitionen, Frau Klein-Schmeink, nicht
immer leicht ist, solche Ziele ganz schnell zu erreichen,
das erfahren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, gerade selbst ganz unmittelbar in Baden-Württemberg, wo Sie mit Ihrem Koalitionspartner um die
Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ringen
müssen, die Sie hier in Ihrem Antrag fordern .
({11})
Auf jeden Fall werden wir uns bei den laufenden
Haushaltsverhandlungen für weitere Verbesserungen bei
der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen einsetzen .
({12})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({13})
Die Kollegin Klein-Schmeink hat nun das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Es ist jetzt genau ein Jahr her, da wurde unser Antrag zur Verbesserung der psychosozialen
Unterstützung von Flüchtlingen hier in den Bundestag
eingebracht; auch der Antrag der Linken stand zur Diskussion . Wir haben Ihnen also ein Jahr Zeit gegeben, um
die Situation zu verbessern und an der Versorgungslage
insgesamt etwas zu ändern .
({0})
Ich muss sagen: Heute erleben wir, dass das Resultat,
zwar freundlich vorgetragen, umso enttäuschender ist .
Beide Anträge werden Sie ablehnen und damit jegliche
Verbesserung in diesem Bereich verhindern . Das halten
wir für einen großen Fehler .
({1})
Es ist nicht einfach nur ein Fehler; es ist auch eine
richtig große Enttäuschung . Denn zum einen hat die Anhörung glasklar den Handlungsbedarf aufgezeigt . Sie hat
Ihnen gezeigt, dass es klug ist, in die Gesundheitskarte
für Flüchtlinge zu investieren und den Flüchtlingen den
Zugang zur Regelversorgung zu ermöglichen; denn dann
ist die Behandlung insgesamt gesehen humaner, besser
und günstiger, weil man Chronifizierung verhindert. Das
wäre schon ein wichtiger Grund gewesen .
({2})
Der zweite wichtige Grund: Es ist deutlich geworden,
dass es insbesondere bei der Behandlung von Traumatisierten große Versorgungslücken gibt, zum Beispiel in
dem Bereich, wo die Flüchtlinge noch nicht anerkannt
sind, in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen,
weil entweder der Zugang zu Dolmetscherleistungen
oder bei einer chronischen Erkrankung überhaupt der
Zugang zu einer Behandlung fehlt, weil sie nicht unter
die Akut- und Notfallversorgung fällt - es sei denn, wir
haben die Situation schon so zuspitzen lassen, dass die
Menschen in die stationäre Notfallversorgung müssen .
({3})
Das ist die teuerste Versorgung und das unmenschlichste
Verfahren .
Der dritte Punkt: Wir haben insgesamt eine ganz prekäre Situation der Folteropferzentren . Sie wissen alle dazu haben Sie viele Zuschriften erhalten, und es ist auch
in der Anhörung deutlich geworden -: Diese 32 Zentren
tragen den Löwenanteil der Erstversorgung in diesem
Bereich . Sie werden größtenteils durch Spenden und
ein bisschen durch Landesmittel, ein bisschen durch
ESF-Mittel und ein bisschen durch Mittel der Ministerin
Schwesig finanziert, und das, obwohl sie den Löwenanteil der Erstversorgung tragen . Das, meine Damen und
Herren, ist kein Zustand; das muss beendet werden .
Jetzt sind wir in der kläglichen Situation, dass sogar
der Minizuschuss, der im letzten Jahr bereitgestellt worden ist, wieder infrage steht . Das kann doch nicht wahr
sein .
({4})
Ein weiterer Punkt: Sie haben für zusätzliche Ermächtigungen gesorgt: für insgesamt 68 zusätzlich zugelassene Psychotherapeuten bundesweit . Das deckt nicht
einmal den Ansatz dessen, was wir brauchen . Auch das
ist keine Lösung des Problems . Es ist ein ganz kleiner
Ausschnitt .
Ziehen Sie deshalb endlich Konsequenzen aus dem,
was an Versorgungsnotwendigkeiten besteht! Es kann
doch nicht sein, dass Integration tatsächlich daran scheitert, dass wir die notwendigsten Hilfen und die notwendige Versorgung nicht bereitstellen . Was Sie da machen,
ist ein so unkluges und unmenschliches Vorgehen . Dafür
fehlt mir jegliches Verständnis .
({5})
Gleichzeitig muss ich sagen: Wie kann man sich so
von den Argumenten der AfD und der Angst vor ihr treiben lassen, dass man nicht in der Lage ist, endlich in der
Regelversorgung passende Angebote zu schaffen?
({6})
Das ist ein Fehler, und den sollten Sie dringend korrigieren .
({7})
Ute Bertram erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung der Flüchtlinge und Asylsuchenden gehört zu den besonderen Herausforderungen, die wir zu
bewältigen haben . Viele Flüchtlinge - das wissen wir
alle - kommen traumatisiert zu uns . Sie haben schlimme
und oft allerschlimmste Erfahrungen hinter sich: Gewalt,
Folter, Gefangenschaft, Vergewaltigung und sexueller
Missbrauch über alle Bevölkerungskreise hinweg, Alt
und Jung und immer wieder Frauen und Kinder .
Dieses Thema steht heute nicht zum ersten Mal auf
unserer Tagesordnung . Im September letzten Jahres - die
Situation war damals nicht gerade von Übersichtlichkeit
geprägt - war uns nur klar: Unser ganzes Staatswesen auf
allen Ebenen war gefordert . Wir benötigen immer noch
die Hilfe aus allen Ecken der Gesellschaft .
Immerhin können wir heute sagen: Wir kennen recht
genau die Dimension, die wir als Gemeinwesen zu bewältigen haben, und wir sagen allen Dank, die sich so
engagiert in diesen Dienst gestellt haben: den professionellen Unterstützern ebenso wie den spontanen Initiativen bis hin zu den vielen anonymen helfenden Händen in
unseren Dörfern und Städten .
({0})
Aber was unter einer notwendigen psychotherapeutischen und psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen
zu verstehen ist, darüber werden wir wohl auch in der
Zukunft noch eine Menge unterschiedlicher Auffassungen haben . Konkret geht es um die Frage, wie hoch die
Zahl der Flüchtlinge ist, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung so sehr leiden, dass sie einer
akuten Behandlung bedürfen .
({1})
Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - kurz:
BAfF - verweist auf eine aktuelle Review-Studienlage
der letzten 25 Jahre in Deutschland,
({2})
wonach bei Flüchtlingen eine Gesamthäufigkeit für die
posttraumatische Belastungsstörung zwischen 16 und
55 Prozent liegt . Diese Streubreite zeigt aber auch an,
dass wir es mit Schätzungen zu tun haben, die immer
auch ein Griff ins Dunkle sind .
Vor gut einem Jahr haben wir festgestellt, dass es in den
bundesweit 23 psychosozialen Zentren etwa 130 Psychotherapeuten gibt, die 4 000 Flüchtlinge betreuen . Heute
wissen wir, dass die Situation in den Aufnahmelagern erheblich entspannter ist und dass viele Flüchtlinge bei uns
mittlerweile in Integrationskursen lernen . Damit sind sie
irgendwie im Alltag angekommen .
Das verlangt den Flüchtlingen viel ab; das weiß ich .
Aber das hat auch einen therapeutischen Wert für die Bewältigung einer schwer erträglichen Vergangenheit . Damit will ich nicht sagen, dass wir das Problem der psychotherapeutischen Versorgung der Flüchtlinge erledigt
hätten, aber die Koalition war nicht untätig . Der Bund
hat in diesem Jahr aus dem Haushalt des BMFSFJ die
BAfF mit rund 3 Millionen Euro gefördert und bemüht
sich zurzeit, eine Förderung für 2017 sicherzustellen . Ich
appelliere auch an die Haushälter, dies zu unterstützen .
({3})
Der Bund führt in Gestalt des BMG Gespräche mit der
BAfF, um die Möglichkeiten zusätzlicher Ermächtigungen für psychosoziale Zentren und ambulante Psychotherapeuten zu eröffnen, damit Flüchtlingen angemessen
weitergeholfen werden kann, wenn sie nach den Grundsätzen der GKV zu versorgen sind .
({4})
So wollen wir auch dazu beitragen, dass über die
Akutbehandlung hinaus schwerere Fälle einer posttraumatischen Belastungsstörung durch eine Anschlussbehandlung therapiert werden könnten . Generell müssen
wir darauf achten, dass wir nicht überreagieren . Eine
vollumfängliche Akutversorgung musste 2015 aufgrund
der hochschnellenden Flüchtlingszahlen eine Illusion
bleiben .
Wichtig ist jetzt, dass wir die Nachversorgung sichern .
Auch diese Aufgabe bleibt gerade vor dem Hintergrund
der sprachlichen und kulturellen Barrieren weiterhin eine
besondere Herausforderung .
({5})
Ich komme zu meinem Fazit . Wir folgen dem Grundsatz: Wir fahren auf Sicht . - Mit diesem Grundsatz ist
eine frühere Koalition schon einmal sehr erfolgreich gewesen . Die Opposition folgt dem Grundsatz: Man kann
gar nicht genug machen . - Da bleibt nur noch die Ablehnung der Anträge .
Vielen Dank .
({6})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat die
Kollegin Mechthild Rawert das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Wir haben hier eine Situation, die so aussieht, als ob
jede und jeder in den eigenen Spiegel schaut . Die Opposition sagt, es sei zu wenig passiert . Die Koalition, zu der
wir auch gehören, sagt: Wir haben viel erreicht .
({0})
So ist das Leben natürlich nicht . Fangen wir mit der Aussage an, bei der ich mich gerade sehr geärgert habe . Wir
haben hier beschlossen, dass es die elektronische Gesundheitskarte gibt . Wir haben damit die Länder ermächtigt, sie auch einzusetzen . Die wiederum stehen nun in
der Verantwortung, sie flächendeckend umzusetzen.
({1})
Ja, es stimmt .
({2})
- Sie sind noch nicht in jeder Kommune angekommen .
Das ist richtig .
({3})
Aber im Bundestag noch etwas Negatives zur elektronischen Gesundheitskarte zu sagen, entspricht nicht der
Beschlusslage dieser Großen Koalition .
({4})
- Das war Bayerisch, das habe ich leider nicht verstanden .
({5})
Aber richtig ist ja, dass der Zugang zur medizinischen
Versorgung ein Menschenrecht ist . Wir alle wollen dafür sorgen, dass dies durchgesetzt wird . Wir haben vieles
getan, um den Flüchtlingen nach 15 Monaten einen regulierten Zugang zum Regelsystem im Gesundheitswesen
zu ermöglichen .
Wer sich in einer Flüchtlingseinrichtung befindet, hat
gerade zu Schulbeginn mitbekommen, dass der Impfschutz gilt . Es gab noch nie so viele Impfwillige und
Impffreudige wie in der Flüchtlingseinrichtung, die ich
im Herbst gesehen habe . Das alles ist also geregelt .
Zum Thema Traumata . Die erwähnten Notwendigkeiten gelten für alle . Wir brauchen für die gesamte
Bevölkerung - eine Sortierung nach Status ist nicht notwendig - mehr Psychotherapeutinnen und -therapeuten;
darüber reden wir auch in anderen Zusammenhängen .
Wir brauchen hier einen grundsätzlichen Ausbau .
({6})
Selbstverständlich sollte jede und jeder in adäquater Zeit
Zugang zu einem Psychotherapeuten bekommen .
({7})
- Gerne . - Herr Präsident, ich habe schon zugestimmt .
Das kann ich mir schon vorstellen . Aber mit Blick
auf die weitere Tagesordnung empfehle ich uns, es heute
dabei bewenden zu lassen, erst recht bei denjenigen, die
schon zu Wort gekommen sind .
Gilt das jetzt, oder gilt das nicht?
Nein .
Nein . - In diesem Fall hat er das Sagen .
So ist es .
({0})
Wir haben dafür gesorgt, dass das medizinische Personal aus den Herkunftsländern in die Erstversorgung
verstärkt einbezogen wird .
Über die Gesundheitskarte habe ich mich schon geäußert . Nur so viel noch: Wir alle wissen - auch diejenigen,
die in den Ländern Verantwortung tragen -, wie schwierig das ist . Mir bleibt es als Berlinerin vorbehalten, Herrn
Czaja von der CDU zu loben . Er wurde im Wahlprogramm seiner Partei ausdrücklich für die Einführung der
elektronischen Gesundheitskarte belobigt . Damit ermuntere ich unseren Koalitionspartner, das überall zu tun .
Ein letzter Satz . Die Kosten dürfen nicht auf die gesetzliche Krankenversicherung abgewälzt werden; meine Kollegin Heike Baehrens hat das bereits gesagt . Es
handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung . Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stehen hier
in der Verantwortung .
Maria Klein-Schmeink, du hast mich vorhin angesprochen .
Nein, das sollte der letzte Satz sein .
Ich habe noch keinen Punkt gemacht .
Doch .
({0})
Wer mit der AfD droht, muss eines wissen: Die AfD
nutzt tatsächlich alles . Deswegen bin ich den Krankenkassen sehr dankbar, dass sie sofort klargemacht haben,
dass es nicht die Geflüchteten sind, die dazu beitragen,
dass wir nun über Zusatzkosten bzw . überhöhte Kosten
reden . Dieses Thema betrifft uns alle . Es dürfen keine
leichtfertigen Behauptungen aufgestellt werden .
Danke schön .
({0})
Heinrich von Kleist wäre erblasst vor dieser Fähigkeit,
in mehreren aufeinanderfolgenden Sätzen vermeintlich
nur einen zum Ausdruck zu bringen .
({0})
Wir schließen damit die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 18/9933 . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/7413 mit dem Titel „Medizi-
nische Versorgung für Geflüchtete und Asylsuchende
diskriminierungsfrei sichern“ . Wer stimmt dieser Be-
schlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehr-
heit - allerdings mit keiner besonders starken, wenn ich
mir diese Anmerkung erlauben darf - angenommen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6067 mit dem Titel „Psychotherapeu-
tische und psychosoziale Versorgung von Asylsuchen-
den und Flüchtlingen verbessern“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit gerade noch angenommen .
Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunk-
ten 10 a und 10 b:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Mehr Bildungschancen für benachteiligte
Kinder und Jugendliche schaffen - Bundes-
programm „Kultur macht stark. Bündnisse
für Bildung“ nach 2017 weiterentwickeln und
fortsetzen
Drucksache 18/10016
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach,
Dr . Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bundesprogramm „Kultur macht stark.
Bündnisse für Bildung“ weiterentwickeln und
seine Fortführung jetzt vorbereiten
Drucksachen 18/8181, 18/10063
Hierzu soll es eine Aussprache von 38 Minuten geben . - Zu dieser verabredeten Redezeit höre und sehe ich
keinen Widerspruch . Also können wir das so machen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
({2})
„Kultur macht stark .“ Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen
besseren Titel muss man doch erst einmal finden. Hier ist
der Name in der Tat Programm . Warum? Kultur macht
stark; denn sie ermöglicht, sich selbst und die Welt sensibler wahrzunehmen, sich kreativ auszudrücken, Neues
selbst zu gestalten - alles Grundlagen für jeden weiteren
Bildungsprozess .
Kunst, Musik, Theater, das ist nicht zweitrangig . Das
Spielen eines Musikinstruments, Tanz, Akrobatik, Museumsbesuche, das sind nicht einfach nur Freizeitbeschäftigungen . Kultur ist existenziell für die menschliche
Entwicklung und sollte - das ist uns wichtig - zentraler
Bestandteil jeder Bildungsbiografie sein. Denn schließlich bedeutet Kultur vor allem eines: Freiheit .
({0})
„Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung“, so lautet
der vollständige Titel des Programms, das seit 2013 Projekte für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche
fördert - offensichtlich ein echtes Erfolgsprojekt . Alle
Fraktionen wollen das Programm fortsetzen und weiterentwickeln . Das BMBF hat bereits angekündigt, „Kultur macht stark“ ab 2017 nahtlos in einer zweiten Phase
weiter zu fördern . Herzlichen Dank an alle, die dieses
Anliegen vorantragen .
Alle Fraktionen wollen das Programm fortführen . Warum liegen in dieser Debatte trotzdem zwei Anträge vor?
Wo gibt es denn noch Unterschiede? Ich will die Zeit nutzen, um einige Aspekte unseres Antrags hervorzuheben .
Wichtig ist uns vor allen Dingen Folgendes: Die geförderten Projekte finden ausschließlich außerhalb des
Schulunterrichts statt, auch wenn Schulen an vielen
Stellen Partner sind . Es muss außerhalb des Unterrichts
sein . Das ermöglicht nämlich Dreierlei: Die Teilnahme
an „Kultur macht stark“ ist unbedingt freiwillig, und das
sollte auch so bleiben . Dabei ist das Außerschulische gerade von Mehrwert für die Kinder und Jugendlichen aus
bildungsfernem Umfeld, die wir doch besonders erreichen wollen; denn gerade für sie ist es wichtig, Zugang
zu Lebensbereichen zu bekommen, die nicht zu dem
strengen Korsett von Schule gehören . Interesse an einer
Sache kann man nicht verordnen; man muss es wecken .
Zweitens . „Kultur macht stark“ ist außerschulisch und
niedrigschwellig . Das brauche ich gar nicht weiter zu erklären .
Drittens . Das Programm ist partizipativ angelegt . Es
ermöglicht Teilhabe . Hier kann man erfahren, dass es
sich lohnt, sich einzubringen, sich in einem Team zu
beteiligen, eine Aufgabe auch unter Schwierigkeiten zu
Ende zu führen, ein Werk zu erschaffen und dabei Freude
zu haben .
({1})
Echte Teilhabe kann man nicht erzwingen, wir können
sie nur ermöglichen .
Ein weiteres Markenzeichen unseres Programms ist
die Einbindung der Zivilgesellschaft . Da haben wir die
Verbände, die ihr fachliches Wissen einbringen, und die
vielen lokalen Bündnispartner vor Ort, die sich oft in ungewöhnlichen Kombinationen zusammentun und Angebote vor Ort ermöglichen . Auch an all die Menschen, die
sich hier engagieren, ein herzliches Dankeschön .
({2})
Viele Vorgaben, die das Programm bisher hatte, sind
offensichtlich sehr zielführend . Das betonen die beteiligten Akteure, auch die vorliegenden Evaluationen . Ein
Beispiel will ich nennen: Kern des Anliegens ist es, benachteiligte Kinder und Jugendliche zu erreichen; aber
es ist unbedingt nötig und ganz wichtig, dass das Programm für alle Interessierten offen ist . Denn wenn die
Gruppen heterogen sind, sind ein Voneinanderlernen und
eine Teilhabe ohne Stigmatisierung möglich .
({3})
Schließlich ist es wichtig, neuerdings noch einmal in
verstärktem Maße, den Blick auf geflüchtete Kinder und
Jugendliche zu richten . Viele lernen, sich hier auszudrücken, bevor sie die passenden Worte dafür gefunden haben .
Trotzdem gibt es natürlich Verbesserungswünsche . Es
ist unbedingt wichtig, die Verwaltung zu vereinfachen .
Für Stellschrauben gibt es gute Vorschläge . Eine Verwaltungspauschale könnte vor allen Dingen die Ehrenamtlichen von Verwaltungsaufgaben entlasten . Standards
für Anträge und Servicestellen für lokale Partner, all das
würde die Arbeit vereinfachen . Wir nehmen es deshalb
ins nächste Programm auf .
Jedes Kind, jeder junge Mensch in Deutschland hat
bestmögliche Bildungschancen verdient . Mit „Kultur
macht stark“ kommen wir diesem Ziel ein gutes Stück
näher, gerade für die benachteiligten Kinder und Jugendlichen . Ich freue mich deshalb ganz besonders über die
breite Unterstützung des Antrags hier im Plenum .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Rosemarie
Hein für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Es gibt selten Grund, die Bundesregierung
zu loben. Mit dem Programm „Kultur macht stark“ fließen jährlich immerhin 50 Millionen Euro - sogar etwas
mehr - in die kulturelle Bildung . Das gab es tatsächlich
noch nie .
({0})
Wenn ich heute in meinem Wahlkreis nach diesem
Programm frage, höre ich, dass es den meisten Vereinen
bekannt ist . Fast überall laufen ein oder zwei Projekte,
die dadurch gefördert werden . Auch dass mein Bundesland Sachsen-Anhalt eine Servicestelle für die Begleitung eingerichtet hat, hilft dabei sehr .
Ja, das Programm ist ein voller Erfolg . Das ist es aber
vor allen Dingen deshalb, weil die Vereine und Verbände
viel Initiative und viel Kreativität an den Tag gelegt haben, was dazu führte, dass einige Kinderkrankheiten, die
es am Anfang hatte, überwunden wurden .
Es ist gut, dass trotz der Orientierung vor allem auf benachteiligte Kinder und Jugendliche ein im besten Sinne
des Wortes inklusiver Ansatz gefunden worden ist . Auch
Sie, Frau Lücking-Michel, stellten eben fest: Das Programm ist für alle offen . Niemand wird ausgeschlossen .
Alle können teilnehmen . Die Teilnehmenden werden damit auch nicht als arm oder benachteiligt stigmatisiert .
({1})
Auch das allerdings ist vor allem den Programmpartnern vor Ort zu danken . Kulturelle Bildung - da sind wir
uns in diesem Hause alle einig - fördert die Persönlichkeit junger Menschen in ganz besonderer Weise . Und zu
allem Überfluss macht das auch noch Spaß. Man erreicht
unkompliziert ganz viele Kinder und Jugendliche .
Darum haben die Verbände schon lange angeregt, dass
die Fortführung über das Jahr 2017 hinaus gesichert werden soll . Das Programm sollte dann nämlich eigentlich
auslaufen . Die Bundesregierung hat sich zunächst geziert, eine solche Zusage zu machen . Darum haben wir
einen Antrag gestellt und im Ausschuss ein öffentliches
Fachgespräch erwirkt, das auch stattgefunden hat - gemeinsam mit dem Kulturausschuss . Das hat offensichtlich geholfen . Die Verbände haben mit allen Fraktionen
gesprochen .
({2})
Die Bundesregierung hat inzwischen eine Fortführung
des Programms in Aussicht gestellt, und die Koalitionsfraktionen haben heute ebendiesen Antrag vorgelegt .
({3})
Auch wenn der Antrag der Koalition nicht so weit geht
wie unser Antrag, kann man sagen: Sie haben dazugelernt .
({4})
So finden wir in Ihrem Antrag die Absicht, das Programm
langfristig zu verstetigen . Immerhin hätten wir damit so
etwas Ähnliches wie auf der MINT-Seite auch einmal bei
der Kultur . Das wäre sehr schön und auch gut .
Sie wollen die Verwaltungskostenpauschale prüfen .
Ich habe gehört, dass Sie sie erhöhen wollen . Auch das
finden wir richtig und gut.
Wir finden es auch richtig, dass die Zahl der Servicestellen in den Ländern erhöht werden soll, obwohl wir
das nicht verordnen können; das müssen die Länder
selbst entscheiden .
Dies und einiges mehr begrüßen wir . Es gibt aber auch
ein paar Bedenklichkeiten . So will die Koalition Kitas
zwar in die Projekte einbeziehen, Schulen aber nicht . Der
Kitabesuch sei ja freiwillig und nicht verpflichtend, heißt
es. Ich finde, diese Art Abgrenzung ist realitätsfern, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Auch Sie fordern doch, dass sich Schulen in die Gesellschaft öffnen . Auch Sie wollen doch, dass Schulen mit
Vereinen und Verbänden Angebote zum Beispiel für eine
Nachmittagsbetreuung machen . Natürlich dürfen sie
nicht in den Unterricht . Natürlich dürfen die Programme nicht Unterricht ersetzen . Aber außerunterrichtliche
Angebote sind ebenfalls freiwillig, nicht nur außerschulische . Sie sollten darüber vielleicht noch einmal nachdenken und Ihre Scheuklappen abnehmen .
({6})
Kritisch betrachten wir auch den allzu häufigen Verweis auf das Ehrenamt in Ihrem Antrag . So wichtig ehrenamtliches Engagement für das Gelingen dieses Programmes ist: Es darf nicht dazu führen, dass man sich nur
auf das Ehrenamt verlässt und nur das Ehrenamt entlastet .
Auch die Vereine und die Programmpartner haben sehr
deutlich gesagt, dass sie mit dem Maß an Verwaltungsarbeit, an Begleitung und Orientierung, die sie vor allen
Dingen gegenüber den kleinen Trägern vor Ort erbringen
müssen, zeitweise und teilweise überlastet sind . Manche
haben sogar überlegt, ob sie das Ganze aufgeben . Das
sollten wir versuchen zu verhindern .
Über den Vorschlag, nun auch die Teilnahme zertifizieren zu lassen, müssen wir uns noch einmal unterhalten . Das kann gut sein; das kann aber auch zu mehr Bürokratie führen . Aber vor allem muss auch das bezahlt
werden .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, es gibt
erfreulicherweise viele Übereinstimmungen zwischen
unserem Antrag und Ihrem . Die Unterschiede bestehen
nicht im Grundsatz . Darum ist es für mich, ehrlich gesagt, ein Ausdruck politischer Kleingeisterei, dass Sie
gestern unseren Antrag im Ausschuss abgelehnt haben
und das wahrscheinlich heute hier wieder tun werden .
Ich verspreche Ihnen: Wir werden nicht so kleingeistig
handeln .
({8})
Allerdings fragen wir uns schon, warum Sie gerade jetzt diesen Antrag stellen und die Bundesregierung
auffordern, die Laufzeit des Programms zu verlängern .
Trauen Sie Ihrer Regierung nicht? Befürchten Sie, dass
die zahlreichen Anregungen und Verbesserungen von ihr
nicht berücksichtigt werden, oder befürchten Sie sogar
ein abgespecktes Programm? Das würde sicherlich begründen, warum Sie mit Ihrem Antrag hier heute Pflöcke
einschlagen wollen . Wenn das nötig ist, wollen wir Sie
gerne unterstützen und stimmen diesem Antrag zu .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Martin
Rabanus für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werte Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Es ist zwar schon dunkel draußen, aber es
scheint ja tatsächlich noch eine Sternstunde zu werden,
wenn wir auch die Zustimmung der Linken zu unseren
Antrag sicher haben. Das finde ich ausgesprochen erfreulich .
({0})
Ich finde es auch ausgesprochen erfreulich, dass wir einen
so breiten Konsens hier im Haus haben. Erfreulich finde
ich aber auch, dass die kulturelle Bildung in der öffentlichen Wahrnehmung eine so breite Unterstützung hat, wie
wir das, glaube ich, in früheren Jahren nicht hatten . Da
hat sich einiges bewegt, wahrscheinlich auch durch das
Programm „Kultur macht stark“, durch die Laufzeit, aber
auch schon vorher durch viele Weichenstellungen und
pädagogische Diskussionen und durch das, was die Länder gemacht haben . Die haben 2013 ihre Empfehlungen
für die kulturelle Bildung in der KMK auf den neuesten
Stand gebracht und dem eine stärkere Bedeutung beigemessen, als das vorher der Fall gewesen ist .
Denn klar ist ja: Kulturelle Bildung ist ein wichtiger
Beitrag zur Persönlichkeitsbildung - das ist genannt worden -, aber auch ein wichtiger Beitrag zur Orientierung
in der Gesellschaft, gerade vielleicht auch in den heutigen gesellschaftspolitischen Zeiten, denen wir uns gegenübersehen, in einer Gesellschaft, die ausdifferenziert
ist in unterschiedlichste Milieus, in unterschiedliche kulturelle, religiöse Hintergründe . Das meine ich tatsächlich
jetzt nicht nur vor dem Hintergrund einer Migrationsbewegung, die wir nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch in den letzten zwei Jahren erlebt haben .
Es ist schon darauf eingegangen worden: Das Programm
hat sich auch darauf ein Stück weit eingestellt und für
junge Geflüchtete geöffnet. Das ist gut und richtig so.
Wichtig ist es aber auch vor dem Hintergrund sozioökonomischer Unterschiede in der Gesellschaft . Über
dieses größte Programm, das wir in dieser Art je hatten,
ermöglichen wir vielen den Zugang zu kulturellen Angeboten - und das im Rahmen eines breiten und weit gefächerten Kulturbegriffs; Frau Kollegin Lücking-Michel
hat darauf schon Bezug genommen . Interkulturelle, interreligiöse Bildung, Theater, Tanz, Visuelles, bildende
Kunst, Film, Musik, Literatur, Architektur, all das sind
Aspekte, die dieses Programm beinhaltet, und das ist
auch gut so . Dabei überhebt sich das Programm aber
auch nicht, weil es fokussiert ist . Auch das ist gesagt worden . Es ist fokussiert auf die benachteiligten Kinder und
Jugendlichen, ohne andere auszuschließen . Auch das ist
eine Stärke dieses Programms .
({1})
Ich will gar nicht verhehlen, dass Anfang 2012, als
die Bundesregierung damals mit dem Programm um die
Ecke kam,
({2})
auch an der einen oder anderen Stelle Skepsis bestand:
wegen der Zeit, wegen des Programmdesigns, aber nicht,
weil man gegen kulturelle Bildung war; jedenfalls würde
ich das für meine Fraktion so reklamieren .
Wir jedenfalls haben uns sehr intensiv mit der Frage
des Programmdesigns und mit diesem Programm auseinandergesetzt . Der Antrag, den wir vorgelegt haben, ist
natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern wir haben
schon im letzten Jahr auch die Verbände und die beteiligten Programmpartner sehr intensiv in die Gespräche einbezogen . Wir haben uns Anfang des Jahres in der Koalition intensiver damit auseinandergesetzt . Dann kam auch
das Signal der Bundesregierung . Also, es gibt an dieser
Stelle noch nicht einmal zwischen dem sozialdemokratischen Teil und dem christdemokratisch geführten BMBF
irgendwelche Misstrauensgründe,
({3})
sondern größte Harmonie an der Stelle . Über die Ausschussbefassung im Mai sind wir jetzt zu der Beratung
im Plenum gekommen . Das ist auch gut so .
Ich will kurz zusammenfassen, was dieses Programm
erreicht hat: 12 700 lokale Bündnisse mit 430 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern . Das ist eine Größenordnung, die wir so noch nicht hatten . Das hat im Bereich
der kulturellen Bildung zu einer Kooperation, einer Dynamik und einer Strukturbildung vor Ort geführt, die wir
so auch noch nicht hatten . Das ist einer der wesentlichen
Gründe, warum wir sagen: Wir wollen dieses Programm
über 2017 hinaus fortsetzen .
({4})
Ich sage auch „fortsetzen“ und nicht „ein neues Programm machen“; denn es haben sich verschiedene Strukturelemente bewährt . Das ist genannt worden; das alles
muss ich nicht wiederholen . Aber das Gute wollen wir
natürlich noch ein bisschen besser machen . Sicherlich
gilt das für die Budgets . Wir stellen uns 50 Millionen
Euro plus X im Jahr vor . Ich glaube, das ist auch fraktionsübergreifend der Fall . So muss es weitergehen .
Wir wollen auch den Administrationsaufwand reduzieren . Das ist gesagt worden . In diesem Zusammenhang
wollen wir die Frage der Verwaltungspauschale aufgreifen . Das ist auch einer der Gründe, warum wir dem
Antrag der Linken nicht zustimmen werden . Er legt sich
fest, ohne evaluiert zu haben, was bedarfsorientiert wäre,
um das an diesem einen Beispiel festzumachen .
({5})
Ich konstatiere, dass in anderen Zeiten der Antragsentwurf der Linken möglicherweise auch eine Basis gewesen wäre, auf den man sich hätte konsentieren können .
({6})
Aber da die Zeiten im Deutschen Bundestag nicht anders
sind und wir in einer erfolgreichen Koalition arbeiten jenseits der Frage, was in anderen Räumen des Bundestagskomplexes passiert -, ist die Sachlage so, dass wir
diesen hervorragenden Antrag der Koalition natürlich
heute abstimmen und ihm zustimmen werden . Dem Antrag der Linken, der eine Basis wäre, aber auch der Verbesserung bedürfte, können wir so nicht zustimmen .
Zurück zu dem, was wir noch besser machen wollen .
Wir wollen den administrativen Aufwand reduzieren .
Wir wollen den Aspekt der Inklusion noch einmal verstärken . Das ist uns als Koalition sehr wichtig . Dass man
die erworbenen Kompetenzen bei den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern anders dokumentiert, anders sichert Stichwort „Bildungspässe“, Stichwort „Bildungsnachweise“ -, ist nur sinnvoll und nur vernünftig .
Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein hervorragendes Programm, das sich bewährt hat und das wir noch
ein bisschen besser machen wollen . Es ist zwar schon
ein wenig dunkel draußen; dennoch können wir heute Abend eine Sternstunde für die kulturelle Bildung in
Deutschland, für benachteiligte Kinder und Jugendliche,
für Inklusion und für Chancengleichheit in unserem Land
erleben .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Özcan Mutlu
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Gerade hat mir eine Kollegin gesimst: Rock
it! - Ich glaube, heute rocken wir es zusammen . Denn
das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ hat sich trotz
anfänglicher Schwierigkeiten bewährt und ist gut angenommen worden . Das ist insbesondere auf das Engagement der vielen Bündnispartner zurückzuführen, denen
ich hier heute ausdrücklich danken möchte .
({0})
Die vielen Helferinnen und Helfer haben es möglich
gemacht, dass kulturelle Bildung bei den Kindern und
Jugendlichen ankommt und von ihnen auch angenommen wird . Deshalb ist es besonders wichtig, die Ehrenamtlichen nicht mit unnötigem Verwaltungsaufwand zu
belasten oder zu behindern . Daher muss es zum Beispiel
auch darum gehen, den Ausbau der Servicestellen zügig
voranzutreiben .
Beim Fachgespräch im Bildungsausschuss wurde
auch deutlich, dass sich Expertinnen und Experten mehr
kulturelle Bildung in den Schulen wünschen; Kollegin
Hein hat es gesagt . Hier ist anzumerken, dass der Bund
die Vermittlung von kultureller Bildung für Kinder und
Jugendliche in Risikolagen zurzeit leider nicht in direkter
Kooperation mit den Ländern und Kommunen umsetzen
kann, und das ist ein Problem .
({1})
Nichtsdestotrotz begrüßen wir, dass die Koalitionsfraktionen das Programm fortführen und mithilfe der
Expertise der Bündnispartner auch verbessern wollen .
Lobenswert ist, dass das Programm jetzt auch für Geflüchtete bis 26 Jahre geöffnet wird.
({2})
Noch besser wäre es aber, wenn die Anhebung der Altersgrenze für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gelten würde .
({3})
Zugang zu kultureller Bildung hat gerade in der Lebensphase ab 18 Jahre eine nachhaltige und persönlichkeitsstiftende Wirkung . Deshalb ist die Begrenzung an
dieser Stelle falsch .
Wichtig ist auch, dass der inklusive Ansatz verstärkt
wird .
({4})
Das war längst überfällig . Nur so können mehr Jugendliche mit Behinderung, die beim Programm bisher sehr ungenügend berücksichtigt worden sind, integriert werden .
Dass aber Schulen in der zweiten Förderphase von
„Kultur macht stark“ nun wieder nicht teilnehmen dürfen, ist meines Erachtens falsch und kurzsichtig . Gerade
in den ländlichen Gegenden sind Schulen die zentralen
Orte . Hier wird das Programm jedoch seltener umgesetzt,
da die kulturelle Infrastruktur weniger ausgeprägt ist .
Deshalb ist es umso wichtiger, dass man weiterhin nach
Wegen und Möglichkeiten der Kooperation mit Schulen,
mit Ganztagsschulen sucht . Genau hier erreicht man besonders die Familien, die weniger in das alltägliche Gesellschaftsleben involviert sind; denn die Schule als Institution für alle ist auch der Ort für und von Begegnungen .
Auf unserer Bildungstagung Anfang der Woche auf
dem Rütli-Campus - die Rütli-Schule ist Ihnen sicherlich noch ein Begriff - haben zahlreiche Expertinnen
und Experten bestätigt, dass Ganztagsschulen als Stadtteilzentren und Begegnungsstätten wirken und so alle
Kinder und Jugendlichen erreicht werden können . Alle
Kinder abzuholen, ist das Gebot der Stunde, damit mehr
Bildungsgerechtigkeit Wirklichkeit werden kann . Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Vielleicht sollten Sie sich
überlegen, ob man nicht ein neues Ganztagsschulprogramm braucht .
({5})
Kinder, Ehrenamtliche, Eltern und Bündnispartner würden profitieren, wenn die Angebote im Raum Schule
stattfinden könnten. Da ist die Ganztagsschule tatsächlich ein richtiger Ort . Leider verweigert sich die Koalition einer solchen sinnvollen Öffnung weiterhin, und ich
sage: Sie tut es weiterhin wider besseres Wissen .
Gute Bildung als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben ist, wie Sie selbst in Ihrem Antrag sagen, eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Wir Grüne verstehen
darunter das Mitwirken und Kooperieren aller Akteure . Es bedeutet für uns konkret, dass Bund, Länder und
Kommunen noch stärker kooperieren, sich gemeinsam
um gute Bildung kümmern und gemeinsam Investitionen
in gute Bildung vornehmen können . Denn dann wäre es
gar nicht nötig, irgendwelche zeitlich begrenzten Leuchtturmprojekte ins Leben zu rufen .
Es gibt also viele Fragen, aber wir sind dennoch auf
einem guten Weg . Deshalb werden wir Ihrem Antrag, wie
ich anfangs schon angedeutet habe, zustimmen . Es geht
darum, mehr Bildungschancen für benachteiligte Kinder
und Jugendliche zu schaffen . Aber, liebe Koalition, ich
sage auch: Das geht noch ein bisschen besser; da geht ein
bisschen mehr . Sie müssen es nur wollen . Wenn Sie es
tun, haben Sie uns an Ihrer Seite .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Müller für die Bundesregierung das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht immer besteht in unseren Debatten so viel Einigkeit wie heute, aber diese Einigkeit gibt es zu Recht; denn
hier handelt es sich um ein erfolgreiches Programm . Es
ist angesprochen worden: Das Programm „Kultur macht
stark . Bündnisse für Bildung“ des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung ist das größte Förderprogramm für Maßnahmen der kulturellen Bildung, das es
je in Deutschland gegeben hat .
Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte: Insgesamt
werden bis zu 230 Millionen Euro bis zum Ende des Jahres 2017 zur Verfügung gestellt, etwa 450 000 Kinder
und Jugendliche haben an fast 14 000 Maßnahmen im
Rahmen dieses Programms teilgenommen, die von 5 500
Bündnissen für Bildung umgesetzt werden. Ich finde,
diese Zahlen sind für sich genommen schon beeindruckend, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Aber noch beeindruckender, finde ich, ist es, zu sehen,
mit welchem Einsatz, mit welchem Engagement und mit
welcher Freude die Kinder und Jugendlichen ein Musikstück oder ein Theaterstück einstudieren und dann am
Tag der Aufführung stolz präsentieren . Sie erleben, dass
sich Anstrengung und Konzentration auf ein Ziel hin lohnen . Sie lernen dabei, dass man im Team weiter kommt
als ein Einzelkämpfer . Es werden Talente und Freude am
eigenen Handeln geweckt, es wird Anerkennung durch
andere vermittelt . Diese Fähigkeiten und Kompetenzen
sind für alle Kinder und Jugendlichen wichtig - das ist
ohne Zweifel so -, aber sie sind besonders wichtig für
diejenigen, die in ihrem Elternhaus nur wenig Förderung
erhalten und deren Start im Leben ohnehin schon schwer
genug ist . Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, war
es eine richtige Entscheidung, ein solches Programm aufs
Gleis zu setzen, die kulturelle Bildung in den Mittelpunkt
eines Förderprogramms zu stellen; denn die aktive Beschäftigung mit Kultur stärkt die Persönlichkeitsbildung
ebenso wie das Selbstvertrauen junger Menschen in ihre
Fähigkeiten .
Wir haben eine Evaluation durchgeführt, die begleitend zu den Maßnahmen stattgefunden hat . Es hat sich
gezeigt - das war das Ergebnis dieser Evaluation -,
dass in über 90 Prozent der Maßnahmen Kinder und
Jugendliche teilnehmen, die in finanziell oder in sozial
schwierigen Verhältnissen aufwachsen oder deren Eltern
der Bildung möglicherweise keine hohe Bedeutung beimessen . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch
klar - das Ergebnis dieser Evaluation belegt dies -, dass
die Bundesregierung, dass der Bund mit dem Programm
„Kultur macht stark“ einen wichtigen Beitrag für mehr
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland leistet .
({1})
Aber ohne Zweifel ist es so, dass Bildungsgerechtigkeit nur dann gelingt, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte
mitwirken . Insofern ist auch von mir noch einmal deutlich hervorzuheben - mir ist das wichtig -, dass „Kultur macht stark“ sich auf ein breites bürgerschaftliches
und ehrenamtliches Engagement stützt . Rund 90 Prozent
der in den Bündnissen Tätigen sind ehrenamtlich aktiv .
Deswegen möchte auch ich mich heute bei allen Mitwirkenden in den Vereinen, in den Verbänden und in den
Organisationen herzlich bedanken, die dazu beigetragen
haben, dass dieses Programm so erfolgreich sein konnte
und dass wir vor allem so viele Kinder und Jugendliche
mit einer Vielzahl von erfolgreichen Projekten und Maßnahmen haben erreichen können .
({2})
Nun war es in der Tat so, dass zu Beginn - das ist
heute auch schon deutlich geworden - nicht alle von
diesem Förderprogramm vollständig überzeugt waren .
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass diese anfängliche Skepsis - das zeigt diese Debatte - einer breiten
Zustimmung gewichen ist . Diese Zustimmung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, und die guten Ergebnisse der
Evaluation haben uns darin bestärkt, das Programm in
einer zweiten Förderphase von 2018 bis 2022 entsprechend fortzusetzen . Das heißt, auch in Zukunft sollen
bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche von 3 bis
18 Jahren durch Maßnahmen der kulturellen Bildung und
in lokalen Bündnissen für Bildung mit mindestens drei
Akteuren gefördert werden .
Wir wollen an den Strukturen festhalten; denn diese
Strukturen haben sich in der Tat bewährt . Die regionalen
Bündnisse für Bildung sollen beibehalten werden, weil
hier die geschaffenen Strukturen offensichtlich erfolgreich waren .
Ich will eines deutlich sagen: Selbstverständlich hat
das Ministerium, hat die Bundesregierung die Hinweise,
die es gegeben hat, ernst genommen, als es darum gegangen ist, über eine Verwaltungsvereinfachung nachzudenken, zu überlegen: Was kann an diesem Programm
noch besser gemacht werden? Wichtig ist, dass wir auch
in Zukunft den verstärkten Austausch mit den Ländern
und den Kommunen aufrechterhalten, um einen besseren
Informationsfluss zu gewährleisten und die Vernetzung
mit den lokalen Strukturen erreichen zu können .
Die Kritik am Verwaltungsaufwand haben wir ernst
genommen . Wir werden darauf entsprechend reagieren .
Wir wollen, dass das Programm gerade für ehrenamtlich Aktive attraktiver wird . Wir haben übrigens auch im
Rahmen des laufenden Programmes eine ganze Reihe
von Vereinfachungen durchgesetzt . Wir werden aber sehr
sicher auch bei der neuen Förderrichtlinie, die nun vorbereitet wird, diesen Hinweisen folgen . Ich kann Ihnen versichern: Wir werden auch im Rahmen des Zuwendungsrechts alles Mögliche tun, um den Verwaltungsaufwand
so gering wie möglich zu halten .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kultureller Bildung
kommt auch bei der Integration von Flüchtlingen eine
besondere Bedeutung zu; das hat in der Debatte bereits
eine Rolle gespielt . Selbstverständlich kann Integration
nur dann gelingen, wenn Flüchtlinge die deutsche Sprache erlernen . Das allein ist aber nicht alles . Wenn man
an unserem kulturellen Leben teilhaben möchte, dann
gehört dazu, dass man Kenntnisse über die rechtlichen
und kulturellen Regeln besitzt . Übrigens waren schon in
dem bestehenden Programm eine ganze Reihe von Maßnahmen auf junge Flüchtlinge, auf geflüchtete Kinder
und Jugendliche ausgerichtet . Bei einer Auswertung der
Maßnahmen, die wir vorgenommen haben, hat sich herausgestellt, dass seit Beginn des Programms fast 20 000
geflüchtete Kinder und Jugendliche daran teilgenommen
haben . Wir haben demzufolge dieses Programm „Kultur
macht stark“ ergänzt um eine Förderung für Flüchtlinge
im jungen Erwachsenenalter, also gerade für die Gruppe von jungen Leuten, die nicht mehr der Schulpflicht
unterliegen, aber noch eine längere Zeit, beispielsweise
bis zum Übergang in eine Ausbildung oder eine Tätigkeit, überbrücken müssen . Ich bin mir sicher, dass diese Öffnung für junge Erwachsene dazu beitragen wird,
dass auch diese jungen Menschen die Möglichkeit haben,
nicht nur die deutsche Sprache zu lernen, sondern gleichzeitig auch die Kultur in Deutschland kennenzulernen .
Deswegen - das ist angesprochen worden - werden wir
die Altersgrenze erhöhen, und wir werden dafür insgesamt 5 Millionen Euro pro Jahr bereitstellen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können heute
mit Recht sagen: Wir haben mit „Kultur macht stark“
ein gutes, ein wichtiges, ein sinnvolles Programm aufgelegt, das die Erwartungen und die Hoffnungen in vollem
Umfang erfüllt hat . Ich bedanke mich bei Ihnen für die
große Zustimmung, die dieses Programm auch hier im
Deutschen Bundestag hat . Wir werden dieses Programm
deshalb auch fortsetzen .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Karamba
Diaby für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kultur macht
stark“ ist ein Programm, das den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärkt . Ein Wohngebiet in meinem Wahlkreis wurde in den letzten Monaten häufig in der Presse
als sogenannter sozialer Brennpunkt bezeichnet . Es steht
außer Frage, dass in diesem Gebiet einiges verbessert
werden muss . Neben den vielen Bemühungen der Kommunen sind Programme des Bundes wie „Kultur macht
stark“ in solchen Fällen eine Chance, um Lösungen herbeizuführen .
({0})
Diese Lösungen haben viele Vorteile . Ich nenne einige: Sie erreichen Kinder und Jugendliche, die sonst nicht
so viele Möglichkeiten haben;
({1})
sie stärken die persönliche Entwicklung; sie fördern das
soziale Miteinander; sie fördern die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher .
({2})
Diese Projekte bauen Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung, und das ist gut .
({3})
Ich nenne zwei Beispiele aus meinem Wahlkreis - es
sind Projekte, die über das Programm „Kultur macht
stark“ unterstützt werden -:
Als erstes Beispiel nenne ich die Kulturwerkstatt in
Halle-Neustadt . Der Verein Aktionstheater Halle engagiert sich seit Jahren gemeinsam mit vielen Partnern für
die kulturelle Jugendarbeit . Sie bieten innovative Projekte im Stadtteil an, zum Beispiel Theater, Hip-Hop-Tanz,
Filmprojekte, Rap-und-Beat-Projekte . Das ist ein gutes
Projekt .
Zweites Beispiel: der Leseklub des Deutschen Kinderschutzbundes . Gemeinsam mit der Freiwilligen-Agentur
und dem Zentrum für Lehrerbildung wird die Freude
am Lesen gefördert . Die Aktionen stärken die Lese- und
Sprachkompetenz . Sie fördern die Kommunikation zwischen den Kindern, egal ob sie Alexander, Wahidi oder
Aischa heißen .
({4})
Die Inhalte dieser Projekte sind interkulturell angelegt .
Sie bauen Brücken, und die Kinder und Jugendlichen
können voneinander lernen .
Allein diese zwei Beispiele aus der Händel-Stadt
Halle zeigen, dass solche Projekte notwendig sind und
gebraucht werden . Deshalb wollen wir das Programm
verstetigen .
({5})
Damit sorgen wir für Planungssicherheit für die Beteiligten . Wir fördern das Ehrenamt nachhaltig . Wir erreichen
mit den Projekten benachteiligte Kinder, und schließlich
fördern wir die Integration geflüchteter Kinder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie für den
Antrag von CDU/CSU und SPD; denn mit der Förderung
des Programms sorgen wir für Nachhaltigkeit, sichern die
Teilhabe und stärken den Zusammenhalt in Deutschland .
Ich danke .
({6})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Thomas
Feist für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Hein, natürlich komme ich gleich zu
Ihnen . Der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben,
({0})
ist wesentlich besser als die Anträge, die sonst von Ihnen
kommen . Das ist schon mal eine tolle Sache .
({1})
Allerdings ist in diesem Antrag auch einiges enthalten,
das völlig unnötig ist .
({2})
Zum Beispiel fordern Sie, dass die Kommunen mit in die
Programme einsteigen können . Das ist schon jetzt möglich . Beispielsweise beteiligen sich Musik- und Volkshochschulen an diesem Programm, und das sind städtische Einrichtungen .
Ich gehe einmal ein kleines Stück zurück . Als wir in
der letzten Legislaturperiode - gemeinsam mit dem Kollegen Marcus Weinberg - gesagt haben, dass wir in diesem Bereich etwas tun müssen, war es ja nicht so, dass
der Bund noch nie etwas für kulturelle Bildung getan hat .
Er tut dies auch weiterhin, zum Beispiel im Kinder- und
Jugendplan des Bundes; dort ist kulturelle Bildung aber
Mittel zum Zweck . Die Einsicht, dass kulturelle Bildung
auch Bildung ist, musste man erst einmal im Bildungsausschuss herstellen . Ich bin sehr froh, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung von Anfang an
eine große Offenheit gezeigt hat, dieses Programm zu
unterstützen . Natürlich gab es auch viel Kritik daran und
die Frage, was Theaterspiel und Musik mit Bildung zu
tun haben . Nicht alle Kolleginnen und Kollegen waren
überzeugt, dass dies eine gute Sache ist .
({3})
Sie waren damals schon deshalb dagegen, weil wir - damals übrigens mit der FDP - diesen Antrag eingebracht
haben . Wenn man sich die Protokolle einmal anschaut,
sieht man, dass es inhaltlich überhaupt keine Gründe dafür gab . Aber dass es Skepsis gab, will ich schon einmal erwähnen . Umso schöner ist es, dass Sie nach einem
Lernprozess gesagt haben: Das ist ein gutes Programm;
daran sollten wir festhalten .
Das Besondere an diesem Programm ist, dass wir
Stärken stärken . Das ist etwas, was in einer Bildungsbiografie in der Schule normalerweise nicht unbedingt
vorkommt . Dort lernen die jungen Leute nämlich vor
allem, was sie nicht können . Deshalb ist die kulturelle
Bildung als Ergänzung im außerschulischen Bereich besonders wertvoll . Wenn wir mit der kulturellen Bildung
flächendeckend junge Menschen erreichen, dann ist das
eine tolle Sache. Ich finde es super, dass wir mit diesem
Antrag das Ministerium ermutigt haben, das Programm
fortzuführen .
Zum Verwaltungsaufwand gibt es sicher einiges zu
sagen . Frau Hein, Sie haben gesagt, der Verwaltungsaufwand sei so hoch . Ich habe, bevor ich in den Deutschen
Bundestag gekommen bin, 15 Jahre lang kulturelle Jugendbildung gemacht . Natürlich ist das aufwendig, aber
es lohnt sich . In solch einem Antrag muss man beispielsweise genau schreiben, was man erreichen will . Man
muss seine pädagogischen Ziele formulieren . Das sollte
in einer Qualität sein, die auch denjenigen, die kultureller
Bildung etwas skeptischer gegenüberstehen, zeigt, dass
wir es mit dieser Sache ernst meinen .
Das Besondere an „Kultur macht stark“ war von Anfang an, dass die Leute sich nicht jährlich um die Mittel
bewerben mussten . Beim Kinder- und Jugendplan des
Bundes muss man die Mittel von Jahr zu Jahr neu beantragen . Bei „Kultur macht stark“ ist das eben nicht so .
Die Zahlen sind genannt worden: Durch die Bündnisse
haben wir knapp eine halbe Million junger Menschen erreicht . Ich denke, das spricht für dieses Programm . Es
spricht auch dafür, dass wir uns weiter darum kümmern
sollten .
Im Übrigen haben wir mit „Kultur macht stark“ auch
anderen Ländern ein gutes Beispiel gegeben . Wir behandeln dieses Thema beispielsweise im Kulturausschuss
des Europarates und sind uns auch dort oft fraktionsübergreifend einig . Denn bei kultureller Bildung geht es
nicht nur um Bildungserfolge - natürlich geht es auch
darum, vor allen Dingen um Bildungserfolge für diejenigen, die in der Schule nicht so sehr mit Bildungserfolgen
verwöhnt worden sind -, sondern auch um eine aktive
Teilhabe in der Gesellschaft, um Engagement und Partizipation, ja letzten Endes um das, was wir den Humus für
Demokratie nennen; das geschieht genau dort .
({4})
- Lieber Stefan Kaufmann, ich finde es gut, dass du als
Berichterstatter für den Bereich EU das besonders unterstützt .
Es ist deshalb gut, wenn wir heute fraktionsübergreifend ein starkes Signal senden . Das gelingt nicht immer;
aber die Kinder und Jugendlichen, die mit kultureller
Bildung nicht nur selbst bereichert werden, sondern auch
unsere Gesellschaft bereichern, sind es allemal wert .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Debatte, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10016 mit dem Titel „Mehr Bildungschancen für
benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen - Bundesprogramm ‚Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung‘ nach 2017 weiterentwickeln und fortsetzen“ . Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen .
({0})
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Bundesprogramm ‚Kultur macht stark . Bündnis-
se für Bildung‘ weiterentwickeln und seine Fortführung
jetzt vorbereiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10063, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8181
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da-
mit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen
der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimme der Fraktion Die Linke angenommen
worden .1)
({1})
- Genau . Einige Mitglieder waren auch gegen die Be-
schlussempfehlung .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Dr . Franziska Brantner, Volker Beck
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht
ungesühnt lassen
Drucksache 18/10031
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({4}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr . Franziska
Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Syrien - Luftbrücke einrichten, humanitäre
Not lindern
Drucksachen 18/9687, 18/9939
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
1) Anlage 2
Ich könnte die Aussprache eröffnen, warte aber erst
einmal, bis sich alle gesetzt haben . - Dann beginnen wir
die Aussprache . Als erster Redner in der Aussprache hat
Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute zwei Anträge der Grünen, die beide Syrien
betreffen . Alle Parteien in Syrien begehen Kriegsverbrechen . Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen
Assad und den anderen. Der Unterschied ist: Qua Amt
hat er die Schutzverantwortung für sein Land und sein
Volk . Diese missachtet er auf unglaublich zynische Art
und Weise . Assad ist der Mann, der mit Russlands Hilfe
Fass-, Brand- und bunkerbrechende Bomben auf Zivilisten regnen lässt . Assad ist der Mann, der zugesagt hat,
seine Chemiewaffen zu zerstören, und sie danach noch
136-mal verwendet hat . Assad ist der Mann, der humanitäre Hilfsleistungen blockiert .
Der erste Antrag, den wir vorgelegt haben, betrifft
das Thema Straffreiheit . Es ist offenkundig eine Lehre,
die man aus dem Irakkrieg ziehen muss: Straffreiheit
für solch katastrophale Verbrechen darf es nicht geben .
Straffreiheit führt dazu, dass es keine Aussöhnung geben
kann . Ohne Aussöhnung wird es keinen Frieden geben . Das ist das, was wir in diesem Antrag fordern . Kollege
Mützenich hat gestern gesagt, das sei auch im Sinne der
Sozialdemokratie . Ich hoffe, dass ich nachher auf Ihre
Zustimmung zu diesem Antrag zählen kann .
({0})
Der zweite Antrag, den wir vorgelegt haben, betrifft eines der Kriegsverbrechen, die zurzeit in Syrien begangen
werden . Anfang 2014 hat der Schriftsteller Daniil Granin
von diesem Platz aus eine Rede gehalten, in der er uns
an die Gräuel der Nazis bei der Belagerung Leningrads
erinnert hat . Es geht nicht um historische Vergleiche . Es
geht nur darum, sich ein Thema zu vergegenwärtigen,
über das wir auch heute reden müssen: Hunger als Waffe .
Das ist ein massives, grausames Kriegsverbrechen . Diese
Waffe, das Aushungern, wird auch in Syrien - wiederum
von allen - eingesetzt . Aber auch hier gilt: Es gibt eine
Seite, die die Lufthoheit hat, nämlich die von Assad, und
es gibt einen Mann, der die Schutzverantwortung für sein
Volk hat, die er auch an dieser Stelle zynisch missachtet und sogar massiv verletzt: Assad . Wir alle kennen die
grausamen Bilder aus Aleppo . Aber es gibt auch Bilder
aus Homs, aus Daraja, aus al-Waer . In all diesen Städten
haben die Menschen nach sehr langer Zeit - im Falle von
Homs dauerte die Belagerung 1 671 Tage - aufgegeben .
Teilweise gab es in diesen Städten auch ethnische Säuberungen .
Die Vereinten Nationen sagen, dass sie Anfragen bezüglich Hilfslieferungen an das syrische Regime stellen
und 75 Prozent dieser Anfragen komplett ignoriert werden . In den 25 Prozent der Fälle, die bearbeitet werden,
kommen die Hilfsgüter zwar ins Land, aber 90 Prozent mittlerweile „nur noch“ 90 Prozent - dieser Hilfsgüter
bleiben in Assad-Regionen . Allein außerhalb von Aleppo
reden wir über mehr als 400 000 Menschen, die umzin
gelt sind und keine Möglichkeit haben, an Nahrung oder
medizinische Versorgung zu kommen . Das Zynische
daran ist: Es gibt ja Konvois, die bereitstehen und sofort nach Ost-Aleppo oder in viele andere Städte fahren
könnten . Sie werden aber einfach nicht hineingelassen .
Was können wir tun? Ja, wir müssen weiter nach
Aleppo schauen; das ist zweifelsfrei richtig . Aber es
gibt auch noch andere Orte in Syrien, die massiv bluten . Es gibt 13 Millionen Menschen außerhalb Aleppos,
die reguläre humanitäre Hilfe brauchen . Es gibt 6 Millionen Menschen außerhalb Aleppos, die innerhalb des
Landes auf der Flucht sind . Es gibt 10 Millionen Menschen außerhalb Aleppos, die auf Nahrungslieferungen
angewiesen sind . Vor diesem Hintergrund hat der Herr
Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, völlig zu Recht
gesagt: Wir sollten „auch die Möglichkeit von Hilfe aus
der Luft prüfen“ . Wann hört die Prüfung auf? Er sagte
das am 13 . August dieses Jahres . Es ist nicht einfach, den
syrischen Menschen in Deutschland zu erklären, warum
unsere Flieger dort unterwegs sind und warum westliche
Flieger Bomben, aber keine Hilfspakete abwerfen können .
({0})
Die Vereinten Nationen haben die Weltgemeinschaft
mehrfach angefleht: Gebt uns Unterstützung, Mittel und
Rückendeckung! - Es ist nicht viel passiert . Dass Luftbrücken technisch möglich sind, sieht man in Deir al-Sor
und in Kamischli . 2016 sind 247 Lieferungen aus der
Luft erfolgt .
({1})
Von den 13 Millionen Menschen, die Hilfe brauchen, haben 285 000 Menschen Hilfe bekommen .
({2})
Das ist einfach nicht genug . Was jetzt helfen kann, ist
die Einrichtung einer umfassenden Luftbrücke, die wir
hiermit beantragen .
({3})
Wir kennen die Gegenargumente: Die Gebiete sind
verschieden . In den Gebieten, in denen eine Luftbrücke
funktioniert, ist die Lage anders . Was für Flugzeuge sollen denn dafür eingesetzt werden? Was soll das kosten?
Ist das genug? Wäre ein Bodentransport nicht besser?
Natürlich wäre ein Bodentransport besser . Wir kennen
alle diese Argumente; wir wissen das . Aber die Antwort
ist: Die funktionieren gerade nicht . - Und die Frage, was
die Russen machen werden, wird erst dann beantwortet,
wenn wir ihnen das Thema vor die Nase halten und sie
sich positionieren müssen . Ich will sehen, wie Herr Putin
auf die Anfrage der Kanzlerin reagiert, wenn es heißt:
Wir werden eine Luftbrücke einrichten . Warum bist du
eigentlich dagegen?
Im Sinne dessen, was Deutschland bereits im Rahmen
der International Syrian Support Group zugesagt hat und
was wir in unseren Antrag aufgenommen haben, möchte
ich um Zustimmung zu unserem Kernsatz bitten - ich
zitiere -: „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die
Vereinten Nationen und das WFP unterstützen, eine Luftbrücke für alle notleidenden Menschen in Syrien einzurichten“ .
({4})
Erika Steinbach hat als nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Grausame Bilder und Berichte erreichen uns fast tagtäglich über die Bildschirme aus der umkämpften Stadt
Aleppo, aber auch aus anderen Regionen . Sie schockieren jeden, der ein Herz im Leibe hat . Trotzdem fühlt man
sich hilflos; das muss man hinzufügen. Vor den Augen
der Welt wurde und wird wieder und wieder durch Bombardierungen der Zivilbevölkerung das Völkerstrafrecht
mit Füßen getreten . An die 250 000 Menschen harren
jetzt im Ostteil der Stadt Aleppo unter widrigsten Lebensbedingungen in Trümmern aus . Wir sehen die Bilder: Es sind zerstörte Häuser .
Kurzzeitig gab es die Hoffnung, den bereits lange eingeschlossenen Menschen dringend benötigte humanitäre
Hilfe leisten zu können . In einer mühsam ausgehandelten
Waffenruhe Mitte September sollte ein Hilfskonvoi dorthin geführt werden, um den ausgehungerten und durstenden Menschen, die von der Trinkwasserversorgung
abgeschnitten waren, Hilfe zu geben . Das wäre nur eine
notdürftige Versorgung gewesen . Aber der mutmaßlich
russisch-syrische Luftangriff auf diesen gut gekennzeichneten Konvoi machte diese Hilfe zunichte . Das war
und ist ein kaum zu fassendes Verbrechen .
Wir sehen zunehmend in verschiedenen Regionen der
Welt, dass internationale Menschenrechts- und Völkerrechtsstandards permanent gebrochen werden . Es gibt
Vereinbarungen, um die Zivilbevölkerung zu schützen;
aber immer wieder halten sich Regierungen und Interessengruppen nicht daran . Wir sehen mit Entsetzen, dass
die Leidtragende immer und immer wieder allein die Zivilbevölkerung ist, nahezu schutzlos ausgeliefert .
Wenn die vergangenen sechs Jahre des Sterbens in
Syrien eines gezeigt haben, dann das, dass dieser Krieg
nicht militärisch entschieden werden kann, solange er
unablässig von außen befeuert wird und solange Russland dort seine Finger im Spiel hat und Waffen liefert
und mit Flugzeugen engagiert ist . Wir wissen, wie die
Gemengelage ist: Es ist ein fast unauflösbarer Knäuel an
Problemen . Die Leidtragenden sind die Syrer, die syrische Zivilbevölkerung .
Das Assad-Regime ist willens, den Konflikt im Windschatten der Schlacht um Mosul und im politischen Vakuum vor den US-Präsidentschaftswahlen militärisch
zu entscheiden . Wir müssen ja sehen: Die Vereinigten
Staaten sind durch den Wahlkampf in gewisser Weise gelähmt, sodass militärische Optionen aus dieser Perspektive nicht in Betracht kommen .
Die Einrichtung einer Luftbrücke hat der Außenminister ja schon einmal angesprochen . Ich kann mich noch
lebhaft daran erinnern, Herr Nouripour, welche süffisanten Bemerkungen ihm aus Ihrer Fraktion entgegengehalten worden sind . Vor dem Hintergrund habe ich mich
über den Antrag der Grünen schon sehr gewundert .
({0})
Die Einrichtung einer Luftbrücke zur Versorgung der
eingeschlossenen syrischen Bevölkerung bleibt eine der
wenigen Möglichkeiten auch seitens der Bundesregierung, um wenigstens die dringend benötigte humanitäre
Hilfe leisten zu können . Sie muss aber realisierbar und
kalkulierbar sein . Ich habe als Kind in Berlin gelebt, als
es während der Blockade eine Luftbrücke gab . Das ist
aber nicht vergleichbar; denn da schoss niemand auf die
Flugzeuge . Man darf die Realität nicht aus den Augen
verlieren .
Da die Bundesregierung schon seit geraumer Zeit sich
nicht nur intensiv Gedanken macht, sondern mit allen ihr
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten tut, was machbar ist - Deutschland braucht sich wirklich nicht zu verstecken -, ist der Antrag der Grünen überflüssig.
Danke schön .
({1})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Wolfgang
Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich spreche erst einmal direkt die Kollegen der Grünen
an: Ich werde eurem Antrag zustimmen . Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, und nach der Rede des
Kollegen Nouripour fällt mir das eigentlich noch schwerer . Ich werde aber zustimmen, weil wir eine Sache in
den Vordergrund stellen wollen: Es muss alles getan
werden, um das Morden und Töten zu stoppen und den
Menschen das Überleben zu ermöglichen . Das ist es, was
uns bewegt .
({0})
Wenn man sich auf diese Position begibt, wird man derzeit vieles aus den Auseinandersetzungen herausnehmen
müssen .
Natürlich muss man über die Zukunft Syriens nachdenken, wenn dieser verfluchte Krieg irgendwann einmal
zu Ende ist . Natürlich muss man mit den Menschen aus
Syrien über diese Zukunft nachdenken . Natürlich muss
man ein bisschen hinhören, über was sie selbst diskutieren . Ich habe von vielen Syrern, die in Menschenrechtsorganisationen arbeiten, gehört, dass sie die Forderung,
sich jetzt an den Internationalen Strafgerichtshof zu wenden, als kontraproduktiv bewerten . Sie schlagen vor, eine
Wahrheitskommission einzurichten und Versöhnungsrunden - wie immer man das nennen möchte - durchzuführen, ähnlich dem, was in Südafrika erfolgt ist . Ich
finde das vernünftig. Ich will nichts in die Debatte einbringen, was den Prozess, das Überleben sicherzustellen,
gefährdet oder schwieriger macht .
Ich bin froh, dass Putin in Berlin zugesagt hat, die
Feuerpause zu verlängern . Man kann sagen, das sei viel
zu wenig etc .; aber es rettet Menschen das Leben, und ich
bin froh, dass das passiert ist .
({1})
Ich möchte, dass dieser Prozess weitergeführt und verstärkt wird . Warum soll man denn eine Tür, wenn sie einen Spalt weit offen ist, wieder zuschmeißen und sagen:
„Putin, der Kriegsverbrecher“? Wenn eine Tür ein wenig
offen ist, dann muss man durchgehen und darf man nicht
erneut Sanktionen fordern, auch wenn das jetzt über die
EU-Ebene in Gang gesetzt werden soll .
({2})
Wer das macht, nimmt es nicht ernst damit, den Menschen das Überleben zu sichern . Ich habe den Eindruck entschuldigen Sie, wenn ich das so zugespitzt sage -,
dass für einen Teil dieses Haus antirussische Propaganda
wichtiger ist als die Sicherung des Überlebens . Das ist
bei mir nicht der Fall .
({3})
- Ja, regen Sie sich ruhig auf . Das ist so .
Wir stimmen dem Antrag der Grünen, in dem es um
humanitäre Hilfe geht, zu . Man kann unsere Syrien-Politik insgesamt kritisieren - das ist mir relativ egal; ich finde es auch in Ordnung, da wir uns ja darüber streiten -;
aber wir unternehmen den Versuch, mit Russland, aber
auch anderen zu der Einsicht zu kommen, dass Bomben
keinen Frieden bringen können .
({4})
Ich habe Sie schon auf die Heuchelei aufmerksam
gemacht, dass Sie nicht in der Lage sind, die türkischen
Luftangriffe auf die Kurdinnen und Kurden hier öffentlich zu kritisieren,
({5})
während Sie sich über das, was in Aleppo passiert, das
Maul zerreißen . Dieses Mit-zweierlei-Maß-Messen hilft
überhaupt nicht weiter . Entweder man hält eine Linie
durch - Bomben bringen keinen Frieden; das gilt aber
überall -, oder man sagt: Unsere Freunde und Verbündeten dürfen bomben, andere aber nicht . - Es macht Sie in
der Öffentlichkeit sehr unglaubwürdig, dass Sie das nicht
reparieren können .
({6})
Ich bin häufiger in Syrien. In den Flüchtlingslagern
diskutiere ich mit Syrern darüber, ob sie in den Flüchtlingslagern nicht Zeitungen herausgeben wollen . Es
gibt viele linke Syrer, die über die Zukunft ihres Landes
nachdenken . Das möchte ich gerne mit ihnen machen .
Ich fände es auch nicht schlecht, wenn wir uns in dieser
Art und Weise - Stichwort „Refugees Welcome“ - auch
darum bemühen würden, sie in die politischen Prozesse
einzubinden und nicht auszugrenzen .
({7})
Das ist die Linie unserer Fraktion, und darauf bin ich
auch ein Stück weit stolz .
Danke .
({8})
Als nächste Rednerin hat Dr . Ute Finckh-Krämer für
die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ich
glaube, wir sollten festhalten, an welchen Punkten wir
uns wirklich einig sind . Wir sind uns einig, dass in Syrien
Völkerrechtsverbrechen geschehen . Wir sind uns einig,
dass, wenn ein Waffenstillstands- und Friedensprozess in
Syrien beginnt, der Zeitpunkt gekommen ist, darüber zu
reden, wie man mit diesen Kriegsverbrechen nach dem
Völkerstrafrecht oder nach einem in Syrien entwickelten
Modell umgehen muss . Wir sind uns einig, dass es im
Augenblick sinnvoll ist, zu dokumentieren, was wir von
hier aus dokumentieren können . Darum geht es in dem
einen Antrag, der uns vorliegt . Darüber werden wir im
Menschenrechtsausschuss, wenn er dorthin überwiesen
wird, mit Sicherheit sachlich diskutieren können .
Es gibt einen anderen Antrag, über den heute abgestimmt wird . Ich bin ein klein bisschen irritiert, Wolfgang
Gehrcke, weil die Linke diesen Antrag im Menschenrechtsausschuss abgelehnt hat . In diesem Antrag steht
einerseits sehr viel Richtiges dazu, wie notwendig humanitäre Hilfe ist . Andererseits wird eine Einzellösung in
den Vordergrund gestellt, nämlich die Einrichtung einer
Luftbrücke .
Ich finde es richtig, dass Frank-Walter Steinmeier
im August gesagt hat: Wir prüfen, ob Luftbrücken eine
Möglichkeit sind, um mehr Menschen humanitär versorgen zu können, als das zum jetzigen Zeitpunkt möglich
ist . - Aber eine Prüfung kann auch ergeben, dass es nicht
funktioniert .
({0})
Ich war mit mehreren Kolleginnen und Kollegen von
der AG Menschenrechte der SPD am 19 . September in
Genf . Wir haben dort mit Vertretern des Internationalen
Komitees vom Roten Kreuz gesprochen, die sehr skeptisch waren, was mögliche Luftbrücken angeht . Es gibt
zwar Einzelfälle, in denen das funktioniert hat . Aber das
waren Gebiete, in denen relative Sicherheit herrschte und
man davon ausgehen konnte, dass die Flugzeuge nicht
abgeschossen werden . Wir haben auch mit Vertretern der
Vereinten Nationen aus dem Bereich „humanitäre Hilfe“
gesprochen; sie waren ebenso skeptisch . Sie hatten ganz
andere Sorgen . Ihre Sorge war: Reicht das Geld, das das
World Food Programme, die Vereinten Nationen und die
internationalen Hilfsorganisationen bekommen, die noch
Zugänge nach Syrien haben, zum Teil über den syrischen
Roten Halbmond, deren Mitarbeiter in den Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon arbeiten? Bekommen
sie auch genügend diplomatische Unterstützung für die
Zugänge, die sie gerne haben wollen?
Frau Finckh-Krämer, lassen Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Franziska Brantner zu?
Ja .
Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Sie weisen auf ein anderes, ebenfalls richtiges Problem hin, nämlich dass die Mittel für das World Food
Programme und andere Organisationen nicht ausreichen .
Wie stehen Sie dazu, dass der Haushaltsansatz der Bundesregierung für 2017 unter dem liegt, was 2016 schon
nicht gereicht hat, und daher Millionenbeträge fehlen?
Das müsste man angehen . Da sind wir gar nicht gegen
Sie . Das schließt einander nicht aus .
Ich habe erst gestern das letzte Mal gesagt, dass wir
als SPD dafür kämpfen, dass der Haushaltsansatz für
2017 mindestens so hoch ist wie im Jahr 2016 . Diese Bitte haben wir übrigens auch aus Genf mitgebracht . Wir
haben diesen Wunsch an die Kolleginnen und Kollegen
der CDU und an unsere Haushälterinnen und Haushälter
weitergegeben . Vielleicht ist eine Folge dieser Diskussion, dass dem Wunsch von unseren Haushälterinnen und
Haushältern entsprochen wird . Da bin ich für jede Unterstützung dankbar .
({0})
Ich möchte darauf hinweisen: Sie können Zwischenfragen stellen statt dazwischenzurufen .
Wenn wir mit dem Bundeshaushalt für 2017 den gleichen Betrag verabschieden, wie wir ihn für 2016 hatten,
verschenken wir nichts in der Planungssicherheit . Das
entsprechende Referat im Auswärtigen Amt kann und
darf nämlich erst dann planen, wenn der Bundeshaushalt verabschiedet ist, und nicht schon dann, wenn er
eingebracht ist oder wenn irgendwelche Beschlüsse im
Auswärtigen Ausschuss gefasst wurden, diesen Etat zu
erhöhen . Erst mit Verabschiedung des Bundeshaushaltes
können Gelder zugewiesen werden . Vorher können Gelder aus Verpflichtungsermächtigungen zugewiesen werden, die im jetzigen Haushalt eingestellt sind .
Insofern verschenken wir nichts, wenn es im November beschlossen wird, und dafür werben wir ja mit allen
Möglichkeiten . Dafür habe ich gestern geworben, und
dafür werbe ich heute . Ich hoffe, dass die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU uns dabei unterstützen .
({0})
- Ich habe gesehen, unser Ausschussvorsitzender und
auch der Fachberichterstatter haben geklatscht . Wir haben also eine gewisse Chance .
Luftbrücken sind immer die teuerste und die riskanteste Möglichkeit . Weil wir tatsächlich die Möglichkeit
haben, mit Putin, mit Russland über humanitäre Zugänge nach Ost-Aleppo zu verhandeln, dann ist es auf jeden
Fall besser, über Zugänge mit Hilfskonvois zu verhandeln als über eine Luftbrücke . Insofern bin ich auch froh
und dankbar, dass gestern Abend und heute Nacht in Berlin nicht nur über die Ukraine gesprochen wurde, sondern
auch über die Situation in Syrien . Manche Dinge, über
die gesprochen wird, bleiben zu Recht vertraulich . Ich
weiß also nicht, wie viel von dem, was an Ergebnissen zu
Syrien erzielt wurde, die Bundesregierung an die Öffentlichkeit gibt . Aber es ist verhandelt worden .
Insofern hoffe ich, dass es auf dieser Ebene möglichst
viele Verhandlungen geben wird . Vielleicht sind es auch
manchmal vertrauliche Verhandlungen, vertrauliche
Verhandlungen zu humanitären Zugängen, zum Beenden von Luftangriffen, zum Einhalten von Waffenstillständen und zum Einhalten von Versprechen, nicht zu
bombardieren, deren Ergebnisse nicht gleich am Pult des
Deutschen Bundestages verkündet werden können . Es ist
klar: Das wird auf allen Ebenen verhandelt . Da sind im
Auswärtigen Amt viele Leute dran, und damit ist auch
Frank-Walter Steinmeier tags und manchmal auch nachts
beschäftigt .
Aber es ist nicht so, dass jetzt ein Einzelpunkt wie eine
Luftbrücke herausgegriffen und als Lösung des Problems
aufgefasst werden kann .
({1})
- Es gab ja zwei Luftbrücken, da wo es sicherheitstechnisch möglich war und wo diejenigen, die belagert haben, in Verhandlungen nicht zugänglich waren . Insofern
halte ich das durchaus für sinnvoll und fachlich angemessen, was unsere Bundesregierung und insbesondere das
Auswärtige Amt dort macht .
({2})
Insofern hoffe ich, dass wir durch die heutige Diskussion noch einmal mehr Unterstützung für eine Aufstockung
des Etats für humanitäre Hilfe im Bundeshaushalt 2017
bekommen . Ich hoffe auch, dass wir im Menschenrechtsausschuss zu einer konstruktiven Diskussion über die
Frage kommen, was wir von Deutschland aus tun können, um einen Beitrag zu einer juristischen Aufarbeitung
der Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak zu leisten .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({3})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Tobias
Zech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben zurzeit in Syrien die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg . Ich habe gestern mit
Christian Springer telefoniert . Er ist der Vorsitzende einer NGO, die nicht nur für die Länder um Syrien, sondern auch immer noch in Syrien aktiv ist und sich um die
Menschen vor Ort kümmert . Er hat mir live geschildert,
was passiert: Es gibt keine Nahrung, keine Medikamente und keine medizinische Versorgung mehr . Menschen,
die in Aleppo versuchen, zum Arzt zu kommen, werden
von Snipern, von Scharfschützen, anvisiert und angegriffen, wenn sie den Stadtteil verlassen . Bis Dienstag gab
es ein Dauerbombardement nicht nur von Fassbomben,
sondern mittlerweile auch von bunkerbrechender Munition, die jegliches Leben auch in Kellern, wo man sich mit
seiner Familie versteckt, zerstört: ein unheimliches Leid,
und das direkt vor unserer Haustür .
Somit ist es ganz klar, dass es unser gemeinsames Ziel
in diesem Haus sein muss, dieses Leid, diese Katastrophe, diesen Wahnsinn in Syrien zu beenden, und zwar
nachhaltig zu beenden .
Jetzt liegt uns ein Antrag vor . Es gibt unterschiedliche
Auffassungen, wie man sich mit so etwas beschäftigen
kann . Herr Nouripour, Sie erlauben mir jetzt schon - ({0})
- Sie erlauben mir alles . - Ich habe diesen Antrag gelesen .
({1})
Das sind ja auch nur zwei Seiten .
({2})
Das ist ein Schaufensterantrag . Ich kann es nicht anders
sagen . Allein zum Beispiel Deir al-Sor, das Sie im Zusammenhang mit der Luftbrücke nennen, muss ich sagen: In Deir al-Sor gibt es keine Luftbrücke, sondern dort
werden Airdrops verwendet . Es sind High Altitude Airdrops, Ladungen mit Medikamenten und Nahrung . Wissen Sie, Herr Nouripour, das können Sie im Feld machen .
({3})
Im urbanen Gelände geht das nicht . Es funktioniert nicht .
Sie fordern eine Luftbrücke . Sie funktioniert dort nicht .
Airdrops können Sie in Aleppo nicht verwenden .
Das Zweite . Sie sprechen in Ihrem Antrag wiederum
Deir al-Sor und die Sicherung des Luftraums durch das
syrische Regime an . Das ist genau der Fall . Sie haben
einfach die Beispiele verwechselt .
({4})
Es gibt eine diametral andere Situation . Sie erwecken
Hoffnungen für die Menschen, die Sie niemals erfüllen
können .
({5})
Das ist Schaufensterpolitik und hat mit der Situation vor
Ort nichts zu tun, vor allem nicht mit der Ernsthaftigkeit
der Lage .
({6})
Dritter Punkt . Sie fordern in Ihrem Antrag - ich zitiere, Frau Präsidentin -:
Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Vereinten Nationen und
das WFP unterstützen, eine Luftbrücke … einzurichten .
Lieber Wolfgang Gehrcke, ihr unterstützt diesen Antrag .
({7})
Ich finde es gut, wenn ihr euch hier produktiv beteiligt.
Aber ich habe die Linke in den letzten drei Jahren im
Parlament immer gegen Militäreinsätze erlebt . Wenn
im Antrag „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“
steht, so ist das kein Ausschluss von Militär . Das ist der
Bundeswehreinsatz in Syrien, der hier unter der Hand gefordert wird . Dafür sind wir nicht zu haben . Es wundert
mich sehr, dass ihr dem zustimmt .
({8})
- Ich habe ihn gelesen .
({9})
- Ich bin noch gar nicht fertig mit Ihrem Antrag .
({10})
Wie gesagt: Es steht nicht viel drin . Aber alles, was drinsteht, ist falsch .
Herr Nouripour, das World Food Programme soll diese Luftbrücke machen . Ich habe mich mit dem Chef vom
World Food Programme zufällig am Dienstag unterhalten .
({11})
Wissen Sie, was der zu mir sagt? Er sagt: Wir halten
überhaupt nichts von der Idee . Wir können das gar nicht .
Wir möchten das in Aleppo so gar nicht machen, weil wir
keine Sicherung haben und weil wir die Airdrops, die wir
anwenden, gar nicht durchführen könnten .
Ich kann Ihnen nur empfehlen, dass Sie sich, bevor
Sie solche Anträge stellen, mit denen unterhalten, die das
durchführen müssen, und auf sie hören . Denn Sprechen
hilft auch, Lösungen zu generieren .
({12})
Nächster Punkt: Sprechen hilft, Lösungen zu generieren - das haben wir gestern erlebt . Gestern gab es
eine Konferenz in Berlin mit François Hollande, Angela
Merkel und Wladimir Putin, die sich nach der Normandie-Runde auch darüber unterhalten haben . Sie haben
auch darüber gesprochen - da können wir der Bundeskanzlerin dankbar sein -, wie wir in Syrien diplomatisch
vorgehen . Darum geht es .
Herr Kollege Zech, die Kollegin Brantner hat eine
Zwischenfrage .
({0})
Wir machen es kurz . - Herr Zech, Sie haben darauf
hingewiesen, dass das World Food Programme sagt: Wir
brauchen Sicherheit . - Das ist alles gut .
Uns geht es darum, Assad und Russland damit zu konfrontieren und zu sagen: Wir sind bereit, Hilfe zu liefern .
Dann müssen wir schauen, wie die Reaktion ist . Uns geht
es nur darum, wenigstens diesen Schritt zu machen und
zu sagen, dass wir bereit sind, das zu tun . Dann werden
wir sehen, wie die Reaktion ist .
Frau Brantner, vielen Dank für die Frage . Ich sage Ihnen nur - darf ich zweimal zitieren, Frau Präsidentin? als Antwort - ich zitiere aus Ihrem Antrag -:
II . Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
… Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Vereinten Nationen
und das WFP unterstützen, eine Luftbrücke für alle
notleidenden Menschen in Syrien einzurichten .
({0})
E-Mail des World Food Programme heute an mich ich zitiere -:
Zu Ihrer Anfrage habe ich nochmals Rücksprache
mit unserem Landesbüro in Syrien gehalten, was
darauf hingewiesen hat, dass eine Luftbrücke oder
Airdrops für Aleppo keine Option darstellen .
Das, Frau Brantner, ist die Antwort auf Ihre Frage .
Machen Sie Ihre Hausaufgaben richtig,
({1})
machen Sie hier vernünftig Politik,
({2})
unterhalten Sie sich mit den Menschen, die das umsetzen
müssen,
({3})
und kommen Sie sonst nicht daher und stellen Anträge!
Ich darf fortführen: Wir haben seit dieser Woche wieder ein bisschen Hoffnung . Vielen Dank noch einmal
an die Bundeskanzlerin für das Format gestern . Seit
Dienstag gibt es kein Bombardement mehr . Wir haben
bis Samstag - wenn auch nur kurz, aber immerhin jeden Tag - elf Stunden Waffenruhe in Aleppo . Ab morgen
werden die ersten Menschen über acht Flucht- bzw . Rettungswege evakuiert . Das ist angesichts der Tragik der
Situation ein Lichtblick . Lassen Sie uns doch gemeinsam
dafür kämpfen, dass aus der Waffenruhe ein Waffenstillstand und aus dem Waffenstillstand irgendwann Frieden
wird .
Herzlichen Dank .
({4})
Der Kollege Gehrcke erhält das Wort für eine Kurzintervention .
Es tut mir leid, aber ich kann natürlich nicht stehen lassen, was der Kollege Zech eben vorgetragen hat, nämlich
dass ich möglicherweise für irgendwelche Militäreinsätze oder sogar für einen Bundeswehreinsatz in Syrien bin .
({0})
Das hat sonst auch keiner vermutet, nehme ich an .
({1})
Wenn das Ihr Problem ist, dann sollten Sie lieber mit
Ihrem Kollegen Roderich Kiesewetter reden, der genau
dies fordert . Ich bin jedenfalls der völlig falsche Adressat .
Ich gehe natürlich davon aus, dass man, wenn man
alle Möglichkeiten der Hilfe nutzen und etwas aus der
Luft nach Syrien liefern will, mit der syrischen Regierung - mit wem denn sonst? - verhandeln muss .
({2})
- Ich sage Ihnen das doch .
({3})
Die syrische Regierung muss zustimmen, weil es sich
um ihr Land und ihren Luftraum handelt . Sonst kann man
es nicht absichern . Sollten die Grünen zu der Position
gekommen sein - das würde mich erfreuen -, dass man
auch mit der syrischen Regierung - das ist noch immer
Herr Assad - verhandeln muss,
({4})
dann macht es mir das leichter; denn ich möchte, dass den
Menschen geholfen wird . Das kann man sicherlich sehr
unterschiedlich sehen . Aber nur durch Verhandlungen
sind entsprechende Absicherungen zu erreichen, nicht
durch Militäreinsätze und auch nicht durch Drohungen .
Das wollte ich hier nur einmal deutlich machen . Ich
glaube, dass ein Großteil meiner Fraktion das anders
sieht . Aber ich sehe das so und vertrete es auch . Ich bin
für Verhandlungen, auch für Verhandlungen mit Assad .
Ich bin dafür, dass Hilfslieferungen abgesichert werden,
aber nicht militärisch, sondern durch Absprachen und
Verträge; diese gilt es zu schließen .
Danke sehr .
Herr Kollege Zech, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung .
Lieber Wolfgang Gehrcke, vielen Dank für die Klarstellung . Aber dann liegt es garantiert an mir und daran,
dass ich den einen Satz im Antrag der Grünen, den ihr
unterstützt, nicht richtig verstanden habe .
({0})
- Immer erst klatschen, wenn ich fertig bin! - Dort steht:
„Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln …“ „Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ schließt - das ist, glaube ich, allgemein
bekannt und entspricht auch meinem Wissensstand; vielleicht kann ich noch aufgeklärt werden, wenn ich hier
falsche liege - Militär explizit nicht aus .
({1})
Das ist die Wahrheit . Die Linke stimmt heute somit auch
militärischen Maßnahmen zu .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Tagesordnungspunkt 13 a . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10031 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Dort kann die Debatte fortgesetzt werden . Die Federführung soll beim Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe liegen . Sind Sie damit einverstanden,
dass wir diesen Antrag an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe überweisen? - Das ist der
Fall .
Tagesordnungspunkt 13 b . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Syrien - Luftbrücke
einrichten, humanitäre Not lindern“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9939, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/9687 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition und den Stimmen der Mehrheit
der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und die Stimme von Herrn Gehrcke
angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Schutz vor Biowaffen ausbauen - Das Biowaffenübereinkommen stärken
Drucksache 18/10017
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre
dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in
dieser Aussprache hat Dr . Karl-Heinz Brunner für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Nach dem Thema, das wir soeben im Plenum
behandelt haben und bei dem ich zum Ende oft dachte,
dass die Ernsthaftigkeit beim Thema Syrien nicht mehr
gewährleistet ist, sind wir beim nächsten ernsthaften
Thema, nämlich dem Einsatz von biologischen Massenvernichtungswaffen, deren Anwendung heute durch
staatliche und nichtstaatliche Akteure nicht sehr wahrscheinlich ist .
Daher könnten wir es uns jetzt einfach machen und
uns nicht weiter mit dem Thema beschäftigen, nach dem
Motto: Die Gefahr ist weitgehend gebannt . Wir Abrüster
kümmern uns um etwas anderes . Die Vision des Grauens eines Biowaffenanschlags ist eher Stoff fürs Kino . Doch gerade diese Einschätzung wäre töricht, müssen
wir doch heute dankbar sein, dass bereits 1925 - damals
im Angesicht des Ersten Weltkriegs und dessen Opfer durch das Genfer Protokoll und 50 Jahre später, 1975,
durch die Unterzeichnung des BWÜ Weichen für eine
zivilisiertere Welt ohne Biowaffen gestellt wurden .
Doch geringere Wahrscheinlichkeit heißt nicht keine
Wahrscheinlichkeit . Sie bedeutet Verantwortung für uns
alle in der Politik . Die letzten Jahre und gerade Syrien
lehren uns: Wir wissen nicht, wo, wann und wie sich in
5, 10 oder 50 Jahren staatliche Strukturen auflösen. Wir
wissen nur eins - das ist bedauerlich -: Wir wissen, dass
es passiert . Und wir wissen, dass terroristische Gruppierungen die Macht übernehmen können, Regierungen in
Versuchung geraten können, weil es einfach ist, auf diese
menschenverachtenden Waffen zurückzugreifen .
Mit Syrien hat ausgerechnet ein Staat die Kontrolle
über sein Staatsgebiet verloren, der zwar Unterzeichner
dieses Abkommens ist, trotzdem jedoch weiter an biologischen Waffen gearbeitet hat . Noch schlimmer: Ausgerechnet dieser Staat ist es, auf dessen Gebiet nicht zuletzt Daesh, der sogenannte „Islamische Staat“, versucht,
Strukturen aufzubauen, die als Voraussetzung für die
hochkomplexe Arbeit an potenziellen biologischen Waffen gelten .
Wir sehen also: Die Gefahr ist, wie ich sagte, keineswegs gebannt, und die Gefahr kleinzureden, wäre töricht,
gerade wenn wir bedenken, dass bereits ein kleiner biologischer Angriff, beispielsweise durch Terrororganisationen, großen Schaden anrichten kann . Wir erinnern
uns noch, wie vor einigen Jahren selbst die Rentnerin zu
Hause beim Öffnen eines Kuverts Angst und Schrecken
vor einem möglichen Milzbrandanschlag hatte, weil Anthrax und Ähnliches in den Medien nicht nur zu hören
war, sondern tatsächlich aufgefunden worden war . Vorstellungen, an die ich nicht denken möchte, sind die körperlichen Schäden, aber auch die tiefe Erschütterung des
Sicherheitsgefühls der Menschen, die sich einem potenziellen Angriff ständig ausgesetzt sehen .
Deshalb ist das BWÜ so wichtig . Es leistet weiterhin
einen essenziellen Beitrag zur internationalen Sicherheit
und zu unserer . Daher ist es notwendig, seine nationale
Implementierung weltweit zu verbessern, fehlende Staaten zu integrieren, Vertragstreue herbeizuführen und unTobias Zech
serer Bevölkerung zu signalisieren, dass wir für Sicherheit sorgen, im Inland und international .
In Deutschland beschäftigt uns dabei im Besonderen die Gefahr, die aus Forschungsergebnissen, die zur
Herstellung von Waffen eingesetzt werden könnten, resultiert . Wir appellieren hier an das vorhandene hohe
Verantwortungsgefühl unserer Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, die wir im ständigen Dialog - Stichwort:
Dual-Use-Problematik - unterstützen müssen und wollen . Forscherinnen und Forscher, die uns sowohl durch
ihre biowissenschaftlichen Kenntnisse vor gefährlichen
Erregern schützen können als auch durch ihre Beiträge,
unter anderem die Beiträge der Friedensforschung, in der
Lage sind, uns Unterstützung zu geben, brauchen auch
Unterstützung von uns .
Dieser Zweiklang aus internationaler Vertragstreue
zum Biowaffenübereinkommen einerseits und einer national hochverantwortlichen Forschung und Wissenschaft
andererseits kann uns auch weiterhin zuverlässig vor
Biowaffen schützen, in Deutschland, in Europa und in
der Welt . Deshalb bitten wir für die Koalitionsfraktionen
um Zustimmung zu unserem Antrag .
Danke schön .
({0})
Kathrin Vogler hat als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Biologische Waffen sind ja ein eher weniger beachtetes Problem bei der Rüstungskontrolle .
Das mag wohl daran liegen, dass sie weniger mit Bildern verknüpft werden als beispielsweise Atom- oder
Chemiewaffen . Wenn wir darüber sprechen, haben wir
vor unserem inneren Auge sofort die fürchterlichen Bilder aus Hiroshima und Nagasaki, aus Vietnam oder aus
der kurdischen Stadt Halabdscha . Aber zum Beispiel
die 350 000 Menschen, die 1942 in China durch einen
Angriff der japanischen Streitkräfte mit Pesterregern
umkamen, sind nicht in unserem kollektiven Gedächtnis
angekommen .
Als politisch Verantwortliche sollten wir aber nicht
nur zurückschauen, sondern alles dafür tun, dass sich
solche Verbrechen nicht wiederholen . Die Gefahr durch
Biowaffen ist durch die Fortschritte in der Gentechnik rasant gestiegen . Heute ist es technisch überhaupt kein Problem, Mikroorganismen durch Gentechnik so zu verändern, dass auch Antibiotika oder Impfungen nicht mehr
helfen . Und es wird zunehmend schwerer, abzugrenzen,
welche Forschung dem Schutz vor Infektionen dient und
welche der Entwicklung von Kampfstoffen .
Mit dem Biowaffenübereinkommen von 1971 haben
die Vereinten Nationen ein wichtiges Vertragsdokument
geschaffen . Was diesem aber fehlt, sind verbindliche
Kontrollinstrumente . 2001 war man fast so weit, ein solches Kontrollsystem auf den Weg zu bringen . Doch die
USA ließen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss
platzen . Dies war das Jahr - wir erinnern uns -, in dem
in den USA Milzbranderreger auftauchten, die aus dem
Biowaffenforschungslabor der US-Militärs in Fort Detrick stammten . Auch in Russland wurde wohl trotz des
Biowaffenabkommens noch jahrelang weiter geforscht,
zum Beispiel auch mit dem Ebolavirus .
All das zeigt: Ohne ein wirksames Kontrollsystem
bleibt die Biowaffenkonvention unvollständig .
({0})
Nur wenige Länder beteiligen sich bisher an den freiwilligen Kontrollen . Deutschland ist dabei Vorreiter und
deshalb auch ein glaubwürdiger Fürsprecher für bessere und verbindlichere Kontrollen . Der Antrag der Koalitionsfraktionen weist daher in eine richtige Richtung .
Vielen Punkten, die Sie auflisten, können wir problemlos
zustimmen . Sie stecken aber auch in dem Dilemma, dass
Sie unter den Regierungen noch viel zu wenig Verbündete haben . Wenn es nicht gelingt, auch die USA, Russland
und all die anderen Länder für eine verbindliche Offenlegung ihrer Biowaffenforschung zu gewinnen, kommen
wir auf diesem Feld nur sehr langsam voran . Da wünsche
ich mir von dieser Bundesregierung doch mehr Biss, vor
allem auch in Richtung der US-Regierung .
({1})
Sie vernachlässigen wichtige Faktoren, die wir selbst
beeinflussen können, wenn wir es denn wollen. Dazu
nenne ich einmal drei Punkte, die in Ihrem Antrag fehlen .
Erstens . Es ist richtig und gut, dass Sie die Forscherinnen und Forscher für die Biowaffenproblematik sensibilisieren und der Ethik in den Naturwissenschaften
mehr Raum verschaffen wollen . Wir als Linke würden
da weitergehen . Wir wollen, dass sich das Militär aus der
Wissenschaft heraushält, und unterstützen deshalb die
Bewegung für Zivilklauseln an Hochschulen und Forschungseinrichtungen .
({2})
Zweitens . Biowaffen haben auch eine verheerende
psychologische Wirkung auf die Bevölkerung . Der beste
und wirksamste Schutz davor sind gute öffentliche Gesundheitssysteme in jedem Land . Das bedeutet hier in
Deutschland, die Privatisierung und Profitorientierung
im Gesundheitswesen zurückzudrängen und Gesundheit
als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu gestalten .
Weiter bedeutet es, entwicklungspolitisch andere Länder
viel stärker beim Aufbau solcher Gesundheitssysteme zu
unterstützen, anstatt sie primär als Märkte für den Export
von deutschen teuren Medizinprodukten zu begreifen .
Drittens . Wo Staaten nicht bereit sind, sich in die Bioforschungskarten gucken zu lassen, da können Nichtregierungsorganisationen einen Teil der Rüstungskontrolle
übernehmen. Dazu brauchen sie unsere finanzielle und
politische Unterstützung . Des Weiteren benötigen wir ein
Gesetz, das bedrohten Whistleblowern in Deutschland
Zuflucht und Schutz gewährt.
({3})
Die Rolle und Bedeutung der Zivilgesellschaft in der
Friedenspolitik muss dieser Regierung leider immer noch
erklärt werden - aber wir als Linke machen das gerne .
({4})
Robert Hochbaum hat als nächster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne und vielleicht noch zu Hause an den Bildschirmen! Vom 7 . bis
zum 25. November findet in Genf - das werden manche wissen - die 8 . Überprüfungskonferenz zum Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen - die
Biowaffenkonvention - statt . Natürlich lassen sich weder
Verlauf noch Ausgang dieser Konferenz absehen . Dennoch ist es wichtig und notwendig, dass wir ihre hohe
Bedeutung für die globale Sicherheit auch hier in diesem
Haus darstellen . Damit ist natürlich auch die ausdrückliche Unterstützung der Bundesregierung verbunden, die
sich - da bin ich mir ganz sicher - für einen erfolgreichen
Abschluss der Konferenz einsetzen wird . Dafür schon
jetzt meinen herzlichen Dank!
Fünf Jahre sind seit der letzten BWÜ-Überprüfungskonferenz vergangen . In der Zwischenzeit fanden natürlich weitere Treffen von Experten und Vertragsstaaten
statt . Sie alle hatten ein Ziel: praktische Maßnahmen,
insbesondere die heute schon genannte institutionelle
Absicherung des Übereinkommens, weiter zu verfolgen
und, wenn möglich, umzusetzen . Denn das zentrale Problem des Übereinkommens über das Verbot biologischer
Waffen besteht natürlich gerade darin, dass es kein konkretes Verifikationsregime zur Kontrolle der Einhaltung
des Vertrages beinhaltet . Die derzeit einzige Möglichkeit,
einen Kontrollprozess einzuleiten, ist die Meldung an
den Generalsekretär der Vereinten Nationen, welche sich
aber für eine effektive und permanente Überwachung der
Einhaltung letztlich nur bedingt eignet .
({0})
- Nur bedingt eignet . - Versuche, dieses Problem durch
ein Zusatzprotokoll zu lösen, das unter anderem Offenlegungspflichten und Kontrollinspektionen beinhalten
würde, sind bisher gescheitert .
Die - das wird bekannt sein - auf der Konferenz im
Jahr 2006 beschlossene Implementation Support Unit,
ISU, angesiedelt in der Abrüstungsabteilung der Vereinten Nationen, wurde zwar auf der Konferenz im
Jahr 2011 um weitere fünf Jahre verlängert, was mit
Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung war . Man
kann jedoch aufgrund dieser Abhängigkeit von den ständigen Mandatsverlängerungen von keiner gesicherten
Institution sprechen. Ein effektives Verifikationsinstrument und die nationale Implementierung aber würden
dabei helfen, sicherzustellen, dass sich alle Staaten an
das B-Waffen-Verbot halten und auch zumindest versuchen, entsprechende nichtstaatliche Aktivitäten in ihrem
Land zu unterbinden . Darum muss es Ziel sein und bleiben, diese ISU perspektivisch auf- und auszubauen und
zu einem Sekretariat einer Organisation für das Verbot
biologischer Waffen aufzuwerten . Durch das bereits vorhandene, allen bekannte Technische Sekretariat der Organisation für das Verbot chemischer Waffen steht ja ein
Beispiel zur Verfügung, das man jederzeit heranziehen
kann .
Doch nicht nur dieser Aufgabe müssen wir uns jetzt
stellen, wenn es um den weltweiten Schutz vor biologischen Waffen geht . Es steht natürlich auch in diesem
Bereich das Problem des Dual Use und einer damit
verbundenen missbräuchlichen Verwendung oder des
Diebstahls von Produkten im Raum . Es muss darum sichergestellt sein, dass weltweit Labore vor dem Zugriff
terroristischer Organisationen oder anderer böswilliger
Akteure geschützt sind . Denn eines wird uns sicherlich
allen klar sein - die Beispiele aus Syrien der letzten Zeit
haben es deutlich gezeigt -: Es muss alles getan werden,
dass derartige Stoffe nicht in die Hände solch menschenverachtender Täter fallen können .
({1})
Dies kann aber nur funktionieren, wenn möglichst
viele Vertragsstaaten - wir haben ja schon gehört, dass
nicht alle Mitglieder sind - an den vertrauensbildenden
Maßnahmen teilnehmen, die eine Offenlegung aller
Forschungseinrichtungen und -programme beinhalten .
Deutschland geht hier wieder mit sehr gutem Beispiel
voran und sollte diese Vorbildfunktion nutzen, um auch
die anderen Staaten näher an diese Maßnahmen heranzubringen . Die im nächsten Monat anstehende Konferenz
ist damit eine gute Gelegenheit, einen Weg zu beschreiten, an dessen Ende die Umsetzung dieser Ziele stehen
sollte .
Lassen Sie mich an dieser Stelle also bitte die Hoffnung auf gute und erfolgreiche Verhandlungen zum Ausdruck bringen . Ich bitte um die Zustimmung des ganzen
Hauses .
Herzlichen Dank .
({2})
Agnieszka Brugger hat als Nächste das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Milzbrandattacken in den USA im Jahr 2001 haben leider gezeigt, dass auch Bedrohungen durch biologische
Kampfstoffe nach wie vor ein ernstzunehmendes Szenario darstellen . Es ist eine große Errungenschaft der interKathrin Vogler
nationalen Abrüstungspolitik und ein wichtiger Beitrag
für mehr Sicherheit, dass es gelungen ist, dass so viele
Staaten diese gefährlichen Massenvernichtungswaffen
international geächtet und ihre eigenen Bestände vernichtet haben . Es ist an dieser Stelle gar nicht so selbstverständlich, dass es einen solchen Verbotsvertrag gibt .
Wir erleben es heute bei vielen Technologien, die im Dual-Use-Bereich liegen . So bei den Themen Drohnen oder
Cyber, wo dann oft schon schulterzuckend bei der Debatte darüber, ob es nicht gewisse Regeln braucht, gesagt
wird, man kann es so oder so nutzen . Trotzdem haben
Technologien immer ihre spezifischen Risiken. Die werden dabei dann gefährlich ausgeblendet .
Es ist eine Herausforderung, mit der Dual-Use-Problematik umzugehen . Die gibt es natürlich auch bei
biologischen und chemischen Kampfstoffen . An deren Verbotsvertrag kann man sich orientieren; denn die
Güter können zum Gewinn, aber auch zum Verderben
der Menschheit genutzt werden . Dort wird nämlich der
Zweck unter Strafe gestellt . Das macht diese Abkommen
und Übereinkommen einzigartig .
Meine Damen und Herren, trotzdem hat auch das
Biowaffenübereinkommen seine Schwächen und kann
seine Wirkungen nicht vollumfänglich entfalten; denn es
fehlen Möglichkeiten zur Aufklärung von Verdachtsmomenten, aber auch Sanktionsmöglichkeiten bei Strafverletzungen . Das Stichwort „Russland“ ist schon gefallen .
Auch über Syrien muss man an dieser Stelle sprechen .
Wir haben in den vorherigen Debatten viel über Chemiewaffen und die grausamen Attacken, die es gegeben
hat, debattiert . Aber Syrien hat auch als Signatarstaat des
Biowaffenübereinkommens über Jahre hinweg trotzdem
ein Forschungsprogramm in diesem Bereich unterhalten .
Um das Biowaffenübereinkommen effektiv umzusetzen und die Verdachtsfälle schnell zu untersuchen, aber
auch um gemeinsame Interpretationen über die einzelnen Regelungen zwischen den Staaten herzustellen oder
schnell auf neue technologische Entwicklungen reagieren zu können, braucht dieses Abkommen feste Strukturen, mehr Personal und eine verlässliche Finanzierung .
({0})
Das haben wir Grüne in den letzten Jahren immer wieder
an vielen Stellen gefordert .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
mit Ihrem heutigen Antrag gehen Sie mit vielen Forderungen durchaus auch in die gleiche Richtung, in eine
richtige Richtung . Aber Sie sind auch nicht ganz up to
date . Wir Grüne haben erst vor kurzem einen Antrag vorgelegt: „Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den
Lebenswissenschaften stärken“ . Hier wird zum Beispiel
deutlich - ähnlich hat es auch der Deutsche Ethikrat festgestellt -, dass Selbstverpflichtungen nicht ausreichen,
dass es auch in diesem Bereich Lücken gibt, die man
durch eine gesetzliche Regelung schließen müsste . Das
sind sicherlich Punkte, wo man von Ihrem guten Antrag
aus weitergehen kann und weitergehen sollte . Es steht
nicht viel Falsches in dem Antrag . Daher werden wir an
der Stelle auch zustimmen .
Meine Damen und Herren, zum Abschluss kann ich
mir aber eine kritische Bemerkung nicht verkneifen . Es
ist super, dass Sie diesen Antrag vorgelegt haben, das
BWÜ zu stärken, aber der abrüstungspolitische Elefant,
der gerade jetzt in unserer Zeit im Raum steht, ist ein völlig anderer . Chemiewaffen und Biowaffen sind wenigstens schon verboten . Was fehlt, ist ein Verbotsvertrag zur
Ächtung von Nuklearwaffen . Den gibt es nicht .
({1})
Darüber wird gerade mit einer ganz neuen Dynamik bei
den Vereinten Nationen diskutiert . Die deutsche Bundesregierung versteckt sich hier hinter den Nuklearwaffenstaaten im Lager der Bremser und Blockierer und hat gegen diese ganzen Vorschläge bei den Vereinten Nationen
gestimmt, einen Prozess für ein Atomwaffenverbot auf
den Weg zu bringen . Das ist mutlos, unglaubwürdig und
enttäuschend .
({2})
Es ist doch höchste Zeit, dass die Menschen vor diesem gefährlichen Irrsinn geschützt werden und dass alle
Massenvernichtungswaffen verboten werden . Daher,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, vielen Dank für diese durchaus gute Initiative . Aber mich
würde schon interessieren, was Sie dazu sagen, dass die
Bundesregierung ein Atomwaffenverbot blockiert; denn
wer das Biowaffenübereinkommen stärken will, der kann
doch nicht ernsthaft argumentieren, dass Atomwaffen
nicht auch verboten gehören .
({3})
Als nächster Redner hat René Röspel für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Brugger, manchmal ist die Mücke näher als der Elefant; dann geht es eben darum, das Näherliegende zu bekämpfen . Die Konferenz zur Überprüfung
der Biowaffenkonvention steht vor der Tür; deswegen
bezieht sich der vorliegende Antrag zunächst einmal darauf, unabhängig davon, dass wir natürlich davon überzeugt sind, dass Nuklearwaffen von diesem Kontinent
und aus der Welt verschwinden müssen; gar keine Frage .
({0})
Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht, dass
vor 30 Jahren ein amerikanischer Präsident irgendwo
im Weltall Hochenergielaser stationieren lassen wollte,
um anfliegende sowjetische Raketen zu zerstören. Es
hatte ein paar Milliarden US-Dollar und einige Jahre
gebraucht, bis das sogenannte SDI-Projekt wieder verschwunden war . Die Frage, ob diese Laser ihre Aufgabe
erfüllt hätten, konnte man gar nicht richtig beantworten,
jedenfalls nicht auf Anhieb .
Von der hohen Dimension der Physik in ganz kleine
Dimensionen: Es gibt Überlegungen, Planungen, Denkansätze, Mikroorganismen, die Plastik, Mineralöl oder
Gummi fressen, als sogenannte nichttödliche Waffen einzusetzen, um den Gegner und seine Gerätschaften lahmzulegen, ohne die Menschen zu treffen . Ist das eigentlich
realistisch?
Wir wissen, dass es nicht nur nichttödliche Waffen
gibt, sondern auch hochpathogene Waffen; daran wird
gearbeitet . Anthrax ist ein Beispiel dafür gewesen . Die
Angst vor Milzbrand ist 2001 durch die ganze Welt gegangen . Wenn irgendwo ein Päckchen mit weißem Pulver ankam, war die Verunsicherung groß: Kann man damit großflächig töten, oder braucht es dazu nicht auch
Verteilungsmechanismen, technische Mittel, um so etwas
in großem Umfang zu einer Gefahr zu machen? Wir wissen seit zwei, drei Jahren, dass es gelungen ist, das Vogelgrippevirus H5N1 so zu verändern, dass es erstmals in
der Lage ist, Säugetiere zu befallen . Was für eine tödliche
Waffe, was für eine Biowaffe kann daraus möglicherweise entstehen?
All das sind Fragen, die wir von der Politik vielleicht
relativ schnell beantworten können, indem wir sagen:
So etwas wollen wir nicht; aber es macht eben auch sehr
viel Sinn, geeignete naturwissenschaftliche Expertise
zur Verfügung zu haben . - Ich bin froh, dass ich hier als
Forschungspolitiker reden darf . Ich hoffe, Antworten
auf diese Fragen von denen zu bekommen, die vielleicht
nicht auf der Lohnliste des militärisch-industriellen
Komplexes sind und solche Waffen herstellen . Ich hoffe,
von anderer Seite Antworten auf Fragen zu hören wie: Ist
es realistisch, dass Anthrax verbreitet werden kann? Welche Gefahren lauern wirklich, wenn ein Vogelgrippevirus
verändert wird?
Wir als Bundesrepublik Deutschland sind da in den
letzten Jahren glücklicherweise sehr gut aufgestellt gewesen, weil es in vielen kleinen Arbeitsgruppen in Dortmund, Darmstadt, Jülich, Karlsruhe Naturwissenschaftler
gab, die sich im Forschungsverbund Naturwissenschaften, Abrüstung und internationale Sicherheit zusammengeschlossen haben, die an diesen Themen gearbeitet haben, die in der Lage waren, der Politik wissenschaftliche
Expertise zur Verfügung zu stellen .
Ich komme zu dem Punkt in dem Antrag, den ich
noch einmal betonen will: Es ist wichtig für uns, diese
Expertise in Deutschland nicht verloren gehen zu lassen .
Wir brauchen die Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler genauso wie die Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler, die uns diese Fragen
beantworten oder uns zumindest dabei helfen können .
({1})
Deswegen lautet mein dringender Appell - er findet sich
im Antrag wieder -, dass wir diese Expertise nicht verloren gehen lassen und dass wir diese Forschungsmöglichkeiten stärken . Insofern danke ich der Koalition, diesen
Antrag auf den Weg gebracht zu haben .
Vielen Dank .
({2})
Julia Obermeier hat als letzte Rednerin in dieser Aussprache das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Biologische Waffen sind kein neues Phänomen . Sie sind wohl so alt wie die Geschichte des Krieges selbst . Bereits vor 2 000 Jahren bewarfen die alten
Römer ihre Feinde mit Kot, um Krankheiten auszulösen .
({0})
Auch nutzten sie Tierkadaver oder Leichen, um das
Trinkwasser in Brunnen zu vergiften . Heute können biologische Waffen um ein Vielfaches tödlicher sein . Sie
zählen deshalb zu den Massenvernichtungswaffen . Die
bekanntesten sind wohl Anthrax und Pocken .
Biologische Waffen sind gerade in den Händen von
Terroristen besonders gefährlich . Ein Angriff wäre unsichtbar und lautlos . Erst Tage nach dem Freisetzen der
tödlichen Viren oder Bakterien würden die ersten Menschen erkranken . Bioterrorismus ist ein Spiel mit dieser
Angst; denn die Anzahl der möglichen Opfer ist sehr
hoch .
Im vergangenen Jahr warnte Frankreichs Premierminister nicht nur vor der Gefahr von Terroranschlägen
mit chemischen, sondern auch vor der mit biologischen
Waffen . Nur wenige Tage nach dem blutigen Terror in
Paris sagte er: „Wir dürfen heute nichts ausschließen .“
Er verwies zwar nicht auf konkrete Pläne für Anschläge mit biologischen Waffen, doch machte seine Aussage
deutlich, dass diese Bedrohung greifbar ist . Bedauerlicherweise wird dieser Gefahr nicht wie bei chemischen
Waffen mit einer starken internationalen Konvention begegnet . Es gibt zwar ein Übereinkommen, das die Entwicklung, die Herstellung, den Besitz, die Weitergabe
und den Einsatz biologischer Waffen verbietet, doch ist
dieses, anders als die Chemiewaffenkonvention, noch ein
zahnloser Tiger .
Dies birgt ernstzunehmende Risiken, wie das Beispiel
Syrien zeigt . Das Potenzial syrischer Chemiewaffen ist
sachkundig aufgearbeitet und steht sowohl im Fokus
der internationalen Gemeinschaft als auch im Fokus der
breiten Öffentlichkeit . Die Gefahren von biologischen
Waffen, die sich möglicherweise in den Händen des syrischen Regimes befinden, liegen jedoch im Dunkeln. So
wird seit längerem spekuliert, dass Assad an einsatzfähigen Erregern wie Milzbrand, Pest, Botulinum, Cholera,
Ricin, Kamelpocken und Aflatoxin arbeitet oder diese
bereits besitzt . Im chaotischen Bürgerkriegsgebiet Syriens wäre das besonders problematisch . Biologische Waffen könnten, auch wenn dies laut vieler Experten eher
unwahrscheinlich ist, gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden . Sie könnten auch in die Hände von Terroristen gelangen, und das, meine Damen und Herren, gilt
es unbedingt zu verhindern . Es liegt daher im deutschen
Interesse, das Biowaffenübereinkommen zu stärken . Dies
würde die Verbreitung von biologischen Waffen zurückRené Röspel
drängen . Und: Es wäre ein wichtiger Schritt, um zu verhindern, dass terroristische Gruppen und andere böswillige Akteure an Biowaffen gelangen . Wir brauchen also
dringend Fortschritte beim Biowaffenübereinkommen .
Im November dieses Jahres findet die achte Überprüfungskonferenz des Übereinkommens statt, und diese
Chance gilt es zu nutzen . Daher fordern wir in unserem
Antrag die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen
klare Positionen zu beziehen und unter anderem folgende Punkte zu unterstützen: Mehr Staaten sollen das
Übereinkommen unterzeichnen, mit dem Ziel einer weltweiten Umsetzung . Dazu braucht es vertrauensbildende
Maßnahmen, um Vertragstreue zu stärken . Auch soll der
UN-Generalsekretär künftig Verdachtsfälle besser untersuchen können . Und wir wollen die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, Herr Kollege
Röspel, im Bereich der Biowaffen besser im Blick haben,
um auf Entwicklungen reagieren zu können .
({1})
Langfristig soll das Biowaffenübereinkommen dem Chemiewaffenübereinkommen in nichts nachstehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen tragen dazu bei, die Gefahren
von Biowaffen einzudämmen . Es wäre ein starkes Signal, wenn wir dieses hohe Ziel heute mit dem Votum
aller Fraktionen unterstützen .
Vielen Dank .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10017 mit dem Titel „Schutz vor Biowaffen ausbauen - Das Biowaffenübereinkommen stärken“ . Wer
stimmt für diesen Antrag? - Stimmt jemand dagegen? Enthält sich jemand? - Dann ist dieser Antrag einstimmig angenommen worden .
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Stefan Liebich, Dr . Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz
Drucksache 18/8130
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre
Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen können .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das
Wort .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn eine Sache ihren Sinn erfüllt hat,
muss man es dabei belassen . Wenn es am schönsten ist,
soll man aufhören . - Das trifft aus meiner Sicht und aus
Sicht meiner Fraktion auch auf das Berlin/Bonn-Gesetz
zu . Es ist schlicht und ergreifend nicht zu erklären, dass
wir 25 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch eine
geteilte Bundesregierung haben .
({0})
6 von 14 Ministerien haben ihren Sitz noch komplett
in Bonn . Über 35 Prozent der Mitarbeiter in Ministerien
sind in Bonn beschäftigt . 2015 gab es fast 21 000 teilungsbedingte Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin .
({1})
Mehr als 1 000 Beschäftigte reisten in demselben Jahr
mehr als 20-mal hin und her . Es ist natürlich ein leichter
Abwanderungstrend in Richtung Berlin zu vermerken;
aber allein die schlichte Existenz von zwei Regierungssitzen bringt mindestens drei Nachteile mit sich: Es ist
ineffektiv, umweltschädlich und zu teuer .
({2})
Ineffektiv ist die bestehende Regelung, weil die Bundesregierung durch die permanente Teilung der Regierung in zwei Regierungssitze mit Ministerialbeamten aller Bundesministerien an beiden Standorten einfach nicht
schlagkräftig sein kann . Es wird ein enormer Mehraufwand für die Koordination und Abstimmung aufgebracht
und in Kauf genommen . Dadurch entstehen zu viele Reibungsverluste . Und die persönliche Kommunikation das kennen wir alle - ist auch durch aufwendige technische Unterstützung kaum zu ersetzen . Das verlangsamt
die Entscheidungsfindung, und auch der persönliche und
fachliche Austausch zwischen den Ressorts und ressortintern bleibt auf der Strecke .
Umweltschädlich ist der Zustand, weil zum Beispiel
die Flugbereitschaft zwischen den beiden Städten regelmäßig Leerflüge einfährt. Generell hübschen die zahlreichen Flüge die Ökobilanz nicht gerade auf . Ganz nebenbei hat das auch Auswirkungen auf die Arbeitszeiten
der Beschäftigten; denn das Arbeiten am Telefon bzw .
auf dem Laptop ist im Flieger schlicht und ergreifend
schwierig .
Teuer ist es obendrein . Jährlich entstehen Kosten von
über 7 Millionen Euro . Diese Zeche wird von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bezahlt .
({3})
Wir Linke wollen dieser Verschwendung von Steuergeldern ein Ende setzen,
({4})
insbesondere vor dem Hintergrund, dass die schwarze Null Staatsdogma geworden ist und die komplette
Angleichung der Ostrenten weiterhin auf sich warten
lässt . Man muss dabei betrachten, dass Bonn und die Region Bonn danach keine Einöde sein werden . Die Region
ist wirtschaftlich gut aufgestellt, UN-Behörden sind dort
verortet . Mit diesem Plan wollen wir Bonn also nicht devastieren .
Die Bundesbauministerin, Frau Hendricks, als Berlin/Bonn-Beauftragte laviert ziemlich herum, ist unentschlossen, kann sich zu keiner Handlungsempfehlung
durchringen . Das mag vielleicht auch daran liegen, dass
die Frau Ministerin vom Niederrhein stammt . Vor nicht
allzu langer Zeit war aus dem Regierungslager zu vernehmen, dass man sich klar für einen Regierungssitz - Berlin - ausgesprochen hat . Das ist schade und enttäuscht
auch ein bisschen . Ich dachte, da wären wir schon ein
bisschen weiter . Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich Frau Hendricks nicht dafür starkgemacht
hat, wie ursprünglich angedacht, dass sich vor allen
Dingen mehr Außenstellen der Ministerien und der Behörden in Ostdeutschland ansiedeln . Das Biomasseforschungszentrum in Leipzig und das Umweltbundesamt
in Dessau bleiben da die Ausnahme .
83 Prozent der Bevölkerung sprachen sich gemäß einer repräsentativen Umfrage für einen Komplettumzug
der Ministerien nach Berlin aus . Wir Linke sprechen uns
ebenfalls ganz klar für einen Komplettumzug nach Berlin
aus .
({5})
Er ist gut, er ist begründet, er ist längst überfällig .
Wir brauchen ein Beendigungsgesetz mit einem konkreten Umzugsplan für alle Ministerien, natürlich unter
Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaften .
Ganz ehrlich: Es wächst eine Generation heran, jünger
als ich, die die Bonner Republik und die deutsche Zweiteilung nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt .
({6})
Es ist peinlich und auch nicht mehr vermittelbar, dass das
Gesetz, das 1994 in Kraft getreten ist, weiter fortgeführt
wird . Es wird Zeit, die Bonner Republik in den Ruhestand, in die wohlverdiente Rente zu schicken . Stimmen
Sie einfach unserem Antrag zu . Damit hätten wir die
deutsche Zweiteilung auch in dieser Hinsicht überwunden .
Vielen Dank .
({7})
Als nächster Redner hat Christian Haase für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Und
täglich grüßt das Murmeltier - so könnte man Ihre ständigen Anträge zur Beendigung des Berlin/Bonn-Gesetzes
zusammenfassen:
({0})
immer der gleiche Antrag, immer der gleiche Inhalt, immer die gleiche Begründung . Ihr Problem ist nur - anders als im Film -: Der Erkenntnisprozess setzt bei Ihnen
nicht ein . Also will ich es heute noch einmal versuchen .
Am 20 . Juni 1991 fasste der Deutsche Bundestag
den Hauptstadtbeschluss zur Vollendung der deutschen
Einheit . Geschäftsgrundlage für den Beschluss war der
inhaltlich doppelte Charakter der Antwort auf die Hauptstadtfrage - eben kein Komplettumzug von Bonn nach
Berlin . Viele Abgeordnete konnten nur so dem Beschluss
zustimmen, er hätte sonst damals überhaupt keine Mehrheit gefunden .
({1})
Ich wiederhole das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
weil natürlich nicht mehr alle dabei sind, die damals diese Beschlüsse mitgefasst haben .
({2})
So sagte auch Johann Wolfgang von Goethe einmal weise:
Man muss das Wahre immer wiederholen, weil
auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt
wird, . . .
({3})
Deshalb bekennen wir uns auch im Koalitionsvertrag
zur Existenz zweier bundespolitischer Zentren und lassen keinen Raum für Interpretation . Darin heißt es unmissverständlich:
Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz . Bonn bleibt
das zweite bundespolitische Zentrum .
({4})
- Ja, Sie dürfen ruhig klatschen .
({5})
Sie führen in Ihrem Antrag an, dass sich Bonn als UNStadt doch bereits wunderbar etabliert habe . Ja, natürlich,
und ich glaube, zum Glück ist das auch so .
Aber warum entwickelt sich das eigentlich so? Warum siedeln sich immer mehr internationale Institutionen
in Bonn an? Weil in Bonn noch relevantes Regierungsgeschehen stattfindet und weil wir die Nähe zu Brüssel
haben . Fangen wir jetzt an, dort unsere Zelte abzubrechen - was glauben Sie, wie schnell sich dieser Bedeutungsverlust weiter herumspricht, die anderen Institutionen den gleichen Weg Richtung Berlin nehmen werden
und dann in Bonn nichts mehr bleibt? Deshalb gibt es
ein Positionspapier aus der Region Bonn, „Bundesstadt
Bonn - Kompetenzzentrum für Deutschland“, das wir
bei der weiteren Diskussion durchaus beachten sollten .
Meine Damen und Herren, unser ehemaliger Bundespräsident Johannes Rau sprach in seiner Amtszeit
von den zwei Säulen, den zwei politischen Zentren in
Deutschland, und auch heute ist die Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin ein klares Bekenntnis zur lebendigen, föderalen Tradition unseres Landes . Wir verzichten bewusst auf die Konzentration in einer einzigen
Machtmetropole . Das ist unsere Positionierung in der
Staatsformfrage . Das ist Ihnen von den Linken sicherlich
ein wenig fremd .
({6})
Gern möchte ich noch einen Blick auf die Fakten werfen . Ja, der Ausgleich für die Region Bonn ist bislang
gelungen; das können wir feststellen . Die Regierungsaufgaben werden in Bonn und Berlin erfolgreich und
verantwortlich wahrgenommen, und nie waren die teilungsbedingten Kosten so niedrig wie beim letzten Teilungsbericht 2015 . Knapp 7,5 Millionen Euro werden als
neuester Tiefstand angegeben, und selbst wenn das natürlich viel Geld ist: Es ist im Gegensatz zu den Gesamtkosten eines Umzuges wahrlich ein Schnäppchen . Diese
werden mit 2 bis 5 Milliarden Euro angegeben, und - Sie
können sicher genauso gut rechnen wie ich ({7})
rein betriebswirtschaftlich ist das eine Amortisationszeit
von 250 bis 625 Jahren . Deshalb ist es gut, dass auch der
Sachstandsbericht zur Umsetzung des Berlin/Bonn-Gesetzes feststellt, dass die Arbeit effektiv ist, auch wenn es
natürlich noch Effizienzpotenziale gibt, und dort sollten
wir draufschauen .
Meine Damen und Herren, Verabredungen, die gelten,
müssen auch Bestand haben, und ich bin schon enttäuscht,
wie leichtfertig Sie von den Linken mit den Schicksalen
und den Arbeitsplätzen Tausender von Menschen in der
Region Bonn umgehen . Noch vor ungefähr zehn Stunden
wurde hier von Mietpreisbremsen und Wohnungsbau gesprochen, und Sie wollen jetzt, wenn Sie immer sagen,
in Berlin sei der Wohnungsmarkt so knapp und die Mieten so teuer, die Menschen aus Bonn alle hierher auf den
Wohnungsmarkt schicken, der jetzt schon überfüllt ist .
Ich glaube, das war wieder einmal ein Schnellschuss und
kein verantwortliches Handeln .
({8})
Zu verantwortlichem politischem Handeln gehört
meiner Meinung nach, zunächst einmal zu analysieren der Bericht ist ja noch warm vom Kopieren - und dann
in Ruhe seine Schlüsse zu ziehen . Alles andere klingt für
mich eher populistisch, aber das hören wir von den Extremparteien in Deutschland ja öfter .
Wir sprechen hier nicht über die Einzelinteressen einer Stadt, so wie Sie es eben gemacht haben, sondern
von der nationalen Bedeutung einer gesamten Region .
Deshalb haben alle Fraktionen im Düsseldorfer Landtag
einstimmig einen Antrag zu diesem Thema eingebracht .
Auch hier im Hohen Hause sollten wir ein Zeichen für
die Glaubwürdigkeit politischen Handelns setzen .
({9})
Für uns gilt: Erstens . Wir halten uns an Verträge . Zweitens . Wir sind gegen politisch motivierten Zentralismus .
Drittens . Wir denken an die Menschen und die Kosten .
Schönen Dank .
({10})
Anja Hajduk hat als nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Haase, der Föderalismus in Deutschland
erschöpft sich nicht in der Berlin/Bonn-Frage und -Polarität .
({0})
Er ist ein bisschen größer .
({1})
Ich sage das nicht nur als Hamburgerin . Da kann man
auch auf andere Regionen schauen. Ich finde, das hat es
nicht getroffen .
Ich sage schon: Das Berlin/Bonn-Gesetz war zu seiner
Zeit richtig und notwendig . Man kann feststellen, dass
Bonn in der Folge davon profitiert hat. Aber auch Berlin hat natürlich davon profitiert und ebenso unser Land.
Denn es war eine Voraussetzung dafür, dass wir Berlin
als Hauptstadt bekommen haben . Das ist, glaube ich,
sehr richtig . Man kann aber auch ganz nüchtern feststellen: Bonn hatte 2013 das höchste Bruttoinlandsprodukt
pro Erwerbstätigem in NRW . Bonn hat sich wirtschaftlich extrem gut entwickelt . Die Zahl der Erwerbstätigen
ist um 8,4 Prozentpunkte gestiegen . Man kann also sagen: Die Maßnahmen, die für Bonn verabredet wurden,
sind sehr wirksam gewesen . Das ist schlicht Faktum .
Der Bund ist immer noch ein großer Arbeitgeber mit
37 000 Arbeitsplätzen in Einrichtungen des Bundes, und
das, obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Bundesministerien weniger geworden sind; die Tendenz
ist fallend .
Wenn wir nüchtern darauf schauen - dem kann man
sich auch als Politiker aus Nordrhein-Westfalen nicht
verschließen -, dann sehen wir, dass solch ein Doppelsystem von Dienstsitzen auch seinen Preis hat . Der Realitätscheck, den man wirklich regelmäßig machen muss,
ist mit dem Bericht der Ministerin Hendricks, der in der
vergangenen Woche vorgestellt wurde, erfolgt . Dieser
Bericht zeigt ganz deutlich, dass die Zusammenarbeit
sowohl innerhalb als auch zwischen den Ressorts effektiv ist und die Arbeit auch erfüllt wird, aber dass die
Funktionsfähigkeit der Bundesregierung in diesen Fällen
nur unter Inkaufnahme erheblichen Mehraufwandes aufrechterhalten wird . Das ist schlicht die Wahrheit . Dazu
müssen wir uns auch bekennen .
Der Bericht führt folgende Fakten auf: Mittlerweile
sind 64 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
Berlin. 72 Prozent der Neueinstellungen finden in Berlin statt und nur 27,2 Prozent in Bonn . Mehr als 50 Prozent der Beamten in Bonn machen Dienstreisen und nur
17,6 Prozent der Beamten in Berlin . Drei Viertel aller
Bonner Beamtinnen und Beamten gehen in den nächsten
20 Jahren in Pension . Das sind Fakten, auf die man demnächst reagieren muss .
Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass wir
wissen: Es gibt Trends zugunsten von Berlin . Diese wird
man nicht krampfhaft stoppen können, indem man sich
immer nur an das Bonn/Berlin-Gesetz erinnert, sondern
man muss mit diesen Trends klug umgehen . Klug umgehen heißt, dass man mit der Stadt Bonn, mit Nordrhein-Westfalen einmal darüber redet: Was ist eigentlich
eine realistische, sinnvolle und auch vertretbare Langfristperspektive? Sie stellt sich heute, im Jahr 2016, mit
Blick auf die nächsten 30 Jahre anders dar als 1994 . Davon bin ich zutiefst überzeugt .
({2})
Das heißt aber auch - das möchte ich schon in Richtung der Linken sagen -, dass wir, glaube ich, mit einem Hauruckverfahren, mit einer Frontstellung „Berlin
gegen Bonn“ jetzt nicht angemessen reagieren würden .
Man muss da wirklich einen Prozess in Gang setzen, der
eine andere dauerhafte Perspektive in den Blick nimmt
und dabei auch die erfolgreichen Cluster erhält, die es in
Bonn als internationaler Stadt und als Bildungshochburg
gibt .
Schließen möchte ich mit folgendem Hinweis: Die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben ein Recht
darauf, dass wir auch mit den ineffizienten Doppelstrukturen perspektivisch richtig umgehen . Wenn über 80 Prozent der Deutschen für einen Umzug der Ministerien aus
Bonn nach Berlin sind, ist das ein Hinweis . Politik, die
in ihrem Ansehen sehr in der Kritik steht, muss sich auch
solchen Prozessen widmen . Deswegen kann ich nur sagen: Es ist auch im Interesse der Politik, mit der Bonn/
Berlin-Frage flexibler umzugehen, als es sich vielleicht
manche aus Nordrhein-Westfalen 1994 vorgestellt haben . Das muss kein Hauruckabbruch sein . Das muss auch
nicht zulasten von Bonn gehen .
In diesem Sinne werden wir Grünen für einen vernünftigen Prozess streiten, der auch eine Veränderung
der Ministerien in Richtung Berlin nicht ausschließt;
denn er hat sowieso schon begonnen . Dieser Trend kann
nicht krampfhaft aufgehalten werden .
Schönen Dank .
({3})
Matthias Schmidt hat als nächster Redner das Wort für
die SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr geehrten
Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit dem
Berlin/Bonn-Gesetz wird oftmals vom Rutschbahneffekt
gesprochen . Zur Erinnerung, was eine Rutschbahn ist diejenigen, die kleine Kinder haben, wissen es -: Kinder
krabbeln auf der einen Seite hoch, und je nachdem, wie
viel Mut sie haben, rutschen sie auf der anderen Seite
schnell oder langsam nach unten . Wenn die Kinder unten
angekommen sind und mit den Füßen wieder im Sand
stehen, dann strahlen sie auf jeden Fall und freuen sich .
Um im Bild zu bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken: Sie wollen den Rutschbahneffekt
nicht beschleunigen; Sie wollen gleich die ganze Rutschbahn umwerfen .
({0})
Das hat den Effekt, dass die Kinder im Sand liegen, und
zwar schlagartig . Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel:
Kein Kind wird lachen, sondern, im Gegenteil, sie werden alle weinen und höchst unglücklich sein .
({1})
- Genau .
Kommen wir zu Ihrem Antrag . Sie fordern ein Beendigungsgesetz . Okay, das kann man fordern; das ist
richtig . Zugleich wollen Sie aber bis zum Jahr 2020 alle
Bundesministerien nach Berlin holen .
({2})
- In Ihrem Antrag steht: bis 2020 . - Gerade einmal eine
Legislaturperiode wollen Sie sich dafür Zeit nehmen .
Das ist faktisch sehr, sehr schwierig mit Blick auf die
Häuser und Liegenschaften sowohl in Berlin als auch in
Bonn . Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bonn
ist das aber auch ein persönliches Desaster, wenn Sie das
so übers Knie brechen wollen . Bitte bedenken Sie erstens
die Altersstruktur der Mitarbeiter in Bonn, zweitens aber
auch, dass viele Bonner aus sozialen Gründen damals in
Bonn geblieben sind . So schnell geht das allenfalls freiwillig, und das wird ja auch oft genug gemacht .
Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir
müssen reden . Wir müssen reden über Dienstreisen, über
Kontakte, die nur per E-Mail stattfinden, über Videokonferenzen, über Kollegialität, die manchmal auf der Strecke bleibt, und über Nachwuchsgewinnung .
Das Berlin/Bonn-Gesetz ist 22 Jahre alt . Es ist ein gutes Gesetz .
({3})
Aber ist es wirklich noch zeitgemäß? Was bedeutet es für
den Steuerzahler, was für die Beschäftigten und was für
die Aufgaben und die Arbeitsteilung? Genau diese Fragen hatte Bundesministerin Barbara Hendricks bereits
vor fast einem Jahr zu Recht gestellt . Das geschah aus
der klaren Erkenntnis, dass die Arbeitsteilung, die das
Berlin/Bonn-Gesetz 1994 vorsah, also vor 22 Jahren,
längst nicht mehr zeitgemäß ist .
So sah das Gesetz zum Beispiel vor, dass mehr als
die Hälfte aller Arbeitsplätze der Regierung in Bonn
verbleibt . Das ist aber schon seit 2008 nicht mehr der
Fall . Knapp zwei Drittel der ministeriellen Arbeitsplätze befinden sich heute in Berlin, und gar drei Viertel der
Neueinstellungen erfolgen hier in Berlin . Das ist das,
was man den Rutschbahneffekt nennt . Hier werden somit
über die Personalentwicklung faktische Verlagerungen
zugunsten Berlins vorgenommen; und diese schreiten
fort . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und behutsam die richtigen Schlüsse daraus ziehen . Dafür bedarf
es parteiübergreifender Diskussionen . Hier geht es, wie
wir ja merken, nicht um die Grenzen zwischen Parteien,
sondern eher um die Regionen . Es bedarf insbesondere
einer intensiven Debatte in der betroffenen Region, in
Nordrhein-Westfalen und auch in Rheinland-Pfalz .
Barbara Hendricks hat zur genaueren Untersuchung
dieser Fragen eine Studie in Auftrag gegeben . Sie liegt
uns heute als Bericht vor . Dieser Bericht liefert eine gute
Grundlage, um jetzt den Prozess eines weitgehenden
Komplettumzugs von Bonn nach Berlin einzuleiten . Diese Bemerkung muss ein überzeugter Berliner hier ruhig
machen dürfen .
Ich bin mir bewusst, dass solch eine Forderung in der
Region Bonn ganz andere Emotionen hervorruft als in
Berlin . Wir können uns aber der faktischen Entwicklung
nicht verschließen und sollten dieses Thema nach vorne
gerichtet angehen . Lassen Sie uns etwas Gutes machen:
für Bonn, für Berlin und für Deutschland .
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank, lieber Matthias Schmidt . - Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Nächste: Kai Wegner, Berlin, für die CDU/CSU .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag
vergangener Woche hat Frau Ministerin Hendricks den
Statusbericht zur Arbeitsteilung zwischen Berlin und
Bonn vorgelegt . Die Ministerin hat zu ein und demselben
Thema zwei Pressekonferenzen an zwei Orten gegeben,
erst am Rhein, dann an der Spree . Aufgrund der Witterung - der Flughafen Köln/Bonn lag im Nebel - hing
Frau Ministerin Hendricks in Berlin ihrem Terminplan
eine Stunde hinterher . Doppelte Arbeit, Verspätungen,
unnötige Kosten, Reisestress: In den Umständen der Präsentation des Statusberichts verdichten sich symptomatisch die Widrigkeiten, die die Teilung der Regierungsfunktion auf zwei Standorte mit sich bringt . Und der
Statusbericht selbst bestätigt diese Einschätzung . Denn
dort können wir schwarz auf weiß nachlesen: „Die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung“ wird nur „durch einen erheblichen Mehraufwand und damit auf Kosten der
Effizienz aufrechterhalten.“
In der Tat, meine Damen und Herren, sprechen die
Fakten für sich . Ich erwähne Zehntausende Dienstreisen,
ich erwähne die teuren Doppelstrukturen, ich erwähne
die Reibungsverluste, die damit zwangsläufig einhergehen . Frau Ministerin, Sie sind die Umzugsbeauftragte der
Bundesregierung . Ich hätte mir von Ihnen schon erwartet, dass Sie nicht nur Fakten auflisten, sondern gestützt
auf diese Fakten auch eine Haltung entwickeln und vor
allem die richtigen Schlüsse ziehen .
Bonn hat sich unbestritten, liebe Kolleginnen und
Kollegen, große Verdienste erworben: um die Freiheit,
um die Demokratie, ja, um den Rechtsstaat in Deutschland . Dass es nach 1945 gelungen ist, in Deutschland
eine stabile Demokratie zu errichten, bleibt für immer
mit Bonn verbunden .
({0})
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Berlin heute die
anerkannte Hauptstadt Deutschlands ist . Und ich meine,
zu einer Hauptstadt, die das gesamte Land repräsentiert,
gehört auch die ungeteilte Regierungsfunktion . Auch
deshalb ergibt es aus meiner Überzeugung keinen Sinn,
weiter auf einer teuren Arbeitsteilung zu beharren und
die unnatürliche Teilung der Regierung künstlich zu verlängern .
Ja, der Rutschbahneffekt in Richtung Berlin ist längst
eine Realität . Und gerade für die Bonner ist es doch allemal besser, einen Wandel aktiv zu gestalten, statt von der
Macht des Faktischen überrollt zu werden .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bonn steht heute
besser da als vor dem Hauptstadtbeschluss . Die UNO,
die Telekom, zahlreiche Bundesbehörden, Institutionen
und Unternehmen haben sich am Rhein neu angesiedelt .
Ich bin entschieden dafür, Bonn als UN-Standort weiter
zu stärken und auch weitere Bundesbehörden dort anzusiedeln . Bonns Verdienste haben historischen Rang, und
Bonn verdient auch in Zukunft Verlässlichkeit, aber eben
auch Ehrlichkeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
die Frage nach dem Standort der Regierung ist von nationaler Bedeutung. Ich finde, sie eignet sich nicht für
Matthias Schmidt ({2})
parteipolitische Instrumentalisierung hier im Deutschen
Bundestag zu später Stunde .
({3})
Wenn Sie diese Debatte ernsthaft hätten führen wollen,
dann hätten Sie das viel früher mit anderen Fraktionen
vorbereiten sollen .
({4})
Wenn wir uns zu einer anderen Gelegenheit an der berühmten Berlin/Bonn-Debatte von 1991 orientieren,
dann sehe ich in dieser Debatte in der Tat das Potenzial
für eine erneute Sternstunde hier im Parlament .
Meine Damen und Herren, die wiedervereinigte
Hauptstadt Berlin ist das Symbol dafür, dass Deutschland
seine Spaltung überwunden hat . Die geordnete Konzentration der Regierungsfunktion an der Spree wäre deshalb
auch eine Entscheidung für die geordnete Vollendung der
deutschen Einheit .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Kai Wegner . - Der letzte Redner in der
Debatte: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Fast müsste man den Linken danken, dass sie
diesen Antrag gestellt haben, wenn man ihn nicht hätte
lesen müssen . Man kann natürlich eine Debatte über den
Status einer Region Bonn führen, man kann auch über
das Berlin/Bonn-Gesetz reden, aber was man nicht tun
darf, ist, das Berlin/Bonn-Gesetz, das nach einer Debatte
1991 mit knappster Mehrheit beschlossen worden ist, so
in Einzelteile zu zerlegen und falsch zu zitieren .
({0})
Wenn man nämlich nur einzelne Abschnitte aus diesem
Gesetz zitiert und aufgrund dessen behauptet, dass das
Gesetz darauf abziele, Stück für Stück alles nach Berlin
zu verlegen, dann lässt man außer Acht, dass es um eine
faire Arbeitsteilung zwischen der Region Bonn und der
neuen Hauptstadt Berlin gehen sollte .
Diese Arbeitsteilung ist doch erfolgreich . Ja, wir haben es geschafft, die Vollendung der deutschen Einheit so sah es der Antrag auch vor - durch einen Teilumzug
der entsprechenden Ministerien und eine Verlagerung der
Verfassungsorgane nach Berlin zu vollziehen . Wir haben
das aber eben im beiderseitigen Interesse gemacht, sodass Bonn und Berlin profitieren konnten, und nun darf
man doch der Region Bonn nicht zum Vorwurf machen,
dass das, was man damals weise verabredet hat und womit man sich nach einer so schwierigen Entscheidung
gemeinsam auf den Weg gemacht hat, gut gelungen ist .
Und das gibt doch Anlass, zu hinterfragen: Was ist gut
gelungen, und was ist weniger gut gelungen?
Es gehört zur Kritik auch dazu, festzustellen, dass
während des ersten Kabinetts von Angela Merkel, ab dem
Jahre 2008, der Effekt eingetreten ist, dass die Mehrzahl
der ministeriellen Arbeitsplätze entgegen dem Wortlaut
des Gesetzes, entgegen der Vereinbarung, die damals getroffen worden ist, plötzlich von Bonn nach Berlin verlagert worden sind . Der Rutschbahneffekt hat sich also
verstärkt - unabhängig davon, ob die Rutschbahn nun
umgeworfen wurde oder sich das Rutschen beschleunigt
hat -, und mit diesem Prozess muss man sich eben auseinandersetzen .
Ich bin der Bundesbauministerin und Umzugsbeauftragten, Frau Hendricks, sehr dankbar - das sage ich ausdrücklich -, dass sie einen Statusbericht vorgelegt hat,
mit dem man eben nicht dazu verleitet wird, nur über
teilungsbedingte Kosten zu sprechen; denn dann könnte
man sehr leicht dem Fehler der Linken erliegen, Reisekosten mit anderen Kosten zu verwechseln . Wenn man
den Teilungskostenbericht genau gelesen hätte, dann
wüsste man, dass es in Wirklichkeit weniger sind als die
erwähnten 7 Millionen Euro pro Jahr . Die Reisekosten
könnte man auch noch in Bezug setzen zu den Milliarden
Euro an Investitionen für neue Betonbauten, die man in
Berlin hätte errichten müssen, um dort irgendwelche Arbeitsplätze unterzubringen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 25 Jahren
können wir natürlich ganz anders auf die geteilte Regierungsfunktion schauen; denn heute hat man durch die
Chancen, die die Digitalisierung bietet, noch viel mehr
Möglichkeiten . Dass man sagen kann, dass die Region
Bonn profitiert hat und internationaler Standort ist, hängt
eng damit zusammen, dass man entsprechende Regierungsfunktionen, vor allen Dingen auf dem Gebiet der
Entwicklungszusammenarbeit, gezielt in Bonn angesiedelt hat . Die UN ist hier ein gutes Beispiel . Sie ist als eine
internationale Organisation dank der Reisemöglichkeiten
und der technischen Möglichkeiten der Digitalisierung,
die heute noch viel stärker als in der Vergangenheit gegeben sind, gekommen . Dazu hat auch beigetragen, dass
sich zum Beispiel der Bonner Bundestagsabgeordnete
Ulrich Kelber in der Vergangenheit immer wieder gemeinsam mit allen anderen in der Region dafür eingesetzt hat, dass dieser Pfad des Erfolges weiter beschritten
wird .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns all
das nicht einfach zur parteipolitischen Profilierung nutzen . Lassen Sie uns nicht wie die Linken, die gesagt haben: „2020 wird der Regierungsumzug vollzogen sein“,
die Beschäftigten verunsichern . Wenn man einem solchen Antrag folgen würde, dann hieße das, dass morgen
die Umzugswagen vorfahren müssten . Dadurch würden
wir das umwerfen, was wir in der Region Bonn für die
Bundesrepublik Deutschland gemeinsam erreicht haben .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Danke, Sebastian Hartmann . - Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8130 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit liegen soll . - Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich bitte, die Plätze zu tauschen und gleich wieder einzunehmen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt
aufrufen kann . Es handelt sich um den Tagesordnungspunkt 14 sowie den Zusatzpunkt 7:
14 . Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten ({0})
Drucksache 18/9982
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung - Nachhaltigkeitsberichte wirksam und
aussagekräftig ausgestalten - Umsetzung der
CSR-Richtlinie
Drucksache 18/10030
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe Ulrich Kelber,
dem Parlamentarischen Staatssekretär aus Bonn, das
Wort .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eine Anmerkung an dieser Stelle: Mein Dienstsitz als Abgeordneter ist in Berlin . - Stichwort „Transparenz“: Transparenz vor allem dort, wo es darauf ankommt, ist das zentrale Anliegen der Bundesregierung
und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz .
Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf wird die sogenannte CSR-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt .
CSR steht für Corporate Social Responsibility, also für
die Verantwortung von Unternehmen für die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Gesellschaft . Wir
bringen mit dem Gesetzentwurf verbindliche Regelungen für mehr Transparenz im Bereich der unternehmerischen Verantwortung auf den Weg .
Der vom Bundesminister Heiko Maas vorgelegte Gesetzentwurf verpflichtet große, am Kapitalmarkt tätige
Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern dazu, in ihren
Lage- bzw . Konzernlageberichten künftig verstärkt auch
sogenannte nichtfinanzielle Themen darzustellen.
Erforderlich werden da vor allem Angaben über wesentliche Risiken und Konzepte der Unternehmen zu
Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, die Achtung der Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung .
Dort, wo es relevant und verhältnismäßig ist, müssen
auch Angaben zu den globalen Lieferketten erfolgen .
Darüber hinaus regeln wir, dass bestimmte börsennotierte Unternehmen ihre Erklärung zur Unternehmensführung durch präzise Angaben zu den Diversitätskonzepten für ihre Leitungsorgane ergänzen müssen .
Schließlich erweitern wir im Handelsbilanzrecht heute schon bestehende Straf- und Bußgeldvorschriften und
heben auch den bisherigen maximalen Bußgeldrahmen
deutlich an .
Wir wollen einen Anreiz schaffen, CSR-Themen und
die damit verbundenen Risiken, Konzepte und Prozesse
noch stärker in die Unternehmensführung einbinden zu
lassen . Der Gesetzentwurf leistet damit einen wichtigen
Beitrag für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen . Wir stärken zugleich auch
das Vertrauen von Investoren sowie Verbraucherinnen
und Verbrauchern in die Unternehmen .
Viele Unternehmen haben schon heute erkannt, dass
Chancen für sie damit verbunden sind, ihre Aktivitäten
für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen . Wir haben
zahlreiche Beispiel von deutschen Unternehmen, die
bereits heute gezielt Nachhaltigkeitsberichte vorlegen,
auch um sich im Wettbewerb um Kunden und Investoren zu positionieren . Wir gehen mit dem Gesetzentwurf
einen Schritt weiter und schaffen eine verbindliche, aber
ausgewogene Berichtspflicht.
({0})
Die Neuregelungen sollen bereits für im Jahr 2017
beginnende Geschäftsjahre wirksam werden . Wir haben
uns vor diesem Hintergrund auf die durch die Richtlinie
veranlassten Änderungen konzentriert und gemeinsam
entschieden, andere Anliegen nach Möglichkeit außerhalb des engen Zeitplanes der Umsetzung der europäischen Richtlinie zu prüfen .
Meine Bitte ist: Lassen Sie uns den Gesetzentwurf
zügig beraten, die Richtlinie rechtzeitig umsetzen und
damit die neuen Transparenzvorgaben rechtzeitig für das
Geschäftsjahr 2017 in Kraft setzen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Ulrich Kelber . - Nächste Rednerin:
Karin Binder für die Linken .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Große
Unternehmen sollen ab 2017 in ihren Geschäftsberichten
nicht mehr nur über ihre Finanzsituation informieren . Sie
sollen künftig auch öffentlich machen, wie sie die Einhaltung von Menschenrechten, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechten gewährleisten und wie sie ihre Geschäfte
und das Unternehmen gegen Korruption schützen .
Mit der Berichterstattung zur Corporate Social Responsibility, also unternehmerischen Sozialverantwortung, kurz CSR, sollen Konzerne über die Wahrnehmung
ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung Auskunft geben . Insbesondere deutsche Unternehmen haben
hier aufgrund ihrer weltweiten Handelsbeziehungen, aufgrund multinationaler Liefer- und Produktionsketten eine
besondere Verpflichtung.
({0})
Wer mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung Profite macht, hat kein legales Geschäftsmodell
und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden .
({1})
2015 wurde in einer internationalen Studie der Universität Maastricht festgestellt, dass 87 deutsche Unternehmen direkt oder indirekt im Ausland Menschenrechtsverletzungen begangen oder zugelassen haben . Das dürfen
wir nicht hinnehmen .
({2})
Eines möchte ich ganz klar sagen: Für die Linke ist die
Einhaltung von Menschenrechten nicht verhandelbar .
Es wird dabei offensichtlich, dass wir uns auf freiwillige Maßnahmen und Selbstverpflichtungserklärungen
der Unternehmen nicht verlassen können . Das zeigt leider auch das Textilbündnis von Entwicklungsminister
Müller . Der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“, durch den unwürdige Arbeitsbedingungen
in der Bekleidungsbranche aufgezeigt und verbessert
werden sollten, wurde durch das CDU-geführte Finanzministerium ganz im Sinne der Wirtschaft weichgespült .
Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die Interessen
der Wirtschaft über die gesellschaftlichen und umweltpolitischen Interessen der Menschen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Er fällt hinter zentrale Forderungen der Europäischen Richtlinie zurück . Das ist für
die Linke nicht akzeptabel
({3})
und sollte auch von diesem Parlament nicht hingenommen werden . Von 11 200 großen Unternehmen
in Deutschland werden nach diesem Gesetz nur etwa
300 Unternehmen verpflichtet sein, ihre Geschäftstätigkeit nach den genannten Kriterien offenzulegen und
über die gesellschaftlichen Folgen ihrer Aktivitäten zu
berichten . Nur börsennotierte Unternehmen mit mehr als
500 Beschäftigten werden von diesem Gesetz erfasst .
({4})
Durch diesen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich fallen zum Beispiel große Lebensmittelkonzerne
wie Lidl, Edeka, Aldi oder auch der dm-Drogeriemarkt
durch den Rost . Sie lassen zwar weltweit produzieren,
sind aber nicht zur Offenlegung verpflichtet. Aber genau
diese Unternehmen werden regelmäßig für die schlechten Produktionsbedingungen ihrer Eigenmarken in fernen Erzeugerländern kritisiert .
Die Linke fordert deshalb, dass alle deutschen Unternehmen, die im globalen Handel tätig sind, gesetzlich
verpflichtet werden müssen und menschenrechtliche
Sorgfalt in den Handelsbeziehungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette garantieren müssen .
({5})
Die Linke fordert auch, dass der Geltungsbereich des
Gesetzes auf Unternehmen ab 250 Beschäftigten erweitert werden sollte, unabhängig davon, ob sie an der Börse
notiert sind oder nicht .
Nicht zuletzt sollte das CSR-Gesetz auch einer besseren Verbraucherinformation dienen . Daher müssen die
Berichte in verständlichen Worten verfasst werden . Und
aus verbraucherpolitischer Sicht brauchen wir eine Berichtsform, die Vergleiche verschiedener Unternehmen
ermöglicht .
({6})
Der vorliegende Gesetzentwurf weist eine leider noch
lange Liste von Mängeln auf, die ich jetzt nicht mehr aufzählen kann . Die Linke fordert aber die Koalition auf, im
Sinne weltweiter Einhaltung von Menschenrechten, des
Schutzes der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte deutliche Korrekturen an diesem Gesetzentwurf vorzunehmen .
Deutschland ist eine der mächtigsten Marktwirtschaften der Welt . Wir könnten viel bewegen, wenn wir denn
wollten .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, Karin Binder . - Nächster Redner in der
Debatte: Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Corporate Social Responsibility - wir haben es gerade
schon vom Staatssekretär gehört - beschreibt die Tatsache, dass Unternehmen nicht nur ihren Eigentümern gehören, sondern in vielfältiger Weise auch zu anderen Bezugsgruppen in intensiver Beziehung stehen . Zu nennen
sind erst einmal die Arbeitnehmer; aber die Unternehmen
haben auch - positiven oder negativen - Einfluss auf die
Umwelt, und sie können durch ihre Zulieferketten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen auch in anderen Ländern haben .
All das sind wichtige Faktoren, die den Wert eines
Unternehmens nicht zwingend für die Eigentümer, wohl
aber für uns, für die Gesellschaft, ausmachen . Hierüber
mehr zu wissen, ist deshalb ein berechtigtes Anliegen
eben dieser unserer Gesellschaft, das man verfassungsrechtlich als Teil der Sozialpflichtigkeit des Eigentums
ansehen kann . Die bislang fehlende Offenlegung ist aber
sicher auch der Tatsache geschuldet, dass es hier um Faktoren geht, die man bilanziell - ich sage das bewusst - als
„weiche“ Faktoren bezeichnet .
Die Europäische Union unternimmt deshalb mit der
Richtlinie, die durch das Gesetz umgesetzt werden soll,
zu Recht den Versuch, die Art und Weise der Berichterstattung über diese Informationen europaweit anzuordnen und zu harmonisieren . Sie tut das, indem sie die
Offenlegung der maßgeblichen Informationen als Teil
des Jahresabschlusses verlangt, was insoweit durchaus
richtig ist, als aus den genannten Sachverhalten Risiken
aber eben auch Chancen für die Unternehmen resultieren
können, die auch heute schon Gegenstand des Lageberichts im Jahresabschluss sind .
Deshalb sieht der Regierungsentwurf vor - Herr
Kelber hat das eben schon gesagt -, dass kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern
bestimmte, sogenannte nichtfinanzielle Angaben in die
Bilanz aufnehmen müssen . Es gibt die Möglichkeit, in
bestimmten Fällen auf diese Angaben zu verzichten,
wenn entweder diese zu erheblichen Nachteilen führen
könnten oder man das konzernweit zusammenfasst .
Bei alledem sollte aber nicht übersehen werden, dass
wir in Deutschland mit der unternehmerischen Mitbestimmung schon heute Stakeholder-Interessen in einem
Maße einbeziehen, das im internationalen Vergleich keineswegs selbstverständlich ist .
({0})
Zu erinnern ist zudem daran, dass der Aufsichtsrat nach
§ 171 Aktiengesetz den Jahresabschluss einschließlich
der jetzt neu einzuführenden Angaben zu prüfen hat und
dass auch auf diesem Wege Stakeholder - bei mitbestimmten Unternehmen vor allen Dingen die Arbeitnehmer - ihre Sicht der Dinge transparent in die erweiterte
Berichterstattung des Jahresabschlusses einfließen lassen
können und müssen .
Bei allem Verständnis für das Interesse an zusätzlichen Informationen darf nicht übersehen werden,
({1})
dass deren Beschaffung und Zurverfügungstellung für
die Unternehmen einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand darstellt .
({2})
- Frau Künast, auf Ihren Antrag komme ich gleich noch
zu sprechen . - Deshalb ist es richtig, dass kleine und
mittlere Unternehmen nicht von der Berichtspflicht umfasst werden, dass keine weiteren Themen - jedenfalls
im Augenblick; Herr Kelber hat das angesprochen - in
den Gesetzentwurf aufgenommen werden, insbesondere
nicht die Frage des Verbraucherschutzes, und dass die
Angaben zur Corporate Social Responsibility nicht von
einem externen Prüfer auf inhaltliche Richtigkeit überprüft werden müssen .
Dieser zutreffende Ansatz hinsichtlich der Einschränkungen muss aber noch ein bisschen nachgezeichnet
werden . Denn zunächst fehlt die entsprechende Konkretisierung bzw . Einschränkung im sogenannten Enforcement-Verfahren . Zudem wird diese Beschränkung
derzeit noch dadurch konterkariert, dass bei einer freiwilligen externen Überprüfung des Berichts das Ergebnis dennoch offenzulegen ist . Auch darüber müssen wir
nachdenken . Schließlich ist es möglich, dass über eine
Anfechtungsklage eine Prüfung erzwungen wird . Damit
wird der Ansatz im Ergebnis konterkariert . Wir müssen
auch darüber nachdenken, ob das wirklich so gewollt ist .
Was die teilweise geforderten Angaben zum Verbraucherschutz anbelangt, kann man nur sagen, dass ihre
Verortung im Jahresabschluss systemfremd wäre . Denn
von einem Unternehmen kann nicht gleichzeitig die Gewinnerzielung verlangt werden - denn das ist es, wofür
Gesellschaften da sind - und auf der anderen Seite die
Berücksichtigung der Interessen der Marktgegenseite .
({3})
Ein richtiger Ansatz ist hier vielmehr, dass diese Aufgabe
wie bisher durch unabhängige dritte Institutionen wie die
Stiftung Warentest oder durch Gütesiegelgemeinschaften
wahrgenommen wird . Auch darüber haben wir schon einiges gehört .
Dass die Kosten im Übrigen zu gering angesetzt sind,
hat der BDI zu Recht angeführt .
Jetzt, Frau Künast, zu Ihrem Antrag: Mit den in ihm
enthaltenen Forderungen - Sie werden diese sicher
gleich vortragen - nach einer deutlichen Ausweitung des
Anwendungsbereichs des Gesetzes und vor allem einer
erheblichen Zahl weiterer Vorgaben für den Inhalt der
Berichtspflicht einschließlich der Notwendigkeit einer
externen Prüfung zeigen Sie völliges Unverständnis für
die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen . Ich
würde mich fragen, ob Ihre Kollegen in Hessen und Baden-Württemberg das genauso sehen . Wir werden diesen
Antrag jedenfalls ablehnen, und ich freue mich auf die
weiteren Beratungen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Dr . Hirte . - In der Tat, die nächste Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen .
Ach ja, ich fange doch einmal mit etwas Positivem an .
Es ist gut und richtig, dass Unternehmen zukünftig nicht
nur über betriebswirtschaftliche, sondern auch über ökologische und soziale Aspekte ihrer Tätigkeit berichten
müssen . Transparenz ist ja der erste Schritt zur Verhaltensänderung . Meine Damen und Herren, das gilt nicht
nur für Unternehmen, sondern logischerweise auch für
die Kunden, die kaufen . Wir wollten doch Verhaltensänderung, oder?
Der Punkt ist doch: Wir haben mit den Sustainable
Development Goals, also den Zielen für nachhaltige Entwicklung im Rahmen der UN, und mit den Klimazielen
von Paris einen ganz klaren Auftrag für Nachhaltigkeit .
Diese müssen wir herstellen . Nachhaltigkeit fällt nicht
vom Himmel .
({0})
Das muss sich in einem Gesetzesvorhaben widerspiegeln . In dieser Hinsicht ist der vorliegende Gesetzentwurf extrem dürftig . Wenn es etwas nachzubessern
gilt, dann muss es in die andere Richtung gehen, Herr
Hirte . Hier setzt meine Kritik an . Sie haben die Chance
verpasst, Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit zusammenzubringen . Damit verpassen Sie auch die
Chance, den deutschen Unternehmen die Möglichkeit zu
geben, vorne zu sein und zu sagen: Wir haben uns schon
die entsprechenden Produkte, Produktionsstufen und
Transportwege ausgedacht . Wir produzieren so, dass die
Sustainable Development Goals und die Klimaziele berücksichtigt werden . - Vielleicht würde das sogar zum
Kauf von so hergestellten Produkten animieren . Insofern
verstehe ich gar nicht, warum Sie so zögerlich sind .
Sie sagen immer, dass Sie europäisches Recht eins zu
eins umsetzen wollen . Das tun Sie hier aber gar nicht .
Vielmehr beschränken Sie es noch . Ein Beispiel: Sie
haben nicht vorgeschrieben, dass generell über alle wesentlichen Risiken für Mensch und Umwelt zu berichten
ist. Stattdessen gilt die Berichtspflicht nur dann, wenn einem Unternehmen Gewinneinbußen drohen . Ich möchte
das Unternehmen kennenlernen, das sagt: Wir lassen in
Bangladesch, Myanmar und China unter so schlechten
Bedingungen produzieren, dass bald eine Umwelt- oder
eine Menschenrechtsgruppe darauf kommen und uns öffentlich bloßstellen wird, und deshalb wird es Gewinneinbußen geben . - Noch nicht einmal wir glauben, dass
Unternehmen zugeben, dass aus diesem Grund Gewinneinbußen drohen . Das EU-Recht schreibt übrigens Gewinneinbußen als Kriterium nicht vor .
Sie gehen sogar noch weiter und sagen, dass sehr
wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen
vorhanden sein müssen . Die EU-Richtlinie spricht aber
nur von wahrscheinlich schwerwiegenden Auswirkungen . Sie setzen das EU-Recht also nicht eins zu eins um,
sondern geben den Unternehmen sogar noch Futter, damit sie über noch weniger Bereiche berichten müssen . Es
geht hier aber um Menschenrechte und ökologische Ziele, die sich die Unternehmen selber stecken . Ich verstehe
daher nicht, warum Sie das derartig beschränken . Sie von
der Partei mit dem C im Namen sagen doch immer, dass
Sie das alles interessiert . Vor diesem Hintergrund kann
ich diese Begrenzung nicht verstehen .
Schauen wir uns den Anwendungsbereich an; den haben wir schon in unserem Antrag dargelegt . Der Anwendungsbereich ist unseres Erachtens völlig unzureichend .
Nach Ihrem Entwurf müssen nur kapitalmarktorientierte
Gesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern berichten .
Das sind circa 300 Unternehmen . Aber was ist mit Aldi,
Rewe, dm und Lidl, die weltweit produzieren lassen und
einkaufen? Wenn die Mitglieder der Ausschüsse dieses
Hauses irgendwohin fahren - nach Myanmar, Bangladesch, China oder Vietnam zum Beispiel -, dann finden
sie all diese Unternehmen vor . Warum sollen solche Unternehmen nicht der Berichtspflicht unterliegen und darlegen müssen, ob sie die Arbeitnehmerrechte der International Labour Organisation einhalten? Warum soll es eine
entsprechende Berichtspflicht für solche Unternehmen
nicht geben? Ich verstehe das nicht .
({1})
Ich habe noch Ferrero vergessen . Aber dieses Unternehmen ist ohnehin mit Ihnen verbunden . Daher verwundert
mich das dann doch nicht .
Wir sind der Meinung, dass auch diejenigen großen
Unternehmen berichtspflichtig sein müssen, die von
öffentlichem Interesse sind . Nach unserer Auffassung
sollten auch Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern dieser Pflicht unterliegen. Sie haben weder hier für
Klarheit gesorgt noch klare ökologisch-soziale und menschenrechtliche Kriterien geschaffen . Sie haben noch
nicht einmal ein Rahmenwerk vorgegeben, nach dem zu
berichten ist . Jeder kann munter etwas berichten . Aber so
ist es nicht vergleichbar . Was sollen denn die Kunden mit
den Informationen eigentlich anfangen? Meine Damen
und Herren von der Koalition, Sie müssen vorschreiben,
dass nach einem bestimmten Rahmenwerk, beispielsweise nach den Regeln der Global Reporting Initiative,
nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder den
OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, zu
berichten ist . Erst dann kann man Vergleiche ziehen und
sich entscheiden .
Herr Hirte, Sie haben zudem auf die externen Prüfer
verwiesen . Wer sonst sollte prüfen?
Die Redezeit!
Es muss sich um externe und finanziell unabhängige
Prüfer handeln .
Frau Kollegin!
Letzter Satz .
Ja, bitte .
Die Unternehmen dürfen sich nicht zusammentun und
ein Überprüfungsinstitut gründen, das dann externe Prüfer zur Verfügung stellt .
Mit dem dünnen Gesetz, dessen Entwurf vorliegt,
werden wir nichts für Ökologie und Menschenrechte tun .
({0})
Vielen Dank, Renate Künast . - Nächster Redner:
Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur Umsetzung der CSR-Richtlinie soll das Vertrauen der Verbraucherinnen und der Verbraucher, aber eben
auch der Investoren durch Transparenz gestärkt werden .
Der beschlossene Gesetzentwurf will, dass Unternehmen nachhaltig wirtschaften, mehr gesellschaftliche
Verantwortung übernehmen und ihr unternehmerisches
Handeln transparent machen . Damit soll für die Investitions- und die Kaufentscheidung eine bessere Grundlage
geschaffen werden .
Besonders hervorzuheben ist die Berichtspflicht, die
eine Berichterstattung über Umwelt-, Arbeitnehmer- und
Sozialbelange, also auch über die ILO-Kernarbeitsnormen, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung konkret verankert .
Das bedeutet endlich, dass Unternehmen dann gegebenenfalls über die Zusammensetzung und die Qualität
ihrer internationalen Lieferketten in ihrem Lagebericht
informieren müssen .
Zwei Feststellungen sind für mich im Zusammenhang
mit dieser Richtlinie besonders wichtig .
Erstens . Wir verabschieden uns mit diesem Gesetz
von der alten Vorstellung, dass unternehmerisches Handeln und soziale Verantwortung, dass Ökonomie und
Ökologie Gegensatzpaare sind, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen . Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass man nur eines sein kann: entweder wirtschaftlich
erfolgreich oder sozial verantwortlich . Das ist falsch .
({0})
Die CSR-Richtlinie ist die gesetzgeberische Weiterentwicklung der Feststellung, dass Transparenz eine unternehmerische Managementmethode ist, eine Managementmethode, die Verantwortung und Erfolg miteinander
verbindet .
Zweitens . Es ist die Umsetzung einer europäischen
Richtlinie . Bis zum Jahresende werden eben auch alle
anderen europäischen Mitgliedstaaten diese Richtlinie
umsetzen . Das schafft Wettbewerbsgerechtigkeit und
Transparenz für ganz Europa . Das ist eine echte europäische Erfolgsgeschichte, die heute, aber auch in Zukunft
fortzuschreiben sich lohnt .
Ein Satz zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen . Dort sind Forderungen enthalten, die durchaus nachdenkenswert sind .
({1})
Beispielhaft seien hier die Forderungen hinsichtlich des
Anwendungsbereichs der Richtlinie und der Vergleichbarkeit - das fand ich besonders interessant - der Berichte
durch Standardisierung genannt . Auch die SPD-Fraktion
hat die Absicht, weiteren Ergänzungsbedarf im parlamentarischen Verfahren zu besprechen . Beispielhaft sei
hier der Verbraucherschutz im Hinblick auf Datenschutz
genannt, aber auch der Beschäftigtendatenschutz . Wir
finden außerdem, dass die UN-Leitlinien für Wirtschaft
und Menschenrechte durchaus als verbindlicher Bezugsrahmen wörtlich genannt werden könnten .
Wie Sie sehen, gibt es eine Menge im bevorstehenden
Verfahren zu prüfen und zu besprechen . Ich freue mich
deshalb auf die Beratungen im Ausschuss .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Schönen
Abend noch .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Hakverdi . - Der letzte
Redner in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft hat weltweit,
will ich sagen, einen guten Ruf . Deutsche Unternehmen
stehen für Qualität, ja, sie sind beispielgebend für Zuverlässigkeit und für Leistungsfähigkeit . Wenn sich deutsche Unternehmen weltweit an ihrer Leistungsfähigkeit
messen lassen, dann ist es nur gut und richtig, dass sich
deutsche Unternehmen auch daran messen lassen, wie sie
denn mit nichtfinanziellen Aspekten umgehen.
Es ist berechtigt, Unternehmen die Frage zu stellen,
wie sie zum Beispiel die Umweltbelange an internationalen Standorten realisieren, unter welchen Bedingungen
Arbeitnehmer an internationalen Standorten und in der
Lieferkette produzieren und für das Unternehmen arbeiten . Es ist gut, dass dort die sozialen Bedingungen hinterfragt werden und die Frage formuliert wird, ob die Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheitsbelange, das Recht
der Gewerkschaften oder zum Beispiel der Arbeitsschutz
beachtet werden . Diese Fragen sind umso wichtiger, als
wir uns vergegenwärtigen müssen, dass wir in einer globalisierten Welt leben und letztendlich fast jedes große
Unternehmen international produziert oder internationalen Handel betreibt .
Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass
wir heute in dieser ersten Lesung die Umsetzung der
CSR-Richtlinie debattieren. Das Kernstück ist die Pflicht
zur Aufnahme nichtfinanzieller Aspekte in den Lagebericht . Es ist also fortan im Lagebericht nicht nur über
betriebswirtschaftliche, über finanzielle Aspekte zu berichten, sondern eben auch über die Aspekte, wie ich
sie vorhin skizziert habe . Die Idee dabei ist, dass wir
damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die
Unternehmen, das Vertrauen der Verbraucherinnen und
Verbraucher sowie der Investoren stärken . Wenn dann
entsprechende Transparenz hergestellt ist, sollten Verbraucherinnen und Verbraucher auch die Möglichkeit
haben, Handlungsweisen zu hinterfragen und auf Unternehmen einzuwirken .
Ich will aber an der Stelle auch deutlich machen, dass
das nur ein Baustein sein kann . Denn wir sollten uns nicht
der Illusion hingeben, dass in Zukunft jeder Verbraucher
in den Lagebericht gucken wird, sondern es bedarf weiterhin vieler anderer Bausteine, um auch beim Verbraucher die notwendige Sensibilität zu erzeugen .
Ich will an der Stelle noch einen zweiten Aspekt ansprechen, weil er einfach gut passt . Dieser stach mir bei
der Lektüre des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen direkt ins Auge. Ich finde den Antrag an einer Stelle tatsächlich gelungen . Denn da lassen Sie durchblicken, dass
sie durchaus verstanden haben, dass Unternehmen, wenn
sie weltweit produzieren bzw . weltweit platziert sind, in
der Lage sind, unsere deutschen bzw . europäischen Standards in die Welt hinauszutragen . Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen und von den Linken, ist
aber die große Chance von Freihandel . Das ist auch die
große Chance von TTIP und CETA . Das zu sagen, lasse
ich mir an dieser Stelle nicht nehmen .
({0})
Deswegen ist mein Appell an dieser Stelle, dass Sie dann
bitte auch die Diskussion um TTIP und CETA in Zukunft
angereichert durch diese Erkenntnis führen .
({1})
Herr Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage?
Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin .
Wenn die Argumente in sich nicht schlüssig sind, habe
ich halt ein Problem . - Sie sagen Folgendes: Wenn wir
den Handel und die Produktion in alle Welt hinaustragen, würden wir doch gerade die deutschen bzw . europäischen Standards in die Welt bringen . Wie passt das
eigentlich damit zusammen, dass die Unternehmen in
Deutschland - insbesondere die, die an dieser irgendwie nicht zum Ergebnis kommenden Textilbündnisrunde
des CSU-Ministers Müller beteiligt sind - immer sagen:
„Nein, wir können aber gar keinen Einfluss nehmen in
Bezug auf die Frage, ob in Bangladesch die ILO-Arbeitsnormen eingehalten werden oder das Wasser nach dem
Färbeprozess so gereinigt wird, dass keine gesundheitlichen Schäden entstehen“? Das passt doch irgendwie
nicht zusammen .
Auf der einen Seite sagen die Unternehmen, es dürfe keine bindenden Regeln geben, weil sie das gar nicht
selber bestimmen können . Sie dagegen behaupten jetzt
auf der anderen Seite, mit Freihandel würde sich das
automatisch ergeben . Wer hat denn nun recht? Sie oder
Ihr Minister, der sich darauf einlässt, dass das angeblich
nicht geht?
Herr Hoffmann, bitte .
Frau Kollegin, ich muss eines richtigstellen . Offensichtlich haben Sie mir nicht richtig zugehört . Ich habe
lediglich davon gesprochen, dass bezüglich dieser Themenstellung Freihandel immer eine Chance ist . Denn
wenn deutsche oder europäische Unternehmen international platziert sind bzw . internationale Handelsbeziehungen unterhalten, haben wir die Möglichkeit, auch Standards im Arbeitsschutz zu transportieren . Dann haben
wir die Möglichkeit, auch Standards in Umweltbelangen zu platzieren . Sie unterstellen mir gerade, ich hätte
irgendetwas behauptet . Wenn Sie zugehört hätten, wäre
Ihre Formulierung eine andere gewesen .
({0})
Liebe Frau Kollegin Künast, ich komme jetzt auch im
Rahmen meiner Rede zu Ihnen . Denn im letzten Drittel
meiner Rede möchte ich mich mit Ihren Argumenten auseinandersetzen . - Wenn Sie mir zuhören würden, hätten
wir vielleicht die Möglichkeit, noch einmal einen kleinen
Dialog zu führen .
Sie haben wieder behauptet, dass der vorliegende Gesetzentwurf hinter der Richtlinie zurückbleiben würde .
Denn Sie sagen eben, dass der vorliegende Gesetzentwurf nur die Beschreibung der nichtfinanziellen Aspekte
erfordert, die zugleich auch Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und die Lage des Unternehmens haben .
Damit ginge es letztendlich doch wieder nur um finanzielle Rahmenbedingungen .
Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht, die Formulierungen abzugleichen . Ich will sie ganz kurz vortragen .
Es steht nämlich im Gesetzentwurf, dass diejenigen
nichtfinanziellen Aspekte zu schildern sind, die - jetzt
das Zitat - für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des
Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft
sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die in Absatz 2 genannten Aspekte erforderlich sind …
Und in der Richtlinie steht:
Nichtfinanzielle Erklärungen müssen diejenigen
Angaben enthalten, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage
des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner
Tätigkeit erforderlich sind .
Das ist fast wortwörtlich dieselbe Formulierung, und
trotzdem behaupten Sie an dieser Stelle etwas anderes .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir
werden noch viel Diskussionsbedarf haben . Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses spannende Thema in den
weiteren Beratungen deutlich voranbringen werden, und
bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank, Alexander Hoffmann . - Damit schließe
ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/9982 und 18/10030 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Lateinamerika unterstützen - Absetzung der Präsidentin Brasiliens missbilligen
Drucksache 18/10013
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Auch da höre
und sehe ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Die Plätze bitte einnehmen, weil es schon sehr spät ist .
Ich beginne die Aussprache und gebe das Wort
Wolfgang Gehrcke für die Linke .
({1})
Danke sehr, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns sehr darum bemüht,
die Bundesregierung zu ermuntern, zu dem geplanten
EU-Lateinamerika-Gipfel, wenngleich auch nicht auf der
Ebene der Regierungschefs, sondern der Außenminister,
eine Regierungserklärung abzugeben . Wenn man weiß,
welche Bedeutung Lateinamerika in der Zusammenarbeit und bei den Anstrengungen zur Bekämpfung von
Hunger und Armut hat, wäre das durchaus angemessen
gewesen . Man muss den Ländern Lateinamerikas mehr
anbieten können als nur diese unsäglichen Debatten über
Freihandelsverträge .
({0})
Das hätten wir gerne gehabt . Die Regierung wollte das
nicht . Deswegen haben wir mit einem eigenen Antrag im
Vorwege ein paar Vorschläge eingebracht . Ich will das
zuspitzen auf drei Länder, die aber exemplarisch stehen .
Das erste Land ist Kuba . Die Beziehungen zwischen
Deutschland und Kuba haben sich grundlegend verbessert. Das ist ein großer Vorteil. In Kuba findet ein Prozess
von wirtschaftlichen Reformen statt, von denen ich sehr
hoffe, dass sie nicht die sozialen Bindungen der Gesellschaft aufsprengen . Es ist ja noch nicht alles ausgemacht .
Ich glaube, dass wir auf dem Wege sind, eine kulturell
engere Zusammenarbeit zustande zu bringen, und ich
hoffe auch, dass das soziale Netz in Kuba immer tragfähiger wird - für alle Teile der Gesellschaft .
({1})
Wäre es nicht gut, das Beispiel Kubas, das auch damit verbunden ist, dass dieser sogenannte Gemeinsame
Standpunkt der Europäischen Union erledigt worden ist,
öffentlich zu diskutieren? Ich würde es gut finden. Ich
möchte auch ein klares Wort der Bundesregierung, dass
sie sich künftig bei Abstimmungen über die Frage, ob die
Blockade der USA gegenüber Kuba vollständig aufgehoben wird, auf die Seite der Gegner einer solchen Blockade schlägt . Das wollen wir hier diskutieren . Ich habe es
ungeheuer genossen, dass Obama Kuba besucht hat .
({2})
Bei diesem großen Konzert der Rolling Stones in Havanna wäre ich gerne dabei gewesen und viele andere auch .
Lassen Sie uns das gemeinsam ausbauen .
({3})
Von Kuba komme ich zum zweiten Land und kann nur
appellhaft sagen: Lassen Sie uns alles tun, um den Regierungschef Kolumbiens, den Präsidenten Santos, und die
FARC-Rebellen zu ermuntern, bei dem geschlossenen
Abkommen, das ja nicht von der Bevölkerung ratifiziert
worden ist, zu bleiben . Diese Wunde des Krieges in Lateinamerika muss unbedingt geschlossen werden .
({4})
Da könnten Deutschland und die Europäische Union
wirklich Einfluss nehmen und sagen: Wir wollen das, wir
unterstützen das .
Ich komme zum dritten Land - da appelliere ich insbesondere an die Fraktion der SPD -: Die Absetzung
von Dilma Rousseff in Brasilien war kein reguläres Verfahren . Die Putschisten in Lateinamerika kommen heute nicht mehr in Offiziersuniformen und Stiefeln daher,
sondern es sind Menschen in Nadelstreifenanzügen .
Zu dem neuen Präsidenten - ein illegaler Präsident,
wie ich finde - muss sich die Bundesregierung auch einmal erklären . Im Ausschuss ist meine Formulierung „Das
war ein Putsch“ von fast allen bis auf die CDU/CSU geteilt worden . Das habe ich auch nicht anders erwartet .
Der neue Präsident hat als Erstes angekündigt, die öffentlichen Ausgaben für die kommenden 20 Jahre einzufrieren und dadurch im Bildungs- und Sozialbereich
mehr als 100 Milliarden Euro einzusparen . Wissen Sie,
was das für ein Land wie Brasilien bedeutet, wo unter
Rousseff und Lula die Armut endlich bekämpft worden ist? Wenn man die öffentlichen Ausgaben einspart,
schlägt man wieder auf die Armen und Benachteiligten
der Gesellschaft ein. Ich finde, ein europäischer Protest
wäre mehr als angemessen . Ich hätte gerne von der Bundesregierung gehört, ob sie es macht oder nicht . Hoffen
wir einmal, dass sie sich einiges zu Herzen nimmt . Man
kann nicht in Kuba die Bedingungen verbessern und
dann sagen: Das größte Land der ganzen Region, das
prägend ist, interessiert uns nicht . - Ich meine, dass wir
gemeinsam in diese Richtung überlegen sollten .
Danke sehr .
({5})
Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke . - Das Wort hat
Dr . Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Brasilien befindet sich seit Ende 2015 in einer
schweren innenpolitischen Krise . Natürlich verfolgen
wir die Entwicklung in einem unserer wichtigsten Partnerländer in Lateinamerika sehr genau .
Mit Brasilien unterhalten wir seit 2008 - übrigens
als erstem Land in Lateinamerika - eine strategische
Partnerschaft . Im vergangenen Jahr fanden erstmals in
Brasilia hochrangige Regierungskonsultationen unter
Beteiligung der Bundeskanzlerin statt . Deutschland und
Brasilien haben in den letzten Jahren wichtige gemeinsame Initiativen unternommen, gemeinsam mit Indien und
Japan als G 4 für eine Reform der Vereinten Nationen
und eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrates, in der internationalen Klimaschutz- und Umweltpolitik, bei den
G 20, im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und
insbesondere in der Cyberpolitik . So haben beide Länder
gemeinsam eine Resolution zum Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter in die Generalversammlung der
Vereinten Nationen eingebracht, die erfolgreich verabschiedet wurde .
Dies alles zeigt: Unsere Regierungen haben auch unter der Präsidentin Dilma Rousseff in den letzten Jahren
eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet . Eine Reihe
von Kollegen aus diesem Hause sind Frau Rousseff bei
einem Besuch in Brasilia mit Außenminister Steinmeier
im vergangenen Jahr persönlich begegnet .
Allerdings hat die erst 2014 von den Wählern im Amt
bestätigte Präsidentin in kurzer Zeit einen dramatischen
Vertrauensverlust in der Bevölkerung erlitten . Wesentliche Ursache der Unzufriedenheit der Bevölkerung ist
die stärkste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten . Aber auch
die Vielzahl von Korruptionsskandalen untergräbt das
Vertrauen der Brasilianer in die Politik insgesamt, allen
voran die Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten Lula . Auch die bisherigen Oppositionsparteien gehen
nicht gestärkt aus der Krise hervor; denn sie sind selbst
zahlreichen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt . Die Demokratie in Brasilien droht daher, insgesamt Schaden zu
nehmen .
Die Unzufriedenheit mit der Regierung zeigte sich erneut im August . Die Arbeiterpartei der ehemaligen Präsidentin hatte bei den Kommunalwahlen eine verheerende
Niederlage erlitten . Die Präsidentin hat offensichtlich
den Rückhalt in Parlament und Bevölkerung weitgehend
verloren . Die Zustimmungswerte ihrer Amtsführung sanken von 80 Prozent im Jahr 2013 auf 10 Prozent im Jahr
2016 . Ursachen dafür sind vor allem mangelhaftes Krisenmanagement im Rahmen der Petrobras-Affäre, unzureichende Kommunikation politischer Entscheidungen
und nicht zuletzt unterlassene Reformen .
Die politischen Voraussetzungen für ein Misstrauensvotum waren also durchaus gegeben . Allerdings sieht die
brasilianische Verfassung dieses Instrument nur in der
Form eines Amtsenthebungsverfahrens vor . Zur Begründung wurden von der Parlamentsmehrheit Ungereimtheiten bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes angeführt .
Andere Begründungen, vor allem weitere Korruptionsvorwürfe, wurden nicht bis zum Ende weiterverfolgt . Ob
die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung in einer
engeren Auslegung sicher eher im Sinne strafrechtlicher
Verfehlungen damit erfüllt waren, ist umstritten . Kriminalisierung des politischen Gegners ist sicher grundsätzlich kein geeignetes Mittel der demokratischen Auseinandersetzung und gefährdet die politische Kultur .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche
Bundestag ist auch nicht der geeignete Ort für ein Fortgeschrittenenseminar zum brasilianischen Verfassungsrecht .
({0})
Wir sollten uns auch nicht die Rolle des brasilianischen
Verfassungsgerichts anmaßen .
Lieber Kollege Gehrcke, Sie sprechen in Ihrem Antrag
selbst von einem - ich zitiere - „formal regelgerechten . . .
Verfahren“ . Ich sage: Wie auch immer wir hier in diesem
Hause politisch die Personen, Prozesse und Entscheidungen jeweils bewerten, wir sind als Deutscher Bundestag
am Ende gut beraten, die mit großer Mehrheit getroffene
politische Entscheidung der demokratisch legitimierten
brasilianischen Abgeordnetenkammer und des Senats zu
respektieren .
Auch mit der neuen brasilianischen Regierung muss
uns an einer konstruktiven Zusammenarbeit gelegen
sein . Es wäre nämlich fatal, wenn sich der politische
Stillstand im Land noch bis zu den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018 hinziehen würde . Die Verantwortung
des neuen Präsidenten Temer wiegt daher schwer . Er
muss das Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen,
politische Gräben überwinden und Politik wieder konstruktiv gestalten . Die Rahmenbedingungen dafür sind
gar nicht einmal schlecht; denn es gibt Signale einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung . Der IWF berichtet,
Brasilien habe die Talsohle der Wirtschaftskrise bereits
durchschritten . Umso mehr braucht das Land natürlich
nun eine handlungsfähige und reformbereite Regierung,
die das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnt .
Aber, meine Damen und Herren, wenn man Ihren Antrag genauer liest und wenn man sich vergegenwärtigt,
wie Sie geredet haben - Kollege Gehrcke hat das ja noch
einmal unterstrichen -, wird deutlich: Es geht Ihnen im
Kern gar nicht um Brasilien . In Wahrheit wollen Sie die
Prozesse der demokratischen Veränderung in ganz Lateinamerika, vor allem in Venezuela und Argentinien, in
ihrer Gesamtheit diskreditieren .
Lateinamerika befindet sich in einem umfassenden
Prozess des Wandels . Viele der linken Regierungen sind
gescheitert und werden abgewählt . Die Wahlsiege der
Oppositionsparteien in Argentinien und Venezuela sind
daher Zeichen der Hoffnung . Dieser Wandel könnte sich
positiv auf den gesamten Kontinent auswirken und nicht,
wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, zu neuen Konflikten führen . Gerade der Reformkurs des neugewählten
argentinischen Präsidenten Mauricio Macri lässt auf eine
weitere positive Entwicklung und auf politische Stabilisierung im Land hoffen . In wenigen Monaten hat er den
Devisen- und Kapitalverkehr freigegeben, Außenhandelsschranken abgebaut und die seit dem Staatsbankrott
von 2001 verschleppten Schuldenkonflikte gelöst.
Wenn Sie wirklich Frieden, Demokratie und soziale
Gerechtigkeit in Lateinamerika unterstützen wollen, wie
es die Überschrift Ihres Antrags besagt, dann sollten wir
uns hier vor allem mit der katastrophalen Lage in Venezuela beschäftigen; denn dort ist der Sozialismus des
21 . Jahrhunderts der Herren Chávez und Maduro genauso gescheitert wie der des 20 . Jahrhunderts, für den Sie
nach wie vor stehen, und hat das Land ins Chaos gestürzt .
({1})
Aus einer Wirtschaftskrise mit einer katastrophalen
Versorgungslage bei Lebensmitteln und Medikamenten
ist eine veritable Verfassungskrise geworden . Die Bevölkerung leidet unter der akuten Mangelwirtschaft, und
die Rechte der demokratischen Opposition, die seit Ende
letzten Jahres über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt, werden systematisch eingeschränkt . Das
Referendum zur Abwahl des Präsidenten wurde bewusst
verzögert, um die Chavisten an der Macht zu halten .
Sie befürchten gemäß Ihrem Antrag, dass auch in Venezuela davon auszugehen ist - ich zitiere -, „dass ein
Regierungswechsel eine grundlegende Neuausrichtung
der Wirtschaftspolitik, auch der Außenwirtschaftspolitik,
zugunsten neoliberaler Konzepte und der Orientierung
auf Freihandel mit sich bringen würde“ . Da kann ich
nur sagen: Gerade im Sinne der betroffenen Menschen
in diesem von den Chavisten heruntergewirtschafteten
Land wäre das doch sehr zu hoffen .
Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur ermutigen, auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft, aber auch auf verstärkte
Zusammenarbeit und regionale Integration zu setzen .
Auch der Diskussion um ein Freihandelsabkommen mit
der EU könnte dies neue Impulse geben . Umso mehr
bleibt zu hoffen, dass Brasilien als größtes Land und
wichtigste Volkswirtschaft in Lateinamerika auch künftig als stabile Demokratie mit einem klaren Bekenntnis
zu nachhaltigem Wachstum und einer von Zusammenhalt
geprägten Gesellschaft seiner Verantwortung in der Region gerecht wird .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Dr . Andreas Nick . - Nächster Redner:
Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt eine Rede gehört, in der erzählt wurde, warum
die einen in Brasilien recht haben - ich teile vieles von
dem, was gesagt worden ist -, und zuvor haben wir eine
Rede gehört, in der erläutert wurde, warum die anderen
recht haben .
Am 2 . Oktober dieses Jahres fand in Brasilien die erste Runde der Kommunalwahlen statt . Man muss wissen:
In Brasilien gibt es 145 Millionen Wahlberechtigte, und
es gibt eine Wahlpflicht. Wer nicht zur Wahl geht, muss
eine Geldstrafe zahlen, kann den Beamtenstatus verlieren oder darf keinen Reisepass beantragen . Es gibt also
wirklich harsche Strafen . Das Ergebnis war historisch,
und zwar nicht nur, weil die Wahl eine Niederlage für die
Arbeiterpartei bedeutete - auch in ehemaligen Hochburgen wie Sao Paulo; das ist eben schon gesagt worden -,
sondern auch, weil die Wahlbeteiligung historisch niedrig war . Die Wahlbeteiligung lag unter 80 Prozent, über
ein Fünftel der Bevölkerung war also bereit, die von mir
genannten Sanktionen auf sich zu nehmen . Da stellt sich
doch die Frage: Wo kommt diese unglaublich große Parteienverdrossenheit eigentlich her?
Es gibt Wahlkreise - das ist unglaublich -, in denen
über die Hälfte derjenigen, die gewählt haben, ihre Stimmen bewusst ungültig gemacht haben . Man sieht wirklich, dass die Parteien keine Attraktivität mehr haben .
Die Gründe liegen auf der Hand: Warum grassiert die
Korruption weiterhin? Warum ist es in den guten Zeiten
versäumt worden, die Wirtschaft des Landes zu diversifizieren? Die Energie- und Rohstoffpreise fallen ja nicht
erst seit gestern .
Ich glaube, lieber Kollege Gehrcke, dass wir die Versäumnisse der Lula- und der Dilma-Regierung nicht verschweigen dürfen . Das tut Ihr Antrag aber durchaus . Der
Antrag hätte besser den Titel „Unkritische Solidarität mit
linken Parteien in Lateinamerika“ verdient .
({0})
- Nein, nein, der Beifall schadet mir, lassen Sie das!
({1})
Die Regierung Temer kündigte an, was sie ändern
will . Das ist ein Problem; denn es hat in den letzten
14 Jahren riesige Fortschritte gegeben, und diese stehen
jetzt auf dem Spiel . Es gab riesige Erfolge bei der Armutsbekämpfung . Es gab viele Erfolge bei der Stärkung
der Rechte der Minderheiten, gerade der indigenen Minderheiten . Es gab endlich eine Verrechtlichung der Geschlechtergleichstellung . Das steht alles auf dem Spiel .
Das alles wird zurzeit von der neuen Regierung infrage
gestellt .
Es gab ein sehr großes mulitlaterales Engagement
Brasiliens im globalen Süden . Gerade in Afrika hat Brasilien sehr viel mehr getan als in der Vergangenheit, um
Entwicklung voranzutreiben . Das wird gerade im Sinne
einer sogenannten neuen Effizienz infrage gestellt, und
das ist doch besorgniserregend . Gerade von einem sozialdemokratischen Außenminister erwarten wir, dass er
diese Themen bei unseren brasilianischen Freunden - ja,
das sind unsere Freunde - sehr klar anspricht .
Ich würde den Begriff „Putsch“ nicht verwenden, aber
es war sicherlich eine politisch motivierte Verschwörung .
Es gab den Vorwurf, dass die Budgetierungsregelungen
nicht eingehalten wurden . Dass dieser Vorwurf ausgerechnet von jenen kam, die die Regeln selber jahrzehntelang nicht eingehalten haben, ist natürlich heuchlerisch .
Ich würde trotzdem nicht von einem Putsch sprechen, da
die formalen Regelungen eingehalten worden sind .
Wir erleben so etwas wie eine Rolle rückwärts der
alten Eliten . Das sieht man auch daran, dass im Kabinett ausschließlich alte weiße Männer sind, keine einzige
Frau, keine Vertreter von indigenen Gruppen . Die Sozialprogramme sollen gestrichen werden; das ist angesprochen worden . Die Regierung hat angekündigt, Ölbohrungen vor der Küste zu erlauben . Sie wollen das erste Mal
in der Geschichte des Landes - und es gab viele Gründe,
warum es das bisher nicht gegeben hat - Land an ausländische Investoren verkaufen . Gerade für uns, die zum
Beispiel großen Wert auf den Schutz des Amazonas legen, klingt das ausgesprochen besorgniserregend . Deshalb müssen wir sehr genau hinschauen, was da passiert .
Ich will wenige Sätze auf das verwenden, was im
Antrag steht, jedoch nicht zum Thema Brasilien gehört .
Auch da ist einiges sicher richtig . Ja, wir haben uns sehr
gefreut über das Friedensabkommen in Kolumbien nach
52 Jahren; unser Kollege Tom Koenigs, der heute leider
nicht hier sein kann, hat dort mitverhandelt . Auch der
Nobelpreis für Santos hat uns sehr glücklich gemacht .
Das Referendum hatte kein so erfreuliches Ergebnis . Am
Prozess festzuhalten und nicht am konkreten Ergebnis,
das ist sicher richtig . Die Annäherung zwischen den USA
und Kuba ist gut und richtig . Im Antrag steht, die EU
solle diesen Prozess institutionalisieren . Diese Meinung
teilen wir . Ich teile nicht die gesamte Analyse des Kollegen Nick in Bezug auf Venezuela, aber die Chavisten
heiligzusprechen, gerade vor dem Hintergrund, dass dort
Menschen verhungern, ist ein wenig zynisch .
Ich bin dankbar, dass die Linke den Antrag vorgelegt
hat . Es ist gut, dass wir hier endlich über Lateinamerika,
insbesondere über Brasilien, diskutieren . Es wäre besser
gewesen, wenn der Antrag ein bisschen differenzierter
gewesen wäre . Das hätte die Debatte, glaube ich, noch
besser gemacht .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Kollege Nouripour . - Der letzte Redner
in dieser Debatte und voraussichtlich auch für den heutigen Abend: Klaus Barthel für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Tat ist der Anlass des Antrags gar nicht die Wahl in Brasilien, sondern das EU-CELAC-Außenministertreffen,
das nächste Woche in der Dominikanischen Republik
stattfindet. Es ist gut, dass wir die Gelegenheit nutzen,
um über Lateinamerika, die Karibik und ihre Beziehungen zu Europa zu reden . Das ist das Verdienst des vorliegenden Antrags . Dennoch gibt es einige Punkte, die
man kritisieren muss; darauf komme ich später noch zu
sprechen .
Kollege Nouripour hat gerade Kolumbien angesprochen, und dies möchte ich ebenfalls tun, da die Entwicklung dort ein wenig symptomatisch dafür ist, was sich
in Lateinamerika tut, wie nahe dort Freud und Leid, Triumph und Scheitern, Chancen und Risiken beieinanderliegen, aber auch, wie sehr man sich in Einschätzungen
über die Stimmung im Volk täuschen kann, wie sich die
Eliten, die Umfrageinstitute und alle internationalen Beobachter täuschen können .
Deshalb wollen wir hier einmal festhalten: Gratulation zu diesem Friedensvertrag vom 26 . September an den
Präsidenten Santos und die Führung der FARC . Für uns
gilt dieser Friedensvertrag weiter . Dank an alle, die im
In- und Ausland dazu beigetragen haben: die norwegische Regierung, Kuba, Venezuela, Chile, die USA, die
Zivilgesellschaft in Kolumbien selbst und das dortige
Parlament . Gratulation auch noch einmal an den Präsidenten Santos zum Friedensnobelpreis . Ich denke, auch
das muss hier erwähnt werden und vor allem auch die
Ankündigung, diese Friedenspolitik konsequent fortzuOmid Nouripour
setzen und jetzt auch mit der ELN zu einem Friedensschluss zu kommen .
({0})
Ich denke, Dank und Anerkennung sollten auch an
die Bundesregierung gehen, dass sie diesen Prozess im
Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützt hat und zum
Beispiel mit Tom Königs jemanden beauftragt hat, die
dortige Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen .
An diesem Punkt gibt es, glaube ich, Konsens, auch in
dem Antrag .
In Erinnerung an den einstimmigen Beschluss, den der
Deutsche Bundestag dazu gefasst hat, meine ich schon,
wir müssen hier noch einmal ganz deutlich sagen: Es
kann nicht sein, dass sich am Ende dieses Prozesses jene
durchsetzen, die diesen Friedensprozess mit Angstmache
und Lügenkampagnen und aus rein kurzfristigen wirtschaftlichen und parteitaktischen Interessen nach all dem
Leid, das man jetzt über 50 Jahre dort erlebt hat, torpedieren wollen . Das darf nicht passieren .
Zu Brasilien ist bereits viel Richtiges und Wichtiges
gesagt worden . Es ist schwer, dies alles ausgewogen darzustellen, aber es muss, denke ich, schon deutlich werden, dass wir diesen Staatsstreich - so kann man es schon
nennen - missbilligen .
({1})
Eine solche Amtsenthebung ist nur bei schwerwiegenden Vergehen und Verbrechen eines Präsidenten bzw .
einer Präsidentin möglich . Das war ein politisiertes, interessengeleitetes Verfahren durch die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat, und Dilma Rousseff ist
eigentlich die Letzte, die hier anzuprangern wäre . Sie ist
jedenfalls wesentlich integerer als die Mehrheit, die sich
gegen sie durchgesetzt hat .
({2})
Kollege Nick, hier müssen wir aufpassen: Wenn wir
es billigen, dass eine Regierung eine Präsidentin nur
deshalb abwählt, weil sie jetzt Probleme hat, weil sie bei
der Öffentlichkeit in Ungnade gefallen ist, da das Land
in eine wirtschaftliche Krise geraten ist, dann hätten wir
ständig zu tun . Ich glaube, dann müssten wir auch bei uns
einmal genauer hinschauen und überlegen, ob wir so etwas eigentlich richtig finden können: dass die schwierige
wirtschaftliche Lage und eine Vertrauenskrise dazu benutzt werden können, einen Regierungswechsel auf solch
dubiose Weise herbeizuführen .
Vor allem müssen wir auch berücksichtigen, dass jene,
die das getan haben, selbst wesentlich mehr im Dreck
stecken als die Präsidentin . Zum Beispiel ist der Hauptdrahtzieher, der ehemalige Parlamentspräsident Cunha,
gestern verhaftet und eingesperrt worden, und man muss
damit rechnen, dass er zu einer langjährigen Haftstrafe
verurteilt wird .
Zudem muss man sehen, wie jetzt die Stimmung im
Volke ist . Ein unternehmerverbandsnahes Institut hat
eine Umfrage veröffentlicht, nach der nur 24 Prozent der
Bevölkerung den jetzigen Regierungschef Temer für besser halten, aber 31 Prozent sagen, sie wären jetzt wieder
für Rousseff, und 65 Prozent der Menschen in Brasilien
sind für sofortige Neuwahlen, weil sie die jetzige Regierung ablehnen . Also man sollte vorsichtig sein, den Stab
über die frühere Regierung zu brechen .
In der Tat - Kollege Nouripour hat es angesprochen ist es eine Krise des politischen Systems und der Parteien insgesamt . Es gibt Probleme mit dem Wahlrecht und
eine Zersplitterung in 28 Parteien im Parlament, und es
gibt über 30. Weitere Probleme sind die Parteienfinanzierung über Spenden sowie die Vermischung von Politik
und Justiz . Auch die Medienlandschaft ist problematisch .
In diesen Bereichen sieht man jahrelange Versäumnisse
und Probleme . Man sieht auch, dass Strukturreformen
seit der Militärdiktatur nicht vorangekommen sind, egal
ob es das Steuersystem betrifft oder die Themen, die ich
angesprochen habe .
Aber im Hintergrund - ich glaube, das ist wichtig muss man die schwere wirtschaftliche Krise sehen .
Es geht auch darum, wie wir uns dazu verhalten . Zum
Schluss meiner Rede will ich sagen: Wie sich Teile der
deutschen Wirtschaft dazu verhalten, können wir hier
nicht unterstützen . Ich zitiere einmal den stellvertretenden Vorsitzenden des Lateinamerika-Ausschusses der
Deutschen Wirtschaft .
({3})
- Ich freue mich zwar, dass so viele Kollegen von der
Union anwesend sind, aber die Unruhe finde ich nicht
ganz angemessen . Vielleicht könnten Sie mir zuhören .
({4})
Guido Kerkhoff sagte allen Ernstes: Temer hat bereits
wichtige Baustellen wie die Deregulierung des Arbeitsmarktes identifiziert. - Das heißt, er will die Informalisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes offensichtlich noch vorantreiben, obwohl gerade das eines der
Probleme in Brasilien ist . Wir lesen dann in den Veröffentlichungen von einer Schnäppchenjagd in Brasilien .
Jetzt gebe es jede Menge Übernahmen zu machen und
die Privatisierungen zu nutzen, und zwar die Privatisierungen von Kliniken, von Stromnetzen, von Stromerzeugung, von Ölfeldern, von Fluggesellschaften, von Gaspipelines und im Bereich Bergbau .
Wenn man das zugrunde legt, ist größte Vorsicht geboten . Denn dann geht es nicht darum, sinnvolle Auslandsinvestitionen voranzubringen, die das Land wirklich
braucht, sondern dann geht es einfach nur darum, wieder
postkoloniale Strukturen herbeizuführen, den Aderlass,
den es über Jahrhunderte von Süd nach Nord gegeben
hat, fortzusetzen bzw . neu aufzunehmen und die Privatisierungswelle, die die Regierung jetzt plant, zu nutzen .
Also das kann es nicht sein .
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Es gibt für die deutsche Wirtschaft, Frau Präsidentin,
viel Sinnvolles zu tun; dabei könnte sie auch Gewinne
machen . Aber das, was jetzt geplant ist, geht, glaube ich,
so nicht .
Zu guter Letzt
Ja, aber wirklich zu guter Letzt .
- muss ein Widerspruch noch angesprochen werden .
Nein, muss er eigentlich nicht .
Die Linke fordert in dem Antrag, dass wir uns in
Brasilien massiv einmischen, die jetzige Regierung kritisieren und Druck in Richtung Neuwahlen machen . Zu
Venezuela sagen Sie, dass wir uns da überhaupt nicht einmischen dürfen .
({0})
Ich glaube, wir müssen uns bei der Lateinamerika-Politik
schon darauf einigen, dass wir auf Augenhöhe und mit
Respekt mit allen Ländern und Regierungen umgehen,
Und ich glaube, Sie sollten sich an die Redezeit halten .
({0})
- dass wir uns darauf verlassen, dass die Bevölkerung
dort die richtigen Entscheidungen trifft, und dass nicht
wir hier über deren Köpfe hinweg entscheiden .
({0})
Jetzt schließe ich die Aussprache .
Wir freuen uns außerordentlich, dass so viele Abgeordnete der CDU/CSU anwesend sind . Ich weiß nicht, ob
Sie heute noch Hammelsprung üben wollen .
({0})
Das machen wir jetzt immer so . Normalerweise sind um
die Uhrzeit - Frau Noll weiß das - weniger anwesend .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10013 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit
einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({1}) zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
Achtung der Menschenrechte in Burundi ein-
fordern - Friedensdialog fördern
Drucksachen 18/8706, 18/9938
Die Reden werden zu Protokoll gegeben .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9938,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/8706 anzunehmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann
enthält sich niemand mehr . Die Beschlussempfehlung ist
angenommen . Zugestimmt haben die heute Abend große
CDU/CSU-Fraktion,
({2})
die SPD und die Grünen . Gegenstimmen kommen von
den Linken .
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Schutz von Walen und Delfinen stärken
Drucksache 18/10019
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen
Drucksache 18/10032
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind einverstanden .2)
Zusatzpunkt 8 . Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/10019 mit dem Titel „Schutz von Walen
und Delfinen stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag
ist angenommen mit der großen Mehrheit von CDU/
CSU-Fraktion, SPD und Linken bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen .
Zusatzpunkt 9 . Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10032 mit dem Titel „Wirksamen Wal-
schutz weltweit durchsetzen“ . Wer stimmt für diesen An-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist abgelehnt
mit der ziemlich großen Mehrheit der CDU/CSU und der
SPD . Für diesen Antrag haben Bündnis 90/Die Grünen
und die Linken gestimmt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschrif-
ten über das Schulprogramm für Obst, Gemüse
1) Anlage 3
2) Anlage 4
und Milch ({3})
Drucksachen 18/9519, 18/9760, 18/9879 Nr. 3
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({4})
Drucksache 18/10058
Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben wer-
den .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10058, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9519 und 18/9760 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und
Grüne . Enthalten hat sich die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung der
CDU/CSU, der SPD, der Grünen und bei Enthaltung der
Linken .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU
zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung
und anschließenden Aufhebung der Richtlinie
96/82/EG des Rates
Drucksache 18/9417
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({5})
Drucksache 18/10057
Die Reden gehen zu Protokoll.2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10057, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/9417 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an-
genommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und die SPD .
Dagegengestimmt haben die Grünen . Enthalten hat sich
die Linke .
1) Anlage 5
2) Anlage 6
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben die Grünen, enthalten haben sich die Linken .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10057 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Grünen, dagegen war die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit
der Familienkassen des öffentlichen Dienstes
im Bereich des Bundes
Drucksache 18/9441
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({6})
Drucksache 18/10045
- Bericht des Haushaltsausschusses ({7})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10059
Die Reden gehen zu Protokoll.3)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10045, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9441 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, enthalten haben sich die Grünen und die Linken .
Wer hat das mit dem Aufstehen eigentlich eingeführt? - Das können wir bitte einmal klären; niemand
weiß es .
({8})
3) Anlage 7
Vizepräsidentin Claudia Roth
- Das haben wir immer schon so gemacht; gut . - Möglicherweise fragen sich die Gäste, was wir hier eigentlich
machen .
({9})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur
Änderung weiterer Statistikgesetze
Drucksache 18/9418
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10})
Drucksache 18/10067
Die Reden gehen zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10067, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9418 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegengestimmt hat niemand, enthalten haben sich die
Linken und Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben .
({11})
- Gut, das müssen wir jetzt einmal durch den Wissenschaftlichen Dienst klären lassen; jetzt will ich es wirklich wissen .
({12})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Drucksache 18/9981
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({13})
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden gehen auch hier zu Protokoll.2)
1) Anlage 8
2) Anlage 9
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9981 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich gehe
nicht davon aus, dass es noch anderweitige Vorschläge
gibt . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und
illegalen Beschäftigung
Drucksache 18/9958
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({14})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Die Reden gehen zu Protokoll.3)
Interfraktionell wird auch hier Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9958 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung der Insolvenzordnung
Drucksache 18/9983
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({15})
Finanzausschuss
Auch da gehen die Reden zu Protokoll. - Sie sind
damit einverstanden .4)
Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 18/9983 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch dazu sehe
und höre ich keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
({16})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21 . Oktober 2016, 9 Uhr,
ein .
Ich wünsche Ihnen weiterhin einen fröhlichen Parlamentarischen Abend .
Die Sitzung ist geschlossen .